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Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des Deutschen Anwaltvereins (Hrsg.) Strafverteidigung im Rechtsstaat 25 Jahre Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des Deutschen Anwaltvereins F^ Nomos

Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des Deutsche Anwaltvereinn ... · träger das Zeugnis übe r das verweigern wa, s ihnen in dieser Eigenschaf anvertraut t worden ode bekanntgeworder

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Arbeitsgemeinschaft Strafrecht

des Deutschen Anwaltvereins (Hrsg.)

Strafverteidigung im Rechtsstaat

25 Jahre Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des Deutschen Anwaltvereins

F ^ Nomos

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-8329-4283-0

1. Auflage 2009 © Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2009. Printed in Cermany. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der photomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

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Die Nagelprobe für das Vertrauensverhältnis im Anwaltsmandat: Personenwechsel in Vertretungsorganen

und Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht

Alfred Dier lamm

1. Vorbemerkungen

Nach § 53 Abs. 1 Ziff. 3 StPO dürfen Rechtsanwälte und andere Berufsgeheimnis-träger das Zeugnis über das verweigern, was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut worden oder bekanntgeworden ist. Sie dürfen das Zeugnis nach § 53 Abs. 2 S. 1 StPO nicht verweigern, wenn sie von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit ent-bunden sind. Grundsätzlich ist derjenige zur Entbindung von der Verpflichtung zur Verschwie-genheit berechtigt, zu dessen Gunsten die Schweigepflicht gesetzlich begründet ist.1

Unproblematisch sind die Fälle, in denen der Auftraggeber mit dem »Anvertrauen-den« personenidentisch ist. Umstritten sind Konstellationen, in denen der Auftrag-geber keine natürliche, sondern eine juristische Person ist und in der Zeit zwischen der Begründung des Mandats und dem Zeitpunkt der Entscheidung über die Entbin-dung von der Verschwiegenheitspflicht ein personeller Wechsel in der Vertretung der juristischen Person stattgefunden hat, z.B. nach Eintritt der Insolvenz und Be-stellung eines Insolvenzverwalters oder durch schlichte Änderung in der Geschäfts-führung der juristischen Person. In Rechtsprechung und Schrifttum hat sich bislang keine einheitliche Meinung ge-bildet. Der Rechtszustand ist unübersichtlich. Die Praxis der Ermittlungsbehörden und Strafgerichte ist von Landgerichtsbezirk zu Landgerichtsbezirk unterschiedlich. Dies fuhrt zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit, zumal die Berufsgeheimnisträ-ger nicht nur zur Zeugnisverweigerung berechtigt, sondern auch strafrechtlich nach § 203 Abs. 1 Ziff. 3 StGB und berufsrechtlich - für Rechtsanwälte in § 43 a Abs. 2 BRAO geregelt - zur Verschwiegenheit verpflichtet sind, sofern keine wirksame Entbindungserklärung vorliegt. Auf der anderen Seite drohen in Fällen (aus Sicht der Ermittlungsbehörden) unberechtigter Zeugnisverweigerung Ordnungsmittel nach § 70 StPO. Die Frage, wer in einer juristischen Person bei einem personellen Wechsel zur Ent-bindung nach § 53 Abs. 2 S. 1 StPO berechtigt ist, ist in wirtschaftsstrafrechtlichen

1 Vgl. nur UÜDahs, § 53 Rn 71; KK/Senge, § 53 Rn 46; Meyer-Goßner, § 53 Rn 46.

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Die Nagelprobe für das Vertrauensverhältnis im Anwaltsmandat

Verfahren von erheblicher Praxisrelevanz. Nur beispielhaft sei auf die Strafverfah-ren der letzten Jahre gegen Verantwortliche von Unternehmen des sog. Neuen Marktes wegen Bilanzmanipulation, Kursbetrug etc. hingewiesen, in denen sich die Frage der Entbindung fast in jedem Verfahren stellte. Berufsgeheimnisträger sind wichtige Auskunftspersonen, ihre Unterlagen und Arbeitspapiere von großer Be-deutung für die Wahrheitsermittlung im Strafprozess. Die Informationen von Be-rufsgeheimnisträgem ermöglichen den Strafverfolgungsbehörden einen »Blick hin-ter die Kulissen« des Unternehmens. Denn der Berufsgeheimnisträger wird typi-scherweise von den Verantwortlichen des Unternehmens in ihr Vertrauen gezogen. Er weiß oft mehr als andere Auskunftspersonen des Unternehmens. Sein Wissen ist Ausdruck des besonderen Vertrauens seiner Ansprechpersonen. Die Preisgabe die-ses Wissens gegenüber der Strafverfolgung betrifft den Kern des Vertrauensverhält-nisses zwischen Berufsgeheimnisträger und Anvertrauendem und damit die Grund-lagen des anwaltlichen Mandatsverhältnisses. Das Vertrauen auf Diskretion und ab-solute Verschwiegenheit ist unverzichtbare Voraussetzung der anwaltlichen Berufs-ausübung. Andererseits besteht ein Interesse der Strafverfolgung an einer vollstän-digen Sachverhaltsaufklärung. Es ist Zielsetzung dieses Beitrags, dieses Spannungs-verhältnis zwischen der Wahrung der Vertraulichkeit und Diskretion einerseits und dem Interesse an der Wahrheitsermittlung und einer effektiven Strafverfolgung an-dererseits aufzulösen. Ich werde zunächst die wesentlichen Sachverhaltskonstella-tionen und ihre Behandlung in Rechtsprechung und Schrifttum darstellen (II). Sodann werde ich auf die Auffassungen und Empfehlungen der Berufsverbände -insbesondere der Wirtschaftsprüferkanamer und der Steuerberaterkammer - einge-hen (III). Kernstück des Beitrags wird eine eigene Stellungnahme unter besonderer Berücksichtigung teleologischer, verfassungsrechtlicher und berufsrechtlicher Ge-sichtspunkte sein (IV). Der Beitrag schließt mit einer Zusammenfassung der we-sentlichen Ergebnisse (V).

II . Meinungsstand In Rechtsprechung und Schrifttum

1. Grundlagen

Die Problematik tritt in der Praxis in zwei Fallkonstellationen auf: Zunächst kann es durch einen personellen Wechsel in der Geschäftsleitung einer Handelsgesellschaft zu einem Auseinanderfallen von Vertretungsbefugnis einer-seits und Vertrauensverhältnis andererseits kommen. In diesen Fällen ist umstritten, ob der vormalige Geschäftsführer, der das Mandat erteilt und dem Berufsgeheimnis-träger die Informationen anvertraut hat, das aktuell vertretungsberechtigte Organ oder früherer und aktueller Geschäftsführer gemeinsam den Berufsgeheimnisträger von seiner Verschwiegenheitspflicht entbinden können.

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Alfred Dierlamm

Wesentlich bedeutsamer in der Praxis ist die Konstellation, dass die Handelsgesell-schaft in Insolvenz gerät. Wird ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt und dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt, so geht die Verwaltungs-und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Insolvenzschuldners nach § 22 Abs. 1 S. 1 InsO auf den vorläufigen Insolvenzverwalter über. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht das Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Insolvenz-schuldners nach § 80 Abs. 1 InsO auf den Insolvenzverwalter über. Es stellt sich die Frage, ob dem Insolvenzverwalter infolge dieses Obergangs von Befugnissen auch die Berechtigung zusteht, über die Entbindung von der Verschwiegenheit eines vor-mals im Auftrag des Geschäftsführers für die Gesellschaft tätig gewordenen Berufs-geheimnisträgers zu entscheiden, oder ob diese Berechtigung - zumindest auch -bei dem bisherigen Organvertreter verbleibt. Die beiden genannten Fallkonstellationen sind sachlich und rechtlich vergleichbar. In beiden Fällen steht eine nachträgliche Änderung der materiell-rechtlichen Vertre-tungsbefugnis in Rede. Soweit sich die Rechtsprechung - vereinzelt - mit der Fall-konstellation eines Geschäftsführerwechsels befasst hat, wird üblicherweise auf die obergerichtliche Rechtsprechung zu Insolvenzfallen Bezug genommen. Es erscheint daher vertretbar, den Meinungsstand in Rechtsprechung und Schrifttum für beide Fallkonstellationen zusammenzufassen.

2. Darstellung des Meinungsspektrums

a) Alleinige Berechtigung der bisherigen Organe

Das LG Düsseldorf vertrat in einer Entscheidung aus dem Jahre 1958 die Auffas-sung, dass der bisherige Geschäftsführer einer GmbH auch dann noch allein über die Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht nach § 53 Abs. 2 StPO zu entschei-den habe, wenn die GmbH in Konkurs gefallen sei. Zur Begründung führte das LG Düsseldorf aus, dass die Entbindungsberechtigung nicht zu den Vermögensrechten gehöre, über die der Konkursverwalter zu verfügen habe. Der Konkursverwalter trete in die Rechtstellung des Geschäftsführers der GmbH nur insoweit ein, als sie die Konkursmasse betreffe. Der Ansprach auf Verschwiegenheit des Berufsgeheirn-nisträgers stehe als höchstpersönlicher, nicht vermögensrechtlicher Anspruch nicht dem Konkursverwalter, sondern dem bisherigen Organ zu.2

2 LG Düsseldorf vom 18.3.1958 - III a Qs 107/58, NJW 1958, 1152; vgl. auch LG Kaiserslautern, Beschl. v. 3.3.1978 - 5 Qs 42/78, AnwBl. 1979, 119, wonach grundsätzlich der Konkursverwalter einer juristischen Person berechtigt sei, deren Berufsgeheimnisträger von der Schweigepflicht zu entbinden, wenn eine solche Entbindung dazu diene, die dem Konkursverwalter übertragene Auf-gabe zur Vermögensverwaltung der in Konkurs gefallenen Gesellschaft wahrzunehmen. Dies sei aber im Falle eines Strafverfahrens gegen frühere Organe gerade nicht der Fall: »Die Reichweite einer solchen Entbindung von der Schweigepflicht kann grundsätzlich nicht darauf erstreckt wer-den, dass sie nunmehr zur Durchführung von Strafverfahren gegen einen ungetreuen Geschäftsfüh-rer dient. Insofern ist nicht einzusehen, dass es sich hier um die Durchsetzung von Ansprüchen han-deln soll, die letztlich auf der Vermögensverwaltung durch den Konkursverwalter beruhen.«

