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28 results Deutsche Bank „An direkte Demokratie muss man sich gewöhnen“ In Stuttgart diskutierte Ministerpräsident Winfried Kretschmann mit Deutsche Bank Vorstand Jürgen Fitschen und 50 Unternehmern über Bürgerbeteiligung, Energiewende und die Zukunft des Standortes FOTOS: BERTHOLD STEINHILBER Der erste grüne Minister- präsident: Winfried Kretschmann ist über- zeugter Befürworter von mehr direkter Mitentscheidung der Bürger in der Politik

An direkte Demokratie muss m an sich gewöhnen“ · 28 results Deutsche Bank „ An direkte Demokratie muss m an sich gewöhnen“ In Stuttgart diskutierte Ministerpräsident Winfried

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Page 1: An direkte Demokratie muss m an sich gewöhnen“ · 28 results Deutsche Bank „ An direkte Demokratie muss m an sich gewöhnen“ In Stuttgart diskutierte Ministerpräsident Winfried

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„An direkte Demokratie muss man sich gewöhnen“In Stuttgart diskutierte Ministerpräsident Winfried Kretschmann mit Deutsche Bank Vorstand Jürgen Fitschen und 50 Unternehmern über Bürger beteiligung, Energiewende und die Zukunft des Standortes

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Bürger in der Politik

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Klaus Dieter Oehler: Herr Ministerpräsident, Sie sind einer der engagiertesten Befürworter von mehr direkter Bürgerbeteiligung bei poli ti-schen Entscheidungen. Sind Sie denn mit dem Ergebnis des Bür gerentscheids Stutt-gart 21 zufrieden? Winfried Kretschmann: In der Sache war das na-türlich eine herbe Niederlage, schließlich habe ich mich mehr als zehn Jahre lang gegen das Projekt engagiert. Aber immerhin hatten die Bürger hier zum ersten Mal die Gelegenheit, über eine Sachfrage direkt zu entscheiden. Sie haben sich in hoher Zahl beteiligt, insofern war es ein guter Tag für die Bürgerdemokratie. Dass wir dabei gleich eins auf die Mütze be-

Braucht die Demokr atie mehr dir ekte Beteiligung der Bürger? Was können Politiker und Führungskräfte in Unter-

nehmen tun, um bei v erunsicherten Men-schen das Vertrauen in die Vorteile der glo-bal vernetzten Wirtschaft zu stärken? Fragen, mit denen sich der baden-württembergische Minister präsident Winfried Kretschmann und Deutsche Bank Vorstand Jürgen Fitschen in der Stuttgarter Niederlassung der Deutschen Bank austauschten. Mit dabei: 5 0 mittel-ständische Unternehmer des Landes. results druckt Auszüge der Diskussion, die Klaus Dieter Oehler, Wirtschaftskorrespondent der

„Stuttgarter Zeitung“, moderierte.

kommen haben – so etwas gehört wohl zu den Paradoxien, die man im Leben erleiden muss.Oehler: Wäre die Volksbefragung die richtige Maßnahme bei der Entscheidung über die EU-Finanzhilfen, Herr Fitschen?Jürgen Fitschen: Die Entscheidungen werden angesichts komplexer Problemstellungen im-mer schwieriger. Vielleicht geraten wir zu sehr in Gefahr, durch populäre, aber zu einfache Erklärungen verführt zu werden und unsere Entscheidungen hinterher zu bereuen.Oehler: Herr Kretschmann, auch die Reaktionen auf das Referendum und die neuen Auseinan-dersetzungen sprechen ja zunächst einmal für die Bedenken, die Herr Fitschen geäußert hat.

