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Tod und Abschied im Lebensfluss
<FährFrauenPost>
Herbstausgabe 2017
Gefühlswelten Alltagsgeschehen Denkanstösse Kulturkontakte
Nr. 40 Vierteljährliche Inspiration aus dem FährFrauen Netzwerk 24hRuf 044 865 47 44
FährFrauen Büro Postgasse 14 8427 Rorbas [email protected] www.faehrfrauen.ch
Der Rhy, dä tuet fliesse
sprudle, sich ergiesse
der Rhy, dä tuet fliesse
abe i ds Meer.
Mueter Wasser trag du mi
us dire Tiefi chume n i
Mueter Wasser trag du mi
hei bis i ds Meer.
The river is flowing
flowing and growing
the river is flowing
down to the sea.
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Editorial
Liebe Leserin, lieber Leser
Von heftigen Stürmen wird berichtet, von Murgängen und Starkregen. So sickern fast unbe-
merkt neue Begriffe in unsere Alltagssprache. Wir gewöhnen uns an neue Worte und an
entsprechende Wetterkapriolen. Der Himmel scheint sein Gleichmass verloren zu haben, die
Macht des Wassers zeigt sich dabei im Mangel und im Überfluss. Erinnern wir uns: Vor den
Sintfluten in der Toscana dürstete die Stadt Rom bis zur amtlichen Rationierung des Trink-
wassers … Das Pendel der menschgemachten Klimakrise schlägt in beide Richtungen aus.
In diesem Jahr hat mein Apfelbaum keine einzige Frucht getragen. Es liegt nicht am Wasser,
der totale Ernteausfall geht auf die Kälte zurück zur Blütezeit. Jetzt muss ich mir die Äpfel
halt woanders kaufen, wenn ich welche essen will. Missernten bedrohen unsere Versorgung
heute nicht mehr existenziell. Kühlschrank und Ladenregale sind voll, bei Tisch spüren wir
keinen Mangel. Lebensbedrohlicher Hunger und Durst sind uns fremd. Wir sind der Abhän-
gigkeit von wetterbedingten Missernten entronnen – sie ist eingetauscht gegen die Abhän-
gigkeit von Geldflüssen und von globalen Warenströmen. Und in diesem Reigen stehen wir
auf der Seite der Gewinnerinnen und Gewinner und sind nicht mal dankbar dafür. Rituale
zum Regenmachen können wir uns sparen … Auf den modernen Feldern unseres Lebens
brauchen wir anstelle von lebensspendendem Regen heute in erster Linie Geld.
Wir sind des Regenmachens nicht mehr mächtig, aber wir vertrauen darauf, dass die Spen-
dengelder fliessen werden und dass wir FährFrauen für unsere Arbeit am Lebensfluss auch
weiterhin aus dem Vollen schöpfen können. Darum bitten wir euch um Spenden auf das Post-
Konto des Vereins FährFrauen. Alle Angaben zum Konto und zu den Überweisungen und die
Vorlage für den Einzahlungsschein findet ihr auf Seite 9 dieser Ausgabe.
Ob kleiner Spritzer oder grosse Welle – wir danken ganz herzlich für jeden Schluck!
Sabine Brönnimann, Marianne Schoch, Martina Kühl-Schläpfer und Evelyn Hartmann
Lasst uns darum vom Geld reden, lasst uns Wasser auf die
Mühle der FährFrauen lenken. Nach fast zwei Jahren ohne
regelmässige Regenschauer aus den Mitgliederbeiträgen
trocknet die Vereinskasse langsam aus. Dank einer Empfeh-
lung auf einer Todesanzeige ist kürzlich ein grosser Spenden-
segen zugunsten des Sozialfonds eingegangen. Das ist wun-
derbar und wir sind sehr dankbar dafür. Aber wir setzen diese
Wasser zur Vergünstigung unserer Dienstleistungen ein und
lenken sie nicht auf die Kulturfelder um. Dort brauchen wir
frisches Nass fürs FährFrauen Büro und für die Erneuerung der
Homepage. Wir brauchen Geld zum Tränken des Ackers, auf
dem die <FährFrauenPost> wächst. Wir brauchen flüssige Mit-
tel für die Weiterführung des gut besuchten Gesprächs-Treffs in
Winterthur und wir brauchen Geld für die öffentlichen Rituale
zum Totengedenken vom 1. November.
