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19 19 Stoffwechsel der Purine und Pyrimidine Georg Löffler, Monika Löffler 19.1 Biosynthese von Purin- und Pyrimidinnucleotiden – 586 19.1.1 Biosynthese von Purinnucleotiden – 586 19.1.2 Biosynthese von Pyrimidinnucleotiden – 590 19.1.3 Biosynthese von Desoxyribonucleotiden – 591 19.1.4 Regulation der Biosynthese von Purin- und Pyrimidinnucleotiden – 593 19.1.5 Hemmstoffe der Purin- und Pyrimidinbiosynthese – 596 19.2 Wiederverwertung von Purinen und Pyrimidinen – 597 19.3 Abbau von Nucleotiden – 599 19.3.1 Abbau von Purinnucleotiden – 599 19.3.2 Abbau von Pyrimidinnucleotiden – 601 19.4 Pathobiochemie – 602 19.4.1 Purinstoffwechsel – 602 19.4.2 Pyrimidinstoffwechsel – 604 Literatur – 605

19 - Stoffwechsel Der Purine Und Pyridimidine

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19 Stoffwechsel der Purine und Pyrimidine

Georg Löffler, Monika Löffler

19.1 Biosynthese von Purin- und Pyrimidinnucleotiden – 58619.1.1 Biosynthese von Purinnucleotiden – 58619.1.2 Biosynthese von Pyrimidinnucleotiden – 59019.1.3 Biosynthese von Desoxyribonucleotiden – 59119.1.4 Regulation der Biosynthese von Purin- und Pyrimidinnucleotiden – 59319.1.5 Hemmstoffe der Purin- und Pyrimidinbiosynthese – 596

19.2 Wiederverwertung von Purinen und Pyrimidinen – 597

19.3 Abbau von Nucleotiden – 59919.3.1 Abbau von Purinnucleotiden – 59919.3.2 Abbau von Pyrimidinnucleotiden – 601

19.4 Pathobiochemie – 60219.4.1 Purinstoffwechsel – 60219.4.2 Pyrimidinstoffwechsel – 604

Literatur – 605

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586 Kapitel 19 · Stoffwechsel der Purine und Pyrimidine

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>> Einleitung

Purine und Pyrimidine haben als Bausteine von Coenzymen wichtige Aufgaben, darüber hinaus dienen sie in Form ihrer zuge-hörigen Nucleinsäuren der Informationsspeicherung und -weitergabe in biologischen Systemen. Für die Biosynthese der Purin- und Pyrimidinbasen werden einfache Bausteine als Substrate verwendet, wobei häufig als Zwischenprodukte die reaktions-freudigeren Nucleotide benutzt werden.

Die Kenntnis der Biosynthesewege hat nicht nur zu einem tieferen Verständnis der Regulation der beteiligten Vorgänge geführt, sondern lieferte auch die Ansatzpunkte zur erfolgreichen Entwicklung von Arzneimitteln, die durch Beeinträchtigung der Purin- bzw. Pyrimidinbiosynthese als Cytostatica verwendet werden. Darüber hinaus hat sich die Möglichkeit zur Entwick-lung von Arzneimitteln eröffnet, die zur Behandlung der Gicht als einer der klassischen, seit Jahrtausenden bekannten und gefürchteten Erkrankungen des Menschen eingesetzt werden können.

19.1 Biosynthese von Purin- und Pyrimidinnucleotiden

19.1.1 Biosynthese von Purinnucleotiden

! Das Puringerüst wird aus Glutamin, Aspartat, Glycin sowie Formiat und HCO3

– aufgebaut.

Schon in den fünfziger Jahren konnte experimentell durch Einsatz isotopenmarkierter Verbindungen die Herkunft der einzelnen, am Aufbau des Puringerüstes beteiligten C- und N-Atome nachgewiesen werden (. Abb. 19.1).

! Purine werden als Ribonucleotide synthetisiert.

Der Mechanismus dieser Biosynthese wurde erst verständ-lich, als gezeigt werden konnte, dass entgegen den Erwar-tungen nicht zuerst das Puringerüst synthetisiert und da-nach die N-glycosidische Bindung mit Ribose geknüpft wird. Die Biosynthese erfolgt vielmehr von der ersten Reak-tion an in Form eines zunächst offenen, später ringför migen Ribonucleotids. Dazu ist zunächst die Biosynthese eines reaktionsfreudigen Derivats des Ribose-5-phosphats not-wendig.

Biosynthese von 5-Phosphoribosyl-1-α-Pyrophosphat.Um die reaktionsfähige Verbindung 5-Phosphoribosyl-1-α-Pyrophosphat (PRPP) herzustellen, wird ein Zwischen-produkt des Hexosemonophosphatwegs (7 Kap. 11.1.2),nämlich Ribose-5-phosphat, pyrophosphoryliert (. Abb. 19.2). Diese Reaktion ist insofern ungewöhnlich, als eine aus

dem - und -Phosphat des ATP bestehende Pyrophosphat-gruppe in -Stellung auf das C1-Atom des Ribose-5-phos-phats übertragen wird. Die für diese Reaktion verantwort-liche PRPP-Synthetase ist nicht ausschließlich für die Biosyn-these von Purinnucleotiden spezifisch, sondern wird auch bei der Biosynthese von Pyrimidinnucleotiden be nötigt.

Biosynthese von Inosinmonophosphat. Durch schritt weise Anlagerung der einzelnen C- und N-Atome an das PRPP wird nun der Purinring aufgebaut. In insgesamt 10 Reaktions-schritten entsteht Inosinmonophosphat (IMP) (. Abb. 19.3):4 Anlagerung des N-Atoms 9 des Puringerüsts. Der

Stickstoff entstammt dem Amid-Stickstoff des Gluta-mins und wird unter Abspaltung der Pyrophosphat-gruppe und gleichzeitiger Inversion am C-Atom 1 der Ribose angelagert, sodass 5-Phosphoribosyl-1β-Amin(PRA) entsteht (Schritt (1))

4 Anlagerung der Atome 4, 5 und 7 des Puringerüsts. An PRA wird in einer ATP-abhängigen Reaktion Glycinunter Bildung einer Säureamidbindung zwischen seiner Carboxylgruppe und der Aminogruppe des 5-Phos-phoribosylamins angelagert, wobei Glycinamidribo-nucleotid (GAR) entsteht (Schritt (2))

. Abb. 19.1. Herkunft der Kohlenstoff- und Stickstoffatome im Puringerüst. THF = Tetrahydrofolat . Abb. 19.2. Pyrophosphorylierung von D-Ribose-5-Phosphat

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19.1 · Biosynthese von Purin- und Pyrimidinnucleotiden19587

. Abb. 19.3. Reaktionen der Purinbiosynthese bei Vertebraten. (Einzelheiten 7 Text)

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588 Kapitel 19 · Stoffwechsel der Purine und Pyrimidine

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4 Anlagerung des C-Atoms 8 des Puringerüsts an die freie Aminogruppe des GAR. Es wird als Formylrest durch N10-Formyltetrahydrofolat übertragen, wobei Formylglycinamid-Ribonucleotid (FGAR) entsteht (Schritt (3))

4 Anlagerung des N-Atoms 3 des Puringerüsts. In einer ATP-abhängigen Reaktion wird das C-Atom 4 amidiert. Der Stickstoff stammt wiederum vom Amid-Stickstoff des Glutamins, das dabei in Glutamat übergeht. Es ent-steht Formylglycinamidin-Ribonucleotid (FGAM) (Schritt (4))

4 Bildung des Imidazolrings des Puringerüsts. Diese erfolgt in einer wiederum ATP-abhängigen Reaktion durch Ringschluss zwischen dem C-Atom 8 und N-Atom 9. Es entsteht Aminoimidazol-Ribonucleotid (AIR) (Schritt (5))

4 Anlagerung des C-Atoms 6 des Puringerüsts. An AIR wird in einer reversiblen Reaktion CO2 angelagert, womit auch das C-Atom 6 des Purinkörpers gebildet ist und das 4-Carboxy-5-Aminoimidazol-Ribonucleotid(CAIR) entsteht. Auffallenderweise erfolgt die Carbo-xylierung ohne Einschaltung von Biotin. Im Gegensatz zu Mikroorganismen benötigen Vertebraten dazu kein ATP (Schritt (6))

4 Anlagerung des N-Atoms 1 des Puringerüsts. Hierfür werden zwei Reaktionen benötigt. Zunächst wird in einer ATP-abhängigen Reaktion am C-Atom 6 Aspartat angelagert, sodass 5-Aminoimidazol-4-N-Succino-carboxamidribonucleotid (SAICAR) entsteht (Schritt (7))

4 Von dieser Verbindung wird Fumarat abgespalten, so-dass 5-Aminoimidazol-4-Carboxamidribonucleotid(AICAR) entsteht. Diese Art der Übertragung einer Aminogruppe kommt auch bei verschiedenen Reak-tionen des Aminosäurestoffwechsels und beim Harn-stoffzyklus (7 Kap. 13.5.2) vor. Aspartat stellt gewisser-maßen das Trägermolekül für die Aminogruppe dar (Schritt (8))

4 Anheftung des C-Atoms 2 des Puringerüsts. Das noch fehlende C-Atom 2 wird wieder als Formylrest durch N10-Formyltetrahydrofolat an das Atom 3 angelagert, sodass 5-Formamidoimidazol-4-Carboxamid-Ribo-nucleotid (FAICAR) entsteht (Schritt (9))

4 Durch einfache Wasserabspaltung zwischen dem C-Atom 2 und dem N-Atom 1 erfolgt ohne ATP der Schluss des zweiten Rings, wobei Inosinmonophosphat (IMP, Inosinsäure) gebildet wird (Schritt (10))

! IMP ist der Startpunkt der Biosynthese von AMP und GMP.

Vom IMP startet die Biosynthese der beiden anderen Purinnucleotide Adenosinmonophosphat (AMP, Adenyl-säure) und Guanosinmonophosphat (GMP, Guanylsäure) (. Abb. 19.4).

