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1 26. Januar Werner Zorn (MLS): Wer nur Informatik versteht … Sitzung des Plenums der Leibniz-Sozietät Archenhold Sternwarte, Berlin-Treptow, Alt-Treptow 1; Einstein-Saal C.V.: Prof. Zorn ist Informatiker und seit 2016 Ehrenmitglied der Leibniz-Sozietät. Nach dem Studium der Elektrotechnik an der Universität (TH) Karlsruhe arbeitete er seit 1968 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei dem Kybernetiker und Informationstheoretiker Karl Steinbuch am Institut für Nachrichtenverarbeitung und Nachrichtenübertragung, und zwar in der Forschungsgruppe „Bildverarbeitung und Zeichenerkennung“ unter der Leitung von Helmut Kazmierczak. Nach der Promotion (1971) übernahm er 1972 die Leitung der neu geschaffenen Informatik-Rechnerabteilung (IRA) als Rechenzentrum an der Universität Karlsruhe. Er widmete sich dem Aufbau Zentralrechner-orientierter Datenverarbeitungs- Dienste an der Fakultät für Informatik und erarbeitete die ersten systematischen Leistungsanalysen für Rechenanlagen. Mit der ersten transatlantischen Internet-E-Mail wurde er am 03. August 1984 weit über seine Fachkreise hinaus bekannt. Abstract: … versteht auch diese nicht“ – frei nach Georg Christoph Lichtenberg (1742 1799), welcher diesen Aphorismus auf die Chemie bezog. Für die Informatik gilt dies umso mehr, als ihre Produkte zumeist Bestandteil von IT- gestützten Anwendungssystemen sind, so dass die gründliche Kenntnis der jeweiligen Anwendungsumgebung zwingende Voraussetzung für das korrekte Funktionieren im späteren Einsatz ist. Soweit der naheliegende vordergründige Bezug. Gedanklich sind hierbei erhebliche Distanzen zu überbrücken, z.B. auf der technisch- naturwissenschaftlichen Ebene im Industriebereich mit der informationellen Sicht der Informatik und der materiell-energetischen Sicht im Maschinenbau, der E-Technik oder anderen klassischen Ingenieursdisziplinen. Methodisch geht es hierbei um das Problem der Erzeugung übergreifender Gesamtmodelle sowie von „Modellen von sich Selbst“ für diverse Subsysteme. Die potentiell größten Distanzen bestehen jedoch auf der obersten Abstraktionsebene, auf welcher dem Informatik-Programmierparadigma Abstrakter Datentyp und Objektorientierung die philosophisch-ontologische Vorstellung von „Seiendem“ und „Sein“ gegenüberstehen, über welche seit Aristoteles (384 322 v.Chr.) gestritten wird. In der Informatik geht es dabei konkret um das Problem der Grenzziehung zwischen „Künstlicher Intelligenz“ und „Natürlicher Intelligenz“. Zur Klärung des Unterschieds wird den Begriffspaaren Erkennen vs. Verstehen und Korrektheit vs. Wahrheit nachgegangen, welcher für den IT-Einsatz in vielen Bereichen des heutigen und künftigen täglichen Lebens von Bedeutung ist. Der Vortrag versucht die genannten Probleme so darzustellen, dass ausreichend Stoff für die anschließend vorgesehene Diskussion vorliegen sollte.

26. JanuarCV: Hermann-Georg Holzhütter leitet die Forschungsgruppe Systembiochemie im Institute für Biochemie der Charité. Ziel der Forschungsgruppe ist die Entwicklung von mathematischen

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26. Januar

Werner Zorn (MLS):

Wer nur Informatik versteht …

Sitzung des Plenums der Leibniz-Sozietät

Archenhold Sternwarte, Berlin-Treptow, Alt-Treptow 1; Einstein-Saal

C.V.:

Prof. Zorn ist Informatiker und seit 2016 Ehrenmitglied der Leibniz-Sozietät. Nach dem

Studium der Elektrotechnik an der Universität (TH) Karlsruhe arbeitete er seit 1968 als

Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei dem Kybernetiker und Informationstheoretiker Karl

Steinbuch am Institut für Nachrichtenverarbeitung und Nachrichtenübertragung, und zwar in

der Forschungsgruppe „Bildverarbeitung und Zeichenerkennung“ unter der Leitung von

Helmut Kazmierczak. Nach der Promotion (1971) übernahm er 1972 die Leitung der neu

geschaffenen Informatik-Rechnerabteilung (IRA) als Rechenzentrum an der Universität

Karlsruhe. Er widmete sich dem Aufbau Zentralrechner-orientierter Datenverarbeitungs-

Dienste an der Fakultät für Informatik und erarbeitete die ersten systematischen

Leistungsanalysen für Rechenanlagen. Mit der ersten transatlantischen Internet-E-Mail wurde

er am 03. August 1984 weit über seine Fachkreise hinaus bekannt.

Abstract:

… versteht auch diese nicht“ – frei nach Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1799), welcher

diesen Aphorismus auf die Chemie bezog. Für die Informatik gilt dies umso mehr, als ihre

Produkte zumeist Bestandteil von IT- gestützten Anwendungssystemen sind, so dass die

gründliche Kenntnis der jeweiligen Anwendungsumgebung zwingende Voraussetzung für das

korrekte Funktionieren im späteren Einsatz ist. Soweit der naheliegende vordergründige Bezug.

Gedanklich sind hierbei erhebliche Distanzen zu überbrücken, z.B. auf der technisch-

naturwissenschaftlichen Ebene im Industriebereich mit der informationellen Sicht der

Informatik und der materiell-energetischen Sicht im Maschinenbau, der E-Technik oder

anderen klassischen Ingenieursdisziplinen. Methodisch geht es hierbei um das Problem der

Erzeugung übergreifender Gesamtmodelle sowie von „Modellen von sich Selbst“ für diverse

Subsysteme.

Die potentiell größten Distanzen bestehen jedoch auf der obersten Abstraktionsebene, auf

welcher dem Informatik-Programmierparadigma Abstrakter Datentyp und Objektorientierung

die philosophisch-ontologische Vorstellung von „Seiendem“ und „Sein“ gegenüberstehen,

über welche seit Aristoteles (384 – 322 v.Chr.) gestritten wird. In der Informatik geht es dabei

konkret um das Problem der Grenzziehung zwischen „Künstlicher Intelligenz“ und

„Natürlicher Intelligenz“. Zur Klärung des Unterschieds wird den Begriffspaaren Erkennen vs.

Verstehen und Korrektheit vs. Wahrheit nachgegangen, welcher für den IT-Einsatz in vielen

Bereichen des heutigen und künftigen täglichen Lebens von Bedeutung ist.

Der Vortrag versucht die genannten Probleme so darzustellen, dass ausreichend Stoff für die

anschließend vorgesehene Diskussion vorliegen sollte.

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9. Februar

PD DR. Birgit Dahlke (Berlin):

Der Blick auf ostdeutsche Literatur im geteilten und im vereinten Deutschland –

Kanonkämpfe und Deutungskonkurrenzen

Sitzung des Plenums der Leibniz-Sozietät Archenhold-Sternwarte, Einstein-Saal, Alt-Treptow 1, 12435 Berlin

C.V.:

Frau Dr. Dahlke ist Literaturwissenschaftlerin und leitet seit 2016 die neu eingerichtete

„Arbeits- und Forschungsstelle Privatbibliothek Christa und Gerhard Wolf“ an der Humboldt-

Universität Berlin. Nach der Promotion (1994, FU Berlin) und der Habilitation (2003, HU

Berlin) hatte sie Gastprofessuren inne 2007 an den Universitys of Newcastle und of

Nottingham, 2008 an der University of Illinois at Urbana-Champaign sowie 2011 an der

Georgetown University in Washington DC. Vortragsreisen unternahm sie in die USA, nach

Kanada, Frankreich, Großbritannien, Polen, Ungarn, Lettland, Estland, Rumänien, Finnland,

Belgien und in die Schweiz.

Neben diversen Aufsätzen zur Literatur des 19., 20. und 21. Jahrhunderts hat sie drei

Monographien veröffentlicht:

Papierboot. Autorinnen aus der DDR – inoffiziell publiziert. Verlag Königshausen & Neumann,

Würzburg 1997 (Promotionsschrift);

Jünglinge der Moderne. Jugendkult und Männlichkeit in der Literatur um 1900. Böhlau Verlag,

Köln, Weimar, Wien 2006 (Habilschrift) sowie

Wolfgang Hilbig (Biographie). Wehrhahn Verlag, Hannover 2011.

