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/ 5.3 EINE WELT IM UMBRUCH - LYRIK DER MODERNE UND DE5 EXPRESSIONISMUS 71 Wahrnehmung einer Zugfahrt - Ein expressionistisches Gedicht über lnhalt und Form erschließen Gottfrieei Eenn: D-Zug (r9rz) Braun wie Kognak. Braun wie Laub. Rotbraun. Malaiengelbr. D-Zug Berlin-T?blleborg und die Ostseebäder. Fleisch, das nackt ging. Bis in den Mund gebräunt vom Meer. ; Reif gesenkt, zu griechischem Glück. In Sichei-Sehnsucht: wie weit der Sommer istl Vorletzter Täg des neunten Monats schonl Stoppel und letzte Mandei lechzt in uns. Entfaltungen, das Blut, die Müdigkeiten, ic die Georginennähe2 macht uns wirr. Männerbraun stürzt sich auf Frauenbraun: Eine Frau ist etwas fifu eine Nacht. ' Und wenn es schön war, noch für die nächste! Oh! und dann wieder dies Beisich-selbst-Sein! r: Diese Stummheiten! Dies Getriebenwerdenl Eine Frau ist etwas mit Geruch. Unsägliches! Stirb hin! Resede3. Darin ist Süden, Hirt und Meer. An jedem Abhang lehnt ein Glück. zo Frauenhellbraun taumelt an Männerdunkelbraun: Halte mich! Du, ich falle! Assoziationen zu Inhalt/Deutung, offene Frag en : Ich bin im Nacken so müde. Oh, dieser fiebernde süße letzte Geruch aus den Gärten. 1 Malaiengelb: Malaien = ethnische Cruppe in 5üdostasien 2 Gorginennähe: Ceorgine = Pflanzengattung der Dahlien 3 Resede: Pfianzengattung mit angenehmem Ceruch I Sammeln Sie lhre ersten Eindrücke zum Cedicht. a Notieren Sie dazu neben dem Text lhre Assoziationen zum Verständnis einzelner Passagen. b Markieren Sie Stellen, die Sie nicht verstehen. c Tauschen Sie sich mit einer Mitschülerin / einem Mitschüler über ihr 6edichtverständnis aus. fl Erschließen Sie den lnhalt anhand folgender Aspekte. Notieren Sie jeweils Stichpunkte in lhrem Kursheft. Führen Sie Textbelege an. - Grundsituation: Welche Figuren kommen vor? Wo befinden sie sich? Cibt es einen lyrischen Sprecher oder mehrere? ln welchem Verhältnis stehen die Figuren? - Atmosphäre: Welche Stimmungen tauchen auf (idytlisch, sachlich, sexuell, verloren ...)? - Bildlichkeit: Welche sprachlichen Bilder lassen auf konkrete Wahrnehmungen und Beobachtungen schließen? - Wirklichkeitsdarstellung: Wie wird die Realität präsentiert (geordnet, montageartig gespalten ...)? § ftirren Sie zu den folgenden Begriffen passende Textstellen an: Kitsch/ lch- Frivolität Parodie Frauen- Glücks- Klischee Auflösung verachtung sehnsucht Textbeleg V. Sf.,

4ß EINE IM DE54ß / 5.3 EINE WELT IM UMBRUCH - LYRIK DER MODERNE UND DE5 EXPRESSIONISMUS 71 Wahrnehmung einer Zugfahrt - Ein expressionistisches Gedicht über lnhalt und Form erschließen

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4ß / 5.3 EINE WELT IM UMBRUCH - LYRIK DER MODERNE UND DE5 EXPRESSIONISMUS 71

Wahrnehmung einer Zugfahrt -Ein expressionistisches Gedicht über lnhalt und Form erschließen

Gottfrieei Eenn: D-Zug (r9rz)

Braun wie Kognak. Braun wie Laub. Rotbraun. Malaiengelbr.D-Zug Berlin-T?blleborg und die Ostseebäder.

Fleisch, das nackt ging.Bis in den Mund gebräunt vom Meer.

; Reif gesenkt, zu griechischem Glück.In Sichei-Sehnsucht: wie weit der Sommer istlVorletzter Täg des neunten Monats schonl

Stoppel und letzte Mandei lechzt in uns.Entfaltungen, das Blut, die Müdigkeiten,

ic die Georginennähe2 macht uns wirr.

