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«Alt sind nur die anderen!» 12.11.2014
Hans Rudolf Schelling, Zentrum für Gerontologie 1
Zentrum für Gerontologie
«Alt sind nur die anderen!» Fremd- und Selbstwahrnehmungen des Alter(n)s – und deren Folgen
Hans Rudolf Schelling Universität Zürich
Zentrum für Gerontologie
12. November 2014
Zentrum für Gerontologie
Alt werden ist …
12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 2
«Alt sind nur die anderen!» 12.11.2014
Hans Rudolf Schelling, Zentrum für Gerontologie 2
Zentrum für Gerontologie
«Alt sind nur die anderen!» Fremd- und Selbstwahrnehmungen des Alter(n)s – und deren Folgen Übersicht
1. Einstieg ins Thema
2. Begriffe: Bilder, Stereotype, Einstellungen, Vorurteile, Stigmata des Alters und des Alterns
3. Defizitmodell des Alters und Ageismus: Kritik und Metakritik 4. Differenzierung: Selbst- und Fremdbilder des Alter(n)s,
Bereiche und Perspektiven
5. Einstellungen zum Altern und Gesundheit
12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 3
Zentrum für Gerontologie
Die Stellung des Menschen im Lebenslauf: Die Treppe als Metapher
12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 4
«Alt sind nur die anderen!» 12.11.2014
Hans Rudolf Schelling, Zentrum für Gerontologie 3
Zentrum für Gerontologie
Wandel des Altersbilds? «Die Alten kommen» (Heiner Hug, 1992)
12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 9
Zentrum für Gerontologie
Altersbilder in Buchtiteln
• Das Elend der alten Leute (Rudolf Schenda, 1972)
• Die späte Freiheit (Leopold Rosenmeyer, 1983)
• Die Entfernung vom Wolfsrudel. Vom drohenden Krieg der Jungen gegen die Alten (Reimer Gronemeyer, 1989)
• From Age-ing to Sage-ing (Zalman Schachter-Shalomi, 1995)
• Das Methusalem-Komplott (Frank Schirrmacher, 2004) • Ruhestand – nein danke! Konzepte für ein Leben nach der Pensionierung
(Klara Obermüller, 2005)
• Die Radikalität des Alters: Einsichten einer Psychoanalytikerin (Margarete Mitscherlich, 2010)
• Restlaufzeit: Wie ein gutes, lustiges und bezahlbares Leben im Alter gelingen kann (Hajo Schumacher, 2014)
• Krieg der Generationen: Und warum unsere Jugend ihn bald verloren hat (Michael Opoczynski, 2015)
12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 10
«Alt sind nur die anderen!» 12.11.2014
Hans Rudolf Schelling, Zentrum für Gerontologie 4
Zentrum für Gerontologie
12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 11
Zentrum für Gerontologie
«Wahrnehmung des Alters»: Konzepte und Begriffe
1. Altersbild
2. (Alters-)Stereotyp
3. Einstellung
4. Vorurteil
5. Stigma
12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 12
«Alt sind nur die anderen!» 12.11.2014
Hans Rudolf Schelling, Zentrum für Gerontologie 5
Zentrum für Gerontologie
1. Altersbild (a)
Der Begriff Altersbild umfasst die bildlich oder sprachlich zum Ausdruck gebrachten
– Meinungen, – Überzeugungen
– oder Erfahrungen wie alte Menschen sind,
in welcher sozioökonomischen oder gesundheitlichen Situation sie sich befinden
oder was Altern und Alter bedeutet.
12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 13
Zentrum für Gerontologie
1. Altersbild (b)
Der Begriff Altersbild umfasst zum einen das Altersbild, – das sich die Gesellschaft, also viele Menschen jeden Alters,
von «den alten Menschen» und vom «Alter» allgemein macht (Fremdbild)
– und zum anderen die Art und Weise, wie ältere und alte Menschen sich selbst sehen (Selbstbild).
(Deutsches Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 1994, 89).
12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 14
«Alt sind nur die anderen!» 12.11.2014
Hans Rudolf Schelling, Zentrum für Gerontologie 6
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2. Stereotyp (a)
Stereotype sind «Bilder in unseren Köpfen» (Walter Lippmann, 1922: Public Opinion – die öffentliche Meinung)
Ein Stereotyp bezeichnet ein bestimmtes gleichbleibendes oder häufig vorkommendes Schema der Beschreibung von Personen oder Gruppen.
