235
Behavioral Finance: Die empirische Überprüfbarkeit behavioraler Modelle DISSERTATION der Universität St.Gallen, Hochschule für Wirtschafts-, Rechts und Sozialwissenschaften (HSG) zur Erlangung der Würde eines Doktors der Wirtschaftswissenschaften vorgelegt von Zhaohui Guo aus China Genehmigt auf Antrag der Herren Prof. Dr. Beat Bernet und Prof. Dr. Thorsten Hens Dissertation Nr. 2625

Behavioral Finance: Die empirische Überprüfbarkeit ...FILE/dis2625.pdf · Behavioral Finance: Die empirische Überprüfbarkeit behavioraler Modelle DISSERTATION der Universität

  • Upload
    vanhanh

  • View
    221

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Behavioral Finance: Die empirische Überprüfbarkeit behavioraler Modelle

D I S S E R T A T I O N der Universität St.Gallen,

Hochschule für Wirtschafts-, Rechts und Sozialwissenschaften (HSG)

zur Erlangung der Würde eines Doktors der Wirtschaftswissenschaften

vorgelegt von

Zhaohui Guo

aus

China

Genehmigt auf Antrag der Herren

Prof. Dr. Beat Bernet

und

Prof. Dr. Thorsten Hens

Dissertation Nr. 2625

Die Universität St.Gallen, Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozi-alwissenschaften (HSG), gestattet hiermit die Drucklegung der vorliegen-den Dissertation, ohne damit zu den darin ausgesprochenen Anschauungen Stellung zu nehmen. St.Gallen, den 29. Januar 2002 Der Rektor Prof. Dr. Peter Gomez

Vorwort

An erster Stelle meiner Dissertation möchte ich mich bei allen bedanken, welche durch

ihre Unterstützung wesentlich zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben.

Für die Anregungen und die fachliche Betreuung, aber noch viel mehr für das entgegen-

gebrachte Vertrauen, möchte ich mich bei meinem Doktorvater Professor Dr. Beat Bernet

herzlichst bedanken. In zahlreichen Diskussionen mit ihm habe ich mein Verständnis für

die behandelte Thematik wesentlich vertiefen können. Seine stetige Unterstützung hat

mir immer wieder die Kraft gegeben, um diese Arbeit vorwärts zu bringen. Ebenfalls

herzlich bedanken möchte ich mich bei Herrn Professor Dr. Thorsten Hens für seine

Hilfsbereitschaft und Unterstützung als akademischer Lehrer. Seine Anregungen haben

mir einen neuen Horizont eröffnet und dieser Arbeit einen enormen Impuls gegeben.

Weiter möchte ich mich auch bei der Zürcher Kantonal Bank für die Unterstützung be-

danken. Zu grossem Dank bin ich insbesondere Herrn Dr. Marco Stalder und Herrn Dr.

Philipp Halbherr für ihre Unterstützung und Hilfsbereitschaft verpflichtet.

Viele Freunde haben zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Speziell geht ein grosser

Dank für die kritische Durchsicht des Manuskripts und die zahlreichen sprachlichen Ver-

besserungsvorschläge an Pascal Schiffman und Daniel Halbheer. Ferner möchte ich Su-

sanne Neill und Marta Garcia für die sprachlichen Korrekturen danken.

Ein besonderer Dank geht an meine Frau Lingyan Zeng; für die Geduld und das Ver-

ständnis, das sie mir während der Ausarbeitung dieser Dissertation - in den Hochs und

insbesondere den Tiefs - entgegengebracht hat.

Zürich, im Januar 2002

Zhaohui Guo

Inhaltsübersicht

EINLEITUNG ....................................................................................................................................................... 6

TEIL1: BEHAVIOR-PARADIGMA........................................................................................................... 11

KAPITEL 1 PARADIGMAWECHSEL: BEHAVIORAL FINANCE .......................................................... 11

1.1 ANOMALIEN AM AKTIENMARKT: EINE HERAUSFORDERUNG....................................................................... 11

1.2 ERFAHRUNGSOBJEKT: WEICHE FAKTOREN AM AKTIENMARKT ................................................................... 20

1.3 PARADIGMAWECHSEL: BEHAVIORAL FINANCE............................................................................................ 25

KAPITEL 2 ZUR NOTWENDIGKEIT DES PARADIGMAWECHSELS: FEHLERKORREKTUR

DURCH MARKTDISZIPLIN............................................................................................................................ 37

2.1 EMPIRISCHE EVIDENZ.................................................................................................................................. 37

2.2 FEHLERKORREKTUR DURCH MARKTDISZIPLIN ............................................................................................ 43

TEIL 2 BEHAVIORALE MODELLE........................................................................................................ 62

KAPITEL 3 GRUNDLAGEN: BEHAVIORALE ERKENNTNISSE ........................................................... 62

3.1 BEHAVIORALE ERKENNTNISSE .................................................................................................................... 62

3.2 BEHAVIORALE ERKENNTNISSE VON KEYNES............................................................................................... 84

KAPITEL 4 BEHAVIORALE MODELLE...................................................................................................... 93

4.1 INVESTOR-SENTIMENT-MODELL ................................................................................................................. 93

4.2 OVERCONFIDENCE-MODELL...................................................................................................................... 104

TEIL 3 EMPIRISCHE ÜBERPRÜFBARKEIT DER BEHAVIORALEN MODELLE .............. 115

KAPITEL 5 EMPIRISCHE ÜBERPRÜFBARKEIT.................................................................................... 115

5.1 METHODOLOGISCHE VORÜBERLEGUNG .................................................................................................... 115

5.2 MÖGLICHKEITEN DER FALSIFIZIERUNG ..................................................................................................... 126

5.3 EMPIRIE: ÜBER- UND UNTERREAKTION ..................................................................................................... 132

6 TESTBARKEIT DER BEHAVIOR-MODELLE........................................................................................ 145

6.1 TESTBARKEIT DER OVERCONFIDENCE ....................................................................................................... 146

6.2 TESTBARKEIT DES SENTIMENTS................................................................................................................. 181

SCHLUSSBEMERKUNG ................................................................................................................................ 205

LITERATURVERZEICHNIS ......................................................................................................................... 207

Verzeichnis

2

Inhaltsverzeichnis

EINLEITUNG ....................................................................................................................................................... 6

TEIL1: BEHAVIOR-PARADIGMA........................................................................................................... 11

KAPITEL 1 PARADIGMAWECHSEL: BEHAVIORAL FINANCE .......................................................... 11

1.1 ANOMALIEN AM AKTIENMARKT: EINE HERAUSFORDERUNG....................................................................... 11

1.1.1 Bubble ................................................................................................................................................. 11

1.1.2 Saisonale Effekte ................................................................................................................................. 14

1.1.3 Anomalien aus allen Richtungen......................................................................................................... 16

1.2 ERFAHRUNGSOBJEKT: WEICHE FAKTOREN AM AKTIENMARKT ................................................................... 20

1.3 PARADIGMAWECHSEL: BEHAVIORAL FINANCE............................................................................................ 25

1.3.1 Anomalien als Herausforderung ......................................................................................................... 25

1.3.2 Altes Paradigma.................................................................................................................................. 26

1.3.3 Paradigmawechsel: Behavioral Finance ............................................................................................ 32

KAPITEL 2 ZUR NOTWENDIGKEIT DES PARADIGMAWECHSELS: FEHLERKORREKTUR

DURCH MARKTDISZIPLIN............................................................................................................................ 37

2.1 EMPIRISCHE EVIDENZ.................................................................................................................................. 37

2.1.1 Der Fall von LTCM ............................................................................................................................ 37

2.1.2 Hedge Fund......................................................................................................................................... 41

2.2 FEHLERKORREKTUR DURCH MARKTDISZIPLIN ............................................................................................ 43

2.2.1 Fehlerkorrektur: Eine Entscheidung mit Unsicherheit ....................................................................... 44 2.2.1.1 Fehleranfälligkeit ..........................................................................................................................................44

2.2.1.2 Fehlerkorrektur: Eine Entscheidung mit Unsicherheit ..................................................................................47

2.2.2 Risiken bei Fehlerkorrektur ................................................................................................................ 51 2.2.2.1 Noise-Trader-Risk.........................................................................................................................................51

2.2.2.2 Fehltrend: Herdentrieb & Fad .......................................................................................................................52

2.2.3 Restriktionen bei Fehlerkorrektur....................................................................................................... 55 2.3.3.1 Trennung von Wissen und Kapital ................................................................................................................55

2.3.3.2 Kapitalbedarf.................................................................................................................................................55

2.3.3.3 Restriktionen .................................................................................................................................................57

2.3.3.4 Restriktion: Fallbeispiel ................................................................................................................................58

2.2.4 Die Frage der Fehlerfreiheit............................................................................................................... 60

TEIL 2 BEHAVIORALE MODELLE........................................................................................................ 62

KAPITEL 3 GRUNDLAGEN: BEHAVIORALE ERKENNTNISSE ........................................................... 62

3.1 BEHAVIORALE ERKENNTNISSE .................................................................................................................... 62

3.1.1 Overconfidence ................................................................................................................................... 62

3.1.2 Representativeness .............................................................................................................................. 66

3.1.3 Behavior-Biases im Überblick ............................................................................................................ 69

Verzeichnis

3

3.1.4 Die Persistenz ..................................................................................................................................... 77 3.1.4.1 Zufriedenstellung statt Optimierung .............................................................................................................77

3.1.4.2 Die Persistenz von Overconfidence ..............................................................................................................80

3.1.4.3 Andere Rationalität .......................................................................................................................................83

3.2 BEHAVIORALE ERKENNTNISSE VON KEYNES............................................................................................... 84

3.2.1 Keynes’ Schönheitswettbewerb ........................................................................................................... 85

3.2.2 Konventionelle Erwartung .................................................................................................................. 88

KAPITEL 4 BEHAVIORALE MODELLE...................................................................................................... 93

4.1 INVESTOR-SENTIMENT-MODELL ................................................................................................................. 93

4.1.1 Informale Beschreibung...................................................................................................................... 93 4.1.1.1 Das Sentiment des Investors .........................................................................................................................93

4.1.1.2 Über- und Unterreaktion ...............................................................................................................................96

4.1.2 Regime-Switching Modell ................................................................................................................... 98

4.1.3 Implikationen .................................................................................................................................... 102

4.2 OVERCONFIDENCE-MODELL...................................................................................................................... 104

4.2.1 Informale Beschreibung.................................................................................................................... 104

4.2.2 Grundmodell ..................................................................................................................................... 106 4.2.2.1 Grundmodell mit konstanter Confidence .................................................................................................... 106

4.2.2.2 Implikation des Grundmodells: Über- sowie Unterreaktion........................................................................ 109

4.2.3 Erweitertes Modell............................................................................................................................ 111 4.2.3.1 Erweitertes Modell mit ergebnisabhängiger Confidence............................................................................. 111

4.2.3.2 Implikation des erweiterten Modells: Über- sowie Unterreaktion.............................................................. 113

TEIL 3 EMPIRISCHE ÜBERPRÜFBARKEIT DER BEHAVIORALEN MODELLE .............. 115

KAPITEL 5 EMPIRISCHE ÜBERPRÜFBARKEIT.................................................................................... 115

5.1 METHODOLOGISCHE VORÜBERLEGUNG .................................................................................................... 115

5.1.1 Empirische Überprüfung................................................................................................................... 115

5.1.2 Problem der Transzendenz................................................................................................................ 118

5.1.3 Entscheidung in der Überprüfung..................................................................................................... 121

5.1.4 Die Unsicherheit in der Forschung.................................................................................................. 123

5.1.5 Bemerkung: Orientierung bei der Überprüfung ............................................................................... 125

5.2 MÖGLICHKEITEN DER FALSIFIZIERUNG ..................................................................................................... 126

5.2.1 Falsifizierbarkeitskriterium .............................................................................................................. 126

5.2.2 Überprüfbarkeit der behavioralen Modelle ...................................................................................... 128 5.2.2.1 Sentiment-Modell BSV............................................................................................................................... 128

5.2.2.2 Overconfidence-Modell DHS ..................................................................................................................... 130

5.3 EMPIRIE: ÜBER- UND UNTERREAKTION ..................................................................................................... 132

5.3.1 Die Unterreaktion ............................................................................................................................. 132

5.3.2 Die Überreaktion .............................................................................................................................. 137

5.3.3 Bemerkung: Kontroverse .................................................................................................................. 140

6 TESTBARKEIT DER BEHAVIOR-MODELLE........................................................................................ 145

Verzeichnis

4

6.1 TESTBARKEIT DER OVERCONFIDENCE ....................................................................................................... 146

6.1.1 Overconfidence-Test ......................................................................................................................... 147 6.1.1.1 Konfidenzdifferenz zwischen Online-Investor und Phone-Investor als Proxy............................................ 147

6.1.1.2 Daten & Methoden...................................................................................................................................... 151

6.1.1.3 Empirische Befunde.................................................................................................................................... 160

6.1.1.4 Bemerkung.................................................................................................................................................. 167

6.1.2 Informationsdiffusions-Test .............................................................................................................. 168 6.1.2.1 Residual-Analyst-Coverage als Proxy für die Informationsdiffusion.......................................................... 168

6.1.2.2 Empirische Befunde.................................................................................................................................... 171

6.1.2.3 Bemerkung.................................................................................................................................................. 177

6.1.3 Möglichkeit der direkten Überprüfung ............................................................................................. 179

6.2 TESTBARKEIT DES SENTIMENTS................................................................................................................. 181

6.2.1 Sentiment-Test: Contrarian Behavior ............................................................................................... 182 6.2.1.1 Contrarian Behavior bei Kaufentscheidung ................................................................................................ 182

6.2.1.2 Contrarian Behavior bei Verkaufsentscheidung.......................................................................................... 189

6.2.1.3 Bemerkung.................................................................................................................................................. 195

6.2.2 Möglichkeit der direkten Überprüfung ............................................................................................. 197 6.2.2.1 Ausgangspunkt............................................................................................................................................ 197

6.2.2.2 Proxy für Sentiment .................................................................................................................................... 197

6.2.2.3 Regressionsanalyse ..................................................................................................................................... 204

SCHLUSSBEMERKUNG ................................................................................................................................ 205

LITERATURVERZEICHNIS ......................................................................................................................... 207

Verzeichnis

5

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: TMT-Bubble.................................................................................................................... 12

Abbildung 2: Abweichung des Marktpreises von seinem Fundamentalwert ........................................ 13

Abbildung 3: Anomalie - Rendite/Risk Relationship ............................................................................ 17

Abbildung 4: Anomalie - Long Term Reversal ..................................................................................... 18

Abbildung 5: Anomalie - Differenz zwischen Preis und Wert .............................................................. 18

Abbildung 6: Anomalie - Short Term Momentum ................................................................................ 19

Abbildung 7: Nemax-Bubble................................................................................................................. 27

Abbildung 8: Prospect Theory Valuefunction ....................................................................................... 75

Abbildung 9: Prospect Theory Weighting Function.............................................................................. 76

Abbildung 10: Die Difussion der öffentlichen Informationen im Overconfidencemodell .................. 112

Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Performance von Hedge Funds............................................................................................. 42

Tabelle 2: Überlebensquote von Hedge Funds (1994-1998) ................................................................. 42

Tabelle 3: Differenz zwischen Konfidenz und Genauigkeit.................................................................. 62

Tabelle 4: Empirische Untersuchungen der Unterreaktion.................................................................. 136

Tabelle 5: Die Performance der Reversal- bzw. Momentumstrategie ................................................. 138

Tabelle 6: Transaktionskosten vor und nach Go-Online ..................................................................... 153

Tabelle 7: Die Verschlechterung der Nettoperformance der Online-Investoren ................................. 162

Tabelle 8: Die Verschlechterung der Nettoperformance und Go-Online ............................................ 163

Tabelle 9: Performancevergleich zwischen Online- und Phone-Investoren........................................ 164

Tabelle 10: Residual-Analyse-Coverage und Momentum................................................................... 171

Tabelle 11: Size, Residual-Analyse-Coverage und Momemtum......................................................... 174

Tabelle 12: Die Differenz der Buy-Ratio ............................................................................................ 184

Tabelle 13: Die Differenz der Buy-Ratio mit einer Meanadjustierung ............................................... 187

Tabelle 14: Der Unterschied bei der Realisierung der Gewinner- und Verliereraktien....................... 192

Einleitung

6

Einleitung

I) Problemstellung und Motivation

Das traditionelle Konzept beruht auf dem Paradigma des rationalen Behaviors und der Fi-

nanzmarkt gilt stets als Ort der reinen Rationalität, wo die Effizienz allein herrscht.1 Die Rati-

onalitätsthese2 postuliert, dass die weichen Faktoren – das von der Rationalität abweichende

Verhalten – im Hinblick auf die Erklärung der Veränderungen der Assetpreise keine Erklä-

rungsmacht haben. Kursbewegungen werden ausschliesslich auf das Eintreffen neuer Infor-

mationen zurückgeführt und dahingehend interpretiert, als dass Wertpapierpreise zu jedem

Zeitpunkt die richtigen Signale für die Portfolioentscheidung der Anleger sowie die Produkti-

ons- und Realinvestitionsentscheidungen der Unternehmungen geben. Dem rationalen Kon-

zept nach sollte sich der durchschnittliche Investor wie die besten Ökonomen verhalten, und

beim Ausrutscher wird sein Fehlverhalten sofort durch den Mechanismus der Marktdisziplin

korrigiert. Demzufolge ist der Markt fehlerfrei und die Behaviorforschung für die traditionelle

Theorie uninteressant. Die Finanztheorie ist jedoch eine Erfahrungswissenschaft, deren Aus-

gangspunkt stets die Erfahrung sein muss. Die Erfahrungen der Marktteilnehmer mit den aus-

sergewöhnlichen Kursentwicklungen am realen Markt, besonders in der Zeit der Blasenbil-

dungen und des Crashs, liefern aber keine empirische Evidenz für das traditionelle Konzept,

im Gegenteil, die Liste der durch diverse empirische Untersuchungen aufgedeckten Anoma-

lien wird immer länger. Die Diskrepanz zwischen Theorie und Empirie erfordert einen Para-

digmawechsel.

