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Eine Informationsschrift für unsere Freunde und Förderer Herausgegeben vom Landesverband Bayern für Körper- und Mehrfachbehinderte e. V. 2 / 200 7 Liebe Spenderinnen und Spender, unser Landesverband steht unter Schock. Im März haben wir unseren Geschäftsführer Hans Reutemann wohlgelaunt in den Ruhestand ver- abschiedet – im Juli ist er gestorben. Nach so vielen Jahrzehnten, in denen er für andere da war, hatte er sich auf die Zeit für sich, für seine Frau und seine Enkel gefreut. Diese Zeit war ihm nicht geschenkt. Eine schwere Krank- heit beendete sein Leben viel zu früh. Bis zum letzten Tag hat er für unseren Verband schwierige Verhandlungen mit Politik und Kostenträgern geführt – und hatte großen Erfolg (siehe auch S. 4). Erinnern Sie sich z.B. an das Zuständigkeitsgerangel zwischen Kom- munen und Bezirken? Seit etlichen Jahren ist es so: Wohnen behinderte Menschen in weitgehender Selbststän- digkeit in betreuter Wohnform, ist ihr Kostenträger die Kommune. Leben sie dagegen in stationärer Einrichtung, zahlen die Bezirke. Bezirke und Kom- munen versuchen sich die „Kostenfälle“ hin- und herzuschieben. Der Grundsatz des Sozialgesetzbuches, nach dem am- bulante Betreuung vor stationärer ran- giert, hilft oft wenig. Hans Reutemann forderte für unseren Landesverband gemeinsam mit anderen Verbänden, die Zuständigkeit zu bündeln. Kurz vor seiner Verabschiedung konnte er den Erfolg seiner Mühen feiern. Ab Januar nächsten Jahres sollen die Bezirke ein- heitlich für die gesamte Eingliederungs- hilfe und damit alle Hilfen für Wohnen – in welcher Form auch immer – allein zuständig sein. Wir begrüßen diesen Kabinettsbeschluss und hoffen, die Bezirke tun, was CSU-Fraktions-Chef Joachim Herrmann ihnen mit auf den Weg gab: Die Hilfsangebote qualitativ weiterzuentwickeln. Heinrich Fehling Geschäftsführer Inhalt: +++ Begleitung im Ungewissen S.1 +++ Wenn die Nacht zum Tag wird… S.2 +++ Eine Brücke ins Leben S.3 +++ Danke, Hans Reutemann! S.4 +++ Einsamkeit. Sie füllte den ganzen Raum. Und Verantwortung. Sie presste ihr schier die Luft ab. Diese zwei Gefühle aus der schweren Anfangszeit wird Maria Baumgärtner nie vergessen. Wie sie ganz allein mit ihrem frühgeborenen Baby zurückblieb, als ihr Mann – wie jeden Morgen – zur Arbeit ging. Wie schön er das Kinderzimmer hergerichtet hatte – davon bekam Maria fast nichts mit: vom rosa Himmel über dem kleinen Bettchen, vom Teddy auf der Wickelkommode, vom Schaukelpferd. Sie sah nur gebannt auf das schwarze Gerät über dem Bett, hörte auf sein Brummen, verfolgte mit den Augen die Anzeigen. Der Monitor überwachte Lenas Atem. Am ersten Morgen alleine zu Hause wagte Maria kaum, auf die Toilette zu ge- hen. Sie hatte einfach Angst. Angst, dass der Atem ihres kleinen, zarten Babys aussetzen könnte. Angst, dass ihre Lena mal wieder zu wenig Sauerstoff haben würde. Angst, dass dieses Wesen, das viel zu früh auf die Welt gekommen war, sich auch viel zu früh wieder verabschieden könnte. Acht Wochen hatte Lena auf der Intensiv- station gelegen, über Schläuche war Sauer- stoff und Nahrung in ihren kleinen Körper gepumpt worden. Jeden Morgen kam Maria, zwängte sich in den Raum zwischen Monitoren, Kabeln und Geräten, versuchte den Ärzten nicht im Weg zu sein, die Kran- kenschwestern nicht zu behindern. In dieser Zeit war sie sich so hilflos und so überflüssig vorgekommen. Und konnte doch nicht ihre Augen von dem kleinen Wesen im Brutkasten lassen, das ihre Tochter sein sollte. Dann end- lich die erste Erleichterung. Lena darf raus aus dem Brutkasten, rein ins Wärmebettchen. Und einige Stunden am Tag zu ihrer Mutter auf die Brust für die „Känguru-Methode“. Der Körper- kontakt hilft den Frühchen, sich besser zu ent- wickeln, schneller zu wachsen und weniger Gehirnschäden zu erleiden. Damals wurde Maria endlich Mutter. Acht Wochen nach der Geburt. Als ihre kleine Lena weitgehend selbst- ständig atmen, trinken und ihre Körpertempe- ratur halten konnte, wurde sie entlassen. Für die Ärzte endete damit die Behandlung. Nicht aber für Maria und ihren Mann. Jetzt waren sie als Eltern auch medizinisch für das Wohl- ergehen ihres Kindes verantwortlich. Sein Über- leben hing davon ab, ob sie Veränderungen zum Schlechten erkannten und rechtzeitig reagierten. „Damit fühlen sich die meisten Eltern überfor- dert“, sagt Petra Hochecker. Seit anderthalb Jahren begleitet die Sozialpädagogin die Eltern Frühgeborener in der Münchner Uni- Frauenklinik. Hier werden rund 200 Frühchen im Jahr geboren, ein Fünftel von ihnen ist bei Entlassung noch auf zusätzliche Versorgung mit künstlichem Sauerstoff angewiesen wie Lena. Begleitung im Ungewissen Fortsetzung auf Seite 2