• griffige Zusammenfassung von Eigenschaften oder Verhaltensweisen («typisch»)
• hoher Wiedererkennungswert
• starke Vereinfachung eines Sachverhalts oder von Eigenschaften
• kann positiv, neutral oder negativ gefärbt sein
• bedeutungsverwandt mit Klischee
12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 15
Zentrum für Gerontologie
2. Stereotyp (b)
Merkmale von sozialen Stereotypen – Stereotype beziehen sich immer auf soziale Gruppen (Alte, Junge,
Ausländer…) – werden häufig nicht auf Grund eigener Erfahrung erworben, sondern
als Ganzes von der sozialen Umwelt (In-Group) übernommen
– können im Einzelfall richtig oder falsch sein
– sind resistent gegen Veränderungen, da gegen Falsifikation immunisiert („Ausnahme bestätigt die Regel“, Orientierungs-/Ökonomiefunktion, Gruppenidentitätsfunktion, geringe Kontakte zur stereotypisierten Gruppe, selektive Wahrnehmung)
– können explizit oder implizit sein, sich verbal oder nonverbal äussern
– können sich in bestimmten Fällen auch auf die eigene Gruppe beziehen!
12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 16
«Alt sind nur die anderen!» 12.11.2014
Hans Rudolf Schelling, Zentrum für Gerontologie 7
Zentrum für Gerontologie
2. Altersstereotyp
– Altersstereotype sind kollektivgesellschaftliche Vorstellungen und Meinungen über Alter(n) und alt sein, wie sie mit Begriffen wie "Alterslast", "Alterskapital", "Altersweisheit" verbunden sind. (vgl. Niederfranke et al., Tews 1991)
– Altersstereotype sind relativ fest gefügte, stabile Überzeugungen davon, wie ältere Menschen (angeblich) sind und wodurch sie sich von anderen, jüngeren Menschen unterscheiden. (Moscovici 1961, zit. In Niederfranke et al.)
– Altersstereotype sind Zuschreibungen bestimmter Eigenschaften, Verhaltensweisen oder Rollen aufgrund des kalendarischen Alters.
12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 17
Zentrum für Gerontologie
3. Einstellungen
Einstellungen sind überdauernde Prädispositionen des Individuums, Symbole, Objekte oder Aspekte der eigenen Welt (bzw. deren mentale Repräsentationen) in einer bestimmten – günstigen oder ungünstigen – Weise zu bewerten. (vgl. Katz, 1961)
Diese Prädispositionen sind auf höherer Ebene von generalisierten Weltbildern und Wertvorstellungen abhängig.
Häufig werden Einstellungen in eine kognitive (Überzeugungen), affektive (bewertende Emotionen) und konative (verhaltensbezogene) Komponente unterteilt. Einstellungen beeinflussen das Verhalten (via Absichten, Normen und Erwartungen, Kontrollüberzeugungen).
12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 18
«Alt sind nur die anderen!» 12.11.2014
Hans Rudolf Schelling, Zentrum für Gerontologie 8
Zentrum für Gerontologie
4. Vorurteile als Spezialfall von Einstellungen
Vorurteile sind extreme, unreflektierte, unflexible und generalisierte Einstellungen gegenüber der Eigen- oder einer Fremdgruppe und deren Mitglieder.
Drei Komponenten:
– kognitive Komponente = Stereotyp (muss nicht bewertend sein),
– affektive Komponente: starkes Gefühl der Feindschaft oder der Zuneigung. (Vorurteile können positiv oder negativ gefärbt sein.)
– konative Komponente: verschiedene Formen und Stufen: sprachliche Aggression, Kontaktvermeidung, Diskriminierung, physische Angriffe, Vernichtung (Allport, 1954)
Vorurteile sind löschungsresistent: Dem Vorurteil widersprechende Erfahrungen sind «die Regel bestätigende Ausnahmen» (vgl. Festinger, Dissonanztheorie). 12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 19
Zentrum für Gerontologie
5. Stigma
«Stigma» meint eine diskreditierende Eigenschaft oder ein negativ bewertetes Merkmal einer Person. Es bezieht sich auf gesellschaftliche Diskriminierungs- und Ausgliederungsprozesse und bildet die Grundlage sozialer Vorurteile gegenüber Personen, denen auf Grund des Merkmals negative Eigenschaften zugeschrieben werden.
