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Anwendungsorientierte Religionswissenschaft

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Anwendungsorientierte Religionswissenschaft

herausgegeben von Ulrike Bechmann und Wolfram Reiss

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Martina Rennhofer

Frauen im SikhismusRolle, Status und gegenwärtiges Selbstverständnis

Tectum Verlag

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Anwendungsorientierte ReligionswissenschaftBeiträge zu gesellschaftlichen und politischen FragestellungenBand 13Ulrike Bechmann | Wolfram Reiss (Hg.)

Martina RennhoferFrauen im Sikhismus Rolle, Status und gegenwärtiges Selbstverständnis

© Tectum – ein Verlag in der Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2021ISBN 978-3-8288-4651-7ePDF 978-3-8288-7725-2 ISSN 2194-8941

Gesamtverantwortung für Druck und Herstellungbei der Nomos Verlagsgesellschaft mbH und Co. KG

Printed in GermanyAlle Rechte vorbehalten

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Aus der Frau wird der Mann geboren, in ihr wird er empfangen, mit einer Frau ist er verlobt und eine Frau heiratet er,

eine Frau ist seine lebenslange Begleitung, durch eine Frau entstehen neue Generationen.

Sollte die Frau sterben, wird eine andere gesucht, der Mann ist an die Frau gebunden.

Durch die Frau erfährt der Mann Beschränkung. Warum sollte man sie schmähen und schlecht machen, wo sie doch die Großen und Könige der Welt gebiert.

Von einer Frau ist eine andere Frau geboren, es entsteht kein weiteres Leben, ohne dass die Frau geboren ist.

Nur Gott existiert ohne Frau.

GGS 473

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VII

Vorwort des Herausgebers

Die Religion der Sikhs, im 15. Jh. auf dem indischen Subkontinent ent-standen, ist im deutschsprachigen Raum relativ wenig bekannt. Man kennt vielleicht noch den Goldenen Tempel von Amritsar oder Sikhs mit ihrem Turban. Doch was macht die Religion aus, wie sieht das Leben der Gemeinden aus, und welche Rolle nehmen Frauen darin ein? Nach der Rolle der Frau im Christentum, im Judentum, im Islam wird oftmals gefragt. Wie sieht es aber damit in einer religiösen indischen Minderheit aus, die kaum bekannt ist? Anders als in vielen anderen Religionen ist die Gleichberechtigung in die Grundsätze des Sikhismus eingeschrieben. Er lehnt jegliche Diskri-minierung des weiblichen Geschlechts ab und lehrt, dass ein minder-wertiger Status von Frauen innerhalb des Sikhismus inakzeptabel ist. Höchst relevant waren und sind die Ablehnung und Bekämpfung der Traditionen, die Mädchen und Frauen schaden. Frauen sind in die reli-giösen Traditionen eingebunden. Aber setzt der Sikhismus auch tatsäch-lich in die Praxis um, was er hinsichtlich der Rolle von Frauen lehrt? Was gilt heute, im 21. Jahrhundert? Dieses Buch eröffnet einen Einblick in die gesellschaftliche und religiöse Lebenswelt von Sikh-Frauen. Durch Interviews in Indien und in Öster-reich kommen diese erstmals selbst zu Wort, sprechen über ihr Selbst-verständnis und setzen dieses in Beziehung zu ihrer gesellschaftlichen und religiösen Überzeugung. Dabei gilt es hier nach Schicht und Bil-dung, sozialem Kontext, Land oder Stadt, arm oder reich, Nord oder Süd, oder dem tatsächlichen Einfluss indischer Traditionen zu unter-scheiden. Viele verschiedene Parameter bestimmen also die Lebenssitu-ation von Frauen, die Ungleichzeitigkeit ist riesig. Diese persönliche Sicht ist spannend, auch weil sie nicht deckungsgleich mit einer Gesell-schaftsanalyse von außen ist. Wie gestalten sich heute die Bildungswege der Frauen, wie gelangten sie zu ihren Berufen, ihrem Status und ihrer Rolle? Welche Bedingungen fanden sie vor, welche Wege standen offen, welche mussten sie sich erkämpfen? Aber auch die gesellschaftspoliti-sche Einschätzung war gefragt. Wie beurteilen sie die Situation der Frauen in Indien allgemein und die der Sikh-Frauen? Wie denken sie über die Frage des Heiratsalters, die Bedeutung der arrangierten Ehen oder der Liebesheirat? Spielen die Kasten trotz offizieller Abschaffung nach wie vor eine Rolle?

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VIII

Ebenso spannend ist die Sicht von Sikh-Frauen, die nicht im indischen, sondern als Migrantinnen im europäischen Kontext zuhause sind. Las-sen sich Unterschiede feststellen? Eingebettet in Grundinformationen zur Religion der Sikhs lernt man hier Frauen kennen, die selbst ein Fens-ter zu ihrem Leben öffnen. Das Buch bietet einen tiefen Einblick in die religiöse und soziale Welt einer Religion, die kaum bekannt ist und die Diskussion um Genderrol-len erweitert, denn nicht nur in den großen Religionen und Kulturen, sondern auch in religiösen Minderheiten ist dies ein Thema. Das Buch schließt sich mit dieser Thematik an Band 12 dieser Reihe von Zeynep Arslan an, der von der Rolle von Frauen in alevitischen Gemeinden in der Türkei und in der Diaspora handelt. Dem Buch ist eine weite Rezep-tion zu wünschen, da es für das Wissen um und den Dialog mit Sikh-Frauen eine neue Grundlage bietet. Graz/Wien im April 2021 Ulrike Bechmann / Wolfram Reiss

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IX

Abstract Sikhism belongs to the world's major religions. With around 25-27 million fol-lowers Sikhism is the third biggest monotheistic religion in the world. Founded by Guru Nanak in 1496, near Lahore in Pakistan, Sikhism especially focuses on the equality of all human beings without any discrimination of people with regard to their sex, caste, origin, colour of skin or religion. While the situation for women within Islam and Hinduism was really difficult in India in those days, due to cruel traditions like Sati, bride burning, dowry death or honour killing, Guru Nanak improved the status of women and pro-vided and preached equality for women in all fields of social, political, eco-nomic and religious life. Being himself a member of a trading-family of the Khatris-caste he denounced and disapproved of the Indian caste system, which is still – although prohibited by law – predominant within Indian soci-ety.

This thesis puts a focus on the role, the status and especially on the self-defin-ing position of Sikh women within the political, economic, educational, reli-gious and social life in India as well as their selfimage after their migration and settlement in Austria. Due to taking 'ethnographic-episodical interviews' with Sikh women in Punjab, the Homeland of Sikhism, as well as with Sikh women in Austria, in combination with the method of 'active participating observation' as well as using the methods of 'ethnography' and 'deep descrip-tion' of Geertz, it was possible to get useful results presented in this thesis.

While in India gaining and enjoying a better status during the lifetime of the ten Gurus of Sikhism, women lost that status after the death of the tenth Guru, Gobind Singh in 1708 and again became suppressed within a male dominated society. Only in the last few decades has a change started again and Sikh women in India are facing and fighting for the resuscitation of their equality and they have already reached high levels in nearly all fields of life.

