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Katja Bett: Das Lerntagebuch – eine Methode zur Unterstützung des individuellen Lernens im virtuellen Raum Die Aus-, Fort- und Weiterbildung im virtuellen Raum stellt viele verschiedene Anforderungen an die Lernenden: sie müssen sich die (medial aufbereiteten) Inhalte aneignen, sich mit ihnen auseinandersetzen und auf die eigenen (Berufs-)Praxis transferieren, mit einem/r Tutor/in virtuell kommunizieren, virtuelle Wissenstests und Übungen durchführen und meist sogar online gestützt mit anderen Lernenden kooperieren und gemeinsam Aufgaben lösen usw. Die Lernenden stehen also vor der Anforderung die verschiedenen Wissenvermittlungs- , Wissenanwendungs- und Wissenstransferphasen sinnvoll zu strukturieren und zu bewältigen. Das „Lerntagebuch“ ist eine Methode, die die Lernenden genau in diesen verschiedenen Phasen unterstützen kann. Mit Hilfe des Lerntagebuchs wird im Gegensatz zum kurzfristigen „Prüfungswissen-Lernen“, ein tieferes Verständnis und damit auch das längerfristige Behalten komplexer Inhalte unterstützt und die Reflexion über das eigene (berufliche) Handeln angeregt. Die Besonderheit liegt darin, dass die persönlichen Erkenntnisse, der Zuwachs an Wissen und die Lernerfahrungen verschriftlicht werden, was zu einer tieferen Verarbeitung führt als das reine Lesen oder Zuhören. Ein zusätzlicher Nutzen besteht darin, dass das Lerntagebuch den Lernenden ihre eigenen Lernstrategien bewusst macht, sie dazu anregt diese zu bewerten und ggfs. zu ändern. Konkret bestehen Lerntagebücher aus in bestimmten Zeitabständen geführten Lernprotokollen, mit einer vorgegebenen Struktur (z.B. Satzanfänge, Fragen, Überschriften) in denen Lernende die Lerninhalte dokumentieren, über ihre Lerngewinne berichten und die Lernerfolge reflektieren. (vgl. Rambow, R. & Nückles M., 2002 und Renkl u.a., 2004). Der Vorteil von Lerntagebüchern für den Lernenden selbst liegt nach Renkl u.a. (2004) vor allem in zwei Aspekten: (1) Lernen durch Schreiben und (2) Lernen lernen. Ein Aspekt wurde oben schon genannt: die tiefere Verarbeitung durch die „Verschriftlichung“. Eine regelmäßige Dokumentation trägt außerdem dazu bei, dass ein „roter Faden“ durch den gesamten Lernstoff gelegt wird. Besonders hilfreich ist es, wenn die Lernenden Querverbindungen zu anderen Inhalten herstellen und es schaffen, das neu zu erlernende Stoffgebiet mit dem eigenen Vorwissen und den Vorerfahrungen zu verknüpfen. Ein besonders wichtiger Aspekt ist zudem, dass die Lernenden die Inhalte bewerten. Ein Lerntagebuch trägt auch dazu bei, dass die Lernenden ihr eigenes Arbeitsverhalten besser verstehen und dadurch andere/neue individuelle Lernstrategien entwickeln können. Besonders hervorzuheben ist, dass die Verantwortungsübernahme für den eigenen Lernprozess gefördert wird: Indem die Lernenden sich selbst gegenüber „Rechenschaft“ ablegen, übernehmen sie automatisch Verantwortung für die eigene Informationsaufnahme und definieren ihre eigenen Lernziele. Dies unterstützt gleichzeitig die Lernmotivation. Die konkrete Gestaltung und Strukturierung eines Lerntagebuchs kann je nach Zielgruppe, Lernzielen und Inhalten variieren. Maßgeblich für den Erfolg eines Lerntagebuchs ist dabei eine sinnvolle und gute Vorstrukturierung durch die Lehrperson. Hierbei spielt es keine Rolle, ob die Lerntagebücher online oder offline ausgefüllt werden. Wichtig ist nur, dass die Lernenden im Lerntagebuch Hinweise und Anweisungen erhalten, die die o.g. Vorteile auch tatsächlich berücksichtigen. Eine Aufforderung: „Schreiben sie mal auf, was Ihnen wichtig ist“ ist wenig lernerförderlich, da damit nur die reine Wiedergabe des Lernstoffs gefördert wird aber keine tiefergehende Verarbeitung. Eine Vorstrukturierung kann verschiedene Formen aufweisen: Fragen, die beantwortet werden, Satzanfänge, die vervollständigt werden, Tabellen, in die die wesentlichen Aspekte eingetragen werden müssen usw. Aus der Praxis der Autorin sind folgende Strukturierungsvorgaben sinnvoll und hilfreich: 1. Strukturierung anhand von Fragen: Was sind die Hauptgedanken im Lernstoff? Wie hängen diese zusammen? Welche weiteren Beispiele fallen Ihnen zum Lernstoff ein? Können Sie Erfahrungen aus ihrem persönlichen Umfeld nennen? Online-Tutoring-Journal 2/2007 www.online-tutoring-journal.de

