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AStA Wirtsch Sozialstat Arch (2013) 7:31–69DOI 10.1007/s11943-013-0127-0
O R I G I NA LV E RÖ F F E N T L I C H U N G
Arbeitszeit und Arbeitsvolumen in Deutschland –Methodische Grundlagen und Ergebnisseder Arbeitszeitrechnung
Susanne Wanger
Eingegangen: 7. Februar 2013 / Angenommen: 28. Februar 2013 / Online publiziert: 20. März 2013© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013
Zusammenfassung Um die gesamtwirtschaftliche Arbeitsmarktentwicklung inDeutschland umfassend darstellen und analysieren zu können, reicht der Blick aufdie Erwerbstätigenzahlen allein nicht aus. Vielmehr ist eine genaue periodenbezo-gene Berechnung des Arbeitsvolumens als Produkt aus Erwerbstätigenzahlen unddurchschnittlicher Arbeitszeit je Erwerbstätigen erforderlich. Wichtige Basis für dieAnalyse von Arbeitszeitentwicklungen und deren Ursachen ist die Arbeitszeitrech-nung (AZR) des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. In ihr fließen tarifli-che Veränderungen, konjunkturelle Entwicklungen sowie institutionelle Faktoren mitdem Wandel der Beschäftigtenstruktur zusammen und ergeben ein differenziertesBild von Umfang, Struktur und Entwicklung der Jahresarbeitszeit der Erwerbstäti-gen. Die Ergebnisse bieten außerdem eine Grundlage für die arbeitsmarktpolitischeBewertung aktueller Entwicklungen sowie für die Abschätzung von Perspektiven amArbeitsmarkt.
Schlüsselwörter IAB-Arbeitszeitrechnung · Arbeitszeit · Arbeitsvolumen ·Komponentenrechnung
JEL Klassifikationen C82 · E01 · J2
Hours worked and volume of work in Germany—methodology fundamentalsand results of the working time measurement concept
Abstract To present and analyze the aggregated development of the labor marketcomprehensively, it is not sufficient to look at the figures of employment. In fact, itis necessary to calculate the volume of work relating to specific periods as a product
S. Wanger (�)Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Regensburger Str. 104, 90478 Nürnberg,Deutschlande-mail: [email protected]
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from employment figures and working hours. The IAB working time measurementconcept (AZR) forms the basis for the analysis of the developments of working hoursand their causes. In the AZR changes in collective agreements and economic trendsflow together with shifts in employment structures, producing a differentiated pictureof the scope, structure and development of the annual working time of gainfully em-ployed persons. The results of the AZR offer a suitable basis for the evaluation oflabor market developments and further perspectives.
Keywords IAB working time measurement concept · Hours worked · Volume ofwork · Components
1 Einleitung
Auf Basis der Ergebnisse der Arbeitszeitrechnung (AZR) des Instituts für Arbeits-markt- und Berufsforschung (IAB) konnten wichtige Gründe für die robuste Entwick-lung des Arbeitsmarktes in der Finanz- und Wirtschaftskrise des Jahres 2009 analy-siert werden. Es wurde gezeigt, dass flexible Arbeitszeiten die Folgen der Finanz- undWirtschaftskrise in Deutschland zum großen Teil abgefedert haben (vgl. Fuchs et al.2010b; Möller 2009; Möller und Walwei 2009). Es wurden Überstunden abgebautund Arbeitszeitkonten geräumt, in hohem Maße Kurzarbeit praktiziert und teilweisedie Arbeitszeit im Rahmen geltender Tarifverträge oder betrieblicher Bündnisse tem-porär verkürzt. Während in der Krise – wegen hoher Betroffenheit des verarbeitendenGewerbes – Vollzeitbeschäftigungen in großer Zahl abgebaut wurden, stieg die Teil-zeitbeschäftigung weiter an. Insgesamt ging die durchschnittliche Jahresarbeitszeitder Arbeitnehmer 2009 um 41,3 Stunden zurück, während die Zahl der Beschäftigtennahezu konstant blieb. Zu den Arbeitszeitverkürzungen haben die Kurzarbeit mit 32Prozent beigetragen, der Abbau von Überstunden und Arbeitszeitkonten mit 36 Pro-zent sowie krisenbedingte Verkürzungen der tariflichen Arbeitszeit und zunehmendeTeilzeitarbeit mit 43 Prozent, andere Komponenten haben die Arbeitszeit etwas ver-längert.
Dies veranschaulicht, dass ein Blick auf die Erwerbstätigenzahlen alleine nichtausreicht, um die gesamtwirtschaftliche Arbeitsmarktentwicklung in Deutschlandumfassend darzustellen und zu analysieren. Denn sie geben keine Auskunft überden tatsächlichen Arbeitseinsatz der Erwerbstätigen. Aber nicht nur die Länge derArbeitszeit auch die Ursachen für ihre Veränderungen müssen in eine Betrachtungmit einbezogen werden, denn in weiten Bereichen der Arbeitszeitgestaltung vollziehtsich ein tiefgreifender Wandel. Die Arbeitszeiten werden immer flexibler. An dieStelle bezahlter Überstunden treten zunehmend Guthaben auf Arbeitszeitkonten, diein Freizeit ausgeglichen werden können. Die Teilzeitbeschäftigung breitet sich immermehr aus und immer häufiger sind unregelmäßige Arbeitszeiten und Nebenbeschäfti-gungen anzutreffen. Ein umfassendes Monitoring der Bestimmungsfaktoren von Ar-beitszeit und Arbeitsvolumen – wie dies in der AZR geschieht – ist deshalb notwen-dige Voraussetzung für adäquate Arbeitsmarktanalysen, insbesondere auch mit Blickauf Produktivitätsanalysen. In diesem Beitrag möchten wir zunächst das methodischeKonzept der AZR vorstellen und die Datengrundlagen sowie die Vorgehensweise bei
Arbeitszeit und Arbeitsvolumen in Deutschland – Methodische Grundlagen 33
der Berechnung der einzelnen Komponenten erläutern. Daran schließt sich ein Ab-schnitt mit den wichtigsten Ergebnissen der AZR für das Zeitfenster 1991 bis 2009an. Mit einem kurzen Ausblick über geplante Änderungen und anstehende Heraus-forderungen schließt dieser Beitrag.
2 Methodische Grundlagen der Arbeitszeitrechnung
2.1 Komponentenrechnung
Das IAB entwickelte bereits 1969 einen differenzierten Ansatz zur Berechnung dereffektiv geleisteten Jahresarbeitszeiten sowie des Arbeitsvolumens der Erwerbstä-tigen (Reyher und Kohler 1986; Kohler und Reyher 1988; Bach und Koch 2002;Wanger 2003). Dies geschah insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Arbeits-zeitberichterstattung lange Jahre sehr unbefriedigend war und nur statistische Bruch-stücke unterschiedlicher Qualität zur Verfügung standen und teilweise immer nochDefizite bestehen. Im Laufe der Jahre hatten Änderungen in der Arbeitsmarktpoli-tik, die zunehmende Flexibilisierung der Arbeitszeit, aber auch Verbesserungen inder statistischen Datenlage immer wieder konzeptionelle Weiterentwicklungen die-ser AZR zur Folge (vgl. Bach 2001; Koch 2001). Sie wurde wesentlich verfeinertund vertieft und der veränderten Arbeitszeitwirklichkeit entsprechend angepasst. DieAZR ist inzwischen zu einem wichtigen Teil der Grundlagen der nationalen und in-ternationalen empirischen Wirtschaftsforschung geworden. So gehen die aggregier-ten Ergebnisse seit 1996 in die vierteljährliche Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung(VGR) des Statistischen Bundesamtes (Destatis) ein und sind damit Teil der Datenlie-ferungen der Bundesrepublik Deutschland an das Statistische Amt der EuropäischenUnion (EUROSTAT).
Die Ermittlung des Arbeitsvolumens i.R. der AZR, d.h. der in der Gesamtwirt-schaft in Deutschland im Durchschnitt geleisteten Arbeitsstunden, basiert konzeptio-nell auf einer differenzierten Komponentenrechnung.1 Dabei werden Kalendereffek-te, tarifliche Vorgaben, konjunkturelle Einflüsse sowie personenbezogene und sonsti-ge Komponenten berücksichtigt (vgl. Abb. 1). Dieses Vorgehen ermöglicht, Beitragund Bedeutung zahlreicher Einzelentwicklungen in einer Gesamtentwicklung – alsoz.B. der jährlichen Veränderung der durchschnittlichen Jahresarbeitszeit – aufzuzei-gen. Einzelne verlängernde bzw. verkürzende Faktoren können somit einer getrenn-ten Analyse unterzogen werden, in ihrer Wirkung isoliert betrachtet und ihr Einflussbestimmt werden. Dieses umfassende Berechnungskonzept trägt maßgeblich dazubei, das gesamtwirtschaftliche beziehungsweise sektorale Arbeitsvolumen möglichstgenau darzustellen.
1Die Erhebung und Messung von Jahresarbeitszeiten kann über unterschiedliche Konzepte erfolgen. Soberechnet Carley (2010) auf Basis tariflicher Vereinbarungen für alle EU-Staaten eine tarifliche Jahresar-beitszeit. Auch auf Basis von direkten Befragungen und Erhebungen (Labour-Force-Survey, Verdienster-hebungen, gesetzliche Unfallversicherung etc.) gibt es Berechnungen zu Arbeitsvolumina, allerdings sinddie Ergebnisse jeweils auf bestimmte Personengruppen oder Betriebe eingeschränkt. Zudem können dieverschiedenen Komponenten der Arbeitszeit nicht einzeln in ihrer Wirkung dargestellt werden.
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Abb. 1 Komponenten der Arbeitszeitrechnung
Die Daten für die einzelnen Komponenten können nicht alleine einer Quelle ent-nommen werden. Die Informationen müssen aus vielen unterschiedlichen zur Verfü-gung stehenden amtlichen Statistiken und Erhebungen gewonnen werden. Insgesamtfließen über 20 Statistiken in die AZR ein (vgl. Tab. 1 und Tab. 5), um alle Berei-che mit ausreichend Informationen abdecken zu können. Da sich diese in Herkunft,Periodizität, Erhebungsart und Abdeckungsgrad unterscheiden, muss dies innerhalbdes Berechnungskonzepts berücksichtigt werden. Für einige Komponenten müssenhilfsweise Indikatoren oder Schätzungen zur Quantifizierung herangezogen werden.Der Vorteil der indirekten Messung über die Komponentenmethode liegt zweifelsoh-ne darin, dass der Beitrag der einzelnen Komponenten zum Gesamtergebnis – auchin Bezug auf Veränderungen – quantifiziert werden kann. Wichtig für die in die AZReingehenden Datenquellen ist, dass diese zum einen kurzzeitig nach dem Erhebungs-stichtag vorliegen und zum anderen, dass es sich um Statistiken mit einer regelmä-ßigen Periodizität und einer zeitlichen Kontinuität handelt. Dies lässt sich allerdingsnicht für alle benötigten Ausgangsdaten bewerkstelligen, z.T. fallen Datenquellen imZeitablauf nur unregelmäßig an bzw. liegen erst mit erheblichem zeitlichen Nach-lauf vor. Daher steigen die Fundierung und damit die Genauigkeit der Ergebnisse mitzunehmendem zeitlichem Abstand zur jeweiligen Berichtsperiode.
Insgesamt liegen aus der AZR seit dem Jahr 1970 zusammenhängende Zeitrei-hen zur Entwicklung der Arbeitszeit und ihrer Komponenten vor. Die AZR ist sokonzipiert, dass sie zum einen die unterschiedlichen Datenwünsche im Hinblick aufPeriodizität, Wirtschaftszweige, Region oder Stellung im Beruf in einem in sich kon-sistenten System erfüllt. So werden die Arbeitszeiten der Erwerbstätigen getrennt fürbeschäftigte Arbeitnehmer sowie für Selbständige und mithelfende Familienangehö-rige ermittelt. Bei den Arbeitnehmern wird in allen Komponenten der AZR – außerfür Nebenbeschäftigungen – eine Unterteilung nach Vollzeit und Teilzeit vorgenom-men.
