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Deutsches Volksliedarchiv "... weil jetzt die Freiheit blüht." Lieder aus der Revolution von 1848/49; Der Staat ist in Gefahr! Lieder zur Wiener Revolution 1848; 18 aus 48. Das Beste von der Barrikade Review by: Hanns-Werner Heister Lied und populäre Kultur / Song and Popular Culture, 45. Jahrg. (2000), pp. 342-346 Published by: Deutsches Volksliedarchiv Stable URL: http://www.jstor.org/stable/849656 . Accessed: 09/06/2014 20:37 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Deutsches Volksliedarchiv is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Lied und populäre Kultur / Song and Popular Culture. http://www.jstor.org This content downloaded from 194.29.185.131 on Mon, 9 Jun 2014 20:37:25 PM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

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Deutsches Volksliedarchiv

"... weil jetzt die Freiheit blüht." Lieder aus der Revolution von 1848/49; Der Staat ist inGefahr! Lieder zur Wiener Revolution 1848; 18 aus 48. Das Beste von der BarrikadeReview by: Hanns-Werner HeisterLied und populäre Kultur / Song and Popular Culture, 45. Jahrg. (2000), pp. 342-346Published by: Deutsches VolksliedarchivStable URL: http://www.jstor.org/stable/849656 .

Accessed: 09/06/2014 20:37

Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at .http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp

.JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range ofcontent in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new formsof scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected].

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Rezensionen Rezensionen

von empfindsamen Momenten beeinflussten Gestus zuriickgestellt worden. Damit stiinden die Kantaten der Stilistik etwa eines Christoph Graupner naher, als dass man sie mit Bach vergleichen konnte.

In der empirischen Musikpraxis der Herrnhuter spiegelt sich zugleich eine Prob- lematik, die m.E. zentral fur das Verstandnis des Gesamtzusammenhangs ist bei der

Frage, wie sich eine Religionsgemeinschaft der Musik und ihren Formen und Auspra- gungen gegenuber verhalt. Anja Wehrend hat all dies in ihrer schonen und prignanten Darstellung aufbereitet; in ihrer Detailfreudigkeit erwahnt sie in den FuBnoten ab und an beinahe zu viel Namen und Daten, was den LesefluB im Haupttext ein wenig hemmt. Man muss es der Autorin hoch anrechnen, dass sie die Fragestellungen be- wusst akzentuiert und in zwei Kapiteln behandelt, in denen die Musikanschauung Zin- zendorfs und seiner Anhanger zur Sprache kommt. Eine Reihe aussagekraftiger Quel- lentexte, auf die in der Argumentation bestandig zurickgegriffen wird, dient als Beleg dafiir, dass gerade Zinzendorfs Gedanken uiber Musik von traditionellen Weltbildern ebenso bestimmt waren wie von modernen Vorstellungen, von theologischen Pramis- sen gleichermaBen wie von musikspezifischen Faktoren. Streng lutherische wie pietis- tische Einflusse verschafften sich ebenso Geltung wie ein musikasthetisches Denken, das sich von 1740 bis 1760 im Spannungsfeld zwischen ausgehendem Barock, einer einstmals verbindlichen, aber zunehmend verblassenden Tradition der )>Musica poeti- ca<, und dem ?neuen Ton< von Empfindsamkeit und Vorklassik befindet. Und natur- lich spielt auch die Frage eine entscheidende Rolle, ob und inwieweit Musik in der La-

ge ist, liturgische und allgemein religiose Verrichtungen vorteilhaft und sinnstiftend zu unterstitzen, als integrales Moment der GlaubensauBerung zu wirken und kein

Fremdkorper zu sein, der vom Wesentlichen, von der gelebten und standig zu verge- genwartigenden ?praxis pietatis( ablenkt.

Die Studie von Anja Wehrend ist als eine willkommene Bereicherung; neben einer Fulle wertvoller sachlicher Informationen wird anhand einer durchaus prominenten Religionsgemeinschaft auch das Blickfeld fur den in der Tat schwierig zu erschlieBen- den Komplex >Musik und Religion< eroffnet.

