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Jan Assmann Gott und die Götter /. Monotheismus und die Konstruktion des Heidentums Noch immer scheint unter Theologen und Religionswissenschaftlern die Ansicht vorherrschend, der Monotheismus (die ausschließliche Verehrung eines Gottes bei grundsätzlicher Bestreitung der Existenz anderer Götter) habe sich über verschiedene Zwischenstadien wie „Henotheismus" (das Herausheben eines über die vielen anderen Götter) und „Monolatrie" (die ausschließliche Verehrung eines Gottes bei Anerkennung der Existenz an derer Götter) allmählich aus dem Polytheismus der orientalischen Hochreli gionen entwickelt. Diese Theorie scheint auch sehr plausibel, denn einer seits bildet sich schon in den polytheistischen Hochreligionen ein ausgeprägter Henotheismus heraus, der einen höchsten Gott so hoch über alle anderen stellt, daß diese dazu tendieren, im Einen aufzugehen („Alle Götter sind Eins"), und andererseits ist durch die Forschungen der letzten Jahrzehnte immer klarer geworden, daß der Gott Israels ursprünglich auch nichts anderes als ein solcher Pantheonchef war, der die anderen Götter weit überragte. Dafür beruft man sich auf ganz verschiedene Quellen, ar chäologische und literarische. Die archäologischen Quellen besagen, daß es durchaus Götter gab in Israel, und die literarischen lassen erkennen, daß die Existenz anderer Götter zunächst gar nicht bestritten, sondern durchaus an erkannt wird, daß es also im Alten Testament weithin gar nicht um Mo notheismus, sondern um Monolatrie geht. Es sieht sogar so aus, als sei im Alten Testament die Existenz anderer Götter geradezu vorausgesetzt, wenn anders die Eifersucht Gottes, der Vorwurf der Untreue, ja der „Hurerei" mit anderen Göttern und die ständigen Ermahnungen zur Treue einen prägnan ten Sinn haben sollen. So wird man wohl davon ausgehen können, daß der eigentliche Monotheismus sich in Israel erst mit Deuterojesaja artikuliert und viel später dann durchgesetzt hat. Die Bibel selbst sieht das freilich anders. In ihrer Darstellung steht der reine oder reife Monotheismus nicht am Ende einer langen Entwicklung, sondern in aller Klarheit und Deutlichkeit an jenem Anfang, den sie in ihrer erinnernden Rekonstruktion mit der SinaiOffenbarung, d.h. der Übergabe Originalveröffentlichung in: Gesine Palmer (Hrsg.), Fragen nach dem einen Gott, Tübingen 2007, S. 29-51

Assmann Gott Und Die Goetter 2007

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Jan Assmann

Gott und die Götter

/ . Monotheismus und die Konstruktion des Heidentums

Noch immer scheint unter Theologen und Religionswissenschaftlern die Ansicht vorherrschend, der Monotheismus (die ausschließliche Verehrung eines Gottes bei grundsätzlicher Bestreitung der Existenz anderer Götter) habe sich über verschiedene Zwischenstadien wie „Henotheismus" (das Herausheben eines über die vielen anderen Götter) und „Monolatrie" (die ausschließliche Verehrung eines Gottes bei Anerkennung der Existenz an­derer Götter) allmählich aus dem Polytheismus der orientalischen Hochreli­gionen entwickelt. Diese Theorie scheint auch sehr plausibel, denn einer­seits bildet sich schon in den polytheistischen Hochreligionen ein ausgeprägter Henotheismus heraus, der einen höchsten Gott so hoch über alle anderen stellt, daß diese dazu tendieren, im Einen aufzugehen („Alle Götter sind Eins"), und andererseits ist durch die Forschungen der letzten Jahrzehnte immer klarer geworden, daß der Gott Israels ursprünglich auch nichts anderes als ein solcher Pantheonchef war, der die anderen Götter weit überragte. Dafür beruft man sich auf ganz verschiedene Quellen, ar­chäologische und literarische. Die archäologischen Quellen besagen, daß es durchaus Götter gab in Israel, und die literarischen lassen erkennen, daß die Existenz anderer Götter zunächst gar nicht bestritten, sondern durchaus an­erkannt wird, daß es also im Alten Testament weithin gar nicht um Mo­notheismus, sondern um Monolatrie geht. Es sieht sogar so aus, als sei im Alten Testament die Existenz anderer Götter geradezu vorausgesetzt, wenn anders die Eifersucht Gottes, der Vorwurf der Untreue, ja der „Hurerei" mit anderen Göttern und die ständigen Ermahnungen zur Treue einen prägnan­ten Sinn haben sollen. So wird man wohl davon ausgehen können, daß der eigentliche Monotheismus sich in Israel erst mit Deuterojesaja artikuliert und viel später dann durchgesetzt hat.

Die Bibel selbst sieht das freilich anders. In ihrer Darstellung steht der reine oder reife Monotheismus nicht am Ende einer langen Entwicklung, sondern in aller Klarheit und Deutlichkeit an jenem Anfang, den sie in ihrer erinnernden Rekonstruktion mit der Sinai­Offenbarung, d.h. der Übergabe

Originalveröffentlichung in: Gesine Palmer (Hrsg.), Fragen nach dem einen Gott, Tübingen 2007, S. 29-51

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der Tora an Mose setzt. Diese Sicht ist zwar ohne jeden Zweifel historisch „falsch", sie ist aber gleichwohl semantisch richtig, d.h. sie erfaßt den re­volutionären, antagonistischen Charakter dieser neuen Art von Religion, die in ihrer Betonung der ausschließlichen Bindung an einen einzigen Gott sich in einen ebenfalls vollkommen neuartigen, eben revolutionären und nicht evolutiv zu erklärenden Gegensatz zu den Hochreligionen und ihren Göt­tern stellt. Die Gabe der Tora steht nicht am Ende einer Entwicklung, son­dern markiert einen radikalen Bruch mit allem Vorangegangen.

Um diesen Gegensatz („Keine anderen Götter!") geht es mir; er hat in den Hochreligionen weder eine Parallele noch ist er tendenziell in ihnen ange­legt. Mit dem Ausdruck „Monotheismus" ist dieser Gegensatz zweifellos höchst unzureichend beschrieben, denn die anderen Götter sind hier ja vor­ausgesetzt, und auch Begriffe wie Henotheismus und Monolatrie wollen nicht recht passen. Deshalb erscheint mir der Streit um Worte auch ziemlich müßig, der sich in der in den letzten Jahren immer heftiger geführten Mo­notheismus­Debatte entfaltet hat.

Die sinn­ und gedächtnisgeschichtliche Perspektive, die ich hier zum Tra­gen bringen möchte, ist offenbar von Seiten der alttestamentlichen Wissen­schaft und Judaistik schwer nachzuvollziehen. So hat mir vor allem Peter Schäfer ein unlauteres Versteckspiel mit meinen Lesern vorgeworfen, die nie wissen, ob ich nun auf geschichtlicher oder gedächtnisgeschichtlicher Ebene argumentiere.1 Deshalb möchte ich diese Perspektive noch einmal deutlich zu machen versuchen. Ich frage nicht, wie es eigentlich gewesen, sondern wie es erinnert und in das geschichtliche Selbstbild bzw. die histo­rische Semantik einer Gesellschaft eingebaut wurde. Dabei darf man aber natürlich nicht vollkommen absehen von den Aufschlüssen, die uns andere Quellen, vor allem archäologische, über die fraglichen Vorgänge geben. Deshalb unterscheide ich zwischen „Spuren", „Botschaften" und „Erinne­rungen".2 Spuren sind die archäologischen Zeugnisse, Botschaften sind die zeitgenössischen Bilder und Texte, die ihren Zeitgenossen und ihrer Nach­welt etwas mitteilen wollen, und Erinnerungen sind die rekonstruktiven Rückblicke aus späterer Zeit. Was unser Thema angeht, haben wir es mit Spuren zu tun, um die sich vor allem Othmar Keel mit seiner Schule in

1 Peter Schäfer, „Das jüdische Monopol. Jan Assmann und der Monotheismus", in: Süd­deutsche Zeitung vom 11.08.2004: „Dabei muß sich der kritische Leser wie der Hase in der Geschichte vom Hasen und vom Igel vorkommen. Wann immer man ein Argument gegen Assmanns .historische' Rekonstruktion vorbringt, ruft er ,Ick bin all hier' ­ ich weiß das alles, aber ich rede nicht von Geschichte, sondern von Gedächtnisgeschichte." Ich sehe ein, daß die­se Unterscheidung neu und ungewohnt ist, was aber nicht gegen sie spricht und sie vor allem nicht als ein wissenschaftliches Verfahren delegitimiert.