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Tab. 1 Die wichtigsten Datenquellen der Arbeitszeitrechnung
Arbeitszeit-komponente Datenquelle
Beschäftigte Arbeitnehmer Erwerbstätigenrechnung (Statistisches Bundesamt – Destatis)
Teilzeitkomponente Erwerbstätigenrechnung (Destatis)
Beschäftigtenstatistik (Bundesagentur für Arbeit – BA)
Personalstandstatistik (Destatis)
Mikrozensus (Destatis)
Wochenarbeitszeit Tariflohnstatistik (Destatis)
Tarifarchiv des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts derHans-Böckler-Stiftung (WSI-Tarifarchiv)
Betriebspanel (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung – IAB)
Mikrozensus (Destatis)
Urlaub Mikrozensus (Destatis)
WSI-Tarifarchiv
Beherbergungsstatistik (Destatis)
Krankenstand Statistik zur gesetzlichen Krankenversicherung (Bundesministeriumfür Gesundheit – BMG)
Gesundheitsreports (Betriebskrankenkassen – BKK)
Überstunden ifo-Konjunkturtest (Institut für Wirtschaftsforschung – ifo)
Erhebung des gesamtwirtschaftlichen Stellenangebots (IAB)
Verdiensterhebung im produzierenden Gewerbe (Destatis)
Kurzarbeit Kurzarbeiterstatistik (BA)
Streik Streikstatistik (BA)
Arbeitszeitkonten Betriebspanel (IAB)
Diverse Arbeitszeiterhebungen (Institut für die Erforschung sozialerChancen – ISO, Sozialforschungsstelle Dortmund – sfs)
Nebenbeschäftigungen Beschäftigtenstatistik (BA)
Mikrozensus (Destatis)
Selbständige und Mithelfende Erwerbstätigenrechnung (Destatis)
Mikrozensus (Destatis)
Die AZR ist eine Quartalsrechnung, sie wird für fast alle Komponenten der Ar-beitszeit „bottom-up“ durchgeführt, d.h. Ausgangspunkt für die Berechnungen sinddie wirtschaftszweigspezifischen Statistiken für die einzelnen Komponenten. Die-ser bottom-up-Ansatz stellt zwar hohe Ansprüche bezüglich der wirtschaftszweig-spezifischen Verfügbarkeit von Arbeitszeitdaten, eröffnet der sektoralen Strukturfor-schung aber größere Möglichkeiten und hat damit eine höhere Erklärungsgüte alstop-down-Ansätze, die wirtschaftszweigspezifische Besonderheiten vernachlässigen.Jedoch liegen nicht immer für alle Komponenten der Arbeitszeit hinreichend geglie-derte Ergebnisse nach allen Wirtschaftsbereichen vor. In solchen Fällen wird auf dietop-down-Methode zurückgegriffen, und das gesamtwirtschaftliche Aggregat mittelsgeeigneter Schlüsselstatistiken auf die Wirtschaftszweige verteilt (z.B. bei den Kom-ponenten Arbeitszeitkonten und Krankenstand). Die Rechentiefe stützt sich bis Sep-tember 2011 auf die sogenannte A17-Gliederung nach der Klassifikation der Wirt-
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Tab. 2 Überblick über die Berechnungstiefe der Arbeitszeitrechnung
Arbeitszeit und Arbeitsvolumen nach
Stellung im Beruf Erwerbstätige
Beschäftigte Arbeitnehmer (Vollzeit, Teilzeit)
Selbständige und Mithelfende Familienangehörige
Wirtschaftszweigen Nach 17 Wirtschaftszweigen (Quartale)
Nach 31 Wirtschaftszweigen (Jahre)
Region Deutschland
Westdeutschland
Ostdeutschland (einschl. Berlin)
„Subsysteme“ Nach Geschlecht
Nach 9 Altersgruppen
Zeitreihen 1970 bis 1990 (für Früheres Bundesgebiet)
1991 bis aktueller Rand
schaftszweige, Ausgabe 2003 (WZ 2003) (vgl. Tab. 6). Allerdings muss für die Be-rechnung bestimmter Komponenten tiefer gegliedert herangegangen werden. Auchbedarf es in vielen Fällen der Umschlüsselung auf die aktuell gültige Wirtschafts-zweigsystematik der VGR (vgl. Greulich 2009).2 Außerdem wird regional zwischenWest- und Ostdeutschland unterschieden. Zusätzlich gibt es ein „Subsystem“, in demdie Arbeitszeit nach Geschlecht und Altersgruppen differenziert ermittelt wird (vgl.Wanger 2006, 2011). Tabelle 2 gibt einen Überblick über die Berechnungstiefe derAZR.
Die Ergebnisse der AZR werden in unterschiedlichen Medien regelmäßig der Öf-fentlichkeit zugänglich gemacht. Umfangreiche Quartals- und Jahresergebnisse zuden einzelnen Komponenten der AZR werden in Pressemitteilungen auf den Inter-netseiten des IAB veröffentlicht. Die Ergebnisse der AZR sind auch wichtige Grund-lagen für Analysen und Projektionen der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, denndie Erwerbstätigenzahl spiegelt nur einen Teil der Arbeitsnachfrage wider. Aus die-sem Grund finden sich Ergebnisse und Schätzungen zu Arbeitszeit und Arbeitsvolu-men außerdem in den Kurzfristprojektionen des IAB zum Arbeitsmarkt, die zweimaljährlich als Kurzbericht erscheinen (vgl. Fuchs et al. 2010a, 2010b). Die Daten undResultate der AZR sind aber auch wichtig für die Analysen anderer wissenschaftli-cher Institute und Universitäten sowie für die Arbeit von Gewerkschaften, Ministeri-en und sonstigen Organisationen, die regelmäßig Zeitreihen aus der AZR zur Verfü-gung gestellt bekommen.
2Während z.B. die Bundesagentur für Arbeit ihre Statistiken seit Januar 2009 nur noch nach der Klassi-fikation der Wirtschaftszweige, Ausgabe 2008 (WZ 2008) ausweist, wird in der VGR die WZ 2008 erstmit der anstehenden „Großen Revision“ im Jahr 2011 (Einführung der NACE Rev. 2) eingeführt, so dasszwischenzeitlich auf die WZ 2003 rückgeschlüsselt werden muss.
Arbeitszeit und Arbeitsvolumen in Deutschland – Methodische Grundlagen 37
2.2 Einbindung in die VGR
Neben den Analysen zu einzelnen Komponenten der Arbeitszeit ist das Endergeb-nis der AZR – das geleistete Arbeitsvolumen in Deutschland – auch eine wichtigewirtschafts- und sozialpolitische Größe, die in der VGR benötigt wird um z.B. Pro-duktivitäten zu berechnen. Aufgrund der Einbindung der AZR in die VGR gehenregelmäßig sektorspezifische Angaben zu Arbeitszeit und geleisteten Arbeitsstundenin die VGR ein. Außerdem sind die im „Europäischen System der Volkswirtschaftli-chen Gesamtrechnungen (ESVG) 1995“ verbindlich festgelegten Konzepte und De-finitionen maßgeblich.3 Hier werden auf europäischer Ebene für alle Mitgliedsstaa-ten neben Definitionen, Konzepten und Abgrenzungen, auch Klassifikationen sowieder Zeitpunkt und die Häufigkeit der Lieferung von VGR-Ergebnissen geregelt. DasESVG 1995 hat als Verordnung der Europäischen Union Gesetzescharakter und istdaher für alle Mitgliedsstaaten verbindlich. Somit ist sichergestellt, dass europaweitharmonisierte Ergebnisse für politische und wirtschaftliche Entscheidungen zur Ver-fügung stehen (vgl. Luh 2008).
Wichtige Bezugsgrößen, die aus der VGR in die AZR einfließen sind zum einendie Erwerbstätigenrechnung (vgl. Fritsch und Lüken 2004) sowie das in der Entste-hungsrechnung von Destatis erstellte Bruttoinlandsprodukt (BIP) (vgl. Mai 2010),um auf Größen wie die Stundenproduktivität schließen zu können. In der Erwerbs-tätigenrechnung wird die Zahl der Erwerbstätigen auf Basis aller zum Berechnungs-zeitpunkt verfügbaren erwerbsstatistischen Quellen gewonnen. Aktuell fließen rund45 auf unterschiedlichen Berichtswegen gewonnene Statistiken ein. Zu den Erwerbs-tätigen zählen demnach alle Personen, die als Arbeitnehmer4 oder als Selbständigebeziehungsweise als unbezahlt mithelfende Familienangehörige eine auf wirtschaftli-chen Erwerb gerichtete Tätigkeit ausüben. Der zeitliche Umfang der Tätigkeit spieltdabei für die Zuordnung zu den Erwerbstätigen keine Rolle. Personen mit mehre-ren Beschäftigungsverhältnissen werden nur einmal mit ihrer zeitlich überwiegendenErwerbstätigkeit erfasst (Personenkonzept). Die Erwerbstätigen in der AZR entspre-chen dem Inlandskonzept bzw. Arbeitsortkonzept um die Konsistenz mit anderen Ag-gregaten der VGR zu gewährleisten. Das bedeutet, dass die im Inland geleistete Ar-beitszeit der Einpendler mit einbezogen wird, die außerhalb Deutschlands geleisteteArbeitszeit der Auspendler bleibt hingegen unberücksichtigt.
Diese Definition der Erwerbstätigkeit steht im vollen Einklang mit den Empfeh-lungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Diese sehen das sogenannteLabour-Force-Konzept als Standard für die Klassifizierung der Bevölkerung nach ih-rer Beteiligung am Erwerbsleben in international vergleichbaren Erwerbs- und Ar-beitsmarktstatistiken vor. Auch für die Erfassung von Arbeitsstunden gibt es Emp-fehlungen der ILO,5 die für die AZR übernommen wurden. Die hier ausgewiesenen
3Verordnung (EG) Nr. 2223/96 des Rates vom 25. Juni 1996 zum Europäischen System Volkswirtschaft-licher Gesamtrechnungen auf nationaler und regionaler Ebene in der Europäischen Gemeinschaft [Vgl.http://europa.eu/legislation_summaries/budget/l34005_de.htm]4Zu den beschäftigten Arbeitnehmern in der VGR zählen Arbeiter und Angestellte, marginal Beschäftigtesowie Beamte. Nach den in der Erwerbstätigenrechnung der VGR verwendeten Definitionen werden nebenden Soldaten auch die Zivildienstleistenden – anders als z.B. im Mikrozensus – den Beamten zugeordnet.5Laut den Empfehlungen der ILO sollten die geleisteten Arbeitsstunden folgendes umfassen: Die wäh-rend der normalen Arbeitsdauer tatsächlich geleisteten Stunden; die außerhalb der normalen Arbeitsdauer
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Arbeitsstunden entsprechen letztlich der Schnittmenge aus geleisteten und bezahltenArbeitsstunden in Deutschland.