For Sikh women in Austria the situation regarding equality – equality be-tween Sikh men and Sikh women as well as non-Sikh-Austrian-women – is in many respects a matter of generation. While for the first generation of women migration to Austria was quite challenging and associated with a lot of disad-vantages concerning their status, the younger generation – young women, mainly born in Austria – is (and will in future be) able to reach an equal status in their social, economic and religious life.

But although Sikh women in India as well as in Austria have already reached high levels in many fields they still have to go a long way to reach equality (again).

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X

Abstrakt Mit rund 25-27 Millionen Anhängern ist der Sikhismus die derzeit dritt größte monotheistische Religion der Welt. Entstanden durch Guru Nanak 1496 zur Bekämpfung sozialer Missstände wie zB des in der indischen Gesellschaft vorherrschenden Kastensystems, setzt sich der Sikhismus insbesondere für die Gleichberechtigung aller Menschen unabhängig ihrer Herkunft, Religion, Hautfarbe oder ihres Geschlechts ein.

Während die Situation v.a. für Frauen in Indien innerhalb des Islam und Hin-duismus aufgrund frauenverachtender Traditionen wie Sati, Bride burning, Dowry death oder Honour killing zur damaligen Zeit tragisch war, hob Guru Nanak durch seine Lehre den Status von Frauen und predigte die Gleichbe-rechtigung von Mann und Frau in allen Bereichen des Lebens.

Diese Arbeit fokussiert die Frage der aktuellen Rolle, des Status und des Selbstverständnisses von Sikh-Frauen in Indien sowie nach ihrer Migration nach Österreich. Durch Führung 'ethnographisch-episodischer Interviews' mit im Punjab sowie mit in Österreich lebenden Sikh-Frauen und unter An-wendung weiterer unterschiedlicher empirischer Methoden kann ein Selbst-bild von Sikh-Frauen in Indien und Österreich dargelegt werden.

Während sie in Indien v.a. während der gurusalen Periode eine Aufwertung ihres Geschlechts erfuhren, verloren sie diese nach dem Tod des zehnten Gu-rus, Gobind Singh, wieder und der Einfluss der patriarchal geprägten hindu-istisch-muslimischen indischen Gesellschaft verstärkte sich erneut auch auf die sikhistische Region des Punjabs. Erst seit einigen Jahren lässt sich inner-halb des Sikhismus eine zunehmende Rückbesinnung auf die ursprüngliche Lehre der Gurus hinsichtlich der Gleichberechtigung von Mann und Frau konstatieren und Sikh-Frauen in Indien sind in vielen Bereichen des Lebens bereits gut etabliert.

Für Sikh-Frauen in Österreich ist die Frage der Gleichberechtigung eng mit dem Zeitpunkt ihrer Migration nach Österreich verbunden. Während die Migration und Integration in Österreich für Frauen der ersten Migrationsge-neration schwierig gewesen ist und sie ihre Rolle und ihr Selbstverständnis neu ordnen mussten, ist dies für die junge Generation – meist junge bereits in Österreich geborene Mädchen – leichter gewesen und sie hatten hier – nach eigenen Angaben – mit keinen bzw. nur wenigen Benachteiligungen auf-grund ihres Geschlechts zu kämpfen.

Doch obwohl Frauen im Sikhismus sowohl in Indien als auch Österreich in vielen Bereichen des Lebens bereits Gleichberechtigung erfahren würden, so ist diese aus Sicht der Frauen auch innerhalb des Sikhismus – trotz ursprüng-licher Lehre der Gurus – noch nicht (wieder) völlig erreicht.

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XI

1. Einführung in den Sikhismus .................................................... 1

1.1. Die historische Entstehung und Entwicklung des Sikhismus in chronologischer Zuordnung zu Leben und Wirken der Gurus ................ 2

1.1.1. 1. Guru: Guru Nanak (geb. 1469; Guru bis 1539) ................... 2

1.1.2. 2. Guru: Guru Angad Dev (geb. 1504; Guru 1539 – 1552) ..... 5

1.1.3. 3. Guru: Guru Amar Das (geb. 1479; Guru 1552 – 1574) ....... 7

1.1.4. 4. Guru: Guru Ram Das (geb. 1534; Guru 1574 – 1581) ......... 8

1.1.5. 5. Guru: Guru Arjan (geb. 1563; Guru 1581 – 1606) ............... 9

1.1.6. 6. Guru: Guru Hargobind (geb. 1595; Guru 1606 – 1644) .... 12

1.1.7. 7. Guru: Guru Har Rai (geb. 1630; Guru 1644 – 1661) ......... 14

1.1.8. 8. Guru: Guru Hari Krishan (geb. 1656; Guru 1661 – 1664) ................................................................................ 15

1.1.9. 9. Guru: Guru Tegh Bahadur (geb. 1621; Guru 1664 – 1675) ................................................................................ 16

1.1.10. 10. Guru: Guru Gobind Singh (geb. 1666; Guru 1675 – 1708) ................................................................................ 17

1.2. Weitere Kernpunkte und Merkmale des Sikhismus ................................. 20

1.2.1. Selbstdarstellung des Sikhismus im GGS und der Rehat Maryada...................................................................................... 20

1.2.2. Das theologische Konzept von Guru und Gott im Sikhismus ................................................................................... 22

1.2.3. Philosophie des Sikhismus – Gurmat .................................... 27

1.2.4. Werte und Tugenden des Sikhismus ..................................... 30

1.2.5. Seva im Sikhismus .................................................................... 31

1.2.6. Feste und (Gedenk-)feiern im Sikhismus .............................. 32

1.2.7. Symbole im Sikhismus ............................................................. 35

1.2.8. Der Gurdwara Sri Hari Mandir in Amritsar ......................... 36

1.3. Grundzüge der sikhistischen Lehre im Hinblick auf Frauen .................. 39

1.3.1. Die Beziehung der Gurus zu Frauen ihrer Zeit .................... 40

1.3.2. Die Darstellung der Frau im Guru Granth Sahib ................. 52

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XII

2. Empirische Sozialforschung über Rolle, Status und Selbstverständnis von Sikh-Frauen in Indien und Österreich ......................................................................................61

2.1. Definition und Grundlagen empirischer Sozialforschung ....................... 61

2.2. Feldforschung als Basismodell qualitativer Sozialforschung .................. 62

2.2.1. Methode: Interview................................................................... 67

2.2.2. Methode: Beobachtung............................................................. 73

2.2.3. Methode: Dichte Beschreibung nach Geertz ......................... 76

2.2.4. Methode: Ethnographie ........................................................... 79

2.3. Darstellung des Forschungsprozesses im Hinblick auf Rolle, Status und Selbstverständnis von Sikh-Frauen in Indien und Österreich......... 81

3. Genderrollen von Sikh-Frauen zur Zeit der Gurus ..............83

3.1. Genderorientierte Religionswissenschaft ................................................... 83

3.2. Das Genderverständnis im Sikhismus ........................................................ 85

3.2.1. Der Begriff Gender unter dem Aspekt einer 'Hagiographie' bekannter Sikh-Frauen zur Zeit der Gurus ................................................ 88