2 Siehe hierzu mein Buch Ägypten. Eine Sinngeschichte, München 1996.

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bahnbrechender Weise gekümmert hat,3 und dann vor allem und fast aus­schließlich mit Erinnerungen, in die möglicherweise auch einige Botschaf­ten, d.h. zeitgenössische Textquellen eingearbeitet worden sind. In Ägypten ist das ganz anders, da sind wir geradezu überschwemmt mit Botschaften, spärlicher ist es mit Spuren, weil das meiste unter meterhohen Nilschlamm­sedimentierungen verloren oder den „Sebbach"­Gräbern zum Opfer gefallen ist, die die unterägyptischen Ruinenhügel zum Düngen ihrer Felder abge­tragen haben, und ganz ansatzweise nur stoßen wir auf Erinnerungen, d.h. eine rekonstruktive Aufarbeitung der Vergangenheit. Letzteres, die Analyse der Erinnerungen, ist der Gegenstand der Gedächtnisgeschichte.4

Leider, anders kann ich es nicht ausdrücken, erscheint mir eine weitere Vorbemerkung unerläßlich. Meine Betonung des antagonistischen, revolu­tionären und vollkommen neuartigen Charakters der sich in Israel nach dem Exil durchsetzenden und ihre Geschichte erinnernden Religion wird von der Theologie durchweg als Kritik des Christen­ bzw. Judentums und als Apo­logie des „Heidentums" empfunden.5 Wenn ich behaupte, daß eine gewisse Form von Intoleranz unverzichtbarer Bestandteil dieses Antagonismus sei, mit dem sich die neue Religion von den anderen absetzt, dann versteht man das als einen Angriff auf das Christentum und womöglich gar noch auf das Judentum. In ihrer heutigen Ausprägung haben sich Christentum, Judentum und auch der Islam von der Intoleranz und der Gewalt, die den Grundtexten der neuen Religion aufgrund ihres umstürzenden Charakters nun einmal notwendigerweise eingeschrieben sind, weit entfernt ­ mit Recht, leben wir doch schon lange nicht mehr in einer von „Göttern" beherrschten Welt, an deren Stelle der eine GOTT zu treten hat. Auf der anderen Seit&aber haben diese Texte bzw. die ihnen eingeschriebene antagonistische Semantik der Ausgrenzung, Intoleranz und Gewalt eine unheimliche Aktualität gewon­nen; nicht in den Religionen selbst, aber in den fundamentalistischen Be­wegungen, die sich in ihrem Rahmen, besonders im Islam, entwickelt ha­ben.

Worum es mir aber eigentlich geht, ist, der biblischen Religion die ganze Bedeutung einer menschheitsgeschichtlichen Wende zurückzugeben, anstatt sie einzuebnen in die Entwicklungslinien der Religionsgeschichte. Das sieht man von Ägypten aus vielleicht schärfer als aus der theologischen Innen­perspektive. Ich möchte aber betonen, daß meine Bemerkungen weder kri­

3 Siehe vor allem Othmar Keel/Chrristoph Ühlinger, Göttinnen, Götter und Gottessymbole. Neue Erkenntnisse zur Religionsgeschichte Kanaans und Israels aufgrund bislang unerschlos-sener ikonographischer Quellen, QD 134, Freiburg u.a. 1992.

4 Diese Methode habe ich im ersten Kapitel meines Buches Moses der Ägypter. Entzifferung einer Gedächtnisspur, München 1998, dargestellt.

5 In meinem Buch Die Mosaische Unterscheidung oder Der Preis des Monotheismus, Mün­chen 2003, habe ich mich mit meinen Kritikern auseinandergesetzt und auch einige der wich­tigsten Kritiken im Anhang abgedruckt.

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tisch noch apologetisch gemeint sind, sondern hermeneutisch. Ich will ver­stehen, worum es in den Texten eigentlich geht, die ich im folgenden be­handeln möchte. Warum inszenieren sie den in der historischen Wirklich­keit sicher mit unendlicher Mühe durchgesetzten Entwicklungsgang als Bruch und radikalen Neubeginn?

Dabei will ich mich auf einige ausgewählte Beispiele beschränken, in de­nen die antagonistische Abgrenzung gegenüber den anderen besonders deutlich zum Ausdruck kommt, und beginne mit Psalm 82:

„[Ein Psalm Asafs.] Gott steht auf in der Versammlung der Götter, im Kreis der Götter hält er Gericht.

,Wie lange noch wollt ihr ungerecht richten und die Frevler begünstigen? [Sela]

Verschafft Recht den Unterdrückten und Waisen, verhelft den Gebeugten und Bedürftigen

zum Recht!

Befreit die Geringen und Armen, entreißt sie der Hand der Frevler!'

Sie aber haben weder Einsicht noch Verstand/sie tappen dahin im Finstern. Alle Grundfe­

sten der Erde wanken.

,Wohl habe ich gesagt: Ihr seid Götter, ihr alle seid Söhne des Höchsten.

Doch nun sollt ihr sterben wie Menschen, sollt stürzen wie jeder der Fürsten.'

Steh auf, Gott, und richte die Erde! Denn alle Völker sind dein Erbteil."6

Auf den ersten Blick würde man diesen Psalm vielleicht einer frühen, noch nahezu polytheistischen Phase zuordnen, in der mit anderen Göttern noch durchaus gerechnet wird und Jahwe nur eine Vorrangstellung zukommt. Bei näherem Hinsehen freilich zeigt sich, daß eher das Gegenteil richtig ist. Hier wird ein Blick auf die anderen Religionen geworfen, die in ihrem Hei­dentum schonungslos gegeißelt werden. Gott steht unter den Göttern wie Is­rael unter den Völkern: ein Bollwerk der Gerechtigkeit in einer Welt von Unrecht und Verbrechen. Dieser Text führt uns vor Augen, was es mit den anderen Religionen auf sich hat und was Heidentum heißt: Rechtlosigkeit, Gewaltherrschaft, Unterdrückung, Entrechtung und Ausbeutung der Armen. Das alles erwächst aus der Orientierungslosigkeit der Heiden, die ohne das Licht der geoffenbarten Tora im Finstern wandeln müssen. Heidentum ist Unverstand, Monotheismus ist Aufklärung. Zum Schluß wird diesen ande­ren Göttern bzw. den Göttern der anderen, d.h. den anderen Religionen das Ende verkündet. Und der Psalm endet mit einem Aufruf an Gott, das ange­kündigte Urteil zu vollstrecken und dem Heidentum ein Ende zu machen. Dieser Psalm entwirft eine klar universalistische, weltgeschichtliche Per­spektive, wie sie erst mit Deuterojesaia in die Bibel einzieht. Das ist kein

6 Alle Bibelzitate folgen der Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift von der katholischen Bibelanstalt Stuttgart.

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früher, sondern ein später Text, und seine Tendenz ist theoklastisch. Die anderen Götter werden gestürzt, so wie durch das Bilderverbot ihre Bilder gestürzt werden. Zwischen Jahwe und den anderen Göttern, zwischen Recht und Unrecht, kann es keine friedliche Koexistenz geben. Die Durchsetzung Jahwes bedeutet den Untergang des Heidentums. Dieser Text zieht, was ich die „Mosaische Unterscheidung" genannt habe, die Unterscheidung zwi­schen wahrer und falscher Religion. Das Heidentum erweist sich als falsche Religion, weil es aus Unkenntnis der Wahrheit in Unrecht und Verbrechen schwelgt.

Diesem Text lassen sich eine ganze Reihe von Texten zur Seite stellen, die denselben ausgrenzenden und „vernichtenden" Blick auf die andere Re­ligion werfen. Ihre Waffe ist jedoch nicht die direkte Invektive, sondern die Satire. Die biblische Religionssatire beruht auf der altorientalischen Gat­tung der Berufssatire. Deren Verfahren besteht darin, bestimmte berufsspe­zifische Tätigkeiten als ein zielloses, absurdes Treiben darzustellen, das zu nichts nütze ist und nur ermüdend, verunreinigend und verunstaltend auf den derart Tätigen zurückwirkt und ihn dadurch aus der Gemeinschaft und ihren Wertordnungen sinnvollen sozialen Handelns ausschließt. Die be­schriebene Tätigkeit oder Handlungsweise wird dadurch komisch verfrem­det, daß von bestimmten Voraussetzungen, die ihre Sinnhaftigkeit ausma­chen, bewußt abgesehen wird. Die Berufssatire blendet den sinngebenden Rahmen der sozialen Arbeitsteilung aus, die Religionssatire die Sinnvor­stellungen der Bildreligion. Hier wird z.B. von der Tatsache abgesehen, daß ein Stück Holz natürlich niemals eo ipso als Götterbild angebetet werden kann, sondern erst einer umständlichen Weihezeremonie unterzogen werden muß, die es mit der Götterwelt in Verbindung bringt und zur zeitweiligen Aufnahme göttlicher Beseelung zubereitet. Die Reduktion des Kultbilds, das nur im Zusammenhang einer hochkomplexen Semiotik als solches „funktioniert", auf seine bloße Materialität, ist ein verfremdender Trick, der alle Handlungen, die sich auf es beziehen, in das Licht des Absurden stellt. Ich zitiere nur einige Verse aus dem berühmtesten Beispiel, dem 44. Kapitel des Buches Jesaja:

„Der Schmied facht die Kohlenglut an, er formt [das Götterbild] mit seinem Hammer und

bearbeitet es mit kräftigem Arm. Dabei wird er hungrig und hat keine Kraft mehr. Trinkt er

kein Wasser, so wird er ermatten. Der Schnitzer mißt das Holz mit der Meßschnur, er ent­

wirft das Bild mit dem Stift und schnitzt es mit seinem Messer; er umreißt es mit seinem

Zirkel und formt die Gestalt eines Mannes, das prächtige Bild eines Menschen; in einem

Haus soll es wohnen.