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Alltagsgeschehen – Vom Gewöhnlichen und seinen Herausforderungen
Aus dem Wasser geboren
Ahnung und Augenschein am Blautopf von Blaubeuren
Dieser Ort gilt als Touristenattraktion. Darum ist es nicht ratsam, das magisch blaue Auge
der Unterwelt an einem milden Samstag besuchen zu wollen. Eine Hochzeitsgesellschaft
nach der andern wird vor dem malerischen Hintergrund wirkungsvoll inszeniert und abge-
lichtet. Und wer Pech hat, gerät ins Gedränge von neugierigen Gaffern, die sich wie eine
Traube um den einzigen Einstieg ins Felsenbecken drängt. Dort sind oft Froschmänner zu
beobachten, die sich in ihren schwarzen Neoprenanzügen unterstützt von Tauchrobotern zu
neuen Abenteuern in die wasserführenden Gruften dieses Karsthöhlensystems stürzen wol-
len. Ohne künstliche Antriebshilfen könnten sie hier allerdings gar nicht abtauchen. Die
Menge des Wassers und die aufsteigenden Strömungen dieser Quelle seien so stark, dass
sie alleine mit Muskelkraft keine Chance hätten, in die dunkle Tiefe vorzudringen.
Wer über die Souvenirläden und all den übrigen Spektakel hinwegschaut oder das Glück hat,
einen ruhigen Moment zu erwischen, wird staunend verstummen. Aus unergründlicher Tiefe
aufsteigendes Wasser in beachtlicher Menge quillt hier kraftvoll an die Oberfläche und strömt
energisch auseinander, richtungslos und doch ruhig. Da sind keine Wirbel, keine Schaum-
kronen, keine Luftblasen und kein Treibholz zu sehen – nur stilles Nass. Ein tiefes Felsloch
voller Quellwasser. Ein kalt überfliessender Felsenschlund. Ein tiefblauer Topf. Der Blautopf.
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Da brodelt keine Gletschermilch aus der weissen Frau. Da blutet kein Schlamm aus der ge-
bärenden Erde. Da ergiesst sich weder Magma noch Pech über die Ungeschickten. Das Ge-
schenk aus der Tiefe des zerfurchten Kalkgesteins ist kühl und rein und frisch und türkisblau.
Wer innehält, merkt, dass hier etwas anders ist, etwas irritiert und berührt, wühlt innerlich
auf. Wir sind vertraut mit dem Anblick von ruhendem, fliessendem oder fallendem Wasser,
von wilden Strudeln im stürzenden Bach. Aber der Blautopf ist anders. Hier steigt die Kraft
unablässig und machtvoll aus tiefster Tiefe empor. Die Schwerkraft scheint ausser Kraft
gesetzt. Dieser Topf quillt unerschöpflich über – eine verkehrte Welt. Orientierung suchend
und nach allen Seiten ausufernd, findet das Wasser seinen Weg dann schliesslich doch noch
und gurgelt über die alte Wehranlage hinunter. Hüpfend überwindet das verblassende Blau
die von Moosen und Schlingpflanzen überwachsene Staustufe und ergiesst sich in ein an-
mutiges Flüsschen. Es ist, als würde es sich darauf besinnen, dass sein Sog letztlich eben
doch zum Meer hin zieht – himmelwärts weist nur der glitzernde Spiegel.
