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Z.a ¨ rztl. Fortbild. Qual.Gesundh.wes. (ZaeFQ) 101 (2007) 605–609 Schwerpunkt Bedeutung und Diagnostik der Mangelerna ¨hrung im Alter Ju ¨ rgen Martin Bauer , Cornel Christian Sieber Medizinische Klinik 2, Klinikum Nu ¨ rnberg, Lehrstuhl fu ¨ r Innere Medizin V - Geriatrie, Friedrich-Alexander-Universita ¨t Erlangen-Nu ¨ rnberg Zusammenfassung Die Mangelerna ¨ hrung des a ¨ lteren Menschen weist in bestimmten Risiko- gruppen wie Krankenhaus- und Pflegeheimpatienten eine hohe Pra ¨ valenz auf und ist in dieser Population fu ¨ r Morbidita ¨ t und Mortalita ¨t von we- sentlicher Bedeutung. Ihre Diagnose ist mit einfachen Parametern wie Gewichtsverlauf, BMI und Verzehrsmenge mo ¨ glich. Die zur Verfu ¨ gung stehenden Screening- und Assessmentverfahren wie Mini Nutritional Assessment (MNA) und Nutritional Risk Screening (NRS 2002) zielen auf eine systematische Erfassung und Fru ¨ herkennung der Mangelerna ¨ hrung. Wa ¨ hrend der MNA sich besser fu ¨ r die ambulante Ver- sorgungssituation eignet, weist der NRS 2002 Vorteile im stationa ¨ ren Be- reich auf. Die Verschiedenheit beider Instrumente erschwert jedoch den Vergleich von Studienpopulationen. Beide Verfahren eignen sich ferner nicht zur Ergebniskontrolle nach einer Erna ¨ hrungsintervention. Im Bereich der Erna ¨ hrungsmedizin besteht insbesondere fu ¨ r den Bereich der Alten- und Pflegeheimpatienten ein hoher Bedarf an erga ¨ nzenden Untersuchun- gen zur Diagnostik und Therapie der Mangelerna ¨ hrung. Eine Vereinheit- lichung der hierbei verwandten Diagnose- und Ergebnisparameter scheint fu ¨ r die Vergleichbarkeit der Ergebnisse dringend erforderlich. Das Minimal Data Set ist ein Schritt in diese Richtung. Schlu ¨ sselwo ¨ rter: Mangelerna ¨ hrung, Alter, Diagnose, Mini Nutritional Assessment, Nutritional Risk Screening, Minimum Data Set Significance and Diagnosis of Malnutrition in the Elderly Summary In certain high-risk groups like geriatric hospital patients and nursing home inhabitants malnutrition has a high prevalence and is highly relevant for morbidity and mortality in these populations. The diagnosis of malnutrition in the elderly can be achieved by simple parameters like loss of weight, BMI and oral intake. The available screening and assessment instruments like Mini Nutritional Assessment (MNA) and Nutritional Risk Screening (NRS 2002) aim at the standardization of the diagnosis and early recognition of malnutrition. While the MNA seems to be more appropri- ate for the community-dwelling elderly, the NRS 2002 offers advantages for the hospital setting. The dissimilarity of the two instruments makes the comparison of study populations difficult. Both the results of the MNA and those of the NRS 2002 are unsuitable as follow-up parameters and in- appropriate for the evaluation of nutritional intervention. There is still a strong need for studies on the diagnosis and therapy of malnutrition in the elderly, especially in the nursing home setting. For scientific purposes a standardization of the instruments used for the diagnosis of malnutrition and for the evaluation of the study results is essential. The Minimum Data Set may be a first step in the right direction. Key words: malnutrition, elderly, diagnosis, Mini Nutritional Assessment, Nutritional Risk Screening, Minimum Data Set www.elsevier.de/zaefq ARTICLE IN PRESS Korrespondenzadresse: Dr. Ju ¨ rgen Martin Bauer, Medizinische Klinik 2, Klinikum Nu ¨ rnberg, Lehrstuhl fu ¨ r Innere Medizin V – Geriatrie, Friedrich-Alexander-Universita ¨ t, Erlangen, Prof.-Ernst-Nathan-Straße 1, 90419 Nu ¨ rnberg. E-Mail: [email protected] Z.a ¨ rztl. Fortbild. Qual.Gesundh.wes. (ZaeFQ) doi:10.1016/j.zgesun.2007.09.008 605

