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Inhaltsverzeichnis

1 Einführung: Führung mit Kennzahlen – Ein Praxisbeispiel 13

2 Die Balanced Scorecard, ein Führungsinstrument 19 2.1 Die Sache mit dem Stadion 20 2.2 Auf das „Balanced“ kommt es an! 21 2.3 Fünf Intentionen der Balanced Scorecard 21 2.3.1 Komplexe Zusammenhänge zu verstehen erleichtert unser

Handeln 23 2.3.2 Strategische Ziele messbar machen 30 2.3.3 Strategische Ziele kommunizieren 34 2.3.4 Die Strategien im Budget verankern 39 2.3.5 Passen Sie Strategien permanent den sich ändernden

Lebensumständen an 44

3. Unternehmensführung mit Kennzahlen 47 3.1 Grundprobleme bei der Arbeit mit Kennzahlen 47 3.1.1 Materielle und informelle Welt 48 3.1.2 Was wissen wir von der materiellen Welt? 51 3.1.3 Die Bedeutung der Basisdatenerfassung 60 3.1.4 Messen wir die Informationen, die wir brauchen? 63 3.2 Führung mit Kennzahlen 70 3.2.1 Maßnahmen und Verantwortung 71 3.2.2 Verantwortlichkeit und Motivation 73

4. Vorstellung beispielhaft ausgewählter Unternehmen 77 4.1 Kreditinstitut: Ihre schnelle Bank 78 4.2 Automotive-Zulieferer: Good vibrations im automotive Bereich 79 4.3 Handwerk/Dienstleister: Ihr Backshop – schnell und knusprig 80 4.4 Küchenmaschinenhersteller: Scharf auf alles, was zu schneiden ist

80 4.5 Kfz-Anhänger-Hersteller: Mit uns bewegen Sie Ihre Last 81 4.6 Spezialitätenbrauerei: Ihr nationales Gsüffiges 81

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5. Die Balanced Scorecard 83 5.1 Grundgedanken der Balanced Scorecard 83 5.1.1 Strategien durch Kommunikation umsetzen 84 5.1.2 Führen mit Vertrauen 85 5.2 Die Balanced Scorecard unterstützt Ihren Zielfindungsprozess 87 5.2.1 Jedes Unternehmen benötigt Ziele 88 5.2.2 Top down oder bottom up? 102 5.3 Wie messen wir die Zielerreichung? 104 5.3.1 Kennzahlen führen zu transparenten Strategien 105 5.3.2 Strategisch führen mittels Kennzahlen 108

6. Kennzahlen für die Kundenperspektive 113 6.1 Früh- und Spätindikatoren der Kundenperspektive 116 6.2 Spätindikatoren der Kundenperspektive 117 6.2.1 Kundenzufriedenheit 117 6.2.2 Kundentreue 119 6.2.3 Neukundenakquisition 119 6.2.4 Kundenrentabilität 120 6.2.5 Marktanteil 121 6.3 Frühindikatoren der Kundenperspektive 122 6.3.1 Produkt- und Serviceeigenschaften 122 6.3.2 Image und Reputation 124 6.3.3 Kundenbeziehungen 124 6.4 Praktische Beispiele – Kundenkennzahlen 125 6.4.1 Kreditinstitut 125 6.4.2 Automotive-Zulieferer 127 6.4.3 Handwerk/Dienstleister 129 6.4.4 Küchenmaschinenhersteller 130 6.4.5 Kfz-Anhängerhersteller 131 6.4.6 Spezialitätenbrauerei 132

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7. Kennzahlen für die Geschäftsprozessperspektive 135 7.1 Geschäftsprozesse als komplexes Ganzes 135 7.2 Innovation, Leistungserstellung, Kundendienst und Kommunikation

– Teil einer Perspektive oder eigenständige Perspektive? 137 7.3 Früh- und Spätindikatoren der Geschäftsprozesse 139 7.3.1 Indikatoren der Innovation 141 7.3.2 Indikatoren der betrieblichen Leistungserstellung 144 7.3.3 Indikatoren für den Bereich des Kundendienstes 147 7.3.4 Indikatoren für den Bereich der Kommunikation 151 7.4 Praktische Beispiele – Kennzahlen der Geschäftsprozesse 153 7.4.1 Kreditinstitut 153 7.4.2 Automotive-Zulieferer 155 7.4.3 Handwerk/Dienstleister 156 7.4.4 Küchenmaschinenhersteller 158 7.4.5 Kfz-Anhängerhersteller 159 7.4.6 Spezialitätenbrauerei 161

8. Kennzahlen für die Mitarbeiterperspektive 163 8.1 Spätindikatoren der Mitarbeiterperspektive 167 8.1.1 Mitarbeiterzufriedenheit 168 8.1.2 Mitarbeitertreue 168 8.1.3 Mitarbeiterproduktivität 169 8.2 Frühindikatoren der Mitarbeiterperspektive 170 8.2.1 Fort- und Weiterbildung 170 8.2.2 Mitarbeitermotivation 171 8.2.3 Informelle Infrastruktur des Unternehmens 174 8.3 Praktische Beispiele – Kennzahlen der Mitarbeiterperspektive 175 8.3.1 Kreditinstitut 175 8.3.2 Automotive-Zulieferer 177 8.3.3 Handwerk/Dienstleister 179 8.3.4 Küchenmaschinenhersteller 180 8.3.5 Kfz-Anhängerhersteller 181 8.3.6 Spezialitätenbrauerei 182

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9. Kennzahlen für die Finanzperspektive 183 9.1 Die Finanzperspektive – Ausgangs- oder Endpunkt? 184 9.2 Ertrag oder Cash-flow – welche Basis ist geeigneter? 186 9.3 Frühindikatoren auch für die Finanzperspektive? 187 9.4 Strukturierung nach Entwicklungsphasen 189 9.4.1 Wachstumsphase 189 9.4.2 Reifephase 190 9.4.3 Erntephase 191 9.5 Praktische Beispiele – Kennzahlen der Finanzperspektive 191 9.5.1 Kreditinstitut 191 9.5.2 Automotive-Zulieferer 192 9.5.3 Handwerk/Dienstleister 193 9.5.4 Küchenmaschinenhersteller 194 9.5.5 Kfz-Anhängerhersteller 195 9.5.6 Spezialitätenbrauerei 196

10. Kennzahlen für weitere Perspektiven 197 10.1 Die Lieferantenperspektive 199 10.2 Die Kreditgeberperspektive 200 10.3 Die öffentliche Perspektive 201 10.4 Die Kommunikationsperspektive 202 10.5 Die Organisationsperspektive 203 10.6 Die Einführungsperspektive 203 10.7 Praktische Beispiele – Kennzahlen der fünften/sechsten Perspektive

204 10.7.1 Die Lieferantenperspektive beim Automotive-Zulieferer 204 10.7.2 Die Kreditgeberperspektive beim Handwerk/Dienstleister 204 10.7.3 Die öffentliche Perspektive beim Kreditinstitut 205 10.7.4 Die Kommunikationsperspektive beim Automotive-Zulieferer 206 10.7.5 Die Organisationsperspektive beim Kfz-Anhänger Hersteller 206 10.7.6 Die Einführungsperspektive beim Spezialitätenbrauerei 207

11. Ganzheitlichkeit durch verbundene Kennzahlen 209 11.1 Logische Verknüpfung der Kennzahlen 209 11.2 Die Grenzen der Logik 212 11.3 Vertikale Verknüpfung von Kennzahlen 214 11.4 Praxis-Beispiel - Vertikale Verknüpfung beim Automotive-

Zulieferer 215

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12. Die Umsetzung der Balanced Scorecard im Unternehmen 221 12.1 Gibt es „die“ Balanced Scorecard? 222 12.2 Vom Leben lernen oder wie nutze ich das Feedback? 225 12.2.1 Lernen durch Feedback 225 12.2.2 Kommunikation und Vertrauenskultur im Unternehmen 227 12.3 Die Einführung der Balanced Scorecard im Unternehmen 231 12.3.1 Die Rolle des Managers 231 12.3.2 Die Rolle des Controllers 232 12.3.3 Mit Mission, Vision und Strategien beginnen 235 12.3.4 Die Identifikation von Frühindikatoren – ein Kernpunkt 235 12.3.5 Der Prenzlauer Würfel 236 12.3.6 Für jede Unternehmensebene eine eigene Balanced Scorecard 238 12.3.7 Wieviel Zeit sollte man sich nehmen? 240 12.3.8 Ein Einführungsplan 241

13. Vierzehn Regeln für den Erfolg 245

14. Zusammenfassung der Balanced Scorecards der

Beispielunternehmen 249 14.1 Regionales Kreditinstitut 249 14.2 Automotive-Zulieferer 250 14.3 Handwerk/Dienstleister 251 14.4 Küchenmaschinenhersteller 252 14.5 Kfz-Anhängerhersteller 253 14.6 Spezialitätenbrauerei 254 15. Literaturverzeichnis 255

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Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Die Balanced Scorecard einer Regionalbank ......................... 16 Abbildung 2: Die Güter- und Finanzbewegungen des Betriebes ................. 24 Abbildung 4: Management-Kreis ................................................................. 35 Abbildung 5: Methodischer Bruch zwischen Strategie und Budget ............. 40 Abbildung 6: Dreidimensionalität der Kennzahlen einer Balanced Scorecard

(Der Prenzlauer Würfel) ....................................................... 43 Abbildung 7: Materielle und informelle Welt............................................... 50 Abbildung 8: Informationsfilter .................................................................... 52 Abbildung 9: Glockenkurve des Mathematikers Gauß ................................. 60 Abbildung 10: Verflechtung logischer und zeitlicher Ketten ....................... 66 Abbildung 11: Früherkennungsmatrix ......................................................... 67 Abbildung 12: Bausteine, die eine Kennzahl „zum Leben erwecken“ ......... 71 Abbildung 13: Arbeiten mit Kennzahlen ...................................................... 73 Abbildung 14: Relativität von Spät- und Frühindikatoren ......................... 112 Abbildung 15: Die Kundenperspektive ....................................................... 114 Abbildung 16: Frühindikatoren für die Kundenperspektive ....................... 122 Abbildung 17: Geschäftsprozessperspektive .............................................. 136 Abbildung 18: Strategische Geschäftsprozesse .......................................... 138 Abbildung 19: Indikatoren der Geschäftsprozessperspektive .................... 140 Abbildung 20: Durchlauf- und Bearbeitungszeit ........................................ 145 Abbildung 21: Mitarbeiterperspektive ........................................................ 164 Abbildung 22: Kennzahlen der Mitarbeiterperspektive .............................. 166 Abbildung 23: Das magische Dreieck der Finanzen ................................... 184 Abbildung 24: Die Finanzperspektive ....................................................... 185 Abbildung 25: Die Perspektiven der Balanced Scorecard .......................... 198 Abbildung 26: Ursache-Wirkungs-Ketten der Kennzahlen der Regionalbank

............................................................................................. 210 Abbildung 27: Graphische EXCEL-Darstellung der Balanced Scorecard des

Automotive-Zulieferers ...................................................... 213 Abbildung 28: vertikale Verknüpfung von Kennzahlen ............................. 215 Abbildung 29: Beispiel für die übersichtliche Darstellung der kompletten

Balanced Scorecard für die Regionalbank .......................... 222 Abbildung 30: Der Prenzlauer Würfel ........................................................ 237

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Einführung: Führung mit Kennzahlen – Ein Praxisbeispiel

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1 Einführung: Führung mit Kennzahlen – Ein Praxisbeispiel

Auf einen Blick:

Die Balanced Scorecard ist mehr als ein Kennzahlen-Tableau.

Die Balanced Scorecard ist eine Methode zur Erarbeitung und unter-

nehmensweiten Kommunikation von Mission, Vision und daraus abge-

leiteten Strategien des Unternehmens.

Die Balanced Scorecard soll allen Beteiligten mit Hilfe geeigneter

Kennzahlen konkret vermitteln, wie die strategischen Ziele mit der

Mission und der Vision des Unternehmens zusammenhängen und wie

sie praktisch umzusetzen sind. Die Kennzahlen müssen in kommunika-

tiver Zusammenarbeit aller Beteiligten daher so dargestellt werden,

dass sie allen Mitarbeitern verständlich sind.

Die Balanced Scorecard ist in diesem Sinne ein Management-System

zur strategischen Führung eines Unternehmens mit Kennzahlen. Füh-

rung durch Kennzahlen setzt dabei voraus, jede Kennzahl mit IST und

SOLL, mit Maßnahmen zur Erreichung des SOLL, mit Verantwortlich-

keit für die Maßnahmen und mit Regelungen zur Motivation der Ver-

antwortlichen zu verbinden.

Jede konkrete Balanced Scorecard eines Unternehmens ist ein Unikat!

„Es war einmal ein Banker ...“ könnte die Geschichte anfangen, die uns ver-

anlasst hat, dieses Buch über die Balanced Scorecard zu schreiben. Denn es

begann alles ganz banal. Wie so viele Dinge im Leben eigentlich ganz banal

sind und uns doch so kompliziert erscheinen.

Es war also der neu berufene Direktor einer kleineren, regional operierenden

Bank, der vor die Aufgabe gestellt wurde, dem Bankinstitut neue Impulse zu

geben und Richtlinien für die Arbeit der nächsten Jahre zu entwickeln.

Richtlinien, die es dem Unternehmen ermöglichen sollten, sich im Wettbe-

werb mit den Großen zu behaupten. Die es ermöglichen sollten, sich von den

anderen Banken zu unterscheiden, eine Nische für das Unternehmen zu fin-

den.

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Einführung: Führung mit Kennzahlen – Ein Praxisbeispiel

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Mit den überregionalen Großbanken konnte man sich nicht messen. Mehr

und mehr Kunden der Regionalbank wanderten mit Teilen ihres Bankge-

schäftes ab. Das Steigen der Kosten musste aufgehalten, nein, die Kosten

mussten radikal gesenkt werden. Es wurden neue gewinnbringende Struktu-

ren benötigt, um den Sprung in die Zukunft nicht zu verpassen – wie bei so

vielen anderen regionalen Banken. Das Eigenkapital der Regionalbank

reichte auch nicht zu größeren Investitionen, und – bringt denn eine großzü-

gig ausgebaute Filiale wirklich neue, profitablere Kunden?

Wo liegt eigentlich die Stärke des Unternehmens? Die Regionalbank betreu-

te ein bevorzugtes Wohngebiet nicht weit von der nächsten Großstadt. Die

Einwohnerzahl stieg stetig, die steigenden Steuereinnahmen in diesem Ge-

biet signalisierten: Hier wird Geld verdient! Vor allem aber sind die Mitar-

beiter die Stärke der Bank: gut ausgebildet, langjährig erfahren in allen Fa-

cetten des Bankgeschäftes, motiviert. Aber motiviert wozu?

Wie ist es möglich, dieses Potential zu nutzen, auszubauen, zielgerichtet ein-

zusetzen zum Wohl der Bank, der Anteilseigner, der Mitarbeiter und natür-

lich der Kunden? Ein Ruck müsste durch das Unternehmen gehen.

Dem Banker war eines klar: Veränderungen der Organisation konnten –

auch aus finanziellen Gründen – nicht als fertiges Konzept von außen hin-

eingetragen werden. Grundlegende Veränderungen sollten als offener Pro-

zess durch alle Mitarbeiter gestaltet werden. Aber auch Anteilseigner- und

Kundeninteressen mussten berücksichtigt werden.

Wäre hierzu nicht die Balanced Scorecard ein probates Mittel, um diese

Veränderungen zu planen und zu kommunizieren?

Gemeinsam in der Geschäftsführung Visionen definieren, mit

allen Managern zielgerichtete Strategien erarbeiten, daraus operative

Ziele für alle Mitarbeiter entwickeln und konsequent im Tagesgeschäft

verfolgen.

Das könnte, das musste ein probater Weg sein! Mit seinem Controller

und einem externen Beratungsteam machte er sich an die Arbeit.

Heute, knapp 18 Monate später haben sie ihren Weg gefunden. Unter dem

Motto

„Ihre schnelle Bank“

haben sie sich die visionäre Zielstellung auf ihre Fahne geschrieben:

"Wir werden die profitabelste Regionalbank!"

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Um diese Zielstellung zu erreichen wurde beschlossen, sich auf zwei strate-

gische Hauptwege zu konzentrieren:

1. Ausbau privater Baukredite als Beginn einer Kundenpartnerschaft

2. Intensivierung des Home-Banking

Mit 15 Schlüsselkennzahlen aus Sicht ihrer Kunden und Mitarbeiter, ihrer

Geschäftsprozesse und ihrer Anteilseigner haben sie begonnen, die neue

strategische Ausrichtung der Bank in die Tat umzusetzen. Aber allein schon

die Erarbeitung der Balanced Scorecard hat die Bank verändert. Das Klima

ist ein anderes geworden. Direktor und Controller, die Geschäftsführung

insgesamt, das gesamte Team ist enger zusammengewachsen. Das Wissen

um die gemeinsamen Ziele, die Einbeziehung aller in die Erarbeitung dieser

Ziele hat die persönliche Motivation erhöht. Und diese Veränderungen wir-

ken nach außen. Die Abwanderung der Kunden konnte gestoppt, mehr noch,

der Trend konnte umgekehrt werden.

So oder so ähnlich stellt sich die Situation in vielen Unternehmen dar. Fra-

gestellungen von strategischer Bedeutung drängen sich immer wieder auf,

nicht nur in kritischen Situationen eines Unternehmens. Strategien werden

häufig angedacht, jedoch im täglichen Stress nicht umgesetzt.

Fragen wie z.B.

Wie können wir in der Gründungsphase unseres Unternehmens den

Weg der ersten fünf Jahre konkret umreißen?

Wir haben uns nun am Markt behauptet; wie soll es jetzt weitergehen?

Finden wir Möglichkeiten, zu wachsen? Oder werden wir bei der jet-

zigen Größe bleiben und eventuell Mitarbeiter entlassen müssen?

Wenn der Firmengründer sich demnächst zur Ruhe setzt; wie soll es

danach weitergehen?

müssen mit strategischen Maßnahmen angegangen werden und dürfen

nicht im operativen Tagesgeschäft „hängenbleiben“!

Die Balanced Scorecard, ein aus den Vereinigten Staaten kommender Ansatz

zur strategischen Unternehmensführung, hilft, den richtigen Weg zu finden

und zu gehen! Dabei sind die Ansätze der Balanced Scorecard eigentlich

nichts Neues. Aber sie sind zum einen immer wieder aktuell. Und zum ande-

ren können sie in ihrer Verknüpfung ein Potential entfalten, das in dieser

Form noch keine Managementmethode geboten hat.

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Abbildung 1: Die Balanced Scorecard einer Regionalbank

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Einführung: Führung mit Kennzahlen – Ein Praxisbeispiel

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Wenn wir vor der Aufgabe stehen,

eine einprägsame, anspruchsvolle, präzise formulierte und motivie-

rende visionäre Zielstellung für die Gesamtorganisation unseres Un-

ternehmens zu finden,

die aus der Vision abzuleitende Strategie durch die Bestimmung von

Kennzahlen für alle Beteiligten eindeutig und fassbar zu gestalten,

wobei es darauf ankommt, die kritischen Erfolgsfaktoren des Unter-

nehmens und seiner Geschäftseinheiten nachvollziehen zu können,

die strategisch bedeutsamen Prozesse in allen Ebenen und für alle Per-

spektiven des Unternehmens so zu analysieren, dass die für die Er-

gebniserreichung maßgeblichen Frühindikatoren identifiziert und

durch geeignete Kennzahlen konkretisiert werden können,

die ausgewählten Kennzahlen in ihrem logischen Zusammenhang zu

verknüpfen und auf die strategischen Hauptziele zu fokussieren,

für alle Kennzahlen SOLL und IST sowie Maßnahmen und Verant-

wortlichkeiten zur Zielerreichung festzulegen und sie entsprechend in

den operativen Budgets zu verankern,

in einem Top-Down-System die strategische Orientierung der maß-

geblichen Unternehmensbereiche aus der Strategie der Gesamtorgani-

sation abzuleiten, wobei für die Bereichsstrategien die gleichen An-

forderungen bestehen, wie für das Gesamtunternehmen,

für alle Mitarbeiter des Unternehmens Zielvereinbarungen abzuschlie-

ßen, die für die Einzelnen nachvollziehbar mit den Kennzahlen der

Balanced Scorecard verbunden sind und ihnen auf diese Weise die

Strategie des Unternehmens als konkrete persönliche Aufgabenstel-

lung „übersetzen“,

das Informations-, Berichts- und Auswertungssystem des Unterneh-

mens so zu gestalten, dass alle für die ausgewählten Kennzahlen er-

forderlichen Daten mit ausreichendem Informationsgehalt zur Verfü-

gung stehen und es möglich wird, die Wirksamkeit der Frühindikato-

ren und der logischen Verknüpfungen zwischen den Kennzahlen zu

verifizieren und einen strategischen Lernprozess in Gang zu setzen,

dann ist die Balanced Scorecard das geeignete Hilfsinstrument, die geeignete

optimale Entscheidungshilfe.

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Einführung: Führung mit Kennzahlen – Ein Praxisbeispiel

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Denn diese Aufgabe löst man umso besser, je umfassender es gelingt, eine

breite, alle Ebenen und Mitarbeiter einschließende Kommunikation im Un-

ternehmen zu entfalten, eine Kommunikation über die Visionen und die da-

raus abgeleiteten Strategien, eine Kommunikation über die Verknüpfung von

Strategie und operativem Geschäft, eine Kommunikation über den Beitrag,

den jeder Mitarbeiter zur Umsetzung der strategischen Zielstellungen im

Alltag des Unternehmens leisten kann, eine Kommunikation, die lernfähig

hält, eine Kommunikation, die verhindert, dass die heute entwickelten Stra-

tegien morgen der Schnee von gestern sind!

Und das tiefere Potential der Balanced Scorecard liegt in ihrer Fähigkeit,

eben jenen Kommunikationsprozess zu befördern. Dabei dienen die Kenn-

zahlen als Katalysatoren, als Mittel zum Zweck. Als Mittel, komplexe Zu-

sammenhänge konkret und transparent und damit nachvollziehbar darzustel-

len. Als Mittel, zu motivieren. Und eine hochmotivierte Mannschaft, die

zielstrebig und kreativ eine gemeinsame Vision im Alltag realisiert, ist noch

immer oder immer mehr das wichtigste Kapital, das ein Unternehmen hat.

Wollen wir dieses Kapital erschließen? Dann sollten wir uns auf den Weg

begeben, die Balanced Scorecard zu verstehen.

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Die Balanced Scorecard, ein Führungsinstrument

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2 Die Balanced Scorecard, ein Führungsinstrument

Auf einen Blick:

Eine Balanced Scorecard fasst jene Informationen eines Unternehmens

zusammen, die für die strategische Entwicklung wirklich wichtig sind.

Das „balanced“ in der Scorecard bedeutet Ausgewogenheit in

dreifacher Hinsicht:

1. in der Darstellung des Unternehmens,

2. in der Einbeziehung aller wesentlichen Organisationseinheiten,

3. in der Kommunikation mit allen Mitarbeitern.

Mit der Balanced Scorecard werden folgende fünf Intentionen

verfolgt:

1. Komplexität des Betriebsgeschehens erfassen und

auf für alle Mitarbeiter transparente Teilaspekte reduzieren,

2. Visionen und daraus abgeleitete strategische Ziele meßbar machen,

3. Jedem Mitarbeiter diese strategischen Ziele nahebringen,

4. Strategien im Unternehmensalltag (=> Budget) verankern und

5. Strategien den sich ändernden Lebensumständen anpassen

Kehren wir zum Ausgangspunkt zurück. Unser Banker hatte sich entschie-

den, es mit der Balanced Scorecard zu versuchen. Und da galt es zunächst

einmal, zu ergründen, was eine Balanced Scorecard überhaupt ist, welche

Intentionen mit einer Balanced Scorecard verfolgt werden.

Also kam er mit der Frage zu uns:

Was ist, was will eine „Balanced Scorecard“?

Wir könnten diese Frage mit einem theoretischen Diskurs erläutern. Oder sie

mit der üblichen Übersetzung „Ausgewogenes Kennzahlensystem“ beant-

worten. Aber damit hätten wir dem Banker vielleicht nicht so recht gedient

bei seinen ersten Schritten. Da fiel uns eine Geschichte ein, ein Gleichnis,

das uns geholfen hat. Die Sache mit dem Stadion.

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Die Balanced Scorecard, ein Führungsinstrument

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2.1 Die Sache mit dem Stadion

Vor einiger Zeit erzählte uns ein Freund ganz begeistert von seinem Besuch

eines Meetings der besten Leichtathleten der Welt. Diese großartigen Leis-

tungen, die Rekorde, das gesamte Flair – es war einfach wunderbar!

Wie beiläufig kam dann jene Geschichte mit der Anzeigentafel: „In dem rie-

sigen Stadion saß ich auf meinem Platz und manchmal nahm das Geschehen

vor meinen Augen recht chaotische Züge an. Es passierte soviel Verschie-

denartiges. Und dann auf einmal riss der Faden. Ich wusste überhaupt nicht

mehr so richtig, was los war. In der rechten Stadionkurve brach plötzlich ein

Jubel los, es war unbeschreiblich. Die Leute tobten, sie sprangen von ihren

Plätzen – nur ich hatte überhaupt nicht mitbekommen, weshalb. Dann blen-

deten sie es auf der Stadionanzeigetafel ein – im Dreisprung war gerade ein

neuer Weltrekord erzielt worden. Von da an habe ich regelmäßig die Anzei-

getafel verfolgt. Da stand alles Wesentliche drauf."

Wir müssen oft an diese Geschichte denken, seit wir uns mit der Balanced

Scorecard befassen. Denn sie haben miteinander zu tun: Jene Anzeigetafel

im Stadion ist nichts anderes als eine Scorecard. Auf ihr werden die wesent-

lichen Informationen zum Geschehen dargestellt. Das ermöglicht, die Über-

sicht zu behalten. Eine Übersicht, die uns bei vielen komplexen und schein-

bar chaotischen Prozessen leicht verloren geht.

Mit dem Problem der Komplexität sind wir im Wirtschaftsleben tagtäglich

konfrontiert. Da erscheint die Idee verlockend, analog zur Stadiontafel eine

Unternehmens-Scorecard zur Verfügung zu haben, die es erleichtert, die

Übersicht zu behalten. Die es erleichtert, jene Informationen herauszufiltern

und vor Augen zu führen, die für die zukünftige Entwicklung unseres Unter-

nehmens wirklich wichtig sind. Die es erleichtert, unsere maßgeblichen un-

ternehmerischen Ziele in leicht verständlicher Weise allen Mitarbeitern nahe

zu bringen und sie für unseren Weg zu begeistern – ähnlich der Stadiontafel,

die unserem Freund erst ermöglichte, den Jubel über den Dreisprungweltre-

kord nachzuvollziehen.

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Die Balanced Scorecard, ein Führungsinstrument

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2.2 Auf das „Balanced“ kommt es an!

An dieser Stelle wollen wir die Geschichte mit dem Stadion beiseite legen.

Wir wissen nun, wozu eine Scorecard dient. Aber in einem Unternehmen

sollte es nicht nur darum gehen, wesentliche Informationen über die zukünf-

tige Entwicklung übersichtlich darzustellen. Ein Unternehmen hat so viele

Seiten. Wir können es aus ganz verschiedenen Perspektiven oder Sichten

betrachten. Da entsteht schnell die Gefahr, einseitig zu werden, bestimmte

Sichten auszublenden – oder in der Flut der Informationen unterzugehen.

Dieser Gefahr können wir am besten begegnen, wenn wir uns bemühen, eine

ausgewogene Übersicht über die maßgeblichen unternehmerischen Ziele zu

erstellen. Ausgewogen in dreifacher Hinsicht:

in der Darstellung des Unternehmens,

in der Einbeziehung aller wesentlichen Organisationseinheiten,

in der Kommunikation mit allen Mitarbeitern.

Das „Balanced“ steht für die Ausgewogenheit der Scorecard. Und steht da-

mit schon vom Namen her als Synonym für die zu lösende Aufgabe. Eine

Balanced Scorecard ist mehr als eine Zusammenstellung wesentlicher In-

formationen eines Unternehmens, mehr als ein sinnvolles System von Kenn-

zahlen, mehr als ein geeignetes Controlling-Instrument. Sie ist das alles zu-

sammen.

Sie ist vor allem ein Führungssystem!

Ein System, das es – wenn wir es richtig nutzen – erlaubt, unser Unterneh-

men mit Kennzahlen strategisch zu führen. Das es erlaubt, unsere Strategien

für alle Mitarbeiter verständlich zu machen und das daraus wachsende Feed-

back wieder in unsere Strategien einfließen zu lassen. Das es erlaubt, unsere

Strategien im Alltag zu verankern, weil diese Kennzahlen Bestandteil unse-

rer operativen Systeme werden können.

2.3 Fünf Intentionen der Balanced Scorecard

Den Begriff „Balanced Scorecard“ haben wir nun erklärt. Allerdings dürfte

unser Banker mit Goethes Faust ausrufen:

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Die Balanced Scorecard, ein Führungsinstrument

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„Da steh ich nun, ich armer Tor!

Und bin so klug als wie zuvor;“

(Goethe, Faust, Der Tragödie Erster Teil, Nacht)

Denn über den Zweck, den wir mit Hilfe einer Balanced Scorecard verfol-

gen, sagt das Wort allein nicht viel. Dennoch, einen ersten Ansatz können

wir aus dem Bestreben einer ausgewogenen Erfassung, Darstellung und

Kommunikation der wesentlichen Informationen über die zukünftige Ent-

wicklung unseres Unternehmens schon ableiten:

Der erste und wichtigste Schritt besteht offensichtlich darin, sich klar zu

werden, was das Wesentliche für die Entwicklung der näheren Zukunft ist.

Schon 1971 sagte Deyhle: „Erfolg haben kann nur die Unternehmung, die

weiß was sie will“1.

Wir benötigen also Vorstellungen über die Zukunft. Vorstellungen, was wir

darstellen wollen, wohin es gehen soll, damit wir die Wege bestimmen kön-

nen, auf denen wir unser Ziel erreichen.

Was wir darstellen wollen oder wie unser Unternehmen von anderen

gesehen werden soll, dies formulieren wir als Mission.

Was wir erreichen wollen – das ist unsere Vision.

Und die Wege dorthin fassen wir in die Strategien des Unternehmens.

Nun ist eine anspruchsvolle Vision durchaus motivierend und mag den be-

flügeln, der sie hat. Alle Teile eines Unternehmens erreicht sie nur, wenn aus

ihr heraus Strategien in einer Weise formuliert werden, die jedem Mitarbei-

ter verständlich machen, worauf es in den kommenden Jahren ankommt, wo-

rin auch sein persönlicher Anteil an der strategischen Zielerreichung besteht.

Die meisten, insbesondere die mittelständischen Unternehmen haben hier

großen Nachholbedarf. Wenn es überhaupt Visionen gibt, sind diese ledig-

lich in den Köpfen des Top-Managements verhaftet – und bleiben dort!

Kaum ein Mitarbeiter kennt die Unternehmensvision und die strategischen

Ansätze. Kaum ein Mitarbeiter kann demzufolge die Visionen in seinem Be-

reich umsetzen. Und selbst das Top-Management versteht unter derselben

strategischen Zielstellung im Konkreten oftmals ganz verschiedene Dinge.

1 Deyhle, A: Controller-Praxis: Führung durch Ziele, Planung und Kontrolle, Gauting 1971, Band 1, Seite 12

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Die Balanced Scorecard, ein Führungsinstrument

23

Deshalb genügt es nicht, einige gut formulierte strategische Statements zu

veröffentlichen, von Zeit zu Zeit Marktforschung zu betreiben und mehr

oder weniger umfassende Studien zur Vorbereitung von langfristigen Inves-

titionsprojekten zu erarbeiten. Diese Studien existieren in der Regel losgelöst

vom praktischen Unternehmensalltag und erfassen nicht die Komplexität der

betrieblichen Beziehungsgeflechte.

An eben dieser Stelle ist die Balanced Scorecard behilflich, wenn wir sie

dementsprechend als Instrument begreifen und nutzen. Die Intentionen der

Balanced Scorecard wollen wir in diesem Kontext in fünf Punkten zusam-

menfassen:

Komplexität des Betriebsgeschehens erfassen und auf für alle Mitar-

beiter transparente Teilaspekte reduzieren.

Visionen und daraus abgeleitete strategische Ziele Messbar machen.

Jedem Mitarbeiter diese strategischen Ziele nahebringen.

Strategien im Unternehmensalltag (=> Budget) verankern.

Strategien den sich ändernden Lebensumständen anpassen.

2.3.1 Komplexe Zusammenhänge zu verstehen erleichtert unser Handeln

Jedes Unternehmen stellt ein komplexes Gebilde dar. Im praktischen Leben

scheuen wir uns jedoch davor, dieser Tatsache Rechnung zu tragen. Wir füh-

ren unsere Unternehmen bislang fast ausschließlich aus der einseitigen Be-

trachtung finanzwirtschaftlicher Gegebenheiten.

Stellen wir einfach nur überschlägig die Menge der täglich erfassten und

ausgewerteten finanzwirtschaftlichen Daten der Menge jener Informationen

gegenüber, die wir aus anderen, strategisch vielleicht viel relevanteren Be-

reichen unseres Unternehmens und seiner Verflechtung mit der Umwelt ge-

winnen und regelmäßig nutzen. Allein dieser Vergleich demonstriert unsere

Einseitigkeit im praktischen Alltag. Und die Gefahr liegt nicht so sehr in der

Einseitigkeit der Kennzahlen. Sie liegt in der Einseitigkeit unseres Denkens

und in der daraus erwachsenden Verschwendung von Führungspotential.

„Um das Unternehmensschiff auf Dauer in der richtigen Fahrtrichtung zu

halten, gilt es aber, den Messfühler nicht nur am finanziellen Output anzu-

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Die Balanced Scorecard, ein Führungsinstrument

24

setzen, sondern auch dort, wo die Ursachen für den monetären Erfolg liegen,

also bei Mitarbeitern, bei den Kunden sowie in der Aufbau- und Ablaufor-

ganisation des Unternehmens“ 2.

Güterbewegungen

Finanzbewegungen

Beschaf-

fungs-

markt Bestände

Personal

Anlagever-

mögen

Werkstoff-

Lager

liquidie

Mittel

Faktoren

dispositiver

Faktor

Elementar-

Faktoren

Bestände

Prozeß der

betrieblichen

Leistungs-

erstellung

unfertige

Erzeugnisse

fertige

Erzeugnisse

Absatz-

markt

Finanzbereich

EinlagenEntnahmen/

GewinneKredite Tilgung/ Zinsen

Eigenkapital Fremdkapital

Geld- und Kapitalmarkt

Steuern

Gebühren

Beiträge

Zuschüsse

Subventionen

Staat

Arbeits-

kräfte

Betriebs-

mittel

Werkstoffe

Betriebe

Haushalte

Abbildung 2: Die Güter- und Finanzbewegungen des Betriebes

3

Eigentlich ist die Notwendigkeit des komplexen betriebswirtschaftlichen

Denkens und eines dementsprechenden Führungsstils weder etwas Neues

noch in irgendeiner Weise ungewöhnlich. Bereits in den ersten Vorlesungs-

stunden der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre wird seit vielen Jahren

jeder Student vertraut gemacht mit den Güter- und Finanzströmen eines Un-

ternehmens.

2 R. Lückmann; Handelsblatt, 13.4.1999, S. 16

3 entnommen aus Wöhe, Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Verlag Vahlen, 19. Aufla-

ge, S. 11

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Die Balanced Scorecard, ein Führungsinstrument

25

Abb. 2 verdeutlicht recht anschaulich die komplexe Einbindung eines Unter-

nehmens in Wechselwirkung mit dem Prozess der betrieblichen Leistungser-

stellung. Jede der dargestellten Beziehungen ist mit vielfältigen Kommuni-

kationsvorgängen verbunden. Deren aktive Nutzung kann in der heutigen

Zeit globaler, nachfragedominierter Märkte entscheidend beitragen zum

wirtschaftlichen Erfolg oder Misserfolg eines jeden Unternehmens.

Nehmen wir als Beispiel die Beziehungen zu unseren Kunden. Es gilt inzwi-

schen als allgemein anerkannt, dass das wichtigste Vermögen eines Unter-

nehmens in seinen Beziehungen zu bestehenden Kunden und Interessenten

zu suchen ist: „Es ist wichtiger, ein Marktbesitzer als ein Fabrikbesitzer zu

sein.“ So weit, so gut.

Aber wissen wir wirklich, was Kunden kaufen? Die meisten von uns mei-

nen, dass wir Produkte und Dienstleistungen verkaufen. Tun wir auch. Nur,

„unsere Kunden kaufen eigentlich die Vorzüge, die sie durch den Gebrauch

unserer Produkte und Dienstleistungen erhalten“ 4. Was wissen wir über die

Vorzüge, die den Kunden tatsächlich einen für sie spürbaren Nutzen brin-

gen?

Und wissen wir auf der anderen Seite, was Kunden wert sind? Im Harvard

Management Update (siehe März 1999, S. 1) wurde hierzu ein Analysetool

mit folgenden fünf Komponenten vorgeschlagen:

1. Was hat die Anwerbung des Kunden gekostet?

2. Welchen Gewinn je Periode hatten wir anfangs von diesem Kunden

erwartet?

3. Welcher Umsatz- und Gewinnzuwachs konnte durch eine verstärkte

Kundenbindung erreicht werden?

4. Welchen gestaffelten Deckungsbeitrag erwirtschaften wir mit dem

Kunden gegenwärtig?

5. Wie wichtig ist der Kunde im Hinblick auf Weiterempfehlungen?

Haben wir ein derartiges oder ähnliches Analysetool schon einmal genutzt?

In welchen anderen Bereichen unseres Unternehmens werden wir mit analo-

gen Problemen konfrontiert?

Wir wollen das an dieser Stelle nicht weiter vertiefen. Bleiben aber sollen

die Fragen:

4 Harvard Management Update, Dezember 1998, S. 5

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Die Balanced Scorecard, ein Führungsinstrument

26

Erfassen wir wirklich die für uns wichtigen Informationen?

Ist der immense Aufwand, den wir für unsere Informationssysteme treiben,

auch auf die strategisch bedeutsamen Prozesse ausgerichtet?

Zweifel sind an dieser Stelle wohl angebracht. Dazu genügt ein Blick auf die

Kontenvielfalt im Rechnungswesen und die übrigen im Berichtswesen ge-

führten Informationen. Dort dominiert die einseitige Orientierung auf die

traditionellen finanzwirtschaftlichen Kennzahlen und deren Basisdaten. Aus

diesem Dilemma können wir uns nur befreien, wenn wir die wesentlichen

Informationen über die zukünftige Entwicklung unseres Unternehmens

komplex und ausgewogen erfassen, darstellen und kommunizieren.

Nun erfreut sich das komplexe Denken in den letzten Jahrzehnten trotz aller

noch bestehender Einseitigkeiten doch einer wachsenden Aufmerksamkeit

im betriebswirtschaftlichen Bewusstsein und hat mit Managementmethoden

wie Total Quality und Reengineering auch in den praktischen Betriebsalltag

Einzug gefunden.

Eine Umfrage unter den deutschen Top 500 Unternehmen

zeigt, dass ein Großteil dieser Firmen Zielsetzungen verfol-

gen, „die über rein finanzielle Ziele wie Profitabilität (87%)

und Wachstum (81%) hinausgehen. Insbesondere wird auf

Kundenzufriedenheit (87%) und Firmenwissen (62%) Wert

gelegt“. Zugleich sehen diese Unternehmen erhebliche Ver-

besserungspotentiale in der „nicht ausreichenden Abbildung

der Strategie in den operativen Steuerungsgrößen (53%), der

zu geringen Zukunftsorientierung (38%) und der unzurei-

chenden Berücksichtigung von Kundendaten (38%)“. Die

Autoren kommen zum Schluss, dass auch die Top-

Unternehmen ein „ausgewogenes Verhältnis von finanziellen

und nichtfinanziellen Steuerungsgrößen“ benötigen.

Die Balanced Scorecard knüpft daran an. Sie führt diese Trends konsequent

weiter. Deshalb ist – wenn Mission und Vision für die Zukunft des Unter-

nehmens gefunden wurden – unsere erste Überlegung darauf gerichtet, alle,

also auch jene nichtfinanziellen Perspektiven (oder Betrachtungsebenen oder

Sichten) herauszufinden, die für die aus der Mission/Vision abgeleiteten

strategischen Orientierungen wichtig sind.

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Die Balanced Scorecard, ein Führungsinstrument

27

Unternehmen sollte man daher aus verschiedenen Perspektiven betrachten.

Und der Perspektiven gibt es viele. Das liegt wohl daran, dass es so viele

und so verschiedenartige Kommunikationsbeziehungen gibt. Und die Bedeu-

tung der verschiedenen Perspektiven (Sichten) ist für jedes Unternehmen

unterschiedlich, weil jedes Unternehmen anders ist. Aber einige Gemein-

samkeiten lassen sich dennoch finden. Für alle Unternehmenstypen, ob mitt-

leres oder großes Unternehmen, Non-Profit-Organisation oder Verwaltungs-

institution, gilt beispielsweise,

dass Strategien nach außen und nach innen wirken, es daher externe

und interne Sichtweisen geben sollte,

dass Strategien stärker humanorientiert (kunden- und Mitarbeiterori-

entiert) oder eher prozessorientiert sein können, wir dementsprechend

auch humanorientierte und Prozessorientierte Sichten brauchen,

dass es immer Kunden5 gibt, die Vorzüge aus dem Gebrauch unserer

Produkte und Dienstleistungen erwarten, wir also immer die Sicht un-

serer Kunden zu beachten haben,

dass Strategien durch unsere Mitarbeiter gelebt werden müssen, wenn

sie im praktischen Betriebsalltag durchgesetzt werden sollen, die Sicht

unserer Mitarbeiter daher strategische Bedeutung hat und

dass unsere Leistungen in einem effizienten Verhältnis zu den Kosten

stehen sollten, die wir für die Arbeit unserer Organisation decken

müssen und demzufolge eine entsprechende Betriebsprozessperspek-

tive benötigt wird.

Die Schöpfer der Balanced Scorecard, Robert S. Kaplan und David P. Nor-

ton, haben vier grundlegende Perspektiven vorgeschlagen 6:

die Finanzperspektive

die Kundenperspektive

die interne Geschäftsprozessperspektive

die Lern- und Entwicklungsperspektive

5 „Ein Kunde kann jemand sein, in dessen 'Eingangsfach' Sie Ihre 'Ausgänge' legen -

und beinahe jeder, dem Sie ein Produkt, einen Service oder eine Information zur Verfügung stellen“

(Harvard Management Update, Februar 1999, S. 2). 6 vgl. Robert S. Kaplan, David P. Norton, Balanced Scorecard, Stuttgart 1997, S. 8f

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Die Balanced Scorecard, ein Führungsinstrument

28

Diese Einteilung ist zunächst sicher zweckmäßig, wird aber

auch von Kaplan/Norton nicht als Zwangsjacke gesehen. In

unserer praktischen Arbeit wurden wir mit einer Reihe weite-

rer Perspektiven konfrontiert, die bei der Umsetzung ganz

spezifischer Unternehmensstrategien wesentlich waren. Dazu

zählen z.B.

die Lieferantenperspektive

die Kreditgeberperspektive

die öffentliche Perspektive (Bund, Land, Kommunen)

die Kommunikationsperspektive

die Einführungsperspektive

die Organisationsperspektive.

Außerdem stellten wir fest, dass die Geschäftsprozessperspektive oftmals

nicht nur eine interne Sicht darstellt und wir daher diese Perspektive sowohl

extern wie intern einstufen. Und die Lern- und Entwicklungsperspektive

sollte zweckmäßigerweise als Mitarbeiterperspektive verstanden werden.

Auch Informationssysteme dienen vor allem der Erweiterung von Know-

how und Befähigung der Mitarbeiter.

So lässt sich das Schema in Abb. 3 für die möglichen Perspektiven darstel-

len, die bei der Umsetzung einer Mission/Vision beachtet werden sollten.

Das Schema aus Abb. 3 erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, gilt

nicht für jedes Unternehmen. Es sollte auch nicht das Bestreben nach Voll-

ständigkeit im Vordergrund stehen. Für unser Unternehmen müssen wir jene

Sichtweisen suchen, die für die Umsetzung unserer Mission/Vision und ihrer

Strategien bedeutsam sind. Das mögen drei, fünf oder acht sein. Und sie

mögen im Verlauf der Jahre wechseln, weil die Umstände wechseln, unter

denen wir wirtschaften. Wichtig ist nur, dass wir die für unsere Missi-

on/Vision und Strategien und die spezifischen Bedingungen unseres Wirt-

schaftens jeweils wesentlichen Sichtweisen herausfiltern.

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Die Balanced Scorecard, ein Führungsinstrument

29

externe

Sicht

interne

SichtVision und

Strategien

Mitarbeiterperspektive

(Sicht Lernen und Entwicklung,

Informationssystem)

Finanzperspektive

(Sicht der Anteilseigner)

Kundenperspektive

(Sicht der Kunden)

Geschäftsprozessperspektive

(Sicht Innovation, Leistungserstellung

und Kundendienst)

Lieferanten-

perspektive

öffentliche

Perspektive

(Land, Kommune)

Kreditgeber-

perspektive

Kommunikations-

perspektive

Organisations-

perspektive

human-

orientierte

Sicht

prozess-

orientierte

Sicht

Einführungs-

perspektive

(Implementierung

von Tools u.ä.)

Abbildung 3: Mögliche Perspektiven auf ein Unternehmen: die Balanced Scorecard

Dieses Herangehen ermöglicht zweierlei:

Zum einen orientieren wir uns auf die ganze Komplexität der betrieb-

lichen Leistungserstellung,

zum anderen konzentrieren wir uns auf die wesentlichen Faktoren die-

ser Komplexität und reduzieren sie auf diese Aspekte.

Das mag auf den ersten Blick widersprüchlich klingen. Ist es in gewisser

Weise auch. Denn wir zerlegen die Komplexität der betrieblichen Leistungs-

erstellung ja nicht wirklich. Wir zerlegen sie nur in unserem Kopf, in unse-

rem Denken. Aber während die einseitige Bevorzugung finanzwirtschaftli-

cher Informationen viele wichtige Bereiche unserer Unternehmen einfach

ausblendet und uns damit Führungspotentiale entzieht, wird hier die Ganz-

heitlichkeit zum Ausgangspunkt aller Betrachtungen. Und sie bleibt zugleich

beherrschbar durch das gedankliche Zuordnen der zu lösenden Probleme auf

verschiedene Perspektiven oder Sichtweisen.

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Die Balanced Scorecard, ein Führungsinstrument

30

2.3.2 Strategische Ziele messbar machen

Hier kommen wir zum ersten „Knackpunkt“ der Balanced Scorecard. Die

wichtigen strategischen Führungspotentiale haben wir definiert. Wir haben

die verschiedenen Perspektiven des betrieblichen Leistungsprozesses be-

leuchtet und uns auf das Wesentliche konzentriert.

Allein, wir können viele Strategien als wichtig deklarieren. Es bleibt reine

Deklaration, solange wir nicht anfangen, diese für unser Unternehmen wich-

tigen Inhalte auch zu messen! Auch das ist an sich nichts Neues. In allen Un-

ternehmen wird gemessen, werden Vorgaben gemacht, wird die Zielerrei-

chung überwacht. Auf der Basis dieses Management by objectives wird ge-

führt – aber üblicherweise nur im operativen Bereich.

Im strategischen Bereich sind wir „bescheidener“, insbesondere, wenn es

neben finanziellen auch andere Aspekte zu berücksichtigen gilt. Da ziehen

wir uns auf den Einwand zurück, dass man nicht alles messen kann.

Der Einwand ist richtig, aber nur für den Augenblick. Bisher haben die

Menschen noch immer Methoden gefunden, Prozesse zu messen, wenn sie

eine praktische Bedeutung erlangten. Schon die alten Griechen wussten:

„Auf das Maß der Dinge kommt es an!“ Dieser Aesculap, dem Sohn des

Gottes Apollon und der schönen Koronis aus Thessalien zugeschriebene

Satz 7 bestimmt das Denken der Menschen seit Jahrtausenden.

Als es praktisch bedeutsam wurde, Gewichte zu bestimmen – weil es für

den Tauschhandel unabdingbar war – wurde die Waage erfunden, nach

bisherigen Kenntnissen etwa um 2500 vor Christi in Ägypten.

Als es wichtig wurde, Temperaturen zu messen, wurde das Thermometer

erfunden; die Erfindung wird Galileo Galilei Anfang des 17. Jahrhun-

derts zugeschrieben.

Als es wesentlich wurde, die Geschwindigkeit von Maschinen zu mes-

sen, um sie besser regeln zu können, wurde durch James Watt 1788 der

Tachometer erfunden.

Als es wichtig wurde, die elektrische Leistung zu messen, wurde aus den

Forschungsergebnissen von André Marie Ampère das Galvanometer

entwickelt. 7 Er geht darauf zurück, dass Stoffe wie z.B. das Gift einer Schlange das dem Aesculap (oder nach der

griechischen Schreibweise Asklepios) heilige Tier in kleinen Dosierungen durchaus heilsame Wirkung

entfalten, in großen Mengen aber tödlich sein können. Paracelsus, eigentlich Philippus Aureolus Theoph-

rastus Bombast von Hohenheim, deutscher Arzt und Chemiker (1493-1541), hat ihn bei seiner Suche nach

chemischen Substanzen zur Bekämpfung von Krankheiten zur Maxime der modernen Medizin und Phar-

mazie erhoben.

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Die Balanced Scorecard, ein Führungsinstrument

31

Die Aufzählung lässt sich beliebig fortsetzen. Allen Erfindungen gemeinsam

ist, dass vor ihnen undenkbar schien, die betreffenden Prozesse zu messen.

Heute gehören entsprechende Messinstrumente zum Alltag und wir nutzen

sie so selbstverständlich, als wären sie die natürlichsten Dinge der Welt.

Eine weitere Gemeinsamkeit liegt in der Tatsache, dass wir niemals die Pro-

zesse selber messen, sondern uns Eigenschaften der Prozesse zu Nutze ma-

chen, um sie zu messen.

Bei der Waage wird die Schwerkraft genutzt, die die Erde auf eine be-

stimmte Last ausübt. Dabei erfolgt die Messung durch Vergleich mit an-

deren – genormten – Lasten bzw. durch die geeichte Veränderung der

Dehnung einer Feder oder des elektrischen Widerstandes eines Drahtes

durch die zu messende Last.

Beim Thermometer wird die Eigenschaft von Stoffen ausgenutzt, ihre

Ausdehnung oder ihren elektrischen Widerstand oder ihre Farbe tempe-

raturabhängig zu verändern.

Beim Tachometer nutzt man die drehzahlabhängige Zentrifugalkraft von

Pendelgewichten, die Wirkung des Drehmoments auf die Spannung einer

Spiralfeder oder die Frequenz einer Wechselspannung, die durch eine

mit dem Getriebe verbundenen Impulsscheibe erzeugt wird.

Beim Galvanometer wird die Wechselwirkung zwischen einem Magnet-

feld und einem stromdurchflossenen Leiter genutzt.

Und eine dritte Gemeinsamkeit aller Messverfahren besteht schließlich da-

rin, dass erst die Messung ermöglichte, die betreffenden Prozesse zu regulie-

ren, zu steuern. Zunächst nur grob, nur annähernd genau, weil die Messun-

gen nur annähernd genau waren. Mit der Zeit – und zumeist angeregt durch

Erfordernisse der praktischen Anwendung – wurden die Messmethoden im-

mer weiter verfeinert, die Messungen immer genauer und damit die Steue-

rungsmethoden immer genauer. Und diese Entwicklung setzt sich fort.

Denken wir nur an einige wenige Dinge, die noch am Anfang dieses Jahr-

hunderts wie reine Utopie erschienen:

Wir können heute kleine Dimensionen im Bereich von millionstel Mil-

limeter (Nanometer) messen. Auf dieser Grundlage beginnt sich ein neu-

er technologischer Zweig zu entwickeln – die Nanotechnologie 8.

8 Das Ziel besteht darin, Werkstoffeigenschaften nicht nur über ihre chemische Zusammensetzung, sondern

auch über die Größe ihrer Bausteine zu steuern. Bekannte Anwendungen sind z.B. Farbstoffpigmente mit

optimierter Deckkraft (wird bei Durchmessern von ca. 200 Nanometern erreicht) oder die Bausteine der

Firma Lego der spröde Kunststoff wird durch Zumischung kleinster Kautschukteilchen (Ø um 150 Nano-

meter) stark belastbar. Noch kleinere Teilchen (kleiner 10 Nanometer) werden in Sonnenschutzcremes

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Die Balanced Scorecard, ein Führungsinstrument

32

Wir können Hochgeschwindigkeitsprozesse im Bereich von milliardstel

Sekunden (Nanosekunden) messen und somit die Steuerung von Explo-

sionsvorgängen z.B. in Verbrennungsmotoren optimieren.

Wir können die Reinheit von Gasen mit einer Genauigkeit von

99,99999% messen. Damit ist es uns z.B. möglich, sogenannte

Dotiergase zu erzeugen, mit denen wir gezielte Störstellen im Kristallgit-

ter hochreiner Siliziumscheiben herbeiführen – eine wesentliche Grund-

lage zur Herstellung von Prozessoren für Computer.

Alle diese Aussagen gelten uneingeschränkt auch für wirtschaftliche Prozes-

se. Legen wir also den Satz beiseite, dass man nicht alles messen kann.

Überlegen wir, welche Prozesse für die Zukunftssicherung unseres Unter-

nehmens wirklich wichtig sind und welche Eigenschaften dieser Prozesse

wir uns zunutze machen können, um sie zu messen.

Die Wirtschaftswissenschaften haben dazu eine Vielzahl von Methoden

entwickelt. Traditionell konzentrieren sie sich auf die Kalkulation von Prei-

sen, die Ermittlung und Zuordnung von Kosten und die Bestimmung fi-

nanzwirtschaftlicher Parameter.

Andere, nichtmonetäre Größen sind erst in den letzten Jahren stärker in das

wirtschaftliche Bewusstsein gerückt. Das liegt zum einen an der grundle-

genden Veränderung der Rahmenbedingungen für wirtschaftliche Tätigkei-

ten, die man allgemein als den Wechsel von der nachfrageorientierten zur

angebotsorientierten Marktwirtschaft beschreibt. Zum anderen verschafft

sich in wachsendem Maße die Erkenntnis Raum, dass unter diesen Bedin-

gungen langfristig der Erfolg einer Unternehmensführung entscheidend da-

von abhängt, inwieweit das Management sein Unternehmen „nicht nur als

Cash-cow, sondern auch als ein sozio-technisches System betrachtet" 9.

Beide Faktoren führen zu einem starken Bedürfnis, nach praktischen Mög-

lichkeiten zu suchen, wie sich die nichtmonetären Prozesse in den Unter-

nehmen besser erfassen und steuern lassen.

Nehmen wir z.B. die Kundenzufriedenheit. Vor dreißig Jahren spielte diese

Größe im betriebswirtschaftlichen Denken keine oder eine nur beiläufige

Rolle. Inzwischen hat man erkannt, dass der Kundenzufriedenheit eine maß-

gebliche Rolle für den Erfolg eines Unternehmens beizumessen ist. Folge-

richtig wurden verschiedene Methoden entwickelt, die Kundenzufriedenheit

zu messen.

verwendet. Sie verleihen der Emulsion den UV-Schutz, sind aber zugleich aufgrund ihres geringen Durch-

messers nahezu „unsichtbar“ (Handelsblatt, 21.4.1999, S. 66).

9 Handelsblatt, 13.4.1999, S. 16

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Die Balanced Scorecard, ein Führungsinstrument

33

Weitere Überlegungen haben die Erkenntnis befördert, dass es in letzter

Konsequenz nicht um Kundenzufriedenheit an sich geht, sondern um die

Entscheidung unserer Kunden, die von uns angebotenen Produkte bzw. Leis-

tungen auch weiterhin zu kaufen. Also wurden Untersuchungen angestellt,

um den Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Entscheidung

zum Wiederkauf zu ermitteln. Eine branchenübergreifende Studie führte zu

dem Ergebnis, „dass zwischen 65% und 85% der Kunden, die sich einen

neuen Anbieter suchten, nach eigenen Angaben mit dem alten Anbieter zu-

frieden oder sehr zufrieden waren“ 10

.

Es geht also um mehr als nur um Kundenzufriedenheit. Es geht um Kunden-

bindung, die wir erreichen müssen. Sie setzt Kundenzufriedenheit voraus,

verlangt aber darüber hinaus die Beachtung weiterer Indikatoren. Zu diesem

Zweck wurden die Kennzahlen „Kundenanteil“ und „Kundenopfer“ entwi-

ckelt. Allerdings halten wir den Begriff „Kundenopfer“ für nicht sehr glück-

lich gewählt. Vielleicht wäre es besser, vom „Idealwunsch-Deckungsgrad“

zu sprechen.

Der Kundenanteil misst den Anteil am Gesamtgeschäft des Kunden, den

wir haben.

Das Kundenopfer misst das, was unser Kunde aufgeben muss, um mit

uns Geschäfte zu machen. Es ist die Kluft zwischen dem, was er sich im

Idealfall wünscht und dem, was wir derzeit anbieten können 11

. Wenn

wir denselben Tatbestand als Idealwunsch-Deckungsgrad messen, keh-

ren wir die Relation um. Wir bestimmen, inwieweit wir den Idealvorstel-

lungen unseres Kunden mit unserem Angebot nahekommen.

Ob wir damit zielgenauer auf die Wiederkaufentschei-

dung unserer Kunden einwirken können, wird sich prak-

tisch erweisen. Wichtig erscheint uns hier die Erkennt-

nis, dass mit der wachsenden Überzeugung von der Be-

deutung unserer Kundenbeziehungen auch Schritt für

Schritt Methoden entwickelt wurden, diese Beziehungen

zu messen.

Daran knüpft die Balanced Scorecard an. Wenn wir im ersten Schritt die

Perspektiven ausgewählt haben, die wir für die Umsetzung unserer Mission

und Vision in Strategien für wichtig halten, geht es im zweiten Schritt um

die Bestimmung jener Prozesse, die für diese Umsetzung aus den jeweiligen

Perspektiven entscheidend sind. Und haben wir diese Prozesse identifiziert,

dann müssen wir nach den geeigneten Kennzahlen und Messmethoden su-

10

Harvard Management Update, März 1999, S. 1 11

vgl. ebenda, S. 2

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Die Balanced Scorecard, ein Führungsinstrument

34

chen. Denn wir wollen sie beeinflussen, sie steuern – um unsere strategi-

schen Ziele zu erreichen.

2.3.3 Strategische Ziele kommunizieren

Nachdem unser Banker und sein Controller gemeinsam mit der erweiterten

Geschäftsführung die Perspektiven ausgewählt hatten, die sie für die Umset-

zung ihrer Mission/Vision und der daraus abgeleiteten Strategien für wesent-

lich hielten, nachdem sie die dabei maßgeblichen Prozesse identifiziert und

für deren Messung geeignet erscheinende Kennzahlen definiert hatten, muss-

ten sie sich der Frage stellen:

Wer soll es denn machen?

Eine Strategie lebt nicht von der Schönheit der Worte. Unbestreitbar sind

„griffige“ Formulierungen nützlich. Aber entscheidend ist die Kommunika-

tion zu all jenen Personen, die unsere Gedanken, unsere Visionen und Stra-

tegien umsetzen müssen. Und das sind in erster Linie die Mitarbeiter.

Damit sind wir bei dem Herzstück der Balanced Scorecard angelangt. Es

geht um Kommunikation.

Das ist keine neue Erkenntnis. Schon vor 30 Jahren wurde die Kommunika-

tion in das Zentrum der Betriebsführung gesetzt (s. Abb. 4).

Und dennoch wird die Kommunikation im Unternehmensalltag fast überall

sträflich vernachlässigt. Wir führen mit Instruktionen, wir erwarten Berichte,

wir geben Kennzahlen vor und lassen Soll/Ist-Abweichungen reportieren.

Wir erfassen und verarbeiten Tausende von Daten und der Trend, dabei aus-

schließlich Maschinen einzusetzen, ist groß. Nach einer bereits angeführten

Studie verfügen 40% der deutschen Top 500 Unternehmen über eine weit-

gehend automatisierte Datenerhebung und -bereitstellung. 70% der Befra-

gungsteilnehmer setzen integrierte Standardsoftware ein 12

. Wir arbeiten mit

Managementinformations- und Expertensystemen, die einem Top-Manager

erlauben, nach hierarchischen Gliederungen sich jedes Detail der erfassten

Daten anzuschauen, ohne auch nur mit einem einzigen Mitarbeiter kommu-

nizieren zu müssen.

12

Haarmann, Hemmelrath & Partner, Mandanteninformation 3/99, S. 33ff.

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Die Balanced Scorecard, ein Führungsinstrument

35

Planen Kontrollieren

Ziele setzen

Entscheiden Realisieren

Kommunikation

Abbildung 4: Management-Kreis

13

Wir kommunizieren zu wenig!

1. Dieser Trend ist durch zwei sich gegenseitig verstärkende Faktoren

befördert worden:

Die elektronische Datenverarbeitung hat uns Möglichkeiten in die

Hand gegeben, von denen wir früher keinerlei Vorstellungen hatten.

Wir können unglaublich viele Informationen gleichzeitig erfassen und

verarbeiten. Das erlaubt uns, in einer völlig neuen Weise Prozesse um-

fassend darzustellen und zu steuern. Demzufolge wurden die Datenve-

rarbeitungssysteme immer weiter ausgebaut. Und der Trend ist unge-

brochen.

Mit der elektronischen Datenverarbeitung hat sich eine Gruppe von

Spezialisten herausgebildet, die diese Technik entwickelt haben und

beherrschen. Ihre Sicht ist dementsprechend vor allem technisch ge-

prägt. Sie denken in Kategorien der Informatik, der Heuristik, der Ky-

bernetik. Zwischenmenschliche Kommunikation kommt dabei nicht

vor. Zwischenmenschliche Kommunikation ist kein maschinentechni-

scher Begriff.