Fische habe ich im Blautopf nie gesehen, Kröten auch nicht, nur Enten auf einem bemoosten
Baum. Wer weiss, was für Gestalten und Wesen an diesen Ufern sonst noch wohnen? Hier
öffnet sich die blaue Pforte zur Unterwelt. Hier paart sich die Neugier mit der Lust. Wagemuti-
ge möchten abtauchen bei Nacht und bei Nebel … Umgekehrt drängt hier Urtümliches an die
Oberfläche, wird geboren aus diesem Schlund? Wen könnten wir hier heimlich beobachten,
wer würde sich hier lautlos tummeln – bliebe der zauberhafte Ort unberührt und geheimnis-
voll verborgen? Dieser Quelltopf ist mit Sicherheit kein Ort für atmende Wesen. Im Innern
dieses Lebensraumes braucht es Kiemen, Flossen und ein schlüpfriges Schuppenkleid.
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Wolltest du hier baden, du würdest nicht in die Tiefe gesogen. Hier kannst du nicht abtauchen,
hier schwimmst du schwerelos, hier wirst du getragen. Aus dunkler Tiefe steigt die Bewegung
unablässig zum Licht empor. Die Wasser kommen aus dem namenlosen Nirgends. Sie steigen
auf und treten aus ewiger Nacht zu Tage. Sie kräuseln sich, als seien sie geblendet vom Son-
nenlicht. Aber die Magie wird schnell gebrochen. Ausgerechnet hier, am alten, heiligen Ort des
Überflusses, stehen Stauwehr, Wasserrad und Hammerwerk. Das ist der Hammer. Als ob diese
archaische Kraft nicht ein paar Meter weiter unten hätte gezähmt und genutzt werden können.
Es ist doch genug Platz da, es gibt genug Wasser, viel Wasser sogar – zum Teufel!
Kaum geboren, wird der Lebensfluss schon gestaut.
Kaum der Enge entronnen, wird seine Strömung
schon wieder benutzt. Kaum aus dem Schlund be-
freit, wird die freigesetzte Energie wieder eingefan-
gen. Kaum erblickt die Kraft das Licht, wird sie an
ratternde Zahnräder verfüttert. Dieser Ort lässt das
Träumen nicht mehr zu. Zu eng schliesst sich der
kalkulierte Nutzen um den Saum des Wunders. Es
ist nicht mehr möglich, mit dem jungfräulichen
Wasser in Berührung zu kommen. Mauern drängen
sich zwischen mich und die Kraft dieser mächtigen
Quelle. Zäune verhindern die kühlende Berührung,
Schranken verbieten den durstlöschenden Schluck. Abgesehen vom Rauschen bleiben die
Sinne aufs Auge begrenzt. Allein davon wird mein Herz nicht froh und meine Seelenhaut kann
sich nicht erfrischen.
Schade, dass grosse Infowände mit technischen Zeichnungen die Fantasie begrenzen. Scha-
de, dass wissenschaftliche Pläne sich zwischen Geheimnis und Intuition einnisten und die
inneren Bilder aus dem Schoss der Erde übertünchen. Schade auch, dass hier kaum Stille
möglich ist. Kein Lied erklingt zum Dank für die reichen Gaben. Dieser natürliche Kraftort ist
entzaubert, bedrängt von der Mühle und vom schweren Kirchenbau, erdrückt unter der Last
unbewusster Höllenängste. Kaum geboren, verbleicht das unbeschreiblich tiefe Blau schon
wieder in der respektlosen Aneignung durch die Menschen – zugebaut und touristisch herge-
macht zur gefahrenfreien Befriedigung eiliger Einblicke in einer nach Sinn dürstenden Zeit.
Und trotzdem – dieser Ort kann seine Magie nicht ganz verlieren. Mit jedem seiner Abertau-
senden von Tropfen, die hier in unfassbarer Fülle aus dem Nichts quellen, erneuert sich seine
Kraft. Das archaische Blau hört nicht auf, dem Auge zu schmeicheln. Und obwohl niemand
von dieser Quelle kosten darf, berührt mich ein Besuch am Blautopf jedesmal aufs Neue.