Bedeutung und Diagnostik der Mangelernährung im Alter

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Page 1: Bedeutung und Diagnostik der Mangelernährung im Alter

ARTICLE IN PRESS

�Korrespondenzadresse:Erlangen, Prof.-Ernst-NaE-Mail: juergen.bauer@k

Z.arztl. Fortbild. Qudoi:10.1016/j.zgesu

Z.arztl. Fortbild. Qual.Gesundh.wes. (ZaeFQ) 101 (2007) 605–609

www.elsevier.de/zaefq

Schwerpunkt

Bedeutung und Diagnostik derMangelernahrung im AlterJurgen Martin Bauer�, Cornel Christian Sieber

Medizinische Klinik 2, Klinikum Nurnberg, Lehrstuhl fur Innere Medizin V - Geriatrie, Friedrich-Alexander-UniversitatErlangen-Nurnberg

Zusammenfassung

Die Mangelernahrung des alteren Menschen weist in bestimmten Risiko-gruppen wie Krankenhaus- und Pflegeheimpatienten eine hohe Pravalenzauf und ist in dieser Population fur Morbiditat und Mortalitat von we-sentlicher Bedeutung. Ihre Diagnose ist mit einfachen Parametern wieGewichtsverlauf, BMI und Verzehrsmenge moglich.Die zur Verfugung stehenden Screening- und Assessmentverfahren wieMini Nutritional Assessment (MNA) und Nutritional Risk Screening (NRS2002) zielen auf eine systematische Erfassung und Fruherkennung derMangelernahrung. Wahrend der MNA sich besser fur die ambulante Ver-sorgungssituation eignet, weist der NRS 2002 Vorteile im stationaren Be-

Dr. Jurgen Martin Bauer, Medizinische Klinik 2, Klinikum Nuthan-Straße 1, 90419 Nurnberg.linikum-nuernberg.de

al.Gesundh.wes. (ZaeFQ)n.2007.09.008

reich auf. Die Verschiedenheit beider Instrumente erschwert jedoch denVergleich von Studienpopulationen. Beide Verfahren eignen sich fernernicht zur Ergebniskontrolle nach einer Ernahrungsintervention. Im Bereichder Ernahrungsmedizin besteht insbesondere fur den Bereich der Alten-und Pflegeheimpatienten ein hoher Bedarf an erganzenden Untersuchun-gen zur Diagnostik und Therapie der Mangelernahrung. Eine Vereinheit-lichung der hierbei verwandten Diagnose- und Ergebnisparameter scheintfur die Vergleichbarkeit der Ergebnisse dringend erforderlich. Das MinimalData Set ist ein Schritt in diese Richtung.

Schlusselworter: Mangelernahrung, Alter, Diagnose, Mini Nutritional Assessment, Nutritional Risk Screening, Minimum Data Set

Significance and Diagnosis of Malnutrition in the Elderly

Summary

In certain high-risk groups like geriatric hospital patients and nursing homeinhabitants malnutrition has a high prevalence and is highly relevant formorbidity and mortality in these populations. The diagnosis of malnutritionin the elderly can be achieved by simple parameters like loss of weight,BMI and oral intake. The available screening and assessment instrumentslike Mini Nutritional Assessment (MNA) and Nutritional Risk Screening(NRS 2002) aim at the standardization of the diagnosis and earlyrecognition of malnutrition. While the MNA seems to be more appropri-ate for the community-dwelling elderly, the NRS 2002 offers advantagesfor the hospital setting. The dissimilarity of the two instruments makes the

comparison of study populations difficult. Both the results of the MNA andthose of the NRS 2002 are unsuitable as follow-up parameters and in-appropriate for the evaluation of nutritional intervention.There is still a strong need for studies on the diagnosis and therapy ofmalnutrition in the elderly, especially in the nursing home setting. Forscientific purposes a standardization of the instruments used for thediagnosis of malnutrition and for the evaluation of the study results isessential. The Minimum Data Set may be a first step in the rightdirection.