Begleitung im Ungewissen - LVKMWie schön er das Kinderzimmer hergerichtet hatte – davon bekam Maria fast nichts mit: vom rosa Himmel über dem kleinen Bettchen, vom Teddy auf der

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Page 1: Begleitung im Ungewissen - LVKMWie schön er das Kinderzimmer hergerichtet hatte – davon bekam Maria fast nichts mit: vom rosa Himmel über dem kleinen Bettchen, vom Teddy auf der

E in e I n fo r ma t i o n s s ch r i f t f ü r un s e re F r eund e und F ö rd e re r

Herausgegeben vom Landesverband Bayern für Körper- und Mehrfachbehinderte e. V.

2/2007

Liebe Spenderinnen und Spender,

unser Landesverband steht unter Schock. Im März haben wir unseren Geschäftsführer Hans Reutemann wohlgelaunt in den Ruhestand ver­abschiedet – im Juli ist er gestorben. Nach so vielen Jahrzehnten, in denen er für andere da war, hatte er sich auf die Zeit für sich, für seine Frau und seine Enkel gefreut. Diese Zeit war ihm nicht geschenkt. Eine schwere Krank­heit beendete sein Leben viel zu früh. Bis zum letzten Tag hat er für unseren Verband schwierige Verhandlungen mit Politik und Kostenträgern geführt – und hatte großen Erfolg (siehe auch S. 4). Erinnern Sie sich z.B. an das Zuständigkeitsgerangel zwischen Kom­munen und Bezirken? Seit etlichen Jahren ist es so: Wohnen behinderte Menschen in weitgehender Selbststän­digkeit in betreuter Wohnform, ist ihr Kostenträger die Kommune. Leben sie dagegen in stationärer Einrichtung, zahlen die Bezirke. Bezirke und Kom­munen versuchen sich die „Kostenfälle“ hin­ und herzuschieben. Der Grundsatz des Sozialgesetzbuches, nach dem am­bulante Betreuung vor stationärer ran­giert, hilft oft wenig. Hans Reutemann forderte für unseren Landesverband gemeinsam mit anderen Verbänden, die Zuständigkeit zu bündeln. Kurz vor seiner Verabschiedung konnte er den Erfolg seiner Mühen feiern. Ab Januar nächsten Jahres sollen die Bezirke ein­heitlich für die gesamte Eingliederungs­hilfe und damit alle Hilfen für Wohnen

– in welcher Form auch immer – allein zuständig sein. Wir begrüßen diesen Kabinettsbeschluss und hoffen, die Bezirke tun, was CSU­Fraktions­Chef Joachim Herrmann ihnen mit auf den Weg gab: Die Hilfsangebote qualitativ weiterzuentwickeln.