Durch die Einbindung der AZR in die VGR müssen regelmäßig die Datenständeausgetauscht werden. Dies geschieht in einem partnerschaftlichen Zusammenspielzwischen dem IAB, dem Statistischen Bundesamt sowie dem Arbeitskreis Erwerbs-tätigenrechnung des Bundes und der Länder.6 Der erste Liefertermin der Ergebnis-se zum Arbeitsvolumen an Destatis liegt 30 Tage nach Ende des Berichtsquartals.Zu diesem Termin stehen noch nicht alle notwendigen Basisdaten zur Verfügung.Deshalb werden zunächst Ergebnisse auf den bis dahin verfügbaren Datengrundla-gen berechnet und zum Teil durch Schätzungen und Fortschreibungen ergänzt. Die-se vorläufigen Ergebnisse werden dann kontinuierlich in verschiedenen Lieferungenaktualisiert, indem sukzessive die jeweils neu verfügbaren statistischen Basisdatenin die Berechnungen eingehen. Dabei treten zwischen den verschiedenen Berech-nungsständen Abweichungen in unterschiedlicher Ausprägung auf. Dies trifft nichtnur auf die Arbeitszeitdaten, sondern auch auf die Daten der Erwerbstätigenrech-nung zu, die ebenfalls in mehreren Zeitabständen dem jeweiligen Erkenntnisstandangepasst werden (Fritsch 2006). Da die Erwerbstätigenzahlen der VGR eine wich-tige Berechnungsgrundlage für die geleisteten Arbeitsstunden bilden, hat eine Än-derung der Erwerbstätigenzahlen auch unmittelbare Auswirkungen auf die Zahl derArbeitsstunden. Diese regelmäßigen Revisionen im Hinblick auf datenbedingte odermethodische Änderungen führen dazu, dass aktuelle Zeitreihen regelmäßig von frü-heren Veröffentlichungen abweichen.7 Die wirtschaftszweigspezifischen Ergebnissezu den geleisteten Arbeitsstunden werden zusammen mit den Erwerbstätigenzahlenund dem BIP in den entsprechenden Fachserien der VGR8 online publiziert. Diese
zusätzlich geleisteten Stunden; die Zeit, die am Arbeitsplatz bestimmten Arbeiten wie Vorbereitungen desArbeitsplatzes, Reparatur- und Wartungsarbeiten, Vorbereitung und Reinigung der Werkzeuge und Aus-stellung von Empfangsbescheinigungen, Arbeitsvorgangskarten und Anfertigung von Berichten gewidmetwird; die am Arbeitsplatz zum Beispiel wegen gelegentlichen Arbeitsmangels, Stillstand von Maschinenoder Unfällen verbrachten Ausfallzeiten sowie die Zeit der am Arbeitsplatz verbrachten kurzen Ruhe-pausen, einschließlich der Arbeitspausen zum Einnehmen von Erfrischungen. Nicht zu den geleistetenArbeitsstunden hingegen zählen die bezahlten, aber nicht geleisteten Stunden, wie bezahlter Jahresurlaub,bezahlte Feiertage, bezahlte Krankheitstage, die Pausen für das Einnehmen von Mahlzeiten und die Zeit fürdie Fahrt von der Wohnung zum Arbeitsplatz und zurück. (Vgl. Resolution concerning the measurementof working time Adopted by the Eighteenth International Conference of Labour Statisticians (November–December 2008). http://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/—dgreports/—integration/—stat/documents/normativeinstrument/wcms_112455.pdf). Ab 2014 müssen laut ESVG und nach den Empfehlungen derILO auch die unbezahlten Überstunden erfasst werden. Diese sind bisher nicht im IAB-Konzept berück-sichtigt.6Dem Arbeitskreis „Erwerbstätigenrechnung des Bundes und der Länder“ (AK ETR) gehören die Statisti-schen Ämter der Länder, das Statistische Bundesamt sowie der Deutsche Städtetag an. Der AK ETR hat dieAufgabe, die durchschnittliche Zahl der Erwerbstätigen sowie deren geleistete Arbeitsstunden in einem be-stimmten Berichtszeitraum für die Länder sowie für die kreisfreien Städte und Landkreise nach wirtschaft-licher Gliederung zu berechnen und zu veröffentlichen (http://www.hsl.de/erwerbstaetigenrechnung/).7Die wichtigsten Liefertermine finden 45, 60 und 75 Tage nach Quartals- bzw. Jahresende statt. Außerdemkönnen jährlich im August nochmals Änderungen für die vergangenen vier Jahre vorgenommen werden.8Vgl. Fachserie 18, Reihe 1.4 Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, Inlandsproduktsberechnung– Detaillierte Jahresergebnisse/Fachserie 18, Reihe 1.2 Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, In-landsproduktsberechnung Vierteljahresergebnisse/Fachserie 18, Reihe 1.3 Inlandsproduktsberechnung
Arbeitszeit und Arbeitsvolumen in Deutschland – Methodische Grundlagen 39
Zeitreihen können auch über die Genesis-Datenbank9 von Destatis abgerufen wer-den.
3 Die einzelnen Komponenten der AZR
3.1 Personenkomponente
Grundlage um die durchschnittliche tatsächliche Arbeitszeit und das gesamtwirt-schaftliche Arbeitsvolumen zu ermitteln, sind die Angaben zu den Erwerbstätigen,gegliedert nach ihrer Stellung im Beruf und dem Wirtschaftszweig. Die Quartals-und Jahreswerte hierzu stammen aus der Erwerbstätigenrechnung der VGR. Ausge-hend von den Ergebnissen für Deutschland werden regionale jahresdurchschnittlicheErwerbstätigenzahlen nach Bundesländern von den Statistischen Landesämtern imArbeitskreis „Erwerbstätigenrechnung des Bundes und der Länder“ berechnet, aufder Basis dieser regionalen Daten erfolgt die Differenzierung der Beschäftigten nachWest- und Ostdeutschland in der AZR.
Ebenso wie die regionale Untergliederung ist die Unterteilung der beschäftigtenArbeitnehmer in Vollzeit und Teilzeit elementarer Bestandteil der AZR. Zu den Teil-zeitbeschäftigten zählen in der AZR die ausschließlich geringfügig sowie die kurz-fristig Beschäftigten10 einschließlich der Personen mit Arbeitsgelegenheiten (soge-nannte „Ein-Euro-Jobs“), die regulär teilzeitbeschäftigten Sozialversicherungspflich-tigen sowie die teilzeitbeschäftigten Beamten. Für die Berechnung der Vollzeit- bzw.Teilzeitquote in den IAB-Berechnungen wird eine Kombinatorik aus verschiedenenStatistiken herangezogen. Zugrunde gelegt wird die Beschäftigtenstatistik der Bun-desagentur für Arbeit (BA), die regelmäßige Meldungen der Arbeitgeber zu ihrensozialversicherungspflichtig Beschäftigten an die Sozialversicherungsträger enthält.Die Unterscheidung, ob eine Vollzeit- oder Teilzeitbeschäftigung vorliegt trifft derArbeitgeber. Teilzeit liegt demnach vor, wenn die Arbeitszeit aufgrund eines Arbeits-vertrages unter der betrieblichen Arbeitszeit liegt. Die geringfügig Beschäftigten ein-schließlich kurzfristig Beschäftigter und Ein-Euro-Jobs stammen aus der Erwerbstäti-genrechnung von Destatis.11 Angaben zu den voll- und teilzeitbeschäftigten Beamtenkönnen der Personalstandstatistik von Destatis entnommen werden.12
Saisonbereinigte Vierteljahresergebnisse nach Census X-12-ARIMA und BV4.1, erhältlich überhttps://www.destatis.de.9Ergebnisse können auf der Datenbank Genesis Online https://www-genesis.destatis.de/genesis/online ab-gerufen werden (Pfad: Datenangebot – Tabellen – Code-Auswahl *81000* „VGR des Bundes“).10Eine kurzfristige Beschäftigung liegt vor, wenn die Beschäftigung von vornherein auf nicht mehr alszwei Monate oder 50 Arbeitstage (auch kalenderjahrüberschreitend) befristet ist.11Diese drei Gruppen (ausschließlich geringfügig Beschäftigte, kurzfristig Beschäftigte und Beschäftigtein Arbeitsgelegenheiten sog. „1-Euro-Jobs“) werden in der Erwerbstätigenrechnung unter den „marginalBeschäftigten“ zusammengefasst. Dies sind Personen, die als Arbeiter und Angestellte keine voll sozi-alversicherungspflichtige Beschäftigung ausüben, jedoch nach dem Labour-Force-Konzept der ILO alsErwerbstätige gelten, wenn sie in einem einwöchigen Berichtszeitraum wenigstens eine Stunde gegenEntgelt gearbeitet haben (vgl. Fachserie 18, Reihe 1.4. Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, Inlands-produktsberechnung – Detaillierte Jahresergebnisse, Kap. 3.1.2).12Die in der AZR ausgewiesene Teilzeitquote (Anteil der Teilzeitbeschäftigten an allen beschäftigten Ar-beitnehmern, 2009: 34,6 %) differiert deutlich von der Teilzeitquote des Mikrozensus (2009: 25,5 %).
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Weiterhin müssen Personen gesondert ausgewiesen werden, die zwar weiterhin inder Statistik als Beschäftigte geführt werden, aber eine Arbeitszeit von null Stun-den aufweisen. Dies betrifft Personen in Elternzeit und in der Freistellungsphaseder Altersteilzeit, wenn das Blockmodell vereinbart wurde (Wanger 2009). Durchden Abzug dieser Personengruppen, die nicht zur gesamtwirtschaftlichen Produk-tion beitragen, wird eine Überschätzung des gesamtwirtschaftlichen Arbeitsvolu-mens vermieden. So werden vormals sozialversicherungspflichtig beschäftigte Per-sonen, die Elternzeit in Anspruch nehmen, weiterhin als Beschäftigte gezählt, auchwenn sie eine Arbeitszeit von null Stunden aufweisen. Als statistische Basis zurBerechnung ihrer Zahl dienen hier zum einen Daten des Bundesministeriums fürFamilie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) sowie Erhebungen von Desta-tis. Auch Personen, die sich in der Freistellungsphase der Altersteilzeit befinden,werden statistisch weiterhin als Beschäftigte gezählt. Angaben zu Altersteilzeitbe-schäftigten sowie dem jeweils gewählten Arbeitszeitmodell finden sich in Statistikender BA.
3.2 Arbeitstage
Ausgangspunkt für die Berechnung der Arbeitszeit bei den beschäftigten Arbeitneh-mern ist die Anzahl der potenziellen Arbeitstage. Hier wird grundsätzlich von einer5-Tage-Woche ausgegangen, da diese für Vollzeitbeschäftigte in den meisten Bran-chen der Regelfall ist. Bei Arbeitszeiten an Samstagen, Sonntagen oder Feiertagen,die nicht auf ein Wochenende fallen, wird unterstellt, dass ein Ausgleich an anderenTagen erfolgt. Die Zahl der potenziellen Arbeitstage ergibt sich somit aus den Ka-lendertagen abzüglich Samstage, Sonntage und Feiertage. Feiertage werden, soweitsie nicht für das ganze Bundesgebiet gelten, mit den auf Bundeslandebene sozial-versicherungspflichtig Beschäftigten zu Durchschnitten gewichtet.13 Auch die unter-schiedliche Anzahl von jährlichen Arbeitstagen hat Einfluss auf die Jahresarbeitszeit.Der Arbeitstageeffekt, der in der AZR ausgewiesen wird, gibt den Effekt einer unter-schiedlichen Zahl von potenziellen jährlichen Arbeitstagen auf die tarifliche Jahres-arbeitszeit wieder. Er gibt an, um wie viel Prozent sich die tarifliche Arbeitszeit imVergleich zum Vorjahr aufgrund einer Zu- oder Abnahme der potenziellen Arbeitsta-ge ändert.
Dies liegt zum einen daran, dass der Mikrozensus die Zahl der geringfügig Beschäftigten deutlich zuunterschätzen scheint (Köhne-Finster und Lingnau 2008). Diese Vermutung bestätigt auch die Statistikder ausschließlich geringfügig Beschäftigten der Bundesagentur für Arbeit. Auch das Erhebungskonzeptdifferiert, im Mikrozensus werden die Befragten zwar aufgrund einer Selbsteinstufung den Teilzeit- bzw.Vollzeitbeschäftigten zugeteilt, ab einer Stundengrenze von 32 Stunden wird jedoch automatisch eine Voll-zeittätigkeit angenommen.13Die Ergebnisse der Arbeitstageberechnungen stimmen weitestgehend mit den veröffentlichten Arbeits-tagen des Statistischen Bundesamtes (Fachserie 8, Reihe 1.3) überein. Lediglich für die Tage 24.12. und31.12. gehen wir von unterschiedlichen Gewichtungen aus. Während bei Destatis diese Tage als volleFeiertage eingehen (wenn sie auf Montag bis Freitag fallen), berücksichtigen wir sie in der AZR dannjeweils nur als halben Arbeitstag, da Auswertungen auf Basis des WSI-Tarifarchivs ergeben haben, das imDurchschnitt jeweils nur ein halber Tag gearbeitet werden muss.
Arbeitszeit und Arbeitsvolumen in Deutschland – Methodische Grundlagen 41
3.3 Wochenarbeitszeit
Von den konjunkturunabhängigen Komponenten der AZR ist die tarifliche bzw. be-triebsübliche Arbeitszeit die einflussreichste. Sie spiegelt vorrangig die langfristi-ge Arbeitszeitentwicklung wieder. Aus amtlicher Quelle ist die tarifliche Arbeitszeitdurch Tariflohnstatistiken von Destatis (vgl. Bick 2009) belegt. Lücken hinsichtlichdes primären und tertiären Sektors der Wirtschaft werden durch Informationen ausdem Tarifarchiv des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung (WSI) abgedeckt. Angesichts der zahlreichen arbeitszeitbezogenenÖffnungsklauseln und Flexi-Bestimmungen, die in vielen Branchen tarifvertraglichvereinbart wurden, ist die tarifliche bzw. betriebliche Arbeitszeit insbesondere alsReferenzgröße für eine bestimmte Periode anzusehen. Denn die tatsächliche Inan-spruchnahme dieser zahlreichen betrieblichen Abweichungen lässt sich statistischnicht abdecken und belegen.
Diese Angaben decken allerdings nur die Wochenarbeitszeiten in tarifgebunde-nen Unternehmen ab. Ergebnisse des IAB-Betriebspanels zeigen, dass Unterneh-men ohne Tarifbindung eine höhere durchschnittliche Wochenarbeitszeit vereinbarenals tarifgebundene und dass die Niveauunterschiede über die Zeit stabil sind (Köl-ling und Lehmann 2001). Deshalb bestimmen wir auf Basis der Daten des IAB-Betriebspanels wirtschaftszweigspezifische Korrekturfaktoren, die diese Niveauun-terschiede berücksichtigen. Die Informationen zur Höhe der Tarifbindung in den ein-zelnen Branchen entnehmen wir ebenfalls dem IAB-Betriebspanel (Vgl. Ellgut undKohaut 2010).