Für Stigmata ist charakteristisch, dass über das negativ definierte Merkmal hinaus der Person weitere ebenfalls negative Eigenschaften zugeschrieben werden, die mit dem tatsächlich gegebenen Merkmal objektiv nichts zu tun haben. (vgl. Hohmeier, 1975)
Positives Gegenstück: «Halo-Effekt» («Heiligenschein»)
12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 20
«Alt sind nur die anderen!» 12.11.2014
Hans Rudolf Schelling, Zentrum für Gerontologie 9
Zentrum für Gerontologie
Beispiele positiver/negativer «Altersbilder»
Kennen Sie Beispiele negativer (oder auch positiver) «Altersbilder» in der Gesellschaft, die den genannten Kriterien von Stereotypen, Vorurteilen oder Stigmata entsprechen? Gesichtspunkte:
– Wer sind die «Träger», von wem gehen diese «Bilder» aus?
– Wer ist die «Betroffenen», alle Alten oder eine Teilgruppe davon?
– Wie äussern sich diese «Bilder»? (Medien, direkter Kontakt, verbal/ nonverbal, praktische soziale Diskriminierungen, etc.)
– Welche Funktion der «Bilder» (für die Träger) vermuten Sie? (intentional oder non-intentional)
– Wie wirken sich diese «Bilder» auf die Betroffenen und/oder auf andere aus?
12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 21
Zentrum für Gerontologie
12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 22
«Alt sind nur die anderen!» 12.11.2014
Hans Rudolf Schelling, Zentrum für Gerontologie 10
Zentrum für Gerontologie
Landläufiges (?) Altersbild: Alter als Defizit
• Abnehmende körperliche und geistige Gesundheit • Körperliche Beschwerden
• Abnehmende Intelligenz
• Schlechtes Gedächtnis • Armut (oder auch: Reichtum auf Kosten der Jungen)
• Hässlichkeit (Körpergestalt, Kleidung)
• Einschränkung des physischen und psychischen Lebensraums • Einsamkeit, Vereinsamung
• Missmut, Griesgram • Tatenlosigkeit, Langeweile …
12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 23
Zentrum für Gerontologie
Gerontologische Kritik des „Defizitmodells� (z.B. Ursula Lehr)
Stimmt alles nicht! Alte sind kompetent, aktiv, erfahren, sozial integriert, gesund, positiv zum Leben eingestellt...
Oder aber: Differenzierung nach Etappen des höheren Alters, nur grob einem kalendarischen Alter zuzuordnen:
1. ‚Letzte Berufsphase und nahende Pensionierung‘ 2. ‚Autonomes Rentenalter‘ 3. ‚Verstärkte Gebrechlichkeit‘ 4. ‚Abhängiges Rentenalter'
12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 24
«Alt sind nur die anderen!» 12.11.2014
Hans Rudolf Schelling, Zentrum für Gerontologie 11
Zentrum für Gerontologie
Metakritik des „Defizitmodells� (C. Carls, 1996)
• Ein homogenes, einfach abrufbares negatives Altersbild (Defizitmodell, Stereotyp) der Bevölkerung existiert in Wirklichkeit gar nicht!
• GerontologInnen bauen eine Ideologie des erfolgreichen Alterns auf, der nur gesunde, aktive, kulturell bewegliche, integrierte und ökonomisch gut gestellte Alte entsprechen.
• Gesellschaftliche und politische Bedingungen werden ausgeblendet, Alte für Ihre Lebenslage selber verantwortlich gemacht.
• Aber: Es gibt positive und negative Altersbilder (Plural!), wie es ‚kompetente� und ‚defizitäre� Alte gibt.
12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 25
Zentrum für Gerontologie
Differenzierung: Zum Begriff des „Altersbilds� (E. Schmitt, 2004) Ausgangspunkt: „Ageismus��(Butler, 1969): negative Stereotypisierung, Vorurteile, Diskriminierung alter Menschen
– Kein theoretisch und empirisch einheitliches Konzept: Meinungen, Einstellungen und Verhaltensweisen vermischt
– „In westlichen Gesellschaften weit verbreitet“: widerlegt.
– Einstellungen gegenüber alten Menschen: Befragungen zeigen (absolut) keine negativen Bewertungen alter Menschen, im Vergleich zu jungen und mittelalten halten sich negativere und positivere Bewertungen – je nach Bereich – die Waage.
