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76 BELGISCHER SYMBOLISMUS NERI OXMAN 54 MAX HOLLEIN 44 FRANK WALTER 32 SERIE: ZWANZIGER JAHRE – RENÉE SINTENIS 62 20 ULLA VON BRANDENBURG 4 BIO-DESIGN: Wie Neri Oxman die Gestaltung neu erfindet BELGISCHER SYMBOLISMUS: Das Rendezvous mit der Angst PLUS AUKTIONEN: DIE BESTEN TERMINE AUF 16 SEITEN MIT DURCHBLICK Ulla von Brandenburg: Der Pariser Denk- und Fühlparcours DAS KUNSTMAGAZIN // MAI 2020 Auktionshäuser locken mit schönen Losen – die Highlights der kommenden Saison Nicht die Köpfe hängen lassen PLUS AUKTIONEN TITEL ULLA VON BRANDENBURG Mit bunten Stoffbahnen, Zelten und Filmen verwandelt sie das Pariser Palais de Tokyo in eine fantasti- sche Bühne. Vorhang auf für die spannendste Installationskünstlerin Deutschlands 20 RADAR BILDER DES MONATS Zeichnen mit Wind, Künstler verarbeiten Corona, Aktion gegen Femizide. DA WILL ICH HIN Das Under- groUnd MUseUM in L. A. KUNST FÜR EINE BESSERE WELT Pleinair-Malerei im Hamba- cher Forst. AKTUELL ÜBERSCHÄTZT Thomas Demands Blüten für Prada. KUNST AUS DEM OFF Beckmanns Ausgangssperre 8—19 THEMEN FRANK WALTER Er kam aus Antigua, hatte deutsche Vorfahren und war ein Universal- talent. Dass der karibische Künstler erst jetzt entdeckt wird, erzählt viel über Kolonialismus 32 MAX HOLLEIN Wie führt man eine Welt- institution? Interview mit dem begnadeten Kunstmanager, der seit eineinhalb Jahren Chef des MeTroPoliTan MUseUM in New York ist 44 BILDSEMINAR Wolfgang Ullrich über Kunst, die nur am Ursprungsort sinnvoll ist 52 NERI OXMAN Die US-amerikanische Desi- gnerin will die Welt mit futuristischen Rüs- tungen und organischen Sitzmöbeln retten 54 SERIE: ZWANZIGER JAHRE (TEIL 6): RENÉE SINTENIS Mit ihren lebensnahen Tierplastiken und ihrem androgyn-mondänen Look war die Bildhauerin im Berlin der Weimarer Zeit die Künstlerin der Stunde 62 PLASTIKTÜTEN Aus dem Alltag werden sie zunehmend verbannt. Jetzt wandern die ersten schicken Logo-Taschen ins Museum 70 BELGISCHER SYMBOLISMUS Ende des 19. Jahrhunderts bannten besonders Maler aus Belgien die düstere, dekadente Stimmung der Zeit auf die Leinwand 76 MEILENSTEINE Michelangelo Pistolettos Venus in Lumpen 88 STARTER Die Kunststars von morgen: diesmal Suah Im 94 AUSSTELLUNGEN AMSTERDAM Vivian Maier 96 DRESDEN Ernst Barlach 98 DUISBURG Nevin Aladağ 99 BADEN-BADEN Körper. Blicke. Macht. Eine Kulturgeschichte des Bades 100 WIEN ... von Brot, Wein, Autos, Sicherheit und Frieden 102 KALENDER Die internationalen Kunsttermine im Überblick 104 JOURNAL DOCUMENTA 15 Was plant das indonesische Kuratorenteam? Interview mit ruangrupa- Mitglied Mirwan Andan 116 MAFIA-ARCHITEKTUR Warum die »Vele«- Hochhäuser in Neapel abgerissen werden 118 AUGENTRAINING Wie Polizisten durch Kunst zu besseren Ermittlern werden 119 ONLINE-MESSE arT Basel verlegt ihre Events mit virtuellen Show Rooms ins Netz 120 AUSSER HAUS Till Briegleb über Archi- tektenvisionen in Krisenzeiten 121 MUSEUM ZUHAUS Online-Angebote, wenn Ausstellungen geschlossen sind 122 IM FILM Streaming-Tipps mit Vogeltanz, Monet und einer jungen Frau in Flammen 124 NEUE RÄUME Modeschöpferin agnès b. eröffnet in Paris privates Kunstmuseum 125 FRAUENINSEL Wie Künstlerinnen ein Eiland vor Palermo vor Privatisierung retten wollen 126 KINDER ERKLÄREN KUNST Diesmal Another Green World von Nicole Eisenman 129 AUKTIONSPLUS Die Höhepunkte der Frühjahrs- und Sommerauktionen 131 RUBRIKEN Editorial 3 Betreff: arT 6 Leserservice, Impressum, Fotovermerke 128 Im nächsten Heft 146 TITELBILD: Ulla-von-Brandenburg- Werk aus Stoffbahnen mit kreisförmigem Ausschnitt in ihrer Schau »Le milieu est bleu« im Palais de Tokyo in Paris FOTO: STEPHANIE FÜSSENICH 96 AUSSTELLUNGEN 116 JOURNAL 8 RADAR Frühlingsgruß Auf dem purpur leuchtenden Blüten- blatt einer Kamelie hinterlässt ein im Wind tanzender Stift seine zarten Spuren. Das Meer der weißen Blüten gehört zu einem Rosengewächs na- mens Thunbergs Mädesüß, das rein gar nichts mit der Klimaaktivistin zu tun hat. Hier war Rikuo Ueda am Werk. Der japanische Künstler hat sich das flüchtigste aller Medien zum Kom- plizen gemacht, die Luft. Seine Werke entstehen, indem er einen Stift und einen Malgrund so in der Natur befes- tigt, dass sich beide beim kleinsten Hauch berühren. Dieses Wind Drawing entstand am 22. März in einem Park im japanischen Osaka, als die Welt