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FORUM 2013 · 28:176–179 DOI 10.1007/s12312-013-0943-8 Online publiziert: 2. Mai 2013 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 M. Bullinger Institut und Poliklinik für Medizinische Psychologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg Ältere Patienten in der  Psychoonkologie Ein Schwerpunkt der psychoonkologi- schen Forschung ist die Belastung der Pa- tienten durch Erkrankung und Behand- lung [1]. Dabei werden in der Literatur die Belastungen detailliert hinsichtlich klinischer Charakteristika wie Diagnose oder Krankheitsstadium beschrieben, al- lerdings weit weniger in Bezug auf sozio- demographische Charakteristika wie Ge- schlecht oder Alter differenziert. Insbe- sondere ist über die Situation von älteren Krebsbetroffenen beispielsweise im Ver- gleich zu den jüngsten Betroffenen bisher nur wenig bekannt [2]. Welche besonde- ren Probleme erleben aber ältere Krebs- betroffene, worin unterscheiden sich die- se von den Problemen jüngerer Patienten, inwiefern besteht spezifischer Interven- tionsbedarf und wie wird dieser gedeckt? Angesichts der Inzidenz und Präva- lenz der meisten Krebserkrankungen im höheren Lebensalter erscheint die Ausei- nandersetzung mit dem Thema Krebs im Alter notwendig. Einerseits tritt die über- wiegende Zahl von Neuerkrankungen erst im höheren Alter auf und anderer- seits kann eine bereits in früheren Jahren diagnostizierte bzw. behandelte Erkran- kung aufgrund längerer Überlebenszeiten bis ins hohe Alter hineinreichen. So liegt nach neueren Angaben das mediane Al- ter von Krebsbetroffenen in Deutschland bei 65 Jahren. Nationale Erhebungen und regionale Krebsregister liefern alters- und erkrankungsspezifische Daten, aus denen sich ein hoher Prozentsatz von betroffe- nen Personen in höheren Altersgruppen bei den häufigsten Krebsdiagnosen ablei- ten lässt [3]. Die Zuwendung zum Thema Krebs im Alter ist aber auch mit der zunehmenden Sensibilität für die Situation älterer Men- schen in der Bevölkerung insgesamt zu begründen. Vor dem Hintergrund der sich verändernden Bevölkerungspyra- mide mit wachsendem Prozentsatz älte- rer im Vergleich zu jüngeren Menschen wird klar, dass diese Gruppe in der Ge- sundheitsversorgung gesondert zu be- trachten ist. »   Ältere Menschen sind in  der Gesundheitsversorgung  gesondert zu betrachten Die Klassifikation von Altersgruppen ist allerdings nicht trivial. Zwar hat sich hierzulande anhand des Verlaufs des Er- werbslebens mit vollzogenem Rentenein- tritt eingebürgert, ab dem 65. Lebensjahr von „älteren Menschen“ zu sprechen, den- noch besteht Konsens, dass diese Gruppe weiter in „jüngere Ältere“, „ältere Ältere“ und „Hochbetagte“ zu differenzieren ist [4]. Neben den Schwierigkeiten der Klas- sifikation entsprechend bedeutsamer Le- bensabschnitte verläuft das Altern indivi- duell unterschiedlich, sodass Wohlbefin- den und Fitness im hohen Alter durchaus deutlich größer als bei wesentlich jünge- ren Menschen sein können. Diese interin- dividuelle Varianz erschwert die Abgren- zung von Altersgruppen. Psychoonkologische Aspekte des Alters Wie ist es für einen älteren – zuvor viel- leicht relativ gesunden – Menschen, am Ende seines Berufslebens bzw. bei Eintritt in das Rentenalter an Krebs zu erkran- ken? Was geht in einer vor Jahren diag- nostizierten und behandelten Person vor, die, in der Überzeugung, den Lebens- abend geheilt zu verbringen zu können, ein Rezidiv erleidet? Was bedeutet es, eine Krebserkrankung überstanden zu haben, sich dennoch seiner Gesundheit nicht si- cher sein zu können und – vielleicht auch altersbedingte – körperliche Veränderun- gen mit ängstlicher Selbstaufmerksamkeit zu verfolgen? In Hinblick auf die Psychoonkologie stellt sich die Frage, wie hoch die psycho- soziale Belastung im Alter ist, wie sie dia- gnostiziert werden kann, welche Form psychoonkologischer Behandlung anzu- bieten ist und ob bisher überhaupt Evi- denz für den Erfolg solcher Interventio- nen besteht. Verglichen mit der onkologischen Fachliteratur zur Diagnose und Behand- lung von an Krebs erkrankten älteren Menschen ist die entsprechende psycho- onkologische Literatur noch relativ jung. Nur wenige Arbeiten beschäftigen sich spezifisch mit der psychosozialen Belas- tung älterer Krebspatienten, den darauf zielenden therapeutischen Angeboten und deren Evaluation [5]. Im Folgenden soll untersucht wer- den, inwiefern bei älteren Krebsbetroffe- nen – auch im Vergleich zu nichtbetroffe- nen Gleichaltrigen, zu jüngeren Patienten und im Vergleich verschiedener Krebs- formen – besondere Belastungsfaktoren Z Autor Prof. Dr. M. Bullinger Institut und Poliklinik für   Medizinische Psychologie,   Universitätsklinikum   Hamburg-Eppendorf 176 | FORUM 3 · 2013 Fokus