Heinrich Fehling Geschäftsführer

Inhalt: + + + B e g l e i t ung im U ng e w i s s e n S .1 + + + We nn d i e N a ch t zum Ta g w i rd… S . 2 + + + E i n e B r ü cke i n s L e b e n S . 3 + + + Danke , H ans R eu te mann! S . 4 + + +

Einsamkeit. Sie füllte den ganzen Raum. Und Verantwortung. Sie presste ihr schier die Luft ab. Diese zwei Gefühle aus der schweren Anfangszeit wird Maria Baumgärtner nie vergessen. Wie sie ganz allein mit ihrem frühgeborenen Baby zurückblieb, als ihr Mann – wie jeden Morgen – zur Arbeit ging. Wie schön er das Kinderzimmer hergerichtet hatte – davon bekam Maria fast nichts mit: vom rosa Himmel über dem kleinen Bettchen, vom Teddy auf der Wickelkommode, vom

Schaukelpferd. Sie sah nur gebannt auf das schwarze Gerät über dem Bett, hörte auf sein Brummen, verfolgte mit den Augen die Anzeigen. Der Monitor überwachte Lenas Atem. Am ersten Morgen alleine zu Hause wagte Maria kaum, auf die Toilette zu ge-hen. Sie hatte einfach Angst. Angst, dass der Atem ihres kleinen, zarten Babys aussetzen könnte. Angst, dass ihre Lena mal wieder zu wenig Sauerstoff haben würde. Angst, dass dieses Wesen, das viel zu früh auf die Welt gekommen war, sich auch viel zu früh wieder verabschieden könnte.

Acht Wochen hatte Lena auf der Intensiv-station gelegen, über Schläuche war Sauer-stoff und Nahrung in ihren kleinen Körper gepumpt worden. Jeden Morgen kam Maria, zwängte sich in den Raum zwischen Monitoren, Kabeln und Geräten, versuchte den Ärzten nicht im Weg zu sein, die Kran-kenschwestern nicht zu behindern. In dieser

Zeit war sie sich so hilflos und so überflüssig vorgekommen. Und konnte doch nicht ihre Augen von dem kleinen Wesen im Brutkasten lassen, das ihre Tochter sein sollte. Dann end-lich die erste Erleichterung. Lena darf raus aus dem Brutkasten, rein ins Wärmebettchen. Und einige Stunden am Tag zu ihrer Mutter auf die Brust für die „Känguru-Methode“. Der Körper-kontakt hilft den Frühchen, sich besser zu ent-wickeln, schneller zu wachsen und weniger Gehirnschäden zu erleiden. Damals wurde

Maria endlich Mutter. Acht Wochen nach der Geburt. Als ihre kleine Lena weitgehend selbst-ständig atmen, trinken und ihre Körpertempe-ratur halten konnte, wurde sie entlassen. Für die Ärzte endete damit die Behandlung. Nicht aber für Maria und ihren Mann. Jetzt waren sie als Eltern auch medizinisch für das Wohl-ergehen ihres Kindes verantwortlich. Sein Über-leben hing davon ab, ob sie Veränderungen zum Schlechten erkannten und rechtzeitig reagierten.

„Damit fühlen sich die meisten Eltern überfor-dert“, sagt Petra Hochecker. Seit anderthalb Jahren begleitet die Sozialpädagogin die Eltern Frühgeborener in der Münchner Uni-Frauenklinik. Hier werden rund 200 Frühchen im Jahr geboren, ein Fünftel von ihnen ist bei Entlassung noch auf zusätzliche Versorgung mit künstlichem Sauerstoff angewiesen wie Lena.

Begleitung im Ungewissen

Fortsetzung auf Seite 2

Page 2: Begleitung im Ungewissen - LVKMWie schön er das Kinderzimmer hergerichtet hatte – davon bekam Maria fast nichts mit: vom rosa Himmel über dem kleinen Bettchen, vom Teddy auf der

Den schönen Dingen des Lebens können sich allerdings auch die Brü-cke-Bewohner nur wenige Stunden widmen. Sonst wird gearbeitet. Aus Textil, Holz, Glas, Ton und Papier werden Dinge hergestellt, die im Hause gebraucht werden oder sich gut verkaufen lassen wie z.B. die edel wirkende Laterne mit bunten Fusing-Glasscheiben im sechseckigen Holzrahmen, die der Verkaufs-schlager des Weihnachtsbasars wurde. Oder in-dividuell gefertigte Taschen aus selbstgewebten Stoffen, deren Vielfalt schon Anlass für einen Rap-Song war:

„Bunte Taschen und auch Shopper, ein Match-Sack – ist noch viel salopper. Auch Rucksäcke sah man entsteh’n, wie sie die Welt noch nicht geseh’n, wobei die Naziye mit viel Fleiß das Nähpedal zu drücken weiß.“

Vielfalt herrscht sogar in der EDV-Abteilung der Förderstätte. Hier wird nicht nur ein Teil des Schriftverkehrs erledigt, hier entstehen Kalen-der, Visitenkarten, Lebensgeschichten und alle drei Monate die Hauszeitung „Brückenzauber“. Trotz ihrer oft schweren Behinderung leisten die Mitarbeiter in der Förderstätte also wichtige Beiträge. Dies war den Gründern der Förder-einrichtung „Brücke“ bei ihrer Konzeption be-sonders wichtig. In der Förderstätte sollte keine

Wegwerfarbeit produziert werden, sondern Nützliches entstehen. Denn wie für je-den anderen Arbeitnehmer bekommt nur dann die ei-gene Arbeit einen Sinn und erfüllt das Leben.

Wohnst Du noch oder lebst Du schon? Die 24 Bewoh-ner des Wohnpflegeheim der Brücke würden den Werbespruch mit einem entschiedenen „Wir leben“ beantworten. Wann immer

– vor allem finanziell – mög-lich, sorgen ihre Betreuer

Eine Brücke ins Leben

„Marmor, Stein und Eisen bricht, aber unse-re Liiiiiiieebe nicht…“ singen Janine, Naziye, Dominik, Peter und Javier herzzerreißend und begleiten sich selbst dabei mit Gitar-ren, Bongos, Schellenringen, Maracas und anderen Percussion-Instrumenten. Jeden zweiten Donnerstag geben sie ihre Interpretationen von Rock-Klassikern wie

„Summer of 69“ oder „Rock my soul“. Ihre Musik-Gruppe ist eine von vier Neigungs-gruppen, die sich in der Förderstätte der Münchner „Brücke“ gebildet haben. So können die 30 Mitarbeiter tun, was ihnen Spaß macht und gleichzeitig entsprechend ihrer Fähigkeiten intensiv gefördert werden. Die „Wühlmäuse“ z.B. sorgen rund ums Jahr für Pflanzen. Wenn’s draußen schneit und friert, wird schon mal die Aussaat fürs Frühjahr geplant und die Zimmerpflanzen gepflegt und neue gezogen. Von den Er-gebnissen der Gartengruppe profitiert die ganze Förderstätte: die Zimmerpflanzen sorgen überall für ein gutes Raumklima und der Garten bringt allen Bio-Obst, -Gemüse und wunderschöne Bio-Blumen. Die Koch-gruppe veredelt die Ernte schließlich zu leckeren Menüs. Den Speisesaal schmücken die Bilder der Fotogruppe. Sie hat sich ihr Labor selbst eingerichtet und die Kameras so umgebaut, dass alle Mitglieder den Aus-löser auch wirklich bedienen können.

Der Schreck saß tief. Timo hatte aufge-hört zu atmen. Einfach so. An seinem 26. Lebenstag. Doris Schmidt erfasste Panik, als die Atemzüge ihres Sohnes aussetzten. Sie beatmete ihn sofort. Tatsächlich kam Leben in seine Lungen. Er begann wieder selbstständig zu at-men. Im Nachhinein fanden die Ärzte die Erklärung. Timo leidet an erblich bedingten Herzrhythmusstörungen, die immer wieder Atemstillstände (Apnoen) auslösen. Die Folgen sind gravierend: Trotz sofortiger Hilfe wurde Timos Gehirn bereits während des er-sten Atemstillstandes nicht mehr richtig durchblutet. Er ist jetzt schwer behin-dert und stark entwicklungsverzögert. Seine Atmung muss ständig von einem Monitor überwacht werden. Ernährt werden kann er nur noch per Sonde.