Artikel Katja Bett Otj2007

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Katja Bett: Das Lerntagebuch – eine Methode zur Unterstützung des individuellen Lernens im virtuellen Raum

Die Aus-, Fort- und Weiterbildung im virtuellen Raum stellt viele verschiedene Anforderungen an die Lernenden: sie müssen sich die (medial aufbereiteten) Inhalte aneignen, sich mit ihnen auseinandersetzen und auf die eigenen (Berufs-)Praxis transferieren, mit einem/r Tutor/in virtuell kommunizieren, virtuelle Wissenstests und Übungen durchführen und meist sogar online gestützt mit anderen Lernenden kooperieren und gemeinsam Aufgaben lösen usw. Die Lernenden stehen also vor der Anforderung die verschiedenen Wissenvermittlungs-, Wissenanwendungs- und Wissenstransferphasen sinnvoll zu strukturieren und zu bewältigen. Das „Lerntagebuch“ ist eine Methode, die die Lernenden genau in diesen verschiedenen Phasen unterstützen kann. Mit Hilfe des Lerntagebuchs wird im Gegensatz zum kurzfristigen „Prüfungswissen-Lernen“, ein tieferes Verständnis und damit auch das längerfristige Behalten komplexer Inhalte unterstützt und die Reflexion über das eigene (berufliche) Handeln angeregt. Die Besonderheit liegt darin, dass die persönlichen Erkenntnisse, der Zuwachs an Wissen und die Lernerfahrungen verschriftlicht werden, was zu einer tieferen Verarbeitung führt als das reine Lesen oder Zuhören. Ein zusätzlicher Nutzen besteht darin, dass das Lerntagebuch den Lernenden ihre eigenen Lernstrategien bewusst macht, sie dazu anregt diese zu bewerten und ggfs. zu ändern. Konkret bestehen Lerntagebücher aus in bestimmten Zeitabständen geführten Lernprotokollen, mit einer vorgegebenen Struktur (z.B. Satzanfänge, Fragen, Überschriften) in denen Lernende die Lerninhalte dokumentieren, über ihre Lerngewinne berichten und die Lernerfolge reflektieren. (vgl. Rambow, R. & Nückles M., 2002 und Renkl u.a., 2004).

Der Vorteil von Lerntagebüchern für den Lernenden selbst liegt nach Renkl u.a. (2004) vor allem in zwei Aspekten: (1) Lernen durch Schreiben und (2) Lernen lernen. Ein Aspekt wurde oben schon genannt: die tiefere Verarbeitung durch die „Verschriftlichung“. Eine regelmäßige Dokumentation trägt außerdem dazu bei, dass ein „roter Faden“ durch den gesamten Lernstoff gelegt wird. Besonders hilfreich ist es, wenn die Lernenden Querverbindungen zu anderen Inhalten herstellen und es schaffen, das neu zu erlernende Stoffgebiet mit dem eigenen Vorwissen und den Vorerfahrungen zu verknüpfen. Ein besonders wichtiger Aspekt ist zudem, dass die Lernenden die Inhalte bewerten. Ein Lerntagebuch trägt auch dazu bei, dass die Lernenden ihr eigenes Arbeitsverhalten besser verstehen und dadurch andere/neue individuelle Lernstrategien entwickeln können. Besonders hervorzuheben ist, dass die Verantwortungsübernahme für den eigenen Lernprozess gefördert wird: Indem die Lernenden sich selbst gegenüber „Rechenschaft“ ablegen, übernehmen sie automatisch Verantwortung für die eigene Informationsaufnahme und definieren ihre eigenen Lernziele. Dies unterstützt gleichzeitig die Lernmotivation.