be- gann, das Ausmaß der Corona-Pande- mie zu begreifen. »Rikuo möchte den Menschen in dieser Zeit ein gutes Gefühl bereiten«, sagt seine Galeristin Mikiko Sato, die seinen Gruß verschickte. RADAR BILDER+THEMEN DES MONATS KUNSTAUKTIONEN 16 Seiten extra zu den Highlights der Auktionssaison im Frühjahr/Sommer A ls Vivian Maier 2009 ver- armt und vereinsamt in Chicago stirbt, hat sie keine Ahnung, dass sich zur gleichen Zeit ihre große Karriere anbahnt, dass sie kurz nach ihrem Tod mit Robert Frank, Helen Levitt und Garry Winogrand verglichen wird, ih- re Bilder in den großen Ausstellungs- häusern weltweit hängen werden. Die Geschichte ist ein einzi- ges Märchen. Neben ihrer Arbeit als Kindermädchen schuf Maier über Jahrzehnte hinweg ein gewaltiges fotografisches Werk, das bis kurz vor ihrem Tod einfach niemand kannte. Sie lebte extrem zurückgezogen, öffentlich gezeigt hat sie ihre Bilder nie. 2007 ersteigert der junge Im- mobilienmakler John Maloof zufällig eine erste Kiste mit Negativen von Maier, aber erst 2009, nachdem er eine Auswahl auf einer Webseite prä- sentierte, wird ihm und der Kunstwelt bewusst, auf was er da gestoßen ist. Maier, die1926 in armen Verhält- nissen in New York geboren wurde, hinterließ einen riesigen, unsortier- ten Bilderschatz. Weit über 100 000 Negative, dazu Tausende unentwickel- te Filmrollen trug John Maloof Stück für Stück zusammen. Während an- fangs die Schwarzweißbilder – Stra- ßenszenen, Schaufenster, Porträts und Selbstporträts – im Fokus der Auf- arbeitung standen, entdeckt man seit einiger Zeit einen neuen Aspekt ihres Werks. Das Fotomuseum foamin Amster- dam zeigt jetzt eine Auswahl von über 60 Farbfotografien Maiers, die zwi- schen 1956 und 1986 entstanden sind. Auch sie beweisen das ästhetische Gespür, den besonderen Humor und die Auffassungsgabe der fotografie- renden Nanny. Claartje van Dijk, Kuratorin der Ausstellung, erkennt aber auch Unterschiede zu den Schwarzweißbildern: »Ich glaube, in der Farbfotografie entwickelte sie eine deutlichere eigene Sprache. Sie ist immer noch Street-Fotografin. Sie fotografiert immer noch Men- schen. Aber sie wird auch ein biss- chen abstrakter.« Maier konzentriert sich mehr auf Gesten, Formen, Flä- chen und Strukturen. Und auch in Farbe schuf Maier viele großartige Selbstporträts. Oft in- szeniert sie sich dafür in Spiegeln oder hinter Scheiben. Sie verbirgt Teile ihres Gesichts, zeigt ihren bloßen Schat- ten oder ihren leeren Mantel – ganz so, als ob sie sich ein Leben lang fragte, wie viel sie eigentlich von sich preis- geben möchte. // Die zweite Entdeckung Für ihre Schwarzweißfotos wurde sie posthum berühmt. Jetzt feiert man auch die Farbaufnahmen der Amerikanerin Vivian Maier – Works in Color, Amsterdam, FOAM, 10.04.2020—28.06.2020 AUSSTELLUNGEN DIE HÖHEPUNKTE IM MAI Ernte einer Gemeinschaſt auf- bewahrt wird als gemeinsame Resource für die Zukunſt. Wir sehen darin ein Konzept, das uns allen nützen kann. Für Kas- sel haben wir das so formuliert: Wenn die documenta mit der noblen Absicht gegründet wurde, Europas Wunden der Nachkriegszeit zu heilen, war- um sollten wir diese Intention nicht erweitern, um Bereiche zu heilen, die unter anderen Wunden leiden, die im Kolonia- lismus, Kapitalismus oder Pat- riarchat begründet sind. Wie weit sind Sie in Ihren Pla- nungen für die documenta? Haben Sie schon mit Leuten in Kassel »rumgehangen«? Wir sind in einem guten flie- ßenden Prozess, wir haben letz- tes Jahr mit den Recherchen begonnen. Ich selbst habe Kas- sel jetzt dreimal besucht, meist haben wir bisher nur mit den Leuten rumgehangen, die dort im Fridericianum für die documenta arbeiten, haben D as indonesische Künst- lerkollektiv ruangrupa, das mit der künstleri- schen Leitung der documenta 15 betraut wurde, schmiedet schon eifrig Pläne für Kassel. Bisher ist von den Ideen, die in Workshops im Dschungel und im ruangrupa-Headquarter in Jakarta entwickelt wurden, allerdings wenig nach außen gedrungen. Nun ergab sich n Berlin die Gelegenheit zum Gespräch mit Mirwan Andan, einem Mitglied der zehnköpfi- gen Gruppe aus Künstlern, Kuratoren und Journalisten. Mirwan hat französische Litera- tur, Islam- und Politikwissen- schaſten in Indonesien stu- diert, war als Researcher für die Jakarta-Biennale und als Berater für den indonesischen Kulturminister tätig. Im Rah- Kaffee mit ihnen