3.3. Darstellung der Genderrollen von Sikh-Frauen zur Zeit der Gurus ...... 89

3.3.1. Die ersten Jüngerinnen ............................................................. 90

3.3.2. Die Traditionsbegründerinnen, Verkünderinnen und Gemeindeleiterinnen ................................................................ 92

3.3.3. Die Märtyrerinnen .................................................................... 96

3.3.4. Die Kriegerinnen und Spioninnen ........................................ 101

3.3.5. Die Lehrerinnen ....................................................................... 109

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XIII

4. Genderrollen von Sikh-Frauen in der Moderne .................113

4.1. Erweiterung und Begrenzung der Genderrollen von Sikh-Frauen in der Moderne anhand ihrer Tätigkeit in unterschiedlichen Berufssektoren .............................................................................................. 113

4.1.1. Sektor Politik ............................................................................ 113

4.1.2. Sektor Unterhaltung ............................................................... 118

4.1.3. Sektor Medizin ........................................................................ 128

4.1.4. Sektor Bildung und Soziales .................................................. 130

4.1.5. Sektor Polizei und Justiz- und Rechtswissenschaft ........... 133

4.1.6. Sektor Luft- und Raumfahrt .................................................. 137

5. Forschungsergebnisse über Rolle, Status und

Selbstverständnis von Sikh-Frauen in Indien .....................141

5.1. Forschungsfrage und Auswertung der Forschungsergebnisse ............. 141

5.1.1. Vorstellung der befragten Sikh-Frauen und erste Einblicke auf ihren Bildungsweg in der eigenen Kindheit .................................................................................... 142

5.1.2. Sikh-Frauen und Bildung ....................................................... 148

5.1.3. Sikh-Frauen im Haushalt und religiöse Kindererziehung 161

5.1.4. Sikh-Frauen im Beruf .............................................................. 165

5.1.5. Frauen in der Religion und die Gleichstellung von Mann und Frau im Guru Granth Sahib ............................... 181

5.1.6. Stadt-Land-Unterschied ......................................................... 193

5.1.7. Jugend und Religion ............................................................... 199

5.1.8. Arrangierte Ehen und Kastenwesen .................................... 212

5.1.9. Glaube an Gott und innere Werte......................................... 228

5.1.10. Zukunft ..................................................................................... 233

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XIV

6. Forschungsergebnisse über Rolle, Status und Selbstverständnis von Sikh-Frauen in Österreich ..............239

6.1. Forschungsfrage und Auswertung der Forschungsergebnisse ............. 239

6.1.1. Migration und Integration ..................................................... 240

6.1.2. Vorstellung der befragten Sikh-Frauen und ihre Migrationsgeschichte nach Österreich ................................. 244

6.1.3. Sikh-Frauen am österreichischen Arbeitsmarkt ................. 250

6.1.4. Bildung, die Mädchenfrage und Abtreibung weiblicher Föten .......................................................................................... 253

6.1.5. Der Alltag von Sikh-Frauen ................................................... 256

6.1.6. Sikhistische Praxis im Alltag ................................................. 265

6.1.7. Gleichberechtigung im Sikhismus ........................................ 266

6.1.8. Kastenwesen und arrangierte Ehen in Österreich.............. 272

6.1.9. Die Zukunft von Sikh-Frauen in Österreich ....................... 278

7. Zusammenfassung und vergleichende Darstellung

von Rolle, Status und Selbstverständnis von Sikh-Frauen in Indien und Österreich ..................................281

7.1. Bildung ........................................................................................................... 281

7.2. Beruf ............................................................................................................... 282

7.3. Jugend im Alltag und religiöser Praxis ..................................................... 284

7.4. Kastenwesen und arrangierte Ehen ........................................................... 286

7.5. Familie ............................................................................................................ 287

7.6. Religion .......................................................................................................... 289

7.7. Migration – Integration – Religion ............................................................. 292

7.8. Zukunft .......................................................................................................... 293

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XV

8. Glossary .......................................................................................295

9. Quellenverzeichnis ...................................................................301

9.1. Literaturangabe ............................................................................................ 301

9.2. Online-Literatur ............................................................................................ 321

9.3. Medienberichte ............................................................................................. 326

9.4. InterviewpartnerInnen ................................................................................ 327

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1

1. Einführung in den Sikhismus

Der Sikhismus ist neben dem Hinduismus, Buddhismus und Islam eine der Hauptreligionen Indiens und auch zahlenmäßig die fünft größte Weltreligion. Derzeit leben weltweit etwa 25-27 Millionen Sikhs1, wobei rund 17 Millionen im indischen Bundesstaat Punjab und weitere 6 Mil-lionen in Indien, aber außerhalb des Punjabs, beheimatet sind. Ungefähr 3-4 Millionen Sikhs leben weltweit verteilt, wobei mit je über einer hal-ben Million große Sikh-Populationen in England und Kanada bestehen. Des Weiteren finden sich Sikhs in anderen Teilen Nordamerikas, in Süd-afrika, Kenia, Uganda, Tansania, Neuseeland, Australien, Malaysia, Sin-gapur, Thailand, Irak, Iran, Afghanistan, Pakistan, Japan, Russland, Norwegen, Schweden, Belgien, Italien, Frankreich, Deutschland und in den meisten anderen asiatischen, afrikanischen und europäischen Län-dern, darunter auch in Österreich.2 Anfang der 1980-er Jahre kamen die ersten Sikhs nach Österreich und die Volkszählung 2001 – in deren Zuge die Statistik Austria zum letzten Mal Religionsbekenntnisse erhob – ergab eine Zahl von 2.794 registrier-ten Sikhs in Österreich,3 wobei etwa die Hälfte über die österreichische Staatsbürgerschaft verfügte. Aktuell schätzt die Medien-Servicestelle Neue Österreicher/innen – das Portal für JournalistInnen zu Migration und Integration – die derzeitige Zahl der in Österreich lebenden Sikhs auf ca. 8.000 – 10.000. Rund die Hälfte davon ist in Wien beheimatet. Neben zwei Gurdwaras in Wien gibt es auch Gemeinden und Gurdwa-ras in Klagenfurt, Linz und Salzburg, sowie eine überschaubare Sikh-Gemeinde in Graz.4 Seit 17. Dezember 2020 sind Sikhs als religiöse Be-kenntnisgemeinschaft in Österreich anerkannt.5

1 Vgl. McDowell, Michael / Brown, Nathan Robert 2009, 232; Singh, Thandi

Shinder 2014, 545 ff. 2 Vgl. Singh, Jagraj 2009, 354. 3 Vergleichsweise dazu lassen sich nach Manfred Hutter für das Jahr 2001

17.000 Buddhisten (als anerkannte Religionsgemeinschaft) und 5.000 Hindus (als religiöse Bekenntnisgemeinschaft) in Österreich dokumentieren. (Vgl. Hutter, Manfred (Hg.) 2001, 7). Siehe zu den Religionen Asiens auch: Hutter, Manfred (Hg.) 2008 sowie 2009; Hutter, Manfred: 2012, 344-365.

4 Vgl. Medien-Servicestelle Neue ÖsterreicherInnen: Sikhismus, in: http://me-dienservicestelle.at/migration_bewegt/2015/04/13/bis-zu-10-000-sikhs-in-oesterreich [abgerufen am 17.11.2015].