– „Entwicklungsgewinne und -verluste“: Zwei verschiedene Dimensionen!
– Negative Bewertungen als Artefakt der Erhebung: Abfrage von Stereotypen versus Bewertung konkret vorgestellter Menschen
12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 26
«Alt sind nur die anderen!» 12.11.2014
Hans Rudolf Schelling, Zentrum für Gerontologie 12
Zentrum für Gerontologie
Entwicklungsgewinne und -verluste
Skalen: Zweidimensionale Messung von
– Entwicklungsgewinnen und Chancen (EC)
– Entwicklungsverlusten und Risiken (EV)
Skalen sind nahezu unabhängig; Verluste und Gewinne liegen auf verschiedenen Dimensionen. (Kruse & Schmitt, 2005) (EC1 umgepolt: Ablehnung der Aussage)
12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 27
Zentrum für Gerontologie
Differenzierung: Entwicklungsgewinne und -verluste Beurteilung der lebenslangen Entwicklung bezüglich psychologischer Merkmale:
– Allen Lebensphasen werden sowohl Gewinne als auch Verluste zugeschrieben
– Bis zum Alter von ca. 80 Jahren überwiegen die Gewinne die Verluste (Heckhausen, 1989)
– Objektive und subjektive Lebensbedingungen und Handlungsspielräume prägen die Wahrnehmung des Alters stärker als das Alter an sich (Schmitt, 2004a,b; Kruse & Schmitt, 2006)
Negative Stereotype des Alters existieren, aber nur in Bezug auf „alte Menschen“ im Allgemeinen, nicht in Bezug auf konkrete bekannte Personen oder auf die eigene Person (Heckhausen & Lang, 1996; Nelson, 2002)
12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 28
«Alt sind nur die anderen!» 12.11.2014
Hans Rudolf Schelling, Zentrum für Gerontologie 13
Zentrum für Gerontologie
Altersbilder in der Schweiz (NFP 32)
! Es gibt keinen Generationenkonflikt zwischen Jungen und Alten, keinen Altersgruppen-Egoismus
! Junge und Alte beurteilen einander ähnlich
! Bei beiden Gruppen bestehen eher negative Kategorisierungen des Alters, in ähnlichem Masse; Eigengruppen- und Fremdbild unterscheiden sich wenig
! Das Alter wird von Alten und Jungen als ambivalent (negativ und positiv) wahrgenommen
! Je abstrakter die Begriffe zur Darstellung des Alters, desto negativer das Bild
! Ältere fordern mehr von älteren Menschen als Junge
12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 29
Zentrum für Gerontologie
Differenzierte Altersbilder: Dimensionen Gruppen-/Personenbezug: • Auf alle, auf Subgruppen oder auf Individuen bezogen
(stereotyp – differenziert)
• Auf sich selbst oder auf andere Personen bezogen
• Auf Eigen- oder Fremd(alters-)gruppe bezogen
Gegenstandsbezug:
• Allgemein oder bereichsspezifisch (Gesundheit, Wohlbefinden, Leistungsfähigkeit, soziale Integration und Teilhabe, ...)
Zeit-/Verlaufsbezug: • Statisch oder dynamisch (Alter – Altern)
Kognitive Repräsentation/Abrufbarkeit: • Implizit oder explizit
12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 30
«Alt sind nur die anderen!» 12.11.2014
Hans Rudolf Schelling, Zentrum für Gerontologie 14
Zentrum für Gerontologie
Imagekampagne «Jung & Alt Stadt» Zürich 2004
12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 31
Zentrum für Gerontologie
Einstellungen zum eigenen Altern: Auswirkungen auf die Gesundheit? Einstellungen zum (eigenen) Altern können sich auf den Entwicklungsverlauf der Gesundheit im Alter auswirken.
Vier Hypothesen
1. Einstellungen wirken sich auf das Gesundheitsverhalten aus.
2. Einstellungen wirken sich auf die Bewertung der eigenen Gesundheit aus. Eine negative Gesundheitsbewertung führt zu ungünstigerem Gesundheitsverhalten.
3. Bei Zunahme von Beschwerden werden Einstellungen zum Altern(n) schlechter. (Aber wegen stabilem Vergleichsstandard – sozialer Vergleich, Erwartung – bleibt das Wohlbefinden stabil.)