Key words: malnutrition, elderly, diagnosis, Mini Nutritional Assessment, Nutritional Risk Screening, Minimum Data Set

¨ rnberg, Lehrstuhl fur Innere Medizin V – Geriatrie, Friedrich-Alexander-Universitat,

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ARTICLE IN PRESS

Bedeutung derMangelernahrung desalteren Menschen inDeutschland

Trotz der in der offentlichen Ernah-rungsdiskussion gegenwartig dominie-renden Adipositas besitzt fur die altereBevolkerung die unzureichende Versor-gung mit Makro- und Mikronahrstoffendie großere Relevanz [1–3]. Es ist daherdas Ziel der vorliegenden Ubersicht,zunachst die Bedeutung der Mangel-ernahrung fur den alteren Menschendarzustellen sowie anschließend diewichtigsten Instrumente fur ihre Diag-nose zu beschreiben. Der kenntnisrei-che Einsatz letzterer bildet die Basis furdie erfolgreiche Durchfuhrung zukunf-tiger Pravalenz- und Interventionsstudi-en in diesem Bereich.Wahrend die Deutsche Gesellschaft furErnahrungsmedizin (DGEM) den Begriffder Unterernahrung, gekennzeichnetdurch eine Verringerung der Energie-speicher (Fettmasse), von dem der Mal-nutrition, gekennzeichnet durch einenkrankheitsassoziierten Gewichtsverlustund spezifische Nahrstoffdefizite, ab-grenzt [4], findet sich bei alteren Men-schen meist das simultane Auftretenbeider Konditionen. Es soll daher imFolgenden fur diese geriatrische Kon-stellation der Begriff der Mangel-ernahrung verwendet werden. In die-ser Ubersicht kann nicht auf die Beson-derheiten von Mikronahrstoffdefizitenim Alter eingegangen werden. Die fol-genden Ausfuhrungen beziehen sichdaher in erster Linie auf den Mangel anEnergie sowie Protein.Mangelernahrung entsteht bei einerDysbalance zwischen Nahrstoffzufuhrund Nahrstoffbedarf. Fur das hohereLebensalter lasst sich feststellen, dass inder weit uberwiegenden Zahl der Fallevon Mangelernahrung [5] eine unzurei-chende Zufuhr vorliegt. Altersphysiolo-gische Veranderungen wie die Ver-minderung des Geruchs- und Ge-schmacksempfindens, die fehlendeKompensation nach Fastenepisodensowie Veranderungen der Appetitregu-lation begunstigen einen Gewichtsver-lust bei Hinzutreten anderweitiger Kau-salfaktoren. Neben einem weiten Spek-

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trum an Erkrankungen sind in diesemZusammenhang psychische und sozialeEinflusse von wesentlicher Bedeutung[6].Folgt man dem 2000 erschienenErnahrungsbericht fur Deutschland [7]so findet sich unter den selbstandig le-benden alteren Menschen ab dem 65.Lebensjahr ein mit dem Alter steigen-der prozentualer Anteil der Gruppe mitBMI – Werten kleiner 20 kg/m2. Letzte-rer Wert ist gemaß den Leitlinien derDGEM [8] sowie der European Societyfor Clinical Nutrition and Metabolism(ESPEN) [9] ein wichtiger Indikatorbezuglich des Vorliegens einer Man-gelernahrung in dieser Altersgruppe[3,10,11]. Fur Deutschland wird einePravalenz der Mangelernahrung unterselbstandig lebenden alteren Men-schen von 4–8% angenommen. Deut-lich hohere Pravalenzen finden sich imBereich der Alten- und Pflegeheimbe-wohner (35–45%) [8] sowie unter dengeriatrischen Krankenhauspatienten(bis 55%) [12]. Altere Menschen mitMangelernahrung leiden haufiger aneinem Verlust der funktionellen Selb-standigkeit sowie an einer hoheren as-soziierten Morbiditat, zum Beispieldurch Infektionskrankheiten und De-kubitalulcera [13]. Ferner ließ sichsowohl fur den ambulanten als auchfur den stationaren Bereich eine alsFolge eines reduzierten Ernahrungszu-standes erhohte Mortalitat nachweisen[2,14,15].Das therapeutische Vorgehen bei Vor-liegen einer Mangelernahrung im Altermuß in aller Regel ein Ineinander-greifen verschiedener Therapieansatzebeinhalten. Mogliche ursachliche Fak-toren bedurfen der primarenBerucksichtung. In Abhangigkeit vonder Versorgungssituation des betroffe-nen alteren Menschen sollte ein an dielokalen Ressourcen angepasstes Thera-piekonzept entwickelt werden. Dieseskann neben pflegerischen Maßnahmeneine Umstellung der Kostform, zumBeispiel mit einer kalorischen Anreiche-rung, die Verordnung von Hilfsmitteln,die Beeinflussung sozialer Faktoren so-wie die Verordnung oraler Supplemen-te umfassen. Zudem kann der tem-porare oder auch dauerhafte Einsatzeiner PEG-Sonde erforderlich sein. Die