Ältere Patienten in der Psychoonkologie

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Page 1: Ältere Patienten in der Psychoonkologie

FORUM 2013 · 28:176–179DOI 10.1007/s12312-013-0943-8Online publiziert: 2. Mai 2013© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

M. BullingerInstitut und Poliklinik für Medizinische Psychologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg

Ältere Patienten in der Psychoonkologie

Ein Schwerpunkt der psychoonkologi-schen Forschung ist die Belastung der Pa-tienten durch Erkrankung und Behand-lung [1]. Dabei werden in der Literatur die Belastungen detailliert hinsichtlich klinischer Charakteristika wie Diagnose oder Krankheitsstadium beschrieben, al-lerdings weit weniger in Bezug auf sozio-demographische Charakteristika wie Ge-schlecht oder Alter differenziert. Insbe-sondere ist über die Situation von älteren Krebsbetroffenen beispielsweise im Ver-gleich zu den jüngsten Betroffenen bisher nur wenig bekannt [2]. Welche besonde-ren Probleme erleben aber ältere Krebs-betroffene, worin unterscheiden sich die-se von den Problemen jüngerer Patienten, inwiefern besteht spezifischer Interven-tionsbedarf und wie wird dieser gedeckt?

Angesichts der Inzidenz und Präva-lenz der meisten Krebserkrankungen im höheren Lebensalter erscheint die Ausei-nandersetzung mit dem Thema Krebs im Alter notwendig. Einerseits tritt die über-wiegende Zahl von Neuerkrankungen erst im höheren Alter auf und anderer-seits kann eine bereits in früheren Jahren diagnostizierte bzw. behandelte Erkran-kung aufgrund längerer Überlebenszeiten bis ins hohe Alter hineinreichen. So liegt nach neueren Angaben das mediane Al-ter von Krebsbetroffenen in Deutschland bei 65 Jahren. Nationale Erhebungen und

regionale Krebsregister liefern alters- und erkrankungsspezifische Daten, aus denen sich ein hoher Prozentsatz von betroffe-nen Personen in höheren Altersgruppen bei den häufigsten Krebsdiagnosen ablei-ten lässt [3].

Die Zuwendung zum Thema Krebs im Alter ist aber auch mit der zunehmenden Sensibilität für die Situation älterer Men-schen in der Bevölkerung insgesamt zu begründen. Vor dem Hintergrund der sich verändernden Bevölkerungspyra-mide mit wachsendem Prozentsatz älte-rer im Vergleich zu jüngeren Menschen wird klar, dass diese Gruppe in der Ge-sundheitsversorgung gesondert zu be-trachten ist.