getrunken, ge- plaudert. Wir haben auch schon ein paar lokale Cafés besucht und Leute getroffen, um ein Ge- fühl dafür zu bekommen, was wir für die Menschen dort ma- chen wollen. (Wechselt ins Deut- sche:)Ich spreche ein bisschen Deutsch, habe die Sprache seit sieben Jahren gelernt, aber nicht so gut, nur ein bisschen. (Weiter in Englisch:)Erstmals besucht habe ich Deutschland 2015, da bekam ich eine Ein- ladung vom Harun-Farocki- institut und nahm dort an einer Diskussion teil. Wenn Sie in Indonesien ein Projekt planen, gehen Sie zu- nächst in die Community und finden dann beim Abhängen mit den Leuten heraus, was Sinn machen könnte. Wie se- hen Ihre Recherchen für die documenta aus, wie finden Bedürfnis. Humor ist wie eine Soſtware, wenn du sie in ei- ner Hardware installierst, in der sie nicht funktioniert, musst du eine andere Soſt- ware ausprobieren. Hatten Sie schon Situationen, in denen Ihr Sinn für Humor nicht funktionierte? Nein, das ist mir bisher noch nicht passiert. Ich sage zum Beispiel gern, dass Networking für uns Arbeit ist, ansonsten wäre es ja nur »Net«, also ein schlaffes Netz. Das finden auch hier die Leute lustig. Wie wollen Sie Ihre Art von Networking und produktiven Hang-outs auf der documenta umsetzen? Wir sind immer noch dabei, die Ideen zu formulieren. Für unser Projekt bei der sommer- akademie salzBurg, wo es um globale Wissensvermittlung ging, realisierten wir 2016 ein Ruhehaus, auch in Kassel wer- INTERVIEWBis zur documenta 15 dauert es noch zwei Jahre. ruangrupa-Mitglied Mirwan Andan verrät schon jetzt Details von dem, was das indonesische Kuratorenteam für die große Kunstschau plant »Es geht uns um Teilhabe, dass wir teilen, was wir haben und auf den Tisch packen, was wir können« menprogramm der Berlinale hielt er eine Lecture zum The- ma »Kollektive«. Das Interview fand Ende Februar statt – also noch vor der weltweiten Coro- na-Krise, die deshalb hier kei- ne Erwähnung fand. aRt: Wenn Sie wie hier in Ber- lin zur Lecture geladen wer- den, lassen Sie erst mal das Vortragspult und die Stuhlrei- hen wegräumen. Stattdessen loungt man auf Sitzsäcken, und statt eines Vortrags stel- len Sie Fragen ans Publikum. Mirwan Andan: Ja, ich wollte den Raum mehr wie einen Hang-out-Platz gestalten, wo man sich niederlässt und nach getaner Arbeit locker mitein- ander ins Gespräch kommt. Das ist für uns eine wichtige Form der Kommunikation. Sie haben ja bereits angekün- digt, dass »Collectivity« eines der Hauptthemen für die documenta 15 sein wird. Was bedeutet Kollektivität für ruangrupa? Es geht uns um Teilhabe, dass wir teilen, was wir haben, und auf den Tisch packen, was wir können, unseren Kapazitä- ten und Möglichkeiten ent- sprechend. Jeder kann sich etwas davon nehmen, auch wir selbst können nehmen, was andere auf den Tisch legen. Und dann sehen wir, was wir ge- meinsam als Plattform daraus machen können. Sie nennen dieses Konzept »Lumbung«, das ist auch der Arbeitstitel der documenta 15. Was bedeutet das genau? Lumbung steht für das indone- sische Wort für »Reisscheune«. Damit ist ein kollektives Sam- melsystem gemeint, in dem die Sie heraus, was das Publikum hier braucht? Wir wollen mehr herausfinden über die Kollektive, die es hier- zulande gibt, und welche Ak- tivitäten es zu spekulativer ökonomischer Nachhaltigkeit gibt, welche Technologien und Bildungseinrichtungen. Das sind die drei Themengebiete, die uns am meisten interes- sieren: Technologie, Umwelt und Ökonomie. Heißt das, Sie wollen vornehm- lich andere Künstlerkollektive nach Kassel einladen? Wir werden das Lumbung-Prin- zip in zwei Teilen umsetzen, mit einer Kunstausstellung, in der natürlich nicht nur Kol- lektive, sondern auch einzelne Künstler ausstellen werden, und mit einem institutionel- len Gebäude und einer Bil- dungsplattform, wo Kollektive aus aller Welt zusammenfin- den sollen. Sie sagen, dass Humor, Groß- zügigkeit und Neugierde wich- tige Elemente Ihres Handelns sind. Haben Sie sich schon mit dem deutschen Sinn für Humor vertraut gemacht? In jedem kulturellen Kontext ist der Humor anders. Wir haben da einen sehr simplen Ansatz, nämlich dass erst mal jeder Humor liebt, auch wenn der Zugang dazu verschie- den ist. Aber jeder lächelt doch gern und kichert, das ist ein grundlegendes menschliches Karaoke für Kassel JOURNAL NACHRICHTEN UND DEBATTEN 5 INHALT // MAI 2020