Die Auseinandersetzung mit dem Thema „Behavior“ ist motiviert durch die Überlegung, dass

die Modern Finance, anders als die Naturwissenschaften wie beispielsweise die Physik, eine

wissenschaftliche Disziplin ist, in welcher der Humanaspekt eine wichtige Rolle spielt. Dem-

zufolge sollte dieser Aspekt auch in den theoretischen Überlegungen mitberücksichtigt wer-

den. Die Dominanz des Postulats des rationalen Behaviors hat jedoch dazu geführt, dass die-

sem wichtigen Aspekt in der Theorie nicht genügend Rechnung getragen wird. Die Berück-

1 Fama definiert Markteffizienz als „the general notion that price (at any time) fully reflect available informa-tion” Vgl. Fama (1970) S. 383; 2 Rationalität: Im klassischen Finance wird die rationale Erwartung als perfekte Voraussicht verstanden. Die vom klassischen Finance verstandene Rationalität geht weiter über den gesunden Menschenverstand hinaus. Gemäss George Soros ist das klassische Rationalitätskonzept theoretisch falsch und praktisch irrelevant. Die vorliegende Arbeit verwendet den Rationalitätsbegriff nach dem klassischen Rationalitätskonzept. Was nicht im klassischen Sinn rational ist, wird als „irrational“ oder „begrenzt rational“ bezeichnet, wenn auch es nach dem gesunden Menschenverstand rational ist.

Einleitung

7

sichtigung sowie die Anerkennung irrationaler Verhaltenskomponenten des Menschen ist in

der Humanwissenschaft, wenn der Blick zurück in die Vergangenheit gerichtet und die An-

fangszeit der Renaissance oder Psychoanalyse in Erinnerung gerufen wird, auch keine Selbst-

verständlichkeit. Es war ausserordentlich schwierig, die wissenschaftliche Anerkennung zu

gewinnen, zumal der Glauben an Rationalität dominierend war. Ex post stellt sich jedoch her-

aus, dass die Berücksichtigung der irrationalen Seite des Menschen eine Bereicherung für den

Erkenntnisgewinn bedeutet, wie der Beitrag der Renaissance bzw. der Psychoanalyse zeigt.

Es stellt sich die Frage, ob Behavioral Finance auch eine Bereicherung für die Finanzmarkt-

theorie darstellt.

II) Aufgabenanalyse und Zielsetzung

Die Anerkennung der Behavioral Finance ist jedoch keine Selbstverständlichkeit. Wie alle

neuen Ansätze leidet Behavioral Finance noch an den Geburtswehen, und sie stösst oft auf

Ablehnung der Vertreter der traditionellen Theorie. Nicht selten wird Behavioral Finance (so-

gar) als ein typisches Beispiel einer Pseudowissenschaft3 betrachtet, und von diesem Stand-

punkt aus muss die Auseinandersetzung mit dem Thema „Behavior“ vor allem mit der Frage

beginnen, ob Behavioral Finance überhaupt zur Erfahrungswissenschaft gehört. Aus Überle-

gungen der wissenschaftlichen Sicherheit widmet sich die vorliegende Arbeit ausschliesslich

der Fragestellung: Ist Behavioral Finance eine Pseudowissenschaft?

Der Zweifel an der Behavioral Finance scheint nicht ohne Gründe zu sein:

Erstens ist dem Ökonomen zwar eine seit langem bekannte Tatsache, dass sich

der Mensch nur beschränkt rational verhält. Die meisten Ökonomen glauben jedoch

an die Disziplinierungskraft des Marktes, d.h., die Marktdisziplin sollte das Fehlver-

halten – die weichen Faktoren am Markt – ausschalten. Wie gut der Mechanismus

der Marktdisziplin funktioniert, ist Gegenstand umfangreicher empirischer For-

schungen. Die Aufdeckung der Anomalien durch empirische Untersuchungen impli-

ziert jedoch nicht zwingend das Versagen des Mechanismus der Marktdisziplin, weil

die Überprüfung der These der Marktdisziplin – Effizienzthese – immer im Zu-

3 Pseudowissenschaften sind nicht falsifizierbare Aussagensysteme. Sie verbieten kein empirisches Ereignis und sind aufgrund des leeren Intervalls der Verbote unwiderlegbar.

Einleitung

8

sammenhang mit der Überprüfung eines Gleichgewichtsmodells erfolgt, so dass eine

Ablehnung der verbundenen Hypothesen nie eindeutig dem Versagen der Marktdis-

ziplin zuzuschreiben ist. Es fehlt somit ein empirischer „Beweis“4, ob die Marktdis-

ziplin hinreichend für das sofortige Ausschalten des Fehlverhaltens bzw. für die

Herstellung der Effizienz am Aktienmarkts ist. Aufgrund der Duhem/Quine Frage5

bzw. der Unbeobachtbarkeit der Kernvariablen liegt der entsprechende empirische

„Beweis“ im Bereich des Unmöglichen. Seit Jahrzehnten beschäftigt sich die empi-

rische Finanzmarktforschung mit dieser Thematik, die Frage bleibt indessen stets

unbeantwortet. Die empirisch aufgedeckten Anomalien liefern den Vertretern der

traditionellen Theorie noch keine Evidenz, dass das Paradigma des rationalen Beha-

viors nicht zutrifft, obwohl sie andererseits auch keine empirischen Befunde für das

rationale Behavior vorbringen können.

Die Denkweise „Entweder-Oder“ schadet einer objektiven wissenschaftlichen

Diskussion über die Behavioral Finance. Die Vertreter der traditionellen Theorie ge-

hen oft unbewusst von der Position aus, dass der Markt entweder rational oder irra-

tional ist. Der Aktienmarkt kann aber beispielsweise im Segment Bluechips mehr

Rationalität und gleichzeitig im Segment Small-Stocks wenig Rationalität aufwei-

sen. Somit ist eine „sowohl als auch“ Sichtweise angebracht.

Die herrschende Lehre – die Vertreter der traditionellen Theorie – benutzt bei den

Kritiken über Behavioral Finance doppelte Kriterien. Die Frage der Transzendenz

bzw. der empirischen Überprüfbarkeit gilt auch für die traditionelle Theorie. Ob die

traditionelle Theorie zur Erfahrungswissenschaft gehört, hat sie nicht beantwortet.

Bei der Kritik sollte man zuerst fragen, ob dieselbe Kritik auch für eigene Position

gilt.

Im Hinblick auf die Anerkennung von Behavioral Finance ist die Frage, ob Behavioral Finan-

ce zur Erfahrungswissenschaft gehört, eine sehr wichtige Frage. Die vorliegende Arbeit hat

das Ziel, einen eigenen Beitrag zur Beantwortung dieser Frage zu leisten.

4 Streng genommen lässt sich eine Aussage bzw. Theorie nicht beweisen. Die kritische Auseinandersetzung kann nie hinreichende Gründe für die Behauptung erbringen, dass eine Theorie wahr sei. Mit anderen Worten lässt sich eine Hypothese nicht verifizieren, sondern nur falsifizieren. 5 Duhem/Quine Frage: Es ist unklar, ob eine falsche Prognose die benutzte Theorie, eine Randbedingung oder einen Bestandteil des Hintergrundwissens widerlegt.

Einleitung

9

III) Aufbau

Zur Beantwortung der Forschungsfragestellung bzw. zur Erreichung der Zielsetzung setzt sich

die vorliegende Arbeit konzentriert mit der Frage auseinander, ob Behavioral Finance zur

Erfahrungswissenschaft gehört, indem drei Teilfragen behandelt werde:

Das Behavior-Paradigma (Teil 1);

Die behavioralen Modelle (Teil 2);

Die empirische Überprüfbarkeit (Teil 3).

Der erste Teil der Arbeit widmet sich der Frage, warum die Behavioral Finance eine echte

Alternative zur traditionellen rationalen Finanztheorie darstellt und weshalb der Zweifel an

der Behavioral Finance verfehlt ist. Die Diskussion beginnt mit der empirischen Evidenz des

Versagens des Paradigmas des rationalen Behaviors, indem die Anomalien bzw. die Existenz

der weichen Faktoren aufgezeigt werden. Danach wird auf die Frage eingegangen, warum der

Paradigmawechsel – von der perfekten Rationalität zur begrenzten Rationalität – notwendig

ist (Kapitel 1). Ein wichtiger Grund, dass die traditionelle rationale Theorie die behavioralen

Faktoren ignoriert, liegt in dem Glauben an die Fehlerfreiheit des Marktes, deren Garant die

Marktdisziplin ist. Kapitel 2 widmet sich deshalb der Frage, warum die Marktdisziplin nicht

hinreichend für einen rationalen Markt ist und weshalb das normative rationale Paradigma

deskriptiv nicht zutrifft. Die Arbeit im ersten Teil zeigt, dass die Mitberücksichtigung des

Behaviors in Finanztheorie eine Bereicherung für den Erkenntnisgewinn darstellt.

Im zweiten Teil der Arbeit wird der Ausgangspunkt der empirischen Überprüfung bearbeitet.

Im Kapitel 3 werden die behavioralen Erkenntnisse behandelt, welche die Grundlagen der zu

überprüfenden Modelle bilden. Es stellt sich heraus, dass die Behavioral Finance über eine

solide wissenschaftliche Basis verfügt. Im Kapitel 4 werden dann zwei wichtige behaviorale

Modelle – das Overconfidence-Modell und das Sentiment-Modell – dargestellt, um dann auf

die empirische Überprüfbarkeit der Modelle einzugehen.

Der dritte Teil der Arbeit geht der Frage nach, ob die behavioralen Modelle empirisch über-

prüfbar sind. Im Kapitel 5 wird mit den Kriterien aus der Logik der Forschung auf die Frage

der Überprüfbarkeit eingegangen, weil die Transzendenz der behavioralen Begriffe zu der

Einleitung

10

möglichen Gefahr hinführt, dass sich pseudowissenschaftliche bzw. metaphysische Aussagen

einschleichen können. Nachdem das „Scheiternkönnen“ an Erfahrung gesichert ist, wird dann

im Kapitel 6 die Testbarkeit behandelt. Um wissenschaftliche Sicherheit gewinnen und prak-

tischen Nutzen aus den behavioralen Ansätzen ziehen zu können, müssen diese testbar sein,

und zwar Out-of-Sample. Somit werden die Möglichkeiten der Out-of-Sample Tests und der

direkten Tests der behavioralen Modelle diskutiert. Aus der Arbeit im dritten Teil geht hervor,

dass Möglichkeiten bestehen, die behavioralen Aussagen empirisch zu überprüfen, d.h., die

Aussage, dass die Behavioral Finance Pseudowissenschaft ist, muss verworfen werden.

Behavior-Paradigma

11

Teil1: Das Behavior-Paradigma

Kapitel 1 Paradigmawechsel: Behavioral Finance

1.1 Anomalien am Aktienmarkt

1.1.1 Bubble

Die Geschichte des Aktienmarkts ist auch eine Geschichte der Bildung von Spekulationsbla-

sen und ihres Platzens. Diesbezüglich sind zahlreiche empirische Fakten vorhanden.6 Das

grösste Ereignis in dem heutigen Aktienmarkt ist die TMT-Bubble:

- Nasdaq Bubble: Im Jahr 1999 hob der Nasdaq-Index zu einem regelrechten Höhen-

flug ab, indem dieser um 86% stieg. Die im Nasdaq-Index erfassten Unternehmen wie-

sen zum Jahreswechsel im Durchschnitt ungewöhnlich hohe K-G-V von über 200:1

auf, während die K-G-V beim S&P 500 zu diesem Zeitpunkt etwa 30:1 betrugen. Der

Höhenflug setzte sich nach dem Jahreswechsel fort, und in den ersten zwei Monaten

stieg der Nasdaq um weitere 13% an. Die Wende tritt dann nach dem Rekordhoch von

5132 am 10. März 2000 ein, in rund einem Monat fiel der Index um 34% auf 3321.

Der Freifall setzte sich in Form eines Crashs in Raten fort, und bis Ende März 2001

fiel der Index auf 1820, einem Drittel seines Rekordhochs.7

- Irrationaler Überschwang: Am 10. Dez. 1999 wurde im Nasdaq-Handel einem erst

fünfjährigen Erlöswinzling mit einem gegenwärtigen Jahresumsatz von 17.7 Mio. $

und einem Verlust von 14.5 Mio. $ bereits ein Marktwert von über 9 Mrd. $ zugeord-

net. Die Rede ist von der kalifornischen Computerunternehmung VA Linux Systems,

welcher am 9. Dez. 1999 ein spektakuläres Börsendébut gelang. Der Kurs des Nasdaq-

Neulings wurde von den Anlegern am ersten Handelstag von 30$ um haarsträubende

698% auf 239$ katapultiert. Hinter dem Höhenflug der Titel von VA Linux standen

die wirbelhaften Erwartungen, welche in die frei zugängliche Betriebssoftware Linux

gesteckt wurden.8 Die Blase platzte jedoch, und die Spekulation endete mit einem

„Massaker“: Der Aktienpreis fiel von 239$ auf 3$!9

6 Vgl. Shiller (2000) S. 3-16. 7 Datenquelle: Reuters. 8 Vgl. NZZ. 11.12.99, S.33. 9 Ende März 2001 werden die Linux-Aktien zum 3$ gehandelt.

Behavior-Paradigma

12

Abbildung 1: TMT-Bubble

Folgt man dem traditionellen Konzept, dürften keine systematischen Abweichungen zwischen

dem Marktpreis und Fundamentalwert10 existieren, da es postuliert, dass die Preise den jewei-

ligen Informationsstand vollkommen widerspiegeln, und dank der Marktdisziplin der Preis

fehlerfrei sein soll. Der vom traditionellen Konzept vorgestellte Aktienmarkt kennt keine be-

haviorale Verzerrungen und soll bubblefrei sein. Diesem Standpunkt fehlt jedoch die empiri-

sche Evidenz. Bereits im Jahre 1981 hat Shiller durch seine empirische Untersuchung gezeigt,

dass Kursbewegungen zu volatil seien, um ausschliesslich auf das Auftreten neuer Informati-

onen über zukünftige Dividenden zurückgeführt werden zu können. Shiller macht darauf

aufmerksam, dass Dividenenreihen glatte Verläufe haben, während die Reihen der Aktienkur-

se eine starke Volatilität aufweisen. Er stellt die Hypothese auf, dass Aktienpreise zu volatil

seien, um ihre Veränderung ausschliesslich durch das Auftreten neuer, den fundamentalen

Wert betreffenden Informationen erklären zu können.11 Die Untersuchung von Shiller, welche

eine grosse bzw. systematische Abweichung des Marktpreises vom zugrundeliegenden Fun-

damentalwert empirisch aufgezeigt hat, sollte jedoch mit Vorsicht beurteilt werden, weil sich

Shiller äusserst umstrittener Hilfshypothesen, wie die Annahmen der Konstanz der erwarteten

10 Fundamentalwert: the interest-rate-discounted cash flows of expected dividends. 11 Vgl. Shiller (1981) S.421, „stock prices move too much to be justified by subsequent changes in dividends.”; Als Messgrösse für die Überprüfung seiner Hypothese bediente sich Shiller der Varianz beobachteter Kursver-läufe sowie der Varianz des sog. ex post rationalen Preises, welcher anhand der Dividendenreihen kalkuliert wird und dem Preis entspricht, der sich ergeben würde, wenn die zukünftigen Dividenden von Anfang an bekannt wären.

TMT-Bubble (Nasdaq)

0

1000

2000

3000

4000

5000

6000

21.1

1.19

97

21.0

1.19

98

21.0

3.19

98

21.0

5.19

98

21.0

7.19

98

21.0

9.19

98

21.1

1.19

98

21.0

1.19

99

21.0

3.19

99

21.0

5.19

99

21.0

7.19

99

21.0

9.19

99

21.1

1.19

99

21.0

1.20

00

21.0

3.20

00

21.0

5.20

00

21.0

7.20

00

21.0

9.20

00

21.1

1.20

00

21.0

1.20

01

21.0

3.20

01

Nasdaq-Index (Source: Reuters)

Behavior-Paradigma

13

Rendite und der Stationarität des stochastischen Prozesses, der die Dividendenreihen gene-

riert, bedient hat.12 Der wissenschaftliche Beitrag von Shiller liegt primär darin, dass er die

Möglichkeit einer systematischen Abweichung aufgezeigt hat. Diese systematische und per-

manente Abweichung wird durch weitere Untersuchungen bestätigt, und das traditionelle

Konzept kann die Existenz von Bubble nicht abstreiten. Gemäss der neuen Untersuchung von

„Morgan Stanley Resarch“ (12.2000) beträgt die durchschnittliche Abweichung des Markt-

preises von seinem Fairpreis 25%, und die maximale Abweichung beträgt gar 75%.13 Die

Gemeinsamkeit mit Shiller’s Studie liegt darin, dass sich der Marktpreis selten in der Nähe

seines Fundamentalwertes (Fairpreises) bewegt und dass die Bubble anstatt der Ausnahme

einen Regelfall bildet. Im rationalen Konzept darf diese Abweichung (Bubble) jedoch nicht

existieren.