Für die durchschnittliche Wochenarbeitszeit der Teilzeitbeschäftigten werden dieGrundinformationen aus dem Mikrozensus gewonnen. Anhand von wirtschafts-zweigspezifischen Sonderauswertungen durch Destatis ermitteln wir das Verhält-nis der durchschnittlichen Stundenzahl der regulär Teilzeitbeschäftigten sowie dergeringfügig Beschäftigten zur Stundenzahl der Vollzeitbeschäftigten. Diese Anteilewerden an die tarifliche bzw. betriebsübliche Wochenarbeitszeit der Vollzeitbeschäf-tigten angelegt. Die durchschnittliche Stundenzahl von Personen in Arbeitsgelegen-heiten lässt sich einer BA-Statistik entnehmen.
3.4 Urlaubstage
Der Mindestanspruch auf bezahlten Erholungsurlaub beträgt laut Bundesurlaubsge-setz 20 Arbeitstage, ausgehend von einer 5-Tage-Woche. Jedoch sehen viele Tarifver-träge und Einzelverträge günstigere Regelungen vor. Das Tarifarchiv des WSI weistden tariflichen Jahresurlaub der Beschäftigten – nach Grund- und Endurlaub – aus.In den Tarifverträgen kann zunächst für die Arbeitnehmer ein Grundurlaub festgelegtsein, der sich in einer oder mehreren Stufen zum Endurlaub steigert. Voraussetzungenfür die Steigerung können das Lebensalter, die Betriebszugehörigkeit, die Tarifgruppeetc. sein. Die Angaben des WSI zu dem durchschnittlichen sektorspezifischen Grund-und Endurlaub werden im Verhältnis 30 : 70 gewichtet, auf diese Beziehung weisenErgebnisse zu Betriebszugehörigkeitsdauern (Rhein 2010) sowie zur Altersstrukturder Beschäftigten in Deutschland hin.
Die Verteilung auf die Quartale erfolgt anhand der Beherbergungsstatistik vonDestatis. Hier werden monatlich Zahlen zu den Übernachtungen von Inländern in
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Beherbergungsstätten veröffentlicht, aus denen Quartalsverteilungen berechnet wer-den. Ebenfalls berücksichtigt werden in dieser Komponente zusätzliche freie Tage inbestimmten Wirtschaftszweigen, die ebenfalls im Tarifarchiv des WSI ausgewiesenwerden. Auch Mutterschutzzeiten werden in dieser Komponente subsumiert. Aus-gehend von der Zahl der Geburten wird über das Verhältnis Arbeitnehmerinnen zuweiblicher Bevölkerung (jeweils im Alter 20 bis 35) auf die Zahl der Geburten bei Ar-beitnehmerinnen geschlossen. Über die Schutzfristen von sechs Wochen vor und achtWochen nach der Geburt kann das entsprechende Ausfallvolumen ermittelt werden.Weiterhin werden noch eine Anzahl weiterer Sondereffekte an Urlaub bzw. urlaubs-ähnlichen Ausfallzeiten berücksichtigt. Das können z.B. Zusatzurlaub bei schwe-rer oder gesundheitsgefährdender Arbeit, Ferien bei Lehrern oder Zusatzurlaub beiSchwerbeschädigten sein. Überschlägige Rechnungen lassen hierfür im Durchschnittaller Arbeitnehmer auf eine Größenordnung von einem Tag im Jahr schließen.
3.5 Bezahlte Überstunden
Zu den konjunkturell beeinflussten Komponenten zählen insbesondere die bezahl-ten Überstunden, die Unternehmen dazu nutzen, kurz- oder mittelfristige Nachfra-geschwankungen, wie sie saisonal oder konjunkturell bedingt entstehen können, ab-zufedern. Die AZR berücksichtigt nur die definitiv bezahlten Überstunden.14 Zwarsind diese statistisch nicht so gut belegt, wie es wünschenswert wäre, dennoch lässtdie Zusammenführung unterschiedlicher Quellen eine Analyse der Überstundenent-wicklung zu (Zapf 2012). Als Quellen für die Ermittlung der bezahlten Überstundendienen Angaben der vierteljährlichen Verdiensterhebungen von Destatis, Ergebnis-se aus dem ifo-Konjunkturtest sowie die Erhebung des gesamtwirtschaftlichen Stel-lenangebots (EGS) des IAB. Die Zeitreihe zu den bezahlten Überstunden im verar-beitenden Gewerbe aus den Verdiensterhebungen wurde Ende 2006 eingestellt. An-hand einer Regressionsfunktion, in die Daten des ifo-Konjunkturtest zu Überstunden-Meldungen, eine Trendvariable sowie Saison-Dummys eingehen, schätzen wir dieseÜberstunden-Zeitreihe fort (vgl. Tab. 7 Erklärungen im Anhang). Künftig sollen Er-gebnisse aus dem Mikrozensus, der ab 2008 Fragen zu bezahlten Überstunden ent-hält, stärker bei der Schätzung dieser Komponente eingebunden werden.
Branchenspezifische Unterschiede in der Überstundenarbeit werden über die EGSerfasst, die Ergebnisse sind in wirtschaftsfachlicher Sicht flächendeckend. Da erhe-bungsbedingt teils auch unbezahlte Überstunden enthalten ein dürften, werden dieErgebnisse mittels eines Faktors, der den Unterschied der Ergebnisse im verarbei-tenden Gewerbe aus EGS und fortgeschriebener Zeitreihe der Verdiensterhebung ab-bildet, gekürzt. Außerdem muss bei den Überstunden berücksichtigt werden, dassbestimmte Arbeitnehmergruppen (geringfügig Beschäftigte, Auszubildende und Per-sonen mit Null-Stunden) keine Überstunden leisten.
14Überstunden sind die über die regelmäßige oder betriebsübliche Arbeitszeit hinaus geleisteten Arbeits-stunden (Mehrarbeit). Das IAB unterscheidet dabei zwischen transitorischen Überstunden, bei denen einZeitausgleich stattfindet und definitiven Überstunden, die entgeltlich aber auch unentgeltlich geleistet wer-den (vgl. Bach und Spitznagel 1999).
Arbeitszeit und Arbeitsvolumen in Deutschland – Methodische Grundlagen 43
3.6 Kurzarbeit
Spiegelbildlich zu den bezahlten Überstunden, die eine Anpassung der Arbeitszeitnach oben ermöglichen, führt die Nutzung von Kurzarbeit zu einer vorübergehen-den Minderung der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit. Mittels Kurzarbeit sollen Un-ternehmen bei einer vorübergehenden schlechten Auftragslage durch eine Reduk-tion der Personalkosten entlastet werden (vgl. Bach und Spitznagel 2009). In dieAZR werden die von der BA veröffentlichten Kurzarbeiterzahlen15 übernommen.Seit der Neuregelung der Kurzarbeit 2007 werden unter dieser Komponente ne-ben konjunkturellen Ausfällen (Konjunktur-Kurzarbeitergeld) auch saisonale Aus-fälle (Saison-Kurzarbeitergeld) sowie dauerhafter Arbeitsausfall bei Umstrukturie-rungen (Transfer-Kurzarbeitergeld) erfasst. Der durchschnittliche Arbeitsausfall jeKurzarbeiter wird aus den in der BA-Statistik ausgewiesenen Ausfallgruppen ermit-telt, dazu wird bei der Berechnung von der jeweiligen Klassenmitte ausgegangen.Außerdem muss berücksichtigt werden, dass nur versicherungspflichtig BeschäftigteKurzarbeitergeld erhalten. Wir unterstellen, dass sich der Arbeitsausfall je Kurzar-beiter in Prozent der betriebsüblichen Arbeitszeit von Voll- und Teilzeitbeschäftigtennicht unterscheidet.
3.7 Arbeitszeitkonten
Auch Instrumente, die eine flexible Gestaltung der Arbeitszeit ermöglichen, werdenin der AZR berücksichtigt. Dies geschieht unter der Komponente „Arbeitszeitkon-teneffekte“, in der verschiedene Möglichkeiten, die Regelarbeitszeit über Zeitkontenzu über- oder unterschreiten, zusammengefasst sind. Während aber für die bezahltenÜberstunden noch Daten aus Erhebungen vorliegen, existieren zur Analyse diesertransitorischen Überstunden bzw. des Auf- und Abbaus von Arbeitszeitkonten kaumempirische Angaben (Zapf 2012). Diese schlechte Datenlage zwingt deshalb zu ei-ner Schätzung dieser Effekte aus dem vorhandenen Datenmaterial. Dabei ist es fürdie AZR nicht erforderlich, die genauen Zeitbestände auf den Arbeitszeitkonten zukennen, sondern eine Schätzung der Veränderung der Salden auf den Arbeitszeit-konten genügt. Denn die Konstanz dieses Saldos bedeutet, dass genau die tariflichebzw. betriebsübliche Arbeitszeit geleistet wurde, die in der AZR bereits enthalten ist.Grundsätzlich ist zu vermuten, dass auf die Veränderungen bei den transitorischenÜberstunden ganz ähnliche Einflussgrößen wirken, wie auf die Veränderungen beiden geleisteten bezahlten Überstunden. Deshalb wird unterstellt, dass der Auf- undAbbau von Arbeitszeitkonten etwa durch die gleichen Bestimmungsgründe determi-niert werden, wie die Schwankung der bezahlten Überstunden um einen bestimmten,im Wesentlichen aus permanenten Überstunden bestehenden Trend. Zur Identifizie-rung dieser Schwankungen wurden für West- und Ostdeutschland getrennte Regressi-onsschätzungen durchgeführt. Diese haben gezeigt, dass sich als wichtigste Einfluss-größen für die bezahlten Überstunden saisonale und konjunkturelle Schwankungen
15Bis März 2010 wurde die Statistik über Kurzarbeit von Betrieben und Kurzarbeitern aus den Angaben inden Betriebsmeldungen erstellt, die Betriebe ausfüllen mussten. Aus Entlastungsgründen für die Betriebewurde dieses Verfahren eingestellt und die Statistik künftig auf Basis der ohnehin erforderlichen Abrech-nungslisten, die den Anträgen auf Kurzarbeitergeld beizufügen sind, erstellt. Die neuen Ergebnisse sinddurchweg als valider anzusehen (vgl. Klamroth 2010).
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herausstellten, dass sie aber auch z.B. kalenderbedingte Arbeitstageschwankungenund krankheitsbedingte Ausfallzeiten ausgleichen. Eine ausführliche Darstellung so-wie die Ergebnisse dieser Schätzungen finden sich in Bach et al. (2002) sowie Koch(2001).
Bei der Frage nach dem Größenverhältnis zwischen bezahlten und transitori-schen Überstunden kann auf Arbeitszeitbefragungen (vgl. Tab. 5) zurückgegriffenwerden, aus denen die Relation der wöchentlich bezahlten zu den transitorischenÜberstunden im Zeitverlauf hervorgeht. Dieses Verhältnis hat sich in den vergan-genen Jahren deutlich zugunsten der transitorischen Überstunden verschoben, die-se haben also deutlich an Bedeutung gewonnen. Es wurde zudem unterstellt, dassdieses Verhältnis auch für den Fall gilt, dass Überstunden abgebaut werden. AufBasis dieser Angaben lässt sich der Auf- bzw. Abbau der Arbeitszeitkontensaldenüber die Zeit schätzen. Zusätzlich muss beachtet werden, dass Arbeitszeitkontenin den einzelnen Wirtschaftszweigen sehr unterschiedlich verbreitet sind, und ih-re Bedeutung branchenspezifisch variiert. Dieser unterschiedlichen Verbreitung inden einzelnen Wirtschaftszweigen wird durch die Einführung eines Gewichtungsfak-tors Rechnung getragen. Dieser beruht auf Ergebnissen aus dem IAB-Betriebspanelzu den Anteilen von Arbeitszeitkontenbesitzern in den einzelnen Wirtschaftszwei-gen.