5 Religion ORF.at: Sikhs als religiöse Bekenntnisgemeinschaft in Östereich an-erkannt, in: https://religion.orf.at/stories/3203833/ [abgerufen am 30.12.2020].

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1.1. Die historische Entstehung und Entwicklung des Sikhismus in chronologischer Zuordnung zu Leben und Wirken der Gurus

Wie sowohl die monotheistischen Weltreligionen Christentum und Is-lam als auch die polytheistische Lebensphilosophie des Buddhismus geht auch der monotheistische Sikhismus auf eine Gründerfigur zurück. Ausschlaggebend waren für Gründer Nanak dabei die zu seiner Zeit vorherrschenden sozialen Missstände und Ungerechtigkeiten innerhalb der indischen – vorwiegend hinduistisch geprägten – Gesellschaft, Kul-tur und Lebensweise. Dieses Kapitel gibt unter Verwendung sikhisti-scher Literatur einen hagiograpischen Einblick in Leben und Wirken der einzelnen Gurus in chronologischer Reihenfolge sowie einen Überblick über die historische Entstehung und Entwicklung des Sikhismus.

1.1.1. 1. Guru: Guru Nanak (geb. 1469; Guru bis 1539)

Guru Nanak, der Gründer des Sikhismus, entstammte selber einer ge-bildeten der Kaste der Khatris angehörigen hinduistischen Händler-Fa-milie aus Talwandi (nahe Lahore)6, konnte jedoch bereits als Kind das damals in ganz Indien vorherrschende Kastensystem und die sozialen Ungerechtigkeiten weder verstehen noch akzeptieren und begann schon in jungen Jahren sich dagegen aufzulehnen und neue Lehren der Gleich-berechtigung aller Menschen zu verbreiten.7 So in etwa soll er nur wenig Begeisterung für Schreibtischarbeiten oder der Mitarbeit in der kleinen elterlichen Landwirtschaft aufgebracht haben, wohl aber die Güter sei-ner Eltern – vorwiegend Produkte aus der Landwirtschaft – als Almosen an die Armen verteilt haben.8 Seine Schwester Bibi Nanki gilt als erste Person, die die Gabe ihres Bruders erkannt haben soll und ihn als 'Guru' (Lehrer, religiöser Meister) verehrte. Das Jahr 1496 gilt als Gründungs-jahr des Sikhismus und die Lehre Nanaks als ihm von Akal Purkh9 – der ewigen, souveränen Realität – enthülltes Wort. 10 Noch heute ist der Gründungsstaat Punjab – zwar durch die Teilung Indiens 1947 durch die Briten in Pakistan und Indien geteilt – das Zentrum des sikhistischen Glaubens. Trotz Erbauung des ersten Gurdwaras durch Guru Nanak 1504 in Kartarpur, Punjab, ist der sogenannte Goldene Tempel, der Sri

6 Vgl. Gächter, Othmar 2003, 369. 7 Vgl. Pruthi, Raj / Sharma, Rani Bela 1995, 37-63. 8 Vgl. Vogel, Walter 2008, 176. 9 Sikhistische Bezeichnung für Gott – siehe Glossary. 10 Vgl. Singh, Jagraj 2009, 13 f.

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Hari Mandir ('Tempel Gottes'11) oder Gurdwara Darbar Sahib, in Am-ritsar im Punjab, seit seiner Entstehung (1589-1601) unter Guru Arjan Dev das zentrale Heiligtum der Sikhs weltweit.12 Bereits mit diesem ersten Gurdwara in Kartarpur legte Guru Nanak die Grundsteine für Sangat, Pangat und Langar, die drei wichtigsten sikhisti-schen Institutionen zur Gleichstellung aller Menschen. Sangat, die Ge-meinschaft, die (im Gurdwara) zum Gebet und zur religiösen Feier zu-sammenkommt umfasst alle Menschen unabhängig ihrer Herkunft, Hautfarbe, Alter, Geschlecht oder Kaste. Diese gleichberechtigte Exis-tenz aller Menschen wird auch in den von Guru Nanak initiierten Insti-tutionen des Pangat und Langar deutlich sichtbar, welche untrennbar miteinander verbunden sind, indem alle Menschen als Gleichberech-tigte in Reihen am Boden nebeneinandersitzen (Pangat) und gemeinsam die im Langar zubereitete Mahlzeit einnehmen.13

„Langar in Sikhism is a place of charity and service, where eve-ryone gives according to his capacity and takes according to his needs. All Sikhs make regular voluntary contributions to keep it running. Even the poorest of the poor Sikh will make his contri-bution. Contributions can be made in cash or kind or in the form of rendering help in the preparation of food, serving food, clean-ing utensils, cleaning the floors and removing trash etc. Only ve-getarian food is served in Guru Ka Langar.“14

Durch dieses neue Konzept der Gleichberechtigung verlieh Guru Nanak Hindus, Muslimen, Buddhisten, Christen, Priestern und Unberührbaren denselben sozialen Status und setzte den ersten Schritt zur Eliminierung des Kastensystems.15 Diese Bemühungen Guru Nanaks um die Gleich-berechtigung aller Menschen setzten seine Nachfolger nicht nur fort, sondern erweiterten sie im Laufe der Zeit. So in etwa baden alle Sikhs gleichermaßen im heiligen Nektar des Darbar Sahibs (Sarovar), tragen eine einheitliche männer- bzw. frauenspezifische Kopfbedeckung (Frauen: Dupatta; Männer: Turban), empfangen gleichermaßen Amrit

11 Vgl. Baumann, Peter Christoph 1994, 161. 12 Vgl. Singh, Jagraj 2009, 32 f. 13 Vgl. Ebd. 112 f. Siehe dazu auch: Mooney, Nicola: 2020, in: https://www.mdpi.com/2077-

1444/11/2/95/htm [abgerufen am 19.04.2021]. 14 Ebd. 139. 15 Vgl. Ebd. 113.

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und Karah Parshad und nehmen einen einheitlichen Nachnamen an (Frauen: Kaur (Prinzessin); Männer: Singh (Löwe)).16 Einen weiteren Grundstein in der Lehre des Sikhismus legte Guru Nanak mit der Definition der Fundamente des Sikhismus – Naam Japo, Kirt Karo und Wand ke Chhako. Hierbei beschreibt Naam Japo die Allge-genwärtigkeit Gottes im Leben der Menschen.17 Sikhs sind dazu ange-halten, Akal Purkh in ihrem Leben stets miteinzuschließen und sich in Gedanken, Worten und Werken der Souveränität Gottes bewusst zu sein.18 Ein Leben ohne Naam, ohne Akal Purkh, sei demnach bedeu-tungslos und nur Naam könne echten Frieden in das Leben der Men-schen (Gedanken, Worte und Werke) bringen.19 Darüberhinaus stellt eine aufrechte Lebensführung mit ehrlich erworbenem Verdienst – Kirt Karo – ein weiteres Fundament des Sikhismus dar.20 Anders als im Hin-duismus ist Askese im Sikhismus nicht erstrebenswert und Reichtum durchaus keine Sünde, solange dieser durch ehrliche Arbeit entsteht. Reichtum durch Raub, Glücksspiel oder Betrug hingegen gilt als ver-werflich.21 Auch sollte der ehrlich erworbene Reichtum nicht ausschließ-lich egoistischen Zielen und Zwecken dienen, sondern ist es Kennzei-chen des Sikhismus, diesen Reichtum mit den Armen, sozial schwächer gestellten und sich in finanzieller Hinsicht in einer weniger glücklichen Lage befindenden Menschen zu teilen – Wand ke Chhako.22 Wenngleich diese von Guru Nanak initiierte Lehren von seinen neun Nachfolgern fortgesetzt und sogar erweitert wurden, wurde der Sikhis-mus zu dieser Zeit noch nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt.