Abbildung 2: Abweichung des Marktpreises von seinem Fundamentalwert

12 Bezeichnend ist, dass die Fragwürdigkeit der von Shiller herangezogenen Hilfshypothesen von den Effizienz-anhängern zurecht hervorgehoben wurden, ohne dabei darauf zu achten, dass dieselben Hilfshypothesen bei den effizienzunterstützenden Untersuchungen verwendet wurden, so dass ihre Verwerfung die gesamte Effizienzfor-schung zum Teil kompromittiert. Vgl. Cymbalista (1998) S.56; 13 Vgl. http://mstoday/mstoday/news/20010105/d7.shtml;

Note: Real modified Dow Jones Industrial Average (solid line p ) and ex post rational price (dotted line p*),

1928-1979, both detrended by dividing by a long-run exponential growth factor. The variable p* is the pre-

sent value of actual subsequent real detrended dividend, subject to an assumption about the present value in

1979 of dividends thereafter. Source: Shiller (1981).

Behavior-Paradigma

14

1.1.2 Saisonale Effekte

Saisonale Effekte stellen aus Sicht des traditionellen Konzeptes eine Anomalie dar, weil die

fundamentalen Informationen, welche allein die Preisveränderungen bestimmen sollten, keine

saisonalen Muster kennen. Die Hauptanomalie im Rahmen des sogenannten Kalendereffektes

besteht im Januareffekt. Dieser Effekt wird auf die Beobachtung zurückgeführt, dass die mo-

natliche Rendite des Januars überdurchschnittlich hoch ist. Nach der empirischen Studie von

Rozeff und Kinney beträgt zwischen 1904 und 1974 die durchschnittliche Januarrendite von

Aktien der NYSE 3.5%, während die durchschnittliche Rendite der anderen Monate lediglich

0.5% beträgt. D.h., ein Drittel der jährlichen Rendite stammt allein aus dem Monat Januar.14

Nicht nur die Rendite der Titel von Indexfirmen ist mit dem Monat Januar korreliert, die Ren-

dite von Titel kleiner Firmen weist eine noch stärkere Korrelation auf: Die Hälfte der Rendite

wird im Januar erwirtschaftet, wobei die Hälfte der Januarrendite wiederum aus den ersten

fünf Handelstagen stammt.15 Der Januareffekt ist kein Einzelphänomen in den USA, sondern

international evident: Gultekin hat in seiner empirischen Studie gezeigt, dass die Januarrendi-

te in 15 von 16 wichtigen Industrieländern evident hoch ist und dass die Januarrendite in Bel-

gien, Italien und Holland sogar höher als die durchschnittliche Rendite des ganzen Jahres ist.16

Die Hypothese des Tax-Loss-Sellings kann die Januarverzerrung nur teilweise erklären, weil

erstens der Januareffekt in Ländern ohne eine solche Gesetzgebung wie in Japan beobachtbar

ist, und zweitens der Januareffekt in Ländern mit dem Beginn des Steuerjahres im April oder

Juli (wie in England und Australien) auch evident ist.17

Nicht nur die Monate, sondern auch die Wochentage haben Einfluss auf die Assetrendite.

Gemäss der empirischen Studie von Cross mit den Daten von 1953 bis 1970 aus den USA

stieg der S&P 500 Index am Freitag mit einer Wahrscheinlichkeit von 62%, während die

Wahrscheinlichkeit eines Kursgewinns am Montag nur gerade 39.5% betrug. In dieser Perio-

de lag der Mean Return am Freitag bei 0.12% und am Montag bei -0.18%. Die Wahrschein-

lichkeit, dass die grosse Renditedifferenz zwischen Freitag und Montag durch Zufall generiert

14 Vgl. Rozeff und Kinney (1976) S.379-380. 15 Vgl. Donald Keim (1983) S.13. 16 Vgl. Gultekin und Gultekin (1983) S.469-470. 17 Andere empirische Studien über den Januareffekt: Roll (1983); Reinganum (1983), Banz (1981); Tinic und West (1984); Tinic und West (1984) haben beispielsweise gezeigt, dass die Rendite-Risiko-Beziehung nur im Januar eindeutig ist und die High-β-Stocks in anderen Monaten keine hohe Rendite abwerfen. Mit anderen Wor-ten ist CAPM ein Januarphänomen.

Behavior-Paradigma

15

wird, ist kleiner als eins zu einer Million.18 Die Studie von French mit den Daten aus S&P 500

zwischen 1953 und 1977 liefert ein ähnliches Resultat: Der Mean Return für den Montag ist

negativ ( -0.168%, t = -6.8); Und der Mean Return für andere Wochentage ist positiv, mit

höchster Rendite am Mittwoch und Freitag.19 Da die negative Rendite zwischen dem Han-

delsschluss vom Freitag und dem Handelsbeginn am Montag entsteht, wird diese Rendite-

anomalie auch als Weekend Effect bezeichnet. Die negative Rendite am Montag wird weitge-

hend durch andere empirische Studien bestätigt.20

Die Unregelmässigkeit des Eintretens der Informationen über die fundamentalen Faktoren ist

inkonsistent mit dem saisonalen Muster im Assetpreis. Bereits im Jahr 1931 hat Fields im

Journal of Business den Weekend Effect aufgezeigt,21 andere Autoren haben auch in der Ge-

genwart zahlreiche empirische Studien über saisonale Effekte publiziert. Die Investoren soll-

ten über diese Anomalien (Fehlbewertungen) informiert sein, warum aber werden diese Feh-

ler nicht durch Marktdisziplin eliminiert?

18 Vgl. Cross (1973) 67-69. 19 Vgl. French (1980) S.55-57. 20 Andere empirische Studien über den Weekend Effect: Gibbons and Hess (1981); Rogalski (1984); Smirlock and Starks (1986); Lakonishok and Smidt (1987); 21 Vgl. Thaler (1992) S.143.

Behavior-Paradigma

16

1.1.3 Weitere Anomalien

“Modern Finance now faced a myriad of anomalies coming from every direction.”22 Es gibt

eine Reihe von Anomalien, wenn die rationale Bewertung – welche die behavioralen Elemen-

te ignoriert – die Ausgangslage der Betrachtung ist. DeBondt und Thaler fasst diese Situation

wie folgt zusammen: „Finance consists of theories for which there is no evidence and empiri-

cal facts for which there is no theory.”23

Beispielsweise schütten Firmen trotzdem Dividenden aus, wenn auch die Aktionäre dadurch

finanziell schlechter gestellt sind. Immer mehr Investoren bevorzugen das Aktivportfolio,

obwohl dessen Performance in den meisten Fällen schlechter als der Index und das Alpha

vieler dieser Aktivportfolios dauerhaft negativ ist. Die Anteile von Close-End-Funds werden

zu einem Preis gehandelt, der anders als der Marktpreis der Wertpapiere im Portfolio ist, und

im Allgemeinen ist der Preis deutlich niedriger als dessen Net-Asset-Value. Zwischen 1965-

1985 lag der durchschnittliche Diskont in den USA bei 10.1%.24 Am 19. Oktober 1987 fielen

die Aktienpreise um mehr als 20% innerhalb eines Tages, und die „financial news” an diesem

Tag sind nicht die unerwarteten Schocks bezogen auf fundamentale Faktoren, sondern allein

der Crash selbst.25 Das Börsenjahr 1999 und 2000, in welchem die Blasenbildung bzw. deren

Platzen das Hauptgeschehen bildete, lieferte wenig empirische Anhaltspunkte dafür, dass die

Marktdisziplin eine sofortige Eliminierung der Fehler garantierte. Die Liste der Anomalien

wird immer länger:26

Die empirischen Befunde wie der Short-Term Momentum27 oder der Long-Term

Reversal28 sind inkonsistent mit der Annahme des Randomwalks und der daraus abge-

leiteten Unvorhersehbarkeit der Renditeveränderung;

22 Vgl. Haugen (1999) S.7. 23 Vgl. DeBondt und Thaler (1995) S. 386. 24 Vgl. Shleifer, Thaler und Lee (1992) S.170. 25 Vgl. DeBondt und Thaler (1995) S. 386. 26 Aufgrund von diversen Problemen in den allgemeinen empirischen Untersuchungen (wie Survival Bias, Look-Ahead Bias, Bid-Asked Bounce, Data Snooping und Data Mining) sollten die Resultate der Anomalienuntersu-chungen wie bei allen anderen empirischen Untersuchungen mit Vorsicht beurteilt werden. Wichtig ist hier je-doch nicht die Exaktheit der Resultate, sondern die empirisch belegte Möglichkeit, dass die Anomalie tatsächlich existiert. Details der Probleme der empirischen Untersuchungen vgl. Haugen (1999) S.63-69. 27 Short-Term Momentum: Bei kurzfristigem Zeithorizont (bis 9 Monate) bleibt der Gewinner weiterhin auf der Gewinnseite und der Verlierer meistens unverändert auf der Verliererseite. Vgl. Jagadeesh und Titman (1993), Daniel (1996), Rouwenhorst (1998); Hong, Lim and Stein (1998); Lee and Swaminathan (1999); 28 Long-Term Reversal: Bei langem Zeithorizont (3 bis 5 Jahre) wechselt der Gewinner zum Verlierer und der Verlierer umgekehrt zum Gewinner. Vgl. Fama und French (1988); Chorpra, Lakonishok, and Ritter (1992); Richards (1997).

Behavior-Paradigma

17

Zahlreiche empirische Studien haben gezeigt, dass neben Risiko (Volatilität) auch

andere Faktoren wie Size29 und Market-to-Book Ratio30 mit der Rendite korreliert

sind;

Es lässt sich eine systematische und permanente Abweichung zwischen dem Markt-

preis und Fundamentalwert beobachten.

Es wird beispielsweis ex post eine Long-Short (zero cost) Portfoliostrategie identifi-

ziert, welche auf Size, Book-to-Market Ratio und Momentum basiert. Im Zeitraum von

1963 bis 199731 hat diese Portfoliostrategie eine permanente Überschussrendite erwirt-

schaftet und verfügt über eine Sharpe Ratio, welche dreimal höher als jene des Markt-

Indexes ist. Die Überschussrendite lässt sich nicht durch das traditionelle Risikokon-

zept erklären. In der Tat ist das Beta dieser Strategie negativ.32

Es sollen nun an dieser Stelle einige wichtige abnormale Pattern dargestellt werden:

Abbildung 3: Anomalie - Rendite/Risiko Beziehung

29 Size-Anomalien: Vgl. Banz (1981), Basu (1983); Fama und French (1998b); 30 Market-to-Book-Anomalien: Vgl. DeBondt und Thaler (1987), Fama und French (1998b); 31 Mit den Daten aus dem US-Markt. 32 Vgl. Daniel und Titman (1999) S.34; CAPM-Beta dieser Strategie ist –0.258 (mit α = 1.17% / pro Monat, und t=6.62);

Average returns on mutual Fonds (over the treasury bill rate) vs. their market betas; US-Data sample 1962-1996 from

CRSP (Center for Research in Security Prices); E(Ri) - Rf = αi + βi * 9%; market return (β = 1; excess return = 9%);

Source: Cochrane (1999a) P.26

Behavior-Paradigma

18

Abbildung 4: Anomalie - Long Term Reversal

Abbildung 5: Anomalie - Differenz zwischen Preis und Wert

Cumulative Average Residuals for Winners and Loser Portfolios of 35 Stocks (1-60 months into the test period); US-Data sample 1962-1982 from CRSP. Cumulative abnormal returns for two portfolios, one consisting of past losers and the other consisting of past winners. Past losers subsequently outperform, while past winners subsequently underperform. Source: DeBondt and Thaler (1985) P. 803.

Fundamental Value versus Actual Price, 1925-1999: Stock prices tend to stray from fundamental value for long periods of time. The period after 1994 is especially striking. Source: Shefrin (2000) P. 39.

Behavior-Paradigma

19

Abbildung 6: Anomalie - Short Term Momentum

Cumulative Abnormal Returns (CAR) to Portfolios Based upon Standardized Unexpected Earnings (SUE). What happens to stock prices after earnings surprises: price momentum is greater for bigger surprises. Cumulative

abnormal return pattern is steeper with the magnitude of surprise (SUE).

Source: Bernard (1993) P. 307.

Behavior-Paradigma

20

1.2 Erfahrungsobjekt: Weiche Faktoren am Aktienmarkt33

Finanzmarkttheorie ist eine Erfahrungswissenschaft, deren Ausgangspunkt die Erfahrung am

Markt sein muss. Dem rationalen Konzept zufolge ist der Assetpreis allein durch die Erwar-

tung über die diskontierten zukünftigen Cashflows des Underlyings bestimmt, und die Erwar-

tung ist rational, d.h., der Investor ist unter gegebenen Informationen zu einer einzigen Erwar-

tung – der rationalen Erwartung, nämlich der perfekten Voraussicht – inhärent verpflichtet.

Nur die Veränderung der fundamentalen Faktoren, welche zur Veränderung der diskontierten

zukünftigen Cashflows des Underlyings führen, kann eine Preisveränderung auslösen. Somit

sollten die weichen Faktoren, wie beispielsweise das Behavior, im Hinblick auf die Preisver-

änderungen keine Rolle spielen. Die Hypothese des rationalen Konzepts entspricht jedoch

nicht der Erfahrung, wie die vorausgehende Diskussion über Anomalien eindrücklich zeigt.

Der Begriff „Stimmung“34 ist am Aktienmarkt weit verbreitet. Die Stimmung wird als zuver-

sichtlich bezeichnet, wenn eine rege Nachfrage herrscht und neue Investitionen getätigt wer-

den. Von lustloser oder schläfriger Stimmung ist die Rede, wenn nur geringe Kauf- oder Ver-

kaufsaktivitäten zu verzeichnen sind. Die Stimmung wird dann als depressiv beschrieben,

wenn die Mehrheit der Investoren bearish sind und folglich von Überverkauf die Rede ist.

Schliesslich wird sogar ein psychologischer Begriff wie „Panik“ herangezogen, um die Stim-

mung bei einem Crash exakt beschreiben zu können. Die Stimmung bringt die kollektiven

Verhaltenstendenzen der Investoren am Aktienmarkt zum Ausdruck. Das aktuelle Marktge-

schehen ist auch mit der Stimmung eng verbunden: Euphorie (eine Haussestimmung mit

Hoffnung als Dominante) oder Depression (eine Baissestimmung mit Angst als Dominante)

kann Auf- oder Abwärtsbewegungen an der Börse auslösen, die sich von der wirtschaftlichen

Realität lösen. Beispielsweise lassen sich positive Bubbles beobachten, wenn Euphorie

herrscht,35 und hingegen sind negative Bubbles zu beobachten, wenn sich die Marktteilneh-

mer in einer depressiven Stimmung befindet. Neben „Rendite, Risiko sowie Informationen

33 „Weiche Faktoren am Aktienmarkt“ wird hier als Sammelbegriff für das Verhalten angewandt, welches von der traditionellen rationalen Verhaltensannahme abweicht. 34 Gemäss der kognitiven Psychologie stehen Stimmung und Denken in einer engen Wechselbeziehung. Wäh-rend die Gedankeninhalte einer Person ihre Stimmung beeinflussen, beeinflusst die Stimmung, was ihr in den Sinn kommt, wie sie Dinge bewertet und in welcher Art sie über Probleme nachdenkt. Eine stimmungsbedingte selektive Erinnerung führt zur Verzerrung in der Verarbeitung der Informationen sowie in den evaluativen Urtei-len. Vgl. Schwarz und Bohner (1990) S.165-S.170. 35 Euphorie am Aktienmarkt: Von den Wachstumsaktien im US-Aktienmarkt in den 60er Jahren über die Junk-bonds der 80er Jahre und die Biotech-Aktien in den 90er Jahren bis zu den TMT-Titeln in der Gegenwart.

Behavior-Paradigma

21

über die Fundamentalwerte“ ist an den Börsen auch „Hoffnung und Angst“ am Werke. Die

durch Hoffnung motivierte Haussestimmung kann zu spekulativen Blasen führen, während

die durch Angst herbeigeführte Baissestimmung zum Platzen solcher Blasen führen kann.

Somit oszillieren die Kurse um einen „vernünftigen“ Wert herum. Mit anderen Worten wer-

den die Schwankungen der Kurse nicht nur durch die Veränderungen der fundamentalen Fak-

toren herbeigeführt, sondern auch durch die Veränderungen der weichen Faktoren mitgeprägt.

