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Im April 1915 begann der Genozid an den Armeniern im Osmanischen Reich. Und auch ein Jahrhundert nach den Gräueltaten im Ersten Weltkrieg sind die Wunden nicht verheilt. Die Türkei erkennt den Genozid bis heute nicht an. Daher kämpfen Armenier auf der ganzen Welt weiter um Anerkennung und Entschädigung, damit die Opfer endlich ihre letzte Ruhe finden. Die meisten von ihnen sind Nachfahren von Überlebenden und wollen die Vergangenheit nicht wie einen bösen Traum vergessen. Im Gegenteil: Sie sehen es als ihre Pflicht, den 2 Millionen Opfern zu gedenken und ihre Geschichte in die Welt zu tragen. 100 JAHRE GENOZID AN DEN ARMENIERN GEDENKEN AN DIE OPFER

„ICH ERINNERE MICH UND FORDERE.“ 100 JAHRE GENOZID AN … · Despotie unter Sultan Abdülaziz (1861-76) und ein von Türken regiertes Grossreich. Sie selbst nannten sich „Komitee

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Page 1: „ICH ERINNERE MICH UND FORDERE.“ 100 JAHRE GENOZID AN … · Despotie unter Sultan Abdülaziz (1861-76) und ein von Türken regiertes Grossreich. Sie selbst nannten sich „Komitee

Im April 1915 begann der Genozid an den Armeniern im Osmanischen Reich. Und auch ein Jahrhundert nach den Gräueltaten im Ersten Weltkrieg sind die Wunden nicht verheilt. Die Türkei erkennt den Genozid bis heute nicht an. Daher kämpfen Armenier auf der ganzen Welt weiter um Anerkennung und Entschädigung, damit die Opfer endlich ihre letzte Ruhe finden.

Die meisten von ihnen sind Nachfahren von Überlebenden und wollen die Vergangenheit nicht wie einen bösen Traum vergessen. Im Gegenteil: Sie sehen es als ihre Pflicht, den 2 Millionen Opfern zu gedenken und ihre Geschichte in die Welt zu tragen.

100 JAHRE GENOZID AN DENARMENIERN

– GEDENKEN AN DIE OPFER

„ICH ERINNERE MICH UND FORDERE.“

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Eine Gruppe von Armeniern in Zeytun – eine halbe Stunde nach der Aufnahme wurden sie getötet.

Die Jungtürken im Osmanischen Reich

Die politische Bewegung der Jungtürken grün-dete sich, um das Osmanische Reich militärisch, politisch und wirtschaftlich umzugestalten. Ziele der Bewegung waren u.a. die Abschaffung der Despotie unter Sultan Abdülaziz (1861-76) und ein von Türken regiertes Grossreich. Sie selbst nannten sich „Komitee für Einheit und Fort-schritt“, das die „rassische Überlegenheit“ der Türken mit der Vernichtung des armenischen Volkes propagierte.

EIN GROSSREICH, IN DEM NUR TÜRKEN LEBEN

ARMENIEN: EIN VOLK GERÄT INS VISIER

Das war das Ziel des nationalistischen Jung-türken-Regimes, das ihr geistiger Führer, Dr. Nasim Bej, 1914 in einer Geheimsitzung be-kräftigte: „Wir müssen das armenische Volk gänzlich ausrotten, damit wir keine Arme-nier mehr in unserem Land haben. Wir sind jetzt in einem Krieg, eine bessere Gelegenheit werden wir wohl nie mehr bekommen. (…) Diesmal müssen unsere Handlungen auf die völlige Vernichtung von Armeniern gerichtet sein, wir müssen alle vernichten, bis auf den letzten Menschen. Nur die Türken haben das Recht, in unserem Reich zu leben.“

Ursprünglich umfasste Armenien ein Gebiet, das ca. zwanzigmal so gross war wie das heutige. Es reichte vom Kaspischen bis zum Mittelmeer, vom Schwarzen Meer bis tief in den Irak. Das armenische Volk lebte genau

