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20 IN|FO|NEUROLOGIE & PSYCHIATRIE 2012; Vol. 14, Nr. 5 Depression Journal Screen Holtzheimer PE, Kelley ME, Gross RE et al. Subcallosal cingulate deep brain stimulation for treatment-resistant unipolar and bipolar depression. Arch Gen Psychiatry 2012; 69: 150 – 8 Tiefe Hirnstimulation der Area subcallosa des Gyrus cinguli Auch bei bipolarer Depression wirksam Fragestellung: Wirkt die tiefe Hirnstimulation (THS) bei der therapieresistenten bipolaren Depression? Hintergrund: Nachdem eine effektive und nachhaltige Wirkung durch THS bei Patienten mit therapieresistenter Depression erzielt werden konnte, stellte sich die Frage, ob auch die therapieresistente bipolare Depression mit- hilfe der THS erfolgreich behandelt werden könnte. Patienten und Methodik: Im Rahmen einer offenen einfach geblindeten Studie mit Placebo-Stimulations- phase wurden von 323 gescreenten Patienten zehn mit Major Depression und sieben mit Bipolar-II-Störung eingeschlossen. Alle Patienten erhielten stereotaktisch geführt bilaterale quadripolare THS-Elektroden unter Mikroelektrodenableitung. Anschließend erfolgte die infraklavikuläre Implantation des Impulsgenerators. Postoperativ wurden die korrekte Implantatlage mittels Magnetresonanztomografie (MRT) und kranieller Com- putertomografie (cCT) überprüft. Nach dem Eingriff folgte eine vierwöchige Placebo- Stimulationsphase, wobei die Patienten bezüglich der Aktivierung des Stimulators geblindet waren. Daran schloss sich eine 24-wöchige Phase mit kontinuierlicher, monopolarer und bilateraler Stimulation an. In den wöchentlichen klinischen Untersuchungen wurde bei einem Rückgang der HRDS (Hamilton Depression Ra- ting Scale) unter 10% zunächst die Stimulationsinten- sität geändert und gegebenenfalls auch der stimulieren- de Kontakt auf der quadripolaren Elektrode gewechselt. Eine zweite Placebo-Stimulationsphase wurde bei drei Patienten aufgrund erhöhter suizidaler Gedanken nach zwei Wochen abgebrochen. Die Effektivität wurde mit- hilfe verschiedener Fragebögen (HDRS, Beck-Depres- sion Inventory II [BDI-II], Global Assessment of Func- tion [GAF]) erhoben. Der primäre Endpunkt entsprach der longitudinalen Entwicklung der HDRS über die Zeit (Abbildung 1). Ansprechen (Reduktion des HDRS Scores um mehr als 50%) und Remission (HDRS < 8 Punkte) wurden ebenfalls bestimmt. Ergebnisse: Eine Dauerstimulation bewirkte eine sig- nifikante Reduktion der Depression und Funktionsver- besserung. Eine Remission wurde bei drei (18%) Pati- enten und ein Ansprechen bei sieben (41%) nach 24 Wochen sowie bei jeweils fünf (36%) nach einem Jahr und bei sieben (58 %) und elf (92 %) Patienten nach zwei Jahren festgestellt. Die Ergebnisse für Patienten mit bipolarer Störung II und Major Depression unterschie- den sich nicht. Manische oder hypomanische Phasen traten nicht auf. Ein geringfügiger Placebo-Effekt wur- de unmittelbar postoperativ festgestellt. Schlussfolgerungen: Diese Studie konnte zeigen, dass eine bilaterale chronische Dauerstimulation der Area subcallosa des Gyrus cinguli eine effektive und sichere antidepressive Wirkung bei Patienten mit Major Depression und bipolarer Störung II erzielt. Kommentar: Es handelt sich um die erste publizierte Studie, in der Patienten mit einer bipolaren Störung mittels THS behandelt wurden. Die Studie ist nicht ran- domisiert und einfach geblindet (Jadad-Score 2). Es konnte gezeigt werden, dass eine chronische Dauerstimulation der Area subcallosa des Gyrus cinguli zu einem effizienten Ansprechen bei der Major Depres- sion und bei bipolarer Störung II führt. Wesentlich dabei war, dass bei den Patienten mit bipolarer Störung keine erhöhte Suizidalität auftrat. Die Ergebnisse waren in beiden Krankheitsgruppen gleich. Der klinische Wert der Studie wird durch die geringe Zahl an behandel- ten Patienten und eine fehlende Randomisierung mit doppelter Verblindung kompromittiert. Das Ergebnis ist für eine solche Pilotstudie dennoch sehr eindrück- lich und bereitet den Weg für die Durchführung einer multizentrischen kontrollierten Studie um diese vielver- sprechenden Ergebnisse weiter zu validieren. Naureen Keric, Mainz Nach Arch Gen Psychiatry 2012 45 35 40 30 15 10 5 25 20 0 100 60 80 40 20 0 Baseline Vor Rand. Plac.-Stim. 4 Wochen 24 Wochen 1 Jahr 2 Jahre Depressionsschwere (Score) HDRS BDI-II GAF (n = 17) (n = 11) (n = 17) (n = 17) (n = 17) (n = 14) (n = 11) Tiefe Hirnstimulation Funktionsverbesserung Abbildung 1 Positiver Effekt der tiefen Hirnstimu- lation auf Depres- sionsschwere und Funktionsniveau.