Beispielsweise können die dramatischen Kurseinbrüche an den Börsen im Oktober 198736

nicht allein auf realwirtschaftliche und politische Änderungen zurückgeführt werden. Die re-

levanten wirtschaftlichen Daten (z.B. Aussenhandelsbilanz, Haushaltsdefizite der USA, der

sinkende Dollar, Inflationsbefürchtungen, fehlende Zinssenkungssignale aus Japan und

Deutschland) waren zu diesem Zeitpunkt schon seit längerem bekannt, ohne dass sie einen

nachteiligen Einfluss auf die Kursentwicklung gehabt hätten. Am Crashtag waren keine neuen

unerwarteten negativen Informationen eingetroffen. Darüber hinaus sprach eine Vielzahl wirt-

schaftlicher Daten für eine weitere Hausse an der Börse, wie Gewinnzuwächse der amerikani-

schen Unternehmen, ihre hohe Liquidität sowie ein allgemeiner Optimismus, dass die USA in

der nahen Zukunft vorhandene Defizite werde abbauen können. Mit anderen Worten können

vor und während dem Crash keine unerwartete Informationsschocks über harte Faktoren – die

fundamentalen Faktoren – gefunden werden, welche die dramatischen Kurseinbrüche am Ak-

tienmarkt rechtfertigen können. Aus Sicht des traditionellen rationalen Konzepts ist der Crash

„unerwartet“, und der Grund dafür ist, dass der weiche Faktor - das Behavior – ignoriert wor-

den ist.

Nach den psychologischen Erkenntnissen ist beispielsweise eine Asymmetrie zwischen Ge-

winn- und Verlustverhalten des Investors festzustellen: Der Schmerz wegen des Verlustes

einer Geldeinheit aus einer Investition ist zwei- bis dreimal höher als die Freude aufgrund

eines Gewinns einer Geldeinheit aus der Investition. Eine kleine Korrektur des Marktpreises

kann oft zu einem Crash führen, wenn die Investoren in Panik geraten und daher schnell eine

Entscheidung zur Vermeidung von weiteren potenziellen Verlusten treffen, weil die Schmerz-

grenze auf keinen Fall überschritten werden darf. Im Falle einer Panik verhält sich der Inves-

tor irrational und kurzfristig,37 ohne die langfristigen Potenziale seines Investments zu be-

36 Studien über den Crash im Oktober 1987, vgl. Frey und Stahlberg (1990) S.129-135; Geiger (1990) S. 213-237; 37 Modelansatz für dieses Behavior: Pain-Avoidance-Model (PAM).

Behavior-Paradigma

22

rücksichtigen. Finanzmarktkrisen folgen aus behavioraler Perspektive zumeist auch einem

Muster, hinter dem die Logik der Panik steht.38

Im Falle des Crashs von 1987 schien die Schmerzgrenze erreicht zu sein, als sich die im Sep-

tember 1987 beginnende Korrektur auch im Oktober 1987 fortsetzte und die Kurse in der

Woche vom 12. Oktober um 9.5% fielen.39 Die Nervosität des Marktes war zu jenem Zeit-

punkt sozusagen an der oberen Grenze angelangt und eine weitere kleine Korrektur konnte

Panik auslösen und den Zusammenbruch herbeiführen. Die Kurse fielen am 19. Oktober 1987

dann ohne preisrelevante neue Informationen über die fundamentalen Faktoren innerhalb ei-

nes Tages um 23%, die einzige kursrelevante Information war die Panik der Investoren.40 Im

Falle einer Panik gehen alle gleichzeitig short und der Preis verliert somit seine Signalfunkti-

on bezüglich des Fundamentalwertes. An jenem Tag reflektierte der Preis nur die Panik des

Marktes.

Der Crash von 1987 ist auch Untersuchungsobjekt von Shiller.41 In seinen Umfragen ging er

vor allem auf drei Fragen ein: Welche News haben den Crash ausgelöst? Was war die Ursa-

che des Crashs? Welche Theorie kann den Crash besser erklären? Im Hinblick auf die Frage

über die Informationen kam in seiner Studie zum Schluss, dass die Informationen über die

Veränderungen der fundamentalen Faktoren vor und während dem Crash von den durch-

schnittlichen Investoren lediglich als „moderate important“42, hingegen die Informationen

über „past price declines themselves“ als „very important“ eingestuft wurden. Das bedeutete,

dass die dramatischen Kurseinbrüche nicht direkt durch neu unerwartete Informationen über

die harten Faktoren ausgelöst waren. In Bezug auf die Frage über die Ursache ging die Mehr-

heit der befragten Marktteilnehmer davon aus, dass Overpricing, Programm Trading (Portfo-

lio Insurance) bzw. die Panik die dramatischen Preisveränderungen herbeiführten. Die Markt-

teilnehmer vertraten nach eigenen Erfahrungen somit nicht den Standpunkt, dass die Preisver-

änderungen die Veränderungen der fundamentalen Faktoren reflektieren müssen.43 Was die

Erklärung der dramatischen Preisveränderung betraf, vertraten 64% der Privatinvestoren bzw.

38 Vgl. Sachs (1999) S.136. 39 Vgl. Geiger (1990) S. 214; 40 Vgl. Geiger (1990) S. 215; 41 Vgl. Shiller (2000) S.88 – 95. 42 Das heisst, dass vor und während dem Crash keine unerwarteten Informationsschocks vorliegen. 43 Nur 1/3 der Privatinvestoren bzw. 1/5 der institutionellen Investoren betrachtete die Bedenken der Marktteil-nehmer über eine mögliche Verschlechterung der fundamentalen Faktoren auch als Ursache für die dramatischen Preisveränderungen im Oktober 1987. Vgl. Schiller (2000) S. 89.

Behavior-Paradigma

23

67.5% der institutionellen Investoren die Meinung, dass die Investor-Psychologie besser als

andere Theorien die Preisveränderung erklären kann.

Was den Einfluss der weichen Faktoren am Aktienmarkt betrifft, und ob die normative An-

nahme des rationalen Behaviors deskriptiv zutrifft, gibt die Erfahrung am realen Markt die

beste Antwort. Jeder hat seine eigene Erfahrung mit diesem Markt, der nichts anderes als ein

Treffpunkt für Menschen ist, die etwas oder sich über etwas austauschen möchten. Der Markt

bzw. das Behavior des Marktteilnehmers in dem Markt ist nicht mystisch, sondern der Erfah-

rung zugänglich. Im Hinblick auf die Frage, wie sich der Marktteilnehmer unter realen Bedin-

gungen tatsächlich verhält, liefert der Erlebnisbericht des professionellen Marktteilnehmers

eine wertvolle Zusammenfassung der Erfahrungen:

Erlebnisbericht eines Händlers I:

“Ninety percent of what we do is based on perception. It doesn’t matter if that perceptions is

right or wrong or real. It only matters that other people in the market believe it. I may know

it’s crazy, I may think it’s wrong. But I lose my shirt by ignoring it. This business turns on

decisions made in seconds. If you wait a minute to reflect on things, you’re lost. I can’t afford

to be five steps ahead of everybody else in the market. That’s suicide.”44

Erlebnisbericht eines Händlers II:

„Schon bei Tagesanbruch spürt der Händler den permanenten Zwang des Gewinnen-Müssens.

Seine erste Aufgabe ist die Abfrage der Kurse, um ein „Gefühl“ für den Markt zu bekommen.

Nach eingehenden Beratungen, manchmal aber auch einfach aus einem unbestimmten Gefühl

heraus, geht der Händler long. Entwickelt sich der Kurs erwartungsgemäss, verwandelt sich

die Hoffnung relativ schnell in Freude, die sich je nach Temperament des Händlers, gar zu

Ausgelassenheit und Übermut steigern kann. Der Gewinn wird realisiert. Neben der psycho-

logischen Genugtuung, richtig gelegen zu sein, ist ausserdem noch ein materieller Gewinn

entstanden. Mit dem Erfolg wächst der Mut. Eine zweite Investition wird getätigt. Die Infor-

mationsphase des Händlers fällt beim zweiten Mal etwas flüchtiger und kürzer aus, da er ja

eigentlich schon weiss, was er will – auch der Informationsaustausch dient eigentlich eher der

Bestätigung der persönlichen Ansicht über die nächste Kursentwicklung als einer kritischen

44 Vgl. Christoph (1994) S.103.

Behavior-Paradigma

24

Auseinandersetzung mit dem Marktumfeld. Auch der zweite Trade gelingt – die Zufriedenheit

wächst. Der Händler hat das Gefühl, derzeit einen guten Riecher zu haben. Objektive Infor-

mationen und Interpretationen (sofern es diese überhaupt gibt) werden nicht mehr verlangt,

sondern man handelt nur noch „aus dem Bauch“ heraus. Der Erfolgverwöhnte neigt zu versu-

chen, das Gefühl von Freude und Anerkennung möglichst häufig zu wiederholen. Das gestei-

gerte Selbstbewusstsein verführt dazu, nunmehr grössere Positionen im Vergleich zu früher

einzugehen. Man wird gierig, nach höheren Gewinnen und nach Anerkennung. Mit Glück

kommt der Erfolg in Serie, es beginnt eine Phase des Wohlbefindens und der gesteigerten

Lebensfreude, die man als Euphorie bezeichnet. Die Gefühlsstadien Hoffnung, Freude, Gier

und Euphorie, wie sie bei vielen erfolgreichen Marktteilnehmern vorkommen, verzerren, je

nach erlebter Intensität, den Blick für die Realität. Die für das Engagement positiven Informa-

tionen werden oft stark vergrössert wahrgenommen, während bedrohliche Marktveränderun-

gen kaum das Bewusstsein des Händlers erreichen. Die Wende kommt dann, als sich der

Markt gegen die Erwartung bewegt ....“45

45 Vgl. Goldberg und Nitzsch (2000) S. 32-37.

Behavior-Paradigma

25

1.3 Paradigmawechsel: Behavioral Finance

1.3.1 Anomalien als Herausforderung

Die Reaktionen auf die Existenz der Anomalien sind unterschiedlich. Die Vertreter des tradi-

tionellen rationalen Konzepts führen die Anomalien ausschliesslich auf die technischen Fehler

wie Modellspezifikationen oder Datenprobleme zurück, für sie ist die empirische Erfahrung

am Aktienmarkt, die Erfahrung des Marktteilnehmers mit Bubble bzw. die empirischen Be-

funde der Anomalien-Untersuchungen, eine falsche Wirklichkeit. Der Aktienmarkt muss feh-

lerfrei sein, d.h., der Marktpreis muss der Reflex der rationalen korrekten Erwartung über den

Fundamentalwert sein, und systematische Über- bzw. Unterreaktionen (Bubbles) sind auszu-

schliessen. Trotz diverser Anpassungen des rationalen Konzepts lassen sich die Anomalien

aber nicht innerhalb der bestehenden rationalen Theorien zum Verschwinden bringen, im Ge-

genteil, die Liste der Anomalien wird immer länger, und das Versagen des traditionellen rati-

onalen Konzepts wird immer evidenter.

Aus der Perspektive der Evolution der Theorien ist die Entdeckung der Anomalien jedoch

eine gute Nachricht für die Forschung. Thomas Kuhn zufolge sollten die wissenschaftlichen

Weiterentwicklungen auch diesen Entdeckungen verdankt werden, denn „discovery commen-

ces with the awareness of anomaly, i.e., with the recognition that nature has somehow viola-

ted the paradigm-induced expectations that govern normal science.”46 Die Entdeckung des

abnormalen Patterns gibt der Forschung neuen Schub. Immer mehr Forscher beginnen, das

Paradigma des rationalen Behaviors in Frage zu stellen, und führen das Versagen des rationa-

len Konzepts auf „lack of common knowledge of rationality“ zurück (Hens 2001). Gemäss

Haugen ist Anomalie “evidence of behavior that contradicts accepted theoretical predic-

tion.”47 Das durch traditionelles Konzept wegrationalisierte Behavior erweckt wieder die

Aufmerksamkeit der gegenwärtigen Forschung, und trotz des heftigen Widerstands der Ver-

treter der traditionellen Theorien findet das neue Behavior-Paradigma immer mehr Akzep-

tanz.48

46 Vgl. Thaler (1992) S.5. 47 Vgl. Haugen (1999) S.8. 48 „Fortunately, even when the mud is thick, truth always makes its way to the surface.” Vgl. Haugen (1998) S.7.

Behavior-Paradigma

26

1.3.2 Altes Paradigma

Das traditionelle Konzept beruht auf dem Paradigma des rationalen Behaviors. Die entspre-

chende Rationalität wird als Maximierung des Erwartungsnutzens (Gewinnmaximierung)

spezifiziert, und der „homo oeconomicus“ wird als repräsentativer bzw. durchschnittlicher

Investor betrachtet. Der Glaube an Rationalität bzw. an Disziplinierungskraft des Markts ge-

gen abweichendes Behavior impliziert, dass sich der durchschnittliche Investor wie die besten

Ökonomen verhalten muss, und er ist sogar besser als die besten Ökonomen, denn im Hin-

blick auf die Informationsverarbeitung soll seine Leistung gleich der Leistung eines Super-

computers sein. Mit diesem Glauben erlangt das normative Modell der rationalen Entschei-

dung seine Gültigkeit somit auch auf der deskriptiven Ebene.49 Folglich ist für das traditionel-

le Konzept die Frage uninteressant, wie der Mensch tatsächlich seine Entscheidung trifft und

ob er dabei aufgrund eigener Unzulänglichkeit bestimmten Beschränkungen unterliegt. Das

Paradigma des rationalen Behaviors führt dazu, dass die Eigenschaften des Menschen sowie

deren Konsequenz auf die Entscheidung unter Unsicherheit im Hinblick auf Beschreibung

und Erklärung des Marktgeschehens irrelevant sind. Der Faktor Human ist faktisch überflüs-

sig, und der wichtigste Teil des Marktes – der Marktteilnehmer – verschwindet somit in der

Gedankenwelt der traditionellen Theorie. Es erstaunt deswegen nicht, dass man beim Lesen

des Standard-Lehrbuchs der Finanzmarkttheorie – wie das exzellente Lehrbuch von Brealey

und Myers – den Eindruck hat, dass es dem Finanzmarkt an den Human-Aktivitäten mangelt.

Zur Beschreibung und Erklärung des Marktgeschehens ist die Aufmerksamkeit der traditio-

nellen Theorie auf die Themen – wie die Berechnung der Rendite, die Analyse bzw. Pricing

von Risiken, Optionspricing, Dividendenpolitik bzw. Refinanzierungspolitik – gerichtet, und

hingegen erlebt der Faktor Human eine Ignorierung. Der von dem traditionellen Konzept vor-

gestellte Finanzmarkt ist eigentlich ein Markt ohne Marktteilnehmer. Die traditionelle Theorie

benötigt sicher keine inhaltliche Modifizierung, wenn alle Marktteilnehmer durch Software-

programme ersetzt würden. Für die traditionelle Theorie gibt es keinen Unterschied, ob der

49 Nach Haward Raiffa (1968), dem Decision-Theoretiker, kann die Analyse der Entscheidungsfindung nach normativen, deskriptiven und preskriptiven Analysen unterschieden werden. Die normative Analyse setzt sich mit der rationalen Entscheidungsfindung auseinander, wobei der optimale Entscheid des idealen Menschen im idealen Markt gesucht wird, während die empirische Realisierungsmöglichkeit der Entscheidung eher im Hinter-grund steht. Die deskriptive Analyse beschäftigt sich dagegen mit der Fragestellung, wie der Mensch tatsächlich seine Entscheidungen trifft, wobei die Realitätsnähe an Stelle der Optimalität den Ausgangspunkt der Überle-gung bildet. Der deskriptive Ansatz setzt sich zum Ziel herauszufinden, nicht wie Menschen Entscheidungen treffen sollten, sondern wie sie diese Entscheidung tatsächlich treffen. Mit der preskriptiven Analyse werden Bemühungen unternommen, eine Brücke zwischen normativen und deskriptiven Ansätzen aufzubauen. Die Ent-scheidungsfindung ergibt sich aus der Interaktion zwischen idealen und realen Faktoeren.

Behavior-Paradigma

27

durchschnittliche Marktteilnehmer ein Mensch mit Blut und Fleisch oder ein Softwarepro-

gramm ist.

Die Erfahrung am Aktienmarkt zeigt jedoch ein anderes Bild: Der Marktteilnehmer verhält

sich anders, als das traditionelle Konzept postuliert, und der Faktor Human existiert.50 Die

Dynamik der weichen Faktoren am Aktienmarkt lässt sich sowohl in der konkreten Entschei-

dungsfindung als auch im Marktpreis – Konsequenz der Kauf- und Verkaufentscheidung -

beobachten. „People make difference.“ Der Finanzmarkt, auf welchem das Marktgeschehen

primär durch Human bestimmt ist, ist selbstverständlich anders als der Finanzmarkt, auf wel-

chem das menschliche Dasein durch ein Softwareprogramm ersetzbar ist. Die Igonorierung

des Faktors Human durch das traditionelle Konzept hat ihre Konsequenz: Verfremdung zwi-

schen Theorie und Empirie, die dadurch ausgedrückt wird, dass das aktuelle Marktgeschehen

nicht durch die Theorie erklärt werden kann. Diese Verfremdung ist weder von kurzer Natur

noch lediglich ein Ausnahmefall. Die durch das traditionelle rationale Konzept unerklärbare

Entwicklung des Nemax-Index zwischen dem Jahr 1999 und 2001 - der Höhenflug von 3'000

auf 8'500 und dann der Freifall von 8'500 auf 1'500 - unterstreicht die Evidenz, dass diese

Verfremdung von dauerhafter Natur ist.