3.8 Krankenstand
Neben diesen institutionellen und konjunkturellen Komponenten gibt es auch nochweitere Faktoren, die sich auf Niveau, Entwicklung und Struktur der Arbeitszeitauswirken. Ein wichtiger hiervon ist der krankheitsbedingte Arbeitsausfall der Be-schäftigten. Eckwert der Berechnungen ist der monatlich erhobene Krankenstandin Prozent16 der Pflichtmitglieder der gesetzlichen Krankenkassen mit Lohnfort-zahlung von mindestens sechs Wochen, der vom Bundesministerium für Gesund-heit veröffentlicht wird. Die in dieser Reihe untererfassten Zeiten der Kurzzeit-Arbeitsunfähigkeit bis zu drei Tagen dürften durch die Nichterfassung von Beschäf-tigten ohne gesetzliche Versicherungspflicht (außertarifliche Angestellte, Beamte, ge-ringfügig Beschäftigte) mit niedrigeren Ausfallzeiten tendenziell kompensiert wer-den. In die gleiche Richtung wirken Fälle, in denen die Arbeit noch während derärztlich bescheinigten Arbeitsunfähigkeit wieder aufgenommen wird. Da in dieserStatistik keine Unterteilung nach Wirtschaftszweigen vorliegt, wird als zusätzlicheQuelle der jährliche Gesundheitsreport der Betriebskrankenkassen herangezogen.Hier werden Arbeitsunfähigkeitstage nach Wirtschaftsgruppen ausgewiesen und aufalle sozialversicherungspflichtig Beschäftigten hochgerechnet, d.h. nach Alter undGeschlecht standardisiert. Aus dieser Statistik lassen sich somit relative wirtschafts-zweigspezifische Unterschiede im Krankenstand im Verhältnis zur Gesamtwirtschaftablesen.
16Die Krankenstandsquote ist eine amtliche, stichtagsbezogene Erfassung der Krankenstände. Sie umfasstdie am Monatsbeginn arbeitsunfähig gemeldeten Pflichtmitglieder einschließlich der Nachmeldungen biszum 8. des folgenden Monats.
Arbeitszeit und Arbeitsvolumen in Deutschland – Methodische Grundlagen 45
3.9 Schlechtwetter
Neben diesen großen Arbeitszeitkomponenten werden auch einige erfasst, derenquantitative Bedeutung zumindest gesamtwirtschaftlich eher gering ist oder die auf-grund gesetzlicher Änderungen im Laufe der Jahre weggefallen sind. Hierzu gehörtder Arbeitszeitausfall durch Schlechtwetter im Rahmen der Winterbauförderung. Er-fasst wurden die ausgefallenen Stunden und die betroffenen Arbeitnehmer, soweit dieBA dafür Leistungen erbrachte. Die Ausfallstunden durch Schlechtwetter waren in-stitutionell und definitorisch bedingt nur in der Branche Baugewerbe zu verzeichnen.Die Winterbauförderung wurde im Jahr 2007 durch das Saison-Kurzarbeitergeld ab-gelöst, deshalb endet die Zeitreihe zu den Ausfallstunden durch Schlechtwetter Ende2006.
3.10 Streiks und Aussperrungen
Die Streikstatistik der BA enthält Angaben zu den von Streiks und Aussperrungenbetroffenen Betrieben und Beschäftigten sowie zu infolgedessen verlorenen Arbeits-tagen. Diese werden von den Unternehmen an die BA gemeldet und liegen in wirt-schaftlicher Untergliederung vor. Über die Umrechnung dieser erfassten Arbeitstagein tarifliche bzw. betriebsübliche Arbeitszeiten können Streiks und Aussperrungenin Volumina dargestellt werden. Allerdings werden nur die Streiks und Aussperrun-gen als Arbeitsstreitigkeiten statistisch ausgewiesen, an denen im betroffenen Betriebmindestens 10 Arbeitnehmer beteiligt (betroffen) waren und die mindestens einenTag dauerten oder durch die ein Verlust von mehr als 100 Arbeitstagen entstandenist. Alle anderen Streitigkeiten gelten als Bagatellstreitigkeiten und werden lediglichnachrichtlich aufgeführt. Soweit diese der BA gemeldet werden, gehen auch sie indie Arbeitszeitkomponente Streik ein.
3.11 Flexibilisierung
Je nachdem, wie die beweglichen Feiertage in einem Kalenderjahr liegen oder ob essich um ein Schaltjahr handelt, stehen unterschiedlich viele potenzielle Arbeitstagezur Verfügung. Diese Schwankungen übertragen sich jedoch nicht eins zu eins auf diegeleistete Arbeitszeit. Zum Teil werden die jeweiligen Abweichungen vom langjähri-gen Durchschnitt der Arbeitstage durch Anpassungen bei Überstunden und Arbeits-zeitkonten ausgeglichen. Dennoch ist davon auszugehen, dass ein Teil der Auswir-kungen auf die Arbeitszeit damit nicht erfasst wird und durch unbeobachtete Mehr-oder Minderarbeit ausgeglichen wird (z.B. kürzere Pausen bei kalenderbedingt weni-ger potenziellen Arbeitstagen, faktische, aber unbeobachtete Arbeitszeitflexibilität).Darüber existieren jedoch keine empirischen Informationen. Deshalb werden wirt-schaftszweigspezifische Arbeitstage-Elastizitäten zur Approximation dieses Effektesermittelt. Sie entsprechen den Produktions-Elastizitäten der Deutschen Bundesbank(vgl. Tab. 3). Diese geben an um wie viel Prozent die Produktion steigen kann, wennder Faktoreinsatz Arbeit um ein Prozent ausgeweitet wird. Auf die Arbeitszeit über-tragen bedeutet dies, um wie viel Stunden ändert sich die Jahresarbeitszeit, wenn
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Tab. 3Produktions-Elastizitäten(= Arbeitstage-Elastizitäten)
Wirtschaftszweig Arbeitstage-Elastizitäten
Land- und Forstwirtschaft 0,2
Produzierendes Gewerbe 0,65
Baugewerbe 0,5
Handel, Gastgewerbe, Verkehr 0,3
Dienstleistungen 0,2
mehr bzw. weniger Arbeitstage als im langjährigen Durchschnitt zur Verfügung ste-hen, da diese nicht 1:1 in die Jahresarbeitszeit eingehen. Z.B. berücksichtigt die-ser Ansatz, dass Verschiebungen von Feiertagen auf die geleistete Arbeitszeit in derLandwirtschaft deutlich geringere Auswirkungen haben dürften als auf die Arbeits-zeit im produzierenden Gewerbe.
Bei der Ermittlung der Ausgleichsstunden für die Komponente „Ausgleich fürKalendereinflüsse“ wird zunächst eine langjährige Arbeitszeit ermittelt. Diese ergibtsich aus dem durchschnittlichen Quartalsverlauf der potenziellen Arbeitstage der letz-ten 20 Jahre und der tariflichen Arbeitszeit im Beobachtungsjahr. Zieht man von die-ser langjährigen Arbeitszeit die tarifliche Arbeitszeit des Beobachtungsjahres ab, soerhält man eine Abweichung in Stunden vom langjährigen Trend. Diese Mehr- bzw.Minderstunden, die im Vergleich zum langjährigen Durchschnitt zur Verfügung ste-hen, gehen aber nicht zu 100 Prozent in die Jahresarbeitszeit ein, sondern nur mitdem Anteil der branchenspezifischen Produktionselastizitäten. Die inversen Stundenergeben dann die Ausgleichsstunden, die im Rahmen der Flexibilitätskomponente„Ausgleich für Kalendereinflüsse“ berücksichtigt werden müssen. Dieses Vorgehenwird wirtschaftszweigspezifisch durchgeführt.
3.12 Nebenbeschäftigungen
Neben der Arbeitszeit der Arbeitnehmer in ihrer einzigen bzw. ihrer Haupterwerbstä-tigkeit müssen auch die Arbeitszeitvolumina aus Mehrfachbeschäftigungen berück-sichtigt werden. Bis 2003 diente der Mikrozensus als Quelle, der sowohl in Hinsichtauf Anzahl der Arbeitnehmer als auch über die geleistete durchschnittliche Stunden-zahl in der Zweiterwerbstätigkeit Angaben enthält. Seit der Neuregelung der Mini-und Midijobs im Jahr 2003 kann zusätzlich die wirtschaftszweigspezifische Statistikder BA zu Nebenbeschäftigungen von versicherungspflichtig Beschäftigten herange-zogen werden, die aufgrund dieser rechtlichen Änderungen eingeführt wurde.17 Dietatsächliche Arbeitszeit in den Nebentätigkeiten wird aus dem Mikrozensus ausge-wertet.
17Bis 1999 waren geringfügige Nebentätigkeiten mit einer regelmäßigen Wochenarbeitszeit von unter 15Stunden versicherungsfrei. Dies änderte sich 1999 – geringfügig entlohnte Nebenbeschäftigungen wur-den vollständig sozialversicherungs- und steuerpflichtig. Ab 2003 wurde die geringfügige Nebentätigkeitneben einer Hauptbeschäftigung wieder attraktiver, da diese – wenn sie unter 400 Euro beträgt – für denArbeitnehmer sozialversicherungsfrei bleibt.
Arbeitszeit und Arbeitsvolumen in Deutschland – Methodische Grundlagen 47
3.13 Arbeitszeit der Selbständigen und Mithelfenden
Neben der Arbeitszeit der beschäftigten Arbeitnehmer wird in der gesamtwirtschaft-lichen AZR auch die Arbeitszeit der Selbständigen und Mithelfenden berücksichtigt.Deren Berechnung erfolgt nach einer anderen Methode, vor allem da der Großteilder Arbeitszeitkomponenten für die Arbeitszeit der Selbständigen und Mithelfendennicht relevant ist.
Wichtigste Quelle für diese Personengruppe ist der Mikrozensus, diesem wer-den die normalerweise geleisteten Arbeitsstunden pro Kalenderwoche – nach derenSelbstauskunft – entnommen und auf alle Kalenderwochen des Jahres übertragen.Da die Arbeitszeit in der Landwirtschaft in der Hauptsaison höher sein dürfte alsin der Nebensaison, setzen wir für den Wirtschaftszweig Landwirtschaft jeweils imersten und vierten Quartal eine um 30 Prozent niedrigere Arbeitszeit an. Ergebnisseaus dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) (Saborowski et al. 2004) zufolge ha-ben Selbständige nur halb so viel Urlaub wie abhängig Beschäftigte, deshalb unter-stellen wir für die Urlaubstage wirtschaftszweigspezifisch die Hälfte der Ergebnisseder Arbeitnehmer. Außerdem wird bei der saisonalen Verteilung innerhalb des Jahresangenommen, dass die Urlaubsnahme sich nicht von der der Beschäftigten Arbeit-nehmer unterscheidet. Auch das Ausmaß der krankheitsbedingten Fehlzeiten ist beiden Selbständigen deutlich geringer als bei den Beschäftigten Arbeitnehmern. Statis-tiken von Krankenkassen zufolge liegen ihre Arbeitsunfähigkeitstage zwischen derHälfte und einem Drittel der Arbeitnehmer (Vetter et al. 2002). Auch hier nehmenwir für die Berechnungen die Hälfte der Krankheitstage der Arbeitnehmer an. Ne-benerwerbslandwirte werden mit ihrem Arbeitsvolumen aus der Nebentätigkeit beiden Selbständigen berücksichtigt.
4 Zusammenführung der Komponenten in der Arbeitszeitrechnung
Grundsätzlich ist die AZR eine Darstellung der Arbeitszeitkomponenten in Matri-zenform, die Quartals- und Jahresdurchschnitte für 17 Wirtschaftszweige enthält undVeränderungen im Zeitverlauf beschreibt. Bei nahezu allen Komponenten wird noch-mals differenziert nach den Dimensionen Region (West- und Ostdeutschland) undArbeitszeit (Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigung).
Für jede Komponente wird aus den verfügbaren Ausgangsdaten ein Ausfall- bzw.Zusatzvolumen in Mio. Stunden berechnet und dieses Volumen auf einen jährli-chen Effekt in Stunden je Beschäftigten umgerechnet. Die Komponentenergebnissewerden in einem Gesamtmodell zusammengeführt und resultieren in den geleiste-ten Stunden je Erwerbstätigen bzw. aller Erwerbstätigen, also der durchschnittlichentatsächlichen Arbeitszeit bzw. dem Arbeitsvolumen. Mit den Ergebnissen der AZRkönnen die Bestimmungsgrößen der Entwicklung der Jahresarbeitszeit im Zeitverlaufabgebildet werden. Im Anhang sind die Komponenten- und Gesamtergebnisse für dieJahre 1991 bis 2009 zu finden. Die in diesem Aufsatz vorgestellten Daten der AZRund der VGR beziehen sich auf den Datenstand August 2010 nach der WZ 2003 (vgl.Tab. 8).
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Abb. 2 Entwicklung von Erwerbstätigkeit, Arbeitszeit und Arbeitsvolumen – Jahresdurchschnitte1991–2009, Indexwerte (1991 = 100)
5 Ausgewählte Ergebnisse der Arbeitszeitrechnung
Wie hat sich Erwerbstätigkeit, Arbeitszeit und Arbeitsvolumen in Deutschland in denvergangenen 20 Jahren gesamtwirtschaftlich entwickelt und welchen Einfluss hattendie verschiedenen Komponenten auf die Entwicklung der Jahresarbeitszeit? Nach-folgend werden Ergebnisse hierzu für Deutschland insgesamt vorgestellt, wenn nötigwird auf regionale bzw. geschlechtsspezifische18 Besonderheiten hingewiesen. Dieausführlichen Ergebnisse für den Beobachtungszeitraum 1991 bis 2009 finden sichin den Komponententabellen im Anhang.
