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Während Jahrhunderten präsentierte sich das Bildder europäischen Stadt als eine geschlossene Einheit:Eingefasst von einer Befestigungsmauer wurde diekompakte städtische Bebauung nur von wenigen, aufFernwirkung ausgerichteten Sakralbauten überragt.So ergibt sich auch in den Stadtdarstellungen von denfrühen Grafiken des 15. Jahrhunderts bis zu den An-sichten und Veduten des 18. Jahrhunderts ein immer
wiederkehrendes Muster, auch wenn diese Darstel-lungen oftmals ebenso sehr auf mentalen und imagi -nierten Bildern beruhten wie auf tatsächlich gebautenOrten (Abb.1).2 Dies wandelte sich erst im Zei chender Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts. Die veränderten wirtschaftlichen undgesellschaftlichen Verhältnisse forderten eine ganzeReihe neuer profaner Bautypen, die fortan die Sil-houetten der Städte massgeblich mitbestimmten, da-runter etwa Regierungs- und Postgebäude, aber auchInfrastrukturbauten wie Bahnhöfe und Bauten fürden Tourismus.
Monumentalbauten im Luzerner Stadtbild
In Luzern verhielt sich dies nicht anders. Für dieFern wirkung waren hier besonders die an nördlicherHanglage situierten Museggtürme der Stadtmauerso wie die Doppeltürme der ausserhalb des eigentli-chen Befestigungsrings gelegenen Hofkirche langeZeit bestimmend (Abb. 2). Wie andernorts wurdeauch hier der Stadtumbau im Zeichen der neuen
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Kuppeln und TürmeDer Suva-Neubau und das Hochhaus Schönbühl: zwei Beispiele für die Kontroversen um die Luzerner Stadtsilhouette1
Martino Stierli
InhaltMonumentalbauten im Luzerner Stadtbild 33
Erste Regungen eines Denkmalbewusstseins 34
Der Suva-Neubau 1912–1915 36
Der Wettbewerb um den Neubau 37
Frühe Kritik 39
Streitpunkt Kuppel 41
Das Hochhaus Schönbühl 1956 –1968 43
Städtebau am Stadtrand 43
Auftritt Alvar Aaltos 44
Die Rolle des Innerschweizer Heimatschutzes 45
Landschaftsschützerische Aspekte 46
Ausblick 47
1 Für die Unterstützung der Recherche zum Suva-Neubau bin ichMarkus Trüeb, Luzern, zu grossem Dank verpflichtet. Karin Gim-mi, Zürich, hat mir auf grosszügige Weise Einblick in ihre Archiv-recherchen zu Alvar Aalto und den Luzerner Hochhaus-Diskus-sionen gegeben. Auch ihr gebührt mein herzlicher Dank. – Eineabweichende Fassung dieses Beitrags ist erschienen unter: StierliMartino, «Heimatschutz und Hochhäuser: kein Widerspruch», in:Heimatschutz/Sauvegarde 103 (2008), Nr. 2, S. 6–10.2 Siehe u. a. Behringer Wolfgang/Roeck Bernd (Hg.), Das Bild derStadt in der Neuzeit 1400–1800, München 1999.
Abb.1 Älteste Abbildung von Luzern. Spiegelung der seitenverkehrten Ansicht aus der «Kronica von der lob -lichen Eydtgnoschaft…» von Petermann Etterlin, um 1507.
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Zeit und der Anforderungen des Fremdenverkehrsschnell betrieben.3 Seit Mitte des 19. Jahrhundertsetwa wurde der Abbruch der Stadtmauer systema-tisch voran getrieben, bevor der Stadtrat 1864 be-schloss, dem Raubbau an historischer BausubstanzEinhalt zu gebieten und die Museggmauer «als Zier-de der Stadt fort[zu]erhalten».4 Argumentiert wur-de dabei al ler dings nicht mit denkmalpflegerischenGe sichts punk ten, sondern vielmehr mit handfestenwirtschaftlichen Interessen. Allmählich setzte sich dasBewusstsein durch, dass ein intaktes Stadtbild demFremden verkehr in der Stadt förderlich sein würde.Dieser Logik gehorchte nicht nur die Verschonungder krönenden Stadtmauer, sondern in den folgen-den Jahrzehnten auch etwa der Bau einer eigentlichenstädtischen Schau fassade zum See hin, die auf denBlick der zahlenden Besucher ausgerichtet wurde.5
Zu den bestehenden historischen Baudenkmä-lern trat nun aber in der zweiten Hälfte des 19. Jahr-hunderts eine ganze Reihe profaner Monumental-bauten hinzu, die das Weichbild der Stadt fortanmassgeblich mitbestimmten. Für die TourismusstadtLuzern charakteristisch war dabei die Vorreiterrolledes Hotelbaus.6 Einen Anfang hatte bereits 1845 der«Schweizerhof» gemacht, bevor es nach dem Bebau-ungsplan von 1865 zu einem eigentlichen Hotelbau-boom am neu angelegten Schweizerhofquai sowie imBahnhof ge biet kam. Für das Stadtbild beziehungs-weise die Fernwirkung von besonderer Bedeutungwar in diesem Zusammenhang, dass im letzten Vier-tel des Jahrhunderts mit der Dachkuppel ein höhen-wirksames Bauglied zum prägenden Bauelementarri vierte, das bis anhin dem Sakral- und – man den-ke an das Berner Bundeshaus (1894–1902) – dempoli tischen Repräsentationsbau vorbehalten gewesenwar. Für den Hotelbau fand sich dafür im 1875 amBrienzersee eröffneten «Grand Hotel Giessbach» einerstes Vorbild. In Luzern machte 1882 die Kloster-kuppel von Léon Higonnets Casino und Kursaal den
Auftakt. Mit gehöriger Verzögerung antwortete Ar-nold Cattani 1897 beim Erweiterungsbau des HotelsDu Lac am Reussufer mit der zweiten grossen Hotel-kuppel Luzerns, die das Stadtbild bis zum Abbruchdes Hotels 1948 entscheidend prägte. Einen näherliegenden Bezugspunkt bildete für Cattani freilichdie mächtige Kuppel des neuen Bahnhofsgebäudes,das 1896 in unmittelbarer Nachbarschaft fertig ge-stellt worden war (Abb. 3). Eine weitere, auf Fern-wirkung angelegte Dachkuppel folgte 1906 mit demHotel Palace (Abb. 4). Obschon all diese Bauten teilsmassiv in das bestehende Stadtbild eingriffen, bliebenöf fent liche Kontroversen dazu weitgehend aus. BeimBahnhofneubau hatte sich zwar erstmals Widerstandgeregt, als die neu sich formierenden «Heimatschutz»-Kreise den Grossbau als «Emporkömmling ohne Ras-se»7 anprangerten. Man störte sich jedoch weniger ander Höhenentwicklung der Kuppel und ihrer Auswir -kung auf die Stadtsilhouette als vielmehr am «inter-nationalen Stil» dieser Architektur, der sie etwa mitdem Portalgebäude der Pariser Weltausstellung von1878 verband (Abb. 5).
Erste Regungen eines Denkmalbewusstseins
Vor dem Hintergrund der tiefgreifenden Folgen die-ser neuen Monumentalbauten für das Luzerner Stadt -bild mag es erstaunen, dass ästhetischer Nutzen und
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3 Siehe insbesondere: Wyss Beat, Luzern, in: INSA. Inventar derneueren Schweizer Architektur, Bd. 6, hg. von der Gesellschaft fürSchweizerische Kunstgeschichte, Bern 1991, S. 378–426; von MoosStanislaus, «Nicht Disneyland». Luzern zwischen Vandalismus,Wiedergutmachung und Special Effects, in: ders., Nicht Disney-land. Und andere Aufsätze über Modernität und Nostalgie, Zürich2004, S. 55–75.4 Stadtratsprotokoll, 20. Oktober 1864, fol. 325 (zitiert nach: Wyss1991, S. 384).5 Vgl. Wyss 1991, S. 379.6 Siehe Flückiger-Seiler Roland, Hotelträume zwischen Gletschernund Palmen. Schweizer Tourismus und Hotelbau 1830–1920, Ba-den 2001, S. 76f., 135–137, 145–147 und passim.7 Zitiert nach: Wyss 1991, S. 388.