Nach dem Rückzug der russischen Armee am 2. Januar 1915 ermordeten türkische und kur-dische Einheiten armenische und assyrische Flüchtlinge, die aus Urkia, Samast und ande-ren Orten stammten. Am 12. Januar wurden im Dorf Aghwarik 107 Armenier getötet, und einen Monat später unterzeichnete Bahattin Sakir, Zentralkommiteemitglied der nationa-listischen Jungtürken, den offiziellen Befehl zur Vernichtung der Armenier. Am 8. April fanden die ersten Deportationen und Massa-ker in Zeytun statt.

auf der Schnittstelle zwischen Morgenland und Abendland, und weit länger als ein Jahr-tausend blieb Armenien zerteilt und umstrit-ten zwischen Byzantinern, Türken, Arabern, Persern und Russen. Der Grossteil der Arme-nier lebte unter türkischer Herrschaft, von der sie jedoch als unzuverlässige Ausländer betrachtet wurden.

Als der Erste Weltkrieg im Juli 1914 begann, hegten die Armenier grosse Hoffnungen. Sie hofften, dass mithilfe der Russen Westarme-nien befreit und seine Unabhängigkeit wie-derhergestellt werden könnte. Leider drehte sich das Rad der Geschichte nicht zugunsten der Armenier.

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EIN GROSSREICH, IN DEM NUR TÜRKEN LEBEN

ARMENIEN: EIN VOLK GERÄT INS VISIER

GEGEN DAS VERGESSEN

24. APRIL 1915 – DER BEGINN EINES UNGLAUBLICHEN MASSAKERS

Stumme Zeugnisse der damaligen Ereignisse und die wichtigsten Bildbeweise für den Genozid am armenischen Volk sind Fotos des deutschen Schriftstellers Armin T. Wegner. Der damalige Soldat des deutschen Sanitäts-dienstes in der Türkei wurde Augenzeuge des Genozids. Er machte Fotos und schickte sie an Behörden und die Presse in Deutsch-land. Doch seine Bilder wurden nie veröffent-licht, und seine Versuche, die Öffentlichkeit über die Gräueltaten zu informieren, blieben erfolglos. Der Genozid an den Armeniern

Als offizieller Beginn des Genozids gilt der 24. April 1915. An diesem Tag wurden in der osmanischen Hauptstadt Konstantinopel armenische Intellektuelle und die politische Elite verhaftet und gehängt. Es war der Auf-takt zu einem unglaublichen Massaker mit systematischen Vergewaltigungen arme-

Rund die Hälfte der Opfer wurde an ihren Wohnorten erschossen, der andere Teil wur-de durch die glühend heissen Gebirgstäler Anatoliens in die Wüste getrieben. Beraubt, gefoltert und gedemütigt starben die mei-sten Deportierten auf diesen Todesmärschen, und die Felder füllten sich mit den Leichen

blieb weitgehend unbeachtet und wird auch heute noch von der Türkei geleugnet. Einzig der Denkmalkomplex auf einem Hügel in der armenischen Hauptstadt Jerewan gedenkt seit 1967 der Opfer. Der 44 Meter hohe Basalt-obelisk symbolisiert die Wiederentstehung und Standhaftigkeit des armenischen Volkes. Die 12 Pylonen rings um die ewige Flamme stellen die 12 von Armeniern bewohnten Be-zirke vor, die sich auf dem Territorium der heutigen Türkei befinden.

nischer Frauen und Kinder und Todesmär-schen in die Grenzgebiete. Die rebellischen Armenier, die sich vereinten und Widerstand organisierten und die tapferen Frauen, die mit Spaten und Rechen bewaffnet gegen die Unterdrücker zu kämpfen versuchten, wur-den schonungslos getötet.

unschuldiger, armenischer Menschen. Dieje-nigen Männer, Frauen und Kinder, die das Ende des Todesweges lebend erreichten, er-warteten weitere Qualen: Wochenlang wur-den sie im Kreis herumgetrieben und starben an Erschöpfung, Hunger und Seuchen.

Exekution in Konstantinopel

Folterungen und Verstümmelun-gen durch Messerstiche waren an der Tagesordnung.