Detlef Giese, Berlin

.... weiljetZt die Freiheit bliiht (. Lieder aus der Revolution von 1848/49. Sudwest Records SWR 104-98. 1 CD. Bad Krozingen, 1998. - Der Staat ist in Gefahr! Lieder ur Wiener Revolution 1848. Extraplatte, EX SP-004-2. Wien, 1998. - Leipziger Folk Sessions Vol. I: 18 aus 48. Das Beste von der Barrikade. Loewenzahn Medien Verlags & Ver- triebs GmbH. Leipzig, 1998.

Es war lange ublich, von der >gescheiterten( 48er Revolution zu reden (die im Ubrigen auch noch eine 49er Revolution war). Inzwischen, nicht zuletzt aus Anlass des Ge-

denkjahrs 1998, ist es fast umgekehrt: Gelobt wird, was doch alles erreicht wurde. Auch das ist wohl nicht die ganze Wahrheit. Denn tatsachlich wurden wesentliche okonomische Anspriiche der Liberalen, der Bourgeoisie im Gefolge der Revolution

realisiert, zumal der nach Beseitigung von Schranken fur die )Marktwirtschaft(<, die dann gerade im Deutschen Reich 1870/71 vollends ihren Frieden mit den Uberbleib- seln absolutistischer Herrschaft machte. Die Anspriiche der Demokraten, der Citoyens

von empfindsamen Momenten beeinflussten Gestus zuriickgestellt worden. Damit stiinden die Kantaten der Stilistik etwa eines Christoph Graupner naher, als dass man sie mit Bach vergleichen konnte.

In der empirischen Musikpraxis der Herrnhuter spiegelt sich zugleich eine Prob- lematik, die m.E. zentral fur das Verstandnis des Gesamtzusammenhangs ist bei der

Frage, wie sich eine Religionsgemeinschaft der Musik und ihren Formen und Auspra- gungen gegenuber verhalt. Anja Wehrend hat all dies in ihrer schonen und prignanten Darstellung aufbereitet; in ihrer Detailfreudigkeit erwahnt sie in den FuBnoten ab und an beinahe zu viel Namen und Daten, was den LesefluB im Haupttext ein wenig hemmt. Man muss es der Autorin hoch anrechnen, dass sie die Fragestellungen be- wusst akzentuiert und in zwei Kapiteln behandelt, in denen die Musikanschauung Zin- zendorfs und seiner Anhanger zur Sprache kommt. Eine Reihe aussagekraftiger Quel- lentexte, auf die in der Argumentation bestandig zurickgegriffen wird, dient als Beleg dafiir, dass gerade Zinzendorfs Gedanken uiber Musik von traditionellen Weltbildern ebenso bestimmt waren wie von modernen Vorstellungen, von theologischen Pramis- sen gleichermaBen wie von musikspezifischen Faktoren. Streng lutherische wie pietis- tische Einflusse verschafften sich ebenso Geltung wie ein musikasthetisches Denken, das sich von 1740 bis 1760 im Spannungsfeld zwischen ausgehendem Barock, einer einstmals verbindlichen, aber zunehmend verblassenden Tradition der )>Musica poeti- ca<, und dem ?neuen Ton< von Empfindsamkeit und Vorklassik befindet. Und natur- lich spielt auch die Frage eine entscheidende Rolle, ob und inwieweit Musik in der La-

ge ist, liturgische und allgemein religiose Verrichtungen vorteilhaft und sinnstiftend zu unterstitzen, als integrales Moment der GlaubensauBerung zu wirken und kein

Fremdkorper zu sein, der vom Wesentlichen, von der gelebten und standig zu verge- genwartigenden ?praxis pietatis( ablenkt.

Die Studie von Anja Wehrend ist als eine willkommene Bereicherung; neben einer Fulle wertvoller sachlicher Informationen wird anhand einer durchaus prominenten Religionsgemeinschaft auch das Blickfeld fur den in der Tat schwierig zu erschlieBen- den Komplex >Musik und Religion< eroffnet.

Detlef Giese, Berlin

.... weiljetZt die Freiheit bliiht (. Lieder aus der Revolution von 1848/49. Sudwest Records SWR 104-98. 1 CD. Bad Krozingen, 1998. - Der Staat ist in Gefahr! Lieder ur Wiener Revolution 1848. Extraplatte, EX SP-004-2. Wien, 1998. - Leipziger Folk Sessions Vol. I: 18 aus 48. Das Beste von der Barrikade. Loewenzahn Medien Verlags & Ver- triebs GmbH. Leipzig, 1998.