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Schaden dieser Bauten kaum Gegenstand öffent li -cher Debatten gewesen zu sein scheinen. Ohnehinwar der Denkmalschutzgedanke – und damit auchdie Frage des Erhalts des historisch ererbten städti-schen Weichbilds – bis zum Ende des 19. Jahrhun-derts hier wie anderswo kaum entwickelt. Bekannt-lich war noch 1825 das spätgotische Hertensteinhausmit seinen Fresken von Hans Holbein d.Ä. und d.J.abgebrochen worden. Zwar verpuffte der sich regende
Widerstand ungehört; immerhin aber entwickeltensich in der Folge im Umfeld der Kunstgesellschaft ers-te Ansätze eines Denkmalschutzgedankens.8 In diesemZusammenhang ist auch die Entscheidung ein paarJahrzehnte später zu sehen, die Museggtürme zu er-halten, obschon hier wohl handfeste ökonomischeAspekte im Zeichen des Fremdenverkehrs letztlichden Ausschlag gaben. Erst um die Jahrhundertwendebegann sich mit der Formierung der Heimatschutz-Bewegung der Denkmalschutzgedanke in der öffent-lichen Wahrnehmung und Diskussion fest zu etablie -ren; ein Bemühen, das 1913 mit einem Heimat schutz-artikel im städtischen Baugesetz eine offizielle Würdi -gung erfuhr. Darin wurde die Exekutive ausdrück lichverpflichtet, «die Ausführung von Bauten, die demOrts-, Strassen- oder Landschaftsbild, dem Fluss-oder Seeufer zur offenbaren Unzierde gereichen wür-den, zu untersagen.»9 Damit wurden nicht nur histo -rische Einzelbauten, sondern ausdrücklich auch derSchutz des ererbten Stadtbildes als Ganzes angespro-chen und zum Gegenstand öffentlichen In te res ses er-klärt. Kurz zuvor, ab 1912, hatte sich die Debatte umdiese Frage an einem weiteren mo nu men talen Neu-bau entzündet, der das Luzerner Stadtbild fortanmassgeblich prägen sollte: der Haupt sitz der Schwei-zerischen Unfall-Versicherungsanstalt (Suva). DieAuseinandersetzung um eine intakte Stadtsilhouettelässt sich bis heute verfolgen, was weiter unten amBeispiel eines prominenten Hochhausprojekts ausden 1960er-Jahren exemplarisch gezeigt wird.
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Abb. 2 Panorama Luzernsvon der Fluhmatt auf Hof-quartier, Museggmauer und Fröschenburg. Tapeten-malerei von David AloisSchmid aus Schwyz, zwischen1854 und 1858 (HistorischesMuseum Luzern, HMLU 9312).
Abb. 3 Luzern, linkes Seeufermit den Dachkuppeln desBahnhofs von 1896 und des Hotels du Lac von 1897.Aufnahme um 1897 von Photoglob (Kant. Denkmal -pflege, Luzern).
Abb. 4 Luzern, Grand HotelPalace. Erbaut von HeinrichMeili-Wapf, 1904–06.
Abb. 5 Paris, Portalgebäudeder Weltausstellung, 1878.
8 Vgl. Wyss 1991, S. 386.9 Baugesetz für die Stadt Luzern, Art. 6 (Gesetze, Dekrete und Ver-ordnungen für den Kanton Luzern, Bd. 9, S. 489; zitiert nach: Wyss1991, S. 503).
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Der Suva-Neubau 1912 –1915
Für die Frage des Stadtbildschutzes zu Beginn des 20.Jahrhunderts war der geplante Neubau des Haupt-sitzes der Suva in Luzern (Abb. 2 und 7) ein eigentli-cher Kristallisationspunkt, kam er doch einem massi -ven Eingriff in die bestehende Stadtsilhouette gleich.Nachdem auf Betreiben des Bundesrats bereits 1890
eine Kranken- und Unfallversicherung in der Verfas-sung verankert worden war, nahm das Stimmvolk1912 im zweiten Anlauf ein entsprechendes Bundes-gesetz an, das zur Gründung der Suva führte.10 Pro-visorisch nahm die Anstalt ihren Betrieb zunächstvon Zürich aus auf, bevor man im Oktober 1912 – imSinne einer vorübergehenden Lösung – in das Luzer-ner Zunft haus zu Schneidern übersiedelte. Luzernhatte nur unter grösstem Einsatz seine Interessen aufnationaler Ebene behaupten können, nachdem derSitz des Schweizerischen Landesmuseums an Zürichgegangen war. Der Hauptsitz der Suva stellte somiteine Art Entschädigung dar. Hatte sich Luzern gegenkonkurrierende Städte einmal durchgesetzt, ent-brannte an der Reuss zwischen den einzelnen Quar-tiervereinen bald ein Wettstreit um den künftigenStandort des neu zu errichtenden Grossbaus. Innertkurzer Zeit trafen bei der Suva nicht weniger als 17Offerten für mögliche Grundstücke und Liegenschaf-ten ein.11 Offenbar erhoffte man sich von der neuenBundesanstalt allenthalben nicht nur einen Prestige-gewinn, son dern auch handfeste ökonomische Vor-teile für das eigene Quartier.
Nach eingehender Prüfung der eingereichtenVorschläge verblieben zwei Bauplätze in der engerenAuswahl: das Gelände des barocken Landsitzes Fluh-
matt sowie das Areal des ehemaligen Gaswerkes amStandort der heutigen Zentral- und Hochschulbi-bliothek. Die Suva gab daraufhin ein Gutachten inAuftrag, in dem sich der Verfasser, der Zürcher Ar-chitekt Robert Weideli, für die Fluhmatt aussprach,da diese mit ihrem «dominierenden Plateau […] fürden Neubau eines öffentlichen Gebäudes als ideal be-zeichnet werden [dürfe]». Unter Verweis auf seineHeimatstadt fügte er dem hinzu: «Ein Monumental-gebäude auf der Fluhmatt errichtet, kann für Luzernim Stadtbilde eine ähnliche Rolle spielen wie dasPoly technikum in Zürich.»12 (Abb. 6) Es ist bezeich-
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Abb. 6 Zürich, Hauptbahnhofmit Gottfried Sempers Poly-technikum im Hintergrund.Aufnahme 1882 (Bau geschicht -liches Archiv Zürich).
Abb. 7 Luzern, Hauptsitz derSuva vor Alpenpanorama.Offizielle Festpostkarte zumXIII. Schweiz. Arbeiter-Sänger-fest in Luzern, 1925, vom Emil-Goetz-Kunstverlag (SALU,F2a/Fluhmattstrasse 1).
10 Vgl. dazu und im Folgenden: Rüesch Edgar, Das Ringen um denStandort der SUVA, in: Hochwacht und Hof. 100 Jahre Quartier-verein Hochwacht Luzern. Beiträge zur Geschichte eines stadtlu-zernischen Quartiers, Luzern 1975, S. 159–166; Brunner Thomas,Schweizerische Unfallversicherungsanstalt SUVA. Die Baugeschich -te des Hauptsitzes auf der Fluhmatt Luzern, erstellt im Auftrag derBauabteilung der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt, Lu-zern o. J. (Typoskript Suva-Archiv Luzern).11 Eine Liste sämtlicher an die Suva gerichteter Angebote findetsich bei Brunner [o. J.], S. 7.12 Zitiert nach: Brunner [o. J.], S. 9 f.
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nend, dass der Gutachter hier also mit dem Stadtpro-spekt und damit mit einem ästhetischen Gesichts-punkt argumentierte. Mit Sempers Polytechnikumund mehr noch mit der soeben fertig gestellten Uni-versität hatte Zürich jüngst eine über der Altstadtthronende Stadtkrone erhalten (Abb. 8), und Luzernsollte mit dem Suva-Neubau die Gelegenheit erhal-ten, es der Limmatstadt im Wettstreit der Vororte deralten Eidgenossenschaft gleich zu tun. Am 1.Oktober1913 erwarb die Suva das Fluhmatt-Areal mit knapp15’000 Quadrat metern Land, zwei Wohn- und einemNebengebäude sowie einer Scheune für Fr. 425’000.–.