32 RADAR Wind Drawing 20 96 116 - art - Das …...Tod mit Robert Frank, Helen Levitt und Garry Winogrand verglichen wird, ih-Anlass im Internet über re Bilder in den großen Ausstellungs-

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Page 1: 32 RADAR Wind Drawing 20 96 116 - art - Das …...Tod mit Robert Frank, Helen Levitt und Garry Winogrand verglichen wird, ih-Anlass im Internet über re Bilder in den großen Ausstellungs-

76BEL G I S C HER SYMB OL I SM US

NERI OX M AN

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M A X HOL L EIN

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FR ANK WALTER

32

SERIE: Z WANZIG ER JAHRE – RENÉE SIN TENI S

62

20U L L A VON BR ANDENB U RG

4

B I O - D E S I G N : Wie Neri Oxman die Gestaltung neu erfindet

B E L G I S C H E R S Y M B O L I S M U S : Das Rendezvous mit der Angst

PLUS AUKTIONEN: DIE BESTEN TERMINE AUF 16 SEITEN

MIT DURCHBLICK Ulla von Brandenburg: Der Pariser Denk- und Fühlparcours

DA S K U N S T M AG A Z I N // M A I 2 0 2 0

4 190108 414000

05

D € 14,00 // A € 15,50 // CH sfr 22,00 // P (cont.), I, E € 18,00 // B, NL, LUX € 16,00