Z.arztl. Fortb

Umsetzung und der Erfolg des indivi-duellen Ernahrungsplanes bedurfen derUberwachung.Allein fur den Einsatz von oralen Sup-plementen bei alteren Erwachsenen lie-gen mehrere Studien vor, die eine Aus-wertung in einer Metaanalyse zulassen.A.C. Milne und Mitarbeiter konntenzeigen, dass mittels des Einsatzes vonoralen Supplementen eine Verbesse-rung des Ernahrungsstatus von alterenMenschen gelingt. Ferner konnte furaltere Krankenhauspatienten eine Ver-ringerung des Auftretens von Kompli-kationen sowie der Mortalitat undnachgewiesen werden [16].All dies belegt die Bedeutung vonDiagnose und Therapie der Man-gelernahrung fur altere Menschen inunserer Gesellschaft.

Diagnostik derMangelernahrung

Die Diagnostik der Mangelernahrungkann in Praxis und Klinik mit Hilfe we-niger einfacher Parameter erfolgen[17]. Neben dem Body Mass Index(BMI), dessen Grenze zur Mangel-ernahrung fur altere Menschen – wiebereits erwahnt – bei 20 kg/m2 anzu-setzen ist, sind dies der Gewichtsver-lauf und die individuelle Verzehrmenge.Letztere kann zum Beispiel durch dieVerwendung eines Tellerschemas ubereinen bestimmten Zeitraum geschatztwerden. Als eine signifikante Gewichts-abnahme wird ein Gewichtsverlust von5% in einem Monat oder von 10% insechs Monaten angesehen. Ferner ver-dient die aktuelle Komorbiditat des Be-troffenen Beachtung, falls sie mit ei-nem erhohten Bedarf an Nahrstoffeneinhergeht. Diese Diagnoseempfehlun-gen fanden auch in den DGEM [8] undESPEN Guidelines [9] Berucksichtigung.Routinemaßige Laboranalysen wie Al-bumin oder die Bestimmung der Se-rumspiegel von Mikronahrstoffen sindnicht routinemaßig erforderlich. Letzte-re sollten allenfalls im Einzelfall unterder Annahme eines spezifischen Defi-zits erfolgen.

ild. Qual.Gesundh.wes. 101 (2007) 605–609www.elsevier.de/zaefq

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Screening- undAssessmentverfahren

Um in der Diagnostik der Mangel-ernahrung eine verbesserte Systematikund Fruherkennung zu ermoglich, wur-de in den letzten Jahren eine Vielzahlvon Screening- und Assessment-Ver-fahren entwickelt. Mit Hilfe einesScreening-Verfahrens wird versucht, ineiner bestimmten Population, hier beiden uber 65-Jahrigen, mit geringemRessourcenaufwand alle Personen miteinem reduzierten Ernahrungszustandbeziehungsweise einem diesbezugli-chen Risiko zu identifizieren. Die As-sessmentverfahren erfordern einen ge-genuber den Screening-Verfahren ver-mehrten Zeitaufwand. Sie gestatten es,erste Informationen uber das Ausmaßder Mangelernahrung sowie auch de-ren Ursachen zu erhalten.Das in der wissenschaftlichen Literaturin der alteren Population am umfang-reichsten dokumentierte Verfahren istdas Mini Nutritional Assessment (MNA)[18,19], welches die Untersuchteneiner der drei folgenden Kategorienzuordnet: Normaler Ernahrungszustand– Risiko fur Mangelernahrung – Man-gelernahrung. Es kann sowohl als Kurz-form zum Screening mit sechs Fragensowie in einer Vollversion mit 18 Fragenangewandt werden. Bei pathologi-schen Screeningwerten ist die Durch-fuhrung der Vollversion indiziert.Letztere sieht unter anderem dieDurchfuhrung anthropometrischerMessungen vor. Diese kann sich bei im-mobilen alteren Personen als schwie-rig erweisen. Da ferner fur die Beant-wortung mehrerer Fragen die aktiveMitwirkung der Untersuchten erforder-lich ist, erweist sich der MNA imgeriatrischen Krankenhaus- sowie imPflegeheimbereich als eingeschranktanwendbar. Bis zu 35% der alterenMenschen konnen nicht mit Hilfe desMNA untersucht werden [20]. Zusatz-lich ist fur die korrekte Durchfuhrungdes MNA ein Zeitaufwand von15–20 min erforderlich, welcher inAnbetracht knapper Ressourcen nichtunumstritten ist. Ein weiteres Problembei Verwendung des MNA in Risiko-populationen (Altenheim-/Kranken-