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Die Nagelprobe für das Vertrauensverhältnis im Anwaltsmandat

Das LG Berlin entschied in einem Fall eines Geschäftsfiihrerwechsels, in dem der vormalige, aber nicht der aktuelle Geschäftsführer eine Entbindungserklärung abge-geben hatte, dass dem ehemaligen Organ die Entbindungsbefugnis hinsichtlich aller Tatsachen zustehe, die es dem Berater aus der Sphäre der juristischen Person oder aus seiner Privatsphäre habe bekannt werden lassen. Dies müsse erst recht dann gel-ten, wenn es um ein für das ehemalige Organ entlastendes Zeugnis des Berufsge-heimnisträgers gehe.3

Auch im Schrifttum wird vereinzelt die Auffassung vertreten, dass nur das vorma-lige Organ den Berafsgeheimnisträger von seiner Verschwiegenheitspflicht entbin-den könne.4

b) Alleinige Berechtigung des Insolvenzverwalters bzw. des neuen Geschäfts-führers

Die Auffassimg, dass der Konkursverwalter allein über die Entbindung von der Ver-schwiegenheitspflicht eines vormals im Auftrag des früheren Geschäftsführers tätig gewesenen Berufsgeheimnisträgers zu befinden habe, wurde in der Rechtsprechung erstmals vom LG Lübeck vertreten.5 Im gegebenen Fall stellte sich die Frage, ob der Konkursverwalter einer GmbH & Co. KG den Berufsgeheimnisträger von der Ver-pflichtung zur Verschwiegenheit wirksam entbinden konnte, sodass dieser im Straf-verfahren gegen die beschuldigten früheren Geschäftsführer als Zeuge aussagen konnte und musste. Das LG Lübeck begründete seine Auffassung im Wesentlichen damit, dass Trägerin des Geheimhaltungsinteresses und Anvertrauende allein die Gesellschaft als selbständige juristische Person sei und nicht die für sie handelnden Organe. Die Befugnis zur Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht stelle kein höchstpersönliches Recht der Geschäftsführer dar. Auch die Einheit der Rechtsord-nung gebiete diese Sichtweise. Etwas anderes könne nur dann gelten, wenn den be-schuldigten früheren Organen - anders als im gegebenen Fall - ausnahmsweise ein eigenständiges schutzwürdiges Interesse an der Verschwiegenheit des Berufsge-heimnisträgers zuzugestehen sei. Würde man ein solches für den Fall einer delikti-schen Handlung des Geschäftsführers zum Nachteil der juristischen Person aner-kennen, so würde man den Berufsgeheimnisträger zum Helfer des unredlichen Ge-schäftsführers machen.

In der Folgezeit schlossen sich einige Gerichte der Auffassung des LG Lübeck an.6

3 LG Berlin v. 5.3.1993 - 505 AR 2/93, wistra 1993, 278. 4 Münchhalffen, zustimmende Anmerkung zu OLG Düsseldorf v. 14.12.1992, StV 1993, 347;

Schmitt, wistra 1993, 11; Herrmann, ablehnende Anmerkung zu OLG Koblenz vom 22.2.1985, NStZ 1985, 566; Robrecht, DB 1968, 473; Behm, Juristische Personen als Schutzobjekte, S. 126; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn 1285 a (ausdrücklich auch für den Fall, dass dem Organ Straf-taten zum Nachteil der Gesellschaft zur Last gelegt werden).

5 LG Lübeck v. 7.6.1977-4 Qs 171/77, NJW 1978, 1014. 6 Für Insolvenzfälle: LG Hamburg v. 6.8.2001 - 616 Qs 41/01, StV 2002, 647: »Bei einer GmbH ist

eine zusätzliche Entbindungserklärung des anvertrauenden Organs, des (ehemaligen) Geschäfts-

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Alfred Dierlamm

Auch das OLG Oldenburg folgte jüngst dieser Auffassung.7 Zur Begründung wies der Senat u.a. daraufbin, das von § 53 StPO geschützte Vertrauensverhältnis habe allein zwischen der Gesellschaft und dem Bemfsgeheimnisträger bestanden. Per-sönliche Verhältnisse des ehemaligen Geschäftsführers seien nicht Gegenstand des Mandats gewesen. Die Gegenansicht führe »zu einer sachlich nicht vertretbaren Be-einträchtigung der Wahrheitsermittlung im Strafverfahren«, der im Interesse der Allgemeinheit höchste Bedeutung zukomme.8

Im insolvenzrechtlichen Schrifttum ist diese Auffassung herrschend;9 in der straf-rechtlichen Literatur wird sie vereinzelt vertreten.10 Eine Einschränkung wird teil-weise für Tatsachen vorgenommen, die ausschließlich die persönliche Sphäre des vormaligen Organs betreffen. Dann könne ein eigenes Vertrauensverhältnis zwi-schen Organ und Berufsgeheimnisträger bestehen, z.B. wenn der Berufsgeheimnis-träger von einem Geschäftsführer persönlich um Rat gefragt werde.11

c) Gemeinsame Berechtigung von Insolvenzverwalter bzw. neuem Geschäftsfüh-rer und früherem Organ

Nach der in der Rechtsprechung überwiegend vertretenen Auffassung kann der In-solvenzverwalter bzw. im Falle eines Geschäftsführerwechsels der neue Geschäfts-führer allein den Bemfsgeheimnisträger nicht wirksam von seiner beruflichen Ver-schwiegenheitspflicht entbinden. Zusätzlich erforderlich ist eine Entbindungserklä-rung des vormaligen Organs der Gesellschaft.12 Zur Begründung wird darauf hinge-wiesen, dass ein Vertrauensverhältnis nur zwischen natürlichen Personen entstehen könne, auch wenn das Vertragsverhältnis formal zwischen juristischer Person und Berufsgeheimnisträger zustandekomme.13 Dieses Vertrauensverhältnis sei höchst-persönlicher Natur.14 Das Recht der Organe auf Vertrauensschutz ende auch nicht

fuhrers, jedenfalls dann nicht erforderlich, wenn der im Auftrag der Gesellschaft tätig gewesene Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer lediglich wirtschaftliche Angelegenheiten der Gesellschaft bekunden soll, also bspw. Tatsachen zur Bilanzerstellung einschl. Bewertungsfragen. «So auch AG Frankfurt/Main vom 16.2.2004 - 931 Gs 7550 Js 233080/02 (nicht veröffentlicht): für Geschäfts-führerwechsel: LG Düsseldorf vom 3.2.2004 - III Qs 5,6 und 7/04 (bisher nicht veröffentlicht); LG Bochum v. 15.3.2005 - 12 Qs 4/05 (bisher nicht veröffentlicht).

7 OLG Oldenburg v. 28.5.2004 - 1 Ws 242/04, NJW 2004, 2176. 8 OLG Oldenburg v. 28.5.2004 - 1 Ws 242/04, NJW 2004, 2176. 9 Vgl. nur Beck/Depre/Köhler, Praxis der Insolvenz, S. 1212; MK/Ganter, § 5 InsO Rn 28; Hess,

Insolvenzordnung, § 30 Rn 129. 10 Vgl. Fischer, § 203 Rn 32; SK/Hoyer, § 203 Rn 74; UUSchünemann, § 203 Rn 101 f; UUSchäfer,

§ 97 Rn 53; Schäfer, wistra 1985, 211 • Nassall, KTS 1988, 647. 11 Vgl. nur Beck/Depre/ÄoAfer, Praxis der Insolvenz, S. 1212; Nassall. KTS 1988. 649 ff. 12 OLG Schleswig v. 27.5.1980 - 1 Ws 160, 161/80, NJW 1981, 294; OLG Celle v. 2.8.1985 - 1 Ws

194/85, wistra 1986, 83; OLG Düsseldorf vom 14.12.1992 - 1 Ws 1155/92, wistra 1993, 120; OLG Koblenz v. 23.10.1986, AG 1988,342; OLG Koblenz v. 22.2.1985 - 2 VAS 21/84, NStZ 1985,426; OLG Frankfurt v. 6.4.1988, AG 1988, 342 ff; LG Saarbrücken v. 26.5.1995 - 8 Qs 73/95, wistra 1995, 239; AG Berlin-Tiergarten v. 10.6.2004 - 351 Gs 4495/02, wistra 2004, 319.

13 Vgl. nur OLG Koblenz v. 23.10.1986, AG 1988, 342, 344. 14 OLG Düsseldorf v. 14.12.1992-1 Ws 1155/92, wistra 1993, 120.