Abstract:

Das Bedürfnis nach Vereinfachung führte vor wie nach 1989 zu polarisierenden Wertungen

über in der DDR entstandene Texte, zu Einteilungen in affirmative und kritische, offizielle und

inoffizielle Literatur. Wovon ist es abhängig, welche Texte, welche Namen in den

gesamtdeutschen Kanon eingehen? Welche Erkenntnisse erbrachte die Öffnung der

verschiedensten Archive nach dem Mauerfall – und welche neuen blinden Flecken? Nach einer

Flut an quellengestützten Studien über die Behinderung von Autoren durch Zensur,

Staatssicherheit und Parteiapparat in einer politisch „durchherrschten“ geschlossenen

Gesellschaft erschienen in den letzten zwei Jahrzehnten Tagebücher und autobiographische

Romane, vor allem aber auch Brief-Editionen, die einen neuartigen Einblick in die konkreten

Alltagsbedingungen ermöglichen, unter welchen geschrieben wurde. Gab es das „Leseland

DDR“?

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9. März

Andrea Komlosy (MLS):

Zum Begriff der Arbeit und der Arbeitsverhältnisse: globale vs. eurozentristische

Perspektive im modernen Arbeitsdiskurs

Sitzung des Plenums der Leibniz-Sozietät BVV-Saal, Berlin, Rathaus Tiergarten

C.V.:

Frau Prof. Komlosy ist Wirtschafts- und Sozialhistorikerin und Mitglied der Leibniz-Sozietät

seit 2010. Sie arbeitet als a.o. Univ. Prof. am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der

Universität Wien zu Fragen ungleicher regionaler Entwicklung im kleinräumigen und

weltregionalen Maßstab. Die Referenzregionen reichen vom österreichisch-böhmischen

Grenzgebiet über die Habsburgermonarchie und ihre Nachfolgestaaten bis zu Fragen der

Ungleichheit in der Weltwirtschaft. Sie verbindet eine regionalhistorische Herangehensweise

mit einer globalhistorischen Verknüpfung und Einbettung der Regionen in einen weltweiten

Interaktionszusammenhang.

Der Vortrag basiert auf Ihrem Buch „Arbeit. 13.-21. Jahrhundert. Eine globalhistorische

Perspektive“ (Wien 2014, Promedia Verlag).

Abstract:

Dem Vortrag liegt ein breiter Arbeitsbegriff zugrunde, der kommodifizierte, reziproke, tributäre

und Arbeit für die Gemeinschaft einschließt. Gleichzeitig wird die Frage gestellt, welche

Tätigkeiten in der europäischen Geschichte jeweils als Arbeit angesehen wurden. Schon die

Sprache weist auf das Spannungsfeld zwischen mühevoller Arbeit (labor) und kreativer

Verwirklichung (opus) hin, das erst durch die kapitalistische Rationalität auf produktive

Erwerbstätigkeit verengt wurde.

In mehreren Zeitschnitten vom Mittelalter bis zur Gegenwart wird ersichtlich, dass der globale

Kapitalismus keineswegs die lineare Durchsetzung von freier Lohnarbeit bedeutete, sondern

auf der klein- und großräumigen Kombination von immer wieder neuen Formen von freien und

unfreien, bezahlten und unbezahlten, gesicherten und ungesicherten Arbeitsverhältnissen

beruht.

Die globale Perspektive wird als Türöffner für eine notwendige Erweiterung des Arbeitsbegriffs

angesehen, der am Ende des 19. Jahrhunderts auf bezahlte, sozial gesicherte Erwerbsarbeit

reduziert wurde – eine Reduktion, die in den meisten Weltregionen niemals mit der

Lebenswirklichkeit übereinstimmte und in den letzten Jahren auch in den alten Industriestaaten

durch Prekarisierung und Informalisierung zunehmend unter Druck gerät.

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6. April

Die April-Plenarsitzung wurde als eine gemeinsame Sitzung der Klassen Naturwissenschaften

und Technikwissenschaften sowie Sozial- und Geisteswissenschaften durchgeführt

Molekulare Netzwerke in Biologie und Medizin

https://leibnizsozietaet.de/bericht-ueber-die-plenartagung-molekulare-netzwerke-in-biologie-

und-medizin/

und

https://leibnizsozietaet.de/internetzeitschrift-leibniz-online-nr-28-2017/

Programm

Prof. Gerhard Banse, Präsident der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin

Begrüßung

Prof. Lutz-Günther Fleischer, Sekretar der Klasse Naturwissenschaften und

Technikwissenschaften der Leibniz-Sozietät

Anmerkungen zu Netzwerken in der Wissenschaft

Prof. Hermann Georg Holzhütter, Institut für Biochemie, Charité Universitätsmedizin, Berlin

Computergestützte Systembiologie

Prof. Ulrich Stelzl, Institut für Pharmazeutische Wissenschaften, Graz

Molekulare Netzwerke in der Genom- und Proteomanalyse

13.30- 17.00 Uhr

Prof. Marius Ueffing, Forschungsinstitut für Augenheilkunde, Universität Tübingen

Wenn gestörte Beziehungen krank machen. Netzhauterkrankungen und

Proteinnetzwerke

Dr. Annette Deichmann, Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg und GeneWerk GmbH Heidelberg

Gentherapie – Wege zu einer sicheren Therapie

Prof. em. Johann Gross, Charité, Berlin (MLS)

Molekulare Netzwerke bei Sauerstoffmangel

Abstracts der Beiträge:

Lutz-Günther Fleischer, Berlin

Anmerkungen zu Netzwerken in der Wissenschaft.

Abstract:

Netzwerke und ihre Modelle sind typische reale sowie seins/sachbeschreibende und

wissensorganisierende dynamische Raumordnungen hoch komplexer, insbesondere Leben

tragender Systeme. Netzwerke konstituieren vielschichtig alle komplexen ontischen und

kognitiven Systeme, sie verbinden beziehungsreich in deren unterschiedlichen emergenten

Organisationsebenen die wechselwirkende Vielzahl und Mannigfaltigkeit ihrer Teilsysteme

bzw. Elemente. Charakteristisch verkettete und verflochtene Netzwerke unterschiedlichster

Organisations-niveaus tragen und sichern im biotischen Organismus lebenswichtige steuernde

und regelnde Funktionalitäten.

Molekulare Netzwerke determinieren in Organisationsebenen von Genen, Proteinen und

Metaboliten sowie bei mikroskopischen/molekularen Betrachtungsweisen die funktionell-

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strukturellen Konstellationen und die Wirkungsvielfalt; sie präformieren zudem den Charakter

makroskopischer Zustände und Prozesse.

Die Analyse von Netzwerken und die Beeinflussung ihres Aufbaus, ihrer Wirkungsweise, die

Kenntnis der Orte, Ursachen und Arten strukturell-funktioneller Defizite, die zu Insuffizienzen

oder zum Totalausfall von Teilen oder biotischen Gesamtheiten führen, sind von überragender

Bedeutung in den life sciences. Sie gehören zu den qualitätsbestimmenden Basiselementen der

medizinischen Diagnostik und Therapie.

Der demgemäß zu erörternde offensichtliche Erkenntnisfortschritt der aktuellen (vernetzten)

Forschung und die anspruchsvollen, wissenschaftlich noch zu bearbeitenden Problemstrukturen

bilden den Gegenstand des Kolloquiums.

Experten aus führenden medizinischen und pharmazeutischen Institutionen Deutschlands und

Österreichs werden zu exemplarischen Themen vortragen.

Hermann-Georg Holzhütter, Berlin

Computergestützte Systembiologie.

CV: Hermann-Georg Holzhütter leitet die Forschungsgruppe Systembiochemie im Institute für

Biochemie der Charité. Ziel der Forschungsgruppe ist die Entwicklung von mathematischen

Modellen, die die Computer Simulation von biochemischen, pathobiochemischen und

molekularen Reaktionsnetzwerken erlauben. Prof. Holzhütter studierte von 1968 bis 1973

Physik an der Humboldt-Universität Berlin. Herr Holzhütter fertigte seine Habilitationsschrift

auf dem Gebiet der Biophysik zum Thema "Mathematische Modelle biochemischer

Reaktionssysteme" am Institut für Biochemie der Medizinischen Fakultät (Charité) der HU an.

Seine Mentoren waren Prof. Samuel-Mitja Rapoport und Prof. Reinhardt Heinrich.