Männerbraun stürzt sich auf Frauenbraun:

Eine Frau ist etwas fifu eine Nacht. '

Und wenn es schön war, noch für die nächste!

Oh! und dann wieder dies Beisich-selbst-Sein!r: Diese Stummheiten! Dies Getriebenwerdenl

Eine Frau ist etwas mit Geruch.Unsägliches! Stirb hin! Resede3.

Darin ist Süden, Hirt und Meer.

An jedem Abhang lehnt ein Glück.

zo Frauenhellbraun taumelt an Männerdunkelbraun:

Halte mich! Du, ich falle!

Assoziationen zu Inhalt/Deutung, offene Frag en :

Ich bin im Nacken so müde.Oh, dieser fiebernde süße

letzte Geruch aus den Gärten.

1 Malaiengelb: Malaien = ethnische Cruppe in 5üdostasien

2 Gorginennähe: Ceorgine = Pflanzengattung der Dahlien

3 Resede: Pfianzengattung mit angenehmem Ceruch

I Sammeln Sie lhre ersten Eindrücke zum Cedicht.

a Notieren Sie dazu neben dem Text lhre Assoziationen zum Verständnis einzelner Passagen.

b Markieren Sie Stellen, die Sie nicht verstehen.

c Tauschen Sie sich mit einer Mitschülerin / einem Mitschüler über ihr 6edichtverständnis aus.

fl Erschließen Sie den lnhalt anhand folgender Aspekte. Notieren Sie jeweils Stichpunkte in lhrem Kursheft.

Führen Sie Textbelege an.

- Grundsituation: Welche Figuren kommen vor? Wo befinden sie sich? Cibt es einen lyrischen Sprecher

oder mehrere? ln welchem Verhältnis stehen die Figuren?

- Atmosphäre: Welche Stimmungen tauchen auf (idytlisch, sachlich, sexuell, verloren ...)?

- Bildlichkeit: Welche sprachlichen Bilder lassen auf konkrete Wahrnehmungen und Beobachtungen schließen?

- Wirklichkeitsdarstellung: Wie wird die Realität präsentiert (geordnet, montageartig gespalten ...)?

§ ftirren Sie zu den folgenden Begriffen passende Textstellen an:

Kitsch/ lch- Frivolität Parodie Frauen- Glücks-

Klischee Auflösung verachtung sehnsucht

Textbeleg V. Sf.,

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4A s 5.3 EtNE wEtr tM UMBRUcH - LyRrK DER MoDERNE UND DES EXpRESSToNtSMUS 73

Selbstwahmehmung des lyischen lchs :

Das lch auf Reisen - Motive und Bildlichkeit in expressionistischen Gedichten erschließen

Paul Boldt: In derWelt (r913)

Ich lasse mein Gesicht auf Sterne fallen,Die wie getroffen auseinanderhinken.Die Wälder wandern mondwärts, schwarze Quallen,ins Blaumeer, daraus meine Blicke winken.

Mein Ich ist fort. Es macht die Sternenreise.

Das ist nicht Ich, wovon die Kleider scheinen.Die Täge sterben weg, die weißen Greise.

Ichlose Nerven sind voll Furcht und weinen.

Sinneswahrnehmung des lyischen lchs :

fl a Erschließen Sie den lnhalt des Cedichts, indem Sie für beide Strophen Notlzen auf der rechten Seite ergänzen.

b Fassen Sie die Textaussage kurz zusammen. Nehmen Sie dabei auch Bezug auf den Titel des Cedichts.

Erläutern Sie in lhrem Kursheft, wie das lch im Cedicht dargestellt wird. Cehen Sie dabei auch auf das Bildfeld

(> lnformation,S.T4) der,,Sternenreise" (V.5) ein. Nutzen Sie lhre Ergebnisse aus Aufgabe t.

Untersuchen 5ie die sprachliche Cestaltung des Cedichts (> lnformation, 5.2+). Vervollständigen Sie dazu

dieTabelle in lhrem Kursheft.

E

E

Untersuchungsaspekt Beschreibung

Verben:

Klangfiguren:

Farbsymbolik:

Sprachliche Bilder:

Verben der Bewegung : hinken, wandern

Zustandsverben:

ne g ativ ko nn otierte Ve rb en :

p o sitiv ko nnotie rt e Ve rb en :

Alliteration:Assonanz:

Metapher:Personifikation:

Funktion/Wirkung

spiegeln aktive Umwelt ...