Auktionshäuser locken mit schönen Losen –

die Highlights der kommenden Saison

Nicht die Köpfe hängen lassen

P LU S AU K T I O N E N

TITEL

ULLA VON BRANDENBURG Mit bunten Stoffbahnen, Zelten und Filmen verwandelt sie das Pariser Palais de Tokyo in eine fantasti-sche Bühne. Vorhang auf für die spannendste Installationskünstlerin Deutschlands 20

RADAR

BILDER DES MONATS Zeichnen mit Wind, Künstler verarbeiten Corona, Aktion gegen Femizide. DA WILL ICH HIN Das Under-groUnd MUseUM in L. A. KUNST FÜR EINE BESSERE WELT Pleinair-Malerei im Hamba-cher Forst. AKTUELL ÜBERSCHÄTZT Thomas Demands Blüten für Prada. KUNST AUS DEM OFF Beckmanns Ausgangssperre 8—19

THEMEN

FRANK WALTER Er kam aus Antigua, hatte deutsche Vorfahren und war ein Universal- talent. Dass der karibische Künstler erst jetzt entdeckt wird, erzählt viel über Kolonialismus 32

MAX HOLLEIN Wie führt man eine Welt- in stitution? Interview mit dem begnadeten Kunstmanager, der seit eineinhalb Jahren Chef des MeTroPoliTan MUseUM in New York ist 44

BILDSEMINAR Wolfgang Ullrich über Kunst, die nur am Ursprungsort sinnvoll ist 52

NERI OXMAN Die US-amerikanische Desi-gnerin will die Welt mit futuristischen Rüs- tungen und organischen Sitzmöbeln retten 54

SERIE: ZWANZIGER JAHRE (TEIL 6): RENÉE SINTENIS Mit ihren lebensnahen Tierplastiken und ihrem androgyn-mondänen Look war die Bildhauerin im Berlin der Weimarer Zeit die Künstlerin der Stunde 62

PLASTIKTÜTEN Aus dem Alltag werden sie zunehmend verbannt. Jetzt wandern die ersten schicken Logo-Taschen ins Museum 70

BELGISCHER SYMBOLISMUS Ende des 19. Jahrhunderts bannten besonders Maler aus Belgien die düstere, dekadente Stimmung der Zeit auf die Leinwand 76

MEILENSTEINE Michelangelo Pistolettos Venus in Lumpen 88

STARTER Die Kunststars von morgen: diesmal Suah Im 94

AUSSTELLUNGEN

AMSTERDAM Vivian Maier 96

DRESDEN Ernst Barlach 98

DUISBURG Nevin Aladağ 99

BADEN-BADEN Körper. Blicke. Macht. Eine Kulturgeschichte des Bades 100

WIEN ... von Brot, Wein, Autos, Sicherheit und Frieden 102

KALENDER

Die internationalen Kunsttermine im Überblick 104

JOURNAL

DOCUMENTA 15 Was plant das indonesische Kuratorenteam? Interview mit ruangrupa-Mitglied Mirwan Andan 116

MAFIA-ARCHITEKTUR Warum die »Vele«-Hochhäuser in Neapel abgerissen werden 118

AUGENTRAINING Wie Polizisten durch Kunst zu besseren Ermittlern werden 119

ONLINE-MESSE arT Basel verlegt ihre Events mit virtuellen Show Rooms ins Netz 120

AUSSER HAUS Till Briegleb über Archi-tektenvisionen in Krisenzeiten 121

MUSEUM ZUHAUS Online-Angebote, wenn Ausstellungen geschlossen sind 122

IM FILM Streaming-Tipps mit Vogeltanz, Monet und einer jungen Frau in Flammen 124

NEUE RÄUME Modeschöpferin agnès b. eröffnet in Paris privates Kunstmuseum 125

FRAUENINSEL Wie Künstlerinnen ein Eiland vor Palermo vor Privatisierung retten wollen 126