Etwas in mir scheint sich hier daran zu erinnern, wie auch ich einst vom Wasser getragen
wurde und aus dem Wasser geboren bin. Etwas in meiner Seele ahnt, wie es damals war,
aus der Tiefe des Fruchtwassers aufzusteigen ans Licht der oberen Welt …
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Denkanstösse – Was uns beschäftigt und bewegt
Mueter Wasser trag du mi … hei bis i ds Meer
Über Naturbestattungen, Bestattungsgesetze und die Rückkehr ins Meer
Leise rieselt die Asche ins Wasser, durch die Finger der sich öffnenden Hand gleitet sie in den
See. „Hampfele um Hampfele“ wird ausgesät, bis die Urne leer ist. Einzelne Stäubchen tänzeln
auf der Oberfläche, als ob sie sich zieren würden vor der Nässe. In milchigen Wolken sinkt der
durchtränkte Staub raumgreifend in die Tiefe. Feine Schleier ziehen fort, bewegt von schier
unsichtbaren Strömungen. Es dauert nicht lange und schon ist der Zauber vorbei. Letzte Spuren
verwischen in der endlosen Weite des Seins. Bald überblenden die Spiegel des Himmels den Ein-
blick in die Unterwasserwelt erneut. Würden da nicht noch die bunten Blumen der Dableibenden
schaukeln, es sähe aus, als wär nie was gewesen, was nicht schon immer war.
Ich weiss, „Hampfele“ ist ein Dialektwort und ich finde keine taugliche Übersetzung dafür. Wört-
lich meint es „eine Handvoll“. Der Dialektbegriff „hämpfele“ als Verb von „Hampfele“ hat zu-
sätzlich den zärtlichen Klang einer Zuwendung und meint ein Sich-mit-den-Händen-Berühren –
eine Handvoll-Liebkosung. Die Sprache ist für mich immer wieder ein Wunder und ich bin mir
bewusst, dass einige Helvetismen in mein Schreiben einfliessen. Es gibt einfach Momente, da
komme ich um einen Ausdruck aus meiner Muttersprache nicht herum. Es geht um die Sprach-
melodie, um die Finesse im Ausdruck von Gefühlen, um den kleinen kulturellen Unterschied und
um meine eigene, archaische Prägung.
Zwischen Aschefreiheit und Friedhofzwang
Wir FährFrauen sehen in der schweizerischen Aschefreiheit ein grosses Privileg. Hierzulande dür-
fen die Dableibenden die Urne mit der Kremationsasche ihrer Liebsten nach Hause nehmen. Sie
dürfen sie bei sich behalten oder in der Natur bestatten. Im Gegensatz dazu gilt in Deutschland
ein Friedhofzwang. Und wir können gut verstehen, dass sich die Menschen jenseits der Grenze
unsere Freiheit in der Gestaltung des Abschieds und in der individuellen Wahl des Bestattungs-
ortes auch wünschen. Die Rückkehr der Kremationsasche in den Kreislauf der Natur – möge sie
nun eingebettet werden in die Erde, in die Luft geworfen oder ins Wasser getaucht – ist eine
verlockende Alternative zur Bestattung der Urne auf dem Friedhof.
Die FährFrauen bekommen regelmässig Anfragen aus Deutschland mit dem Ziel der Umgehung
des Friedhofzwangs. Das ist für uns eine heikle Sache und ein grosses Problem. Wir wissen,
dass es einige findige Anbieter gibt, die aus der hiesigen Aschefreiheit ein lukratives Geschäft
machen. Man muss nur eine Briefkastenfirma unter dem Label „Bestattungsinstitut“ eröffnen,
ein Stück Land pachten und eine entsprechende Homepage kreieren … und schon floriert das
einträgliche Geschäft mit der Alpbestattung von per Post aus Deutschland zugestellten Urnen.
