26
Wolfgang G. Schwanitz Amerikas ungeschriebene Islampolitik Das Weiße Haus und die Beziehung zwischen Terror und Islam Teil 1: Wie Amerikas Anti-Terror-Politik entstand Executive Summary The first part of this two-part article sheds light on how four American presidents after Ronald Reagan dealt with the relationship between Islam and terror within the last 25 years. The analysis draws upon for- merly secret White House policy papers that contain directives on terror and fundamentalism. What emerges clearly is that president Reagan and his vice- president, George H. W. Bush, did establish a nation- wide anti-terror policy for the first time in 1986, but also that they did not relate this policy to the histori- cal dimensions of the conflicts between Muslims and Western modernity. Mr Reagan, Mr Bush, and Bill Clinton failed to perceive the totalitarian ideology be- hind terrorism. Their key problem arose from the fact that they saw Islam, in the Western sense, merely as a religion, not as a civilization that unites religion and power. This may be rooted in the secular nature of their governing mission; however, it proved to be their greatest mistake: While they did develop an anti- terror policy towards countries such as Lebanon, Egypt, Libya, Iraq, Iran, Saudi Arabia, and Afghanistan, the other side of the coin remained in the dark because they did not establish a national pol- icy on Islam. This is why they mostly acted defen- sively and aimlessly. This inconsistency is living on under George W. Bush. What is more, the war conducted to free Kuwait from its aggressor, Iraq, in 1991, Islamist at- tacks against the USA from 1993 onwards, and the Is- Die Anschläge vom 11. Sep- tember 2001 stellten nicht nur den in jüngerer Zeit wohl schwersten Schlag gegen die amerikanische Nation dar, sie waren auch der Beginn einer radikalen Neuorientierung des si- cherheitspolitischen Kon- zepts der mächtigsten Nation der Welt. Für Wa- shington hatte der Kampf gegen den Terror fortan Priorität, wenngleich er auch keine Neuerfindung der Administration des George W. Bush war. Be- reits in den frühen acht- ziger Jahren waren die Anfänge einer US-Anti- Terror-Politik artikuliert worden, doch war diese durch Inkohärenz, Ineffi- zienz und fehlendes Ver- ständnis für die Kausal- zusammenhänge in den Ursprungsregionen des Terrors selbst geprägt. Tief in den Wahrnehmungs- und Bewertungsmustern des Kalten Krieges verwurzelt, waren die Sicherheitsstra- tegen der Regierungen Carter, Reagan, Bush sen., Clinton und selbst Bush jun. für den möglichen Zusammenhang zwischen Islamismus und Terror lan- ge Zeit unempfänglich. Ara- bisch-islamische Länder wurden als Nebenschau- plätze des Ost-West-Kon- flikts begriffen, ihre Regie- rungen zur Erreichung kurz- und mittelfristiger Ziele instrumentalisiert und gegeneinander ausge- spielt. Erst die wachsenden Erkenntnisse über die Strukturen des Terror- Netzwerks al-Qa’ida führ- ten zum Bild eines neuen Feindes der USA, dessen Züge erkennbar islamis- tisch sind und dessen Ziel der Kampf gegen die Amerikaner und ihre Werte auf weltweiter Bühne ist. 4 KAS-AI 9/06, S. 4–29

Amerikas ungeschriebene Islampolitik - trafoberlin.de · jährigen Krieg zwischen Irak und Iran übermittelte Amerika Geheiminformationen an Irak über Militär-aktivitäten Irans

  • Upload
    builiem

  • View
    216

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Wolfgang G. Schwanitz

AmerikasungeschriebeneIslampolitikDas Weiße Haus und die Beziehungzwischen Terror und Islam

Teil 1:Wie Amerikas Anti-Terror-Politik entstand

Executive Summary

The first part of this two-part article sheds light onhow four American presidents after Ronald Reagandealt with the relationship between Islam and terrorwithin the last 25 years. The analysis draws upon for-merly secret White House policy papers that containdirectives on terror and fundamentalism. Whatemerges clearly is that president Reagan and his vice-president, George H. W. Bush, did establish a nation-wide anti-terror policy for the first time in 1986, butalso that they did not relate this policy to the histori-cal dimensions of the conflicts between Muslims andWestern modernity. Mr Reagan, Mr Bush, and BillClinton failed to perceive the totalitarian ideology be-hind terrorism. Their key problem arose from the factthat they saw Islam, in the Western sense, merely as areligion, not as a civilization that unites religion andpower. This may be rooted in the secular nature oftheir governing mission; however, it proved to betheir greatest mistake: While they did develop an anti-terror policy towards countries such as Lebanon,Egypt, Libya, Iraq, Iran, Saudi Arabia, andAfghanistan, the other side of the coin remained inthe dark because they did not establish a national pol-icy on Islam. This is why they mostly acted defen-sively and aimlessly.

This inconsistency is living on under George W.Bush. What is more, the war conducted to freeKuwait from its aggressor, Iraq, in 1991, Islamist at-tacks against the USA from 1993 onwards, and the Is-

Die Anschläge vom 11. Sep-tember 2001 stellten nichtnur den in jüngerer Zeitwohl schwersten Schlaggegen die amerikanischeNation dar, sie waren auchder Beginn einer radikalenNeuorientierung des si-cherheitspolitischen Kon-zepts der mächtigstenNation der Welt. Für Wa-shington hatte der Kampfgegen den Terror fortanPriorität, wenngleich erauch keine Neuerfindungder Administration desGeorge W. Bush war. Be-reits in den frühen acht-ziger Jahren waren dieAnfänge einer US-Anti-Terror-Politik artikuliertworden, doch war diesedurch Inkohärenz, Ineffi-zienz und fehlendes Ver-ständnis für die Kausal-zusammenhänge in denUrsprungsregionen desTerrors selbst geprägt. Tiefin den Wahrnehmungs- undBewertungsmustern desKalten Krieges verwurzelt,waren die Sicherheitsstra-tegen der RegierungenCarter, Reagan, Bush sen.,Clinton und selbst Bushjun. für den möglichenZusammenhang zwischenIslamismus und Terror lan-ge Zeit unempfänglich. Ara-bisch-islamische Länderwurden als Nebenschau-plätze des Ost-West-Kon-flikts begriffen, ihre Regie-rungen zur Erreichungkurz- und mittelfristigerZiele instrumentalisiertund gegeneinander ausge-spielt. Erst die wachsendenErkenntnisse über dieStrukturen des Terror-Netzwerks al-Qa’ida führ-ten zum Bild eines neuenFeindes der USA, dessenZüge erkennbar islamis-tisch sind und dessen Zielder Kampf gegen dieAmerikaner und ihre Werteauf weltweiter Bühne ist.

4 KAS-AI 9/06, S. 4–29

2Schwanitz 19.09.2006 12:06 Uhr Seite 4

5

lamist declaration of war on the West in 1998 causedthe worldwide axis of conflict to turn from West-Eastto North-South. This, however, was not appreciatedby the White House which, until September 11, 2001,was still influenced by the structures and the mental-ity of the Cold War. As the second part shows, MrBush was driven by the large-scale terrorist attacks totake the offensive. At first, he avoided showing thenexus between Islam and terror. Then, he broke thattaboo. He has not yet formulated a national policy onIslam which confronts Islamism as the third totalitar-ian ideology entering flexible coalitions. Will this be-come unavoidable now? The conclusion presents thechallenges confronting the USA in the light of the sixhistorical peculiarities of Islamic practice.

Faktische Islampolitik

Jedes Mal, wenn in Washington eine Administrationwechselt, gibt es im Nationalen Sicherheitsrat viel zutun. Denn eine der ersten Amtshandlungen des neuenPräsidenten besteht nicht nur darin, dieses Bera-tungsgremium für seine Außenpolitik personell zubesetzen, sondern auch inhaltlich auszugestalten.Nehmen wir zum Beispiel Präsident George HerbertWalker Bush, der vor nun gut anderthalb Jahrzehntenins Weiße Haus eingezogen war. Auf welches Schrift-erbe vermochte er sich dort für seine Außenpolitik zustützen?