Es war lange ublich, von der >gescheiterten( 48er Revolution zu reden (die im Ubrigen auch noch eine 49er Revolution war). Inzwischen, nicht zuletzt aus Anlass des Ge-

denkjahrs 1998, ist es fast umgekehrt: Gelobt wird, was doch alles erreicht wurde. Auch das ist wohl nicht die ganze Wahrheit. Denn tatsachlich wurden wesentliche okonomische Anspriiche der Liberalen, der Bourgeoisie im Gefolge der Revolution

realisiert, zumal der nach Beseitigung von Schranken fur die )Marktwirtschaft(<, die dann gerade im Deutschen Reich 1870/71 vollends ihren Frieden mit den Uberbleib- seln absolutistischer Herrschaft machte. Die Anspriiche der Demokraten, der Citoyens

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Rezensionen

aber auf politische Partizipation blieben in vieler Hinsicht auf der Strecke, und vol- lends die der plebejischen und proletarischen Schichten; fur diese war die Revolution doch in vieler Hinsicht gescheitert. Etwas von solchen historisch wohl notwendigen Grenzen und Schranken kommt im umfangreichen Uberblick zur Sprache und zum Bewusstsein.

Die vom DVA edierte, von Jurgen Dittmar redaktionell betreute CD ist in Kon- zeption wie Durchfuhrung unzweifelhaft die umfassendste und gelungenste dieser drei sehr verschiedenartigen CDs. Das Beiheft verzeichnet nicht nur die Liedtexte, sondern

gibt auch Quellen und Literatur an. Dichte, reichhaltige Kommentare zur jeweiligen historisch-politischen Situation, zur Vor- und gegebenenfalls auch Nachgeschichte der Lieder erganzen und machen das Ganze zu einer komplexen Edition von wissenschaft- lichem Rang. Bei den sehr verschiedenartigen Interpretationen der Lieder - >Original- aufnahmen< fur diese Edition - ergibt sich der Nebeneffekt, dass wir zugleich einen

gewissen Uberblick mindestens uber Ausschnitte aus dem Spektrum der Liederma- cher- und Folkszene erhalten. Interessanterweise zeigt sich einmal mehr, dass Reduk- tion oft die asthetisch-kunstlerisch groBere Wirkung hat. So ist m.E. das Lied Die Ge- danken sindfrei (im Ubrigen ein Evergreen noch aus dem 18. Jahrhundert) besonders

eindringlich: fast gesprochen, leise und zuruckhaltend, die Melodie nur andeutend, mit seiner etwas deutsch-idealistischen Tendenz zum Ruckzug nach innen, den Jochen Wiegandt und Jurgen Wolff mit einem kleinen duettierend-dialogischen Schluss wie- derum etwas zu relativieren versuchen. Einen schroffen Kontrast bildet schon von Text und Ton her das radikale, mindest rabiate Deutsche Treibjagen, das wohl kurz vor dem Hambacher Fest (1832) entstand, nach franzosischem Vorbild fur die Republik agitierte und 1848 um aktuelle Strophen erganzt wurde. Die Gruppe >)Liederjan<< bringt die Aggressivitat dieses ?flotten Singwalzerso (A. Beckert) gut heraus; die variative in- strumentale )>Einkleidung( ist, pointiert gesagt, dort am besten, wo sie plotzlich auf- hort und sozusagen den unverhullten vokalen Leib durchlasst. Arg harmlos klingt da- gegen bei ihnen das an sich hintergrundig-kritische Deutschlands Kaiser 1849. Apropos .))Einkleidung<<: Sie ist wohl ein Grundproblem, da im Folklorebereich schwer mit )au- thentischem< Instrumentarium oder ?historischer Auffuhrungspraxis< zu argumentie- ren oder gar zu hantieren ist. Zum Panzer wird sie jedenfalls, wenn Hein und Oss Kroher mit stationarer E-Orgel-Begleitung die citoyenhaft-patriotische Kontrafaktur des Heil Dir im SiegerkranZ intonieren. Uber diese eher unfreiwillig gebrochene Hymnik trostet allerdings der plebejische Grundton des Duos etwas hinweg. Die beiden hatten bereits 1974 eine LP mit Liedern der 48er Revolution veroffentlicht, die 1997 auf CD neu herauskam. Wieder eine andere Tendenz, zu kunstgemaBerem, mehrstimmigem A-cappella-Gesang, bietet das Quartett Barbara Ostertag, Antje Schmider, Eberhard Pfister und Christoph Schmider bei der Kontrafaktur des bereits 1793 entstandenen Freut euch des Lebens, das B. Boock zu Recht als >)Ohrwurm< bezeichnet: tatsachlich ein Verweis auf den >Volkerfruhling<, der mit der >schonen<, noch unter ungebrochener burgerlicher Hegemonie stattfindenden Februarrevolution in Paris anzubrechen schien und mit der nicht mehr sch6nen Juni-Insurrektion endete, bei der Plebejer und Prole- tariat eigenstandige Anspruche anzumelden begannen. Mit Sei mirgegrujit, dufreies Licht nach der Melodie zum Schiller-Rauberlied Ein freies Leben fuhren mir (bzw. Gaudeamus igitur) fiihrt das vokal-instrumentale Ensemble >Wacholder? gewissermaBen einen