Zugleich ähnelt die Position dieser Spezialisten in vielen Unterneh-

men der eines Monopolisten. Je komplizierter, umfassender und au-

tomatischer die von ihnen verwalteten Systeme aufgebaut sind, umso

größer ist ihre Ausnahmestellung – und damit einhergehend ihre

Macht im Unternehmen.

13

nach Management für alle Führungskräfte in Wirtschaft und Verwaltung, Bd. I, Stuttgart 1972, S. 43f.

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Die Balanced Scorecard, ein Führungsinstrument

36

2. Viele, vielleicht die überwiegende Zahl der Unternehmen sind „miss-

trauensbasierte Organisationen". Das Management geht davon aus,

dass seine Mitarbeiter kontrolliert werden müssen. Der Taylorismus

ist auch zu Beginn des 21. Jahrhundert tief im traditionellen Denken

verwurzelt. Und seine Devise lautet „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist

besser!“. Da fügt es sich gut, wenn man jedem Mitarbeiter auf die

Finger schauen kann. Und je detaillierter, je umfassender ein Informa-

tionssystem gerade das ermöglicht, umso besser können wir dieser

Devise folgen.

Aber gerade dabei unterliegen wir einer schwerwiegenden Illusion.

Zum einen müssen selbst bei den hochautomatisierten Systemen eine Viel-

zahl von Basisdaten – und oftmals gerade die sensiblen Daten – von Men-

schen erfasst und eingegeben werden:

Nehmen wir nur das leidige Thema der Umlagen – nach welchem

Schlüssel werden die nicht direkt zurechenbaren Kosten umgelegt?

Oder das Thema Manipulation der Periodenabgrenzung – kann ich even-

tuell einen Lieferanten dazu „bewegen“, eine Rechnung je nach Bedarf

schon am 31. Dezember eines Jahres oder erst am 1. Januar des Folge-

jahres abzusenden?

Oder das Thema Personalkostenaufteilung auf verschiedene Projekte und

Kostenstellen.

Es gibt viele Probleme in einem Unternehmen, die nicht automatisch erfasst

werden können.

Wenn Daten von Menschen erfasst und eingegeben werden,

sind sie manipulierbar. Ob bewusst oder unbewusst, das sei

hier dahingestellt. Druck erzeugt Gegendruck. Und all zu

starke Kontrolle macht erfinderisch.

Zum anderen schließen sich Misstrauen und Entwicklung einer innovativen

Unternehmenskultur praktisch aus. Misstrauen erzeugt Lethargie und das

Bestreben, nicht aufzufallen. Kreativität wird gefährlich, denn wer kreativ

ist, macht auch Fehler. Und kreative Naturen bringen Unruhe in eine geord-

nete Organisation.

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Die Balanced Scorecard, ein Führungsinstrument

37

Nur, Innovation ist heute mehr denn je der Garant unserer Zukunft. Ohne

Innovation wird kein Unternehmen auf die Dauer überleben können. Dabei

ist hier Innovation nicht eingeschränkt auf die Entwicklung neuer Produkte

oder neuer Technologien zu verstehen. Innovation bedeutet in erster Linie

die frühzeitige Identifikation von Kundenwünschen und deren Umsetzung in

geeignete Leistungsangebote. Insofern ist Innovation die erste Aufgabe jedes

Unternehmens und jedes Mitarbeiters eines Unternehmens.

Wenn wir uns von diesen Aspekten leiten lassen, ergeben sich weitere Fra-

gen:

Muss denn ein Managementinformationssystem den Blick in jedes Detail

ermöglichen?

Brauchen wir diese Vielzahl von Kennziffern?

Haben wir uns nicht eine Flut von Informationen organisiert, in der wir

manchmal unterzugehen drohen?

Und haben wir über all dem nicht etwas viel Wichtigeres aus den Augen

verloren, nämlich die Qualifikation und Befähigung unserer Mitarbeiter,

ihre Information über und Beteiligung an allen wesentlichen Prozessen

im Unternehmen, ihre Bedürfnisse und Befindlichkeiten und die aus all

dem erwachsende Motivation?

Damit sind wir wieder beim Thema Ausgewogenheit. Mit der Balanced Sco-

recard wurde eine Methode entwickelt, bereits an der Ausarbeitung der Stra-

tegien all jene zu beteiligen, die sie im praktischen Unternehmensalltag um-

setzen müssen. Wenn wir – aus welchen Gründen auch immer – diesem As-

pekt zu wenig Aufmerksamkeit beimessen, verschenken wir ein wichtiges,

wenn nicht gar das wesentliche Potential, das uns die Balanced Scorecard

bietet.

Die Balanced Scorecard verbessert unsere Möglichkeiten, Strategien im Un-

ternehmen bekannt zu machen. Durch die Auflösung der wirtschaftlichen

Komplexität mit Hilfe geeigneter Perspektiven und die Auswahl einiger we-

sentlicher Kennzahlen zur Messung der strategisch entscheidenden Prozesse

haben wir die Möglichkeit, unseren Mitarbeitern die strategischen Ziele des

Unternehmens konkret, transparent und verständlich zu erläutern.

Wir haben aber zugleich auch die Chance, unsere Führung auf diese wesent-

lichen Kennzahlen zu konzentrieren. Das setzt voraus, dass wir unseren Mit-

arbeitern Vertrauen entgegenbringen. Vertrauen darauf, dass sie im Rahmen

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Die Balanced Scorecard, ein Führungsinstrument

38

der mit den strategischen Kennzahlen abgesteckten Ziele und Hauptwege

eigenständig ihre Arbeit organisieren.

Wir können das noch dadurch befördern, dass unsere strategischen Unter-

nehmenseinheiten, aber ebenso größere Bereiche und Abteilungen ihre eige-

nen Scorecards entwickeln. Eigene Scorecards, die abgeleitet werden aus

den Orientierungen der Balanced Scorecard für das gesamte Unternehmen.

Und schließlich sollten Zielvereinbarungen mit jedem Mitarbeiter aus den

Balanced Scorecards ihrer jeweiligen Abteilungen, Bereiche oder Geschäfts-

einheiten abgeleitet werden.

Auf diese Weise entsteht ein dezentralisiertes, aber aufeinander abgestimm-

tes Geflecht von Balanced Scorecards. Verantwortung wird an den Stellen

konzentriert, an denen die zu verantwortenden Prozesse auch stattfinden.

Damit wird das Unternehmen flexibler. Innovatives Denken wird schon bei

der Ausarbeitung der Strategien gefordert und damit gefördert. Vertrauen –

und damit verbunden Motivation kreativen Verhaltens – verdrängt allmäh-

lich das Misstrauen. Die Unternehmenskultur wird verändert.

Selbstverständlich bleibt Kontrolle eine wesentliche Aufgabe der Unterneh-

mensführung. Aber sie wird konzentriert auf die wesentlichen, in der Balan-

ced Scorecard verankerten Kennzahlen. Es erfolgt ein „Paradigmenwechsel“

Die Devise heißt nunmehr: „Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser!“

Ein Management, das sich derartige Veränderungen in seinem Unternehmen

auf die Fahnen schreibt, erhält mit der Balanced Scorecard ein dafür gerade-

zu prädestiniertes Instrumentarium in die Hand. Wenn es sie denn zu nutzen

versteht.

In der gegenwärtig stark anschwellenden Flut von Berichten

und Beiträgen zum Thema Balanced Scorecard (siehe Litera-

turverzeichnis am Ende des Buches) zeigt sich eine Tendenz,

die Scorecard auf die Erarbeitung und datentechnische Ver-

waltung von Kennzahlen zu reduzieren. Schon gibt es erste

Softwareangebote. Eine gute Software kann für die Arbeit

mit der Balanced Scorecard durchaus hilfreich sein. Aber die

Verlockung, unter der Überschrift „Balanced Scorecard“ das

Kontrollsystem des Unternehmens weiter auszudehnen, ist

groß. Wenn wir dieser Verlockung erliegen, laufen wir Ge-

fahr, die Balanced Scorecard – wie viele andere Methoden

vor ihr – zu einem bloßen Modetrend zu degradieren.

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Die Balanced Scorecard, ein Führungsinstrument

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Wir haben uns bemüht – und wollen das im Weiteren noch ausbauen – zu

zeigen, dass die Balanced Scorecard mehr sein kann als ein gut gestyltes

System von Kennzahlen. Das Neue, das über den Modetrend hinaus Blei-

bende – eben das eigentliche Potential der Balanced Scorecard, besteht in

den in dieser Weise bisher nicht gegebenen Möglichkeiten zur Kommuni-

kation strategischer Ziele. Es ist die Möglichkeit, unser Unternehmen mit

Hilfe von wenigen, aber entscheidenden Kennzahlen strategisch, flexibel

und effektiv zu führen. Es ist die Möglichkeit, innovatives und kreatives

Denken allmählich als bestimmendes Element in unserer Unternehmenskul-

tur zu verankern.

Wir sollten diese Möglichkeiten in unseren Unternehmen nutzen!

2.3.4 Die Strategien im Budget verankern

Bertolt Brecht schrieb in seinem Lied von der Unzulänglichkeit menschli-

chen Strebens:

„Ja mach nur einen Plan

Sei nur ein großes Licht!

Und mach dann noch 'nen zweiten Plan

Gehn tun sie beide nicht.

Denn für dieses Leben

ist der Mensch nicht schlecht genug.

Doch sein höhres Streben

ist ein schöner Zug.“ 14

Fühlen sich so manche da nicht ein wenig an die jährlich wiederkehrenden

Strategieberatungen erinnert? Da trifft man sich in schöner Umgebung, für

kurze Zeit befreit von den drückenden Lasten der täglichen Routine – und

„macht in Strategie“. In Brainstorming-Workshops werden diverse mögliche

Entwicklungsszenarios diskutiert. Viele gute Ideen werden in die Zukunft

projiziert. Es entstehen durchaus brauchbare und durchdachte strategische

Ansätze.

Und dann kehrt man zurück in sein Unternehmen und taucht wieder ein in

den Alltag. Einen Alltag, der einen tagtäglich konfrontiert mit dem Budget.

14

Die Dreigroschen-Oper, Dritter Akt

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Die Balanced Scorecard, ein Führungsinstrument

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Das Budget wurde abgeleitet aus den IST-Daten des Unternehmens. Aus den

IST-Daten vergangener Perioden. Also aus der Vergangenheit. Budgets ent-

stehen aus der Fortschreibung der Vergangenheit. Alle guten Ansätze der

Strategieberatungen sind verflogen. Verschollen im Niemandsland zwischen

überall und nirgendwo. Natürlich gibt es die Statements, die Glanzbroschü-

ren, die strategischen Konzepte, die Maßnahmepläne. Aber zwischen all dem

und der Erarbeitung und Handhabung des Budgets klafft ein tiefer methodi-

scher Graben (s. Abb. 5).

Abbildung 5: Methodischer Bruch zwischen Strategie und Budget

Nicht selten sind die strategischen und operativen Arbeitsgebiete auch schon

organisatorisch, institutionell voneinander getrennt. Diese Trennung de-

monstriert den methodischen Bruch äußerlich. Aber vor allem existiert er in

unserem Denken. Wir sind es gewohnt, Strategien und den im Budget ge-

fassten Alltag gedanklich voneinander zu separieren.

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Die Balanced Scorecard, ein Führungsinstrument

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Das hat vor allem zwei Gründe:

1. Strategien haben Veränderungen zum Inhalt. Wir setzen Visionen, su-

chen nach neuen Ufern und bestimmen die Wege dorthin. Strategische

Führung will Veränderungen managen. Veränderung bis in die Struk-

turen hinein. Change Management heißt das auf modern.

Budgets haben das Bestehende zum Inhalt. Wir schreiben das Beste-

hende fort. Wir verändern zwar die Quantitäten. Aber die Strukturen,

die Abläufe, die Grundsätze unserer Arbeit bleiben bestehen.

2. Visionen und die daraus abgeleiteten Strategien werden überwiegend

verbal bzw. mit mehr oder weniger schwammigen Zahlenangaben

formuliert. Das liegt nicht an der Unfähigkeit unserer Strategen, mit

exakten Zahlen zu rechnen. Das liegt schlicht und einfach daran, dass

die Zukunft in vieler Hinsicht unwägbar ist. Wir müssen mit Szenari-

en leben; mit Wahrscheinlichkeiten; mit Unschärfen.

Budgets leben von harten Fakten. Hier sind weniger Worte, hier sind

Kennzahlen gefragt. Hier wird mit Mark und Pfennig gerechnet, zu-

künftig mit Euro und Cent. Hier ist nichts schwammig, unwägbar, un-

scharf. Das Budget wird exakt erarbeitet und abgearbeitet.

Diese Gegensätzlichkeit von strategischem und budgetbezogenem Denken

hat bisher alle Versuche eines stärker integrativen Herangehens mehr oder

weniger unbeschadet überstanden. Sicher, wir sind uns des Problems be-

wusst. Es ist ja nicht neu. Wir sind uns bewusst, dass harte Fakten allein zur

Führung eines Unternehmens nicht mehr ausreichen. Wir akzeptieren inzwi-

schen, dass es auch sogenannte „weiche“ Kennzahlen geben muss. Aller-

dings lässt allein die Wortwahl „weich“ einen geübten „Budgetisten“ schon

erschaudern:

„Wir sind uns auch bewusst, dass wir die Vergangenheit nicht optimieren

können. Nur das IST gibt uns verlässliche Zahlen. Und bei allem Verständ-

nis für moderne Führungsmethoden: Beim Budget sollten wir uns keine Ex-

perimente erlauben!“

Und so ist es bei der gedanklichen Trennung von Strategie und Budget ge-

blieben. Daher die andauernde Resistenz so vieler Unternehmen gegenüber

allen Veränderungen ihrer betriebswirtschaftlichen Praxis. Allerdings sollten

wir uns bewusst werden, dass strategische Veränderungen nur äußere Kos-

metik bleiben, solange das Budget diese Veränderungen nicht übernimmt. Es

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Die Balanced Scorecard, ein Führungsinstrument

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ist ähnlich dem weiter oben beschriebenen Problem des Messens. So wie

sich die tatsächliche Stellung einer Information darin zeigt, ob wir die ent-

sprechenden Prozesse messen, zeigt sich unser tatsächliches Streben nach

Veränderung betrieblicher Prozesse am Budget. Wenn es uns nicht gelingt,

unsere Strategien im Budget zu verankern, bleiben sie Deklaration, State-

ment, Glanzbroschüre oder interessante Studie.

Bei der Überwindung dieses Dilemmas ist die Balanced Scorecard behilf-

lich. Wenn wir lernen, die Ausgewogenheit der Scorecard auch dahingehend

zu verstehen, eine Balance zwischen Zukunft und gegenwärtigem Alltag zu

vermitteln, begeben wir uns auf den richtigen Weg. Ein steiniger Weg. Denn

er verlangt von uns nicht mehr und nicht weniger, als die wichtigen Prozesse

dahingehend zu analysieren, welche Schritte in der Gegenwart zu welchen

Resultaten in der Zukunft führen. In der betriebswirtschaftlichen Literatur,

insbesondere in Controllerkreisen kennen wir die Problematik unter den

Stichworten Spätindikatoren und Frühindikatoren. In Anlehnung an die mili-

tärische Praxis sprechen wir auch häufig von Frühwarnsystemen.

Die meisten der von uns genutzten Kennzahlen sind Spätindikatoren. Das

gilt für die Positionen der Gewinn- und Verlustrechnung und der Bilanz

ebenso wie für die daraus ermittelten Finanzkennzahlen, mögen sie nun

Cash-flow, Return on Investment, Return on Capital Employed oder Share-

holder Value Added heißen (im Glossar am Ende des Buches werden die

wichtigsten von uns genannten Kennzahlen erläutert). Sie beruhen alle auf

Daten, die am Schluss betriebswirtschaftlicher Prozesse gemessen werden.

Was nicht bedeutet, dass wir sie nicht in die Zukunft projizieren können. Al-

lein, das ändert nichts an ihrem Charakter. Wir verlagern nur den Endpunkt

eines Prozesses gedanklich in die Zukunft. Wir befassen uns deswegen nicht

mit seinem Anfang.

Frühindikatoren sind auf den Beginn oder – wie der Name schon impliziert –

auf die frühen Phasen eines Prozesses orientiert. Die Frage verlagert sich

von der Bestimmung des in fünf Jahren anzustrebenden Gewinns oder Cash-

flow zur Messung jener Vorgänge, die heute sicherstellen sollen, dass wir in

fünf Jahren jenen Gewinn oder Cash-flow erreichen. Das ist ein anderer und

zugegebenermaßen noch recht ungewohnter Gedankengang. Er ist nicht neu.

Aber ihn mit aller Konsequenz auf die Umsetzung strategischer Zielstellun-

gen in Kennzahlen anzuwenden, ist ein Ansatz, der in dieser Weise beispiel-

haft mit der Balanced Scorecard formuliert wurde.

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Die Balanced Scorecard, ein Führungsinstrument

43

Und gerade dieser Ansatz ermöglicht es, den Widerspruch zwischen strategi-

scher Zukunftsorientierung und gegenwartsbezogener Budgetierung zu

überwinden. Die Aufgabe besteht darin, geeignete Frühindikatoren zu entwi-

ckeln. Kennzahlen, die jene Vorgänge messen, welche die Erreichung zu-

künftiger Ziele heute sicherstellen. Strategische Kennzahlen also, die ge-

genwartsbezogen sind. Gegenwartsbezogen wie das Budget. Wenn das ge-

lingt, können wir diese Kennzahlen ohne jegliche methodischen Probleme in

das Budget einbeziehen. Im übertragenen Sinne erlauben demnach Frühindi-

katoren, die Zukunft in den unternehmerischen Alltag zu integrieren.

Allerdings verlangt dieser Ansatz viel von unserem wirtschaftlichen Denken.

Wir müssen lernen, Kennzahlen dreidimensional zu definieren (s. Abb. 5):

als Kennzahlen verschiedener Perspektiven

als Kennzahlen mit unterschiedlichem zeitlichen Horizont

als Früh- oder Spätindikatoren

Fristigkeit

Indikator

Perspektive

Finanzen

Kundenorientierung

Geschäftsprozesse

Mitarbeiter

lan

gfr

isti

g

kurz

fris

tig

frühspät

Abbildung 6: Dreidimensionalität der Kennzahlen einer Balanced Scorecard

(Der Prenzlauer Würfel)

Im Gegenzug erhalten wir ein Instrument, das es uns wie kein anderes zuvor

erlaubt, unser Unternehmen strategisch mit Kennzahlen zu führen!

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Die Balanced Scorecard, ein Führungsinstrument

44

2.3.5 Passen Sie Strategien permanent den sich ändernden Le-bensumständen an

Unser Banker und sein Controller waren schon weit gekommen. Sie hatten

mit ihrem Team für die Darstellung der Mission und Vision sowie der da-

raus abgeleiteten Strategien geeignete Perspektiven gefunden. Sie hatten

Kennzahlen bestimmt, mit denen sie ihre Strategien messen können. Sie hat-

ten mit Hilfe dieser Kennzahlen ihre strategischen Überlegungen allen Mit-

arbeitern nahegebracht; mehr noch, sie hatten sie aktiv einbezogen in die

konkrete Erarbeitung ihrer Strategien. Und sie hatten neben Spätindikatoren

auch Frühindikatoren identifiziert, mit deren Hilfe sie ihre Strategien im

Budget verankern können.

Aber das Leben ist ungerecht. Es fügt sich nicht bedingungslos unserem

Willen. Eine Strategie heute entwickelt kann morgen schon „der Schnee von

gestern“ sein. Wenn wir verhindern wollen, dass unsere Strategien veralten,

bevor sie umgesetzt sind, müssen wir Mittel finden, mit deren Hilfe wir sie

den sich ändernden Lebensumständen anpassen können.

An dieser Stelle zahlt sich aus, wenn wir die Balanced Scorecard nicht auf

ein System von Kennzahlen reduzieren. Wenn wir die Balanced Scorecard

als eine Möglichkeit verstehen, die Kommunikation im Unternehmen auf

die strategisch wesentlichen Sachverhalte zu konzentrieren.

Kommunikation ist immer wechselseitig. Sie führt zu Rückmeldungen, zu

einem Feedback. Sie führt zu einem Ansatzpunkt, der lernfähig macht, der

sensibilisieren kann für Veränderungssignale. Wir müssen nur bereit sein,

sie aufzunehmen.

Die Organisation eines derartigen strategischen Lernprozesses ist die viel-

leicht schwierigste aber zugleich innovativste Seite des „Management by

Balanced Scorecard“. Sie erfordert ein Umdenken bei vielen Führungskräf-

ten. Bisher galt der eherne Grundsatz, das mittlere Management und die üb-

rigen Mitarbeiter haben die vom Top-Management einmal aufgestellten Zie-

le konsequent umzusetzen. Nun sollen alle Mitarbeiter während des Umset-

zungsprozesses – wenn erforderlich sogar während der Erarbeitung einer

Balanced Scorecard – auch die Ziele auf ihre Realisierbarkeit prüfen und

gegebenenfalls in Frage stellen.

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Die Balanced Scorecard, ein Führungsinstrument

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Das setzt drei Dinge voraus:

1. Die Erarbeitung der Balanced Scorecard erfolgt im Team. Die mit der

Umsetzung betrauten Mitarbeiter sind daran beteiligt und tragen die

getroffenen Festlegungen mit. Ein derartiges Herangehen ermöglicht

erst das erforderliche Mitdenken. Nur aus dem Mitdenken kann ein

konstruktives Infragestellen postulierter Ziele erwachsen.

2. Ein konstruktives Infragestellen der umzusetzenden Zielstellungen

wird umso eher möglich, je begründeter bereits im Entstehungspro-

zess der Balanced Scorecard Ursache-Wirkungs-Beziehungen zwi-

schen den verschiedenen Kennzahlen postuliert werden.

Das ist die Kernfrage bei der Bestimmung von Früh- und Spätindika-

toren. Es ist aber noch mehr.

Wenn wir anfangs die Komplexität unseres Unternehmens durch die

Wahl geeigneter Perspektiven reduziert haben, so haben wir sie damit

durchschaubarer gemacht. Wir können aber die Komplexität nicht

aufheben. Sie ist nun einmal gegeben. Damit stellt sich uns die Auf-

gabe, den komplexen Zusammenhang zwischen den gewählten Kenn-

zahlen gedanklich wieder zu rekonstruieren. Zu rekonstruieren durch

die Definition von Ursache-Wirkungs-Beziehungen. Zu rekonstruie-

ren sowohl zwischen den Kennzahlen einer Perspektive als auch zwi-

schen den Kennzahlen verschiedener Perspektiven. Das ist kompli-

ziert, aber wir sollten es wenigstens versuchen. Durch die Überprü-

fung dieser Definitionen mit Hilfe des Feedbacks unserer Mitarbeiter

können wir erkennen, an welchen Stellen unsere Strategien geändert

werden müssen. Und wir lernen Schritt für Schritt, die Komplexität

unseres Unternehmens besser zu erfassen und zu steuern.

3. Schließlich erfordert die konsequente Durchsetzung eines strategi-

schen Lernprozesses ein Klima der gegenseitigen Achtung sowie des

Vertrauens und Selbstvertrauens der involvierten Personen. Auch hier

zeigt sich wieder die eigentliche Stärke der Balanced Scorecard – sie

liegt in der Möglichkeit, Strategien verständlich und lebendig zu

kommunizieren.

Je lebendiger der strategische Lernprozess umgesetzt wird, umso besser und

effizienter können Mission und Vision sowie die daraus abgeleiteten Strate-

gien des Unternehmens in die tägliche operative Praxis umgesetzt werden.

Erst damit wird die Balanced Scorecard die ihr innewohnenden Potentiale

voll entfalten und zu einem wirkungsvollen Führungsinstrument wachsen.

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Die Balanced Scorecard, ein Führungsinstrument

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Unternehmensführung mit Kennzahlen

47

3. Unternehmensführung mit Kennzahlen

Auf einen Blick:

Um Kennzahlen bilden zu können, muss man Informationen

aufnehmen, verarbeiten, auswählen und verstehen.

Mit Kennzahlen lassen sich nicht nur finanzielle, sondern auch

nicht-finanzielle Prozesse darstellen. Die finanziellen Kennzahlen

bezeichnen wir üblicherweise als „hart“, die nichtfinanziellen

als „weiche“ Kennzahlen,

Führung mit Kennzahlen erfordert die Bestimmung von IST und SOLL,

die Erarbeitung von Maßnahmen , die Festlegung von

Verantwortlichkeiten und von Regelungen zur Motivation.

Wir wissen nun, was eine Balanced Scorecard ist. Wir wissen, dass sie mehr

ist als ein gut gestyltes Kennziffernsystem. Dass ihr Potential vor allem da-

rin liegt, unsere Mission und Vision sowie die daraus abgeleiteten Strategien

zu kommunizieren. Zu kommunizieren mit den Kunden, den Mitarbeitern,

den Anteilseignern – kurz mit allen für die Leistungserstellung des Unter-

nehmens wichtigen externen und internen Partnern.

Dazu nutzen wir Kennzahlen. Kennzahlen, die geeignet sind, unsere Vorstel-

lungen konkret, fassbar, transparent darzustellen. Kennzahlen als Grundlage

einer zielgerichteten Kommunikation. Einer wechselseitigen Kommunikati-

on, die durch ihr Feedback ermöglicht, lernfähig zu sein.

Wir wollen uns daher – ehe wir uns einigen praktischen Anwendungsfällen

und verschiedenen Details der Balanced Scorecard zuwenden – mit den

Möglichkeiten und den Grenzen der Unternehmensführung mit Kennzahlen

befassen.

3.1 Grundprobleme bei der Arbeit mit Kennzahlen

Wenn wir Kennzahlen zur Umsetzung von strategischen Zielen nutzen, soll-

ten wir uns verdeutlichen, was Kennzahlen darstellen, wozu sie in der Lage

sind und wie sie entstehen. Ganz grundsätzlich geht es dabei um die Frage

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Unternehmensführung mit Kennzahlen

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der Qualität von Informationen. Um das zu erkunden, wollen wir uns auf

einen kurzen philosophischen Ausflug begeben.

3.1.1 Materielle und informelle Welt

Jede materielle Bewegung erzeugt Informationen15

, die sich – erst einmal

entstanden – verselbständigen und eine eigene Welt bilden. Wir wollen sie

im Folgenden als informelle16

Welt bezeichnen.

Materielle und informelle Welt sind untrennbar miteinander verbunden. Sie

sind zwei Seiten einer Medaille. Das resultiert aus der Tatsache, dass Infor-

mationen aus den Bewegungen der materiellen Welt entstehen. Der Begriff In-

formation hat in diesem Kontext einen umfassenden Sinn. Einen umfassen-

den Sinn als philosophische Kategorie.

Informationen entstehen auf allen Ebenen materieller Organisation. Verein-

facht können wir die grundlegenden Ebenen materieller Organisationsfor-

men im aufsteigenden Sinne als die physikalische, die chemische, die biolo-

gische und die soziale Ebene definieren. Insofern definieren wir auch physi-

kalische, chemische, biologische und soziale Informationen.

Auf der physikalischen Ebene kennen wir beispielsweise Impulse. Im-

pulse sind bestimmt als das Produkt aus der Masse eines Körpers und

seiner Geschwindigkeit. Impulse haben daher eine definierte Struktur

und eine definierte Richtung. Das verleiht ihnen die Möglichkeit, Infor-

mationen zu tragen und zu übermitteln. Diese Informationen tragen sie

ganz unabhängig davon, ob es einen „Empfänger“ gibt. Einen Empfän-

ger, der sie aufnehmen und verarbeiten kann.

Ganz allgemein trägt der Impuls eine Information über die physikalische

Aktion und den physikalischen Zustand des Körpers, von dem er ausge-

gangen ist. Er kann aber zugleich höher organisierten materiellen Syste-

men als Basis dienen, entsprechend höher organisierte Informationen zu

übertragen. Das wird z. B. in der Nachrichtentechnik ausgenutzt17.

15

Der Begriff „Information“ umschließt hier einerseits eine Nachricht im Sinne von übertragungsfähigen

Daten, Signalen oder Signalfolgen sowie andererseits den Vorgang der Übertragung dieser Nachrichten

durch ein Medium.

16

Im allgemeinen Sprachgebrauch bedeutet „informell“: a) knapp unterrichtend, der ersten Information (im

Sinne von Wissensvermittlung) dienend bzw. b) nicht formell, ohne Formalitäten; hier wird der Begriff

„informell“ wesentlich weiter bestimmt als Oberbegriff für informationell (die Information betreffend),

informativ (eine Information vermittelnd) und informatorisch (der Information dienend).

17

In der Nachrichtentechnik werden elektrische Impulse genutzt. Ein elektrischer Impuls ist ein Strom-

oder Spannungsstoß, der eine genau definierte Breite besitzt. Man unterscheidet dabei nach der Form in

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Unternehmensführung mit Kennzahlen

49

In der Chemie kennen wir z.B. die Begriffe „Affinität“ und „Orientie-

rungsfaktor“. Affinität bezeichnet die Neigung von Stoffen, miteinander

zu reagieren. Der Orientierungsfaktor drückt die Tatsache aus, dass eine

chemische Reaktion nur dann stattfindet, wenn die Moleküle bei ihrem

Zusammenstoß richtig zueinander orientiert sind.

Sie kennzeichnen nichts anderes als spezifisch chemische Informationen.

Wir nutzen diese Informationen z.B. durch den gezielten Einsatz von

Katalysatoren und sogenannten Molekularsieben.

Die bekannteste biologische Information ist der in der

Desoxyribonucleinsäure (DNA oder DNS) gespeicherte genetische

Code. Er ist als Reihenfolge von vier verschiedenen Molekülsorten (Ba-

sen) verschlüsselt. Der Schlüssel ist eine sehr komplexe Kombination

chemischer und physikalischer Informationen in Wechselwirkung mit ih-

rem biologischen Umfeld. Er ist derart komplex, dass es der Wissen-

schaft bisher noch nicht gelungen ist, diesen Code vollständig zu entzif-

fern.

Die in höchstem Grade komplexen Informationen finden wir auf der so-

zialen Ebene. Soziale Informationen sind vierdimensional. Sie bilden ein

ganzheitliches System physikalischer, chemischer und biologischer In-

formationen mit deren sozialer Brechung. Wir nehmen soziale Informa-

tionen immer mit allen uns zur Verfügung stehenden Sinnen auf. Des-

halb ist die Wirkung einer Information z.B. auch abhängig von den

räumlichen Bedingungen, unter denen sie übermittelt wird. Abhängig

von unserer physischen und psychischen Verfassung. Abhängig von un-

serem sozialen Umfeld.

Nehmen wir etwa Sympathie und Antipathie – sie entstehen aus Infor-

mationen der verschiedensten Art. Dabei sind neben anderen auch In-

formationen der Körpersprache und des Geruches eingeschlossen. Nicht

umsonst heißt es im übertragenen Sinne: „Den kann ich nicht riechen!“

Gleichzeitig wirkt die informelle Welt aktiv auf die materielle zurück, da

jeder materiellen Reaktion eine Art „Kommunikation“ der beteiligten „Part-

ner“ vorausgeht. Auch der Begriff Kommunikation hat in diesem Kontext

einen umfassenden Sinn. Als philosophische Kategorie bedeutet Kommuni-

kation ganz allgemein das Aufnehmen, Verarbeiten18

und Rückgeben von

rechteckige, trapezförmige, sinus- und sägezahnförmige Impulse. Ihre gezielte Differenzierung ermöglicht

es, Informationen zu verschlüsseln, zu übertragen und wieder zu entschlüsseln - – sofern der Empfänger

der Impulse den Schlüssel kennt.

18

Verarbeiten ist hier nicht im kognitiven Sinne gemeint. Es geht darum, dass materielle Teilchen z.B. in

der Lage sind, bereits im Vorfeld von Reaktionen mit anderen Teilchen bestimmte Spannungszustände

anzunehmen oder sich im Raum zu orientieren aufgrund von Informationen, die von den anderen Teilchen

ausgehen.

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Unternehmensführung mit Kennzahlen

50

Informationen19,

die von einem bzw. mehreren Reaktionspartner(n) ausge-

hen – seien es nun Impulse, chemische Affinitäten, genetische Codes oder

eben Sympathie und Antipathie.

Abbildung 7: Materielle und informelle Welt

Zwei – vereinfachende – Beispiele sollen dieses Wechselspiel erläutern:

Wir wissen, dass bestimmte Tierarten (z.B. Wildpferde) bereits Stunden

vor einem Erdbeben mit Unruhe reagieren und bestrebt sind, das gefähr-

dete Gebiet zu verlassen. Sie sind offensichtlich in der Lage, jene Infor-

mationen aufzunehmen und zu verarbeiten, die von den Spannungsfel-

dern im Vorfeld eines Erdbebens ausgehen. D.h. lange vor der eigentli-

chen Reaktion (dem Erdbeben) haben die beteiligten Gebiete der Erd-

kruste „miteinander kommuniziert“. Wären wir wie die Wildpferde be-

fähigt, diese Kommunikation aufzunehmen und zu entschlüsseln, wir

könnten uns rechtzeitiger und zielgerichteter auf derartige Naturkatastro-

phen vorbereiten.

Oder nehmen wir das schon benannte Beispiel des in der

Desoxyribonucleinsäure (DNA oder DNS) gespeicherten genetischen

Codes. Wir können ihn (noch) nicht entschlüsseln. Aber auf der biologi-

schen Ebene wird durch ihn sowohl die Zellvermehrung als auch die

Proteinsynthese gesteuert. In einem komplexen Prozess aus physikali-

schen, chemischen und biologischen Vorgängen nehmen die daran betei-

19

Die Tatsache, dass wir diese Informationen oftmals nicht verstehen bzw. gar nicht wissen, dass es sie

gibt (weil wir nur einen geringfügigen Teil der vorhandenen Informationen aufnehmen), führt immer wie-

der zu mystischen Deutungen dieser Wechselwirkung. Mit Mystik hat das alles jedoch nichts zu tun, denn

Informationen . ob wir sie aufnehmen und verstehen können oder nicht - sind wie die materiellen Prozesse

und in gleichem Maße Teil unserer Natur.

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Unternehmensführung mit Kennzahlen

51

ligten Teilchen („Partner“) den genetischen Code auf und kommunizie-

ren auf seiner Grundlage in entsprechender Weise miteinander. Die im

genetischen Code enthaltenen Informationen bestimmen damit den so

vielfältigen Aufbau der gesamten belebten Materie.

Es ist hier nicht der Raum, ausführlicher auf das Wechselspiel von materiel-

ler und informeller Welt einzugehen. Wir wollen an dieser Stelle nur festhal-

ten, dass materielle und informelle Welt zwei untrennbar miteinander ver-

bundene und sich gegenseitig bedingende Seiten unseres universellen Seins

darstellen. Wir leben und kommunizieren mit Informationen – ob wir das

wollen oder nicht, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht. Es liegt jedoch

an uns, ob und inwieweit wir in diesem Wechselspiel aktiver oder passiver

Partner sind!

Was uns im Zusammenhang mit der Nutzung von Kennzahlen nun interes-

sieren muss, ist die Frage, in welcher Weise Informationen unser Handeln –

im allgemeinen wie im wirtschaftlichen Kontext – bestimmen. Dabei geht es

vor allem um die Frage:

3.1.2 Was wissen wir von der materiellen Welt?

Wir kennen die materielle Welt nicht, wir kennen nur ihre informelle Seite.

Und auch diese nur beschränkt.

Die erste Beschränkung entsteht durch die Zeit. Da sich Informationen mit

ihrem Entstehen von ihrem materiellen Ursprung lösen, sind sie prinzipiell –

und je länger sie existieren umso stärker – veraltet. Wir empfangen z.B. mit

Teleskopen an Lichtsignale gebundene Informationen, die mehrere Milliar-

den Jahre alt sind. Die Galaxien, von denen sie ausgingen, sind heute viel-

leicht schon nicht mehr existent – wir wissen es nicht, denn wir kennen nur

ihre „veralteten“ Informationen.

Natürlich sind wir mit dem Zeitproblem nicht immer in solch

extremer Weise konfrontiert. Aber es ist immer da, auch in

der Wirtschaft. Wir sollten Informationen daher immer kri-

tisch nach ihrem „Ursprungsdatum“ hinterfragen. Gerade bei

Kennzahlen. Denn die ihnen zugrunde liegenden Basisdaten

haben öfter, als wir es bewusst wahrnehmen und es uns lieb

sein sollte, ein beträchtliches Alter. Daraus resultiert eine

nicht zu unterschätzende Gefahr der Fehlorientierung und da-

rauf beruhender Fehlentscheidungen. Vor allem dann, wenn

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Unternehmensführung mit Kennzahlen

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sich die internen und externen Bedingungen der betrieblichen

Leistungserstellung zwischenzeitlich signifikant verändert

haben-

Die zweite Beschränkung besteht darin, dass eine Information quasi vier Fil-

ter durchlaufen muss, ehe wir sie aktiv oder passiv unserem Handeln zu-

grunde legen können. Unsere Kenntnis von der materiellen Welt – und das

gilt uneingeschränkt auch für alle wirtschaftlichen Prozesse – ist auf jene

Informationen begrenzt, die wir aufnehmen, verarbeiten, auswählen und ver-

stehen können – und wollen.

Information

Filter

Verständnis

Auswahl

Verarbeitungsfähigkeit

Wahrnehmungsfähigkeit

Handeln

Abbildung 8: Informationsfilter

Diese vierfache Einschränkung gilt generell und ist zugleich individuell

stark differenziert:

1. Unsere individuellen Sinne sind sehr verschieden ausgeprägt und da-

mit auch unsere Wahrnehmungsfähigkeiten. Das wird besonders deut-

lich, wenn einzelne Sinne z.B. durch Erblinden oder Taubheit gänz-

lich ausfallen. Informationen, die wir nicht aufnehmen, können wir

aber weder verarbeiten noch verstehen.

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Unternehmensführung mit Kennzahlen

53

Wir verstärken und ergänzen unsere Sinne durch Messgeräte. Das

Messen ermöglicht uns, Informationen über Prozesse aufzunehmen,

die unseren Sinnen nicht oder nur unzureichend zugänglich sind. Al-

lerdings dürfen wir nicht vergessen, dass wir die uns interessierenden

Prozesse nicht unmittelbar messen können. Wir machen uns bestimm-

te Eigenschaften dieser Prozesse zunutze. Wir versuchen, durch ge-

eignete apparative Konstruktionen deren Wirkungen auf ihre Umwelt

festzustellen.

Dabei ist es wesentlich, auf welcher Ebene der materiellen Organisa-

tion jene Prozesse ablaufen, deren Eigenschaften wir messen wollen.

Die Messmethoden müssen ihnen adäquat sein. Wirtschaftliche Pro-

zesse gehören zur sozialen Ebene der materiellen Welt. Wenn wir sie

messen wollen, müssen wir soziale Methoden anwenden. An die Stel-

le der apparativen Konstruktionen, die Wirkungen physikalisch-

chemischer Eigenschaften aufnehmen können, treten gedankliche

Konstruktionen. Gedankliche Konstruktionen bestehen aus Begriffs-

bestimmungen. Die Daten, die wir den Begriffen zuordnen, erheben

wir aus Befragungen (letztlich ist die Eingabe in ein betriebliches In-

formationssystem oder die Übermittlung statistischer Daten nichts an-

deres als eine Abfrage) und der Kombination apparativer Messungen

mit gedanklichen Konstruktionen (z.B. die Bewertung von gemesse-

nen Verbräuchen).

An dieser Stelle besteht ein Akzeptanzproblem, das die Wirtschafts-

wissenschaften ähnlich den anderen Sozialwissenschaften erst allmäh-

lich überwinden werden. Apparative Messungen gelten im allgemei-

nen Verständnis als objektiv und exakt, soziale Messungen hingegen

als subjektiv und „schwammig“. Wirtschaftliche Kennzahlen, die zu-

mindest aus der Kombination mit apparativen Messungen hervorge-

hen – und das sind vorwiegend finanzielle Kennzahlen – partizipieren

von diesem Bonus.

Aber wirtschaftliche Prozesse sind wie alle sozialen Prozesse vierdi-

mensional. Wir sollten uns bewusst sein, dass wir ganze Dimensionen

ausblenden, wenn wir nur jene Informationen aufnehmen, die aus ap-

parativen Messungen physikalisch-chemischer Größen hervorgehen.

Wir blenden die Ebenen der biologischen und sozialen Informationen

weitgehend aus. Wir verschenken damit die Möglichkeit, diese Infor-

mationen aktiv in unsere Kommunikation einzubeziehen. Passiv, in-

tuitiv blenden wir die beiden Ebenen natürlich nicht aus. Die Informa-

tionen sind da und einen Teil davon nehmen unsere Sinne auf, auch

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Unternehmensführung mit Kennzahlen

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wenn wir das nicht aktiv und bewusst betreiben. Nur passiv ist nicht

aktiv. Und Intuition ist wertvoll, aber als Grundlage für die Steuerung

wirtschaftlicher Prozesse immer weniger ausreichend.

Je besser es uns gelingt, die biologischen und sozialen Informationen

wirtschaftlicher Prozesse bewusst aufzunehmen, umso besser können

wir kommunizieren. Um so besser können wir Kunden zum Wieder-

kauf anregen, Lieferanten in unsere Innovationen einbeziehen, Mitar-

beiter zu Eigenständigkeit und Kreativität motivieren.

2. Die Fähigkeit zur Verarbeitung aufgenommener Informationen wird

von der generellen individuellen Physis und Psyche sowie der mo-

mentanen Leistungskraft bestimmt. Wir können es täglich nachvoll-

ziehen. Dabei ist die Flut an Informationen so groß, dass wir sie nicht

beherrschen können. Selbst wenn wir topfit und mit einem außerge-

wöhnlichen Intelligenzquotienten begnadet sind.

Informationen, die wir nicht verarbeiten, gehen uns verloren. Auch

hier helfen wir uns durch apparative Konstruktionen. Es ist eine Tech-

nologie zur Verarbeitung von Informationen entstanden, die eine revo-

lutionäre Veränderung unseres gesamten Verhaltens eingeleitet hat.

Und wir stehen erst am Anfang.

Aber die Technologie bestimmt durch ihre Prinzipien, in welcher

Weise wir Informationen verarbeiten können. Diese Prinzipien beru-

hen auf den Gesetzen der Mathematik. Und die Mathematik, die der

Verarbeitung wirtschaftlicher Informationen zugrunde liegt, geht von

einer wesentlichen Voraussetzung aus. Diese Voraussetzung besagt:

„1 ist gleich 1“20

! Das führt zu der Gefahr, dass wir Dinge miteinander

vergleichen, verrechnen, kombiniert weiterverarbeiten, die nicht ver-

gleichbar sind. Denn grundsätzlich gibt es keine zwei gleichen Dinge.

Die Unterschiede sind zwar mitunter so marginal, dass wir sie für un-

sere Zwecke vernachlässigen können. Insofern ist das mathematische

Postulat „1 ist gleich 1“ im normalen Leben äußerst hilfreich. Und

das seit vielen tausend Jahren.

Nur zu nachlässig dürfen wir mit dem Vernachlässigen nicht umge-

hen. Abhängig vom Zweck der Informationsverarbeitung gibt es im-

mer einen Punkt, an dem die Unterschiede wesentlich werden. Von

diesem Punkt an impliziert eine Informationsverarbeitung, die diese

20

Es gibt Richtungen in der modernen Mathematik, die dieses Postulat aufheben. Das ist jedoch für die von

uns genutzte Informationsverarbeitung nicht - vielleicht muss man auch sagen, noch nicht - relevant.

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Unternehmensführung mit Kennzahlen

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Unterschiede negiert, ein falsches Bild. Unser Handeln erhält unge-

eignete Orientierungen.

Mit diesem Problem sind wir immer wieder konfrontiert, wenn wir im

betrieblichen Alltag die verschiedensten Dinge z.B. über ihre finanzi-

elle Bewertung vergleichbar machen. Wer hat nicht schon einmal über

Kennzahlen geschimpft, die „Äpfel und Birnen zusammenzählen“?

Dieser Gefahr begegnen wir im Übrigen nicht nur bei finanziellen

Kennzahlen. Sie entsteht bei der Arbeit mit Gewichtungsfaktoren im

Rahmen einer Portfolio-Analyse ebenso wie bei der Aggregation ver-

schiedener Verbrauchsgrößen in hierarchisch gegliederten Systemen.

Und die Kette der Beispiele ließe sich fortsetzen.

Hier gilt es, kritisch zu sein und zu bleiben. Kennzahlen müssen hin-

terfragt werden nach ihrem Ursprung. Welche Prozesse werden in

welcher Weise über Zahlen abgebildet und miteinander kombiniert?

Und Kombinationen, die zu einem früheren Zeitpunkt als Orientierung

vernünftig oder ausreichend waren, müssen es heute nicht mehr sein.

3. Gleichzeitig spielt die subjektive Auswahl nach bestimmten Kriterien

z.B. der Dringlichkeit eine wesentliche Rolle.

So ist etwa aus der modernen Forschung bekannt, dass unser Gehirn

unter normalen Bedingungen nicht ständig alle durch unsere Sinne

aufgenommenen Informationen verarbeitet, sondern nur etwa alle

zwei Sekunden prüft, ob und inwiefern sich in unserer Umwelt we-

sentliche Veränderungen abgespielt haben. Nur Informationen, die

diesem Kriterium genügen, werden tatsächlich verarbeitet.

Neben dieser Auswahl auf biologischer Ebene gelten für uns eine

Vielzahl sozialer Kriterien. Diese Kriterien erwerben wir uns im Lau-

fe unseres Lebens. Der meisten dieser Kriterien sind wir uns nicht

bewusst. Sie gehören zur Konvention. Konventionen sind durchaus

wichtige Maximen. Sie geben unserem Leben einen Orientierungs-

und Verhaltensrahmen. Aber Konventionen können Entwicklungen

auch behindern. Deshalb werden sie von Zeit zu Zeit gesprengt.

Manchmal radikal und für alle schmerzhaft21 spürbar. Mitunter auch

allmählich, indem veraltete Konventionen sukzessiv durch neue er-

setzt werden.

Einen derartigen allmählichen Wandel der Konventionen erleben wir 21

Schmerzhaft deshalb, weil mit dem Sprengen von Konventionen auch der damit verbundene Orientie-

rungsrahmen verloren geht. Welche enormen Probleme damit verbunden sein können, haben die Wende im

Osten Deutschlands und der Zusammenbruch des Ostblocks gezeigt.

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Unternehmensführung mit Kennzahlen

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derzeit in der Wirtschaft. Mit dem Übergang zu einer globalisierten,

angebotsorientierten und auf den individuellen Kunden fokussierten

Art und Weise des Wirtschaftens verändert sich auch unser Denken.

Und mit dem Denken verändern sich unsere Konventionen. Informati-

onen rücken in unser Blickfeld, die wir noch vor einigen Jahren als

unwesentlich beiseite geschoben haben. Wir lernen beispielsweise

verstehen, dass biologische und soziale Informationen unmittelbare

wirtschaftliche Bedeutung haben können. Und wir beginnen den

Mangel zu spüren, der mit dem Fehlen ausreichend geeigneter Mess-

methoden zur Aufnahme derartiger Informationen verbunden ist.

Auch an dieser Stelle sollten wir uns entscheiden, ob wir uns den

Konventionen und ihren Veränderungen aktiv oder passiv stellen.

Denn entgehen können wir ihnen nicht. Aber wir können in gewissen

Grenzen bestimmen, wie wir mit ihnen umgehen. Das setzt zu aller-

erst voraus, dass wir uns der Prioritäten bewusst werden, mit denen

wir Informationen auswählen.

Denn die Auswahl wirkt zurück auf die Wahrnehmungs- und Verar-

beitungsfähigkeit. Wer hat es nicht schon erlebt: Wir verlieben uns

und sehen den Partner plötzlich mit ganz neuen Augen. Details, die

wir vorher nicht beachtet haben, von denen wir keine Notiz genom-

men haben, werden mit einem Mal wahrgenommen, weil wir unsere

Prioritäten verändert haben. Die Informationen waren auch vorher

schon da. Nur wir haben sie durch unsere Auswahl ausgeblendet. Sie

waren uns nicht wichtig.

Nicht anders ist es in der Wirtschaft. Allein die Flut an Informationen

zwingt uns zur Auswahl. Trotz – oder wie böse Zungen behaupten

wegen – der modernen Informationsverarbeitung nimmt diese Flut

weiter zu. Auf unseren Schreibtischen stapeln sich Zahlenkolonnen,

Berichte, Fachzeitschriften und und und... Dagegen wehren wir uns

instinktiv. Indem wir nicht alle Zahlen anschauen, nicht alle Berichte

durcharbeiten, nicht alle Fachzeitschriften lesen. Indem wir auswäh-

len. Nur diese Auswahl erfolgt allzu oft passiv, dem Druck gehor-

chend, nicht zielgerichtet.

Die Balanced Scorecard stellt sich gerade diesem Problem. Wenn wir

uns entschließen, eine Balanced Scorecard zu erstellen und mit ihr zu

arbeiten, beginnen wir damit, die für die Umsetzung unserer Mission

und Vision wesentlichen Informationen von den weniger wesentlichen

zu scheiden. Wir wählen ganz bewusst, ganz aktiv und in Kommuni-

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Unternehmensführung mit Kennzahlen

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kation mit allen Beteiligten jene Informationen aus, die wir für die

strategische Führung unseres Unternehmens für maßgeblich halten.

Und weil wir sie für wesentlich halten, versuchen wir diese Informati-

onen zu messen. Wir versuchen, sie wahrzunehmen, zu verarbeiten

und in Kennzahlen zu kleiden.

Dabei müssen wir uns im Klaren sein, dass unsere Auswahl unvoll-

kommen ist. Dass sie falsch sein kann. Dass sie im Verlaufe der Zeit

falsch werden kann, weil sich die Lebensumstände verändern. Das ist

in der Wirtschaft nicht anders als im Übrigen Leben. Wir können uns

in den falschen Partner verlieben. Und wir können die falschen Kenn-

zahlen auswählen. Aber es gibt in diesem Zusammenhang einen we-

sentlichen Unterschied zwischen der passiven und aktiven Auswahl.

Der Unterschied besteht in der Möglichkeit, aus unseren Fehlern zu

lernen. Bei einer passiven, unbewussten Auswahl fällt es uns schwe-

rer, den Fehler zu identifizieren. Eben weil die Auswahl nicht bewusst

erfolgte.

Um lernfähig zu werden, um lernfähig zu bleiben, um unsere Lernfä-

higkeit zu verbessern, sollten wir bestrebt sein, so weit wie möglich

aktiv auszuwählen. Das geht nicht zu 100%. Schon wegen der ver-

schiedenen Ebenen der materiellen und informellen Welt. Auf der

physikalischen, der chemischen und der biologischen Ebene können

wir nicht bewusst auswählen. Das Bewusstsein ist eine Organisations-

form der sozialen Ebene. Aber wir können versuchen, die Mechanis-

men der Auswahl auf den unbewussten Ebenen zu begreifen. Zu be-

greifen, inwieweit sie Einfluss ausüben auf unsere bewusste Auswahl.

Je besser wir diese Zusammenhänge erfassen, umso eher sind wir in

der Lage, unsere unbewussten Reaktionen bei unseren bewussten Ak-

tionen einzukalkulieren.

4. Damit sind wir beim vierten Filter angelangt, dem Verstehen der

wahrgenommenen, verarbeiteten und ausgewählten Informationen.

Das Verstehen ist der wichtigste Filter. Es ist nicht nur der Schluss-

punkt des Umsetzungsprozesses von Informationen in Handeln. Es

beeinflusst zugleich auch alle vor ihm liegenden Filter.

Das Verstehen setzt einen bestimmten Schatz an Erfahrungen und ins-

tinktiv bzw. kognitiv erworbener Regeln der Zuordnung voraus. Denn

wir können nur einseitig einzelne Informationen aufnehmen (messen).

Die informelle Welt aber ist wie die materielle komplex. Aus diesem

Grund brauchen wir zum Verständnis der Welt Modelle, die aus den

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Unternehmensführung mit Kennzahlen

58

von uns empfangenen einzelnen Informationen die Komplexität der

Welt ausreichend reproduzieren.

Wir bilden zu diesem Zweck in unserem Kopf kognitive Strukturen,

innere Dispositionen, die an der Aufnahme und Verarbeitung von In-

formationen beteiligt sind. Sie haben die Eigenschaft von Bezugssys-

temen, in denen die einlaufenden Informationen identifiziert, bewertet

und geordnet werden. Diese Strukturen existieren völlig unabhängig

davon, ob wir uns ihrer bewusst sind oder nicht. Aber – wie schon

mehrfach erwähnt – wir können und müssen uns entscheiden, ob und

inwieweit wir versuchen, diese Strukturen zu erkennen und aktiv zu

beeinflussen.

Dabei sind wir einer Reihe von Konfliktfeldern ausgesetzt, von denen wir

drei kurz beleuchten wollen:

Unsere Erfahrungen können zufällig, unsere Modelle und inneren Struk-

turen unvollkommen oder falsch sein. Dann ist auch das Bild, das wir

uns von der materiellen Welt erschaffen, zufällig, unvollkommen oder

falsch. Dieser Gefahr können wir nicht entgehen, wir können ihr nur ent-

gegenwirken, indem wir kritisch bleiben gegenüber uns selbst und allen

Urteilen, die wir treffen. Und lernbereit. Bereit, beständig neue Erfah-

rungen aufzunehmen und unsere Modellstrukturen zu verändern.

Jeder Mensch hat seine individuellen Modelle. Aus diesem Grund hat

jeder von uns seine eigene Sicht von der Welt. Das gilt im Großen wie in

den ganz alltäglichen praktischen Dingen. Wir brauchen nur mit Freun-

den in ein Kino zu gehen und uns anschließend über den gesehenen Film

auszutauschen. Alle haben den gleichen Film gesehen. Folgt man aber

den Berichten darüber, kann man mitunter den Eindruck gewinnen, die

verschiedenen Freunde seien in verschiedenen Filmen gewesen. Die Bei-

spiele lassen sich fortsetzen.

In der Wirtschaft ist es nicht anders. Unsere Erfahrungen im Zusammen-

hang mit der Ausarbeitung von Balanced Scorecards in sehr unterschied-

lichen Unternehmen haben das immer wieder bestätigt. Selbst Manager

und Controller großer Konzerne, die über detaillierte Ausarbeitungen zu

ihrer Mission und Vision und ihren Strategien verfügen, kamen zu ganz

verschiedenen Aussagen, wenn sie vor die Aufgabe gestellt wurden, die

Strategie ihres Unternehmens konkret zu benennen.

Dem können wir nur entgegenwirken durch Kommunikation. Durch

Kommunikation über die gemeinsame Konkretisierung der strategischen

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Unternehmensführung mit Kennzahlen

59

Ziele in Kennzahlen. Durch Kommunikation über die Definition dieser

Kennzahlen und die Methoden ihrer Messung. Durch die Nutzung einer

Balanced Scorecard.

Die realen Prozesse sind das Ergebnis des Zusammenwirkens verschie-

dener Faktoren, die oftmals gegenläufige Kräfte entfalten und deren

Kräfteverhältnis einem beständigen Wandel unterliegt. Diese innere Dy-

namik führt dazu, dass es keine feststehenden Resultate gibt. Unsere

„harten“ Fakten – und wir bevorzugen harte Fakten in der Wirtschaft be-

sonders gern – sind leider nur ein Produkt unseres Kopfes. Das gilt auch

für die Vergangenheit. Denn wir interpretieren ja nur die Informationen,

die wir aus der Vergangenheit aufnehmen, verarbeiten, auswählen und

zu verstehen versuchen. Nicht umsonst sagt der Volksmund: „Das

Hauptproblem der Historiker besteht darin, die Vergangenheit richtig

vorherzusagen.“

Die moderne Naturwissenschaft hat dies längst verinnerlicht und Ab-

schied genommen von „feststehenden Fakten“. In immer stärkerem Ma-

ße haben wir uns daran gewöhnt, mit Wahrscheinlichkeiten zu arbeiten.

Selbst der Wetterbericht vermeldet uns nicht mehr, ob es regnen wird

oder nicht, sondern er sagt die Regenwahrscheinlichkeit voraus – und

kommt damit der Realität näher, als jedes „ja“ oder „nein“

In der Wirtschaft haben wir mit der Wahrscheinlichkeit noch unsere

Probleme. Aber allein der Gedanke, die Treffgenauigkeit von Budget-

vorgaben zu bestimmen und in die periodische Berichterstattung einzu-

beziehen, wäre eine Überlegung wert. Der Gedanke könnte erweitert

werden auf die Treffgenauigkeit betriebswirtschaftlicher Auswertungen,

auf die Treffgenauigkeit letztlich jeder Kennzahl, mit der wir arbeiten.

An dieser Stelle wollen wir unseren philosophischen Ausflug beenden. Wir

können für unsere Zwecke festhalten:

Erstens, dass wir die wirtschaftlichen Prozesse nicht direkt erfassen, sondern

lediglich die dazu verfügbaren Informationen. Das erfolgt mit Hilfe der Be-

triebsdatenerfassung (im weitesten Sinne).

Und zweitens, dass wir immer nur jene Informationen messen, von denen

wir meinen, dass wir sie brauchen, oder dass sie wichtig sind. Eben weil wir

instinktiv oder bewusst Prioritäten setzen.

Wenden wir uns im folgenden diesen beiden Punkten zu.

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Unternehmensführung mit Kennzahlen

60

3.1.3 Die Bedeutung der Basisdatenerfassung

Die Basisdatenerfassung im weitesten Sinne ist die Grundlage jeder Kenn-

zahl, mit der wir arbeiten. Es werden aber in der Praxis oftmals die damit

verbundenen Konsequenzen ignoriert oder zumindest nicht ausreichend be-

achtet.

Keine Kennzahl kann genauer sein als die Genauigkeit der Betriebsda-

tenerfassung

Aus der Mathematik kennen wir die sogenannte Gauß’sche Glockenkurve:

Abbildung 9: Glockenkurve des Mathematikers Gauß

In grober Vereinfachung stellt die Glockenkurve die Begrenzung der Genau-

igkeit (Wahrscheinlichkeit) einer Aussage dar in Abhängigkeit von den posi-

tiven bzw. negativen Fehlern („Ungenauigkeiten“) der ihr zugrunde liegen-

den Daten. D.h. eine Aussage ist nur dann „100%ig wahr“, wenn alle Mes-

sungen bzw. Datenerfassungen, auf denen sie beruht, mit 100%iger Genau-

igkeit erfolgt sind. Das ist praktisch nicht möglich, da selbst die besten

Messgeräte nur über eine begrenzte Messgenauigkeit verfügen. Die Konse-

quenz besteht darin, dass unsere Aussagen – auch wenn sie die Vergangen-

heit betreffen – grundsätzlich nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit

zutreffend („wahr“) sind. Die Grenzen dieser Wahrscheinlichkeit werden in

Abhängigkeit von den kombinierten Fehlern (x) aller gewonnenen Daten

durch die Glockenkurve abgesteckt.

Dies gilt analog für die Betriebsdatenerfassung. Wir haben uns daran ge-

wöhnt, mit exakten Kennzahlen zu rechnen, ohne zu beachten, mit welchen

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Unternehmensführung mit Kennzahlen

61

Fehlern die ihnen zugrunde liegenden Betriebsdaten erfasst wurden. Dies

gilt insbesondere für die sogenannten „harten“ Kennzahlen im finanzwirt-

schaftlichen Bereich. Kein Controller würde auf die Idee kommen, bei der

Abrechnung einer vergangenen Berichtsperiode22

mit "Kosten- oder Ergeb-

niswahrscheinlichkeiten" zu rechnen. Im Gegenteil wird er sie oftmals auf

den Pfennig genau angeben – und damit eine Exaktheit vorspiegeln, die

nicht gegeben ist.

Das kann bei der Preiskalkulation, bei der Einstufung strategischer Produkte

oder ganzer Geschäftsfelder zu erheblichen Fehleinschätzungen und damit

Fehlentscheidungen führen. Wir sollten daher so schnell wie möglich lernen,

auch in der betrieblichen Kosten- und Leistungsrechnung mit der gegebenen

Ungenauigkeit unserer Informationserfassung zu leben und zu akzeptieren,

dass die harten Kennzahlen gar nicht so exakt sind und ihre Aussagen immer

nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit zutreffen. Das gilt in wachsen-

dem Maße, je komplexer eine Zahl zusammengesetzt ist.

Vielleicht gelingt es uns dann auch eher, die Unschärfen der

sogenannten „weichen“ Kennzahlen als eine betriebswirt-

schaftliche Normalität zu betrachten. Bei näherer und ehrli-

cher Betrachtung sind die weichen Kennzahlen mitunter viel-

leicht exakter als die vorgeblich so genauen harten finanz-

wirtschaftlichen Kennzahlen. Vielleicht sollten wir uns von

der Differenzierung in harte und weiche Fakten völlig tren-

nen. Die damit verbundene „moralische Einstufung“ führt zu

einseitigen Denkstrukturen.

Keine Kennzahl kann aktueller sein als die Aktualität der Basisdatener-

fassung

Wer kennt nicht das Szenario? Da werden regelmäßig Kosten berechnet als

sogenannte Plankosten der IST-Produktion. Die produzierten Stückzahlen

werden mit den hinterlegten Plankostensätzen multipliziert und schon kann

das aktuelle IST vermeldet und dem Plan in einer Abweichungsanalyse ge-

genübergestellt werden.

Doch was gilt hier als IST? Gibt es nicht auch Plankostensätze, die schon

zwei Jahre oder noch mehr alt sind? Wie aktuell ist das „IST“, wenn in der

22

Bei Zukunftsbetrachtungen ist das Arbeiten mit „Unschärfen“ (z.B. sogenannten Zielkorridoren oder

Grenzvarianten) schon weiter verbreitet - gleichwohl ist es noch längst nicht generelle Praxis. Für die Ver-

gangenheit sind derartige Überlegungen demgegenüber ein unausgesprochenes und strikt praktiziertes Ta-

bu!

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Unternehmensführung mit Kennzahlen

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Zwischenzeit durch Rationalisierungs- oder sonstige Verbesserungsmaß-

nahmen die Verbrauchsgrößen geändert wurden?

In welchen Berichten unseres Unternehmens finden wir Hinweise auf die

Aktualität der Betriebsdatenerfassung? Können wir als selbstverständlich

voraussetzen, dass alle, die mit unseren Berichten arbeiten, über die Aktuali-

tät der darin enthaltenen Kennzahlen informiert sind?