Im Rahmen der vom Ministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Initiative

zur Entwicklung der Systembiologie in Deutschland leitete Herr Holzhütter verschiedene

Forschungsprojekte im Rahmen der bundesweiten Verbundvorhaben „Hepatosys“

(Systemtheorie von Leberzellen), „Virtual Liver“ (Multiskalen-Modellierung der Leber) und

"LiSym" (Systembiologie der Leber mit klinischen Anwendungen). Weitere Mittel für seine

Forschung erhielt Prof. Holzhütter vom DFG Graduiertenkolleg "Theoretische Biologie” und

vom Innovationswettbewerb Systembiologie (https://www.charite.de/sysbio/research/).

Abstract: Systembiologie ist ein neues Forschungsgebiet, welches sich im Ergebnis der

Entschlüsselung des Humangenoms etabliert hat. Ziel der Systembiologie ist die Aufklärung

molekularer Netzwerke, die auf Zell-, Gewebe- und Organebene in ihrer gegenseitigen

Verflechtung die phänotypische Ausprägung genetisch angelegter Merkmale und

Eigenschaften eines Individuums kontrollieren (Genotyp-Phänotyp-Beziehung im Kontext der

Umgebungsfaktoren). Charakteristisch für die Systembiologie ist die Einführung und

Verwendung von sogenannten Hochdurchsatz ("high-throughput")-Methoden, mit deren Hilfe

Nukleinsäure, Protein- und Metabolitdaten genomweit erhoben werden können. Die

Herausforderung an Biostatistik und mathematische Modellbildung besteht darin, auf Basis

dieser stetig anwachsenden Datenmenge schrittweise prädiktive Computermodelle molekularer

Netzwerke zu entwickeln. In meinem Vortrag werfe ich einen kritischen Blick auf den

gegenwärtigen Stand computergestützter Methoden der Systembiologie.

Ulrich Stelzl, Gratz

Molekulare Netzwerke in der Genom- und Proteomanalyse.

CV: Ulrich Stelzl studierte Technische Chemie in Wien und an der ETH Zürich. In seiner

Doktorarbeit am Max-Planck Institut für Molekulare Genetik in Berlin und als Post Doc am

Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York beschäftigte er sich mit RNA-Protein

Wechselwirkungen in der mRNA und Protein Synthese. Ulrich Stelzl war als Post Doc am Max

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Delbrück Centrum für Molekulare Medizin (MDC), Berlin führend an der Erstellung des ersten

umfassenden menschlichen Protein Netzwerks beteiligt. Für diese Arbeit wurde er mit vier

Kollegen mit dem Erwin Schrödiger Preis 2008 der Deutschen Helmholtz Gesellschaft

ausgezeichnet. Als Max-Planck Research Group Leader am MPIMG, Berlin und seit 2015 als

Professor am Institut für Pharmazeutische Wissenschaften an der Universität Graz, Österreich,

untersucht Ulrich Stelzl molekulare Netzwerke, um zelluläre Prozesse, die bei menschlichen

Krankheiten verändert sind, umfassend zu verstehen und dadurch zur Entwicklung individueller

Medizin beizutragen.

Abstract: Molekulare Wechselwirkungsnetzwerke können die Interaktionen und damit das

Zusammenspiel der Moleküle innerhalb einer Zelle umfassend beschreiben. Zellen zeigen

untereinander, zu unterschiedlichen Zeitpunkten oder bei Krankheiten tausende physiologisch

relevante molekulare Unterschiede. Dies können genetische Variationen, Veränderungen der

Proteinmengen oder Veränderungen der Proteine durch Modifizierungen sein. Netzwerke sind

somit eine Basis, um besser ursächliche von nebensächlichen Veränderungen unterscheiden zu

können. Dadurch sind als Grundlage zur Genom- und Proteomanlyse essentiell und mittelbar

auch in der Medizin von großer Bedeutung.

Marius Ueffing, Tübingen Wenn gestörte Beziehungen krank machen.

Netzhauterkrankungen und Proteinnetzwerke

CV: Marius Ueffing ist Direktor des Forschungsinstituts für Augenheilkunde am

Universitätsklinikum Tübingen (www.eye.uni-tuebingen.de). Nach Aus- und Weiterbildung in

medizinischer Genetik molekularer Zellbiologie und Proteinbiochemie war Ueffing Laborleiter

in der pharmazeutischen Industrie, (Goedeke-Parke-Davis), Gruppen- und schließlich

Abteilungsleiter am Helmholtz Zentrum München sowie Gruppenleiter an universitär-

klinischen Einrichtungen (Columbia Presbytherian Hospital, New York und Ludwig,

Maximilians Universität München.

Die Schwerpunkte der Arbeit von Ueffing liegen auf der funktionellen Analyse der

Pathomechanismen von erblichen Netzhauterkrankungen und Ciliopathien, der

Altersabhängigen Makuladegeneration (AMD) sowie auf Neuron-Glia Interaktionen im Auge.

Das daraus entstehende Wissen wird für die rationale Therapieentwicklung genutzt, wobei die

Gruppe sowohl targetierte small molecule-basierte als auch gen- und proteinbasierte Ansätze

verfolgt.

Das Methodenspektrum der Gruppe umfasst molekulargenetische, zellphysiologische,

klassisch biochemische sowie proteomische Ansätze, die zunehmend systembiologisch

ausgerichtet sind. Ein Schwerpunkt ist die Analyse des Zusammenwirkens von genetischer

Varianz und Umweltfaktoren bei neurodegenerativen Erkrankungen. Ziel ist es, biologische

Systeme und krankheits-assoziierte Störungen auf systemischer Ebene zu erkennen und so

Beiträge zum molekularen Verständnis von Erkrankungen zu erarbeiten.

In diesem Kontext koordinierte Ueffing im 7. Rahmenprogramm der EU das Integrierte

Forschungscluster Syscilia (http://syscilia.org) mit dem Schwerpunkt auf neurosensorischen

ciliären Erkrankungen (zusammen mit Ronald Roepman, Nijmegen) sowie zusammen mit

Caroline Klaver, Nijmegen, Rotterdam) im derzeitigen EU Programm Horizon 2020, Eye-Risk

(www.eyerisk.eu), ein großes Forschungsprogramm zur Aufklärung der Pathomechanismen

und Risikofaktoren der AMD.

Abstract: Proteomische Methoden ermöglichen die Identifizierung und Quantifizierung einer

Vielzahl von Proteinen (Proteom) in einem Gewebe, einer Körperflüssigkeit oder einem

Organismus bis hin zur Spurenanalyse. Durch targetierte, in der Regel massenspektrometrie-

basierte Verfahren in Verbindung mit bioinformatischen Analysen sind wir darüber hinaus

zunehmend in der Lage, molekulare Zusammenhänge von Lebensfunktionen und deren

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krankheitsbedingte Störungen aufzuklären. Basierend auf dem daraus resultierenden

Verständnis versuchen wir, neue Zugänge zur Diagnose und Behandlung von

Netzhauterkrankungen zu erarbeiten.

Im Unterschied zu genbasierten Analysen lässt sich durch proteomische Methoden der Verlauf

und die Dynamik von Krankheitsprozessen darstellen: hier sind Proteine und Metabolite die

vielleicht wichtigsten Konstituenten. Mittels affinitäts-basierter Analysemethoden in

Verbindung mit quantitativer Massenspektrometrie ist es möglich, qualitative und quantitative

Veränderungen in Proteinnetzwerken und Signalketten zu identifizieren, die mit einem

molekularen Krankheitsprozess korrelieren. Der Schwerpunkt der vorgestellten Arbeiten liegt

auf der Aufklärung der Pathomechanismen von Ciliopathien, einer großen Gruppe, erblicher

seltener Erkrankungen, die zur Erblindung, Hörverlust und aber auch zu schweren syndromalen

Erkrankungen führen können.

Annette Deichmann, Heidelberg

Gentherapie – Wege zu einer sicheren Therapie.

CV: Annette Deichmann ist wissenschaftliche Koordinatorin in der Abteilung Translationale

Onkologie des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) und Nationalen Centrums für

Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg sowie Gesellschafterin und Geschäftsführerin der 2014

gegründeten Start-up Firma GeneWerk GmbH. Ihr Biologie-Studium absolvierte sie an der

Universität Würzburg gefolgt von einem Forschungsaufenthalt am Institut für Humangenetik

der Universität Leuven in Belgien, einer Tätigkeit im wissenschaftlichen Projektmanagement

am Institut für Molekulare Medizin der Universität Freiburg und seit 2005 am DKFZ/NCT

Heidelberg. Im Jahr 2008 promovierte sie über das Integrationsverhalten gammaretroviraler

Vektoren in klinischen und präklinischen Gentherapiestudien. Seit 2014 leitet sie gemeinsam

mit Dr. Manfred Schmidt die GeneWerk GmbH, die u.a. Dienstleistungen zur Bestimmung der

Sicherheit gentherapeutischer Verfahren anbietet.