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hausbereich) ist der hohe Anteil vonPatienten, welche auf diese Weise alsmangelernahrt oder als Risikopersonenidentifiziert werden [21]. Durch diesenSachverhalt wird der sinnvolle Einsatzder ohnehin knappen Ressourcen er-schwert. Trotz dieser Einwande wirddas MNA auch in den ESPEN DiagnoseGuidelines fur die Anwendung bei deralteren Bevolkerung empfohlen [22].Ein weiteres verbreitetes Assessment-Verfahren, welches nicht fur die altereBevolkerung sondern fur die Beurtei-lung des Ernahrungszustandes von chir-urgischen Patienten entwickelt wurde,ist das Subjective Global Assessment(SGA) [23]. Es setzt eine großere spe-zifische Erfahrung der Untersucher vor-aus als dies fur den Einsatz des MNAerforderlich ist.Als Screening-Alternative wird vonzahlreichen Experten in der geriatri-schen Krankenhauspopulation die An-wendung des Nutritional Risk Screen-ing (NRS 2002) praferiert [24]. Diesesbietet den Vorteil, dass die zu untersu-chende Personengruppe in der Regelvollstandig erfasst werden kann undzudem der zu veranschlagende Zeitein-satz deutlich geringer ist. Der NRS 2002ist das von ESPEN fur Krankenhauspa-tienten empfohlene Screening-Verfah-ren. Der Einsatz des NRS 2002 wurdejedoch fur den Altenheimbereich bis-lang nicht validiert.

Diagnose derMangelernahrung desalteren Menschen undVersorgungsforschung

Zusatzlich zu NRS 2002 und MNAkommen weitere Screening- undAssessmentverfahren in Pravalenzstu-dien bei Alten- und Pflegeheimbewoh-nern sowie im Krankenhausbereichzum Einsatz. Fur deren weit uberwie-gende Mehrzahl existiert keine Validie-rung in der geriatrischen Population.Diese Vielfalt an eingesetzten Instru-menten mit zum Teil zweifelhaftermethodischer Qualitat erschwert dieVergleichbarkeit der untersuchtenPopulationen in erheblichem Maße.Auch in Interventionsstudien zur The-rapie der Mangelernahrung im Alter

605–609

findet sich eine Vielzahl an eingesetz-ten Screening- und Assessmentverfah-ren. Die Interpretation der bislang vor-handenen Daten wird auch durch dieTatsache erschwert, dass selbst emp-fohlene Assessment-Verfahren wieMNA und SGA methodenbedingt ver-schiedene Populationen als mangel-ernahrt beziehungsweise als Risikoper-sonen einstufen [19].Die Problematik des Fehlens einesGoldstandards wird auf diese Weise of-fenbar. Die systematische Charakteri-sierung einer Population bezuglich desVorliegens einer Mangelernahrung er-weist sich in Anbetracht der zur Verfu-gung stehenden Assessmentverfahrenals schwierig. Lediglich klassische an-thropometrische Parameter scheinenfur einen direkten Vergleich der Kollek-tive geeignet. Da sich andererseits derErnahrungszustand durch ein komple-xes Zusammenwirken verschiedenerMechanismen ergibt, greifen diese ins-besondere mit Hinblick auf eine fruheDiagnose oftmals zu kurz.