Auch hier gilt der Grundsatz: „Lieber 80% genau als 100% daneben!“ Wir

können nicht alle Betriebsdaten tagesaktuell erfassen. Das ist weder sinnvoll

noch praktisch realisierbar. Nur sollten wir diese Tatsache auch offen dar-

stellen. Indem wir die daraus resultierende Ungenauigkeit abschätzen und in

unseren Berichten dokumentieren.

Wir haben es demzufolge mit zwei verschiedenen Arten der Ungenauigkeit

von Kennzahlen zu tun, jener aus der Begrenzung der Messgenauigkeit und

jener aus der Begrenzung der zeitlichen Aktualität. Beide Ungenauigkeiten

kombinieren sich in jeder Kennzahl. Und potenzieren sich, je komplexer ei-

ne Kennzahl aus einer Vielzahl von Basisdaten zusammengesetzt wird.

Der Informationsgehalt von Kennzahlen muss den Aufwand ihrer Er-

fassung rechtfertigen

An dieser Stelle mögen wir genug haben von den vielen Unschärfen.

Schließlich führen wir ein Unternehmen. Und da muss man sich schon auf

seine Kennzahlen verlassen können. Wozu erheben wir sie denn sonst? Also

müssen wir genauer und häufiger messen.

Nur, genauere und häufigere Betriebsdatenerfassung gibt es nicht zum Null-

tarif. Und die Wirkung einer Kennzahl sollte in ausgewogener Relation zum

Erfassungsaufwand der ihr zugrunde liegenden Betriebsdaten stehen. Man-

che Veränderungen mögen dabei mit einfachen organisatorischen Maßnah-

men im Rahmen des bestehenden Budgets zu bewältigen sein. Dann sollten

wir sie tun! Andere Veränderungen kosten Geld, zusätzliches Geld, mitunter

sehr viel zusätzliches Geld. Das ist an sich noch nichts Negatives. Jede In-

vestition kostet Geld. Und wenn ihre Realisierung mehr Geld einbringt, als

ihre Finanzierung kostet, dann ist es gut eingesetztes Geld (sofern es keine

besseren Anlagealternativen gibt).

Worin aber besteht der Effekt einer genaueren und häufigeren Betriebsda-

tenerfassung? Wie wollen wir feststellen, ob sich eine derartige Investition

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Unternehmensführung mit Kennzahlen

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rechnet? Da wir uns nicht die Mühe machen, den Grad der Unschärfe der

von uns genutzten Kennzahlen auch nur abzuschätzen, können wir diesen

Investitionseffekt nicht bestimmen. Wir entscheiden darüber rein intuitiv.

Weil wir eben so fühlen. Oder wir entscheiden gar nicht darüber. Weil wir

unser instinktives Wissen über die Ungenauigkeit unserer Betriebsdatener-

fassung aus dem Bewusstsein verdrängen.

Halten wir also fest:

Die Erfassung unserer Betriebsdaten und die daraus abgeleiteten Kennzahlen

sind mit einer Vielzahl von Ungenauigkeiten behaftet. Diesem Problem

können wir nicht entgehen. Aber je schneller wir lernen, die Unschärfe als

ein Grundprinzip unseres Seins zu akzeptieren, je konsequenter wir dement-

sprechend die Treffgenauigkeit unserer Kennzahlen erfassen und über die

Zeit verfolgen und zielgerichtet als Steuerungsinstrument einsetzen, umso

besser werden wir lernen, mit dieser Ungenauigkeit umzugehen. Werden wir

lernen, unsere Strategien, unsere Pläne den sich verändernden Lebensbedin-

gungen anzupassen. Es klingt zwar wie ein Widerspruch in sich: Mit der

Akzeptanz der Unschärfe werden wir realistischer. Und wir werden kom-

munikationsfähiger, weil glaubwürdiger. Weil unsere Vorgaben weniger mit

unseren Lebenserfahrungen kollidieren.

Nutzen wir diese Chance!

3.1.4 Messen wir die Informationen, die wir brauchen?

In diesem Zusammenhang ergibt sich die zwingende Frage nach der Aus-

wahl jener Informationen, die wir erfassen und verarbeiten. Und die wir zu

verstehen versuchen. Denn wir können nicht alle im Betriebsgeschehen an-

fallenden Informationen erfassen, verarbeiten und gar verstehen.

Diese Auswahl haben wir längst getroffen. Allerdings unterziehen wir uns

selten der Mühe, die Sinnhaftigkeit unserer Auswahl zu hinterfragen. Sie ist

aus der Tradition gegeben und wurde mit der elektronischen Datenverarbei-

tung extrem ausgebaut. Aber normalerweise erstellen wir keine Bedarfsana-

lyse für die Inhalte der betrieblichen Informationsverarbeitung. Wir geben

viel Geld dafür aus. Weil es an der Notwendigkeit keinen Zweifel gibt! Nur,

den Effekt dieser Geldausgaben messen wir im allgemeinen an technischen

Größen. An der Verbesserung der technischen Kapazitäten und Fähigkeiten

unserer Datenverarbeitung. Wir messen ihn nicht daran, ob und inwieweit

wir in die Lage versetzt werden, die für unsere Strategien wesentlichen In-

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Unternehmensführung mit Kennzahlen

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formationen zu verarbeiten. Und darauf bezogen unnötigen Aufwand zu

vermeiden.

Jeder Controller kennt die zwei Maximen:

Die richtigen Dinge tun.

und

Die Dinge richtig tun.

Das gilt selbstverständlich auch für die Auswahl der Informationen, die wir

in Form von Kennzahlen verarbeiten. Zuallererst müssen wir entscheiden,

welches die richtigen Dinge, die richtigen Informationen, die richtigen

Kennzahlen sind. Dass uns dabei die Balanced Scorecard ein probates Hilfs-

instrument sein kann, haben wir schon gelernt. Wenn wir aber mit ihrer Hil-

fe die wesentlichen Informationen ausgewählt haben, sollten wir im zweiten

Schritt „die Dinge richtig tun“.

Die Dinge richtig tun heißt in diesem Zusammenhang zweierlei:

Die mit Hilfe der Balanced Scorecard getroffene Entscheidung kann den

Anstoß geben, unser gesamtes System der Informationserfassung und -

verarbeitung zu überdenken und zu rationalisieren. Wenn wir das We-

sentliche vom Unwesentlichen, sozusagen Weizen vom Spreu getrennt

haben, gilt es zu entscheiden, wie wir mit den verschiedenen Kategorien

weiter verfahren wollen.

Das soll nicht heißen, auf jegliche im Rahmen einer Balanced Scorecard

nicht enthaltenen Kennzahlen zu verzichten. Sie sind auch weiterhin

wichtig bzw. können es sein. Sie erhalten strategisch bedingt eine andere

Priorität im Informationsgefüge des Unternehmens. Aber die Prioritäten

können sich im Verlaufe der Zeit auch wieder verändern. Insofern darf

man in ihrer Bedeutung abgestufte Informationen nicht vorschnell aus-

blenden.

Allein, die Frage nach dem Aufwand, den wir für die Erfassung und

Verarbeitung weniger wichtiger Informationen treiben, muss gestellt

werden. Und das in diesem Bereich vorhandene Rationalisierungspoten-

tial kann hoch sein. Es zu erschließen, ist eine der vielen Möglichkeiten

der Balanced Scorecard. Sofern wir uns dieser Aufgabe stellen.

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Unternehmensführung mit Kennzahlen

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Die Balanced Scorecard soll uns helfen, Strategien fassbar zu machen.

Fassbar mit Hilfe von Kennzahlen. Strategien weisen in die Zukunft.

Somit stellt sich die Frage nach der Messbarkeit von Zukunft.

Und Strategien haben finanzielle und nichtfinanzielle Aspekte. Sie in ih-

rer Komplexität zu erfassen und zu strukturieren ist eine der Zielstellun-

gen der Balanced Scorecard. Daraus resultiert eine weitere Frage, die

nach der Messbarkeit nichtfinanzieller oder sogenannter immateriel-

ler Erfolgspotentiale.

Den im letzten Punkt genannten Fragestellungen wollen wir uns im Folgen-

den kurz zuwenden.

3.1.4.1 Können wir Zukunft messen?

Zukunft ist vorweggenommene Gegenwart. Denn Entwicklung verläuft in

Prozessen. Zukunft beginnt heute. Und diese Zukunft ist morgen Gegenwart

und erneut Ausgangspunkt für Zukunft. Für die Zukunft von übermorgen.

Das ist banal.

Aber das gesamte Problem der Frühwarnung, das Bestreben, Zukunft zu

messen, reduziert sich auf diese banale Frage.

Wenn wir Zukunft messen wollen, müssen wir jene Prozesse analysieren,

die in die Zukunft führen. Wir müssen versuchen, die logischen Ketten zu

erfassen, die zum Erfolg führen. Die Ketten aus gesetzten Ursachen und re-

sultierenden Wirkungen. Und wir müssen lernen, diese Ketten in ihrem zeit-

lichen Zusammenhang zu erfassen und zu verstehen (s. Abb. 10).

Das ist ein weites Feld und in der Praxis in vielen Unternehmen nicht zufrie-

denstellend gelöst. Denn wir verwenden zu wenig Zeit und Kraft darauf, die-

se Ketten zu erkennen. Und vergeben damit Potentiale, unser Firmenschiff

sicherer und zielgerichtet in die Zukunft zu steuern. Etwas drastischer ausge-

sprochen heißt das nicht anderes als: Wir wissen nicht, was wir tun!

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Vergangenheit Gegenwart Zukunft

Vergangenheit Gegenwart Zukunft

Vergangenheit Gegenwart Zukunft

Ursache Wirkung

Ursache Wirkung

Ursache Wirkung

Ursache Wirkung

Abbildung 10: Verflechtung logischer und zeitlicher Ketten

Dabei können die ersten Schritte – insbesondere in kleineren und mittleren

Unternehmen – relativ einfach sein. Das Bundesministerium für Wirtschaft

hat in einem Arbeitsheft zu Fragen der Früherkennung von Chancen und Ri-

siken z.B. eine „Früherkennungstreppe“ angeregt. Sie besteht aus neun Fra-

gen, die in ihrer Abfolge von der Früherkennung über die Späterkennung bis

zur Zuspäterkennung reichen:

► Haben Sie neue Geschäftsideen?

► Haben Sie neue Produkte und/oder Dienstleistungen?

► Haben Sie genug neue Kunden gewonnen?

► Ist Ihr Betriebsergebnis wirklich gut?

► Steigt Ihr Umsatz?

► Haben Sie Ihre Kosten im Griff?

► Reicht Ihr flüssiges Geld aus?

► Gibt Ihnen die Bank noch Geld?

► Vermeiden Sie erfolgreich die Pleite?

Bereits etwas komplexer ist die im selben Heft vorgestellte Früherken-

nungsmatrix (Abb. 11):

Sie stellt nichts anderes dar als eine einfache Form der Balanced Scorecard.

Sie zeigt auf einfache Weise, dass uns auch in dieser Frage die Balanced

Scorecard eine wirksame Hilfe sein kann. Weil sie die für unsere Strategien

wesentlichen Strukturen abbildet und dadurch ermöglicht, logische und zeit-

liche Verknüpfungen der einzelnen Strukturelemente zu definieren.

Wenn wir aber diese Ketten erst einmal definiert haben, können wir durch

die Messung der in der Abfolge früher gelegenen Faktoren die Zukunft der

später folgenden messen.

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Unternehmensführung mit Kennzahlen

67

Unternehme-

rische Maß-

nahme

Zukunft Leistung Kunden Finanzen

Zukunft gestaltenZiele

verwirklichen

Neue verbesserte

Leistung

Neue Kunden

werben

Finanzielle

Reserven

schaffen

Leistung

verbessern

Niedrige Gewinn-

schwelleLeistung steigern

Kundennutzen

steigern

Leistung preis-

günstig anbieten

Kunden

zufriedenstellenMehr Kunden

Kundengerech-

tere Leistung

anbieten

Marktstellung

betonen

Kundenkredite

vergeben

Finanzen

beherrschen

Finanzielle

Überraschungen

vermeiden

Kosten sparenForderungen

absichern

Liquidität

sichern

Abbildung 11: Früherkennungsmatrix

23

Es mag eingewandt werden, dass die genannten Beispiele simpel sind und

den komplizierten Strukturen unseres Unternehmens nicht gerecht werden.

Das kann durchaus sein. Jeder Lernprozess fängt simpel an. Den einfachen

Schritten folgen die schwierigeren. Und Schritt für Schritt nähern wir uns

der komplexen Realität. Nur, anfangen müssen wir!

Es mag eingewandt werden, dass der Algorithmus innerhalb der Kette nicht

eindeutig bestimmt werden kann. Das ist richtig. Wir werden uns mit Szena-

rios behelfen müssen, mit Zielbereichen und anderen geeigneten Methoden

zur Eingrenzung der Wahrscheinlichkeit, der Treffgenauigkeit unserer Zu-

kunftsmessung. Das Problem kennen wir schon. Es ist die Unschärfe, die

unser gesamtes Leben begleitet. Wir begegnen ihr nicht nur bei der Messung

der Zukunft. Wir begegnen ihr ebenso bei der Messung der Gegenwart und

der Vergangenheit. In anderer Form, in anderem Maße. Aber das Problem ist

dasselbe. Es ist nur der Grad der Unschärfe, der sich im Verlaufe unserer

Messungen verändert.

Und es mag eingewandt werden, dass wir die Kette falsch definieren kön-

nen. Auch das ist richtig. Und auch das Problem kennen wir schon. Wir

müssen immer Zusammenhänge definieren, da wir die Komplexität der

23

nach: Bundesministerium für Wirtschaft, Arbeitsheft Früherkennung von Chancen und Risiken, 1998

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Unternehmensführung mit Kennzahlen

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Umwelt aus den von uns aufgenommenen einzelnen Informationen stets

durch Modelle in unserem Kopf reproduzieren. Das gilt für die Zukunft

ebenso wie für die Gegenwart und die Vergangenheit. Wir können diesem

Problem zu keinem Zeitpunkt unseres Lebens entgehen. Das Einzige, was

wir tun können, ist aus unseren Fehlern zu lernen. Dann können unsere Mo-

delle, unsere Definitionen genauer, zutreffender, realitätsnäher werden. Der

Lohn unserer Mühen besteht schließlich in der höheren Treffgenauigkeit der

Vorhersagen – nicht mehr, aber auch nicht weniger!

3.1.4.2 Messen immaterieller Erfolgspotentiale

Mit der Frage der immateriellen Erfolgspotentiale sind ein gedankliches und

ein psychologisches Problem verbunden. Wir trennen gedanklich zwischen

jenen Erfolgspotentialen, die wir konkret durch einfaches Zählen bzw. mit mehr

oder weniger geeigneten apparativen Messmethoden erfassen und finanziell

bewerten können und allen anderen, denen wir uns ausschließlich mit ge-

danklichen Messmethoden nähern müssen.

Erstere bezeichnen wir als „materiell“ oder auch „hart“. Letztere als „imma-

teriell“ oder „weich“. Diese Einteilung ist historisch gewachsen und gilt als

gegebene Tatsache. Allein, sie wird dadurch nicht besser. Denn sie orientiert

unser Denken falsch. Das ist ein Problem unserer Psyche, weil die Konven-

tion uns lehrt, materielle und harte Fakten zu bevorzugen. Das wäre an sich

noch nichts Verwerfliches. Allein, damit vergeben wir uns Führungspotenti-

al!

Wir haben bereits erfahren, dass unsere harten Fakten gar nicht so hart sind.

Dass ihre Aussagen ebenso ungenau sein können wie die Aussagen soge-

nannter weicher Fakten. Aber auch die Unterscheidung in materiell und im-

materiell trifft nicht zu. Eine Sache ist nicht deswegen materiell, weil man

sie sehen und anfassen oder weil sie physikalisch oder chemisch gemessen

werden kann. Sie ist materiell im Unterschied zu den Informationen, die wir

über sie erfahren können. Und in diesem Sinne sind technologische Verfah-

ren, Software, Kundenbeziehungen oder Befähigungen von Mitarbeitern

ebenso materielle Dinge. Das gilt gleichermaßen für die daraus erwachsen-

den Erfolgspotentiale.

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Unternehmensführung mit Kennzahlen

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Worum es eigentlich geht, ist die Unterscheidung zwischen finanziellen und

nichtfinanziellen Erfolgspotentialen. Wir haben uns angewöhnt, wirtschaftli-

che Tatbestände, die einer finanziellen Bewertung zugänglich sind als mate-

riell zu bezeichnen. Das beginnt schon bei jeder Bilanz mit der Position

„immaterielle Vermögensgegenstände“ und setzt sich im gesamten wirt-

schaftlichen Alltag fort. Dahinter steht die in Jahrhunderten gewachsene

buchhalterische Erfahrung. Dahinter steht die Erfahrung, dass es zum

Schluss bei jeder wirtschaftlichen Tätigkeit darauf ankommt, mehr Geld ein-

zunehmen, als man ausgibt. Und Geld kann man zählen, auf den Pfennig ge-

nau!

Das ist auch nach wie vor richtig. Zum Schluss muss jeder Unternehmer

Geld verdienen. Anderenfalls hat sein Unternehmen keine Zukunft. Allein,

zur Bestimmung der Erfolgspotentiale in der modernen Wirtschaft sind

Buchhalterik und Geldzählen nicht die probaten Mittel. Man kann auf beides

nicht verzichten. Aber die Erfolgspotentiale liegen ganz woanders. Sie lie-

gen in den Kundenbeziehungen, in den innovativen Fähigkeiten der Mitar-

beiter, in der Kooperation mit den Lieferanten, in dem so vielfältigen Bezie-

hungsgeflecht, mit dem der betriebliche Prozess der Leistungserstellung je-

des Unternehmens konfrontiert ist. Die darüber verfügbaren Informationen

aufzunehmen, sinnvoll zu verarbeiten und zu verstehen lernen, ist heute

wichtiger denn je. Je besser wir das beherrschen und auf der Grundlage die-

ser Informationen zielgerichtet auf das bestehende Beziehungsgeflecht ein-

wirken, umso erfolgreicher werden wir Geld verdienen.

Beziehungsgeflechte lassen sich aber nur zum Teil finanziell erfassen. Wir

können z.B. ausrechnen, wieviel Geld uns durchschnittlich die Akquisition

eines neuen Kunden oder die Gewinnung, Bildung und Befähigung eines

neuen Mitarbeiters kostet.

Den wesentlichen Teil müssen wir mit nichtfinanziellen Methoden wider-

spiegeln. Mit Umfragen, Portfolioanalysen, Stärke-Schwächen-Diagrammen

und ähnlichem mehr. Sind die auf diese Weise abgebildeten Beziehungsge-

flechte deswegen immateriell? Sind die so gewonnenen Informationen und

die daraus konstruierten Kennzahlen weich?

Die nichtfinanziellen Messmethoden mögen noch nicht so ausgereift sein,

wie die finanziellen. Sie werden erst seit einigen Jahrzehnten systematisch

angewandt und ausgebaut. Finanzielle Messmethoden kennen wir seit Jahr-

hunderten. Allein, die Erfahrung ist nicht der einzige Maßstab für die Eig-

nung. Die technischen Erfolge des 20. Jahrhunderts haben uns das Gegenteil

gelehrt. Erfahrung ist unverzichtbar. Aber neue Herausforderungen erfordern

neue Gedanken, neue Methoden und gebären damit auch neue Erfahrungen.

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Unternehmensführung mit Kennzahlen

70

Und die Wandlungen in unserer Gesellschaft, die Veränderungen im Umfeld

unserer betrieblichen Leistungserstellung sind eine solche Herausforderung.

Sie haben dem internen und externen Beziehungsgeflecht der Unternehmen

einen früher in dieser Weise nicht gekannten Stellenwert verliehen. Die

Kommunikation dieser Beziehungen ist zu einem erstrangigen Erfolgsfaktor

geworden.

Und gerade deswegen sollten wir die diese Beziehungsgeflechte abbildenden

Kennzahlen nicht schon von vornherein durch unsere Wortwahl diskreditie-

ren. Wir sollten zukünftig nicht mehr unterscheiden zwischen materiell und

immateriell, zwischen hart und weich. Wir sollten unterscheiden zwischen

finanziell und nicht finanziell – seien es nun Fakten, Kennzahlen, Erfolgspo-

tentiale, Messmethoden oder Ähnliches mehr. Und wir sollten uns bewusst

sein:

Finanzielle wie nichtfinanzielle Größen sind gleichermaßen sinnvoll und

für unsere wirtschaftliche Tätigkeit von Nutzen.

Und finanzielle wie nichtfinanzielle Größen sind gleichermaßen unscharf

und fehlerbehaftet.

Es kommt immer darauf an, wie wir sie handhaben. Wie wir Prioritäten set-

zen und entsprechend auswählen. Welche Kraft wir auf die Entwicklung und

Verfeinerung geeigneter Messmethoden legen. Dafür die richtigen Entschei-

dungen zu treffen, das ist der Punkt. Und die Balanced Scorecard ist die Ent-

scheidungshilfe!

3.2 Führung mit Kennzahlen

Kennzahlen sind zunächst Zahlen. Zahlen in unserem Kopf, Zahlen in einem

Computer, Zahlen auf einem Blatt Papier. Es sind tote Zahlen. Sie bewirken

nichts. Es sei denn, wir verbinden sie mit Maßnahmen, Verantwortung und

Motivation. Maßnahmen, Verantwortung und Motivation erwecken tote

Zahlen zum Leben; hauchen ihnen gewissermaßen jenen Odem ein, der uns

in die Lage versetzt, unser Unternehmen mit Kennzahlen zu führen.

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Unternehmensführung mit Kennzahlen

71

Abbildung 12: Bausteine, die eine Kennzahl „zum Leben erwecken“

Das ist wieder eine der vielen Banalitäten, denen wir in diesem Buch begeg-

nen. Allein auch diese Banalität wird im praktischen Wirtschaftsleben all zu

oft negiert.

Machen wir uns nur einmal die Mühe, aus der Vielzahl der in unserem Un-

ternehmen errechneten Kennzahlen jene herauszufiltern, für deren Entwick-

lung konkrete Personen konkret definierte Verantwortung tragen. Und für

deren Entwicklung jene Personen auf geeignete Weise aktiv motiviert wer-

den.

Alle anderen Kennzahlen stehen nur auf dem Papier oder im Computer. Sie

sind tot. Sie füllen unsere Berichte. Aber wir brauchen sie nicht, denn wir

gebrauchen sie nicht. Das in diesem Zusammenhang brach liegende Rationa-

lisierungspotential sollte – wie bereits erwähnt – nicht unterschätzt werden!

3.2.1 Maßnahmen und Verantwortung

Sofern wir Kennzahlen ernst nehmen, verbinden wir sie mit Maßnahmen.

Maßnahmen benötigen Zielstellung. Und Zielstellung im Zusammenhang

mit Kennzahlen formulieren wir als SOLL. Allerdings reicht das SOLL nicht

aus. Um Maßnahmen ableiten zu können, benötigen wir IST und SOLL.

In diesem Zusammenhang ist das Beziehungsgeflecht der Personen wesent-

lich, die das IST bestimmen sowie das SOLL und die vom IST zum SOLL

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Unternehmensführung mit Kennzahlen

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führenden Maßnahmen vorschlagen, festlegen und realisieren. Aus diesem

Beziehungsgeflecht ergibt sich die Verantwortung der handelnden Personen

im Zusammenhang mit den Kennzahlen.

Nehmen wir einen mittelständischen Betrieb, 250 Mitarbeiter, 60 Mio. DM

Jahresumsatz. Er hat 12 Haupt- und 5 Hilfskostenstellen. Für alle Kosten-

stellen werden in der Abteilung Rechnungswesen und Controlling Kennzah-

len erarbeitet, geplant und abgerechnet. Aber nur für 3 Hauptkostenstellen

existiert ein Kostenstellenverantwortlicher. Die Konsequenzen liegen auf der

Hand. Nur diese 3 Kostenstellen werden wirklich geführt. Alle übrigen ste-

hen auf dem Papier, in allen Plänen, in allen Berichten. Aber zuständig für

ihre Entwicklung fühlt sich niemand. Wozu dann der Aufwand?

Ein extremes Beispiel? Wohl nicht.

Ein weiteres Konfliktfeld ergibt sich aus der Tatsache, dass im Allgemeinen

vier Personengruppen an den Kennzahlen eines Unternehmens beteiligt sind:

die Mitarbeiter, von denen das SOLL und die Maßnahmen zu seiner Er-

reichung erarbeitet werden,

die Manager, die über SOLL und Maßnahmen entscheiden,

die Mitarbeiter, die mit den Kennzahlen arbeiten,

die Mitarbeiter, die das IST erfassen und abrechnen.

In kleineren Unternehmen sind diese Personengruppen zum Teil identisch.

Mit wachsender Größe steigt jedoch der Trend zur organisatorischen Tren-

nung. Und damit wächst das Erfordernis zur Kommunikation. Denn die Ver-

antwortung für eine Kennzahl sollte nicht geteilt werden. Geteiltes Leid ist

halbes Leid, aber geteilte Verantwortung ist gar keine Verantwortung. Weil

im Ernstfall immer „der andere“ zuständig ist.

Und verantwortlich für eine Kennzahl sollte immer derjenige sein, der mit

ihr arbeitet. Wenn aber das Prinzip ungeteilter Verantwortung gelten soll,

erfordert das seine Einbeziehung in die Arbeit und Entscheidungsfindung

aller übrigen Personengruppen. Erfolgt diese Einbeziehung nur halbherzig,

ist auch die Verantwortung entsprechend halbherzig. Mit allen negativen

Folgen.

Das gilt natürlich auch für die Kennzahlen der Balanced Scorecard. Sie dür-

fen weder von der Geschäftsleitung noch von dazu beauftragten Teams ein-

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Unternehmensführung mit Kennzahlen

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fach „festgelegt“ werden. Die so entstehenden Kennzahlen wären – wie

schon einleitend erwähnt – tote Kennzahlen.

Abbildung 13: Arbeiten mit Kennzahlen

3.2.2 Verantwortlichkeit und Motivation

Verantwortung bewirkt im Normalfall allein durch ihre Übertragung Moti-

vation. Verantwortung bedeutet Vertrauen, bedeutet als fähig angesehen zu

sein, die Verantwortung auch tragen zu können.

Allein, das reicht nicht aus. Wer Verantwortung trägt, will und sollte das

auch entsprechend vergütet bekommen. Finanziell oder nicht finanziell, das

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Unternehmensführung mit Kennzahlen

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sei hier dahingestellt (das ist ein interessanter Gegenstand, aber nicht der

Gegenstand dieses Buches). Auch in Unternehmen, Behörden etc., die an

Tarife gebunden sind, ist es möglich, in dieser Frage entsprechende Wei-

chenstellungen vorzunehmen. Hierzu gehören Mut und Augenmaß!

Wenn Vergütungssysteme an Kennzahlen geknüpft werden, bekommen die-

se Kennzahlen ein besonderes Gewicht. Genau genommen bekommen sie

erst dadurch ihre wirkliche Existenzberechtigung. Denn erst von diesem Au-

genblick an beginnen sich konkrete Personen konkret mit jenen Kennzahlen

und ihrer Entwicklung zu identifizieren.

Zugleich aber resultieren aus dieser Verknüpfung eine Reihe von Konflikt-

potentialen, deren ungenügende Beachtung die Unternehmensführung erheb-

lich beeinträchtigt. Konflikte können entstehen, wenn es unterschiedliche

Auffassungen gibt

zu den Methoden der Erfassung und Berechnung der Kennzahlen,

zur Erreichbarkeit des festgelegten SOLL und der Art und Weise seiner

Festlegung,

zur Genauigkeit des abgerechneten IST bzw. der Treffgenauigkeit des

eingeschätzten voraussichtlichen IST.

Entscheidend für die Wirksamkeit der mit Kennzahlen verknüpften Motiva-

tion ist demzufolge die damit verbundene Kommunikation aller beteiligten

Partner. Sie ist die Essenz des Lebens, also auch der Wirtschaft!

Konflikte entstehen aber auch aus der Einseitigkeit von einzelnen Kennzah-

len.

Wenn wir beispielsweise die Vergütung eines Akkordlöhners auf dem Bau

an seine abgerechneten Stunden binde, schaffen wir – ob gewollt oder nicht

– ein nicht zu unterschätzendes Manipulationspotential. Stunden können

„geschrieben“ statt geleistet werden. Um dieser Gefahr zu entgehen, werden

die abgerechneten Stunden gewöhnlich mit dem Aufmaß (der auf dem Bau

üblichen Form der Leistungsbemessung) verbunden. Aber auch das Aufmaß

ist zumindest bei länger laufenden Objekten zunächst nur eine Zwischenein-

schätzung. Und damit wieder ein Manipulationspotential.

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Unternehmensführung mit Kennzahlen

75

Denn die Stunde der Wahrheit schlägt erst mit der Schlussrechnung. Erst

jetzt stellt sich heraus, wie treffgenau die Aufmaße eingeschätzt wurden.

Würden wir nun die Abrechnung der Stunden und des Aufmaßes zusätzlich

mit der Treffgenauigkeit der Einschätzungen verbinden und damit eine dritte

Kennzahl mit der Vergütung verknüpfen, entstünde ein geschlossener Re-

gelkreis. Das verbleibende Manipulationspotential ist relativ gering.

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Unternehmensführung mit Kennzahlen

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Führung mit Kennzahlen erfordert, nach derartigen Regelkreisen zu suchen.

Denn Motivation ist immer zielgerichtet. Und wenn wir nicht aufpassen,

entsprechen Ziel und Richtung nicht unbedingt unseren Intentionen. Umge-

kehrt aber können durch geeignete Regelkreise Kräfte motiviert werden, die

unser Unternehmen stärker voranbringen als das üblicherweise finanzielle

Investitionen vermögen. Die Orientierung auf sinnvolle Regelkreise sollten

wir daher in die Konstruktion einer Balanced Scorecard unbedingt einbezie-

hen.

Und gleichzeitig müssen wir beachten, dass Motivation durch Verknüpfung

von Kennzahlen mit Vergütungssystemen nicht nur nach innen wirkt. Sie

beeinflusst das Verhalten unserer Mitarbeiter nach innen wie nach außen –

sofern wir sie ausreichend dazu befähigen.

Aber die Möglichkeiten reichen weiter. Wir motivieren durch die Verknüp-

fung von Kennzahlen mit Vergütungssystemen auch externe Personen, sich

für unser Unternehmen zu engagieren. Dieses externe Vergütungssystem ist

sehr vielfältig, sehr verzweigt, nicht immer legal und so alt wie das Wirt-

schaften selber. Wir mögen moralisch dazu stehen, wie wir wollen. Es ist ein

realer, ein ernst zu nehmender Faktor. Und wir würden uns einen Bären-

dienst erweisen, ihn zu ignorieren oder zum „Top-Secret-Faktor“ zu dekla-

rieren. Solange wir uns legaler Methoden bedienen, können und sollten wir

diesen Faktor ganz bewusst und ganz offen als einen wesentlichen Füh-

rungsfaktor nutzen. Und ihn einbeziehen in unsere Balanced Scorecard.

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Vorstellung beispielhaft ausgewählter Unternehmen

77

4. Vorstellung beispielhaft ausgewählter Unternehmen

Auf einen Blick:

In diesem Buch werden für die verschiedene Unternehmen vollständige

Balanced Scorecards entwickelt.

Die Beispiele sollen das Prinzip der Balanced Scorecard veranschauli-

chen, aber nicht einfach übernommen werden.

Bevor wir einsteigen in die Kapitel über die praktische Arbeit an und mit der

Balanced Scorecard wollen wir einige Unternehmen kurz vorstellen, die wir

als Beispiele ausgewählt haben. Als Beispiele, die uns im Folgenden beglei-

ten werden, um bestimmte Faktoren und Aspekte konkreter beleuchten zu

können.

Als Beispiele sollen uns folgende eher mittelständische Unternehmen die-

nen:

das uns schon bekannte regionale Kreditinstitut

ein Automotive-Zulieferer

eine Backshop-Kette

ein Küchenmaschinenhersteller

ein Hersteller von Kfz-Anhängern

eine Spezialitätenbrauerei

Wir werden gelegentlich auch andere Unternehmen anführen. Aber für diese

sechs Firmen wollen wir – beispielhaft – Schritt für Schritt eine Balanced

Scorecard erarbeiten. Und daher ist es wichtig, dass wir ein wenig mehr über

sie erfahren, damit wir die Schritte nachvollziehen können.

An dieser Stelle sollte noch einmal darauf hingewiesen werden: Für jedes

Unternehmen muss eine individuelle Balanced Scorecard entwickelt werden.

Man kann zwar aus Erfahrungen anderer Anwender mit der Balanced Score-

card lernen und bereits definierte Strukturen übernehmen, aber jeder Ge-

schäftsführer/Inhaber eines Unternehmens und mit ihm die leitenden Ange-

stellten müssen überlegen, definieren und aufschreiben, welche Ziele ihr Un-

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Vorstellung beispielhaft ausgewählter Unternehmen

78

ternehmen hat, warum die potentielle Kundschaft gerade bei ihm Kunde

werden soll etc.

Eine Vision und langfristige Strategie sollte jedes, auch noch so kleines Un-

ternehmen haben. Diese ist Grundlage der Entwicklung einer eigenen unter-

nehmensspezifischen Scorecard.

Die Umsetzung der Visionen und strategischen Ziele im Rahmen der Balan-

ced Scorecard kann bei kleineren Unternehmen allein auf Unternehmens-

ebene erfolgen. Größere Unternehmen oder Konzerne werden die Balanced

Scorecard für jeden Geschäftsbereich und dann bis hinunter auf die Be-

reichs- oder Abteilungsebene erarbeiten, um für jeden Mitarbeiter im Unter-

nehmen aus der Balanced Scorecard abgeleitete operative Ziele definieren zu

können.

Die unten aufgeführten Beispiele sollen das Prinzip der Balanced Scorecard

verdeutlichen, sollen beispielhaft Strukturen und Überlegungen darstellen.

Sie stellen nur eine Auswahl der möglichen Kennzahlen dar, sollen anregen,

sich für das eigene Unternehmen entsprechende Kennzahlen zu erarbeiten.

4.1 Kreditinstitut: Ihre schnelle Bank

Der neue Bankdirektor ist dem Leser schon bekannt. Aber lassen Sie uns

noch einige Anmerkungen zu seinem Unternehmen machen:

Das Beispiel der Privatkundenbank beruht auf folgenden Annahmen:

1. Das Kundengeschäft kann nur mit Hilfe intensiven EDV-Einsatzes

kostendeckend abgewickelt werden. Durch die Nutzung neuer elekt-

ronischer Techniken seitens der Kunden können Investitionen und

laufende Kosten im Filialgeschäft reduziert/verringert werden. Es gilt

also, alle Kunden mit der Bank-EDV vertraut zu machen. Haben Sie

schon einmal in Ihrer Bank einen PC gesehen, an dem Bankgeschäfte

mit Unterstützung der Mitarbeiter „geübt“ werden können? Kennen

eigentlich „Banker“ die eigene, üblicherweise nur dem Kunden vor-

behaltene Software? Denn sie selbst arbeiten mit einer anderen DV-

Lösung.

2. Die Bank hat in einer Gegend mit viel privater Bautätigkeit ihren Ge-

schäftssitz. Könnte man nicht hiervon profitieren? Bauherren haben

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Vorstellung beispielhaft ausgewählter Unternehmen

79

zwar nur wenig Anfangskapital, aber häufig gute Berufsaussichten,

sind also Kunden mit Zukunft. Und sind zumeist jung und damit der

Nutzung von Home-Banking-Software gegenüber recht aufgeschlos-

sen.

3. Mit schnellen Baukreditentscheidungen könnte sich eine Bank auch

viele Folgegeschäfte sichern. Versuchen Sie einmal, innerhalb einer

Woche einen Baukredit zu erhalten. Üblicherweise muss man das In-

stitut mehrere Male aufsuchen, häufig unsinnige Formblätter ausfüllen

und warten, warten, warten.

4. Warum kommt der Kreditsachbearbeiter nicht in das Haus des An-

tragstellers? Dort kann er sofort das wirtschaftliche Umfeld einschät-

zen und sollte auch sofort sein o.k. geben können. Und bekommt man

seinen Kredit unverzüglich, schaut man auch nicht auf den 1/10-

Prozentpunkt – das Geschäft könnte also nicht nur kostengünstiger,

sondern auch ertragreicher abgewickelt werden.

4.2 Automotive-Zulieferer: Good vibrations im automotive Bereich

Ein Unternehmen aus der Automotive-Industrie produziert schwingungs-

dämpfende Elemente für Dieselmotoren, die in Lkw und in Schiffsdiesel

Verwendung finden. Zwar sind die Kosten ein permanentes Problem, aber

die Erfahrung zeigt: Kosten allein sind nicht das wichtigste Argument, um

im weltweiten Wettbewerb zu reussieren.

Die Produktion von Dieselmotoren für Lkw wird weltweit voraussichtlich

nicht stark steigen. Dies gilt insbesondere für den europäischen Markt, auf

dem das Unternehmen bereits Marktführer ist. Unter hohen Anstrengungen

wird daher versucht, auch überseeische Märkte, insbesondere in den Verei-

nigten Staaten zu erobern.

Aber die Entwicklung gerade in der Automotive-Industrie schreitet rasant

voran: Der Pkw-Bereich mit seinen hohen Stückzahlen gibt einen Vorge-

schmack auf die Entwicklung: Zulieferer werden zu Komponentenbauern,

die häufig ihr Werk „an der Pforte“ der Automobilwerke errichten. Dies wä-

re für unser Unternehmen nicht möglich. Aber kann man nicht Zusatzfunkti-

onen integrieren? Und wie sieht es mit neuen Motorkonzeptionen aus, die

langfristig auf den Markt kommen werden? Thema Brennstoffzelle! Um hier

den Puls am Markt zu haben, muss die Entwicklung nicht nur beobachtet,

sondern aktiv mitgestaltet werden. Und könnte man nicht auch strukturell

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Vorstellung beispielhaft ausgewählter Unternehmen

80

ähnliche Produkte in Zusammenarbeit mit Universitäten und den Kunden

entwickeln?

Nun sind dies hohe Entwicklungsziele, aber mit insgesamt gut 100 Mitarbei-

tern kann man sich keine große Entwicklungsabteilung leisten – wie diesen

Spagat lösen?

4.3 Handwerk/Dienstleister: Ihr Backshop – schnell und knusprig

Hat es Sie nicht auch schon oft geärgert: Die frischen Brötchen sind nur kur-

ze Zeit kross und locker, für frische Milch und die Morgenzeitung muss man

außerdem noch in andere Läden – und das Bezahlen der kleinen Beträge

kostet viel Zeit, Zeit, die man morgens eigentlich nicht hat. Unsere

Backshop-Kette hatte sich dieses Problems angenommen:

Eine Kundenkreditkarte sichert die schnelle Abwicklung, bindet Kunden und

ermöglicht die EDV-mäßige Verarbeitung der Umsätze: Man kann so ermit-

teln, in welchen Backshops zu welchen Verkaufszeiten welche Backwaren

nachgefragt werden. Der Kunde bekommt daher die Brötchen seiner Wahl,

frisch und kross.

Und auch Komplettangebote für das Frühstück, also Tageszeitungen, Milch

und Butter erhöhen den Anteil zufriedener Stammkunden, ohne das Sorti-

ment gleich ins Unermessliche auszuweiten. In guten Geschäftslagen wird in

den ruhigen Zeiten ab 9.00 Uhr das Snackgeschäft forciert.

4.4 Küchenmaschinenhersteller: Scharf auf alles, was zu schneiden ist

Als ostdeutscher Anbieter von Küchenmaschinen musste man sich nach der

Wende neue Märkte suchen. Hier ist Nischenpolitik angesagt!

Größere Hotels und Gaststätten wurden als Zielgruppe identifiziert. Diese

sind zu groß, um mit Haushaltsküchenmaschinen zu operieren, aber zu klein,

um Großküchengeräte zu nutzen.

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Vorstellung beispielhaft ausgewählter Unternehmen

81

Aber auch für Universalgastrogeräte gibt es schon viele Anbieter: Man

musste sich also noch mehr spezialisieren: auf Küchenmaschinen, bei denen

man besonders viel technisches Know-how hat: Auf alles was schneidet.

Neben den fleischverarbeitenden Geräten hat man eine weitere Marktlücke

erkannt, die sogar europaweit besteht: Apfelschäl- und Apfelschneidema-

schinen für Bäckereien. Bei beiden Produktgruppen sollten die Hersteller

regionaler Spezialitäten besondere Zielgruppe sein: klein aber fein und mit

besten Wachstumschancen.

4.5 Kfz-Anhänger-Hersteller: Mit uns bewegen Sie Ihre Last

Dieses mittelständisch geprägte Unternehmen im Fahrzeugbau hat sich auf

Anhänger spezialisiert, wobei sich der Lkw-Anhänger-Bereich mit rund 60%

Umsatzanteil durch kundenspezifische Fertigung auszeichnet. Bei der Ferti-

gung auf Kundenwunsch ist viel technisches Wissen gefragt, nicht nur in der

Fahrzeugtechnik, sondern auch in der Anwendungsproblematik.

Mehr und mehr zum zweiten Standbein wird das Privatgeschäft, hier mit

Pferdeanhängern. Ein stark expandierender Markt, regional wie überregional

– aber auch hier muss man neue Ideen haben: Pferde gehen ungern rück-

wärts, also geht die Entwicklung hin zu Anhängern, die vorne eine zweite

Tür haben.

4.6 Spezialitätenbrauerei: Ihr nationales Gsüffiges

Deutschland ist eine Nation der Biertrinker. So langsam kommt man auch

dazu, nicht nur das klassische Pils oder das „Helle“ zu trinken, sondern auch

Spezialbiere werden verstärkt in der Gastronomie und über den Handel ab-

gesetzt.

Und es muss ja nicht immer Weißbier aus einer Stadt bei München sein! Un-

ser Unternehmen produziert als Marktführer eine bislang nur regional ge-

trunkene Spezialität. Als Spezialitätenbrauerei hat man einen nicht nur regi-

onal bekannten Namen, aber trotzdem nur regionale Absätze.

Wachstum über andere Biersorten ist nicht angesagt, dann ist man einer un-

ter vielen. Aber als Marktführer seiner Spezialität könnte man doch andere

Regionen beliefern ...

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Vorstellung beispielhaft ausgewählter Unternehmen

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Vertriebspolitisch ist es auch aus finanziellen Gründen fast unmöglich, den

nationalen Markt aufzurollen. Daher hat man daran gedacht, als erstes be-

stimmte, wachstumsstarke Regionen anzugehen, in den dortigen

Gastronomieverkauf einzusteigen und auch Plätze im Handel zu besetzen.

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Die Balanced Scorecard

83

5. Die Balanced Scorecard

Auf einen Blick:

Kommunikation und Vertrauen sind Grundlage der Arbeit mit

der Balanced Scorecard.

Zum Führen benötigt man Ziele!

Die obersten Unternehmensziele fasst man als Mission und

Vision zusammen.

Mission: „Wie wollen wir gesehen werden“.

Vision: „Wo wollen wir in fünf bis zehn Jahren stehen?“

Kennzahlen ermöglichen, Ziele zu konkretisieren.

Steigen wir nun ein in die praktische Arbeit an und mit der Balanced Score-

card. Dabei sollten wir immer bedenken: Es gibt nicht die Balanced Score-

card. Jedes Unternehmen muss sich seine eigene Scorecard erarbeiten. Wir

können im Folgenden daher nicht mehr als einige Anregungen geben. Anre-

gungen, geboren aus den Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit einer

Vielzahl von Firmen.

5.1 Grundgedanken der Balanced Scorecard

Aller Anfang ist schwer. Denn wir wollen ja nicht einfach nur ein paar neue

Kennzahlen erarbeiten und zu einem mehr oder weniger geeigneten System

zusammenfügen. Soviel haben wir inzwischen gelernt. Wer eine Balanced

Scorecard wirklich nutzen will, muss vom ersten Tag ihrer Erarbeitung an

zwei Rahmenbedingungen konsequent durchsetzen:

Kommunikation aller Beteiligten

und

gegenseitiges Vertrauen.

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Die Balanced Scorecard

84

5.1.1 Strategien durch Kommunikation umsetzen

Also müssen alle an den Tisch. Alle, die Verantwortung tragen für die im

breitesten Sinne aufgefasste Kette Lieferant – Unternehmen – Kunde. Alle,

die diese Beziehungen kommunizieren, intern wie extern.

Natürlich nicht alle auf einmal. Die Erarbeitung einer Balanced Scorecard ist

keine Massenveranstaltung. Aber im Verlaufe der Zeit schließlich doch alle.

Wir beginnen zweckmäßigerweise mit der obersten Führungsebene. Sie

muss die Ziele setzen und die Wege definieren, auf denen die Ziele erreicht

werden sollen. Sie erarbeitet die Scorecard für das Unternehmen insgesamt.

Den Rahmen, die Orientierung für die anderen Führungsebenen, die Füh-

rungsebenen der wesentlichen Struktureinheiten des Unternehmens. Die

dann eigenständige Scorecards erarbeiten.

Je nach Größe des Unternehmens und der Staffelung seiner Struktur entsteht

so ein Netz, miteinander verknüpfter Geschäftsbereichs-, Hauptabteilungs-

und Abteilungs-Scorecards unter dem Dach der Balanced Scorecard der

obersten Führungsebene, des Gesamtunternehmens.

Damit dieses Netz auch wirklich zusammenpasst, ist es sinnvoll, die Ver-

antwortlichen der jeweils nachgeordneten Ebenen (oder Struktureinheiten) in

die Erarbeitung der Scorecard für die übergeordnete Ebene von Anfang an

einzubeziehen. Denn sie müssen die Formulierung der Mission und Vision,

die Ableitung der strategischen Wege, die Auswahl der Perspektiven, die

Definition der zu nutzenden Kennzahlen sowie die Methoden ihrer Messung

verstanden haben. Sie müssen das alles verinnerlichen, wenn die dann von

ihnen für ihren jeweiligen Verantwortungsbereich zu erarbeitenden Score-

cards passen sollen, sich einfügen sollen in das Netzwerk des gesamten Un-

ternehmens.

Und schließlich sollen sie mit ihren Mitarbeitern Zielvereinbarungen ab-

schließen, die sich an der entsprechenden Balanced Scorecard orientieren.

Denn entscheidend sind zum Schluss die Mitarbeiter. Sie müssen es tun. Sie

setzen die Vision in die Tat um – oder nicht.

Am Anfang steht also die Entscheidung, wie dieser verzweigte Kommunika-

tionsprozess praktisch am wirksamsten, am effektivsten organisiert werden

kann.

Dabei ist aber nicht nur zu beachten, dass das antizipierte Netzwerk

kommunikatorisch untermauert wird. Es ist auch zu beachten, dass der Per-

sonenkreis, der jeweils in die Arbeit einbezogen wird, nicht zu groß ist.

Nach unseren Erfahrungen sollte die Anzahl von 12 Personen möglichst

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Die Balanced Scorecard

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nicht überschritten werden. Damit gestritten werden kann. Damit in kleinen

Gruppen (mit immer wechselnder Zusammensetzung) einzelne Fragen de-

battiert und die Resultate der Debatten dem Plenum vorgestellt und erneut

diskutiert werden können. Denn Kommunikation muss lebendig sein, muss

alle Beteiligten beteiligen und alle Ebenen unserer Wahrnehmung, unserer

Informationsverarbeitung, unserer Informationsauswahl ansprechen. Erst

dann verstehen wir sie wirklich, können wir sie verinnerlichen.

Am Anfang steht damit auch die Entscheidung, sich Zeit zu lassen. Genü-

gend Zeit zur Kommunikation. Das immer wieder anzutreffende Bestreben,

„mal schnell eine Balanced Scorecard zu erarbeiten“, ist kontraproduktiv.

Sicherlich, vielleicht brennt uns das eine oder andere strategische Problem

auf den Nägeln. Und nun haben wir uns schon durchgerungen, es mit Hilfe

einer Balanced Scorecard zu lösen. Warum dann nicht mit einem Ruck? Wir

haben ohnehin nur wenig Zeit bei all dem Alltagsstress.

Aber schon der Volksmund sagt: Gut Ding will Weile haben! Und das zu

Recht. Denn Strategie muss durch unsere Köpfe. „Wat man nich im Kopp

hat, hat man in de Beene“ – sagt der Berliner. Und das will heißen, wenn wir

nicht vorher bedenken, was wir tun, müssen wir nachher längere Wege ge-

hen. Die Zeit, die wir anfangs zu gewinnen glauben, holt uns schnell wieder

ein.

5.1.2 Führen mit Vertrauen

Und schaffen wir ein Klima des Vertrauens! Ohne Vertrauen verkümmert

Kommunikation. Ohne Vertrauen wird strategisches Management schwieri-

ger. Denn Strategie bringt immer Veränderung mit sich. Wir streben ein

neues Ziel an, wollen neue Ufer erreichen. Wir wollen uns weiter entwi-

ckeln. Das heißt nichts anderes als: Wir wollen uns verändern.

Aber Veränderung bringt auch Verunsicherung. „Es liegt in der Natur des

Wandels, das Gleichgewicht zu stören und sogar Angst auszulösen“ 24

. Die-

ses psychologische Moment dürfen wir nicht außer Acht lassen, wenn wir

wünschen, dass unsere Vision, unsere strategischen Ansätze auch umgesetzt

werden. „Wenn man weiß, wie Mitarbeiter Wandel empfinden, wird dadurch

auch klarer, welchen Hindernissen man während des Prozesses begegnet“ 25

.

24

Harvard Management Update, Dezember 1998, S. 2 25

ebenda

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Die Balanced Scorecard

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Inwieweit kann uns die Balanced Scorecard hierbei helfen? Das hängt von

uns ab. Wenn wir schon ein entwickeltes Klima des Vertrauens im Unter-

nehmen haben, wird es die notwendigen Diskussionen fördern. Wir werden

schneller in der Lage sein, das wichtigste in der Kommunikation von Missi-

on und Vision und der daraus abgeleiteten Strategien liegende Potential der

Balanced Scorecard zu erschließen. Und diese Kommunikation befördert

ihrerseits das Vertrauen. Das Vertrauen in die Richtigkeit der gemeinsam

erarbeiteten Zielstellungen und strategischen Wege. Das Vertrauen in die

Kraft des Unternehmens, die damit verbundenen Veränderungen gemeinsam

mit allen Mitarbeitern zu meistern. Das Vertrauen in die Zusammenarbeit

mit den externen Partnern und deren Bereitschaft, die konzipierten Verände-

rungen mitzugehen.

Schwieriger wird es, wenn dieses Vertrauensklima nicht oder noch nicht

existiert. Dann brauchen wir mehr Zeit, wenn wir es denn überhaupt wollen.

Dann sollten wir uns Gedanken machen über unseren zukünftigen Führungs-

stil. Wir müssen uns entscheiden:

Suchen wir die Quellen zukünftiger Entwicklung vorrangig in der Aus-

schöpfung bisher ungenutzter Potentiale unserer Mitarbeiter? In ihren

Fähigkeiten, neue Kundenwünsche zu identifizieren, in wirksame Leis-

tungsangebote umzusetzen und so das Wirkungsfeld unseres Unterneh-

mens zu erweitern? Oder wollen wir unsere Organisation verschlanken,

uns auf Kernkompetenzen konzentrieren, also Mitarbeiter abbauen oder

auf neudeutsch: outsourcen?

Suchen wir das Zusammenwirken mit unseren Mitarbeitern, unseren

Kunden, unseren Lieferanten, damit sie unsere Vision als ihre eigene

empfinden und verinnerlichen? Oder wollen wir unsere Vision, unsere

strategischen Zielvorstellungen zelebrieren, verordnen, unters Volk brin-

gen?

Suchen wir nach Möglichkeiten, mit Hilfe gemeinsam erarbeiteter Kenn-

zahlen die Eigenständigkeit unserer Mitarbeiter und die Kooperation mit

unseren externen Partnern zu entwickeln bzw. auszubauen? Oder wollen

wir nur einige neue Kennzahlen, um unser Kontrollsystem effektiver zu

gestalten?

Wenn wir Mitarbeiter abbauen, Zielvorstellungen verordnen, Kontrollsyste-

me ausbauen wollen, signalisieren wir Misstrauen. Misstrauen in die Fähig-

keiten, die Loyalität, die Mitwirkungsbereitschaft unserer Mitarbeiter und

externen Partner. Wenn wir diese im Grunde negativ geprägten Vorstellun-

gen haben, dürfen wir von der Balanced Scorecard nicht all zu viel erwarten.

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Die Balanced Scorecard

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Die Balanced Scorecard setzt positives Denken voraus. In einer negativen

Atmosphäre verkümmert sie zu einem bloßen Zahlenwerk. Was wollen wir

denn von einem System erwarten, das Entlassungen, Verordnungen und

mehr Kontrolle zum Ziel hat? Kommunikation? Motivation? Sicherlich bei-

des – aber negative Kommunikation, negative Motivation! Und das wird un-

sere negative Grundeinstellung bestärken. Es ist ein Teufelskreis.

Sollten wir uns aber dazu durchringen, den negativen Teufelskreis des Miss-

trauens zu durchbrechen, dann kann uns die Balanced Scorecard auf diesem

Weg behilflich sein. Allerdings brauchen wir Geduld. Vertrauen entsteht

nicht per Dekret. Vertrauen wächst allmählich. Das gilt es, im Kommunika-

tionsprozess zu beachten.

Besonders komplizierte Situationen sind immer dann zu bewältigen, wenn

sich Unternehmen in einer existenziellen Krise befinden. Allerdings ist auch

oder gerade dann die Grundentscheidung gefordert. Die Grundentscheidung,

auf welcher Basis wir aus der Krise führen wollen. Auf der Basis des Miss-

trauens oder des Vertrauens. Eine Krise kann das Klima eines Unternehmens

endgültig vergiften. Dann nützt auch keine Balanced Scorecard mehr. Ande-

rerseits kann eine Krise durch gemeinsame Kraftanstrengung aller am ehes-

ten gelöst werden. Diesen Zusammenhalt zu schaffen oder zu befördern ist

zweifelsohne eine in der Balanced Scorecard liegende Möglichkeit. Denn

eine Vision kann auch darin bestehen, ein Unternehmen zu retten, wieder auf

gesunde Beine zu stellen. Eine solche Vision glaubhaft kommuniziert kann

eine ganze Belegschaft beflügeln. Und der Glaube versetzt bekanntlich Ber-

ge.

Also machen wir uns auf den Weg. Suchen wir, unsere Ziele zu definieren

und zu kommunizieren. Suchen wir nach den strategischen Erfolgspotentia-

len unseres Unternehmens. Die Balanced Scorecard soll uns auf diesem Weg

begleiten und helfen.

5.2 Die Balanced Scorecard unterstützt Ihren Zielfindungs-prozess

„Stell‘ Dir vor, es gibt Krieg, und keiner geht hin“. Dieses Zitat aus dem

gleichnamigen Gedicht von Bert Brecht beschreibt hervorragend die bei vie-

len Unternehmen bestehende Situation.

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Die Balanced Scorecard

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Viele Mitarbeiter wissen nicht, wofür sie arbeiten. Fragt man diese, so erhält

man häufig genug die Antwort: „Weil ich ja von etwas leben muss“. „ Na,

aus Spaß bestimmt nicht“. „Irgend etwas muss der Mensch ja tun.“ etc.

Und die Motivation für einen Job drückt sich aus in „möglichst viel Geld

verdienen“, „einen sicheren Arbeitsplatz haben und erhalten“. Reicht das?

Können wir es uns in unserer hochspezialisierten Welt leisten, derartig

(un)motivierte Mitarbeiter zu beschäftigen?

Nein! Es ist die Aufgabe von Führungskräften, allen Mitarbeitern Sinn und

Zweck ihrer Arbeit zu erläutern. Oberstes Ziel des Managements ist es, Ziele

aufzuzeigen und zu kommunizieren, so dass alle Mitarbeiter, wir möchten

betonen: Alle Mitarbeiter im Unternehmen wissen, wie sie an ihrem Ar-

beitsplatz mit dazu beitragen können, die Unternehmensziele zu erreichen.

Was sind Ziele ohne Kommunikation? Nichts! Ziele können nur weitergege-

ben werden durch Kommunikation. Aber Unternehmen benötigen mehr:

Motivation. Nur die Verbindung von Motivation und Kommunikation erlau-

ben den Einsatz aller für das gemeinsame Ziel. Und Motivation erreicht man

nicht mit Anweisungen, hierzu ist ein Prozess notwendig, der viel Zeit und

Kraft erfordert, aber reiche Früchte trägt.

5.2.1 Jedes Unternehmen benötigt Ziele

Leben ohne Ziele ist wie dahinvegetieren, ist kein Leben. Denn im Grunde

genommen gibt es kein Leben ohne Ziele. Nur, wir sind uns der Ziele nicht

immer bewusst! Wir setzen uns instinktiv immer Ziele. Der Mensch kann

gar nicht anders leben, da er vernunftbegabt ist. Wir antizipieren in jedem

Fall ein Ergebnis unserer Tätigkeit. Denn wir haben Erwartungen – ansons-

ten könnten wir nicht enttäuscht oder glücklich sein. In gewisser Weise ist

die Zielorientierung durch Erwartungen ein Grundprinzip des Lebens über-

haupt. Nur dass sich unterhalb der sozialen (bewussten) Ebene Erwartungen

nicht in kognitiven Strukturen befestigen.

Dies gilt wie für jeden Menschen auch für jedes Unternehmen. Nur wenn es

gelingt, Ziele zu setzen, können wir, können Mitarbeiter Werte schaffen.

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Die Balanced Scorecard

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„Ein Ziel ist ein angestrebter zukünftiger Zustand, der nach Inhalt, Zeit und

Ausmaß genau bestimmt ist. ... Das Denken und Arbeiten mit Zielen ist eine

Voraussetzung für wirksames Controlling. Führung durch Zielvereinbarung

(Management by Objectives) und Controlling wachsen zusammen. ... In ei-

ner zielorientierten Unternehmenskultur qualifiziert sich diejenige Person als

Führungskraft, die ihre Ziele genau plant und sie dann auch erreicht“ (aus:

Controller-Wörterbuch: die 100 wichtigsten Begriffe der Controllerarbeit,

International Group of Controlling IGC).

Persönliche wie Unternehmensziele lassen sich zeitlich differenzieren, wobei

wir unter kurzfristigen „operativen“ Zielen einen Horizont von maximal

zwei Jahren verstehen. Langfristige „strategische“ Ziele gelten für einen

Zeitraum von wenigstens fünf Jahren, diese werden aber durch das Setzen

von Meilensteinen in kleinere Ziel- und Zeiteinheiten zerlegt.

In (fast) jedem Unternehmen werden die kurzfristigen operativen Ziele als

Jahresbudgets erarbeitet und gelten als Vorgabe für die Tagesarbeit. Jedoch

in wie vielen Unternehmen gibt es eine Verknüpfung der operativen mit den

strategischen Zielen?

Häufig genug werden die Budgets aus den Zahlen des Vorjahres abgeleitet,

im Kostenbereich um einige Prozente verringert, im Bereich der Erlöse ge-

genüber den Vorjahreszahlen verbessert. Alle Controller müssten ob dieser

Analyse aufschreien, aber dies ist in vielen, allzu vielen Unternehmen geübte

und eingefahrene Praxis. Kann dies als zukunftsorientierte Zielvorgabe an-

gesehen werden?

Als Controller sollte man das „Knetverfahren“ anwenden: Grundsätzliche

Vorgaben für das Unternehmen werden von der Geschäftsleitung erstellt, die

(Kostenstellen-, Kostenträger- oder Projekt-) Verantwortlichen erarbeiten

aus diesen Vorgaben und ihren Erfahrungen ihren Budgetentwurf, der Con-

troller verdichtet die Zahlen aller Verantwortungsbereiche. Nun folgt die

Knetphase, in der gemeinsam aus den Einzelplänen ein aufeinander abge-

stimmter Gesamtplan für das Unternehmen erarbeitet und miteinander

kommuniziert wird.

Ein anderes, theoretisch interessantes, praktisch selten genutztes Verfahren

zur Budgeterstellung ist das „zero-based-budgeting“, bei dem man eben

nicht vom bestehenden Kostengefüge ausgeht, sondern nach neuen und wirt-

schaftlicheren Wegen der Leistungserbringung sucht.

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Die Balanced Scorecard

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Insbesondere größere Unternehmen leisten sich eine eigene Abteilung „stra-

tegische Planung“. Hier werden langfristige Pläne angedacht, diskutiert und

festgeschrieben. Aber wie häufig gibt es keine Verbindung zwischen den

langfristigen strategischen und den kurzfristigen operativen Zielen! Es wird

immer kolportiert, dass die Zusammenarbeit der beiden Bereiche strategi-

sche und operative Planung faktisch nicht vorhanden ist.

Wie soll da eine Verknüpfung von strategischen Zielen mit dem operativen

Tagesgeschäft erfolgen?

So manches Unternehmen hat sich ein Leitbild erarbeitet, das die Grundlage

der Unternehmensführung darstellt. Leitbilder sollen den Mitarbeitern die

Hauptziele und Rahmenbedingungen für das gesamte Unternehmensgesche-

hen verdeutlichen. Das Leitbild ist zugleich Ausdruck der Unternehmens-

identität, also auch für die angestrebte Wirkung in der Öffentlichkeit wich-

tig.

Demnach hat ein Leitbild im Grunde zwei Funktionen:

Darstellung der internen Hauptziele unter den gegebenen gesellschaftli-

chen Rahmenbedingungen.

Beantwortung der Frage, wie man in der Öffentlichkeit gesehen werden

will.

Dadurch werden zwei Sichten auf das Unternehmen definiert, eine externe

Sicht, in Zukunft „Mission“ genannt sowie eine interne Sicht, die „Vision“,

die für die Orientierung der Mitarbeiter wichtig ist.

Beiden Sichten ist gemeinsam, dass sie gleichgerichtet sein müssen und –

nicht nur von den obersten Führungskräften, sondern von allen Mitarbeitern

– vorgelebt werden! Zu den Gemeinsamkeiten gehört auch, dass die Quint-

essenz der Mission wie der Vision auf eine griffige Formel gebracht werden

sollte, damit sie allen Mitarbeitern, aber auch allen Kunden und Lieferanten,

ja der gesamten Öffentlichkeit im Gedächtnis bleibt und permanent Motor,

Antreiber für die tägliche Arbeit ist, im täglichen Leben Einzug findet.