Die konkrete Gestaltung und Strukturierung eines Lerntagebuchs kann je nach Zielgruppe, Lernzielen und Inhalten variieren. Maßgeblich für den Erfolg eines Lerntagebuchs ist dabei eine sinnvolle und gute Vorstrukturierung durch die Lehrperson. Hierbei spielt es keine Rolle, ob die Lerntagebücher online oder offline ausgefüllt werden. Wichtig ist nur, dass die Lernenden im Lerntagebuch Hinweise und Anweisungen erhalten, die die o.g. Vorteile auch tatsächlich berücksichtigen. Eine Aufforderung: „Schreiben sie mal auf, was Ihnen wichtig ist“ ist wenig lernerförderlich, da damit nur die reine Wiedergabe des Lernstoffs gefördert wird aber keine tiefergehende Verarbeitung. Eine Vorstrukturierung kann verschiedene Formen aufweisen: Fragen, die beantwortet werden, Satzanfänge, die vervollständigt werden, Tabellen, in die die wesentlichen Aspekte eingetragen werden müssen usw. Aus der Praxis der Autorin sind folgende Strukturierungsvorgaben sinnvoll und hilfreich:

1. Strukturierung anhand von Fragen:• Was sind die Hauptgedanken im Lernstoff? Wie hängen diese zusammen?• Welche weiteren Beispiele fallen Ihnen zum Lernstoff ein? Können Sie Erfahrungen

aus ihrem persönlichen Umfeld nennen?

Online-Tutoring-Journal 2/2007 www.online-tutoring-journal.de

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• Mit welchen anderen Inhaltsbereichen hängt das Thema zusammen?• Welche Aspekte des Lernstoffs haben Sie besonders gut verstanden?• Welche Aspekte des Lernstoffs sind unklar? Welche Fragen sind offen geblieben?• Welche Lernziele würden Sie für sich definieren? Und haben Sie diese erreicht?• Sind Sie mit Ihrer Vorgehensweise im Umgang mit dem Lernstoff zufrieden?

2. Strukturierung anhand von Satzanfängen (siehe http://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/LERNTECHNIK/Lerntagebuch.shtml)

• Für mich war heute sehr hilfreich, dass ...• Es wäre heute wichtig gewesen, wenn ...• Ich empfand Langeweile, als ...• Für mich war besonders interessant, dass ...• Ich fühlte mich abgehängt, weil ...• Ich war froh, dass ...

3. Tabelle mit folgenden Spalten:• Die fünf wichtigsten Aspekte• Verständnisprobleme• Fehlendes Wissen• Konkrete Beispiele zum Lernstoff• Querverbindungen zu anderen Themengebieten• Beurteilung meiner Lernstrategie

Offen ist noch die Frage, ob das Lerntagebuch nur persönlich für den einzelnen Lernenden zur Verfügung steht und niemand weiteres darauf Zugriff hat oder ob die Lehrperson regelmäßig Einsicht nehmen sollte oder sogar die gesamte Lerngruppe. Ersteres ist meist wenig sinnvoll und nur dann einzusetzen, wenn die Lerngruppe sehr groß ist oder die Teilnehmergruppe das wünscht. Kann die Lehrperson die Lerntagebücher einsehen (was in Online-Umgebungen einfach zu realisieren ist!), so erhält sie automatisch ein Feedback darüber, was vom Lernstoff tatsächlich verstanden wurde und was nicht, wo es Schwierigkeiten gab und ob der Transfer und die Verbindung zu den anderen Themenbereichen geklappt hat. Die Lehrperson ist also in der Lage entsprechend reagieren zu können. So kann sie z.B. unverstandene Aspekte noch einmal im Forum oder in einer Sitzung im Virtual Classroom aufgreifen, in einem Forum offen gebliebene Fragen sammeln lassen, den Transfer durch weitere Aufgaben oder eine Gruppendiskussion anregen, Zusatzmaterialien und Links online bereitstellen o.ä. Außerdem gibt es noch einen Nebenaspekt: wenn das Lerntagebuch öffentlich geführt wird, dann erhöht sich natürlich auch der Zwang für die Lernenden das Lerntagebuch tatsächlich auszufüllen. Als ebenso hilfreich hat sich erwiesen, wenn die Lernenden dazu aufgefordert werden, die Lernprotokolle ihrer Mitlernenden zu bewerten und eine Rückmeldung zu geben. Wenn die Gruppe zu groß ist, können auch Lerntandems gebildet werden, die sich gegenseitig kommentieren. Hiezu merkt Renkl u.a. (2004) an: „Differenzen zwischen der Selbstbewertung und der Bewertung durch den Lernpartner können dazu anregen, dass der einzelne Lernende seine eigene Vorgehensweise einer kritischen Prüfung unterzieht und das Protokoll ggfs. überarbeitet.“