Man fällt eine Zeder, wählt eine Eiche oder sonst einen mächtigen Baum, den man stärker

werden ließ als die übrigen Bäume im Wald. Oder man pflanzt einen Lorbeerbaum, den der

Regen groß werden läßt. Das Holz nehmen die Menschen zum Heizen; man macht ein Feuer

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und wärmt sich daran. Auch schürt man das Feuer und bäckt damit Brot. Oder man schnitzt daraus einen Gott und wirft sich nieder vor ihm; man macht ein Götterbild und fällt vor ihm auf die Knie. [.. .] Den einen Teil des Holzes wirft man ins Feuer und röstet Fleisch in der Glut und sättigt sich an dem Braten. Oder man wärmt sich am Feuer und sagt: Oh, wie ist mir warm! Ich spüre die Glut. Aus dem Rest des Holzes aber macht man sich einen Gott, ein Götterbild, vor das man sich hinkniet, zu dem man betet und sagt: Rette mich, du bist doch mein Gott! Unwissend sind sie und ohne Verstand; denn ihre Augen sind verklebt, sie sehen nichts mehr, und ihr Herz wird nicht klug. Sie überlegen nichts, sie haben keine Erkenntnis und Einsicht, so daß sie sich sagen würden: Den einen Teil habe ich ins Feuer geworfen, habe Brot in der Glut gebacken und Fleisch gebraten und es gegessen. Aus dem Rest des Holzes aber habe ich mir einen abscheulichen Götzen gemacht, und nun knie ich nieder vor einem Holzklotz." (Jes 44,12­19)

Hier ist keine Rede mehr von Unrecht und Verbrechen. Die Satire klagt nicht an, sie zieht ins Komische, verfremdet, und stellt die andere Religion als absurdes Treiben bloß. Genau wie im Psalm das Unrechttun, erwächst aber auch hier das Sinnlose aus der Umnachtung, die das Kennzeichen des vom Licht der Offenbarung ausgeschlossenen Heidentums darstellt.

Der Prophet Jeremia bedient sich der Religionssatire im 10. Kapitel seines Buchs:

„Die Gebräuche der Völker sind leerer Wahn. Ihre Götzen sind nur Holz, das man im Wald schlägt, ein Werk aus der Hand des Schnitzers, mit dem Messer verfertigt. Er verziert es mit Silber und Gold, mit Nagel und Hammer macht er es fest, so daß es nicht wackelt. Sie sind wie Vogelscheuchen im Gurkenfeld. Sie können nicht reden; man muß sie tragen, weil sie nicht gehen können. Fürchtet euch nicht vor ihnen; denn sie können weder Schaden zufügen noch Gutes bewirken. [...] Sie alle sind töricht und dumm. Was die nichtigen Götzen zu bieten haben ­ Holz ist es. Sie sind gehämmertes Silber aus Tarschisch und Gold aus Ofir, Arbeit des Schnitzers und Goldschmieds; violetter und roter Purpur ist ihr Gewand; sie alle sind nur das Werk kunst­fertiger Männer. Der Herr aber ist in Wahrheit Gott, lebendiger Gott und ewiger König. Vor seinem Zorn er­bebt die Erde, die Völker halten seinen Groll nicht aus. Von jenen dagegen sollt ihr sagen: Die Götter, die weder Himmel noch Erde erschufen, sie sollen verschwinden von der Erde und unter dem Himmel."

Einerseits stoßen wir hier auf dieselbe Technik der Verfremdung wie bei Deuterojesaia, die darin besteht, zwischen Geist und Materie zu unterschei­den und die Götter der anderen samt dem ihnen gewidmeten Kult der reinen Materie zuzuordnen. Andererseits kommt hier abschließend die theoklasti­

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sehe Tendenz von Psalm 82 noch einmal in aller Schonungslosigkeit zum Ausdruck. Ikonoklasmus ist Theoklasmus. Mit den Bildern sollen die Götter verschwinden. Und wieder bildet das Motiv der Torheit die gemeinsame Klammer. Heidentum ist Verblendung, Monotheismus ist Aufklärung.

Ihren schärfsten Ausdruck findet diese polemische Karikatur der anderen Religion in dem apokryphen Buch der Weisheit Salomos aus hellenistischer Zeit. Darin wird zugleich deutlich, daß die „Idolatrie" immer mehr zum ent­scheidenden Kriterium der Abgrenzung von den „Heiden" und zur Signatur des Heidentums wird. Der erste Teil dieser satirischen Invektive steht noch unverkennbar in der Tradition von Deuterojesaja:

„Als wenn ein Zimmermann, der zu arbeiten sucht, etwa einen Baum absägt und behaut und schichtet ihn wohl und macht etwas Künstliches und Feines daraus, das man braucht zur Notdurft im Leben. Die Späne aber von solcher Arbeit braucht er, Speise zu kochen, daß er satt werde. Was aber davon übrig bleibt, das sonst nichts nütze ist, weil es krummes und ästiges Holz ist, nimmt und schnitzt er, wenn er müßig ist, mit Fleiß und bildet's nach seiner Kunst mei­sterlich und macht's eines Menschen ähnlich oder verachteten Tieres Bilde gleich und färbst's mit roter und weißer Farbe, rot und schön, und wo ein Flecken ist, streicht er's zu; und macht ihm ein feines Häuslein und setzt es an die Wand und heftet's fest mit Eisen, daß es nicht falle; so wohl versorgt er's, denn er weiß, daß es sich nicht selber helfen kann; denn es ist ein Bild und bedarf wohl Hilfe. Und so er betet für seine Güter, für sein Weib, für seine Kinder, schämt er sich nicht, mit ei­nem Leblosen zu reden; und er ruft den Schwachen um Gesundheit an, bittet den Toten ums Leben, fleht zu dem Untüchtigen um Hilfe und zu dem, so nicht gehen kann, um glückliche Reise; und um seinen Gewinn, Gewerbe und Hantierung, daß es wohl gelinge, bittet er den, so gar nichts vermag." (Sap.Sal. 13,10­19)

Dann aber schlägt der Text einen ganz anderen Ton an, in dem die antago­nistische Polemik sehr viel unverhüllter zum Ausdruck kommt:

„Verflucht soll das sein, was mit Händen geschnitzt ist, wie auch der, der es schnitzte; dieser, weil er's machte, jenes, weil es Gott genannt wird, obwohl es doch vergänglich ist. Denn Gott sind beide gleich verhaßt, der Gottlose und sein gottloses Werk; denn das Werk wird samt dem Meister bestraft werden. Darum werden auch die Götzen der Heiden heimgesucht, denn sie sind in der Schöpfung Gottes ein Greuel und zum Ärgernis für die Seelen der Menschen geworden und zum Fallstrick für die Füße der Unverständigen.

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Denn Götzenbilder zu ersinnen ist der Anfang der Hurerei,

und sie zu erfinden ist des Lebens Verderben." (Sap.Sal. 14,8­12)

Und hier kommen nun auch die eigentlich „theoklastischen" Argumente des 82. Psalms zum Tragen. Die törichte Verblendung des Heidentums äußert sich eben nicht nur in dem sinnlosen Treiben, das die Heiden mit ihren Göt­zenbildern veranstalten, sondern auch in massivem Unrecht und Verbre­chen, wobei jetzt noch Unzucht dazukommt:

„[ . . . ] denn entweder töten sie ihre Kinder zum Opfer

oder kommen zu Gottesdiensten zusammen, die sie geheim halten müssen,

oder feiern wilde Gelage nach absonderlichen Satzungen

und halten so weder ihren Wandel noch ihre Ehen rein,

sondern einer tötet den anderen mit List oder kränkt ihn durch Ehebruch;

und überall herrschen ohne Unterschied Blutvergießen, Mord, Diebstahl, Betrug, Schän­

dung, Untreue, Streit, Meineid, Beunruhigung der Guten, Undank, Befleckung der Seelen,

widernatürliche Unzucht, Zerrüttung der Ehen, Ehebruch und Ausschweifungen.

Denn den namenlosen Götzen zu dienen, das ist Anfang, Ende und Ursache alles Bösen."

(Sap.Sal. 14,23­27).

Warum versteigt sich dieser Text zu einer so wüsten Polemik und einer so grotesken Verleumdung der anderen, als Heidentum ausgegrenzten Religio­nen? Die christlichen Kirchenväter stimmen in dieses Lied fast noch kräfti­ger ein. Das Heidentum hört auf, eine andere Form von Religion zu sein, und wird zur Irreligion, Gottlosigkeit, Teufelswerk, Krankheit, Sucht und, natürlich, Sünde. Hier wird eine Art von semantischem Vernichtungskrieg geführt, den das Christentum dann ja auch gewonnen hat.

II. Gewalt nach Innen

Soviel zum Außenverhältnis der biblischen Religionen und zur Konstrukti­on des Heidentums. Wesentlich blutrünstiger und gewaltsamer aber gestal­tet sich das Innenverhältnis zu den „Heiden" in den eigenen Reihen bzw. in der eigenen Brust.

Der entscheidende Text ist das Bilderverbot, das in der Bibel in zwei Ver­sionen vorkommt; einmal als Kommentar zum ersten, dem Fremdgötterver­bot, und einmal als eigenes, zweites Gebot:

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Exodus:

1. Gebot: 20:3 Du sollst neben mir keine anderen Götter haben.

2. Gebot: 20:4 Du sollst dir kein Gottesbild machen und keine Darstellung von irgend etwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde.

Kommentar: 20:5 Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen. Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott: Bei denen, die mir feind sind, verfolge ich die Schuld der Väter an den Söhnen, an der dritten und vierten Genera­tion; 20:6 bei denen, die mich lieben und auf meine Gebote achten, erweise ich Tausenden meine Huld.

Deuteronomium:

1. Gebot: 5:7 Du sollst neben mir keine anderen Götter haben.

Kommentar: 5:8 Du sollst dir kein Gottesbildnis ma­chen, das irgend etwas darstellt am Him­mel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde.