»  Ältere Menschen sind in der Gesundheitsversorgung gesondert zu betrachten

Die Klassifikation von Altersgruppen ist allerdings nicht trivial. Zwar hat sich hierzulande anhand des Verlaufs des Er-werbslebens mit vollzogenem Rentenein-tritt eingebürgert, ab dem 65. Lebensjahr von „älteren Menschen“ zu sprechen, den-noch besteht Konsens, dass diese Gruppe weiter in „jüngere Ältere“, „ältere Ältere“ und „Hochbetagte“ zu differenzieren ist [4]. Neben den Schwierigkeiten der Klas-sifikation entsprechend bedeutsamer Le-bensabschnitte verläuft das Altern indivi-duell unterschiedlich, sodass Wohlbefin-den und Fitness im hohen Alter durchaus deutlich größer als bei wesentlich jünge-ren Menschen sein können. Diese interin-dividuelle Varianz erschwert die Abgren-zung von Altersgruppen.

Psychoonkologische Aspekte des Alters

Wie ist es für einen älteren – zuvor viel-leicht relativ gesunden – Menschen, am Ende seines Berufslebens bzw. bei Eintritt in das Rentenalter an Krebs zu erkran-ken? Was geht in einer vor Jahren diag-nostizierten und behandelten Person vor, die, in der Überzeugung, den Lebens-abend geheilt zu verbringen zu können, ein Rezidiv erleidet? Was bedeutet es, eine Krebserkrankung überstanden zu haben, sich dennoch seiner Gesundheit nicht si-cher sein zu können und – vielleicht auch altersbedingte – körperliche Veränderun-gen mit ängstlicher Selbstaufmerksamkeit zu verfolgen?

In Hinblick auf die Psychoonkologie stellt sich die Frage, wie hoch die psycho-soziale Belastung im Alter ist, wie sie dia-gnostiziert werden kann, welche Form psychoonkologischer Behandlung anzu-bieten ist und ob bisher überhaupt Evi-denz für den Erfolg solcher Interventio-nen besteht.

Verglichen mit der onkologischen Fachliteratur zur Diagnose und Behand-lung von an Krebs erkrankten älteren Menschen ist die entsprechende psycho-onkologische Literatur noch relativ jung. Nur wenige Arbeiten beschäftigen sich spezifisch mit der psychosozialen Belas-tung älterer Krebspatienten, den darauf zielenden therapeutischen Angeboten und deren Evaluation [5].

Im Folgenden soll untersucht wer-den, inwiefern bei älteren Krebsbetroffe-nen – auch im Vergleich zu nichtbetroffe-nen Gleichaltrigen, zu jüngeren Patienten und im Vergleich verschiedener Krebs-formen – besondere Belastungsfaktoren

Z AutorProf. Dr. M. BullingerInstitut und Poliklinik für  Medizinische Psychologie,  Universitätsklinikum  Hamburg-Eppendorf

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und Betreuungsbedarfe zu identifizieren sind, denen im Rahmen der psychoonko-logischen Versorgung gerecht zu werden ist. Hierfür wurde eine Altersklassifika-tion genutzt, nach der jüngere Ältere (65–74 Jahre), ältere Alte (75–84 Jahre) und Hochbetagte (ab 85 Jahre) unterschieden werden.

Zusätzlich zu soziodemographischen Charakteristika wie Alter, Geschlecht, Er-werbstätigkeit oder Familienstand und klinischen Merkmalen wie Krebsform, Diagnosezeitpunkt, Symptomatik oder Behandlung sind psychosoziale Risiko-faktoren und Ressourcen von besonderer Bedeutung für eine ganzheitliche Sicht des Gesundheitszustands im Sinne des Wohl-befindens und des Funktionsniveaus älte-rer Menschen.