Die Identifikation mit der Methode Lerntagebuch und somit auch die Einsicht, dass das Lerntagebuch gewinnbringend sein kann, kann noch durch folgende Maßnahme erhöht werden, die an der Universität Hohenheim von Prof. Dr. J. Müller gewählt wurde: die Studierenden entwickelten gemeinsam mit dem Dozenten in der ersten Veranstaltungseinheit die Aspekte, die das Lerntagebuch als Strukturierungsvorgabe enthalten soll. Die Studierenden wählten folgende Struktur:

• Das waren die Inhalte der Veranstaltung (Keywords):....• Diese Erkenntnisse nehme ich mit (Take-Home-Message):...• So kann ich das Gelernte umsetzen:...

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• Diese Fragen sind bei mir noch offen:...• Hier würde ich mich gerne weiter vertiefen:...• Das bleibt noch zu sagen:...

In der abschließenden Auswertungsrunde (Gruppendiskussion) zur Methode Lerntagebuch, bewerteten die Studierenden das Lerntagebuch als sehr hilfreich für den Lernprozess. Auch der Dozent war von der Methode überzeugt und wies darauf hin, dass die Einträge im Lerntagebuch von ihm jedes Mal in der darauf folgenden Veranstaltung berücksichtigt wurden: die ersten 5 bis 10 Minuten der Lehrveranstaltung dienten dazu, auf die Einträge im Lerntagebuch einzugehen und (offene) Fragen zu beantworten.

Dieses Beispiel zeigt, dass das Lerntagebuch insbesondere dann gewinnbringend ist, wenn es zu einem integralen Bestandteil einer Veranstaltung wird und nicht im „stillen Kämmerlein“ anonym geführt wird.

Der Einsatz eines Lerntagebuchs fördert also den individuellen Wissenserwerb und die Wissensverarbeitung, den Wissenstransfer und die Reflexion über den eigenen Lernprozess. Gerade im E-Learning-Bereich, in dem der zeitliche Anteil an selbstorganisierten Lernphasen meist sehr hoch ist, ist es wichtig, dass die Lernenden hierbei nicht alleine gelassen werden, sondern eine individuelle Unterstützung erhalten. Dazu ist das Lerntagebuch bestens geeignet insbesondere dann, wenn auch noch Feedbackschleifen zum individuellen Lernprozess integriert sind.

LiteraturAlsheimer, M. & Müller, U. (o.J.). Tagebuch schreiben. Grundlagen der Weiterbildung - Praxishilfen. Lose-Blatt-Sammlung, Systemstelle 7.40.20.12. Neuwied: Luchterhand.

Friedrich, H. F. & Mandl, H. (2006). Lernstrategien: Zur Strukturierung des Forschungsfeldes. In H. Mandl & H.F. Friedrich (Hrsg.), Handbuch Lernstrategien, (S. 1-23) Göttingen u.a.: Hogrefe.

Renkl, A., Nückles, M., Schwonke, R., Berthold, K., & Hauser, S. (2004). Lerntagebücher als Medium selbstgesteuerten Lernens: Theoretischer Hintergrund, empirische Befunde, praktische Entwicklungen. In M. Wosnitza, A. Frey, & R. Jäger (Hrsg.), Lernprozess, Lernumgebung und Lerndiagnostik. Wissenschaftliche Beiträge zum Lernen im 21. Jahrhundert, (S. 101-116). Landau: Verlag Empirische Pädagogik.

Rambow, R. & Nückles M (2002). Der Einsatz des Lerntagebuchs in der Hochschullehre. Das Hochschulwesen, 50, 113-120.

Renkl, A. (1996). Träges Wissen. Wenn Erlerntes nicht genutzt wird. Psychologische Rundschau, 47, 78-92.

Links: http://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/LERNTECHNIK/Lerntagebuch.shtml

SoftwareHier kann man die Software eHelp runterladen, die von Renkl und Mitarbeitern für die Erstellung von Lerntagebüchern entwickelt wurde:http://www4.psychologie.uni-freiburg.de/einrichtungen/Paedagogische/rolf/eHELp.htm

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