Ergebnisparameter in derErnahrungstherapie

Um die Qualitat der Versorgung altererMenschen durch eine Ernahrungsthe-rapie beurteilen zu konnen, bedarf esvalider Ergebnisparameter. Neben klas-sischen anthropometrischen Parame-tern wie Gewichtsverlauf, Oberarmum-fang, Unterschenkelumfang, Trizeps-hautfaltendicke kann hier der mit derbioelektrischen Impedanzanalyse ermit-telte Phasenwinkel [25] innerhalb wis-senschaftlicher Projekte sinnvolle Ver-wendung finden. Im Hinblick auf dieBeurteilung des Ressourceneinsatzes imBereich der Ernahrungstherapie wirdjedoch der Beschreibung von Endpunk-ten wie Haufigkeit von Infektionen,funktionelle Selbstandigkeit (zum Bei-spiel anhand des Assessments derBasis-Aktivitaten sowie der instrumen-tellen Aktivitaten des taglichen Lebens– ADL/IADL), Pflegeintensivitat im Ver-lauf, Lebensqualitat, Krankenhausauf-nahmen und Mortalitat eine wesentli-che großere Bedeutung einnehmen.Fur die etablierten Assessmentverfah-ren wie MNA und SGA ist festzustellen,

607

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dass sie nur eine sehr begrenzte Eig-nung fur ein Follow-up der alsmangelernahrt beziehungsweise als Ri-sikopersonen eingestuften alterenMenschen besitzen. Die mit Ihnenermittelten Punktescores sind ge-genwartig nicht als fur die Beurteilungder Versorgungsqualitat geeignete Er-gebnisparameter anzusehen.Fur den ambulanten sowie den Alten-und Pflegeheimbereich liegen nur we-nige Studien in geringer Qualitat vor[26]. Dieser Sachverhalt durfte unteranderem in dem hier wesentlich hohe-ren logistischen Aufwand im Bereichder Studiendurchfuhrung begrundetsein. Zukunftige Studien sind dringenderforderlich, um den Stellenwert derErnahrungstherapie in diesen Institutio-nen auch wissenschaftlich zu begrun-den. Auch fur das vom Bundesministe-rium fur Gesundheit in seiner Arznei-mittelrichtlinie Enterale Ernahrung seitdem Oktober 2005 vorgesehene Spek-trum an Interventionen, welches beiVorliegen einer Mangelernahrung ein-zusetzen ist, liegt mit Ausnahme deroralen Supplementtherapie keine wis-senschaftliche Evidenz in ausreichen-dem Umfang vor.Der Medizinische Dienst der Spitzen-verbande der Krankenkassen formulier-

Tabelle 1. Parameter des Minimum Data Set furMenschen.

– Geburtsdatum– Geschlecht– Ausbildung (Anzahl der Jahre)– Wohnsituation (Wohnung/Haus, Krankenhaus,– Anthropometrie

J GewichtJ Body Mass Index (BMI)

– Mini Nutritional Assessment (MNA) oder Kurzf– Funktioneller Status

J Basis-Aktivitaten des taglichen Lebens (ADLJ Instrumentelle Aktivitaten des taglichen LeJ Geriatric Depression Scale (GDS)J Folsteins Mini-Mental State Examination (MJ Zeitnahme fur das Aufstehen von einem StJ Zeitnahme fur eine Gehstrecke von 4 m (Ti

– Komorbiditat– Aktuelle Medikation– Optionale Parameter

J Biologische Marker (Serumalbumin, C-reakJ Tagliche orale Nahrungszufuhr

608

te 2003 die Grundsatzstellungnahme

’’Ernahrung und Flussigkeitsversorgung

alterer Menschen

’’

[27]. Diese fand imBereich der Alten- und Pflegeheimbe-reich starke Beachtung und beeinfluss-te Diagnostik und Therapie der Man-gelernahrung in den Einrichtungennachhaltig. Allerdings wurde aus demPapier kein einheitliches Vorgehen ab-geleitet. Lediglich verschiedene Grund-prinzipien wie Dokumentation von Ge-wicht, BMI, Kalkulation des Flussig-keits- und Energiebedarfs fandensystematisch Eingang in den pflegeri-schen Alltag.Ein bundesweit anerkannter und ange-wandter Diagnose- oder Therapiestan-dard fur die Mangelernahrung des alte-ren Menschen ist bislang weder fur denBereich der Krankenhauser noch furden Ambulanz- oder Alten-/Pflege-heimbereich vorhanden.Abschließend sei auf eine in Details zudiskutierende, insgesamt aber begru-ßenswerte wissenschaftliche Initiativeverwiesen. 2004 wurde ein Konsensbezuglich der Mindestanforderungenan die im Rahmen von Interventions-studien bei alteren Erwachsenen zu er-hebenden Parameter von einer inter-nationalen Expertengruppe formuliertund veroffentlicht (Tabelle 1) [28]. Das