AMP-Biosynthese. Zur AMP-Biosynthese ist der Ersatz des Sauerstoffs am C-Atom 6 des IMP durch eine Aminogrup-pe notwendig, der in einer zweistufigen Reaktion erfolgt, wobei Aspartat wieder der Donor der Aminogruppe ist:4 Aspartat wird in einer GTP-abhängigen Reaktion unter

Wasserabspaltung an das C-Atom 6 des IMP geheftet. Es entsteht das Adenylosuccinat oder Succinoadenin-nucleotid

4 Durch Abspaltung von Fumarat wird nun Adenosin-monophosphat (AMP) gebildet

GMP-Biosynthese. Auch die Biosynthese des GMP erfolgt in einer zweistufigen Reaktion:4 Zunächst wird IMP am C-Atom 2 oxidiert, wobei

Xanthosinmonophosphat (Xanthylsäure) entsteht4 An dieses wird in einer ATP-abhängigen Reaktion

unter Bildung von Guanosinmonophosphat eine

. Abb. 19.4. Biosynthesen von AMP und GMP aus IMP. (Einzel-heiten 7 Text)

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19.1 · Biosynthese von Purin- und Pyrimidinnucleotiden19589

Aminogruppe geheftet. Der Stickstoff entstammt dem Amid-Stickstoff des Glutamins

Bildung von Nucleosiddi- und -triphosphaten. Für die Überführung von AMP und GMP in die entsprechenden Di- und Triphosphate steht eine Reihe von transphospho-rylierenden Reaktionen zur Verfügung:4 die Nucleosidmonophosphat-Kinase

4 sowie die Nucleosiddiphosphat-Kinase ( Adenylatkinase, weitere Bedeutung. 7 Kap. 25.6.2)

! Drei multifunktionelle Enzyme sind bei Vertebraten an der IMP-Biosynthese beteiligt.

Die oben geschilderten Reaktionssequenzen für die Bio-synthese von Purinnucleotiden sind bei Pro- und Eukaryo-ten identisch. Bei Prokaryoten sind inzwischen sämtliche Enzyme für die 10 benötigten Reaktionen isoliert und charakterisiert worden. Wie aus . Tabelle 19.1 zu entneh-men ist, sind beim Menschen und anderen Vertebraten drei multifunktionelle Enzyme an der Purinnucleotid-biosynthese beteiligt, deren Gene auf unterschiedlichen Chromosomen lokalisiert sind:4 Das GART-Gen codiert für ein multifunktionelles Pro-

tein mit einer GAR-Synthetase-, GAR-Transformylase- und AIR-Synthetase-Aktivität (Enzyme 2–5)

4 Das AIRC-Gen codiert für ein multifunktionelles Protein mit einer AIR-Carboxylase- und SAICAR-Syn-thetase-Aktivität (Enzyme 6–7)

4 Das IMPS-Gen codiert für ein multifunktionelles Protein mit einer die AICAR-Transformylase- und IMP-Cyclohydrolase-Aktivität (Enzym 9–10)

Lediglich der erste Schritt der Biosynthesekette, die Glu-tamin-PRPP-Amidotransferase, und die Adenylosuc-cinat-Synthetase stellen monofunktionelle Proteine dar. Die Adenylosuccinatlyase katalysiert jedoch außer der Reaktion 8 der IMP-Biosynthese die Umwandlung von Adenylosuccinat zu AMP, ist also für zwei Reaktionen ver-antwortlich.

Die Enzyme der Purinbiosynthese sind damit ein wei-teres eindrucksvolles Beispiel für die in höheren Eukaryo-ten zu findende Tendenz, die Enzyme für längere Biosyn-thesen als multifunktionelle Proteine zusammenzufassen und damit unter die Kontrolle nur eines oder weniger Promotoren zu bringen (7 Kap. 12.2.3, 19.1.2). Außerdem ermöglichen multifunktionelle Enzyme die allosterische Regulation der einzelnen Domänen und halten die betei-ligten Aktivitäten in genau gleichen stöchiometrischen Ver-

hältnissen zueinander. Sie bieten zudem instabilen Subs-traten/Zwischenprodukten einen Schutz vor Zerfall oder Abbau.

! Sechs bzw. sieben ATP werden für die Biosynthese von AMP bzw. GMP benötigt.

In . Tabelle 19.2 ist der für die Purinbiosynthese benötigte Energieverbrauch zusammengestellt. Für die de novo-Bio-synthese von IMP werden insgesamt 5 mol ATP benötigt,

. Tabelle 19.1. Gene und Enzyme der IMP-Biosynthese. Die An-gaben über die chromosomale Lokalisation beziehen sich auf die humanen Gene

Gen Chromosom Schritt Enzym

GPAT 4 1 Glutamin-PRPP-Amido-transferase

GART 21 2 GAR-Synthetase

GART 21 3 GAR-Transformylase

GART 21 5 AIR-Synthetase

FGAMS 14 4 FGAM-Synthetase

AIRC 4 6 AIR-Carboxylase

AIRC 4 7 SAICAR-Synthetase

ASL 22 8 Adenylosuccinatlyase

IMPS 2 9 AICAR-Transformylase

IMPS 2 10 IMP-Cyclohydrolase

GAR Glycinamid-Ribonucleotid; AIR 5-Aminoimidazol-Ribonucleo-tid; FGAM Formyl-Glycinamidin-Ribonucleotid; SAICAR 5-Amino-imidazol-4-N-Succinocarboxamid-Ribonucleotid; AICAR 5-Amino-imidazol-4-Carboxamid-Ribonucleotid.

. Tabelle 19.2. Energieverbrauch bei der Purinbiosynthese

Biosynthese von BenötigtesNucleotid

Zahl der be nötigten energie reichen Bindungen

kJ/mol

PRPP ATP 2 60

Glycinamidribonucleotid ATP 1 30

N-Formylglycinamidin-Ribonucleotid

ATP 1 30

5-Aminoimidazol-Ribonucleotid

ATP 1 30

5-Aminoimidazol-4-N-Succinocarboxamid-Ribonucleotid

ATP 1 30

Adenylosuccinat GTP 1 30

Guanosinmonophosphat ATP 2 60

Gesamtverbrauch für dieBiosynthese von IMP

5 ATP 6 180

Gesamtverbrauch für dieBiosynthese von AMP

5 ATP +1 GTP

7 210

Gesamtverbrauch für dieBiosynthese von GMP

6 ATP 8 240

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590 Kapitel 19 · Stoffwechsel der Purine und Pyrimidine

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von denen jedoch eines zu AMP und Pyrophosphat (ent-sprechend 2 Pi) gespalten wird. Um zum AMP zu kommen, wird eine weitere energiereiche Bindung in Form von GTP benötigt, die Biosynthese von GMP aus IMP erfordert ein ATP, das jedoch wieder zu AMP und Pyrophosphat (ent-sprechend 2 Pi) gespalten wird.

19.1.2 Biosynthese von Pyrimidin-nucleotiden

! Aspartat und Carbamylphosphat liefern die C- und N-Atome des Pyrimidingerüsts.

Das Pyrimidingerüst wird aus Aspartat und Carbamyl-phosphat aufgebaut (. Abb. 19.5):4 Durch Kondensation von Aspartat mit Carbamyl-

phosphat entsteht Carbamylaspartat (Ureidosuccinat), das damit bereits die Atome 1–6 des Pyrimidinskeletts enthält

4 Durch Wasserabspaltung zwischen dem N-Atom 1 so-wie dem C-Atom 6 des Carbamylaspartats wird Di-hydroorotat gebildet, womit das Grundskelett der Pyrimidine synthetisiert ist

4 Durch die Dihydroorotat-Dehydrogenase entsteht Orotat

4 Orotat reagiert mit PRPP zum Orotidin-5�-mono-phosphat (OMP). Im Gegensatz zur Purinbiosynthese, die ja von Anfang an in Form des entsprechenden Nucleotids erfolgt, kommt es also bei der Pyrimidin-biosynthese erst relativ spät zur Anlagerung eines Ri-bosephosphats

4 Durch Decarboxylierung von OMP wird Uridinmo-nophosphat (UMP) gebildet, das den Grundbaustein für die anderen Nucleotide der Pyrimidinreihe abgibt

! Aus UMP entstehen die weiteren Pyrimidinnucleotide.

. Abb. 19.6 gibt einen Überblick über die Biosynthese der weiteren Pyrimidinnucleotide aus UMP. Dieses kann in zwei ATP-abhängigen Reaktionen zu Uridindiphosphat(UDP) und Uridintriphosphat (UTP) phosphoryliert werden. In einer Glutamin-abhängigen Reaktion wird durch die CTP-Synthetase eine Aminogruppe an das C-Atom 4 des UTP geheftet, wobei Cytidintriphosphat (CTP) entsteht. Über die Biosynthese von Thyminnucleotiden 7 Kap. 19.1.3.

! Auch für die Pyrimidinbiosynthese werden multifunk-tionelle Enzyme verwendet.

Im Gegensatz zu Prokaryonten und niederen Eukaryonten werden bei Vertebraten für die sechs Reaktionen der Pyri-midinbiosynthese lediglich drei Enzymproteine benötigt, von denen zwei multifunktionelle Proteine sind:4 Das vom sog. CAD-Gen codierte trifunktionale CAD-

Enzym ist im Cytosol lokalisiert und enthält in seinen

. Abb. 19.5. Reaktionen der Pyrimidinbiosynthese. (Einzelheiten 7 Text)

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19.1 · Biosynthese von Purin- und Pyrimidinnucleotiden19591

drei Domänen eine Carbamylphosphat-Synthetase-, eine Aspartattranscarbamylase- und eine Dihydro-orotase-Aktivität. Von besonderem Interesse ist die Car bamylphosphat-Synthetase-Aktivität, die auch als Carbamylphosphat-Synthetase II bezeichnet wird. Im Gegensatz zu der Carbamylphosphat-Synthetase I des Harnstoffzyklus ist bei ihr der Donor für die NH3-Gruppe des Carbamylphosphats nicht Ammoniak, son-dern die Amidgruppe der Aminosäure Glutamin, so-dass die Carbamylphosphat-Synthetase II eine Gluta-minase als zusätzliche Domäne enthält. Die von diesem Enzym katalysierte Reaktion lautet

4 Die Dihydroorotat-Dehydrogenase ist ein aus einer Peptidkette bestehendes Flavin-Enzym. Es ist in der inneren Mitochondrienmembran lokalisiert und be-

nutzt das Ubichinon der Atmungskette als Elektronen-akzeptor

4 Für die letzten beiden Teilreaktionen wird ein von einem Gen codiertes, diesmal bifunktionales Enzym verwendet, das als UMP-Synthase bezeichnet wird. Es verfügt über eine Orotat-Phosphoribosyltransferase– sowie eine OMP-Decarboxylase- Domäne und ist wiederum im Cytosol lokalisiert

19.1.3 Biosynthese von Desoxyribo-nucleotiden

! Die Ribonucleotid-Reduktase katalysiert die Reduktion des Riboserestes von Ribonucleotiden zum Desoxyri-boserest.