5.1 Erwerbstätigkeit und Beschäftigung
Die Zahl aller Erwerbstätigen lag im Jahr 2009 mit 40,3 Mio. um 1,65 Mio. bzw.4,1 Prozent über dem Stand von 1991 (vgl. Abb. 2). Hinter dieser Zunahme ver-bergen sich unterschiedliche Entwicklungen von Voll- und Teilzeitbeschäftigung so-wie der Zahl der Selbständigen und mithelfenden Familienangehörigen. Insgesamtlag die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer um gut eine drei Viertel Million höherals 1991 (Abb. 3). Allerdings bestimmt das Normalarbeitsverhältnis immer wenigerdie Entwicklung, denn die Beschäftigungsformen werden vielfältiger. Insbesonde-re Beschäftigungsverhältnisse mit kurzen Arbeitszeiten, wie reguläre Teilzeitarbeitund Mini-Jobs breiten sich weiter aus, während die Zahl der Vollzeitbeschäftigten imTrend zurückgeht. So hat sich die Anzahl der Teilzeitbeschäftigten über den gesamtenZeitraum mehr als verdoppelt (um 6,9 Mio. auf 12,4 Mio.), die der Vollzeitbeschäf-tigten ging um 6,1 Mio. zurück (Abb. 4 und Abb. 5). Diese gegenläufigen Entwick-lungen von Voll- und Teilzeitbeschäftigung führten zu einer steigenden Teilzeitquote– von 15,7 Prozent (1991) auf 34,6 Prozent im Jahr 2009, davon entfällt die Hälfteauf geringfügige Beschäftigungen.
18Umfangreiche geschlechtsspezifische Ergebnisse aus der AZR können einem IAB-Kurzbericht (Wan-ger 2011) sowie dem Internetangebot des IAB entnommen werden (http://www.iab.de/194/section.aspx/Publikation/k110414n01).
Arbeitszeit und Arbeitsvolumen in Deutschland – Methodische Grundlagen 49
Abb. 3 Entwicklung von Beschäftigung, Arbeitszeit und Arbeitsvolumen – Jahresdurchschnitte1991–2009, Indexwerte (1991 = 100)
Abb. 4 Entwicklung von Teilzeitbeschäftigung, Arbeitszeit und Arbeitsvolumen – Jahresdurchschnitte1991–2009, Indexwerte (1991 = 100)
Abb. 5 Entwicklung von Vollzeitbeschäftigung, Arbeitszeit und Arbeitsvolumen – Jahresdurchschnitte1991–2009, Indexwerte (1991 = 100)
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Abb. 6 Entwicklung von Selbständigen und Mithelfenden, Arbeitszeit und Arbeitsvolumen – Jahres-durchschnitte 1991–2009, Indexwerte (1991 = 100)
Allein im Jahr 2009 ist die Zahl der in Teilzeit beschäftigten Arbeitnehmer (inklu-sive geringfügiger Beschäftigter und Beamten in Teilzeit) um gut 270.000 (+2,2 %)gestiegen, während über 250.000 Vollzeitjobs verloren gingen (−1,1 %). Dies ist vorallem mit der Tatsache zu erklären, dass Teilzeitarbeit in den vom Konjunkturein-bruch stark betroffenen Branchen der Industrie vergleichsweise selten ist; in den bis-her weniger betroffenen Bereichen privater, sozialer und öffentlicher Dienstleistun-gen liegt der Teilzeitanteil dagegen deutlich höher. Zwischen West- und Ostdeutsch-land existieren nur noch geringe Unterschiede in den Teilzeitquoten. In Ostdeutsch-land war die Teilzeitarbeit 2009 etwas weniger verbreitet als im Westen (Teilzeit-quoten: Ost 32,7 %, West 35,0 %). Sie hat jedoch in den vergangenen Jahren kräftigaufgeholt, auch weil dort die Vollzeitbeschäftigung stärker abgenommen hat. Vor al-lem Frauen arbeiten vorwiegend unterhalb der tariflichen Vollzeitstandards. So sindüber die Hälfte aller beschäftigten Frauen teilzeitbeschäftigt (Frauen 52,1 %; Männer17,3 %).
Im Jahr 2009 waren in Deutschland 4,4 Mio. Personen als Selbständige oder mit-helfenden Familienangehörige tätig – im Vergleich zu 1991 liegt ihre Zahl um 20Prozent höher (Abb. 6). Diese Gruppe ist sehr heterogen, unter sie fallen Kleinge-werbetreibende und selbständige Landwirte ebenso wie Freiberufler, Unternehmer,selbständige Handwerker oder sonstige Selbständige. Auch mithelfende Familienan-gehörige zählen zu dieser Personengruppe – ihr Anteil an allen Selbständigen undMithelfenden betrug 2009 gut 5 Prozent und hat seit 1991 stark an Bedeutung verlo-ren (12 %), insbesondere aufgrund des starken Rückgangs in der Landwirtschaft. EinTeil des Anstiegs der Selbständigen ab 2003 dürfte auf den verstärkten Einsatz derarbeitsmarktpolitischen Instrumente Überbrückungsgeld und Existenzgründungszu-schuss, 2006 im Gründungszuschuss zusammengefasst, zurückzuführen sein.
5.2 Komponenten der Jahresarbeitszeit
Im Folgenden werden die Ergebnisse für die einzelnen Arbeitszeitkomponenten vor-gestellt (vgl. Tab. 8 im Anhang), aus deren Zusammenspiel sich die durchschnittlicheJahresarbeitszeit aller Arbeitnehmer ergibt. Der Einfluss der Arbeitszeitkomponen-ten in der AZR variiert stark und Veränderungen in ihrer Bedeutung haben unter-
Arbeitszeit und Arbeitsvolumen in Deutschland – Methodische Grundlagen 51
schiedliche Auswirkungen auf die Höhe der Arbeitszeit und des gesamtwirtschaftli-chen Arbeitsvolumens.19 Den wichtigsten Stellenwert in der AZR hat die tariflicheoder betrieblich festgelegte durchschnittliche Wochenarbeitszeit der Arbeitnehmer.Sie stellt die Orientierungsgröße für die vom Vollzeitarbeitsverhältnis abweichendenArbeitszeitvereinbarungen dar. 1996 erreichte sie mit durchschnittlich 38,2 Stundenihren niedrigsten Stand und stieg seitdem in der Tendenz wieder an. Aufgrund kri-senbedingter Verkürzungen (vgl. Bogedan et al. 2009) ist sie im Jahr 2009 temporärauf 38,1 Stunden gesunken. Zwischen den Regionen und Wirtschaftszweigen gibt esnoch deutliche Abweichungen. Im Osten ist der Standortvorteil in Form von längerenArbeitszeiten gegenüber dem Westen mit 1,2 Stunden weiterhin beachtlich. Das Ge-fälle zwischen Ost- und Westdeutschland hat sich jedoch deutlich verkleinert: 1991betrug es noch 2,6 Stunden. Während im öffentlichen Dienst und im Baugewerbedie Arbeitszeit länger geworden ist, kam es im Dienstleistungsbereich und produ-zierenden Gewerbe zu Verkürzungen. Der Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaubstieg bis Mitte der 90er Jahre aufgrund der Anpassungen des tariflichen Regelurlaubsin Ostdeutschland an westdeutsche Verhältnisse an und beträgt seitdem im Schnittunverändert knapp 30 Tage.
Überstunden sind die klassische Form der temporären Ausweitung der Arbeitszeit,jedoch haben sie in den letzten zwei Jahrzehnten stark an Bedeutung verloren. Lagdas Volumen bezahlter Überstunden im Jahr 1991 noch bei 1,9 Mrd. Stunden, wares im Jahr 2007 – vor der Finanz- und Wirtschaftskrise – schon auf 1,4 Mrd. Stun-den gesunken. Ursächlich für diesen langfristig abnehmenden Trend sind mehrereFaktoren, die hier zusammenwirken: zum einen steigen die Beschäftigtenanteile vonPersonengruppen und Sektoren, in denen traditionell weniger bezahlte Überstundengeleistet werden. Hierzu gehören Frauen sowie der Teilzeit- und Dienstleistungsbe-reich. Zum anderen sind die Ausfallzeiten wegen Krankheit so niedrig wie nie zuvorund spielen als Grund für Überstunden eine geringere Rolle. Außerdem verbreitensich seit den 1990er Jahren flexible Arbeitszeitmuster immer mehr in Unternehmen,vor allem in Gestalt von Arbeitszeitkonten. 2009 erreichte das Überstundenvolumenkrisenbedingt sein niedrigstes Niveau mit knapp 1,1 Mrd. bezahlten Überstunden –das sind je Arbeitnehmer im Vergleich zum Vorjahr 10 Überstunden, die weniger ge-leistet wurden. Ähnlich große Veränderungen hat es zuvor nicht gegeben – auch nichtbei den transitorischen Überstunden. Diese werden bei wachsender Konjunktur auf-gebaut und im Abschwung ausgeglichen. Sie schmolzen im Jahresverlauf 2009 umdurchschnittlich 8,4 Stunden je Arbeitnehmer ab. Außer bezahlten werden verstärktauch unbezahlte Überstunden geleistet, gesamtwirtschaftlich lässt sich diese Größebisher nur schwer beziffern, laut Arbeitszeitbefragungen bewegen sich die unbezahl-ten Überstunden in einer ähnlichen Größenordnung wie die bezahlten. Insofern mar-kieren die angegebenen Werte für die Überstunden je Beschäftigten von 62,5 Stundenim Jahr 1991 und 38,4 Stunden im Jahr 2009 die untere Grenze.
19Das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen wird in der AZR unter Zuhilfenahme einer Vielzahl von Pri-märstatistiken bestimmt. Häufig sind hier keine relativen Streubereiche bekannt. Um die „Robustheit“ derErgebnisse bei Variation der Komponenten in vereinfachter Weise zu analysieren, sind in Tab. 9 die Aus-wirkungen einer einprozentigen Erhöhung ausgewählter Arbeitszeitvariablen auf das gesamtwirtschaftli-che Arbeitsvolumen und die Jahresarbeitszeit exemplarisch für das Jahr 2009 aufgeführt. Allerdings sinddiese „Streubereiche“ durch Basiseffekte sowie Wechselwirkungen mit anderen Komponenten der AZRbeeinflusst.
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Gemindert wird die Jahresarbeitszeit durch krankheitsbedingte Ausfalltage. DerKrankenstand sank bis 2007 auf einen historischen Tiefstand von 42 Stunden je Be-schäftigten und lag 2008 und 2009 mit gut 44 Stunden je Beschäftigten wieder etwashöher. Anfang der 90er Jahre lag deren Zahl noch bei über 70 Stunden. Zwar entwi-ckeln sich die Krankenstandsquoten prozyklisch, aber auch längerfristige Struktur-verschiebungen in der Beschäftigung hin zu Branchen und Berufen mit geringerenkörperlichen Belastungen wirken hier mit. Zusätzlich führten auch Verhaltensände-rungen auf Seiten der Betriebe, zum Beispiel durch besseren Arbeitsschutz und Ge-sundheitsmanagement zu einem Rückgang der Fehlzeiten. Auch vermeiden Arbeit-nehmer bei angespannter Beschäftigungslage offenbar Krankmeldungen.
Die Inanspruchnahme der Kurzarbeit ging – nach den hohen Ausfällen aufgrundder Wiedervereinigung in Ostdeutschland – seit Mitte der 90er Jahre kontinuierlichzurück, auch aufgrund der wachsenden Arbeitszeitflexibilität in den Betrieben. Al-lerdings stieg die Zahl der Kurzarbeiter 2009 sprunghaft an und lag im Jahresdurch-schnitt bei 1,1 Mio. Diese intensive Nutzung infolge der Finanz- und Wirtschaftskri-se dürfte auch auf die erleichterte Inanspruchnahme der Kurzarbeit zurückzuführensein – so wurde 2009 u.a. die Bezugsdauer des Kurzarbeitergelds verlängert und dieArbeitgeber bei den Sozialversicherungsbeiträgen entlastet. Gut ein Drittel der nor-malen Arbeitszeit der Kurzarbeiter fiel aus. Auf alle Arbeitnehmer umgerechnet sindim Durchschnitt je Arbeitnehmer im Jahr 2009 15,2 Stunden durch Kurzarbeit aus-gefallen, im Mittel des vorangegangenen Jahrzehnts (1999 bis 2008) waren es 2,4Stunden.