KINDER ERKLÄREN KUNST Diesmal Another Green World von Nicole Eisenman 129

AUKTIONSPLUS Die Höhepunkte der Frühjahrs- und Sommerauktionen 131

RUBRIKEN

Editorial 3

Betreff: arT 6

Leserservice, Impressum, Fotovermerke 128

Im nächsten Heft 146

TITELBILD: Ulla-von-Brandenburg-Werk aus Stoffbahnen mit kreisförmigem Ausschnitt in ihrer Schau »Le milieu est bleu« im Palais de Tokyo in Paris

FOTO: STEPHANIE FÜSSENICH

96 AUSSTELLUNGEN

116 JOURNAL

8 RADAR

FrühlingsgrußAuf dem purpur leuchtenden Blüten-blatt einer Kamelie hinterlässt ein im Wind tanzender Stift seine zarten Spuren. Das Meer der weißen Blüten gehört zu einem Rosengewächs na- mens Thunbergs Mädesüß, das rein gar nichts mit der Klimaaktivistin zu tun hat. Hier war Rikuo Ueda am Werk. Der japanische Künstler hat sich das flüchtigste aller Medien zum Kom- plizen gemacht, die Luft. Seine Werke entstehen, indem er einen Stift und einen Malgrund so in der Natur befes-tigt, dass sich beide beim kleinsten Hauch berühren. Dieses Wind Drawing entstand am 22. März in einem Park im japanischen Osaka, als die Welt be- gann, das Ausmaß der Corona-Pande-mie zu begreifen. »Rikuo möchte den Menschen in dieser Zeit ein gutes Gefühl bereiten«, sagt seine Galeristin Mikiko Sato, die seinen Gruß verschickte.

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R ADARBILDER+THEMENDES MONATS

KUNSTAUKTIONEN

16 Seiten extra zu den Highlights der Auktionssaison im Frühjahr/Sommer

Als Vivian Maier 2009 ver-armt und vereinsamt in Chicago stirbt, hat sie keine Ahnung, dass sich

zur gleichen Zeit ihre große Karriere anbahnt, dass sie kurz nach ihrem Tod mit Robert Frank, Helen Levitt und Garry Winogrand verglichen wird, ih- re Bilder in den großen Ausstellungs- häusern weltweit hängen werden.

Die Geschichte ist ein einzi- ges Märchen. Neben ihrer Arbeit als Kindermädchen schuf Maier über Jahrzehnte hinweg ein gewaltiges fotografisches Werk, das bis kurz vor ihrem Tod einfach niemand kannte. Sie lebte extrem zurückgezogen, öffentlich gezeigt hat sie ihre Bilder nie. 2007 ersteigert der junge Im- mobilienmakler John Maloof zufällig eine erste Kiste mit Negativen von Maier, aber erst 2009, nachdem er eine Auswahl auf einer Webseite prä-sentierte, wird ihm und der Kunstwelt bewusst, auf was er da gestoßen ist.

Maier, die1926 in armen Verhält-nissen in New York geboren wurde, hinterließ einen riesigen, unsortier- ten Bilderschatz. Weit über 100 000 Negative, dazu Tausende unentwickel- te Filmrollen trug John Maloof Stück für Stück zusammen. Während an-fangs die Schwarzweißbilder – Stra-ßenszenen, Schaufenster, Porträts und Selbstporträts – im Fokus der Auf-arbeitung standen, entdeckt man seit einiger Zeit einen neuen Aspekt ihres Werks.

Das Fotomuseum foam in Amster-dam zeigt jetzt eine Auswahl von über 60 Farbfotografien Maiers, die zwi-schen 1956 und 1986 entstanden sind. Auch sie beweisen das ästhetische

Gespür, den besonderen Humor und die Auffassungsgabe der fotografie-renden Nanny. Claartje van Dijk, Kuratorin der Ausstellung, erkennt aber auch Unterschiede zu den Schwarzweißbildern: »Ich glaube, in der Farbfotografie entwickelte sie eine deutlichere eigene Sprache. Sie ist immer noch Street-Fotografin. Sie fotografiert immer noch Men-schen. Aber sie wird auch ein biss-chen abstrakter.« Maier konzentriert sich mehr auf Gesten, Formen, Flä-chen und Strukturen.