Deutsche Bank Vor-stand Jürgen Fitschen wird im Mai Nachfolger

von Vorstandschef Josef Ackermann. Er

lebte mehrere Jahre in Asien

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R Kretschmann: Wir wissen aus Umfragen, dass etwa 80 Prozent der Gegner das Abstimmungs-ergebnis akzeptieren und nur eine Minderheit sich weiter wehrt. Dafür habe ich ein gewisses Verständnis: Für viele Gegner ist der Pr otest gegen Stuttgart 21 ja zum Lebensinhalt gewor-den, den man nicht so gern aufgibt. Aber di-rekte Demokratie ist eben auch hart: Das Volk spricht das letzte Wort, und das gilt dann auch. Daran muss man sich ge wöhnen. Ich glaube an den Mehrheitsentscheid, ich wünsche mir weder eine Diktatur noch eine Herrschaft der Experten. Deshalb müssen wir jetzt Vertrauen aufbauen, dass Bürgerdemokratie funktioniert.Oehler: Gilt das auch für die Wirtschaft, Herr Fitschen?Fitschen: Auch dort wird es immer wichtiger, die Öffentlichkeit mitzunehmen und Entschei-dungen zu erläutern. Das zeigen besonders die Erfahrungen, die wir Banken gerade machen. Die Themen der Finanzkrise sind so komplex, dass weder die Öffentlichkeit noch die Medien sie immer richtig verstehen. Es hilft aber nichts, sich über die vielen Unwahrheiten zu beklagen. Tatsache ist: Banken müssen umdenken. Sie dürfen nicht mehr nur fr agen, was legal ist. Sie müssen sich auch fragen, ob ihre Tätigkeit von der Öffentlichkeit als sinnvoll betrachtet wird. Es ist viel Vertrauen verloren gegangen, und wir werden Jahre brauchen, bis wir es wiedergewonnen haben.

Bei uns in Europa besteht derzeit eine gr oße Unsicherheit, weil wir die Ereignisse um uns herum nicht mehr richtig bewerten können. Da ist es verlockend, allzu einfache Antworten zu geben. In Griechenland zum Beispiel hat der Staat den Menschen jahrelang suggeriert, alles sei prima. Jetzt zahlen die Bürger den hohen Preis dafür. Für mich gibt es zw ei zentrale Fragen, die wir uns st ellen müssen. Erstens: Wie können wir den Menschen in einer global vernetzten Welt, die von großen Herausforde-rungen und wachsendem Wettbewerb geprägt ist, noch ein Gefühl von Sicherheit und Zuge-hörigkeit vermitteln? Wie können wir ihnen zeigen, dass wir alle von diesen Entwicklungen profi tieren? Und die zweite Frage lautet: Wie schaffen wir es, ehrlich und verständlich die Konsequenzen deutlich zu machen, die mit unseren Entscheidungen verbunden sind?Oehler: Herr Kretschmann, auch gegen die Energiewende gibt es viel Wider stand. Wie wollen Sie da einen Konsens schaffen?Kretschmann: Je dichter besiedelt ein Land ist und je mehr Infr astruktur es schon gibt, desto besser müssen die Argumente für neue Maßnahmen sein. Wir wollen jetzt in Baden-Württemberg 1000 Windräder aufstellen. Das sind die Menschen hier nicht gewohnt, des-halb rechnen wir mit Widerstand. Aber wenn man die Energiewende will, muss man damit eben umgehen. Ein Weg dabei ist, die Bürger

„Ich will aus Baden- Württemberg ja keinen Debattierklub machen“Winfried Kretschmann

Oehler: Aber würden nicht die Eurokrise oder auch die Energiewende schneller bewältigt, wenn es statt mehr Demokratie etwas mehr Autokratie geben würde?Kretschmann: Das sind Fantasien, die jeder mal hat, die man aber nicht zulassen darf. Dass ich mehr Bürgerbeteiligung will, heißt ja nicht, dass ich aus Baden-Württemberg einen riesigen Debattierklub machen will, in dem dann nichts mehr entschieden werden kann. Warum sollen wir Bür gern den Ein-fl uss verwehren, den einfl ussreiche Lobby-gruppen schon längst haben? Mehr Bür ger-beteiligung macht Entscheidungen nicht langsamer, sondern schneller. Wenn Sie sich heute zum Beispiel große Straßenbaupro-jekte ansehen – die werden gar nicht durch Einsprüche von Bürgern verzögert, sondern vor allem durch unklare Zuständigkeiten und Finanzierungen.Fitschen: Ich habe in den 90er Jahr en lange in Japan gelebt. Dort w aren Führungskräfte gefragt, die eine Idee in den Köpfen vieler Menschen verankern konnten, die anderen Zeit zum Nachdenken gaben und die auf ei-nen Konsens hinarbeiteten. In Japan br aucht man viel Geduld, das musste ich er st müh-sam lernen. Aber ich lernte auch: W enn es erst einmal einen K onsens gab, wurden Dinge sehr viel schneller umgesetzt als bei uns im Westen.FO