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Die Balanced Scorecard

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5.2.1.1 Die Mission – wie wollen Sie gesehen werden?

Jedes Unternehmen lebt von seinen Kunden. Und natürlich werden Kaufent-

scheidungen aus den verschiedensten Gründen gefällt. Wichtig für eine

Kaufentscheidung ist der Bekanntheitsgrad des Unternehmens, häufig Aus-

druck seiner Kompetenz. Nur, Bekanntheitsgrad allein reicht natürlich nicht,

insbesondere muss die Bekanntheit in der Öffentlichkeit positiv sein.

Ein schönes Beispiel für eine Mission, den Slogan oder den Begriff, mit dem

ein Unternehmen in der Öffentlichkeit positiv aufgenommen werden will, ist

„Otto find ich gut“.

Dieser Slogan formuliert, wie der Otto-Konzern in der Öffentlichkeit wahr-

genommen werden will. Er ist kurz, prägnant, leicht in Werbekampagnen

integrierbar und signalisiert Vertrauen in Unternehmen und Produkte.

Natürlich sind derartige leicht schwammige Missionen austauschbar, könn-

ten auch von anderen Unternehmen genutzt werden. Daher ist es wichtig,

diese Mission bei allen Geschäftsprozessen im Auge zu halten. Sonst kann

eine kommunizierte Mission leicht – im wahrsten Sinne des Wortes – ins

Auge gehen. So manches Beispiel aus den letzten Jahren ließ die Öffentlich-

keit, angestachelt von der Presse, über Produkte und Unternehmen lächeln –

und es waren erhebliche Anstrengungen notwendig, ein einmal verlorenes

Vertrauen wieder zu gewinnen.

Natürlich kann ein mittelständisches Unternehmen nicht davon ausgehen,

dass seine Mission in der gesamten Öffentlichkeit wahrgenommen wird.

Aber Kunden und potentiellen Kunden sollte die Mission schon geläufig

sein. Hierfür kann man sich der regionalen wie der Fachpresse, aber ebenso

regionaler wie fachlicher Entscheidungsträger oder anderer Multiplikatoren

bedienen.

Auch für die Motivation der Mitarbeiter spielt der positive

Bekanntheitsgrad der Mission eine wichtige Rolle. Jeder ar-

beitet gern in einem Unternehmen, das im Bekannten- oder

Familienkreis gut angesehen ist!

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Missionen, für die Öffentlichkeit bestimmte Leitbilder könnten z.B. sein:

Ihre schnelle Bank Kreditinstitut

Good vibrations mit XYZ Automotive-Zulieferer

Ihr Backshop – schnell und knusprig Handwerk/Dienstleister

Scharf auf alles, was zu schneiden ist Küchenmaschinenhersteller

Wir bewegen Ihre Last Kfz-Anhängerhersteller

Ihr nationales Gsüffiges Spezialitätenbrauerei

Weitere Beispiele für Missionen könnten sein:

Gut ist uns nicht gut genug Handelshaus

Wir bewegen was (innovativer) Kfz-Hersteller

Wir machen mobil Funktelefon oder Kfz-Hersteller?

Wir sorgen für Ihr Zuhause Bausparkasse

Wir moderieren Zukunft Beratung

Diese Liste ließe sich beliebig erweitern und soll Anregung geben, auch für

das eigene Unternehmen eine griffige, kundenorientierte und öffentlichkeits-

orientierte Aussage zu erarbeiten.

5.2.1.2 Visionen braucht das Land

Visionen sind an und für sich etwas alltägliches. Schon „klein Fritzchen“

arbeitet mit Visionen, wenn er „Autorennfahrer“ werden will. Und Ludwig

Erhart predigte Visionen, um den wirtschaftlichen Aufschwung in Deutsch-

land zu realisieren. Aber heute scheint es keine Visionen mehr zu geben, je-

der werkelt in seinem eng abgegrenzten Bereich.

Jedoch: Die deutsche Industrie hat in den letzten Jahren vorgemacht, zu wel-

chen Ergebnissen man auch am Standort Deutschland mit Visionen kommen

kann. Im Rahmen der Globalisierungsstrategien sind viele Unternehmen,

insbesondere aus dem Automobilbereich gleichsam wie Phönix aus der

Asche emporgestiegen, haben an Kosten, zu hohen Löhnen und „no future in

Deutschland“ gearbeitet und den Standort Deutschland wieder wettbewerbs-

fähig gemacht. Diese Unternehmen haben Visionen entwickelt und umge-

setzt, um sich für den Weltmarkt fit zu machen.

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Die Balanced Scorecard

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Während der Begriff „Mission“ den Versuch darstellt, (potentiellen) Kunden

die Ziele des eigenen Unternehmens zu vermitteln, ist es Aufgabe der „Visi-

on“, den eigenen Mitarbeitern die langfristigen Unternehmensziele verständ-

lich zu machen. Auch hier gilt die Feststellung, dass eine Vision zumindest

in der Kurzform auf einen griffigen Slogan zusammengefasst werden sollte,

den alle Mitarbeiter bei ihrer Arbeit im Hinterkopf haben können. „Dies tue

ich, denn das ist unser gemeinsames Ziel, unsere Vision!“.

Wenn DaimlerChrysler im Jahresbericht 1998 für seine Aktionäre ausführt

„WIR SIND ein weltweit tätiger Anbieter von Automobilen, Transportpro-

dukten und Dienstleistungen. Wir schaffen hervorragenden Wert für unsere

Kunden, unsere Mitarbeiter und unsere Aktionäre.

WIR WOLLEN zwei herausragende Automobil- und Transportunternehmen

zu einem globalen Unternehmen zusammenführen – einem Unternehmen,

das bis zum Jahr 2001 der erfolgreichste und angesehenste Anbieter von Au-

tomobilen, Transportprodukten und Dienstleistungen ist. Wir wollen unsere

Kunden mit Produkten und Dienstleistungen begeistern, die sich durch hohe

Qualität und Innovation auszeichnen – aufgrund hervorragender Prozesse,

fähiger und motivierter Mitarbeiter und der Stärke unseres Portfolios.“

So ist dies zwar eine hervorragende, zielgerichtete Vision, jedoch für den

einfachen Werker am Band oder den Pförtner etwas hoch. Und auch diese

gehören zum Unternehmen. Vielleicht ließe sich die Vision zu folgendem

Slogan zusammenfassen:

„Wir werden durch motivierte Mitarbeiter bis zum Jahr 2001

erfolgreichster und angesehenster Anbieter von hervorragenden

Automobilen, Transportprodukten und Dienstleistungen.“

Mit dieser Vision wird jedem Mitarbeiter klar, worum es mittel- und lang-

fristig geht. Wenn jetzt diese Vision noch durch gemeinsam erarbeitete Stra-

tegien für die einzelnen Geschäftsbereiche inhaltlich erläutert wird, so ist ein

erster Schritt zur Motivation aller getan.

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Die Balanced Scorecard

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Kurze, einprägsame Visionen zu formulieren fällt gewiss schwer: Vieles er-

scheint wichtig genug, um aufgenommen zu werden in diesen Slogan, der

für die nächsten Jahre gelten soll. Aber auch hier gilt: Weniger ist mehr. Und

es kommt schon ab und zu vor, dass die Realität dank eigener Leistung und

genutzter glücklicher Situationen am Markt die Vision einholt.

Anfang 1998 haben wir für ein Unternehmen im Automotive-Markt folgen-

de Vision diskutiert: „Durch Innovation zum Weltmarktführer“. Das Unter-

nehmen, ein mittelständischer Berliner Hersteller mit gut 100 Mitarbeitern,

hatte bereits auf dem europäischen Markt die Führerschaft erreicht. Es fehlte

der große Brocken des nordamerikanischen Marktes. Mit viel Verhand-

lungsgeschick gelang es jedoch, bei dem größten US-amerikanischen An-

wender Alleinlieferant zu werden – der Weltmarktanteil stieg hierdurch von

gut 20% auf gut 40%, die Vision war erreicht.

Also auch für Visionen gilt: Erreichbar müssen sie im Planungshorizont

sein, aber sehr sehr strecken sollte man sich schon ...

Natürlich ist es für einen „Gemischtwarenkonzern“ schwieriger als für ein

auf einen Markt ausgerichtetes Unternehmen, eine Vision für alle zu formu-

lieren. Als Ausweg werden dann gern eher finanzwirtschaftliche Werte als

Vision formuliert:

„Wir wollen auf allen unseren Geschäftsfeldern eine um drei Prozent höhere

Rendite als unser Wettbewerb erreichen.“

Schön, aber ob man damit Begeisterung wecken kann? Dies mag vielleicht

für US-amerikanische Unternehmen gelten, die viel eher als europäische Un-

ternehmen auf rein finanzielle Ziele fixiert sind. (Soziale) Verantwortung für

Mitarbeiter, Kunden und Staat sind auch Werte, die zumindest im Unterbe-

wusstsein mit angesprochen sein sollten.

Visionen, für die Mitarbeiter im Unternehmen bestimmte Leitbilder könnten

z.B. sein:

Wir werden die profitabelste Regionalbank Kreditinstitut

Weltmarktführer für Schwingungstechnik Automotive-Zulieferer

Wir haben zufriedene Kunden und starkes

Unternehmenswachstum durch schnelles

Zusatzgeschäft Handwerk/Dienstleister

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Die Balanced Scorecard

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Wir wollen in Europa der Spezialist für

regional spezifische Schneidetechnik im

Großküchenbereich sein Küchenmaschinenhersteller

Wir bewegen jede Last Kfz-Anhängerhersteller

Wir werden bis 2002 die Nr. 1 in Deutschland Spezialitäten-Brauerei

Andere Beispiele für Visionen könnten sein:

Unsere Kunden wachsen schneller als der Wettbewerb Beratung

Wir verkaufen Qualität zu günstigen Preisen Handelshaus

Mit neuester Technik 20% p.a. wachsen innovativer Kfz-Hersteller

Wir wachsen bei gleichbleibender

Rendite doppelt so schnell wie der Markt Funktelefonhersteller

Keine Bausparkasse wächst schneller Bausparkasse

Moderation, das können wir Beratung

Eher als Missionen sind Visionen meist schon recht unternehmensbezogen,

also nicht austauschbar. Natürlich wird man für die Entwicklung der Vision

bei ähnlich strukturierten Unternehmen der gleichen Branche Anleihen ma-

chen können, aber wichtig ist auch hier: Durch Diskussion und interne

Kommunikation im obersten Führungszirkel muss ein gemeinsames, von

allen getragenes Leitbild geschaffen werden, das als Handlungsmaxime für

die nächsten Jahre im Unternehmen eingesetzt werden soll.

Also erarbeiten wir ehrgeizige Ziele für Management und Mitarbeiter, Ziele,

die Mitarbeitern wie Kunden eine Identifikation mit dem Unternehmen er-

lauben. Ohne Ziele geht nichts, mit Zielen fängt die Arbeit erst an!

5.2.1.3 Strategien – Wege zur Zielerreichung

Erst wenn ein Ziel festgelegt worden ist, kann mit der Erarbeitung der Wege

dorthin begonnen werden. Es gilt, die Erfolgspotentiale des Unternehmens

auf den anvisierten Geschäftsfeldern zu definieren. „Die richtigen Dinge

richtig tun“ lernt der Controller in seiner Ausbildung. Also geht es bei der

Entwicklung der Strategien darum, die „richtigen Dinge“ zu identifizieren.

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Die Balanced Scorecard

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Erinnern Sie sich an unseren Banker aus dem 1. Kapitel, der vor die Aufgabe

gestellt wurde, dem Kreditinstitut neue Impulse zu geben? Mit seinem Con-

troller und der Geschäftsleitung hatte er sich darauf verständigt, die für die

Kunden geltende Mission mit dem Slogan „Ihre schnelle Bank“ zu beschrei-

ben. Diese Mission verknüpften sie mit der für die Mitarbeiter bestimmten

Vision „Wir werden die profitabelste Regionalbank“. Nun muss der Weg

dorthin gefunden werden. Der Weg, formuliert als Strategien für seine Bank.

In Diskussionen mit der Leitungsebene der Bank wurden folgende zwei stra-

tegischen Ansätze als Ziel für die nächsten vier Jahre festgelegt:

Als Kundengruppe mit erheblicher Finanzkraft und Wachstumspotential

wollen wir uns auf Kunden konzentrieren, die Hausbesitzer werden. Die

potentiellen Kunden sind über schnelle Entscheidungswege im Baukre-

ditgeschäft zu gewinnen. Dazu müssen die Mitarbeiter entsprechend

ausgebildet, die Entscheidungswege im Unternehmen radikal verkürzt

werden.

Das 1. strategische Ziel lautet: Kreditentscheidungen für Baukredite

treffen wir innerhalb von 24 Stunden.

Das alltägliche Bankgeschäft wird immer kostenträchtiger. Wenn wir

über den ersten strategischen Ansatz neue und finanzkräftige Kunden

gewinnen, sollten wir versuchen, diese überwiegend junge Kundschaft

an das kostengünstigere Electronic Banking zu gewöhnen. Hierzu müs-

sen wir auch unsere Mitarbeiter an dieses Medium gewöhnen, damit die-

se den Kunden kompetent Hilfe, Unterstützung und Zuspruch bei den an-

fänglichen Schwierigkeiten geben können. In jeder unserer Filialen sind

PC aufzustellen, an denen unsere Kunden zusammen mit unseren Mitar-

beitern an das Electronic Banking herangeführt werden. Und wir sollten

nach spezifischen Softwarelösungen, nicht nur für das Baukreditge-

schäft, suchen, die wir unseren Kunden als besondere Leistung anbieten

können.

Das 2. strategische Ziel lautet: In vier Jahren wollen wir mit unseren

Kunden mindestens 50% aller Transaktionen über das Electronic

Banking abwickeln.

Diese definierten strategischen Ansätze mögen für diese Regionalbank rich-

tig, für andere hingegen vollkommen falsch sein. Die Strategie hängt von so

vielen internen wie externen Faktoren ab, dass die strategischen Ansätze für

jedes Unternehmen wohl einmalig sein dürften.

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Für unsere Beispiel-Unternehmen wurden folgende Strategien angedacht,

um die Vision mit der dazugehörigen Mission umzusetzen:

Strategien des Automotive-Zulieferers

1. Umsatzverdoppelung in 4 Jahren

Der Markt für die Zulieferteile ist begrenzt: Jeder Dieselmotor hat übli-

cherweise nur ein zugeliefertes Teil eingebaut. Aber eine Umsatzauswei-

tung ist doch möglich:

a) Auch wenn man inzwischen Weltmarktführer ist, kann doch in einem

oligopolistischen Markt (mit wenigen Anbietern) der eine oder andere

Wettbewerber noch verdrängt werden. Ziel ist es insbesondere, auch

auf dem US-amerikanischen Markt Marktführer zu werden!

b) Dieselmotoren werden auch in Pkw eingebaut – aber warum werden

nur Lkw- und Schiffsdiesel mit dem Zulieferteil ausgestattet. Könnte

man nicht versuchen, auch im Pkw-Bereich dank Know-how-

Führerschaft zumindest bei Diesel-Pkw der Luxusklasse in den Markt

zu kommen?

c) Das Komponentengeschäft wird auch in der Lkw-Sparte Einzug fin-

den. Könnte man nicht hier für große Lkw-Hersteller Vorreiter wer-

den?

2. 50% Umsatzanteil von neuen Produkten

a) Auch in dieser prinzipiell über 100 Jahre alten Dieseltechnik sind

ständige Innovationen notwendig, um den Kunden weitere Wertange-

bote machen und um Kosten senken zu können.

b) Für neue Produktideen in einem klassischen Markt ist es gerade für

ein mittelständisches Unternehmen notwendig, mit den Entwicklern

der Kunden permanent zusammen zu arbeiten, um Neues gemeinsam

zu entwickeln und um Bindungen zu schaffen.

c) Aber auch in anderen Märkten gibt es schädliche Schwingungen – wä-

re hier nicht ein Potential?

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Strategien für das Handwerk/den Dienstleister

1. Neue Techniken in Produktion und Vertrieb befähigen uns, jährlich

unseren Umsatz zu verdoppeln – insgesamt und insbesondere mit un-

seren Stammkunden.

a) Aggressives Wachstum ist im Filialgeschäft unbedingt notwendig!

b) Insbesondere die Stammkunden wollen gepflegt und gehegt werden;

sie sind die Stütze des „schnellen Umsatzes“.

c) Dank Einsatz von DV und neuen Backtechniken werden die Kunden

schneller bedient und mit frischeren Backwaren versorgt.

Warum viele Strategien, wenn mit einer Strategie die Vision erreicht

werden kann?

Strategien des Küchenmaschinenherstellers

1. Wir wollen die Kommunikation mit Interessenten und Kunden erheb-

lich intensivieren.

a) Wie bei vielen ostdeutschen Unternehmen sind auch hier das Marke-

ting und der Vertrieb Schwachpunkte. Hierzu gehören insbesondere

Instrumente zur direkten Verkaufsunterstützung.

b) Auch das Gespräch mit Kunden und Interessenten muss gesucht wer-

den, um neue, weitergehende Anwendungswünsche zu identifizieren

und zur Produktreife zu führen.

2. Unser Innovationspotential wird durch Zusammenarbeit mit externen

Entwicklern ausgebaut.

a) Gerade mittelständische Unternehmen, so auch dieses, sind geprägt

durch technisch orientierte geschäftsführende Gesellschafter/Inhaber,

die auch Stärken im Vertrieb aufweisen. Wachsen diese Unterneh-

men, fehlt es gerade auf diesen beiden, für Unternehmen so wichtigen

Feldern: Vertrieb und Entwicklung. So ist es zwangsläufig, dass die

beiden Strategien gerade in beide Bereiche zielen.

Nur, der Ausbau der eigenen F&E-Abteilung erhöht die Strukturkos-

ten, stellt einen Fixkostenblock dar, der nicht gewünscht ist. Daher

wird die Zusammenarbeit mit externen Entwicklern, ob aus kleineren

„Entwicklergaragen“ oder aus dem universitären Bereich, gesucht.

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Strategien des Kfz-Anhängerherstellers

1. Unser Vertriebsnetz wird erheblich ausgeweitet, damit wir deutsch-

landweit bekannt werden als Hersteller von Spezial-Lkw-Anhängern.

a) Auch hier begegnen wir einem Vertriebsproblem: Das Unternehmen

fertigt exzellente Qualitäten zu günstigen Preisen, ist aber nur regio-

nal bekannt. Ein großer Anteil der Produktion wird noch unter ande-

rem Namen im Auftrag produziert. Mit Marketingmaßnahmen ist der

Bekanntheitsgrad des Unternehmens zu verbessern.

b) Damit einhergehend muss das Händlernetz ausgebaut werden, damit

verstärkt unter eigenem Namen gefertigt werden kann.

2. Umsatzausweitung durch neue Anwendungsgebiete

a) Jedes Unternehmen sollte die Unabhängigkeit steigern durch ein Kun-

denmix. Anhänger werden ebenfalls außerhalb des klassischen

Transportbereiches genutzt, so z.B. im wachstumsstarken Hobby-

markt. Anhänger zum Transport von Pferden könnte ein zweites

Standbein werden. Aber auch andere Anwendungsgebiete, andere Ni-

schen sind denkbar und sollten in Zusammenarbeit mit Interessenten

diskutiert werden.

b) Natürlich muss hierfür vertriebsmäßig eine andere Zielgruppe bearbei-

tet werden.

Strategien der Spezialitätenbrauerei

1. Wir wollen der beste/größte Partner für den Getränkefachgroßhandel

in unserem regionalen Raum sein und mindestens einen Fachgroßhan-

del in allen deutschen Ballungsgebieten neu gewinnen.

a) Sehr sympathisch: Trotz des Versuchs, überregionaler Anbieter von

Spezialbieren zu werden, wird dem regionalen Markt weiterhin größ-

te Aufmerksamkeit gegeben. Die Region ist nicht nur die Cash-cow

des Geschäfts, sondern auch ein wichtiger Werbeträger für den natio-

nalen Gang.

b) Die Präsenz in den deutschen Ballungsgebieten muss hergestellt wer-

den. Dies erfolgt über den Fachgroßhandel.

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Die Balanced Scorecard

100

2. Die Abverkaufsmenge je Outlet muss verdoppelt werden.

a) Der regionale Biermarkt ist geprägt von scharfem Wettbewerb. Nicht

nur überregionale Pilsbiere, teilweise zu niedrigsten Preisen, drängen

auf den Markt, auch regionale Wettbewerber mit Spezialbierangebo-

ten versuchen, die Stellung des Unternehmens anzugreifen.

b) Dem Verkauf in Getränkefachmärkten kommt hierbei eine große Be-

deutung zu. Durch vertriebliche Maßnahmen ist der Absatz in diesen

Fachmärkten erheblich zu steigern – aber nicht durch Preisverfall!

Für ein Unternehmen kann es natürlich viele strategische Ansätze zum Be-

stehen im Wettbewerb geben. So manches Unternehmen hat dann zehn,

fünfzehn Strategien entwickelt und versucht, mit den Mitarbeitern zu kom-

munizieren. Die Folge: Die Strategien kamen nicht an – oder man suchte

sich das Richtige aus. Daher sollte man sich beschränken auf zwei bis ma-

ximal fünf als wirklich wichtig eingeschätzte Strategien zur Zielerreichung,

die mit allen Mitarbeitern kommuniziert werden können – und müssen.

Natürlich bedeutet dies nicht, dass für bestimmte Unterneh-

mensbereiche, Abteilungen etc. nicht doch weitere oder sogar

andere Strategien erarbeitet werden. Für bestimmte Funkti-

onsbereiche im Unternehmen wie Marketing/Vertrieb, For-

schung und Entwicklung, Personal, Finanzen etc. sind durch-

aus eigene spezifische Strategien erforderlich. Aber diese ha-

ben das Ziel, die übergeordnete Unternehmensstrategie zu

unterstützen. Jeder Bereich kann unterschiedliche Ansätze

zur Umsetzung der Gesamtstrategie, des richtigen Weges, der

„richtigen Dinge“ wählen.

Getrennt marschieren, gemeinsam gewinnen, denn kaum ein Ziel ist nur ein-

dimensional zu erreichen!

Jedoch ist auch hier Beschränkung auf das Wesentliche eine wichtige Tu-

gend! Natürlich gilt dies in Mischkonzernen nur bedingt, da deren strategi-

sche Geschäftseinheiten durch eigenständige Produkt-Markt-Strategien, also

selten durch gemeinsame strategische Merkmale charakterisiert sind.

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Die Balanced Scorecard

101

5.2.1.4 Diskrepanz zwischen Strategie und Budget

Mehr als 50% der Manager in europäischen Unternehmen kennen nicht die

Vision, die strategischen Ansätze, die von der Geschäftsführung ausgegeben

worden sind. Häufig, weil es überhaupt keine Strategien gibt. Aber mehr

noch kann man die Erfahrung machen, dass die Vision und die strategischen

Ansätze in den Köpfen des innersten Führungszirkels bleiben, nicht an die

unteren Hierarchien weitergegeben worden sind.

Und so kann natürlich das Management eine Verbindung von Strategie und

operativem Budget überhaupt nicht herstellen. Hinzu kommt, dass die Stra-

tegien – sofern vorhanden – häufig abgehoben von der realen Situation sind,

da die praktischen Erfahrungen der nächsten Hierarchieebenen nicht in die

Entwicklung eingeflossen sind. Ein Feedback, die Überarbeitung und ggf.

Neufassung der strategischen Ansätze durch die Geschäftsführung findet

natürlich auch nicht statt, da es keine strategische Diskussion im Unterneh-

men gibt.

5.2.1.5 Unterstützen Ihre operativen Ziele Ihre Strategien?

Und wenn strategische Planungen im Unternehmen durchgeführt werden, ist

dies trotzdem noch keine Gewähr für die Umsetzung, denn allzu häufig gibt

es keine Verbindung zwischen strategischer und operativer Planung. Der

Fünf- oder sogar Zehnjahresplan ist die eine, das operative Budget die ande-

re Welt. Wie häufig erlebt man sogar in großen Konzernen, dass die Mitar-

beiter in der Abteilung „Strategische Planung“ überhaupt keine Verbindung

zu den die operative Planung abstimmenden Controllern haben.

So driften Budget und Strategie immer mehr auseinander, ein Bezug zwi-

schen den beiden Planprozessen findet nicht statt.

Selten genug sind die erfolgsabhängigen Gehaltsanteile des Managements

mit den strategischen Zielen verknüpft, zumeist aber mit der operativen

Zielerreichung. Kein Wunder, dass strategische Ziele so wenig umgesetzt

werden!

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Die Balanced Scorecard

102

5.2.2 Top down oder bottom up?

Strategische Inhalte müssen zentral und in Abstimmung mit der höchsten

Unternehmensebene erarbeitet werden. Die Form der Umsetzung richtet sich

jedoch nach den Erfordernissen der jeweiligen Bereiche. Dieses Grundprin-

zip der Unternehmensplanung gilt auch für die strategischen Grundlagen, auf

denen die Balanced Scorecard basiert.

Immer wieder werden wir von Controllern um Rat gefragt: „Können wir

nicht beginnen, die Balanced Scorecard entwickeln, die Strategien unseres

Unternehmens kennen wir doch eigentlich“.

Aber penetrant lautet die Antwort: „Nein, eine Strategie und ein darauf auf-

bauendes strategisches Kennzahlensystem kann nur entwickelt werden,

wenn ein von der Geschäftsführung erarbeitetes langfristiges Unternehmens-

ziel (Mission und Vision) festgelegt wurde, hinter dem jedes Mitglied der

Unternehmensleitung steht.“ Und sinnvollerweise wird die Unternehmens-

strategie bzw. werden die Strategien von der Geschäftsführung zusammen

mit der nächsten Hierarchieebene und mit Unterstützung des Controller-

dienstes erarbeitet.

5.2.2.1 Zielfindung – Kommunikation – Motivation

Denn spürbare Veränderungen im Unternehmen gelingen erst dann, wenn

neue Lösungen nicht nur gemeinsam entwickelt und anschließend umge-

setzt, sondern auch allgemein akzeptiert und in einer Organisation „gelebt“

werden. Dazu bedarf es der gemeinsamen Zielfindung, der damit verbunde-

nen Kommunikation und der daraus erwachsenden Motivation!

Diesem Schlüsselsatz wird die Balanced Scorecard gerecht, da sie nicht ein-

fach die Umsetzung von weiteren neuen Kennzahlen, sondern die gemein-

same Arbeit an der Umsetzung der Visionen und Strategien in Kennzahlen

zum Inhalt hat. Das zu entwickelnde Kennzahlensystem ist hierbei als

„Transmissionsriemen“ des Umsetzungsprozesses zu verstehen. Die Balan-

ced Scorecard ist eben – und darauf können wir nicht oft genug hinweisen –

nicht ein aus verschiedenen Perspektiven erarbeitetes Kennzahlensystem

sondern eine ganzheitliche Managementmethode zur Umsetzung strategi-

scher Ansätze im Unternehmen mit Hilfe von Kennzahlen.

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Die Balanced Scorecard

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Die Motivation, die erarbeiteten strategischen Umstrukturierungsprozesse

zielgerichtet durchzuführen, erwächst dabei aus der intensiven, Bereichs-

und Hierarchiegrenzen überschreitenden Kommunikation. Sie ist das A und

O der Arbeit an und mit der Balanced Scorecard.

5.2.2.2 Hindernisse in der Praxis

Die Umsetzung eines strategischen Ansatzes für ein Unternehmen wird in

der Praxis vielfach erschwert durch folgende Faktoren:

Die Konkretisierungsbarriere

Wie häufig sind Visionen und daraus abgeleitete Strategien eine Wunsch-

formulierung! Natürlich will jede Firma größtes, bestes, kostengünstigstes,

ertragsstärkstes etc. Unternehmen werden. Aber der Wunsch allein reicht

nicht aus. Die Trauben sollen hoch, aber nicht zu hoch gehängt werden. Das

Ziel muss erreichbar sein, die Wege dorthin müssen gangbar sein, also kon-

kretisiert werden können. Für jedes Unternehmen gibt es nur wenige

beschreitbare Wege, auf denen das anvisierte Ziel erreicht werden kann.

Die Implementierungsbarriere

Üblicherweise ist das Berichtssystem von Unternehmen auf das nächste

Quartal bzw. das laufende Jahr fixiert; eine Orientierung zumindest auch auf

einen strategischen Zeitraum (fünf bis zehn Jahre) erfolgt nicht – kein Wun-

der, dass sich da keine strategischen Erfolge einstellen.

Die Commitmentbarriere

Unternehmen, die die Balanced Scorecard einsetzen, wissen sehr wohl, dass

die Umsetzung strategischer Ziele auch über die Einbindung von strategi-

schen persönlichen Zielen in das Entlohnungs- bzw. Prämiengefüge erfolgt.

Wenn das Management allein an operativen Zielen gemessen

wird, ist es keine Überraschung, dass die Erreichung strategi-

scher Ziele unwahrscheinlich ist.

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Die Balanced Scorecard

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Die operative Barriere

Auch wenn strategische Ansätze im Unternehmen vorhanden sind, so sind

doch selten genug Verknüpfungen mit dem operativen Budget, aber auch mit

den kurzfristigen Investitionsplänen gegeben. Der Budgetierungsprozess

darf nicht vom strategischen Planungsprozess getrennt werden.

Die Kommunikationsbarriere

Schön sind die gesetzten Ziele, machbar die Anstrengungen, um diese zu

erreichen. Es fehlt jedoch ein Ansatz, diese Ziele und Strategien den Mitar-

beitern zu vermitteln. In vielen Unternehmen, gerade wenn diese hierar-

chisch geführt werden, gibt es Kommunikationsprobleme. Die Mitarbeiter,

die zur Umsetzung beitragen müssen, sollten nicht nur informiert, sie müs-

sen auch motiviert sein, um ihren Beitrag zur Zielerreichung leisten zu kön-

nen.

Die wichtigste Barriere im Prozess der Umsetzung von Visi-

on und Strategien ist die fehlende Kommunikation zwischen

allen Beteiligten, zwischen allen Mitarbeitern im Unterneh-

men. Veränderungsbereitschaft bedingt als Grundlage Kom-

munikationsfähigkeit!

5.3 Wie messen wir die Zielerreichung?

Nun haben wir also eine Mission definiert. Und eine Vision. Und wir haben

die Strategien abgeleitet, die Wege bestimmt, auf denen wir unsere Vision

erreichen wollen. Das ist schon viel. Aber dennoch erst der Beginn. Denn

wir wissen jetzt wahrscheinlich, was und wohin wir wollen. Und das mag

uns beflügeln. Nur, es sollen alle beflügelt werden, alle, die intern wie extern

mit unserem Unternehmen in Beziehung stehen.

Also müssen wir unsere Gedanken transparent machen. Transparent durch

Konkretisierung, durch Konkretisierung in Form von Kennzahlen. Und das

ist – ganz nebenbei – auch gut für unser eigenes Denken. Es zwingt uns, die

Gedanken zu ordnen und auf den Punkt zu bringen.

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Die Balanced Scorecard

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5.3.1 Kennzahlen führen zu transparenten Strategien

Kennzahlen verlangen mehrere Dinge von uns:

1. Wir müssen sie definieren, ihren Inhalt bestimmen. Das mag kein

Problem sein für übliche Kennzahlen wie Umsatz und Gewinn. Aber

schon bei Größen wie Cash-flow oder Marktanteil finden sich in ver-

schiedenen Unternehmen unterschiedliche Definitionen. Wer einmal

die Systeme des Rechnungswesens ehemals eigenständiger Firmen ei-

nander angleichen musste, kann ein Lied davon singen. Ganz kompli-

ziert wird es jedoch bei spezifischen Kennzahlen, die Unternehmen

für strategische Steuerungen nichtfinanzieller Größen auswählen.

In unserer praktischen Arbeit an verschiedenen Balanced

Scorecards wurden wir mit Kennzahlen wie „Haltbarkeit ei-

nes Kunden“ oder „Produktnutzungsquote“ konfrontiert. Hier

ist der Definitionsbedarf unbestritten. Im ersten Fall suchte

ein Verlag zu erfassen, wie lange ein Kunde durchschnittlich

ein periodisch erscheinendes Produkt nutzt. Im zweiten Fall

war es der uns bekannte Banker: Er wollte den Anteil der

Kunden erfassen, die bereits jene über das Internet angebote-

nen Leistungen der Bank wie Electronic Banking nutzen.

2. Wir müssen uns darauf verständigen, nach welcher Methode wir wel-

che Basisdaten erfassen und wie wir diese Basisdaten zu der von uns

gewählten Kennzahl kombinieren. Nutzen wir beispielsweise für die

Bestimmung des Marktanteils ausgewählter Produkte die Erhebungen

der Gesellschaft für Konsumforschung oder Verbandszahlen oder sta-

tistische Erhebungen unserer Hausbank oder eigene Quellen? Wie

werden Daten verschiedener Einzelprodukte zu Produktgruppen zu-

sammengefasst? Wie soll mit saisonalen Schwankungen verfahren

werden? Sind sie zu berücksichtigen oder werden sie geglättet?

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Die Balanced Scorecard

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Diese Fragestellungen mögen im Zusammenhang mit der

großen Strategie als recht kleinlich anmuten. Aber nichts dis-

kreditiert eine Kennzahl mehr als eine nicht akzeptierte oder

auch nicht verstandene Bestimmungsmethode. Deshalb sollte

in dieser Frage ein höchstmöglicher Konsens angestrebt wer-

den.

3. Es gilt, das aktuelle IST zu erarbeiten und konkrete SOLL-

Zielstellungen abzustimmen. Dazu gehören auch entsprechende Maß-

nahmen, die das Erreichen der SOLL-Ziele gewährleisten sollen. Hier

erscheint alles klar und einfach. Aber bereits die Erfassung der IST-

Daten erweist sich mitunter als kompliziert:

- Wie soll etwa mit außerordentlichen Geschäftsvorfällen verfahren

werden? Sie können das Bild verfälschen und uns zu unnötigen

oder gar kontraproduktiven Maßnahmen verleiten. Es gibt aber

auch Situationen, in denen außerordentliche Geschäftsvorfälle ein

solches Gewicht erreichen, dass wir sie nicht mehr ausblenden

dürfen.

- Und die Formulierung der SOLL-Ziele? Wie genau soll die Ziel-

vorgabe sein? Wählen wir einen Zielbereich? Einen Entwick-

lungskorridor? Differenzieren wir stärker oder weniger stark?

Wenn wir eine hohe Treffgenauigkeit unserer Kennzahlen anstre-

ben, müssen wir an dieser Stelle solide Vorarbeit leisten.

4. Es muss festgelegt werden, wer für diese Kennzahl und ihre Entwick-

lung verantwortlich zeichnet. Denn Kennzahlen ohne Verantwortliche

für ihre Entwicklung sind tote Kennzahlen. Aber wir wissen auch: Für

jede Kennzahl sollte es nur einen Verantwortlichen geben. Denn ge-

teilte Verantwortung ist keine Verantwortung.

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Die Balanced Scorecard

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Und an dieser Stelle wird es kompliziert, weil die meisten der

von uns verwendeten Kennzahlen komplexe Gebilde darstel-

len. Sie sind das Resultat der Berechnung aus einer Vielzahl

von Quelldaten, die gegebenenfalls selber eigenständige

Kennzahlen bilden. Es entsteht daher ein Netz von Verant-

wortlichen – sofern wir die Arbeit mit Kennzahlen ernst

nehmen. Dieses Netz gilt es zu bedenken, das Beziehungsge-

flecht zu organisieren. Damit die Kommunikation auch funk-

tioniert, die Verantwortung wahrgenommen werden kann.

5. Wir müssen die Art und Weise definieren, wie die Vergütung des

Verantwortlichen an die Entwicklung der Kennzahl gebunden werden

soll. Beim Geld hört bekanntlich die Freundschaft auf. Und auch

wenn die Vergütung in nichtfinanzieller Form erfolgt, so ist die Güte

der damit mobilisierbaren Motivation davon abhängig, inwieweit die-

se Verknüpfung zwischen Entwicklung einer Kennzahl und bestimm-

ten Vergütungsleistungen von allen verstanden und akzeptiert wird.

Fehlende Klarheit und Transparenz in dieser Frage führen sehr schnell zum

Geruch von Vetternwirtschaft und Mauschelei. Und die davon ausgehende

Motivation ist normalerweise in hohem Grade kontraproduktiv!

Bereits diese kurze Aufzählung zeigt: Jetzt hören die Hochglanzbroschüren

auf. Jetzt wird es konkret! Und spätestens an dieser Stelle wird die Balanced

Scorecard ausgesprochen spezifisch für jedes Unternehmen. Selbst wenn die

Kennzahlen dem äußeren Namen nach noch denen anderer Firmen ähnlich

sein können:

- die dem eigenen Informationsverarbeitungssystem angepasste Defini-

tion,

- die Messmethoden,

- die Bestimmung von IST und SOLL,

- das Maßnahmenpaket,

- das Netz der Verantwortlichen und schließlich

- das Vergütungssystem,

all das muss und kann jedes Unternehmen nur für sich selbst erarbeiten.

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Die Balanced Scorecard

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Und die Aufzählung legt noch eine weitere Empfehlung nahe. Es sollten

nicht zu viele Kennzahlen sein! Ansonsten droht die Gefahr, dass jene

Transparenz, die wir durch die Konkretisierung unserer Strategien mit Hilfe

von Kennzahlen erreichen wollten, durch die Vielzahl der Kennziffern wie-

der verloren geht.

5.3.2 Strategisch führen mittels Kennzahlen

Einem sechsten Punkt sollten wir besondere Aufmerksamkeit schenken,

wenn wir mit den von uns gewählten Kennzahlen strategisch führen wollen:

Wir brauchen eine Brücke zum Budget. Denn strategisch führen heißt in die

Zukunft führen. Heißt, einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren zu steuern.

Aber so, dass eine enge Verbindung zur Gegenwart, zum Budget besteht und

gewahrt bleibt.

Wir werden also mit der Zeitschiene konfrontiert, mit dem prozessualen

Charakter der in Kennziffern gefassten Unternehmensentwicklung. Diesem

Charakter zu genügen, erfordert Kennzahlen unterschiedlicher zeitlicher In-

dikation. Wir sind beim Thema Früh- und Spätindikatoren.

5.3.2.1 Frühindikatoren

Den Grundgedanken der Frühindikatoren hatten wir schon erläutert (s. Kap.

3.1.4.1). Die Funktion von Frühindikatoren kann etwa folgende Kennzahlen

übernehmen, die von unseren Beispiel-Unternehmen ausgewählt wurden:

Kreditinstitut:

gewonnene Homebanking-Kunden pro Baukredit

Der Controller unserer Bank hatte diese Kennzahl vorgeschlagen, um ei-

ne frühzeitige Verknüpfung der beiden strategischen Grundlinien der

Bank messen und dadurch steuern zu können.

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Die Balanced Scorecard

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Automotive-Zulieferer:

Teilnehmer an einem vom Unternehmen jährlich zu organisierenden

Vibrationskongress

Eine sehr spezifische Kennzahl für den Automotive-Hersteller, der seine

Position als Know-how-Führer in diesem Bereich und damit seine

Marktposition weltweit ausbauen und langfristig absichern will.

Handwerk/Dienstleister:

Umsatzwachstum Bistrogeschäft

Die Backshop-Kette will mit dieser Kennzahl ihre strategische Ausrich-

tung auf Wachstum durch schnelles Zusatzgeschäft verstärken.

Küchenmaschinenhersteller:

Wachstum der Anfragehäufigkeit in Kombination mit

- Wachstum der Angebotshäufigkeit und

- Erhöhung der Auftragswahrscheinlichkeit (h Angebotserarbeitung/

DM Auftragsvolumen)

Mit dieser Kombination beabsichtigt der Küchenmaschinenhersteller, seine

Vertriebsprozesse deutlich zu effektiver zu gestalten. Der Steuerungseffekt

soll noch dadurch erhöht werden, dass die Kennzahlen nach Zielregionen

differenziert werden.

Kfz-Anhängerhersteller:

Konstruktionsänderungsanteil

Dieser Indikator signalisiert dem Hersteller von Kfz-Anhängern, inwie-

weit bereits bei der Auftragsabsprache, die Wünsche und Erwartungen

des Kunden erforscht und dem Kunden die Möglichkeiten der individu-

ellen Fertigung bekannt waren. Damit soll die kundenorientierte Service-

leistung des Unternehmens und darauf aufbauend seine Marktposition

entwickelt werden.

Spezialitätenbrauerei:

Wachstum der Anzahl vertraglich gebundener Fachhändler

Diese Kennzahl wurde von dem regionalen Brauereiunternehmen ge-

wählt, das seinen Umsatz durch die Eweiterung des Fachhändlernetzes in

andere Regionen ausdehnen will.

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Ein weiterer interessanter Frühindikator ist beispielsweise die Kennzahl:

Wachstum des Anteils an Wiederkäufern

Das ist ein Frühindikator, den ein Kfz-Hersteller als wesentlich für die Cha-

rakteristik der Entwicklung seiner Marktposition bestimmt hat, um sein stra-

tegisches Wachstumsziel zu erreichen. Dieser Indikator eignet sich generell

für jene Unternehmen, die ihre Stammkundschaft verstärken wollen.

Die Beispiele zeigen, worum es geht. Derartige Kennzahlen bereiten heute

den Boden für die Entwicklung von Umsatz und Cash-flow, für die Kapital-

verwertung oder entsprechende andere Zielstellungen in den zukünftigen

Zeiträumen. Sie stellen Aufgaben für die Gegenwart, für das Budget und

sind doch zugleich zukunftsorientiert. Es sind strategische Kennzahlen.

5.3.2.2 Spätindikatoren

Spätindikatoren gibt es außerordentlich viele. Die üblicherweise verwende-

ten Kennzahlen wie Umsatz, Cash-flow, Gewinn oder auch Return on In-

vestment (ROI), Return on Capital Employed (ROCE) sind Spätindikatoren.

In gewisser Weise sind es auch Kennzahlen wie Kundenzufriedenheit, Mit-

arbeiterzufriedenheit oder Entwicklung der Durchlaufzeiten ausgewählter

Produkte.

Mit Spätindikatoren definieren wir die Endpunkte oder besser Endbereiche,

die wir im Verlaufe der Zeit anstreben. Allerdings sind diese Endbereiche

auch nur wieder Durchgangsstationen in der Entwicklung unseres Unter-

nehmens. Daher ist es zweckmäßig, eine Kette von Durchgangsstationen,

sogenannter „Meilensteine“, zu knüpfen. Der zeitliche Abstand der Meilen-

steine sollte nicht zu groß sein, damit wir die Orientierung nicht verlieren.

Und wenn wir die zeitlichen Abstände klein halten, schaffen wir die direkte

Anknüpfung an das Budget. Spätindikatoren verbinden wir am besten mit

dem Budget über periodische Wachstumsraten.

Nur, je weiter wir in die Zukunft schauen, umso unschärfer wird das Bild.

Die Zahl der Unwägbarkeiten nimmt zu. Also sollten wir uns angewöhnen,

unsere Kennzahlen mit der Angabe von Treffgenauigkeiten zu versehen.

Die kontinuierliche Verfolgung der Treffgenauigkeit über längere Zeiträume

schärft unsere Sinne für die Entwicklung der Fähigkeiten zur Antizipation.

Sie zwingt uns, genauer nachzudenken, ehe wir SOLL-Ziele für Kennzahlen

vorgeben.

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Die Balanced Scorecard

111

Um Treffgenauigkeiten zu bestimmen, bedarf es der Definition entsprechen-

der Bedingungen. Bedingungen, die den Prozess charakterisieren, der zu den

anvisierten Meilensteinen führt. Und damit sind wir wieder bei den Frühin-

dikatoren. Beide, Früh- und Spätindikatoren bedingen sich, bilden ein Sys-

tem logisch (im Sinne von Ursache und Wirkung) und zeitlich (im Sinne der

Abfolge) verbundener Größen. Wie es bei einem Prozess nicht anders zu

erwarten ist.

Mit dem Prozesscharakter ist noch ein weiteres Phänomen verbunden: Die

Einstufung einer Kennzahl als Früh- oder Spätindikator ist relativ. Sie

hängt davon ab, aus welcher zeitlichen Position wir einen Prozess betrach-

ten.

Die Entwicklung der Durchlaufzeiten neuer Produkte beispielsweise ist

aus der Sicht der betrieblichen Leistungserstellung ein Spätindikator,

während für diesen Prozess die vorgelagerte Entwicklung der Mitarbei-

terfähigkeiten oder die Veränderung der Relation zwischen allgemeiner

Kapazitätsauslastung und Engpasskapazitäten Frühindikatoren darstel-

len.

Aus der finanziellen Perspektive, beispielsweise für den Cash-to-Cash-

Zyklus – den Zeitraum zwischen der Ausgabe und der Einnahme von

Geld – neuer Produkte ist die Entwicklung der Durchlaufzeiten ein Früh-

indikator.

Aber auch der Cash-to-Cash-Zyklus kann die Funktion eines Frühindika-

tors übernehmen, eines Frühindikators für die Entwicklung der liquiden

Mittel.

Abbildung 14 soll diese Relativität verdeutlichen.

Zum Zeitpunkt t0 löst eine von uns gesetzte Ursache einen Prozess aus, der

zu einem Zeitpunkt t1 eine bestimmte Wirkung zeigt. Jene Kennzahl (Indika-

tor A), die diese Wirkung widerspiegelt, ist zum Zeitpunkt t1 ein Spätindi-

kator. Ein Spätindikator, weil sie den Endpunkt, das Ergebnis des abgelau-

fenen Prozesses charakterisiert.

Wenn wir aber an diesem Punkt nicht stehenbleiben, sondern bis zum Zeit-

punkt t2 schauen, werden wir feststellen, dass die einmal erreichte Wirkung

ihrerseits zur Ursache eines Prozesses werden kann. Eines Prozesses, der

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Die Balanced Scorecard

112

zum Zeitpunkt t2 seine entsprechende Wirkung zeigt. Indikator B spiegelt

diese Wirkung wider.

Abbildung 14: Relativität von Spät- und Frühindikatoren

Zum Zeitpunkt t2 charakterisiert Indikator A nicht mehr den Endpunkt eines

Prozesses, sondern eine Zwischenstation. Er bleibt nach wie vor das Ergeb-

nis eines Prozesses – sonst könnten wir ihn nicht messen – ist aber aus der

Sicht des Indikators B das vorgelagerte Ergebnis eines vorgelagerten Prozes-

ses.

Definieren wir jetzt mit einer gewissen Treffgenauigkeit den Zusammenhang

zwischen A und B, dann kann Indikator A uns frühzeitig signalisieren, in

welchem Bereich wir zukünftig Indikator B erwarten dürfen. A ist zu einem

Frühindikator geworden.

Das Bemühen um die Aufdeckung des wechselseitigen Charakters von

Kennzahlen als Früh- und Spätindikatoren verschafft uns einen tiefen Ein-

blick in jene strategisch bedeutsamen Prozesse, die wir steuern wollen. Es

befähigt uns, über der Suche nach geeigneten Perspektiven auf unser Unter-

nehmen, über dem Arbeiten mit den verschiedenen Kennzahlen den Gesamt-

zusammenhang nicht aus den Augen zu verlieren.

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Kennzahlen für die Kundenperspektive

113

6. Kennzahlen für die Kundenperspektive

Auf einen Blick:

Die Kennzahlen der Kundenperspektive sollen die Sicht des Kunden

auf das Unternehmen beschreiben.

Die Kundenperspektive umfasst als Spätindikatoren folgende Bereiche:

Kundenzufriedenheit, Kundentreue, Neukundenakquisition, Kunden-

rentabilität und Marktanteil.

Besonders zukunftsorientiert sind Kennzahlen für Produkt- und Ser-

vice-Eigenschaften, für die Qualität und Beständigkeit der Kundenbe-

ziehungen und für Image der Produktmarken, die Reputation des Un-

ternehmens.

Üblicherweise wird bei der Balanced Scorecard von vier Perspektiven ge-

sprochen, den Perspektiven

- der Anteilseigner (Finanzebene),

- der Kunden,

- der internen Geschäftsprozesse und

- der Entwicklung (Mitarbeiter und Informationssystem).

Wir werden im Folgenden auch auf diese vier Perspektiven eingehen. Aber

wir haben bereits oben ausgeführt, dass die Anzahl der Sichten auf ein Un-

ternehmen von diversen firmenspezifischen Faktoren abhängt.

Da im Unternehmen die Kennzahlen individuell für jede Perspektive erarbei-

tet werden, sollte vorab überlegt werden, welche weitere Sicht für das Un-

ternehmen wichtig ist. Ein Institut, das im Auftrag eines Bundeslandes an

der Umsetzung der Forschung zu Produkten arbeitet, hat z.B. keine Kunden

im üblichen Sinne, also kann man eventuell auf eine Kundenperspektive

verzichten. Äußerst wichtig sind aber die Verbindungen zu anderen Grund-

lagenforschern sowie zu den finanzierenden Institutionen. Also könnte man

sich in diesem Fall überlegen, als vierte Perspektive mit einer Kommunika-

tionsperspektive und mit einer fünften „Perspektive der Finanzierungsinsti-

tutionen“ zu arbeiten.

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Kennzahlen für die Kundenperspektive

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Wir wollen mit diesem Buch die Diskussion, die Kommuni-

kation in Ihrem Unternehmen anregen, so auch empfehlen,

sich mit möglichen weiteren für Sie wichtigen Sichten auf Ihr

Unternehmen zu beschäftigen!

Beginnen wir mit der Kundenperspektive.

Abbildung 15: Die Kundenperspektive

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Kennzahlen für die Kundenperspektive

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Starten Sie in Ihrem Unternehmen eine Umfrage: „ Wer bezahlt Ihr Gehalt?“

Sicher wird das Ergebnis zu mehr als 90% lauten „die Firma“, „der Chef“

etc. Haben Sie in Ihrem Unternehmen schon darüber nachgedacht, dass die

Kunden die Gehaltszahlungen ermöglichen?

Dieses Bewusstsein, dass das Unternehmen erst einmal den Zweck hat, die

Bedürfnisse des Kunden zu befriedigen, wird gerade in deutschen Unter-

nehmen bei den Mitarbeitern nicht genügend geweckt. Und entsprechend

sind die Ergebnisse: Von Kundenorientierung, von Service und der Bereit-

schaft, voll für den Kunden da zu sein, keine Spur.

Was nutzen technische Höchstleistungen, hervorragende Prozesse, wenn

diese vom Kunden nicht benötigt werden? Die Technik liefert schöne Bei-

spiele für den Unsinn, der produziert wird, obwohl nur die wenigsten Kun-

den Bedarf dafür haben, schlimmer, am eigentlichen Bedarf wird vorbei

produziert.

Inzwischen ist es vielerorts so, dass Produkte, die den Kundenwünschen ent-

sprechen, überhaupt nicht mehr produziert werden: Auf der anderen Seite:

Wer kann all die Funktionen bedienen, die heutzutage ein Standardautoradio

aufweist?

Wenn man hierbei noch argumentieren kann, die selten oder

nie genutzten Funktionalitäten schaden doch nicht, so gilt der

Einwand im Telefonmarkt, insbesondere bei Funktelefonen

nicht mehr. Viele Bürger können mit diesen Handys, noch

schöner, noch kleiner, noch mehr Funktionen, gar nicht mehr

umgehen – was für ein potentieller Markt!

Der Zielmarkt für all diese, für die meisten Käufer nutzlosen

Innovationen umfasst vielleicht 25% aller potentiellen Nut-

zer, aller Kunden. Aber die Industrie entwickelt weiter ...

Mit der Kundenperspektive sollen die Kunden- und Marktsegmente identifi-

ziert werden, in denen das Unternehmen konkurrenzfähig ist bzw. sein soll.

Durch die Fokussierung auf wenige Bereiche, auf wenige Kunden- und

Marktsegmente wird das Management gezwungen, seine Ressourcen strate-

gisch einzusetzen.

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Kennzahlen für die Kundenperspektive

116

6.1 Früh- und Spätindikatoren der Kundenperspektive

Viele europäische Unternehmen arbeiten bereits mit Kennzahlen für die

Kundenperspektive. Aber zumeist handelt es sich dabei um Spätindikatoren

oder „Kernkennzahlen“, wie sie von Kaplan und Norton genannt werden.

Frühindikatoren („Leistungstreiber“ bei Kaplan/Norton) sind aber mindes-

tens ebenso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger zur Steuerung des Unternehmens, geben sie doch

heute Bescheid über Ergebnisse, die in der Zukunft liegen.

Spätindikatoren der Kundenperspektive sind gewöhnlich in ihrer Grundform

für alle Unternehmen gültig, können daher – zumindest von ihrer Bezeich-

nung her – häufig in analoger Weise übernommen werden. Hingegen sind

Frühindikatoren zumeist schon in ihrem Ansatz recht unternehmensspezi-

fisch zu definieren.

Der Marktanteil eines Unternehmens wird üblicherweise als Spätindikator

bezeichnet. Mit erfolgter Messung weiß man, was gewesen ist. Zukunftsori-

entiert scheint das wenig zu sein. Aber: Misst man den Marktanteil, am bes-

ten sogar das Wachstum eines Marktanteils in einem neuen, stark steigenden

Produktbereich, hat man die Zukunft viel eher im Griff, kann man häufig

erkennen, ob der Zug in die richtige Richtung geht. Aus dem Spätindikator

Marktanteil kann so ein Frühindikator für das Unternehmen gewonnen wer-

den.

Aber auch eine identische Kennzahl kann in dem einen Fall ein Spät-, bei

einem anderen Unternehmen ein Frühindikator sein: Nehmen wir folgendes

Beispiel: Wachstum des Marktanteils am deutschen Versandhandel mit Da-

menoberbekleidung:

Für das Versandhaus Quelle dürfte dies eher ein Spätindikator sein. Man

hat – um eine Zahl zu nennen – 20% Marktanteil, eine jährliche Steige-

rung des Marktanteils um 0,5 %, also ein Wachstum des Marktanteils um

2,5% wäre in einem stagnierenden Markt ein toller Wert. Jedoch zu-

kunftsorientiert und strategisch dürfte diese Kennzahl keine große Be-

deutung für das Großversandhaus Quelle haben, auch Auswirkungen auf

andere Kennzahlen sind eher unwahrscheinlich.

Ganz anders bei dem innovativen DOB-Unternehmen „Chic o Bello“,

das im dritten Jahr seines Bestehens das Versandgeschäft als strategische

Größe sieht, um aus dem regionalen Markt auszubrechen. Mit Hilfe von

ganzseitigen Anzeigen in Modezeitschriften werden extravagante DOB-

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Kennzahlen für die Kundenperspektive

117

Modelle beworben. Innerhalb von fünf Jahren will man einen Marktan-

teil von 1% erreichen und so ein zweites Absatzstandbein aufbauen. Für

„Chic o Bello“ ist ein Wachstum des Marktanteils von jährlich 100% als

strategisches Ziel definiert.

Auch klassische Spätindikatoren können also zu Frühindikatoren werden,

wenn mit ihnen Meilensteine auf dem Weg zu weiteren Zielen, beispielswei-

se zur strategischen Neuausrichtung von „Chic o Bello“ gemessen werden.

Eher Spätindikatoren der Kundenperspektive zu betrachten sind Kennzahlen,

die

1. die Kundenzufriedenheit,

2. die Kundentreue,

3. die Neukundenakquisition,

4. die Kundenrentabilität und

5. den Marktanteil

messen.

Durch ihre Folgewirkungen auf die Ausrichtung des Angebots an den Kun-

den sind Kennzahlen, die folgende Wertangebote der Kundenperspektive

messen, eher als Frühindikatoren zu sehen:

1. Produkt- und Serviceeigenschaften

2. Kundenbeziehungen

3. Image und Reputation

6.2 Spätindikatoren der Kundenperspektive

Lassen Sie uns aber erst mit den Spätindikatoren beginnen, die bei zahlrei-

chen Unternehmen als Kennzahl bereits existieren.

6.2.1 Kundenzufriedenheit

Die Kundenzufriedenheit misst den Erfolg eines Unternehmens – aber zu-

friedene Kunden bedeuten noch keinen Unternehmenserfolg!

Der für unseren Erfolg entscheidende Effekt der Kundenzufriedenheit be-

steht darin, den Kunden zu halten, ihn zu bewegen, bei der nächsten Kauf-

entscheidung wieder Kunde zu sein.

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Kennzahlen für die Kundenperspektive

118

Unzufriedene Kunden kaufen nicht mehr beim gleichen Unternehmen.

Schlimmer noch, sie berichten statistisch gesehen 5- bis 10-mal von ihren

schlechten Erfahrungen (der zufriedene Kunde aber nur 1- bis 3-mal!).

Aber Zufriedenheit allein reicht nicht aus. Es muss schon eine sehr große

Zufriedenheit herrschen, damit ein Kunde langfristiger Wiederkäufer wird

bzw. bleibt. Hinzu kommen noch weitere Faktoren wie die Frühindikatoren

Ruf und Image von Produkt und Marke.

Die wirkliche Kundenzufriedenheit zu messen ist relativ schwer: Umfragen,

am besten in gewissem zeitlichen Abstand vom letzten Kontaktdatum, lassen

sich zwar relativ kostengünstig insbesondere im Dienstleistungs- und Inves-

titionsgüterbereich durchführen. Für Konsumgüterproduzenten ist z.B. ein

Gewinnspiel ein probates Mittel, Zufriedenheit festzustellen. Aber genaue

Fragestellung und verwertbare Auswertung erfordern ein hohes Maß an psy-

chologischem Geschick und Know-how.

Beispiele für Kennzahlen der Kundenzufriedenheit können sein

Umfrageergebnis allgemeine Kundenzufriedenheit

Anteil Weiterempfehlungen

Anzahl positiver Anwenderberichte, Rückmeldungen etc.

Ausruhen kann man sich auch bei besten Ergebnissen nicht: Zu schnell

schwenkt ein Kunde um,

wenn er einmal unzufrieden war,

wenn das Produkt nicht seinen Erwartungen entsprochen hat,

wenn das Image eines Unternehmens durch z.B. schlechte Öffentlich-

keitsarbeit ins Gerede gekommen ist.

Daher haben wir es hier – aus der Sicht der Kundenperspektive – mit einem

ausgesprochenen Spätindikator zu tun, der nur bedingt Aussagen über die

Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens zulässt.

Handelt es sich jedoch um ein innovatives, zukunftsträchtiges Produkt, für

das wir Kundenzufriedenheit messen, so bewegen wir uns wieder in Rich-

tung Frühindikator. Frühindikator für das angestrebte Umsatzwachstum mit

neuen, innovativen Produkten.

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Kennzahlen für die Kundenperspektive

119

6.2.2 Kundentreue

Der teuerste Kunde ist der Neukunde. Dieser Spruch aus dem Vertrieb sollte

jedem Unternehmer zu denken geben. Wie häufig wird alles versucht, um

Neukunden zu gewinnen – der treue Altkunde wird jedoch sträflich vernach-

lässigt! Ermitteln wir einmal, wieviel die Akquisition eines Neukunden (als

Ersatz für den Verlust eines Altkunden) im Durchschnitt kostet. Wir erhalten

damit eine Richtschnur für Aufwendungen, die wir uns – ohne Mehrkosten

zu verursachen! – für die Kundenbindung leisten können. Meist reicht aber

schon ein Bruchteil aus.

Auf die Bestandskunden sollte also viel mehr Wert gelegt werden. Ein sehr

wichtiges Ziel für den Vertrieb. Auch als Frühindikator lässt sich die Kun-

dentreue hervorragend nutzen, wenn man die Kaufbereitschaft bestehender

Kunden für ein neues Produkt, eine neue zukunftsorientierte Sparte misst.

Da der Anteil der Bestandskunden auch qualitative Aussagen auf Image und

Ruf, auf die Qualität der Produkte wie des Kundendienstes, auf die Ver-

triebskosten, bezogen auf den Umsatz, zulässt, sollte man dieser Kennzahl

eine hohe Priorität in der Balanced Scorecard zubilligen. Und sie ist relativ

einfach und kostengünstig zu ermitteln:

Umsatzanteil Bestandskunden

Wachstum des gewährten Wiederkäuferrabatts

Anteil der Wiederkäufer am Kaufvolumen

Die letzte Kennzahl ist recht interessant. Sie versucht zu mes-

sen, welchen Teil des Kaufpotentials von Wiederkäufern, al-

so der treuen Kunden, man gewonnen hat.

6.2.3 Neukundenakquisition

Gewonnene Neukunden sind eine wichtige Ursache für Umsatzsteigerungen!

Richtig, aber nur, wenn die Neukunden auch mit den Produkteigenschaften

zufrieden sind und in der Folge als Bestandskunde durch exzellente Pro-

duktqualität gehalten werden können.

Die Ausweitung des Kundenpotentials wird gern im Bereich des Vertriebs

als Kennzahl genutzt und gibt dort als tendenzieller Frühindikator u.a. Auf-

schluss über den Erfolg der Vertriebsbemühungen. Ein besseres Kriterium

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Kennzahlen für die Kundenperspektive

120

als die absolute Zahl der Neukunden oder der Anteil der Neukunden an den

Kunden gesamt ist das Umsatzvolumen bzw. der Umsatzanteil mit Neukun-

den.

Es ist zu empfehlen, bei der Definition einer entsprechenden Kennzahl zur

Neukundenakquisition auch die Umsatzhöhe mit einfließen zu lassen:

Anteil der Neukundenumsätze an den Umsätzen insgesamt

Wachstum der Neukundenabschlüsse

Durchschnittlicher Umsatz der Neukunden im ersten Jahr

Gewonnene Neukunden, bezogen auf alle Interessentenmeldungen Mai-

ling-Reagenten etc.

6.2.4 Kundenrentabilität

Für jeden Kaufmann ist es eine Binsenweisheit: Umsatz muss man machen,

aber der daraus resultierende Gewinn ist – zumindest langfristig – die wich-

tigere Größe. Das Gleiche gilt für die Kunden. Mögen sie noch so zufrieden

sein, so treu und dem Unternehmen zu wachsenden Marktanteilen verhelfen,

mögen sie alle auf die Produkte „fliegen“, eines gilt doch: Rentabel muss das

Geschäft sein.