5:9 Du sollst dich nicht vor anderen Göt­tern niederwerfen und dich nicht ver­pflichten, ihnen zu dienen. Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott: Bei denen, die mir feind sind, ver­folge ich die Schuld der Väter an den Söh­nen und an der dritten und vierten Gene­ration; 5:10 bei denen, die mich lieben und auf meine Gebote achten, erweise ich Tausen­den meine Huld.

Der Text ist, wie man sieht, in beiden Fassungen vollkommen gleich, aber er ist anders gegliedert. Als Teil des ersten Gebots (Deuteronomium) unter­streicht das Bilderverbot die Exklusivität der Jahweh­Verehrung. Man soll keine anderen Götter anbeten, will sagen: sich keine Bilder machen, näm­lich Bilder anderer Götter. Als eigenes Gebot (Exodus) bringt es einen neu­en, eigenen Gedanken zum Ausdruck. Man soll erstens nur Jahweh und kei­ne anderen Götter verehren, und man soll sich zweitens keine Bilder machen. Das schließt auch Bilder von Jahweh ein. Beim Bilderverbot geht es also sowohl um das Verbot der Verehrung anderer Götter, als auch um das Verbot, den wahren Gott im Bild darzustellen. In unseren Augen sind das zwei ganz verschiedene Dinge. Im ersten Fall handelt es sich um Treue und Apostasie, im zweiten um die richtige und die falsche Form der Gottes­verehrung. Das erste ist eine politische, das zweite eine Medienfrage. Beide Aspekte gehen im Bilderverbot von Anfang an zusammen.

Doch lassen wir diesen Unterschied hier dahingestellt und schauen uns das Bilderverbot im Wortlaut genauer an: ­

„Du sollst Dir kein pessel und keinerlei temunah anfertigen". Was ist ein pessel? Das Wort pessel stellt den Herstellungsvorgang in den Vorder­

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grund. Es ist von einem Verb abgeleitet, das „behauen, schnitzen" heißt. Ein pessel ist ein „Machwerk", kein Bild. Zum Bild, das etwas darstellt, im Sinne von Mimesis, wird es erst durch den Zusatz: „d.h. keinerlei temu-nah": „kein Schnitzwerk in Gestalt irgendeiner Figur von etwas im Himmel oben und auf der Erde unten und im Wasser unter der Erde", d.h. kein fi­gürliches pessel, kein pessel, das etwas darstellt. Das Wort pessel betont das Handgemachte, der Zusatz temunah die Bildbeziehung auf etwas Inner­weltliches, Lebendiges. Man soll sich keinen figürlichen Fetisch machen.

Dieses Verbot wird durch zwei kommentierende Zusätze erläutert: Er­stens: „Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen." Damit wird eindeutig klargestellt: Ein figürliches pessel ist ein Gott, vor dem man sich niederwirft und dem man dient. Zu anderen Zwecken wird ein figürliches pessel nicht hergestellt. Ein figürliches pessel ist kein Kunstwerk, kein ästhetisches Objekt interesselo­sen Wohlgefallens, sondern funktioniert allein als Gegenstand anbetenden Begehrens. Wer sich ein figürliches pessel macht, der macht sich einen an­deren Gott. Mehr noch: der macht sich einem fremden Gott dienstbar. Das Wort „dienen", °abad, ist hier ganz wörtlich zu nehmen. cäbäd ist der Skla­ve. Idolatrie heißt nachbiblisch Avodah zarah, „fremder Dienst", Fremdver­sklavung. Der Zusatz läßt aber auch die Deutung zu, daß Bilder solange harmlos und erlaubt sind, als man sie nicht anbetet und ihnen nicht skla­visch dient. Das kann man so oder so verstehen; der Islam hat es eher strikt ausgelegt, während das Judentum im Rahmen harmloser Dekoration­figürli­che Bilder zugelassen hat.

Der zweite Kommentar spricht von Gottes Eifersucht: „Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott: Bei denen, die mir feind sind, verfolge ich die Schuld der Väter an den Söhnen, bis in die dritte und vierte Generation; bei denen, die mich lieben und auf meine Gebote achten, erwek se ich Tausenden [von Generationen] meine Huld." Das Bild ist also der Prüfstein für Gottes Unterscheidung zwischen Freund und Feind. Bildver­ehrer sind Gottes Feinde: an ihnen rächt er die Missetat bis ins dritte und vierte Glied. Wer sich aber an das Bilderverbot hält, also keine anderen Götter anbetet und Gott treu bleibt, der ist sein Freund und wird für seine Treue bis ins tausendste Glied belohnt. An der Bildfrage zeigt sich deutli­cher als an allen anderen Geboten, wer zu Gott steht und wer nicht. Daher ist das Bilderverbot der Inbegriff oder die Signatur der neuen Religion. Diese Religion zieht eine Grenze zwischen sich und den anderen Religio­nen, die sie als Heidentum ausgrenzt. Das Bilderverbot definiert dieses aus­gegrenzte Heidentum als Götzendienst, Idolatrie. Wer sich Bilder macht, stellt sich auf die Seite der Götzendiener und damit automatisch gegen Gott.

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Die Unterscheidung zwischen Freund und Feind polarisiert die Welt. Hier gilt es, sich zu entscheiden. Wer nicht für Gott ist, ist gegen ihn: Entwe­der/Oder.

Die Gewalt, die hier mobilisiert wird, trifft weniger die Anderen als die eigene Gruppe, sie wirkt nach innen und nach außen. Das Bilderverbot le­gitimiert den Brudermord, es stellt Jahwehtreue über alle anderen sozialen Bindungen.

Der Text, der diesen Punkt klarstellt, ist die Geschichte des Goldenen Kalbes. Als Mose auf den Sinai gestiegen war, um dort aus Gottes Hand die Gesetze zu empfangen, und bereits 40 Tage ausgeblieben war, verlor das Volk die Hoffnung, ihn lebend wiederzusehen und verlangte von Aaron Er­satz.

„Als das Volk sah, daß Mose noch immer nicht vom Berg herabkam, versammelte es sich um Aaron und sagte zu ihm: Komm, mach uns Elohim, die vor uns herziehen. Denn dieser Mose, der Mann, der uns aus Ägypten heraufgebracht hat ­ wir wissen nicht, was mit ihm geschehen ist. Aaron antwortete: Nehmt euren Frauen, Söhnen und Töchtern die goldenen Ringe ab, die sie an den Ohren tragen, und bringt sie her! Da nahm das ganze Volk die goldenen Ohrringe ab und brachte sie zu Aaron. Er nahm sie von ihnen entgegen, formte das Gold in einer Gußform und goß daraus ein Kalb. Da sagten sie: Das sind deine Götter, Israel, die dich aus Ägypten heraufgeführt ha­ben."

Das Goldene Kalb ist übrigens kein pessel, kein Schnitzwerk, sondern eine massekhah, ein Gußwerk. So wie pessel von einem Verb „behauen" ist massekhah von einem Verb mit der Bedeutung „gießen" abgeleitet. Die Ge­schichte geht bekanntlich sehr übel aus:

„Als Mose dem Lager näher kam und das Kalb und den Tanz sah, entbrannte sein Zorn. Er schleuderte die Tafeln fort und zerschmetterte sie am Fuß des Berges. Dann packte er das Kalb, das sie gemacht hatten, verbrannte es im Feuer und zerstampfte es zu Staub. Den Staub streute er in Wasser und gab es den Israeliten zu trinken." (19­20)

„Mose trat an das Lagertor und sagte: Wer für den Herrn ist, her zu mir! Da sammelten sich alle Leviten um ihn. Er sagte zu ihnen: So spricht der Herr, der Gott Israels: Jeder lege sein Schwert an. Zieht durch das Lager von Tor zu Tor! Jeder erschlage seinen Bruder, seinen Freund, seinen Nächsten. Die Leviten taten, was Mose gesagt hatte. Vom Volk fielen an je­nem Tag gegen dreitausend Mann." (26­28)

Entscheidend sind die Worte „seinen Bruder, seinen Freund, seinen Näch­sten": Die Gewalt wendet sich nicht nach außen, gegen Fremde bzw. „Hei­

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den", sondern nach innen und zerschneidet die al lerengsten mensch l i chen Bindungen. D i e Entscheidung, die der neue Gott fordert, der Bund, den er anbietet, überbietet und bricht alle mensch l i chen B indungen und Ver­pf l ichtungen. D e m läßt s ich e ine Stel le aus d e m Deuteronomium 13,7 ­ 12 zur Seite stellen:

„Wenn dein Bruder [...] oder dein Freund, den du liebst wie dich selbst, dich heimlich ver­fuhren will und sagt: Gehen wir und dienen wir anderen Göttern, [...] dann sollst du nicht nachgeben und nicht auf ihn hören. Du sollst in dir kein Mitleid mit ihm aufsteigen lassen [...] und die Sache nicht vertuschen. Sondern du sollst ihn anzeigen. Wenn er hingerichtet wird, sollst du als Erster deine Hand gegen ihn erheben, dann erst das ganze Volk. Du sollst ihn steinigen und er soll sterben. Du sollst ihn steinigen, und er soll sterben; denn er hat versucht, dich vom Herrn, deinem Gott, abzubringen, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus. Ganz Israel soll davon hören, damit sie sich fürchten und nicht noch ein­mal einen solchen Frevel in deiner Mitte begehen."