Der Wettbewerb um den Neubau
Der nächste Schritt bestand darin, für den geplantenNeubau, der 5000 Quadratmeter Bruttofläche undPlatz für 145 Beamte bieten sollte, einen geeignetenAr chitekten zu finden. Aus dem von der Bauherr-schaft 1913 veranstalteten Wettbewerb resultiertendreissig Projekte, aus denen die Jury das Projekt«Wahr zeichen» der Gebrüder Otto und Werner Pfis -ter aus Zürich zum Sieger kürte und es zur Ausfüh-rung emp fahl (Abb. 9). Nachdem am 30. April 1914die Baubewilligung erteilt worden war, wurde derBau mit einigen Modifikationen gegenüber der ur-sprünglichen Eingabe in Angriff genommen undnach weniger als zwei Jahren Bauzeit im Dezember1915 bezogen.
Das Wettbewerbsprogramm und die in der«Schweizerischen Bauzeitung» publizierten Überle-gungen des Preisgerichts erlauben es, Rückschlüsseauf den damaligen Stand der Architekturdiskussionzu ziehen. Die im Vorfeld geäusserten Erwartungenan den Neubau als Sitz einer Bundesanstalt liessendie Forderung nach einer monumentalen und reprä-sentativen Anlage erwarten. Im Protokoll der Sitzungdes Verwaltungsrats der Suva vom 28./29. Mai 1914ist zu dieser Frage indes zu lesen: «Die Instanzen sindder Meinung, dass ein der Aufgabe & Zweckbestim-mung entsprechendes, aber nicht luxuriöses oder pa-lastähnliches Gebäude erstellt werden sollte […]. Für die Disposition des Baues wird im Wesentlichen nurdie zweckmässige, Sonne, Licht und Luft zugänglicheGruppierung der Nutzräume und ihre gute Verbin-dung unter sich massgebend sein; auch der Ratssaalwird nicht zwingend einen entscheidenden Einflussauf die Gestaltung des Hauses beanspruchen.»13 Licht,Luft und Sonne und ein Bekenntnis zur Funktiona-lität der räumlichen Anordnung – beinahe fühlt mansich hier an die Grundsätze des Neuen Bauens erin-nert. Aus heutiger Sicht mag daher erstaunen, dassein so offenkundig auf Fernwirkung programmierterEntwurf wie derjenige der Gebrüder Pfister das Ren-nen machte. Die Jury jedoch erkannte darin keinenWiderspruch – ganz im Gegenteil. In ihrem Berichtbegründete sie ihre Wahl unter anderem mit folgen-den Worten: «Ferner wird grosses Gewicht auf dieBestimmung des Programms gelegt, dass möglichstwenig Räume der Sonne entbehren. Auch wird kur-zen Verbindungen der Räume unter sich und derMöglichkeit der Abtauschung derselben grosse Wich-tigkeit beigemessen. Erwünscht wäre eine weit ge -hende Auflösung der Fensterwand mittelst schmalerPfeiler, um möglichste Freiheit in der Disponierungund Möblierung der Räume zu sichern.»14 Immerhin
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Abb. 8 Zürich, Kollegien -gebäude (Hauptgebäude)der Universität. Erbaut vonKarl Moser, 1911–14 (Archivgta, ETH Zürich).
Abb. 9 Luzern, Wett be werbs -projekt für den Suva-Neu-bau, von Otto und WernerPfister (Schweizerische Bauzeitung, 3. Januar 1914).
13 Zitiert nach: Brunner [o. J.], S. 11.14 Schweizerische Bauzeitung 63 (3.1.1914), S. 7.
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nennt der Jurybericht dann doch noch die «für dasStadtbild wertvolle Lage und Gestaltung» des Pro-jekts als weiteres für die Wahl ausschlaggebendes Kri-terium.15
Der Entwurf der Gebrüder Pfister, den die Jurymit diesen Worten kommentierte, sah eine Vierflügel -anlage vor, die sich um einen zentralen Innenhofgruppierte (Abb.10). Mit dieser Disposition lehnten
sich die Architekten typologisch an den Klosterbaumit Kreuzgang oder an barocke Spitalbauten an, beidenen sich häufig Kuppeln finden.16 Die Büroräumesind allesamt einbündig angeordnet und weisen,dem Gebot nach grösstmöglicher Besonnung gehor-chend, zu den Aussenseiten des Gebäudes hin. Be-stimmendes Element des Entwurfs ist zweifellos dermächtige turmartige Abschluss des Gebäudes, der
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Abb.10 Luzern, Grundrissdes Wettbewerbsprojekts für den Suva-Neubau, vonOtto und Werner Pfister, 1913(SALU, B3.31/A1.51/1914).
Abb.11 Luzern, modifiziertesWettbewerbsprojekt für denSuva-Neubau, von Otto undWerner Pfister. Projektmon -tage von Arnold Bringolf, April1914 (SALU, F2a/Fluhmatt-strasse 1).
Abb.12 Luzern, Wettbe-werbsprojekt für den Suva-Neubau. Ansicht der Stirn -seite mit Lift vom Niveau derZürichstrasse, von Otto undWerner Pfister (Schweizeri-sche Bau zeitung, 3. Januar1914).
Abb.13 Hammetschwandliftam Bürgenstock. Ansichts -karte, von Emil Goetz, Luzern,ca.1905 (Verkehrshaus derSchweiz, Luzern, VA-47413).
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von einer nicht minder imposanten Kuppel bekröntwird (Abb.11). Die Wirkung dieses dominanten Ele-ments im Stadtbild unterstrichen die Architekten inihrem Entwurf, indem sie den Baukörper ganz an denöstlichen Rand der Liegenschaft rückten (Abb.12).Der Turm erhebt sich im Projekt direkt an der Fels-wand zum Löwenplatz und erreicht dadurch eine insDramatische gesteigerte Betonung der Vertikalen.
Die Erschliessung vom Strassenniveau solltedurch einen Liftschacht erfolgen, der der Felswandvorgelagert war und dem Benutzer somit einen spek-takulären Blick auf die zu Füssen liegende Stadt ge-währt hätte. Vergleichbar kühne Lösungen hatte esim näheren Umfeld bekanntlich schon früher gege-ben; die Standseilbahn zum Château Gütsch (1884)gehört ebenso dazu wie der Hammetschwandlift amBürgenstock (1905; Abb.13). Die Architekten rech-neten ganz bewusst mit der visuellen Verführungs-kraft ihres Projekts und kommentierten dazu in derBeschreibung ihres Wettbewerbsbeitrags: «Um dieganze Gebäudeanlage wirksam & markant zu gestal-ten, ist der turmartige Gebäudekörper über die Stras-se gestellt.»17 Abgesehen von der spektakulären In -s ze nierung des Stadtbildes von oben besass die vonden Architekten vorgeschlagene Disposition weitereVorzüge. Durch die Situierung des Neubaus an derFelskante konnte der Abbruch der bestehenden Ba-rockbauten auf der Fluhmatt umgangen und die li-neare Erweiterung der Anlage zum rückwärtigen Be-reich des Geländes in späteren Bauetappen offen ge-halten werden.