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Durchschnittstyp vor, wobei freilich Krummhorn, Schalmei und Hackbrett das Archa- isieren und Historisieren der Tendenz nach entschieden ubertreiben; klanglich fallt der Anachronismus allerdings nicht ganz so storend auf. Etwas mehr dann schon beim

Hecker-Potpourri, interpretiert von den >)GalfiaBlern<; bei den sachten alemannischen

Strophen werden mit der Nachahmung von Kinderstimmen die Grenzen wiederum iiberschritten. Bei der larmenden Bauermarseillaise aber wird das Ensemble wie das Lied auBerordentlich kregel. Seinen eigenen reduzierenden Stil legt Biermann wie ei- nen Mantel um Freiligraths bekanntes Trotg alledem! und lasst es unaufwandig erstaun- lich lebendig werden. Nachdrucklich singt und spielt das )>Duo Sonnenschirmo den

Hufschmied, der lieber Waffenschmied sein mochte und keinesfalls gedenkt, Schwerter zu Pflugscharen umzuschmieden. Das Lied, bei den militarischen Auseinandersetzun-

gen im Zusammenhang mit der Schleswig-Holstein-Frage entstanden, ist bezeichnend fuir die allgemeinere Tendenz, die soziale Frage zugunsten der nationalen Frage hint- anzustellen. Historische und geografische Ferne verschranken Ulli Klan und Mischi Steinbruck in den Wiener G'sang'ln, wo dialogisch, mit Jodeleinschiiben, auf das Verhal- ten der landlichen Bevolkerung im Herbst 1848 abgehoben wird. Originell und ada-

quat auch ihre differenzierte Darstellung der nachrevolutionaren Situation um 1850 aus der Sicht >von unten<; die etwas hanswurstmaBige Verengung der Optik aufs Es- sen scheint die plebejische Kritik eher zu scharfen als zu mildern. Dabei geht der Vor-

trag iiber das bloBe vokale Referieren von Gedichtstrophen durch die scharf akzentu- ierte Darstellung des Liedes hinaus. Nach Berlin, sagt er ist schon von der Textstruktur her nur gesungen und nicht gesprochen oder gelesen vorzustellen. Den Bogen zum bitteren Ende der Revolution schlagt als abschlieBende runde Nr. 24 Ludwig Pfaus Badisches Wiegenlied, eine Reaktion auf den preuBischen weiBen Terror nach der Nieder-

lage der verfassungstreuen Verteidiger der Festung Rastatt im Juni 1849: )>Schlaf', mein Kind, schlaf' leis/Dort drauBen geht der PreuB'!(<, von Mitgliedem der Gruppe Lieder-

jan entsprechend der ersten Fassung fur Gesang und Klavier zurickhaltend vorgetragen. Angesichts der Qualitat der Kommentare von Barbara Boock und Waltraud Lin-

der-Beroud bedauert man, dass sich das (sowieso umfangreiche) Beiheft nicht noch erweitern lieB. Es ware wunschenswert gewesen, die Lieder im Textbuch vollstandig erscheinen zu lassen. Auf die akustische Wiedergabe vieler Strophen der textlich oft

ausgedehnten Lieder hatte man dann ohne weiteres verzichten konnen, wodurch wie- derum mehr Lieder zur Darbietung gekommen waren. Dass ein GroBteil der Lieder im Wesentlichen nurmehr von vorwiegend historischem Interesse ist, lasst sich eben- falls, nicht ohne Bedauern, feststellen. Dennoch bleibt einiges, was auch asthetisch wie emotional anruhrt. Sicherlich gehort das Lied von Robert Blum dazu. Blum war von der