Bilanzgleichung der Ribonucleotid-Reduktase. Ein ent-scheidender Schritt für alle Reaktionen, bei denen DNA synthetisiert wird (7 Kap. 7.2, 7 Kap. 6.2.9) ist die Um-wandlung von Ribonucleotiden zu Desoxyribonucleo-tiden, die von der Ribonucleotid-Reduktase katalysiert wird:

Ungeachtet dieser relativ einfachen Summengleichung handelt es sich um eine komplizierte Reaktionssequenz, bei der sowohl der Reaktionsmechanismus als auch die Herkunft des benötigten Wasserstoffes von besonderem Interesse sind.

Reaktionsmechanismus der Ribonucleotid-Reduktase.Die Ribonucleotid-Reduktase ist ein tetrameres Enzym aus je zwei R1- und R2-Untereinheiten, die zusammen zwei katalytische Zentren bilden. Die R1-Untereinheiten tragen Bindungsstellen für allosterische Effektoren und andere Regulatoren, außerdem die zwei für die Katalyse wichtigen Thiolgruppen. Die R2-Untereinheit ist an der Substrat-bindung beteiligt und enthält ein Tyrosylradikal, dessen ganz ungewöhnliche Stabilität durch einen Eisencofaktor hervorgerufen wird. Der Mechanismus der Ribonucleotid-Reduktase ist in vereinfachter Form in . Abb. 19.7 darge-stellt.4 Das Tyrosylradikal greift an der Position 3 des Ribose-

restes an, sodass ein 3 -Ribonucleotid-Radikal entsteht, welches das am C-Atom 2 nach Austritt von OH– ent-stehende Kation stabilisiert

4 Dieses wird zweimal reduziert, wobei die beiden Thiole zum Disulfid oxidiert werden

4 Der letzte Schritt der Reaktion besteht nun in der Rück-gewinnung des Tyrosylradikals, der Abgabe des Des-oxynucleosiddiphosphats und der Reduktion des Di-sulfids mit Thioredoxin

. Abb. 19.6. Biosynthese von Uridin- und Cytidinnucleotiden.(Einzelheiten 7 Text)

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592 Kapitel 19 · Stoffwechsel der Purine und Pyrimidine

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Herkunft des für die Ribonucleotid-Reduktase benötigten Wasserstoffes. Der für die Reduktion der Ribose zur Des-oxyribose benötigte Wasserstoff entstammt zwar dem NADPH/H+, jedoch wird dieses nicht direkt für die Re-duktionsreaktion benutzt (. Abb. 19.7):4 NADPH/H+ dient primär dazu, FAD zu FADH2 zu

reduzieren4 Dieses überführt anschließend eine Disulfidbrücke in

einem als Thioredoxin bezeichneten Protein in zwei SH-Gruppen (ein Dithiol)

4 Reduziertes Thioredoxin dient dazu, eine Disulfid-brücke der Ribonucleotid-Reduktase in zwei SH-Gruppen umzuwandeln, die dann für die eigentliche Reduktionsreaktion verwendet werden

Die durch die Ribonucleotid-Reduktase gebildeten Des-oxyribonucleosiddiphosphate werden mit Hilfe von ATP durch entsprechende Nucleosiddiphosphat-Kinasen (7 Kap.

19.1.1) in die Desoxyribonucleosidtriphosphate umge-wandelt:

! Thyminnucleotide entstehen durch Methylierung von Desoxyuridinmonophosphat.

Bezeichnend für den Unterschied zwischen DNA und RNA ist nicht nur, dass die erstere 2 -Desoxyribose enthält, sondern auch die Base Thymin (5-Methyluracil) anstelle des in der RNA vorkommenden Uracils (7 Kap. 5.1.1).

Das für die Biosynthese der Thyminnucleotide verant-wortliche Enzym ist die Thymidylatsynthase, die folgende Reaktion katalysiert:

. Abb. 19.7. Mechanismus der Ribonucleotidreduktase. Die Ribonucleotidreduktase besteht aus zwei Untereinheiten R1 und R2. R1 besitzt zwei für die Reaktion essentielle Cysteinylreste, R2 ein stabiles Tyrosylradikal. Dieses stabilisiert die in der Abbildung darge-stellten Zwischenstufen der Reaktion. Am Ende der Reaktionssequenz

wird das Desoxyribonucleosiddiphosphat abgegeben, allerdings liegen die beiden Cysteinylreste als Disulfid vor. Sie werden mit Hilfe des Hilfsproteins Thioredoxin reduziert. Für die Reduktion des dabei entstehenden Thioredoxindisulfids wird NADPH/H+ und FAD benötigt. (Weitere Einzelheiten 7 Text)

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19.1 · Biosynthese von Purin- und Pyrimidinnucleotiden19593

. Abb. 19.8 zeigt die bei der Thymidylatsynthese ablaufen-den Teilreaktionen:4 Der Donor der Methylgruppe ist das N5, N10-Methylen-

Tetrahydrofolat (N5, N10-THF). Da dieses jedoch eine höhere Oxidationsstufe aufweist als eine Methylgruppe, liefert das reduzierte Pteridingerüst des N5, N10-Me-thylen-Tetrahydrofolats auch noch Wasserstoff und Elektronen, sodass es nach der Desoxythymidinsyn-these als Dihydrofolat (DHF) vorliegt

4 Durch die als Hilfsenzym wirkende Dihydrofolat-Reduktase wird DHF mit Hilfe von NADPH/H+ in Tetrahydrofolat (THF) umgewandelt

4 THF kann unter Katalyse der Serin-Hydroxymethyl-Transferase einen –CH2OH-Rest des Serins aufnehmen und liegt nach Wasserabspaltung wieder als N5, N10-Methylen-Tetrahydrofolat vor (7 Kap. 23.3.8)

Damit ist die Geschwindigkeit der Thyminnucleotid-Biosynthese eng mit dem Stoffwechsel der Folsäure (7 Kap. 23.3.8) verknüpft. Bei jeder Verminderung des Folsäure-angebotes bzw. der zur Verfügung stehenden Folsäure muss es zu einer Störung der Thyminnucleotid-Biosynthese und damit v.a. der DNA-Replikation kommen.

19.1.4 Regulation der Biosynthese von Purin- und Pyrimidinnucleotiden

! Die Purinbiosynthese wird allosterisch reguliert.

Regulation der IMP-Biosynthese. Das geschwindigkeits-bestimmende Enzym der IMP-Biosynthese ist die PRPP-Amidotransferase (7 Kap. 19.1.1), welche die Glutamin-abhängige Bildung von 5-Phosphoribosylamin katalysiert. Das Enzym unterliegt der Regulation durch allosterische Aktivatoren und Inhibitoren (. Abb. 19.9):4 PRPP, der Akzeptor der vom Glutamin abgespaltenen

Amidgruppe, erniedrigt die KM des Enzyms für Gluta-min und führt so zu einer beträchtlichen Aktivierung

4 Alle Purinnucleotide als Endprodukte der Biosynthese-kette sind allosterische Inhibitoren

Dieser komplexe Mechanismus gewährleistet eine sehr genaue Anpassung der de novo-Biosynthese von Purinen an die Bedürfnisse des Organismus, ist aber auch zugleich die pathobiochemische Grundlage einiger schwerer Stö-rungen des Purinstoffwechsels (7 Kap. 19.4.1).

. Abb. 19.8. Mechanismus der Thymidylatsynthase. Bei der Umwandlung des Methylenrestes des N5, N10-Methylentetrahydro-folats (N5, N10-THF) in die Methylgruppe des Thymidylats werden Reduktionsäquivalente aus der Tetrahydrofolsäure benötigt. Dies

führt zur Oxidation der Tetrahydrofolsäure zu Dihydrofolsäure (DHF), welche deswegen durch die Dihydrofolatreduktase zu Tetrahydrofolat (THF) regeneriert werden muss. (Einzelheiten 7 Text)

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594 Kapitel 19 · Stoffwechsel der Purine und Pyrimidine

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Regulation der Biosynthese von Adenin- und Guanin-nucleotiden. Auch die Umwandlung von IMP zu AMP bzw. GMP wird reguliert (. Abb. 19.9):4 Die IMP-Dehydrogenase wird durch GMP und GDP

gehemmt, die Adenylosuccinat-Synthetase durch AMP und ADP

4 Hohe Konzentrationen von GTP fördern die AMP-Bildung, hohe Konzentrationen von ATP die GMP-Bildung

! Die Pyrimidinbiosynthese wird auf der Stufe des trifunktionalen CAD-Enzyms reguliert.

Regulation der Dihydroorotat-Biosynthese. Bei Prokaryon-ten ist das hierfür verantwortliche allosterisch regulierte Enzym die Aspartattranscarbamylase (7 Kap. 19.1.2), bei Eukaryonten ist es dagegen das erste für die Pyrimidin-biosynthese spezifische Enzym, die Carbamylphosphat-Synthetase II-Aktivität des CAD-Proteins (. Abb. 19.10).Diese wird durch UTP als Endprodukt der Biosynthesekette gehemmt. PRPP ist dagegen ein wirksamer allosterischer Aktivator. Für eine Koordination von Purin- und Pyrimi-dinbiosynthese sorgt auch die CTP-Synthase, die durch GTP allosterisch aktiviert und durch ihr Produkt CTP gehemmt wird.

! Um die Biosynthese von Nucleinsäuren zu gewährleis-ten, müssen Purin- und Pyrimidinbiosynthese koordi-niert ablaufen.