Sein Vorgänger Ronald Reagan hatte vor dem Aus-laufen seiner Amtszeit Anfang 1989 durch die Direk-tiven über die nationale Sicherheit 321 und 323 die sogenannten White House policy papers abschließendordnen lassen und unterzeichnet. Als hochgeheimeingestuft, bieten die zwei Dutzend Seiten umfassen-den Übersichten einen guten Einblick sowohl indie schriftliche Hinterlassenschaft seiner acht JahreAmtszeit am Potomac als auch in die seiner Vorgän-ger. Sie listen nämlich alle Präsidialdirektiven und dasSystem der anderen Papiere auf, die zu diversen The-men von nationalem Belang in Kraft getreten waren.1)

Mithin übernimmt jede Administration im Natio-nalen Sicherheitsrat drei Gruppen von Unterlagen –aktive, realisierte und teilweise oder vollständig über-holte. Von der Vielzahl von Memoranden, Strategie-und Diskussionstexten abgesehen, ragten Präsidialdi-rektiven heraus. Durch sie werden Bürokratien in

1) U.S. National Archives II(USArchII), Records of theNational Security Council(NSC) 1987-1989, RG 273,Box 4, The White House,National Security DecisionDirective (NSDD) 323,Disposition of Pre-ReaganPolicy Papers and Attach-ments, Top Secret, 09.01.1989,gez. Ronald Reagan; NSDD321, Disposition of NationalSecurity Decision Directives,Top Secret, 02.12.1989, gez.Ronald Reagan.

2Schwanitz 19.09.2006 12:06 Uhr Seite 5

15 Departments und rund 30 Agenturen gelenkt.Folglich erlies Bush gleich Ende Januar 1989 seineerste Nationale Sicherheitsdirektive, die den Natio-nalen Sicherheitsrat und seine Einheiten konstituierthat. Als zweiten Schritt legte er fest, dass alle vor-herigen Direktiven bis auf Widerruf gelten. Die Re-vision musste nun beginnen. Alsbald lagen Schwer-punkte fest. Anfang Mai 1989 wies er an, zehn NeuePolitik-Koordinierungskomitees zu bilden, darunterdie für counterterrorism und für Krisen-Management(Dok. 1).

Wer sich an die Stelle des neuen Präsidenten ver-setzt und in der durch Reagan an Bush übergebenenÜbersicht blättert, findet zwei Hauptpunkte. Einer-seits haben offensichtlich seit den achtziger Jahren dieProbleme des internationalen Terrorismus eine wach-sende Rolle gespielt. Denn Reagans Amtsantritt fielmit dem Ende des über einjährigen Geiseldramas inIran (nach der Besetzung der Teheraner US-Botschaftwurden 53 ihrer Angehörigen 444 Tage gefangen ge-halten) sowie mit islamistischen Umbrüchen zusam-men, zumal erstmals eine islamische Revolution un-ter Ayatollah Khomeini stattfand. Dieser setzte denregionalen Export seiner fundamentalistischen Re-volte auf die Tagesordnung. So stand Washington vorder Frage, die islamistische Ideologie in Irans Farbeneinzudämmen.

Indirekte Islampolitik betrieb Washington, indemes Gegner Teherans stärkte, also Irak und die Golf-staaten. Das Weiße Haus versuchte, der radikalislami-schen Ideologie Irans zu begegnen. Dabei konnte essich auf die uralten Gegensätze zwischen Arabernund Iranern stützen. Noch elf Jahre nach der isla-mischen Revolution und zwei Jahre nach dem acht-jährigen Krieg zwischen Irak und Iran übermittelteAmerika Geheiminformationen an Irak über Militär-aktivitäten Irans. Das möge besser fortgesetzt wer-den, heißt es in einem Positionspapier, damit mannicht noch den limitierten Zugang zu diesem wichti-gen Teil der irakischen Führung verliere. Zugleich of-fenbart das Papier viele Zwickmühlen für das WeißeHaus bei einem Embargo Iraks; westliche Alliiertewürden dann Amerikas Stellen ersetzen (Dok. 2).2)

All dies lenkte der Herr des Weißen Hauses aus derSicht des Ost-West-Konfliktes, der unter dem nu-klearen Damoklesschwert regionale Zwiste vertiefte.

2) Ebd., Options Paper on Iraqfor the NSC, State Depart-ment, Washington DC,Secret, 16.05.1990, S. 2.

6

2Schwanitz 19.09.2006 12:06 Uhr Seite 6

7

Das erhellen die Bush von Ronald Reagan übergebe-nen Direktiven gegenüber Libyen, Libanon und Iran,aber auch gegenüber Waffengängen wie dem Kriegzwischen Irak und Iran. Stets stellte sich die Frage,wie solche regionalen Prozesse die globale Balanceder Weltmächte berühren und wie Moskau dies aus-nutzen würde. Dabei erfuhr Amerika 1979 einendreifachen Schlag – die islamische Revolution imIran, Moskaus Einfall in Afghanistan und den Über-fall auf die Große Moschee in Mekka. Mit demMachtwechsel in Teheran verlor es eine geopolitischeStütze und seine auf die UdSSR gerichteten Radar-anlagen. Der sowjetische Einmarsch in Kabul kamzwar für das Weiße Haus nicht überraschend3), dochänderte er das regionale und globale Machtgefüge.

Andererseits, vom Drogen-Terrorismus in Latein-amerika einmal abgesehen4), betrafen alle an Bushübergebenen Dokumente zum Terror jene Regionen,in denen der Islam die Hauptreligion bildet. Hier fol-gen Hauptgedanken aus diesen Papieren. Sie bean-spruchen nicht, vollzählig zu sein, mögen aber Artender damaligen Wahrnehmung von Problemen erhel-len. Gab es eine mit U.S. Islam Policy betitelte Direk-tive und eine klare Benennung terroristischer Geg-ner?

Reagan und der islamistischeRevolutionsexport

Mitte 1981 heißt es in einer von Reagans Vorgän-ger Jimmy Carter erlassenen Direktive über einen Si-cherheitsrahmen für den Persischen Golf, die radika-len Einflüsse sollten in der Region vermindert wer-den, indem eine arabisch-israelische Regelung erzieltwerde.5)

Zuvor hatte Carter durch eine Militäraktion in Iranerfolglos versucht, die Botschaftsgeiseln befreien zulassen. Mit „radikalen Einflüssen“ meinte er TeheransAbsicht, die islamische Revolution zu verbreiten. Da-mals ging die Koordinierung der Antiterrorpolitikvom Department of State, von Botschafter L. PaulBremer, an das Weiße Haus über.6) Sie wurde fortanzur Präsidialsache.

Neu im Amt, ermächtigte Ronald Reagan denCIA-Direktor, vom FBI und den anderen AgenturenHilfe bei der Sammlung von Nachrichtenmaterial imAusland einfordern zu können. Damit hob Reagan

3) Ebd., The White House, ToThe Director of Central Intel-ligence, Afghanistan, Top Se-cret / Sensitive, 20.09.1979,gez. Zbignew Brzezinski:Sicherheitsberater Brzezinskiwies den CIA-Direktor an,für ein klares Bild über diesowjetische militärische Ver-wicklung in Afghanistan zusorgen, damit man zwischeneiner schleichenden Verwick-lung und einer direkten Inter-vention unterscheiden könne.Mit Blick auf General Paw-lowskis verlängerte Anwesen-heit in Afghanistan und dergraduell zunehmenden sow-jetischen Verwicklung meineder US-Präsident, dass dortdie Aussicht einer evolutio-nären Intervention bestehe.

4) Ebd., NSDD 176, Combat-ting Terrorism in CentralAmerica, 09.07.1985, gez.Ronald Reagan; NSDD 221,Narcotics and NationalSecurity, Secret, 08.04.1986,gez. Ronald Reagan.

5) Ebd., Presidential DirectiveNSC-63, Persian GulfSecurity Framework, Secret,15.01.1981, gez. JimmyCarter.

6) The 9/11 Commission Report.New York 2004, S. 94.

2Schwanitz 19.09.2006 12:06 Uhr Seite 7

partiell die Trennwand CIA-FBI auf7), die den Aus-tausch von Informationen verbot. Der CIA war fürdas Ausland, das FBI für das Inland zuständig. So er-wuchs auch jene später beklagte Mauer zwischen die-sen Diensten, die foreign-domestic divide.

Das Handelsembargo gegen Libyen folgte AnfangMärz 1982.8) Zwei Monate später regelte Reagan diestaatlichen Zuständigkeiten bei Terror-Ereignissen.9)

Im Herbst legte er seinen Friedensplan für Mittelostvor. Mitte 1983 fügte er seine Sicherheitsstrategie fürNahost und Südasien hinzu, die einen arabisch-israe-lischen Ausgleich und die Regelung des Palästina-Problems favorisierte.10) Im April zerstörte ein An-schlag der Hizballah die US-Botschaft in Beirut,wobei 87 Tote zu beklagen waren. Anfang Septemberund Ende Oktober 1983 erließ Reagan eine Strategiefür die Integrität des Libanon und einen Krisenplan,in dem er seinen Beiruter Botschafter anwies zu for-dern, dass Libanon die Beziehungen zur IslamischenRepublik Iran abbreche.11) Zuvor hatten Selbstmord-attentäter Gebäude mit amerikanischen und französi-schen Friedenstruppen zur Explosion gebracht; über300 Menschen kamen ums Leben. Reagan versprach,die Friedenstruppe dort zu behalten. Vier Monatespäter machte er eine Kehrtwende. Er annullierte eineGeheimoperation, Stellungen der Hizballah in derBuqaa-Ebene zu beseitigen und befahl den Abzug desMilitärs aus dem Libanon. Die Terroristen jubelten.Inkonsequenter hätte sein Anti-Terrorkurs nicht be-ginnen können.