Aus strategischen Gründen kann ein Produkt oder eine Kunden(ziel)gruppe

für einen begrenzten Zeitraum, eine bestimmte Entwicklungsphase ohne

Rentabilität akzeptabel sein. Langfristig ist es unumgänglich, sich von sei-

nen unrentablen Kunden und Produkten zu trennen. Je differenzierter die

Kundenrentabilität erfasst wird, umso besser kann das Management ent-

scheiden, welche Zielgruppen weiterhin zu bedienen sind. Aber wie bei neu-

en Produktmärkten auch, ist es notwendig, hierbei die strategischen Planun-

gen des Unternehmens zu berücksichtigen.

Kennzahlen der Kundenrentabilität sollten auf Zielsegmentebene (Kunden

wie Produkt) ermittelt werden, um zu aussagefähigen Ergebnissen zu kom-

men.

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Kennzahlen für die Kundenperspektive

121

6.2.5 Marktanteil

Große, weltweit operierende Konzerne können diesen Begriff sicher und ge-

nau in Zahlen fassen: Der VW-Konzern wird monatlich wissen, wie hoch

sein Marktanteil am Pkw-Absatz in Deutschland ist.

Schwieriger und aufwendiger zu ermitteln ist es schon, wenn man den

Marktanteil auf strategische Zielgruppen bezieht: Welchen Marktanteil hat

der VW-Sharan bei den Pkw-Käufen von Familien mit mehr als einem Kind,

Haushaltseinkommen über 80.000 DM p.a.? Für die Ermittlung einer derar-

tigen Kennzahl müsste schon ein Institut beauftragt werden. Und dies regel-

mäßig gemacht, kann teuer werden.

Für VW mag sich das noch rechnen, aber wie kann ein mittelständisches Un-

ternehmen da mithalten? Hilfsgrößen könnten genutzt werden, um die Ver-

besserung des Marktanteils zu messen. Eine kleinere Kette von marken-

ungebundenen Kfz-Werkstätten z.B. dürfte jedoch keine Chance haben, ih-

ren Marktanteil in der Region zu messen.

Aber durch kostengünstige Befragung der Kunden kann ermittelt werden,

welchen Marktanteil die Kette an den Reparaturaufträgen der Kunden in den

letzten beiden Jahren hatte. Diese Kennzahl – den „Kundenanteil“ – hatten

wir schon im 2. Kapitel vorgestellt. Die Reparaturaufträge der letzten Jahre

können – auch für den Kunden verständlich und sinnvoll – in einem Pkw-

Datenblatt erhoben werden, das dem Kunden und der Werkstatt die Repara-

turhistorie aufzeigt. Die Auswertung hinsichtlich des Marktanteils oder des

Wachstums des Marktanteils fällt somit leicht.

Interessanter wird die Kennzahl „Kundenanteil“ noch, wenn das Unterneh-

men als strategische Zielgröße beispielsweise Kunden mit Pkw von Daim-

lerChrysler führt. Eine entsprechende Kennzahl gibt sofort Auskunft, ob der

Marktanteil bei den als strategischen Zielkunden definierten „Daimler-

Besitzern“ gestiegen ist.

Je präziser das Kunden- oder Markt-/Produktsegment unter strategischen

Aspekten definiert wird, umso zielorientierter lassen sich Frühindikatoren

für Marktanteile erarbeiten.

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Kennzahlen für die Kundenperspektive

122

6.3 Frühindikatoren der Kundenperspektive

Frühindikatoren der Kundenperspektive:

Wertangebote an unsere Kunden

1. Produkt- und

Serviceeigenschaften

1.1 Funktionalität

1.2 Qualität

1.3 Preis

2. Image und Reputation 3. Kundenbeziehungen

3.1 Erreichbarkeit

3.2 Reaktions-

geschwindigkeit

3.3 Transparenz

Abbildung 16: Frühindikatoren für die Kundenperspektive

6.3.1 Produkt- und Serviceeigenschaften

Jeder Kunde hat Erwartungen an das Produkt, das er erwirbt. Zu diesen Er-

wartungen gehört auf jeden Fall die Erfüllung der (versprochenen) Produkt-

eigenschaften, also Funktionalität und Qualität. Eigentlich sollte davon aus-

gegangen werden, dass diese erfüllt sind, dass Produktqualität nur noch als

ein „Hygienefaktor“ anzusehen ist.

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Kennzahlen für die Kundenperspektive

123

Auch wenn die wissenschaftliche Literatur dies immer als selbstverständlich

unterstellt, so zeigt doch die Praxis, dass dies häufig genug nicht der Fall ist.

Aber auch zu den Produkteigenschaften ist ein Blick auf die Unternehmens-

strategie notwendig: Will ich am Markt als Qualitäts- oder als Billiganbieter

wahrgenommen werden? Diese notwendigen strategischen Entscheidungen

haben gravierenden Einfluss auf die zur Verfügung gestellten Produkt- und

Serviceeigenschaften.

Einen immer wichtigeren Wert neben den Produkteigenschaften Qualität,

Preis, Fehlerquote bekommen die Serviceeigenschaften eines Unternehmens

aber auch eines Produktes. Hierunter werden im Allgemeinen

- Lieferfähigkeit und -treue,

- Pünktlichkeit,

- Angebotsspektrum und

- Verfügbarkeit der Serviceeinheiten

verstanden. Es gehören aber auch Produkteigenschaften dazu sowie einfache

Montage und Bedienung oder unkomplizierte Möglichkeiten für kleinere

Reparaturen. Und eine dem normalen, technisch eher unbegabten Konsu-

menten verständliche Gebrauchs- und Bedienungsanleitung!

Auch in Amerika, immer als Land des Kundenservices gelobt, kann man in

der Beziehung noch viel lernen! Aber welche Möglichkeiten bieten sich in

diesem Bereich doch für Unternehmen in Europa durch das Übernehmen

von in den Vereinigten Staaten erfolgreich praktizierter Wege!

Folgende Kennzahlen geben u.a. Auskunft über Produkt- und Serviceeigen-

schaften:

Anteil pünktlicher Lieferungen,

Anteil vollständiger Lieferungen,

Retourenquote,

Reparaturquote,

Serviceangebot,

Service-Verfügbarkeit und

Verständlichkeit von Gebrauchsanweisungen.

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Kennzahlen für die Kundenperspektive

124

6.3.2 Image und Reputation

Im Trend liegende Sportartikel und aktuelle Jugendmode machen es vor: Ein

positives Image beim Kunden ist für ein Unternehmen von großem Wert.

Auch wenn sich ein mittelständisches Unternehmen nicht mit Reebok

(Sportschuhe) oder Tommy Hillfiger (Bekleidung) vergleichen kann, gibt es

doch von deren Marketingstrategien viel zu lernen: Ein positives Image, die

gute Reputation bei der Zielgruppe ist Gold wert.

Hierzu ist in den meisten Fällen kein Fernsehspot oder keine aufwendige

Werbekampagne notwendig, auch kein Sponsoring teurer Veranstaltungen.

Aber Klappern gehört seit alters her zum Handwerk – die Handwerker haben

es aber wohl zuerst vergessen! Effektive Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ist

weniger teuer, viel mehr erfordert sie stetigen Einsatz gerade der Geschäfts-

führung. Umsatzmäßig direkt messbar sind Erfolge kaum, langfristig wirkt

sich aber ein positives Image immer aus.

Image und Reputation können vielfältig gemessen werden – zumindest indi-

rekt:

Wachstum des Werbeetats

Anzahl der Namensnennungen in Presse und Rundfunk/Fernsehen

Anzahl Artikel in der Fachpresse

Anzahl Besucher bei Firmenveranstaltungen

Anzahl gesponsorter Veranstaltungen

6.3.3 Kundenbeziehungen

Welche Erwartungen hat der Kunde von uns und unseren Produkten? Dies

zu identifizieren, ggf. durch Marketingmaßnahmen zu steuern, auf die Kun-

denerwartungen einzugehen und/oder den vielleicht auch unausgesproche-

nen Kundenwünschen gerecht zu werden, gehört zur Pflege des Kundenpo-

tentials.

Die Qualität der Kauferfahrung spielt hierbei eine wichtige Rolle. Der Kun-

de erwartet vom Anbieter einen gewissen Rahmen, der dem Image, dem

Preis-Leistungsverhältnis und der Warenqualität entspricht. Es sei denn, man

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Kennzahlen für die Kundenperspektive

125

setzt sich bewusst darüber hinweg. Dann läuft man aber Gefahr, seine Posi-

tion am Markt zu verspielen und muss eine neue Marktstellung aufbauen.

Aber auch der Aufbau bzw. Ausbau des Beziehungsgeflechtes mit den Kun-

den ist eine Größe, die gravierenden Einfluss auf den Erfolg eines Unter-

nehmens hat. Maßgrößen für Kundenbeziehungen, Erreichbarkeit und Reak-

tionsgeschwindigkeit sind:

Freundlichkeit der Mitarbeiter

Anteil Verweilflächen/Gänge an der Gesamtverkaufsfläche

Wartezeit an Kassen

Wartezeit bei der Auftragsannahme

6.4 Praktische Beispiele – Kundenkennzahlen

In unseren Beispielunternehmen wurden u.a. folgende Kennzahlen für die

Kundenperspektive erarbeitet:

6.4.1 Kreditinstitut

Mission Ihre schnelle Bank

Vision Wir werden die profitabelste Regionalbank.

Strategien: a) Kreditentscheidungen für Baukredite treffen wir

innerhalb von 24 Stunden.

b) In vier Jahren wollen wir mit unseren Kunden

mindestens 50% aller Transaktionen über das Elect-

ronic Banking abwickeln.

Kundenperspektive Neukunden für elektronisches Bankgeschäft (Neukun-

denakquisition)

Erläuterung: Gravierende Auswirkungen auf die wirt-

schaftlichen Ergebnisse der Bank wird die Gewin-

nung von Kunden haben, die das Electronic Banking-

Angebot nutzen.

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Kennzahlen für die Kundenperspektive

126

Es gibt viele schöne Electronic Banking-Programme,

aber zu wenige Kunden nutzen sie! Möglichst alle

Kunden sollten Electronic Banking nutzen, damit zu-

frieden sein und zugleich die Kosten der Regional-

bank senken. Hierzu gehören einerseits eine kunden-

orientierte Softwarelösung, aber auch Mitarbeiter, die

diese Lösung im Kontakt mit den Kunden erläutern,

„verkaufen“ – also auch ein internes Schulungsprob-

lem!

Noch wichtiger ist die Verfolgung dieses Ansatzes bei

Neukunden. Für diese muss die Softwarenutzung ein-

fach sein, sie müssen damit an den PC in den Filialen

vertraut gemacht werden.

Maßstab: die Anzahl der in einer Periode gewonnenen

Neukunden, die sich innerhalb Monatsfrist des Elect-

ronic Banking für ihre Geldgeschäfte bedienen.

Kundengewinnung durch Empfehlungen

Erläuterung: Als nicht gerade kapitalstarkes Unter-

nehmen kann sich die regional operierende Bank kei-

ne intensiven Kundenwerbemaßnahmen leisten. Da-

her sind zufriedene Kunden, die andere Kunden wer-

ben, das beste Marketinginstrument – und außerdem

eine gute Kennzahl für die Qualität und Kompetenz

der Kundenorientierung aller Mitarbeiter.

Maßstab: die Anzahl der Kunden, die sich bei der

Kontoanmeldung auf Empfehlungen beziehen.

Dauer des Kreditgespräches

Erläuterung: Kreditgespräche finden zumeist nach

vorheriger Terminabsprache statt. Wenn dem Interes-

senten vorab bereits mitgeteilt wird, welche Unterla-

gen für eine zügige Beratung notwendig sind, kann

das Kreditgespräch relativ schnell erfolgreich abge-

schlossen werden.

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Kennzahlen für die Kundenperspektive

127

Maßstab: der benötigte durchschnittliche Zeitaufwand

pro Kreditgespräch pro Filiale.

Kreditabschlüsse beim Kunden

Erläuterung: Diese Kennzahl misst auch die Effektivi-

tät der Informationsgewinnung, aber überhaupt nicht

die der EDV! Kredite müssen gesichert sein, sonst

sind alle Anstrengungen der Bank um profitablere

Geschäftsprozesse hinfällig.

Im „Häusle-Geschäft“ ist die Besicherung relativ ein-

fach, zumal, wenn man sich auf die Heimatregion be-

schränkt. Werden nun noch die Kreditnehmer zu

Hause besucht, um ihnen den Aufwand zu minimie-

ren, so hat das für das Institut neben dem positiven

Aspekt für den Kunden noch einen weiteren Vorteil:

Der Kreditsachbearbeiter kann leicht das häusliche

Umfeld einschätzen, die Auskünfte der Schufa sind

dann wahrscheinlich nur noch Nebensache.

Maßstab: der durchschnittliche Anteil der Baukredit-

vereinbarungen, bei denen ein Hausbesuch durchge-

führt wurde.

6.4.2 Automotive-Zulieferer

Mission Good vibrations mit XYZ

Vision Weltmarktführer für Schwingungstechnik

Strategien:

a) Umsatzverdoppelung in 4 Jahren

b) 50% Umsatzanteil von neuen Produkten

Kundenperspektive Wachstum des Marktanteils an Dieselmotoren-

Schwingungstechnik

Erläuterung: Auch wenn man sich auf neue Produkte,

mittelfristig auf den Bau von Komponenten und lang-

fristig auf neue Motorenkonzepte hin orientieren

wird, die derzeitigen Cash-cows sind die klassischen

Produkte zur Vermeidung von Motorenschwingun-

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Kennzahlen für die Kundenperspektive

128

gen. Das bisherige Umsatzwachstum kann nur beibe-

halten werden, wenn es einerseits gelingt, geogra-

phisch neue Märkte zu erschließen, Weltmarktführer

zu werden. Zusätzlich müssen neue Kundengruppen

akquiriert werden, die bisher mit anderer Technik

vom Wettbewerb beliefert wurden.

Maßstab: der weltweite Marktanteil an Dieselmoto-

ren-Schwingungstechnik.

Gemeinsame Kontakte von Vertrieb und Entwicklung

zu Kunden, um Beziehungspartnerschaften aufzubau-

en

Erläuterung: Um den Umsatzanteil mit neuen Produk-

ten zu steigern, müssen die Kontakte zwischen der ei-

genen Entwicklungsabteilung und den Entwicklern

der Kunden intensiviert werden. Sonst besteht die Ge-

fahr, dass am Markt vorbei entwickelt wird oder die

Kunden eigene Entwicklungen nicht mitbekommen,

daher auch nicht nutzen können.

Damit diese Kontakte auch vertriebsmäßig genutzt

und damit auch das technische Know-how des Ver-

triebs permanent verbessert wird, sind trotz höherer

Kosten auch gemeinsame Reisen von Entwicklung

und Vertrieb zu empfehlen.

Maßstab: die Anzahl von Besuchs-kontakten zu Kun-

den-Entwicklern beim Kunden wie im Unternehmen,

die gemeinsam von Mitarbeitern des Vertriebs und

der Entwicklung wahrgenommen werden.

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Kennzahlen für die Kundenperspektive

129

6.4.3 Handwerk/Dienstleister

Mission Ihr Backshop – schnell und knusprig

Vision Wir haben zufriedene Kunden und starkes Unterneh-

menswachstum durch schnelles Zusatzgeschäft.

Strategie:

Neue Techniken in Produktion und Vertrieb befähi-

gen uns, jährlich unseren Umsatz zu verdoppeln –

insgesamt und insbesondere mit unseren Stammkun-

den.

Kundenperspektive Umsatzanteil der „Kundenkreditkarten“

Erläuterung: Der Umsatz kann in den wenigen

Hauptumsatzstunden am frühen Morgen nur dann

auch kostengünstig getätigt werden, wenn Datener-

fassung und Zahlvorgang äußerst schnell erfolgen.

Hierzu wird eine Kundenkreditkarte eingeführt, die

von den Stammkunden für alle Geschäfte genutzt

wird. Wird die Karte zusätzlich vorab „aufgeladen“,

so erhält der Kunde einen Rabatt auf alle getätigten

Käufe.

Die Kundenkreditkarte führt zur Kundenbindung, er-

laubt schnell getätigte Umsätze, erlaubt Spontankäufe

und erhöht – in der Rabattversion – die Liquidität bei

gleichzeitiger Kostensenkung.

Maßstab: pro Filiale der Anteil der mit Kundenkredit-

karten getätigten Umsätze am Gesamtumsatz.

Umsatzwachstum pro Zahlvorgang

Erläuterung: Die Kunden sollen ihren morgendlichen

Einkauf schnell und umfassend in den Backshop-

Filialen erledigen können. Dazu ist neben dem Kom-

plettangebot für den Frühstückseinkauf (Backwaren,

Tageszeitungen, Molkereiprodukte) auch ein Sorti-

ment hochwertiger Artikel für Spontankäufe anzubie-

ten.

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Kennzahlen für die Kundenperspektive

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Diese Spontanartikel werden in wöchentlichem

Rhythmus angeboten.

Maßstab: der durchschnittliche Umsatz pro Zahlvor-

gang, bezogen auf die Vorperiode (Woche).

6.4.4 Küchenmaschinenhersteller

Mission Scharf auf alles, was zu schneiden ist

Vision Wir wollen in Europa der Spezialist für regional spe-

zifische Schneidetechnik im Großküchenbereich sein.

Strategien: a) Wir wollen die Kommunikation mit Interessenten

und Kunden erheblich intensivieren.

b) Unser Innovationspotential wird durch Zusammen-

arbeit mit externen Entwicklern ausgebaut.

Kundenperspektive Feedback auf die Produktunterlagen

Erläuterung: Ein wichtiges Ziel ist es, das Gespräch

mit den Kunden zu intensivieren, um aus deren Erfah-

rungen mit den Küchenmaschinen Anregungen für

Weiterentwicklungen zu erhalten. Da viele Kunden

direkt vom Fachhandel bedient werden, muss der ei-

gene Kontakt zum Kunden aufgebaut werden. Hierzu

werden allen Maschinen Registrierungskarten beige-

legt. Der Kunde, der sich registrieren lässt, erhält pe-

riodisch Informationen über Neu- und Weiterentwick-

lungen und nimmt automatisch an einem Kunden-

wettbewerb teil – Hauptgewinn ist die Einladung zu

einem Besuch der jährlichen Nahrungsmittel-

Fachmesse Anuga.

Maßstab: der Anteil der Registrierungen, bezogen auf

alle Auslieferungen von Küchenmaschinen.

Reaktionszeit auf Kundenreklamationen

Erläuterung: Kundenreklamationen – so ärgerlich sie

für den Kunden sind – werden auch als Chance gese-

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Kennzahlen für die Kundenperspektive

131

hen, direkt und unmittelbar mit dem Kunden in Kon-

takt zu kommen. Prinzipiell werden fernmündliche

Reklamationen sofort zur Geschäftsführung, bei Ab-

wesenheit derselben zur Entwicklung durchgestellt,

um dem Kunden, aber auch im eigenen Unternehmen

zu signalisieren: Wir nehmen unsere Kunden wichtig.

Der Kundendienst wird ggf. unverzüglich zur Fehler-

behebung zum Kunden geschickt bzw. Kontakt zum

Händlerkundendienst aufgenommen. Die eigenen Re-

paraturarbeiten werden – wie die der Fachhändler-

Kundendienste – technisch und statistisch ausgewer-

tet.

Maßstab: die monatlich aufsummierte Zeitdauer zwi-

schen Reklamationseingang und Reparaturabschluss,

geteilt durch die Anzahl der erledigten Reparaturen.

6.4.5 Kfz-Anhängerhersteller

Mission Wir bewegen Ihre Last.

Vision Wir bewegen jede Last.

Strategien:

a) Unser Vertriebsnetz wird erheblich ausgeweitet,

damit wir deutschlandweit bekannt werden als Her-

steller von Spezialanhängern für Lkw.

b) Umsatzausweitung durch neue Anwendungsgebie-

te

Kundenperspektive Lieferzeit

Erläuterung: Spezialanhänger werden immer auf

Kundenwunsch hin gefertigt. Um zufriedene Kunden

zu erhalten, ist eine exakte fachliche Abstimmung

über den Kundenbedarf und daraus folgenden Eigen-

schaften der Anhänger notwendig. Erfolgt dies nicht,

sind häufig Nacharbeiten mit hohem Aufwand not-

wendig.

Eine kurze Lieferzeit signalisiert nicht nur effektive

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Kennzahlen für die Kundenperspektive

132

Produktion, sondern auch gemeinsam erarbeitete

technisch einwandfreie Vorgaben und Konstruktio-

nen.

Maßstab: die durchschnittliche Zeit zwischen Auf-

tragseingang und Abnahme durch den Kunden.

.

Wachstum der Interessentenanfragen für die neue

Produktgruppe Pferdeanhänger

Erläuterung: Die Produkteigenschaften der neuen

Produktreihe müssen einer vollkommen neuen Kun-

dengruppe bekannt gemacht werden. Hierzu werden

Anzeigen in Pferdesportzeitschriften geschaltet, regi-

onale Sportveranstaltungen besucht, Pferdemessen

besucht.

Maßstab: die Anfragen, bezogen auf den Vormonat.

6.4.6 Spezialitätenbrauerei

Mission Ihr nationales Gsüffiges

Vision Wir werden bis 2002 die Nr. 1 in Deutschland.

Strategien:

a) Wir wollen der beste/größte Partner für den Ge-

tränkefachgroßhandel in unserem regionalen Raum

sein und mindestens einen Fachgroßhandel in allen

deutschen Ballungsgebieten neu gewinnen.

b) Die Abverkaufsmenge je Outlet muss verdoppelt

werden.

Kundenperspektive Anteil des Unternehmens am regionalen Absatz

Erläuterung: Durch Kundenbefragungen wird ermit-

telt, welchen Spezialbiermarktanteil das Unternehmen

beim Getränkefachgroßhandel hat. Diese monatlichen

Umfragen werden persönlich von den Vertretern

durchgeführt und erlauben auch Hinweise darüber, ob

das Ziel „bester Partner“ erreicht worden ist. Die Ge-

sprächsergebnisse werden in einem monatlichen Ver-

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Kennzahlen für die Kundenperspektive

133

triebsgespräch miteinander ausgetauscht.

Maßstab: keine exakten Zahlen, sondern eher Ein-

schätzungen aufgrund von persönlichen Besuchen

durch den Vertrieb. Hierzu wird für die überschauba-

re Zahl der Fachgroßhändler je ein Bewertungsbogen

ausgefüllt, auf dem mit einer Skala von 1 bis 6 die

Aspekte Qualität des Point of Sale, Marktanteil, Kun-

denservice und Lieferqualität gemessen werden.

Anzahl Teilnehmer an Preisausschreiben

Erläuterung: Alle drei Monate wird für die Endver-

braucher ein Spezialbier-Preisausschreiben durchge-

führt, wobei nicht nur der Endverbraucher, sondern

auch dessen Händler bzw. Kneipier und zugleich der

Fachgroßhandel des Endverbrauchers gewinnen.

Hierdurch wird eine Bindung aller drei vertrieblichen

Zielgruppen an das Unternehmen erreicht.

Maßstab: die Teilnehmerzahl am Preisausschreiben.

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Kennzahlen für die Kundenperspektive

134

Page 135: 1 Einführung: Führung mit Kennzahlen – Ein Praxisbeispiel€¦ · 7 Inhaltsverzeichnis 1 Einführung: Führung mit Kennzahlen – Ein Praxisbeispiel 13 2 Die Balanced Scorecard,

Kennzahlen für die Geschäftsprozessperspektive

135

7. Kennzahlen für die Geschäftsprozessperspektive

Auf einen Blick:

Die Kennzahlen der Geschäftsprozessperspektive sollen versuchen, die

wesentlichen strategischen Punkte folgender vier Hauptkomponenten

zu charakterisieren:

1. Identifikation und Umsetzung von Kundenwünschen (Innovations-

prozess)

2. Betriebliche Leistungserstellung (vom Einkauf über die Fertigung

bis zum Absatz)

3. Kundendienstaktivitäten, die über die reine Gewährleistungszeit

hinausgehen

4. Kommunikation nach innen und außen

Wir haben gelernt, im Zusammenhang mit der Balanced Scorecard keine

allgemein gültigen Sätze zu prägen. Dafür sind die Spezifika der verschiede-

nen Unternehmen oder Institutionen zu gewichtig. Aber in unserer prakti-

schen Arbeit sind wir noch keinem Fall begegnet, in dem die Perspektive der

Geschäftsprozesse nicht eine herausragende Stellung hat und daher als eine

unbedingt in die Balanced Scorecard einzubeziehende Perspektive betrachtet

wurde. Es fällt auch schwer, sich praktische Bedingungen vorzustellen, unter

denen es gerechtfertigt wäre, die Gestaltung der Geschäftsprozesse aus der

strategischen Unternehmensplanung auszuklammern.

7.1 Geschäftsprozesse als komplexes Ganzes

Wenn wir uns im Zusammenhang mit der Balanced Scorecard den Ge-

schäftsprozessen zuwenden, geht es nicht allein um die herkömmliche Ver-

besserung derartiger Prozesse (z.B. mittels Benchmarking oder anderer in

der wirtschaftlichen Literatur überaus vielfältig beschriebener Methoden).

Dabei werden all zu oft nur einzelne Fragen der Teilprozesse analysiert.

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Kennzahlen für die Geschäftsprozessperspektive

136

Abbildung 17: Geschäftsprozessperspektive

Wenn wir die Geschäftsprozesse unter strategischen Gesichtspunkten analy-

sieren, geht es vielmehr um den Gesamtprozess. Dieser Gesamtprozess be-

steht im Wesentlichen aus vier Hauptkomponenten:

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Kennzahlen für die Geschäftsprozessperspektive

137

1. der Identifikation und Umsetzung von Kundenwünschen

(Innovationsprozess),

2. der betrieblichen Leistungserstellung (vom Einkauf über die Fertigung

bis zum Absatz),

3. dem Kundendienst und

4. der internen und externen Kommunikation (hier im engeren Sinne als

Geschäftsprozess verstanden).

Es beginnt mit der Identifikation der Kundenwünsche. Dieser Prozess sollte

immer Ausgangspunkt sein und die Richtschnur bilden für den gesamten

Prozess der betrieblichen Leistungserstellung. Leisten wir am Markt, an den

Kundenwünschen vorbei, bleiben all unsere Kraftanstrengungen vertane

Liebesmühen.

Und der Geschäftsprozess ist nicht mit dem Absatz der Produkte beendet.

Über den Markterfolg entscheidet heute in starkem Maße auch der nachfol-

gende Kundendienst. Kundendienst im eigentlichen Sinne ist Nachsorge.

Und Nachsorge schafft jene Kontakte, die uns die Identifikation weiterer

oder eine bessere Identifikation bekannter Kundenwünsche ermöglichen.

Wir haben es demzufolge – bei effektiver Gestaltung – mit einem spiralför-

mig aufsteigenden Kreislauf zu tun. Voraussetzung ist – wie schon oft in

diesem Buch betont – eine funktionierende Kommunikation zwischen allen

Beteiligten.

7.2 Innovation, Leistungserstellung, Kundendienst und Kom-munikation – Teil einer Perspektive oder eigenständige Perspektive?

In der praktischen Arbeit werden wir oft mit der Frage konfrontiert, ob bei

dieser Vielfalt die Geschäftsprozessperspektive nicht zu groß, zu umfang-

reich angelegt ist. Da ist etwas dran. In gewisser Weise reflektieren die Ge-

schäftsprozesse die gesamte Scorecard auf ihre Weise. Alle Prozesse, die wir

im Betrieb gestalten, sind in irgendeiner Weise auch zu organisierende Ge-

schäftsprozesse. Es gilt daher abzugrenzen. Und das ist nun wieder eine un-

ternehmensspezifische Frage bei jeder einzelnen Balanced Scorecard.

Abgrenzen sollten wir in zweifacher Hinsicht:

1. Gegenüber den anderen Perspektiven der Scorecard.

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Kennzahlen für die Geschäftsprozessperspektive

138

Abbildung 18: Strategische Geschäftsprozesse

Wir haben die Komplexität des wirtschaftlichen Lebens gedanklich

strukturiert, um sie besser messen, verstehen und steuern zu können.

In der Realität lässt sich die Komplexität nicht auflösen. Daher sind

die von uns künstlich gezogenen Abgrenzungen immer willkürlich

und in den Grenzbereichen fließend. Überschneidungen lassen sich

nicht vermeiden. Wir müssen Zuordnungen treffen und diese Zuord-

nungen abstimmen, damit alle Beteiligten unter denselben Begriffen

dasselbe verstehen. Wir können es auch lassen. Nur, dann sind Miss-

verständnisse, Fehlinformationen und in der Konsequenz Fehlent-

scheidungen die unausweichliche Folge!

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Kennzahlen für die Geschäftsprozessperspektive

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2. Zwischen den Hauptkomponenten innerhalb der Geschäftsprozessper-

spektive.

Auch hier sind die Übergänge in den Grenzbereichen fließend. Darü-

ber hinaus gilt es zu bedenken, welches Gewicht den einzelnen Kom-

ponenten in dem strategischen Gesamtkonzept zukommt. Es gibt Un-

ternehmen, die bei dieser Überlegung zu dem Schluss kommen, die

eine oder andere dieser Hauptkomponenten selber in den Rang einer

eigenständigen Perspektive zu erheben, da sie aus der Sicht ihrer Stra-

tegien so wesentlich sind. So hat z.B. ein deutsches Elektronikunter-

nehmen bei der Erarbeitung seiner Balanced Scorecard als fünfte eine

Innovationsperspektive festgelegt (vgl. Frankfurter Allgemeine Zei-

tung vom 23. August 1998).

Es gilt also, selber nachzudenken, eigene Lösungen zu fin-

den. Lösungen, die der konkreten Umsetzung der eigenen

Strategie am ehesten gerecht werden. Die so oft gewünschten

allgemeinen Richtlinien können wir leider nicht geben – oder

sie wären so allgemein, wären in einer Weise für alle gültig,

dass keiner konkret etwas damit anfangen kann. Wie zumeist

bei allgemeinen Erörterungen.

7.3 Früh- und Spätindikatoren der Geschäftsprozesse

Über den Charakter von Kennzahlen als Früh- oder Spätindikatoren haben

wir schon gehört. Auch über die Relativität dieser Charakteristik.

Die „Anzahl neu identifizierter Kundenwünsche“ ist sicher ein ausgespro-

chener Frühindikator der Geschäftsprozessperspektive. In diesem Rahmen

erhalten die nachfolgenden Kennzahlen immer stärker den Charakter von

Spätindikatoren. Das gilt aber nur, solange man den Prozess nicht weiter-

führt. Betrachtet man jedoch den Gesamtprozess als aufsteigende Spiralbe-

wegung, dann wird die Kennzahl „Anteil nachbetreuter Kunden“ – als letzte

in der Kette eigentlich ein ausgesprochener Spätindikator – zum Frühindika-

tor für die Möglichkeit, neue Kundenwünsche zu identifizieren. Die „Anzahl

neu identifizierter Kundenwünsche“ erhält dadurch eher den Charakter eines

Spätindikators.

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Kennzahlen für die Geschäftsprozessperspektive

140

Abbildung 19: Indikatoren der Geschäftsprozessperspektive

Die Kennzahlen der Geschäftsprozessperspektive sollten aber auch aus der

Sicht der anderen Perspektiven betrachtet werden. Für die Finanzperspektive

haben die Kennzahlen der Geschäftsprozessperspektive insgesamt eher den

Charakter von Frühindikatoren, für die Mitarbeiterperspektive eher den Cha-

rakter von Spätindikatoren. Aber auch hier ist es wie in der Geschäftspro-

zessperspektive selbst. Es kommt immer darauf an, von welchem Punkt aus

wir die ablaufenden Prozesse betrachten.

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Kennzahlen für die Geschäftsprozessperspektive

141

7.3.1 Indikatoren der Innovation

In vielen Unternehmen stößt man auf Denkschemata, die den Innovationsas-

pekt auf die Entwicklung neuer Produkte und/oder Technologien reduzieren.

Damit verbunden ist eine gedankliche „Auslagerung“ innovativer Prozesse

in die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen. Und oft genug trifft man

vor allem in kleineren Unternehmen auf die Auffassung: „Innovation ist für

uns nicht relevant!“ Weil es keine eigene Forschung und Entwicklung gibt,

oder weil bestenfalls ein wenig Anwendungsforschung oder Produktpflege

betrieben wird.

Wir sollten uns an dieser Stelle selbst äußerst kritisch prüfen. Diese Denk-

schemata sind weiter verbreitet, als man sich einzugestehen gewillt ist. Und

sie sind ein erstrangiges Hemmnis für die Entwicklung jedes Unternehmens.

Denn Innovation ist ein Prozess, der vom Geschäftsführer bis zum Pförtner

alle Mitarbeiter in allen Unternehmen – gleich welcher Art – berührt.

Innovation im wirtschaftlichen Sinne hat zwei Grundelemente:

1. die Identifikation der für das Unternehmen verwertbaren Kundenwün-

sche aus dem Marktpotential an Kundenwünschen und

2. die Schaffung geeigneter Leistungs- und/oder Produktangebote für die

Kunden.

7.3.1.1 Die Identifikation von Kundenwünschen

Die Lösung der ersten Aufgabe, die Identifikation der für das Unternehmen

verwertbaren Kundenwünsche ist für ein Unternehmen existentiell. Je besser

ein Unternehmen die Wünsche seiner Kunden kennt, umso besser kann es

die Kunden an sich binden. Um so eher wird es in die Lage versetzt, ein

preiswertes – nicht billiges, sondern „den Preis wertes“ – Angebot zu unter-

breiten, das die Grundlage für ein beiderseits vorteilhaftes Geschäft bilden

kann.

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Kennzahlen für die Geschäftsprozessperspektive

142

Und das verwertbare Potential an Kundenwünschen ist breit. Breiter und

vielfältiger, als man auf den ersten Blick annehmen möchte. Dazu gehören

beispielsweise auch die Erfüllung von Kundenwünschen:

wie der Kunde im Unternehmen empfangen wird (Stichwort: Pförtner,

Empfang);

zu welcher Tages(und Nacht-)zeit der Kunde seine Wünsche äußern

kann (Stichwort: Nutzung des Internet für Electronic Commerce);

oder die Suche nach Kundenwünschen:

inwiefern nicht nur der Vertrieb, sondern auch die Mitarbeiter anderer

Bereiche im Unternehmen, also z.B. aus Buchhaltung, Konstruktion und

Arbeitsvorbereitung ihre Kundenkontakte dazu nutzen, verwertbare

Wünsche der Kunden zu identifizieren. Das mögen bestehende Kunden-

kontakte sein; es könnten aber auch Mitarbeiter dieser Arbeitsgebiete ge-

zielt zur Anbahnung von neuen Kontakten ausgebildet und motiviert

werden;

wie die alltäglichen betrieblichen und auch privaten Gespräche dazu ge-

nutzt werden, mögliche Interessenten bzw. deren verwertbare Wünsche

zu erkennen.

Hier kann eine Kennzahl „Anzahl neu identifizierter Kundenwünsche“ die

Ideen der verschiedenen Bereiche und Abteilungen durchaus beflügeln. Na-

türlich nur, wenn sie als „lebendige“ Kennzahl behandelt wird, d.h. verbun-

den wird mit IST und SOLL, mit Verantwortlichkeit und Motivation.

7.3.1.2 Die Identifikation von Möglichkeiten zur Erfüllung von Kunden-wünschen

Die Lösung der zweiten Aufgabe, die Schaffung geeigneter Leistungs-

und/oder Produktangebote knüpft schon eher an jene Vorstellungen an, die

landläufig mit dem Begriff „Innovation“ verbunden werden. Nur, auch hier ist

die Palette breiter und vielfältiger, als man auf den ersten Blick annehmen

mag. Analog zu den oben genannten Punkten könnten beispielsweise Lö-

sungen gefragt sein,

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Kennzahlen für die Geschäftsprozessperspektive

143

wie der Eingangsbereich und das Gesamtbild des Unternehmens kunden-

freundlich gestaltet werden kann. Dazu kann auch gehören, eine Art

„Kundenleitsystem“ zu entwickeln – wie häufig sind Unternehmen bau-

lich wie organisatorisch derart verwinkelt, dass man sich im wahrsten

Sinne des Wortes leicht verlaufen kann;

wie die Internet-Seiten des Unternehmens so gestaltet werden können,

dass ein Kunde nach Eingabe seiner Kundennummer unmittelbar mit be-

stimmten Bereichen des Warenwirtschaftssystems verbunden wird, um

Auskünfte erhalten oder Bestellungen eingeben zu können; oder einfach

nur, wie die Homepage so strukturiert wird, dass sich die Wahrschein-

lichkeit erhöht, sich auch „elektronische Laufkundschaft“ zu erschließen;

wie die EDV-Systeme so angeglichen werden, dass eine elektronische

Fakturierung (EDIFACT) oder ein elektronischer Datenaustausch für

z.B. Konstruktion und Arbeitsvorbereitung möglich sind;

wie die Mitarbeiter allmählich, aber systematisch dazu befähigt werden,

alltägliche Gespräche zur Identifikation von Interessenten- oder Kun-

denwünschen zu nutzen. Und wie diese Ideen im Unternehmen so kom-

muniziert werden, dass die geeigneten Fachleute daraus verwertbare An-

gebote für die Kunden entwickeln können.

In Anknüpfung an die und als Ergänzung zur Kennzahl „Anzahl neu identifi-

zierter Kundenwünsche“ könnte für diese zweite Aufgabe im Bereich der

Innovation eine Kennzahl „Umsetzungsgrad identifizierter Kundenwün-

sche“ kreiert werden.

Weitere mögliche Kennzahlen:

Projekterfolgsrate

Da die Umsetzung von Kundenwünschen oftmals in Form von Projekten

erfolgt, hat das bereits genannte Elektronikunternehmen (das mit der In-

novation als fünfte Perspektive; vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung

vom 23. August 1998) diese Kennzahl als Maßgröße gewählt.

Ideenverwertungsrate

Diese Größe wird von einer Institution zur Förderung der angewandten

Forschung eingesetzt, die Ergebnisse der Grundlagenforschung aufgreift

und gemeinsam mit kommerziellen Interessenten verwertbare Anwen-

dungen erarbeitet.

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Kennzahlen für die Geschäftsprozessperspektive

144

Anteil Zeit für gemeinsames Engineering

Ein Motorenbauunternehmen hat sich der Aufgabe gestellt, zielgerichtet

für bestimmte Partner spezielle Dieselmotoren zu entwickeln. Das ge-

meinsame Engineering erlangt dadurch strategische Bedeutung. Interes-

santerweise hat das Unternehmen diese Kennzahl mit einer weiteren

kombiniert, dem "Umsatz je gemeinsamen Engineeringtag".

Marktreife oder auch Time to Market

Das ist eine häufig genutzte Kennzahl. Sie misst die Zeit, die vom Auf-

greifen einer Idee bis zur Marktreife erforderlich ist.

7.3.2 Indikatoren der betrieblichen Leistungserstellung

In einer Zeit der offenen globalen Märkte erlangt die Orientierung aller Ak-

tivitäten auf die Befriedigung der identifizierten verwertbaren Kundenwün-

sche wettbewerbsentscheidende Bedeutung. Es gilt daher, die Prozesse der

betrieblichen Leistungserstellung – vom Einkauf über die Fertigung bis zum

Absatz – unter diesem Aspekt zu strukturieren:

Fokussierung der Qualität auf die Kundenwünsche (Wertanalyse)

Gestaltung der Kosten und Termine entsprechend den Kundenwünschen

(Target Costing)

Das sollte der gedankliche Leitfaden für die Bestimmung geeigneter Kenn-

ziffern in diesem Zusammenhang sein.

In diesem Zusammenhang existiert eine enorme Vielfalt an Kennzahlen. Sie

sind so vielfältig wie die Geschäftsprozesse selbst.

Wir wollen uns zwei Kennzahlen zuwenden, die in der praktischen Diskus-

sion zur Balanced Scorecard immer wieder eine besondere Rolle spielen: die

„Relation von Bearbeitungs- zu Durchlaufzeit“ und die „Erfolgsrate im ers-

ten Durchlauf“.

Beide Kennzahlen sind als strategisch geeignete Messgrößen für die Pro-

zesszeit bzw. die Prozessqualität mit der Balanced Scorecard anzusehen.

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Kennzahlen für die Geschäftsprozessperspektive

145

7.3.2.1 Bearbeitungszeit versus Durchlaufzeit

Die Be- oder auch Verarbeitungszeit charakterisiert den Zeitraum, der für

die Erstellung eines Produktes oder einer Leistung effektiv benötigt wird.

Demgegenüber umfasst die Durchlaufzeit jenen Zeitraum, in dem das Pro-

dukt oder die Leistung im Unternehmen bearbeitet wird, beginnend mit der

Bestellung und schließend mit der Auslieferung an den Kunden.

PrüfzeitVorberei-

tungszeitFertigung

Produkt/Leistung

Wartezeit Lagerzeit

Tranport-

zeit

.?. zeit .?. zeit

Durchlaufzeit

Be-/Verarbeitungszeit

Abbildung 20: Durchlauf- und Bearbeitungszeit

Die Fragezeichen in den beiden unteren Kreisen sollen verdeutlichen, dass

es neben der reinen Bearbeitungszeit eine Vielzahl weiterer den Liefertermin

verzögernder Teilzeiten geben kann.

Normalerweise ist die Bearbeitungszeit nur ein Bruchteil der Durchlaufzeit.

Dabei wird sich deren Relation nur im Idealfall der Zahl 1 annähern. Das ist

auch nicht in jedem Fall anstrebenswert. Wesentlich interessanter ist die

Entwicklung dieser Zahl! Eine Verschlechterung der Relation deutet frühzei-

tig auf Probleme im betrieblichen Arbeitsablauf hin. Probleme, die in der

Konsequenz Mehrkosten, Terminverzögerungen, Vertrauensverlust der

Kunden und Umsatz- bzw. Cash-flow-Rückgang bedeuten können.

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Kennzahlen für die Geschäftsprozessperspektive

146

Die Relation von Bearbeitungs- zu Durchlaufzeit ist ein wirksamer Frühin-

dikator. Sie ist einfach zu verstehen und relativ leicht zu messen – wenn man

sich einmal auf die Definition der Begriffe, auf die Zuordnung und Abgren-

zung der Bereiche verständigt hat.

Die Relation von Bearbeitungs- zu Durchlaufzeit ist im Übrigen nicht nur für

Fertigungsbetriebe von Bedeutung. Diese Kennzahl eignet sich ebenso für

Dienstleistungsunternehmen wie Non-Profit-Organisationen.

Sie eignet sich darüber hinaus insbesondere für Behörden. Allein die Be-

rechnung der IST-Daten und ihr ämterübergreifender Vergleich (Bench-

marking) wird erhebliche Rationalisierungspotentiale sichtbar werden las-

sen. Eine Vorgabe anspruchsvoller Steigerungsraten, verbunden mit wirk-

samen Maßnahmen, mit Verantwortlichkeit und Motivation kann so ein

spürbarer Beitrag zur Senkung der Staatsausgaben sein.

7.3.2.2 Mit dem ersten Durchlauf erfolgreich sein

Über die Rolle der Produkt- oder Leistungsqualität im Wirtschaftsleben

braucht heute nicht mehr philosophiert werden. Aber einige damit verbun-

dene Problemkreise werden in der Unternehmenspraxis nach wie vor nicht

oder nicht genügend beachtet.

Zum einen geht es um den Grad der Qualität der Produkte und Leistungen.

Er soll dem Wunsch, der Erwartung des Kunden entsprechen. Nicht weniger,

aber auch nicht mehr! Wieviel Aufwand, wieviel Kraft wird vergeudet in

Qualitätsmerkmale, die der Kunde weder benötigt noch bezahlt. Darauf

wurde bereits im Zusammenhang mit der Kundenperspektive eingegangen.

Zum anderen – und das interessiert an dieser Stelle – geht es um die Qualität

der Fertigungs- oder Bearbeitungsprozesse. Da hat sich in den letzten Jahren

Erhebliches getan. Die zahlreich realisierten Total-Quality-Programme und

die Auditierung nach ISO 9000 haben nicht nur das Qualitätsbewusstsein

weiter geschärft. Das war in Deutschland schon traditionell recht gut entwi-

ckelt. Die TQ-Programme haben aber auch die Arbeitsabläufe überschauba-

rer und damit besser steuerbar gestaltet.

Trotz alledem gibt es immer noch zu viele qualitätsbedingte Ausfälle, zu vie-

le Nacharbeiten, zu viele Verluste durch zu spät bemerkte Qualitätsproble-

me. Man realisiert es jedoch häufig erst dann, wenn bereits negative Aus-

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Kennzahlen für die Geschäftsprozessperspektive

147

wirkungen beim Kunden oder signifikante Mehrkosten entstanden sind. Und

dann ist die Wettbewerbsposition des Unternehmens manchmal schon ernst-

haft beschädigt ...

In dieser Beziehung kann die Kennzahl „Erfolgsrate im ersten Durchlauf“

als ein kraftvoller Frühindikator wirksam werden. Mit ihr wird der Anteil

jener Produkte (Teile) oder Leistungen (Teilleistungen) gemessen, der bezo-

gen auf jede einzelne Stufe der Fertigung bzw. Leistungserstellung bereits

im ersten Durchlauf der geforderten Kundenspezifikation gerecht wird.

Wieviel Aufwand an Zeit und Geld kann vermieden werden, wenn diese Er-

folgsrate erhöht wird? Und es sollte auch nicht allzu schwer sein, diese

Kennzahl praktisch anzuwenden. Sie entspricht im Grundsatz dem Gedan-

ken der TQ-Programme. Denn sie ist auf die Qualität des Gesamtprozesses

orientiert.

Auch hier handelt es sich um eine Kennzahl, die in jedem Unternehmen – ob

Fertiger oder Dienstleister, in jeder Institution, in jeder Behörde angewandt

werden kann. Sicherlich müssen die Begriffe dem jeweiligen Unternehmen

entsprechend angepasst werden. Und es gilt im Einzelfall zu prüfen, ob es

sich lohnt. Aber bedenkenswert ist diese Kennzahl auf jeden Fall.

7.3.3 Indikatoren für den Bereich des Kundendienstes

Die Befriedigung der Kundenerwartungen und -wünsche ist in den meisten

Fällen nicht mit der Auslieferung der Produkte bzw. der Leistungserstellung

beendet. Der Prozess ist abzurunden durch kundenorientierte Garantien und

Wartungsangebote. Der Kundendienst sollte jedoch nicht auf die Garantie-

zeit beschränkt werden, sondern in jedem Fall eine Nachbetreuung der Kun-

den einschließen, unabhängig davon, ob Garantie- und Wartungsleistungen

erforderlich sind.

Der „Anteil nachbetreuter Kunden“, die „Reaktionszeit bei Anfragen und

Beschwerden“, aber auch die „Dauer des Rechnungs- und Inkassozeitraums“

könnten in diesem Bereich geeignete Kennzahlen sein.

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Kennzahlen für die Geschäftsprozessperspektive

148

7.3.3.1 Nachbetreuung statt Nachbesserung

In einem Unternehmen der chemischen Industrie steht in allen Produktions-

räumen in großer Schrift zu lesen:

„Besser der Kunde kommt wieder als die Ware“.

Dieser Wahlspruch macht auf eingängige Weise verständlich, worauf es an-

kommt. Den Kunden ernst nehmen und ihn achten, damit er wiederkommt

und damit die Kundenbindung wächst. Denn ein Wiederkäufer erspart die

Akquisition eines Neukunden. Und ein zufriedener Wiederkäufer wird im

Laufe der Zeit zu einem kostenfreien, zum besten Werbefaktor.

Nachsorge muss nicht teuer sein. Sie erfordert zunächst Problembewusstsein

und persönliches Engagement.

Wie oft werden Kunden nach ihren Erfahrungen mit den Produkten bzw.

Leistungen gefragt?

Enthalten die Produktverpackungen Fragebögen, auf denen der Kunde

Hinweise und Kritiken vermerken kann? Einen Teil wird man zurücker-

halten, sofern glaubhaft vermittelt wird, dass man diese Hinweise auch

nutzt.

Werden die Kunden ein oder zwei Wochen nach Leistungserstellung an-

gerufen? Und das nicht nur, um die Bezahlung der Rechnung anzumah-

nen? Wird gefragt, ob die Kunden mit der Leistung zufrieden sind, was

man vielleicht in Zukunft noch besser machen könnte? Vielleicht ist das

der Anfang eines neuen Auftrags!

Wie oft werden Beschwerden und Reklamationen als kostenlose Verbes-

serungsvorschläge und als Ansatzpunkt zur Akquisition genutzt?

Ein Kunde, der sich beschwert, ist noch kein verlorener Kunde. Er ist

noch aktiv am Unternehmen interessiert. Und er weist auf Schwächen

hin, die die Marktposition beschädigen könnten. Alles in allem ein wert-

voller Kunde!

Wenn der Kunde mit seinen Reklamationen und Beschwerden ernst genom-

men wird, wenn praktisch demonstriert wird, dass man bereit und fähig ist,

eventuelle Schwächen zu bekämpfen, dann kann aus einem reklamierenden

Kunden ein „Wiederkäufer“ werden.

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Kennzahlen für die Geschäftsprozessperspektive

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7.3.3.2 Den Kunden positiv überraschen

Hier schließt sich der Kreis. Oder besser, die Spirale kehrt auf höherem Ni-

veau an ihren Ausgangspunkt zurück. Denn Nachbetreuung wird zu einem

wirksamen Potential für die Identifikation verwertbarer Kundenwünsche.

Ein Unternehmen für technische Dienstleistungen führt regelmäßig Gesprä-

che mit seinen Kunden, auch nach Beendigung der Aufträge. Diese Kon-

taktpflege, diese Nachsorge hat zu einer Reihe von Nachfolgeaufträgen ge-

führt. Das ist an sich schon ein positives Ergebnis. Weil es von Vertrauen

zeugt.

Aber die regelmäßige Nachsorge bewirkt noch mehr. Auf diesem Wege

wächst das gegenseitige Verständnis. Der Dienstleister konnte so einigen

seiner Kunden überraschende Problemlösungen vorschlagen. Überraschend,

weil die Probleme in ihrer Tragweite vorher vom Kunden noch gar nicht er-

fasst wurden. Und überraschend in der Art und Weise des Lösungsvorschla-

ges.

Dass auf diesem Wege die Kundenbindung steigt, braucht nicht lange betont

zu werden. Denn auch hier gilt die Devise:

„Hilf deinem Kunden, erfolgreich zu sein, dann wird er dir treu bleiben.“

Und kaum etwas bindet einen Kunden mehr, als die Fähigkeit eines Unter-

nehmens, über Erwartungen hinauszugehen, unausgesprochene Bedürfnisse

zu befriedigen. Dabei geht es nicht nur um technisch-sachliche Lösungen.

Eine kundenorientierte Preisfindung kann ebenfalls sehr effektiv zur positi-

ven Überraschung beitragen. Kundenorientierte Preise zielen darauf ab, spe-

zifischen Nutzen und spezifische Preisbereitschaft der Kunden effektiv mit-

einander zu verknüpfen.

Die BahnCard der Deutschen Bahn AG ist dafür ein sehr erfolgreiches und

bekanntes Beispiel. Der Effekt resultiert aus der Verknüpfung von zwei ver-

schiedenen Preiskomponenten. Anstatt einer (eindimensional durchkalku-

lierten) Fahrkarte erwirbt der Kunde mit dem Kauf der BahnCard einen

50%igen Nachlass auf den Standard-Kilometerpreis. Daraus ergibt sich eine

Mindestkilometerzahl als Äquivalent für den Preis der BahnCard. Jeder wei-

tere Kilometer wird für den Kunden zum Geschäft, die Bahnfahrt für ihn

oftmals günstiger als eine Autoreise.

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Kennzahlen für die Geschäftsprozessperspektive

150

Die Deutsche Bahn AG sichert sich auf diesem Weg eine höhere Grundlast

und zugleich eine höhere Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen Trans-

portmitteln. „Inzwischen gibt es mehr als 3 Mio. BahnCard-Inhaber. Der

jährliche, durch die BahnCard generierte Zusatzgewinn erreicht einen drei-

stelligen Millionenbetrag“ 26

.

Kundenorientierte Preise können nicht nur Großunternehmen realisieren. So

haben z.B. kleinere Multi-Freizeitanlagen mit eigenen Club Cards gute Er-

fahrungen gemacht. Das Prinzip funktioniert wie bei der BahnCard. Mit der

Club Card erwirbt der Kunde einen generellen Preisnachlass. Durch die

Kombination dieser Komponenten wird er angeregt, die Anlage regelmäßig

zu nutzen. Zusätzlich erhält er Sonderrechte, die seinen Status als Club-

Mitglied unterstreichen. Das Freizeitunternehmen profitiert durch die höhere

Grundauslastung seiner Anlage und die wachsende Kundenbindung.

Eine kundenorientierte Preisfindung kann auch erreicht werden durch

Mengenrabatte (eine sehr häufig genutzte Methode)

Mehrpersonenrabatte (eine vorwiegend in der Weiterbildungs- und Frei-

zeitbranche, aber auch von der Deutschen Bahn angewandte Methode.

Sie beruht darauf, dass die zweite, dritte oder weitere Person weniger als

die erste für eine identische Leistung zahlt)

Rabatte für Produkt- oder Leistungspakete (das Paket kostet weniger, als

die Summe der einzelnen Komponenten)

Mehrmarkenstrategie (Einführung einer billigeren Zweitmarke, Nutzung

von Sonderaktionen, Platzierung einer Marke im Niedrig-Preis-Sektor)

(vgl. ebenda, S.8f)

Die Beispiele zeigen, dass hier der Phantasie keine Grenzen gesetzt sind.

Intelligente Ideen sind gefragt.

Vielleicht kann man im eigenen Unternehmen jährlich einen Preis für die

innovativste Kundenüberraschung ausloben? Und über eine Kennzahl die

erreichten Erfolge messen?

26

Harvard Management Update, Februar 1999, S. 8

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Kennzahlen für die Geschäftsprozessperspektive

151

7.3.4 Indikatoren für den Bereich der Kommunikation

In der betrieblichen Kommunikation liegt das innere Potential der Balanced

Scorecard. Das wurde oft genug betont. Hier geht es nun um die Kommuni-

kation als den zentralen Teil der betrieblichen Geschäftsprozesse.

Dabei gilt es zunächst einmal, die Kommunikation als wesentlichen Ge-

schäftsprozess zu begreifen und zu managen. In vielen, wenn nicht den

meisten Unternehmen existieren auf diesem Gebiet erhebliche Defizite.

Kommunikation wird nebenbei erledigt, ist keine zentrale und funktions-

übergreifende Aufgabe. Damit vergibt das Management nach innen Füh-

rungspotential und nach außen Marktchancen.

7.3.4.1 Interne Kommunikation oder „Wissen, wohin die Reise geht“

Aufgabe der internen Kommunikation ist es, allen Mitarbeitern die Mission,

die Vision und die strategischen Ziele zu vermitteln . Um zu einer besseren

Verständigung zu kommen, sollten diese Ziele mit Hilfe geeigneter Kenn-

zahlen konkretisiert werden.

Wenn es aber erforderlich wird, die Entwicklung des Kommunikationspro-

zesses selbst als eine strategische Maßnahme zu führen, benötigt man auch

dafür entsprechende Kennzahlen.

Viele Unternehmen nutzen zum Aufbau und als Grundlage für ihre interne

Kommunikation eine Firmenzeitschrift. Damit ist ein potentielles Forum ge-

geben, bestimmte strategische Fragen offen weiter zu diskutieren. Sofern

man zu dem Schluss kommt, dieses Forum gezielt zu entwickeln, könnte

man in die Balanced Scorecard zwei eventuell miteinander verbundene

Kennzahlen aufnehmen:

Interne Verbreitung der Firmenzeitschrift

Anzahl Mitwirkende an der Firmenzeitschrift

Ein weiteres wesentliches Problem und zugleich ein Ansatzpunkt für die

interne Kommunikation ist die Gestaltung der Unternehmenskultur, des so-

zialen Klimas, in dem kommuniziert wird. Ist die Unternehmensorganisation

misstrauens- oder eher vertrauensbasiert? Orientiert man sich vornehmlich

an hierarchiebetonten oder kundenbetonten Strukturen? Welche Art von so-

zialer Kompetenz ist gefragt, entspricht dem vorherrschenden Klima?

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Kennzahlen für die Geschäftsprozessperspektive

152

Das sind keine einfach zu beantwortenden Fragen. Wenn man aber die inter-

ne Kommunikation vorantreiben will, muss man sich diesen Fragen stellen.

Dabei kann man den Prozess mit einer einfachen Kennzahl begleiten, die

mehr aussagt als viele Worte:

Anzahl der in das Berichtswesen einbezogenen Kennzahlen (eventuell diffe-

renziert nach Organisationseinheiten). Die Anzahl der in das Berichtswesen

einbezogenen Kennzahlen ist ein Indikator für den kommunikativen Zustand

des Unternehmens. Ist sie groß, deutet sie auf einen eher misstrauensbasier-

ten Charakter – und umgekehrt. Natürlich gibt es eine Mindestzahl. Wir soll-

ten und können ein Unternehmen nicht gänzlich ohne Kennzahlen führen.

Aber müssen es 50, 100 oder mehr sein? Oder reichen auch 12 bis 15 zentra-

le strategische Kennzahlen, in deren Rahmen jede selbständige Organisati-

onseinheit ihre spezifischen Kennzahlen entwickelt?

Parallel dazu ist die Eigenverantwortung der Mitarbeiter ein wichtiges Krite-

rium für die Entwicklung des Unternehmensklimas. Hier wäre nach einer

Kennzahl zur Erfassung des Entscheidungsspielraums der Mitarbeiter zu su-

chen.

In stärker gegliederten Organisationen sind daher folgende zwei Kennzahlen

interessant:

Anzahl der Hierarchieebenen je 100 Mitarbeiter

Anzahl der Tage, die ein Mitarbeiter in anderen Bereichen arbeitet

Wenn man die Absicht hat, Hierarchien abzubauen, könnten derartige Kenn-

zahlen behilflich sein. Ist der kommunikative Aspekt von herausragender

Bedeutung für die Erreichung der strategischen Ziele, so könnte die Kom-

munikation auch durch eine eigene Perspektive herausgehoben werden.

7.3.4.2 Externe Kommunikation oder „Was wissen die Kunden von unse-ren Möglichkeiten?“

Die externe Kommunikation umfasst gewöhnlich drei Bereiche:

Öffentlichkeitsarbeit

Hierbei geht es vorwiegend um die gezielte Arbeit mit Medien. Gerade klei-

nere Unternehmen, die keine umfangreichen Marketingetats haben, verfügen

auf diesem Gebiet über erhebliche Möglichkeiten, denn regelmäßige Presse-

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Kennzahlen für die Geschäftsprozessperspektive

153

konferenzen, periodische Presseerklärungen, Fachartikel, Erfahrungsberichte

oder andere Aktivitäten unter Einbeziehung der Medien erfordern weniger

Geld als intelligente Ideen. Selbst die beiläufige Medienpräsenz hat bei ge-

wisser Regelmäßigkeit mehr positive Auswirkungen auf die Bekanntheit und

das Image eines Unternehmens, als mitunter sehr aufwendige Werbekam-

pagnen.

Zwei Kennzahlen können hier behilflich sein:

die externe Verbreitung der Firmenzeitschrift und

die Anzahl der Erwähnungen des Unternehmens in relevanten Fach-, re-

gionalen oder überregionalen Medien .

Werbung

Hierzu zählen Mailingaktionen, Kampagnen vielfältigster Art, Promotions

u.ä.m. Werbung ist zumeist teuer27

, weil sie erst ab einem bestimmten

Schwellenwert wirksam wird. Kleinere Unternehmen sollten daher eher ihre

Möglichkeiten der Öffentlichkeitsarbeit ausschöpfen, ehe sie sich auf größe-

re Werbeaktionen einlassen.

Veranstaltungen

Darunter sind die Organisation von Veranstaltungen, Seminaren, Kongres-

sen und Ähnliches zu verstehen, die das Image des Unternehmens und seine

Verbindung zu entsprechenden Partnern stärken.

7.4 Praktische Beispiele – Kennzahlen der Geschäftsprozesse

In unseren Beispielunternehmen wurden u.a. folgende Kennzahlen für die

Geschäftsprozessperspektive erarbeitet:

7.4.1 Kreditinstitut

Mission Ihre schnelle Bank

Vision Wir werden die profitabelste Regionalbank.

Strategien:

a)Kreditentscheidungen für Baukredite treffen wir

innerhalb von 24 Stunden.

27

Weniger aufwendige, aber dennoch werbewirksame Dinge wie Visitenkarten, kleinere Werbegeschenke,

Firmenschilder etc. zählen in diesem Kontext eher zur Repräsentation als zur Werbung.

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Kennzahlen für die Geschäftsprozessperspektive

154

b) In vier Jahren wollen wir mit unseren Kunden

mindestens 50% aller Transaktionen über das Elect-

ronic Banking abwickeln.

Geschäftsprozessperspektive

Zeitbedarf für Kreditgewährung

Erläuterung: Das Ziel, Kreditentscheidungen inner-

halb von 24 Stunden zu treffen, erfordert eine hochef-

fektive Organisation der Arbeitsabläufe. Die Zeit wird

zu einem strategischen Führungsfaktor.

Maßstab: die Zeit von der Antragstellung durch den

Kunden bis zur Kreditzusage durch die Bankfiliale.

Anteil abgelehnter Anträge

Erläuterung: Diese Kennzahl soll die obige ergänzen.

Es geht ja nicht nur darum, schnell zu sein. Eine Bank

muss bei aller Schnelligkeit zu allererst solide blei-

ben. Mit der ersten Kennzahl werden die Mitarbeiter

angeregt, zügig zu arbeiten. Die zweite Kennzahl ori-

entiert sie darauf, möglichst nur aussichtsreiche Kre-

ditanträge zu bearbeiten und alle bearbeiteten Anträge

auch durch den Kreditausschuss zu bekommen.

Maßstab: der Prozentsatz jener Kreditanträge, die

vom Kreditausschuss nicht bewilligt wurden in Rela-

tion zu allen bearbeiteten Kreditanträgen.