Frühe Kritik
Es waren nicht primär funktionale oder stilistischeGe sichtspunkte, die die weitere Diskussion um dasProjekt prägten, sondern der geplante Turm mitsamtseiner mächtigen Kuppel und deren Auswirkungenauf das Stadtbild. Bereits bei der Veröffentlichung der Wettbewerbsergebnisse am 3. Januar 1914 warenin der «Schweizerischen Bauzeitung» diesbezüglichkritische Stimmen zu vernehmen: «Ganz unbetei-ligte Ar chitekten von anerkannter Urteilsfähigkeitsind der Ansicht, das schöne Stadtbild von Luzernmit seinen altehrwürdigen Wahrzeichen der Musegg -türme und der Hofkirche bedürfe gar keiner neuenDominante, es sei im Gegenteil ein Gebot des Taktes,sich dem Bestehenden in Bescheidenheit und Mässi-gung unterzuordnen durch möglichst unauffälligeAn ordnung der Baumassen am westlichen Teil desfür offene Bauweise bestimmten grünen Hügels derFluhmatt».18 Das am selben Ort abgedruckte Urteildes Preisgerichts hob demgegenüber, wie erwähnt,die gute Situierung und Gestaltung des Baus hervorund relativierte einzig in Bezug auf die Kuppel, dassderen Aus gestaltung «noch des weitern Studiums»bedürfe.19
Die in der Fachpresse angeführte Kritik am Pfis -ter-Projekt brachte lediglich auf den Punkt, was vor-ab durch den lokalen Blätterwald gerauscht war. Ins-besondere in der bürgerlichen Presse hatten sichStimmen zu Wort gemeldet, die dem zweitplatziertenProjekt der Berner Architekten Joss & Klauser denVorzug gaben (Abb. 14), und zwar unter ausdrückli-chem Verweis auf das (angeblich) bedrohte Stadt-bild. So war im «Vaterland» vom 2. Dezember 1913zur Wettbewerbseingabe der Gebrüder Pfister zu le-sen: «Das beigegebene Übersichtssbild vom See ausmacht in der Tat Eindruck. Doch erscheint der mas-sige Turm allzu protzig. Von der Zürichstraße ausaber muß er geradezu erdrückend wirken.» Und inBezug auf die Situierung des Baus ganz im Osten deszur Verfügung stehenden Geländes spricht die glei-che Quelle von einem «Mangel an Rücksichtnahmeauf die nähere Umgebung […]. Man vergleiche z.B.
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15 Vgl. dazu auch das Urteil Dominique von Burgs in ihrer Dis-sertation zu den Gebrüdern Pfister: «Mit Ausnahme des Suva-Bausin Luzern (1914/15) standen die verwaltungstechnischen und ad-ministrativen Arbeitsabläufe stets im Zentrum der Planungen»(von Burg Dominique, Gebrüder Pfister. Architektur für Zürich1907– 1950, Sulgen/Zürich 2000, S. 206).16 Für den Hinweis auf die barocke Spitalarchitektur danke ichFrau Dr. Claudia Hermann herzlich.17 Zitiert nach: Brunner [o. J.], S. 14f.18 Schweizerische Bauzeitung 63 (3.1.1914), S. 5. – Es ist interes-sant, dass die «Schweizerische Bauzeitung» die Ergebnisse des Wett-bewerbs direkt neben einem Beitrag Karl Ernst Osthausens zur«Entwicklung des künstlerischen Sehens im Städtebau» veröffent-lichte, fast so, als sollten die abgedruckten Abbildungen zu denWettbewerbsprojekten den theoretischen Text Osthausens illus-trieren (siehe Schweizerische Bauzeitung 63 [17.1.1914], S. 32).19 Schweizerische Bauzeitung 63 (3.1.1914), S. 7.
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das zweitprämiierte Projekt, wie sich das gewiß auchmonumentale Gebäude an das Gelände anschmiegt,wie es die Umgebung und besonders das künftigehübscheste Villenquartier Luzern neben sich auchnoch zur Geltung kommen lässt, während das hoheGebäude des erstpämiierten Projekts den landschaft-lichen Reiz des so malerisch hinter der Musegg an-steigenden Allenwindenhügels wie mit einem Schlagvernichtet.»20 (Abb.15).
Während im Vorfeld des Wettbewerbs die ver-schiedenen Quartiere noch eifrig um den künftigenSuva-Hauptsitz gebuhlt hatten, stiess das Siegerpro-jekt nun bei den direkt Betroffenen, denen der ge-plante Turm die Aussicht auf Stadt und Landschaft
faktisch versperrte, auf deutlich weniger Gegenliebe.Der Protest kam anlässlich einer Versammlung desQuartiervereins Hochwacht am 13. Dezember 1914zum Ausdruck.21 Diese Entwicklung kommentiertedie sozialdemokratische Tageszeitung «Der Demo-krat» nicht ohne Häme. Ohne eindeutig für das Pfis -ter-Pro jekt Stellung zu beziehen, warf der Artikel den«bedrohten Villenbesitzern» eine widersprüchli cheHaltung und überdies einen fehlenden Sinn für dieübergeordneten Interessen der gesamten Stadt vor.22
Allen Versuchen der Gegner zum Trotz, die Bau-herrschaft zu beeinflussen, entschied sich der Ver-waltungsrat der Suva in seiner Sitzung vom 21./22.Januar 1914 für die Ausführung des erstprämiertenProjekts der Gebrüder Pfister. Allerdings erzwang dergeologisch instabile Untergrund an der Felskante dieVerschiebung des gesamten Bauprojekts um zwölfMe ter nach Westen. Der Turm sollte nun nicht mehrdirekt über, sondern neben der Fluhmattstrasse zuliegen kommen. (Abb.16). Diese Verschiebung Rich-tung Westen bedingte allerdings den Abbruch des ba-rocken Landsitzes Fluhmatt. Das «Luzerner Tagblatt»bemerkte dazu, diese Änderung werde «von den Be -
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20 Vaterland, 2.12.1913.21 Der Demokrat, 14. Dezember 1913.22 Der Demokrat, 15. Dezember 1913.
Abb.14 Luzern, Wettbe-werbsprojekt für den Suva-Neubau, von Joss & Klausner Architekten (SchweizerischeBauzeitung, 3. Januar 1914).
Abb.15 Luzern, Wettbe-werbsprojekt für den Suva-Neubau, von Otto und WernerPfister. Projektmontage vonArnold Bringolf, 22. April 1914(SALU, F2a/Fluhmattstrasse 1).
Abb.16 Luzern, über -arbei tetes Wettbewerbs -projekt für den Suva-Neu -bau mit gegen über der Fluhmattstrasse zurückver-setztem Baukörper, von Otto und Werner Pfister, 1914(SALU, F2a/Fluhmattstrasse 1).
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woh nern der Fluhmattstraße und des Fluhmattquar-tiers […] begrüßt werden, da ihnen dadurch wenigs -tens nicht alle Aussicht verbaut wird.»23 Denkmal-pflegerische Bedenken waren offenbar keine zu ge-wärtigen. Trotz dieses erzwungenen Eingeständnissesin Bezug auf die Situierung des Turmbaus ging dieKampagne einzelner Quartierbewohner gegen dasPfister-Projekt vorerst weiter; sie hofften darauf, dieBaubewilligung durch den Stadtrat noch verhindernzu können. Im «Luzerner Tages-Anzeiger» vom 24.April 1914 wurde ein Schreiben abgedruckt, in demder Verfasser argumentierte, der turmartige Bau-körper mit einer Höhe von 26.5 Metern verstosse inmehrfacher Hinsicht gegen das Baugesetz. Argu-mentiert wurde neuerlich mit dem Stadtbild: «Manzeichne […] das projektierte Gebäude mit richtigenVerhältnissen in ein Stadtbild ein! Sofort wird klar,daß der projektierte Bau eine entschiedene Störungdes frontalen Stadtbildes darstellt. Musegg und Hofwerden im Bilde zurückgedrängt, das Quartier Fluh-matt-Zürichstraße wird vorgeschoben, und zwar ineiner durchaus unharmonischen, unausgeglichenenWeise. Man betrachte sodann das Projekt vom Löwen -platz aus! Welch’ Ungetüm türmt sich da über der Zü -richstraße auf, wie übermächtig lastet der sog. Turmauf den Häusern des am Fuße des Felsens liegen-den Stadt teils!» Abschliessend appellierte der Autordes Briefs an den Heimatschutz: «Uns scheint, es seiAufgabe der Heimatschutzvereinigung und des Ver-schönerungsvereins, das Projekt einer nähern Prü -
fung zu unterziehen und mit Energie für die Wahrung des Stadt-, Landschafts- und Straßenbildes einzutre-ten.»24 Die gleiche Zeigung zitierte darauf am folgen -den Tag aus einem Vortrag des Präsidenten des Quar-tiervereins Hochwacht: «Auch vom Standpunkte desHei matschutzes aus muß dieser massige Kuppelbauverworfen werden, da nach Ansicht kompetenterFachmänner durch diesen das Landschaftsbild ver-hunzt werde.»25
Streitpunkt Kuppel
Aus diesem Grund sah sich der Stadtrat genötigt, inZusammenhang mit der Baubewilligung auf die Dis-kussion um Kuppel und Turm einzutreten (Abb.17).In der offiziellen Stellungnahme wurde nun aber dieneue Dominante im Stadtbild ausdrücklich begrüsst:«In der Eingabe des Quartiervereins Hochwacht wird[…] bemerkt, die Kuppel sei nicht ‹notwendig›. Esliegt auf der Hand, daß diese Auffassung nur in sehrrelativem Sinne Recht behalten kann. Schließlichkann aus Utilitätsgründen fast jedes Bauwerk der architektonischen Ausschmückung und reichen Aus-gestaltung entbehren, wie gerade bei den […] Hotel -bauten die Kuppeln nicht absolut ‹notwendig› ge -wesen wären, auch nicht beim Bahnhof. Und dochdienten gerade diese Kuppeln einem bestimmtenZwecke: sie mußten den Bauten den Charakter des
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Abb.17 Luzern, Suva-Haupt-sitz. Erbaut 1914/15 von Ottound Werner Pfister. Aufnahmevon Altstadt aus, von JosefBrun, Luzern, 1990 (SALU, F2a/Fluhmattstrasse 1).