Regulation der Purin- und Pyrimidinbiosynthese. In ru-henden oder voll differenzierten Zellen ist die Geschwin-digkeit der de novo Biosynthese von Purin- und Pyrimidin-nucleotiden relativ gering, da ein großer Teil des Bedarfs über die Wiederverwertungsmechanismen (7 Kap. 19.2)gedeckt werden kann. Für proliferierende Zellen muss beim Übergang von der G1-Phase in die S-Phase des Zellzyklus gewährleistet sein, dass Nucleinsäurevorstufen in erhöhtem Umfang und in richtigen Proportionen zueinander syn-thetisiert werden können. Dem PRPP kommt dabei nicht nur die Rolle eines Substrates, sondern auch die eines allosterischen Aktivators für die Pyrimidin- und Purinbio-synthese zu. Besonders gut ist dies für die Pyrimidinbio-synthese untersucht. So konnte gezeigt werden, dass für den Übergang von der G1- in die S-Phase benötigte Wachstums-faktoren (z.B. EGF, 7 Kap. 7.1.2) über die Aktivierung von MAP-Kinasen eine Phosphorylierung des CAD-Enzyms bewirken. Dadurch wird seine Stimulierbarkeit durch PRPP erhöht und die Hemmbarkeit durch UTP erniedrigt. Eine deutliche Aktivitätszunahme der Enzyme der Purin-biosynthese, der Ribonucleotid-Reduktase, der Dihydro-folat-Reduktase, der Thymidinkinase sowie der Thymi-dylatsynthase findet ebenfalls beim Übergang in die S-Phase des Zellzyklus statt. Hierbei spielen zu diesem Stadium des Zellzyklus aktivierte Transkriptionsfaktoren eine wichtige Rolle (7 Kap. 7.1.3).

Regulation der Ribonucleotid-Reduktase. Die Ribonuc-leotid-Reduktase zeigt unter den o.g. Enzymen die Beson-

. Abb. 19.9. Regulation der Purinbiosynthese. PRPP = 5 -Phos-phoribosylpyrophosphat. (Einzelheiten 7 Text)

. Abb. 19.10. Regulation der Pyrimidinbiosynthese. CAD = multi-katalytisches Enzym mit Carbamylphosphatsynthetase, Aspartat trans-carbamylase- und Dihydroorotaseaktivität; DHO-Dehydrogenase; Dihydroorotat-Dehydrogenase; UMP = multikatalytisches Enzym mit Orotat-Phosphoribosyltransferase- und OMP-Decarboxy laseaktivität. (Einzelheiten 7 Text)

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19.1 · Biosynthese von Purin- und Pyrimidinnucleotiden19595

derheit, dass sie die für die DNA-Biosynthese benötigten Desoxyribonucleosidtriphosphate im richtigen Verhältnis zur Verfügung stellen muss. Sie unterliegt deswegen einer besonders komplexen Regulation, die auf dem Vorhan-densein eines regulatorischen Aktivitäts- sowie eines regulatorischen Spezifitätszentrums beruht:4 Ein allgemeiner allosterischer Inhibitor am regulatori-

schen Aktivitätszentrum des Enzyms ist dATP, während ATP ein allgemeiner Aktivator ist

4 Am Spezifitätszentrum steigert ATP die Reduktion von Pyrimidinnucleotiden, TTP die von GDP und dGTP die von ADP

4 TTP und dGTP hemmen die Reduktion von Pyrimi-dinnucleotiden

Regulation der Thymidylatsynthase. Thymin ist die ein-zige Base, die nahezu ausschließlich in DNA vorkommt. Thyminmangel führt zum Zelltod durch Apoptose, Thy-minüberschuss zum Stopp des Zellzyklus. Eine wichtige Rolle hierbei spielt offenbar, dass die Thymidylatsynthase sehr spezifisch an ihre eigene mRNA sowie an die mRNA des Tumor-Suppressor-Proteins p53 (7 Kap. 35.4.2) bindet

und so die Translation beider Proteine vermindert (. Abb. 19.11). Hierdurch wird einmal eine überschießende Thy-midinnucleotidsynthese vermieden und zum anderen der durch p53 verursachte Stopp am G1/S-Übergang des Zell-zyklus aufgehoben und gegebenenfalls die Einleitung einer Apoptose verhindert.

. Abb. 19.11. Regulation der Thymidylatsynthase. p53 = Tumor-suppressorprotein p53. (Einzelheiten 7 Text)

. Abb. 19.12. Hemmstoffe der Pyrimidin- und Purinbiosynthese.a 3-Deazauridin; b Cyclopentenylcytosin; c Leflunomid; d Atovaquone;

e Ribavirin; f Mycophenolsäure; g 5 -Fluoro-Uracil; h Aminopterin, Amethopterin; i Hydroxyharnstoff

Page 12: 19 - Stoffwechsel Der Purine Und Pyridimidine

596 Kapitel 19 · Stoffwechsel der Purine und Pyrimidine

19

19.1.5 Hemmstoffe der Purin- und Pyrimidinbiosynthese

In . Abb. 19.12 sind wichtige Hemmstoffe der Purin- und Pyrimidinbiosynthese zusammengestellt, die klinische Verwendung in der Tumortherapie, der Behandlung von Viruserkrankungen oder bei der Immunsuppression fin-den. Es handelt sich überwiegend um Strukturanaloge von Nucleosiden, die mehr oder weniger spezifisch einzelne enzymatische Schritte der Purin- bzw. Pyrimidinbiosyn-these hemmen und deswegen auch als Antimetabolitebezeichnet werden. Nach ihrem Angriffspunkt lassen sie sich in verschiedene Gruppen einteilen.

Hemmstoffe der Pyrimidinbiosynthese (. Abb. 19.12a–d).3-Deazauridin (a) sowie Cyclopentenylcytosin (b) werden nach Aufnahme in die Zielzellen phosphoryliert und sind dann kompetitive Hemmstoffe der OMP-Decarboxylase bzw. CTP-Synthetase. Sie werden v.a. in Kombination mit anderen Cytostatica zur Tumortherapie eingesetzt. Die klinisch angewendeten Hemmstoffe der Dihydroorotat-De-hydrogenase (. Abb. 19.12c,d) sind keine Strukturana logen. Leflunomid (c) dient zur Behandlung von Autoim mun-erkrankungen, wie z.B. von rheumatoider Arthritis und Atovaquone (d) wirkt gegen den Malariaerreger Plasmo-dium falciparum und Infektionen mit Pneumocystis carinii.

Hemmstoffe der Purinbiosynthese (. Abb. 19.12e,f). Für die spezifische Hemmung der Biosynthese von Purinen sind hochwirksame Antimetabolite entwickelt worden.

So führen Hemmstoffe der Inosinmono phos phat De-hydro ge nase (IMPDH) zu einer Verarmung der Zellen an Guaninribo- und -desoxyribonucleotiden. Beispiele sind das Ribavirin (e), das nach intrazellulärer Phosphorylie-rung als kompetitiver Hemmstoff der IMPDH wirkt und zur Therapie von Viruserkrankungen verwendet wird. Myco phenolsäure (f) hemmt ebenfalls die IMPDH und wird in der Tumortherapie eingesetzt.

Hemmstoffe der Thymidylatsynthese (. Abb. 19.12g,h).Diese bilden einen inaktiven Komplex mit dem Enzym Thymidylatsynthase. Besonders gut ist in dieser Beziehung das 5-Fluoro-Uracil (g) untersucht, welches durch die in proliferierenden Zellen in hoher Aktivität vorkommende Orotatphosphoribosyl-Transferase zu 5-Fluoro-UMP um-gesetzt wird. Für die Zytotoxizität ist sowohl die Bildung von 5-dFluoro-UMP als Inhibitor der Thymidylatsynthase als auch die Bildung von 5-Fluoro-UTP zum Einbau in die RNA notwendig.

Hemmstoffe der Dihydrofolat-Reduktase und damit der Biosynthese von Thyminnucleotiden sind die Folsäure-analoga Aminopterin bzw. Amethopterin (h).

Hemmstoffe der Ribonucleotid-Reduktase (. Abb. 19.12i).Derartige Verbindungen führen zu einer Verarmung der Zellen an Desoxyribonucleotiden. Bei Tumorzellen löst dies i. Allg. eine Wachstumsverlangsamung aus, seltener eine Redifferenzierung der Tumorzellen. Der Hauptver-treter dieser Gruppe von Arzneimitteln ist der Hydroxy-harnstoff (i).

In Kürze

Bei Eukaryoten liegen die für die Purin- und Pyrimidinbio-synthese benötigten Enzymaktivitäten überwiegend als Domänen multifunktioneller Proteine vor.Die Purinbiosynthese startet mit Ribose-5-Phosphat und umfasst folgende Schritte:4 Bildung von 5-Phosphoribosyl-1- -Pyrophosphat

(PRPP)4 Biosynthese von IMP durch schrittweise Anheftung

der C- bzw. N-Atome des Puringerüsts an PRPP4 Biosynthese von AMP bzw. GMP aus IMP

Die Biosynthese von Pyrimidinnucleotiden läuft in ver-schiedenen Zellkompartimenten ab. Sie ist im Vergleich zu derjenigen von Purinnucleotiden einfacher, Energie sparender, jedoch sauerstoffabhängig.4 Aus Carbamylphosphat und Aspartat entsteht Carba-

mylaspartat, aus dem unter Wasserabspaltung und Oxidation Orotat gebildet wird

4 Orotat reagiert mit PRPP zum OMP, aus dem durch Decarboxylierung UMP entsteht

4 UTP übernimmt den Amid-N des Glutamins, wobei CTP entsteht

4 dUMP wird mit N5, N10-Methylen-THF zu dTMP methy-liert

Die NADPH-abhängige Reduktion von Ribonucleotiden zu Desoxyribonucleotiden wird durch die Ribonucleotid-Reduktase katalysiert. Die Purin- und Pyrimidinnucleotid-Biosynthese wird durch allosterische Mechanismen reguliert:4 Das Schlüsselenzym für die Purinbiosynthese ist die

Glutamin-PRPP-Amidotransferase. Sie wird durch PRPP aktiviert sowie durch Adenin bzw. Guanin-nucleotide inhibiert

4 Die Carbamylphosphat-Synthetase II ist das Schlüssel-enzym der Pyrimidinbiosynthese. UTP ist ein allosteri-scher Inhibitor, PRPP ein allosterischer Aktivator

Eine große Zahl von Inhibitoren für spezifische Reak-tionen der Purin- bzw. Pyrimidinbiosynthese wird zur Therapie von Tumoren, Viruserkrankungen und zur Im-munsuppression verwendet.