Interventionsstudien zur Ernahrung des alteren

Pflegeheim)

orm des MNA (MNA-SF)

)bens (IADL)

MSE)uhl (Timed chair stand)med 4-meter walk)

tives Protein)

Z.arztl. Fortb

Ziel der Autoren war es, Wissenschaft-ler im Bereich der klinischen Ernahrungdes alteren Menschen mit klaren, vonExperten empfohlenen klinischen Er-gebnisparametern zu versorgen, wel-che die Vergleichbarkeit neuer Studien-ergebnisse erlauben. Diese Initiative istauch im Hinblick auf zukunftige Pro-jekte der Versorgungsforschung alswertvoll zu bewerten. Seit Veroffentli-chung des Minimum Data Set ist je-doch bislang noch keine wissenschaft-liche Studie erschienen, die bezuglichihrer Ergebnisparameter explizit aufdiese Vorgaben Bezug genommenhat. Es bleibt zu hoffen, dass dieserZustand in absehbarer Zeit der Vergan-genheit angehort.

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BQS stellt laienverstandliche Interprezur Verfugung

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA)hat am 10. Mai 2007 beschlossen, dass inden

’’Strukturierten Qualitatsberichten der

Krankenhauser

’’

Ergebnisse zu 27 Qualitatsin-dikatoren aus 10 Leistungsbereichen desBQS-Verfahrens verbindlich und in einheitli-cher Form veroffentlicht werden mussen. Fursechs weitere Indikatoren wurde eine Verof-fentlichung empfohlen. Die Auswahl dieserIndikatoren ist auf der Basis von Empfehlun-gen der BQS-Fachgruppen und der BQS er-folgt.Die BQS-Indikatoren wurden primar fur dieAnwendung im Expertensetting entwickelt.Um das Verstandnis dieser Indikatoren auchfur Nicht-Fachleute zu erleichtern, hat dieBQS am 14.09.2007 auf Ihrer Websitewww.bqs-online.de eine neue Rubrik einge-richtet:

’’BQS fur Patienten

’’

.Im Mittelpunkt der dort veroffentlichten Infor-mationen stehen laienverstandliche Interpre-

Z.arztl. Fortbild. Qual.Gesundh.wes. 101 (2007)www.elsevier.de/zaefq

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tationshilfen fur Qualitatsindikatoren

tationshilfen fur die 33 Qualitatsindikatoren,deren Ergebnisse in diesem Jahr von allenKrankenhausern im Qualitatsbericht verpflich-tend dargestellt werden mussen oder zur Ver-offentlichung empfohlen werden. Weiterhinwerden in laienverstandlicher Form die Ver-sorgungsbereiche vorgestellt, zu denen dieseIndikatoren gehoren. Von der Ubersichtstabel-le unter www.bqs-online.com/public/bqsfp/qifp/uetabelle aus konnen uber aktive Linksalle Interpretationshilfen und Versorgungsbe-reiche direkt angesteuert werden. Die Textewurden gemeinsam von Mitarbeitern der Ver-braucherzentrale Hamburg, der BQS-Fach-gruppen und der BQS erarbeitet.Daruber hinaus liefert die Seite Erlauterungenzum allgemeinen Verstandnis von Qualitatsin-dikatoren, zu den Qualitatsberichten, zumBQS-Verfahren sowie Wissenswertes zumStellenwert von Qualitatsindikatoren bei derAuswahl eines Krankenhauses.

605–609

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und Flussigkeitsversorgung alterer Men-sche

’’

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Die Informationen sollen Patienten auf der ei-nen Seite unterstutzen, moglichst viel Nutzenaus den wertvollen Informationen, die dieQualitatsberichte liefern, ziehen zu konnen.Auf der anderen Seite wird aber auch deut-lich gemacht, dass die Informationen aus denveroffentlichten Indikatorergebnissen bei derAuswahl eines Krankenhauses als alleinige In-formationsquelle nicht ausreichen, da sie nurTeilaspekte der Versorgung erfassen.

Korrespondenzadresse:Dr. med. Klaus DoblerBQS Bundesgeschaftsstelle QualitatssicherunggGmbHAbteilungsleiter Medizin und PflegeKanzlerstraße 440472 DusseldorfE-Mail: [email protected]

Magazin

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