Einen Monat später betonte Reagan, Syrien, Li-byen und die fundamentalistische Macht im Iranbedrohten Amerika und auch moderate Staaten inMittelost. Zudem regte er eine reifere strategische Be-ziehung mit Israel an.12) Anfang Februar 1984 wiesReagan seinen Botschafter Donald Rumsfeld an, Li-banons Regime beim Kampf gegen den Terrorismuszu stärken und Ausbildungshilfe gegen den Terroris-mus, counterterrorism, zu gewähren.13)

Zwei Monate später legte Reagan dem Kongressvier Gesetzentwürfe zur Bekämpfung des weltweitenTerrorismus vor – die Verhütung und Bestrafung vonGeiselnahmen, der Schutz von Flugzeugen gegen Sa-botage, die Belohnung von Angaben über Terroristenund das Verbot der Ausbildung und Beihilfe fürterroristische Organisationen. Erstmals verwies er

7) USArchII, NSC-Records,RG 273, NSDD 22, Desig-nation of IntelligenceOfficials Authorized toRequest FBI Collection foForeign Intelligence, 29.01.1982, gez. Ronald Reagan.

8) Ebd., NSDD 27, EconomicDecisions For Libya, Secret,09.03.1982, gez. RonaldReagan.

9) Ebd., NSDD 30, ManagingTerrorist Incidents, Secret,10.04.1982, gez. RonaldReagan.

10 Ebd., NSDD 99, U.S.Security Strategy for theNear East and South Asia,Secret, 12.07.1983, gez.Ronald Reagan.

11) Ebd., NSDD 103, Strategyfor Lebanon, Secret, 10.09.1983, gez. Ronald Reagan;NSDD 109, Responding tothe Lebanon Crisis, TopSecret, 23.10.1983, gez. Ro-nald Reagan; NSDD 111,Next Steps Toward Progressin Lebanon and the MiddleEast, 28.10.1983, gez. Ro-nald Reagan.

12) Ebd., NSDD 115, Visit ofPrime Minister Shamir, Se-cret, 26.11.1983, gez. RonaldReagan.

13) Ebd., NSDD 123, Next Stepsin Lebanon, Secret, 01.02.1984, gez. Ronald Reagan.

8

2Schwanitz 19.09.2006 12:06 Uhr Seite 8

9

auf eine neue Form des Terrorismus, den Staatster-rorismus (er meinte die von Iran gelenkten Terror-anschläge in Libanon und Kuwait). Drei Aussagenfallen hier auf: Terrorismus sei seit 1969 ein Weltpro-blem; Risikoverminderung und Abschreckung seiengeboten; Terrorismus drücke größere Probleme aus,weshalb es auf Modernisierung und Partizipation an-komme sowie darauf, die Quellen der Frustrationund der Verzweiflung zu überwinden.14)

Im September und November 1984 wies derHerr des Weißen Hauses Studien zur US-Politik imMaghreb und zu Sicherheitsbeziehungen mit Saudi-Arabien an, letzteres auch im Lichte des Krieges zwi-schen Irak und Iran.15) Anfang 1985 ordnete Reagandas System verdeckter Aktionen neu. Prinzipiell soll-ten die covert actions nicht die Politik ersetzen, je-weils durch einen präsidialen Befund – Presidentialfinding – abgesichert und auch gegen terroristischeOrganisationen gerichtet sein. Das Wissen darum be-grenzte er auf ein Dutzend Leiter (ohne FBI-Chef).Führende Abgeordnete des Kongresses waren in eini-gen Komitees darüber stets zu informieren. Im Übri-gen galt bei veil, so lautete der Codename jener welt-weiten Aktionen, die herkömmliche Limitierungnach dem Prinzip must need-to-know.16)

Der Präsident ordnete im Frühjahr 1985 eine Po-litik gegenüber Nordafrika an, die sich gegen das li-bysche Abenteurertum richtete. Überdies sollte siepolitische Stabilität und sozialökonomische Ent-wicklung durch den Erhalt sowie die Stärkung mo-derater Regimes fördern.17) Mitte 1985 erließ er dasAnti-Terror-Programm im Zivilflugwesen. Fernerberief er eine Anti-Terrorismus-Arbeitsgruppe unterVizepräsident George H. W. Bush, die Ressortchefsaus Kabinett, Militär und Geheimdiensten vereinte.Begründung: Terror ist ein Kriegsakt. Terroristenführten ihren Krieg nicht allein gegen Amerika, son-dern gegen die Zivilisation. Sie achteten weder dasLeben noch die demokratischen Werte. Dagegensollten nun internationale Koalitionen gebildet wer-den, obzwar man auch allein handeln werde, soferndies nötig sei. Ein Anti-Terror-Programm und Emp-fehlungen dazu seien bis zum Jahresende zu ent-wickeln.18) Alsbald gestaltete Reagan die generelle Be-reitschaft im Falle eines nationalen Notstandes vonNaturkatastrophen bis Feindangriffen so, dass allein

14) Ebd., NSDD 138, President’sAnti-Terrorism Legislation, ,26.04.1984, gez. RonaldReagan.

15) Ebd., National Security Stu-dy Directive (NSSD), 06-84,US Policy Toward TheMaghreb, Secret, 24.09.1984,gez. Robert C. McFarlane;NSSD 7-84, US SecurityRelationship with SaudiArabia, Secret, 06.11.1984,gez. (for the President)Robert C. McFarlane.

16) Ebd., NSDD 159, CovertAction Policy ApprovalAnd Coordination Procedu-res, Procedures For Safegu-arding Covert Action PolicyInformation, Top Secret/Veil, 18.01.1985, gez. RonaldReagan.

17) Ebd., NSDD 168, U.S. Po-licy Towards North Africa,Secret, 30.04.1985, gez. Ro-nald Reagan.

18) Ebd., NSDD 180, CivilAviation Anti-TerrorismProgram, Secret, 19.07.1985,gez. Ronald Reagan; TaskForce On CombattingTerrorism, 20.07.1985, gez.Ronald Reagan.

2Schwanitz 19.09.2006 12:06 Uhr Seite 9

der Nationale Sicherheitsrat das Hauptforum war, dieentsprechende Politik festzulegen. Die dafür gleich-wohl zuständige Bundesagentur für das Managementdes Notstandes, FEMA, erhielt eine eher beratendeund koordinierende Rolle bei der konkreten Ausfüh-rung dieser Politik.19)

Ronald Reagan wies Anfang 1986 Schritte gegenLibyens Hilfe für die Terroristen an. Dabei war esihm angelegen, von Passivität zu einem aktiven Anti-Terror-Kurs zu finden. Das libysche Regime sei zuisolieren, ein Totalembargo (außer für Medikamenteund ähnliche humanitäre Güter) sei geboten. Ameri-kas Alliierte sollten parallele Schritte unternehmen.20)

Doch mangelte es an amerikanischen Überlegungenüber die Natur des libyschen Regimes. Seiner Ideenach aus Abd an-Nasirs eher säkular gesteuertemÄgypten kopiert und früh mit sozialistischen undislamischen Elementen vermischt, wollte es al-Qad-dafi im Zuge seiner Dritten Universaltheorie expor-tieren. Anders als der iranische Fall, wies diesesModell mit seinen sozialistischen Anleihen diverseKonflikte aus dem Europa des Kalten Krieges auf undverlor mit dem Untergang des osteuropäischen So-zialismus seine Stütze und Attraktion. Im Grundehandelte es sich hier um eine linke Spielart des Isla-mismus.

Im Januar 1986 (Dok. 3) erließ Reagan das Natio-nale Programm zur Terrorabwehr, das unter Bushentstanden war. Terror sei zu bekämpfen, ohne dabeidie demokratischen und humanistischen Werte auf-zugeben. Vorsätzlich drohten die Terroristen denUnschuldigen Gewalt an, um ihre politischen Zieledurch Zwang und Einschüchterung über die direktenOpfer hinaus in der Öffentlichkeit durchzusetzen.Zunehmend würden Amerikaner im Ausland zurZielscheibe. Das Prinzip seiner Anti-Terror-Politikwar die klare Gegnerschaft gegen Terrorismus in allseinen Formen, ob nun einheimisch oder internatio-nal, im Land oder außerhalb, durch Einzelne oderGruppen. Gegenüber den Terroristen nachzugeben,würde nur noch mehr Bürger gefährden. Daraus ent-springe die Politik, keinerlei Konzessionen zu ma-chen. Die Regierung betrachte Terrorismus als poten-zielles Risiko für die nationale Sicherheit, dem manmit allen legalen Mitteln zu begegnen habe. Die Staa-ten, die Terror praktizierten und unterstützten, müs-

19) Ebd. NSDD 188, Govern-ment Coordination ForNational Security Emer-gency Preparedness, 16.09.1985, gez. Ronald Reagan.