In d i e sem Fall kann man nachweisen , w o h e r diese Sprache der Gewal t kommt: aus dem assyrischen Königsrecht , das v o n den Vasal len absolute Lo­yalität fordert.7 Othmar Keel hat diesen Zusammenhang treffend beschrie­ben.8 Er fragt, ganz in unserem Sinne: „Wie gerät Gott in eine so l che Spra­che? W i e k o m m e n M e n s c h e n dazu, s ich Gott s o vorzustel len, s i ch vorzu­stel len, dass Gott wi l l , dass man seine Nächs ten verrät und z u Tode bringt? W i e kommt man auf d iesen empörenden Gedanken?" und führt dazu aus:

„Die Forschung hat in letzter Zeit immer deutlicher gezeigt, dass dieser beunruhigende Text teilweise wörtlich assyrische Texte kopiert ­ nicht religiöse, sondern politische. Das im nördlichen Irak beheimatete, expansive Assyrerreich hat die von ihm unterworfenen Könige eidlich verpflichtet, nur dem assyrischen Grosskönig zu dienen und jeden und jede unver­züglich zu denunzieren, die sie dazu überreden wollten, vom Grosskönig von Assur abzu­fallen. Solche Vasallitätsverpflichtungen mussten eine Zeitlang auch die judäischen Könige in Jerusalem übernehmen."

A u s derselben Quel le s tammen die Strafandrohungen Gottes für den Fall der Vernachläss igung des Gesetzes , die das gesamte 28 . Kapitel des Deute ­

7 Eckart Otto, Das Deuteronomium, Berlin 1999, konnte zeigen, daß verschiedene Formu­lierungen des Deuteronomiums geradezu Übersetzungen einer assyrischen Vorlage darstellen, der Treueidverpflichtung auf den Thronfolger Assurbanipal, die Assarhaddon allen Untertanen auferlegte. Otto spricht in diesem Zusammenhang von „subversiver politischer Theologie". Siehe auch Hans Ulrich Steymans, Deuteronomium 28 und die ade zur Thronfolgeregelung Asarhaddons. Segen und Fluch im Alten Orient und in Israel, OBO 145, Freiburg in der Schweiz/Göttingen 1995.

8 Othmar Keel, „Monotheismus ­ ein göttlicher Makel? Über eine allzu bequeme Anklage", in: Neue Zürcher Zeitung vom 30./31.10.2004, S. 68.

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ronomiums bilden und eine fast noch deutlichere Sprache der Gewalt spre­chen.9 Diese geradezu sadistisch anmutenden Schilderungen der Vernich­tung, Zerstörung, Ausrottung des untreu gewordenen Volkes lesen sich wie eine Vorahnung von Auschwitz und werden ja auch z.B. von Primo Levi in diesem Zusammenhang zitiert.10

Statt diese 53 Verwünschungen im einzelnen aufzuzählen, zitiere ich nur Gottes Worte an Salomo in lKg 9, 6­7, die dies Motiv in zwei Sätzen zu­sammenfassen:

„Doch wenn ihr und eure Söhne euch von mir abwendet und die Gebote und Gesetze, die ich

euch gegeben habe, übertretet, wenn ihr euch anschickt, andere Götter zu verehren und an­

zubeten, dann werde ich Israel in dem Land ausrotten, das ich ihm gegeben habe. Das Haus,

das ich meinem Namen geweiht habe, werde ich aus meinem Angesicht wegschaffen, und

Israel soll zum Gespött und zum Hohn unter allen Völkern werden."

Solche Drohformeln gehören zum Repertoire politischer Verträge, und das Deuteronomium steht auch hierin in der Tradition der Assyrer, die ihre Va­sallenverträge mit ähnlichen Verwünschungen für den Fall des Abfalls be­schlossen haben.11 Das Deuteronomium greift diese Tradition auf, um sie noch weit zu überbieten.

In der altorientalischen Welt ist diese Sprache der Gewalt in den Königs­inschriften zuhause und erfüllt dort eine klar bestimmbare Funktion. Sie er­gibt sich aus dem Prinzip, „daß Politik und Recht nur möglich sind, wenn sie zu ihrer Durchsetzung auf physische Gewalt zurückgreifen und Gegen­gewalt wirksam ausschließen können".12 Die altorientalischen Großreiche gründen [naturgemäß] auf einer kulturellen Semantik, die darauf abzielt, große Massen von Untertanen und Vasallen unter einem Herrschaftssystem zu vereinigen und bei der Stange zu halten. In dieser Hinsicht sind die As­syrer am weitesten gegangen. Sie forderten von ihren Vasallen absolute Loyalität und bestraften ­ so jedenfalls ihre Selbstdarstellung und Erinne­

9 Vgl. hierzu Jan Assmann, „Inscriptional Violence and the Art o f Cursing: A Study of Per­formative Writing", in: Stanford Literature Review Spring 1992, S. 43­65 . Für eine Antholo­gie mesopotamischer Verfluchungen s. F. Pomponio, Formule di maledizione della Mesopo-tamia preclassica (Paideia Editrice), Brescia 1990.

10 Primo Levi, Se quest' e un uomo, zitiert bei Harald Weinrich, Lethe. Kunst und Kritik des Vergessens, Münchenl997, S. 238f.

11 Klaus Baltzer, Das Bundesformular, Neukirchen 19642; Hans Ulrich Steymans, Deutero­nomium 28 und die ade zur Thronfolgeregelung Asarhaddons. Segen und Fluch im Alten Ori­ent und in Israel, OBO 145, Freiburg in der Schweiz/Göttingen 1995.

12 Niklas Luhmann, „Rechtszwang und politische Gewalt", in: Ausdifferenzierung des Rechts. Beiträge zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie, S. 154­172, Zitat 154, nach D. Con­rad, „Der Begriff des Politischen, die Gewalt und Gandhis gewaltlose politische Aktion", in: Jan Assmann/Dietrich Harth (Hg.), Kultur und Konflikt, Frankfurt a.M. 1990, S. 72 ­112 , S. 77f.

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rung - jeden Abfall mit äußerster Grausamkeit. Auch hier geht es um einen auch die engsten verwandtschaftlichen Bindungen übersteigenden Gehor­sam. Dieses repressive Machtsystem mit seinen totalisierenden Herrschafts­ansprüchen ist aber nun genau das, was die Bibel im ägyptischen Pharao­nentum als dem Haus der Knechtschaft symbolisiert und woraus der Monotheismus die Menschen befreien will. Aus Ägypten und seinem re­pressiven Gewaltsystem zieht Israel aus.13 Warum übernimmt es aber die politischen Gewaltmotive in seine fundierende kulturelle Semantik? Hören wir hierzu noch einmal Othmar Keel:

„Am Ende des 7. Jahrhunderts v. Chr. brach das Assyrerreich zusammen. Es entstand ein

Machtvakuum. Judäische Theologen hatten die originelle Idee, das Vakuum auszufüllen, in­

dem sie die Forderungen, die der assyrische Großkönig gestellt hatte, vom Gott Israels, von

Jahwe, ausgehen ließen. Damit haben sie das Machtvakuum gefüllt, damit haben sie Israel

innerlich von allen Despoten unabhängig gemacht, dem Gott Israels aber gleichzeitig Eigen­

schaften eines Despoten härtester Sorte zugeschrieben. Man kann den zitierten Text als Be­

weis für die dem Monotheismus eigene Intoleranz, Aggressivität und Brutalität anfuhren.

Man übersieht dabei aber, dass es sich nicht um einen monotheistischen Text handelt. Er

rechnet mit anderen Göttern, die der exklusiven Bindung an den eigenen Gott gefährlich

werden können. Der wirkliche Monotheismus geht von der Annahme aus, es gebe nur einen

Gott, und Eifersucht Hat da keine Grundlage."14

Die Transposition des assyrischen Despotismus auf Gott und die neue Form einer exklusiven Gottesbindung war ein Akt der Befreiung, der Israel in­nerlich unabhängig gemacht hat von äußeren Despoten. In dieser Umbu­chung15 artikuliert sich ein geistiger Widerstand, der sich in der Folgezeit als äußerst erfolgreich erweisen sollte. Er ermöglichte es den Juden, die Zerstörung Jerusalems und die Jahrzehnte der Deportation zu überstehen und nach der endlichen Rückführung ein neues Gemeinwesen aufzubauen. Die Unterscheidung zwischen einem wirklichen und einem unreifen Mo­notheismus ist für die heutige Theologie zweifellos unabdingbar, wird aber dem Anliegen der Texte, die wir hier betrachten wollen, nicht gerecht. Es mag ja sein, daß der „wirkliche" Monotheismus keine Eifersucht kennt. Aber der biblische Gott ist nun einmal ein eifernder Gott, El Qanna', der zwischen Freund und Feind unterscheidet und die Sünden seiner Feinde

13 Die Bibel, ebenso wie das jüdische Ritual der Seder­Nacht, hält die Erinnerung an Ägypten wach, um den Zusammenhang von Gesetz und Freiheit herauszustellen. Das Gesetz befreit von allen Formen von Willkürherrschaft und Unterdrückung, für die Ägypten als Sym­bol steht.

14 Neue Zürcher Zeitung (s. Anm. 8). 15 Zu diesem Begriff siehe mein Buch Herrschaft und Heil. Politische Theologie in Alt­

ägypten, Israel und Europa, München 2000.