Biologische Erklärungsmodelle wer-den somit ergänzt durch gesundheitswis-senschaftliche und medizinpsychologi-sche Konzepte, die auf die Rolle von Ge-sundheitsverhalten, auf Anpassungs- und Bewältigungsprozesse im Umgang mit der Erkrankung und auf die eigene Sicht der Patienten in Hinblick auf ihre Lebensqua-lität fokussieren [6].

Psychosoziale Belastungen bei älteren Krebspatienten

Studien zu psychosozialen Belastungen von Krebsbetroffenen weisen darauf hin, dass eine vermehrte Belastung im Zusam-menhang mit dem Zeitpunkt der Diagno-sestellung, aber auch im weiteren Verlauf in Abhängigkeit von klinisch relevanten Ereignissen wie einem Rezidiv vorhan-den ist. Der Versuch, diese Belastungen al-tersdifferenziert zu beschreiben, wird da-durch erschwert, dass in den meisten Stu-dien nicht explizit auf Altersgruppen ein-gegangen wird bzw. diese nicht für Ver-gleiche genutzt werden. Hinzu kommt, dass psychosoziale Belastungen mit unter-schiedlichen Messinstrumenten in unter-schiedlichen Studiendesigns erfasst wer-den, sodass eine Aussage über die Präva-lenz psychosozialer Belastungen im Alter mit Unschärfen verbunden ist [7].

Dennoch kristallisieren sich aus vor-liegenden Studien eine Reihe von Be-lastungen älterer Krebsbetroffener her-aus. Im Vordergrund stehen dabei Ein-schränkungen der körperlichen Verfas-

sung und der Funktionsfähigkeit im All-tag. Dazu gehören aber auch Einsamkeit und Verlust sozialer Beziehungen, die Er-fahrung oder die Befürchtung von Kon-trollverlust, Hilflosigkeit, Abhängigkeit, Anderen-zur-Last-Fallen und psychi-sche Beeinträchtigungen wie Depressi-vität und Ängste sowie kognitive Beein-trächtigungen. Als existenzielle Themen kommen Verlust von Identität, Autono-mie und Würde, Entfremdung von nahe-stehenden Menschen, Angst vor Sterben und Tod hinzu [8].

Obwohl krebskranke ältere Menschen über eine geringere Lebensqualität als nichtbetroffene Gleichaltrige berichten [9], zeigen die vorliegenden Studien, dass bei Erwachsenen in den Belastungsindi-katoren zwischen den Altersgruppen kei-ne ausgeprägten Unterschiede bestehen, insbesondere wenn klinische Variablen statistisch kontrolliert werden. Es lassen sich sogar Hinweise darauf finden, dass ältere Menschen im Verhältnis zu jünge-ren weniger unter Belastungen zu leiden haben. Insbesondere hinsichtlich der psy-chischen Probleme wie Depressivität oder Ängstlichkeit zeigten die Älteren geringe-re Werte im Vergleich zu jüngeren Alters-gruppen. Dies bedeutet, dass ältere Krebs-patienten nicht per se zu den psychisch am höchsten belasteten Krebsbetroffenen gehören [10].

Eine Diskussion dieser wiederholt ver-öffentlichten Befunde sollte einerseits die Anpassungsfähigkeit der Betroffenen an ihre aktuelle Lebenssituation mit einbe-ziehen, andererseits aber auch berücksich-tigen, dass in höherem Alter sich Haltun-gen verändern können, sodass es zu einer verstärkten Gelassenheit und Spirituali-tät im Zusammenhang mit negativen Le-benserfahrungen kommen kann [11].