„Erst die kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Musli-men im 18. Jahrhundert und die religiöse Bewegung der Singh Sabha 23 am Ende des 19. Jahrhunderts zeigen, dass die Sikhs

16 Vgl. Ebd. 323. 17 Vgl. Tworuschka, Udo 1999, 285-287. 18 Vgl. Singh, Jagraj 2009, 35. 19 Vgl. GGS 386. 20 Vgl. Tworuschka, Udo 1999, 285-287. 21 Vgl. Singh, Jagraj 2009, 35. 22 Vgl. Duggal, K.S 2009, 31. 23 „Als die Engländer das Königreich der Sikhs 1849 annektierten, befürchteten

viele das Ende vom Sikhismus. Doch mit der Gründung der ersten Singh Sabha (Singh-Gesellschaft) 1873 in Amritsar wurden die verschiedenen Sikh-Gruppen wieder lebendig. Es folgte die Gründung weiterer Gesellschaften, die Literatur/Druckmedien, Bildung, religiöse Versammlungen, Predigten und öffentliche Debatten in den Dienst der Stärkung der Sikh-Werte stellten. Sie wandten sich zwischen 1890 und 1920 v.a. gegen christlichen Einfluss und

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weder den Muslims noch den Hindus zugerechnet werden woll-ten. […] Nach dem ersten Weltkrieg gab es unter den Sikhs große und militante Auseinandersetzungen über die Administration der Hl. Stätten (Gurdwaras) und Sikh-Institutionen, die großen Einfluss auf das soziale, religiös-politische Leben hatten. 1920 wurde das 'Shiromani Gurdwara Parbandhak Committee' (SGPC) mit 175 Mitgliedern gegründet. Es entwickelte sich zu ei-ner Art 'religiösen Parlament'.“24

Durch die 1925 von der Regierung des Punjabs durchgeführte Verab-schiedung des 'Sikh Gurdwara Acts' wurde das SPGC schließlich das offizielle Aufsichtsorgan über 700 Gurdwaras und deren Spendenein-nahmen. Auch klärte der 'Sikh Gurdwara Act' erstmals die Frage wer ein Sikh sei und definierte das Bekenntnis der Sikhs:

'Ich erkläre feierlich, dass ich ein Sikh bin, dass ich an den GGS glaube, dass ich an die 10 Gurus glaube und dass ich keine andere Religion habe.'

In den 1940-er Jahren erließ das SGPC den Verhaltenskodex für Sikhs, die sogenannte 'Rehat Maryada', die seit ihrer Ergänzung 1950 als die Richtlinie für Sikhs gilt und wesentlich dazu beitrug, eine einheitliche Sikh-Praxis sowie ein uniformes Bild der Sikhs zu liefern.25

1.1.2. 2. Guru: Guru Angad Dev (geb. 1504; Guru 1539 – 1552)

Guru Angad Dev wurde im März 1504 als Lehna in einem kleinen Dorf in Ferozpur, im Punjab, geboren und traf 1532 erstmals auf Guru Nanak, ehe er 1539 dessen Nachfolger und somit zu Guru Angad Dev wurde.26 Neben dem Ruf, sein Leben in Demut, Meditation, Einfachheit und Abs-tinenz zu führen, geht v.a. die Entstehung und Fixierung der punjabi-schen Schrift Gurmukhi auf den Einsatz Guru Angad Dev's zurück. Nachdem bereits Guru Nanak begonnen hatte, der Sprache Punjabi ein

gegen eine Vereinnahmung durch den Hindu Arya Samaj.“ (Gächter, Othmar 2003, 373.).

Zur Singh Sabha bzw. der Entwicklung des Sikhismus innerhalb der Ge-schichte Indiens, siehe:

Singh, Khushwant / Rai, Raghu 2001; Singh, Khushwant 1952, 2004 und 2014; McLeod, W.H. 1975 und 2000; Singh, Gopal 1995; Singh, Harbans 1985; Cun-ningham, J.D. 1994; Singh, Patwant 1999; Singh, Sangat 1996; Stukenberg, Marla 1995; Bowker, John 1999, 924-925; Singh, Pashaura / Fenech, Louis 2014.

24 Gächter, Othmar 2003, 371 ff. 25 Vgl. Ebd. 374. 26 Vgl. Singh, Kamal 2004, 23.

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entsprechendes Alphabet zu geben, setzte Guru Angad Dev diese Arbeit fort. Verse und Hymnen, die Guru Nanak bereits in Gurmukhi verfasst hatte, sammelte Guru Angad und ergänzte diese Sammlung durch seine eigenen Hymnen. Dies wird als Beginn der Entstehung der Hl. Schrift der Sikhs, des Guru Granth Sahibs, gesehen. Lediglich 62 bzw. 63 Hym-nen dieser Schrift gehen dabei auf Guru Angad Dev zurück, weshalb er innerhalb des Sikhismus nicht so sehr als großer Poet, als viel mehr als Bewahrer des Sikhismus gesehen wird.27 Mit der Entstehung und Fixierung von Gurmukhi gab Guru Angad Dev den Sikhs eine Schrift, welche sich von der Schrift der Hindus (Sanskrit) und Muslime (Arabisch) unterschied und allen Menschen unabhängig ihrer Kaste und ihres sozialen Status zugänglich war. Bis zu diesem Zeit-punkt war Schrift nur der gebildeten Oberschicht sowie den religiösen Führern vorbehalten, was die Gesellschaft in 'Führer' und 'Geführte' – da ungebildet und dem Analphabetismus unterliegend – unterschied. Durch die Entstehung des Gurmukhi-Alphabets sowie die Verfassung des Guru Granth Sahibs (GGS) in Gurmukhi wurde diese Schrift und die religiöse Lehre des Sikhismus allen Menschen zugänglich. Damit setzte Guru Angad Dev einen weiteren Grundstein hinsichtlich der Gleichberechtigung aller Menschen und der Bekämpfung des Analpha-betismus.28 Darüberhinaus forcierte Guru Angad Dev die Bildung der Kinder und eröffnete erste Sikh-Schulen. Auch legte er ein Hauptaugen-merk auf körperliche Fitness und eröffnete hierfür sogar Wrestling-Are-nen.29 Ebenso hielt Guru Angad Dev die von Guru Nanak initiierte Tra-dition des Langar aufrecht und forcierte die Etablierung dieser Gemein-schaftsküchen in jeder sich entwickelnden Sikh-Community.30 Diesbe-züglich spielt v.a. seine Frau Mata Khivi eine wesentliche Rolle, welche als Mutter des Langar bekannt ist.31