4. Problematisch sind also vor allem überstark negative Einstellungen.
12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 32
«Alt sind nur die anderen!» 12.11.2014
Hans Rudolf Schelling, Zentrum für Gerontologie 15
Zentrum für Gerontologie
Messung von Einstellungen zum eigenen Altern
Typische fünfstufige Mess-Skalen („völlig zutreffend� – „völlig unzutreffend�)
– „Für die nächsten Jahre habe ich schon allerlei Pläne“
– „Ich bin jetzt zufriedener und glücklicher als je zuvor“
– „Ich habe noch ein schönes Stück Leben vor mir“
– „Oft denke ich, dass ich jüngeren Menschen nur im Weg bin“
– „Ich fühle mich sehr alt“
– „Wie das Leben auch war, es ist doch sehr schön“
(Riegel & Riegel, 1960)
12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 33
Zentrum für Gerontologie
Einstellungen zum eigenen Altern: Eine Frage des Alters oder von Ressourcen?
Fragestellungen
– Werden Einstellungen zum Alter und Bewertungen der Gesundheit negativer, wenn und weil man älter wird?
– Oder werden sie negativer, wenn die Gesundheit (körperlich/psychisch) schlechter wird?
Daten aus Interdisziplinärer Längsschnittstudie des Erwachsenenalters (ILSE, Deutschland), Geburtsjahrgänge 1930–1932, Erhebungen 1994 und 1998, Alter 63–67 Jahre, N = 500
(Schelling & Martin, 2008) 12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 34
«Alt sind nur die anderen!» 12.11.2014
Hans Rudolf Schelling, Zentrum für Gerontologie 16
Zentrum für Gerontologie
Einstellungen zum eigenen Altern: Eine Frage des Alters oder von Ressourcen? Mögliche Beziehungen zwischen Alter, Ressourcen (-veränderungen) und Einstellungen zum eigenen Altern
Körperliche, psychische und kognitive Ressourcen und -veränderungen
Einstellungen zum eigenen Altern
Kalendarisches Alter
?
(Schelling & Martin, 2008)
? ?
?
12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 35
Zentrum für Gerontologie
Einstellungen zum eigenen Altern: Eine Frage des Alters oder von Ressourcen? Theoretisches Modell der Beziehungen zwischen Alter, Ressourcen (-veränderungen) und Einstellungen zum eigenen Altern
Körperliche, psychische und kognitive Ressourcen und -veränderungen
Einstellungen zum eigenen Altern
Kalendarisches Alter
++
–
–
+
(Schelling & Martin, 2008) 12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 36
«Alt sind nur die anderen!» 12.11.2014
Hans Rudolf Schelling, Zentrum für Gerontologie 17
Zentrum für Gerontologie
Einstellungen zum eigenen Altern Altersveränderungen bei Einstellungen zum eigenen Altern und bei Ressourcen in 4 Jahren
12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 37
Zentrum für Gerontologie
12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 38
Effekte von Soziodemografie, Ressourcen und Ressourcenveränderungen auf Einstellungen zum Altern
«Alt sind nur die anderen!» 12.11.2014
Hans Rudolf Schelling, Zentrum für Gerontologie 18
Zentrum für Gerontologie
Einstellungen zum eigenen Altern: Eine Frage des Alters oder von Ressourcen?
Ergebnisse zusammengefasst:
1) Einstellungen zum Altern werden über einen Vierjahreszeitraum negativer " Altersabhängigkeit
2) Einstellungen sind umso negativer, je schlechter die psychische und die körperliche Gesundheit sind und umso positiver, je besser die psychische und körperliche Gesundheit " starke Gesundheitsabhängigkeit
3) Einstellungen werden noch negativer/positiver, je höher das Alter, in dem die Veränderung eintritt " erwartungskonforme saliente Veränderung?
(Schelling & Martin, 2008) 12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 39
Zentrum für Gerontologie
Einstellungen zum eigenen Altern: Eine Frage des Alters oder von Ressourcen? Bestätigtes theoretisches Modell der Beziehungen zwischen Alter, Ressourcen (-veränderungen) und Einstellungen zum eigenen Altern
Körperliche, psychische und kognitive Ressourcen und -veränderungen
Einstellungen zum eigenen Altern
Kalendarisches Alter
++
–
–
+
(Schelling & Martin, 2008) 12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 40
«Alt sind nur die anderen!» 12.11.2014
Hans Rudolf Schelling, Zentrum für Gerontologie 19
Zentrum für Gerontologie
Wirken sich umgekehrt die Einstellungen zum Altern auch auf die Gesundheit aus?