Page 13: 19 - Stoffwechsel Der Purine Und Pyridimidine

19597

19.2 Wiederverwertung von Purinen und Pyrimidinen

Purin- und Pyrimidinbasen bzw. die entsprechenden Nu-cleoside fallen beim intrazellulären Abbau von Nucleinsäu-ren an, außerdem werden sie bei der intestinalen Resorp-tion von Nahrungsstoffen in den Organismus aufgenom-men. Wiederverwertungsreaktionen gewährleisten, dass diese unter hohem Energieaufwand synthetisierten Verbin-dungen dem Organismus nicht verloren gehen.

! Durch den salvage pathway werden Purinbasen in die entsprechenden Mononucleotide umgewandelt.

Für die Wiederverwertung (Reutilisierung; salvage path-way) der Purinbasen Adenin, Hypoxanthin und Guanin stehen zwei Enzyme zur Verfügung (. Abb. 19.13).4 Durch die Adenin-Phosphoribosyltransferase (APRT,

(1)) wird Adenin in einer PRPP-abhängigen Reaktion zu Adenosinmonophosphat umgewandelt. Das Enzym wird durch die Adeninnucleotide (insbesondere AMP) gehemmt

4 Die Hypoxanthin-Guanin-Phosphoribosyltransfe-rase (HGPRT, (2)) ist für die Wiedereinführung von Hypoxanthin und Guanin verantwortlich. Wieder ist PRPP der Donor des Phosphoribosylrestes. Das Enzym wird durch seine Endprodukte IMP und GMP ge-hemmt

In Anbetracht der biologischen Bedeutung der Purin-nucleotide muss gewährleistet sein, dass der Zelle unter allen Umständen ausreichende Mengen der einzelnen Ver-treter dieser Substanzklasse zur Verfügung stehen. Zu die-sem Zweck dient ein aus mehr als 15 Enzymen bestehendes System, mit dessen Hilfe es gelingt, Purine, Purinnucleoside und Purinnucleotide vollständig ineinander zu überführen. Da auf diese Weise eine gewisse Unabhängigkeit der Purin-nucleotid-Neubildung von der Biosynthesegeschwindigkeit aus den Grundbausteinen gewährleistet wird, ist die bio-logische Bedeutung dieses »enzymatischen Netzwerkes« beträchtlich.

! Der Purinnucleotidzyklus liefert Fumarat für den Skelett-muskel.

Die einzelnen Schritte des sog. Purinnucleotidzyklus sind in . Abb. 19.14 dargestellt:4 IMP wird, wie schon bei der Biosynthese der Adenin-

nucleotide beschrieben, unter Aufnahme von Aspartat mit Hilfe der Adenylosuccinat-Synthetase in Adenylo-succinat umgewandelt

4 Adenylosuccinat wird durch die Adenylosuccinat-Lyase in AMP überführt und dabei das C-Skelett des Aspartats als Fumarat freigesetzt

4 Der Zyklus wird durch die AMP-Desaminase ge-schlossen, die unter NH3-Abspaltung AMP in IMP überführt

Die biologische Bedeutung des Purinnucleotidzyklus be-ruht auf der Umwandlung von Aspartat in Fumarat, wo-durch der Citratzyklus im Sinne einer anaplerotischen Reaktion (7 Kap. 14.4) mit Substrat beschickt wird. Eine direkte Überführung – in Analogie zur Glutamat-Dehydro-genase katalysierten oxidativen Desaminierung (7 Kap. 19.2)des Aspartats zu Oxalacetat – scheint aufgrund des Fehlens von Aspartat-Dehydrogenase nicht möglich zu sein. Die schon in den späten 20er Jahren gemachte Beobachtung, dass gesteigerte Muskelarbeit mit einer gesteigerten NH3-Produktion im Muskelgewebe einhergeht, wird durch die Existenz des Purinnucleotidzyklus erklärt. Er verhindert darüber hinaus, dass bei starker Muskelkontraktion an-fallendes AMP zu Adenosin gespalten wird, da er die AMP-Konzentrationen niedrig hält. Dass dieser Zyklus für den Muskelstoffwechsel von großer Bedeutung ist, geht aus den gelegentlich zu beobachtenden schweren Störungen der Muskelfunktion bei einem Mangel an AMP-Desaminase oder Adenylosuccinatlyase hervor (7 Kap. 19.4.1).

. Abb. 19.13. Wiederverwertung von Adenin, Hypoxanthin und Guanin. 1 Adenin-Phosphoribosyltransferase (APRT); 2 Hypoxanthin-Guanin-Phosphoribosyltransferase (HGPRT)

. Abb. 19.14. Der Purinnucleotidzyklus. Der Purinnucleotidzyklus wird durch die Enzyme AMP-Desaminase, Adenylosuccinat-Synthe-tase und Adenylosuccinat-Lyase gebildet und hängt mit einer Reihe anderer Enzyme des Purinstoffwechsels zusammen. (Einzelheiten 7 Text)

19.2 · Wiederverwertung von Purinen und Pyrimidinen

Page 14: 19 - Stoffwechsel Der Purine Und Pyridimidine

598 Kapitel 19 · Stoffwechsel der Purine und Pyrimidine

19

! Pyrimidine können nur als Nucleoside wiederverwertet werden.

Pyrimidinnucleotide kommen in den Nucleinsäuren in etwa den gleichen Mengen vor wie Purinnucleotide. Ihre tägliche Biosyntheserate liegt beim Menschen mit etwa 400–700 mg in der gleichen Größenordnung wie die der Purinnucleotide. Beim Abbau von Nucleinsäuren aus der Nahrung werden im Darm Pyrimidinnucleoside gebildet und resorbiert (7 Kap. 5.1.1). Für die Nucleoside gibt es ef-fektive Wiederverwertungssysteme. Uridin, Cytidin, Des-oxycytidin und Thymidin werden mit ATP durch Kinasen zu den entsprechenden Mononucleotiden umgesetzt und dem Zellstoffwechsel verfügbar gemacht.

! Die Wiederverwertung von Purinen und Pyrimidinen ist für manche Gewebe von besonderer Bedeutung.

Im Prinzip sind alle kernhaltigen Zellen zur de novo-Bio-synthese von Purin- und Pyrimidinnucleotiden imstande,

allerdings in ganz unterschiedlichem Umfang. Eine be-sonders schlechte Enzymausstattung zur Purinbiosynthese hat z.B. das Zentralnervensystem. Hier findet sich jedoch die höchste Aktivität der Hypoxanthin-Guanin- und der Adenin-Phosphoribosyltransferase. Möglicherweise ist dies die Ursache für die ausgeprägte cerebrale Symptomatik beim Lesch-Nyhan-Syndrom (7 Kap. 19.4.1).

! Für die Wiederverwertung von Purinen und Pyrimidi-nen spielen Nucleosidtransporter eine große Rolle.

Beim Stoffwechsel von Purin- und Pyrimidinnucleosiden sowie bei den Reaktionen des Wiederverwertungs zyklus für Purine und Pyrimidine spielen Nucleoside eine wich tige Rolle. Außerdem sind einige Nucleoside, v.a. das Adenosin, als Signalmoleküle von erheblicher Bedeutung. Für ihren Import in bzw. den Export aus Zellen sind entsprechende Transportsysteme in den Plasmamembranen von großer Bedeutung. Diese kommen in zwei Formen vor:4 Transport durch erleichterte Diffusion entlang eines

Konzentrationsgradienten (. Abb. 19.15a). Derartige Transporter finden sich in allen Zellen

4 Transport durch sekundär aktiven, natriumabhän-gigen Transport gegen einen Konzentrationsgradien-ten (. Abb. 19.15b). Transporter dieses Typs sind vor allen Dingen im Intestinaltrakt, renalen Epithelien und der Leber vorhanden

Nucleosidtransporter spielen eine erhebliche Rolle bei der Verwendung der für die Therapie von Tumorerkrankungen eingesetzten Nucleosidanaloga (7 Kap. 19.1.5). Eine weitere Voraussetzung für ihre Wirksamkeit ist die anschließende Umsetzung durch die Wiederverwertungs-Enzyme, die nicht alle streng spezifisch für ihre physiologischen Sub-strate sind.

. Abb. 19.15. Nucleosidtransporter der Plasmamembran. a Äquilibrierender Nucleosidtransporter; b konzentrierender Nucleo-sidtransporter. Nuc = Nucleosid. (Einzelheiten 7 Text)

In Kürze

Purine und Pyrimidine, die beim Nucleotidabbau ent-stehen bzw. bei der intestinalen Resorption aufgenom-men werden, können wieder verwertet werden:4 Für die Wiederverwertung von Purinbasen sind die

Adenin-Phosphoribosyltransferase sowie die Hypo-xanthin-Guanin-Phosphoribosyltransferase verant-wortlich

4 Pyrimidine können nur als Nucleoside wieder verwer-tet werden. Die hieran beteiligten Enzyme sind die Uridin-Cytidinkinase, Desoxycytidinkinase und die Thymidinkinase

4 Für die Wiederverwertung spielt die Familie der Nu-cleosidtransporter eine große Rolle, die in verschiede-nen Isoformen vorkommen

Page 15: 19 - Stoffwechsel Der Purine Und Pyridimidine

19599

19.3 Abbau von Nucleotiden

19.3.1 Abbau von Purinnucleotiden

! Purinnucleotide werden zu freien Basen abgebaut und anschließend unter Bildung von Harnsäure oxidiert.