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Obwohl wir den Wunsch nach Naturbestattungen gut verstehen können, distanzieren wir uns
von solchen Geschäftsideen. In der Schweiz zeigt diese Umgehungspraxis ganz üble Auswir-
kungen. Konkret ist der Druck aus dem süddeutschen Raum so stark geworden, dass die Bei-
setzung von Kremationsasche mittlerweile in sämtlichen Gewässern des Kantons Thurgau und in
der ganzen Bodenseeregion rigoros verboten ist. Und aus demselben Grund ist es jetzt auch im
Simmental im Berner Oberland zu lokalen Einschränkungen der Aschefreiheit gekommen. Diese
Entwicklung macht uns grosse Sorgen und wir können und wollen das nicht hinnehmen. Darum
beteiligen wir uns ganz bewusst nicht an der Umgehung der länderspezifischen Bestattungsge-
setze. Viel mehr wünschen wir uns, der deutsche Friedhofzwang möge doch bitte auf politischem
Weg abgeschafft werden statt ihn per Hintertürchen zu umschiffen.
Und noch etwas anderes ist uns wichtig. Sowohl Verstorbene als auch ihre Familien wünschen
sich oft eine Naturbestattung, weil sie nicht vertraut sind mit dem Friedhof. Die Wunschorte für
eine Bestattung in der Natur liegen meist in Landschaften, wo die Betroffenen sich verwurzelt
fühlen. Ausgewählt werden die Orte auf der Basis persönlicher Erinnerungen oder über eine
seelische Verbundenheit. Viele Menschen sind in den Landschaften ihres Alltags verwurzelt.
Nach unserer Erfahrung gehören die Gräber darum eher ins alltägliche Umfeld, also dorthin, wo
die Toten gelebt haben. Ein Lieblingsort draussen vor der Türe eignet sich zur Bestattung viel
besser als der anonyme Versand einer Urne in die Fremde. Ausserdem brauchen viele Dablei-
bende einen Ort der Erinnerung. Dies gilt selbst dann, wenn sie das Grab im Alltag selten bis gar
nie besuchen. Alleine zu wissen, dass sie es aufsuchen könnten, wendet manche Not.
Von der Rückkehr des Wassers
Wir mussten in der Schule den Wasserkreislauf in ein kariertes Heft zeichnen. Ich erinnere mich
gut, wie tief mich als Kind die Rückkehr des Wassers beschäftigt hat. Der kleine Bach unterhalb
unseres Hauses war mir vertraut. Für mich war selbstverständlich, dass das Wasser unablässig
in die gleiche Richtung strebt. Jedenfalls war ich überzeugt, dass es nie zurückkommen würde.
Es fliesst nie von unten nach oben, davon war ich überzeugt. Im Kindervers wurde den Kleinsten
zum Trost empfohlen, den Schmerz in den Bach zu werfen, damit er vergeht. Und wenn das
Wasser beim Spielen an den Lehmschichten des Ufers trüb wurde, wusch sich der aufgewirbelte
Schlamm umgehend wieder aus. Ausserdem wusste ich, dass das kleine Rinnsal beim Dorf
unten in den grösseren Bach mündet. Auf dem Weg in die Käserei ist uns dort mit dem Hunde-
fuhrwerk mal aus Unachtsamkeit eine grosse Kanne mit 45 Liter Milch in den Bach gekippt. Und
als wir kurz darauf mit der Käsereimolke für die Schweine wieder vorbeikamen an der Brücke,
war im Bach von unserem Unglück zum Glück rein gar nichts mehr zu sehen. In unserer Erlei-
chterung ahnten wir nicht, dass der Käser unsere Missetat schon per Telefon gemeldet hatte …
Und nun wurde uns in der Schule also gesagt, das Wasser käme eines Tages wieder zurück.
Wie sollte das gehen? Ich wollte den fortgeworfenen Schmerz, den trüben Schlamm und die
gepanschte Milch um keinen Preis zurückerhalten!
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Es hat ein wenig gedauert, bis ich die Rückkehr des Wassers über die Weite des Himmels begriff.