27 Vgl. Cole, Owen W. / Singh Sambhi, Piara 1999, 19. 28 Vgl. Singh, Kamal 2004, 23f. 29 Vgl. Singh Johar, Surinder 2003, 12. 30 Vgl. Singh, Gurpreet 2003, 65. 31 Siehe dazu Kapitel 3.3.2.1. (Mata Kheevi)

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1.1.3. 3. Guru: Guru Amar Das (geb. 1479; Guru 1552 – 1574)

Guru Amar Das wurde 1479 in Basarke im Bezirk Amritsar geboren und konvertierte nach einem Treffen mit Guru Angad Dev 1541 zum Sikhis-mus und wurde dessen ergebener Jünger. Ausschlaggebend für diesen ersten Kontakt war Bibi Amro, Tochter von Guru Angad Dev und Ehe-frau des Neffen von Guru Amar Das. Sie entzückte den Onkel ihres Mannes durch die Rezitation sikhistischer Verse so sehr, dass dieser bat, ihn doch ihrem Vater, Guru Angad Dev vorzustellen.32 Obwohl Guru Amar Das mit Manasi Devi verheiratet war und zwei Söhne und zwei Töchter – darunter Bibi Bhani33 – hatte, zog er es vor, fortan bei Guru Angad zu bleiben und diesem im Namen des Sikhismus zu dienen. Be-reits Guru Nanak legte eine mögliche Guru-Nachfolgerschaft aus Ver-dienst und nicht nur durch genealogische Erbschaft fest, weshalb auch Guru Angad 1552 nicht einen seiner Söhne, sondern Guru Amar Das in dessen 74. Lebensjahr zum Guru ernannte.34 Zu diesem Zeitpunkt war der Sikhismus bereits in vielen Regionen des Punjabs weit verbreitet und so gründete Guru Amar Das 22 Manjis35, um die Lehre Guru Nanaks überall gleichermaßen durch seine engsten An-hängerInnen weiterzugeben und den sikhistischen Glauben zu festi-gen.36 Für diese Missionsarbeit setzte Guru Amar Das erstmals Frauen als Verkünderinnen ein.37 Auch kam es unter Guru Amar Das zu eini-gen Erneuerungen bzw. Vertiefungen und Reformen des Sikhismus und so setzte er sich beispielsweise gegen den hinduistischen Sati-Brauch ein und verbannte diesen aus der sikhistischen Gemeinschaft.38 Des Weite-ren etablierte er das Verschleierungsverbot für Sikh-Frauen und er-nannte Frauen sogar zu gleichberechtigten Priesterinnen – ein in dieser Zeit für die vorwiegend hindu-muslimisch patriarchal geprägte Gesell-schaft wesentlicher Schritt in Richtung Gleichstellung von Frauen. Auch errichtete er – in Anlehnung an und als Gegenstück zu hinduistischen rituellen Reinigungsstellen am Ganges in Haridwar – in seiner Stadt, Goindwal, einen Baoli 39 zur rituellen Reinigung für Sikhs. 40

32 Vgl. Cole, Owen W. / Singh Sambhi, Piara 1999, 20. 33 Siehe dazu Kapitel 3.3.3.1. (Bibi Bhani). 34 Vgl. Singh, Gurpreet 2003, 68 f. 35 Bezeichnung für 'Diözese-ähnliche' Verwaltungseinheit eines Gebietes. 36 Vgl. Singh Johar, Surinder 2003, 14. 37 Vgl. Stukenberg, Marla 1995, 18 f. 38 Vgl. Singh, Kamal 2004, 25. 39 Bezeichnung für einen Brunnen, zu dessen Wasserlevel Stufen hinabführen. 40 Vgl. Cole, Owen W. 2003, 77.

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Darüberhinaus reformierte er Geburts- Hochzeits- und Totenriten und ersetzte diesbezügliche Sanskrit-Verse durch eigene Hymnen in Gurmukhi. Insbesondere geht die Entwicklung des Hochzeitsritus Anand Karaj auf Guru Amar Das zurück, der auch kastenübergreifende Ehen und die Wiederverheiratung von Witwen befürwortete. Insgesamt verfasste Guru Amar Das 907 Verse des Guru Granth Sahib und obwohl er zwei Söhne hatte, ernannte er 1574 seinen Schwiegersohn Jetha – Ehe-mann seiner Tochter Bibi Bhani – zu seinem Nachfolger.41

1.1.4. 4. Guru: Guru Ram Das (geb. 1534; Guru 1574 – 1581)

Guru Ram Das wurde 1534 in Lahore, im heutigen Pakistan geboren. Seine Eltern verstarben als Jetha – Guru Ram Das' Geburtsname – erst sieben Jahre alt war und so wuchs er bei seiner Großmutter in Basarke auf. Schon als Junge diente Jetha Guru Amar Das und verbrachte viel Zeit in dessen Ashram, ehe er durch die Hochzeit mit Bibi Bhani auch dessen Schwiegersohn wurde.42Als der damalige Herrscher Akbar Guru Amar Das einen Teil seines Landes spenden wollte, lehnte dieser dan-kend – und mit dem Hinweis nur durch ehrliche Arbeit und eigenen Verdienst Wohlstand und Reichtum und somit auch Land erlangen zu wollen – ab. Wohl aber akzeptierte Guru Amar Das die Bitte Akbars, doch im Namen seiner Tochter Bibi Bhani Land spenden zu dürfen, wodurch der Grundstein zur Entstehung Amritsars gelegt wurde. 43 Guru Amar Das beauftragte seinen Schwiegersohn Jetha mit der Erbau-ung einer Stadt auf diesem Land und ernannte Jetha kurz vor seinem Tod zu seinem Nachfolger. Jetha erhielt den Namen Guru Ram Das (=Diener Gottes), ließ sich mit seiner Frau Bibi Bhani am geschenkten Land nieder und erbaute dort eine Stadt, welche er zunächst Chakra Ramdas nannte. Schnell entwickelte sich die Stadt zu einem Handels-zentrum und wurde unter dem Namen Ramdaspur bekannt.44 Im Her-zen der Stadt erbaute er einen riesigen Pool und nannte diesen 'Amrit Sarovar', woraus später 'Amritsar' (= Tümpel/Teich des Lebenselixie-res) wurde.45 Bereits unter Guru Ram Das wurde Amritsar v.a. zu den

41 Vgl. Singh Johar, Surinder 2003, 14 f. 42 Vgl. Singh, Gurpreet 2003, 74 f. 43 Vgl. Singh, Gurpreet 2003, 75. 44 Vgl. Cole, Owen W. / Singh Sambhi, Piara 1999, 22 f. 45 Vgl. Singh, Jagraj 2009, 216. Siehe zur Geschichte Amritsars und des Hari Mandirs auch: Singh, Fauja

2000; Singh Aulakh, Ajit 2006; SGPC 2010, 3 ff; Khalsa Sahitya Sadan 2010; Townsend, Charles M. 2014, 430 ff.