Reaktion, wie haufig sogar wider geltendes Recht, standrechtlich umgebracht worden. Das Lied verzichtet weitgehend auf die sonst zeit- und klassentypischen hohl- heroischen Phrasen und gesteht in einer Verschrankung von innerem Monolog und Kommentar: ?>Die Trane fur Weib und Kinder entehret keinen Mann/ wohlan, jetzt gilt es zu sterben<.

Die Wiener CD versucht eingangs, fast in Richtung eines Horbilds oder gar Fea-

tures, etwa durch simulierte Realtone (ebendas: akustische Authentizitat dieser Art ist

notwendig scheinhaft), direkter ein Stuck Geschichte zu rekonstruieren und so leben-

dig wie moglich zu machen bzw. zu vermitteln. Ansonsten freilich bleiben die Lieder

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mangels Kommentierung gewissermaBen in der dunnen Luft des )rein(< Asthetischen

hangen, die nicht so ganz das richtige Milieu politischer Lieder ist. Das musikalische

Spektrum ist von den Liedern selber wie von den Interpretationen her beachtlich weit und differenziert, einschlieBlich der beliebten alpenlandischen, immer noch im Uber-

gangsfeld zu medialer )volkstumlicher Musik? befindlichen Folklore, etwa bei der

Verwendung Innvierter Landlergstanzln bei den >)Politischen Volks-Liedernm. Gene- rell gibt es wohl in und mit dieser Folklore sowohl einen besonderen idiomatischen Reichtum wie eine zwar dunne, aber nicht ganzlich gebrochene Traditionslinie, die

heutige Revitalisierungen nicht bloB als zombiehaftes ))drittes Dasein? erscheinen las- sen. Das Lied fur die Nationalgarde plidiert im Sinn der )groBdeutschen<< Losung fur den Anschluss Osterreichs ()und Osterreich schlieBt sich an Deutschland an<) und wird

angemessen dumpf-chorisch intoniert. Auch sonst findet sich realitatsgerecht manches Nationalistische oder Untertanige. Dass im Proletarier das Subjekt des Liedes refrainar-

tig betont, das ?)Eigentum ist heilig<, und auf die ?Gleichheito im Himmel verweist, durfte kaum ironisch sein, sosehr das objektiv auch nahe lage. Sogar die explizite Kon- terrevolution kommt mehrfach zu Wort bzw. Ton. Umso erfreulicher heben sich da- von Texte und Lieder wie das Zensorlied ab, das E. Kummer als Sprecher witzig vor-

tragt. Das Gott erhalte- Haydns Kaiserhymne, heute besser als Melodie des Deutsch- landsliedes bekannt - bildet die Grundlage sowohl fur den Trauergesang am Grabe meines

geliebten Kollegen Karl Konitschek wie fur ein Neues Volkslied. Ausgesprochen durftig fallt allerdings das Beiheft aus. Nicht einmal die editorische