»  Psychosoziale Belastung ist über die Lebensqualität erfassbar

Zur Identifikation von Belastungen Krebsbetroffener gibt es mittlerweile eine Vielzahl standardisierter und psychome-trisch valider Verfahren, die für die Dia-gnostik der psychischen Gesundheit, Be-schwerdelast und psychosozialer Prob-lembereiche eingesetzt werden können

[12]. Hierzu gehört beispielsweise das Di-stress-Thermometer, das spezifisch für Krebskranke entwickelt wurde, oder auch die allgemein verwendeten Skalen zur Er-fassung von Depressivität und Angst, wie z. B. die Hospital Anxiety and Depres-sion Scale (HADS, [13]). Darüber hinaus hat mit der Berücksichtigung der gesund-heitsbezogenen Lebensqualität auch in der Onkologie die Verwendung von Le-bensqualitätsinstrumenten zugenommen. Diese beinhalten sog. krankheitsübergrei-fende Messinstrumente, wie den SF-36-Gesundheitsfragebogen, oder krebsbezo-gene Verfahren, wie den EORTC-Frage-bogen, und eine Reihe krebsspezifischer Verfahren [14].

Die Entwicklung und Validierung die-ser Messinstrumente sind an unterschied-lichen Personengruppen durchgeführt worden, aber nur wenige Verfahren lassen die differenzierte Validierung auch an äl-teren Menschen erkennen. Bei den über-greifenden Verfahren ist der WHOQOL-OLD Fragebogen für ältere Personen zu nennen, und seit Kurzem liegt eine Ver-sion des EORTC-Bogens auch für ältere Krebsbetroffene vor [15].

Neuere Arbeiten unter Nutzung dieser Instrumente zeigen, dass die psychoso-ziale Belastung von Krebspatienten über die Beeinträchtigung der Lebensqualität erfassbar ist. Bezogen auf die kritischen Kennwerte der Instrumente weisen etwa 25% der Befragten klinisch relevante Be-lastungen auf [16]. Auch die Situation der Angehörigen ist zu berücksichtigen, denn die Belastung durch Miterleben und Pfle-ge kann beträchtlich sein. Zusätzlich zur Identifikation psychosozialer Belastun-gen über standardisierte Verfahren erhe-ben einige Studien auch den individu-ell explizit genannten Betreuungsbedarf, der wiederum Basis für eine individuelle Interventionsplanung sein kann.

Ein Überblick über psychoonkologi-sche Interventionen führt zunächst die beeindruckende Bandbreite möglicher Behandlungsansätze vor Augen. Nicht nur die Gruppen- und Einzeltherapie bzw. die Einbeziehung der Angehörigen im ge-samten System Familie sind hier zu nen-nen, sondern insbesondere auch die aus den unterschiedlichen Therapieansätzen resultierenden Interventionen, wie z. B. verhaltenstherapeutische, tiefenpsycho-

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logische oder gesprächspsychologische Ansätze [17].

Generell spielen vor allem die sup-portiven Verfahren eine Rolle, wobei der Ressourcenaufbau von besonderer Be-deutung ist. Erwähnt seien auch neue-re Richtungen, wie Achtsamkeit und Ge-nusstraining, und viele weitere Methoden aus unterschiedlichen Richtungen, die in den Therapieprozess eingebunden wer-den können.

»  Evaluationsdaten zu psychoonkologischen Interventionen fehlen

Der Vielfalt von Interventionsmethoden in der Psychoonkologie steht allerdings das Fehlen von Evaluationsdaten ent-gegen. Es gibt nur wenige randomisier-te, kontrollierte Studien, die die Wirkung von psychoonkologischen Interventionen (meist im Gruppensetting) auf die betrof-fenen Krebspatienten geprüft haben, und noch weniger entsprechende Studien mit älteren Krebsbetroffenen [18]. Beispiele für innovative psychoonkologische Inter-ventionen bei Patienten höheren Alters beinhalten kreative Verfahren, Steigerung der körperlichen Aktivität und spirituel-le Ansätze [19]. Im Rahmen der Evidenz-basierung von Interventionen wären ran-domisierte klinische Studien erforderlich, die im Sinne einer Metaanalyse oder eines systematischen Reviews ausgewertet wer-den müssen, um hier Informationen zu liefern. Dies gilt nicht nur generell für das Feld der Psychoonkologie, sondern insbe-sondere für psychoonkologische Behand-lungsansätze bei älteren Patienten. Zwar gibt es einzelne Studien zu psychoonko-logischen Interventionen, allerdings bis-her noch keine Metaanalysen spezifisch für diese Altersgruppe. Umgekehrt kann aus den vorliegenden Reviews nicht ge-schlossen werden, für welche Altersgrup-pe eine spezifische Intervention nach ent-sprechenden randomisierten Studien be-sonders geeignet erscheint und erfolg-reich ist bzw. welche Prädiktoren des Be-handlungserfolgs sich finden lassen. Sol-che Einflussfaktoren, wie z. B. krankheits-bezogene Faktoren, aber auch soziodemo-graphische, biographische und psychoso-