20) Ebd., NSDD 205, ActingAgainst Libyan Support OfInternational Terrorism,08.01.1986, gez. RonaldReagan.

10

2Schwanitz 19.09.2006 12:06 Uhr Seite 10

11

sen mit Konsequenzen rechnen. Die Regierung zahlekeine Lösegelder, ändere ihre Politik nicht wegen ter-roristischer Drohungen oder Handlungen und ver-folge die Terroristen.

In dem Programm sind Leitverantwortliche ge-nannt – das State Department für Terror-Fälle imAusland, das Justizministerium im Inland und dieFlugaufsicht bei derartigen Ereignissen in der Luft-fahrt. Zwei neu gebildete Anti-Terror-Arbeitsgrup-pen sollten sie unterstützen. Reagan hoffte auf inter-nationale Kooperation. Zu prüfen sei, wie man mitden Medien arbeiten könne, damit den Terroristennicht die Bühne überlassen werde, die sie suchten. Zusichern sei, dass Terroristen in Amerika weder Hilfenoch Ausbildung erhalten.21)

Wie zur Illustration dessen zeigte der Anschlag aufdie Westberliner Diskothek „La Belle“ im April 1986,dass Terroristen nicht Militärs von Zivilisten unter-schieden, denn neben zwei toten US-Soldaten wur-den über 200 Personen schwer verletzt. Das WeißeHaus wähnte dahinter Libyens Führer al-Qaddafi.Reagan befahl einen Luftangriff auf dessen Anwesen.Freilich schreckte dies Muammar al-Qaddafi nichtdavon ab, zwei Jahre später den PAN AM Flug 103über Lockerbie abstürzen zu lassen, wobei 259 Men-schen ums Leben kamen.

Mit Blick auf die Gipfeldiplomatie entwickelteReagan Ende 1986 weitere Ideen. Zum einen suchte ereine Alternative zum Konzept der „Abschreckungdurch die Androhung der gegenseitigen Vernich-tung“, die das Offensivpotenzial durch die bessereVerteidigung entwertet. Er empfahl eine nationaleRaketenabwehr und erläuterte dies auch damit, dassAmerika einem Gegner ausgesetzt sein könnte, beidem Abschreckung nicht wirkt, da er irrational han-delt oder sich in einer irrationalen Situation sieht, dieihm außer Kontrolle geraten ist.22) Zum anderen hieltReagan bei der Modernisierung konventioneller Waf-fen und Doktrinen dazu an, diese auch für Fälle vonTerrorismus und begrenzten Konflikten zu betrei-ben.23)

Ronald Reagan ordnete Anfang 1987 eine Studiezu Afghanistan an, um herauszufinden, wie Washing-ton zu sowjetischen Friedensfühlern und zum Trup-penabzug stehen möge. Unter anderem sollten dieAussichten der Mujahidin bewertet werden und was

21) Ebd., NSDD 207, The Na-tional Program For Combat-ting Terrorism, Top Secret,20.01.1986, gez. RonaldReagan.

22) Ebd., NSDD 250, Post-Reykjavik Follow-Up, TopSecret, 03.11.1986, gez. Ro-nald Reagan.

23) Ebd., NSSD, 6-86, Conven-tional Forces Moderniza-tion, Secret, 03.11.1986, gez.Ronald Reagan.

2Schwanitz 19.09.2006 12:06 Uhr Seite 11

Amerika tun könne, um die Rolle der AfghanischenWiderstandsallianz zu stärken. Dabei legte der Präsi-dent darauf Wert, auch vom Konsens abweichendeMeinungen aus der Interdepartmental Group zu er-halten.24) Von Anbeginn war er darauf orientiert, denDruck auf den Kreml zugunsten eines Abzugs ausAfghanistan zu erhöhen und zu sichern, dass allesowjetischen Kosten der Okkupation hoch blieben.25)

Zur Jahresmitte gab Reagan die Anweisung, eine na-tionale Politik für die Konflikte niedriger Intensitätzu erarbeiten. Der Gegner benutze auch den Terro-rismus und den Guerillakrieg. Noch war für ihn dervom Kreml geförderte Terrorismus ein Faktor.26) Erordnete zudem den Aufbau des Nationalen Sicher-heitsrates neu, so Verantwortlichkeiten, den Rechts-beistand, nachrichtendienstliche Erkenntnisse unddas System der verdeckten Aktionen.27)

Dies hatte seinen Grund. Denn Reagan übernahmdie Verantwortung für das Debakel, das als Iran-Kontra-Affäre bekannt wurde. In einer verdeck-ten Aktion hatte eine Gruppe um den Sicherheitsbe-rater Robert McFarlane versucht, Geiseln der Hiz-ballah im Libanon durch den Einfluss Irans freizube-kommen. Dafür sollten an Teheran Waffen geliefertund die daraus erzielten Mittel zur Aufrüstung anti-kommunistischer Nikaraguaner verwendet werden –ein klarer Verstoß gegen die eigenen Prinzipien. Als-bald stützten sich Washingtons Nachrichtendienstestärker auf Technologie bei der Informationsbeschaf-fung und reduzierten wesentlich den Einsatz vonAgenten.

Reagan setzte sich in der Gipfeldiplomatie Ende1987 für einen prompten Rückzug der sowjetischenTruppen aus Afghanistan ein, das er als ein unabhän-giges, paktfreies und neutrales Land mit einer Über-gangsregierung frei von kommunistischem Einflusssehen wollte. Übereinkünfte zu regionalen Krisen ga-ben ihm dabei Gelegenheit, die bilateralen Beziehun-gen zu Moskau zu verbessern. Er strebte auch einEnde der direkten und indirekten sowjetischen Hilfefür Irans Rüstung an,28) was zum Stopp des achtjähri-gen Krieges mit Irak im Folgejahr beitrug. Im Früh-jahr 1988 setzte er sich dafür ein, die Teilung Europaszu überwinden. Die Stärke und die Einheit des Wes-tens seien das Säulenpaar, das das künftige Europatrage.29)

24) Ebd. NSSD 1-87, Afghanis-tan, Secret, 22.01.1987, gez.Ronald Reagan.

25) Ebd., NSD 75, U.S. Relati-ons with the USSR, Secret-Sensitive, 17.01.1983, gez.Ronald Reagan.

26) Ebd., NSDD 277, NationalPolicy and Strategy for LowIntensity Conflict, Secret,15.06.1987, gez. RonaldReagan.

27) Ebd., NSDD 266, Imple-mentation of the Recom-mendation of the President’sSpecial Review Board, Se-cret, 31.03.1987, gez. RonaldReagan.

28) Ebd., NSDD 288, My Ob-jectives At The Summit, Se-cret, 10.11.1987, gez. RonaldReagan.

29) Ebd., NSDD 305, Objectivesat the Moscow Summit, Se-cret, 26.04.1988, gez. RonaldReagan.

12

2Schwanitz 19.09.2006 12:06 Uhr Seite 12

13

Reagans DoppelkursDie Einblicke in das hochgeheime Erbe aus acht Jah-ren der Reagan-Administration, die die Hauptgrund-lage der Ära George H. W. Bushs bildeten, erlaubenzu Islam und Terror vorläufige Schlüsse. Rück-blickend hat Reagan den Terrorismus vor allem mitBlick auf Mittelost als Weltproblem seit 1969 identi-fiziert, als dort vermehrt Flugzeugentführungen undAnschläge auf Personen aus dem Westen und aufwestliche Einrichtungen aufkamen. Obwohl es einenersten Friedensvertrag zwischen Ägypten und Israelgab, verringerte sich der Terror nicht. Im Gegenteil,vom Terrorkrieg gegen die demokratische Zivilisa-tion sprach Reagan ab 1985. Und er erklärte dem Ter-rorismus den Krieg – dies öffentlich und intern aus-drücklich in seinen Direktiven. Dabei legte er einepraktikable Definition von Terrorismus vor, in die erauch den Staatsterrorismus und internationale terro-ristische Organisationen einbezog. Er und GeorgeH. W. Bush legten erstmals 1986 ein nationales Pro-gramm der Terrorbekämpfung vor, das Demokrati-sierung und Modernisierung als Ziele für die Regionbenannte.