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Die Nagelprobe für das Vertrauensverhältnis im Anwaltsmandat

mit der Insolvenzeröffiiung.15 Das anvertraute Wissen lasse sich auch nicht in Tat-sachen aufteilen, die ausschließlich für die Insolvenzmasse von Bedeutung seien und solche, die der persönlichen Sphäre des Organs zuzurechnen seien.16 Im Regel-fall sei von einer »ambivalenten Beratung« auszugehen.17

Auch im Schrifttum kann diese Auffassung als herrschend bezeichnet werden. Weg-weisend für die Meinungsbildung in der Literatur war der Festschriftbeitrag von Dahs »Die Entbindung des Rechtsanwalts von der Schweigepflicht im Konkurs der Handelsgesellschaft« in der Festschrift für Kleinknecht aus dem Jahre 1985.18 Dahs hob zur Begründung seiner Auffassung hervor, dass mit dem Begriff des Vertrau-ensverhältnisses eine Beziehung beschrieben werde, die nur zwischen natürlichen Personen entstehen und bestehen könne. Die »wirklichen Partner und Träger des Vertrauensverhältnisses« seien die Organmitglieder.19 Diese müssten eine Entbin-dungserklärung abgeben. Zusätzlich stehe dem Konkursverwalter eine Mitbefugnis bei der Entbindung zu, da die Vermögensinteressen der juristischen Person - j eden-falls potentiell - mitberührt seien.20 Der Auffassung von Dahs haben sich inzwi-schen zahlreiche Autoren angeschlossen.21

d) Differenzierende Auffassungen im Schrifttum

in der Literatur findet sich eine Vielzahl differenzierender Ansichten. Einige Autoren unterscheiden danach, ob dem betreffenden Organ Straftaten zum Nachteil der von ihm vertretenen Gesellschaft vorgeworfen werden. Bejahenden-falls soll sein Interesse an der Verschwiegenheit des Berufsgeheimnisträgers nicht schutzwürdig sein. Dagegen sei dem beschuldigten Organ eine Entbindungsbefiig-nis bei Straftaten zum Nachteil Dritter zuzugestehen.22

15 OLG Schleswig v. 27.5.1980 - 1 Ws 160, 161/80, N W 1981,294. 16 LG Saarbrücken v. 26.5.1995 - 8 Qs 73/95, wistra 1995, 239, 240. 17 OLG Frankfurt v. 6.4.1988, AG 1988, 342, 347. 18 Dahs, FS Kleinknecht, 1985, S. 63 ff. 19 Dahs, FS Kleinknecht, 1985, S. 63, 74. 20 Dahs, FS Kiemknecht, 1985, S. 65, 75. 21 Mever-Goßner, § 53 Rn 46; KMBJNeubeck, § 53 Rn 29; KKlSenge, § 53 Rn 47; AK/Arnelung, § 97,

Rn 29; IMJDahs, § 53 Rn 71; Ciolek-Krepold, Durchsuchung und Beschlagnahme, Rn 293 f; Littbarski, AG 1988, 348; Kunz, Ablehnende Anmerkung zu OLG Oldenburg v. 28.5.2004, WPK Magazin 3/2004, S. 48 f; Krause, FS Dahs, 2005, S. 349, 376 f; Lichtner, Die Verschwiegenheits-pflicht des Wirtschaftsprüfers, S. 98; Franzen/Gast/Joecfa, Steuerstrafrecht, § 399 AO Rn 40. Auch der Gesetzgeber scheint dieser Auffassung zuzuneigen. In der Begründung zu § 20 InsO-E des aktu-ellen Gesetzesentwurfs zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens des Bundesministerium der Justiz heißt es (ZVI-Dokumentation 2/2006, S. 92): »Im Eröffnungsverfahren reicht jedoch häufig eine Auskunft durch den Schuldner und/oder die Mitglieder der Vertretungs- und Aufsichtsorgane nicht aus, um das Vermögen zu sichern und eine zuverlässige Grundlage für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu schaffen. Vielmehr kommt einer darüber hinausgehenden Mitwirkung des Schuldners eine nicht zu unterschätzende Bedeutung auch in diesem Stadium zu. So berichtet die Praxis von Fällen, in denen sich Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Notare bei einem Auskunftsersuchen des vorläufigen Insolvenzverwalters auf ihre Verschwiegenheitspflicht berufen, so dass eine Entbindung von der Schweigepflicht durch den Schuldner notwendig ist.«

22 Gülzow, NJW 1981, 268; Stypmann, wistra 1982, 14; Haas, Anmerkung zu OLG Schleswig v. 27.5.1980, wistra 1983, 183.

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Alfred Dierlamm

Hüffler hält den ehemaligen Geschäftsführer für entbindungsberechtigt, wenn der Berufsgeheimnisträger über Vorgänge aussagen soll, die das insolvenzfreie Vermö-gen betreffen. Für diesen Bereich blieben Rechte und Pflichten des Geschäftsführers zur eigenverantwortlichen Leitung der Gesellschaft unberührt.23

Nach einer anderen Auffassung sollen in einem Strafverfahren gegen (ehemalige) Organe einer juristischen Person nur diese den Berufsgeheimnisträger von der Verschwiegenheitspflicht entbinden können. Es gehe nur um die Strafbarkeit der Verfahrensbeteiligten, der Insolvenzverwalter sei insoweit nicht dispositionsbe-fugt.24

Andere Autoren entscheiden danach, ob der Organvertreter gegenüber dem Berufs-geheimnisträger eine Straftat offenbart hat. Zwar sei im Grandsatz davon auszuge-hen, dass das aktuelle Organ bzw. der Insolvenzverwalter den Berufsgeheimnisträ-ger entbinden müsse. In Fällen, in denen der Organvertreter dem Berufsgeheimnis-träger jedoch eine von ihm begangene Straftat offenbart habe, sei neben der Entbin-dungserklärung des aktuellen Organvertreters bzw. des Insolvenzverwalters eine zusätzliche Erklärung des vormaligen Organvertreters erforderlich. Denn für eine Straftat sei der Täter persönlich verantwortlich, so dass es sich folglich auch um ein persönliches Geheimnis des Täters handele und nicht nur um ein vom Insolvenzbe-schlag erfasstes vermögenswertes Geheimnis.25

Nach Auffassung von Huber-Lotterschmid soll der frühere Organvertreter im Rah-men eines gegen ihn selbst anhängigen Strafverfahrens alleinberechtigt sein, einen (früheren) Berater der Gesellschaft von der Verschwiegenheitspflicht zu entbinden. In allen anderen Fällen sei das aktuell vertretungsberechtigte Organ bzw. der Insol-venzverwalter (allein) befugt, die Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht des Berufsgeheimnisträgers zu erklären.26

III. Auffassungen und Empfehlungen der Berufsverbände

1. Rechtsauflassung der Bundessteuerberaterkammer

Der Ausschuss »Steuerberatungsrecht« der Bundessteuerberaterkammer hat den Beschluss des OLG Oldenburg vom 28.05.2004 zum Anlass genommen, über die Frage der Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht durch den Insolvenzver-walter zu diskutieren und eine Meinungsbildung herbeizuführen. In seiner 69. Sit-

23 MSJHiiffer, § 264 AktG Rn 67. 24 Uhlenbruch, Insolvenzordnung, § 5 InsO Rn 20; ders. wistra 1996, 7. 25 Schönke/Schröder/Lenckner, § 203 Rn 23; MKJCierniak, § 203 Rn 80; SKIRogall, § 53 StPO Rn

200. 26 Huber-Lotterschmid, Verschwiegenheitspflichten, strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrechte

und Beschlagnahmeverbote bei rechts- und wirtschaftsberatenden Mandatsverhältnissen mit juristi-schen Personen, 2006, S. 98, 100.

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zung vom 22.11.2004 hat sich der Ausschuss »Steuerberatungsrecht« der in Recht-sprechung und Schrifttum mehrheitlich vertretenen Auffassung, wonach eine Ent-bindung des Berufsgeheimnisträgers gem. § 53 Abs. 2 StPO allein durch den Insol-venzverwalter nicht ausreicht, angeschlossen. Zur Begründung hat der Ausschuss auf den Schutzzweck des Zeugnisverweigerungsrechts nach § 53 Abs. 1 Ziff. 3 StPO hingewiesen. Das Zeugnisverweigerungsrecht solle gewährleisten, dass der für eine juristische Person Handelnde deren Berater ohne Furcht vor Nachteilen um-fassend informieren könne. Im Zivilprozess demgegenüber seien nur die Vermö-gensinteressen der Gesellschaft betroffen, so dass eine Entbindung durch den ehe-maligen Geschäftsführer grundsätzlich nicht erforderlich sei. Der Beschluss des Ausschusses »Steuerberatungsrecht« in der 69. Sitzung am 22.11.2004 lautet aus-zugsweise wie folgt:

»Soll der Steuerberater als Zeuge in einem Strafverfahren gegen den ehemaligen Ge-schäftsführer der inzwischen in Insolvenz befindlichen Gesellschaft vernommen werden, ist die Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht von dem ehemaligen Geschäftsfüh-rer der Gesellschaft zu erklären. Eine Entbindung durch den derzeitigen Geschäftsführer reicht dagegen nicht aus. Entscheidend hierfür ist, dass das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO gewährleisten soll, dass derfür eine juristische Person Han-delnde deren Berater ohne Furcht vor Nachteilen umfassend informieren kann. Da der für eine juristische Person Handelnde daher auch nicht soll befürchten müssen, nach sei-nem Ausscheiden als Organ der juristischen Person Nachteile durch sein Handeln gegen-über dem Berater zu haben, muss einem ehemaligen Geschäftsführer die Befugnis zur Schweigepflichtentbindung bezüglich aller Tatsachen, die dem Berater aus der Sphäre der juristischen Person oder aus seiner Privatsphäre durch ihn als Organ bekannt ge-worden sind, auch dann noch zustehen, wenn er nicht mehr Organ der juristischen Per-son ist (vgl. auch LG Berlin, Wistra 1993, 278; Schmitt, Wistra 1993, 9ff.).«

2, ReehtsaufTassung der Wimchaftsprüferkammer

Auch die Wirtschaftsprüferkammer vertritt die Auffassung, dass bei einem Wechsel in der Vertretungsbefugnis einer juristischen Person neben der aktuellen Geschäfts-führung bzw. neben dem Insolvenzverwalter auch das ausgeschiedene Organmit-glied, sofern es in das Vertrauensverhältais mit dem Berufsgeheimnisträger einbe-zogen war, entbinden muss:27

»Beauftragt eine GmbH, handelnd durch ihren Geschäftsführer als Organ, einen Wirt-schaftsprüfer mit der Uberprüfung der wirtschaftlichen Angelegenheiten der Gesell-schaft, steht das Recht zur Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht nicht zur Dispo-sition der GmbH, sondern auch der Person, die im Rahmen der anvertrauten Tatsachen Betroffene des Vertrauensverhältnisses zwischen WP/vBP und seinem Vertragspartner ist. In einem Strafverfahren gegen die Geschäftsführer einer GmbH sind Betroffene die

27 WPK-Mitteilungen 1-2/1989, Das berufsrechtliche Stichwort: Entbindimg von der Verschwiegen-heitspflicht durch den Konkursverwalter, S. 17.