Der Abbau der Purinnucleotide läuft nach einer anderen Reaktionssequenz als ihre Biosynthese ab (. Abb. 19.16, (1)–(5)):4 Durch entsprechende 5 -Nucleotidasen (1) werden die

Purinmononucleotide in die entsprechenden Nucleo-side überführt

4 Adenosin wird durch die Adenosin-Desaminase (2) in Inosin überführt

4 Die Purinnucleoside Inosin, Xanthosin und Guanosinwerden mit anorganischem Phosphat unter Katalyse entsprechender Nucleosid-Phosphorylasen (3) ge-spalten. Dadurch werden die Purinbasen Hypoxanthin

aus Inosin, Xanthin aus Xanthosin und Guanin aus Guanosin gebildet, außerdem entsteht Ribose-1-phos-phat

4 Unter Abspaltung von NH3 wird Guanin durch die Guanase (4) in Xanthin überführt

4 Die Xanthin-Oxidoreduktase (5) wandelt Hypoxan-thin in Xanthin und dieses in Harnsäure um. Das kom-plex aufgebaute Enzym liegt als Homodimer vor. Jede Untereinheit enthält als Cofaktor Molybdän in Form von Molybtopterin, Schwefel-Eisenzentren sowie FAD. Es kommt in zwei Formen vor:

Unter physiologischen Bedingungen liegt das En-zym als Xanthindehydrogenase vor. Es katalysiert die Reaktionen

. Abb. 19.16. Reaktionen des Purinabbaus. 1 5 -Nucleotidase; 2 Adenosin-Desaminase; 3 Nucleosid-Phosphorylase; 4 Guanase; 5 Xanthin-dehydrogenase. (Einzelheiten 7 Text)

19.3 · Abbau von Nucleotiden

Page 16: 19 - Stoffwechsel Der Purine Und Pyridimidine

600 Kapitel 19 · Stoffwechsel der Purine und Pyrimidine

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Interessanterweise kann die Xanthindehydrogenase in eine O2-abhängige Xanthinoxidase umgewandelt wer-den. Sie katalysiert dann die gleichen Reaktionen, ver-wendet allerdings O2 als Oxidationsmittel, wobei das Superoxidradikal O2

•. entsteht. Dieses wird durch die Superoxid-Dismutase in H2O2 umgewandelt. Die Um-wandlung der Xanthindehydrogenase in eine Xanthin-oxidase kann entweder reversibel durch Oxidation von Cysteinylresten des Enzymproteins erfolgen oder irre-versibel durch limitierte Proteolyse. Es gibt einige Hin-weise dafür, dass die Xanthinoxidase eine Rolle bei der Entstehung reaktiver Sauerstoffspezies (7 Kap. 15.3)spielt

4 Harnsäure ist ein Enol und kann in die Ketoform tau-tomerisieren. Ihr Säurecharakter erklärt sich aus dem pK-Wert von 5,4 der OH-Gruppe am C-Atom 8

! Harnsäure ist bei Primaten, Vögeln und einigen Reptilien das Endprodukt des Purinabbaus.

Harnsäure kann von Primaten und damit auch dem Men-schen, außerdem von Vögeln und einigen Reptilien nicht weiter metabolisiert werden und ist deswegen das Endpro-dukt des Purinabbaus. Andere Lebewesen können Harn-säure zu besser wasserlöslichen Produkten abbauen. Die meisten Säuger exprimieren das Enzym Uricase, welches die Harnsäure zu dem wesentlich besser löslichen Allantoinspaltet, Fische sind in der Lage, Allantoin nach Ring-spaltung zu Allantoinsäure in Harnstoff und Glyoxyl-säure umzuwandeln und marine Invertebraten spalten schließlich Harnstoff mit Hilfe der Urease zu Ammoniak und CO2.

Im Gegensatz zur Oxidation von Kohlenhydraten, Fetten oder Aminosäuren kann der Purinabbau von der Zelle nicht zur Energiegewinnung herangezogen werden, da weder eine Substratkettenphosphorylierung noch die Gewinnung von Reduktionsäquivalenten zur Energiege-winnung in der Atmungskette möglich sind.

! Die Nieren sind das Hauptorgan der Harnsäureaus-scheidung.

In zwei Organen wird die Hauptmenge der im Organismus entstehenden Harnsäure gebildet:4 In der Leber wird der größte Teil der im Stoffwechsel

entstehenden und abzubauenden Purine in Harnsäure umgewandelt und

4 im Darm werden die in der Nahrung enthaltenen Purine in Harnsäure umgewandelt, die dann über den Blutweg zur Leber gelangt

Die Gesamtmenge der durch intrazellulären Purinabbau entstandenen und an die Körperflüssigkeit abgegebenen Harnsäure beträgt beim Menschen etwa 4–6 mmol/Tag entsprechend etwa 0,65–1 g/Tag. Von dieser Menge wird der größte Teil (gut 2/3) mit dem Urin ausgeschieden ( 0,4–0,7 g/24 Std.). Die kalkulierte Geschwindigkeit der Purin-

biosynthese (7 o.) entspricht somit ziemlich genau der täglichen Harnsäureausscheidung. Bis zu 1/3 kann über den Gastrointestinaltrakt ausgeschieden werden.

! Beim Menschen wird die renale Harnsäureausschei-dung durch das Verhältnis von glomerulärer Filtration und tubulärer Reabsorption bestimmt.

Die von der Leber an das Blut abgegebene Harnsäure wird zunächst glomerulär filtriert. Anschließend erfolgt jedoch eine tubuläre Reabsorption der Harnsäure, sodass schließ-lich weniger als 10% der filtrierten Menge ausgeschieden werden. Für die Reabsorption der Harnsäure ist ein spezifisches Anionen-Austauschprotein verantwortlich, das URAT-Protein (. Abb. 19.17). Dieses reabsorbiert luminale Harn-säure im Austausch gegen eine Reihe verschiedener or ga-nischer Anionen, z.B. Lactat, Butyrat, oder Acetacetat. Die letzteren werden durch sekundär aktiven, Na+-abhängigen Transport wieder in die Tubulusepithelien aufgenommen. Es ist noch nicht bekannt, auf welchem Weg Harn säure auf der basolateralen Seite die Tubulusepithelien verlässt. Die bei manchen Säugern nachgewiesene tubuläre Sekretion von Harnsäure spielt beim Menschen wenn überhaupt dann nur eine sehr geringe Rolle. Infolge des Fehlens von Uricase und der damit einhergehenden hohen Serum-harnsäurespiegel bestünde sonst die Gefahr, dass Harn-säure im Tubuluslumen während der Urinkonzentrierung ausfällt.

Das URAT1-Protein ist mit 12 Transmembranhelices in der apicalen Membran der Tubulusepithelien verankert. Auf der cytosolischen Seite sind Sequenzmotive vorhan-den, die die Phosphorylierung durch die Proteinkinasen A und C und damit eine spezifische Regulation des Transpor-ters ermöglichen.

. Abb. 19.17. Tubuläre Reabsorption von Harnsäure. Glomerulär filtrierte Harnsäure wird mit Hilfe des Anionen-Antiporters URAT1 in den renalen Tubuli reabsorbiert. SLC5A8 = Na+-abhängiger Anionen-transporter. (Weitere Einzelheiten 7 Text)

Page 17: 19 - Stoffwechsel Der Purine Und Pyridimidine

19601

19.3.2 Abbau von Pyrimidinnucleotiden

Der Pyrimidinabbau erfolgt im Wesentlichen in der Leber und in den Nieren. Cytidin wird mit Hilfe der Cytidin-Desaminase zu Uridin desaminiert. Anschließend erfolgt – ähnlich wie bei den Purinnucleosiden – die Phospho-rolyse der Nucleoside Uridin und Thymidin zu Ribose-1-phosphat und den Basen Uracil bzw. Thymin, deren wei-terer Abbau in . Abb. 19.18 dargestellt ist. In einem zweistufigen Mechanismus erfolgt die Ringspaltung. Zu-nächst kommt es durch Reduktion zu Dihydrouracilbzw. Di hydrothymin. Durch Wasseranlagerung können nun die Pyrimidinringe zwischen den Positionen 1 und 6 gespalten werden. Es entstehen Ureidopropionat aus Dihydrouracil bzw. Ureidoisobutyrat aus Dihydrothy-min. Von beiden Verbindungen können CO2 und NH3abgespalten werden, sodass -Alanin bzw. -Amino-isobutyrat entstehen, die zu Malonyl-CoA bzw. Methyl-malonyl-CoA abgebaut werden. Im Gegensatz zum Purin-abbau entstehen beim Pyrimidin abbau also oxidierbare Verbindungen, sodass für die Zelle der Abbau der Pyri-midinbasen mit einem gewissen Energiegewinn verbun-den ist. Berücksichtigt man, dass auch während der Py-rimidinbiosynthese die Oxidation des Dihydroorotats durch die Verknüpfung mit der Atmungskette ATP liefert (7 Kap. 19.1.2), stellt sich der gesamte Pyrimidinstoffwech-sel als sehr ökonomisch dar.

In Kürze

Der Abbau von Purinnucleotiden führt über eine Reihe von Reaktionen zur Harnsäure, die bei Primaten, Vögeln und einigen Reptilien das Endprodukt des Purinab-baus ist:4 Durch Nucleotidasen werden Nucleotide in die

entsprechenden Nucleoside überführt. Aus diesen entstehen durch die Nucleosid-Phosphorylasen die Basen Hypoxanthin, Xanthin und Guanin

4 Die Xanthinoxidoreduktase wandelt diese in einer NAD+- abhängigen Reaktion in Harnsäure um

Pyrimidinnucleotide werden zu CO2 und Ammoniak abgebaut.

. Abb. 19.18. Reaktionen des Pyrimidinabbaus. (Einzelheiten 7 Text)

19.3 · Abbau von Nucleotiden

Page 18: 19 - Stoffwechsel Der Purine Und Pyridimidine

602 Kapitel 19 · Stoffwechsel der Purine und Pyrimidine

19

19.4 Pathobiochemie

19.4.1 Purinstoffwechsel

Es ist klar, dass Störungen des Purinstoffwechsels den Zellstoffwechsel erheblich beeinträchtigen. So verursachen beispielsweise durch Metabolitanaloga hervorgerufene Hemmungen der Purinnucleotidbiosynthese deswegen den Zelltod, weil die Biosynthese der Nucleinsäuren mangels Vorstufen oder infolge von Imbalanzen zwischen Purin- und Pyrimidinnucleotiden blockiert wird. Jede Überpro-duktion von Purinnucleotiden wird dagegen eine Zunahme ihrer Abbaugeschwindigkeit und damit der Harnsäure-produktion nach sich ziehen.

! Hyperurikämien können zur Gicht führen.