Wie sollte ich auch, das Meer war mir fremd und die Entstehung der Wolken unerklärlich. Ich
kannte nur den Nebel und den Regen über den Feldern. Irgendwann wurde mir dann schon klar,
wie die Wolken über dem Meer aufsteigen und vom Wind ins Landesinnere verfrachtet werden –
irgendwohin. Meine kleine Kinderseele konnte also hoffen, dass die einst verschüttete Milch
wahrscheinlich nicht genau über uns abregnen würde …
Verbunden im Hier – Heimkehr ins Meer
Sei es von einem Boot aus weit im See draussen oder am Ufer eines rauschenden Flusses, sei
es in der Stille der Morgennebel oder bei klarem Sonnenschein, sei es alleine oder in einer Ge-
meinschaft … die Bestattung von Kremationsasche im Wasser ist für mich eine berührende Er-
fahrung. Diese Form von Auflösung letzter Spuren ist sehr urtümlich. Besonders gern benutze
ich Wasserurnen für diesen Prozess. Wenn wir ungebrannte Tonurnen in den See tauchen, sin-
ken sie langsam schaukelnd bis auf den Grund und lösen sich dort innerhalb weniger Stunden
auf. Wasserurnen können auch in Ufernähe in die Strömung gestellt werden. Das vorbeistrei-
chende Wasser nagt sich durch die Urnenwand. Das durchweichte Gefäss sinkt immer stärker in
sich zusammen und die Asche wird langsam ausgewaschen, weggeschwemmt und fortgetragen.
Im Wesentlichen besteht Kremationsasche aus wasserlöslichen Mineralsalzen und aus unge-
löschtem Kalk. Wenn wir die Asche in einem Gewässer freisetzen, lösen sich die Mineralstoffe
auf und machen sich auf die Reise zum Meer. Der Kalk aus unseren Knochen hingegen verhält
sich ganz anders. Wir alle kennen die Anhänglichkeit von Kalk, der hält sich fest und haftet an
wo immer er kann. Der im Ofen gebrannte und darum ungelöschte Kalk dürstet förmlich nach
Verbindung. Sobald Kremationsasche nass wird, verbindet sich der Kalk mit seiner Umgebung.
Es ist der gleiche chemische Vorgang wie beim Bauen mit Kalkmörtel. Mit Wasser gelöschter
Kalk mörtelt sich selber ein. Das geschieht dank einsickerndem Regenwasser in jedem Erdgrab
und es geschieht auch im Sediment von Seen und Flüssen bei Wasserbestattungen.
Mit andern Worten – bei der Bestattung von Kremationsasche geschieht sinnbildlich genau das,
was im Abschied immer passiert: Es gibt zwei Bewegungen – eine, die geht, und eine, die bleibt.
Unsere körperliche Anwesenheit löst sich im Tod auf und macht sich unwiderruflich auf den Weg
– genau wie die sich auflösenden Mineralsalze. Gleichzeitig weisen stabile innere Verbindungen
und Erinnerungen über den Tod hinaus – und genau das zeigt sich in der Qualität des Kalkes,
der eine unauflösliche Bindung eingeht mit dem Bestattungsort. Darum ist es eben nicht egal,
was wir mit der Asche unserer Toten machen. Das Lösliche findet seinen Weg und geht in die
Weite. Das Verbindliche hingegen bindet sich an den ausgewählten Ort der Erinnerung.
Darum engagieren wir FährFrauen uns dafür, dass die Aschefreiheit – begleitet von Vertrauen,
Sorgfalt und Respekt – bei uns erhalten bleibt und in Deutschland bald eingeführt werden möge.
Nähere Infos über die Wasserurnen von Nathalie Heid unter www.wasserurnen.ch
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Kulturkontakte – Informationen Einladungen Empfehlungen
Bsunderi Fründschafte
Dorastochter erzählt Tier-Märchen von allerlei wackeren und listigen Freunden
Im FährFrauen-Treff dreht sich 2017 alles ums Thema „Binden und Entbinden“. Das Nachden-
ken über Freundschaften spielt in diesen Gesprächen eine zentrale Rolle. Evelyn Hartmann ist
nicht nur FährFrau, sie ist als Dorastochter auch Märchenerzählerin. Diesmal erzählt sie von
besonderen Freundschaften. Wer sie gerne mal fabulierend erleben will, ist herzlich zu diesem
Erzählabend eingeladen. Geeignet für Kind und Kegel (ab 6 Jahren) und die ganze Familie!