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Alited Dierlamm

anvertrauenden Geschäftsführer. Ihnen steht danach das Recht zur Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht nach § 53 Abs. 2 StPO zu.«

IV. Eigene Stellungnahme

1. Personaler C h a r a k t e r der Vertrauensbeziehung zwischen Organ und Berufsgeheimnisträger

Nach § 53 Abs. 2 S. 1 StPO entfallt das Zeugnisverweigerungsrecht der Berufsge-heimnisträger, wenn sie »von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden sind«. Wer entbindungsberechtigt ist, regelt die Vorschrift nicht. Die Formulie-rung der Regelung im Passiv lässt die Zuordnung der Entbindungsberechtigung offen. Nach unbestrittener Auffassung kann von der Verschwiegenheitspflicht nur der ent-binden, zu dessen Gunsten diese Pflicht gesetzlich begründet ist. Sind mehrere ge-schützt, so muss jeder von ihnen die Entbindungserklärung abgeben.28

Einen ersten Hinweis darauf, zu wessen Gunsten die Verschwiegenheitspflicht be-steht, erschließt sich daraus, dass in § 53 Abs. 1 Ziff. 3 StPO von »anvertraut wor-den« die Rede ist. Auch hier hat der Gesetzgeber eine passivische Formulierung ge-wählt. Er hat offengelassen, wer der Anvertrauende ist, und damit auch die Möglich-keit eröffnet, dass der Anvertrauende eine andere Person als der Auftraggeber ist. Der Anvertrauende und der Auftraggeber können, müssen aber nicht personeniden-tisch sein. Der Auftraggeber ist die Person, die dem Berufsgeheimnisträger den Mandatsauftrag erteilt. Das zivilrechtliche Vertragsverhältnis besteht zwischen dem Berufsgeheimnisträger und seinem Auftraggeber. Ist Auftraggeber eine juristische Person, so besteht der Mandatsvertrag zwischen der juristischen Person und dem Berufsgeheimnisträger. Im Gegensatz dazu beinhaltet das Anvertrautsein ein tatsächliches, personal gepräg-tes Verhältnis zwischen zwei Personen, das von juristischen und insbesondere zivil-vertraglichen Kategorien unabhängig ist. Das Anvertrauen ist ein tatsächlicher, per-sonaler Vorgang. Er ist juristisch neutral. Die personelle Prägung des Anvertrautseins ergibt sich vor allem daraus, dass das Merkmal »anvertraut« das Wort Vertrauen enthält. Vertrauen bilden, Vertrauen schaffen, Vertrauen entgegenbringen können nur natürliche Personen. Eine juristi-sche Person kann nicht vertrauen. Sie kann auch nicht anvertrauen. Vertrauen ist personal gebunden. Es hat höchstpersönlichen Charakter. Es kann nicht auf eine ju-ristische Person übertragen werden. Wenn das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 Ziff. 3 StPO und damit auch die Verschwiegenheitspflicht des Berufsgeheimnisträgers auf personal gebundenem

28 Vgl. nur LRIDahs, § 53 Rn 71; Meyer-Goßner, § 53 Rn 46; Krause, FS Data, S. 349, 361.

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Die Nagelprobe für das Vertrauensverhältnis im Anwaltsmandat

Vertrauen beruht und damit höchstpersönlichen Charakter hat, so muss auch der actus contrarius - die Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht des Berufs-geheimnisträgers - personalen, höchstpersönlichen Bezug haben. Wenn demgemäß durch § 53 Abs. 1 Ziff. 3 StPO der Anvertrauende geschützt wird, so muss in Fällen, in denen dieser nicht mit dem Auftraggeber personenidentisch ist, auch der Anvertrauende über die Entbindung von der Verpflichtung zur Verschwie-genheit nach § 53 Abs. 2 S. 1 StPO entscheiden können.

2, Der Wille des historischen Gesetzgebers

Dem gemeinen Strafprozess des Mittelalters waren Zeugnisverweigerungsrechte fremd. Lediglich eine Zeugenaussage des Beichtvaters war im gemeinen Prozess ausgeschlossen. Im Übrigen waren nur untaugliche (» festes irritabiles«) oder unver-lässliche (»festes suspecti«) Zeugen von der Beweisaufnahme ausgenommen. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts regelten die partikularstaatlichen Strafprozessordnungen Beschränkungen der Aussagepflicht für Verteidiger, vereinzelt wurden auch Rechtsanwälte erwähnt.29 Teilweise wurde den erwähnten Berufsgruppen ein Zeug-nisverweigerungsrecht zugebilligt, zum Teil waren auch strikte Vernehmungsver-bote geregelt. Eine einheitliche Regelung findet sich erstmals im »Entwurf einer Deutschen Straf-prozessordnung« aus dem Jahr 1874, der in § 43 ein Zeugnisverweigerungsrecht für den »Verteidiger des Beschuldigten« und die »öffentlichen Anwälte« vorsah.30

Schon in den Motiven zu diesem Gesetzesentwurf wurde das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Klient und dessen grundlegende Bedeutung hervorgehoben. In den Motiven heißt es hierzu:31

»Der Entwurf hat aberferner geglaubt, das Recht zur Verweigerung des Zeugnisses auch allen öffentlichen Anwälten hinsichtlich dessen, was ihnen in dieser Eigenschaft anver-traut worden ist, gewähren zu sollen, ohne Unterschied, ob es sich bei der fraglichen Mittheilung um eine Strafsache oder um eine andere Rechtssache handelt. Denn zu dem Anwalt steht der Klient stets in einem Vertrauensverhältniß, welches auf den Schutz des Gesetzes Anspruch hat, und das Gesetz darf den Klienten nicht nöthigen, dem Anwalt ge-wisse Thatsachen wegen der Besorgniß zu verschweigen, daß deren Bekanntwerden eine Strafverfolgung veranlaßen könnte.«

Es ist bemerkenswert, dass schon der historische Gesetzgeber nicht auf das zivil-rechtliche Vertragsverhältnis zum Auftraggeber abstellte, sondern auf das Vertrau-ensverhältnis, das »auf den Schutz des Gesetzes Anspruch hat«. Demgemäß ist es

29 Vgl. hierzu den historischen Oberblick bei Huber-Lotterschmid, Verschwiegenheitspflichten, straf-prozessuale Zeugnisverweigerüngsrechte und Beschlagnahmeverbote bei rechts- und wirtschafts-beratenden Mandatsverhältnissen mit juristischen Personen, 2006, S. 22 ff.

30 Hahn, Die gesamten Materialien zu den Reichs-Jus-tizgesetzen, Dritter Band: Die gesamten Mate-rialien zur Strafprozessordnung und dem Einfuhrungsgesetz zu derselben v. 1.2.1877, S. 9.

31 Hahn, Materialien, S. 106 f.

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eben dieses Vertrauensverhältnis, das durch das Zeugnisverweigerungsrecht des Berufsgeheimnisträgers geschützt werden sollte. Der Gesetzgeber erkannte, dass sich der Klient seinem Anwalt nur dann rückhaltlos offenbaren würde, wenn das Vertrauensverhältnis gesetzlichen Schutz genießt. Der Klient sollte sich nicht zum Verschweigen gewisser Tatsachen durch die Besorgnis genötigt sehen, dass diese Tatsachen zu einem späteren Zeitpunkt ohne seine Zustimmung gegenüber Dritten offenbart werden.

3. Schutzrichtung des § 53 Abs. 1 Ziff. 3 St PO

Der primäre Normzweck der Vorschrift des § 53 Abs. 1 Ziff. 3 StPO besteht im Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Berufsgeheimnisträger und dem Ratsuchenden. Dieses Verhältnis soll nicht durch die Besorgnis belastet werden, dass der Berufsgeheimnisträger die ihm anvertrauten Sachverhalte ohne Zustim-mung seines Klienten gegenüber Dritten offenbaren könnte.32 Nur dann, wenn sich der Klient sicher sein kann, dass die mitzuteilenden Sachverhalte unter dem Schutz der Diskretion im Vertrauensverhältnis zu seinem Rechtsanwalt stehen, wird er sich frei, offen und rückhaltlos offenbaren. Im Schutz des Vertrauensverhältnisses zwi-schen Berufsgeheimnisträger und Anvertrauendem liegt somit die primäre Zweck-richtung der Vorschrift des § 53 Abs. 1 Ziff. 3 StPO. Mit dem Schutz des Vertrauensverhältnisses im konkreten Mandat wird zugleich auch die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege geschützt. Der Rechtsanwalt ist nach § 1 BRAO Organ der Rechtspflege. Die Angehörigen der rechts- und wirtschaftsbe-ratenden Berufe sollen durch ihr Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 Ziff. 3 StPO in die Lage versetzt werden, ihren Aufgaben im Interesse einer geordneten Rechtspflege nachzukommen. Sie werden ihre Funktion nicht oder nicht sachge-recht ausfüllen können, wenn Vertrauen und Diskretion im. Mandat nicht gewährlei-stet sind. Der Schutz des Vertrauens- und Kommunikationsverhältnisses im Mandat ist unverzichtbare Grundlage jeder Mandatstätigkeit des Rechtsanwalts und damit conditio sine qua non für die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege.33

Schließlich dient der Schutz des Vertrauensverhältnisses im Mandat dem Schutz des Grundrechts auf Berufsausübungsfreiheit des Berufsgeheimnisträgers nach Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG. Dieser Individualschutz des Berufsgeheimnisträgers ist gewisser-maßen die Kehrseite des institutionell ausgerichteten Schutzes der Funktionsfahig-keit der Rechtspflege. Der Berufsgeheimnisträger wird seine Funktion im Sinne sei-ner individuellen Berufsausübung nicht sachgerecht und effizient ausüben können, wenn das Vertrauens- und Kommunikationsverhältnis zu seinem Klienten nicht hin-

32 Vgl. nur tSJDahs, § 53 Rn 1; YK1 Senge, § 53 Rn 1; Meyer-Goßner, § 5 3 R n l ; Pfeiffer, § 53 Rn 1. 33 Vgl. hierzu auch Huber-Lotterschmid, Verschwiegenheitspflichten, strafprozessuale Zeugnisver-

weigerüngsrechte und Beschlagnahmeverbote bei rechts- und wirtschaftsberatenden Mandatsver-hältnissen mit juristischen Personen, 2006, S. 39.