In den ersten Tagen schlug der Monitor 80 Mal Alarm. Alarm, das heißt: Das Baby muss mit Sauerstoff versorgt, der Schleim aus seiner Luftröhre abgesaugt werden und man muss beobachten, ob sich seine Atmung wieder beruhigt. In der Nacht war diese Prozedur an-fangs rund 25 Mal nötig, inzwischen

„nur“ noch um die zehn Mal. Zehn Mal nachts medizinische Notfall-Versor-gung für ein Baby leisten – da kann niemand mehr selbst Schlaf finden. Um das eigene Überleben zu sichern, haben Timos Eltern einen Plan auf-gestellt: Zehn Nächte im Monat sorgt seine Mutter für ihn, zehn sein Vater und zehn ein ambulanter Pflegedienst. Mehr Entlastung können sich Timos

Ab nächstem Jahr starten wir ein Pilotprojekt, um den Eltern den schwierigen Schritt aus der Klinik nach Hause zu erleichtern. Dann wird sie unser Nachsorge-Team begleiten. Darin arbeiten eine Ärztin, eine Sozialpädagogin, eine Kinderkranken-schwester und ein Psychologe zusammen.

„Gerade im ersten halben Jahr hilft es Eltern, wenn Fachkräfte die Entwicklung ihres Kindes regelmäßig beurteilen“, erklärt Petra Hochecker.

„Dann verliert auch die alle drei Monate anste-hende entwicklungsneurologische Untersuchung ihren Schrecken.“ Ohne ständige Begleitung wird diese Untersuchung zum „Kinder-TÜV“, vor dem die Eltern regelrecht zittern. Angst und Sorge aber übertragen sich immer aufs Kind. „Wenn

Eltern nicht leisten. Schon jetzt sammeln sich Schulden an. Denn die Krankenkasse übernimmt nur die Hälfte der Kosten für die Nachtwachen.

Timo und seine Eltern sind kein Einzelfall. Einschla-fen und durchschlafen – das fällt schon gesunden Kindern oft schwer. Bei vielen schleichen sich Einschlaf-Rituale ein, die auf lange Sicht über die Kräfte gehen: Wenn ein Kind z.B. nur im Arm von Vater oder Mutter einschlafen kann, nur im Ehebett, nur nach zehn Schlafliedchen, nur wenn… Bei Kindern mit Behinderungen kann sich die Erschöpfung, zu der solche Rituale auf Dauer führen, noch potenzieren. Dann nämlich, wenn das Kind auf Grund seiner chronischen Krankheit oder Behinderung sowieso nicht durchschlafen kann. Etwa wenn die Luftröhre durch zu viel Schleim immer wieder belegt wird, der Kiefer- und Halsbereich anatomisch verengt ist oder Schmer-zen Schlafprobleme verursachen. Die Liste der möglichen Ursachen ist lang. Zwei Drittel der Kinder mit einer geistigen oder mehrfachen Be-hinderung leiden unter Schlafstörungen. Und mit ihnen ihre Eltern.

Doch über Lösungen ist wenig bekannt. Bisher gibt es wenig Forschung zu Schlafproblemen von Kindern und Erwachsenen mit Behinderungen. Für unsere Stiftung „Leben pur“ war dies Grund genug, das Thema aufzugreifen. Die Resonanz war überwältigend. Gut 300 Ärzte, Pflegekräfte, Lehrer, Eltern und Menschen mit Behinderungen aus ganz Deutschland kamen zu unserer Fach-tagung Mitte März nach München.

Auf dieser Tagung bekamen Angehörige wie Pflegekräfte endlich die praktischen Tipps, die sie schon lange ersehnt hatten. Denn neben den Vorträgen über den Stand der medizinischen For-schung vermittelten Workshops Alltagshilfen: Eine

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Hebamme führte z.B. die Schmetterlingsmassage vor, eine bioenergetische Massage, die beruhigend wirkt. Andere Fachkräfte erklärten die Wirkung ätherischer Öle. Häufig bräuchte es auch einfach mehr Aktivität am Tag, um nachts ausreichend müde zu sein. Ein Problem für Menschen, die we-gen ihrer Behinderungen viel oder sogar ausschließ-lich liegen müssen. Durch Bewegungsangebote, aber auch schon durch regelmäßigen Wechsel der Körperhaltungen können selbst Wachkoma-Patien-ten tagsüber aktiviert werden, so dass sie abends wirklich müde sind und besser schlafen.

Eltern ermutigten sich aber auch gegenseitig, ihr behindertes Kind nachts ab und an „abzugeben“. Denn je schlechter Eltern schlafen, desto nieder-geschlagener sind sie tagsüber. Doch wer auf Jahre hinaus einen Angehörigen pflegen muss, braucht Kraft und Zuversicht. Für pflegende Eltern sind pro-fessionelle Nachtwachen kein Luxus, sondern eine Frage des eigenen Überlebens. Wir wollen Eltern zu ihrem Schlaf verhelfen und bitten Sie darum um Spenden.