Abbildung 7: Die Nemax-Bubble

50 Siehe die Diskussion im Kapitel 1.2 „Erfahrungsobjekt: Weiche Faktoren am Aktienmarkt“.

Die Entwicklung des Nemax-Index

0

1000

2000

3000

4000

5000

6000

7000

8000

9000

Nemax-Index (Source: Reuters)

Behavior-Paradigma

28

Es stellt sich nun die Frage, warum das traditionelle Konzept den Faktor „Human“ ausge-

klammert hat, wenn es eine evidente Tatsache ist, dass die Annahme des rationalen Behaviors

auf der deskriptiven Ebene nicht zutrifft. Die Vertreter der traditionellen Theorien sind sich

auch bewusst, dass sich der Investor durchaus abweichend von ihrer Rationalitätsannahme

verhalten kann und ihre Rationalitätsannahme nicht plausibel ist, wenn die Erfahrung - das

empirisch beobachtete Behavior des Investors - als Ausgangspunkt der Überlegung dient. Als

Ausweg haben sie den Begriff „als ob rational“ eingeführt und glauben, dass das Resultat der

Entscheidung auch dann rational sein soll, wenn sich der Entscheidungsträger bei der Ent-

scheidung durchaus anders als ihre Rationalitätsannahme verhalten kann. Der Begriff „als ob

rational“ wird auf Milton Friedman (1953) zurückgeführt und er wird an dem folgten Bei-

spiel veranschaulicht: Der Billardspieler ist beispielsweise nicht imstande, die notwendigen

Gleichungen mathematisch zu lösen, um die Laufbahn der Billardkugel zu berechnen. Aber er

verhält sich im Spiel, als ob er die Laufbahn exakt berechnen könnte. Dieser Logik nach

nimmt das traditionelle Konzept an, dass sich der durchschnittliche Investor so verhalten soll,

als ob er der beste Ökonom wäre, wenn auch er über kein vergleichbares ökonomisches Wis-

sen verfügt und seine Kapazität zur Informationsverarbeitung sehr beschränkt ist. Für den

durchschnittlichen Investor ist die Rolle „als bester Ökonom“ doch eine schwierige Aufgabe,

es ist wahrscheinlich, dass das Resultat seiner Entscheidung nicht dieselbe Rationalität wie

die des Ökonomen aufweist, wenn die Rationalität des Ökonomen als Soll-Rationalität dient.

Somit entsteht Fehler. Das traditionelle Konzept glaubt jedoch an eine sofortige Eliminierung

der Fehler und die Fehlerfreiheit wird dadurch argumentiert: I) Marktdisziplin; Disziplinie-

rungskraft des Markts – der Mechanismus der Arbitrage – sorgt dafür, dass die Fehler sofort

eliminiert worden sind. D.h., eine unsichtbare Hand zwingt den durchschnittlichen Investor,

die Rolle „des besten Ökonomen“ zu übernehmen. II) Aggregationseffekt; Im Grunde ge-

nommen sind die Fehler unsystematisch bzw. zufällig, und heben sich in der Aggregation auf.

III) Ausleseprozess; Die natürliche Selektion sorgt dafür, dass ein Investor, welcher systema-

tisch Fehler begeht, sofort aus dem Markt verdrängt wird. Der Finanzmarkt ist sozusagen

durch eine minimale Fehlertoleranz ausgeprägt. Die Schwäche der Rationalitätsannahme wird

vernebelt, indem weitere Annahmen über die Disziplinierungskraft des Marktes, den Aggre-

gationseffekt bzw. den Ausleseprozess getroffen sind. Wenn die Fehler tatsächlich durch die-

sen Mechanismus sofort eliminiert werden könnten, dann ist logischerweise die Frage uninte-

ressant, ob und wie der durchschnittliche Investor Fehler macht. Die Argumentationen des

traditionellen Konzepts sind jedoch nicht unproblematisch:

Behavior-Paradigma

29

Erstens ist die These, dass die Fehler durch die Disziplinierungskraft des Markts – den Me-

chanismus der Arbitrage – sofort eliminiert werden, an strenge Anforderungen geknüpft. Zur

Eliminierung der Fehler muss der Arbitrageur ein unplausibles Niveau von Kenntnissen haben

und frei von diversen Restriktionen sein. In der Realität verfügen die Investoren einerseits nur

über unvollständige Kenntnisse in Bezug auf den Fundamentalwert, die Präferenzen, die Tra-

dingstrategie sowie die kognitiven Beschränkungen der anderen Investoren,51 und unterliegt

andererseits diversen Restriktionen (wie Zeithorizont, Kapitalaufnahmemöglichkeit, eigene

Risikoaversion, eigene Kalibrierungsfähigkeit usw.). Die Voraussetzung für eine ausreichende

Arbitrage zur sofortigen Eliminierung jeglicher Fehler ist aber im realen Aktienmarkt in vie-

len Fällen nicht erfüllt52, folglich lässt sich beobachten, dass die positiven oder negativen

Bubbles für eine längere Zeit fortdauern, wenn auch sich die Marktteilnehmer der Existenz

des Bubbles bewusst sind. Die Frage der Disziplinierungskraft des Markts ist vor allem eine

empirische Frage, die Erfahrung mit der Existenzdauer des Bubbles (vgl. die Entwicklung von

Nemax-Index) liefert keine empirische Evidenz, dass der Markt über einen Mechanismus ver-

fügt, womit er die Fehler sofort eliminieren kann.53

Zweitens sind Aggregationseffekte von der Anwendbarkeit des Gesetzes der grossen Zahl auf

unabhängige individuelle Fehleinschätzungen bedingt. Die Behauptung, dass irrationale Ent-

scheidungen dazu neigen, sich gegenseitig aufzuheben, trifft nur dann zu, wenn die Unabhän-

gigkeitsannahme, die dem Gesetz der grossen Zahl zugrundeliegt, nicht verletzt wird.54 Her-

dentrieb, Fad sowie die Dominanz der durchschnittlichen Meinung im realen Aktienmarkt

unterstützen die Unabhängigkeitsannahme und damit die Anwendbarkeit des Gesetzes der

grossen Zahl jedoch nicht, weil die Fehler in solchen Fällen typischerweise gleichgerichtet

sind.

Drittens ist der Ausleseprozess des traditionellen Konzepts abweichend vom Prinzip der Evo-

lution. Der Ausleseprozess ist Darwin zufolge nicht durch Fehlerfreiheit, sondern durch Feh-

lertoleranz gekennzeichnet. Aus evolutionärer Sicht ist die Mutation erst durch die Zulassung

51 Vgl. Daniel und Titman (1999) S. 28ff. 52 Nach DeBondt und Thaler setzt die Fehlerfreiheit zusätzliche Voraussetzungen voraus: I) Es besteht ein Datum T, wann der richtige Wert bekannt ist. II) Kostenloses Short-Selling mit einem genügend langen Zeitraum ist möglich, so dass das Datum T erreicht wird. III) Der Investmentzeithorizont des Investors erstreckt sich über das Datum T. IV) Die Noise-Trader im Markt sind nicht in der Überzahl. V) Short-Selling darf nur durch rationale Trader getätigt werden. Vgl. DeBondt und Thaler (1995), S. 387. 53 Ausführliche Diskussion über die Disziplinierungskraft des Marktes siehe Kapitel 2. 54 Vgl. Cymbalista (1997) S.100.

Behavior-Paradigma

30

von Fehlern und Redundanz möglich. Eine Welt voller Fehler ist eine notwendige Bedingung

für die Offenheit der Zukunft und für die Evolution. Aus dieser Perspektive ist der von dem

traditionellen Konzept verstandene Ausleseprozess, wo Noise-Trader aufgrund deren Fehler

sofort aus dem Markt verdrängt werden müssen, nicht zwingend. Die Existenz und Persistenz

der Anomalien im realen Aktienmarkt kann durchaus als ein Ausdruck der Fehlertoleranz des

Ausleseprozesses verstanden werden. Nach dem Konzept des „satisfying“ von Simon liefert

die Verhaltensannahme wie rationales Verhalten, Optimierung bzw. Maximierung keine adä-

quate Basis für die Beschreibung des tatsächlichen Verhaltens, in der Tat dominiert die sub-

optimale Lösung.55 Dieses aus traditioneller Sicht irrationale Verhalten hat aber seine evoluti-

onäre Bedeutung. Flexibilität wird unbewusst geschafft, indem die durch Selbstzufriedenheit

geschaffene Redundanz nicht durch die Rationalisierungskraft abgeschafft wird. Die Erntezeit

kommt dann, wenn sich die externen Bedingungen dynamisch ändern und die Redundanz

unerwartet zu einem kritischen Erfolgsfaktor wird. Der Fehler ist keine Irrationalität, sondern

gehört zu einer Rationalität höherer Ebene.56

Die Auseinandersetzung mit der Disziplinierungskraft des Marktes, dem Aggregationseffekt

bzw. dem Ausleseprozess zeigt, wie vage und unsicher die wissenschaftliche Basis der „als-

ob-Rationalität“ ist. Wie die Rationalitätsannahme liefert die Annahme der „als-ob-

Rationalität“ auch keine adäquate Basis für die Beschreibung des tatsächlichen Verhaltens.

Der Annahmefehler interessiert das traditionelle Konzept jedoch wenig, mit dem Argument,

dass in der Theorie unvermeidlich vereinfachende Annahmen involviert sind. Nach Friedman

sollte eine Theorie nicht nach ihrer Annahme, sondern nach der Gültigkeit ihrer Aussage be-

urteilt werden, die sogenannte Friedman’sche „irrelevance of assumptions“-These.57 Die Evi-

denz, dass die Aussagen der traditionellen Theorie den empirischen Überprüfungen nicht

standhalten, wird durch eine Reihe von Anomalienuntersuchungen unterstrichen. Die Annah-

me über Behaviors ist nicht mehr irrelevant, sondern der Schlüssel zur Erklärung des

55 Vgl. Gowdy (1992) S. 3f. 56 Gould und Eldredge (1986) haben zwei wichtige Erkenntnisse aus geologischen und biologischen Forschun-gen gewonnen: Erstens gibt es die Dominanz einer statischen Periode, wo der Auswahlprozess der Evolution stillzubleiben scheint. Zweitens existiert eine höhere Ebene von Auswahl, nicht innerhalb des Systems, sondern ausserhalb des Systems. Jedes Gleichgewicht untersteht einer höheren Gewalt. Die Einsichten von Gould und Eldredge haben die Evolutionslehre durch ihre neuen Paradigmen bereichert. Die Darwin’sche Auswahl könnte nur eine mögliche Variante unter vielen sein. Der Auswahlprozess der Evolution müsste nicht zwingend auf Darwins Art erfolgen. Die graduelle Veränderung aufgrund des Maximierungszwangs könnte ausbleiben. Es ist erlaubt, statisch und ohne vorprogrammierten Zwang zum Optimum zu existieren. Vgl. Gowdy (1992) S. 2-4. 57 Vgl. Thaler (1992) S.4f.

Behavior-Paradigma

31

Versagens des traditionellen Konzepts und zum Aufbau eines neuen Konzepts. Zur Überwin-

dung der Verfremdung zwischen Theorie und Empirie ist ein Paradigmawechsel notwendig.

Behavior-Paradigma

32

1.3.3 Paradigmawechsel: Behavioral Finance

Vor wenigen Jahren hat sich in den USA eine verhaltenswissenschaftlich orientierte Finanz-

markttheorie, die sogenannte Behavioral Finance, als neuer Forschungszweig etabliert. Das

neue Behavior-Paradigma geht davon aus, dass sich Menschen nur beschränkt rational verhal-

ten können. Diese Verhaltensannahme ist keine subjektive Vorentscheidung wie im Falle der

traditionellen Theorie, sondern beruht auf den Erkenntnissen der Sozialpsychologie und der

Entscheidungstheorie. Die psychologische Forschung hat gezeigt, dass das Gehirn zur Bewäl-

tigung komplexer Probleme regelmässig Heuristiken58 anwenden muss. Heuristiken dienen

vor allem dazu, effizient mit den Ressourcen umzugehen. Studien und Experimente der sozi-

alpsychologischen Forschungen belegen, dass den Menschen bei der Anwendung von Heuris-

tiken immer wieder Fehler und Trugschlüsse unterlaufen. Es handelt sich dabei nicht um ge-

legentliche Ausrutscher, im Gegenteil, die Fehler treten systematisch auf.59 Nach den Er-

kenntnissen der experimentellen kognitiv-psychologischen Forschungen führen verkürzende

kognitive Prozesse – sogenannte Behavioral Biases – zu Verzerrungen bei der Erwartungsbil-

dung, dies hat Entscheidungen zur Folge, welche die Axiome der Erwartungsnutzentheorie60

systematisch verletzen. Schon in den 70er Jahren haben Psychologen, insbesondere Kahne-

58 Unter Heuristiken versteht man Regeln oder Strategien der Informationsverarbeitung, die mit geringem Auf-wand zu einem schnellen, aber nicht garantiert optimalen Ergebnis kommen. 59 Sinneswahrnehmung durch Sehen ist ein komplexer Prozess, bei dem das Gehirn die Informationen bezüglich

Farbton, Helligkeit, Tiefen und Formen zu bearbeiten und zu interpretieren hat. Mit einer Reihe von Instrumen-

ten verfügt das Gehirn über die Möglichkeit, eine sehr schnelle Beurteilung über das Objekt zu bilden, ohne sich

mit allen verfügbaren Informationen sorgfältig auseinanderzusetzen. Im allgemeinen zeichnet sich die entspre-

chende Einschätzung durch ihre Genauigkeit aus. Aber es kommt vor, dass systematische Fehler, - wie bei-

spielsweise die visuelle Illusion -, auftreten. 60 Axiom der vollständigen Ordnung: Für jedes Paar von Lotterien X, Y gilt entweder X ≥ Y oder X ≤ Y (Voll-ständigkeit). Falls X ≤ Y und Y ≤ Z, dann X ≤ Z (Transitivität). Das Axiom der vollständigen Ordnung bedeutet also, dass beliebige Handlungsalternativen mit unsicheren Ergebnissen vom Entscheidungsträger eindeutig mit-einander verglichen werden können und dass die Präferenzordnung des Entscheidungsträgers in Bezug auf die Handlungsalternativen transitiv ist. Stetigkeitsaxiom: Sind die Handlungsalternativen mit unsicheren Ergebnis-sen X, Y, Z und X ≥ Y ≥ Z gegeben, dann gibt es eine Wahrscheinlichkeit p ∈ [0, 1], so dass Y ∼ pX +(1-p)Z. Dieses Axiom impliziert, dass immer eine aus X und Z zusammengesetzte Handlungsalternative gefunden wer-den kann, welche gegenüber Y gleich gut ist. Unabhängigkeitsaxiom: Gilt für zwei Handlungsalternativen mit unsicheren Ergebnissen X ≥ Y, so muss für alle Alternativen Z und alle p ∈ [0, 1] gelten, dass pX +(1-p)Z ≥ pY +(1-p)Z. Das Substitutions- oder Unabhängigkeitsaxiom fordert also, dass die Präferenzen eines Entscheidungs-trägers zwischen zwei Handlungsalternativen unabhängig von den gemeinsamen Komponenten der Alternativen sein sollen. Dominanzprinzip: Eine Alternative X ist einer Alternative Y dann vorzuziehen, wenn die Ergebnisse X(s) ≥ Y(s) für alle s ∈ S und X(s′) > Y(s′) für mindestens ein s′∈ S gilt (Zustandsdominanz). Vgl. Weber und Camerer (1987), S.130-142;

Behavior-Paradigma

33

man und Tversky61, durch Experimente belegt, dass die Axiome der Finanzmarkttheorie – die

rationale Erwartung, die Theorie des Erwartungsnutzens, die Riskaversion bzw. Bayesian

Updating – deskriptiv falsch sind. Die Entscheidung unter Unsicherheit, vor allem die Schät-

zung der Eintrittswahrscheinlichkeit bzw. die Quantifizierung der Unsicherheit, ist eine Auf-

gabe mit hoher Komplexität. Zur Reduktion dieser Komplexität werden verkürzende kogniti-

ve Prozesse – wie die Representativeness, das Anchoring, die Availability oder das Overcon-

fidence – angewandt. Dies führt dazu, dass die deskriptive Entscheidung systematisch von der

normativ rationalen Entscheidung abweicht. Die Benutzung der Representativeness-Heuristik

führt beispielsweise zu systematischen Fehlern bei der Einschätzung der Wahrscheinlichkei-

ten,62 und aus einer solchen Fehleinschätzung resultiert eine fehlerhafte Erwartung und die

damit verbundene fehlerhafte Entscheidung.63 Das Behavior-Paradigma benutzt die Erkennt-

nisse aus der Sozialpsychologie sowie der Entscheidungstheorie als Grundlage für die Verhal-

tensannahme, dass sich Menschen nur beschränkt rational verhalten können. Somit kann die

Behavioral Finance auch als eine Synthese von Finanzmarkttheorie, Psychologie und Ent-

scheidungstheorie betrachtet werden.