Abstract: Gentherapien stellen einen vielversprechenden Therapieansatz bei Erkrankungen mit

genetischem Hintergrund dar. Das Grundprinzip dieser Therapieform ist, defekte Gene durch

das Einbringen gesunder Gene zu ersetzen, um Schäden im menschlichen Erbgut zu

kompensieren. Virale Vektoren haben sich hierbei als verlässliche genetische Transportvehikel

etabliert. Wie klinische Studien gezeigt haben, ist das Risiko einer Insertionsmutagenese

durchaus gegeben und darf nicht wie ursprünglich gedacht als eher hypothetisch betrachtet

werden. Die Einführung von Next-Generation Sequencing (NGS)-Technologien und speziell

entwickelter bioinformatischer Analyseprogramme hat die Tiefe der Analysen und das

Monitoring individueller genetisch veränderter Zellen substantiell verbessert. Die Sicherheit

gentherapeutischer Verfahren kann durch genomweite Insertionsanalysen viraler und nicht-

viraler Vektorsysteme überprüft und verbessert werden.

Johann Gross, Berlin

Molekulare Netzwerke bei Sauerstoffmangel.

CV: Johann Gross studierte Medizin (1959-1965) an der Medizinischen Fakultät (Charité) der

Humboldt-Universität zu Berlin. Promotion, Facharztausbildung (Biochemie, Labormedizin)

und Habilitation (1974) erfolgten im Institut für Biochemie unter der Leitung von S.M.

Rapoport. Ab 1974 leitete er die Forschungsgruppe der Abteilung Neonatologie unter Leitung

von Inge Rapoport. 1980 erfolgte die Berufung zum Professor für Pathobiochemie. 1983 - 1995

war er Direktor des Institutes für Pathologische und Klinische Biochemie (IPKB) der Charité.

Nach Fusion von Charité-Mitte mit dem Virchow-Klinikum im Jahre 1995 arbeitete er als

wissenschaftlicher Assistent in der Forschungsgruppe Neurochemie des IPKB und ab 2000 als

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Leiter des molekularbiologischen Forschungslabors der HNO-Klinik der Charité.

Schwerpunkte seiner Arbeiten waren die Untersuchung des Sauerstoffmangels und seiner

Auswirkungen auf Blutzellen und auf das Zentralnervensystem. Johann Gross ist Autor und

Koautor von etwa 300 wissenschaftlichen Publikationen. Seit 2010 ist er Mitglied der Leibniz-

Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.

Abstract: Sauerstoffmangel (Hypoxie) in Zellen und Gewebe kann entweder durch ein

vermindertes Sauerstoff-Angebot oder einen erhöhten Verbrauch entstehen. Ein wichtiger

Faktor für die Anpassung von Zellen an eine Hypoxie ist der „hypoxia-inducible factor HIF1a“.

Es handelt sich um einen Transcriptionsfaktor, der die Synthese der Boten RNS-(mRNA) für

die Synthese von Sauerstoff-assoziierten Proteinen reguliert. Das molekulare Netzwerk von

HIF1A umfasst nach der BIOGRID-Datenbank Interaktionen mit 159 Proteinen, wobei 507

Assoziationen vorliegen. Entsprechend der Gen-Ontologie Datenbank (GO) ist HIF1A in 34

biologische Prozesse und in 13 molekulare Funktionen involviert. Es werden

Anpassungsmechanismen und Folgen von Sauerstoffmangel bei zwei Erkrankungen behandelt:

Die Höhenkrankheit und die perinatale Hypoxie. Die besondere Bedeutung der perinatalen

Hypoxie besteht darin, dass Hypoxie einerseits für die normale embryonale und fetale

Entwicklung notwendig ist und andererseits, Hypoxie nicht nur kurzfristige, einmalige

Wirkungen entfaltet, sondern Einfluss auf das gesamte spätere Leben des Individuums hat. Ein

grundlegender Mechanismus der fetalen Programmierung von Erkrankungen im

Erwachsenenalter besteht in der epigenetischen Modifizierung der Genexpression.

11. Mai

Frank Adler (Berlin):

Konzept einer Postwachstumsgesellschaft

Sitzung des Plenums der Leibniz-Sozietät

BVV-Saal, Berlin, Rathaus Tiergarten

C.V:

Studium der Philosophie an der HUB,

Soziologe an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften,

Promotion und Habilitation zu industriesoziologischen Themen,

Mitarbeit an internationaler Vergleichsforschung,

1990 Mitgründer des BISS e.V.,

Zunächst Forschung zu sozialstrukturellen Themen, u. a.: DFG-Projekt zum Wandel der

Ungleichheitsstruktur in Ostdeutschland,

Postgraduales Studium Umweltwissenschaften an der HUB,

Nachhaltigkeitsforschung im Rahmen eines BMBFT-Projektes,

Danach: Analyse des sozialökologischen Diskurses, jetziger Schwerpunkt: Wachstumskritik,

Postwachstum

Neuere Publikationen (Auswahl):

Frank Adler/Ulrich Schachtschneider (2010): Green New Deal, Suffizienz oder Ökosozialis-

mus? Konzepte für gesellschaftliche Wege aus der Ökokrise, oekom, München;

Dies. (Hrsg.) (2017): Wege zur wachstumsunabhängigen Gesellschaft, oekom, München;

Frank Adler (2015): „Postwachstum“ als radikal kritische und konkret-utopische

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Transformationsperspektive, in. M.Brie (Hrsg.): Lasst und über Alternativen reden, S. 77-129,

VSA, Hamburg.

Abstract:

0. Was habe ich vor?

Überblick über ein dynamisches gesellschaftskritisches Forschungs-, Diskurs- und

Bewegungsfeld.

1. Vorab-Klärung:

– Was bedeutet hier „Wachstum“?

– Worauf zielen Wachstumskritik und Postwachstum?

2. Drei Phasen der Wachstumskritik seit den 1960er Jahren

3. Hauptgründe für eine Richtungsänderung zu PW

4. Konturen einer Postwachstumsökonomie und –gesellschaft

5. Übergänge und Akteure

6. Ein zeitdiagnostischer Deutungsversuch der Debatte

8. Juni

Dr. Sigmund Jähn, Ehrenmitglied der Leibniz-Sozietät:

Deutsche Beiträge zur Raketenentwicklung und Raumfahrt

Sitzung des Plenums der Leibniz-Sozietät BVV-Saal, Berlin, Rathaus Tiergarten

C.V.:

Dr. Sigmund Jähn ist Ehrenmitglied der Leibniz-Sozietät seit 2013. Er war (vom 26. August

bis 3. September 1976) der erste Deutsche im Weltraum auf den sowjetischen Raumfahrzeugen

SOJUS 31, SALUT 6 und SOJUS 29. Nach der Ausbildung zum Jagdflieger der Nationalen

Volksarmee der DDR (NVA) und dem Besuch der Militärakademie der sowjetischen

Luftstreitkräfte bei Moskau arbeitete er von 1970 bis 1976 als Inspekteur für Flugsicherheit im

Kommando Luftstreitkräfte/Luftverteidigung der NVA, bis er im Kosmonauten-

Ausbildungszentrum bei Moskau zum Raumfahrer ausgebildet wurde.

1985 wurde er am Zentralinstitut für Physik der Erde der Akademie der Wissenschaften der

DDR in Potsdam zum Dr. rer. nat. promoviert, 1986 zum Generalmajor ernannt.

Seine Kenntnisse und Kontakte stellt er seit 1990 für die Zusammenarbeit des russischen

Kosmonauten-Ausbildungszentrums bei Moskau mit europäischen Partnern zur Verfügung: bis

1993 für das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (Köln) und seitdem für die

Europäische Weltraum-Agentur (ESA).

Abstract:

Die unter dem Thema zusammenfassbaren Aktivitäten deutscher Staaten vereinigen – präzise

betrachtet – theoretische Grundlagen, die Konstruktion und den Bau von Raketen sowie von

Raumschiffen, die sich über viele, politisch auch wechselvolle Jahrzehnte erstrecken.