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Die Nagelprobe für das Vertrauensverhältnis im Anwaltsmandat

reichend geschützt ist. Der Berufsgeheimnisträger wird sein Recht auf Ausübung seines Berufs nur dann nach seinen Vorstellungen ausfüllen können, wenn sich der Klient anvertraut, frei und rückhaltlos offenbart.34

Zusammenfassend dient die Vorschrift des § 53 Abs. 1 Ziff. 3 StPO dem Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Berufsgeheimnisträger und Anvertrauendem. Dieses Vertrauensverhältnis ermöglicht den Berufsgeheimnisträgem erst eine sach-gerechte und funktionsgemäße Berufsausübung, die auch im Interesse der Funkti-onsfahigkeit der Rechtspflege erforderlich ist.35

Um die Schutzzwecke des § 53 Abs. 1 Ziff. 3 StPO, in dessen Zentrum das Vertrau-ensverhältnis zwischen Berufsgeheimnisträger und Klient steht, zu gewährleisten und umzusetzen, ist es zwingend erforderlich, dass die Schutzwirkungen unabhän-gig vom Inhalt der anvertrauten oder bekannt gewordenen Tatsachen eintritt. Jede Abhängigkeit der Schutzwirkung von inhaltlichen Vorgaben der anvertrauten oder bekannt gewordenen Sachverhalte würde zwangsläufig zu einer Relativierung des Schutzes führen.36 So ist es für den Schutz des Vertrauensverhältnisses unerheblich, ob die mitgeteilten Sachverhalte von strafrechtlicher Relevanz sind oder nicht. Auch ist ohne Bedeutung, ob strafrechtlich relevante Tatsachen den Vorwurf einer Straftat zum Nachteil der Gesellschaft oder zum Nachteil dritter Personen begründen kön-nen. Femer kann es nicht darauf ankommen, ob die mitgeteilten Sachverhalte die wirtschaftlichen Angelegenheiten der Handelsgesellschaft betreffen oder nur die Person des sich anvertrauenden Organ Vertreters. Eine Abgrenzung nach Inhalt und möglichen Auswirkungen der mitgeteilten Sachverhalte wird in aller Regel gar nicht möglich sein. Schließlich kann es auch nicht darauf ankommen, ob der Berufsge-heimnisträger später in einem Strafprozess oder in einem Zivilprozess als Zeuge über die ihm anvertrauten Sachverhalte aussagen soll. Ob und nach welcher Verfah-rensordnung ein Verfahren eingeleitet wird, ist im Zeitpunkt der Konsultation des Bernf'sgeheimn i sfrägers nicht bekannt und oftmals auch nicht absehbar. Der Schutz des Vertrauensverhältnisses muss in gleicher Intensität und Verlässlichkeit unab-hängig davon bestehen, ob der Berufsgeheimnisträger später in einem Zivilprozess oder in einem Strafprozess als Zeuge aussagen soll. Der Rechtsuchende kennt die rechtlichen Auswirkungen der von ihm anvertrauten Sachverhalte im Zeitpunkt der Konsultation des Beraters typischerweise nicht. Gerade dies ist der Grand, warum er sich beraten lässt.

Der Rechtsuchende muss im Zeitpunkt der Konsultation sicher sein, dass die von ihm anvertrauten und mitgeteilten Sachverhalte diskret und vertraulich behandelt

34 Huber-Lotterschmid, Verschwiegenheitspflichten, strafprozessuale Zeugnisverweigerüngsrechte und Beschlagnahmeverbote bei rechts- und wirtschaftsberatenden Mandatsverhältnissen mit juristi-schen Personen, 2006, S. 37 f.

35 So auch Huber-Lotterschmid, Verschwiegenheitspflichten, strafprozessuale Zeugnisverweige-rungsrechte und Beschlagnahmeverbote bei rechts- und wirtschaftsberatenden Mandatsverhältnis-sen mit juristischen Personen, 2006, S. 41: »Dreiheit von Individual-, Sozial- und Berufsinteresse«.

36 Krause, FS Dahs, 2005, S. 349, 369.

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werden und nicht ohne Zustimmung des Ratsuchenden gegenüber Dritten preisge-geben werden. Eine Auffassung dahingehend, dass der Schutz des Vertrauensver-hältnisses je nach Inhalt der mitgeteilten Sachverhalte oder aber nach der Art des später eingeleiteten Verfahrens unterschiedlich ausfalle, führt zu einer fragwürdigen und nicht hinnchrnbaren Beeinträchtigung der Schutzzwecke der Norm des § 53 Abs. I Ziff. 3 StPO.

4. Verfassungsrechtl iche Grundlagen des geschützten Ver t rauensverhäl tnis-ses und verfassungskonforme Auslegung

a) BVerfG, Beschluss v. 19.07.1972 - 2 BvL 7/71, NJW 1972, 2214

Das Bundesverfassungsgericht hat erstmals im Jahre 1972 auf die grundrechtliche Tragweite des Vertrauensverhältnisses zwischen Klient und Berater im Rahmen der Vorschrift des § 53 Abs. 1 Ziff. 3 StPO hingewiesen. Dieses Vertrauensver-hältnis sei Grundlage für die erfolgreiche Berufstätigkeit des Berufsgeheimnisträ-gers. Durch die Vorschrift des § 53 Abs. 1 Ziff. 3 StPO sei diesem Schutz der Vor-rang gegenüber dem Interesse der Allgemeinheit an vollständiger Sachaufklärung im Strafverfahren eingeräumt worden. In der Entscheidung heißt es (auszugs-weise):37

» Vielfach ist es Teilseiner unabweisbaren Lebensbedürfnisse, Vertreter bestimmter Heil-und Beratungsberufe in Anspruch zu nehmen. Wirksame Hilfe kann er von ihnen zumeist nur erwarten, wenn er sich rückhaltlos offenbart und sie zu Mitwissern von Angelegen-heiten seines privaten Lebensbereiches macht. Andererseits hat er ein schutzwürdiges In-teresse daran, dass solche Tatsachen nicht zur Kenntnis Dritter gelangen. Die grundsätz-liche Wahrung dieses Geheimhaltungsinteresses ist notwendige Vorbedingung des Ver-trauens, das er um seiner selbst Willen aufbringen muss, und Grundlage für die erfolgrei-che Berufstätigkeit jener, von denen er Beistand benötigt. ... Soweit sich die Befugnis zur Aussageverweigerimg auf Tatsachen aus dem privaten Lebensbereich des Bürgers be-zieht, ist dem Schutz der Privatsphäre des einzelnen gegenüber dem Interesse der Allge-meinheit an vollständiger Sachaufklärung im Strafverfahren der Vorrang zuerkannt wor-den. Diese Abwägung trägt der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 i. Km. Art. 1 Abs. 1 GG hinreichend Rechnung.«

b) BVerfG, Beschluss v. 15.01.1975 - 2 BvR 65/74, NJW 1975, 588

Auch in seinem Beschluss vom 15.01.1975 hat das BVerfG festgestellt, dass die Leistungen der im Gesetz genannten Berufsgeheimnisträger in besonderem Maße davon abhängig seien, dass derjenige, der sie - als Klient oder Patient - in Anspruch nehme, die Möglichkeit habe, sich seinem Gegenüber »frei, offen und rückhaltlos anzuvertrauen, ohne befürchten zu müssen, dass Tatsachen oder Umstände, die der

37 BVerfG v. 19.7.1972 — 2 BvL 7/71, NJW 1972, 2214, 2215.

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Die Nagelprobe für das Vertrauensverhältnis im Anwaltsmandat

andere dadurch kraft seines Berufes erfahrt, offenbart werden könnten«.38 Deshalb wolle § 53 Abs. 1 Ziff. 3 StPÖ dieses Vertrauen auch gegenüber der - insoweit nachrangigen - strafprozessualen Wahrheitserforschung schützen.

c) BVerfG, Beschluss v. 27.10.2003 - 2 BvR 2211/00, NStZ-RR 2004, 83

Der Nichtannahmebeschluss der 3. Kammer des 2. Senats vom 27.10.2003 betraf die Beschlagnahme von Unterlagen, die einer Handelsgesellschaft einem Wirt-schaftsprüfungsunternehmen zur Sachverhaltsaufklärung übergeben hatte. In einem Ermittlungsverfahren gegen Vorstandsmitglieder der Handelsgesellschaft waren die Unterlagen beschlagnahmt worden, wogegen das Wirtschaftsprüfungsuntemehmen Verfassungsbeschwerde erhob. Die Kammer nahm die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an. Zur Be-gründung hob sie hervor, dass die Beziehung eines Nichtbeschuldigten zu einem Berufsgeheimnisträger nicht der Schutznorm des § 97 Abs. 1 StPO unterliege. Wenngleich die juristische Person nur durch ihre Organe handeln könne, sei nicht erkennbar, weswegen eine über den Wortlaut hinausreichende Auslegung der straf-prozessualen Bestimmungen von Verfassungs wegen geboten sein solle.39