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auch ökonomisch zu beteiligen. Sie sol len nicht nur politisch mitreden, sie sollen auch die Möglichkeit bekommen, ihr eigenes gutes Geld in einen Windpark zu investieren. Dann wird die Sache gleich ganz anders diskutiert. Für mich besteht die eigentliche Revolution in der Energiewende darin, die Menschen materiell zu beteiligen. Heute haben wir in Baden-Württemberg schon 130 000 Energie-erzeuger.Oehler: Dennoch beklagen gerade die Unter-nehmer, dass es kein klares Konzept für die Energiewende gebe …Kretschmann: Das dürfen Sie nicht mir , das müssen Sie der Bundesregierung sagen. Hier in unserem Bundesland gehen wir einen kla-ren Weg. Zum Beispiel wollen wir, dass die Windkraft nicht mehr nur w eniger als ein Prozent, sondern zehn Prozent des Stroms liefert. Dazu müssen wir Windräder aufstel-len und ändern deshalb die nötigen Geset-ze. Als Bundesland besteht unser wichtigs-ter Beitrag in der Förderung der Forschung. Denn die entsch eidenden Impulse fü r die Energiewende werden aus den Unternehmen kommen. Ich k ann hier als Ministerpräsi-dent den grünen Dr achen steigen lassen, aber ohne neue Produkte, ohne die Effi zienz-pumpe im Heizungsk eller oder die neuen Energiespeicher läuft nichts . Das wird ein großes Projekt gerade in unseren Kernbran-

chen Maschinen- und Anlagenbau, aber auch dem Fahrzeugbau sein.Oehler: Herr Fitschen, überzeugt Sie das? Sa-gen Sie Ihren Leuten jetzt, sie sollen in Baden-Württemberg investieren?Fitschen: Es geht ja nicht um einen W ettbe-werb der Bundesländer. Mir ist dies beson-ders wichtig: Wir müssen immer bedenken, welche Folgen unsere Entscheidungen haben. Wenn wir heute über Ener gie nachdenken, geht es zum Beispiel auch um Arbeitsplätze. Wenn wir Umweltschutz wollen, müssen wir hinnehmen, dass einzelne Unternehmen Produktionsbereiche ins Ausland verkaufen und dass in Deutschland manche Produktion nicht mehr profi tabel ist. Oder wir müssen hinnehmen, dass deutsche Pferdehalter ihr Stroh inzwischen aus Polen oder Südamerika importieren, weil immer mehr einheimische Bauern Mais für Biogasanlagen anbauen, weil das rentabler ist. Natürlich ist es rich-tig, dass wir grundsätzliche Entscheidungen treffen. Aber wir müssen sie bewusst treffen und dann auch dabei bleiben. Was wir nicht dürfen, ist v orschnell eine Entscheidung treffen und sie dann ständig revidieren. Wer andauernd die Geschäftsgrundlage ändert, verunsichert Investoren.Kretschmann: Ich höre bei Ihnen leise Kri-tik an der Energiewende heraus. Aber dazu muss ich Ihnen sagen: Sie ist v on allen

„Aber wie wollen Sie bei der Energiewende einen Konsens schaffen?“Klaus Dieter Oehler

„Wie können wir den Menschen zeigen, dass sie von einer globalen Welt profi tieren?“Jürgen Fitschen

Klaus Dieter Oehler arbeitet als

Wirtschafts -korrespondent

der „Stuttgarter Zeitung“ in

Frankfurt. Er moderierte die

Diskussion

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R demokratischen Gremien beschlossen. Es geht Ihnen damit wie mir mit Stuttgart 2 1: Das müssen wir schlucken und nun zusam-men gestalten.Oehler: Und Sie haben k ein Problem damit, dass exportorientierte Mittelständler in Baden- Württemberg unter höheren Kosten leiden?Kretschmann: Wohin ich immer komme, sehe ich, dass Unternehmen effi zienter mit Energie umgehen. Darüber bin ich als Grüner hoch-erfreut. Ich muss vielleicht no ch etwas aufs Tempo drücken, aber ich will ja stimulieren und nicht strangulieren.