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Festlichkeiten von Vaisakhi und Diwalli zentraler Treffpunkt für alle Sikhs46 und entwickelte sich zum Sitz religiösen sikhistischen Lebens.47 Guru Ram Das führte insbesondere die von Guru Amar Das initiierten Reformen hinsichtlich der Geburts- Hochzeits- und Totenzeremonien fort und entwickelte diesbezüglich eine erste Form des 'Rehat Maryada' für Sikhs zur Unterscheidung von Hindus und Muslimen.48 Besonders bekannt wurden seine Hymnen für die Hochzeitszeremonie von Sikhs (Lavan), welche Teil seiner 679 im GGS etablierten Verse und Hauptbe-standteil jeder sikhistischen Eheschließung sind.49 Guru Ram Das ernannte als erster Guru keine außerhalb der Familie ste-hende Person als Nachfolger, sondern seinen dritten und jüngsten Sohn Arjan, welcher sich seine Guruschaft nicht nur durch seine unmittelbare Verwandtschaft, sondern v.a. aufgrund seiner Demut, Treue und Erge-benheit seinem Guru gegenüber verdiente. Dennoch gilt Guru Ram Das' Wahl hinsichtlich seiner Nachfolge als transformatorischer Wende-punkt in der sikhistischen Nachfolge der Guruschaft, wurde der Guru fortan nicht nur mehr als spiritueller und religiöser Führer, sondern von den Sikhs auch als deren weltliches Oberhaupt anerkannt.50

1.1.5. 5. Guru: Guru Arjan (geb. 1563; Guru 1581 – 1606)

Guru Arjan wurde 1563 als dritter Sohn von Guru Ram Das in Goindwal geboren und trat schon im Altern von 18 Jahren die Nachfolge seines Vaters als Guru an.51 Seine gesamte Guruschaft war vom Neid, der Ei-fersucht und Missgunst seines älteren Bruders Prithia Chand geprägt, der sich in der Nachfolge der Guruschaft übergangen fühlte und daher fortwährend versuchte, den damaligen Herrscher Akbar gegen Guru Arjan aufzubringen. Dieser jedoch – obwohl gläubiger Moslem – war den Lehren des Sikhismus sowie dem Gedankengut anderer Religionen gegenüber aufgeschlossen und bereit, die unterschiedlichen Religionen in seinem Herrschaftsgebiet als solche bestehen zu lassen und nieman-den zur Konversion zum Islam zu zwingen.52

46 Vgl. Cole, Owen W. / Singh Sambhi, Piara 1999, 23. 47 Vgl. Cole, Owen W. 2003, 78. 48 Vgl. Singh Johar, Surinder 2003, 16. 49 Vgl. Singh, Jagraj 2009, 216. 50 Vgl. Singh Johar, Surinder 2003, 16. 51 Vgl. Gupta, Hari Ram 1984, 130 ff. 52 Vgl. Cole, Owen W. / Singh Sambhi, Piara 1999, 24.

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Unter Guru Arjan Dev erlebte der Sikhismus ein enormes Wachstum und der fünfte Guru erlangte v.a. als Gründer und Architekt der sikhis-tischen Baukultur großes Ansehen. Neben der Erbauung der Städte Tarn Taran (Floß der Weltmeere), Kartarpur (Stadt des Schöpfers) und Har-gobindpur (nach seinem 1595 geborenen Sohn Hargobind (Weltherr-scher) benannt), gilt v.a. die Fertigstellung Amritsars mit dem Bau des Hari Mandir als eine Meisterleistung Guru Arjans. Nachdem der fünfte Guru den von seinem Vater begonnenen Bau des heiligen Teiches in Amritsar beendet hatte, startete er 1589 mit dem Bau des Hari Mandir, des Goldenen Tempels.53 Diesen baute er in die Mitte des angelegten Teiches und bat den islamischen Geistlichen Saint Mian Mir, den ersten Baustein zu setzen. Anders als viele Tempeln oder Moscheen jedoch ent-stand der Hari Mandir nicht auf einer erhobenen Plattform, sondern wurde im Gegensatz tiefer liegend als das umgebene Land errichtet.54 Eine weitere Besonderheit in der Architektur dieses Gurdwaras ist in den vier Eingangstoren (ein Eingang in jede Himmelsrichtung) zu se-hen. Diese symbolisieren die Offenheit des Sikhismus für alle Menschen unterschiedslos ihrer Herkunft, Kaste oder Religionszugehörigkeit. 55 Um diesen Gurdwara zu erbauen, war es notwendig, innerhalb der sikhistischen Gemeinschaft Spenden zu sammeln. Auf diese Weise ent-stand Daswandh, der Brauch, ein Zehntel des Einkommens für religiöse Zwecke zu spenden, welcher auch heute noch Aktualität besitzt. Durch diese Spenden war es Guru Arjan möglich, das zentrale Heiligtum der Sikhs, den Hari Mandir, zu erbauen und 1601 fertigzustellen.56 Darüber-hinaus sammelte Guru Arjan Dev alle Hymnen seiner Vorgänger sowie Texte geistlicher Männer anderer Religionen und fasste diese gemein-sam mit seinen eigenen 2218 Versen zum Adi Granth, dem Hl. Buch der Sikhs, zusammen. Diese 1604 fertiggestellte Hl. Schrift fand ihren Platz als letztgültige Autorität und Lehre des Sikhismus im Gurdwara Darbar Sahib, dem Goldenen Tempel.57 Guru Arjan Dev ermutigte die Sikhs, ihr Berufsfeld über jenes der Land-wirtschaft hinaus auszuweiten und Berufe im Bankwesen, Handel oder der Textil- oder Holzindustrie anzustreben. Unter ihm entwickelte sich auf diese Weise Amritsar zum Handelszentrum des Punjabs. Auch setzte er sich für die sozial Schwächeren der Gesellschaft ein und

53 Vgl. Ebd. 24 f. 54 Vgl. Singh Johar, Surinder 2003, 17. 55 Vgl. Cole, Owen W. / Singh Sambhi, Piara 1999, 26. 56 Vgl. Singh Johar, Surinder 2003, 17. 57 Vgl. Singh, Jagraj 2009, 217 ff.

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gründete beispielsweise ein Zentrum für Leprakranke in Tarn Taran.58 Wie schon seine Vorgänger setzte auch Guru Arjan sich für die Wieder-verheiratung von Witwen ein und erließ ein Verbot für den Gebrauch von Sucht- und Rauschmittel aller Art. Sein Ansehen und Einfluss – auch auf politischer Ebene – als Sacha Padshah führten zusehends dazu, dass seine Feinde – allen voran sein Bruder Prithia Chand – anfingen, Pläne zu schmieden, um ihm zu schaden. Während er sich der Gunst Herrscher Akbars sicher sein konnte, fiel auch dieser aufgrund seiner positiven Haltung gegenüber des Sikhismus bei seinen eigenen Anhä-ngern in Ungnade und nach dem Tod Akbars und der Inthronisierung seines Nachfolgers Jehangir änderte sich die Situation für Sikhs. Guru Arjan wurde gefangen genommen und aufgrund seiner Verweigerung, zum Islam zu konvertieren, im Gefängnis in Lahore zu Tode gequält. Er starb im Mai 1606 als Märtyrer und ging als erster Sikh-Märtyrer in die Geschichte des Sikhismus ein.59