Für das Verständnis dieser Entscheidung ist wesentlich, dass sich die Kammer mit der hier in Rede stehenden Frage der Berechtigung zu einer Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht nach § 53 Abs. 2 S. 1 StPO nicht befasste. Für die Ent-scheidung kam es lediglich darauf an, ob die bei der Wirtschaftsprüfungsgesell-schaft beschlagnahmten Unterlagen aus einer Beziehung zu den Beschuldigten des Verfahrens herrührte oder aus dem - nicht durch § 97 Abs. 1 StPO geschützten -Verhältnis zu einem Nichtbeschuldigten. Das Schriftum hat zu Recht daraufhinge-wiesen, dass Rückschlüsse aus dieser Entscheidung für die hier in Rede stehende Fragestellung der Entbindungsberechtigung nach § 53 Abs. 2 S. 1 StPO bei juristi-schen Personen nicht gezogen werden können.40

d) BVerfG, Urteil v. 30.03.2004 2 BvR 1520/01 und 2 BvR 1521/01, NJW2004, 1305 (»Geldwäsche«)

In seinem Urteil vom 30.03.2004 zur Strafbarkeit des Verteidigers wegen Geldwä-sche hat das BVerfG den verfassungsrechtlichen Rang des Vertrauensverhältnisses zwischen Rechtsanwalt und Mandant gemäß Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG hervorgehoben.

38 BVerfG v. 15.1.1975 - 2 BvR 65/74, NJW 1975, 588, 589. 39 BVerfG v. 27.10.2003 - 2 BvR 2211/00, NStZ-RR 2004, 83, 84. 40 Krause, FS Dahs, 2005, S. 349, 372; so auch Huber-Lotterschmid, Verschwiegenheitspflichten,

stratprozessuale Zeugnisverweigerungsrechte und Beschlagnahmeverbote bei rechts- und wirt-schaftsberatenden Mandateverhältnissen mit juristischen Personen, 2006, S. 72 ff mit Hinweis auch auf den Nichtannahmebeschluss der 2. Kammer des 1. Senats vom 13.9.1993, BVerfG NVwZ 1994, 54, der eine Beschlagnahmeanordnung in einer Rechtsanwaltskanzlei betraf.

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Es hat betont, dass die Verschwiegenheitspflicht zu den anwaltlichen Grundpflich-ten zähle und daher unter verfassungsrechtlichem Schutz stehe. Der 2. Senat des BVerfG hat hierzu ausgeführt:41

»Voraussetzung für die Erfüllung dieser Aufgabe ist ein Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant. Integrität und Zuverlässigkeit des einzelnen Berufsangehöri-gen sowie das Recht und die Pflicht zur Verschwiegenheit sind die Grundbedingungen dafür, dass dieses Vertrauen entstehen kann. Die Verschwiegenheitspflicht rechnet daher von jeher zu den anwaltlichen Grundpflichten. Als unverzichtbare Bedingung der anwalt-lichen Berufsausübung hat sie Teil am Schatz des Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG. Diesem Schutz dient eine Reihe gesetzlicher Vorschriften (vgl. § 203 Abs. 1 Z i f f . 3 StGB; f f 53 Abs. 1 Ziff. 3, 97 StPO), deren Ziel es ist, das Verhältnis zwischen Anwalt und Mandant gegen Störungen abzusichern.«

Diese Ausführungen lassen keinen Zweifel daran, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Klient verfassungsrechtlichen Rang genießt. Die Vorschrift des § 53 Abs. 1 Ziff. 3 StPO ist einfachgesetzliche Ausprägung dieser verfassungs-rechtlichen Wertentscheidung.

e) BVerfG, Beschluss v. 12.04.2005 - 2 BvR 1027/02, NJW2005, 1917

Desweiteren hat das BVerfG die grundrechtliche Bedeutung des Vertrauensverhält-nisses zwischen Rechtsanwalt und Klient in seinem Beschluss vom 12.04.2005 -Beschlagnahme von Datenträgern in einer Anwaltskanzlei - hervorgehoben. Es hat ausgeführt, dass Mandanten nicht durch Strafverfolgungsbehörden »an einer offe-nen, rückhaltlosen und vertrauensvollen Kommunikation mit ihren Verteidigern ge-hindert werden dürfen«.42 Auch wenn nach Auffassung des Senats die Vorschriften der §§ 53 Abs. 1 S. 1 Ziff. 3 ,97 Abs. 1 StPO keine »berufsregelnde Tendenz« bein-halten, so sei im Rahmen der Anwendung strafprozessualer Eingriffsermächtigun-gen das Ausmaß der - mittelbaren - Beeinträchtigung der beruflichen Tätigkeit zu berücksichtigen. Die objektiv-rechtliche Bedeutung der anwaltlichen Tätigkeit im Sinne einer »freien Advokatur« werde jedenfalls dann berührt, wenn wegen der Ge-fahr eines unbeschränkten Datenzugriffs »ein Mandatsverhältnis von Anfang an mit Unsicherheiten hinsichtlich seiner Vertraulichkeit belastet wird«. Mit dem Ausmaß potentieller Kenntnis staatlicher Organe von vertraulichen Äußerungen wachse die Gefahr, »dass sich auch Unverdächtige nicht mehr den Berufsgeheimnisträgem zur Durchsetzung ihrer Interessen anvertrauen«.43

41 BVerfG v. 30.3.2004-2 BvR 1520/01 und 2 BvR 1251/01, NJW 2004, 1305, 1307. 42 BVerfG v. 12.4.2005 - 2 BvR 1027/02, NJW 2005, 1917, 1919. 43 BVerfG v. 12.4.2005 - 2 BvR 1027/02, NJW 2005, 1917, 1919.

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f) Verfassungskonforme Auslegung des § 53 Abs. 1 Z i f f . 3, Abs. 2 StPO im Lichte der verfassungsrechtlichen Bedeutung des geschützten Vertrauensverhältnisses

Das Gebot der verfassungskonformen Auslegung eines Gesetzes beinhaltet - über die Erscheinungsform als normerhaltendes Prinzip hinaus dass die Rechtsfindung an den Wertentscheidungen der Verfassung zu orientieren ist. Einfaches Recht ist so auszulegen, dass verfassungsrechtliche und insbesondere grundrechtliche Wertent-scheidungen möglichst weitgehend zum Tragen kommen.44

Demgemäß ist die verfassungsrechtliche Verankerung und der grundrechtliche Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Berufsgeheimnisträger und Klient bei der Auslegung der Vorschriften der §§ 53 Abs. 1 Ziff. 3, Abs. 2 StPO zu berücksich-tigen. Eine Auslegung, die das verfassungsrechtlich geschützte Vertrauensverhält-nis schutzlos stellt, aufgibt oder auch nur relativiert, würde gegen das Gebot verfas-sungskonformer Auslegung verstoßen. Eine Auslegung des § 53 Abs. 2 StPO dahin-gehend, dass bei einem Wechsel des Vertretungsorgans in einer juristischen Person nicht mehr der Anvertrauende, sondern der neue Geschäftsführer bzw. der Insol-venzverwalter den Berufsgeheimnisträger von seiner Verschwiegenheitspflicht ent-bindet, würde aber zu einer erheblichen Relativierung des Vertrauensverhältnisses führen. Die verfassungsrechtliche Verankerung dieses Vertrauensverhältnisses ge-bietet eine Auslegung, die einer derartigen Relativierung entgegenwirkt. Nur dann, wenn der Anvertrauende selbst - zumindest auch - über die Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht des Berufsgeheimnisträgers entscheiden kann, bleibt das Vertrauensverhältnis geschützt und die verfassungsrechtliche Wertentscheidung ge-währleistet.

5. Auslegung des § 53 Abs, 1 Ziff. 3, Abs. 2 S tPO Im Lichte der berufsrecht-lichen Verschwiegenheitsverpflichtung des Rechtsanwalts

Rechtsanwälte sind nicht nur gemäß § 203 Abs. 1 Ziff. 3 StGB strafrechtlich, son-dern auch berufsrechtlich zur Verschwiegenheit verpflichtet. Nach § 43 a Abs. 2 S. 2 BRAO bezieht sich die Pflicht des Rechtsanwalts zur Verschwiegenheit auf alles, was ihm in Ausübung seines Berufs bekannt geworden ist. Eine inhaltsgleiche Regelung findet sich in § 2 der Berufsordnung.45

Während die Verschwiegenheitspflicht in den Vorschriften der §§ 43 a Abs. 2 BRAO, § 2 Berufsordnung nur kurz geregelt ist, finden sich in den Berufsregeln der Rechtsanwälte der Europäischen Union (CCBE) in Ziff. 2.3 ausführlichere Vorga-ben zum Berufsgeheimnis der europäischen Rechtsanwälte. Diese Vorgaben sind insbesondere unter zwei Gesichtspunkten bemerkenswert: Zum einen wird die be-

44 Vgl. nur Krey, Studien zum Gesetzesvorbehalt im Strafrecht. Eine Einführung in die Problematik des Analogieverbots, 1977, S. 69 f; ders., Keine Strafe ohne Gesetz, 1983, S. 127 m.w.N.