An Bedeutung gewonnen hat auch die Ausübung von Nebenjobs. Die Zahl derPersonen mit einem Zweitjob ist bis 2009 von 0,8 Mio. auf 2,5 Mio. gestiegen, ihr Be-schäftigtenanteil hat sich damit auf 6,9 Prozent (1991: 2,3 %) erhöht. Nur in den Jah-ren 1999 bis 2002 ging ihre Zahl aufgrund der Einführung der Versicherungspflichtkurzfristig zurück. Seit der Neuregelung der Mini-Jobs im Jahr 2003 hat sich der Ne-benerwerbstätigkeitseffekt jedoch verdoppelt. Er lag 2009 – auf alle Arbeitnehmergerechnet – bei 28,1 Stunden pro Jahr. Die Gründe sind vielfältig und kaum vollstän-dig zu erklären: Ob Mehrfachbeschäftigte freiwillig nach flexibleren Erwerbsformensuchen oder, ob sie schlicht der Not gehorchen und einen Zuverdienst brauchen, istunklar. Allerdings handelt es sich bei der Mehrzahl der Zweitjobs um qualifizierte Tä-tigkeiten und in überproportionalem Maße sind Erwerbstätige mit einer mittleren undhohen Qualifikation unter den Mehrfachbeschäftigten zu finden (vgl. Brenke 2009).Fest steht außerdem, dass die geänderten gesetzlichen Rahmenbedingungen die Zu-nahme begünstigt haben. Denn seit April 2000 können in einem Mini-Job maximal400 Euro monatlich steuer- und abgabenfrei hinzu verdient werden, selbst wenn manbereits im Hauptjob sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist.
Die restlichen Arbeitszeitkomponenten sind – zumindest gesamtwirtschaftlich –nur von geringer quantitativer Bedeutung. Aus dem Zusammenspiel all dieser Kom-ponenten resultiert rechnerisch die durchschnittliche Jahresarbeitszeit je beschäftig-ten Arbeitnehmer. Diese wird stark durch das Verhältnis von Vollzeit- zu Teilzeit-beschäftigten sowie durch deren Binnenstruktur bestimmt: Während bei regulär Teil-zeitbeschäftigten die durchschnittliche Arbeitszeit bei immerhin knapp der Hälfte derArbeitszeit der Vollzeitbeschäftigten lag, leisteten die geringfügig Beschäftigten nurein Viertel davon. Daher haben Änderungen in diesem Gefüge nicht unbeträchtliche
Arbeitszeit und Arbeitsvolumen in Deutschland – Methodische Grundlagen 53
Abb. 7 Durchschnittliche Jahresarbeitszeit der beschäftigten Arbeitnehmer 1991–2009 in Stunden
Auswirkungen auf die durchschnittliche Arbeitszeit der Teilzeitbeschäftigten und da-mit auf die durchschnittliche Arbeitszeit aller Arbeitnehmer. Eine höhere Beschäftig-tenzahl muss deshalb bei gleichzeitiger Veränderung der Beschäftigtenstruktur nichtzu einem gleich hohen Anstieg des Arbeitsvolumens führen. Die durchschnittlicheArbeitszeit der Vollzeitbeschäftigten war im Jahr 2009 mit 1627 Stunden etwa sogroß wie 1991. Jedoch sind beide Jahre durch Auswirkungen der Kurzarbeit gekenn-zeichnet – 1991 aufgrund der Wiedervereinigung und 2009 aufgrund der Finanzkrise(vgl. Abb. 2).
Auch die Veränderung bei der Arbeitszeit der Teilzeitbeschäftigten war moderat– Verschiebungen gab es zwar aufgrund des starken Anstiegs der geringfügigen Be-schäftigung nach der Hartz II-Reform zu Beginn des neuen Millenniums – aber dasVerhältnis von in Teilzeit zu in Vollzeit geleisteten jährlichen Arbeitsstunden bewegtesich im Beobachtungszeitraum in der Spanne zwischen 36 Prozent und 39 Prozent.Jedoch reduzierte sich aufgrund des enormen Anstiegs der Teilzeitquote die durch-schnittliche Arbeitszeit aller Beschäftigten (ohne Nebenbeschäftigungen) von 1470Stunden 1991 auf 1281 Stunden im Jahre 2009 (−189 Stunden oder 14,7 %). Stelltman diese der Jahresarbeitszeit in Vollzeit gegenüber, zeigt sich die wachsende Be-deutung des Teilzeiteffekts (Abb. 7). Er erhöhte sich in Deutschland im Zeitraum1991 bis 2009 von 155 auf 346 Stunden (Teilzeiteffekt 2009: Männer 170 Stunden,Frauen 444 Stunden) und resultiert hauptsächlich aus den hohen Teilzeitquoten derFrauen (siehe Abschn. 5.1). Der Rückgang der durchschnittlichen Jahresarbeitszeit inden vergangenen 20 Jahren war also nicht Ergebnis von pauschalen Arbeitszeitver-kürzungen, sondern im Wesentlichen Folge von Strukturveränderungen der Erwerbs-tätigkeit.
Die Arbeitszeit der Selbständigen und Mithelfenden liegt mit 2049 Stunden weitüber der der beschäftigten Arbeitnehmer. In den 90er Jahren war sie im Schnitt nochetwa 190 Stunden höher, seit 2001 sinkt sie jedoch. Dies liegt zum einen an demsteigenden Anteil von selbständigen Frauen – deren Jahresarbeitszeit beträgt nur ca.drei Viertel der Arbeitszeit der Männer – und dem höheren Teilzeitanteil (1991: 6 %;2009: 23 %). Außerdem zeigt sich hier auch der verstärkte Einsatz von Gründungen
54 S. Wanger
über arbeitsmarktpolitische Maßnahmen. Untersuchungen zeigen, dass die Arbeits-zeit hier niedriger zu sein scheint als bei traditionellen Selbständigen und verstärktTeilzeit-Präferenzen über dieses Instrument erfüllt worden sein dürften (Caliendoet al. 2009). Auch verschiedene andere Studien belegen, dass sich das Gründungs-geschehen in Deutschland zu wandeln scheint: von der Vollzeit- zur Teilzeitselbstän-digkeit (BMFSFJ 2005).
5.3 Gesamtwirtschaftliches Arbeitsvolumen
Als Produkt aus Beschäftigtenzahlen und der geleisteten Jahresarbeitszeit ergibt sichdas Arbeitsvolumen der beschäftigten Arbeitnehmer. Dieses belief sich 2009 auf 47Mrd. Stunden und war damit um 5 Mrd. Stunden bzw. 10,5 Prozent niedriger als1991. Der langfristige Rückgang des Arbeitsvolumens wird hauptsächlich bestimmtdurch den starken Rückgang der Jahresarbeitszeit der Beschäftigten aufgrund desTrends zur Teilzeitarbeit, in guten konjunkturellen Phasen ist er von einer Zunah-me überlagert. Insgesamt nahm das Vollzeitvolumen um 9,9 Mrd. Stunden (26 %)ab, während sich das Teilzeitvolumen mehr als verdoppelt hat und im Jahr 2009 mit7,8 Mrd. Stunden gut 17 Prozent des gesamten Arbeitsvolumens der Arbeitnehmererreichte. Dieser Anteil lag 1991 noch bei 7 Prozent. Diese Ergebnisse spiegeln diegesamtwirtschaftliche Entwicklung der Erwerbsarbeit wider: ein niedrigeres Arbeits-volumen verteilt sich auf deutlich mehr Beschäftigte (vgl. Abb. 3).
Bei weitgehend unveränderten tatsächlichen Jahresarbeitszeiten wurde die Ent-wicklung des Arbeitsvolumens der Selbständigen und Mithelfenden in den 90er Jah-ren weitgehend von der Veränderung der Personenzahlen bestimmt (vgl. Abb. 6). Erstab 2000 entwickelte sich das Arbeitsvolumen aufgrund der sinkenden Arbeitszeitenetwas schwächer als diese. Das Arbeitsvolumen der Selbständigen und Mithelfen-den hat seit 1991 um 1,2 Mrd. Std. bzw. 13 Prozent auf 9 Mrd. geleistete Stundenzugenommen.
Das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen aller Erwerbstätigen schrumpfte von1991 bis 2009 um 6,8 Prozent auf 56 Mrd. Stunden (1991: 59,8 Mrd. Stunden) (vgl.Abb. 2). Dieser Rückgang ist – wie schon erläutert – die Folge von sinkender Voll-zeitbeschäftigung. Denn das abnehmende Vollzeitarbeitsvolumen (vgl. Abb. 5) wurdenur zum Teil durch die Zunahme beim Teilzeitarbeitsvolumen (vgl. Abb. 4) und beimArbeitsvolumen der Selbständigen und Mithelfenden kompensiert.
5.4 Arbeitsproduktivität
Neben dem Arbeitsvolumen ist das BIP der entscheidende rechnerische Baustein,um aussagekräftige Indikatoren wie die Arbeitsproduktivität ermitteln zu können. Esmisst den Wert der im Inland hergestellten Waren und Dienstleistungen. Die Verän-derungsrate des preisbereinigten BIP dient als Messgröße für das reale Wirtschafts-wachstum einer Volkswirtschaft im Zeitablauf – frei von Preiseinflüssen. DiesesBIP-Wachstum entsteht aus mehreren Komponenten (vgl. Möller und Walwei 2009):Gesamtwirtschaftlich können mehr Güter und Dienstleistungen produziert werden,wenn mehr Personen erwerbstätig sind, wenn die Jahresarbeitszeit pro Person steigtoder die Stundenproduktivität wächst. Bei einem schrumpfenden BIP gilt dies ent-sprechend mit umgekehrten Vorzeichen. Informativ ist eine Zerlegung des BIP mittels
Arbeitszeit und Arbeitsvolumen in Deutschland – Methodische Grundlagen 55
Abb. 8 Komponenten der BIP-Entwicklung 1992–2009
einer Identitätsgleichung, die die relativen Wachstumsbeiträge der einzelnen Kompo-nenten (Erwerbstätige, Jahresarbeitszeit und Arbeitsproduktivität je Erwerbstätigen-stunde) bestimmt. Allerdings sollte der Zusammenhang nicht als kausaler Wirkungs-zusammenhang sondern als rechnerische Identität interpretiert werden. Tabelle 4 undAbb. 8 zeigen die Veränderung dieser Größen zwischen 1991 und 2009.
Seit 1991 gab es in Deutschland drei konjunkturelle Abschwungphasen. DasNachlassen des durch die deutsche Wiedervereinigung ausgelösten Wirtschafts-wachstums führte 1993 zu einer Rezession, bei der im Vorjahresvergleich das BIP um0,8 Prozent zurückging. Damit ging ein Rückgang der Erwerbstätigenzahlen und derJahresarbeitszeit einher und es erhöhte sich die Stundenproduktivität um 1,5 Prozent.Nach dem Platzen der Dotcom-Blase und durch die Folgen der Terroranschläge vom11. September 2001 sank das BIP im Jahr 2003 um 0,2 Prozent. Auch hier stieg dieStundenproduktivität bei kürzeren Arbeitszeiten und weniger Erwerbstätigen um 1,1Prozent. Gemessen am Rückgang des BIP war die aktuelle Finanz- und Wirtschafts-krise mit 4,9 Prozent zwar weitaus größer als vorangegangene Wirtschaftskrisen, dieFolgen für den Arbeitsmarkt waren aber weniger gravierend als in anderen Rezes-sionen. So haben viele Unternehmen auf die verringerte Nachfrage mit Arbeitskräf-tehorten reagiert, zum einen durch Reduktion der Arbeitszeit (Abbau bezahlte undtransitorische Überstunden sowie Kurzarbeit) sowie zum anderen durch verringerteArbeitsdichte in der verbliebenen Arbeitszeit. Bei einem Rückgang der Jahresarbeits-zeit um −2,8 Prozent und unveränderten Erwerbstätigenzahlen schlägt sich dies ineinem Rückgang des gemessenen Outputs pro Arbeitsstunde nieder. So ist die Ar-beitsproduktivität im Vergleich zu früheren Rezessionen im Beobachtungszeitraumerstmalig gesunken – um 2,2 Prozent.