Der Leitgedanke umfasst mehrere Zeitepochen und Gebiete: eigentlich mit der Waffentechnik

des Mittelalters beginnend, über die Beiträge des Deutschen Reichs bis 1933 – 1945 reichend,

bis 1990 in der Bundesrepublik Deutschland sowie der Deutschen Demokratischen Republik

und ab 1990 in Deutschland fortgeführt.

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Setzen wir in der Periodisierung als markantes Entwicklungskriterium das Rückstoßprinzip für

das Grundkonzept der Weltraumfahrzeuge, sind das Jahr 1880 und Hermann Ganswindt

anzuführen. Wählen wir als wesentliches Element des Baues und Antriebs einer Rakete den

flüssigen Treibstoff, ragen Hermann Oberth und sein Entwurf einer mit Ethanol und Sauerstoff

betriebenen Rakete aus dem Jahr 1917 heraus. Das sind lediglich zwei signifikante Beispiele

aus einer Entwicklungsreihe. Wie auch immer: die deutschen Beiträge zur Raketenentwicklung

und Raumfahrt sind vielfältig, außerordentlich umfangreich und – auf die

Gesamtentwicklung bezogen – höchst bemerkenswert. Über die Motive und die – über das

Wissenschaftlich-Technische hinausreichenden – Ziele in den einzelnen Epochen und deren

politische Konstellationen (bis zur favorisierten militärischen Nutzung) wäre gesondert zu

befinden. Mit diesen Aspekten befasst sich mehr oder minder systematisch eine Fülle

lesenswerter bis vorzüglicher Publikationen auf unterschiedlichen Anspruchsniveaus.

Der Vortrag wählt, diese Gegebenheiten einrechnend, einen anderen Ansatz. Er betont, auf der

Basis teils aus privaten Sammlungen stammenden, dem Referenten persönlich übereigneten

Materials, die bildliche Darstellung der historischen Entwicklung, verbindet sie mit dem

unmittelbaren Erleben und dem subjektiven Empfinden in der Etappe der bemannten

Raumflüge. Wissenschaftler der DDR entwickelten in dieser Phase die Multispektralkamera

MKF 6, die in hervorragender Weise zur kosmischen Fernerkundung der Erde beitrug. Die

DDR nahm erfolgreich am Interkosmosprogramm der Sowjetunion teil und war – neben der

ESA – als internationaler Partner am Projekt Mars-Sonde Fobos beteiligt.

Die Interpretationen mit gewinnenden und anregenden Bildbelegen reichen von den zwanziger

Jahren des vorigen Jahrhunderts über den ambivalenten Abschnitt von 1930 – 1945, die

Nachkriegszeit, die Phasen der Internationalisierung in den 60er Jahren, das INTERKOSMOS-

Programm, die ESA bis in die Gegenwart.

14. September - 13:30 - 17:00

Hennes Obermeyer (MLS):

Die Genese sedimentären Edelopals.

Sitzung des Plenums der Leibniz-Sozietät BVV-Saal, Berlin, Rathaus Tiergarten

C.V.:

Dr. Obermeyer ist Geologe und seit 2017 Mitglied der Leibniz Sozietät. Er studierte von 1981

bis 1987 an der Universität (T.H.) Karlsruhe. Anschließend arbeitete er zunächst als

Hydrogeologe und Umweltgeologe. Die Promotion erfolgte auf der Basis einer

Industriedissertation an der Universität Heidelberg 1995. Seine Tätigkeit als Freelancer führte

ihn quer durch alle geowissenschaftlichen Fachgebiete und um die ganze Welt. Seiner Ansicht

nach ist „die Beschäftigung mit dem Planeten Erde zu schön, um sich nur auf Teilaspekte zu

kaprizieren“ So pflegt er in seinen geowissenschaftlichen Projekten ganzheitliche Ansätze, die

stets auch Individuum und Gesellschaft einbeziehen.

Heute ist Dr. Obermeyer wissenschaftlicher Leiter und Vorstand eines genossenschaftlichen

Instituts für Geo- und Materialwissenschaften.

Abstract:

Weit verbreitet ist die Vorstellung, Opal würde aus stagnierenden Grundwässern ausfallen, die

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infolge Verdampfung an Silikat übersättigt sind. Das erfordert sehr lange Bildungszeiträume.

Dieser Vorstellung widersprechen nicht nur fundamentale chemische und mineralogische

Gesetze, sondern auch Opalfunde in rezenten Böden sowie erfolgreiche Versuche, Edelopal im

Labor zu züchten.

Mikroskopische und elektronenmikroskopische Untersuchungen an opalführenden Goethit-

Konkretionen (boulder opal) zeigen, daß die Konkretionen und der Opal gleichzeitig entstanden

sind. Ein derartiger Entstehungsprozess setzt die Oxidation von Pyrit voraus. Geländebefund

und Modellrechnungen unterstützen folgendes Genesemodell: Opal ist das Nebenprodukt eines

Redox-Prozesses, bei dem das Mineral Pyrit/Markasit durch artesisch aufsteigendes

Grundwasser (Temperatur 60 bis 90°C, pH 9,5-11, Silicium-Gehalt > 120 mg/l) zu Goethit

oxidiert wird. Durch die pH-Verschiebung wird das Löslichkeitsprodukt des Opal schlagartig

überschritten, und Opal fällt kolloidal aus. Eisenhydroxid in kolloidaler Form, später als Goethit

mineralisiert, umgibt den Opal und schützt ihn.

Die Bedingungen für einen solchen Prozess sind im Großen Artesischen Becken (GAB)

Australiens gegeben: Pyrit und Markasit sind in euxinischen Sedimenten entstanden. Das

alkalische temperierte Grundwasser entstammt den im GAB versenkten Tonen, die auf

tektonische Kompression empfindlich mit der Abgabe von Wasser reagieren.

Die Opallagerstätten sind an fossilen mount springs und tiefreichenden Verwerfungen

orientiert. Damit geben sich Ansätze zur regionalen Exploration. Kleinräumig können die

opalführenden Horizonte durch Lokalisierung der Goethit-Boulder mit dem Georadar erkannt

werden.

Das Genesemodell impliziert nicht nur kurze Bildungszeiträume, es lässt auch erkennen, daß

die Opalisierung geeigneter Sedimente zu unterschiedlichen Zeiten erfolgt ist und rezent nicht

abgeschlossen sein muss.

5. Oktober

Die Jahrestagung der Leibniz-Sozietät 2017 fand statt zum Thema

Migration und Interkulturalität

Ort: Medizincampus Berlin-Buch, Max Dellbrück-Centrum für Molekulare Medizin (Axon 2)

in Robert-Rössle-Straße 10, 13125 Berlin-Buch

Abstract

Angesichts der aktuellen „Flüchtlingskrise“, die aus dem massenhafte Zustrom von Menschen

aus Nordafrika und dem Nahen Osten nach Europa und insbesondere nach Deutschland erwach-

sen ist, wurde in der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e. V. das Ziel formuliert,

neben dem Angebot an praktischer Hilfe das Phänomen auch wissenschaftlich zu durchdringen.

Die Jahrestagung 2017 ist deshalb dem Thema „Migration und Interkulturalität“ gewidmet. Im

Rahmen der Leibniz-Sozietät als interdisziplinäre Gelehrtengesellschaft können wichtige Bei-

träge zur Erforschung des Phänomens „Flüchtlingskrise“ geleistet werden, um Missverständ-

nisse in der Bevölkerung auszuräumen, Probleme zu erhellen, Lösungsmöglichkeiten aufzuzei-

gen und wissenschaftlich fundierte Argumente gegen das zunehmend fremdenfeindliche Klima

in unserem Land zur Verfügung zu stellen.

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Neben dem Staatssekretär für Integration sowie Vertretern der Geflüchteten wurden Spezialis-

ten verschiedener Fachdisziplinen eingeladen, die mit der Flüchtlingsproblematik befasst sind

beziehungsweise aus der Sicht ihrer Disziplin etwas dazu beitragen können. Auf einem an-

schließenden Empfang mit syrischer Live-Musik gibt es nach den Diskussionen zu den Vorträ-

gen Gelegenheit für persönliche Gespräche zwischen Fachkollegen und Gästen.

Die Beiträge der Jahrestagung werden anschließend in einem Sammelband publiziert.

12. Oktober

Adolf Laube (MLS):

Martin Luther. Historische Leistung, Wirkung und Wertung – 500 Jahre nach

Beginn der Reformation.