Verhungernde Frau mit ihrem Sohn in der syrischen Wüste 1916

Flüchtlinge am 14. Juli 1915, in der Nähe von Tashlichay.

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SCHWEIZ Diaconia Internationale Hilfe Christliches Hilfswerk Feldstrasse 9, CH-5712 Beinwil am See, Tel.: 062 771 05 50, Fax: 062 771 45 03,E-Mail: [email protected]

Postkonto: 50-9977-4

DEUTSCHLAND Diaconia Internationale Hilfe e.V. Christliches Hilfswerk Schönberger Weg 1, D-79713 Bad Säckingen, Tel.: 07761 553 29 73, Fax: 07761 553 78 18,E-Mail: [email protected]

Sparkasse Hochrhein,DE10 6845 2290 0077 0321 59BIC: SKHRDE6W

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Diaconia Internationale Hilfehat den Ehrenkodex SEA unterzeichnet.

„ICH ERINNERE MICH UND FORDERE.“Unter dieser Devise gedenkt das armenische Volk zum 100. Mal der Opfer des Genozids von 1915. Als Symbol-blume wurde das Vergissmeinnicht gewählt – Schwarz steht für den Genozid, Lila symbolisiert die Gegenwart und die Zukunft. Die fünf Blätter der Blume zeigen die fünf Kontinente, in denen die Nachfahren der Opfer heute leben. In ihrem Gedächtnis ist eine teure Bibliothek vorhanden, in der die Erinnerungen der Grossmüt-ter und Grossväter aufbewahrt werden. Ihre Geschichten werden weiter die Herzen der Armenier füllen und von Mund zu Mund gehen.

Mari Aruschian, geboren in Urfa, berichtete ihren Kindern: „Ich war 8 Jahre alt. Meine Mutter wurde getötet, andere Menschen wurden verbrannt. Mein Vater setzte mich auf seinen Esel, und wir erreichten zusammen die Stadt Beirut. Er liess mich in einem Waisenhaus und ging nach Der-Zor. Dort heiratete er erneut. Nachdem seine Frau über mich erfahren hatte, kamen sie gemeinsam ins Heim und nahmen mich mit in ihr Haus.“

Tadewos Hunanian, geboren im Dorf Pstik in Van, erzählte: „Meine Eltern hatten mich in einem Misthaufen versteckt. Die Türken stachen mit Säbeln den Misthaufen durch, um zu prüfen, ob sich darin jemand versteckt hat. Ich fühlte die Spitzen an meinem Körper, zum Glück wurde ich nicht verletzt. Als die Türken weggingen und die Nachbarn mich aus dem Haufen heraus-zogen, war ich mehr tot als lebendig. Die Türken hatten fast alle meine Angehörigen ermordet. Mit meinem jüngeren Bruder konnten wir die Stadt Echmiadzin erreichen.“

Schuschan (Familienname ist unbekannt), aus dem Dorf Pstik in Van: Auf dem Auswanderungsweg wurde ihre ganze Familie erschossen, ihr und ihrer Cousine gelang es, die Stadt Echmiadzin zu erreichen: „In der Schule wurde meine Cousine von ihren türkischen Kameraden so schwer verprügelt, dass sie daraufhin ihr Gehör und ihre Sehkraft verlor.“ Tadewos und Schuschan, zwei Waisen, trafen einander in Echmiadzin. Später gründeten sie ihre eigene Familie und sorgten, bis zu ihren letzten Tagen, rührend für Schuschans Cousine.

Hambarcum Jambazian, geboren in Marasch erzählte: „Ich war verheiratet, hatte zwei Kinder. Meine Frau und meine Kinder wurden in der Kirche verbrannt. Ich überlebte mit schweren Brandwunden und floh nach Jerusalem“. Später heiratete Hambarcum erneut und bekam 9 Kinder: 8 Söhne und eine Tochter. Alle, die die Massaker überlebt hatten, wollten später viele Kin-der haben, zum Gedenken an die Toten und für ihr Weiterbestehen.

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