Doch als Reagans Hauptschwäche erscheint, dasser die Terroristen in Mittelost und die größeren ideel-len Tendenzen hinter ihnen nicht namhaft gemachthat: Gleich einem Tabu taucht nie „Islam“ oder des-sen zunehmende Politisierung auf. „Fundamentalis-tisch“ steht lediglich einmal mit Blick auf Irans is-lamische Revolution. Die Mehrzahl der Arten vonIslamismus hat Reagan übersehen, also den sozialisti-schen Libyens, den schiitischen Irans, den wahhabiti-schen Saudi-Arabiens, den bruderschaftlichen Ägyp-tens und den salafitischen der Araber um die Talibanund Usama bin Ladin. Den Islamismus der Mujahi-din hat der Präsident sogar unterstützt.

Dies ist um so merkwürdiger, als Libanon undIran, zwei Zentren des Terrorismus, als Testfälle fürdas Ringen um die islamisch-nichtislamische Koexis-tenz sowie für das Zusammenleben von Sunniten undSchiiten galten. Auch für Libyen, Saudi-Arabien,Ägypten und Afghanistan könnte man daher Reagansungeschriebenen Islamkurs etwa so formulieren –zwar terroristische Fundamentalisten und islamisti-sche Revolten bekämpfen, wenn sie die Stabilität ge-fährden, aber den Islam aus der Politik halten; ihn

2Schwanitz 19.09.2006 12:06 Uhr Seite 13

nicht weiter beachten, sich auf Staaten orientieren,doch nichtstaatlichen Vereinen zur Befreiung Afgha-nistans von den Sowjets sogar Stinger-Raketen lie-fern;30) bei der Verfolgung islamistischer Terroristenkeine Militäreinsätze in Mittelost und keine Men-schenleben aufs Spiel setzen. Inkonsequent war esdann auch, über den Iran doch mit Terroristen derHizballah verhandeln zu wollen.

Hatte Jimmy Carter noch die Außenpolitik miteiner Verminderung des Radikalismus in der Regionverkoppelt, indem der arabisch-israelische Konfliktzu regeln sei, so ging Reagan weiter. Er wollte Terrordurch Modernisierung und Demokratie vermindernund sah darin ein Ziel seiner Außenpolitik. Jedoch imInteresse der Stabilität seiner Klientel an den Rand-zonen des Kalten Krieges trat er dafür ein, die mo-deraten Regimes zu erhalten und zu stärken. Auchdaher empfahl es sich für ihn nicht, außenpolitischstärker nach Arten islamistischer Ideologien zu diffe-renzieren. Dies hätte sein Bündnis mit Saudi-Arabiengesprengt, das parallel die wahhabitischen Lehren alsBasis einer globalen Hassideologie verbreitete.

So gesehen, verfolgte Reagan einen Doppelkurs: Ersagte dem Terrorismus den Kampf an, versuchte ihnaber auch in Afghanistan gegen die andere Weltmachtim Kalten Krieg zu kanalisieren. Damit billigte er denJihad als Mittel gegen ein Land des judäo-christlichenErbes. Erneut wurde die Büchse der Pandora geöff-net.

Reagans weitere Mängel? Er erhellte nicht den Ne-xus zwischen dem Islam und der aus ihm folgendentotalitären Ideologie. Islamistische Gegner visierte erzu unscharf an und erzielte keinen strukturellenDurchbruch. Erst lockerte er die Trennwand zwi-schen FBI und CIA, dann festigte er sie wieder. In sei-ner Terrorbekämpfung gab es sogar drei Leitorganeund zwei Komitees. Niemand hatte daher echt denHut auf. Der Nationale Sicherheitsrat sollte dasHauptforum bei Terror-Anschlägen sein. Vertikalund horizontal jedoch blieben dessen Linien diffus.Ungeschulte Mitarbeiter stolperten über Mittelost.Sie sahen diesen Raum sicherheitspolitisch allein ausder Perspektive des West-Ost-Konflikts. Überdiesverarbeitete das Weiße Haus zu wenige Ergebnisseder Islam- und Terrorforschung. Doch begründetenReagan und Bush eine nationale Anti-Terror-Politik.

30) Journalistische Einsicht vgl.George Crile: Charlie Wil-son’s War (Afghanistan).New York 2003.

14

2Schwanitz 19.09.2006 12:06 Uhr Seite 14

15

Sie gruben einem Terrorförderer das Wasser ab, da siedem linken Totalitarismus den äußeren Todesstoßversetzten und den Kalten Krieg beendeten, mithineine globale Perspektive eröffneten.

Bushs Kernfragen

Wer jetzt in der Administration George H. W. Bushstiefere Erkenntnisse über den Islam und seine mittel-östliche Ursprungsregion als dem regionalen Haupt-herd des Terrorismus vermutet, könnte folglich mei-nen, dass das Weiße Haus seit 1989 eine klareIslampolitik entfaltet habe. Denn der Islam bildetedie Hauptgrundlage für die Ideologie der Terroristen.Eine Islampolitik stand auch zu vermuten, weil dieBush-Administration Ende des Kalten Krieges eineKoalition gegen die irakische Besetzung Kuwaits an-geführt hatte, an der ja diverse islamische Staaten be-teiligt waren. Papiere aus dem Weißen Haus vor, wäh-rend und nach der Vertreibung der irakischen Armeeaus Kuwait lassen zwar als Ziel sogar einen Regime-wechsel erkennen, sofern der Irak ABC-Waffen ein-setzen und global den Terror fördern würde, doch er-lauben sie keinerlei Rückschlüsse auf eine formulierteIslampolitik.31)

Dennoch wurde das Kriegsergebnis für Amerikaund Mittelost einschneidend. So sind im Resultatmassiv US-Truppen unter anderem in Saudi-Arabienstationiert worden und dort zur Durchsetzung dervon der UNO sanktionierten Maßnahmen verblie-ben. Dies zwang nicht nur Washington, sich mit Mit-telost einzulassen. Sondern darauf reagierten Feindewie Usama bin Ladin mit Anschlägen daselbst, inAmerika und im Westen. Jihad führten jetzt Palästi-nenser und Iraner gegen Israel und, wie Saddam Hu-sain und Bin Ladin, auch gegen Amerika und denWesten.

Hat George H. W. Bush diesen Nexus zwischenIslam und Terror erkannt und mit einer Direktiveerfasst? Nein. Eines der ersten Dokumente, die einneuer Präsident in der Pennsylvania Avenue jeweilsin Angriff nimmt, ist seine nationale Verteidigungs-und Sicherheitsstrategie. Üblicherweise weist er dazuzunächst eine Revision an, wobei vorab wichtigePunkte als Kernfragen aufgeworfen werden. Abernoch ging im März 198932) alles um den Ost-West-Konflikt.

31) Ebd., 1989-1993, Box 1, TheWhite House, National Se-curity Directive (NSD) 26,U.S. Policy Toward the Per-sian Gulf, Secret, 02.10.1989,gez. George Bush; Iraq, Op-tions Paper, State Depart-ment, Washington DC, Se-cret, 16.05.1990; NSD 45,U.S. Policy in Response tothe Iraqi Invasion of Ku-wait, Secret, 20.08.1990;NSD 54, Responding toIraqi Agression in the Gulf,Top Secret, 15.01.1991, gez.George Bush. NSD 54 ver-brieft in Punkt 10 auch:„Should Iraq resort to usingchemical, biological, ornuclear weapons, be foundsupporting terrorist actsagainst U.S. or coalitionpartners anywhere in theworld, or destroy Kuwait’soil fields, it shall become anexplicit objective of theUnited States to replace thecurrent leadership of Iraq.“

32) Ebd., National Security Re-view (NSR) 12, Review ofNational Defense Strategy,Secret, 03.03.1989, gez.George Bush.

2Schwanitz 19.09.2006 12:06 Uhr Seite 15

Zur Dritten Welt war die Frage zu stellen: WelcheRegionalmächte wachsen dort heran und welche Po-tenzen haben sie? Welche Konsequenzen hättenABC-Waffen in libyschen oder irakischen Händen?Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit eines weiterenTerrorismus, der von diesen Staaten gesponsertwürde (einschließlich Geiselnahmen)? Welche Mittelhat Amerika, um darauf zu reagieren und wird sichseine Abhängigkeit von den mittelöstlichen Energie-ressourcen in den kommenden zehn Jahren vergrö-ßern? Immerhin hat der Präsident, der als Vizepräsi-dent gleichwohl eine Nationalpolitik gegen denTerrorismus mit begründete, die wichtige Frage zurWahrscheinlichkeit von Terror aufgeworfen.