Sitzung des Plenums der Leibniz-Sozietät

Ort: Schloss Biesdorf, Vortragssaal, Alt-Biesdorf 55, 12683 Berlin;

C.V.:

Prof. Laube ist Historiker und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 1994. Nach dem Studium

arbeitete er neun Jahre lang als Redakteur der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft in Berlin

und wurde 1963 nach außerplanmäßiger Aspirantur zum Dr. phil. promoviert. Ab 1967 war er

an der Akademie der Wissenschaften der DDR tätig: ab 1967 als Forschungsgruppenleiter, nach

der Promotion zum Dr. sc. (1971) als Bereichsleiter am Zentralinstitut für Geschichte. 1975

wurde er zum Professor ernannt. 1987-1989 fungierte er als Stellvertretender Leiter des

Forschungsbereichs Gesellschaftswissenschaften, 1990 als gewählter Sekretär für Sozial- und

Geisteswissenschaften der AdW.

Nach der Abwicklung der AdW war er zunächst zwei Jahre lang Projektleiter bei KAI e.V. Ab

1993 bis zum Ruhestand (1998) arbeitete er am Institut für Historische Theologie der

Universität Halle-Wittenberg. Aus seiner Feder stammen zahlreiche Publikationen im In- und

Ausland zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit, zur

Geschichte der Reformation und des Bauernkrieges, darunter eine achtbändige Edition von

Flugschriften für und gegen die Reformation.

Abstract:

Bei historischen Jubiläen wird in der Regel aus dem zu gedenkenden Ereignis das

herausgefiltert bzw. hineininterpretiert, was zeitgenössischen Belangen dient. Der Vortrag

wendet sich hingegen dem historischen Ereignis selbst zu, fragt, worum es vor 500 Jahren ging

und warum dabei vorrangig Luthers zu gedenken ist. Gefragt werden wird nach den

gesellschaftlichen Grundlagen und Rahmenbedingungen für die historischen Wirkungen

Luthers, nach den bis heute wirkenden umstürzenden und für die katholische Kirche nach wie

vor inakzeptablen Elementen in Luthers Theologie, nach seinen unmittelbar gesellschaftlich-

politischen Reformvorstellungen, nach der unterschiedlichen Rezeption seiner Auffassungen in

der Reformationsbewegung, nach den Gründen für sein eigenes Verhalten in der Bewegung,

seine Parteinahme gegen die kämpfenden Bauern und für die Fürsten, im Unterschied zu

anderen reformatorischen Theologen wie etwa Thomas Müntzer. Gewürdigt wird Martin

Luther – bei aller persönlichen und zeitgebundenen Widersprüchlichkeit – als Auslöser eines

historischen Umbruchs, dessen wir auch nach 500 Jahren noch zu Recht gedenken.

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12. Oktober

Kolloquium in Zusammenarbeit mit dem Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie und

dem Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie in der Ost-West-Begegnungsstätte

Schloss Biesdorf e.V.

Thema

„Historisches und Aktuelles zur Arzneimittelforschung“ zu Ehren von Peter Oehme

anlässlich seines 80. Geburtstages

Ort: Schloss Biesdorf, Vortragssaal, Alt-Biesdorf 55, 12683 Berlin;

https://leibnizsozietaet.de/kolloquium-zu-ehren-des-80-geburtstages-von-mls-prof-dr-peter-

oehme-zu-thema-historisches-und-aktuelles-zur-arzneimittelforschung/

9. November

Horst Schützler (Berlin):

Die Russische Revolution 1917 in der Geschichtsschreibung, besonders der

russischen, der letzten Jahrzehnte

Sitzung des Plenums der Leibniz-Sozietät

Ort: Rathaus Tiergarten, Berlin, BVV-Saal

C.V.:

Prof. Schützler studierte von 1954 bis 1958 Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Er spezialisierte sich im Fachgebiet Geschichte der UdSSR.

Von 1958 bis 1992 war er an der Fachrichtung bzw. Sektion Geschichte bzw. am Institut für

Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität in Lehre, Forschung und

Wissenschaftsorganisation als Assistent/Oberassistent, ab 1971 als Dozent (1963 Promotion A,

1978 Promotion B) und ab 1981 als ordentlicher Professor sowie 1979 bis 1990 als Leiter des

Bereichs Geschichte der UdSSR und des sozialistischen Weltsystems tätig.

Er lehrte, forschte und publizierte zur Geschichte Russlands, der Sowjetunion und der deutsch-

russischen/sowjetischen Beziehungen. Studienaufenthalte in der Sowjetunion waren dazu

hilfreich.

Thematische Schwerpunkte der letzten zwei Jahrzehnte waren die russische Historiographie zur

Geschichte der Sowjetunion, speziell zur Russischen Revolution 1917 und zur Darstellung des

Großen Vaterländischen Krieges in der Geschichtsschreibung und Publizistik Russlands.

Prof. Schützler arbeitete in verschiedenen wissenschaftlichen Gremien sowie ehrenamtlich in

gesellschaftlichen Funktionen, so von 1980 bis 1990 als Vorsitzender der Gesellschaft für

Deutsch-Sowjetische Freundschaft der Humboldt-Universität und zuletzt (bis März 2017) als

Stellvertretender Vorsitzender der „Berliner Freunde der Völker Russlands e. V.“. Im April

2011 ehrte ihn der Präsident der Russischen Föderation, Dmitri Medwedjew, mit der Puschkin-

Medaille.

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Abstract:

Das Jubiläum der Russischen Revolution vor 100 Jahren steht derzeit mit vielen

Veranstaltungen, Publikationen und Medienbeiträgen im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Dabei

fällt auf, dass zumeist der Blick auf Russland, das Geburtsland dieser Revolution, unterbleibt.

Was aber denkt, diskutiert und schreibt man im heutigen Russland über diese Revolution und

ihre weltgeschichtlichen Wirkungen?

Im Rahmen genereller Betrachtungen zur Geschichtsschreibung wird dieser Frage

schwerpunktmäßig nachgegangen. Dabei wird deutlich: Eine temporäre Rückbesinnung auf

die „Große Russische Revolution“, in der Februar- und Oktoberrevolution sowie der

Bürgerkrieg eingebunden sind, steht in russischer Geschichtsschreibung und -betrachtung im

Zeichen politisch gewollter „nationaler Aussöhnung“ zur Konsolidierung der Gesellschaft, in

der man eine Revolution nicht zulassen darf.

7. Dezember

Am 07. Dezember 2017 führt die Leibnitz-Sozietät ihre öffentliche wissenschaftliche Die

Dezember-Plenarsitzung wurde als Kolloquium durchgrführt zum Thema

Menschliche Informationsverarbeitung – interdisziplinäre Analyse und Anwendung

zu Ehren des 90. Geburtstages von Friedhart Klix

mit Beiträgen von Herbert Hörz, Bodo Krause, Werner Krause, Heinz-Jürgen Rothe und

Erdmute Sommerfeld

Sitzung des Plenums der Leibniz-Sozietät

Ort: Rathaus Tiergarten, Berlin, BVV-Saal

Prof. Dr. Herbert Hörz:

Kognitive Psychologie, neue Technologien und Philosophie – Friedhart Klix: Vordenker

für eine komplexe Persönlichkeitstheorie

C.V.:

Prof. Hörz ist Wissenschaftsphilosoph und -historiker. Er wurde 1973 zum

Korrespondierenden, 1977 zum Ordentlichen Mitglied der 1700 von Leibniz in Berlin

begründeten Gelehrtengesellschaft gewählt, der heutigen Leibniz-Sozietät der Wissenschaften

zu Berlin e.V. 1999 – 2006 war er deren Präsident, seit 2009 ist er ihr Ehrenpräsident.

Nach der Promotion in Philosophie/Physik (1960) und der Habilitation (1962) an der

Humboldt-Universität zu Berlin (HUB) erhielt er 1965 eine Professur für philosophische

Probleme der Naturwissenschaften an der Humboldt-Universität. 1972 – 1989 leitete er den

Bereich „Philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung“ am Institut für Philosophie der

Akademie der Wissenschaften der DDR. 1989 – 1992 war er Vizepräsident der AdW der DDR

für die Gelehrtensozietät, danach bis 1995 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Berlin-

Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW), Gruppe

„Wissenschaftshistorische Studien“.