Wenn die Nacht zum Tag wird…

für Extras: Ausflüge in die Stadt oder die nahe Umgebung, grillen im hauseigenen Garten oder Disco-Abende. „Die herzliche Atmosphäre und die sehr persönliche Zuwendung machen das besondere unserer beiden Einrichtungen aus“, meint Brücke-Geschäftsführer Paul Schlierf- Motejzik. Die Belegung der 30 Plätze in der För-derstätte und der 24 im Wohnpflegeheim wur-den bei der Gründung vor zehn Jahren ehema-ligen Schülern der Landesschule für Körperbehin-derte vorbehalten. Denn aus dieser Schule heraus ist die gemeinnützige Gesellschaft, getragen von der Johann Nepomuk von Kurz-Stiftung 1997 entstanden. Damals fragten sich die Gründer:

„Nach der Schule soll es plötzlich zu Ende sein? Dann sollen wir uns nicht mehr um die Kinder kümmern, die uns ans Herz gewachsen sind?“ Vor allem für schwerbehinderte Menschen ist es sehr schwer, Arbeitsplätze zu finden. So habe man damals beschlossen: „Dann machen wir selber was.“ Und schlug sozu-sagen selbst eine „Brücke“ von der Schule ins Arbeitsleben.

Werden Kinder mit schweren Behinderungen erwachsen, sind mit zunehmendem Alter ihre Eltern mit der Zeit oft nicht mehr in der Lage, sie zu betreuen. Fördereinrichtungen wie

„Die Brücke“ helfen dann weiter. Schirmherr Hans Zehetmair, Bayerischer Kultusminister a.D., wiederholte zu Einweihung und 10jährigem

Eltern weniger belastet sind, entwickeln sich die Kinder besser“, weiß die Sozialpädagogin aus ihrer Erfahrung. Darum wird unser Nachsorge-Team den Eltern rundum zur Seite stehen. Hier können sie sich ihre Ängste von der Seele reden, bekommen Hinweise auf Hilfen, Unterstützung beim Ausfüllen von Anträgen oder der Koordi-nierung von Arztterminen. Und immer wieder Besuch zu Hause. Damit kein Elternteil frühge-borener Kinder wieder so einsam und allein sein muss wie Maria Baumgärtner.

Weißer Fleck in der Schlaf-Forschung

Obwohl Schlaflabore und Schlafmedizinische Zentren derzeit Hochkonjunktur haben und wie die Pilze aus dem Boden schießen, gibt es in ganz Deutschland bislang nur ein ein-ziges für Menschen mit schwersten Behinde-rungen: in der Séguin-Klinik im Epilepsiezen-trum Kork in Baden-Württemberg.

Die Stiftung „Leben pur“ zeichnete es mit dem Innovationspreis aus, der erstmalig verliehen wurde. Mit dem Preisgeld soll ein Ultraschallgerät angeschafft werden.

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Impressum

Herausgeber:

Verantwortlich: Heinrich Fehling

Konzeption: www.BueroFuerSozialwirtschaft.deDruck: reha GmbH, SaarbrückenSpendenkonto Nr. 78 003 07 — BLZ 700 205 00

Bank für Sozialwirtschaft

Adamstraße 580636 MünchenTelefon 089 – 35 74 81- 0Telefax 089 – 35 74 81- [email protected]

Liebe Freunde und Förderer desLandesverbandes Bayern,

immer als erster im Büro, nim­mermüde im Einsatz für andere, diploma tisch in Verhandlungen und unbürokratisch in der Hilfe Notlei­dender – so habe ich Ihnen in der letzten Ausgabe unseren ehemaligen Geschäftsführer Hans Reutemann zu seiner Verabschiedung beschrieben. Vier Monate später starb er. Wir können das kaum fassen. In den letzten seiner 67 Lebensjahre hat er mehrere schwere Krankheiten mit großer Tapferkeit ertragen und schien aus allen gesundheitlichen Prüfungen gestärkt hervorzugehen. Auch darin war er vielen von uns ein Vorbild. Dieses Mal musste er den Kampf aufgeben. Unser Verband, unser Schullandheim Wartaweil und unsere Mitgliedsorganisation in Kempten trauern um ihn.