Minimalanforderung an Vokalmusiktontrager, namlich der Abdruck der Texte, ist hier erfiillt. Er ware umso dringlicher, da die Wiener Dialektvariante des Ostmittelbairi- schen fur Auslander, auch fur Deutschsprachige, mindestens stellenweise der Verschriftlichung und z.T. sogar einer kommentierenden Obersetzung bedurfte. Das hochsprachlich gemaBigte Kartnerisch im Neuen Lied vom allverehrten Kaiser Ferdinand, das u.a. Radetzky, einen wichtigen Feldherrn der Konterrevolution, preist, ist dagegen ohne Obersetzung durchaus verstandlich, allerdings nur muhsam im Hinblick auf den Kontext. Uber den Mangel an Texterklarungen trostet auch nicht die schone Abbil- dung einer Katzenmusik hinweg, die nicht einmal quellenmaBig nachgewiesen wird. Auch Datierungen der Lieder, die gerade im Zusammenhang mit der dichten Folge von Ereignissen in einer Revolution unentbehrlich sind, fehlen vollig. Der relativ knappe Raum der Audio-CD wird dafur mit Trommelwirbel und Erzahler bzw. einge- blendeten Kurzkommentaren eher vergeudet - das kann man/frau eigentlich auch lesen. Umso peinlicher ist es, dass etwa vor Track 9 ein Revolutionsmarsch von Jo- hann StrauB Sohn annonciert wird, stattdessen aber das aufgrund der Melodievorlage fur Ostern und Fruhling ziemlich moll-maBige Neue Osterlied ertont. (Die Melodie Der Heiland ist erstanden scheint seinerseits eine Variante des evangelischen Chorals Christ ist erstanden zu sein, der seinerseits usw.) Der dann als Track 10 tatsachlich folgende StrauB-Marsch ist allerdings besonders durch die Konzertdrehorgelfassung von aparter Wirkung. Der das Geschaft der Konterrevolution besorgende Radetgky-Marsch von Johann StrauB Vater kommt auch. Beides als ?Lieder<< ?zur Revolution<< zu verkaufen, ist gattungsmaBig etwas gewagt. Wenn schon, dann passen jedenfalls solche verbale AuBerungen, wenn sie zur Musik passen, auf eine CD-ROM, womit das Beiheftprob- lem wesentlich entscharft ware.

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Rezensionen Rezensionen

Weniger ein Trost als eine Zumutung angesichts des ganze 21/2 Seiten umfassen- den Kommentars ist der Verweis auf einen )>ausfuhrlichen Artikel< der Leiterin zu den Liedern und auf einen Ausstellungskatalog. Die CD bleibt so bloB Teil eines Mer-

chandisings, das sich im Bereich der einigermaBen seriosen Tontrager bzw. der Wis- senschaft eigentlich noch nicht restlos durchgesetzt hat, oder ist eine Art Trailer fur den Katalog. Umgekehrt wird der Katalog wohl fur die CD werben: Eine Hand wascht die andere.

Solche Anforderungen durfen wir an die dritte der hier besprochenen CDs von vorneherein gar nicht stellen. Hier geht es um eine frisch-frohlich-freie - glucklicher- weise nicht auch noch fromme - und unbefangen aktualisierende Adaption damaliger Revolutionslieder:

Keine uberzogene Raffinesse - Spontaneitat war angesagt. Und SpaB sollte das Ganze auch noch machen.

In Anbetracht solcher und ahnlicher Absichtserklarungen ist es ein durchaus erfreuli- cher und fast schon beachtlicher Kontrapunkt, dass zu einzelnen Liedern wenigstens historische Minimalinformationen geliefert werden. Beim Burgerlied wird die Herkunft aus dem deutschen Osten explizit gemacht:

War schon im Folkrevival der 70er ein gerne gespieltes Stuck, schon weil die im DDR-Alltag uniibliche Anrede )Burger? vorkam.

Der Abdruck der Texte entfallt. Die leporelloartig aufklappbare Papphulle, die besser ist als die iibliche uberempfindliche Plastikhiille, wird zwar von dem Leitmotiv der Barrikade durchzogen, die Auswahl der Lieder umschreibt aber das breite Spektrum damaliger Liedproduktion zwischen dem revolutionaren Blutgericht (1844), dem rebel- lisch-kritischen Lied vom Burgermeister Tschech und dem klagend-anklagenden Badischen

Wiegenlied. Einige Lieder - alien voran das besonders bewegende uber Robert Blum - erschei-

nen sogar in mehr als einer der vorliegenden Editionen und lassen so noch deutlicher den Spielraum der Interpretation hervortreten. Insgesamt ergibt sich trotz der ange- deuteten Schranken und Mangel ein farbiges und differenziertes musikalisch-

politisches Bild dieser Revolution. Es zeigt sich - die fragmentierte Wiener CD einge- schlossen -, dass ?Volks<<- bzw. Popularmusikforschung in historischer Dimensionie-

rung auch auBerhalb der allseits beliebten Popmusik angloamerikanischer Provenienz noch einiges zu eruieren und zu publizieren hat und selbst fur die ominose aktuelle )Praxis<< (alias ?Markt<) der Rezeption und Musikkultur etwas zu sagen und beizutra-

gen hat. Hanns-Werner Heister, Hamburg

Wieclewska-Bach, Anna: Daspolnische katholische Kirchenlied in oberschlesischen Gesangbii- chern von 1823 bis 1922. Sinzig: Studio, 1999 (Edition IME, Reihe 1: Schriften im

Auftrag des Instituts fur deutsche Musikkultur im ostlichen Europa e.V./ IME/ Bonn 2). 304 S., mus. Not. ISBN 3-89564-064-6.