Freitag, 17. November 2017 um 17.30 Uhr
Im Gemeinschaftsraum, Hard 8, 8408 Winterthur (Plan unter www.geha-ag.ch/kontakt)
Info und Anmeldung bei Regi Dürrenmatt, 079 415 72 08, [email protected]
Erzählung und weitere Infos unter www.dorastochter, Musik: Stefan Gröber, Eintritt Fr. 20.–
Impressum <FährFrauenPost>
Verantwortlich für Inhalt und Form (sofern nichts anderes angegeben): Sabine Brönnimann. Freie
Beiträge sind jederzeit willkommen! Redaktionsschluss für die Winterausgabe ist am 15.12.2017.
Aufnahme neuer Adressen oder Abmeldung vom Mailverteiler bitte direkt auf [email protected]
Spenden aufs Vereinskonto bei PostFinance > 87-727122-7, Verein FährFrauen, 8427 Rorbas
> IBAN CH39 0900 0000 8772 7122 7 Für Überweisungen aus Deutschland > BIC POFICHBEXXX
Der Sommer neigt sich, wir tauchen langsam in die Zeit
der langen Nächte ein. Mensch und Natur ziehen sich
zurück. Viele Dableibende erleben ihre Trauer zu Beginn
der dunklen Jahreszeit noch intensiver. Jetzt wiegt der
Abschied besonders schwer.
In Anlehnung an die Traditionen von Samhain (keltisch),
Dunkelheitsfest (Jahreskreis), Allerheiligen (katholisch)
und Totensonntag (reformiert) laden die FährFrauen zu
einem schlichten Ritual ein.
Wir verbinden uns innerlich mit den Menschen, die uns
über die Schwelle des Todes vorausgegangen sind, und
legen unsere Gefühle und Wünsche als schwimmende
Lichter aufs Wasser. Mit leisen Klängen begleiten wir die
Verstorbenen auf ihrer Reise ins Land der Seelen.
Für alle im vergangenen Jahr durch FährFrauen beglei-
teten Verstorbenen setzen wir beschriftete Lichter aufs
Wasser und viele unbeschriftete dazu. Wer mag, bringt
selber ein windgeschütztes und verrottbares Lichtschiff-
chen mit. Ausgehöhlte Kürbisse oder Räbenlichter eig-
nen sich sehr gut.
Am Rhein in Eglisau: Durchs Städtchen zum Rhein hin-unter gehen, an der Kirche vorbei und ein paar Schritte
flussaufwärts. Wir treffen uns um 18.30 Uhr bei der
Lichterspirale auf der Wiese bei der Badi in Eglisau. (S41 > 18.07 Uhr ab Bülach Richtung Waldshut)
An der Aare in Wildegg: Beim Zusammenfluss von Aabach und Aare an der Langmatt. Wir treffen uns um 18.20 Uhr an der Unterführung beim Bahnhof Wildegg (Aareseite) und gehen gemeinsam zum Fluss. (S29 > 17.58 Uhr ab Aarau oder S29 > 18.07 Uhr ab Brugg)
Weitere Orte und Infos über Anbieterinnen auf Anfrage
Auskunft via 24hRuf der FährFrauen 044 865 47 44 [email protected], www.faehrfrauen.ch
Ein kostenloses Kulturangebot des Vereins FährFrauen
Einladung zum Totengedenken 1. November 2017
Am Rhein auf der Wiese bei der Badi Eglisau
In Wildegg beim Zusammenfluss von Aare und Aabach
Lichtschiffchen gleiten in die stille Winternacht …