61 Vgl. Kahneman, Slovic und Tversky (1982); 62 Die diesbezüglichen empirischen Untersuchungen siehe: Kahneman und Tversky (1973) S. 49ff; „In general, three types of information are relevant to statistical prediction: (a) prior or background information (base rates); (b) specific evidence concerning the individual case; (c) the expected accuracy of prediction. A fundamental rule of statistical prediction is that expected accuracy controls the relative weights assigned to specific evidence and to prior information. When expected accuracy decreases, predictions should become more regressive, that is, close to the expectations based on prior information. In our studies, expected accuracy was low, and prior prob-abilities should have been weighted heavily. Instead, our subjects predicted by representativeness, that is, they ordered outcomes by their similarity to the specific evidence, with no regard for prior probabilities.” Vgl. Kah-neman und Tversky (1973) S. 51; 63 Die Representativenessheuristik betrifft die Einschätzung des Übereinstimmungsgrades zwischen einer Stich-probe und einer Grundgesamtheit. In einem stabilen Umfeld leistet sie einen Beitrag zur Erhöhung der be-schränkten Kapazität. Jedoch ist diese Shortcut-Strategie fehleranfällig: Die a priori Wahrscheinlichkeiten kön-nen dadurch weitgehend vernachlässigt werden, und die Wahrscheinlichkeitsurteile können systematisch von denen abweichen, die sich bei Anwendung von Bayes’s Gesetz für die Bestimmung bedingter Wahrscheinlich-keiten ergeben. Bei der Verwendung der Repräsentativitätsheuristik dient die wahrgenommene Ähnlichkeit mit vorhandenen Erfahrungen oder kognitiven Bildern als Urteilsdeterminante. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Stichprobe von einer bestimmten Wahrscheinlichkeitsverteilung generiert wurde, wird anhand des Ausmasses geschätzt, in dem die Stichprobe den statischen Prozess repräsentiert oder ihm ähnelt. Die Repräsentativität wird auch verwendet, um die Wahrscheinlichkeit zu schätzen, ob ein Objekt aus einer Klasse stammt oder ob eine Wirkung auf eine Ursache zurückzuführen ist. Sie führt beispielsweise dazu, dass man Gefahren mit niedrigen Eintrittswahrscheinlichkeiten fürchtet, sobald man ein erstes Anzeichen sieht, welches für die Gefahr hoch reprä-sentativ ist. Darauf sind ebenfalls Fehleinschätzungen zurückzuführen, in denen die Tendenz einer Rückkehr zum Mittelwert entweder ignoriert oder missverstanden wird. Vgl. Tversky und Kahneman (1971), (1972), (1973); Mass und Weibler (1990) S. 82-89;

Behavior-Paradigma

34

Das Etablierung des Behavior-Paradigmas ist jedoch ein langdauernder Prozess. Schon in den

30er Jahren erkannte Keynes die entscheidende Rolle der Marktteilnehmer im Markt. Keynes

zufolge ist der Assetpreis primär eine soziale Konvention, ein „Nichts“, das sowohl auf harten

Faktoren (wie fundamentalen Faktoren) als auch auf weichen Faktoren (wie Vertrauen) be-

ruht. Die Bestimmung des Assetpreises ist somit nicht eine rein mathematische Aufgabe, denn

im realen Aktienmarkt spielt der soziale Aspekt auch eine wichtige Rolle. Mit anderen Wor-

ten hat die Preisfindung auch eine soziale Dimension in sich, und aus dieser Sicht reflektiert

der Aktienpreis auch die weichen Faktoren. Keynes postuliert, dass die Marktbewertung

gleichzeitig durch die Massenpsychologie beeinflusst wird und dass die sozialen Konventio-

nen – die konventionellen Erwartungen – eine entscheidende Rolle am Aktienmarkt spielen.

Der behavioralen Hypothese von Keynes wird jedoch keine Beachtung geschenkt. „Truth

always makes its way to the surface.” Im Jahre 1981 hat Shiller mit seinem Paper, der eine

starke Abweichung des tatsächlichen Marktpreises von dem fundamental gerechtfertigten

Preis empirisch belegte, die sogenannte „volatility debate“ ausgelöst. Shiller’s Position stiess

jedoch auf Ablehnung durch die herrschenden Lehre, welche die „excess volatility“ aus-

schliesslich auf Methoden- bzw. Datenprobleme zurückführte. Der Crash 1987 zeigte dann

aber mit aller Deutlichkeit die Existenz der „excess volatility“. Die Frage, wodurch eigentlich

die Aktienkurse bestimmt wurden, wurde wieder Gegenstand der Diskussionen. Culter, Poter-

ba und Summers (1989) haben in ihrer Studie belegt, dass sich die Preise auch in Abwesen-

heit von neuen fundamentalen Informationen stark bewegen können. D.h., neben fundamenta-

len Faktoren sind auch andere Faktoren für Preisveränderungen verantwortlich. Shiller (1989)

betrachtete die behavioralen Faktoren wie Herdentrieb oder Fad als erklärende Variablen.64

Zur Erklärung der „excess volatility“ hat Black (1986) das Konzept der „Noise Trader“ ent-

wickelt. De Long, Summers, Shleifer und Waldmann (1990a, 1990b) setzten das Konzept von

Black in einem theoretischen Modell mit der Idee um, dass das „Noise Trader Risk“ eine ent-

sprechende Prämie verlange. In den 90er begann das Paradigma langsam zu ändern, nachdem

eine Reihe von Forschern – wie DeBondt und Thaler (1985, 1987, 1990); Poterba und Sum-

mers (1989); Stein (1989); Bernard (1993), Jegadeesh und Titman (1993); Chan, Jagadeesh

und Lakonishok (1996); Rouwenhorst (1998); Daniel und Titman (1999) – in ihren empiri-

schen Untersuchungen die Über- bzw. die Unterreaktionen des Marktes festgestellt hatten.

64 Shiller betrachtet die Modeerscheinung als Epidemieausbreitung. Wichtige Parameter seines Modells sind die Infektionsrate, mit welcher Kaufs- bzw. Verkaufsempfehlungen übertragen werden, sowie die Beseitigungsrate, welche diesen Entscheid wieder rückgängig macht. Infektions- und Beseitigungsrate ermöglichen die Beschrei-bung verschiedener dynamischer, aus sozialer Interaktion hervorgegangener Muster, welche mit einer Mean-Reversion-Bewegung im Aktienpreis konsistent sein können. Vgl. Shiller (1989 b) S.16 ff.

Behavior-Paradigma

35

Der Glaube, dass der Aktienpreis immer „korrekt“ (Reflexion aller fundamentalen Informati-

on) sei, wurde durch die empirische Evidenz der Über- bzw. der Unterreaktionen immer mehr

in Frage gestellt, und immer mehr Beachtung wurde den behavioralen Aspekten des Marktes

geschenkt. Mit den Erkenntnissen aus der Entscheidungstheorie und der Sozialpsychologie

haben De Bondt und Thaler (1995) darauf aufmerksam gemacht, dass die normativ rationale

Entscheidung bzw. Erwartung deskriptiv falsch und deshalb ein Paradigmawechsel notwendig

sei. Ende 90er Jahre begann sich das Behavior-Paradigma zu etablieren. Viele Forscher – wie

Hong und Stein (1997, 1998, 1999, 2000); Daniel, Hirshleifer und Subrahmanyam (1997,

1998, 1999); Barber und Odean (1999a, 1999b, 2000); Barberis, Shleifer und Vishny (1998);

Haugen (1999); Odean (1998a, 1998b); Shefrin (2000); Shiller (1997, 2000) – haben die reali-

tätsfremde Rationalitätsannahme verworfen, und bei der Beschreibung bzw. Erklärung des

Marktgeschehens gingen sie von der Verhaltensannahme aus, welche sich auf die Erkenntnis-

se der Entscheidungstheorie bzw. der Sozialpsychologie stützte. Dadurch wird dem Behavior-

Aspekt des Marktes Rechnung getragen.

Was den Behavior-Aspekt des Marktes betrifft, liegt ein grosser Nachholbedarf vor, denn

bisher wird dieser Aspekt faktisch ignoriert und der von dem traditionellen Konzept vorge-

stellte Finanzmarkt ist eigentlich ein Finanzmarkt ohne Marktteilnehmer. Es ist nicht überra-

schend, dass die Erklärungsmacht des traditionellen Konzepts nicht gross ist, weil das Markt-

geschehen auch das reale Verhalten der Marktteilnehmer reflektiert. Die Erwartungen bzw.

die Entscheidungen des Marktteilnehmers, wenn auch diese im Vergleich zu einem idealen

Bild verzerrt sind, bestimmen schliesslich das Marktgeschehen, und folglich muss bei der

Beschreibung und Erklärung des Marktgeschehens der Behavior-Aspekt genügend berück-

sichtigt werden. Mit der Berücksichtigung der Behavior-Aspekte humanisiert die Behavioral

Finance die Finanzmarkttheorie: Die Rolle der Marktteilnehmer ist nicht mehr marginal son-

dern steht im Zentrum der Überlegungen.

Für die Finanzmarkttheorie ist die Humanisierung eine Bereicherung. Viele Nachbardiszipli-

nen haben diesen Humanisierungsprozess, wobei der auf dem rationalen Konzept basierende

neoklassische Ansatz durch den Behavioransatz bereichert ist, schon längst hinter sich. La-

borökonomen setzen sich beispielsweise schon seit langer Zeit mit dem Behavior im Arbeits-

markt und dessen Einfluss auf das Gleichgewicht auseinander: Die unvollständigen Informa-

tionen, die Suchintensität und Motivation des Individuums können als Erklärungsfaktoren für

die Arbeitslosigkeit herangezogen werden; Die Unsicherheit der Arbeitnehmer bezüglich ih-

Behavior-Paradigma

36

res Arbeitsplatzes sowie ihr Wunsch nach einem stabilen Lohn führen zu Lohnstarrheiten

sowie einer Abweichung vom neoklassischen Gleichgewichtspunkt; Die rücksichtslose Aus-

übung der Verhandlungsmacht durch die Gewerkschaft kann dazu führen, dass eine ineffi-

ziente Lösung zustande kommt; Die Unternehmungen haben anstatt eines den Markt räumen-

den Gleichgewichtslohns den Effizienzlohnsystem zu implementieren, weil die Motivation

der Arbeitnehmer zu berücksichtigen ist; Die Heterogenität der Arbeitnehmer führt zur Seg-

mentierung des Marktes, so dass eine wichtige Rahmenbedingung für das Gleichgewichtsmo-

dell im neoklassischen Sinn fehlt. Für den neoklassischen Ansatz, in welchem die Vernunft

alleine regiert, stellt die Mitberücksichtigung des Behaviors eine Bereicherung dar. Die Fi-

nanzmarkttheorie gehört leider immer noch zu den wenigen Disziplinen innerhalb der Öko-

nomie, in welcher dem behavioralen Aspekt noch nicht genügend Rechnung getragen wird.

Mit der Behavioral Finance, einer deskriptiven Theorie, soll dieses Defizit abgebaut werden.65

65 Behavioral Finance ist keine normative Theorie.

Behavior-Paradigma

37

Kapitel 2 Zur Notwendigkeit des Paradigmawechsels

Ein wichtiger Grund, weshalb das rationale Konzept den Behavior-Aspekt ignoriert, liegt im

Glauben an die Fehlerfreiheit des Marktes, deren Garant die Marktdisziplin ist. Wenn der

Markt tatsächlich fehlerfrei wäre, wie es sich das normative Konzept vorstellt, dann wäre die

Thematik „Behavior“ im Hinblick auf Beschreibung bzw. Erklärung des Marktgeschehens

überflüssig und irrelevant. Dieses Kapitel widmet sich somit der Frage, ob die Marktdisziplin

hinreichend für einen fehlerfreien Markt ist.

2.1 Die empirische Evidenz

2.1.1 Der Fall von LTCM

Die Long Term Capital Management (LTCM) ist ein Hedge Fund mit renommierten Partnern

wie Nobelpreisträger Myron Scholes und Robert Merton oder John Meriwether, ein Pionier in

der Fixed-Income Arbitrage. Zwischen 1994 und 1997 hat LTCM spektakuläre After-Fee-

Renditen generiert: 19.9% im Jahre 1994, 42.8% im Jahre 1995, 40.8% im Jahre 1996 und

17.1% im Jahre 1997.66 Die Schwierigkeiten tauchten im Jahr 1998 auf, als sich der Markt

entgegen den Erwartungen entwickelte und der Leverage von 100:1 zu einem hohen Eigenka-

pitalverlust führte, folglich sank das verwaltete Fundskapital von 7 Milliarden US-$ auf 4

Milliarden US-$ ab. Schliesslich intervenierte die Federal Reserve Bank of New York, um

den Kollaps zu verhindern. Das LTCM-Desaster wirkt wie ein Erdbeben in der Finanzindust-

rie und löste ein Umdenken aus.

66 Vgl. US-President’s Working Group on Financial Market (1999) S.12.

„Markets can remain irrational longer than you

can remain solvent.“ - J.M. Keynes

Behavior-Paradigma

38

Eine wichtige Strategie der Renditegenerierung der Hedge Funds wie LTCM liegt in der Aus-

schöpfung der Arbitragemöglichkeiten – Kapitalisierung der Marktfehler – mit Hilfe des Le-

verage, um Überschussrendite zu erwirtschaften. Die zur Kapitalisierung der Marktfehler mo-

tivierte Arbitrage wird im traditionellen Konzept als Disziplinierungskraft des Marktes be-

trachtet, und die Vertreter der traditionellen Theorie postulieren, dass die Marktdisziplin hin-

reichend für eine sofortige Fehlerkorrektur sein sollte, weil die Ausübungen der Marktdiszip-

lin – die entsprechende Arbitrage – durch einen sicheren Gewinn ohne Risiken entschädigt

werden und der risikolose Gewinn schliesslich die Fehlerkorrektur erzwingen sollte. Demzu-

folge sollte der Markt stets frei von behavioralen Verzerrungen sein. Zur Illustration, ob diese

normative Aussage auf der deskriptiven Ebene zutrifft, d.h., ob die entsprechende Arbitrage

tatsächlich die Fehler sofort und ohne Risiken korrigiert, wird hier eine konkrete zur Kapitali-

sierung der Marktfehler motivierte Transaktion von LTCM unter die Lupe genommen.

Die LTCM verfügt beispielsweise über grosse Beteiligungen an den beiden Firmen „Royal

Dutch Petroleum“ und „Shell Transport and Trading“, welche als alleinige Inhaber des ge-

meinsamen Joint-Unternehmens „Royal Dutch/Shell“ fungieren, dessen Cashflows vertrags-

mässig in einem Verhältnis von 3:2 zwischen „Royal Dutch Petroleum“ und „Shell Transport

and Trading“ geteilt werden. Die Ratio von 3:2 sollte somit äquivalent zur Ratio der Marktka-

pitalisierung beider Unternehmen sein, da die beiden Unternehmen dasselbe Underlying – die

erwarteten zukünftigen Cashflows des Joint-Unternehmens „Royal Dutch/Shell“– besitzen

und die Verteilung dieser Cashflows im Verhältnis 3:2 konstant ist. Der Marktwert von „Roy-

al Dutch Petroleum“ sollte somit in einem fehlerfreien Markt 1.5-mal so hoch sein wie der

Marktwert von „Shell Transport and Trading“. Die Aktien von „Royal Dutch Petroleum“

werden an der London Stock Exchange gehandelt, die Aktien von „Shell Transport and Tra-

ding“ dagegen an der New York Stock Exchange.

In der Praxis weist der tatsächliche Marktpreis oft eine Abweichung vom theoretischen Soll-

preis auf. Die Aktienpreise von „Royal Dutch Petroleum“ und „Shell Transport and Trading“

machen in dieser Hinsicht auch keine Ausnahme, so werden die Aktien von „Shell Transport

and Trading“ in New York nicht der Parität entsprechend, sondern mit einem traditionellen

Diskont von 18% im Vergleich zu den Aktien von „Royal Dutch Petroleum“ gehandelt.

LTCM betrachtet den Marktfehler – den 18%-igen Diskont – als gegeben, und eine Arbitrage

zur Kapitalisierung des Marktfehlers wird erst dann unternommen, wenn sich der Fehler ver-

grössert, d.h., wenn der Diskont höher als 18% liegt. In diesem Fall wird ein sog. Pairs Trade

Behavior-Paradigma

39

betrieben: LTCM geht eine Long-Position in „Shell Transport and Trading“ und eine entspre-

chende Short-Position in „Royal Dutch Petroleum“ ein, in Antizipation eines Short-Term Pro-

fits, wenn der Diskont zu seinem traditionellen Wert zurückkehrt. Dies ist eine Variante der

marktneutralen Strategien. Aber der Fehler im Markt kann trotz der Arbitrage dauerhaft sein,

anstatt zu verschwinden. Im Jahre 1998 blieb der Diskont nicht nur konstant über 18%, son-

dern er vergrösserte sich am Ende des Jahres weiter, ohne zu seinem traditionellen Wert von

18% zurückzukehren.67 Somit erlitt der LTCM Pair Trade einen empfindlichen Papierverlust.