Infolge ihrer geringen Wasserlöslichkeit sind dem Trans-port der Harnsäure im Blut relativ enge Grenzen gesetzt. Schon der normale Serumharnsäurespiegel (ca. 0,4 mmol/l entsprechend 7 mg/dl)) ist nur deshalb möglich, weil ein Teil der Serumharnsäure an Proteine gebunden ist. Ver-mindert sich die renale Ausscheidung oder fällt Harnsäure vermehrt im Stoffwechsel an, so kommt es zur Hyperurik-ämie. Da ein niedriger pH-Wert und erniedrigte Tempe-ratur die Löslichkeit noch weiter herabsetzen, kann es zur Entstehung von Natrium-Urat-Kristallen in bradytrophen Geweben mit einem hohen Gehalt an sauren Proteoglyka-nen und Kollagen kommen. Uratablagerungen in Gelenk-flüssigkeit, Bindegewebe, Sehnenscheiden, Ohrknorpel, peripheren Gelenken und im Nierenmark bestimmen die klinische Symptomatik der Gicht, die häufig von akuten, mit erheblichen Schmerzen verbundenen Entzündungs-schüben begleitet ist. Man nimmt an, dass in der Bundes-republik Deutschland etwa 1–2% der männlichen und bis zu 0,4% der weiblichen Erwachsenen an einer häufig un-erkannten Gicht leiden. Bezeichnenderweise sinkt, ähnlich wie beim Diabetes mellitus (7 Kap. 26.4) die Gicht häufigkeit in Notzeiten auf Werte von 0,1–0,2% der Bevölkerung. Offenbar führt Luxuskonsum nicht nur zu einer Zunahme

der Kohlenhydratstoffwechselstörungen, sondern – wahrscheinlich wegen des überhöhten Fleischkonsums – zu einem hohen Angebot an Purinbasen, deren Abbau bei entsprechender genetischer Konstellation eine Gicht auslösen kann. Man unterscheidet primäre ( familiäre) und sekundäre Hyperurikämien:4 Bei der primären Hyperurikämien handelt es sich um

hereditäre Störungen des Purinstoffwechsels, wobei sowohl die Biosynthese als auch die Ausscheidung be-troffen sein kann

4 Bei den sekundären Hyperurikämien liegt keine Stö-rung im Bereich des Purinstoffwechsels vor. Hier ist das Krankheitsbild die Folge von Erkrankungen, bei denen durch vermehrten Zelluntergang ein Übermaß an Purinbasen zum Abbau gelangt oder aber durch er-worbene Nierenerkrankungen die Harnsäureausschei-dung beeinträchtigt ist

Primäre Hyperurikämie. Die primäre Hyperurikämie ist durch eine allmähliche Zunahme der Gesamtmenge der im Körperwasser gelösten Harnsäure, also des Harnsäure-pools, von normal 6 mmol (entsprechend ca. 1 g, 7 o.) bis auf 180 mmol und mehr gekennzeichnet. Mehrere ursäch-liche Faktoren sind als Auslöser dieses Krankheitsbildes bekannt (. Tabelle 19.3):

Bei einem großen Teil der Betroffenen (75–80%) han-delt es sich um eine renale Störung der Harnsäureaus-scheidung. Im Vordergrund steht dabei eine gesteigerte tubuläre Rückresorption von Harnsäure. Da diese im We-sentlichen von der Aktivität des Urat-Austauschers URAT 1 abhängt, werden Regulationsstörungen diskutiert, die die Aktivität dieses Proteins erhöhen. Eine sehr seltene Er-krankung ist die familiäre juvenile hyperurikämische Nephropathie. Es handelt sich um eine autosomal-domi-nant vererbte Erkrankung, die mit Hyperurikämie, vermin-derter Uratausscheidung im Urin und einer chronischen Nephropathie einhergeht und zum Nierenversagen führt.

Bei dem anderen, etwa 20–25% umfassenden Teil der Patienten mit Hyperurikämie beruht die Erkrankung nicht auf einer Störung der renalen Ausscheidung, sondern viel-mehr auf einer gesteigerten Biosynthese von Purinen auf-grund verschiedener Enzymdefekte:4 Am häufigsten ist ein Gendefekt der Hypoxanthin-

Guanin-Phosphoribosyltransferase, der zur vermin-derten Aktivität des Enzyms führt. Deshalb kommt es zu einem durch einen Minderverbrauch ausgelösten Anstieg der PRPP-Konzentration und in der Folge zu einer Aktivierung der PRPP-Amidotransferase (7 Kap. 19.1.4) mit einer Steigerung der Purinbiosynthese. Ins-gesamt führt der Enzymdefekt zu einer schon im juvenilen Alter auftretenden Gicht, die sich dadurch auszeichnet, dass die Harnsäurekonzentrationen im Serum auch bei purinarmer Ernährung nicht absinken

4 Vollständiges Fehlen der Hypoxanthin-Guanin-Phos-phoribosyltransferase liegt beim Lesch-Nyhan-Syn-

. Tabelle 19.3. Ursachen der primären Hyperurikämie

Ursache Häufigkeit

Überpro-duktion von Harnsäure

PRPP-Synthetase: Zunahme der Ak-tivität; Glutamin-PRPP-Amidotrans-ferase: Aufhebung der Rückkoppe-lungshemmung;Xanthinoxidoreduktase: Zunahme der Aktivität; Hypoxanthin-Guanin-Phosphoribosyltransferase: Ab-nahme oder Fehlen der Aktivität; Adeninphosphoribosyltransferase: Fehlen des Enzyms

20–25% der Gichtfälle

Hemmungder renalen Ausscheidung

Steigerung der Reabsorption von Harnsäure

75–80% der Gichtfälle

Page 19: 19 - Stoffwechsel Der Purine Und Pyridimidine

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drom vor. Das Krankheitsbild ist durch eine schwere Gicht und Nephrolithiasis gekennzeichnet, zusätzlich findet sich ein neurologisches Krankheitsbild mit Spas-tik, verzögerter geistiger und motorischer Entwicklung und einer auffallenden Tendenz zur Selbstverstümme-lung

4 Eine sehr seltene Enzymopathie ist eine Erhöhung der Harnsäurebildung infolge einer gesteigerten Aktivität der PRPP-Synthetase

4 Darüber hinaus gibt es Fälle, bei denen die Rückkop-pelungshemmung der Glutamin-PRPP-Amidotrans-ferase durch Endprodukte der Biosynthese, Adenin- und Guaninnucleotide, gestört ist

InfoboxGichtfamilienDie primäre Hyperurikämie ist eine hereditäre Stoff-wechselstörung. Es gibt daher sog. »Gichtfamilien«, wobei die Vererbung vornehmlich vom Vater auf den Sohn erfolgt. Dazu gehören die Medici, englische Köni-ge und auch die Familie Hohenzollern:

Friedrich Wilhelm (1620–1688), der Große Kurfürst.Mit 40 Jahren hatte er seinen ersten Gichtanfall. Seit dieser Zeit musste er wegen quälender Gelenkschmer-zen pelzgefütterte Juchtenstiefel tragen. Er strapazierte seinen Stoffwechsel durch ein Übermaß von »köstli-chen Speisen und edlen Weinen« sowie durch »Becher-gelage, des Podagra nicht achtend«.

Friedrich I. (1657–1713), der erste Preußenkönig.Beim Feiern, im Essen wie im Trinken, entwickelte er dieselbe Leidenschaft wie sein Vater. Seit der Jugend hatte er Gichtanfälle.

Friedrich Wilhelm I. (1688–1740), der Soldaten-könig. Die Gicht bereitete ihm derartige Qualen, dass er oftmals an den Rollstuhl gefesselt war und sich mit Abdankungsgedanken trug, denn »dieses leiden un ertreglich, aber viehisch ist.«

Friedrich II. (1712–1786), der Große. Als Neunund-zwanzigjähriger bekam er den ersten Gichtanfall, die Krankheit begleitete ihn sein ganzes Leben lang.

Sekundäre Hyperurikämien. Wie aus . Tabelle 19.4 her-vorgeht, können sekundäre Hyperurikämien viele Ursa-chen haben. Sie kommen zustande durch Überproduktion von Harnsäure infolge gesteigerten Nucleinsäureumsatzes. Dies tritt z.B. bei lymphatischen und myeloischen Leukä-mien, chronisch hämolytischen Anämien und der Psoriasis auf. Eine gesteigerte de novo-Biosynthese findet sich beim hereditären Glucose-6-Phosphatase-Mangel, der Glyco-genose Typ 1 (7 Kap. 11.7.2). Die Verwertungsstörung des

Glucose-6-phosphats führt zu einer vermehrten Überfüh-rung von Glucose in den Pentosephosphatweg und damit zur gesteigerten PRPP-Bildung. Eine Verminderung der renalen Ausscheidung als Ursache für die sekundäre, d.h. erworbene Hyperurikämie findet sich bei verschiedenen Nierenerkrankungen, so z.B. bei chronischen Nephropa-thien, bei Schwermetallvergiftungen oder der Schwanger-schaftstoxikose. Die bei fortgeschrittenem Alkoholabusus oftmals bestehende metabolische Azidose wird als Mitur-sache für die ebenfalls häufig beobachteten Gichterkran-kungen dieses Personenkreises angesehen, da hohe Lactat- und Ketosäure-Spiegel durch Stimulation des URAT1-Transporters die Harnsäureeliminierung vermindern können (. Abb. 19.17). Auch bei nichtbehandeltem Typ I Diabetes ist das Risiko einer Gichterkrankung stark er-höht.

! Hyperurikämien werden mit Diät und spezifischen Arzneimitteln behandelt.

Zur korrekten Diagnose von Harnsäure bedingten Erkran-kungen, sollte nicht nur der Harnsäurespiegel im Blut son-dern auch die Harnsäure-Clearance geprüft werden. Kon-zentrationsänderungen in Plasma und Urin müssen nicht immer gleichartig verlaufen. Die Feststellung einer ernied-rigten Harnsäurekonzentration im Blut kann anderweitige Störungen im Purinstoffwechsel anzeigen, wie z.B. einen Mangel an Purinnucleotidase, Purinphosphorylase, Xan-thindehydrogenase oder Molybdän-Cofaktor. Auch here-ditäre Defekte im Harnsäurerücktransportsystem können eine Hypourikämie bedingen.