Hätte der Arbeitsmarkt in der Krise genauso reagiert wie in den Abschwüngendavor, wäre die Beschäftigung um 1,5 Mio. zurückgegangen (Möller 2009). Tatsäch-
56 S. Wanger
Tab. 4 Entwicklung von Arbeitsproduktivität je Erwerbstätigenstunde, geleistete Stunden je Erwerbstäti-gen (Jahresarbeitszeit), Erwerbstätigkeit und preisbereinigtem BIP – Veränderung zum Vorjahr in Prozent
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1995 2,6 −0,9 0,2 1,9
1996 2,3 −1,0 −0,3 1,0
1997 2,5 −0,6 −0,1 1,8
1998 1,2 −0,4 1,2 2,0
1999 1,4 −0,8 1,4 2,0
2000 2,6 −1,3 1,9 3,2
2001 1,8 −1,0 0,4 1,2
2002 1,5 −0,9 −0,6 0,0
2003 1,2 −0,4 −0,9 −0,2
2004 0,6 0,2 0,4 1,2
2005 1,4 −0,5 −0,1 0,8
2006 2,9 −0,3 0,6 3,2
2007 0,7 0,1 1,7 2,5
2008 −0,0 −0,1 1,4 1,3
2009 −2,2 −2,8 −0,0 −4,9
lich zeigt Tab. 4, dass die Beschäftigung sich in der Krise kaum verändert hat, ebensodie Arbeitslosigkeit. Diese Entwicklung war so erstaunlich, dass sie häufig als „Ger-man Labor Market Miracle“ (Möller 2009; Burda und Hunt 2011) betitelt wurde. UmArbeitskräfte halten zu können, wurden flexible Arbeitszeitmodelle intensiv genutzt.Die Reduzierung der Arbeitszeit spielte – anders als in früheren Rezessionen – ei-ne herausragende Rolle für die Anpassung des Arbeitsvolumens an die schwächereAuftragslage. Insgesamt sank die Jahresarbeitszeit der Arbeitnehmer im Jahr 2009um 41,3 Stunden oder 3,1 Prozent. Die Beiträge der einzelnen Arbeitszeitkomponen-ten zu dieser Veränderung sind sehr unterschiedlich (vgl. Abb. 9). Insbesondere diekonjunkturellen Komponenten Überstunden, Kurzarbeit und Arbeitszeitkonten habenmit 28 Stunden einen Anteil von zwei Drittel an der Reduzierung, rechnet man auchdie beschäftigungssichernden Arbeitszeitverkürzungen hinzu, waren es sogar über 90Prozent. Die ungewöhnlich positive Reaktion des Arbeitsmarktes lässt aber auch dar-auf schließen, dass neben den besseren institutionellen Rahmenbedingungen auch diestrukturellen Veränderungen über die letzten Jahre infolge der Hartz-Reformen undder moderaten Lohnpolitik eine wichtige Rolle gespielt haben (Fuchs et al. 2011).Ausführliche Analysen zur robusten Entwicklung des deutschen Arbeitsmarktes inder Finanz- und Wirtschaftskrise 2009 sowie dem Einfluss der Arbeitszeit auf Basis
Arbeitszeit und Arbeitsvolumen in Deutschland – Methodische Grundlagen 57
Abb. 9 Beitrag der einzelnen Komponenten zur Entwicklung der Arbeitszeit von beschäftigten Arbeit-nehmern 2009
von Ergebnissen der AZR finden sich in Möller (2009), Dietz et al. (2010), Gartnerund Klinger (2011), Walwei (2010) und Burda und Hunt (2011).
6 Ausblick
Die AZR ist ein komplexes Datenprodukt, das aus der Verknüpfung einer Vielzahlvon Datenquellen entsteht. Methodische und statistische Weiterentwicklungen, aberauch gesellschaftliche Veränderungen führen dazu, dass die AZR laufend an dieseEntwicklungen angepasst werden muss und sozusagen als „Work in Progress“ ver-standen werden kann. So erzwingen neue oder geänderte Konzepte und Klassifikatio-nen oft grundlegende Überarbeitungen aller VGR-Angaben. Bis Herbst 2011 werdendie Ergebnisse der VGR nach der WZ 2003 ausgewiesen. Mit der Einführung derneuen nationalen Klassifikation der Wirtschaftszweige, Ausgabe 2008 (WZ 2008)in der VGR im September 2011 müssen alle Ergebnisse – auch die der AZR – vonder Gliederung nach WZ 2003 auf die WZ 2008 umgestellt werden.20 Solche grund-legenden Überarbeitungen können jeweils nur i.R. von Generalrevisionen der VGRdurchgeführt werden, die in mehrjährigen Abständen stattfinden.
Aber auch der Wandel der Arbeitswelt fordert die Arbeitszeitberichterstattungheraus. Die moderne Arbeitszeitgestaltung führt z.T. an die Grenzen dessen, was
20Beim Übergang auf die WZ 2008 wird nicht nur die Gliederungsstruktur der Wirtschaftszweigklassifika-tion in einigen Bereichen umfassend geändert, es werden auch der Abdeckungsbereich der Klassifikationerweitert und die Klassifizierungsregeln revidiert. Die WZ 2008 ist in einigen Bereichen tiefer gegliedert,als ihre Vorgängerversion, vor allem im Bereich der Erbringung von Dienstleistungen. Die Rechentiefe derAZR stützt sich ab September 2011 auf die sogenannte A38-Gliederung nach der WZ 2008.
58 S. Wanger
messbar und erfassbar ist. So kann ein Teil der flexiblen Instrumentarien, die Un-ternehmen zur Verfügung stehen, mit den verfügbaren Daten und Befragungen nichtkontinuierlich abgedeckt werden. Das betrifft z.B. Arbeitszeitverkürzungen oder -verlängerungen, die im Rahmen von Arbeitszeitkorridoren kurzfristig für bestimm-te Betriebsteile eingeführt werden können. Auch flexible Arbeitszeitarrangements,wie die Vertrauensarbeitszeit oder Arbeitszeitkonten erschweren die Erfassung dergeleisteten Arbeitszeit. So muss z.B. auch die Überstunden-Komponente konzep-tionell weiterentwickelt werden, da ab 2014 in der AZR neben den bezahlten undtransitorischen Überstunden auch die unbezahlten Überstunden berücksichtigt wer-den müssen. Denn sie tragen zur gesamtwirtschaftlichen Produktion bei, wenn sieUnternehmen zusätzlich in Form von (mehr oder weniger) freiwilliger Mehrarbeitzur Verfügung stehen. Flexible Arbeitszeit-Arrangements können diese Größe nochverstärken, z.B. wenn Arbeitszeitkonten-Guthaben bei festgelegten Obergrenzen zubestimmten Stichtagen gekappt werden oder wenn die Arbeitszeit bis/ab einer be-stimmten Uhrzeit bzw. durch Einführung von Vertrauensarbeitszeit in Unternehmennicht mehr erfasst wird.
Die vorgestellten Entwicklungen und Zusammenhänge aber auch die anstehendenHerausforderungen i.R. der Arbeitszeitberichterstattung unterstreichen die Notwen-digkeit einer möglichst genauen Erfassung der Arbeitszeit. Eingebettet in einen Rah-men, der zum einen durch die VGR und zum anderen durch die einzelnen Komponen-ten der Arbeitszeit vorgegeben ist, bietet die AZR die Möglichkeit das Arbeitszeit-geschehen detailliert aus einem gesamtwirtschaftlichen Blickwinkel zu beschreiben.In diesem Rechenwerk fließen tarifliche Veränderungen, institutionelle Faktoren undkonjunkturelle Entwicklungen mit dem Wandel der Beschäftigtenstruktur und der Ar-beitsmarktpolitik zusammen und ergeben ein partiell auch nach sozio-ökonomischenMerkmalen differenziertes Bild von Umfang, Struktur und Entwicklung der Jahresar-beitszeit der Erwerbstätigen. Das Spektrum an Fragestellungen, die i.R. der differen-zierten AZR beantwortbar sind, reicht vom Beitrag einzelner Arbeitszeitkomponen-ten zur Veränderung der Jahresarbeitszeit bis zum Zusammenhang von Produktion,Erwerbstätigkeit, Jahresarbeitszeit und Stundenproduktivität.
Arbeitszeit und Arbeitsvolumen in Deutschland – Methodische Grundlagen 59
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64 S. Wanger
Anhang
Tab. 6 Vergleich der Gliederungsstruktur der Ausgabe 2003 (WZ 2003) und der Ausgabe 2008(WZ 2008) der Klassifikation der Wirtschaftszweige
Arbeitszeit und Arbeitsvolumen in Deutschland – Methodische Grundlagen 65
Tab. 7 OLS-Schätzung „Fortschreibung Überstundenvariable“ für Deutschland I/1991–IV/2006
B Standardfehler T
(Konstante) 1,228 0,056 21,762*
ifo-Uberstundenvariable 0,008 0,001 6,211*
Trend −0,11 0,001 −14,86*
Q2-Dummie 0,062 0,038 1,628
Q3-Dummie 0,076 0,039 1,983
Q4-Dummie 0,173 0,039 4,473*
Zur Fortschreibung der Überstundenvariable: Vom 1. Quartal 1991 bis zum 4. Quartal 2006 war die Über-stundenkomponente der AZR durch die Verdiensterhebung von Destatis gut belegt. Hier wurden viertel-jährlich die bezahlten Überstunden je Arbeiter im verarbeitenden Gewerbe ausgewiesen. Nach Einstel-lung dieser Statistik war es schwierig, verlässliche und kontinuierliche Informationen zur Überstundenar-beit zu erlangen (vgl. Zapf 2012). Einzige zur Verfügung stehende vierteljährliche Statistik mit Angabenzur Überstundenarbeit ist der ifo-Konjunkturtest, in diese Statistik gehen Meldungen von Unternehmenaus dem verarbeitenden Gewerbe zur Überstundenarbeit ein (Sonderfragenteil: A1) Wir arbeiten z.Z. mitÜberstunden. A2) wenn ja, mehr als betriebsüblich.) Diese Zeitreihe liegt ab dem 1. Quartal 1991 biszum aktuellen Rand vor. Um weiterhin bezahlte Überstunden in der AZR ausweisen zu können, wird dieZeitreihe der Verdiensterhebung, mittels dieser Proxy-Variablen fortgeschätzt. Neben den Werten aus demifo-Konjunkturtest geht ein linearer Trend sowie Dummy-Variablen für die Saisoneinflüsse in die OLS-Schätzung ein. Dabei ging es besonders darum, kurzfristige Schwankungen bei den Überstunden erklärenzu können. Langfristige Tendenzen, wie sie etwa durch eine Veränderung der Wirtschaftsstruktur oderdurch die Einführung anderer Arbeitszeitinstrumente entstehen, wurden summarisch durch die Aufnah-me der Trendvariablen in die Schätzgleichungen berücksichtigt. Die Regressionsschätzung wurde für denStützbereich I/1991–IV/2006 durchgeführt. Im Modell fungiert die Konstante als Überstundensockel umden es kurz- und mittelfristige Schwankungen gibt. So zeigt die ifo-Überstundenvariable einen positivenEinfluss auf die bezahlten Überstunden. Diese weisen zudem für den Zeitraum einen schwach fallenden,aber signifikanten Trend auf. Ebenfalls deutlich ist eine ausgeprägte Saisonfigur, die in der Schätzungdurch die Dummy-Variablen Q2, Q3, Q4 repräsentiert wird: Im vierten Quartal jeden Jahres ist die An-zahl der Überstunden je Arbeiter am höchsten gegenüber dem überstundenärmsten ersten Quartal, auch imzweiten und dritten Quartal sind die Überstunden etwas höher, allerdings nicht signifikant
Abhängige Variable: bezahlte Überstunden je Arbeiter im Produzierenden Gewerbe im Quartal
R2 = 0,810; R2 korr. = 0,794; F = 49,45*
*Signifikant auf 5 %-Niveau
66 S. Wanger
Tab. 8 Entwicklung der durchschnittlichen Arbeitszeit und ihrer Komponenten von 1991 bis 2009
68 S. Wanger
Tab. 9 Veränderung des Arbeitsvolumens sowie der Jahresarbeitszeit der beschäftigten Arbeitnehmer imJahr 2009 bei einer einprozentigen Erhöhung ausgewählter Arbeitszeitkomponenten
VeränderungArbeitsvolumenin Mio. Std.
VeränderungJahresarbeitszeitin Std.
Veränderungzum StatusQuo in %
Binnenstruktur Arbeitnehmer:
SozialversicherungspflichtigeTeilzeit(+1 %)/Vollzeit (−1 %)
−35,9 −1,0 −0,072
Wochenarbeitszeit
Vollzeit +383,7 +10,7 0,770
Reguläre Teilzeit +46,6 +1,3 0,094
Geringfügige Beschäftigung +28,7 +0,8 0,058
Tarifliche Urlaubstage −61,0 −1,7 −0,122
Krankenstandsquote −3,6 −0,1 −0,007
Bezahlte Überstunden +7,2 +0,2 0,014
Arbeitszeitkontensalden −3,6 −0,1 −0,006
Kurzarbeit
Personen/Arbeitsausfall −7,2 −0,2 −0,014
Nebentätigkeiten
Personen/Arbeitszeit +10,8 +0,3 0,022
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Forschungsbericht 3