45 Berufsordnung der Bundesrechtsanwaltskammer in der Fassung vom 1.3.2006.

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sondere Bedeutung des Vertrauensverhältnisses zwischen Rechtsanwalt und Klient herausgestellt. Zum anderen wird hervorgehoben, dass das Berufsgeheimnis den be-sonderen Schutz durch den Staat verdient. Den staatlichen Behörden wird somit auf-erlegt, das Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Klient in besonderer Weise zu achten und zu respektieren. Ziff. 2.3 der Berufsregeln der Rechtsanwälte der Europäischen Union (CCBE) soll nachfolgend wörtlich zitiert werden:

»2.3. Berufsgeheimnis 2.3.1. Es gehört zum Wesen der Berufstätigkeit des Rechtsanwalts, dass sein Mandant ihm Geheimnisse anvertraut und er sonstige vertrauliche Mitteilungen erhält. Ist die Ver-traulichkeit nicht gewährleistet, kann kein Vertrauen entstehen. Aus diesem Grund ist das Berufsgeheimnis gleichzeitig ein Grundrecht und eine Grundpflicht des Rechtsanwalts von besonderer Bedeutung. Die Pflicht des Rechtsanwalts zur Wahrimg des Berufsge-heimnisses dient dem Interesse der Rechtspflege ebenso wie dem Interesse des Mandan-ten. Daher verdient sie besonderen Schutz durch den Staat. 2.3.2. Der Rechtsanwalt hat die Vertraulichkeit aller Informationen zu wahren, die ihm im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit bekannt werden. 2.3.3. Die Pflicht zur Wahrung des Berufsgeheimnisses ist zeitlich unbegrenzt. 2.3.4. Der Rechtsanwalt achtet auf die Wahrung der Vertraulichkeit durch seine Mitar-beiter und alle Personen, die bei seiner beruflichen Tätigkeit mitwirken.«

Es mag sein, dass diese Regelungen keine unmittelbare Bedeutung für die Ausle-gung der bundesrechtlichen Vorschriften der §§ 53 Abs. 1 Ziff. 3, Abs. 2 StPO ha-ben. Ungeachtet dessen machen die Berufsregeln aber deutlich, welche besondere Bedeutung das Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Klient für die Mandatstätigkeit hat. Die Berufsregeln bestätigen die wertsetzende Bedeutung die-ses Vertrauensverhältnisses für das Interesse des Mandanten an einer offenen, ver-traulichen und rückhaltlosen Kommunikation mit dem Berater, das Interesse des Berufsgeheimnisträgers an einer sachgerechten Berufsausübung und das Interesse der Rechtspflege an einer freien Advokatur. Dies sind die Grandwerte, an der die Auslegung der Vorschriften der §§ 53 Abs. 1 Ziff. 3, Abs. 2 StPO auszurichten sind.

6. Ergebnis und Folgerungen

a) Gemeinsame Berechtigung des vormaligen Organs und des aktuellen Organs bzw. des Insolvenzverwalters

Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, dass der vormalige Organvertreter der juristischen Person über die Frage der Entbindung von der Verschwiegenheits-pflicht des Berufsgeheimnisträgers zumindest mitzuentscheiden hat. Die Entbin-dungsbefugnis gilt unabhängig von der Art der dem Berufsgeheimnisträger anver-trauten Sachverhalte. Es ist unerheblich, ob diese Sachverhalte strafrechtlich rele-vant sind oder nicht, ob sie die wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens be-

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Die Nagelprobe für das Vertrauensverhältnis im Anwaltsmandat

treffen oder ausschließlich die persönlichen Interessen des anvertrauenden Or-gans. Wollte man die Entbindungsberechtigung von der inhaltlichen Qualität der anvertrauten Sachverhalte abhängig machen, so würde man das Vertrauensverhält-nis zwischen Berufsgeheimnisträger und Klient in fragwürdiger Weise relativie-ren. Zusätzlich ist für die Entbindung des Berufsgeheimnisträgers eine Entbindungser-klärung des aktuellen Vertretungsorgans bzw. in Insolvenzfällen des Insolvenzver-walters erforderlich. Typischerweise werden durch die anvertrauten Sachverhalte die Vermögensinteressen der juristischen Person zumindest mitberührt sein.46 Im Übrigen handelt es sich bei den anvertrauten Sachverhalten nach wie vor um Ge-schäftsgeheimnisse der juristischen Personen selbst. Dies ändert sich nicht allein da-durch, dass diese Geschäftsgeheimnisse dem Berufsgeheimnisträger durch ein Or-gan anvertraut worden sind, das inzwischen aus seiner Position ausgeschieden ist.47

b) Entbindungsberechtigung bei mehrköpfigen Organen

Bei mehrköpfigen Organen einer juristischen Person ist es für eine wirksame Ent-bindungserklärang nach § 53 Abs. 2 S. 1 StPO nicht erforderlich, dass alle Organ-vertreter der Entbindung zugestimmt haben. Der Schutzzweck des § 53 Abs. 1 Ziff. 3 StPO - Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Berufsgeheimnisträger und Klient - fordert lediglich eine Entbindungserklärung der Organvertreter, die in das Vertrauensverhältnis tatsächlich einbezogen waren, mithin dem Berufsgeheimnis-träger auch selbst Tatsachen »anvertraut« haben.48

Problematisch können die Fälle sein, in denen nicht alle Organmitglieder, die in das Vertrauensverhältnis einbezogen waren, eine Entbindungserklärung abgeben. Kann der Berufsgeheimnisträger zum Vernehmungsgegenstand aussagen, ohne die ihm von dem die Entbindung verweigernden Organ übermittelten Informationen preis-zugeben, so trifft den Berufsgeheimnisträger insoweit eine Aussagepflicht.49 Dies kann aber nur gelten, wenn die Sachverhalte hinreichend sicher voneinander abzu-grenzen sind. Betrifft die Informationsübermittlung des die Entbindung verweigern-den Organvertreters einen sachlich nicht separierbaren Sachverhaltskomplex des zugrunde liegenden Mandatsauftrags, so ist der Berufsgeheimnisträger zur vollum-fänglichen Zeugnisverweigerung berechtigt und verpflichtet.50

46 So Dahs, FS Kleinknecht, 1985, S. 63, 75. 47 So Krause, FS Dahs, 2005, S. 349, 375 48 Krause, FS Dahs, 2005. S. 349, 377. 49 Krause, FS Dahs, 2005, S. 349, 377 f. 50 So Krause, FS Dahs, 2005, S. 349, 378.

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Alfred Dierlamm

c) Exkurs: Das zivilprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht nach § 383 Abs. 1 Z i f f . 6 ZPO

Nach § 383 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO sind Personen zur Verweigerung des Zeugnisses be-rechtigt, denen kraft ihres Amtes, Standes oder Gewerbes Tatsachen anvertraut sind, deren Geheimhaltung durch ihre Natur oder durch gesetzliche Vorschrift ge-boten ist, in Betreff der Tatsachen, auf welche die Verpflichtung zur Verschwie-genheit sich bezieht. Nach § 385 Abs. 2 ZPO dürfen diese Personen das Zeugnis nicht verweigern, wenn sie von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden sind. Die herrschende Meinung im Zivilprozessrecht unterscheidet für die Entbindungs-befugnis nach § 385 Abs. 2 ZPO zwischen vermögensrechtlichen und höchstpersön-lichen Interessen. Dem Insolvenzverwalter steht die alleinige Entbindungsbefugnis zu, sofern sich die Schweigepflicht auf die vermögensrechtliche Sphäre der Insol-venzschuldnerin bezieht, der Zeuge also über Tatsachen vernommen werden soll, die für die Insolvenzmasse von Bedeutung sind und die die Ausübung der Verfü-gungs- und Verwaltungsbefugnisse des Insolvenzverwalters nach § 80 Abs. 1 InsO beeinflussen. Nur wenn das vormalige Organ ein selbständiges schutzwürdiges In-teresse an der Verschwiegenheit des Berufsgeheimnisträgers hat, was beispiels-weise dann angenommen wird, wenn der Berufsgeheimnisträger neben der juristi-schen Person auch das Organ persönlich beraten hat, wird eine zusätzliche Entbin-dungsbefugnis des Organs anerkannt.51

Im Rahmen dieses Beitrags ist eine eingehende und abschließende Stellungnahme zur Reichweite des zivilprozessualen Zeugnisverweigerungsrechts nach § 383 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO nicht möglich. Dennoch kann eine Stellungnahme nicht unterbleiben. Ein unterschiedlich ausgestalteter und intensiver Schutz des Vertrauensverhältnis-ses je nach dem, ob der betreffende Beru f'sgeheimni sträger als Zeuge in einem Straf-verfahren oder in einem zivilprozessualen Verfahren aussagen soll, kann zu einer bedenklichen Relativierung des Schutzes dieses Vertrauensverhältnisses fuhren, die auch Auswirkungen auf die Auslegung und Anwendung der Vorschrift des § 53 Abs. 1 Ziff. 3, Abs. 2 StPO haben kann. Zunächst ist nochmals darauf hinzuweisen, dass sich der Klient seinem Berater im Zeitpunkt der Konsultation offen, vertraulich und rückhaltlos anvertrauen können muss. Dies geschieht zu einer Zeit, in der oftmals noch gar nicht absehbar ist, ob überhaupt ein Verfahren anhängig sein wird und, wenn ja, ob es sich um ein Zivil-verfahren oder um ein Strafverfahren handeln wird. Der Klient vertraut auf den Schutz und die Diskretion der anvertrauten Tatsachen. Muss der Klient im Zeitpunkt der Konsultation damit rechnen, dass Sachverhalte, die - zumindest auch - die wirtschaftlichen Interessen der Gesellschaft betreffen, im

51 Vgl. nur BGH v. 30.11.1989 - III ZR 112/88. NJW 1990, 510, 512; UKJDamrau, § 385 ZPO Rn 7; Stein /Jonas, § 385 ZPO Rn 23, 25.