Der massive Kapitalabfluss zwang LTCM, diesen Verlust sofort zu realisieren, anstatt auf

Recovery zu warten. Die zur Kapitalisierung von Marktfehlern motivierte Transaktion von

LTCM erreichte ihr Ziel nicht, und der Traum „sicherer Gewinne ohne Risiken“ platzte.

Aus der Sicht des traditionellen Konzepts ist die LTCM-Strategie in dieser Transaktion wenig

vorzuwerfen. LTCM hat eine einfache und transparente Konstruktion zur Schaffung der Ar-

bitragemöglichkeiten aufgebaut, indem zwei Firmen mit gleichem Underlying an zwei Börsen

gebracht werden. Der Diskont offenbart die Fehlbewertung des Marktes, weil beide Aktien

nach Adjustierung der Cashflowverteilungsratio im Verhältnis von 3:2 denselben inneren

Wert haben und somit der Parität entsprechend gehandelt werden sollten. LTCM war in die-

sem Fall nicht unvorsichtig oder realitätsfremd. Die traditionelle Fehlbewertung des Marktes,

ein 18%-iger Diskont, wird respektiert, und LTCM agierte erst dann als rationaler Arbitrageur

(Kapitalisierung der Marktfehler), wenn sich der Fehler vergrösserte. Gemäss dem rationalen

Konzept sollte die Transaktion von LTCM einen risikolosen Gewinn erwirtschaften können,

wenn die entsprechende Arbitrage tatsächlich eine sofortige Eliminierung der Fehler impli-

ziert. Die Erfahrung aus dem Fall von LTCM zeigt jedoch, dass die Existenz der Arbitrage –

die Disziplinierungskraft des Marktes – im Hinblick auf die sofortige Fehlerkorrektur eine

notwendige aber keine hinreichende Bedingung darstellt, und dass Bedingungen für eine

strenge Marktdisziplin im realen Kontext fehlen können, so dass der Noise Trader den ratio-

nalen Arbitrageur aus dem Markt verdrängt. Der informierte rationale Arbitrageur könnte im

realen Kontext durchaus Opfer „der blinden Masse“ sein, wenn der Preis primär die Durch-

schnittsmeinung anstatt die "korrekte" Meinung reflektiert und der Mechanismus der Fehler-

korrektur nicht in vollem Umfang seine Macht entfalten kann. Der Fall von LTCM hat die

empirische Evidenz unterstrichen, dass erstens der Markt nicht fehlerfrei ist, dass zweitens die

Arbitrage - die Ausübung der Disziplinierungsmacht - unter realen Bedingungen mit Risiken

verbunden ist, und dass drittens die Existenz der Disziplinierungskraft nicht zwingend eine

67 Der Fall der Arbitrage des LTCM in Bezug auf Royal Dutch/Shell vgl. Shefrin (2000): S. 6f.

Behavior-Paradigma

40

sofortige Eliminierung der Fehler impliziert. Die Frage der Marktdisziplin ist primär eine em-

pirische Frage, diesbezüglich genügt die subjektiv normative Vorentscheidung nicht. Die Ver-

treter der rationalen Theorie - Myron Scholes und Robert Merton – haben nun selber erfahren,

wie gravierend es ist, wenn das theoretische Konzept auf der deskriptiven Ebene nicht zu-

trifft.68

68 Eine realitätsfremde Finanzmarkttheorie kann auch ihren Anwendern enormen Schaden zufügen.

Behavior-Paradigma

41

2.1.2 Hedge Funds

Arbitrage, die Kapitalisierung der Marktfehler, ist eine stolze und geheime Waffe des „hoch-

talentierten“ Hedge Fund Designers zur Generierung der Überschussrendite. Die sogenannten

Makro Funds wie jene von Soros und Robertson versuchen beispielsweise von Ungleichge-

wichten und Verzerrungen in den globalen Volkswirtschaften, welche typischerweise durch

politische Veränderungen ausgelöst werden, zu profitieren. In der Regel investieren Makro

Funds in alle Anlagekategorien, von Aktien über Währungen und Obligationen bis hin zu

Rohwaren. Sie benutzen Fremdkapital (Leverage) und Derivate, um die Wirkung des Einsat-

zes zu erhöhen.69

Anders als Makro Funds versuchen Market Neutral Funds mit den marktneutralen Strategien,

das Marktrisiko auszuschalten, indem gegenläufige Positionen in verschiedenen Wertpapieren

eines einzigen Emittenten eingegangen werden. Ziel ist die Erzielung von Erträgen, die nicht

oder nur gering mit den Aktien- oder Bondmärkten korreliert sind. Auch wenn marktneutrale

Funds häufig mit Leverage arbeiten, ist die erwartete Volatilität einer derartigen Strategie

wegen der Ausschaltung des Marktrisikos typischerweise tief.

Neben diesen wohl bekanntesten Strategien wie Makro und Market Neutral existiert eine

Vielzahl weiterer Strategien: Die „Aggressive Growth“ Strategien investieren entweder in

Aktien, von denen ein hohes Wachstum erwartet wird, oder verkaufen die Aktien leer, bei

denen Gewinnenttäuschungen anstehen. Die „Distressed Securities“ Strategien spezialisieren

sich auf Wertpapiere, deren Wert wegen einer Krise des Unternehmens unterhalb des fairen

Wertes gehandelt wird. Mit „Income“ Strategien fokussieren sich die Funds weniger auf Ka-

pitalgewinne als auf die gegenwärtige Dividendenrendite eines Titels. Die Strategien „Fund of

Funds“ können durch den Mix von Funds mit unterschiedlichen Strategien getreu dem Prinzip

der Diversifikation bleiben, damit ein besseres Rendite/Risiko Verhältnis erreicht wird.

Mit einem überdurchschnittlichen Leistungsausweis und einer hohen Überlebensquote des

Hedge Funds ist zu rechnen, wenn die Arbitrage – Kapitalisierung der Marktfehler – Gewinn

ohne Risiken bringt, oder die Optimierung ein besseres Rendite/Risiko Verhältnis ermöglicht.

69 Da Makro Funds zumeist auf eine einzige Richtung „wetten“, gilt diese Kategorie als die volatilste aller Hedge Funds.

Behavior-Paradigma

42

Tabelle 1: Performance von Hedge Funds

Sharpe Ratios and Average Monthly Returns (1994-1998)

Classification Mean Return Mean Volatility Sharpe Ratio70

Global Marco 0.212 0.179 1.318

Global 0.095 0.220 1.285

Market Neutral 0.068 0.062 4.309

Other 0.115 0.121 1.965

S&P 500 0.210 0.131 1.604

Quelle: US-President’s Working Group on Financial Market (1999) S. A4

Tabelle 2: Überlebensquote von Hedge Funds (1994-1998)

Year Global Macro Macro Market

Neutral

Other Total

1994 91.2% 100.0% 98.7% 100.0% 90.5%

1995 68.4% 94.7% 93.6% 71.7% 85.4%

1996 57.9% 92.9% 87.2% 65.2% 80.4%

1997 42.1% 76.5% 79.5% 63.0% 67.0%

1998 35.1% 62.4% 64.1% 57.6% 57.7%

Quelle: US-President’s Working Group on Financial Market (1999) S.A5

Die US-Untersuchung über die Performance und Überlebensquote der Hedge Funds zeigt

jedoch ein anderes Bild, als Anhänger des traditionellen Konzepts erwartet hätten: Eine

durchschnittliche Performance und eine niedrige Überlebensquote. Die LTCM scheint kein

Einzelfall zu sein, und die niedrige Überlebensquote weist darauf hin, dass die Arbitragestra-

tegie nicht automatisch Gewinne ohne Risiko bringt und dass die Arbitrage – Ausübung der

Disziplinierungsmacht – hingegen mit hohen Risiken verbunden ist (50%-60% Überlebens-

quote). Diese Tatsachen führen zur Auseinandersetzung mit der Frage, warum die Arbitrage-

strategie – der Versuch der Fehlerkorrektur wie im erwähnten Fall von LTCM – durch den

Markt bestraft wird, anstatt grosszügig entschädigt zu werden. Zur Beantwortung dieser Frage

ist es notwendig, mit einer deskriptiven Methode auf die Frage der Marktdisziplin einzuge-

hen.

70 “...Since all the numbers in table are averages of the statistics for individual funds, the average Sharpe Ratio cannot be derived by taking the quotient of the other two columns.” Vgl. US-President’s Working Group on Financial Market (1999) S.A4

Behavior-Paradigma

43

2.2 Die Fehlerkorrektur durch die Marktdisziplin

Auf Finanzmärkten gibt es hauptsächlich zwei Arten von Fehlern: Die Verletzung des einheit-

lichen Pricings und die Verletzung des fairen Pricings. UBS-Aktien sollten in Zürich und

New York beispielsweise nach Berücksichtigung der Faktoren wie Transaktionskosten und

Wechselkursunsicherheit zum selben Marktpreis gehandelt werden. Die Verletzung des ein-

heitlichen Pricings kann durch eine entsprechende Arbitragestrategie – long billig und gleich-

zeitig short teuer – korrigiert werden. Diese Strategie ist dadurch gekennzeichnet, dass ein

Nettogewinn ohne Einsatz von Kapital und ohne Eingehen von Risiken durch Ausnutzung des

Marktfehlers sofort realisiert werden kann. Hinsichtlich des einheitlichen Pricings garantiert

die Arbitrage – Ausübung der Disziplinierungsmacht – die Strenge der Marktdisziplin bzw.

die Ausschaltung von Fehlern dieser Art. Die zweite Art von Fehlern ist die Verletzung des

fairen Pricings, nämlich die Über- oder Unterbewertung eines Titels. Der Fehler dieser Art

kann technisch nicht mit der Arbitrage in engerem Sinn – sofortigem Gewinn ohne Kapital-

einsatz bzw. ohne Risiken – kapitalisiert werden. Eine Arbitrage im weiteren Sinn – long un-

terbewertete Titeln und gleichzeitig short überbewertete Titeln, oder long unterbewerteten

Titel im Spotmarkt und gleichzeitig short denselben Titel im Futuresmarkt – kann zwar unter-

nommen werden, aber die Korrektur der Fehler dieser Art ist mit Unsicherheit verbunden, da

der Gewinn nicht sofort realisiert werden kann. Der Erfolg einer Arbitrage im weiteren Sinn

hängt davon ab, ob und wann sich die Erwartung des Arbitrageurs am Markt durchsetzen

kann.71 Dies führt dazu, dass die Fehlerkorrektur im Falle von Verletzung des fairen Pricings

anders als im Falle von Verletzung des einheitlichen Pricings ist, und folglich die Strenge der

Marktdisziplin nicht dieselbe ist.

In Bezug auf die Frage der Fehlerkorrektur durch die Marktdisziplin ist vor allem die Diszip-

linierungskraft im Falle der Über- bzw. Unterbewertung von zentraler Bedeutung, da behavio-

rale Fehler die Über- bzw. Unterreaktionen zur Folge haben. Somit wird hier nur die Korrek-

tur der Fehler zweiter Art, der Verletzung des fairen Pricings, diskutiert. Der normativer An-

satz postuliert, dass die entsprechende Disziplinierungskraft – die Arbitrage im weiteren Sinn

- hinreichend für eine sofortige Eliminierung der Fehler (Über- bzw. Unterbewertung) sei. Die

Empirie zeigt jedoch, dass diese normative Aussage deskriptiv nicht zutrifft. Zum Verstehen

der tatsächlichen Disziplinierungskraft des Marktes ist es notwendig, mit einer deskriptiven

Methode die Fragen zu diskutieren: I) Die Unsicherheit bei der Fehlerkorrektur; II) Risiken

71 D.h., ob und wann sich der Markt Richtung der Erwartung des Arbitrageurs bewegt.

Behavior-Paradigma

44

bei der Fehlerkorrektur; III) Restriktionen bei der Fehlerkorrektur. Die Fehlerkorrektur ist

kein automatischer Prozess, sie hängt davon ab, ob die Fehlerkorrektur mit Risiken verbunden

ist, und welchen Restriktionen der rationale Arbitrageur unterliegt. Diese Elemente entschei-

den, in welchem Umfang die Fehlerkorrektur vorgenommen wird und erklären, warum die

normative Aussage der empirischen Überprüfung nicht standhalten kann.

2.2.1 Fehlerkorrektur: Eine Entscheidung mit Unsicherheit

2.2.1.1 Fehleranfälligkeit

Der normative Approach postuliert, dass alle preisrelevanten Informationen sofort in den

Preis einfliessen. Zur Beschreibung und Erklärung des tatsächlichen Marktgeschehens ist aber

die Frage von zentraler Bedeutung, wie die Informationen in den Preis einfliessen. Die Ver-

fügbarkeit aller preisrelevanten Informationen impliziert noch nicht, dass diese Informationen

schon in dem Preis sind. Die Informationen müssen zuerst verarbeitet werden, und eine objek-

tive Informationsverarbeitung setzt voraus, dass sowohl subjektive als auch objektive Bedin-

gungen dafür erfüllt sind. Gemäss den Erkenntnissen aus der Entscheidungstheorie bzw. der

Sozialpsychologie bedient sich der Investor zur Bewältigung komplexer Probleme regelmäs-

sig Heuristiken, so dass systematische Verzerrungen bei der Informationsverarbeitung vor-

kommen können.72 Neben der subjektiven Unzulänglichkeit des Investors lässt sich aber auch

die objektive Schwierigkeit feststellen, welche eine objektive Informationsverarbeitung er-

schwert.

Als individueller Marktteilnehmer ist der Investor mit zwei Problemen konfrontiert: Einerseits

mit der Informationsüberflutung aufgrund der ständig verbesserten Verfügbarkeit der Infor-

mationen dank der rasanten IT-Entwicklung und andererseits mit dem Mangel an Key-

Informationen aufgrund deren Unbeobachtbarkeit. Die Informationen jeglicher Art73 sind

reichlich vorhanden und lassen sich billig beschaffen, sei es durch Internet und Massenmedien

oder durch diverse Informationsdienste wie Reuters. Diese Informationen werden erst dann

72 Ausführliche Diskussion über diese Thematik siehe nächste Kapitel. 73 Die Information über die einzelnen Unternehmen und deren Management, über die Branchen, über die volks-wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, über die Konsumenten und deren Wohlstandsniveau usw.

Behavior-Paradigma

45

preisrelevant, wenn sie eine Veränderung der Erwartungen über die zukünftigen Cashflows

auslösen. Vom Standpunkt der Fundamentalanalyse aus sind diejenigen Informationen, wel-

che das zukünftige Matching zwischen Nachfrage und Angebot verändern können, Key-

Informationen. Solche Informationen sind jedoch oft nicht direkt beobachtbar.

Im Hinblick auf die Verschiebung in Bezug auf das erwartete zukünftige Matching zwischen

Nachfrage und Angebot sowie die daraus resultierende Veränderung der erwarteten zukünfti-

gen Cashflows ist beispielsweise Wohlstand eine Kernvariable, die nicht direkt beobachtbar

ist. Es besteht sogar keine Einigkeit darüber, wie der Begriff Wohlstand definiert werden soll.

Der Marktwert von Traded Assets ist zwar ein wichtiger Teil davon, jedoch wird der Markt-

wert von Non-Traded Assets wie Humankapital immer wichtiger. Der wachsende Anteil des

Humankapitals am gesamten Wohlstand sowie die hohe Fluktuation des Marktwerts des Hu-

mankapitals ist eine logische Konsequenz der neuen Tempodimension hinsichtlich der Erneu-

erung und des Veraltens des Wissens im Technologiezeitalter. Anders als in neoklassischen

Ansätzen, in welchen das Einkommen sowie das Konsumniveau durch Traded Assets ge-

schätzt wird, hängt die Veränderung der Erwartung des permanenten Einkommens sowie die

daraus abgeleitete Verschiebung der Nachfrage immer stärker von der Dynamik der Verände-

rung des Marktwerts des Humankapitals ab. Die Unbeobachtbarkeit des Marktwerts des Hu-

mankapitals sowie dessen Veränderung führt aber dazu, dass Wohlstand – eine wichtige Vari-

able im Assetpricing – als eine Schätzgrösse in der Erwartungsbildung fehleranfällig ist. Wie

können die für den Wohlstand relevanten Informationen tatsächlich korrekt in den Preis ein-

fliessen, wenn Wohlstand an sich ein nicht klar abgrenzbarer Begriff ist und keine Einigkeit

darüber besteht, welche Informationen dabei berücksichtigt werden sollen? Im heutigen

Technologiezeitalter, in welchem komplementär zum realen Kapital der Faktor Wissen immer

wichtiger wird74, sind Informationen über Humankapital im Rahmen des Assetpricings be-

sonders wichtig, da die Informationen über den Anteil des aggregierten Humankapitals am

gesamten Wohlstand sowie die Rolle des Humankapitals im Matching zwischen Nachfrage

74 Die Marktkapitalisierung von TMT-Titeln (Technologie, Medien und Telekommunikation) hat einen Anteil von 40% an der gesamten Marktkapitalisierung erreicht. Diese Tatsache kann dahingehend interpretiert werden, dass sie Ausdruck für den Marktwert des Wissens ist, da im TMT-Bereich das Wissen die Kernvariable für die Generierung zukünftiger Cashflows ist. Links für New Economy vgl.: http://www.hoechst-forum.uni-muenchen.de/neweconomy/index.html, oder http://www.nzz.ch/dossiers/dossiers2000/neweconomy/weiterfuehrende_links.html,

Behavior-Paradigma

46

und Angebot bei der Erwartungsbildung über die Veränderungen der zukünftigen Cashflows

unentbehrlich sind.75 Diese Informationen sind jedoch nicht direkt beobachtbar.