Doch wir wollen sein Andenken hoch halten und sein Lebenswerk fortset­zen: nimmermüde im Einsatz für an­dere. Wir als Landesverband und jede unserer Mitgliedsorganisationen vor Ort arbeiten weiter für das Überleben, das Leben und die Lebensqualität von Menschen mit schweren und mehrfachen Behinderungen. Viele von ihnen kämpfen täglich um das Überleben. Viele Jahre lang, sogar ein ganzes Leben.

Wir wollen ihnen und ihren Ange­hörigen beistehen in diesem täg­lichen Kampf und – wo möglich – ihr Leben auch ein wenig leichter machen. Sei es durch die Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse, z.B. durch die Tagungen unserer Stiftung

„Leben pur“, die helfen, die Befrie­digung von Grundbedürfnissen wie Essen und Schlafen zu verbessern, sei es durch medizinische und sozial­psychologische Begleitung, wie in der Nachsorge von Frühgeburten, oder auch unmittelbar durch therapeu­tische, medizinische und soziale Hilfe.

Begleiten Sie uns bitte weiter auf diesem Weg.

Hans SchöbelLandesvorsitzender

Jubiläum allerdings sein Mantra: Der Staat allein könne solche Unterstützung nicht leisten. Dies gelinge nur durch das Engagement jedes Einzelnen. Er selbst ging mit gutem Beispiel voran und wünschte sich zu seinem 60. Geburts-tag keine Geschenke, sondern Spenden für „Die Brücke“. Obwohl der damals noch amtierende Minister auf die Ver-wendung der Gelder durch die private Stiftung keinerlei Einfluss nehmen konnte, war er mit dem Ergebnis sehr zufrieden: Von seinem „Geburtstagsge-schenk“ wurden behinderten gerechte Computer angeschafft. Hans Zehetmair bei seinem Besuch: „Ich konnte auf den Bildschirmen ebenso freundliche Will-kommensgrüße lesen, wie ich sie von

der künstlichen Sprachausgabe hören konnte, jeweils eingetippt von unseren schwer körper-behinderten Besuchern der Tagesstätte, die sich ohne diese technischen Hilfsmittel nicht hätten äußern können.“ Vieles von der Ausstattung konnte nur über Spenden finanziert werden, z.B. ein Snoeze-len-Raum zur völligen Entspannung, der vor allem für die Behandlung der ständig ange-spannten Muskeln von Spastikern wichtig ist, Fahrzeuge für dringend nötige Transporte der Behinderten, die Musikinstrumente, Blumen-töpfe und viele andere große und kleine Dinge. Jede einzelne Spende trägt dazu bei, das die Stiftung das leisten kann, was sie will: Ihren Bewohnern ein möglichst selbst bestimm tes Leben zu ermöglichen.

Fortsetzung von Seite 3

Was hat er nicht alles neu geschaffen! Einen integrativen Kindergarten, Wohneinrich-tungen für behinderte Menschen, die Kurz-zeitpflege, den Mobilen Therapeutischen Dienst für das Allgäu und die Tagesstätte für Schädel-Hirn-Verletzte „Villa Viva“ in Kemp-ten – das alles entstand in seinen 18 Jahren als Geschäftsführer des Vereins für Körper-behinderte Allgäu.

Die meisten dieser Einrichtungen sind Innova-tionen, die es in dieser Art zuvor bzw. im All-gäu nicht gegeben hatte. Seine Altersteilzeit nutzte er für die Geschäftsführung unseres Schullandheims Wartaweil am Ammersee und erweiterte es gleich um ein Seminarhaus. Ab dem Jahr 2001 leitete er ehrenamtlich auch noch die Geschäfte unseres Landes-verbandes und prägte die Gründung unserer Stiftung „Leben pur“ entscheidend mit. Und vor allem: Hans Reutemann schuf nicht nur viel Neues, er sicherte auch die Finanzierung jeweils nachhaltig. Trotz angeschlagener Gesundheit führte er noch in den letzten Mo-naten seiner „Amtszeit“ extrem langwierige, anstrengende Verhandlungen für uns. Durch seinen Einsatz ist es gelungen, dass unsere Frühförderung und der Mobile Therapeu-tische Dienst im Wesentlichen so weiterarbei-ten können wie bisher.

Die Früchte dieses umfangreichen Lebens-werks genießen viele, viele andere Menschen

– weit über das Leben von Hans Reutemann hinaus.

Wir danken diesem wunderbaren Menschen und sind froh um die gemeinsamen Jahre.

Danke, Hans Reutemann!