Seine Spezialgebiete sind Methodologie, Erkenntnistheorie, Geschichte der Wissenschaften

und interdisziplinäre Beziehungen zwischen Natur-, Technik-, Geistes- und

Sozialwissenschaften. Er edierte drei Bände mit der Korrespondenz von Hermann v.

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15

Helmholtz. Zu Vorträgen weilte er in den USA, China, Japan und den Ländern Ost- und

Westeuropas, zu Gastprofessuren in Moskau und Graz.

Abstract:

Friedhart Klix, als kognitiver Psychologe wissenschaftlich international ausgewiesen, war

philosophisch umfassend gebildet, ein dialektischer Denker und an einer fruchtbaren

Zusammenarbeit mit Wissenschaftsphilosophen interessiert. Er verfolgte aufmerksam die

Entwicklung neuer Technologien (Digitalisierung). Als Vordenker einer komplexen Theorie

der Persönlichkeit befasste er sich mit dem Verhältnis von Philosophie, Psychologie und

Einzelwissenschaften. Er stellte sich der Frage: Quo vadis Psychologie? Nun geht es um

Zukunftsvisionen und Persönlichkeitspsychologie: Kann man Gedanken lesen? Wird

künstliche Intelligenz zum Mittel der Entmenschlichung des Menschen? Klix nutzte zwei

Erkenntniswege, die auch aktuell zu gehen sind: Elementaranalysen (Bottom-up) sind mit

philosophisch orientierten Einsichten (top-down) zu verbinden.

Prof. Dr. Bodo Krause:

Interdisziplinarität in der experimentellen Psychologie – Erinnerungen an Friedhart

Klix

C.V.:

Prof. Krause ist Mathematiker, Psychologe und Kognitionswissenschaftler sowie Mitglied der

Leibniz-Sozietät seit 2001.

Nach dem Mathematik-Studium wurde er 1966 Wissenschaftlicher Assistent am Institut für

Psychologie der Humboldt-Universität zu Berlin, wo er 1970 auf dem Gebiet der

Mathematischen Psychologie promoviert und zum Oberassistenten befördert wurde. Die

Promotion B (= Habilitation) erfolgte 1980, die Berufung zum Hochschuldozenten für

Allgemeine Psychologie 1983. 1986 wurde er zum außerordentlichen Professor berufen, 1992

zum Universitätsprofessor ernannt.

Seit den 1970er Jahren befasst er sich mit kognitiven Strukturen und Prozessen.

Abstract:

Ein interdisziplinärer und systemisch orientierter Zugang zur experimentellen Psychologie war

ein wesentliches Kennzeichen des Wirkens von Friedhart Klix. Dies stimmte mit dem

naturwissenschaftlichen Zeitgeist überein, der durch die Entwicklungen in der

Informationstheorie und Kybernetik geprägt war.

Ich will versuchen aufzuzeigen, wie und in welchem Ausmaß sich richtungsweisende Impulse

von Friedhart Klix auf meine wissenschaftliche Entwicklung und darüber hinaus in der

Entwicklung der experimentellen Psychologie ausgewirkt haben und noch heute Aktualität

besitzen. Dies soll aus meiner persönlichen Sicht anhand von drei Orientierungen erfolgen, die

Friedhart Klix mir in der ersten Phase meiner Tätigkeit nahe legte. Insbesondere will ich dabei

verdeutlichen, dass diese interdisziplinäre Sichtweise dazu führte, das Methodenspektrum für

die experimentelle Psychologie zu erweitern und damit fachliche Fortschritte und die

Theorieentwicklung zu ermöglichen:

a) der Orientierung auf die Faktorenanalyse als einem multiplen statistischen Modell für die

Aufklärung von Komponenten intelligenten Verhaltens und den daraus folgenden multivariaten

und hierarchischen Ansätzen,

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16

b) der Orientierung auf die strukturellen und semantischen Zusammenhänge, die psychischem

Verhalten und psychischen Prozessen zugrunde liegen und

c) der Orientierung auf physiologische und neuronale Grundlagen psychischer Prozesse,

insbesondere die neurokognitive Modellierung.

Mit diesen Orientierungen wird gleichzeitig deutlich, dass Friedhart Klix, der als Psychologe

auch Vorlesungen in Mathematik und Physiologie besuchte, psychisches Geschehen

systemisch als einen Prozess verstand, der durch die interdisziplinären Verflechtungen mit den

aktuellen Entwicklungen in der Informationstheorie, der Kybernetik und den neuronalen

Grundlagen des Verhaltens zu analysieren ist. Sein Buch „Information und Verhalten“ (1971)

gilt bis heute als ein Standardwerk der experimentellen Psychologie und kennzeichnet die

fundamentale Bedeutung von Information und (organismischer) Informationsverarbeitung für

die Psychologie als Wissenschaft des Erlebens, Verhaltens und seiner Entwicklung. Der

Untertitel macht dies deutlich: „Kybernetische Aspekte der organismischen

Informationsverarbeitung, Einführung in naturwissenschaftliche Grundlagen der Allgemeinen

Psychologie.“

Mit meiner Auswahl werden andere wesentliche Wirkungsfelder von Friedhart Klix hier

ausgeblendet, wie z.B. die von ihm initiierte Fachrichtung „Ingenieurpsychologie“ an der HU

oder das von ihm mit initiierte internationale Netzwerk Man-Computer-Interaction-Research

(MACINTER), das eine internationale Einbindung unserer Forschungsansätze ermöglichte.

Prof. Dr. Werner Krause:

Gesetz und Experiment in der Psychologie“ – zum Gedenken an Friedhart Klix, der am

13.10.2017 90 Jahre geworden wäre

C.V.:

Prof. Krause ist Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 1999. Nach dem Studium der Medizinischen

Elektronik, Radiologischen Technik und Theoretischen Physik an der Technischen Universität

Ilmenau arbeitete er als wissenschaftlicher Assistent am Hirnforschungsinstitut der Universität

Leipzig und am Psychologischen Institut der Humboldt-Universität Berlin, wo er 1969

promoviert wurde. Es folgten die Leitung der Abteilung Problemlösen am Zentralinstitut für

Kybernetik und Informationsprozesse der Deutschen Akademie der Wissenschaften (später

Akademie der Wissenschaften der DDR) sowie die Habilitation (1978) an der Humboldt-

Universität. 1987 wurde er auf den Lehrstuhl Allgemeine Psychologie II der Friedrich-Schiller-

Universität Jena berufen; 1990 bis 1992 war er dort Dekan; in der Zeit zwischen 1988 und 1992

hielt er zusätzlich Gastvorlesungen an den Universitäten Fribourg/Schweiz und Würzburg;

2003 wurde er emeritiert.

Neben dem Buch „Denken und Gedächtnis aus naturwissenschaftlicher Sicht“ (Göttingen

2000) publizierte er zahlreiche Originalbeiträge zur menschlichen Informationsverarbeitung.

Abstract:

Ausgehend von dem 1961 an der Friedrich-Schiller-Universität Jena stattgefundenen

Kolloquium „Gesetz und Experiment in der Psychologie“ , auf dem Friedhart Klix in seinem

gleichnamigen Vortrag Entwicklungstendenzen für eine Theoretische Psychologie

vorweggenommen hat, wird sein wissenschaftlicher Werdegang skizziert, der von einer

spezifischen Komponentenanalyse über eine Prozessanalyse bis hin zu modularen Einheiten

der menschlichen Informationsverarbeitung, den Universalien des Denkens reicht. Eine

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mentale Grammatik, die die Einheiten verknüpft, bleibt als Aufgabe für die nächste Generation.

Am Ende seines Lebens packte er noch einmal große Themen an: die evolutionäre Begründung

kognitiver Prozesse sowie die Herausbildung von Weltbildern in der Geschichte. Ein geplantes

Buch, das sich mit der Wandlung von Weltbildern in der Geschichte befassen sollte, konnte er

nicht mehr fertigstellen.

Prof. Dr. Heinz-Jürgen Rothe:

Mensch-Maschine-Systeme in der Industrie 4.0.