ziale Determinanten, sind bei der Evalua-tion von Interventionsansätzen besonders zu berücksichtigen [20].

Diskussion

Der vorliegende Beitrag rekurriert auf die Besonderheiten psychoonkologischer Forschung und Praxis bei älteren Krebs-patienten. Hieraus ergeben sich neben

dem Forschungsbedarf auch Hinweise auf diagnostische Methoden und Inter-ventionsverfahren, die für diese Gruppe besonders geeignet sein könnten.

Im Sinne der psychologischen Theo-rien zu Entwicklungsaufgaben im Alter ist zu berücksichtigen, dass ältere Menschen andere Herausforderungen zu meistern haben als jüngere. Dies, verbunden mit der Möglichkeit zum Rückblick auf ein ge-

Zusammenfassung · Abstract

FORUM 2013 · 28:176–179   DOI 10.1007/s12312-013-0943-8© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

M. Bullinger

Ältere Patienten in der Psychoonkologie

ZusammenfassungIn der psychoonkologischen Literatur ist die Berücksichtigung älterer Patienten erst in neuerer Zeit ein explizites Thema. Impli-zit ist zwar der Altersaspekt allein schon we-gen Häufung von Krebserkrankungen im hö-heren Lebensalter nicht außer Acht zu lassen. Konkrete Angaben zu psychosozialen Belas-tungen von älteren Krebsbetroffenen fehlten aber bisher ebenso wie eine systematische Auseinandersetzung mit altersspezifischen Anforderungen an die psychoonkologische Diagnostik und Therapie. Der vorliegende Beitrag behandelt auf der Grundlage jünge-rer psychoonkologischer Veröffentlichungen die Frage nach der psychosozialen Situation an Krebs erkrankter älterer Menschen im Ver-gleich zu nichtbetroffenen Gleichaltrigen, zu jüngeren Patienten und zu von unterschied-lichen Krebsformen Betroffenen. Grundla-gen altersgerechter Psychodiagnostik sowie therapeutische Ansätze zur psychoonkologi-schen Versorgung älterer Patienten werden 

vorgestellt und bezüglich zukünftiger For-schungsbedarfe diskutiert. Die Analysen le-gen nahe, dass bei mindestens einem Viertel der Betroffenen Einschränkungen in Wohlbe-finden und Funktionsfähigkeit festzustellen sind, wenn auch interindividuelle Unterschie-de eine Klassifikation altersspezifischer Belas-tungen erschweren. Diagnostische Metho-den sind im Bereich psychische Gesundheit und Lebensqualität vorhanden und auch für ältere Krebspatienten adaptiert, werden aber eher in der Forschung als in der klinischen Praxis genutzt. Trotz der großen Bandbreite psychoonkologischer Interventionen gibt es nur wenige auf ältere Patienten zugeschnitte-ne Angebote, und die Evaluation der psycho-onkologischen Versorgung älterer Patienten steht noch am Anfang.

SchlüsselwörterPsychosoziale Aspekte · Onkologie · Krebs · Ältere Menschen · Lebensqualität

Older patients in psycho-oncology

AbstractThe psycho-oncological literature has only re-cently addressed the situation of older pa-tients in an explicit manner. The topic has, however, been implicitly addressed because of the mere frequency of cancer in older per-sons. Concrete information about psychoso-cial impairments in older cancer patients is lacking as is a systematic assessment of age-specific psycho-oncological diagnosis and treatment. Based on recent psycho-oncolog-ical publications the present paper addresses the psychosocial situation of older cancer pa-tients as compared to healthy peers, young-er patients and those with different cancer forms. Approaches to age-related psycho-on-cological diagnostic procedures and treat-ment options are described and critically dis-cussed in terms of future research needs. 