Katholische Gesangbiicher wurden in Polen, nach bescheidenen Anfangen um 1600, seit dem spaten 17. Jahrhundert haufiger in zumeist kleinen Auflagen gedruckt. Erst

Weniger ein Trost als eine Zumutung angesichts des ganze 21/2 Seiten umfassen- den Kommentars ist der Verweis auf einen )>ausfuhrlichen Artikel< der Leiterin zu den Liedern und auf einen Ausstellungskatalog. Die CD bleibt so bloB Teil eines Mer-

chandisings, das sich im Bereich der einigermaBen seriosen Tontrager bzw. der Wis- senschaft eigentlich noch nicht restlos durchgesetzt hat, oder ist eine Art Trailer fur den Katalog. Umgekehrt wird der Katalog wohl fur die CD werben: Eine Hand wascht die andere.

Solche Anforderungen durfen wir an die dritte der hier besprochenen CDs von vorneherein gar nicht stellen. Hier geht es um eine frisch-frohlich-freie - glucklicher- weise nicht auch noch fromme - und unbefangen aktualisierende Adaption damaliger Revolutionslieder:

Keine uberzogene Raffinesse - Spontaneitat war angesagt. Und SpaB sollte das Ganze auch noch machen.

In Anbetracht solcher und ahnlicher Absichtserklarungen ist es ein durchaus erfreuli- cher und fast schon beachtlicher Kontrapunkt, dass zu einzelnen Liedern wenigstens historische Minimalinformationen geliefert werden. Beim Burgerlied wird die Herkunft aus dem deutschen Osten explizit gemacht:

War schon im Folkrevival der 70er ein gerne gespieltes Stuck, schon weil die im DDR-Alltag uniibliche Anrede )Burger? vorkam.

Der Abdruck der Texte entfallt. Die leporelloartig aufklappbare Papphulle, die besser ist als die iibliche uberempfindliche Plastikhiille, wird zwar von dem Leitmotiv der Barrikade durchzogen, die Auswahl der Lieder umschreibt aber das breite Spektrum damaliger Liedproduktion zwischen dem revolutionaren Blutgericht (1844), dem rebel- lisch-kritischen Lied vom Burgermeister Tschech und dem klagend-anklagenden Badischen

Wiegenlied. Einige Lieder - alien voran das besonders bewegende uber Robert Blum - erschei-

nen sogar in mehr als einer der vorliegenden Editionen und lassen so noch deutlicher den Spielraum der Interpretation hervortreten. Insgesamt ergibt sich trotz der ange- deuteten Schranken und Mangel ein farbiges und differenziertes musikalisch-

politisches Bild dieser Revolution. Es zeigt sich - die fragmentierte Wiener CD einge- schlossen -, dass ?Volks<<- bzw. Popularmusikforschung in historischer Dimensionie-

rung auch auBerhalb der allseits beliebten Popmusik angloamerikanischer Provenienz noch einiges zu eruieren und zu publizieren hat und selbst fur die ominose aktuelle )Praxis<< (alias ?Markt<) der Rezeption und Musikkultur etwas zu sagen und beizutra-

gen hat. Hanns-Werner Heister, Hamburg

Wieclewska-Bach, Anna: Daspolnische katholische Kirchenlied in oberschlesischen Gesangbii- chern von 1823 bis 1922. Sinzig: Studio, 1999 (Edition IME, Reihe 1: Schriften im

Auftrag des Instituts fur deutsche Musikkultur im ostlichen Europa e.V./ IME/ Bonn 2). 304 S., mus. Not. ISBN 3-89564-064-6.

Katholische Gesangbiicher wurden in Polen, nach bescheidenen Anfangen um 1600, seit dem spaten 17. Jahrhundert haufiger in zumeist kleinen Auflagen gedruckt. Erst

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