Durchschnittliche Kundenwartezeit

Erläuterung: Die Kundenorientierung einer Bank

zeigt sich auch darin, dass der Kunde auf ein Ge-

spräch mit seinem Kreditsachbearbeiter nicht lange

warten muss. Es gilt also, die Termine so zu legen,

dass genügend Zeit für eine erfolgreiche Beratung in-

klusive Vor- und Nachbereitung bleibt, ohne den

nachfolgenden Termin zu gefährden.

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Kennzahlen für die Geschäftsprozessperspektive

155

Maßstab: die Wartezeit, indem obligatorisch in jedem

Gesprächsprotokoll die Wartezeit des Kunden zu

vermerken ist.

7.4.2 Automotive-Zulieferer

Mission Good vibrations mit XYZ

Vision Weltmarktführer für Schwingungstechnik

Strategien:

a) Umsatzverdoppelung in 4 Jahren

b) 50% Umsatzanteil von neuen Produkten

Geschäftsprozessperspektive

Zeitbedarf bis zur Produktionsreife

Erläuterung: Wer einen 50%igen Umsatzanteil neuer

Produkte anstrebt, muss dem Zeitbedarf für die Um-

setzung neuer Entwicklungen strategische Aufmerk-

samkeit widmen.

Maßstab: der Zeitraum (in Tagen), der erforderlich ist

vom Beginn eines Entwicklungsprojekts bis zur Ein-

bindung der Projektergebnisse in den praktischen Fer-

tigungsablauf.

Anzahl Patente

Erläuterung: Weltmarktführerschaft durch Know-

how-Führerschaft; das ist das erklärte Ziel des Unter-

nehmens. Deshalb kommt der Anzahl eigener Patente

eine hohe Bedeutung zu.

Maßstab: je Quartal die Anzahl der eingereichten Pa-

tente.

Automatisierungsgrad

Erläuterung: Eine Umsatzverdopplung in vier Jahren

ist nur bei systematischer Erhöhung des Automatisie-

rungsgrades realisierbar. Es ist der Königsweg sowohl

für die notwendige Steigerung des Produktionsaus-

stoßes als auch der Präzision und Qualität.

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Kennzahlen für die Geschäftsprozessperspektive

156

Maßstab: der prozentuale Anteil des Buchwertes der

automatisierten Technik am Buchwert der Maschinen

und technischen Anlagen insgesamt.

7.4.3 Handwerk/Dienstleister

Mission Ihr Backshop – schnell und knusprig

Vision Wir haben zufriedene Kunden und starkes Unterneh-

menswachstum durch schnelles Zusatzgeschäft.

Strategie: Neue Techniken in Produktion und Vertrieb befähi-

gen uns, jährlich unseren Umsatz zu verdoppeln –

insgesamt und insbesondere mit unseren Stammkun-

den.

Geschäftsprozessperspektive

Zeitbedarf bis zur Filialeröffnung

Erläuterung: Die jährliche Verdopplung des Umsatzes

muss in starkem Maße durch die Erweiterung des Fi-

lialnetzes erreicht werden. Eine zügige Planung und

Realisierung der einzelnen Standorte wird dabei vom

Unternehmen als wichtige Steuerungsgröße einge-

schätzt.

Maßstab: der Zeitraum (in Tagen), der erforderlich ist

vom Beginn eines Erweiterungsprojekts bis zur Er-

öffnung der Filiale. Dieser Zeitraum umfasst die ge-

samte Kette von der Standortsuche über die Standort-

auswahl, die Architekten- und Planungsleistungen,

die erforderlichen Genehmigungen, die baulichen Ar-

beiten, die Anwerbung und Anleitung des Personals

bis zum Tag der Eröffnung.

Zusätzlich interessant wäre auch der Zeitbedarf von

der Eröffnung bis zur Erzielung eines positiven De-

ckungsbeitrages der neuen Filiale.

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Kennzahlen für die Geschäftsprozessperspektive

157

Umsatzanteil von „Spontanartikeln“

Erläuterung: Auch in einem Backshop sind neue

Ideen gefragt, wenn Kunden positiv überrascht und

langfristig gebunden werden sollen. Das betrifft so-

wohl die Art und Weise der Zusatzgeschäfte als auch

die Produktions- und Vertriebstechnologie. Die ge-

wählte Kennzahl wird diesen Prozess nachhaltig un-

terstützen.

Maßstab: der prozentuale Anteil des Umsatzes der

wöchentlich neuen, zum Spontaneinkauf reizenden

Produkte am Gesamtumsatz.

Anzahl der Beschwerden und durchschnittliche Reak-

tionszeit

Erläuterung: Das Unternehmen will zur Steigerung

von Kundenzufriedenheit und Kundenbindung ziel-

strebig ein effektives Beschwerdemanagement auf-

bauen. Die Kennzahl ist darauf orientiert, Kunden zu

Hinweisen anzuregen und gleichzeitig schnelle Reak-

tionen sicherzustellen.

Maßstab: auf folgende Weise: Jeder schriftliche Hin-

weis, jede Reklamation oder Beschwerde wird mit ei-

nem Begleitblatt versehen, auf dem neben den sachli-

chen Anmerkungen obligatorisch das Eingangsdatum

und der Tag des Bearbeitungsabschlusses zu vermer-

ken sind.

Die einzelnen Blätter werden EDV-technisch erfasst

und nach Anzahl und durchschnittlichem Zeitaufwand

quartalsweise ausgewertet.

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Kennzahlen für die Geschäftsprozessperspektive

158

7.4.4 Küchenmaschinenhersteller

Mission Scharf auf alles, was zu schneiden ist

Vision Wir wollen in Europa der Spezialist für regional spe-

zifische Schneidetechnik im Großküchenbereich sein.

Strategien:

a) Wir wollen die Kommunikation mit Interessenten

und Kunden erheblich intensivieren.

b) Unser Innovationspotential wird durch Zusammen-

arbeit mit externen Entwicklern ausgebaut.

Geschäftsprozessperspektive Wachstum der Anzahl der aus Kundenkontakten er-

mittelten Innovationswünsche und -ideen

Erläuterung: Mit dieser Kennzahl werden alle Mitar-

beiter motiviert, Kundenkontakte zur Identifikation

von innovativen Ideen zu nutzen.

Maßstab: das durchschnittliche prozentuale Wachs-

tum der von den Mitarbeitern eingereichten Ideenblät-

ter je Quartal und Bereich.

Bearbeitungszeit/Durchlaufzeit

Erläuterung: Wenn man sich in Europa als Spezialist

für regional spezifische Schneidetechnik im Großkü-

chenbereich durchsetzen will, muss der betriebliche

Gesamtdurchlauf äußerst effektiv gestaltet werden.

Darin eingeschlossen ist die schnelle konstruktive

Umsetzung der individuellen Sonderanfertigungen.

Maßstab: auf folgende Weise: Jeder Auftrag hat eine

Auftragsbegleitmappe. Darin werden erfasst alle Ge-

sprächsprotokolle, die Angebots-, Kalkulations- und

Auftragsdokumente, die Konstruktionsunterlagen, alle

Rechnungen und Auslieferungsdokumente und die

Zeiten, die in der Fertigung an diesem Auftrag gear-

beitet wurden (Bearbeitungszeit).

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Kennzahlen für die Geschäftsprozessperspektive

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Diese Zeiten ergeben sich aus der EDV-technischen

Auswertung aller Wochenzettel, in denen jeder ge-

werbliche Mitarbeiter auftragsbezogen seine Arbeits-

zeit abrechnet. Die Durchlaufzeit wird ermittelt als

der Zeitraum vom Beginn der Angebotserarbeitung

bis zur Bezahlung der Abschlussrechnung.

Interner/externer Aufwand für Konstruktion, bezogen

auf den jeweiligen Umsatz

Erläuterung: Da die konstruktive Kapazität zielgerich-

tet durch Kooperation mit externen Partnern ausge-

baut werden soll, wurde diese Kennzahl kreiert. Sinn-

vollerweise erfolgt der Bezug zum jeweils erzielten

Umsatz. Es kommt ja nicht nur darauf an, externe

Kapazitäten einzubeziehen. Daraus soll Umsatz-

wachstum generiert werden! Durch die separate Er-

fassung sowohl der extern als auch der intern ausge-

führten Konstruktionsarbeiten wird ein Vergleich

möglich zwischen der Umsatzwirksamkeit beider

Konstruktionspotentiale.

Maßstab: der buchhalterisch auftragsbezogen erfasste

Aufwand für interne und externe Konstruktion und

der auftragsbezogene Umsatz.

7.4.5 Kfz-Anhängerhersteller

Mission Wir bewegen Ihre Last.

Vision Wir bewegen jede Last.

Strategien:

a) Unser Vertriebsnetz wird erheblich ausgeweitet,

damit wir deutschlandweit bekannt werden als Her-

steller von Spezial-Lkw-Anhängern.

b) Umsatzausweitung durch neue Anwendungsgebiete

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Kennzahlen für die Geschäftsprozessperspektive

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Geschäftsprozessperspektive

Umsatzanteil neuer Produkte

Erläuterung: Auch der Kfz-Anhängerhersteller hat

diese Kennzahl gewählt, weil der Markt durch die Er-

schließung neuer Anwendungsgebiete ausgeweitet

werden soll.

Maßstab: der prozentuale Anteil des Umsatzes der

neuen Produktsparte am Gesamtumsatz.

Anteil der Aufträge mit konstruktiven Veränderungen

nach der Auftragserteilung

Erläuterung: Es geht darum, schon bei der

Auftragsdurchsprache mit dem Kunden die Kunden-

wünsche ausreichend zu erfragen und dem Kunden

die Möglichkeiten des Unternehmens zu verdeutli-

chen, die Lkw-Anhänger seinen individuellen Wün-

schen entsprechend zu fertigen.

Konstruktive Veränderungen nach der Auftragsertei-

lung haben nicht nur negative Auswirkungen auf den

Einkauf und den Fertigungsablauf. Außerdem werden

bei signifikanten Änderungen Nachverhandlungen zu

Terminen und Preisen erforderlich, die das Image des

Unternehmens beim Kunden negativ beeinflussen

können.

Maßstab: der prozentuale Umsatzanteil der Aufträge

mit konstruktiven Änderungen nach Auftragserteilung

am Umsatz der Aufträge insgesamt.

Wachstum der Provisionssummen für neue Kunden

(regional differenziert)

Erläuterung: Die nach Regionen differenzierten Pro-

visionssummen für neue Kunden signalisieren den

Grad des erreichten Fortschritts bei der Umsetzung

des strategischen Ziels, die Spezial-Lkw-Anhänger

des Unternehmens deutschlandweit zu vertreiben.

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Kennzahlen für die Geschäftsprozessperspektive

161

Gemessen werden monatlich die prozentualen Wachs-

tumsraten der ausgezahlten Provisionssummen. Die

Provisionssummen werden auftragsbezogen erfasst

und mit Hilfe der Kundennummer regional zugeord-

net.

Wachstum der Provisionen für „Wiederkäufer-

Umsätze“

Erläuterung: Das Unternehmen will die Kundenbin-

dung erhöhen. Daher geht es nicht nur darum, neue

Kunden zu gewinnen. Genauso wichtig wird die Auf-

gabe eingestuft, bestehende Kunden zum Wiederkauf

anzuregen. Je besser das gelingt, umso stabiler wird

die Marktposition.

Maßstab: Gemessen werden die prozentualen Wachs-

tumsraten der monatlich ausgezahlten Provisions-

summen für Altkunden. Die Zuordnung erfolgt mit

Hilfe der Kundennummer.

7.4.6 Spezialitätenbrauerei

Mission Ihr nationales Gsüffiges

Vision Wir werden bis 2002 die Nr. 1 in Deutschland.

Strategien: a) Wir wollen der beste/größte Partner für den Ge-

tränkefachgroßhandel in unserem regionalen Raum

sein und mindestens einen Fachgroßhandel in allen

deutschen Ballungsgebieten neu gewinnen.

b) Die Abverkaufsmenge je Outlet muss verdoppelt

werden.

Geschäftsprozessperspektive

Anzahl der Produkt- und Verpackungsvarianten

Erläuterung: Mit dieser Kennzahl will das Unterneh-

men seinen Innovationsprozess steuern. Die Erhö-

hung der Abverkaufsmengen ist langfristig auch über

die Vielfalt und die Neuentwicklung von Produkt-

und Verpackungsvarianten zu sichern.

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Kennzahlen für die Geschäftsprozessperspektive

162

Die Bierqualität deutscher Brauereien ist durchgängig

hoch und weitgehend vergleichbar. Es kommt deshalb

darauf an, immer wieder neue Ideen zu entwickeln,

wie das Bier auf dem Markt dargeboten wird.

Produktvarianten ergeben sich beispielsweise durch

neuartige Mischungen oder Anwendungsmöglichkei-

ten, neue Verpackungsvarianten wie z. B. veränderte

Flaschen- oder Gebindeformen, Faßgrößen u.ä.m.

Maßstab: monatlich die Zahl der Varianten, der pro-

zentuale Umsatzanteil aller Varianten und der prozen-

tuale Umsatzanteil neuer Varianten am Gesamtum-

satz.

Lieferfähigkeit

Erläuterung: Die kurzfristige Lieferfähigkeit ist eine

Grundvoraussetzung für die Umsetzung der strategi-

schen Zielstellung, der beste/größte Partner für den

Getränkefachgroßhandel im regionalen Raum zu sein

und mindestens einen Fachgroßhandel in allen deut-

schen Ballungsgebieten neu zu gewinnen. Das gilt

insbesondere für saisonale Schwerpunkte.

Maßstab: die Abweichung der Reichweite des Lager-

bestands in Tagen vom Zielkorridor.

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Kennzahlen für die Mitarbeiterperspektive

163

8. Kennzahlen für die Mitarbeiterperspektive

Auf einen Blick:

Die Mitarbeiterperspektive ist wegen ihrer langfristigen Wirkungen von

besonderer Bedeutung für alle Unternehmen.

Mit den Kennzahlen der Mitarbeiterperspektive wird der Blick auf die

Fähigkeiten und das Potential der Mitarbeiter, aber auch auf die Nut-

zung der Informationstechnologien geschärft.

Diese Perspektive umfasst als Spätindikatoren die Bereiche

Zufriedenheit, Treue und Produktivität der Mitarbeiter.

Als überwiegend zukunftsorientiert können folgende Kennzahlen ge-

nutzt werden: Fort- und Weiterbildung, Motivation der Mitarbeiter und

technologische Infrastruktur.

Befähigungen, also eher „weiche“, nicht finanztechnisch messbare Fak-

toren lassen sich messen und somit beeinflussen.

Die Urteile über die Mitarbeiter – oder auch Lern- und Entwicklungsper-

spektive sind vielerorts gespalten. Manche Manager halten dies für Humbug,

denn „Leistung erhält man durch – permanent erzeugten – Druck auf und –

stetige – Kontrolle über die Mitarbeiter“. Lernen und Entwicklung der Mit-

arbeiter ist gefordert, aber wird als Privatsache der Mitarbeiter angesehen.

Elektronische Datenverarbeitung muss sein, aber Entscheidungen werden

aus dem Bauch heraus getroffen.

In unserer sich äußerst schnell entwickelnden Welt sind solche Ansichten

unverständlich und antiquiert – aber dennoch leider weit verbreitet! Wegen

der Komplexität bereits einfachster Prozesse sind immer mehr Spezialisten

gefordert, an Projekten, Entwicklungen und im täglichen Job mitzuarbeiten.

Die notwendige Arbeit sollte immer häufiger, kann eigentlich nur im Team

erfolgreich abgewickelt werden. Dies erfordert soziale Kompetenz, Kom-

munikationsfähigkeit und -bereitschaft sowie permanentes Lernen.

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Kennzahlen für die Mitarbeiterperspektive

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Abbildung 21: Mitarbeiterperspektive

Die Mitarbeiterperspektive ist wegen der langfristigen Wirkung dieses Fak-

tors auf die Entwicklung eines Unternehmens unseres Erachtens besonders

wichtig. Sie ist zugleich aber auch die Perspektive, mit der am wenigsten

Erfahrungen in Unternehmen bestehen. Investitionen in die Mitarbeiter brin-

gen keinen kurzfristigen Ertrag, aber langfristig Erfolg! Wegen ihrer vielfäl-

tigen Wirkungen auf alle anderen Perspektiven haben wir es hier eher mit

Frühindikatoren zu tun.

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Kennzahlen für die Mitarbeiterperspektive

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Die Kennzahlen für Mitarbeiterzufriedenheit, -treue und -produktivität sind

jedoch tendenziell Spätindikatoren, zeigen, ob die Entwicklung im Unter-

nehmen stimmt, noch richtig ist. Als Frühindikatoren sind eher Kennzahlen

zur Mitarbeiterfortbildung, -motivation und zur technologischen Infrastruk-

tur geeignet.

Die Mitarbeiterperspektive lässt sich in die in Abb. 22 dargestellten Katego-

rien unterteilen, die im Folgenden detaillierter beleuchtet werden sollen.

Vorab müssen wir jedoch noch ein Wort über die Messfähigkeit von Befähi-

gung der Mitarbeiter, und darum geht es permanent bei dieser Perspektive,

verlieren.

Häufig wird argumentiert, dass man Motivation, innere und soziale Einstel-

lungen der Mitarbeiter nicht messen könne. „Wie können wir z.B. die Team-

fähigkeit mit der Kennzahl Kommunikationsfähigkeit der Mitarbeiter mes-

sen?“ – wenn die Teamfähigkeit in einem Unternehmen als ein gravierendes

Manko angesehen wird.

Der Einwand, so berechtigt er im klassischen Sinne ist, zeigt das in alten

Strukturen verhaftete Denken: Man muss gemeinsam analysieren, warum die

interne Kommunikationsfähigkeit unzureichend ist. Allein dieser Prozess der

gemeinsamen Analyse zeigt allen Beteiligten die Wichtigkeit der Problema-

tik auf (der man in vielen Unternehmen eine eigene Perspektive gönnen soll-

te!).

Kann man Befähigung messen?

Der zweite Schritt liegt in der gemeinsamen Diskussion, wie man das ändern

kann. Und auch hier zeigt sich der Vorteil der gemeinsamen Arbeit am

Thema. Es wird bewusst, wie man Schwächen abbauen könnte. Und dann ist

es nur ein kleiner Schritt zur Messfähigkeit.

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Kennzahlen für die Mitarbeiterperspektive

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Abbildung 22: Kennzahlen der Mitarbeiterperspektive

Auch wenn man die Minuten Kommunikation, die Gesprächsanzahl in der

Kaffeeküche und auf dem Flur, die Anzahl gemeinsamer Unternehmungen

nicht praktikabel messen kann, so gibt es doch Möglichkeiten, tendenzielle

Veränderungen oder Maßgrößen für Veränderungen zu messen: Die Anzahl

der offen stehenden Türen in einer Etage kann so – zu einer willkürlichen

Zeit von der Sekretärin aufgenommen – zu einer, vielleicht nicht optimalen,

Hilfsgröße werden – hoffentlich nicht für das gesamte Unternehmen, son-

dern nur für eine Abteilung! Und für ein Unternehmen können die Anzahl

der E-mails, die Häufigkeit (nicht die Länge!) von internen Besprechungen

etc. Kennzahlen für interne Kommunikation und Teamfähigkeit sein.

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Kennzahlen für die Mitarbeiterperspektive

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8.1 Spätindikatoren der Mitarbeiterperspektive

Was stecken für Potentiale in unseren Mitarbeitern. Die Kunst des Managers

liegt im Heben dieser meist verborgenen Schätze! Dies gelingt, wenn im Un-

ternehmen ein Klima des gegenseitigen Vertrauens und der Achtung ge-

schaffen wird, wenn jeder sein Know-how in das Unternehmen, in seine täg-

liche Arbeit einbringen kann.

War es noch vor wenigen Jahrzehnten im Rahmen der Massenproduktion

wichtig, Mitarbeiter einzustellen, die eine genau spezifizierte Tätigkeit mög-

lichst schnell und gut absolvieren können, so erledigt heute der Computer im

Zusammenspiel mit ausgeklügelten Maschinen einen Großteil dieser Arbei-

ten.

Heute geht es vielmehr darum, möglichst flexible, gut ausgebildete Mitarbei-

ter zu beschäftigen, die die Fähigkeit sowie die Bereitschaft mitbringen,

vorhandene Produkte permanent zu verbessern, neue Produkte zu entwi-

ckeln, um so den Kundenansprüchen immer mehr gerecht zu werden. Diese

Fähigkeiten werden auch von den Mitarbeitern an der „Basis“ verlangt, die

zumeist den direkten Zugang zum Kunden haben. Durch die wachsende Ar-

beitsteilung und Spezialisierung hat das Management immer weniger diesen

direkten Draht zum Kunden und entscheidet so häufig genug nicht im Sinne

einer Kundenorientierung.

Das Know-how der „Basis“ ist zu nutzen und durch geeignete Maßnahmen

zu entwickeln und zu fördern – diesen Prozess können Kennzahlen für die

Mitarbeiterpotentiale unterstützen:

Mitarbeiterzufriedenheit

Mitarbeitertreue

Mitarbeiterproduktivität

Jedoch, diese Kennzahlen sind überwiegend Spätindikatoren und sollten er-

gänzt werden durch Kennzahlen, die als Frühindikatoren die Motivation und

Zielausrichtung der Mitarbeiter messen.

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Kennzahlen für die Mitarbeiterperspektive

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8.1.1 Mitarbeiterzufriedenheit

„Zufriedene Mitarbeiter danken es Ihnen ...“, so sollte der Wahlspruch für

Manager lauten. Die Mitarbeiterzufriedenheit kann durch verschiedene

Maßnahmen gefördert werden, basiert aber immer auf Vertrauen und Wert-

schätzung füreinander.

Wenn ein Manager das Heil in Kontrolle und Druck setzt, verspielt er viele

Möglichkeiten, zufriedene Mitarbeiter zu gewinnen und damit zufriedene

Kunden, denn zwischen Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit bestehen ho-

he Korrelationen. Die Mitarbeiterzufriedenheit wird durch folgende Faktoren

entscheidend beeinflusst:

Übertragung von Verantwortung

Leistungsanerkennung

Beides wird natürlich unterstützt vom allgemeinen Arbeitsklima im Unter-

nehmen und vom Potential der Mitarbeiter. Der in diesem Zusammenhang

häufig genannte Faktor Arbeitsmoral ist Folge der Mitarbeiterzufriedenheit

und führt zu erhöhter Produktivität.

Manche Unternehmen messen die Mitarbeiterzufriedenheit durch anonyme

Umfragen im Unternehmen. Man könnte auch den durchschnittlichen Kran-

kenstand, die Bereitschaft zu unbezahlten Überstunden, die Steigerung von

Stellenbewerbungen aus dem Bekanntenkreis von Mitarbeitern etc. messen –

aber gemessen werden sollte die Mitarbeiterzufriedenheit auf jeden Fall.

8.1.2 Mitarbeitertreue

Die Einarbeitung neuer Mitarbeiter ist ein gravierender Kostenfaktor und so

kann sich die Mitarbeitertreue gravierend auf das Unternehmensergebnis

auswirken. Jedoch ist in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit die Fluktuationsrate

der Mitarbeiter normalerweise keine gute Messgröße für zufriedene und

demzufolge treue Mitarbeiter. In Branchen mit hoher Mitarbeiternachfrage–

wie z.B. EDV-Entwicklung – wird diese Kennzahl jedoch seine Berechti-

gung haben.

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Kennzahlen für die Mitarbeiterperspektive

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Weitere Beispiele sind:

Durchschnittliche Firmenzugehörigkeit in Jahren

Kündigungsquote bei den innerhalb der letzten fünf Jahre eingestellten

Mitarbeitern

Anteil der Mitarbeiter, die Mitgesellschafter sind

Aber man sollte bei der Mitarbeitertreue nicht allein den Kostenfaktor Ei-

narbeitungsaufwand für neue Mitarbeiter betrachten. Viel wichtiger ist der

Erfahrungs- und Kenntnisschatz der langjährigen Mitarbeiter, obwohl natür-

lich der Blick durch lange Jahre im Unternehmen auch etwas eingeengt ist

und Innovationen zurückhaltend bewertet werden.

8.1.3 Mitarbeiterproduktivität

Je zufriedener Mitarbeiter sind, je mehr ihr Potential verbessert und genutzt

werden kann, umso höher ist die Mitarbeiterproduktivität. Nur, wie misst

man die Mitarbeiterproduktivität? Umsatzwachstum pro Mitarbeiter als

Kennzahl reicht allein nicht aus, da die Kosten nicht Berücksichtigung fin-

den. Also wäre der mitarbeiterbezogene Deckungsbeitrag, besser noch des-

sen Wachstum, eine angemessene Kennzahl.

Unter dem Aspekt, dass gute, hochqualifizierte und flexible Mitarbeiter auch

höhere Gehälter beziehen, wäre das Wachstum des Deckungsbeitrages, be-

zogen auf die Gehaltssumme als Kennzahl, vorzuziehen. Auch hier gilt wie-

der: Die gemeinsame Diskussion einer Kennzahl muss erfolgen, um die rich-

tigen Kennzahlen für das Unternehmen, den Geschäftsbereich, die Abteilung

zu ermitteln.

Produktivitätsmessungen sind in deutschen Unternehmen zumeist verpönt.

Kaum jemand wagt es, die Anzahl der täglichen Buchungen pro Mitarbeiter

zu erfassen (der Betriebsrat gibt wahrscheinlich hierfür auch keine Zustim-

mung). Aber wie steht es mit folgenden Kennzahlen:

Anteil lebender Konten (bei denen es signifikante Bewegungen gibt und

die einen Habensaldo aufweisen)

Sprachkenntnisse des Vertriebs

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Kennzahlen für die Mitarbeiterperspektive

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Gewonnene Prozesse vor dem Arbeitsgericht (Kennzahl für das Potential

der Personalabteilung)

Rückgang der Reklamationen

8.2 Frühindikatoren der Mitarbeiterperspektive

Sind die obigen Spätindikatoren noch klassisch messbar, sind für die folgen-

den Kennzahlen intensive Diskussionen notwendig, um so bei allen Mitar-

beitern Verständnis für Sinn und Zweck der Frühindikatoren zu wecken.

8.2.1 Fort- und Weiterbildung

In unserer schnelllebigen Zeit, in der sich unser gesellschaftliches Wissen in

wenigen Jahren verdoppelt, ist die permanente Fort- und Weiterbildung aller

Mitarbeiter unerlässlich. Dies zu unterstützen und zu fördern ist eine wichti-

ge Führungsaufgabe.

Vor wenigen Jahren noch wurde Fortbildung als Motivationsfaktor für zu-

friedene Mitarbeiter gesehen. Quasi als Dankeschön wurde eine Fortbil-

dungsmaßnahme „spendiert“.

Innovative Unternehmen gehen hingegen davon aus, dass jeder Mitarbeiter

wenigstens zwei Wochen im Jahr an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen

teilnimmt und fördern dieses Ziel mit allen Kräften. Aber die Teilnahme an

sich ist als Messgröße für die Fort- und Weiterbildung nicht ausreichend. Es

geht um die Umsetzung von strategischen Ideen und operativen Anregun-

gen, die in Seminaren etc. aufgenommen wurden. Das ist ein zukunftsorien-

tierter Faktor und kann z.B. als Messgröße „ Summe der aus Fortbildungs-

veranstaltungen aufgegriffenen Ideen/Verbesserungsvorschläge“ Verwen-

dung finden.

Zumindest sollten für Kennzahlen nur die Fortbildungen Berücksichtigung

finden, über die der Teilnehmer in einer Mitarbeiterrunde referiert hat – an-

sonsten versanden die positiven und innovativen Impulse häufig im Tages-

geschäft.

Auch sollte im Unternehmen diskutiert werden, welche Fortbildungsmaß-

nahmen auf welchen Mitarbeiterebenen benötigt werden, um die Unterneh-

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Kennzahlen für die Mitarbeiterperspektive

171

mensstrategie optimal zu unterstützen. Hierzu ist eine Mitarbeiter-

Kompetenz-Analyse zu erstellen, die Ist und Soll einschließlich vorhande-

ner Defizite darstellt.

8.2.2 Mitarbeitermotivation

Mitarbeiterzufriedenheit und dank Fort- und Weiterbildung zielgerichtet

entwickeltes Know-how der Mitarbeiter sind zwar Basis, reichen allein aber

nicht aus: Ohne entsprechende Motivation werden sie unzureichend für das

Unternehmen genutzt.

Es muss im Unternehmen ein Klima geschaffen werden, das die Mitarbeiter

ermutigt und anspornt, das ihnen Freude bereitet, in und für das Unterneh-

men zu arbeiten – sie wollen motiviert sein. Wir sollten nicht in die Diskus-

sion verfallen, ob Mitarbeiter per se faul und destruktiv sind. Unsere Erfah-

rung zeigt: Jeder Mitarbeiter im Unternehmen ist prinzipiell bereit, sein Bes-

tes zu geben! Sofern man ihm ausreichenden Entfaltungsspielraum lässt.

Wenn es da nicht immer wieder Rückschläge geben würde, die insbesondere

gekennzeichnet sind durch:

Misstrauen

Vorurteile

Unehrlichkeit

Unberechenbarkeit

Kommunikationsmangel

Es muss im Unternehmen eine Vertrauenskultur aufgebaut, die zumeist la-

tent vorhandene Misstrauenskultur abgebaut werden.

Klassische Maßgrößen für die Motivation der Mitarbeiter, zur Verbesserung

der Unternehmensergebnisse beizutragen, sind

die Anzahl oder das Wachstum der Verbesserungsvorschläge,

deren Umsetzung von Verbesserungsvorschläge (zu messen über Prä-

mienhöhen) oder

Verbesserungsaspekt der Verbesserungsvorschläge (Kosten, Zeit, Quali-

tät, Prozesse).

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Kennzahlen für die Mitarbeiterperspektive

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Aber gibt es nicht auch andere Faktoren für die Messung von Motivation?

Einsatzbereitschaft für das Unternehmen, Engagement in unternehmensna-

hen (auch sozialen) Einrichtungen oder auch das Interesse, nicht direkt un-

ternehmensbezogene Veranstaltungen zu betreuen, alles das sind Anzeichen

für außerordentliche Mitarbeitermotivation:

Anteil in sozialen Projekten engagierter Mitarbeiter

Teilnehmerquote beim Betriebsausflug

Anteil der Mitarbeiter-Kraftfahrzeuge mit Firmenaufkleber

Anteil in internen Ausschüssen engagierter Mitarbeiter.

8.2.2.1 Verbesserungs- und Vorschlagswesen

In fast jedem Unternehmen existieren Aktionen, die zum Einreichen innerbe-

trieblicher Verbesserungsvorschläge auffordern. Leider sind diese Maßnah-

men häufig nur halbherzig, werden lediglich als Alibi genutzt: „Auch wir

haben ein VV-System“.

Aber oft gilt: „You don´t like to manage what you don´t measure!/Es scheint

wohl nicht so wichtig zu sein!“

Also sollten Kennzahlen erarbeitet werden, die nachhaltig betriebliche Ver-

besserungsvorschläge fördern. Wenn jeder Meister, jeder Abteilungsleiter

weiß, „als Sollgröße sind pro Quartal 0,5 Verbesserungsvorschläge pro Mit-

arbeiter angesetzt – und dies wird in meiner persönlichen Leistungsbeurtei-

lung berücksichtigt“, so wird das VV-Wesen erheblich Aufschwung neh-

men.

Nur, mit der reinen Zahl von Verbesserungsvorschlägen allein ist es nicht

getan. Es fehlt in dieser Kennzahl die qualitative Seite: Qualität der Vor-

schläge und Qualität der Umsetzung dieser Vorschläge. Auch könnte man

mittels Gewichtung abgreifen, ob Verbesserungsvorschläge nur von wenigen

oder von allen Mitarbeitern kommen. Oder sogar von Teams. Die Güte der

Vorschläge kann man über die Anzahl umgesetzter Vorschläge, das gemes-

sene Einsparungspotential erfassen:

Verbesserungsvorschläge pro Mitarbeiter

Prämiensumme für Verbesserungsvorschläge

Anzahl der von Teams eingereichten Verbesserungsvorschläge

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Kennzahlen für die Mitarbeiterperspektive

173

Ein weiterer Hinweis zu Verbesserungsvorschlägen: Warum schließt man

die Kunden so wenig in die VV-Systeme ein? Damit könnten Kundenbin-

dung und verbesserte Produktqualitäten erreicht werden! Ob eine Kennzahl

für Kunden-VV in der Mitarbeiter- oder in der Kundenperspektive angesie-

delt ist, sollte eigentlich egal sein – nur, Nachdenken über die Sache an sich

lohnt immer!

8.2.2.2 Teamfähigkeit

Teamwork tut Not! Schon in der Schule wird diese Arbeitsweise nicht geübt,

in vielen Unternehmen tut man sich auch schwer damit. Aber sie ist notwen-

dig. Notwendig, weil nur noch die wenigsten ein Arbeitsgebiet wirklich im

Griff haben – und wenn, dann nur noch aus dem Bauch heraus. Und diese

Fähigkeit zu Bauchentscheidungen geht mehr und mehr verloren. Daher

Teamarbeit, um gemeinsam, mit dem geballten Wissen und der Kompetenz

aller ein gemeinsames Ziel zu erreichen.

Noch ein Wort zu Teamprämien: Es ist sicher unstrittig, dass insbesondere

in europäischen Unternehmen der Teamgedanke intensiviert werden muss.

Daher sind Teamprämien, Prämien zur Erreichung eines Teamzieles für alle

Teammitglieder ein empfehlenswerter Ansatz, diese Intention zu unterstüt-

zen.

8.2.2.3 Individuelle Zielausrichtung des Managements

Die oben angedachten Punkte betreffen eher die „normalen“ Mitarbeiter,

nicht die Führungskräfte. Aber auch für diese gilt es, Kennzahlen zur Ziel-

ausrichtung zu erarbeiten.

Mit der Balanced Scorecard wird der Zweck verfolgt, das Unternehmen mit

allem Tun und Handeln strategisch auszurichten. Dies bedeutet automatisch,

dass das Management die Aufgabe hat, die erarbeiteten Strategien in ihren

Verantwortungsbereichen umzusetzen. So könnte man bei den Mitarbeitern

den Bekanntheitsgrad der Balanced Scorecard, auf der Führungsebene den

Anteil der Manager messen, die mittels der Balanced Scorecard führen, de-

ren Mitarbeiter Kennzahlen erarbeitet haben und dadurch auch die Tagesar-

beit strategisch angehen.

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Kennzahlen für die Mitarbeiterperspektive

174

Bei der belgischen Gendarmerie, aber auch in anderen Unternehmen gibt es

hierfür sogar eine eigene Perspektive: die „Umsetzungsperspektive“ (s. un-

ten).

8.2.3 Informelle Infrastruktur des Unternehmens

Ein entscheidender Produktionsfaktor in unserer Zeit ist die informelle Infra-

struktur, gerade und insbesondere im rohstoffarmen Mitteleuropa. Hiermit

sind interne wie externe Beziehungsgeflechte gemeint, die dafür sorgen, dass

internes wie externes Know-how umgesetzt wird in Produkte und Leistun-

gen. Dabei spielt die Datenverarbeitung herkömmlicher Art als Sammelstelle

interner Daten eine immer weniger wichtige Rolle. Zunehmend wichtiger

wird die aktive Nutzung der Informationsmöglichkeiten, die uns heute mo-

derne DV-Systeme bieten, Stichwort: World-Wide-Web (WWW) und Data-

Mining/Online analytical processing (OLAP).

Das Internet bietet heute ein Potential an Informationen, das bisher die we-

nigsten Führungskräfte realisieren und nutzen. Die zögerlich angebotenenen

und noch zurückhaltender angenommenen Ausbildungsgänge zum „Wis-

sens-Manager“ decken hierbei nur einen Teilaspekt ab und können den Wis-

sensträgern im Unternehmen nur bei ausgeprägter Teamarbeit helfen, die

Möglichkeiten des Internet und derartiger OLAP-Systeme zu nutzen.

Ideal sind zielgerichtete Suchsysteme, die die Informationsbeschaffung und -

filterung unterstützen. Aber auch diese Suchsysteme müssen derartig gestal-

tet werden, dass das Management damit umgehen und so frühzeitig Informa-

tionen aus dem World-Wide-Web ziehen und nutzen kann.

Mit Data-Mining bzw. OLAP sind Systeme gemeint, die es ermöglichen,

noch unbekannte Korrelationen und Strukturen aus vorhandenen Daten zu

filtern. Hierzu sind umfangreiche Datensammlungen, Soft- und Hardware-

systeme erforderlich, die derzeit aus Kostengründen nur von größeren Un-

ternehmen eingesetzt werden können. Aber auch hier gilt: Genutzt müssen

sie werden, und das von den richtigen Mitarbeitern! Und die richtigen Mit-

arbeiter sind selten EDV-Spezialisten, sondern inhaltliche Know-how-

Träger, also Manager aus Verwaltung, Vertrieb und Entwicklung.

Aber ebenso wichtige Faktoren zur Produktionserstellung (und zumeist ver-

nachlässigt!) sind interne wie externe Informationen, die auch ohne DV-

gestützte Kommunikation im Unternehmen genutzt werden könnten. Ge-

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Kennzahlen für die Mitarbeiterperspektive

175

meint sind jene häufig lebenswichtigen Dinge, die wir im Hinterkopf haben,

die aber nur selten erfragt oder gar in die Entscheidungsfindung einbezogen

werden.

Jeder Berater kennt und nutzt diese Situation im Unterneh-

men: Der Berater versucht durch intensive Gespräche und

andere geeignete Kommunikationsformen, diese latent vor-

handenen Informationen herauszufiltern, um Hinweise zur

Steuerung des Unternehmens in die richtige Richtung geben

zu können. Darin liegt die Kunst der Beratung, selten im

„Besser-Wissen“.

Die Informationsverwertung kann u.a. durch folgende Kennzahlen gemessen

werden:

Anzahl DV-Nutzungs-Stunden durch das Management

Anteil nicht verwerteter Softwarelösungen (ABC-Profil der Software)

Abrufbarkeit verfügbarer Auswertungen

Schnelligkeit von Abschlussberichten

8.3 Praktische Beispiele – Kennzahlen der Mitarbeiterperspektive

In unseren Beispielunternehmen wurden u.a. folgende Kennzahlen für die

Mitarbeiterperspektive erarbeitet:

8.3.1 Kreditinstitut

Mission Ihre schnelle Bank

Vision Wir werden die profitabelste Regionalbank.

Strategien:

a) Kreditentscheidungen für Baukredite treffen wir

innerhalb von 24 Stunden.

b) In vier Jahren wollen wir mit unseren Kunden

mindestens 50% aller Transaktionen über das Elect-

ronic Banking abwickeln.

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Kennzahlen für die Mitarbeiterperspektive

176

Mitarbeiterperspektive Schulungsquote

Erläuterung: Je besser die Mitarbeiter geschult sind,

umso eher können sie die (potentiellen) Kunden bera-

ten, gewinnen und für klassische wie innovative

Bankprodukte begeistern.

Maßstab: der Anteil der Mitarbeiter, die in den letzten

12 Monaten mehr als vier Tage an Fortbildungen teil-

genommen haben.

Anzahl Kontoeröffnungen

Erläuterung: Gelingt es den Mitarbeitern, Interessen-

ten, die durch Vertriebsmaßnahmen zum Erstkontakt

in die Bank kommen, als Kunden zu gewinnen? Es

reicht eben nicht aus, nur werbemäßig vertreten zu

sein – umgesetzt werden muss eine Strategie von je-

dem einzelnen Mitarbeiter!

Maßstab: die Zahl der Kontoeröffnungen einer Filiale,

bezogen auf die dortigen Kontakte mit Nichtkunden.

Nutzungsquote Electronic Banking

Erläuterung: Möglichst viele Kunden sollten das

Electronic Banking nutzen, damit zufrieden sein und

die Kosten des Zahlungsverkehrs senken. Hierzu ge-

hört eine kundenorientierte Softwarelösung, aber auch

Mitarbeiter, die diese Lösung im Kontakt mit den

Kunden erläutern, „verkaufen“ – also auch ein inter-

nes Schulungsproblem!

Maßstab: der Anteil der Kunden, die Electronic Ban-

king nutzen.

Nutzungsquote „Bankomat“

Erläuterung: Während Electronic Banking vom Kun-

den zu Haus genutzt wird, ist der „Bankomat“, der ei-

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Kennzahlen für die Mitarbeiterperspektive

177

serne Mitarbeiter in den Filialen dazu da, die Filial-

mitarbeiter von den Standardaufgaben zu entlasten.

So können Sie sich den wichtigen Dingen der wichti-

gen Kunden widmen.

Hier ist insbesondere Einfühlungsvermögen gefragt.

Die zum Teil zurückhaltenden Kunden sollten an die

Hand genommen werden, damit sie das Gerät kennen-

lernen. Auch wenn die Bankomaten für jüngere Kun-

den ganz normal sind, gerade älteren Personen müs-

sen Vorbehalte gegenüber der Technik genommen

werden. Und es ist ihnen das Gefühl zu geben:

„Durch die Automaten hat mein „Bankbeamter“ mehr

Zeit für meine wichtigen Anliegen!“

Maßstab: der Anteil der Bargeldauszahlungen per

Bankomat an allen Auszahlungen.

8.3.2 Automotive-Zulieferer

Mission Good vibrations mit XYZ

Vision Weltmarktführer für Schwingungstechnik

Strategien:

a)Umsatzverdoppelung in 4 Jahren

b) 50% Umsatzanteil von neuen Produkten

Mitarbeiterperspektive Teamübergreifende technische Schulungen

Erläuterung: Der Schulungsansatz wurde hier auf

Teamschulungen bezogen, damit Synergieeffekte

zwischen den Teilnehmern aus unterschiedlichen

Teams, aber auch die Verbesserung der Verbunden-

heit, der Kommunikation aller Mitarbeiter unterei-

nander genutzt werden.

Maßstab: nur die Schulungsmaßnahmen, an denen

Teilnehmer aus mindestens drei Teams teilnehmen.

Teilnehmer an firmenübergreifenden Qualifizie-

rungsmaßnahmen

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Kennzahlen für die Mitarbeiterperspektive

178

Erläuterung: Der obige Ansatz wird konsequent wei-

terentwickelt. Hier geht es um gemeinschaftliche

Schulungen zusammen mit Mitarbeitern der Kunden.

So führt gemeinsames Lernen und Kommunizieren zu

intensiver Kundenbindung.

Maßstab: Schulungstage, an denen auch Mitarbeiter

aus anderen Unternehmen der Branche teilnehmen.

Hierzu gehören nicht sogenannte offene Seminare, die

branchenübergreifend sind!

Kundendurchdringung eines Schwingungskongresses

Erläuterung: Dieser Ansatz ist bemerkenswert: Wie

kann ein Unternehmen ohne großen Aufwand den

Ruf, das Image eines führenden Entwicklers der

Branche erhalten?

Es wird jährlich in Zusammenarbeit mit einer nahen

technischen Universität/Fachhochschule ein Spezial-

kongress veranstaltet, zu dem u.a. – auch als Gastrefe-

renten – die F+E-Mitarbeiter der Kunden eingeladen

werden. Die Betreuung der Gäste und die fachliche

Koordination der Referate erfolgt durch das Unter-

nehmen.

Maßstab für den Erfolg der Mitarbeiter, die diesen

Kongress organisieren, aber auch für deren Motivati-

on, Fort- und Weiterbildung ist der Prozentsatz der

Kunden, die durch einen F+E-Mitarbeiter bei dem

Kongress vertreten sind.

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Kennzahlen für die Mitarbeiterperspektive

179

8.3.3 Handwerk/Dienstleister

Mission Ihr Backshop – schnell und knusprig

Vision Wir haben zufriedene Kunden und starkes Unterneh-

menswachstum durch schnelles Zusatzgeschäft.

Strategie: Neue Techniken in Produktion und Vertrieb befähi-

gen uns, jährlich unseren Umsatz zu verdoppeln –

insgesamt und insbesondere mit unseren Stammkun-

den.

Mitarbeiterperspektive

Mitarbeiterfluktuation

Erläuterung: Gerade im Dienstleistungsbereich ist die

persönliche Beziehung zum Kunden, die Kenntnis

seiner speziellen Wünsche/Vorlieben und Eigenheiten

ein wichtiger Erfolgsfaktor.

Maßstab: die durchschnittliche Beschäftigungsdauer

einer Mitarbeiterin pro Filiale (auch bei Filialwechsel

gehen die Stammkundenkenntnisse verloren!)

Anteil an die Warenwirtschaft angeschlossener Filia-

len

Erläuterung: Die Strategie des Unternehmens kann

nur mit ausgeklügelten DV-Lösungen erreicht wer-

den. Vorrangiges Ziel ist es daher, alle Filialen mit

einfach zu nutzender DV auszustatten, damit die zur

optimalen Steuerung notwendigen Informationen

zentral genutzt werden können. Gleichzeitig wird das

DV-System zur Nutzung der eigenen Kunden(-Zahl-)-

Karte benötigt.

Maßstab: Gemessen werden die Filialen, die bereits

mit der neuen DV-Technik ausgerüstet sind.

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Kennzahlen für die Mitarbeiterperspektive

180

8.3.4 Küchenmaschinenhersteller

Mission Scharf auf alles, was zu schneiden ist

Vision Wir wollen in Europa der Spezialist für regional spe-

zifische Schneidetechnik im Großküchenbereich sein.

Strategien:

a) Wir wollen die Kommunikation mit Interessenten

und Kunden erheblich intensivieren.

b) Unser Innovationspotential wird durch Zusammen-

arbeit mit externen Entwicklern ausgebaut

Mitarbeiterperspektive Entscheidungsspielraum für Mitarbeiter des Vertrie-

bes

Erläuterung: Ein sehr wichtiges Motivationselement

ist Vertrauen, hier als Entscheidungsspielraum defi-

niert. Hierzu benötigen die Vertriebsmitarbeiter tech-

nische wie kaufmännische Schulungen, müssen die

internen Abläufe kennen, können aber dann die Ge-

schäftsführung erheblich entlasten – und sind moti-

vierter in ihrer Arbeit!

Maßstab: der Entscheidungsspielraum durch das Um-

satzvolumen aller Aufträge, die ohne vorherige Zu-

stimmung durch die Geschäftsführung vereinbart

werden, dividiert durch das Auftragsvolumen der Pe-

riode insgesamt.

Wachstum der Verbesserungsvorschläge der externen

F&E-Partner

Erläuterung: Oben wurde bereits ausgeführt, dass man

mit externen F+E-Unternehmen bzw. Universitä-

ten/Fachschulen intensiv zusammenarbeiten möchte.

Was liegt da näher, als auch diese in das interne V+V-

Wesen zu integrieren. Gleichzeitig gilt dies als Maß

der Motivation für die internen Mitarbeiter, die die

externe F+E-Bereiche betreuen.

Maßstab: diese Kennzahl durch die Wachstumsrate

der Anzahl der externen Verbesserungsvorschläge.

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Kennzahlen für die Mitarbeiterperspektive

181

8.3.5 Kfz-Anhängerhersteller

Mission Wir bewegen Ihre Last

Vision Wir bewegen jede Last.

Strategien:

a) Unser Vertriebsnetz wird erheblich ausgeweitet,

damit wir deutschlandweit bekannt werden als

Hersteller von Spezial-Lkw-Anhängern.

b) Umsatzausweitung durch neue Anwendungsgebiete

Mitarbeiterperspektive

Wachstum der Teilnehmerzahl bei Vertriebspartner-

Workshops

Erläuterung: Das Unternehmen plant Workshops, um

Vertriebspartner zu gewinnen und zu informieren,

aber auch, um Anregungen für weitere Entwicklungen

im Fahrzeugbau zu erhalten. Diese Kennzahl misst

den Erfolg dieser Vertriebsbemühungen.

Maßstab: das Wachstum der Teilnehmerzahl an derar-

tigen Workshops.

Anzahl Internet-Zugriffe

Erläuterung: Das Unternehmen stellt sich insbesonde-

re für seine Privatkunden im Internet dar. Der Be-

kanntheitsgrad der Homepage gibt Auskunft über den

Erfolg dieser Maßnahme, die auf die neuen Anwen-

dungsgebiete zielt.

Maßstab: die Anzahl der Zugriffe in einer Periode.

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Kennzahlen für die Mitarbeiterperspektive

182

8.3.6 Spezialitätenbrauerei

Mission Ihr nationales Gsüffiges

Vision Wir werden bis 2002 die Nr. 1 in Deutschland.

Strategien: a) Wir wollen der beste/größte Partner für den Ge-

tränkefachgroßhandel in unserem regionalen Raum

sein und mindestens einen Fachgroßhandel in allen

deutschen Ballungsgebieten neu gewinnen.

b) Die Abverkaufsmenge je Outlet muss verdoppelt

werden.

Mitarbeiterperspektive Anteil neu gewonnener Fachgroßhändler mit mehr

als x Hektolitern Abnahme pro Monat.

Erläuterung: Der Vertrieb hat in allen Ballungsräu-

men neue umsatzstarke Fachgroßhändler zu akquirie-

ren. Zusammen mit deren Umsatzanteil ist dies ein

hervorragendes Maß für den Erfolg der Verbreitungs-

strategie.

Maßstab: Berücksichtigung bei dieser Kennzahl fin-

den die Umsätze aller neu gewonnenen Fachgroß-

händler, die mehr als x Hektoliter abnehmen, bezogen

auf die Gesamtumsätze.

Zahl der verkaufsunterstützenden Stunden am POS

(Point of Sale)

Erläuterung: Dies macht den wenigsten Vertriebsmit-

arbeitern Spaß, ist aber unabdingbar für den Erfolg in

der Heimatregion, wo man die starke Stellung aus-

bauen will.

Maßstab: die entsprechenden Stunden lt. Zeitauf-

schreibung.

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Kennzahlen für die Finanzperspektive

183

9. Kennzahlen für die Finanzperspektive

Auf einen Blick:

Die Kennzahlen der Finanzperspektive einer Balanced Scorecard sollen

die strategischen Zielstellungen des Unternehmens in die Sprache der

Anteilseigner übersetzen.

Auf die Kennzahlen der Finanzperspektive sind üblicherweise die Ver-

knüpfungen der anderen Perspektiven der Balanced Scorecard hin ori-

entiert.

Die Finanzperspektive berücksichtigt die Lebenszyklusphasen:

Wachstum, Reife und Ernte.

Im Unternehmensalltag nutzen wir eine Vielzahl finanzieller Kennzah-

len. Für die Balanced Scorecard müssen wir jene mit strategischem

Gewicht auswählen.

Die Finanzperspektive ist den meisten Managern bzw. Controllern inhaltlich

bestens bekannt. Die Menge und Vielfalt der in den Unternehmen genutzten

Kennzahlen ist beachtlich. Nur, ob sie wirklich gebraucht, ob sie als leben-

dige Kennzahlen gebraucht, ob sie gezielt als Mittel zur Umsetzung der stra-

tegischen Zielstellungen genutzt werden – das steht auf einem anderen Blatt.

Die Finanzen bewegen sich im Spannungsfeld zwischen Sicherung von Li-

quidität, Rentabilität und Stabilität (Bilanzrelationen). Man bezeichnet die-

ses Spannungsfeld auch als das magische Dreieck der Finanzen:

Manche Finanzexperten erweitern das Dreieck zum Viereck, weil sie das

Ziel der Unabhängigkeit von Banken einbeziehen. Sei es wie es sei. Finan-

zielle Fragen begleiten uns bei jeder wirtschaftlichen Tätigkeit. Die Finanzen

durchziehen unsere Unternehmen, wie der Blutkreislauf einen menschlichen

Körper. Und sie haben auch dieselbe Bedeutung. Ohne Blutkreislauf kein

menschliches Leben. Ohne Finanzen keine wirtschaftliche Tätigkeit!

Wegen der Bedeutung der Finanzen für jedes Unternehmen haben viele Au-

toren unzählige Abhandlungen zu diesem Thema geschrieben. Wir können

daher ein breites Wissen auf diesem Gebiet voraussetzen und uns den spezi-

fischen Fragen der Balanced Scorecard zuwenden. Und diese Spezifik be-

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Kennzahlen für die Finanzperspektive

184

steht darin, aus der Mission und Vision des Unternehmens abgeleitete strate-

gische Ziele so in Kennzahlen umzusetzen, dass sie als strategisches Füh-

rungsinstrument genutzt werden können.

Kommen wir damit zur Finanzperspektive der Balanced Scorecard.

Abbildung 23: Das magische Dreieck der Finanzen

9.1 Die Finanzperspektive – Ausgangs- oder Endpunkt?

Auch wenn bisher alle Perspektiven gleichberechtigt behandelt wurden, so

erscheint doch aufgrund ihrer besonderen Stellung die Finanzperspektive als

Erste unter Gleichen, da gilt: Ohne Berücksichtigung der finanziellen Seite

eines Unternehmens, ohne langfristige Einnahmeüberschüsse kann kein Un-

ternehmen auf Dauer existieren.

Deshalb sollten aus der finanziellen Sicht jene Ziele formuliert werden, die

die Existenzberechtigung des Unternehmens für die Zukunft nachweisen,

d.h. eine solche Verwertung des eingesetzten Kapitals, die gemessen an an-

deren möglichen Alternativen die für die Anteilseigner beste Lösung dar-

stellt. Dazu können Rentabilitäts- und Umsatzkennzahlen ebenso gehören

wie stärker liquiditätsbezogene Größen (Cash-flow, Cash-to-Cash-Zyklus

etc.).

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Kennzahlen für die Finanzperspektive

185

Abbildung 24: Die Finanzperspektive

Gleichzeitg gilt, dass mit der Finanzperspektive nicht nur die finanziellen

Ergebnisse gemessen werden sollen, die von der strategischen Ausrichtung

des Unternehmens erwartet werden, sondern die finanziellen Kennzahlen

dienen auch als Endziel bzw. Verknüpfungspunkt für die anderen Scorecard-

Perspektiven.

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Kennzahlen für die Finanzperspektive

186

Man darf an dieser Stelle allerdings nicht stehen bleiben, weil auch der wirt-

schaftliche Prozess nicht stehenbleibt. Jedes einmal erreichte Resultat ist

wieder Ausgangspunkt neuer Entwicklungen, Durchgangspunkt im zeitli-

chen Ablauf. Und so können die Kennzahlen der Finanzperspektive einer-

seits Endpunkt in der logischen Verknüpfung der verschiedenen Perspekti-

ven sein und andererseits zugleich Ausgangspunkt in der zeitlichen Abfolge

wirtschaftlicher Prozesse. Ohne ausreichendes Finanzergebnis ist es z.B.

nicht möglich, Mitarbeiterschulungen zu finanzieren. Dementsprechend wä-

re eine entsprechende Finanzkennzahl Frühindikator für die Fähigkeit, Schu-

lungen durchzuführen.

Es kommt eben immer darauf an, wo wir im Zeitablauf stehen!

9.2 Ertrag oder Cash-flow – welche Basis ist geeigneter?

Kennzahlen der Balanced Scorecard sollen als strategische Führungsinstru-

mente dienen. In diesem Zusammenhang wird man immer wieder mit der

Frage konfrontiert, welche finanziellen Ergebnisgrößen dafür am besten ge-

eignet sind: eher ertrags- oder Cash-flow-basierte Kennzahlen? Eine typisch

deutsche Frage, weil im Hintergrund die speziell in Deutschland historisch

gewachsene Verzahnung von Handels- und Steuerrecht steht.

Aufgrund dieser Verzahnung spielen in Deutschland steuerliche Aspekte bei

der Gewinnberechnung eine erhebliche Rolle. Gleichzeitig eröffnen die ge-

setzlichen deutschen Bilanzregeln jedoch erhebliche Spielräume „legaler

Manipulation“. Beispiele hierfür sind Bewertungswahlrechte, Rückstel-

lungsmöglichkeiten, Abschreibungsvarianten. Diese Wahlmöglichkeiten

finden sich in dieser Weise weder in den Prinzipien der amerikanischen

Rechnungslegung (US-GAAP28

) noch in den entsprechenden internationalen

Standards (IAS29

).

In der Konsequenz wird dadurch der Gewinn als Indikator der betrieblichen

Leistung erheblich eingeschränkt.

Der Cash-flow – sofern er als Ergebnis der Zahlungsströme und nicht als

Hilfsgröße aus der Addition von (manipuliertem) Gewinn und Abschreibun-

gen berechnet wird – unterliegt diesen Einschränkungen nicht. Er ist daher

besser geeignet, die realen finanziellen Ergebnisse der betrieblichen Leis-

28

Generally Accepted Accounting Principles. 29

International Accounting Standards.

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Kennzahlen für die Finanzperspektive

187

tungserstellung darzustellen. Sicherlich ist auch der Cash-flow nicht gänz-

lich frei von Manipulationsmöglichkeiten, beispielsweise durch Periodenab-

grenzungen. Aber die Möglichkeiten sind doch wesentlich geringer als beim

Gewinn.

Aus diesem Grund erfreut sich der Cash-flow auch in Deutschland einer

wachsenden Beliebtheit. Daher sollte man bei der Entwicklung geeigneter

Finanzkennzahlen für die Balanced Scorecard den Cash-flow auch bevorzu-

gen.

Natürlich, und das wird uns an dieser Stelle schon nicht mehr verwundern,

hängt auch die Beantwortung dieser Frage von der spezifischen Situation der

Unternehmen ab:

Wenn ein Rechnungswesen bereits auf der Basis der US-GAAP oder der

IAS gestaltet wird, stellt sich die Frage anders.

Aber auch wenn nach deutschem Handelsrecht bilanziert wird, existieren

eventuell gar keine nennenswerten Spielräume, wenn die Abschreibungen

geringfügig, die stillen Reserven unbedeutend und der Rückstellungsbedarf

nicht vorhanden sind.

Oder in der Firmenkultur ist man das Denken in Cash-flow-Kategorien

(noch) nicht gewohnt. Darauf basierende Kennzahlen lassen sich demzufol-

ge nur schwer kommunizieren.

Es muss daher von Fall zu Fall abgewogen werden, welcher Basisgröße zur

Darstellung der Ergebnisse des betrieblichen Leistungsprozesses man den

Vorzug gibt.

9.3 Frühindikatoren auch für die Finanzperspektive?

Finanzielle Kennzahlen messen bislang üblicherweise vergangene Leistun-

gen, sind also vergangenheitsorientiert, sind Spätindikatoren. In dieser Be-

ziehung sind sie unverzichtbar, denn man benötigt Indikatoren, die Auskunft

geben, ob und inwieweit man die gestellten Ziele erreicht hat.

Um im Management auch die langfristige, zukunftsorientierte Sicht auf die

Finanz-kennzahlen zu verankern, arbeitet man zum Beispiel mit Zielgrößen.

Damit verändert man allerdings nicht den Charakter der Finanzkennzahlen

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Kennzahlen für die Finanzperspektive

188

als Spätindikatoren. Denn man verlagert das Ergebnis nur gedanklich in die

Zukunft. Es bleibt der Endpunkt eines Prozesses.

Wenn man aber nicht nur eine Zielgröße, sondern eine zeitliche Abfolge von

Zielgrößen – sogenannte Meilensteine – definiert, so werden die vorgelager-

ten Meilensteine zu Frühindikatoren für die nachfolgenden. Die Meilenstei-

ne weisen den Weg in die Zukunft. Man nehme beispielsweise eine einfache

Kennzahl wie den Umsatz. Das strategische Ziel des Unternehmens soll da-

rin bestehen, den Umsatz in fünf Jahren auf das Dreifache zu erhöhen. Als

Meilensteine werden durch Maßnahmen belegte Zwischenziele für die ein-

zelnen Jahre festgelegt: Im ersten Jahr +20%, im zweiten Jahr +45% etc.

Das Erreichen der Meilensteine signalisiert, ob der angestrebte Weg einge-

halten wird. Und Abweichungen signalisieren frühzeitig, ob das strategische

Ziel noch realistisch ist.

Es gibt aber auch Finanzkennzahlen, die in der logischen Kette, im Zusam-

menhang von Ursache und Wirkung den Charakter von Frühindikatoren an-

nehmen können. Das gilt zum einen, wenn finanzielle Ergebnisse die Vo-

raussetzung bilden für Entwicklungen im Mitarbeiterbereich, in der betrieb-

lichen Leistungserstellung, in der Arbeit mit den Kunden.

Zum anderen haben Kennzahlen wie der „Cash-to-Cash-Zyklus“ ein erhebli-

ches Frühwarnpotential für die Entwicklung der Liquidität.

Eine ähnliche Kennzahl wird beispielsweise in einem mittel-

ständischen Unternehmen der Kerzenbranche genutzt, die

„Reichweite der Zahlungsfähigkeit“. Das Unternehmen ter-

miniert die Abfolge der aus seiner Sicht notwendigen Aus-

zahlungen (Steuern, Sozialabgaben, Löhne und Gehälter,

Lastschriften und Einzugsermächtigungen etc.) und bestimmt

ausgehend vom heutigen Kontostand unter Berücksichtigung

der unterwegs befindlichen Ein- und Auszahlungen sowie

freier Kreditlinien, wieviel Tage die Zahlungsfähigkeit auf-

recht erhalten werden kann.

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Kennzahlen für die Finanzperspektive

189

Auf dieser Grundlage werden die täglichen Entscheidungen

über weitere zu leistende Zahlungen getroffen. Für das mit

starken saisonalen Schwankungen lebende Unternehmen hat

diese Kennzahl erhebliche Vorteile im Liquiditätsmanage-

ment gebracht, insbesondere bezüglich der Minimierung der

kurzfristigen Zinsen.

Diese Kennzahl eignet sich auch hervorragend in krisenbe-

hafteten Situationen. Drohende Liquiditätsfallen werden

frühzeitig signalisiert. Dadurch steigt die verbleibende Reak-

tionszeit und mit ihr die Chance einer befriedigenden Lösung.

9.4 Strukturierung nach Entwicklungsphasen

Für die Steuerung strategischer Potentiale kann es sinnvoll sein, die entwick-

lungsgeschichtliche Situation eines Produkts/Bereiches/Unternehmens zu

berücksichtigen. Dabei unterscheidet man gewöhnlich folgende drei Pha-

sen30

:

1. die Wachstumsphase,

2. die Reifephase,

3. die Erntephase.