Ein Jahr nach dem Amtsantritt brachte Bush seinenationale Sicherheitsstrategie in weiten Teilen an dieÖffentlichkeit. Diese bestätigt erneut, dass ihn zu-meist der Zerfall des Moskauer Imperiums in seinenBann geschlagen hatte. Zu Mittelost streute er dortnur ganz am Rande vier Punkte bei. Er erwähnte, dasssein Vorgänger Thomas Jefferson die Navy gegen denPascha von Tripolis 1804 entsandt hatte. Dann erin-nerte George H. W. Bush an das stets bleibende Le-bensinteresse Amerikas, dass es keiner Macht erlaubtwerden dürfe, die eurasische Landmasse zu beherr-schen. Anderenorts betonte er die Bedrohung durchden internationalen Terrorismus und die Gefahr fürdie freie Welt, die in Mittelost mit seinen Energieres-sourcen durch den Terrorismus und dessen staatlicheFörderer erwächst. Daher wäre eine maritime Prä-senz Amerikas im Mittelmeer, im Persischen Golfund im Indischen Ozean geboten. Schließlich hobBush zu Mittelost hervor, dass eine Weiterverbrei-tung von ABC-Waffen zu verhindern sei.33)

Die präsidiale Aufmerksamkeit war im Frühjahr1990 völlig auf die globale West-Ost-Achse fixiert.Wohl sah Bush Gefahren aus dem Erdsüden und be-nannte sie auch, jedoch nur nebenbei. Es gab ja drän-gende europäische Probleme. Dies erhellte seine An-weisung Mitte November 1991, die Zukunft derGeheimdienste bis über das Millenium hinaus zuüberdenken. Diese Organe, heisst es, wurzeln tief imKalten Krieg. Der sei jetzt vorbei wie auch die Be-drohung durch das sowjetische Militär, das umsÜberleben gegen seinen Zerfall in nationale Armeenkämpfe. „Wir befinden uns im Übergang und fragen

33) National Security Strategieof the United States. TheWhite House, March 1990,gez. George Bush.

16

2Schwanitz 19.09.2006 12:06 Uhr Seite 16

17

uns, wie die dortigen Nuklearwaffen gesichert sind.“Osteuropa transformiere sich, der Warschauer Paktsei aufgelöst. Moskaus Aktivismus sei besonders inder Dritten Welt gebremst. Man brauche jetzt eineRevision von oben bis unten, um seine Mission undPrioritäten neu zu bestimmen.34)

Die Überprüfung von Inhalt und Ausrichtungblieb auch weiter infolge neuer Kriege in Europaselbst auf einen verblassenden Ost-West-Konfliktausgerichtet. Da verwundert es wohl kaum, dass Bushin seiner vierjährigen Amtszeit in der Tat keine Di-rektive erzeugt hat, in der eine nordamerikanische Is-lampolitik formuliert wurde. Dies war auch nicht ein-mal nach dem Abzug der alliierten Truppen aus Irakund Kuwait der Fall, obzwar eine solche Politik umso nötiger erschien, um Saddam Husain zu isolieren,zumal Bush die Kurden und schiitische Regimegeg-ner zum Sturz des Bagdader Regimes aufgerufenhatte. Ohne eine klare Idee über Arten des Islamis-mus und ohne den Willen zum Beistand war dieserAufruf und die nachfolgende Preisgabe der Aufstän-dischen an jenen Diktator im Zweistromland einehöchst unverantwortliche Handlung und kardinaleFehlpolitik. Hier wirkte Reagans alter Ansatz nach,im Interesse der „Stabilität“ selbst noch die schäbigenRegimes zu bewahren. War es bei Reagan aus Kalkü-len im Kalten Krieg noch erklärlich, so entfielen dieseaber für Bush.

Eine stimmige Islampolitik Bushs fehlte gleich-wohl nach dem Rückzug der Sowjets aus Afghanis-tan. Der Präsident sah das Ende des sowjetischenMarionettenregimes voraus. Er stellte sich zügig aufhumanitäre und Wiederaufbauhilfe ein, verschwen-dete aber wenig Gedanken darauf, wie sich unter isla-mischen Umständen eine legitime Regierung bildenkönnte.35)

Obwohl George H. W. Bush zu Beginn seinerAmtszeit ein Komitee zur Koordinierung von Aktio-nen gegen Terror etabliert hat, initiierte er bis zumEnde derselben 1993 weder eine formelle Politik ge-genüber dem Terrorismus noch eine gegenüber demIslam. Dabei hatte sich im Golfkrieg die globale Kon-fliktachse von Ost-West auf Nord-Süd gedreht. Zuzögerlich begann das Umdenken, dass sich zuerst aufakademischer Ebene im Diskurs um Samuel Hun-tingtons Clash of Civilizations zeigte, der diesen Be-

34) Ebd., NSR 29, IntelligenceCapabilities 1992-2005, Se-cret, 15.11.1991, gez. GeorgeBush.

35) Ebd., NSD 5, Legislation toAuthorize the Transfer ofFunds to the Agency forInternational Developmentfor Humanitarian Assistanceto Afghanistan, Confiden-tial, 18.03.1989, gez. GeorgeBush.

2Schwanitz 19.09.2006 12:06 Uhr Seite 17

griff wiederum von Bernard Lewis entliehen hatte,insbesondere aus dessen Aufsatz über die Wurzelnmuslimischer Wut.36) Um so mehr – hinsichtlich derRelationen zwischen Islam und Terror klaffte einekardinale Wahrnehmungslücke in den WashingtonerAdministrationen seit der Wende zu den achtzigerJahren. Da das Weiße Haus derartige Beziehungen alsTabu ausgeklammert hatte, vermochte es auch kei-nerlei Gegenwehr zu entwickeln. Es bleibt spekulativ,ob George H. W. Bush diese Lücke in einer zweitenAmtszeit gefüllt hätte. In jedem Falle befand sich dieamerikanische Politik infolgedessen dem anwachsen-den Terror gegenüber in einer ungünstigen Defensiv-position.

Clintons Raketen

Seit der Wende zu den achtziger Jahren ist jeder US-Präsident nach Amtsantritt bald durch Terrorakte imislamischen Raum überrascht worden. Bei GeorgeH. W. Bush war es noch der Angriff auf den PAN AMFlug 103 vom Vorjahr 1988, auf den er nicht mit Ge-walt, sondern auf diplomatischem Wege zu reagierensuchte. Terrorakte kurz nach Amtsantritt begrüßtenauch Bill Clinton, bei dem Neues aufkam. Erstens er-mordete ein pakistanischer Islamist Ende Januar 1993zwei Mitarbeiter des CIA in der Abfahrt nach Virgi-nia. Mir Amal Kansi, der Täter dieses ersten islamis-tischen Terrorakts in Amerika, wurde erst später ge-fasst.

Im Folgemonat gab es das zweite Novum. Terro-risten mit islamistischem Hintergrund in Mittelostversuchten, einen der beiden Türme des New YorkerWorld Trade Centers zum Einsturz zu bringen. Wiespäter herauskam, waren da bereits Usama bin Ladinsal-Qa’ida-Leute um Ramzi Yusuf am Werke. Jahredarauf nahm man im Weißen Haus an, dass al-Qa’idaseit 1990 bestand.37) Drittens planten Iraker wenigeWochen nach dem ersten New Yorker Anschlag 1993,George H. W. Bush in Kuwait zu ermorden. Clinton,der die Koordinierung von Aktionen gegen den Ter-ror im Weißen Haus beibehalten hatte, ordnete denEinsatz von Raketen als Strafaktion gegen Irak an.Seine Tomahawk-Geschosse zerstörten nachts dieZentrale des Bagdader Geheimdienstes. Hingegenmissglückte noch im selben Jahr 1993 sein Versuch, inMogadischu Mohammed F. Aidid zu ergreifen, um

36) Bernard Lewis „The RootsOf Muslim Rage“, in: TheAtlantic Monthly, (1990) 9,S. 47–60.

37) Clarke, S. 76–79.

18

2Schwanitz 19.09.2006 12:06 Uhr Seite 18

19

den Krieg dort zu beenden. Dabei töteten die An-schläge der Terroristen 18 und verwundeten 73 Ame-rikaner, darunter in der bekannten Hubschrauberepi-sode Black Hawk down. Um die Welt gingen Bilder,in denen jubelnde Somalis tote Marines traktierten.Der nachfolgende überstürzte Rückzug zeigte auch –wie im Libanon zehn Jahre zuvor – wie leicht Ame-rika Fersengeld zahlte.

Clintons Anti-Terror-Politik kam unter mehrerenEindrücken zustande. Anfang 1995 übergab er demKongress Vorschläge für eine verbesserte Gesetz-gebung. Zur selben Zeit wurde intern das Manila-Komplott bekannt. Demnach plante Ramzi Yusuf,ein Dutzend amerikanischer Zivilflugzeuge überdem Pazifik durch an Bord gebrachte Bomben pa-rallel abstürzen zu lassen. Der Plan flog zufällignach einem Brand in Yusufs Haus auf, der flüchtenkonnte.