!l eruifen Sie, ob Sie einer der folgenden Deutungen zustimmen können.

Kreuzen Sie an und begründen Sie am Text oder formulieren Sie eine eigene begründete Deutung.

n Das Cedicht zeigt, dass wirkliche ldentität in dieser Welt nur im Poetischen möglich ist.

ü Das Gedicht beschreibt, wie ein Mensch sich selbst verliert, weil er den Kontakt zur Welt verliert.

Bearünduna:

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72 5,,UNTERwE6s sEIN" - LYRIK VoN DER ROMANTIK BI5 ZU( CECENWART ßEz!l Untersuchen Sie die sprachlichen Mittel im Cedicht (> lnformation, S.65 und 14) und erläutern Sie deren Bedeutung

für den lnhalt.

Neologismen: Malaiengelb {V.1): vergleichende Sinneswahrnehmung, vermittelt Exotik:

ffi Fassen Sie lhre bisherigen Ergebnisse thesenartig zusammen. Nutzen Sie den Dreischritt: These - Beleg - Deutungdes Belegs. Übernehmen Sie die Tabelle in lhr Kursheft und ergänzen Sie weitere Thesen, die sich z. B" auf die Atmo-sphäre, die Bedeutung des Ortes O'Zug, das Menschenbild beziehen.

These

Das Gedicht zeigt atmosphörisch

eine exotische Szenerie, in der .".

Beleg

Ohne konkrete Zuordnung zu einem

Menschen oder einer Sache wird. der

Neologismus,,Malaieng elb" (V. t)eingffigt.

Deutung

Durch die Verbindung von Farb-

adjektiv undfernem Ort entstehteine Exotik, die nicht so recht zu

einem D-Zug zu passen scheint.

Das Bild von Männern und Frauen

ist geprägt durch...

ft Benennen Sie mit Hilfe des Epochenüberblicks typisch expressionistische Merkmale im Cedicht von Cottfried Benn

Inhaltlich:

Formal:

@ Lyrik des Expressionismus

Die Expressionisten sind Teil einer jungen, zwischen 1875 und r895 geborenen Ceneration, die ihre Zeit als ver-

krustet und unbeweglich empfand und die Starrheit des Denkens als existenzielle Krise erlebte. lm Zentrum ihrer

Lyrik steht der oft radikale Ausdruck (Expression) von Gefühlen und Wahrnehmungen, Inhalte treten zurÜck.

Schlichte Reisen waren nahezu nieThema, hingegen prägte das Unterwegssein die Cedichte in drei Spielarten:

§ Gesellschaft/Welt im Wandel: Die Expressionisten waren davon überzeugt, dass die starre Cesellschaft vor

einer radikalen Veränderung stand, sei es als apokalyptische Katastrophe (Krieg) oder ais Erneuerung nach

einer Zerstörung. Dieser Wandel wird oft als dynamischer Prozess in lyrischen Bildern dargestellt.

S DaslchaufeinerfiktivenReise:AuchdieUnsicherheitbezüglichdereigenenldentitätspiegeltesichinReise-bildern, in denen das lch sich aufspaltet (lch-Dissoziation) und bizarre neue Erfahrungen macht.

§ Reale Reisen in der neuen Zeit: Die neuen Massenfortbewegungsmittel wie Straßenbahn und Eisenbahn

wurden in einer verzerrten Wahrnehmung der Reisenden dargestellt (Wahrnehmungsverschiebung).

Formal gestalten die Expressionisten ihre Texte oft radikal neu, vor allem durch folgende Mittel:E Aufbrechen grammatischer Strukturen als Zeichen für die Brüchigkeit der Welt

il Reihungs- oderTelegrammstil: unverbundene Aneinanderreihung von Wahrnehmungen, um die Simultanei-

tät (Cleichzeitigkeit) von Sinneseindrücken zu spiegeln

tr Umkehrung der Subjekt-Objekt-Beziehung: Personifizierung von Dingen sowie Enthumanisierung und Ent-

individualisierung des Menschen; sodass die Weli als Akteur erscheint und das lndividuum passiv