Folgende Maßnahmen eignen sich für die Behandlung von Hyperurikämien:4 Diätetische Einschränkung der Purinzufuhr, die durch

Nahrungsmittel wie mageres Fleisch, Wild, Innereien, Krustentiere, und Hülsenfrüchte besonders hoch ist

4 Gabe von sog. Uricosurica. Diese (z.B. Probenecid) hemmen die tubuläre Reabsorption von Harnsäure und führen auf diese Weise zu einem Anstieg der Urataus-scheidung

4 Therapie mit Allopurinol (. Abb. 19.19). Dieses Struk-turanaloge des Hypoxanthins ist »Suicid«-Hemmstoff

. Tabelle 19.4. Ursachen der sekundären Hyperurikämie

Überproduktion durch Zu-nahme des Nucleinsäure-umsatzes

Psoriasis, lymphatische und myeloische Leukämien, chronisch-hämolytische Anämien

Überproduktion durch ge-steigerte De-novo-Biosyn-these

Glucose-6-Phosphatasemangel

Verminderung der renalen Ausscheidung

Chronische Nierenerkrankungen, Bleivergiftung, Berylliumvergiftung, Alkoholintoxikation, Schwanger-schaftstoxikose, diabetische Ketose, Dehydratation, Behandlung mit Di-uretika, Salicylaten

19.4 · Pathobiochemie

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604 Kapitel 19 · Stoffwechsel der Purine und Pyrimidine

19

der Xanthinoxidase (7 Kap. 4.4.2, 4.6.2). Wird es in the-rapeutischen Dosen gegeben, so kommt es zu einer weitgehenden Hemmung der Harnsäurebildung. End-produkte des Purinabbaus sind nunmehr Xanthin und Hypoxanthin. Die Serum- und Urinkonzentrationen dieser beiden Purinbasen steigen auch tatsächlich stark an. Da sie sich jedoch von der Harnsäure durch ihre bes sere Löslichkeit unterscheiden, können sie wesent-lich leichter über die Nieren ausgeschieden werden

! Der hereditäre Adenosindesaminase-Mangel geht mit einem schweren Immundefekt einher.

Die Adenosindesaminase katalysiert die Desaminierung von Adenosin und 2 -Desoxyadenosin zu den entsprechen-den Inosinnucleosiden. Als relativ seltener hereditärer En-zymdefekt (Häufigkeit etwa 1:100000 Geburten) kommt ein Mangel dieses Enzyms vor. Die Erkrankung ist meist mit einem schweren Immundefekt vergesellschaftet, dessen Ursache auf einer Proliferationshemmung der Lympho-zyten beruht. Durch den Enzymdefekt kommt es nämlich zur Akkumulierung von Adenosin und 2 -Desoxyadenosin in den Lymphozyten. Beide Verbindungen werden jedoch durch die Nucleosidkinasen rasch phosphoryliert, sodass sich schließlich ATP und dATP anhäufen. Die letztere Verbindung ist der wichtigste allosterische Inhibitor der Ribonucleotid-Reduktase (7 Kap. 19.1.4), sodass in den Lymphozyten die zur Proliferation benötigten Desoxyribo-nucleotide nicht mehr erzeugt werden können. Am Adeno-sindesaminase-Mangel herrscht derzeit großes Interesse, da weltweit eine Reihe von Protokollen zur Gentherapie dieser Erkrankung existiert.

19.4.2 Pyrimidinstoffwechsel

Im gesamten Pyrimidinstoffwechsel gibt es bisher neun er-kannte genetische Defekte. . Tabelle 19.5 fasst die wichtigs-ten von ihnen zusammen.

Die am besten beschriebene genetische Erkrankung des Pyrimidinstoffwechsels ist die hereditäre Orotacidurie. Es handelt sich um eine relativ seltene Erkrankung, zu deren Symptomatik eine megaloblastäre Anämie, Leukopenie, Verlangsamung von Wachstum und geistiger Entwicklung und massive Ausscheidung von Orotsäure im Urin ge hören. Die Ursache der Erkrankung ist ein Enzymdefekt der UMP-Synthase (. Abb. 19.10). Dabei sind die Aktivitäten der Orotatphosphoribosyltranferase sowie der OMP-Decarboxylase (. Abb. 19.5) nur noch in Spuren nachweis-bar. Dies führt zu einem beträchtlichen Anstau von Orot-säure, die im Urin ausgeschieden werden muss. Durch den Enzymdefekt kommt es zusätzlich zu einem Sistieren der Bildung von Uridinnucleotiden, was eine Verminderung des UTP-Spiegels zur Folge hat. Dadurch wird die für die Pyrimidinbiosynthese geschwindigkeitsbestimmende Carbamylphosphat-Synthetase II enthemmt. Es kommt zur verstärkten Orotsäurebildung ohne nennenswerte Hem-mung der Dihydroorotat-Dehydrogenase durch ihr Pro-dukt. Schwere Störungen des Zellstoffwechsels infolge des UTP-Mangels sind unvermeidlich. Entwicklungsstörun-gen, Anämie und Immundefizienz führten bei den betrof-fenen Kindern zum frühen Tod. Eine Therapie der Erkran-kung ist jedoch dadurch möglich, dass Uridin in Dosen von mehreren Gramm pro Tag lebenslang zugeführt wird. Das Nucleosid kann durch die Uridin-Cytidin-Kinase in UMP umgewandelt werden und zum Aufbau der anderen Pyri-minnucleotide verwendet werden. Durch den angeborenen Enzymdefekt ist somit das Uridin, das sonst leicht durch Biosynthese hergestellt werden könnte, zu einer essentiellen Substanz geworden, die wie essentielle Aminosäuren mit der Nahrung zugeführt werden muss.

Der häufigste Defekt des Pyrimidinstoffwechsels ist die gesteigerte Ausscheidung von β-Aminoisobutyrat, einem Zwischenprodukt des Thyminabbaus (. Abb. 19.18). Zu-

. Abb. 19.19. Hypoxanthin und Allopurinol

. Tabelle 19.5. Hereditäre Störungen des Pyrimidinstoffwechsels (Auswahl)

Defektes Enzym Symptome Häufigkeit

Orotatphosphoribosyltransferase und OMP-Decarboxylase

Orotacidurie, hämatologische Störungen, Verlangsamung der geistigen Entwicklung

selten

-Aminoisobutyrat-Transaminase Ausscheidung von -Aminoisobutyrat 5–50% der Bevölkerung

Dihydropyrimidin-Dehydrogenase Neurologische Symptome, Epilepsie, Ausscheidung von Thy-min und Uracil

selten

Dihydropyrimidinase Neurologische Symptome selten

Ausscheidung von Dihydrouracil und Pyrimidinbasen

Thymidinphosphorylase, mitochondrial mitochondrial neurogastrointestinal encephalomyopathy selten

Thymidinkinase 2, mitochondrial Schwere Myopathie selten

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grunde liegt wahrscheinlich eine Störung der Transaminie-rung von -Aminoisobutyrat zu Methylmalonsäuresemial-dehyd. 5–10% der weißen Bevölkerung sowie bis zu 50% der Asiaten sind Träger dieses Merkmals, das jedoch kei-nerlei pathologische Bedeutung hat.

Andere eher seltene Störungen im Abbauweg, wie der Mangel an Dihydropyrimidinase oder Ureidopropionasesind mit schweren körperlichen und geistigen Entwick-lungsstörungen der betroffenen Kinder verbunden. Der ursächliche Zusammenhang ist nicht geklärt.

Auch bei asymptomatischen Trägern eines Dihydro-pyrimidin-Dehydrogenase- oder Dihydropyrimidinase-mangels kommt es bei Behandlung mit 5-Fluorouracil, welches ebenfalls über diesen Weg abgebaut wird, zu uner-wartet hohen Nebenwirkungen.

Erst in neuerer Zeit hat man Störungen im mitochond-rialen Desoxyribonucleotid-Stoffwechsel diagnostiziert. Infolge von Mutationen im Thymidinphophorylase-Gen kommt es zu verheerenden Störungen der Mitochondrien-funktion (mitochondrial neurogastrointestinal encephalo-myopathy), die sich in Muskelatrophie, Malabsorption, und

einer Myopathie der Augen- und Skelettmuskeln äußert. Eine defekte mitochondrienspezifische Thymidinkinase 2, die sowohl Thymidin, als auch Desoxycytidin und Des-oxyuridin phosphoryliert und somit die DNA-Synthese in Mitochondrien ermöglicht, verursacht ebenfalls schwere Myopathien.

Ähnlich wie bei der Pathobiochemie des Purinstoff-wechsels gibt es auch sekundäre Störungen des Pyrimidin-stoffwechsels. So kommt es bei gesteigertem Nucleinsäure-umsatz zu einer Steigerung der Orotsäureausscheidung. Eine Orotacidurie ist bei Kindern mit Ornithintranscar-bamylase-Mangel (7 Kap. 13.5.3) beobachtet worden. Offen-bar kann unter diesen Umständen auch das von der Car-bamylphosphat-Synthetase I zum Zweck der Harnstoffbil-dung bereitgestellte mitochondriale Carbamylphosphat für die cytosolische Pyrimidinbiosynthese verwendet wer-den. Schließlich führt eine Reihe von Pharmaka zur Orot-acidurie. Es handelt sich v.a. um die oben besprochenen Antimetaboliten 6-Azauridin und Allopurinol. So kommt es aufgrund der Bildung von Oxopurinol-Ribose-Phosphat aus Allopurinol zu Störungen der UMP-Synthase Aktivität.

In Kürze

Störungen im Purin- bzw. Pyrimidinstoffwechsel kommen als primäre, genetisch verursachte bzw. erwor bene Er-krankungen vor:4 Die primäre Hyperurikämie ist die Folge einer vermin-

derten Ausscheidung oder Überproduktion von Harn-säure infolge genetischer Erkrankungen. 20–25% werden durch eine Überproduktion von Harnsäure ausgelöst und beruhen auf Defekten der Hypoxan-thin-Guanin-Phosphoribosyltransferase, der PRPP-Synthetase sowie der Glutamin-PRPP-Amidotrans-ferase. 75–80% der Fälle primärer Hyper urikämie be ruhen auf Störungen der renalen Ausscheidung

4 Sekundäre Hyperurikämien führen zu einer Harn-säureüberproduktion bzw. verminderten Ausschei-dung auf Grund von Störungen, die nicht im Bereich des Purinstoffwechsels liegen

Die wichtigste genetische Erkrankung des Pyrimidinstoff-wechsels ist die hereditäre Orotacidurie. Abbaustörungen können die Entgiftung von Antime-tabolit-Pharmaka stark verändern. Das klinische Bild der Pyrimidin- und Purin-Stoffwechselstörungen ist sehr breit, heterogen und oft von neurologischen Erkrankungen be-gleitet. Die Diagnose ist deswegen erheblich erschwert.

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Links im Netz7 www.lehrbuch-medizin.de/biochemie