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verfolgt bis ins dritte und vierte Glied, seinen Freunden aber bis ins tau­sendste Glied seine Gnade erweist. Das ist vielleicht kein wirklicher Mo­notheismus, aber es ist das Herzstück der revolutionären Semantik, die wir hier analysieren wollen. Die „Eifersucht", die Keel mit vollem theologi­schen Recht von dem „wirklichen" Monotheismus fernhalten möchte, trifft andererseits genau den Kern der Sache, der nicht in der Einheit Gottes, son­dern in der Abgrenzung und Ausgrenzung der anderen, falschen, verbote­nen Götter liegt.

Der Eifersucht Gottes entspricht auf menschlicher Seite der Gedanke des Eiferns für Gott. Beides, das göttliche und das menschliche Eifern, wird mit derselben hebräischen Wurzel, qanna', ausgedrückt. In diesem Punkt ent­sprechen sich Gottesbild und Menschenbild, göttliche Eifersucht und menschliches Eifern. Das Vorbild aller Eiferer für Gott ist der Priester Pin­has aus dem Stamm Levi. Die Geschichte steht im 25. Kap. des Buches Numeri. Wieder geht es wie in der Szene mit dem Goldenen Kalb um einen Fall von Untreue, der hier deutlich sexuell konnotiert ist.

„Als sich Israel in Schittim aufhielt,' begann das Volk mit den Moabiterinnen Unzucht zu

treiben. Sie luden das Volk zu den Opferfesten ihrer Götter ein, das Volk aß mit ihnen und

fiel vor ihren Göttern nieder. So ließ sich Israel mit Baal­Pe'or ein. Da entbrannte der Zorn

des Herrn gegen Israel, und der Herr sprach zu Mose: Nimm alle Anführer des Volkes, und

spieße sie für den Herrn im Angesicht der Sonne auf Pfähle, damit sich der glühende Zorn

des Herrn von Israel abwendet. Da sagte Mose zu den Richtern Israels: Jeder soll die von

seinen Leuten töten, die sich mit Baal­Pe'or eingelassen haben. Unter den Israeliten war ei­

ner, der zu seinen Brüdern kam und eine Midianiterin mitbrachte, und zwar vor den Augen

des Mose und der ganzen Gemeinde der Israeliten, während sie am Eingang des Offenba­

rungszeltes weinten. Als das der Priester Pinhas, der Sohn Eleasars, des Sohnes Aarons, sah,

stand er mitten in der Gemeinde auf, ergriff einen Speer, ging dem Israeliten in den Frauen­

raum nach und durchbohrte beide, den Israeliten und die Frau, auf ihrem Lager. Danach

nahm die Plage, die die Israeliten getroffen hatte, ein Ende. Im ganzen aber waren vierund­

zwanzigtausend Menschen an der Plage gestorben.

Der Herr sprach zu Mose: Der Priester Pinhas, der Sohn Eleasars, des Sohnes Aarons, hat

meinen Zorn von den Israeliten abgewendet dadurch, daß er sich bei ihnen für mich ereifer­

te. So mußte ich die Israeliten nicht in meinem leidenschaftlichen Eifer umbringen."

Worin bestand die Sünde des Volkes, für die 24.000 an der Pest und wer weiß wie viele weitere auf den Pfählen sterben mußten? Sie hatten sich mit den Midianitern und vor allem Midianiterinnen eingelassen, die sie zur Teilnahme an ihren Opferfesten einluden und dadurch zur Anbetung ande­rer Götter verführten. In der Alten Welt bot das rituelle Opfer den einzigen Zugang zum Fleischgenuß: man mußte ein Fest anberaumen und ein Tier einer Gottheit, in diesem Fall Baal Pe'or, zum Opfer weihen, um es dann

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gemeinsam verzehren zu können. Schlachten und opfern war gleichbedeu­tend. Jedes Fleisch war Opferfleisch.

In dieser Frühphase, als die Götter noch als durchaus real­existierende Konkurrenten Jahwehs verstanden wurden und nicht als fiktive, eingebil­dete Größen, ist die Anbetung des Einen eine Sache der unbedingten Treue und Entscheidung, aber auch in späteren Zeiten, als man längst davon über­zeugt ist, daß es nur einen Gott gibt, hört der Glaube an den Einen nicht auf, eine Sache der Treue zu sein. Das hebräische Wort emunah, das unse­rem Begriff Glauben entspricht, heißt Treue. Die Sprache der Gewalt hängt mit Eifersucht und Treue zusammen, mit der Angst vor Verführung und den furchtbaren Strafandrohungen, die auf Abfall, Untreue und Ehebruch ste­hen. Ehe ist eine der Leitmetaphern für diese neuartige Bindung zwischen Gott und Volk, Gott und Mensch. Übrigens sind auch die Strafen, die die in dieser Tradition stehenden Religionen für Ehebruch vorsehen, von einer Grausamkeit, die scharf von der Rechtsprechung etwa in Ägypten absticht.16

Die Angst vor Verführung spricht auch aus den Gesetzen, die sich auf den Umgang mit der Urbevölkerung der zu erobernden Länder beziehen:

„Du hüte dich aber, mit den Bewohnern des Landes, in das du kommst, einen Bund zu

schließen; sie könnten dir sonst, wenn sie in deiner Mitte leben, zu einer Falle werden. Ihre

Altäre sollt ihr vielmehr niederreißen, ihre Steinmale zerschlagen, ihre Kultpfahle umhauen.

Du darfst dich nicht vor einem andern Gott niederwerfen. Denn Jahwe trägt den Namen „der

Eifersüchtige"; ein eifersüchtiger Gott ist er. Hüte dich, einen Bund mit den Bewohnern des

Landes zu schließen. Sonst werden sie dich einladen, wenn sie mit ihren Göttern Unzucht

treiben und ihren Göttern Schlachtopfer darbringen, und du wirst von ihren Schlachtopfern

essen. Du wirst von ihren Töchtern für deine Söhne Frauen nehmen; sie werden mit ihren

Göttern Unzucht treiben und auch deine Söhne zur Unzucht mit ihren Göttern verführen."

(Ex 34, 12-16)

Hier geht es nur scheinbar wieder um die Außenbeziehung der Jahwe­Religion zu anderen Religionen. In Wirklichkeit haben wir es auch hier mit einer Innenbeziehung zu tun. Ich möchte mich in diesem Punkt Reinhard G. Kratz anschließen, der das biblische „Kanaan" als eine Chiffre für das he­bräische Heidentum deutet. Die Bibel selbst stellt bekanntlich in ihrer erin­nernden Rekonstruktion der Vergangenheit die Beziehung Israels zu Kana­an als eine Außenbeziehung von äußerster Gewaltsamkeit dar. Israel zieht von außen, von Ägypten, in Kanaan ein und erobert sich seine Wohngebiete in den kriegerischen Aktionen der „Landnahme". Das ist einer der Punkte,

16 Zur diesbezüglichen Rechtspraxis in Ägypten siehe Renate Müller-Wollermann, Verge­hen und Strafen. Zur Sanktionierung abweichenden Verhaltens im Alten Ägypten, Leiden 2004, S. 108-119.

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wo es sinnvoll ist, die sinn- und gedächtnisgeschichtliche Innenperspektive mit der realgeschichtlichen oder archäologischen Außenperspektive zu kon­frontieren. Eine Invasion und Eroberung des in der Bibel geschilderten Ausmaßes hätte archäologische Spuren in Form eines an verschiedenen Fundplätzen beobachtbaren Zerstörungshorizonts hinterlassen müssen. Da­von kann jedoch gar keine Rede sein.17 Wir müssen diesen ganzen Komplex von Exodus und Landnahme als eine literarische Fiktion und damit symbo­lisch verstehen, was die Sache nur interessanter macht. „Ägypten" und „Kanaan" sind narrative Symbole, die für etwas stehen. „Ägypten" steht für jene Art von politischer Unterdrückung, von der die neue Religion den Menschen zu befreien antritt. Das ist die Außenrelation, in deren Zusam­menhang von Theo­ und Ikonoklasmus nicht die Rede ist. Die Chiffre Ka­naan aber repräsentiert das hebräische Heidentum, also ein Mittelding zwi­schen Heide und Jude, das daher wie alle Mitteldinge phobisch besetzt, mit besonderem Abscheu behaftet ist.18 Die Kanaanäer sind die eigenen Leute, die sich noch nicht zu der neuen Religion bekehrt haben.19

Das geht besonders klar aus den Bestimmungen hervor, wie im Krieg mit feindlichen Städten zu verfahren ist. Hier wird ein wichtiger Unterschied gemacht, der unmittelbar aus dem Geist des exklusiven Monotheismus und der ihm zugrundeliegenden Unterscheidung hervorgeht:

„Wenn du vor eine Stadt ziehst, um sie anzugreifen, dann sollst du ihr zunächst eine friedli­

che Einigung vorschlagen. Nimmt sie die friedliche Einigung an und öffnet dir die Tore,

dann soll die gesamte Bevölkerung, die du dort vorfindest, zum Frondienst verpflichtet und

dir Untertan sein. Lehnt sie eine friedliche Einigung mit dir ab und will sich mit dir im

Kampf messen, dann darfst du sie belagern. Wenn der Herr, dein Gott, sie in deine Gewalt

gibt, sollst du alle männlichen Personen mit scharfem Schwert erschlagen. Die Frauen aber,

die Kinder und Greise, das Vieh und alles, was sich sonst in der Stadt befindet, alles, was

sich darin plündern läßt, darfst du dir als Beute nehmen. Was du bei deinen Feinden geplün­

dert hast, darfst du verzehren; denn der Herr, dein Gott, hat es dir geschenkt." (Dt 20 ,10­14)

Bis hierhin entspricht das völlig der damals üblichen Praxis. Nun aber wird die erwähnte Unterscheidung eingeführt:

„So sollst du mit allen Städten verfahren, die sehr weit von dir entfernt liegen und nicht zu

den Städten dieser Völker hier gehören. Aus den Städten dieser Völker jedoch, die der Herr,

17 Vgl. hierzu Israel Finkelstein/Neil A. Silberman, Keine Posaunen vor Jericho. Die ar­chäologische Wahrheit über die Bibel, München 2002.