(Levy et al., 2002)
Schlechterer Verlauf der funktionalen Gesundheit bei negativer Selbst-wahrnehmung des Alterns.
Aber: unterschiedliche Ausgangsniveaus!
12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 41
Zentrum für Gerontologie
Einstellungen zum Alter und Gesundheit
Personen mit gleichem Ausgangsniveau der Gesundheit:
Deutlich schlechtere Entwicklung der funktionalen Gesund-heit bei negativer Selbstwahrnehmung des Alterns.
(Levy et al., 2002)
12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 42
«Alt sind nur die anderen!» 12.11.2014
Hans Rudolf Schelling, Zentrum für Gerontologie 20
Zentrum für Gerontologie
Einstellungen zum Altern und Gesundheit Fazit
Einstellungen zum Alter beeinflussen die Gesundheit
UND
insbesondere die psychische Gesundheit beeinflusst die Einstellung zum Alter sehr stark
UND
die Beziehung zwischen Einstellungen zum Alter und Gesundheit wird mit dem Alter stärker
Konsequenz
Mit zunehmendem Alter wird die eigene Gesundheit zunehmend schlechter eingeschätzt, und diese schlechtere Einschätzung wirkt sich negativ auf den weiteren Verlauf der Gesundheit aus. (Schelling & Martin, 2008) 12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 43
Zentrum für Gerontologie
Einstellungen zum Altern und Gesundheit: Folgerungen
1. Zur Verbesserung und zum Erhalt von Wohlbefinden sind erforderlich:
– Realistische und positive Einstellungen zum Altern
– Gesundheitsförderung und -erhalt
2. Wechselwirkungen zwischen Einstellungen zum Altern und Gesundheit werden mit dem Alter stärker, daher sind Massnahmen zur Verbesserung der Einstellung zum Altern bei alten Personen kurzfristig wirksamer als bei jungen.
3. Implizite Haltungen zum Alter werden möglicherweise im jungen Alter angeeignet. Realistische, eher positive Altersbilder auch junger Menschen sind daher präventiv wirksam.
12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 44
«Alt sind nur die anderen!» 12.11.2014
Hans Rudolf Schelling, Zentrum für Gerontologie 21
Zentrum für Gerontologie
Wahrnehmung des Alter(n)s: ein generelles Fazit
• Es gibt kein allgemeines, negatives Altersbild in der Bevölkerung, weder bei Jungen noch bei Alten
• Es gibt aber verzerrte Vorstellungen und Erwartungen (gruppen- und bereichsspezifisch)
• „Falsche� Vorstellungen und negative Einstellungen wirken sich auf den Verlauf des Alterns aus, insbesondere auf die Gesundheit
• Eine verschlechterte Gesundheit führt zu negativeren Einstellungen zum eigenen Altern
! Teufelskreis?
12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 45
Zentrum für Gerontologie
Imagekampagne «Jung & Alt Stadt» Zürich 2004
12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 46
«Alt sind nur die anderen!» 12.11.2014
Hans Rudolf Schelling, Zentrum für Gerontologie 22
Zentrum für Gerontologie
Empfehlungen der Deutschen Altersberichtskommission zu Altersbildern in der Gesellschaft (2010)
1. Den demografischen Wandel als Gestaltungsaufgabe verstehen
2. Eine neue Kultur des Alters entwickeln
3. Lebenslauforientierung stärken und Altern als individuelle und gesellschaftliche Gestaltungsaufgabe begreifen
4. Bildung als Recht und Pflicht für alle Lebensalter anerkennen
5. Negative und positive Diskriminierungen aufgrund des Alters vermeiden
6. Zu einer neuen Sicht des Alters in der Arbeitswelt gelangen
7. Gesundheitspolitik an eine Gesellschaft des langen Lebens anpassen
8. Zu einem erweiterten Verständnis von Pflege finden
9. Selbst- und Mitverantwortung in der Zivilgesellschaft fördern
10. Kulturelle Unterschiede erkennen und gestalten
12.11.2014 «Alt sind nur die anderen!», H.R. Schelling, ZfG Seite 47
http://www.bptk.de/uploads/media/20101124_sechster-altenbericht.pdf