Dann folgte im März der Anschlag auf die Tokio-ter U-Bahn, in dem Sarin-Nervengas eingesetztwurde, sowie im Folgemonat der Bombenanschlagauf das Bundesgebäude in Oklahoma City. All diesführte zu Rückschlüssen und zur Präsidialdirektivevom Juni 1995 (Dok. 4), die Schritte gegen den Ter-rorismus und für den Heimatschutz anordnete. Darinwies Clinton die Mitglieder seines Kabinetts an, inihren Bereichen die Terroranfälligkeit zu vermindern.Ansonsten gab es wenig Neues. Vor allem das Pro-blem der Entfaltung der terroristischen Ideologiewurde weder behandelt noch in die Entwicklung inMittelost eingeordnet. Tiefere Differenzierungenwurden so unmöglich.

Die Strukturen wiesen weiter mehrere Leitagentu-ren und Hilfskomitees auf. Den Hut würde wie frü-her jene Agentur aufhaben, deren Verantwortungsbe-reich einem Terrorakt am nächsten lag, zum Beispielbeim Anschlag auf eine Botschaft das State Depart-ment oder beim Hijacking die Flugbehörde. Jeweilszu bildende Gruppen, Foreign (Domestic) EmergencySupport Teams, sollten der Leitagentur beistehen. Daswar die Grundstruktur, die Reagan geschaffen hatte,in der die Bundesagentur für Notfälle eine nicht klardefinierte Rolle spielte. Deutlicher als andere vor ihmwarnte Bill Clinton vor jenem Moment, in dem Ter-rororganisationen ABC-Waffen einsetzen könnten.Sein Fazit lautete, es gebe nun keine höhere Priorität,

2Schwanitz 19.09.2006 12:06 Uhr Seite 19

als dies zu verhindern und ihnen solche Potenzialewieder abzunehmen.38)

Nach seiner Wiederwahl verlieh Clinton der Anti-Terror-Politik Anfang 1996 höchste Dringlichkeit.Zwei Jahre später erklärte Usama bin Ladin in einerFatwa den „Kreuzfahrern“ und Juden, egal ob Mili-tärs oder Zivilisten – sprich Amerikanern, Israelisund Westlern – durch seine Islamische Weltfront denKrieg.39) Vor der See-Akademie stellte Clinton im Mai1998 seine integrierte Anti-Terror-Politik vor.40) Wei-tere Alarmzeichen kamen auf. Anfang August 1998folgten parallele Bombenanschläge auf die US-Bot-schaften in Kenia und Tansania. Bald wurden al-Qa’ida-Gruppen und Usama bin Ladin dafür verant-wortlich gemacht. Mitte August 1998 erließ Clintondie Anweisung 13099, die Sanktionen gegen Usamabin Ladin und seine Terrororganisation anordnete.75 Raketen wurden auf die afghanischen Ausbil-dungslager von al-Qa’ida und deren vermutete Ein-richtungen im Sudan abgefeuert. Wohl gab es bis zudrei Dutzend Tote, aber darunter befand sich keinerjener terroristischen Führer. Insofern erschien Clin-tons Raketenjagd auf Terroristen als fragwürdig. Dieswäre das Jahr gewesen, die Arten des Islam zu erhel-len und eine relevante Politik zu entfalten. Aber aus-senpolitisch lief alles schief.41)

Clinton durchlief 1998 den Tiefpunkt eines Skan-dals, der ihn Kraft kostete und die Amerikaner vonProblemen wie Islam und Terror ablenkte. Er hattenoch Richard A. Clarke zum nationalen Anti-Terror-Koordinator ernannt. Zudem ließ er medizinischeVorräte mit Gegenmitteln für den Bedarfsfall anlegen.Für Eingeweihte, die 1998 in Washington arbeiteten,lag seither ein Anschlag auf Amerika in der Luft.Meist hatten sie das Manila-Komplott vergessen undrechneten eher mit dem Einsatz von ABC-Waffen.Dagegen bargen die Präsidialdirektiven 62 und 63einen Plan mit zehn Feldern und besonders kritischenElementen der Infrastruktur, wo vorbeugende Schrit-te geboten waren.

Das Fehlen einer ausformulierten amerikanischenIslampolitik wurde vor der Jahrtausendwende klar.„Natürlich haben die Vereinigten Staaten keine po-litische Politik gegenüber dem Islam“, political policy,so zeigte Außenministerin Madeleine K. Albrightihre Unbedarftheit gegenüber Muslimen auf einem

38) Ebd., PDD 39, US Policy onCounterterrorism, Secret,21.05.1995, gez. William J.Clinton.

39) Bernard Lewis, „License toKill“, in: Foreign Affairs,77(1998)6, S. 14–19.

40) The 9/11 Report, S. 101–102.41) Madeleine Albright: Madam

Secretary. New York 2003,S. 446-447: „It seemed thatwherever I looked, I saweither gridlock or peril. Forall the power of the UnitedStates, we were not able todictate events.“

20

2Schwanitz 19.09.2006 12:06 Uhr Seite 20

21

Empfang an. Zuvor meinte einer ihrer Helfer, der Is-lam bilde keinen inhärenten Faktor „im Betreiben un-serer Politik“, also im policymaking.42) Zudem er-schien Clintons Umgang mit Yasir Arafat so, alskönnten sich Politiker, die sich lange des Islam undTerrors bedienten, erfolgreich reformieren, sofernnur stets der Dialog gesucht würde. Das erwies sichals Illusion, die einen hohen Blutzoll forderte. Spä-terhin gestand Albright in ihren Memoiren ein, Ame-rika habe vor 2001 oft die religiöse Komponente alsetwas Emotionales betrachtet – und ausgeblendet.Speziell der Islam sei als fremder und irgendwie mys-tischer Glauben erschienen. Sie selbst habe erst späterkannt, dass die Religion zum Dispositiv des Volkeswie seine Geschichte und Kultur gehöre. AlleinJimmy Carter habe bei den Rahmenabkommen zwi-schen Anwar as-Sadat und Menachem Begin in CampDavid Religiosität als Teil des außenpolitischen An-forderungsprofils erkannt – und gleichwohl nützlichin die eigene Interessenpolitik eingebaut.43)

Bushs Offensive

Nach seiner Amtseinführung zeigte sich PräsidentGeorge W. Bush Anfang 2001 recht desinteressiert anMittelost. Erst unter dem Druck des Kongresses so-wie aus jener Region wandte er sich diesem Raum mitBlick auf den israelisch-arabischen Zwist zu, in demder Terrorismus wütete. Viel mehr beschäftigten ihndie Abrüstungsprobleme mit Moskau. Hier griff erReagans Idee auf, einen nationalen Schirm gegen bal-listische Raketen errichten zu lassen. Wieder wurdeder Punkt erörtert, dass diese Verteidigung auch ihreRolle spielen könnte, sollten einmal Terroristen oderterroristisch agierende Staaten derartige Waffen gegenAmerika einsetzen. Zunächst aber blieb Bushs Auf-merksamkeit gegenüber Islam und Terror gering.

Der „Anti-Terror-Zar“ im Weißen Haus, RichardA. Clarke, erinnerte sich, dass es ihm zwischen Januarund September 2001 keineswegs erlaubt war, Bushüber Terrorfragen zu informieren.44) Zudem sei seinePosition als nationaler Anti-Terror-Koordinator un-ter der Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice herun-tergestuft worden.45) Sie selbst war mit dem Ost-West-Konflikt aufgewachsen und hatte vor allem ausdieser Sicht Einblicke in die Mittelostregion gewon-nen, die sie zwei Jahre später vor dem Kongress ver-

42) Daniel Pipes, Mimi Stillman,„The United States Govern-ment: Patron of Islam?“, in:Middle East Quarterly Ja-nuary 2002.

43) Madeleine K. Albright, TheMighty and the Almighty,New York 2006.

44) Clarke, S. 26.45) Clarke, S. 230.

2Schwanitz 19.09.2006 12:06 Uhr Seite 21

künden ließen, die Natur Mittelosts verändern zuwollen. Sicher war ihr da noch nicht die Natur derRegion klar. Wäre es so gewesen, dann hätte sie einekohärente Islampolitik entfaltet und die Nachkriegs-zeit wäre im Irak wohl fehlerärmer verlaufen. Clarkejedenfalls bat Rice Anfang 2001, ihn zur Cyber-sicherheit zu versetzen – ein Musterbeispiel einertödlichen Mentalität. Es war so, als würde ein Haupt-mann der Feuerwehr einen schlimmen Brand er-ahnen. Statt alles zu tun, die Mannschaft zu alarmie-ren, lässt er sich einen anderen Job geben.