18 Reinhard G. Kratz, Reste hebräischen Heidentums am Beispiel der Psalmen, NAWG phil­hist. Band 2, Göttingen 2004.

19 So auch Othmar Keel, Kanaan ­ Israel ­ Christentum. Plädoyer für eine .vertikale' Ökumene. Franz­Delitzsch­Vorlesung2001, Münster 2002.

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dein Gott, dir als Erbbesitz gibt, darfst du nichts, was Atem hat, am Leben lassen. Vielmehr sollst du an den Hetitern und Amoritern, Kanaanitern und Perisitern, Hiwitern und Jebusi-tern den Bann vollstrecken, so wie es der Herr, dein Gott, dir zur Pflicht gemacht hat, damit sie euch nicht lehren, alle Greuel nachzuahmen, die sie begingen, wenn sie ihren Göttern dienten, und ihr nicht gegen den Herrn, euren Gott, sündigt." (Dt 20, 15­18).

Fremdstädte dürfen .normal' erobert werden, an den Städten Kanaans aber muß, w i e es an anderen Stel len heißt, „der Bann vol lstreckt werden mit der Schärfe des Schwerts".2 0 D e n n die Städte Kanaans sind ke ine Fremdstädte, s ie s ind die e igenen Städte, die s ich noch nicht der neuen R e l i g i o n ange­sch los sen haben. Genau w i e bei der Geschichte v o m Goldenen Kalb sehen wir auch in d iesen Best immungen, daß s ich die monothe is t i sche Gewal t vor a l lem nach innen wendet und nicht nach außen. Hier, mit der Chiffre Kana­an, w e n d e t s ie s ich g e g e n die e igene Vergangenhei t . Ebenso grausam w i e mit den Städten Kanaans ist mit e igenen Städten z u verfahren, die v o m Ge­setz abgefa l l en sind:

„Wenn du aus einer deiner Städte, die der Herr, dein Gott, dir als Wohnort gibt, erfährst: Niederträchtige Menschen sind aus deiner Mitte herausgetreten und haben ihre Mitbürger vom Herrn abgebracht, indem sie sagten: Gehen wir, und dienen wir anderen Göttern, die ihr bisher nicht kanntet!, wenn du dann durch Augenschein und Vernehmung genaue Er­mittlungen angestellt hast und sich gezeigt hat: Ja, es ist wahr, der Tatbestand steht fest, dieser Greuel ist in deiner Mitte geschehen, dann sollst du die Bürger dieser Stadt mit schar­fem Schwert erschlagen, du sollst an der Stadt und an allem, was darin lebt, auch am Vieh, mit scharfem Schwert den Bann vollstrecken. Alles, was du in der Stadt erbeutet hast, sollst du auf dem Marktplatz aufhäufen, dann sollst du die Stadt und die gesamte Beute als Ganzopfer für den Herrn, deinen Gott, im Feuer ver­brennen. Für immer soll sie ein Schutthügel bleiben und nie wieder aufgebaut werden. Von dem, was dem Bann verfallen ist, soll nichts in deiner Hand zurückbleiben, damit der Herr von seinem glühenden Zorn abläßt und dir wieder sein Erbarmen schenkt, sich deiner an­nimmt und dich wieder zahlreich macht, wie er es deinen Vätern geschworen hat für den Fall, daß du auf die Stimme des Herrn, deines Gottes, hörst, auf alle seine Gebote, auf die ich dich heute verpflichte, achtest und tust, was in den Augen des Herrn, deines Gottes, richtig ist." (Dt 13,13­19)

D i e s e s deuteronomist ische Kriegsrecht ist, wohlgemerkt , e ine literarische Fiktion und nie ge l tendes Kriegsrecht g e w e s e n . Es ist aber Tei l der kultu­rellen Semantik der monotheis t i schen B e w e g u n g und damit ständig in der Lage , in historische Wirklichkeit umgesetz t z u werden ( w i e es dann erst­mals in den Makkabäerkriegen der Fall g e w e s e n zu se in scheint) .

Deuteronomium 13,16.

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Der eigentliche Zielpunkt der biblischen Polemik ist nicht das „fremde" Heidentum, also Ägypten oder Babylonien, sondern Kanaan, das eigene Heidentum. Nur in Bezug auf Kanaan ist von ikono­ und theoklastischen Aktionen, also religiösem Vandalismus, die Rede:

„Wenn ich die Einwohner des Landes in deine Hand gebe und du sie vertreibst, dann sollst

du keinen Bund mit ihnen und ihren Göttern schließen. Sie sollen nicht in deinem Land

bleiben. Sonst könnten sie dich zur Sünde gegen mich verfuhren, so daß du ihre Götter ver­

ehrst; denn dann würde dir das zu einer Falle." (Ex 23,31 f.)

„Ihr sollt alle Kultstätten zerstören, an denen die Völker, deren Besitz ihr übernehmt, ihren

Göttern gedient haben: auf den hohen Bergen, auf den Hügeln und unter jedem üppigen

Baum. Ihr sollt ihre Altäre niederreißen und ihre Steinmale zerschlagen. Ihre Kultpfähle

sollt ihr im Feuer verbrennen und die Bilder ihrer Götter umhauen. Ihre Namen sollt ihr an

jeder solchen Stätte tilgen." (Dt 12,2­3)

Das heißt im Klartext: Du sollst den Heiden in dir ausrotten.

III. Offenbarung und Gewalt

Das Motiv der Gewalt in diesen und vielen anderen Texten erklärt sich, das ist meine These, aus der antagonistischen Kraft der „mosaischen Unter­scheidung" zwischen der wahren und der falschen Religion, zwischen dem Alten und dem Neuen, und aus dem radikalen Bruch, ja der „Konversion", die sie den Menschen abverlangt. Dieser Bruch ist das Gegenstück zu jeder Form von Evolution, er bildet nicht das Ziel eines langsam zu ihm hinfüh­renden Weges sondern steht gleichsam quer zur Achse geschichtlicher Ent­wicklung. Die narrative Chiffre für diesen Einbruch von außen ist die Of­fenbarung.

Diese These ist von Seiten der Theologie auf vielfachen Widerspruch ge­stoßen. Selbst der neue Papst Benedikt XVI. hat ihr, als er noch Kardinal war, die Ehre einer im übrigen sehr fairen und noblen Auseinandersetzung erwiesen.21 Besonders die Begriffe der „Wahrheit" und der „Offenbarung" wurden immer wieder mit kritischen Fragezeichen versehen. Geht es der alttestamentlichen Religion wirklich um die Unterscheidung zwischen wahr und falsch, ist sie überhaupt eine „Offenbarungsreligion" in diesem stren­gen, ausschließenden Sinne? Viele dieser Einwände haben mir zu denken

21 Papst Benedict XVI. [Joseph Kardinal Ratzinger], Glaube - Wahrheit - Toleranz. Das Christentum und die Weltreligionen, Freiburg u.a. 2003, S. 170­208. In diesen Kapiteln betont der Papst die Unaufgebbarkeit der Mosaischen Unterscheidung.

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gegeben, am meisten aber eine Kritik, die vor mehr als 200 Jahren vorge­tragen wurde, und die ich erst kürzlich wiedergelesen und in ihrem Gewicht als Einwand erst richtig verstanden habe. Sie stammt von Moses Mendels­sohn und steht in seiner Schrift Jerusalem aus dem Jahre 1783.22

In Mendelssohns Augen ist das Judentum gar keine Offenbarungsreligion. „Ich glaube", schreibt er, „das Judentum wisse von keiner geoffenbarten Religion. Die Israeliten haben [...] Gesetze, Gebote, Lebensregeln, Unter­richt vom Willen Gottes [...], aber keine Lehrmeinungen, keine Heilswahr­heiten, keine allgemeinen Vernunftsätze. Diese offenbart der Ewige uns, wie allen übrigen Menschen, allezeit durch Natur und Sache, nie durch Wort und Schriftzeichen."23 Mendelssohn unterscheidet also einmal zwi­schen Dogmen und Lebensregeln und zum anderen zwischen natürlicher und schriftlicher Offenbarung. Dogmen beziehen sich auf „ewige Wahrhei­ten"; sie werden nach jüdischer Auffassung allen Menschen in der Schöp­fung offenbart und kraft der ihnen vom Schöpfer mitgegebenen Vernunft zumindest andeutungsweise lesbar. Sie sind daher Sache der Vernunft, nicht des Glaubens; nach jüdischer Auffassung können und dürfen sie nie schriftlich kodifiziert werden. „Sie wurden dem lebendigen, geistigen Un­terrichte anvertrauet, der mit allen Veränderungen der Zeiten und Umstände gleichen Schritt hält."24 Niederschreiben kann und darf man nur „histori­sche", keine „ewigen" Wahrheiten, und eine solche historische Wahrheit ist das Gesetz, das dem Mose geoffenbart wurde. „Bloß in Absicht auf Ge­schichtswahrheiten, dünkt mich, sei es der allerhöchsten Weisheit anstän­dig, die Menschen auf menschliche Weise, d.h. durch Wort und Schrift, zu unterrichten."25 Die historische Wahrheit des Gesetzes gilt nur für die Ju­den, die ewige Wahrheit für die gesamte Menschheit. „Dieses ist allgemeine Menschenreligion, nicht Judentum; und allgemeine Menschenreligion, ohne welche die Menschen weder tugendhaft noch glückselig werden können, sollte hier nicht geoffenbart werden."26 Es geht also im Judentum nicht um die Unterscheidung zwischen wahr und falsch im absoluten Sinne und daher auch nicht um die Ausgrenzung anderer Religionen als Heidentum. „Das Judentum rühmet sich keiner ausschließenden Offenbarung ewiger Wahr­heiten, die zur Seligkeit unentbehrlich sind; keiner geoffenbarten Religion, in dem Verstände, in welchem man dieses Wort zu nehmen gewohnt ist. Ein anderes ist geoffenbarte Religion, ein anderes geoffenbarte Gesetzge­

2 2 M oses Mendessohn, „Jerusalem oder Uber religiöse Macht und Judentum", in: Martina Thom (Hg.), Schriften über Religion und Aufklärung, Darmstadt 1989, S. 351-458.