Und auch in Farbe schuf Maier viele großartige Selbstporträts. Oft in-szeniert sie sich dafür in Spiegeln oder hinter Scheiben. Sie verbirgt Teile ihres Gesichts, zeigt ihren bloßen Schat- ten oder ihren leeren Mantel – ganz so, als ob sie sich ein Leben lang fragte, wie viel sie eigentlich von sich preis-geben möchte. // TIM HOLTHÖFER

Die zweite EntdeckungFür ihre Schwarzweißfotos wurde sie posthum berühmt. Jetzt feiert man auch die Farbaufnahmen der AmerikanerinVivian Maier – Works in Color, Amsterdam, FOAM, 10.04.2020—28.06.2020

V O R B E R I C H T

Der Band »Vivian Maier. Die Farbphotogra-phien« erschien im Verlag Schirmer/Mosel, 240 Seiten, 58 Euro.

Bitte informieren Sie sich aus gegebenem Anlass im Internet über eine Schließung oder geänderte Laufzeit der Ausstellung.

Nervöse Geste oder geheimes Handzeichen? Vivian Maier besaß ein ausgeprägtes Ge- spür für den Moment, für Komposition, Licht und Farbe

ORT UNBEKANNT, 1956

Immer wieder insze-nierte Maier sich in vielschichtigen Selbstporträts

SELBSTPORTRÄT, CHICAGOLAND, 1975

9796

AUSSTELLUNGEND I E H Ö H E P U N K T E

I M M A I

Ernte einer Gemeinschaft auf- bewahrt wird als gemeinsame Resource für die Zukunft. Wir sehen darin ein Konzept, das uns allen nützen kann. Für Kas-sel haben wir das so formuliert: Wenn die documenta mit der noblen Absicht gegründet wurde, Europas Wunden der Nachkriegszeit zu heilen, war-um sollten wir diese Intention nicht erweitern, um Bereiche zu heilen, die unter anderen Wunden leiden, die im Kolonia-lismus, Kapitalismus oder Pat-riarchat begründet sind. Wie weit sind Sie in Ihren Pla-nungen für die documenta? Haben Sie schon mit Leuten in Kassel »rumgehangen«?Wir sind in einem guten flie-ßenden Prozess, wir haben letz-tes Jahr mit den Recherchen begonnen. Ich selbst habe Kas-sel jetzt dreimal besucht, meist haben wir bisher nur mit den Leuten rumgehangen, die dort im Fridericianum für die documenta arbeiten, haben

Das indonesische Künst-lerkollektiv ruangrupa, das mit der künstleri-

schen Leitung der documenta 15 betraut wurde, schmiedet schon eifrig Pläne für Kassel. Bisher ist von den Ideen, die in Workshops im Dschungel und im ruangrupa-Headquarter in Jakarta entwickelt wurden, allerdings wenig nach außen gedrungen. Nun ergab sich n Berlin die Gelegenheit zum Gespräch mit Mirwan Andan, einem Mitglied der zehnköpfi-gen Gruppe aus Künstlern, Kuratoren und Journalisten. Mirwan hat französische Litera-tur, Islam- und Politikwissen-schaften in Indonesien stu-diert, war als Researcher für die Jakarta-Biennale und als Berater für den indonesischen Kulturminister tätig. Im Rah-

Kaffee mit ihnen getrunken, ge-plaudert. Wir haben auch schon ein paar lokale Cafés besucht und Leute getroffen, um ein Ge-fühl dafür zu bekommen, was wir für die Menschen dort ma-chen wollen. (Wechselt ins Deut-sche:) Ich spreche ein bisschen Deutsch, habe die Sprache seit sieben Jahren gelernt, aber nicht so gut, nur ein bisschen. (Weiter in Englisch:) Erstmals besucht habe ich Deutschland 2015, da bekam ich eine Ein- ladung vom Harun-Farocki- institut und nahm dort an einer Diskussion teil.Wenn Sie in Indonesien ein Projekt planen, gehen Sie zu-nächst in die Community und finden dann beim Abhängen mit den Leuten heraus, was Sinn machen könnte. Wie se-hen Ihre Recherchen für die documenta aus, wie finden