Auch bei bipolarer Depression wirksam

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20 IN|FO|Neurologie & Psychiatrie 2012; Vol. 14, Nr. 5

Journal Screen DepressionJournal Screen

Holtzheimer PE, Kelley ME, Gross RE

et al. Subcallosal cingulate deep

brain stimulation for treatment-resistant

unipolar and bipolar depression. Arch

Gen Psychiatry 2012; 69: 150–8

Tiefe Hirnstimulation der Area subcallosa des Gyrus cinguli

Auch bei bipolarer Depression wirksamFragestellung: Wirkt die tiefe Hirnstimulation (THS) bei der therapieresistenten bipolaren Depression?

Hintergrund: Nachdem eine effektive und nachhaltige Wirkung durch THS bei Patienten mit therapieresistenter Depression erzielt werden konnte, stellte sich die Frage, ob auch die therapieresistente bipolare Depression mit-hilfe der THS erfolgreich behandelt werden könnte.

Patienten und Methodik: Im Rahmen einer offenen einfach geblindeten Studie mit Placebo-Stimulations-phase wurden von 323 gescreenten Patienten zehn mit Major Depression und sieben mit Bipolar-II-Störung eingeschlossen. Alle Patienten erhielten stereotaktisch geführt bilaterale quadripolare THS-Elektroden unter Mikro elektrodenableitung. Anschließend erfolgte die infraklavikuläre Implantation des Impulsgenerators. Post operativ wurden die korrekte Implantatlage mittels Magnetresonanztomografie (MRT) und kranieller Com-putertomografie (cCT) überprüft.

Nach dem Eingriff folgte eine vierwöchige Placebo-Stimulationsphase, wobei die Patienten bezüglich der Aktivierung des Stimulators geblindet waren. Daran schloss sich eine 24-wöchige Phase mit kontinuierlicher, mono polarer und bilateraler Stimulation an. In den wöchentlichen klinischen Untersuchungen wurde bei einem Rückgang der HRDS (Hamilton Depression Ra-ting Scale) unter 10% zunächst die Stimulationsinten-sität geändert und gegebenenfalls auch der stimulieren-de Kontakt auf der quadripolaren Elektrode gewechselt. Eine zweite Placebo-Stimulationsphase wurde bei drei Patienten aufgrund erhöhter suizidaler Gedanken nach zwei Wochen abgebrochen. Die Effektivität wurde mit-hilfe verschiedener Fragebögen (HDRS, Beck-Depres-sion Inventory II [BDI-II], Global Assessment of Func-tion [GAF]) erhoben. Der primäre Endpunkt entsprach der longitudinalen Entwicklung der HDRS über die Zeit (Abbildung 1). Ansprechen (Reduktion des HDRS Scores um mehr als 50%) und Remis sion (HDRS < 8 Punkte) wurden ebenfalls bestimmt.

Ergebnisse: Eine Dauerstimulation bewirkte eine sig-nifikante Reduktion der Depression und Funktionsver-besserung. Eine Remission wurde bei drei (18%) Pati-enten und ein Ansprechen bei sieben (41%) nach 24 Wochen sowie bei jeweils fünf (36%) nach einem Jahr und bei sieben (58%) und elf (92%) Patienten nach zwei Jahren festgestellt. Die Ergebnisse für Patienten mit bipolarer Störung II und Major Depression unterschie-den sich nicht. Manische oder hypomanische Phasen traten nicht auf. Ein geringfügiger Placebo-Effekt wur-de unmittelbar postoperativ festgestellt.

Schlussfolgerungen: Diese Studie konnte zeigen, dass eine bilaterale chronische Dauerstimulation der Area subcallosa des Gyrus cinguli eine effektive und sichere antidepressive Wirkung bei Patienten mit Major Depression und bipolarer Störung II erzielt.

Kommentar: Es handelt sich um die erste publizierte Studie, in der Patienten mit einer bipolaren Störung mittels THS behandelt wurden. Die Studie ist nicht ran-domisiert und einfach geblindet (Jadad-Score 2).

Es konnte gezeigt werden, dass eine chronische Dauerstimulation der Area subcallosa des Gyrus cinguli zu einem effizienten Ansprechen bei der Major Depres-sion und bei bipolarer Störung II führt. Wesentlich dabei war, dass bei den Patienten mit bipolarer Störung keine erhöhte Suizidalität auftrat. Die Ergebnisse waren in

beiden Krankheitsgruppen gleich. Der klinische Wert der Studie wird durch die geringe Zahl an behandel-ten Patienten und eine fehlende Randomisierung mit doppelter Verblindung kompromittiert. Das Ergebnis ist für eine solche Pilotstudie dennoch sehr eindrück-lich und bereitet den Weg für die Durchführung einer multizentrischen kontrollierten Studie um diese vielver-sprechenden Ergebnisse weiter zu validieren.

Naureen Keric, Mainz

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Tiefe Hirnstimulation

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Abbildung 1 Positiver Effekt der

tiefen Hirnstimu­lation auf Depres­sions schwere und Funktionsniveau.