2 3 A.a.O., S. 407f. 2 4 A.a.O., S. 420. 2 5 A.a.O., S. 411. 2 6 A.a.O., S .415 .

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bung."27 Hier gibt es daher auch nichts zu „glauben", denn Gegenstand des Glaubens sind nur die ewigen, nicht die historischen Wahrheiten. „Ja, das Wort der Grundsprache, das man durch den Glauben zu übersetzen pflegt [emunah, J.A.], heißt an den mehresten Stellen eigentlich Vertrauen, Zuver­sicht, getroste Versicherung auf Zusage und Verheißung."28 In dieser Ar­gumentation steckt eine starke Paradoxie: das Handeln, dieses irreduzibel Zeitgebundene und geschichtlich Bedingte, soll durch die Gesetze für alle Zeiten, bis auf göttlichen Widerruf, vorgeschrieben und festgelegt werden; die Einsicht aber in das, was als zeitlose, allem geschichtlichen Wandel enthobene Wahrheit gelten kann: die Existenz und das Wesen Gottes, der Sinn des Lebens, die Unsterblichkeit der Seele usw., das läßt sich niemals festschreiben, sondern nur in der Form des mündlichen Kommentars im Laufe geschichtlichen Fortschreitens improvisierend entfalten. Offenbart und geglaubt werden höhere, absolute Wahrheiten; dem Mose wurden aber nur Gesetze gegeben. Es geht um Handeln, nicht um Glauben, um Ortho­praxie, nicht um Orthodoxie. Das Judentum beruht nicht auf Theologie, sondern auf dem Gesetz. Es ist frei, sich alle möglichen Gedanken über Gott zu machen, aber gebunden an das Gesetz.

Das Auftreten Gottes als Gesetzgeber jedoch ­ das konnte Moses Men­delssohn als gläubiger Jude bei aller Aufklärung so scharf nicht sehen ­ war genau so revolutionär wie das Auftreten Jesu als Messias. Und die Ver­schriftung von Lebensregeln mit dem Anspruch einer Gesetzgebung von zeitenthobener Geltungskraft war vermutlich ein Schritt von mindestens so weltverändernder Bedeutung wie die Verschriftung ewiger Wahrheiten. Es war ein Schritt aus der Weltlichkeit in die Schriftlichkeit und zog auf lange Sicht jene entscheidendste aller Grenzen, die Grenze zwischen Gott und Welt, die Mendelssohn als Kind des 18. Jahrhunderts wieder einreißen wollte. Die Schrift fordert eine grundlegende Umlenkung der Aufmerksam­keit, die ursprünglich auf Erscheinungen dieser Welt und das in ihnen sich zeigende Heilige gerichtet war und nun ganz auf die Schrift und ihre Ausle­gung konzentriert wird. Der Schritt in die Religion der Transzendenz war ein Schritt aus der Welt und ihrer natürlichen Evidenz in die Schrift und den Glauben. Die Welt wird als solche zum Gegenstand der Idolatrie erklärt und diskreditiert. Der radikalen Außerweltlichkeit Gottes entspricht die ra­dikale Schriftlichkeit seiner Offenbarung. Der erste Schritt in diese Rich­tung war die Verschriftung, Kodifizierung und Kanonisierung der Gesetze. Es mag da noch nicht um wahr und falsch gegangen sein, aber zweifellos wurde damit eine Grenze gezogen, die sich auf lange Sicht als die Grenze zwischen dem wahren Gott und den Götzen durchsetzte und die riienschli­

2 7 Ebd. 28 A.a.O., S.418.

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che Welt von Grund auf veränderte. Es ging um eine Relativierung des Ge­gebenen im Hinblick auf das Ewige.

Um diesen Schritt zu tun, war es unausweichlich, ein gewisses, bis dahin unbekanntes Maß an antagonistischer Energie zu mobilisieren, wie es sich in der Bibel als Sprache der Gewalt manifestiert. Heute, nach über 2000 Jahren, ist es wichtig, sich klarzumachen, daß die Gewalt dem Monotheis­mus keineswegs als eine notwendige Konsequenz eingeschrieben ist. War­um sollte die Unterscheidung zwischen wahr und falsch gewalttätig sein? Die Sprache der Gewalt entstammt dem politischen Druck, aus dem der Monotheismus gerade befreien will. Sie gehört in die revolutionäre Rheto­rik der Konversion, der radikalen Wende und Abkehr, des kulturellen Sprungs aus dem Alten ins Neue. Über diese Schwelle sind wir längst ge­schritten; sie bedarf keiner eifernden Einschärfung mehr. Das semantische Dynamit, das in den heiligen Texten der monotheistischen Religionen steckt, zündet in den Händen nicht der Gläubigen, sondern der Fundamen­talisten, denen es um politische Macht geht und die sich der religiösen Ge­waltmotive bedienen, um die Massen hinter sich zu bringen. Die in den re­ligiösen Quellen auffindbare Sprache der Gewalt wird als eine Ressource im politischen Machtkampf mißbraucht, um Feindbilder aufzubauen und Angst und Bedrohungsbewußtsein zu schüren. Daher kommt es darauf an, diese Motive zu historisieren, indem man sie auf ihre Ursprungssituation zurückführt. Es gilt, ihre Genese aufzudecken, um sie in ihrer Geltung ein­zuschränken. Ich plädiere also für Historisierung, aber nicht im Sinne der Dekonstruktion (Derrida), sondern der „diskursiven Verflüssigung" (Ha­bermas), ein Ausdruck, der mir besser gefällt, weil er in Aussicht stellt, daß bei diesem Geschäft etwas übrig bleibt, worauf sich weiterhin Bezug neh­men, woran sich weiterarbeiten läßt. Daß diese „Verflüssigung" im übrigen längst in Gang gekommen ist, zeigt die bibliographisch kaum noch erfaßba­re Lebendigkeit der Debatte, die seit 10, 15 Jahren um den Begriff „Mo­notheismus" kreist.

Den Weg zu diesem Umgang mit der Mosaischen Unterscheidung scheint mir Mendelssohns Unterscheidung zwischen Judentum und Christentum sowie „allgemeiner Menschheitsreligion" und konkreten Religionen zu wei­sen. Auch in meinen Augen ist es ein großer Vorzug des Judentums, die „ewigen Wahrheiten" nicht festzuschreiben, sondern im Zustand der diskur­siven Verflüssigung zu belassen. Die „allgemeine Menschenreligion" kann niemals auf ein System verbindlicher Lehrsätze festgelegt werden. Viel­leicht kann hier die linguistische Unterscheidung zwischen Oberflächen­und Tiefenstruktur ein Modell abgeben für das Verhältnis von „allgemeiner Menschenreligion" und den konkreten Religionen, die es immer nur im Plu­ral geben kann und geben wird. Die „Tiefenreligion", die sich um die jeder Festschreibung entzogenen, immer nur in diskursiver Annäherung anzielba­

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ren ewigen Wahrheiten dreht, bildet den gemeinsamen Bezugspunkt der konkreten „Oberflächenreligionen", die im Horizont ihres Geltungskreises für die unverzichtbaren Orientierungen und Gewißheiten sorgen. Das Pro­blem des Christentums, aus Mendelssohns Sicht, liegt darin, daß es dazu tendiert, sich als allgemeine Menschenreligion, als oberflächenstrukturelle Ausprägung der universalen Tiefenreligion zu verstehen. Theologen wie Karl Barth und Dietrich Bonhoeffer haben in diesem Sinne für das Chri­stentum den' Begriff „Religion" überhaupt zurückgewiesen, weil Religion nun einmal nur in einem irreduziblen Plural existiert und das Christentum keine Religion wie alle anderen sein soll. In diesem Punkt werden die Christen zurückstecken müssen ­ bzw. haben es längst getan, denn alle die­se Überlegungen stecken bereits in Lessings Ringparabel. Sie gehören auf die Ebene einer von keiner theologischen Dogmatik und keiner wissen­schaftlichen Metaphysik einholbaren Weisheit, die es in allen Religionen gibt und die sich auf einen Konvergenzpunkt jenseits aller Unterscheidun­gen inklusive der „Mosaischen Unterscheidung" bezieht. Diese Weisheit, von der Männer wie Mendelssohn und Lessing, und im letzten Jahrhundert Albert Schweitzer, Mahatma Gandi, Rabindranat Tagore durchdrungen wa­ren, gilt es zur Geltung zu bringen.