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Die Nagelprobe für das Vertrauensverhältnis im Anwaltsmandat

Falle einer zivilprozessualen Zeugenaussage des Berufsgeheimnisträgers ohne seine Zustimmung offenbart werden, so ist die Vertraulichkeit und Diskretion des Kom-munikationsverhältnisses faktisch aufgehoben. Ein »Anvertrauen«, wie es das Ge-setz vorsieht, ist praktisch ausgeschlossen, denn der Klient wird immer damit rech-nen müssen, dass der Berufsgeheimnisträger ohne seine Zustimmung in einem Zi-vilverfahren zeugenschaftlich aussagen muss. Das verfassungsrechtlich geschützte Vertrauensverhältnis findet unter solchen Vorgaben nicht mehr statt. Dies hat auch Auswirkungen auf das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 Ziff. 3 StPO. Denn wenn im Zivilprozess eine Zeugenaussage des Berufsgeheimnisträgers ohne Entbindungserklärung des vormaligen, anvertrauen-den Organs möglich wäre, so wäre zu besorgen, dass die Zeugenaussage im Zivil-prozess durch Vernehmung der Verhörsperson und/oder Verlesung des Verneh-mungsprotokolls in den Strafprozess eingeführt wird, obwohl dem Berufsgeheim-nisträger nach strafprozessualen Grundsätzen ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 Ziff. 3 StPO zusteht. Dies würde zu einer Umgehung des strafprozessua-len Schutzes des Vertrauensverhältnisses fuhren. Eine solche Umgehung kann nur damit verhindert werden, dass der Schutz des Vertrauensverhältnisses im Zivilpro-zess und im Strafprozess gleich ausgestaltet ist. Relativierungen in einer der beiden Verfahrensordnungen lassen Umgehungen befürchten und führen zur Entwertung des Vertrauensverhältnisses insgesamt.

Schon in den Materialien zum Entwurf einer Deutschen Strafprozessordnimg aus dem Jahre 1874 wurde hervorgehoben, dass das Zeugnisverweigerungsrecht unab-hängig davon Bestand haben muss, ob es sich um eine Strafsache oder um eine an-dere Rechtssache handelt. Wörtlich heißt es in den Materialien:52

»Der Entwurf hat aberferner geglaubt, das Recht zur Verweigerung des Zeugnisses auch allen öffentlichen Anwälten hinsichtlich dessen, was ihnen in dieser Eigenschaft anver-traut worden ist, gewähren zu sollen, ohne Unterschied, ob es sich bei der fraglichen Mittheilung um eine Strafsache oder um eine andere Rechtssache handelt« (Hervor-hebungen hinzugefügt)

Das Zeugnisverweigerungsrecht kann nur dann seine besondere Schutzwirkung ent-falten, wenn das Vertrauensverhältnis sowohl im Zivilprozess als auch im Strafpro-zess mit gleicher Intensität gewährleistet ist. Für den Fall eines Wechsels des Ver-tretungsorgans in einer juristischen Person bedeutet dies, dass auch im Zivilprozess - entgegen der herrschenden Meinung - eine Entbindung von der Verschwiegen-heitspflicht nur durch die aktuelle Geschäftsführung bzw. den Insolvenzverwalter gemeinsam mit dem vormaligen, in das Vertrauensverhältnis zu den Berufsgeheim-nisträger einbezogenen Organ erklärt werden kann.

52 Hahn, Die gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, 3. Bd.: Die gesamten Materialien zur Strafprozessordnung und dem Einfuhrungsgesetz zu derselben vom 1. Februar 1877, S. 106 zu §43.

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Alfred Dierlamm

Nun mag man den Überlegungen, das jeder anwaltlichen Berufstätigkeit zugrunde liegende Vertrauensverhältnis unter besonderen Schutz zu stellen, entgegenhalten, dass der Berufsgeheimnisträger außerprozessual dem Insolvenzverwalter als Ver-treter der Handelsgesellschaft zivilvertraglich zur Auskunft verpflichtet ist. Kommt er dieser - zweifellos bestehenden - Vertragspflicht, die auch nach Been-digung des Mandats fortbesteht, nach, so könnte der Insolvenzverwalter über diese Informationen verfugen, unter Umständen auch gegen die Interessen des vorma-ligen Organs. Die Problematik ist im Schrifttum bislang nicht beschrieben worden. Zur Vermei-dung einer Umgehung des Schutzes des Vertrauensverhältnisses zwischen Berufs-geheimnisträger und Organvertreter bestehen zwei Möglichkeiten: Entweder ist zu fordern, dass der ehemalige Organvertreter, soweit er dem Berufs-geheimnisträger die relevanten Sachverhalte anvertraut hat, eine Erklärung über die Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht erteilt. Erst dann ist der Berufsge-heimnisträger berechtigt, aber auch verpflichtet, dem Insolvenzverwalter den Inhalt der anvertrauten Tatsachen mitzuteilen. Es ist kein Grund ersichtlich, warum das Vertrauensverhältnis außerhalb eines Zivil- oder Strafprozesses weniger schutzwür-dig sein soll. Der Ratsuchende muss sich im Zeitpunkt der Konsultation des Beraters darauf verlassen können, dass der Berufsgeheimnisträger auch außerprozessual ohne seine Zustimmung keine Tatsachen, die er ihm offenbart hat, an Dritte weiter-gibt. Das Erfordernis einer zusätzlichen Entbindungserklärung des vormaligen Or-gans muss auch gegenüber der juristischen Person selbst bzw. dem Insolvenzver-walter bestehen. Dies gilt unabhängig davon, ob das Mandat des Berufsgeheimnis-trägers bereits beendet ist oder noch andauert. Eine noch bestehende Vertragsbezie-hung zur juristischen Person gibt dem Berufsgeheimnisträger keine Legitimation, dem Insolvenzverwalter ohne Zustimmung des vormaligen Organs über Sachver-halte Auskunft zu erteilen, die ihm der Organvertreter vor seinem Ausscheiden an-vertraut hat.

Wollte man dem vormaligen Organvertreter keine Entbindungsberechtigung für eine außerprozessuale Weitergabe von Informationen an die juristische Person bzw. den Insolvenzverwalter zugestehen, so könnte das Vertrauensverhältnis zwischen Berufsgeheimnisträger und vormaligem Organ durch eine analoge Anwendung des in § 97 Abs. 1 S. 3 InsO normierten Verwertungsverbots geschützt werden. Die In-teressenlage erscheint vergleichbar. Eine Selbstbelastung des Organs durch Ertei-lung von Auskünften soll vermieden werden, ohne dass der Insolvenzverwalter auf die Erteilung der Informationen verzichten müsste.

V, Zusammenfassung

Nach § 53 Abs. 1 Ziff. 3 St PO dürfen Rechtsanwälte das Zeugnis über das verwei-gern, was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut worden oder bekanntgeworden ist.

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Die Nagelprobe für das Vertrauensverhältnis im Anwaltsmandat

Das Zeugnisverweigerungsrecht entfallt, wenn sie gemäß § 53 Abs. 2 S. 1 StPO von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden sind. Die Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht hat der zu erklären, zu dessen Gunsten diese Pflicht ge-setzlich begründet ist. Sind mehrere geschützt, so muss jeder von ihnen eine Entbin-dungserklärung abgeben. Die Vorschrift des § 53 Abs. 1 Ziff. 3 StPO bezweckt den Schutz des Vertrauensver-hältnisses zwischen dem Berufsgeheimnisträger und dem Ratsuchenden. Dieses Vertrauensverhältnis soll nicht durch die Besorgnis belastet werden, dass der Be-rufsgeheimnisträger die ihm anvertrauten Sachverhalte ohne Zustimmung des An-vertrauenden gegenüber Dritten offenbaren könnte. Nur dann, wenn sich der Anver-trauende sicher sein kann, dass die mitzuteilenden Sachverhalte durch den Rechts-anwalt diskret und vertraulich behandelt werden, wird er sich frei, offen und rück-haltlos mitteilen. Das Vertrauensverhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und dem Ratsuchenden ist unverzichtbare Grundvoraussetzung jeder anwaltlichen Mandats-tätigkeit. Es hat verfassungsrechtlichen Rang. In Fällen eines Geschäfts fuhrerwechsels oder einer Insolvenz bei einer juristischen Person entscheidet der vormalige Organvertreter über die Entbindung von der Ver-schwiegenheitspflicht, wenn und soweit er in das Vertrauensverhältnis zu dem für die juristische Person tätigen Berufsgeheimnisträger einbezogen war. Zusätzlich ist für die Entbindung des Berufsgeheimnisträgers eine Entbindungserklärang des aktuellen Vertretungsorgans bzw. in Insolvenzfallen des Insolvenzverwalters erfor-derlich. Die Entbindungsbefugnis des vormaligen Organvertreters gilt unabhängig von der inhaltlichen Qualität der dem Berufsgeheimnisträger anvertrauten Sachverhalte. Es ist unerheblich, ob diese Sachverhalte strafrechtlich relevant sind oder nicht, ob sie die wirtschaftlichen Interessen der juristischen Person betreffen oder ausschließlich die persönlichen Belange des anvertrauenden Organvertreters. Das Zeugnisverweigerungsrecht kann seine besondere Schutzwirkung nur dann ent-falten, wenn das Vertrauensverhältnis sowohl im Strafprozess als auch im Zivilpro-zess mit gleicher Intensität gewährleistet ist. Relativierungen der Schutz Wirkung in einer der beiden Verfahrensordnungen lassen Umgehungen befürchten und fuhren zur Entwertung des Vertrauensverhältnisses insgesamt. Für den Fall eines Wechsels des Vertretungsorgans in einer juristischen Person hat dies zur Folge, dass auch im. Zivilprozess eine Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht nur durch die aktu-elle Geschäftsführung bzw. den Insolvenzverwalter gemeinsam mit dem vormali-gen Organvertreter erklärt werden kann. Das Erfordernis einer Entbindungserklä-rung des vormaligen Organs gilt auch für außerprozessuale Auskünfte des Berufs-geheimnisträgers gegenüber der juristischen Person bzw. gegenüber dem Insolvenz-verwalter.

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