Bedürfnis. Humor ist wie eine Software, wenn du sie in ei- ner Hardware installierst, in der sie nicht funktioniert, musst du eine andere Soft- ware ausprobieren. Hatten Sie schon Situationen, in denen Ihr Sinn für Humor nicht funktionierte?Nein, das ist mir bisher noch nicht passiert. Ich sage zum Beispiel gern, dass Networking für uns Arbeit ist, ansonsten wäre es ja nur »Net«, also ein schlaffes Netz. Das finden auch hier die Leute lustig.Wie wollen Sie Ihre Art von Networking und produktiven Hang-outs auf der documenta umsetzen?Wir sind immer noch dabei, die Ideen zu formulieren. Für unser Projekt bei der sommer-akademie salzBurg, wo es um globale Wissensvermittlung ging, realisierten wir 2016 ein Ruhehaus, auch in Kassel wer-

INTERVIEW Bis zur documenta 15 dauert es noch zwei Jahre. ruangrupa-Mitglied Mirwan Andan verrät schon jetzt Details von dem, was das indonesische Kuratorenteam für die große Kunstschau plant

»Es geht uns um Teilhabe, dass wir teilen, was wir haben und auf den Tisch packen, was wir können«

menprogramm der Berlinale hielt er eine Lecture zum The-ma »Kollektive«. Das Interview fand Ende Februar statt – also noch vor der weltweiten Coro-na-Krise, die deshalb hier kei-ne Erwähnung fand.aRt: Wenn Sie wie hier in Ber-lin zur Lecture geladen wer-den, lassen Sie erst mal das Vortragspult und die Stuhlrei-hen wegräumen. Stattdessen loungt man auf Sitzsäcken, und statt eines Vortrags stel-len Sie Fragen ans Publikum. Mirwan Andan: Ja, ich wollte den Raum mehr wie einen Hang-out-Platz gestalten, wo man sich niederlässt und nach getaner Arbeit locker mitein-ander ins Gespräch kommt. Das ist für uns eine wichtige Form der Kommunikation.Sie haben ja bereits angekün-digt, dass »Collectivity« eines der Hauptthemen für die documenta 15 sein wird. Was bedeutet Kollektivität für ruangrupa?

Es geht uns um Teilhabe, dass wir teilen, was wir haben, und auf den Tisch packen, was wir können, unseren Kapazitä-ten und Möglichkeiten ent-sprechend. Jeder kann sich etwas davon nehmen, auch wir selbst können nehmen, was andere auf den Tisch legen. Und dann sehen wir, was wir ge-meinsam als Plattform daraus machen können.Sie nennen dieses Konzept »Lumbung«, das ist auch der Arbeitstitel der documenta 15. Was bedeutet das genau?Lumbung steht für das indone-sische Wort für »Reisscheune«. Damit ist ein kollektives Sam-melsystem gemeint, in dem die

Sie heraus, was das Publikum hier braucht?Wir wollen mehr herausfinden über die Kollektive, die es hier-zulande gibt, und welche Ak- tivitäten es zu spekulativer ökonomischer Nachhaltigkeit gibt, welche Technologien und Bildungseinrichtungen. Das sind die drei Themengebiete, die uns am meisten interes- sieren: Technologie, Umwelt und Ökonomie.Heißt das, Sie wollen vornehm- lich andere Künstlerkollektive nach Kassel einladen?Wir werden das Lumbung-Prin- zip in zwei Teilen umsetzen,

mit einer Kunstausstellung, in der natürlich nicht nur Kol-lektive, sondern auch einzelne Künstler ausstellen werden, und mit einem institutionel-len Gebäude und einer Bil-dungsplattform, wo Kollektive aus aller Welt zusammenfin-den sollen. Sie sagen, dass Humor, Groß-zügigkeit und Neugierde wich-tige Elemente Ihres Handelns sind. Haben Sie sich schon mit dem deutschen Sinn für Humor vertraut gemacht? In jedem kulturellen Kontext ist der Humor anders. Wir haben da einen sehr simplen Ansatz, nämlich dass erst mal jeder Humor liebt, auch wenn der Zugang dazu verschie- den ist. Aber jeder lächelt doch gern und kichert, das ist ein grundlegendes menschliches

Karaoke für Kassel

ruangrupa sind Mirwan Andan, Ade Darmawan,

Ajeng Nurul Aini, Indra Ameng, Julia Sarisetiati,

Iswanto Hartono, Reza Afisina, Farid Rakun,

Daniella Fitria Praptono (von links) und Narpati

Mirwan Andan ist seit 2007 Forscher und Entwickler bei ruangrupa

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UND DEBATTEN

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