9.4.1 Wachstumsphase

Unternehmen im Wachstum unterliegen spezifischen Finanzierungsbedin-

gungen. Diese resultieren vor allem aus Problemen der tendenziell steigen-

den Kapitalbindung, aber nicht nur. In der Wachstumsphase spielen Ent-

wicklungsprobleme hinsichtlich

Befähigung der Mitarbeiter,

Ausweitung der Ablauforganisation,

externer Beziehungen zu Kunden, Lieferanten, Kreditinstituten, Behör-

den etc.

eine besondere Rolle. 30

In der Praxis sind die verschiedenen Phasen nicht immer voneinander zu trennen; sie können durchaus –

bezogen auf verschiedene Produkte oder Bereiche – gleichzeitig parallel nebeneinander existieren.

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Kennzahlen für die Finanzperspektive

190

In der Wachstumsphase kann es daher im Sinne einer ausgewogenen und

langfristigen Unternehmensentwicklung durchaus sinnvoll sein, auf kurzfris-

tige Gewinne zu verzichten.

Das war im Übrigen einer der auslösenden Gedanken für die Balanced Sco-

recard. Denn mit finanziellen Kennzahlen allein, d.h. ohne Verknüpfung mit

Kennzahlen anderer Perspektiven ist der Verzicht auf kurzfristige Gewinne

nur schwer zu vermitteln.

Bei starkem Wachstum gilt der Liquiditätssicherung besondere Aufmerk-

samkeit, da vor allem Unternehmen mit geringer Eigenkapitaldecke in der

Wachstumsphase leicht in eine Liquiditätsfalle geraten. „Cash-flow“, „Cash-

to-Cash-Zyklus“, „Reichweite der Zahlungsfähigkeit“ wären hier geeignete

Ansätze.

In der Wachstumsphase können aber auch Kennzahlen wie „Umsatz-

wachstum" oder „Anteil neuer Produkte am Umsatz“ sinnvolle Zielgrößen

sein.

9.4.2 Reifephase

In der Reifephase sollten diejenigen Kennzahlen in den Mittelpunkt rücken,

die Zielstellungen zum Deckungsbeitrag oder zum Cash-flow verknüpfen

mit dem entsprechenden Einsatz an produktiven Stunden, Working Capital

(Nettoumlaufvermögen) oder Anlagevermögen. Die Umsatzentwicklung ist

in der Reifephase nicht mehr so maßgeblich, dafür benötigen wir umso mehr

ergebnisbezogene Daten wie den Deckungsbeitrag oder liquiditätsbezogene

Größen wie den Cash-flow.

Und das Relativieren dieser Zahlen durch Bezug auf den dazu erforderlichen

Einsatz maßgeblicher Ressourcen schärft den Blick für die Effektivität der

Betriebsprozesse.

Im Bauwesen oder in Montagebereichen ist die (projekt- oder auftragsbezo-

gene) Verknüpfung mit der Anzahl der an ein Ergebnis gebundenen Stunden

sinnvoll und vielfach praktiziert: „Deckungsbeitrag je produktiver Stunde“.

Eine ähnliche Größe wäre die „Wertschöpfung (der um die Fremdleistungen

und den Materialeinsatz bereinigte Umsatz) je Stunde“.

Anlagenintensive Unternehmen, beispielsweise Gießereien, werden eher das

eingesetzte Anlagevermögen als Bezugsbasis wählen; etwa als „Cash-flow je

TDM Anlagevermögen“.

Page 191: 1 Einführung: Führung mit Kennzahlen – Ein Praxisbeispiel€¦ · 7 Inhaltsverzeichnis 1 Einführung: Führung mit Kennzahlen – Ein Praxisbeispiel 13 2 Die Balanced Scorecard,

Kennzahlen für die Finanzperspektive

191

Gleichzeitig können z.B. Benchmarks aus dem Kostenbereich oder Kosten-

senkungsziele wichtig sein und zu entsprechenden Vorgaben führen.

9.4.3 Erntephase

Die Erntephase, häufig auch „Cash-cow-Phase“ genannt, ist vor allem von

dem Ziel hoher Liquiditätszuflüsse gekennzeichnet, verbunden mit über-

durchschnittlicher Produkt- und Kundenrentabilität, Kapitalamortisation etc.

Jetzt sollte der Cash-flow (eventuell auch der Gewinn – sofern er nicht aus

steuerlichen Gründen zu stark bereinigt wird) in Relation zum eingesetzten

Gesamtkapital im Mittelpunkt stehen. Das ergibt eine dem Return On In-

vestment (ROI) ähnliche Kennzahl „Cash-flow je TDM Gesamtkapital“.

Dabei kann, sofern es unter den jeweiligen Bedingungen sinnvoll erscheint,

im Sinne der Kapitalflussrechnung auch differenziert werden nach operativer

Geschäftstätigkeit, Investitionstätigkeit und Finanzierungstätigkeit.

9.5 Praktische Beispiele – Kennzahlen der Finanzperspektive

Unsere Beispielunternehmen wenden u.a. folgende Kennzahlen für die Fi-

nanzperspektive an:

9.5.1 Kreditinstitut

Mission Ihre schnelle Bank

Vision Wir werden die profitabelste Regionalbank.

Strategien:

a) Kreditentscheidungen für Baukredite treffen wir

innerhalb von 24 Stunden.

b) In vier Jahren wollen wir mit unseren Kunden

mindestens 50% aller Transaktionen über das Elect-

ronic Banking abwickeln.

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Kennzahlen für die Finanzperspektive

192

Finanzperspektive Anteil elektronischer Aufträge

Erläuterung: Mit dieser Kennzahl wird das Ziel ver-

folgt, die Kontoführungsproduktivität durch Auswei-

tung des Electronic Banking zu steigern.

Maßstab: der prozentuale Anteil der Buchungen per

Electronic Banking an den Buchungen insgesamt.

Wachstum Kreditvolumen/Einlagen

Erläuterung: Durch die im Zusammenhang mit der

Balanced Scorecard eingeleiteten Maßnahmen soll

das Kreditvolumen in fünf Jahren verfünffacht wer-

den. In diesem Rahmen werden halbjährliche Meilen-

steine definiert und fortgeschrieben.

Maßstab: die prozentualen Wachstumsraten.

Ausfallquote

Erläuterung: Das Kreditrisiko ist bei der Ausrichtung

unserer Bank auf schnelle Entscheidungen nicht zu

unterschätzen. Es bedarf daher besonderer Aufmerk-

samkeit. Die Ausfallquote erlangt dabei den Charak-

ter eines Frühindikators.

Maßstab: der prozentuale Anteil der Wertberichtigung

für nicht bediente Krediten am gesamten Kreditvolu-

men.

9.5.2 Automotive-Zulieferer

Mission Good vibrations mit XYZ

Vision Weltmarktführer für Schwingungstechnik

Strategien:

a) Umsatzverdoppelung in 4 Jahren

b) 50% Umsatzanteil von neuen Produkten

Finanzperspektive Wachstum mit neuen Produkten

Erläuterung: Das Ziel einer Umsatzverdopplung in

vier Jahren bei einem Anteil von 50% neuer Produkte

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Kennzahlen für die Finanzperspektive

193

wird mit dieser Kennzahl angesteuert. Auch hier wird

die langfristige Orientierung durch Meilensteine ab-

gesteckt.

Maßstab: die prozentuale Veränderung des Umsatzes

mit neuen Produkten.

Gewinnspanne in bestehenden Märkten

Erläuterung: Die Kennzahl basiert auf jenen Produk-

ten, die sich in der Erntephase befinden. Es wird eine

Verdopplung des Cash-cow-Ergebnisses bis zum Jahr

2002 angestrebt.

Maßstab: die Umsatzrentabilität. Die Zuordnung in

bestehende Märkte erfolgt mit Hilfe der Artikelnum-

mer.

9.5.3 Handwerk/Dienstleister

Mission Ihr Backshop – schnell und knusprig

Vision Wir haben zufriedene Kunden und starkes Unterneh-

menswachstum durch schnelles Zusatzgeschäft.

Strategie: Neue Techniken in Produktion und Vertrieb befähi-

gen uns, jährlich unseren Umsatz zu verdoppeln –

insgesamt und insbesondere mit unseren Stammkun-

den.

Finanzperspektive Umsatzanteil der 20 gängigsten Artikel

Erläuterung: Ziel dieser Kennzahl ist die Absicherung

des Umsatzwachstums durch Konzentration auf das

Hauptgeschäft.

Maßstab: der prozentuale Umsatzanteil der 20 Pro-

dukte mit dem höchsten Umsatz am Gesamtumsatz.

Um tagesbedingte Schwankungen in der Zuordnung

der 20 gängigsten Produkte zu vermeiden, erfolgt eine

Einstufung nach dem durchschnittlichen Umsatz eines

Quartals.

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Kennzahlen für die Finanzperspektive

194

Umsatz pro Kartenzahlvorgang

Erläuterung: Mit dem Einsatz von Kundenkarten soll

nicht nur die Kundenbindung erhöht, sondern auch

eine spürbare Kostenreduzierung erreicht werden.

Maßstab: der prozentuale Anteil der per Kundenkarte

bezahlten Umsätze am Gesamtumsatz.

9.5.4 Küchenmaschinenhersteller

Mission Scharf auf alles, was zu schneiden ist

Vision Wir wollen in Europa der Spezialist für regional spe-

zifische Schneidetechnik im Großküchenbereich sein.

Strategien:

a) Wir wollen die Kommunikation mit Interessenten

und Kunden erheblich intensivieren.

b) Unser Innovationspotential wird durch Zusammen-

arbeit mit externen Entwicklern ausgebaut.

Finanzperspektive Umsatzanteil Neukunden

Erläuterung: Die Intensivierung der Kommunikation

mit Interessenten soll sich niederschlagen in einem

wachsenden Umsatzanteil der Neukunden.

Maßstab: der prozentuale Umsatzanteil neuer Kunden

am Gesamtumsatz.

Umsatzanteil neuer Produkte

Erläuterung: Um europäischer Spezialist für regional

spezifische Schneidetechnik im Großküchenbereich

zu werden, ist es wesentlich, eine ausreichende Palet-

te neuer Produkte erfolgreich zu vermarkten.

Maßstab: der prozentuale Umsatzanteil neuer Produk-

te am Gesamtumsatz.

Page 195: 1 Einführung: Führung mit Kennzahlen – Ein Praxisbeispiel€¦ · 7 Inhaltsverzeichnis 1 Einführung: Führung mit Kennzahlen – Ein Praxisbeispiel 13 2 Die Balanced Scorecard,

Kennzahlen für die Finanzperspektive

195

9.5.5 Kfz-Anhängerhersteller

Mission Wir bewegen Ihre Last.

Vision Wir bewegen jede Last.

Strategien:

a) Unser Vertriebsnetz wird erheblich ausgeweitet,

damit wir deutschlandweit bekannt werden als Her-

steller von Spezial-Lkw-Anhängern.

b) Umsatzausweitung durch neue Anwendungsgebie-

te

Finanzperspektive Umsatzwachstum je Vertriebsmitarbeiter

Erläuterung: Die Ausweitung der Vertriebs-

aktivitäten hat hohe Priorität im Unternehmen. Dabei

wird die Kennzahl sehr spezifisch nicht nur nach Mit-

arbeitern, sondern auch nach Regionen differenziert.

Maßstab: die prozentuale Veränderung der bezahlten

Umsätze.

Vertriebskostenanteil

Erläuterung: Auch diese Kennzahl verdeutlicht den

strategischen Schwerpunkt des Unternehmens für die

nächsten Jahre. Die Meilensteine sind in diesem Fall

zunächst ansteigend und sollen später wieder sinken.

Maßstab: der prozentuale Anteil der Vertriebskosten

an den Gesamtkosten.

Umsatz aus neuen Anwendungsgebieten

Erläuterung: Ein zartes Pflänzchen soll schrittweise

wachsen. Hier zielstrebig steuern zu können, ist der

Zweck dieser Kennzahl.

Maßstab: der Umsatzanteil von Produkten aus neuen

Anwendungsgebieten am Gesamtumsatz.

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Kennzahlen für die Finanzperspektive

196

9.5.6 Spezialitätenbrauerei

Mission Ihr nationales Gsüffiges

Vision Wir werden bis 2002 die Nr. 1 in Deutschland.

Strategien: a) Wir wollen der beste/größte Partner für den Ge-

tränkefachgroßhandel in unserem regionalen Raum

sein und mindestens einen Fachgroßhandel in allen

deutschen Ballungsgebieten neu gewinnen.

b) Die Abverkaufsmenge je Outlet muss verdoppelt

werden.

Finanzperspektive Umsatz-/Absatzwachstum im regionalen Raum

Erläuterung: Kerngebiet des Unternehmens und damit

Cash-cow bleibt der angestammte regionale Raum.

Das darf bei aller strategischen Orientierung auf ande-

re Regionen nicht aus dem Auge verloren werden.

Maßstab: die prozentuale Veränderung von Umsatz

und Absatz.

Wachstum des Umsatzanteils außerhalb der heimatli-

chen Region

Erläuterung: Gemäß der strategischen Zielstellung

wird diese Kennzahl differenziert nach Zielgebieten

vorgegeben und ist somit ein gut geeignetes Steue-

rungsinstrument.

Maßstab: die prozentuale Veränderung der Relation

zwischen Umsatz außerhalb des Kerngebietes und

dem Gesamtumsatz.

Page 197: 1 Einführung: Führung mit Kennzahlen – Ein Praxisbeispiel€¦ · 7 Inhaltsverzeichnis 1 Einführung: Führung mit Kennzahlen – Ein Praxisbeispiel 13 2 Die Balanced Scorecard,

Kennzahlen für weitere Perspektiven

197

10. Kennzahlen für weitere Perspektiven

Auf einen Blick:

Es müssen nicht für jedes Unternehmen diese vier oben beschriebenen

Perspektiven sein!

Die strategische Zielstellung ist ausschlaggebend für die Sichten auf

das Unternehmen. Dementsprechend müssen die Perspektiven gewählt

werden.

Mögliche weitere Perspektiven können sein:

1. Lieferantenperspektive

2. Kreditgeberperspektive

3. Öffentliche Perspektive

4. Kommunikationsperspektive

5. Organisationsperspektive

6. Einführungsperspektive

Kann jedes Unternehmen im Rahmen der Balanced Scorecard umfassend

durch vier Perspektiven beschrieben werden? Wir glauben kaum! Kein Un-

ternehmen gleicht dem anderen. Es gibt die unterschiedlichsten Ausprägun-

gen, Strukturen. Daher ist es nicht empfehlenswert, die Perspektiven, die

strategisch relevanten Sichten auf ein Unternehmen auf die Kundenseite, die

Mitarbeiter, die Geschäftsprozesse und die Kapitalgeber zu reduzieren.

Junge, neu am Markt operierende, aber auch stark wachsende Unternehmen

– und natürlich auch alle Sanierungsfälle! – sind in besonderem Maß von

einer funktionierenden Kommunikation mit kreditgebenden Banken, mit

Venture-Capital-Gesellschaften etc. abhängig. Diese Kommunikation ist für

das (Fort-)Bestehen dieser Unternehmen lebensnotwendig! Also sollten

Kennzahlen auch die Sicht der strategisch notwendigen Kreditgeber berück-

sichtigen. Und dies ließe sich fortführen mit weiteren Perspektiven.

Page 198: 1 Einführung: Führung mit Kennzahlen – Ein Praxisbeispiel€¦ · 7 Inhaltsverzeichnis 1 Einführung: Führung mit Kennzahlen – Ein Praxisbeispiel 13 2 Die Balanced Scorecard,

Kennzahlen für weitere Perspektiven

198

externe

Sicht

interne

SichtVision und

Strategien

Mitarbeiterperspektive

(Sicht Lernen und Entwicklung,

Informationssystem)

Finanzperspektive

(Sicht der Anteilseigner)

Kundenperspektive

(Sicht der Kunden)

Geschäftsprozessperspektive

(Sicht Innovation, Leistungserstellung

und Kundendienst)

Lieferanten-

perspektive

öffentliche

Perspektive

(Land, Kommune)

Kreditgeber-

perspektive

Kommunikations-

perspektive

Organisations-

perspektive

human-

orientierte

Sicht

prozess-

orientierte

Sicht

Einführungs-

perspektive

(Implementierung

von Tools u.ä.)

Abbildung 25: Die Perspektiven der Balanced Scorecard

Aber auch anders gefragt: Müssen es denn unbedingt diese vier allerorts

aufgeführten Perspektiven sein? Wir haben ein Unter Unternehmen kennen-

gelernt, das im engeren Sinne keine Kunden hat. Aufgabe dieser vorwiegend

aus öffentlichen Geldern finanzierten Einrichtung ist es, wissenschaftliches

Know-how in Zusammenarbeit mit regionalen Unternehmen zur Produktrei-

fe zu führen. Anschließend sollen dann diese neuen oder auch neuartigen

Produkte in der Region produziert werden durch alteingesessene oder neu

angesiedelte Unternehmen, bei deren Ansiedlung wieder regionale Instituti-

onen Unterstützung leisten.

Hat dieses Unternehmen Kunden? Kunden, deren Eigenschaft es ist, Produk-

te zu erwerben? Nein – es gibt Zuwendungs- und Kapitalgeber, es gibt Lie-

feranten (von Ideen), es gibt regionale öffentliche Einrichtungen, es gibt im

Unternehmen Geschäftsprozesse und hoch motivierte Mitarbeiter – aber

Kunden im klassischen Sinne gibt es nicht. Oder sollen wir die zukünftigen,

neu angesiedelten Unternehmen und deren Mitarbeiter als Kunden bezeich-

nen?

Ob vier, drei oder vielleicht sogar sieben Perspektiven, dies muss einzig und

allein aus dem Unternehmen heraus definiert werden, für das eine Balanced

Scorecard erarbeitet wird. Man sollte sich nicht sklavisch an die Vorgaben

von Kaplan/Norton halten. Aber strategisch relevant sollen die Perspektiven

Page 199: 1 Einführung: Führung mit Kennzahlen – Ein Praxisbeispiel€¦ · 7 Inhaltsverzeichnis 1 Einführung: Führung mit Kennzahlen – Ein Praxisbeispiel 13 2 Die Balanced Scorecard,

Kennzahlen für weitere Perspektiven

199

sein. Jedes Unternehmen zahlt Steuern. Trotzdem gibt es keinen Anlass, für jedes

Unternehmen an eine öffentliche Perspektive zu denken! Und jedes Unter-

nehmen steht in engem Kontakt zu Kreditinstituten – aber hoffentlich nur bei

wenigen ist die Kommunikation mit dem Kreditinstitut strategisch so wich-

tig, dass man dort Kennzahlen einer Kreditgeberperspektive erarbeiten

muss!

Man muss im Unternehmen überlegen, was für die Erreichung der ange-

strebten Mission, Vision und den daraus abgeleiteten Strategien an Kennzah-

len aus den unternehmensspezifischen Perspektiven notwendig ist. Es kön-

nen zwei, drei, vier, aber auch sechs sein – aber auch hier gilt:

Weniger ist mehr.

Was ist wirklich wichtig zur strategisch orientierten Führung

des Unternehmens? Darauf kommt es an. Daher sollte man

keine Patentrezepte übernehmen. Man muss sich klar darüber

sein: „Wir haben unsere Marktberechtigung, weil wir einzig-

artig, weil wir besonders sind, deshalb haben wir auch eine

einzigartige Balanced Scorecard.“

10.1 Die Lieferantenperspektive

In vielen Branchen hängt man existenziell von der Zusammenarbeit mit

Partnern in der Produktionskette ab, gerade in unserer immer mehr arbeits-

teiligen Welt. Der Partner Lieferant wird mehr und mehr zu einem strategi-

schen Partner des Unternehmens: Gemeinsam entwickelt Produkte, integriert

die Kommunikationssysteme, man fordert und fördert Zusammenarbeit auf

allen Ebenen.

„Uns geht es gut, wenn es unseren Kunden gut geht.“

Wer diesen Spruch einseitig auf die Kunden bezieht, denkt zu kurz. Uns geht

es gut, wenn es unseren Partnern gut geht – und dies bezieht sich auch, aber

nicht nur auf die Lieferanten. Viele, besonders die im weltweiten Wettbe-

werb stehenden Branchen betrachten die Lieferanten als Teil der Produkti-

onskette, von dem man genauso wie von den Kunden abhängt. Diese Part-

nerschaften werden immer mehr ausgebaut, sie führen zu Verständnis fürei-

nander, zu Vertrauen und Kooperation.

Page 200: 1 Einführung: Führung mit Kennzahlen – Ein Praxisbeispiel€¦ · 7 Inhaltsverzeichnis 1 Einführung: Führung mit Kennzahlen – Ein Praxisbeispiel 13 2 Die Balanced Scorecard,

Kennzahlen für weitere Perspektiven

200

Im Rahmen des Target Costing für die Produktion eines neuen Motors hat

ein Motorenwerk eines deutschen Kfz-Herstellers das Ziel vorgegeben be-

kommen: Die Herstellkosten dieses Motors dürfen nur noch 1.700 DM be-

tragen. Ein augenscheinlich aussichtsloses Unterfangen, denn man hatte ur-

sprünglich mit fast 3.000 DM kalkuliert. Die Gespräche im Werk, Verhand-

lungen mit den Betriebsräten, dies alles führte nicht zum angestrebten Ziel.

20% wären möglich, aber 40% – nicht zu erreichen! Dann setzte man sich

mit den Lieferanten zusammen. Natürlich, um auch von ihnen Konzessionen

zu erhalten. Diese waren zu 5% bis 10% bereit.

Aber die Äußerung des Geschäftsführers eines Lieferanten ließ den Einkauf

aufhorchen: „Wenn wir die benötigten Teile nicht so, sondern bei gleicher

Funktionalität in dieser oder jener Art liefern könnten, dann sind ein paar

Prozent mehr drin.“ Und das wurde zum Verhandlungsziel: Man setzte sich

mit den Entwicklern der Lieferanten zusammen, überlegte, plante, konstru-

ierte, änderte. Und dann kamen die Transportlogistiker zusammen. Und und

und...

So wurde es am Ende doch noch geschafft – gemeinsame Arbeit mit den

Lieferanten, aber auch mit den Kunden (hier den Entwicklern des gesamten

Kraftfahrzeuges) führte zum Ziel. Der Motor konnte für gut 1.700 DM ge-

baut werden, der Auftrag wurde für das Werk an Land gezogen.

Die dort gemachte Erfahrung gilt für alle Branchen. Gemeinsam mit den

Lieferanten kann man in fast jedem Unternehmen strategische Vorteile am

Markt erzielen. Und wenn diese das langfristige Unternehmensziel, unsere

Mission und Vision, gravierend unterstützen, dann gehören Kennzahlen der

Lieferantenperspektive in die Balanced Scorecard.

10.2 Die Kreditgeberperspektive

Jedes Unternehmen kennt oder kannte Zeiten, in denen eine intensive Zu-

sammenarbeit mit den Banken außerordentlich hilfreich und notwendig war.

Aber natürlich, enge Kommunikation mit den Kreditinstituten sollte man

nicht nur in schlechten Zeiten pflegen.

Page 201: 1 Einführung: Führung mit Kennzahlen – Ein Praxisbeispiel€¦ · 7 Inhaltsverzeichnis 1 Einführung: Führung mit Kennzahlen – Ein Praxisbeispiel 13 2 Die Balanced Scorecard,

Kennzahlen für weitere Perspektiven

201

Insbesondere in Phasen starken Wachstums ist jedes Unternehmen auf Kapi-

tal angewiesen, um das Wachstum zu finanzieren. Dann sind Gespräche mit

Banken und ggf. Venture-Capital-Gesellschaften angesagt. Was liegt da nä-

her, als ihnen die Ausrichtung des Unternehmens mit Hilfe der Balanced

Scorecard zu erläutern? Natürlich gehen die Gewinne zurück, um das

Wachstum zu finanzieren. Aber man hat ein Ziel, eine Vision vor Augen, die

auch den Kapitalgebern, hier den Kreditgebern, erläutert werden muss. Und

die Zielausrichtung des gesamten Unternehmens lässt sich am besten mit der

Balanced Scorecard erläutern.

Wenn dann in die Balanced Scorecard auch die Sicht der Kreditinstitute ein-

gearbeitet wurde, umso besser. Hierbei wird nicht an Finanzkennzahlen wie

z.B. Verschuldungsgrad gedacht – dies bezieht das Institut sowieso jeden

Monat/jedes Quartal. Es könnte jedoch die Kommunikationsintensität mit

dem Kreditinstitut sein, nicht nur auf der obersten Ebene beim Finanzvor-

stand.

Ein stark wachsendes Unternehmen beispielsweise, bei dem das Wachstum

durch ein starkes Engagement der Hausbank unterstützt wird, ist mit den Fi-

lialleitern übereingekommen, dass diese mindestens monatlich ein Strategie-

und Informationsgespräch mit der jeweils zuständigen Bankfiliale führen.

Ziel ist es, eine vertrauensvolle Kommunikation mit dem Bankinstitut auf-

zubauen, die über alle Ebenen reicht. So ist man immer bei allen Führungs-

kräften der Bank präsent, baut ein positives kommunikatives Umfeld auf und

hängt nicht von einzelnen „Bankern“ ab. Und erhält weiterhin Unterstüt-

zung, nicht nur bei ggf. notwendigen neuen Kreditverhandlungen, sondern

auch durch Hinweise und Tips über interessante Veränderungen der Ge-

schäftssituation im regionalen Umfeld.

10.3 Die öffentliche Perspektive

Alle Unternehmen operieren im gesellschaftlichen Umfeld. Hierzu gehören

nicht nur die Kunden, Mitarbeiter und Lieferanten, sondern auch öffentliche

Einrichtungen, Behörden, Ämter. Diese können jedem Unternehmen das Le-

ben schwer machen, aber auch wertvolle Partner bei der Erreichung der an-

gestrebten Ziele sein. Das sollte man nutzen und bei den strategischen Pla-

nungen berücksichtigen.

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Kennzahlen für weitere Perspektiven

202

Die öffentliche Perspektive weist viele Überschneidungen mit der Kunden-

perspektive auf, wenn sie als „gesellschaftliche Perspektive“ verstanden

wird. Denn das Bewusstsein der Öffentlichkeit wurde bereits mit der Kun-

denperspektive abgedeckt (Image, Ruf). Aber mit der öffentlichen Perspek-

tive wollen wir uns bewusst auf die Strukturen beschränken, die das gesell-

schaftliche Miteinander regeln und steuern.

Ob es kommunale Einrichtungen sind, vom Bürgermeister angefangen bis

hin zur Müllentsorgung, ob es sich um Beziehungen zum Kreis, zum Land,

um Beziehungsstrukturen auf gesamtstaatlicher bzw. auf Ebene der Europäi-

schen Union handelt, diese tragen zum Wohlergehen des Unternehmens bei.

Und wenn diese Beziehungen gravierende Auswirkungen auf die Strategien

haben, gehören sie in die Balanced Scorecard.

10.4 Die Kommunikationsperspektive

Die Notwendigkeit dieser und der folgenden beiden Perspektiven hängt in

starkem Maß von der gewählten Strategie der Unternehmen ab. Wenn in der

grundlegenden Diskussion um Mission, Vision und Strategien erkannt wor-

den ist, dass das Unternehmen selbst erhebliche Defizite in den Bereichen

Kommunikation und Organisation hat, oder wenn die Umsetzung der Ba-

lanced Scorecard als kritischer Faktor erkannt worden ist, so sind diese als

gesonderte Perspektive in die Kennzahlenstruktur der Balanced Scorecard

aufzunehmen.

Die Kennzahlen der Kommunikationsperspektive beschreiben den Grad der

als notwendig erachteten Kommunikation im Unternehmen, können aber

auch die Kommunikation mit externen Partnern betrachten. Im letzteren Fall

ergeben sich natürlich wieder Überschneidungen mit der Kunden- wie der

Lieferantenperspektive, aber auch in der Mitarbeiterperspektive werden

Kommunikationsaspekte aufgegriffen.

Es kommt also auf den Grad der Zielausrichtung an, ob eine eigene Perspek-

tive für die Kommunikation angelegt werden soll.

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Kennzahlen für weitere Perspektiven

203

10.5 Die Organisationsperspektive

Wenn im Lauf der Strategiediskussionen erkannt wird, dass die betriebliche

Organisation des Unternehmens grundlegend umstrukturiert werden muss,

um den aus den Zielen definierten Aufgaben gerecht zu werden, ist es vor-

teilhaft, diesen Umstrukturierungsprozess auch als Perspektive für den

Kennzahlenkatalog mit aufzunehmen.

Dies betrifft insbesondere große Unternehmen wie internationale Konzerne,

aber auch Behörden etc. Maßgröße sind hier die erfolgten Änderungen der

Organisationsstruktur.

Obwohl Änderungen der Struktur einer Organisation erhebliche Auswirkun-

gen auf die Zielerreichung haben, ist dies in kleineren Unternehmen eher ein

operatives als ein strategisches Thema und gehört daher nicht in den Kanon

der Kennzahlen der Balanced Scorecard.

10.6 Die Einführungsperspektive

Es gibt in Unternehmen immer wieder Situationen, in denen ein grundsätzli-

ches Umdenken notwendig ist. In denen eine Neuausrichtung oder eine voll-

ständige Umstrukturierung diskutiert und dann umgesetzt wird. Insbesonde-

re in solchen Fällen bewährt sich die Balanced Scorecard als ein Instrument,

das strategische (Neu-)Ausrichtungen fördert.

Schon manchen Unternehmen war die Unterstützung der Neuausrichtung

durch die Arbeit mit der Balanced Scorecard so wichtig, dass sie hierfür eine

eigene Perspektive definiert haben: die Umsetzungsperspektive.

Beispielsweise hat die Belgische Gendarmerie, die nach vielen Skandalen

ihre Strukturen umfassend modernisieren musste, die Umsetzung der Balan-

ced Scorecard auf allen Ebenen als so bedeutend angesehen, dass Kennzah-

len dieser Umsetzungsperspektive mit aufgenommen wurden. Gemessen

wird dies u.a. über den Anteil der Dienststellen, in denen eine Balanced Sco-

recard erarbeitet wurde, mit der nun periodisch mit SOLL-IST-Daten die

Strategieausrichtung gemessen wird.

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Kennzahlen für weitere Perspektiven

204

10.7 Praktische Beispiele – Kennzahlen der fünften/sechsten Perspektive

10.7.1 Die Lieferantenperspektive beim Automotive-Zulieferer

Mission Good vibrations mit XYZ

Vision Weltmarktführer für Schwingungstechnik

Strategien:

a) Umsatzverdoppelung in 4 Jahren

b) 50% Umsatzanteil von neuen Produkten

Lieferantenperspektive DV-Integration mit Zulieferern

Erläuterung: Auch das Zulieferunternehmen für die

Automobilindustrie hängt seinerseits in starkem Maß

von der pünktlichen Anlieferung der bei den Lieferan-

ten georderten Teile ab. Daher sind die DV-Systeme

mit den A-Lieferanten zu koordinieren.

Maßstab: diese Kennzahl als Anteil der Lieferanten,

zu denen eine vorab festgelegte Integration der DV-

Anwendungen besteht.

10.7.2 Die Kreditgeberperspektive beim Handwerk/Dienstleister

Mission Ihr Backshop – schnell und knusprig

Vision Wir haben zufriedene Kunden und starkes Unterneh-

menswachstum durch schnelles Zusatzgeschäft.

Strategie: Neue Techniken in Produktion und Vertrieb befähi-

gen uns, jährlich unseren Umsatz zu verdoppeln –

insgesamt und insbesondere mit unseren Stammkun-

den .

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Kennzahlen für weitere Perspektiven

205

Kreditgeberperspektive Anzahl Kontakte der Filialleiter zur örtlichen Bank

Erläuterung: Der zügige Ausbau der Filialen geht nur

in enger Partnerschaft zur Hausbank. Daher sind auch

die regionalen Kontakte zwischen Backshop- und

Bankfilialleitern erwünscht.

Maßstab: die Anzahl der monatlichen Treffen zwischen

den Partnern.

10.7.3 Die öffentliche Perspektive beim Kreditinstitut

Mission Ihre schnelle Bank

Vision Wir werden die profitabelste Regionalbank.

Strategien:

a) Kreditentscheidungen für Baukredite treffen wir

innerhalb von 24 Stunden.

b) In vier Jahren wollen wir mit unseren Kunden

mindestens 50% aller Transaktionen über das Elect-

ronic Banking abwickeln.

öffentliche Perspektive Anzahl Kontakte zu Bürgermeistern

Erläuterung: Je besser die im Baukreditgeschäft en-

gagierten Banker über die örtliche Situation Bescheid

wissen, umso besser können die bauwilligen Kunden

beraten und unterstützt werden.

Die Kenntnis des politischen Umfeldes, insbesondere

wegen der Umwidmung von Bauerwartungsland, ist

hier ein wichtiger strategischer Vorteil gegenüber

überregional operierenden Kreditinstituten.

Maßstab: die Anzahl der Treffen mit Kommunalpoli-

tikern aus der Region.

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Kennzahlen für weitere Perspektiven

206

10.7.4 Die Kommunikationsperspektive beim Automotive-Zulieferer

Mission Good vibrations mit XYZ

Vision Weltmarktführer für Schwingungstechnik

Strategien:

a) Umsatzverdoppelung in 4 Jahren

b) 50% Umsatzanteil von neuen Produkten

Kommunikationsperspektive Teilnahmequote an betriebsinternen Veran-

staltungen

Erläuterung: Als sich strategisch auswirkendes Prob-

lem wurde im Unternehmen der fehlende Austausch

zwischen Produktion und Entwicklung gesehen. Da-

her werden

betriebsinterne Kommunikationsveranstaltungen

durchgeführt (Skatabende, gemeinsames Kegeln, Ski-

freizeiten etc.), deren Besuch zwar freiwillig ist, je-

doch von der Geschäftsführung gefördert wird.

Maßstab: die Teilnehmerzahlen an diesen Veranstal-

tungen.

10.7.5 Die Organisationsperspektive beim Kfz-Anhänger Hersteller

Mission Wir bewegen Ihre Last .

Vision Wir bewegen jede Last.

Strategien: a) Unser Vertriebsnetz wird erheblich ausgeweitet,

damit wir deutschlandweit bekannt werden als Her-

steller von Spezial-Lkw-Anhängern.

b) Umsatzausweitung durch neue Anwendungsgebiete

Organisationsperspektive Aufbau Vertriebsnetz

Erläuterung: Der Vertrieb muss weitgehend umstruk-

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Kennzahlen für weitere Perspektiven

207

turiert und ausgebaut werden. Da alle vertrieblichen

Aktivitäten bisher – eher nebenbei – von der Ge-

schäftsführung mit erledigt worden sind, ist ein eige-

nes Ressort Vertrieb zu schaffen, das den Ausbau des

deutschlandweiten Vertriebsnetzes in Angriff nimmt

und koordiniert.

Maßstab: die Anzahl der Vertreter sowie Mitarbeiter

des eigenen Vertriebes, wobei eine unterschiedliche

Gewichtung erfolgt:

1. für neu gewonnene Mitarbeiter

2. für neu gewonnene Mitarbeiter in

bisher unbesetzten Bundesländern

3. für erzielte Umsätze im ersten Jahr

der Tätigkeit für das Unternehmen

10.7.6 Die Einführungsperspektive beim Spezialitätenbrauerei

Mission Ihr nationales Gsüffiges

Vision Wir werden bis 2002 die Nr. 1 in Deutschland.

Strategien a) Wir wollen der beste/größte Partner für den Ge-

tränkefachgroßhandel in unserem regionalen Raum

sein und mindestens ein Fachgroßhandel in allen

deutschen Ballungsgebieten neu gewinnen.

b) Die Abverkaufsmenge je Outlet muss verdoppelt

werden.

Einführungsperspektive Anwendungsgrad der Balanced Scorecard in allen

Unternehmensteilen

Erläuterung: Die langjährig dem Unternehmen ver-

haftete Mitarbeiterschaft steht Änderungen eher re-

serviert gegenüber. Daher ist es Aufgabe des Mana-

gements, die angestrebte Arbeit mit und an der Balan-

ced Scorecard auf allen Ebenen zu verkaufen.

Page 208: 1 Einführung: Führung mit Kennzahlen – Ein Praxisbeispiel€¦ · 7 Inhaltsverzeichnis 1 Einführung: Führung mit Kennzahlen – Ein Praxisbeispiel 13 2 Die Balanced Scorecard,

Kennzahlen für weitere Perspektiven

208

Maßstab: der Anteil der Abteilungen/ Unternehmens-

bereiche, die noch nicht eine gemeinsam erarbeitete

Balanced Scorecard mit darauf abgestimmten

Maßnahmeplänen aufweisen können.

Page 209: 1 Einführung: Führung mit Kennzahlen – Ein Praxisbeispiel€¦ · 7 Inhaltsverzeichnis 1 Einführung: Führung mit Kennzahlen – Ein Praxisbeispiel 13 2 Die Balanced Scorecard,

Ganzheitlichkeit durch verbundene Kennzahlen

209

11. Ganzheitlichkeit durch verbundene Kennzahlen

Auf einen Blick:

Die gedankliche Strukturierung des Unternehmens muss durch das Zu-

sammenführen und Verknüpfen der Kennzahlen ergänzt werden. Das

ist die Voraussetzung für das ganzheitliche Führen mit der Balanced

Scorecard.

Aus der logischen und zeitlichen Verknüpfung der Kennzahlen ergibt

sich ihr Charakter als Früh- oder Spätindikator.

Mit der Balanced Scorecard wird ein ganzheitlicher Ansatz verfolgt. Also

kann es auch nicht nur darum gehen, strategische Kennzahlen für ein Unter-

nehmen zu erarbeiten. Man muss auch versuchen, aus der Vielfalt der mög-

lichen Kennzahlen die Kennzahlen herauszufiltern, die sich gegenseitig be-

einflussen, die aufeinander aufbauen.

Das gilt horizontal, also auf der Ebene der Kennzahlen für ein Unternehmen,

für einen Unternehmensbereich oder eine Abteilung, als auch vertikal, für

die Kennzahlen der verschiedenen Ebenen. Diese vertikale Verknüpfung ist

besonders wichtig: Wird doch bei der Erarbeitung einer Kennzahlenstruktur

immer zuerst gefragt: „Wie können wir zur strategischen Ausrichtung des

Unternehmens beitragen?“ Daraus folgt, dass eine Entwicklung, die durch

eine Kennzahl gemessen wird, im Ergebnis auch Auswirkungen im nächst-

höheren Unternehmensbereich haben sollte – und dort mit einer Kennzahl

der Balanced Scorecard messbar ist!

11.1 Logische Verknüpfung der Kennzahlen

Abb. 26 zeigt beispielhaft die für die Regionalbank erarbeiteten Kennzahlen

mit ihren als relevant angesehenen Verknüpfungen.

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Ganzheitlichkeit durch verbundene Kennzahlen

210

Abbildung 26: Ursache-Wirkungs-Ketten der Kennzahlen der Regionalbank

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Ganzheitlichkeit durch verbundene Kennzahlen

211

Die Verkettungen sind teilweise recht ausgeprägt: So wirken sich verstärkte

„Schulungen der Mitarbeiter“ (Mitarbeiterperspektive, Fort- und Weiterbil-

dung) auf die Kennzahlen „Anzahl der Kontoeröffnungen“ (Mitarbeiterper-

spektive, Mitarbeiterpotential), „Zeitbedarf für Kreditgewährung“ (Ge-

schäftsprozesse, betriebliche Leistungserstellung), „Abschlüsse beim Kun-

den“ (Mitarbeiterperspektive, Kundenbeziehungen), „abgelehnte Kreditan-

träge“ (Geschäftsprozesse, betriebliche Leistungserstellung) und „Nutzung

Electronic Banking“ (Mitarbeiterperspektive, Informationsverwertung) aus.

Ähnliches gilt für viele andere Kennzahlen.

Es zeigt sich aber auch, dass einige Kennzahlen relativ eigenständig sind

und nur wenige Verbindungen zu anderen Kennzahlen aufweisen. So könnte

man überlegen, ob z.B. die Zahl der „Kontakte zu kommunalen Verbänden“

strategisch wirklich relevant sind.

Die grafische Darstellung der Verkettungen weist auch darauf hin, bei wel-

chen Kennzahlen es sich um Früh-, bei welchen es sich um Spätindikatoren

handelt. Frühindikatoren geben viele und intensive Impulse an andere Kenn-

zahlen ab, Spätindikatoren hingegen nehmen eher auf, als sie Wirkungen auf

andere ausüben. So sind die Kennzahlen „Kontakte zu Bürgermeistern“,

„Schulungsquote“, aber auch „Anzahl Kontoeröffnungen“ und „Nutzung

Electronic Banking/Bankomat“ eindeutig Frühindikatoren. Verbesserungen

in diesem Bereich wirken sich in vielen anderen Gebieten positiv auf die Er-

reichung der strategischen Ziele aus.

Die Ursache-Wirkungs-Ketten machen noch auf drei andere, bereits oben

erwähnte Aspekte aufmerksam:

1. Die in vielen Unternehmen genutzten Kennzahlen zur Finanz-, aber

auch zur Kundenperspektive werden tendenziell eher als Spätindikato-

ren gehandhabt. Frühindikatoren lassen sich stärker in den Perspekti-

ven zu Geschäftsprozessen und Mitarbeitern ausmachen.

2. Frühindikatoren werden landläufig fälschlicherweise als weiche

Kennzahlen bezeichnet, weil sie entweder nichtfinanzieller Natur sind

oder man nicht gewohnt ist, sie relativ genau zu messen. Deren Er-

kennung macht aber einen Großteil der innovativen Arbeit aus, die mit

der Balanced Scorecard verbunden ist.

3. So wichtig Maßnahmen sind, die wir über Frühindikatoren für den

strategischen Prozess messen, operativ werden sie bislang wenig be-

rücksichtigt. Die Maßnahmen kosten Geld, der Ertrag ist kurzfristig

gesehen zumeist unbedeutend.

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Ganzheitlichkeit durch verbundene Kennzahlen

212

11.2 Die Grenzen der Logik

Die aktuellen Prospekte der Beratungs- und Softwareunternehmen verkaufen

die Balanced Scorecard als ein neues (weiteres?) Kennzahlensystem. Diese

Auffassung gipfelt dann in Empfehlungen, diese oder jene Software im Un-

ternehmen einzusetzen, die zur Abbildung der Balanced Scorecard geeignet

ist.

Bereits mehrfach haben wir auf die noch bestehenden Vorbehalte und

Schwierigkeiten hingewiesen, die weichen Indikatoren zu messen. Es ist

wirklich nicht einfach, nein, es gehört auch Pioniergeist und verkäuferisches

Talent des mit der Einführung beauftragten Teams dazu, diese Kennzahlen

insbesondere für die innovativen Perspektiven zu definieren und messbar zu

machen – und allen Mitarbeitern im Unternehmen zu vermitteln. Und nun

müssen diese Kennzahlen DV-mäßig aufbereitet und verdichtet werden.

Oben haben wir bereits eine Kennzahl zur Perspektive kommunale Bezie-

hungen vorgestellt: Für den Geschäftsbereich Kommunalkredite und Öffent-

lichkeitsarbeit der Regionalbank ist für die Perspektive kommunale Bezie-

hungen eine Kennzahl definiert als „Kontaktintensität zu Bürgermeistern der

Gemeinden, die Bauerwartungsland verkaufen wollen“. Die Verknüpfung

dieser Kennzahl für einen Unternehmensbereich mit den strategischen Zielen

des Gesamtunternehmens und deren Darstellung in der Balanced Scorecard

ist einleuchtend: Je mehr man Informationen über zukünftige Bautätigkeit

verfügt, umso besser können bauwillige Kunden beraten und gewonnen

werden.

Aber wie will man die Verknüpfung als prozentuale Abhängigkeit definie-

ren, und dies benötigt ein integriertes DV-System zur Abbildung der Balan-

ced Scorecard! „Eine Steigerung der Kontaktintensität um 20% führt zu ei-

nem um 0,27% höheren Shareholder Value oder Gewinn pro Anteil.“

Wird damit nicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet? Oder sind die Bera-

terlegionen und die Softwareindustrie unserer Zeit mit ihren Messmethoden

schon so weit voraus? Sollte man diesen Beratern nicht das Kapitel 3.1 (Un-

ternehmensführung mit Kennzahlen: Grundprobleme bei der Arbeit mit

Kennzahlen) als Lektüre empfehlen?

Wichtig ist die Verstetigung des Aussagewertes der Kennzahlen. Eine Kon-

taktintensität – um bei diesem Beispiel zu bleiben – von 0,27 sagt wenig aus,

auch die effektive Zahl 12 Kontakte im Monat allein hat noch keine Aussa-

gekraft. Aber die Kennzahl Wachstum der Kontaktintensität oder die Reihe

der Kontakte über die Zeit hat Aussagekraft. Und darüber kann und soll im

Unternehmen kommuniziert werden. Daher ist eine Erfassung der periodi-

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Ganzheitlichkeit durch verbundene Kennzahlen

213

schen Werte und deren Darstellung (vgl. Abb. 27 und Abb. 29) hilfreich –

und hierfür sollte man sich einer elektronischen Unterstützung versichern.

Good Vibrations - auf dem richtigen Weg

0

50

100

150

200

250

Marktanteil

Kundenkontakte

Marktreife

Patente

Automatisierung

Teamübergr.Schulungen

Firmenübergr. Schulungen

Schwingungskongress

Umsatz neue Produkte

Gewinnspanne

DV-Integration

interne Veranstaltungen

Ist t0

(normiert)Ist t1

(normiert)Ist t2

(normiert)Plan t5

(normiert)

Kundenperspektive

GeschäftsprozessperspektiveKommunikationsperspektive

Mitarbeiterperspektive

Finanzperspektive

Lieferantenperspektive

Abbildung 27: Graphische EXCEL-Darstellung der Balanced Scorecard des Automotive-Zulieferers

Die EXCEL-Anwendung, mit der die Abb. 27 erstellt wurde,

können Sie sich aus dem Internet herunterladen. Sie finden

die Datei unter http://www.scorecard.de

Dies könnte Controllers Lieblingskind MS-EXCEL, aber auch eine BSC-

Software sein. Natürlich, die visuelle Aufbereitung und Verbreitung der re-

levanten Kennzahlen fördert den kommunikativen Aspekt der Balanced Sco-

recard. Aber bitte ohne differenzierte und automatisierte Verknüpfung über

alle Ebenen. Das Wachstum der Kontaktintensität mit den Bürgermeistern

um 20 % hat kaum eine Steigerung von exakt 0,27% beim Shareholder Va-

lue zur Folge.

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Ganzheitlichkeit durch verbundene Kennzahlen

214

11.3 Vertikale Verknüpfung von Kennzahlen

Alle Mitarbeiter eines Unternehmens sind über die Visionen, strategischen

Absichten informiert und wollen nun zielgerichtet arbeiten. Aber kann man

davon ausgehen, dass für alle Mitarbeiter, alle Abteilungen, Hauptabteilun-

gen, Unternehmensbereiche etc. identische Wege zur Erreichung des Zieles

sinnvoll und richtig sind? Nein!

Daher muss jeder Unternehmensbereich, der über eine gewisse Eigenstän-

digkeit verfügt und strategisch wirkt, eine eigene Scorecard erarbeiten.

An dieser Stelle wird gerne eine eher akademische Diskussion zum Thema

„Eigenständigkeit“geführt. Wie weit sollte man eigene Scorecards für Un-

ternehmensbereiche herunterbrechen? Benötigt man für jede Abteilung eine

individuelle Balanced Scorecard? Muss so viel Aufwand getrieben werden?

Es kann keine allgemein gültige Antwort hierfür geben. Jedes Unternehmen

sollte auch in dieser Frage seine eigenen Maßstäbe haben – und die müssen

durchdacht sein! Die Antwort hängt naturgemäß stark von der gewählten

Strategie für das Unternehmen ab. Denn alle Mitarbeiter, ohne Einschrän-

kung: alle wollen, sollen oder müssen sich in ihrer täglichen Arbeit an den

strategischen Zielen orientieren (können). Und die Motivation zu diesem

strategischen Verhalten basiert auf der gemeinsamen Diskussion über die

Umsetzung der Vision, der vereinbarten Strategien in der eigenen Abteilung.

Diese Umsetzung wird in der täglichen Arbeit durch die permanente, eigen-

ständige Überprüfung der IST-Werte gefördert und findet dann (hoffentlich)

auch ihren Ausdruck in motivationsfördernden, an der Balanced Scorecard

orientierten Anreizsystemen.

Die vertikale Verknüpfung soll beispielhaft für den Automotive-Zulieferer

dargestellt werden. Beschränken wir uns hierbei auf die Kundenperspektive:

Das Unternehmen entwickelt, vertreibt und produziert mit einer minimalen

Belegschaft. Entwicklung und Vertrieb bestehen aus je zwei, drei Mitarbei-

tern, projektorientiert verstärkt um Mitarbeiter der Bereiche Geschäftsfüh-

rung, Produktion und Verwaltung.

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Ganzheitlichkeit durch verbundene Kennzahlen

215

Abb. 28 gibt Aufschluss über die Verknüpfung der Bereichs- mit den Unter-

nehmenskennzahlen der Kundenperspektive. Es kommt zum Ausdruck, dass

nicht für jede Unternehmenskennzahl in jedem Bereich eine und genau eine

Bereichskennzahl erarbeitet werden muss – nur gleichgerichtet auf das stra-

tegische Ziel müssen sie sein!

vertikale Verknüpfung der Kennzahlen am Beispiel der Kundenperspektive

Unternehmen gesamt Entwicklung Vertrieb Produktion Geschäftsführung

Anzahl

Neu- und Weiter-

entwicklungen

Marktanteil

Nordamerika

Verringerung

Fehlerquote

Anzahl

Kundentreffen

Umsatzanteil PKW-

Hersteller

Konstruktions-

änderungen aus

Ideenworkshop

Wachstum

Marktanteil Diesel-

motorenmarkt

Gemeinsame Kunden-

kontakte

Gemeinsame Kunden-

kontakte

Kontakte zu PKW-

Herstellern

Gemeinsame Kunden-

kontakte

Abbildung 28: vertikale Verknüpfung von Kennzahlen

11.4 Praxis-Beispiel - Vertikale Verknüpfung beim Automotive-Zulieferer

Mission Good vibrations mit XYZ

Vision Weltmarktführer für Schwingungstechnik

Strategien

a) Umsatzverdoppelung in 4 Jahren

b) 50% Umsatzanteil von neuen Produkten

Kundenperspektive

Unternehmen gesamt: Wachstum des Marktanteils an Dieselmotoren-

Schwingungstechnik

Erläuterung: Auch wenn man sich auf neue Pro-

dukte, mittelfristig auf den Bau von Komponenten

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Ganzheitlichkeit durch verbundene Kennzahlen

216

und langfristig auf neue Motorenkonzepte hin ori-

entieren wird, die derzeitigen Cash-Cows sind die

klassischen Produkte zur Vermeidung von Moto-

renschwingungen. Das bisherige Umsatzwachstum

kann nur beibehalten werden, wenn es einerseits

gelingt, geographisch neue Märkte zu erschließen,

Weltmarktführer zu werden. Zusätzlich müssen

neue Kundengruppen akquiriert werden, die bisher

mit anderer Technik vom Wettbewerb beliefert

wurden.

Maßstab: der weltweite Marktanteil am Umsatz mit

Dieselmotoren-Schwingungstechnik

Entwicklung: Anzahl Neu- bzw. Weiterentwicklungen

Erläuterung: Auch wenn die Dieselmotoren-

Schwingungstechnik als Cash-Cow sehr langfristig

gesehen ein auslaufendes Modell ist, sie trägt noch

sehr stark zum Umsatz und Gewinn bei. Und dies

wird in den nächsten Jahren so bleiben. Daher sind

in der Entwicklung Anstrengungen zu unterneh-

men, das Produkt weiter zu perfektioneren, noch

intelligentere Zusatznutzen zu implementieren etc..

Maßstab: die Zahl der Konstruktionsänderungen im

Bereich Dieselmotoren-Schwingungstechnik.

Anzahl erarbeitete Konstruktionsänderungen aus

gemeinsamen Ideenworkshops von Vertrieb und

Entwicklung.

Erläuterung: Im Rahmen der Vertriebskontakte ent-

stehen so viele Ideen, die zielgerichtet in regelmä-

ßigen Ideenworkshops ausgewertet werden.

Maßstab: die Zahl der daraus entstehenden

Konstruktionsänderungen.

Vertrieb: Marktanteil an Dieselmotoren-Schwingungstechnik

in Nordamerika

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Ganzheitlichkeit durch verbundene Kennzahlen

217

Erläuterung: Der größte Markt der Erde fehlt noch

in der Vertriebsliste: Hier sind die Anstrengungen

zu verstärken, auch dort die

Nr. 1 zu werden

Maßstab: der Marktanteil am Umsatz mit Diesel-

motoren-Schwingungstechnik in Nordamerika

Umsatzanteil der Pkw-Hersteller

Erläuterung: Bislang sind die Produkte lediglich im

Lkw- und Schiffsmotorenbereich eingeführt. Für

Pkw gibt es noch andere, nicht vom Unternehmen

angebotene technische Lösungen, die in den Pro-

duktionskosten erheblich günstiger sind. Aber gibt

es keine Möglichkeiten, in diesen Massenmarkt

einzudringen? Die eigene überlegene, aber teuere

Technik könnte doch eventuell als Komfort-

Innovation für den PKW-Bereich „verkauft“ wer-

den. Sicherlich ist dieser Markt auch aus produkti-

onstechnischer Sicht schwierig zu erobern, aber ein

Anfang, dort ein Segment zu besetzen sollte ge-

macht werden.

Maßstab: der Umsatzanteil der Pkw-Hersteller am

Gesamtumsatz.

Produktion: Verringerung der Fehlerquote

Erläuterung: Total Quality ist in diesem Unterneh-

men besonders wichtig, da der Materialanteil an

den Produkten recht hoch ist. Auch sind die Folgen

bei Auslieferung fehlerhafter Teile an die Kunden

gravierend.

Die Fehlerquote wird durch umfassende Kontrollen

beim Wareneingang und nach den wichtigsten Pro-

duktionsschritten sichergestellt, so dass eine wei-

tergehende Bearbeitung der fehlerhaften Werkstü-

cke gar nicht mehr erfolgt.

Maßstab: der durchschnittliche Anteil fehlerhafter

Produkte pro Los.

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Ganzheitlichkeit durch verbundene Kennzahlen

218

Geschäftsführung: Anzahl der Treffen mit den wichtigsten fünf Kun-

den

Erläuterung: Die Geschäftsführung ist der beste

Verkäufer. Besonders auf der kommunikativen

Ebene ist für eine positive, partnerschaftliche

Grundstimmung in der Zusammenarbeit mit den

wichtigsten Kunden zu sorgen. Hierzu trifft sich

die Geschäftsführung mehrmals im Jahr mit den

führenden Mitarbeitern der Kunden.

Maßstab: die Zahl der Treffen.

Unternehmen gesamt: Gemeinsame Kontakte von Vertrieb und Entwick-

lung zu Kunden, um Beziehungspartnerschaften

aufzubauen

Erläuterung: Um den Umsatzanteil mit neuen Pro-

dukten zu steigern, müssen die Kontakte zwischen

der eigenen Entwicklungsabteilung und den Ent-

wicklern der Kunden intensiviert werden. Sonst be-

steht die Gefahr, dass am Markt vorbei entwickelt

wird oder die Kunden eigene Entwicklungen nicht

mitbekommen, daher auch nicht nutzen können.

Damit diese Kontakte auch vertriebsmäßig genutzt,

damit auch das technische Know-how des Ver-

triebs permanent verbessert wird, sind trotz höherer

Kosten auch gemeinsame Reisen von Entwicklung

und Vertrieb zu empfehlen.

Maßstab: die Anzahl von Besuchskontakten zu

Kunden-Entwicklern beim Kunden wie im Unter-

nehmen, die gemeinsam von Mitarbeitern des Ver-

triebs und der Entwicklung wahrgenommen wer-

den.

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Ganzheitlichkeit durch verbundene Kennzahlen

219

Entwicklung: Gemeinsame Kontakte von Vertrieb und Entwick-

lung zu Kunden, um Beziehungspartnerschaften

aufzubauen

Erläuterung: Diese Kennzahl gilt natürlich iden-

tisch auch für die Entwicklungs-Abteilung.

Vertrieb: Gemeinsame Kontakte von Vertrieb und Entwick-

lung zu Kunden, um Beziehungspartnerschaften

aufzubauen

Erläuterung: Diese Kennzahl ist u.a. auch Maßstab

für die strategische Vertriebsarbeit.

Maßstab: die Anzahl dieser Kontakte (Besuche und

Treffen bei Ausstellungen etc.)

Anzahl persönliche Kontakte zu den Entwicklungs-

abteilungen von Pkw-Herstellern.

Erläuterung: Um in den Pkw-Markt eindringen zu

können, sind persönliche Kontakte zu den Entwick-

lern der entsprechenden Hersteller aufzubauen.

Diese sind Grundlage für spätere gemeinsame Be-

suche.

Maßstab: die Anzahl dieser Kontakte (Besuche und

Treffen bei Ausstellungen etc.)

Produktion: Hierfür gibt es in der Produktion keine entspre-

chende Kennzahl.

Geschäftsführung: Hierfür gibt es in der Geschäftsführung keine ent-

sprechende Kennzahl.

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Ganzheitlichkeit durch verbundene Kennzahlen

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Die Umsetzung der Balanced Scorecard im Unternehmen

221

12. Die Umsetzung der Balanced Scorecard im Unter-nehmen

Auf einen Blick:

Jede konkrete Balanced Scorecard ist ein Unikat.

Wer sich auf wirkliches Lernen einlässt, wird die Vorteile der Balanced

Scorecard ausschöpfen können.

Eine vertrauensbasierte Unternehmensorganisation fördert die Arbeit

mit der Balanced Scorecard.

Die Erarbeitung und Einführung der Balanced Scorecard erfolgt stu-

fenweise. Man sollte dafür ausreichend Zeit einplanen.

Nun ist sie entstanden, die Balanced Scorecard. Damit die Balanced Score-

card aber auch per schnellen Blick als Informations- und Arbeitsinstrument

für alle Mitarbeiter dient, haben unser Banker und sein Controller sie für die

Regionalbank auf einer Seite grafisch aufbereitet:

Jetzt gilt es, die gemeinsam erarbeitete Balanced Scorecard praktisch umzu-

setzen. Dabei wird es sich als vorteilhaft erweisen, wenn die Scorecard in

Teamarbeit entstanden war. Teamarbeit im besten Sinne. Dann ist ein wich-

tiges Ziel schon erreicht. Mission, Vision und Strategien sind nicht das Pro-

dukt „der da oben“, sondern in breitem Rahmen und im Konsens erarbeitetes

Gemeingut des Unternehmens.

Es mag sein, dass der eine oder andere die eine oder andere Formulierung

anders formuliert hätte. Jeder Konsens ist auch in gewissem Maße ein Kom-

promiss verschiedener Auffassungen. Aber eine optimale Scorecard wird es

ohnehin nicht geben. Dazu sind die Probleme zu vielfältig, die Beteiligten zu

unterschiedlich, als dass man allen gerecht werden könnte. Das sollte auch

nicht angestrebt werden.

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Die Umsetzung der Balanced Scorecard im Unternehmen

222

Abbildung 29: Beispiel für die übersichtliche Darstellung der kompletten Balanced Scorecard für

die Regionalbank

12.1 Gibt es „die“ Balanced Scorecard?

Die Frage nach „der“ Balanced Scorecard wird in zwei Richtungen gestellt:

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Die Umsetzung der Balanced Scorecard im Unternehmen

223

1. Gibt es eine beispielhafte Scorecard für die Unternehmen etwa einer

Branche oder zumindest allgemeingültige Aspekte, die man in jede

Balanced Scorecard übernehmen kann?

2. Gibt es für ein Unternehmen „die“ Scorecard im Sinne einer endgülti-

gen Lösung?

Auf die erste Frage kann man zunächst antworten: „Bis zu einem gewissen

Grad.“ Es gibt immer Allgemeingültiges. Allerdings erinnert das ein wenig

an jenes schöne Bonmot über den Spezialisten und den Generalisten: „Der

Spezialist weiß immer mehr über immer weniger. Der Generalist weiß im-

mer weniger über immer mehr. Zum Schluss treffen sich beide. Der Spezia-

list weiß alles über nichts und der Generalist nichts über alles."

Nur, darin liegt nicht das wirkliche Problem. Dem Problem kommen wir mit

einer anderen Fragestellung näher:

„Was bringt uns eine beispielhafte Scorecard, was bringen allgemeingültige

Aspekte im konkreten Einzelfall?“

Und hier zeigen alle bisherigen Erfahrungen: wenig! Allgemeine Aussagen

können Anregungen geben, Richtschnur sein für die ersten eigenen Schritte.

Allgemeine Aussagen können dabei helfen, in die Gedankenwelt der Balan-

ced Scorecard einzudringen. Allgemeine Aussagen können das Verständnis

schärfen für die zu erwartenden Probleme. Das ist sicherlich eine ganze

Menge. Aber die eigentliche Arbeit beginnt erst danach.

Wenn einige Aussagen allgemeingültig sind, dann diese:

Die Balanced Scorecard ist kein Kennzahlen-Tableau.

Die Balanced Scorecard ist eine Methode zur Erarbeitung und unterneh-

mensweiten Kommunikation von Mission, Vision und daraus abgeleite-

ten Strategien des Unternehmens.

Die Balanced Scorecard soll allen Beteiligten mit Hilfe geeigneter Kenn-

zahlen konkret vermitteln, wie die strategischen Ziele mit der Mission

und Vision des Unternehmens zusammenhängen und wie sie praktisch

umzusetzen sind. Die Kennzahlen müssen daher so gewählt und darge-

stellt werden, dass sie verständlich sind und ein hohes kommunikatives

Potential verkörpern.

Die Balanced Scorecard ist in diesem Sinne ein Managementsystem zur

strategischen Führung eines Unternehmens mit Kennzahlen. Führung

durch Kennzahlen setzt dabei voraus, jede Kennzahl mit SOLL und IST,

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Die Umsetzung der Balanced Scorecard im Unternehmen

224

mit Maßnahmen zur Erreichung des SOLL, mit Verantwortlichkeit für

die Maßnahmen und mit Regelungen zur Motivation der Verantwortli-

chen zu verbinden.

Die Konsequenz dieser allgemeinen Aussagen ist nichts anderes als:

Jede konkrete Balanced Scorecard ist ein Unikat!