Zur Aktualität der ingenieurpsychologischen Arbeiten von Friedhart Klix

C.V.:

Prof. Rothe ist Arbeitspsychologe und Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2009. Nach dem

Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin (HUB) arbeitete er zunächst als

Wissenschaftlicher Assistent unter Leitung von F. Klix im Bereich Grundlagen der Kybernetik

am Zentralinstitut für Kybernetik und Informationsprozesse der Akademie der Wissenschaften

der DDR und ab 1973 unter Leitung von K.-P. Timpe im Lehrbereich Arbeits- und

Ingenieurpsychologie der Sektion Psychologie der HUB. Arbeitsschwerpunkt war die

menschliche Informationsverarbeitung bei der Mensch-Maschine-Interaktion. 1977 wurde er

mit einer Arbeit über Analysen der Informationsaufnahme in simulierten Leitständen

promoviert. Nach einer zweijährigen Beratertätigkeit an der Psychologischen Fakultät der

Universität Havanna (1983-1985) konzentrierte sich seine wissenschaftliche Arbeit auf

methodische Zugänge zur Erfassung und Repräsentation von Expertenwissen im Vorfeld der

Entwicklung wissensbasierter Systeme. 1991 habilitierte er sich an der Universität Kassel. Nach

Lehrstuhlvertretungen an den Universitäten Kassel, Leipzig und Trier wechselte er 1995 an das

neu gegründete Institut für Psychologie der Universität Potsdam. Neben der Fortsetzung seiner

Arbeiten zur Diagnose berufsspezifischen Wissens bei Arbeitspersonen hat er sich an den von

A.-M. Metz geleiteten Forschungsarbeiten zur Analyse psychischer Belastungen in

Arbeitsprozessen und zum betrieblichen Gesundheitsmanagement beteiligt.

Abstract:

Mit dem Schlagwort Industrie 4.0 wird eine in den Industrieländern beginnende technisch-

technologische Entwicklung bezeichnet, die durch die Verknüpfung von Informations- und

Kommunikationstechnologien mit Produktionsprozessen charakterisiert ist und zu einer

weiteren Automatisierung von Arbeitssystemen führen wird. In sog. cyber-physischen

Systemen werden immer mehr bisher von Menschen ausgeführte

Informationsverarbeitungsprozesse und daraus resultierende Eingriffshandlungen in reale

Prozesse von technischen Komponenten übernommen. Beim Menschen verbleiben aber

Überwachungs- und Kontrollfunktionen. Ausgehend von diesem Entwicklungsprozess wird im

Beitrag dargestellt, dass Friedhart Klix bereits 1971 auf der Grundlage einer differenzierten

Analyse der damals in verschiedenen industriellen Bereichen zu findenden automatisierten

Arbeitssysteme das Gemeinsame der Arbeitssituationen in Bezug auf die Anforderungen an

den Menschen herausgearbeitet hat. Aus ingenieurpsychologischer Sicht charakterisierte er

unabhängig vom Automatisierungsgrad die Arbeit als Mensch-Maschine-Interaktion. Die

Definition von Mensch-Maschine-Systemen trifft auch für die Arbeit in und mit cyber-

physischen Systemen zu. Im Weiteren wird dann an Hand von zwei konstitutiven

Definitionsaspekten deren Relevanz für gegenwärtige Forschungen diskutiert:

(1) Die grundlegenden Erkenntnisse, dass menschliches Verhalten „den Gesetzen der

gesellschaftlich geformten organismischen Informationsverarbeitung unterliegt“ und

technische Systeme „physikalischen Gesetzen der elektronischen Informationsverarbeitung“

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folgen, werden hinsichtlich der Rolle von Computern mit künstlicher Intelligenz in cyber-

physischen Systemen erörtert.

(2) Die Erkenntnis, dass Mensch und Maschine „für die Zeit ihrer Verbindung wechselseitig

Information in kodierter Form aufnehmen“, führt zu der Frage nach den Möglichkeiten zur

Optimierung des Informationsaustausches, die eingeschränkt auf die Informationsdarbietung

für den Menschen betrachtet wird.

Während zu (1) mehr offene Probleme als Antworten vorliegen, sind zu (2) bereits

umfangreiche Forschungen durchgeführt worden. Im Beitrag wird gezeigt, dass die theoretische

Basis dieser Forschungen die zweistufige Kodierungstheorie von Friedhart Klix darstellt.

Danach werden auf der ersten Stufe technisch-technologische Prozessmerkmale in

physikalische Zustandsänderungen (Kodes) umgesetzt, die auf der 2. Stufe in der Lage sind,

Erregungsvorgänge in den Rezeptorfeldern der Sinnesorgane hervorzurufen. Aus dem

Gedächtnis muss der Mensch dann die vorher erlernte Bedeutung der Kodezeichen abrufen und

daraus die realen Prozessmerkmale erschließen. Im Ergebnis von Simulationsexperimenten

wurden zur Übermittlung von Informationen an den Menschen sowohl visuelle als auch

akustische Kodes entwickelt und Richtlinien für deren Gestaltung zur Gewährleistung einer

schnellen und fehlerfreien Wahrnehmbarkeit erarbeitet. Diese beziehen sich auf die 2.

Kodierungsstufe. Neue Erkenntnisse zur Umsetzung des Industrie- 4.0-Konzeptes kann die

Ingenieurpsychologie aber nur erbringen, wenn sie sich in ihren künftigen Forschungen zur

Optimierung des Informationsaustausches in Mensch-Maschine-Systemen auf die 1.

Kodierungsstufe im Klix´schen Sinne konzentriert. Dazu werden abschließend im Beitrag

Vorschläge zur Diskussion gestellt.

Prof. Dr. Erdmute Sommerfeld:

Die Klix-Operationen und Prozeduren: anforderungsinvariant und mathematisch exakt

C.V.:

Frau Prof. Sommerfeld ist Mitglied der Leibniz-Sozietät seit 2004. Nach dem Studium der

Physik an der Technischen Hochschule Magdeburg arbeitete sie von 1969 bis 1991 an der

Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, später Akademie der Wissenschaften der

DDR, am Zentralinstitut für Kybernetik und Informationsprozesse – mit dem

Forschungsschwerpunkt „Mathematisch-psychologische Elementaranalyse der menschlichen

Informationsverarbeitung“ (Promotion 1979 zum Dr. rer. nat.). Von 1985 bis zur Abwicklung

der Akademie der Wissenschaften leitete sie die Abteilung „Mathematische Modellierung und

Simulation kognitiver Prozesse“, danach die Projektgruppe „Mathematische Psychologie“ im

Rahmen des Wissenschaftler-Integrations-Programms (WIP). Sie hielt Gastvorlesungen an den

Universitäten Jena, Bochum, Braunschweig und Leuven (Belgien). Nach der Habilitation an

der Humboldt-Universität zu Berlin 1993 war sie wissenschaftliche Oberassistentin am Institut

für Psychologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena. 1994 erhielt sie den Ruf auf die

Dozentur „Methoden der Psychologie“ der Universität Leipzig und wurde 2003 zur

Außerplanmäßigen Professorin ernannt.

In der International Society for Psychophysics war sie die Vorsitzende des Programm- und

Organisationskomitees für den „Fechner Day 2001“ in Leipzig – das Internationale Symposium

zu Ehren des 200. Geburtstages von G. Th. Fechner, dem Begründer der Psychophysik und

Wegbereiter für die experimentelle Psychologie.

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Sie publizierte das Buch „Kognitive Strukturen“ (Münster, New York, 1994) sowie zahlreiche

Fachartikel zur Modellierung und Analyse kognitiver Strukturen und Prozesse.

Abstract:

Ausgangspunkt ist die Menge der kognitiven Operationen und Prozeduren, die Friedhart Klix

in elementaren Wahrnehmungsprozessen bis hin zu komplexen Problemlösungsprozessen

empirisch aufgezeigt hat (1990, 1992). Darüber hinaus hat er diese Denkoperationen durch ihre

evolutionäre Herausbildung begründet (1993). Sie stellen Basisprozesse in der menschlichen

Informationsverarbeitung dar.

Im Vortrag werden kognitive Operationen von der theoretisch- systematischen Seite her

definiert. Mit Hilfe des damit entwickelten Modellansatzes zur Systematisierung und

Formalisierung kognitiver Strukturtransformationen werden die Klix-

Denkoperationen systematisiert und mathematisch exakt beschrieben. Auf dieser Grundlage

wird gezeigt, dass Operationen, die in der menschlichen Informationsverarbeitung empirisch

besonders häufig auftreten, generelle formale Eigenschaften besitzen – gekennzeichnet durch

ausgezeichnete Veränderungen von Information und Struktur. Dabei werden formale

Beziehungen aufgezeigt zwischen den Klix-Operationen und Operationen aus Modellansätzen

aus der Literatur sowie empirisch nachgewiesenen Operationen. Bei den bisher analysierten

Operationen kann gezeigt werden, dass diese prinzipiell durch die Klix-Operationen und -

Prozeduren ausgedrückt werden können.