Analyses suggest that at least one quarter of patients suffer from impairments of wellbe-ing and function even though interindividual differences jeopardize an age-related classifi-cation of psychosocial problems. Diagnostic methods to assess mental health and qual-ity of life are also available in older patients but are used for research purposes more than in clinical practice. Despite the wealth of psy-cho-oncological interventions only few op-tions are tailored to older patients and an evaluation of psycho-oncological care in the elderly is just beginning.

KeywordsPsychosocial aspects · Oncology · Cancer ·  Elderly · Quality of life

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lebtes Leben, macht vielleicht den größ-ten Unterschied zu den jüngeren Betrof-fenen aus. Die Herausforderungen durch Krankheit und Therapie unterscheiden sich dennoch weniger als erwartet in Hin-blick auf das Alter, denn psychische, kör-perliche und existenzielle Probleme kön-nen in jeder Phase des Erwachsenenalters auftreten.

»  Die Lebensphase ist bei der Betreuung älterer Krebspatienten wichtig

Es besteht Konsens, dass Krebs, mit über zwei Drittel der Betroffenen im Alter über 65 Jahren, eine Erkrankung des Al-ters ist. Hierunter fallen sowohl neu er-krankte ältere Menschen in unterschied-lichen Phasen der Erkrankung und der medizinischen Therapien, als auch Lang-zeitüberlebende [21]. Allerdings erscheint die Schlussfolgerung, eine besondere Be-rücksichtigung älterer Krebspatienten in der Psychoonkologie sei vernachlässig-bar, weil die meisten Krebskranken sowie-so älter sind, als nicht zutreffend. Wich-tig in der Betreuung von älteren Krebspa-tienten ist weniger das Lebensalter als die Lebensphase bzw. die psychosoziale Situa-tion mit den daraus resultierenden Anfor-derungen. Dabei sind auch Faktoren der Erkrankung, z. B. die Art der Erkrankung und deren Implikationen für die Gesund-heit, zu berücksichtigen.

Jenseits starrer Altersgrenzen ist daher festzuhalten, dass die individuelle Wahr-nehmung und Bewertung der Krankheit von Bedeutung sind und dass Kompetenz im Umgang mit der Krebserkrankung und Behandlung ein wichtiger Prädiktor für Gesundheit, Wohlbefinden und Funk-tionalität im Alter ist. Daher ist es sinn-voll, auf diese Faktoren in den Interven-tionen einzugehen und dabei eine Alters-homogenität als Referenzbasis zu nutzen, innerhalb derer die therapeutische Arbeit dem Bedarf entsprechend und flexibel ge-öffnet wird. Wie in der Psychotherapie all-gemein spielt auch in der Psychoonkolo-gie die Passung zwischen Therapeut und Patient eine Rolle.

Fazit

F Für die psychoonkologische Thera-pie leitet sich praktisch ab, die indivi-duelle Situation der Patienten genau zu eruieren und die Problembereiche konkret zu erfassen.

F Im Rückgriff auf vorhandene Thera-piemodule lässt sich dann ein maß-geschneidertes Programm für die Ein-zeltherapie und eine Modulauswahl für die Gruppentherapie entwickeln.

F Die Evaluation kann und sollte nicht nur im Rahmen klinischer Studien, sondern auch in systematischen klini-schen Dokumentation der therapeuti-schen Arbeit durchgeführt werden.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. M. BullingerInstitut und Poliklinik für Medizinische Psycho-logie, Universitätsklinikum Hamburg-EppendorfMartinistr. 52, 20246 [email protected]

Interessenkonflikt.  Die korrespondierende Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

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