23 Luzerner Tagblatt, 2. Januar 1914.24 Luzerner Tages-Anzeiger, 24. April 1914.25 Luzerner Tages-Anzeiger, 25. April 1914.
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Monumentalen verleihen […]. Luzern wird es zuschätzen wissen, wenn für die Anstalt ein Gebäudegeschaffen wird, das auch in seiner Erscheinung einwürdiges Denkmal eidgenössischen Brudersinns dar-stellt und nebenbei zur Zierde der Stadt gereicht.»26
Tatsächlich hatten in Luzern, wie die angeführtenBei spiele gezeigt haben, bereits verschiedene Archi-tekten die Kuppel zur monumentalen Überhöhungöffentlicher bzw. öffentlich zugänglicher Bauten ein-gesetzt. Mit ihrer Höhe, insbesondere aber mit ihremmassigen Turm-Unterbau indes übertraf die Pfister-Kuppel alles bisher in Luzern Dagewesene (Abb.18).Dennoch erschien dem Stadtrat die Pfister’sche Lö-sung als durchaus angemessen, und zwar spezifischals symbolischer Ausdruck «eidgenössischen Bruder -sinns». Spätestens mit dem Bau des Mittelteils desBundeshauses zwischen 1894 und 1902 war die Kup-pel zu einem architektonischen Nationalsymbol derSchweiz geworden, und als solches fand sie bekannt-lich noch 1991 in Mario Bottas Festzelt zur 700-Jahr-Feier der Eidgenossenschaft einen späten, nur mehrzeichenhaft-ephemeren Nachhall (Abb.19).27
Der Bezug zur schweizerischen Nationalikono-grafie muss allerdings insofern relativiert werden, alsfür den Suva-Bau mit seiner charakteristischen Ver-bindung von Turmform und Kuppel das wenig zu-vor fertig gestellte Kollegiengebäude (Hauptgebäu-de; Abb. 8) der Universität Zürich von Karl Moser alsdirektes Vorbild gedient haben dürfte, zumal OttoPfister von 1904 bis 1906 in Mosers Karlsruher Archi -
tekturbüro ge ar bei tet hatte. Zweifellos strebten dieGebrüder Pfister mit ihrem Luzerner Projekt eine ver -gleichbare Wirkung an.28
Trotz ihres Bezugs zur nationalen Architektur-symbolik blieb die Kuppel umstritten. Der Forderungdes Wettbewerbs-Preisgerichts entsprechend, wurdesie während der Bauphase abgeändert, dabei aber sogar noch leicht erhöht. Überdies war ihr im ur-sprünglichen Projekt eine Kuppelfigur aufgesetzt. Inder endgültigen Ausführung umfasst der entstande-ne Kuppelraum ein ungewöhnlich grosses Volumen,beeindruckt aber auch durch die aufwändige Holz-konstruktion mit gebogenen Bindern (Abb. 20). Inder Nachkriegszeit schien die Kuppel endgültig derUn gnade anheim zu fallen. Nach der Fertigstellungdes Erweiterungsbaus von August Boyer (1953–55)beantragte ein Verwaltungsratsmitglied 1955, dieEnt fernung der Kuppel zu prüfen, da diese das Land-schaftsbild verunstalte. In Zusammenhang mit demNeubau Max Zieglers (1963–68) avancierte der pro-filierte Kunsthistoriker und Preisrichter Linus Birch-ler zum ausgesprochenen Gegner der Kuppel. DieAn lehnung an die Universität Zürich erschien ihmaus aktueller Sicht als Fehlgriff, da der Turm dieStadtsilhouette in ungebührlicher Weise beherrsche,weswegen er alternativ den Bau einer Aussichtsterras -se vorschlug. In Anspielung an die nationale Symbo-lik prägte Birchler auch die wenig schmeichelhafteFormel von Luzerns «missratenem Kapitol». Gegen-position bezog Hanspeter Rebsamen 1965 in einemArtikel in der «Schweizerischen Bauzeitung», in dem
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Abb.18 Vergleichende Kuppelstudien zum Suva-Neubau in Luzern, von Otto und Werner Pfister, 1914(SALU, B3.31/A83).
Abb.19 Bellinzona, Festzeltvon Mario Botta. Aufnahme1991 an lässlich der 700-Jahr-Feier der Schweizerischen Eid-genossenschaft im äusserenHof des Castelgrande.
26 Zitiert nach: Rüesch 1975, S. 166; Brunner [o. J.], S. 29f.27 Vgl. von Moos 2004, S. 125–127, 134.28 Diese Auffassung wird von Dominique von Burg geteilt: «Diefür das Frühwerk von Curjel & Moser besondere Variierung desJugend stils in Form von schweren, abgewalmten Dächern, grobbearbei teten Hausteinen und etwas aufgedunsen wirkenden For-men, wie sie am Universitätsgebäude (1911–1914) von Karl Moserin Erscheinung tritt, findet im Frühwerk der Gebrüder Pfister ei-nen Widerhall […] am Suva-Gebäude» (von Burg 2000, S. 71).
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er den Suva-Hauptsitz mitsamt Kuppel als ein Stückstädtebaulicher und architektonischer Tradition Lu-zerns wertete. Heute kann das Gebäude als Reprä-sentant des «nationalen Bauens» um 1910 gelten.
Das Hochhaus Schönbühl 1956–1968
Die Diskussionen um den Suva-Neubau wiederhol-ten sich einige Jahrzehnte später unter verändertenVorzeichen, als der weltbekannte finnische ArchitektAlvar Aalto in den frühen 1960er-Jahren für das pe-ripher gelegene Schönbühl-Quartier ein Scheiben-hochhaus – im Unterschied zu einem Turmhochhaus
mit längsrechteckigem Grundriss – projektierte. Auf-grund seiner Lage ging es dabei nicht so sehr um die Frage der Einpassung in das historische Stadtbild und die bestehende Silhouette, als vielmehr um land-schaftsschützerische Aspekte. Dies umso mehr, alsdas Wohnhochhaus auf einem Grundstück in un-mittelbarer Nähe zum Ufer des touristisch wertvol-len Vierwaldstättersees gebaut werden sollte.29
Städtebau am Stadtrand
Die Liegenschaft Schönbühl, südlich des Tribschen-horns noch auf Stadtluzerner Gebiet gelegen, befandsich seit Ende des 17. Jahrhunderts mit einem Unter-bruch von rund neunzig Jahren ständig im Besitz derFamilie von Schumacher, der das Anwesen als Som-merlandsitz diente. Zum Gegenstand städtebauli-cher Planung wurde das Areal erstmals 1933 im sogenannten «Übersichtsplan der Gemeinde Luzern»(Abb. 21). Darin wurden das Schönbühl und die an-grenzenden Gebiete als Reservezone im Sinne einesGrüngürtels ausgewiesen, die frühestens ab 1970 zurÜberbauung freigegeben werden sollten. Schon baldaber wurde die weitsichtige Planung von der rasan-ten Entwicklung überholt: Nach dem Zweiten Welt -krieg setzte auch südlich des Tribschenhorns einerege Bautätigkeit ein, und das vormals ländliche Ge-biet machte mehr und mehr einer städtischen Be-siedlung Platz. Nachdem bereits 1946 ein erster Be-bauungsplan das Grundstück mitein bezogen hatte,legte die Besitzerfamilie 1954 einen eige nen Vorschlagvor. Die Familie von Schumacher verfolgte dabei dasZiel, das Schönbühl nicht der spekulativen Bebauungzu opfern, sondern eine einheitliche und qualitativhoch wertige Gesamtüberbauung zu realisieren.