Und wir sollten gar nicht erst den Versuch unternehmen, eine in einem Un-

ternehmen entwickelte Balanced Scorecard zu kopieren. Selbst wenn es

möglich ist, verschiedene Kennzahlen anderer Unternehmen in die eigene

Scorecard zu integrieren, so integriert man praktisch nicht mehr als die leere

Hülle, die Worthülse. Denn das „Lebendige“ einer Kennzahl, das IST und

SOLL, die Verantwortlichkeiten und die Motivation – all das muss jedes

Unternehmen jeweils für seine ganz spezifischen Bedingungen erarbeiten.

Das ist nicht kopierbar. Das eben ist das Unikat!

Aber es gibt noch mehr Spezifika. Jede Kennzahl muss individuell definiert

werden. Umsatz pro Mitarbeiter beispielsweise ist nicht gleich Umsatz pro

Mitarbeiter. Für ein Unternehmen im Schwermaschinenbau sagt diese Kenn-

zahl anderes als z.B. für eine Einzelhandelskette. Aber auch innerhalb einer

Branche bestehen von Unternehmen zu Unternehmen Unterschiede im De-

tail. Das liegt daran, dass es Unterschiede in der Art und Weise der Fakturie-

rung, in der Unternehmensstruktur etc. gibt.

Wenn jedoch Kennzahlen lebendig kommuniziert werden, wenn Motivation

und Einsatzbereitschaft an den Umsatz gebunden werden, dann sollten alle

Beteiligten wissen, wie der Umsatz pro Mitarbeiter konkret bestimmt wird,

inhaltlich und methodisch.

Die zweite Frage, die nach „der“ Balanced Scorecard im Sinne einer endgül-

tigen Lösung für das Unternehmen kann eindeutig verneint werden. Das Le-

ben ist ein Prozess und damit eine ständige Veränderung. Gedankliche Ab-

bildungen dieses Prozesses – in der Wirtschaft wie in allen anderen Lebens-

bereichen – sind im Gegensatz dazu Momentaufnahmen, spiegeln eine be-

stimmte Situation zu einem bestimmten Zeitpunkt wider. Es sind relative

Abbildungen. Relative Abbildungen, geboren aus Informationen der Ver-

gangenheit und geformt nach Modellen in unserem Kopf. Geformt nach

Modellen, die ihrerseits auf unseren Erfahrungen, Instinkten und Erkenntnis-

sen basieren und die beeinflusst werden von unseren Vorurteilen und Kon-

ventionen.

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Die Umsetzung der Balanced Scorecard im Unternehmen

225

Auch die nach bestem Wissen und Gewissen und unter Einbeziehung aller

Mitarbeiter erarbeitete Balanced Scorecard ist nicht mehr als eine Moment-

aufnahme unseres Unternehmens. Eine Momentaufnahme, verknüpft mit

gedanklichen Schlussfolgerungen für die Zukunft.

Eine Momentaufnahme ist ein statisches Bild. Darum gibt eine einmal erar-

beitete Balanced Scorecard immer nur die Informationen wieder, die zum

Zeitpunkt ihres Entstehens wahrgenommen, verarbeitet, ausgewählt und ver-

standen wurden. Aber diese Informationen veralten. Und die Balanced Sco-

recard vergilbt wie ein altes Foto, wenn wir sie nicht ständig den Verände-

rungen der wirtschaftlichen Situation unseres Unternehmens anpassen.

Deshalb sollten wir uns davor hüten, die Balanced Scorecard als etwas End-

gültiges anzusehen. So wie wir im Übrigen gut daran täten, diese Maxime

auf alle Bereiche unseres Lebens auszudehnen.

Es gibt nichts Endgültiges. Auch keine endgültige Balanced Scorecard!

12.2 Vom Leben lernen oder wie nutze ich das Feedback?

Damit stehen wir vor der Frage: Wie sollen die Veränderungen der wirt-

schaftlichen Situation unseres Unternehmens eingebunden werden in die Ba-

lanced Scorecard? Wie lernen wir vom Leben?

12.2.1 Lernen durch Feedback

Zunächst einmal müssen wir erst bereit sein, zu lernen. Nicht nur deklarato-

risch, nicht nur verbal. Wirkliche Bereitschaft zum Lernen erfordert den Mut

zur Änderung früher einmal für richtig erkannter Auffassungen. Änderun-

gen, die aus neuen oder veränderten Informationen resultieren. Aus Informa-

tionen, die unsere Sicht auf die Zusammenhänge verändern.

Aber Änderung einmal für richtig erkannter Auffassungen heißt auch, dass

wir uns geirrt haben.

Und viele Menschen haben eine Hemmschwelle, Irrtümer einzugestehen.

Diese Hemmschwelle scheint zu wachsen, wenn wir in eine Führungspositi-

on gelangen. Sei es auch nur auf unterer Ebene. Oder zeitweilig, etwa als

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Die Umsetzung der Balanced Scorecard im Unternehmen

226

Leiter einer Projektgruppe. Der Irrtum wird unter Managern gewöhnlich als

negativer Begriff eingestuft. Einmal ist keinmal; aber das zweite Mal kann

schon den Stuhl kosten. Und das behindert die Bereitschaft zum Lernen!

Dabei sind Irrtümer die Quelle allen Fortschritts. Jedes Kind erlernt den auf-

rechten Gang durch eine Kette von Versuchen und Fehlversuchen (Irrtü-

mern). Jeder Naturwissenschaftler kennt den Weg zum Erfolg als mühsame

Folge von Versuch und Irrtum. Und wer hat nicht schon einmal versucht, ein

Puzzle zu legen. Ohne Irrtümer kein Erfolg! Bei Lichte besehen haben Irr-

tümer durchaus eine positive Funktion.

Geben wir daher auch in der Wirtschaft dem Irrtum ein positives Image!

Wer einen Irrtum eingesteht, demonstriert Lernfähigkeit. Und Lernfähigkeit

gehört zu den wichtigsten Eigenschaften eines modernen Managers!

Mit steigender Lernbereitschaft steigt die Sensibilität für die Äußerungen,

die Rückmeldungen der Mitarbeiter. Wir erhalten ein Feedback, weil die

Äußerungen zu uns durchdringen. Auf allen Ebenen. Und niemand ist stär-

ker mit den realen wirtschaftlichen Prozessen und ihren Problemen verbun-

den, als die Mitarbeiter. Sie spüren die Veränderungen im internen und ex-

ternen Beziehungsgeflecht der betrieblichen Leistungserstellung in den

meisten Fällen zuerst.

Dabei merken sie sicher eher die kleinen als die großen Veränderungen. Und

manchmal sind es mehr Stimmungen, die als Vorboten möglicher Chancen

oder Fährnisse aufkommen. Aber ein Management, das bereit und fähig ist,

diese Stimmungen aufzunehmen und kritisch auszuwerten, wird frühzeitig in

der Lage sein, zu reagieren.

Kritisch zu den Rückmeldungen, denn nicht jede Stimmung, nicht jede Äu-

ßerung zeigt strategisch bedeutsame Veränderungen an.

Kritisch aber auch zu den eigenen Leitlinien. Insbesondere dann, wenn sich

die Stimmung im Unternehmen verfestigt, wenn die Äußerungen der Mitar-

beiter, Kunden und Lieferanten ein Bild zeichnen, das immer stärker von

den strategischen Vorgaben der Balanced Scorecard abweicht.

Die Qualität des Feedback ist dabei natürlich auch von der Sachkunde der

Rückmeldenden abhängig. Daraus resultiert die immer wieder erhobene

Forderung, an der Erarbeitung einer Balanced Scorecard alle Mitarbeiter in

geeigneter Form zu beteiligen. Denn erst bei Beteiligung aller Mitarbeiter ist

die gesamte Sachkunde des Unternehmens vertreten. Und wenn dann die

Inhalte von Mission und Vision, die Intentionen der strategischen Zielstel-

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Die Umsetzung der Balanced Scorecard im Unternehmen

227

lungen von allen verstanden werden, ist das Feedback aller auch entspre-

chend offen.

Es geht aber um noch mehr. Mit den Scorecard-Kennzahlen sind konkrete

Daten verbunden. Daten zum Ist und zum SOLL. Inwieweit identifizieren

sich die Mitarbeiter mit diesen Zahlen?

Wenn bereits das IST angezweifelt wird, weil man der Messmethode oder

den messenden Personen nicht traut, ist es um die motivierende Wirkung der

Balanced Scorecard nicht gut bestellt. Derartige Rückmeldungen sollten wir

unbedingt ernst nehmen.

Ähnlich ist es mit dem SOLL. Es ist wie mit den Trauben. Hängen sie zu

niedrig, wird unsere Strategie belächelt. Denn wie soll man ein Ziel als stra-

tegischen Anspruch anerkennen, das man quasi im Vorübergehen ohne grö-

ßere Anstrengung erreichen kann? Hängen sie zu hoch, wird man sich nicht

mehr danach strecken, da sie ja überhaupt unerreichbar sind. Unsere Strate-

gie wird als realitätsfern eingestuft und unter „Ulk“ abgebucht – wie man in

Berlin sagt. Auch hier ist es wichtig, ein Feedback zu erhalten.

12.2.2 Kommunikation und Vertrauenskultur im Unternehmen

Wenn wir uns einmal zu der Erkenntnis von der Nützlichkeit eines breiten

Feedback im Unternehmen durchgerungen haben, müssen wir uns entschei-

den, was wir wollen: ein stärkeres, aktives oder ein eher passives Feedback?

Passives Feedback ist meistens unverfälscht. Darin liegt seine Bedeutung.

Außerdem ist das passive Feedback immer latent vorhanden. Stimmungen

entstehen und vergehen und Informationen werden zu allen Gelegenheiten

ausgetauscht. Ob wir sie als Feedback aufnehmen ist eine andere Sache.

Aber sie sind da.

Nur, passives Feedback ist zufällig, nicht zielgerichtet, nicht kontinuierlich.

Und passives Feedback erfolgt nicht unbedingt zu dem Zeitpunkt, an dem

wir es benötigen. Wenn das vermieden werden soll, ist aktives Feedback

vonnöten.

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Die Umsetzung der Balanced Scorecard im Unternehmen

228

Aktives Feedback muss organisiert werden. Es setzt ein Klima im Unter-

nehmen voraus, das die Mitarbeiter einbezieht in die Vorbereitung von Ent-

scheidungen und das kritische Rückmeldungen fördert und herausfordert,

das Kritik als positives Signal fördert. Und genau dieses Klima begünstigt

die Erarbeitung und Umsetzung einer Balanced Scorecard.

Wer eine Kennzahl selber vorgeschlagen und ihre Definition in Diskussio-

nen mit geprägt hat, wird auch wissen, was sie bedeutet. Und wer darüber

hinaus an der Bestimmung von IST und SOLL beteiligt ist und die Maß-

nahmen zur Erreichung des SOLL selber mit ausarbeitet, wird von der Reali-

tät der Zahlen überzeugt sein. Das ist nicht erst eine Erkenntnis der Balanced

Scorecard. Es gibt ungezählte Beispiele, seien es nun der kontinuierliche

Verbesserungsprozess bei VW, die Qualitätszirkel bei DaimlerChrysler oder

die weit verbreiteten Formen der Gruppenarbeit. Sie demonstrieren die mo-

tivierende Kraft der Einbeziehung von Mitarbeitern in die Entscheidungs-

prozesse des Unternehmens.

In einem Chemieunternehmen diskutieren die Mitarbeiter eigene Vorschläge

für ihre Zielvereinbarungen mit dem Bereichsleiter. Und da sie mit den Ziel-

stellungen für ihren Bereich vorher bekannt gemacht wurden, wissen sie in

etwa, wonach sie sich strecken sollen. Aus dieser gemeinsamen Diskussion

erwächst ein enormes Feedback.

Und auch die Bereichsleiter erarbeiten und diskutieren ihre Zielvereinbarun-

gen gemeinsam mit dem Werkleiter. Dadurch kennen sie die strategische

Orientierung des Werkes genau. Sie waren an ihrer Erarbeitung beteiligt.

Jedes Werk des Chemieunternehmens hat als strategische Geschäftseinheit

im Rahmen des Gesamtkonzerns eine eigene Scorecard. Die dort verfassten

Zielstellungen sind sehr anspruchsvoll, da nur auf diese Weise die Existenz

des Standortes auf Dauer gesichert werden kann. Der Konzern führt für alle

seine Standorte kontinuierliche Leistungsvergleiche. Investitionen erhalten

nur die Werke mit den erfolgversprechendsten Entwicklungspotentialen.

Und ohne Investitionen kann der Standort nicht überleben.

Die strategischen Kennzahlen des Werkes sind Bestandteil der Bereichsziel-

stellungen. Und diese sind wiederum Orientierung für die Zielvereinbarun-

gen mit den Mitarbeitern.

Aus der Art und Weise der unternehmensweiten Scorecard-Diskussion lässt

sich ermessen, inwieweit Mission und Vision im Unternehmen verstanden

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Die Umsetzung der Balanced Scorecard im Unternehmen

229

werden, wie realistisch die strategischen Zielstellungen sind und inwiefern

die mit der Balanced Scorecard festgelegten Herausforderungen als solche

von allen anerkannt und angenommen werden.

Diese breite Einbeziehung aller Mitarbeiter in die strategische Arbeit hat

nicht nur das Klima im Unternehmen verbessert. Es ist ein Klima des Ver-

trauens entstanden.

Die breite Einbeziehung der Mitarbeiter hat auch erstaunliche Initiativen

hervorgebracht. So haben beispielsweise die Mitarbeiter der Werkssicherheit

(einschließlich Empfang) mit ihren Zielvereinbarungen folgende Vorschläge

unterbreitet, verbunden mit dem Willen, diese Vorschläge auch mit umzu-

setzen:

1. Das wechselseitige Meldesystem zwischen dem Einlassdienst und den

einzelnen Abteilungen des Werkes wird verbessert. Der Empfang wird

dahingehend geschult, dass unangemeldete Besucher aufgrund ihrer

Wünsche zielgerichtet der zuständigen Abteilung zugeordnet und

dorthin vermittelt werden. Die Schulungsquote ist eine Kennzahl der

Balanced Scorecard des Empfangs.

Gleichzeitig sind alle angemeldeten Besucher mit dem zugehörigen

Ansprechpartner, der zum Termin anwesend sein wird, dem Empfang

anzukündigen. Der Grad der Ankündigung ist auch eine Kennzahl.

2. Im Unternehmen wird ein Besucherleitsystem eingerichtet. Das ist er-

forderlich, da das Werk seine historisch interessante Bausubstanz trotz

höchster Modernisierung der technischen Anlagen weitgehend erhal-

ten hat. Diese Bausubstanz ist allerdings für den Unkundigen etwas

verwirrend. Das Kundenleitsystem schließt drei verschiedene Kun-

denparkplätze ein. Der Empfang überwacht die Belegung der Park-

plätze und weist den Besuchern einen freien Parkplatz zu, der mög-

lichst in der Nähe der zu besuchenden Abteilung liegt. Darüber hinaus

werden übersichtliche Hinweisschilder erarbeitet und aufgestellt.

Die Einrichtung des Besucherleitsystems erfolgt in drei Etappen. Der

Realisierungsgrad der Etappen ist eine weitere Kennzahl.

Das Beispiel mag belächelt werden, denn die genannten Kennzahlen sind

kaum in höchstem Grad entscheidend für die Entwicklung des Unterneh-

mens. Und natürlich besteht die Balanced Scorecard des Unternehmens auch

nicht aus diesen Kennzahlen. Aber diese Kennzahlen des Empfangs sind Un-

terpunkte im Rahmen des Maßnahmenplans zu strategischen Zielen, die mit

Kennzahlen der Kundenperspektive gemessen werden.

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Die Umsetzung der Balanced Scorecard im Unternehmen

230

Das Beispiel zeigt, dass eine Balanced Scorecard – wenn sie als Führungs-

system verstanden wird – für alle Mitarbeiter motivierende Wirkung haben

kann. Auch wenn es sich „nur“ um den Pförtner, den Empfang handelt!

Und die genannten Kennzahlen haben nachweislich eine positive Auswir-

kung auf die Kundenzufriedenheit. Die Besucher fühlen sich vom ersten

Moment an ernst genommen. Und der erste Eindruck ist oftmals der wich-

tigste!

Die Zielvereinbarungen haben noch einen weiteren wesentlichen Effekt. Da-

durch, dass sie ausdrücklich Bezug nehmen auf die Balanced Scorecard, ent-

steht aus der Auswertung des Erfüllungsgrades dieser Vereinbarungen ein

signifikantes Feedback. Ein Trend zu deutlicher Überbietung signalisiert,

dass die Zielorientierungen nicht anspruchsvoll genug waren. Im umgekehr-

ten Fall signalisiert ein negativer Trend frühzeitig Probleme in der Umset-

zung der erarbeiteten Strategien. Die Geschäftsführung kann auf diese Weise

rechtzeitig reagieren. Sie kann ggf. ihre strategischen Ziele kontinuierlich

den sich ändernden Bedingungen anpassen.

Aus diesem Grund wurde der Erfüllungsgrad der Zielvereinbarungen in das

Controlling des Chemieunternehmens einbezogen. Er wird monatlich berich-

tet, verbunden mit der Voreinschätzung für das Quartal und das Jahresende.

Schließlich sei noch auf einen Aspekt verwiesen. Die Balanced Scorecard

wurde in dem Chemieunternehmen nicht zum Selbstzweck eingeführt. Sie

war eher das Nebenprodukt von Überlegungen, wie eine längere Phase der

Umstrukturierung des Unternehmens am besten durchgeführt werden könn-

te. Umstrukturierungen bringen Unruhe mit sich. Veränderungen verursa-

chen Ängste. Ängste vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, vor unbekannten

Anforderungen, denen man eventuell nicht gerecht werden kann. Oder ein-

fach nur Ängste vor dem Ungewissen.

Diesen Ängsten begegnet man am besten durch frühzeitige Information und

Einbeziehung der Mitarbeiter. Und dafür ist die Erarbeitung einer Balanced

Scorecard ein hervorragendes Hilfsmittel. Das war der Ausgangspunkt in

diesem Fall. Die positiven Auswirkungen auf das Unternehmensklima insge-

samt und die Umsetzung der strategischen Ziele waren ein dankbar aufge-

nommener, aber zunächst nicht vordergründig einkalkulierter „Nebeneffekt“.

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Die Umsetzung der Balanced Scorecard im Unternehmen

231

12.3 Die Einführung der Balanced Scorecard im Unternehmen

Wenn wir praktisch an die Einführung einer Balanced Scorecard herange-

hen, sollten wir folgende Fragen berücksichtigen?

1. Wer ergreift die Initiative und treibt den Prozess voran?

2. Wer soll der „Architekt“ der Balanced Scorecard sein?

3. Womit fangen wir an?

4. Wie weit sollte der Prozess getrieben werden?

5. Wieviel Zeit ist erforderlich?

12.3.1 Die Rolle des Managers

Der Initiator, die treibende Kraft bei der Erarbeitung und Einführung einer

Balanced Scorecard sollte der oberste Manager des Unternehmens sein. Es

geht ja nicht um irgendeinen Teilaspekt. Mit der Balanced Scorecard stellen

wir die zentralen Weichen für die kommenden fünf bis zehn Jahre.

Und diese zentralen strategischen Fragen müssen – wie bereits mehrfach er-

wähnt – Top-Down, von oben nach unten, angegangen werden. Sicher, nicht

vom Top-Manager allein. Balanced Scorecard-Arbeit ist Teamarbeit! Aber

der führende Kopf sollte er schon sein.

Dabei geht es nicht um die Details, die können auch andere erarbeiten. Es

geht darum, den Prozess anzustoßen, ihm das nachhaltige Gewicht einer

zentralen Aufgabe zu geben. Es geht weiterhin darum, den Prozess in Gang

zu halten, ihm neue Impulse zu verleihen, wenn der Elan zu versiegen droht.

Und es geht darum, die notwendigen Entscheidungen zu treffen. In den Zwi-

schenetappen und zum Schluss, wenn es gilt, die Ergebnisse der Arbeit, die

entstandene Balanced Scorecard bei den Anteilseignern zu verkaufen.

Und schließlich – wenn dies mit Erfolg absolviert wurde – geht es darum,

die alltägliche Arbeit mit der Scorecard in der Hand zu behalten. Mit den

erarbeiteten Kennzahlen zu führen! Denn die ganze Anstrengung läuft ins

Leere, wenn anschließend mit der Scorecard nicht konsequent gearbeitet

wird.

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Die Umsetzung der Balanced Scorecard im Unternehmen

232

Diese Verantwortung kann dem Top-Management niemand abnehmen. Und

es sollte sich die Verantwortung auch nicht aus der Hand nehmen lassen.

Denn es gibt kaum ein Instrument, mit dem sich die strategische Führung

eines Unternehmens effektiver umsetzen ließe als mit der Balanced Score-

card. Sie kostet viel Arbeit. Aber sie ist eine große Chance für jeden Mana-

ger. Wenn er gewillt und in der Lage ist, sie zu nutzen.

12.3.2 Die Rolle des Controllers

Zur Rolle des Controllers gibt es bisher nur spärliche Äußerungen in der

Diskussion um das Thema Balanced Scorecard. Dabei bietet gerade die Ba-

lanced Scorecard einen idealen Ansatzpunkt für modernes Controlling.

In vielen Unternehmen hat sich das Controlling allerdings noch nicht sehr

weit vom „Kontrollieren“ entfernt. Controller's Rolle beschränkt sich mehr

oder weniger auf die eines „Berichterstatters“ – zum einen über die Analyse

der Vergangenheit, zum anderen über die Fortschreibung der Vergangenheit

im Budget des kommenden Planungszeitraums.

Diese Situation ist unbefriedigend, weil sie Controlling auf „Zahlen-

Management“ reduziert und eine Misstrauenskultur fördert, die der Entwick-

lung kreativer und motivierter Mitarbeiter diametral entgegensteht. Control-

ling auf dieser Stufe gerät im Zeitalter der modernen, dezentralisierten und

auch für „Computer-Muffel“ immer leichter zu nutzenden Informationsver-

arbeitung in die Gefahr, ein (weg)rationalisierbarer, ein reiner Kostenfaktor

zu werden.

Dem Leitbild des Controllers entspricht diese Rolle eines „Berichterstatters“

nicht. Er sollte nicht nur Zahlen handeln und Vergangenheit interpretieren

bzw. fortschreiben, sondern in erster Linie mit Hilfe von Kennzahlen Zukunfts-

orientierung und Handlungsmotivation vermitteln.

Die Rolle des Controllers wandelt sich dann zu der eines „internen Bera-

ters“. Controlling als interne Beratung kann ein wirksamer Katalysator für

den Zusammenhalt der Mitarbeiter eines Unternehmens sein und somit den

Weg bereiten für den Übergang zu einer vertrauensbasierten Organisations-

kultur.

Sicher sollte man diesen Begriff nicht überstrapazieren; aber das alte Motto

„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ taugt heute immer weniger. Es gilt

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Die Umsetzung der Balanced Scorecard im Unternehmen

233

eher umgekehrt, wobei gut ausgewählte und miteinander verknüpfte Kenn-

zahlen den Orientierungsrahmen geben für eigenverantwortliches und schöp-

ferisches Handeln der Mitarbeiter. In der Rolle des internen Beraters wird so

aus dem „Kostenfaktor“ Controller schnell die Funktion eines „Leistungs-

treibers“, eines unentbehrlichen Partners des Managements.

Allerdings braucht der Controller dazu die Fähigkeit, auf andere Menschen

zuzugehen, ihnen zuzuhören und komplizierte, eher abstrakte Zusammen-

hänge verständlich und nachvollziehbar „auf den Punkt zu bringen“ – er

braucht soziale Kompetenz.

Das Controlling verändert auf diese Weise seinen Charakter. Das Con-

trolling erhält die Funktion einer sozialen Informationsverarbeitung.

Doch um ein wirklicher Partner des Management zu sein, sollte der Control-

ler noch einen Schritt weitergehen: Nicht nur Vermittler von Zukunftsorien-

tierung sein, sondern „Anstifter“ für visionäres Denken und für die Umset-

zung der Vision in praktikables und nachvollziehbares strategisches Handeln

im gesamten Unternehmen! Damit erst erreicht Controlling seine höchste

Ausprägung. Es ist seinen Kinderschuhen entwachsen und übernimmt eine

eigenständige konstruktive Funktion.

Wer im Controlling nicht verkümmern will, sollte versuchen, dem Trend

vom „Berichterstatter“ zum „internen Berater“ und „Anstifter“ zu folgen.

Auf diesem Weg kann die Entwicklung und Einführung einer Balanced Sco-

recard ein äußerst wirksames Hilfsinstrument sein.

Wir haben gelernt, dass eine Balanced Scorecard nur so gut sein wird, wie es

gelingt,

1. eine einprägsame, anspruchsvolle und präzise formulierte visionäre

Zielstellung für die Gesamtorganisation des Unternehmens zu finden,

2. die aus der Vision abzuleitenden Strategien durch die Bestimmung

von Kennzahlen für alle Beteiligten eindeutig und fassbar zu gestal-

ten,

3. die strategisch bedeutsamen Prozesse in allen Ebenen und für alle Per-

spektiven des Unternehmens so zu analysieren, dass die für die Er-

gebniserreichung maßgeblichen Frühindikatoren identifiziert und

durch geeignete Kennzahlen konkretisiert werden können,

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Die Umsetzung der Balanced Scorecard im Unternehmen

234

4. die ausgewählten Kennzahlen in ihrem logischen Zusammenhang zu

verknüpfen und auf die strategischen Hauptziele zu fokussieren,

5. für alle Kennzahlen SOLL und IST sowie Maßnahmen und Verant-

wortlichkeiten zur Zielerreichung festzulegen und sie entsprechend in

den operativen Budgets zu verankern,

6. in einem Top-Down-System die strategische Orientierung der ver-

schiedenen Unternehmensbereiche aus der Strategie der Gesamtorga-

nisation abzuleiten, wobei für die Bereichsstrategien die gleichen An-

forderungen bestehen wie für das Gesamtunternehmen,

7. für alle Mitarbeiter des Unternehmens Zielvereinbarungen abzuschlie-

ßen, die für die Einzelnen nachvollziehbar mit den Kennzahlen der

Balanced Scorecard verbunden sind und ihnen auf diese Weise die

Strategie des Unternehmens als konkrete persönliche Aufgabenstel-

lung „übersetzen“,

8. das Informations-, Berichts- und Auswertungssystem des Unterneh-

mens so zu gestalten, dass alle für die ausgewählten Kennzahlen er-

forderlichen Daten mit ausreichendem Informationsgehalt zur Verfü-

gung stehen und es möglich wird, die Wirksamkeit der Frühindikato-

ren und der logischen Verknüpfungen zwischen den Kennzahlen zu

verifizieren.

Dazu wird ein „Architekt“ benötigt, einer, der die Balanced Scorecard den

spezifischen Bedingungen des Unternehmens entsprechend konstruiert. Die-

ser Architekt muss die Strategie und ihre Details nicht „erfinden“; er muss

nicht der Unternehmens-Guru sein.

Die Funktion des Architekten besteht vor allem in der Moderation und Ver-

mittlung von

Kommunikation,

Zielfindung und

Motivation

mit und für alle Mitarbeiter.

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Die Umsetzung der Balanced Scorecard im Unternehmen

235

Dem modernen Controller ist diese Rolle wie auf den Leib

geschnitten. Also sollte er die Initiative ergreifen getreu der

Devise: „Wer, wenn nicht wir und wann, wenn nicht jetzt“

12.3.3 Mit Mission, Vision und Strategien beginnen

Dass die Arbeit an einer Balanced Scorecard mit der Bestimmung von Mis-

sion und Vision beginnt, haben wir in diesem Buch mehr als einmal betont.

Dennoch einige Anmerkungen zu der immer wieder vertretenen Auffassung:

!Es ist besser, mit der Erarbeitung von Kennzahlen anzufangen, als sich mit

akademischen Diskussionen zu den missionarischen und visionären Ambiti-

onen des Unternehmens aufzuhalten. Wenn die konkreten Kennzahlen, Vor-

gaben und Maßnahmen erst einmal vorliegen, kommen Mission und Vision

von ganz allein.“

Der Gedankenfehler dieser Auffassung besteht darin, dass wir immer eine

Mission und Vision im Kopf haben, wenn wir strategische Kennzahlen for-

mulieren, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht. Und es besteht die gro-

ße Gefahr, dass diese Vorstellungen bei den Beteiligten recht unterschiedlich

ausgeprägt sind, in unterschiedliche, mitunter gegensätzliche Richtungen

zielen. Deshalb macht es ausgesprochen Sinn, diese in den Köpfen latent

vorhandenen Vorstellungen zu Mission und Vision des Unternehmens offen

auszusprechen und einander anzugleichen.

Das vermeidet Aktionismus. Sicherlich kann die Arbeit an den konkreten

Kennzahlen im Nachhinein noch Veränderungen in der Formulierung von

Mission, Vision und daraus abgeleiteten strategischen Zielstellungen bewir-

ken. Aber das ist etwas anderes als das unkoordinierte Entwickeln von

Kennzahlen.

12.3.4 Die Identifikation von Frühindikatoren – ein Kernpunkt

Nachdem wir uns verständigt haben zur Mission und Vision des Unterneh-

mens, nachdem wir die strategischen Ziele entwickelt haben, können wir uns

den Kennzahlen zuwenden. Dabei sollten wir den Frühindikatoren unsere

besondere Aufmerksamkeit widmen. Nicht etwa, weil die Spätindikatoren

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Die Umsetzung der Balanced Scorecard im Unternehmen

236

weniger wichtig sind. Das Problem liegt darin, dass wir zu wenig daran ge-

wohnt sind, in Prozessen zu denken.

Wir erschöpfen die gedankliche Widerspiegelung der Komplexität realer

wirtschaftlicher Zusammenhänge zumeist in Bildung und Definition stati-

scher Ursache-Wirkungs-Ketten. Wir denken in Anfangs- und Endpunkten.

Und das ist für das erste Verständnis der Zusammenhänge auch sinnvoll.

Nur, jeder Endpunkt ist in der Entwicklung auch ein neuer Anfang und jede

Wirkung eine neue Ursache. Wenn wir mit Kennzahlen strategisch führen

wollen, bleibt uns also nichts anderes übrig, als die Prozesse, die Entwick-

lungen zu analysieren, deren Eigenschaften durch die von uns gewählten

Kennzahlen dargestellt werden sollen. Denn wir brauchen Vorstellungen da-

rüber, was heute zu tun ist, um die strategischen Zukunftsziele anzusteuern.

Auf diese Weise identifizieren wir Frühindikatoren.

Dass im Verlaufe des Prozesses, über den Zeitablauf gesehen, die Kennzah-

len ihre Eigenschaft, Früh- oder Spätindikator zu ein, verändern können, ist

in diesem Zusammenhang zweitrangig. Denn das Wichtige liegt primär in

der Analyse der Prozesse, in der Bestimmung der Abhängigkeiten. Dadurch

lernen wir, die wirtschaftlichen Abläufe in unserem Unternehmen besser zu

verstehen. Und besseres Verständnis erschließt uns verbessertes Führungs-

potential. Um dieses verbesserte Führungspotential geht es. Die Identifikati-

on der Frühindikatoren wird uns dabei helfen!

12.3.5 Der Prenzlauer Würfel

Über den Prenzlauer Würfel hatten wir schon im zweiten Kapitel berichtet

Der Prenzlauer Würfel ist eine Entwicklung des Arbeitskreises Berlin-

Brandenburg des Internationalen Controller Vereins eV, entstanden während

einer Tagung in der Nähe von Prenzlau. Er soll die notwendige Komplexität

bei der Entwicklung einer firmenindividuellen Balanced Scorecard verdeut-

lichen.

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Die Umsetzung der Balanced Scorecard im Unternehmen

237

Fristigkeit

Indikator

Perspektive

Finanzen

Kundenorientierung

Geschäftsprozesse

Mitarbeiter

lan

gfr

isti

g

kurz

fris

tig

frühspät

Abbildung 30: Der Prenzlauer Würfel

Jedes Unternehmen sollte die für seine spezifische Leistungserstellung er-

forderlichen

Perspektiven

Fristigkeiten und

Indikatoren

bestimmen:

1. die Perspektiven, um die verschiedenen Sichten auf das Unternehmen

zu erfassen und zu klären, welche Sichten für die strategischen Ziele

ein besonderes Gewicht haben. Es gilt, sich auf diese Sichten zu kon-

zentrieren. In diesem Schritt zerlegen wir gedanklich die Komplexität

des betriebswirtschaftlichen Gesamtprozesses, um uns auf die für un-

sere Strategien entscheidenden Faktoren konzentrieren zu können.

2. die Fristigkeiten, um mit den strategischen Gewichten auch eine stra-

tegische Reihenfolge zu vereinbaren. Hier versuchen wir, diese Fakto-

ren zeitlich zu ordnen.

3. die Indikatoren, um die logischen und zeitlichen Zusammenhänge der

strategischen Faktoren zu erfassen. Dieser soll die zerlegte Komplexi-

tät gedanklich wieder rekonstruieren.

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Die Umsetzung der Balanced Scorecard im Unternehmen

238

Je besser es gelingt, diese „dreidimensionale“ Aufgabe zu lösen, umso wir-

kungsvoller kann die Führungsarbeit mit Hilfe der Balanced Scorecard ge-

staltet werden.

12.3.6 Für jede Unternehmensebene eine eigene Balanced Sco-recard

Unternehmen sind sehr vielfältig in ihren Strukturen. Kleinere Unternehmen

haben zumeist nur eine Ebene, mittlere und große Unternehmen in der Regel

eine mehr oder weniger gegliederte Hierarchie.

Aber auch auf diesem Gebiet hat in den letzten Jahren ein spürbarer Wandel

eingesetzt – zumindest in der öffentlich reflektierten Meinung. Starre Hie-

rarchien werden allgemein als negativer Wettbewerbsfaktor erkannt. Flexib-

le Strukturen, kurze Entscheidungswege, Dezentralisierung und Eigenver-

antwortung erlangen zunehmend an Gewicht – in der öffentlich reflektierten

Meinung. Die praktischen Erfahrungen in vielen Unternehmen legen aller-

dings die Vermutung nahe, dass der Prozess des Umdenkens gerade erst be-

gonnen hat, das heißt noch auf dem Weg in die Köpfe der meisten Manager

ist.

Dementsprechend befinden sich auch die Strukturen der Unternehmen im

Umbruch. Wenn wir in unseren Unternehmen eine Balanced Scorecard erar-

beiten, sollten wir uns auch dieser Problematik stellen. Denn in dem Maße,

wie wir gewillt sind, flache, dezentralisierte und eigenverantwortliche Struk-

turen zu schaffen, benötigen diese Strukturebenen auch ihre eigenständigen

strategischen Orientierungen. Selbstverständlich im Rahmen der strategi-

schen Orientierung des Gesamtunternehmens!

Was liegt näher, als für diese Strukturebenen eigene Balanced Scorecards zu

erarbeiten? Ausgehend von der Mission und Vision erhalten die strategi-

schen Kennzahlen des Gesamtunternehmens den Charakter von Richtzahlen.

Diese Richtzahlen stecken den Rahmen ab für die eigenständigen Entschei-

dungen der dezentralen Einheiten. Auf ihrer Basis erarbeiten sie ihre eigenen

Scorecards. Im Endeffekt entsteht ein „Netz“ über die Unternehmens-

Scorecard miteinander verwobener Struktur-Scorecards.

Auf diese Weise kann die Arbeit an und mit der Balanced Scorecard den

Aufbau moderner Führungsstrukturen wirksam unterstützen. Zum Schluss

erhält die oberste Unternehmensführung die Möglichkeit, die dezentralisier-

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Die Umsetzung der Balanced Scorecard im Unternehmen

239

ten Strukturebenen mit wenigen Kennzahlen zu führen. Die Details wird sie

den Managern der Ebenen überlassen. Denn die sind „Manns oder auch

Frau“ genug, die besten Wege zur Erreichung der strategischen Unterneh-

mensziele selbst herauszufinden. Damit wird die Führungsarbeit effektiver.

Jede Ebene kann sich auf ihre eigenen Aufgaben konzentrieren. Und die Ei-

genverantwortung der Ebenen-Manager steigert im Allgemeinen deren

Selbstvertrauen und Motivation. Denn sie demonstriert Vertrauen. Und Ver-

trauen motiviert.

Wenn wir es denn wollen. Das muss immer wieder betont werden. Das Ma-

nagement muss diese Veränderungen wollen. Sie kommen nicht von selbst,

auch nicht mit einer Balanced Scorecard. Die Scorecard kann dabei helfen,

sie kann das probate Instrument sein, die gewollten Veränderungen anzu-

schieben und nachhaltig zu verankern. Aber das „Wollen“, das Engagement

für Veränderungen, die Grundsatzentscheidung für oder gegen Hierarchie-

denken ersetzen, das kann die Balanced Scorecard nicht.

Allerdings benötigt nicht jede Arbeitsgruppe eine komplette Balanced Sco-

recard. Sie braucht an den Strategien des Unternehmens orientierte Zielver-

einbarungen. Undder zu treibende Aufwand muss gerechtfertigt sein. Nur

tatsächliche eigenständige Verantwortung einer Struktureinheit kann der Er-

arbeitung einer eigenen Balanced Scorecard im umfassenden Sinne einen

praktischen Wert geben. Dabei wollen wir uns jeder absoluten Aussage ent-

halten. Auch diese Frage muss letztlich von jedem Unternehmen nach den

eigenen, ganz spezifischen Gesichtspunkten entschieden werden.

Wenn wir uns dann entschieden haben, geht es an die Arbeit. Und die unter-

scheidet sich nicht wesentlich von der Arbeit an der Unternehmens-Balanced

Scorecard. Nur, dass Mission, Vision und allgemeingültige Strategien schon

formuliert sind. Mission und Vision bleiben Zielpunkte des Unternehmens

über alle Ebenen hinweg. Demzufolge beginnt die Arbeit der Ebenen mit der

spezifischen Formulierung der strategischen Ziele, gefolgt von der Charakte-

ristik der wichtigsten Perspektiven und all den weiteren Schritten, die wir

bereits beschrieben haben.

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Die Umsetzung der Balanced Scorecard im Unternehmen

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12.3.7 Wieviel Zeit sollte man sich nehmen?

Wenn wir die Balanced Scorecard ernsthaft als ein strategisches Führungsin-

strument aufbauen, nachhaltig installieren wollen, sollten wir uns nicht unter

Zeitdruck setzen. Denn es gilt, nicht einfach „ein paar Kennzahlen“ zu kreie-

ren und mit einer mehr oder weniger geeigneten Software abzubilden. Es

gilt, Denkprozesse anzuregen, Verhaltensänderungen auszulösen, Bezie-

hungsgeflechte zu beeinflussen. Und all das braucht Zeit und Geduld. Zeit

und Verständnis. Zeit und Einfühlungsvermögen. Zeit für die Festigung je-

nes Vertrauensklimas, das Voraussetzung ist für eine ungezwungene und

offene Kommunikation.

Erst wenn es uns gelingt, ein Klima der offenen und konstruktiv kritischen

Kommunikation im Unternehmen und mit allen Partnern des Unternehmens

zu erreichen, werden wir das Potential der Balanced Scorecard ausschöpfen

können.

Natürlich gilt auch hier der Spruch: „Auf das Maß der Dinge kommt es an!“

Wir können uns auch soviel Zeit lassen, dass wir gar nicht erst anfangen.

Oder kurz nach dem Start vor lauter Geduld und Warten auf die „reifenden

Denkprozesse" praktisch wieder aufhören. Es gibt auch Beispiele, dass Un-

ternehmen aufgrund unvorhergesehener kritischer Situationen die Arbeit an

einer Balanced Scorecard „unterbrochen" haben, um zunächst einmal die

operativen „Feuerwehr“-Arbeiten durchzuführen. In der Konsequenz führt

das dazu, dass wir den Problemen in der Arbeit an einer Balanced Scorecard

ausweichen. Zum Schluss sind wir nicht weiter als am Anfang.

Umgekehrt lässt sich eine Balanced Scorecard auch nicht im „Schnelldurch-

lauf“ erarbeiten, nach der Devise: „Am anderen Ufer treffen!" Dann wird die

eigentliche Kraft der Scorecard nicht erschlossen werden können. Dann wird

bestenfalls eine Gruppe von Kennzahlen zusammengestellt. Die Kommuni-

kation der strategischen Ziele ist unter Zeitdruck nur eingeschränkt möglich.

Also gilt es, das geeignete Maß zu finden. Wie immer sollte jedes Unter-

nehmen sein eigenes Maß bestimmen. Es hängt davon ab, welche Kultur im

Unternehmen herrscht, welche Controllinginstrumente bereits praktisch ge-

nutzt werden, welches Engagement das oberste Management an den Tag

legt. Aber selbst bei besten Voraussetzungen sollte nach unseren Erfahrun-

gen der Erarbeitung einer Balanced Scorecard, die diesen Namen verdient,

ein Zeitraum von wenigstens sechs Monaten eingeräumt werden.

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Die Umsetzung der Balanced Scorecard im Unternehmen

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Dann erfolgt eine Implementierungsphase. Erprobung und Einführung über

alle Ebenen benötigt weitere Zeit – selbstverständlich abhängig von der An-

zahl der Strukturebenen, die eigenständige Scorecards erarbeiten.

Insgesamt sollte man von einem Zeitraum von bis zu zwei Jahren für die Er-

arbeitung, Implementierung und nachhaltige Verankerung einer Balanced

Scorecard im Unternehmensalltag ausgehen. Und das ist es ja, was wir letzt-

lich anstreben.

12.3.8 Ein Einführungsplan

Wir haben gute Erfahrungen damit gesammelt, die Erarbeitung einer Balan-

ced Scorecard in Module zu zerlegen.

Modul 1: Vision und Strategie

Überarbeitung der Unternehmensvision und der daraus abgeleiteten Strate-

gien, Festlegung grundsätzlicher Kennzahlen durch die erste und zweite Lei-

tungsebene.

1.1 Einführungsworkshop

Im Einführungsworkshop sollen die Teilnehmer mit den Grundgedan-

ken der Balanced Scorecard vertraut gemacht werden. Hierzu ist es

sinnvoll, entweder im Vorfeld einen eigenen Mitarbeiter – möglichst

den zukünftigen „Architekten“ der Scorecard – gezielt durch ausrei-

chende Weiterbildung zu spezialisieren oder externe Berater einzube-

ziehen.

1.2 Einzelinterviews mit den Teilnehmern des Einführungsworkshops

Die Einzelinterviews haben die Funktion, in vertraulichem Kreis ein-

zelne Aspekte und individuelle Ansichten zu beleuchten und zu identi-

fizieren, die erfahrungsgemäß in größerer Runde und „öffentlich“

nicht oder nicht so ausführlich geäußert werden.

Die Interviews sollten durch den Scorecard-Architekten oder externe

Berater (oder in Zusammenarbeit) durchgeführt werden.

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1.3 Feedback-Seminar und grundsätzliche Entscheidung zur Einführung

der Balanced Scorecard

In diesem Seminar werden die Ergebnisse der einzelnen Interviews

zusammengefasst und erste Entscheidungen getroffen. Die Moderati-

on sollte auch hier durch den Scorecard-Architekten oder externe Be-

rater (oder in Zusammenarbeit) durchgeführt werden.

Der Zeitaufwand für die Beteiligten beim Modul 1 beträgt ca. drei bis vier

Tage.

Modul 2: Know-how-Übertragung

Schulung einiger Mitarbeiter zur selbständigen Gestaltung des Balanced

Sorecard-Prozesses im gesamten Unternehmen; dieser Aspekt ist eminent

wichtig. Durch die Ernennung und Qualifikation von „Balanced Sorecard-

Beauftragten“ erhält der Prozess eine „innere“ Basis zur breiten Einbezie-

hung aller Mitarbeiter. Die Chancen wachsen so, den Prozess im Denken

und Fühlen der Mitarbeiter zu verinnerlichen.

2.1 Intensivtraining mit den Balanced Scorecard-Beauftragten

Das Intensivtraining hat zwei Aufgaben: Zum einen sollen die Grund-

lagen, das Denkgerüst der Balanced Scorecard in der zweiten Ebene

vermittelt werden. Zum anderen gilt es, die Beauftragten mit den Er-

gebnissen des ersten Moduls bekannt zu machen (sofern diese nicht

bereits integriert waren).

2.2 Eigenständige Arbeitsgruppentätigkeit der Balanced Sorecard -

Beauftragten

In den Arbeitsgruppen sollen die im ersten Modul ausgewählten

Kennzahlen konkret ausgestaltet werden. Es geht um

um ihre Definition,

um die Ausgestaltung ihrer Messmethoden,

um die Bestimmung von IST und SOLL,

um die Ableitung geeigneter Maßnahmen,

die Benennung von Verantwortlichen,

um Regelungen zur Motivation der Verantwortlichen.

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Die Umsetzung der Balanced Scorecard im Unternehmen

243

Gegebenenfalls können dabei auch Vorschläge für weitere

Kennzahlen, andere Kennzahlen oder präzisere Formulierungen

der strategischen Ziele entstehen. Das sollte erwünscht sein.

2.3 Auswertungsworkshop der Arbeitsgruppen mit Präsentation der Er-

gebnisse und der abschließenden Entscheidung zur Umsetzung der er-

arbeiteten Balanced Scorecard im Unternehmen.

In diesem Workshop sollten die grundsätzlichen Entscheidungen für

die obersten Leistungsgremien (Anteilseigner) vorbereitet und die

Weichen gestellt werden für die Einführung der Balanced Scorecard

auf allen Ebenen des Unternehmens.

Modul 3: Umsetzung

Einführung der Balanced Scorecard auf allen Ebenen

3.1 Herunterbrechen von strategischen Zielen und Verknüpfung mit dem

operativen Budget/Maßnahmenplan für alle Verantwortungsbereiche

Hier geht es um drei Prozesse:

1. die Erarbeitung eigener Balanced Scorecards für strategisch eigen-

ständige Strukturebenen (sofern dies für das Unternehmen relevant

ist); dabei sollte jede Ebene ebenfalls einen entsprechenden, in Modu-

len gestalteten Weg gehen,

2. die Erarbeitung von mit den Kennzahlen der Balanced Scorecard

verbundenen Zielvereinbarungen,

3. die Verknüpfung der Kennzahlen mit dem operativen Budget.

3.2 Festlegen von Kennzahlen

Im Rahmen der Scorecard-Vorgaben werden anschließend die persön-

lichen Zielvereinbarungen konkret an obige Kennzahlen gebunden.

3.3 Umstrukturieren des internen Berichtssystems

Das Berichtssystem sollte selbstverständlich an die Struktur der Ba-

lanced Scorecard angepasst werden, damit die Scorecard in der tägli-

chen Arbeit des Unternehmens eingebunden bleibt.

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Die Umsetzung der Balanced Scorecard im Unternehmen

244

3.4 Rückkoppelung des Balanced Scorecard-Prozesses

Im Zusammenhang mit der Umgestaltung oder Anpassung des Be-

richtssystems sollten auch Regelungen getroffen werden, wie die akti-

ve Rückkoppelung erfolgen kann, um immer und aus allen Ebenen ein

aktives Feedback zu erhalten.

Und nun müssen wir nur noch dafür sorgen, dass der Prozess am Leben

bleibt. Dass notwendig werdende Veränderungen am System rechtzeitig er-

kannt und dann auch umgesetzt werden. Dass die Balanced Scorecard nicht

erstarrt. Damit unsere Scorecard das Leben nicht ignoriert.

Und nach einigen Jahren werden wir uns fragen, wie wir vorher ohne eine

Balanced Scorecard überhaupt strategisch führen konnten. Also fangen wir

heute an, und sichern wir uns die Erfolge von morgen!

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Dreizehn Regeln für den Erfolg

245

13. Dreizehn Regeln für den Erfolg

Es ist hoffentlich bewusst geworden, welche häufig in Unternehmen verbor-

genen Möglichkeiten es gibt, die mit der Balanced Scorecard ans Licht ge-

bracht werden können, um Motivation zu erzeugen, um Fähigkeiten der Mit-

arbeiter umfassend und zielgerichtet einzusetzen, um Strategien erfolgreich

zu verfolgen und Unternehmensvisionen zu erreichen.

Lassen Sie uns abschließend versuchen, die Arbeit an und mit der Balanced

Scorecard in einige wenige Grundregeln zusammenzufassen:

1. Arbeiten Sie im Team.

Ein aufeinander eingespieltes, kommunikationsfähiges Team ist im-

mer besser als ein Einzelner. Profitieren Sie daher von dem Know-

how und der Motivation Ihrer Kollegen und Mitarbeiter.

2. Es geht nur Top Down.

Die Arbeit an der Balanced Scorecard beginnt mit der gemeinsamen

Definition von Unternehmensmission und Vision und den darauf ab-

gestimmten strategischen Zielen. Dies kann nur die „oberste Heeres-

leitung“, nur das Top-Management, nur die Geschäftsführungsebene

in Zusammenarbeit mit den nachfolgenden Bereichen festlegen. Und

dann muss sie den Prozess der Implementierung der Balanced Score-

card im gesamten Unternehmen begleiten, verfolgen, steuern und die

kontinuierliche Überarbeitung von strategischen und auch operativen

Zielen in die Hand nehmen.

3. Teilen Sie Mission und Vision mit Ihren Mitarbeitern.

Jeder Unternehmer hat Träume, die aber nicht nur in seinem Kopf

bleiben sollten. Sonst bleiben es Träume. Besprechen Sie diese Träu-

me über die Zukunft Ihres Unternehmens mit dem Führungskreis und

kleiden Sie diese Träume in zwei, drei verständliche Sätze: „Wie und

als was wollen wir in der Öffentlichkeit gesehen werden (Mission)“

und „ Wo wollen wir in fünf oder zehn Jahren stehen (Vision)“.

4. Gehen auch die Strategien durch Kopf und Bauch?

Nicht nur Mission und Vision müssen allen Mitarbeitern verständlich

nahe gebracht werden. Auch gilt es, aus Mission und Vision heraus

Strategien für das Unternehmen zu entwickeln und intern so zu ver-

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Dreizehn Regeln für den Erfolg

246

kaufen, dass jeder Mitarbeiter im Unternehmen diese als Zielstellung

für seine tägliche operative Arbeit versteht.

5. Setzen Sie anspruchsvolle, aber auch realistische Ziele.

Erinnern Sie sich immer des Grundprinzips der Motivation:

Ziele müssen verständlich dargestellt und mit großen Anstrengungen

auch erreichbar sein. Taktischerweise sollten derart hoch angesetzte

Ziele in Etappen, über Meilensteine erreicht werden können – step by

step.

6. Nutzen Sie ausschließlich strategisch orientierte Kennzahlen.

Ziele setzen reicht allein nicht aus. Wer führen will, muss messen:

IST und SOLL, die Zielerreichung. Allein schon deswegen, weil der-

jenige, der für die Zielerreichung verantwortlich ist, wissen muss, wo

er steht.

Damit die Kraft im Unternehmen zielgerichtet eingesetzt wird, sollten

die Kennzahlen der Balanced Scorecard nur das messen, was Ziel ist:

die Umsetzung der Strategie.

7. Weniger ist mehr.

Man muss sich im Alltag konzentrieren auf die wirklich wichtigen

Dinge, und hierzu gehören wenige, aber die richtigen Kennzahlen.

Welche die richtigen sind, müssen Sie in Zusammenarbeit mit dem

Leitungsteam erarbeiten. Auch, ob 10 Kennzahlen ausreichend sind,

oder vielleicht doch 15 – aber weniger ist meistens mehr!

8. Verknüpfen Sie Kennzahlen mit Verantwortung.

Was nützen die schönsten Kennzahlen, wenn aus der damit gemesse-

nen Zielerreichungsquote keine Folgerungen gezogen werden? Daher:

Zu jeder Kennzahl gehören: „Was muss getan werden, um das Ziel zu

erreichen?“ und „Wer ist verantwortlich?“.

9. Steuern Sie mit Vertrauen und erreichen Sie so Feedback.

Wer weiß, ob Sie die richtigen Strategien verfolgen, ob die richtigen

Strategien mit den richtigen Kennzahlen gemessen werden, ob Ihre

(potentielle) Kundschaft sich schneller umorientiert als Ihr Unterneh-

men? Nutzen Sie die Nähe Ihrer Mitarbeiter zum Kunden, zum Markt.

Vielleicht fühlen diese viel eher den Puls der Zeit.

Halten Sie die Diskussionen im Unternehmen offen, hören Sie sich die

Meinung aller, auch von Kunden und Lieferanten an – und entschei-

den Sie nicht im Elfenbeinturm.

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Dreizehn Regeln für den Erfolg

247

10. Verbinden Sie die Scorecards der Unternehmensebenen mit der Sco-

recard des Gesamtunternehmens.

Wenn alle Mitarbeiter die Unternehmensstrategie kennen und in ihre

Tätigkeit einbeziehen, warum sollten sie nicht auch an der Umsetzung

der Strategie in ihrem Verantwortungsbereich gemessen werden? Je-

der Bereich, jede Abteilung wirkt an der Strategie mit und sollte eige-

ne Kennzahlen, eine eigene Balanced Scorecard haben.

11. Passt Ihre Balanced Scorecard auf eine Seite?

Der Markt bewegt sich schnell, daher nutzen Sie eine visualisierte

Darstellung Ihrer Zielerreichung.

12. Reagieren Sie auf Veränderungen.

Beschäftigen Sie sich intensiv mit den Kennzahlen, die vom Plan ab-

weichen – gab es Sonderfaktoren, ziehen die Mitarbeiter nicht mit,

war der Plan falsch? Besprechen Sie monatlich die Umsetzung der

Strategien im Unternehmen.

13. Finden Sie Ihre eigene Handschrift.

Keine Balanced Scorecard gleicht einer anderen. Jedes Unternehmen,

jeder Unternehmensbereich muss seinen Weg gehen, um am Markt zu

überleben. Werden Sie sich der Stärken Ihres Unternehmens bewusst

und erarbeiten Sie gemeinsam Ihre Balanced Scorecard.

Fangen Sie an!

Der Markt wartet nicht, der Wettbewerb schläft nicht –

die Balanced Scorecard hilft Ihnen, mit vorn zu sein.

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Dreizehn Regeln für den Erfolg

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Zusammenfassung der Balanced Scorecards der Beispielunternehmen

249

14. Zusammenfassung der Balanced Scorecards der Beispielunternehmen

Zusammenfassend haben wir noch einmal die Balanced Scorecards mit allen

Missionen, Visionen, Strategien und Kennzahlen für die sechs Musterunter-

nehmen aufgeführt.

Diese Aufzählung soll Anregung geben, sich im eigenen Unternehmen an

die gemeinsame Arbeit zu machen, Wettbewerbsvorteile und neue Chancen

am Markt zu suchen. Nutzen Sie hierzu das Potential Ihrer Mitarbeiter,

kommunizieren Sie miteinander und führen Sie gemeinsam im Unternehmen

die Balanced Scorecard ein. Steuern Sie in die richtige Richtung!

14.1 Regionales Kreditinstitut

Mission Ihre schnelle Bank

Vision Wir werden die profitabelste Regionalbank.

Strategien a) Kreditentscheidungen für Baukredite treffen wir

innerhalb von 24 Stunden.

b) In vier Jahren wollen wir mit unseren Kunden

mindestens 50% aller Transaktionen über das

Electronic Banking abwickeln.

Kundenperspektive Neukunden für elektronisches Bankgeschäft

Kundengewinnung durch Empfehlungen

Dauer des Kreditgespräches

Anteil Kreditabschlüsse beim Kunden

Geschäftsprozessperspektive Zeitbedarf für Kreditgewährung

Anteil abgelehnter Anträge

durchschnittliche Kundenwartezeit

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Zusammenfassung der Balanced Scorecards der Beispielunternehmen

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Mitarbeiterperspektive Schulungsquote

Anzahl Kontoeröffnungen

Nutzungsquote Electronic Banking

Nutzungsquote „Bankomat“

Finanzperspektive Anteil elektronischer Aufträge

Wachstum Kreditvolumen/Einlagen

Ausfallquote bei Krediten

öffentliche Perspektive Anzahl Kontakte zu Bürgermeistern

14.2 Automotive-Zulieferer

Mission Good vibrations mit XYZ

Vision Weltmarktführer für Schwingungstechnik

Strategien a) Umsatzverdoppelung in 4 Jahren

b) 50% Umsatzanteil von neuen Produkten

Kundenperspektive Wachstum des Marktanteils an Dieselmotoren-

Schwingungstechnik

Gemeinsame Kontakte von Vertrieb und Entwicklung

zu Kunden, um Beziehungspartnerschaften aufzubauen

Geschäftsprozess- Zeitbedarf bis zur Produktionsreife

perspektive Anzahl Patente

Automatisierungsgrad

Mitarbeiterperspektive teamübergreifende technische Schulungen

Teilnehmer an firmenübergreifenden Qualifizie-

rungsmaßnahmen

Kundendurchdringung eines Schwingungskongresses

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Zusammenfassung der Balanced Scorecards der Beispielunternehmen

251

Finanzperspektive Wachstum mit neuen Produkten

Gewinnspanne in bestehenden Märkten

Lieferantenperspektive DV-Integration mit Zulieferern

Kommunikationsperspektive Teilnahmequote an betriebsinternen Veran-

staltungen

14.3 Handwerk/Dienstleister

Mission Ihr Backshop – schnell und knusprig

Vision Wir haben zufriedene Kunden und starkes

Unternehmenswachstum durch schnelles

Zusatzgeschäft.

Strategie Neue Techniken in Produktion und Vertrieb befähi-

gen uns, jährlich unseren Umsatz zu verdoppeln –

insgesamt und insbesondere mit unseren Stamm-

kunden.

Kundenperspektive Umsatzanteil der „Kundenkreditkarten“

Umsatzwachstum pro Einkauf

Geschäftsprozessperspektive Zeitbedarf bis zur Filialeröffnung

Umsatzanteil von „Spontanartikeln“

Anzahl der Beschwerden und durchschnittliche Reak-

tionszeit

Mitarbeiterperspektive Mitarbeiterfluktuation

Anteil an die Warenwirtschaft angeschlossener Filia-

len

Finanzperspektive Umsatzanteil der 20 gängigsten Artikel

Umsatz pro Kartenzahlvorgang

Kreditgeberperspektive Anzahl Kontakte der Filialleiter zur örtlichen

Bank

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Zusammenfassung der Balanced Scorecards der Beispielunternehmen

252

14.4 Küchenmaschinenhersteller

Mission Scharf auf alles, was zu schneiden ist.

Vision Wir wollen in Europa der Spezialist für regional spe-

zifische Schneidetechnik im Großküchenbereich sein.

Strategien Wir wollen die Kommunikation mit Interessenten und

Kunden erheblich intensivieren.

Unser Innovationspotential wird durch Zusammenar-

beit mit externen Entwicklern ausgebaut.

Kundenperspektive Feedback auf die Produktunterlagen

Reaktionszeit auf Kundenreklamationen

Geschäftsprozess- Wachstum Anzahl der aus Kundenkontakten

perspektive ermittelten Innovationswünsche und -ideen

Bearbeitungszeit/Durchlaufzeit

interner/externer Aufwand für Konstruktion, bezogen

auf den jeweiligen Umsatz

Mitarbeiterperspektive Entscheidungsspielraum für Mitarbeiter des Ver-

triebes

Wachstum der Verbesserungsvorschläge der externen

F&E-Partner

Finanzperspektive Umsatzanteil Neukunden

Umsatzanteil neuer Produkte

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Zusammenfassung der Balanced Scorecards der Beispielunternehmen

253

14.5 Kfz-Anhängerhersteller

Mission Wir bewegen Ihre Last.

Vision Wir bewegen jede Last.

Strategien a) Unser Vertriebsnetz wird erheblich ausgeweitet,

damit wir deutschlandweit bekannt werden als Her-

steller von Spezial-Lkw-Anhängern.

b) Umsatzausweitung durch neue Anwendungsgebie-

te

Kundenperspektive Lieferzeit

Wachstum der Interessentenanfragen für die neue

Produktgruppe

Geschäftsprozess- Umsatzanteil neuer Produkte

perspektive Anteil der Aufträge mit konstruktiven Veränderungen

nach der Auftragserteilung

Wachstum der Provisionssummen für neue Kunden

(regional differenziert)

Wachstum der Provisionen für „Wiederkäuferumsät-

ze“

Mitarbeiterperspektive Wachstum der Teilnehmerzahl bei Vertriebspart-

ner-Workshops

Anzahl Internet-Zugriffe

Finanzperspektive Umsatzwachstum je Vertriebsmitarbeiter

Vertriebskostenanteil

Umsatz aus neuen Anwendungsgebieten

Organisationsperspektive Aufbau Vertriebsnetz

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Zusammenfassung der Balanced Scorecards der Beispielunternehmen

254

14.6 Spezialitätenbrauerei

Mission Ihr nationales Gsüffiges

Vision Wir werden bis 2002 die Nr. 1 in Deutschland.

Strategien a) Wir wollen der beste/größte Partner für den Ge-

tränkefachgroßhandel in unserem regionalen Raum

sein und mindestens einen Fachgroßhandel in allen

deutschen Ballungsgebieten neu gewinnen.

b) Die Abverkaufsmenge je Outlet muss verdoppelt

werden.

Kundenperspektive Anteil des Unternehmens am regionalen Absatz

Anzahl Teilnehmer an Preisausschreiben

Geschäftsprozess- Anzahl der Produkt- und Verpackungsvarianten

perspektive Lieferfähigkeit

Mitarbeiterperspektive Anteil neu gewonnener Fachgroßhändler mit mehr

als x Hektolitern Abnahme pro Monat

Zahl der verkaufsunterstützenden Stunden am POS

(Point of Sale)

Finanzperspektive Umsatz-/Absatzwachstum im regionalen Raum

Wachstum des Umsatzanteils außerhalb der heimatli-

chen Region

Einführungsperspektive Anwendungsgrad der Balanced Scorecard in

allen Unternehmensteilen

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Literaturverzeichnis

255

15. Literaturverzeichnis

Dieses Literaturverzeichnis erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, je-

doch hoffen wir, (fast) alle deutschsprachigen Darstellungen der Balanced

Scorecard bzw. der Arbeit mit der Balanced Scorecard aufgenommen zu ha-

ben.

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Eine noch umfassendere Literaturübersicht finden Sie unter

http://www.scorecard.de