Rasch enthüllte der 11. September 2001, dass Wa-shington über keine im Weißen Haus geschriebene Is-lampolitik verfügte. Neun Tage später legte Bush vordem Kongress seine Überlegungen dar. Da er dasTabu hinsichtlich der Beziehung zwischen Islam undTerror im Weißen Haus brach, lohnt es sich, näher da-rauf einzugehen. Al-Qa’ida, sagte Bush, habe einenAkt des Krieges begangen. Diese Organisation seieine lose Sammlung von Terrorvereinigungen. Sie er-zeuge den Terror wie die Mafia das Verbrechen. DieTerroristen seien eine Randgruppe des islamischenExtremismus, die die friedliche Lehre des Islam per-vertiere. Sie wollten Christen und Juden, ja alle Ame-rikaner töten, und zwar ohne zwischen Militärs undZivilisten, auch Frauen und Kindern, zu unterschei-den. Ihr Führer, Usama bin Ladin, sei mit vielen an-deren Terrororganisationen in 60 Ländern verbun-den, etwa dem Islamischen Jihad in Ägypten und derIslamischen Bewegung Usbekistans. Er habe großenEinfluss in Afghanistan. Das Taliban-Regime stellesein Modell für die Welt dar. George W. Bush forderteauch, afghanische Terroristenlager zu schließen undden USA deren Anführer auszuliefern.

Der Präsident hatte eine Botschaft für die Muslimeder Welt. Demnach respektiere er ihren Glauben,dem auch Millionen von Amerikanern anhängen. DieLehren des Islam seien gut und friedlich. Die Terro-risten seien Verräter an ihrem eigenen Glauben undversuchten, den Islam zu hijacken. Amerikas Fein-de seien nicht seine muslimischen und arabischenFreunde. „Unser Feind ist das radikale Netzwerk derTerroristen sowie jede Regierung, die diesen hilft.“

Der Krieg gegen den Terror beginne mit al-Qa’ida.Er ende, wenn jedwede Gruppe von Terroristen mitglobaler Reichweite besiegt sei. Ihre Basis sei der

22

2Schwanitz 19.09.2006 12:06 Uhr Seite 22

23

Hass auf die demokratischen Freiheiten, die Freiheitder Religion, der Rede, der Wahl, der Versammlungund der Opposition. Sie wollen auch Regierungen is-lamischer Länder stürzen, etwa in Ägypten, Saudi-Arabien und Jordanien. Sie möchten Christen und Ju-den aus Asien und Afrika vertreiben. Sie töten nichtnur, um Leben zu beenden, sondern eine Lebensart.Sie seien gegen Amerika, weil es ihnen im Wege stehe.Sie seien die Erben der mörderischen Ideologien des20. Jahrhunderts, des Faschismus, Nazismus und To-talitarismus. Daher folge eine lange Kampagne gegendie globalen Terrornetzwerke.

Diese Art des Krieges in allen Bereichen habe es niezuvor gegeben. Jede Nation müsse sich entscheiden –entweder mit oder gegen Amerika. Da die USA nunnicht mehr immun gegen Terrorangriffe seien, werdeeine Kabinettsstelle für Heimatschutz geschaffen, umdie nationale Strategie gegen den Terrorismus reali-sieren und im Falle eines Anschlags reagieren zu kön-nen. Der Terror müsse gestoppt und dort bekämpftwerden, wo er sich entwickelt. Dies werde keine Ärades Terrors, sondern der Freiheit auf der ganzen Weltsein.46)

Viel von dem war schon in Reagans Anti-Terror-Doktrin verankert. Neu brachte Bush die Ideen zurnie gekannten Kriegsart und zur islamistischen Kehr-seite der terroristischen Medaille ein. Hier ging erweiter als seine Vorgänger. Zunächst nahm er den Is-lam als gut und friedlich in Schutz. Doch dann rückteer gewisse Muslime in ihren globalen Kontext: Terro-risten sind Erben mörderischer, gegen die demokrati-sche Zivilisation gerichteter Ideologien. Zu dem Zeit-punkt war es 15 Jahre her, dass Reagan und GeorgeH. W. Bush eine nationale Anti-Terror-Politik vor-legten. Umgekehrt – anderthalb Jahrzehnte habendrei Präsidenten den terroristischen Ideologiemixignoriert, der im Islam und im Totalitarismus wurzelt.Nicht nur Amerika zahlte einen hohen Tribut. Heute,20 Jahre nach jener nationalen Anti-Terror-Politik,gibt es noch immer keine nationale Islampolitik.Wäre dem so, wären Teile von ihr in Editionen, im9/11- Report, in Bob Woodwards Analysen oder inMedien erwähnt worden.

Dies wirft weitere Fragen auf, um die es im Teil 2geht. Da George W. Bush keine nationale Islampoli-tik vorgelegt hat, muss also geprüft werden, worin

46) George W. Bush: Address toa Joint Session of Congressand the American People,Release by the Office of thePress Secretary, Washington,20.09.2001.

2Schwanitz 19.09.2006 12:06 Uhr Seite 23

seine Islampraxis besteht. Er brach ein Tabu, aber wiehat er den Nexus zwischen Islam und Terror namhaftgemacht? Wie sahen diese Beziehung Gelehrte inAmerika? Worin wurzelt jene säkulare Fehlpolitik,was ist Amerikas Islampraxis eigen und wie mag seinenationale Islampolitik aussehen?

Dok. 1: Vizepräsident Bush entwarf Amerikas ers-tes nationales Anti-Terror-Programm, das PräsidentReagan Anfang 1986 unterschrieb. Als George H. W.Bush drei Jahre später ins Weiße Haus einzog, setzteer die Anti-Terror-Koordinierung an die erste Stelle.Wie dieser Ausriss aus seiner Sicherheitsdirektive 10vom 7. Mai 1989 zeigt, beauftragte er mit der Terror-abwehr einen Botschafter des State Departments.Dessen Komitee siedelte er im Nationalen Sicher-heitsrat an. Die Liste zeigt, wie wichtig die Nichtwei-terverbreitung von ABC-Waffen war. Obwohl sichdie globale Konfliktachse mit dem Krieg gegen IraksEinfall in Kuwait von Ost-West auf Nord-Süd ge-dreht hatte, blieb Bushs Islampraxis in seinen vierJahren widersprüchlich, ungezielt und im irakischenFall sogar abenteuerlich.

24

2Schwanitz 19.09.2006 12:06 Uhr Seite 24

25

Dok. 2: Nachdem der achtjährige Krieg zwischenIrak und Iran 1988 beendet war, stand die Islampraxisdes Weißen Hauses vor einem Dilemma. Es wollteIrak gegen die Woge der islamischen Revolution stär-ken. Zum anderen durfte es nicht Bagdads Griffenach ABC-Waffen tolerieren, zumal die Gefahr er-wuchs, heißt es in diesem Ausriss des State Depart-ments über Optionen gegenüber Irak vom 16. Mai1990, aus einem Fehler könne ein Krieg Irak-Israelentstehen. Diese Pro/Contra-Vorlage für das WeißeHaus bestätigt: Noch flossen Geheimdienstinforma-tionen über Irans Militäraktivitäten an Bagdad. Zu-dem werden die Schwäche der irakischen Oppositionund die Zwickmühle eines US-Embargos klar, demAmerikas Alliierte nicht folgen und entstehenden Lü-cken selbst füllen würden.

2Schwanitz 19.09.2006 12:06 Uhr Seite 25

Dok. 3: Reagan erließ das Nationale Programm zurTerrorabwehr am 20. Januar 1986, das unter Bush ent-standen war. Der Präsident scheute sich aber in sei-nem Anti-Terrorkurs im Libanon, Hizballah-Terro-risten zu verfolgen. Wie der zweiseitige Ausrisserhellt, übersah er das dahinter stehende ideologische

26

2Schwanitz 19.09.2006 12:06 Uhr Seite 26

27

Problem: Islam, ob schiitischer oder sunnitischer,taucht nirgends auf. Er sah Terrorismus noch mehrjuristisch als Strafverfolgungssache. Obwohl dieseserste Programm manche Impulse gab, blieb es insge-samt Papier.

2Schwanitz 19.09.2006 12:06 Uhr Seite 27

Dok. 4: Bill Clintons Direktive 37 vom 21. Juni1995 war ein integrierter Anti-Terror-Plan. Er erteilteauch den Auftrag, die Staaten und Gruppen namhaft

28

2Schwanitz 19.09.2006 12:06 Uhr Seite 28

29

zu machen, die den Terror förderten. Hausgemachterund globaler Terrorismus seien in all ihren Formen zubekämpfen. Er unterließ es, den Islam einzuordnen.

2Schwanitz 19.09.2006 12:06 Uhr Seite 29