Wenig später präsentierten die Architekten Ottound Rudolf Schärli einen Entwurf für das benach-barte Matthof-Grundstück nach dem Muster der«dif ferenzierten Bebauung», die in Architektenkrei-sen in diesen Jahren propagiert wurde. Dementspre-chend sah ihr Bebauungsprojekt eine Reihe unter-schiedlicher Haustypen vor und brachte erstmals dieIdee eines zwölfgeschossigen Hochhauses ins Spiel.Für das Schönbühl präsentierten die Architekten ei-nen vergleichbaren Entwurf, der jedoch nicht weiterverfolgt wurde (Abb. 22). Von nun an aber stand andieser Stelle der Bau eines (Scheiben-)Hochhauseszur Diskussion. Dazu entspann sich am 17. Dezem-ber 1956 im städtischen Parlament eine hitzige De-batte, in der landschaftsschützerische Aspekte imVordergrund standen. Während kritische Stimmen
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Abb. 20 Luzern, Kuppelkon-struktion des Suva-Haupt -sitzes. 1914/15 von Otto undWerner Pfister. Aufnahme Niklaus Hinder, Luzern, 1915(SALU, F2a/Fluhmattstrasse 1).
Abb. 21 Übersichtsplan der Gemeinde Luzern, 1933(SALU, E2b/007).
29 Die Baugeschichte des Aalto-Hochhauses sowie die LuzernerHochhaus-Diskussionen rund um das Schönbühl sind exempla-risch aufgearbeitet in: Gimmi Karin, Schönbühl, Aalto und Lu-zern, in: Jokinen Teppo/Maurer Bruno (Hg.), Alvar Aalto und dieSchweiz, Zürich 1998, S. 135–155. – Zum Matthofgebiet vgl. Mugg -lin Beat, Die Bodenpolitik der Stadt Luzern (Beiträge zur LuzernerStadtgeschichte, Bd. 9), Luzern 1993, S. 259–267.
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von einem «Bauklotz» sprachen, der das Panoramabeeinträchtigen würde, argumentierten die Befür-worter mit den Interessen des für Luzern vitalenFremdenverkehrs und wiesen darauf hin, dass Fe -riengäste durchaus auch an moderner Architektur Ge -fallen fänden.30 Den kritischen Stimmen zum Trotzstellte sich der Quartierverein Unterlachen-Trib-schen im Januar 1957 mehrheitlich hinter den Be-bauungsplan. Im selben Jahr versuchte die LuzernerSektion des Schweizerischen Werkbunds unter derFührung des Kunsthistorikers Xaver von Moos mehr-mals vergeblich, den Architekten Werner M. Moserfür ein Referat zum Thema Hochhaus und Städtebaunach Luzern zu holen. Moser gehörte zu den wich-tigsten Verfechtern der so genannt «differenziertenBebauung» in der Schweiz und hatte mit einem 1949
publizierten Artikel die Diskussion um das Hoch-haus im städtischen Wohnquartier landesweit aufsTapet gebracht.31 Darin stellte er mit seinem Kon-zept der Mischsiedlung im städtischen Randgebieteine Alternative sowohl zur grassierenden «Verhüse-lung» als auch zur als monoton empfundenen Zei-lenbauweise zur Diskussion. Sein Konzept der Misch -
siedlung sah das Nebeneinander einer ganzen Reiheverschiedener Haustypen vom Reihenhaus bis zumTurmhochhaus vor, wie es etwa in einem Projekt vonHaefeli, Moser, Steiger für eine Siedlung in Prillybei Lausanne zur Anwendung kam (Abb. 23). DerSchärli-Plan und die weiteren Planungen für dasSchönbühl waren zweifelsohne an diesem Konzeptorientiert.
In eine nächste Phase trat die Diskussion, als die Familie von Schumacher in Absprache mit den Behörden 1961 einen privaten Wettbewerb unter fünf Architek turbüros veranstaltete. Die Urheberder beiden bestplatzierten Projekte, Max Wandelerund Eduard Renggli, wurden in der Folge mit dergemein samen Weiterentwicklung ihrer Ideen beauf-tragt. Der daraus resultierende Bebauungsplan wur-de 1963 geneh migt. Die Presse war voll des Lobs. Das«Luzerner Tagblatt» etwa titelte am 3. Mai 1963: «DieParksiedlung Schönbühl ist gut geplant» und hobinsbesondere die «städtebauliche Gesamtkonzepti-on» der Anlage hervor (Abb. 24). Neben einer An-zahl gestaffelter Zeilenbauten sah das Projekt zweiHochhäuser vor. Mit dem Plan Wandeler/Rengglisollte das Schönbühl-Quartier überdies ein eigenesEinkaufszentrum erhalten, womit erstmals von derIdee einer reinen Wohnsiedlung abgerückt wurde.
Auftritt Alvar Aaltos
Für die konkrete Gestaltung des Wahrzeichens dergeplanten Überbauung beabsichtigte die Bauherr-schaft, einen renommierten Architekten beizuziehen.Dieser wurde ihr durch den bekannten Schweizer Architekten Alfred Roth in der Person Alvar Aaltosvermittelt. Der Finne legte im Frühling 1965 sein Pro-jekt vor, das dem schliesslich ausgeführten Bau weit-gehend entspricht (Abb. 25–26). Hatte der Plan vonWandeler und Renggli noch zwei Punkthochhäuservorgesehen, so projektierte Aalto ein einziges Hoch-haus, das mit seinem charakteristischen, auf Belich-tung und Alpenpanorama abgestimmten Fächer-grundriss nicht nur deutlich breiter war als die
Abb. 22 Luzern, Modell derSchönbühl-Siedlung vonOtto und Rudolf Schärli, 1956(Luzerner Neueste Nachrich-ten, 18. Jan. 1957).
Abb. 23 Prilly bei Lausanne,Projekt für eine Siedlung vonHaefeli, Moser, Steiger, 1945.Modellansicht von Westen (Archiv gta, ETH Zürich).
30 Vgl. Gimmi 1998, S. 141.31 Moser Werner M., Das vielgeschossige Mietshaus im neuen städ-tischen Wohnquartier, in: Werk 36 (1949), Nr. 1, S. 3–22.
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vorge sehenen einzelnen Türme, sondern auch um ei-nige Stockwerke höher. Mit der eigenwilligen Grund-rissdisposition lehnte sich Aalto an seinen eigenenEntwurf für das Wohnhochhaus «Neue Vahr» (1959–62) in Bremen an. Nachdem das Baugesuch im Sep-tember 1965 ausgesteckt worden war, entbranntedeswegen wiederum eine heftige Diskussion. Auf-grund der Verletzung der genehmigten Parameterwar im Grossen Stadtrat in Bezug auf Aaltos Entwurfvon einer «die Sicht verdeckende[n] Wand» dieRede, die sich zusammen mit dem bereits bestehen-den Hochhaus auf der benachbarten LiegenschaftMatthof zu einer Mauer addiere.32 Wie beim Suva-Hauptsitz wurde im Quartier vorab die Frage kontro -vers diskutiert, ob und wem das vorgesehene Hoch-haus die Sicht auf die Landschaft verstelle. Einenweiteren Diskussionspunkt bildete die Frage, wie sichdas um einige Stockwerke erhöhte Projekt zur Hori-zontlinie verhielt und inwiefern das Landschaftsbildvon ausgesuchten Blick punkten durch das Projekt be-einträchtigt würde.