„His martyrdom is the great turning point in the development of the Sikh community as from that time the struggle took the shape that changed the entire character of the movement. […] Now it became evident that the situation had changed and that it would no longer be possible to preserve the Sikh community without resorting to arms. Thus, after the death of Guru Arjan, the entire character of the Sikh movement changed radically. The Sikhs now had to resort to arms for self-defence and preserving their honour.“60

Fortan übten sich die Sikhs im Umgang mit dem Schwert und entwi-ckelten sich zusehends zu einer ernst zu nehmenden Kampf-Macht. Die-ser Umstand führte dazu, dass sich auch der durch den Märtyrertod Guru Arjans entstandene Konflikt zwischen dem Mogul-Herrscher und den Sikhs verstärkte und auch unter Guru Hargobind, dem Sohn Guru Arjans, seine Fortsetzung fand.61 Guru Hargobind war erst elf Jahre alt als er 1606 die Nachfolge seines Vaters antrat und als sechster Guru an der Spitze des Sikhismus stand.62

58 Vgl. Ebd. 218. 59 Vgl. Singh Johar, Surinder 2003, 19 f. 60 Ebd. 20 f. 61 Vgl. Ebd. 21. 62 Vgl. Singh, Gurpreet 2003, 80.

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1.1.6. 6. Guru: Guru Hargobind (geb. 1595; Guru 1606 – 1644)

Guru Arjan instruierte seinen Sohn Hargobind, seine Nachfolge als sechster Guru vollständig bewaffnet anzutreten und gegebenenfalls auch eine sikhistische Armee zu formieren.63 Unter Guru Hargobind be-ginnt damit die Militarisierung der Sikhs und er ist der erste Guru, der mit zwei Schwertern ausgestattet – je eines links und rechts gegürtet – die Nachfolge in der Guruschaft übernahm. 64 Dennoch stehen die Schwerter nicht nur für die Bereitschaft, jederzeit gegen Unterdrückung und Diskriminierung und für die Werte des Sikhismus zu kämpfen, son-dern symbolisieren v.a. das Miri-Piri-Prinzip des Sikhismus, welches ebenfalls auf Guru Hargobind zurückgeht.65 Dabei verkörpert Miri die weltliche bzw. politische und Piri die spirituelle bzw. religiöse Macht. Damit sollte ebenso ein Gleichgewicht zwischen religiöser Theorie und Praxis geschaffen werden und Sikhs dazu angeleitet werden, ihr Leben nicht nur auf theoretischer Ebene durch das Rezitieren von Hymnen und Gebeten den Werten des Sikhismus anzupassen, sondern v.a. durch die Umsetzung jener sikhistischen Werte im alltäglichen Leben zum rechten Verständnis des Sikhismus und seiner Lehre beizutragen.66 Da-runter ist zB auch die Gleichbehandlung aller Menschen unterschiedslos ihrer Kaste, Herkunft oder Religion zu sehen sowie die Bereitschaft, Un-terdrückte zu schützen, Armen zu helfen oder Hungrige zu speisen.

„Sikhs today speak less of piri and miri and more of tegh and deg, sword and cooking pot, by which is meant the protection of the oppressed and the feeding of the hungry. These terms, pop-ularized by the Ninth and Tenth Gurus, epitomize the house-holder the householder concept of Sikhism in terms of social re-sponsibility. Strictly speaking the use of arms is an extension of giving of alms! It is a way of protecting the defenceless and, though Sikhs have a military reputation, warfare should be a last resort only to be undertaken in the cause of justice.“67

Die Signifikanz dieses Miri-Piri-Prinzips wird auch durch Vers 62 im GGS nochmals deutlich verstärkt.

„Truth is highest virtue but higher still is truthful living.“68

63 Vgl. Singh Johar, Surinder 2003, 21. 64 Vgl. Horstmann, Monika 1996, 140. 65 Vgl. Horstmann, Monika 2006, 488. 66 Vgl. Singh, Kamal 2004, 32. 67 Cole, Owen W. / Singh Sambhi, Piara 1999, 31. 68 GGS 62.

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Ein weiteres Zeichen zur Gleichberechtigung aller Menschen setzte Guru Hargobind durch das Tragen seines Turbans. Während es Hindus zur damaligen Zeit verboten war, einen Turban oder Waffen zu tragen und zu reiten, entwickelten sich unter dem sechsten Guru gerade diese Attribute zu unverkennbaren Eigenschaften des Sikhismus. Vor allem das Tragen des Turbans und eines Kirpans (Schwert) wurde unter Guru Hargobind zu einem obligatorischen Teil der Sikh-Kleidung.69 Zusätz-lich zu den von seinem Vater gegründeten Wrestling-und Kampf-Are-nen, forcierte Guru Hargobind die Jagd und etablierte Trainingszentren für den rechten Umgang mit Waffen sowie Ausbildungsstätten zum Er-lernen der rechten Kriegsführung. In kürzester Zeit gelang es dem sechsten Guru, eine im Umgang mit Waffen gelehrte Armee von rund 5.000 Mann zu formieren und für den Einsatz bereitzuhalten.70 Auch der Guru selber war geübt im Umgang mit Waffen und wird in der sikhisti-schen Literatur sowohl als gut trainierter, gesunder und starker als auch aufgeklärter, intelligenter und heiliger Mann beschrieben.71 Unter Guru Hargobind kam es auch immer wieder zu Kämpfen mit den Mogulen, was den Guru veranlasste, seine Armee immer weiter auszubauen. Dies konnte der damalige Mogulen-Herrscher Jehangir nicht tolerieren und ließ Guru Hargobind verhaften und ins Gefängnis nach Gwalior brin-gen. Die erwünschte Wirkung – der Zerfall der sikhistischen Gemein-schaft – wurde damit allerdings nicht erzielt und die Zwecklosigkeit der Gefangennahme Hargobinds erkennend, ließ Jehangir den sechsten Guru an Diwalli wieder frei. Seit diesem Tag feiern auch Sikhs das hin-duistische Lichterfest Diwalli.72 Ergänzend zur Entwicklung des Miri-Piri-Prinzips gilt der Bau des Akal Takhat als wichtigster Beitrag Guru Hargobinds. Dieses Bauwerk befin-det sich nur wenige Meter vom Hari Mandir in Amritsar entfernt und bildet dessen Gegenstück, nämlich den weltlichen bzw. politischen Sitz des Sikhismus. Zugleich wurde der Akal Takhat innerhalb der Sikh-Ge-meinschaft zu jener Zeit auch als Gegenstück zum herrschenden Thron in Delhi gesehen. Guru Hargobind nutzte den Akal Takhat als Gerichts-gebäude, empfing dort Gesandte und regelte Streitigkeiten und Ausei-nandersetzungen zwischen Sikhs.73 Der Akal Takhat ist der Sitz der

69 Vgl. Singh, Jagraj 2009, 220. Zur Bedeutung der Kleidung in der Religion siehe auch: Kapitel 5.1.4., Kapitel

5.1.7. 70 Vgl. Singh, Gurpreet 2003, 82. 71 Vgl. Singh Johar, Surinder 2003, 21. 72 Vgl. Singh, Jagraj 2009, 221. 73 Vgl. Ebd. 220.