Natürlich sind das Eingriffe in die Märkte, natürlich muss man nachsteuern, aber im Großen und Ganzen läuft es g ut. Wir dür-fen nur nicht den F ehler machen und bei jedem kleinen Schritt erst rechnen, ob sich der auch fi nanziell lohnt. Deshalb kann ich doch auch als grüner Ministerpräsident gu-ten Gewissens ein Unternehmen wie Porsche besuchen: Vielleicht bin ich nicht gerade ein großer Autofan. Aber Porsche baut wichtige Innovationen in seine Fahrzeuge ein, weil die Kunden nicht so auf den Pr eis gucken müssen wie Käufer von Kleinwagen. Und so entsteht Fortschritt, der dann nach einiger Zeit auch im Kleinwagen landet. Wer immer sofort einen Effi zienzmaßstab an alles legt und rechnet, verhindert, dass etwas passiert.Oehler: Einverstanden, Herr Fitschen?

Fitschen: Etwas mehr Effi zienz in den Ent-scheidungen würde guttun. Aber ich gebe dem Ministerpräsidenten recht, dass Märkte allein auch nicht immer den besser en Weg gehen. Wir brauchen beides: Freiheit für Un-ternehmen und politische Steuerung.

Wir dürfen nur bei Eingriffen den Zeitpunkt nicht verpassen, wieder marktwirtschaftliche Regeln gelten zu lassen. Die Solarförderung zeigt: Subventionen haben irgendwann ih-ren Zweck erreicht und müssen rechtzeitig gesenkt oder ganz beendet w erden. Sonst zahlen wir auf Dauer zu hohe Preise. Es geht nicht darum, Markt gegen Politik auszuspie-len. Es geht nur um die richtige Balance. Aber wir dürfen uns schon fragen: Ist es sinnvoll, deutsche Kernkraftwerke abzustellen, wäh-rend die Anlagen in Tschechien weiterlaufen?

Kretschmann: Ja, das ist es . Wir können Tschechien nicht vorschreiben, was es zu tun hat. Aber wir können ihnen zeigen, dass der Verzicht auf Atomkraft nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch der richtige Weg ist. Wenn wir das zeigen, w erden auch die Tschechen ihre Atomkraftwerke abschalten.Oehler: Aber hat die deu tsche Industrie die Kraft, das alles wegzustecken?Kretschmann: Es gibt in Unternehmen ja die Be-fürchtung, es könne zu Energieausfällen kom-men. Deshalb haben wir hier einen kleinen Gipfel veranstaltet und gemeinsam mit Unter-nehmern einen Lenkungsausschuss gegründet, der die Stromlage permanent beobachtet. Das gibt uns bei Bedarf die Möglichk eit, nachzu-steuern. Die Politik des Gehörtwerdens muss natürlich auch für die Wirtschaft gelten. Dass wir Nachhaltigkeit brauchen, steht nicht zur Diskussion. Aber bei der Frage nach dem rich-tigen Weg dahin darf es natürlich immer Kor-rekturen geben. Grundsätzlich aber meine ich: Wer, wenn nicht wir mit unseren innovativen Unternehmen, mit unseren F&E-Abteilungen und unseren tollen Universitäten in Baden-Württemberg sollte dafür besser geeignet sein, ökologische Ideen umzusetzen? Wir können mit Umweltschutzmaßnahmen in Baden-Würt-temberg die Welt nicht retten. Aber mit unse-ren Unternehmen und ihren Produkten können wir weltweit einen wichtigen Beitrag leisten. O

„Subventionen haben irgendwann ihren Zweck erreicht und müssen rechtzeitig gesenkt oder ganz beendet werden“Jürgen Fitschen

„Wer immer nur rechnet, verhindert dadurch,

dass etwas passiert“Winfried Kretschmann

„Es geht nicht darum, Markt gegen Politik auszuspielen. Es geht um die richtige Balance“Jürgen FitschenFO

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