Die Rolle des Innerschweizer Heimatschutzes
Sowohl bei den Diskussionen um den Suva-Haupt-sitz als auch bei jenen zum Hochhaus Schönbühl fieldem Innerschweizer Heimatschutz eine prominente
Rolle zu, zumal die angesprochenen Streitpunkte diezentralen Interessen der Vereinigung betrafen. ImFalle des Suva-Baus auf der Fluhmatt waren die Ex-ponenten des Heimatschutzes von den Gegnern desBauprojekts verschiedentlich zu einer kritischen Stel-lungnahme aufgefordert worden. Wäh rend man denBahnhofsneubau von 1896 noch scharf angegriffenhatte, hielt man sich in diesem Fall mit einem nega-tiven Urteil zurück, obschon doch das Pfisterprojekteinen ähnlich massiven Eingriff in das Stadtbild be-deutete wie der neue Bahnhof. Im Protokoll der Jah-resversammlung des Innerschweizer Heimatschut-zes, des so genannten «Bots», von 1913 ist von derSache überhaupt nur am Rande die Rede: «ZumSchlusse stimmte die Versammlung gerne dem Wun-sche zu, es möchte das Verwaltungsgebäude derschweiz. Unfallversich. Anstalt auf die weitausschau-ende Fluhmatt über der Musegg zu stehen kommen.Lieber ein charakteristischer Monumentalbau mithübschen Vorgärten als ein Gemisch von Bauten in
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32 Stadtarchiv Luzern, Akten der Baudirektion, Protokoll des Gros-sen Stadtrates von Luzern, 18.10.1965.33 Staatsarchiv Luzern, PA 472/1, Archiv des Innerschweizer Hei-matschutzes, Protokollband: Vorstandssitzungen und Jahresbot1907–1938, S. 107.
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Abb. 24 Luzern, Projekt fürdie Siedlung Schönbühl vonMax Wandeler und EduardRenggli, 1963 (Vaterland, 3. Mai 1963).
Abb. 25 Luzern, Zentrum und Hochhaus Schönbühl.Erbaut von Alvar Aalto mit Alfred Roth, 1965–68.
Abb. 26 Luzern, Grundrissdes Normalgeschosses imHochhaus Schönbühl, von Alvar Aalto, 1966–68.
allen möglichen und unmöglichen Stilarten.»33 DieAngelegenheit wurde im folgenden Jahr nochmalsangesprochen: «Der Obmann hat sich bemüht, dassdas Gebäude auf dem Fluhmattareal erstellt werde,damit dieser schöne Punkt nicht der Privatspekula-tion anheim falle und durch event. unschöne Bautendas Stadtbild von Luzern ungünstig beeinflusst wer-de. Die Fluhmatt wurde als Bauplatz gewählt und in der nachfolgenden Konkurrenzausschreibung derHeimatschutzstandpunkt im Programm festgelegt.Gegen das 1. prämierte Projekt wurde von Privatenund einem Quartierverein Sturm gelaufen und un-sere Vereinigung um Unterstützung angegangen. DerVorstand lehnte diese Zumutung mit der Begrün-dung ab, dass wir die Vertretung von Privatinteressenablehnen.»34
Während man sich im Falle des Bahnhofsneu-baus am «internationalen Stil» seiner Archi tektur ge-stört hatte – in der Tat stand dafür ja unter anderemdas Portalgebäude der Pariser Weltausstellung von1878 Pate – konnte sich der Heimatschutz mit dembaukünstlerischen Programm des Suva-Hauptsitzesoffenbar problemlos identifizieren. Obschon derHei matschutz sich erst um die Jahr hundertwendeformierte, wurzelte seine Ideologie doch ganz im19. Jahrhundert und war dadurch ein Kind des na-tional gesinnten Zeitgeists. Der Suva-Bau eigne te sichmit seiner Kuppel als Referenz an die Ikono grafie nationaler Repräsentation somit in hervorragenderWeise zur Indienstnahme durch die Verfechter einesbundesstaatlichen Baustils, die sich in der Heimat-schutzbewegung versammelt hatten. Das Bauwerkwar ihnen daher trotz des eklatanten MassstabsprungsAusdruck eines erneuerten, national gesinnten Archi-tekturverständnisses. Damit rückte die Problematikdes Eingriffs in die Stadtsilhouette ebenso in denHintergrund wie der Abbruch eines bedeutendenZeugen barocker Architektur. Die programmatischeBedeutung, die der Heimatschutz dem Gebäude alsBeitrag zur nationalen Erneuerung der Baukunst bei-mass, wurde offensichtlich höher gewichtet als dieFrage der Verträglichkeit mit dem Bestand.
Landschaftsschützerische Aspekte
Auch beim Schönbühl-Hochhaus sah sich der Hei-matschutz angesichts der exemplarischen Bedeutungdes Projekts für die weitere Stadtentwicklung und derkontroversen Debatten, die darüber geführt wurden,zu einer Stellungnahme veranlasst. Zwar hatten sichdie ideologischen Positionen seit der Gründerzeit in-zwischen deutlich verschoben; gleichwohl gelangtedie Vereinigung auch in diesem Falle letztlich zu ei-ner positiven Beurteilung, in der nun andere Argu-mente den Ausschlag gaben. Im März 1966 gab derdamalige Obmann der Innerschweizer Sektion, JürgScherrer, beim national bekannten Architekten Jakob
Zweifel ein Gutachten in Auftrag, welches das Hoch-haus-Projekt Aaltos aus Sicht des Heimatschutzes einer kritischen Prüfung unterziehen sollte. Zweifelbot sich als Experte in dieser Frage in zweifacher Hin-sicht an: Zum einen durfte man von ihm in seinerFunktion als Obmann der Glarner Sektion erwarten,die Anliegen des Heimatschutzes angemessen zu ver-treten; zum anderen hatte er sich in der SchweizerArchitekturszene bereits als Urheber von Hochhaus-Bauten einen Namen gemacht, darunter etwa demSchwesternhaus des Zürcher Kantonsspitals.
Zweifel hatte das zur Diskussion stehende Arealaufgrund früherer Besuche in Luzern als offene Wie-senfläche in Erinnerung, die den Blick auf den Seeund das Alpenpanorama freigab. Nun aber stellte erfest, «daß die große, arenaförmige Landschaft südlichdes Wagner Museums inzwischen stark überbautwar».35 Dabei fand Zweifel «Hochbauten verschie-denster Art» vor, weshalb ein optischer Gesamtein-druck ohnehin nicht mehr zu erzielen sei.36 WeilZweifel in der Fernsicht keine erhebliche Beeinträch-tigung des Stadt- und Landschaftsbildes feststellte,ging es für ihn nicht mehr um die Frage des Hoch-hauses an und für sich, sondern nur noch um eineBeurteilung der architektonischen Qualität des Aal-to-Projekts (Abb. 27). Hier überwogen aus seinerSicht Aspekte der guten Proportionierung, der Fassa -dengestaltung und der Grundrissdisposition gegen-über den Bedenken in Bezug auf die Grösse und Höhedes Projekts, so dass er zu einer positiven Beurteilungdes Bauvorhabens gelangte und dieses dem Inner-schweizer Heimatschutz zur Zustimmung empfahl.Ohne dass der Innerschweizer Heimatschutz vorabkon taktiert worden war, legte die Eidgenössische Natur- und Heimatschutz-Kommission Anfang Sep-tember 1966 eine Art Gegengutachten vor, das Wal-ter Henne, der Obmann des Schaffhauser Heimat-schutzes, verfasst hatte. Zwar teilte Henne ZweifelsEinschätzung bezüglich der fehlenden Einheitlichkeitdes bereits bestehenden baulichen Umfelds weitge-hend und sprach polemisch vom «Eindruck einerMusterkollektion verschiedenster Haustypen». In Be - zug auf Aaltos Projekt kam er aber zu einer gegen -teiligen, ablehnenden Beurteilung. Insbesondere kri-tisierte Henne die «unstatthafte Amplifikation desBauvolumens gegenüber dem genehmigten Bebau-
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34 Staatsarchiv Luzern, PA 472/1, Archiv des Innerschweizer Hei-matschutzes, Protokollband: Vorstandssitzungen und Jahresbot1907–1938, S. 111, Trakt. 8.35 Zitiert nach: Zweifel Jakob, Zum Alvar Aalto Hochhaus imSchönbühl, Luzern, in: URL: http://www.alvar-aalto.de/bulletin/bulletin93.htm (10. Mai 2007).36 Archiv gta, ETH Zürich, Nachlass Werner M. Moser, Zweifel Ja-kob, Beurteilung der Projekteingabe für ein Hochhaus in Trib-schen/Schönbühl Luzern. Planeingabe von Prof. Alvar Aalto, ver-fasst im Auftrag des Innerschweizer Natur- und Heimatschutzes,28. März 1966.
ungsplan» und argumentierte, dass das Gebäude zu-sammen mit dem bereits bestehenden HochhausMatthof in einer eigentlichen «Sperrgeste» resultie-ren würde, «so dass ein grosser Teil des dahinter lie-genden Quartiers statt der See- und Bergperspektiveenorme Hauswände vor sich hat»; das Quartier wer-de durch den Bau «architektonisch tyrannisiert».Insgesamt befürchtete Henne einen «massiven Ein-griff in die landschaftlichen Gegebenheiten» und dieSchaffung eines Präjudizes, das nicht nur regional,sondern gar auf nationaler Ebene unerwünschte Fol-gen zeitigen könne. Vom Luzerner Regierungsrat for-derte Henne daher «die längst fällige Verordnungzum Schutze des Vierwaldstättersees», die fortan eine«derart rücksichtslose Art hypertrophischer Baupro-jektierung» verhindern sollte.37
Hennes Urteil hatte auf den weiteren Verlauf derProjektierung keinen Einfluss mehr. Der städtischeBaudirektor Hans Ronca bedauerte in seiner Replikan die Eidgenössische Natur- und Heimatschutz-
kommission vom 30. September 1966, dass man dasGutachten nicht mehr habe berücksichtigen können,da man die Baubewilligung bereits Anfang Juni er-teilt habe. Zugleich äusserte der Baudirektor Kritikam uneinheitlichen Auftreten des Heimatschutzes,das nicht nur in den politischen Gremien, sondernauch in der Öffentlichkeit für Verwirrung und Un-mut gesorgt habe. So zitierte Ronca aus den «Luzer-ner Neuesten Nachrichten» vom 24. September 1966:«Abschliessend bliebe noch festzuhalten, dass sichinsgesamt vier verschiedene Heimatschutzorganisa-tionen um das Hochhaus-Projekt bemühen. Die eid-genössische Natur- und Heimatschutzkommission,der Innerschweizer Heimatschutz, der Luzerner Na-turschutzbund und die Naturschutzkommission derNaturforschenden Gesellschaft Luzern. Etwas mehrKoordination in dieser Hinsicht wäre sehr wünschens -wert. Man denke sich nur in die Lage der städtischenund kantonalen Behörden hinein, für die ein allseitsbefriedigender Entscheid bald einmal unmöglichwird.»38 Die nicht vorgängig abgesprochene Inter-vention der Eidgenössischen Kommission stiess nichtnur den Behörden sauer auf, auch der Innerschwei-zer Heimatschutz fühlte sich durch dieses Vorgehendesavouiert. In einem Brief an den Präsidenten derEidgenössischen Kommission vom 11. Januar 1967machte der Obmann seinem Ärger Luft. Nicht nurhabe man das «Gegengutachten» «mit Be fremden re-gistriert»; auch habe man dieses als «Rückenschuss»für die Sektion empfunden, zumal die unterschiedli-chen Stellungnahmen der verschiedenen Instanzen inder Öffentlichkeit gegeneinander ausge spielt wordenseien. «Dass solche Vorkommnisse dem Gedankendes Natur- und Heimatschutzes in unserer Regionnicht förderlich sind, dürfte klar sein.»39
Ausblick
Nachdem Hochhaus-Neubauten in der Schweiz seitMitte der 1970er-Jahre weitgehend selten gewordenwaren, hat der Bautypus in den letzten Jahren eine ei-gentliche Renaissance erfahren. Ob sie die bestehen-den Stadtbilder nachhaltig verändern werden, bleibtzurzeit ebenso offen wie die Frage, was für Konse-quenzen die aktuelle Weltwirtschaftskrise für diezahlreichen ehrgeizigen Bauprojekte in den Schwei-
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37 Archiv gta, ETH Zürich, Nachlass Werner M. Moser, HenneWalter, Bericht über das Hochhausprojekt Schönbühl in Luzern,eingereicht im Namen der Eidgenössischen Natur- und Heimat-schutzkommission, 5. September 1966.38 Stadtarchiv Luzern, B 3.29/A 301.1, Bebauungspläne + Schön-bühl 1943–78, Brief von Dr. Hans Ronca, Direktor der Baudirek-tion der Stadt Luzern, an die Eidgenössische Natur- und Heimat-schutzkommission, 30. September 1966.39 Archiv gta, ETH Zürich, Nachlass Werner M. Moser, Brief desObmanns der Sektion Innerschweiz des Heimatschutzes an Dr. U.Dietschi, Präsident der Eidgenössischen Natur- und Heimatschutz -kommission, 11. Januar 1967.
Abb. 27 Luzern, HochhausSchönbühl, Ansicht derHauptfassade. Erbaut von Alvar Aalto, 1966–68.
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zer Städten zeitigen werden. Mit dem am 30. Novem -ber 2008 von den Stimmberechtigten genehmigtenProjekt für eine neue Sportarena auf der Allmend,das neben dem Stadion zwei Wohntürme vorsieht,scheinen die Zeichen für hohe Häuser zumindest inLuzern weiterhin günstig. Dass solche Bauten im Be-reich der Altstadt erbaut werden könnten, ist weithinundenkbar und kaum erwünscht. Dagegen setzt sichmehr und mehr auch in Kreisen des Denkmal- undHeimatschutzes die Erkenntnis durch, dass Hoch-bauten von architektonisch überdurchschnittlicherQualität in den grossmassstäblich konzipierten Neu-bau- und Verdichtungsquartieren durchaus willkom -mene Wahrzeichen mit Fernwirkung und urbanerAusstrahlung darstellen können.
AbkürzungSALU Stadtarchiv Luzern
Abbildungsnachweis
Archiv gta, ETH Zürich, Nachlass Werner M. Moser (KM 33–1908–1-F.AUG-2 bzw. gta 100–0197)8, 23
Aus: Gimmi Karin, Schönbühl, Aalto und Luzern, in: Jokinen Teppo/Maurer Bruno (Hg.), ‹Der Magus des Nordens›. Alvar Aalto und die Schweiz, Zürich 1998, S.135–15522, 25, 26, 27
Baugeschichtliches Archiv Zürich6
Historisches Museum Luzern2
Kant. Denkmalpflege Luzern3, 4
Aus: Reinle Adolf, Die Kunstdenkmäler des Kantons Luzern.Bd. II, Basel 1953, Abb. 41
Aus: Schweizerische Bauzeitung, 3. Jan. 1914, S. 6f., 11(Verkehrshaus der Schweiz Luzern)9, 12, 14
Stadtarchiv Luzern7, 10, 11, 15, 16, 17, 18, 20, 21
Aus: Vaterland, 3. Mai 1963(Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern)24
Verkehrshaus der Schweiz Luzern13
Aus: von Moos Stanislaus, Nicht Disneyland, Zürich 2004, S.12719
Adresse des AutorsDr. Martino StierliUniversität Baseleikones – NFS BildkritikRheinsprung 114051 Basel
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