Aus Nichtberücksichtigung dieser Informationen könne Fehler resultieren. Beispielsweise

wird das Wohlstandsniveau aufgrund der Unbeobachtbarkeit des Humankapitals oft nach dem

Marktwert der Traded Assets geschätzt, und das Ausklammern des Humankapitals in der

Quantifizierung des Wohlstands kann dazu führen, dass der geschätzte Wohlstand viel kleiner

als der tatsächliche ist. Somit ist einerseits die Schätzung der Risikoaversion, und andererseits

die Schätzung des Konsumniveaus bzw. der Nachfragekurve nicht fehlerfrei (noisefrei). Aus-

gehend von der Asymmetrie zwischen Konsum und Vermögen ist die Wachstumsrate des

Konsums höher als die des Vermögens im Falle einer Aufwärtsbewegung, mit anderen Wor-

ten sollte die erwartete zukünftige Nachfrage sowie das Konsumniveau viel höher sein, wenn

das Humankapital in der Schätzung des Wohlstands mitberücksichtigt wird. Das Spiegelbild

des Humankapitals ist der Faktor Wissen, mit dessen Hilfe sich die Angebotskapazität von der

alten Grenze befreien kann. Als Folge davon verschieben sich sowohl die Nachfragekurve

nach oben als auch die Angebotskurve nach aussen, und ein höheres Niveau der erwarteten

zukünftigen Cashflows resultiert aus dieser Konstellation, was durch einen höheren Assetpreis

zum Ausdruck gebracht wird. Die Erwartung über den Preis ist somit in dieser Hinsicht nicht

unbedingt fehlerfrei, wenn der Marktwert des Humankapitals sowie dessen Nachfragewirk-

samkeit aufgrund der Unbeobachtbarkeit ausgeklammert oder unterschätzt wird.76 Im Grunde

genommen ist die Schätzung unter solchen Bedingungen fehlerbehaftet.

Neben dem Wohlstand können viele Variablen für eine Veränderung des Konsumverhaltens

sowie die Veränderung des Matchings zwischen Nachfrage und Angebot verantwortlich

sein,77 und viele davon sind nicht direkt beobachtbar, beispielsweise sind „Tastes“ unbeob-

achtbar und die Schätzung ihres Einflusses auf die Veränderung des Matchings zwischen

Nachfrage und Angebot ist deswegen mit Unsicherheit verbunden. Ein weiteres Beispiel ist

die unbeobachtbare Technologie: Wie kann die Fähigkeit der neuen Technologie zur Generie-

rung zukünftiger Cashflows korrekt geschätzt werden und welche Informationen sind in die-

75 Die Fähigkeit der IT-Firmen zur Generierung der Cashflows hängt hauptsächlich von deren Humankapital ab. 76 Eine objektive Schätzung des Marktwertes des Humankapitals ist aufgrund der Unbeobachtbarkeit bzw. des Mangels an Daten schwierig. 77 „One major problem is that no matter how many variables we include in an econometric analysis, there always seem to be potentially important variables that we have omitted, possibly because they too are unobservable.” Siehe Black (1986) S.536.

Behavior-Paradigma

47

sem Zusammenhang tatsächlich preisrelevant, also nicht Noise? Die volatile Kursbewegung

im TMT-Index wie Nasdaq liefert wenig empirische Anhaltspunkte dafür, dass der Preis noi-

sefrei ist, zumal die zeitweise persistente hohe Bewertung aus fundamentaler Sicht, nämlich

die Fähigkeit zur Generierung der zukünftigen Cashflows, realwirtschaftlich nicht immer

nachvollziehbar ist. Die empirisch beobachtete Kursentwicklung des TMT-Index hat gezeigt,

dass die Unbeobachtbarkeit der Keyvariablen wie Technologie oder „Tastes“ eine objektive

Schätzung der Veränderung im Matching zwischen Nachfrage und Angebot sowie der Verän-

derung in der Erwartung über die zukünftigen Cashflows nicht immer ermöglicht, und dass

der Kapitalmarkt in diesem Fall inhärent fehleranfällig ist. Diese Fehleranfälligkeit ist Konse-

quenz einer subjektiven Schätzung der unbeobachtbaren Kerngrössen unter Unsicherheit.

2.2.1.2 Fehlerkorrektur: Eine Entscheidung unter Unsicherheit

Angenommen, der rationale Investor habe einen Marktfehler identifiziert: Die Unterbewer-

tung der Aktien der Zurich Financial Services – zu einem Kurs von 520 sFr. – aufgrund der

pessimistischen Stimmung am Markt. Gemäss seiner Fundamentalanalyse gehe der rationale

Investor davon aus, dass ein Aktienpreis von 650 sFr. den Fundamentalwert adäquat reflektie-

ren würde. Er nimmt sofort eine Gegenposition ein, er geht long. Einen sofortigen Gewinn

kann er nicht realisieren, weil der Erfolg seiner Strategie davon abhängt, ob sich seine (ratio-

nale) Erwartung am Markt durchsetzt. Die Entscheidung, eine Arbitrage im weiteren Sinn

vorzunehmen, ist mit Unsicherheit verbunden, weil erstens der Arbitrageur selber fehleranfäl-

lig ist und zweitens der Marktfehler ex ante nicht eindeutig ist.

Wie die Diskussion im vorausgehenden Abschnitt gezeigt hat, ist der Arbitrageur auch dann

fehleranfällig, wenn er frei von subjektiver Unzulänglichkeit ist. Die Unbeobachtbarkeit der

Key-Informationen führt dazu, dass stets eine Unsicherheit hinsichtlich der Informationsver-

arbeitung vorliegt. „There will always be a lot of ambiguity about who is an information

trader and who is a noise trader.”78 Eine Unterscheidung zwischen Information und Noise ist

78 Vgl. Black (1986) S. 533;

Behavior-Paradigma

48

in der Praxis nicht immer möglich.79 Wenn die echte Information nicht in vollem Umfang in

den Preis einfliessen kann, dann ist der Preis noisebehaftet.80 Und die Noise wird informativ,

falls sie in den Preis einfliesst. Die Grenze zwischen Noise (unechter Information) und Infor-

mation kann unter Umständen fliessend sein, wenn die echte bzw. unechte Information primär

dem Updating der Marktpreise dient81. Der Arbitrageur muss demzufolge damit rechnen, dass

seine Informationen noisebehaftet sein können, wenn er rational denkt. Aus diesem Grund ist

der Arbitrageur nicht sicher, ob sich seine „korrekte“ Erwartung tatsächlich durchsetzen kann,

wenn seine „korrekte“ Erwartung vom Marktkonsens stark abweicht. Die Disposition gegen

den Markt kann durchaus ein Fehler sein, demzufolge ist die Arbitrageposition nicht risikolos.

Die Sicherheit darüber, ob und wann sich die „korrekte“ Erwartung tatsächlich am Markt

durchsetzen kann, hängt davon ab, mit welcher Sicherheit der Fehler identifiziert wird. Eine

wichtige Frage in diesem Kontext ist, ob der Fundamentalwert eindeutig festgestellt werden

kann. Eindeutiger Fundamentalwert impliziert eindeutigen Fehler, hingegen ist der Fehler

nicht eindeutig, wenn der Fundamentalwert nicht eindeutig ist. Der Fundamentalwert ist durch

die Erwartung über die zukünftigen Cashflows bestimmt. In einer deterministischen Welt ist

die Unsicherheit in der Erwartungsbildung über die zukünftigen Cashflows eine Pseudounsi-

cherheit, und es lässt sich eine eindeutige Lösung finden. Mit den heutigen Erkenntnissen aus

den Naturwissenschaften haben wir jedoch eine offene Zukunft, und in dieser Offenheit ist

alles möglich: Eine dynamische Verschiebung im ersten und zweiten Moment, eine dynami-

sche Variierung der Zustandspräferenz, eine permanente Veränderung der möglichen zukünf-

tigen Pfade usw. Diese Offenheit impliziert die Uneindeutigkeit in der Erwartungsbildung

über die Zukunft. Die Entschlüsselung des Fundamentalwertes basiert primär auf der vagen

und unsicheren Erwartung über die uneindeutige Zukunft. In diesem Sinne ist die Schätzung

dieses Wertes noisebehaftet und mit Unsicherheit verbunden. Nach der Vorstellung von Black

ist der Markt effizient, wenn die Preis-Wert-Relation zwischen 0.5 und 2 variiert, d.h., wenn

die Abweichung kleiner als Faktor 2 ist.82 Die Zulassung dieser grossen Abweichung resul-

tiert aus der Berücksichtigung der Uneindeutigkeit. Die Uneindeutigkeit des Fundamentalwer-

79 Vgl. Black (1986) S.532: „the information trader can never be sure that they are trading on information rather than noise.” 80 Noise wird hier als unechte Information verstanden. 81 Die Noise ist auch eine Information, wenn sie einen Bestandteil des Marktpreises bildet. „The price of a stock reflects both the information that information traders trade on and the noise that noise traders trade on.” Vgl. Black (1986) S.532 82Vgl. Black (1986) S.533

Behavior-Paradigma

49

tes impliziert, dass der Marktfehler ex ante uneindeutig ist. Daraus geht hervor, dass die Er-

wartung des Arbitrageurs darüber, ob und wann sich seine „korrekte“ Erwartung tatsächlich

am Markt durchsetzen kann, mit Unsicherheit verbunden ist.

Kommen wir zum Beispiel am Anfang dieses Abschnitts zurück: Der Investor, welcher eine

Unterbewertung identifiziert und zur Kapitalisierung des Marktfehlers eine Gegenposition

aufgebaut hat, ist keineswegs sicher, dass seine Disposition einen sicheren Gewinn erwirt-

schaften kann, weil erstens seine Informationen Noise sein können und zweitens der Markt-

fehler nicht eindeutig ist, so dass die Feststellung des Marktfehlers fehlerbehaftet sein kann.

Mit anderen Worten hat der Investor – der Arbitrageur – keine Sicherheit, ob und wann sich

seine „korrekte“ Erwartung am Markt durchsetzen kann. Die Sicherheit ist nur in einer deter-

ministischen Welt gross, hingegen ist in einer Realität, in der die Zukunft offen und die Lö-

sung uneindeutig ist, logischerweise stets die Unsicherheit dabei. Informierte im engeren

Sinn83 gibt es unter realistischen Bedingungen selten, jede Information kann Noise sein. So-

mit kann die durchschnittliche Marktmeinung dauerhaft von der „korrekten“ Erwartung des

Arbitrageurs abweichen, weil die anderen Marktteilnehmer damit rechnen können, dass die

„korrekte“ Erwartung des Arbitrageurs bzw. die Feststellung des Marktfehlers durch den Ar-

bitrageur fehlerhaft ist. In diesem Fall fehlt die Voraussetzung für eine entsprechende Durch-

setzung, mit anderen Worten, die Konvergenz des Marktpreises zu einem Wert – wie dem

Fundamentalwert – ist kurzfristig gesehen nicht zwingend, wenn die „korrekte“ Erwartung

des Arbitrageurs nur als eine heterogene Erwartung unter vielen verschiedenen Erwartungen

wahrgenommen wird und zudem alle diese Erwartungen pure Noise sein können. Darüber

hinaus ist die Konvergenz des Marktpreises zu einem konstanten Fundamentalwert bei lang-

fristigem Zeithorizont auch nicht zwingend, denn warum sollte der Fundamentalwert langfris-

tig gesehen eine statische Grösse sein? In einer offenen Welt, wo unerwartete externe Schocks

die möglichen zukünftigen Pfade permanent verändern, sollte er dynamisch sein.

Gemäss dem Postulat des normativen Ansatzes sollte die Disziplinierungskraft - Arbitrage im

weiteren Sinn - hinreichend für eine sofortige Eliminierung der Fehler sein, weil eine gross-

zügige Entschädigung – der Gewinn ohne Risiken – diese Eliminierung erzwingt. Entgegen

den Vorstellungen des normativen Ansatzes ist die tatsächliche Entschädigung der Fehlerkor-

rektur doch nicht grosszügig, weil die Fehlerkorrektur stets mit Risiken verbunden ist. Die

83 D.h., die Fähigkeit besitzen, echte Informationen von Noise zu unterscheiden.

Behavior-Paradigma

50

Unsicherheit hinsichtlich der Korrektheit der Informationen, die Uneindeutigkeit des Markt-

fehlers sowie die Ungewissheit in Bezug auf die Durchsetzbarkeit der „korrekten“ Erwartung

implizieren, dass die Fehlerkorrektur im realem Kontext nicht risikolos ist. Die Existenz die-

ses Risikos bedeutet, dass der Markt über keinen Mechanismus verfügt, welcher eine soforti-

ge Eliminierung der Fehler garantiert. Wie jede normale Investitionsentscheidung ist die Ent-

scheidung, eine Position gegen den Fehltrend des Marktes (Über- bzw. Unterbewertung) auf-

zubauen, primär durch eine Rendite-Risiko Überlegung bestimmt, der Fehltrend des Marktes

offenbart zwar die Gewinnchance, aber zur Realisierung dieses Gewinnes muss auch entspre-

chendes Risiko eingegangen werden. Es ist weiterhin eine Welt ohne „free lunch“, also arbit-

ragefrei, wenn auch nicht fehlerfrei.

Behavior-Paradigma

51

2.2.2 Die Risiken der Fehlerkorrektur

Die Diskussion im vorausgehenden Abschnitt hat gezeigt, dass die Fehlerkorrektur mit Risi-

ken verbunden ist, weil der Arbitrageur – derjenige, welcher die Fehlerkorrektur vornimmt –

keine Sicherheit hat, ob und wann sich seine „korrekte“ Erwartung am Markt durchsetzen

kann. In dem realen Kontext ist die Fehlerkorrektur – der Aufbau einer Position gegen den

Fehltrend des Marktes – eine riskante Entscheidung, weil einerseitzs der Arbitrageur mit dem

Noise-Trader-Risk konfrontiert ist und andererseits der Fehltrend aufgrund der Unterstützung

durch Herdentrieb sowie Fad dauerhaft sein kann.

2.2.2.1 Das Noise-Trader-Risk

„In extreme situations, arbitrageurs trying to eliminate the mispricing might lose

enough money that they have to liquidate their positions. In this case, arbitrageurs

may become the least effective in reducing the mispricing precisely when it is the

greatest. Something along these lines occurred with the stocks of commercial banks

in 1990-1991. As the prices of these stocks fell sharply, many traditional value arbi-

trageurs invested heavily in these stocks. However, the prices kept falling, and many

value arbitrageurs lost most of their Funds under management. As a consequence,

they had to liquidate their positions, which put further pressure on the prices of

banking stocks. After this period, the returns on banking stocks have been very high,

but many value Funds did not last long enough to profit from this recovery.”84

Dieser Effekt, welcher die der Preis-Wert-Differenz entgegenwirkende Arbitrage dämpft, ist

das sog. Noise-Trader-Risk.85 Damit wird ein Risiko bezeichnet, welches erst durch Noise

Trading selbst zustande kommt und von Arbitrageuren mit einem kurzen Zeithorizont getra-

gen werden muss. Das Vorgehen der Noise-Trader löst Unsicherheit in dem Sinne aus, als

dass keine Prognose gemacht werden kann, ob die Noise-Trader ihre Meinung beibehalten

oder nicht. Der heute spekulierende Akteur könnte nämlich morgen noch euphorischer wer-

den oder weitere Noise-Trader zum Kauf von Papieren stimulieren.86 Diejenigen Arbitrageu-

re, welche in einer solchen Situation ihre leerverkaufte Position eindecken müssen, erleiden

84 Vgl. Shleifer und Vishny (1997) S. 53 85 Vgl. DeLong, Shleifer, Summers und Waldmann (1990) S. 704 86 Möglicherweise werden weitere Noise-Trader versuchen, auf den fahrenden Zug steigender oder fallender Aktienpreise aufzuspringen, um ihre Profite nach dem Motto „the trend is your friend“ zu realisieren.

Behavior-Paradigma

52

einen Verlust, und der Verlust wird nicht durch einen späteren Gewinn im Falle einer Kurs-

korrektur kompensiert, wenn der Arbitrageur aufgrund der eigenen Restriktionen nur mit ei-

nem kurzen Zeithorizont arbeiten kann.87 Daraus geht hervor, dass nicht allein das Verhältnis

von Noise-Tradern zu Informierten, sondern auch die Anlagehorizonte von Bedeutung sind.

Das Noise-Trader-Risk könnte zeitweise die Arbitragefähigkeit des Aktienmarktes in be-

stimmten Segmenten stark dämpfen, wenn der Anlagehorizont der Noise-Trader gleich oder

grösser demjenigen der Informierten ist.88

2.2.2.2 Der Fehltrend: Herdentrieb und Fad

Wie die Diskussion in dem vorausgehenden Abschnitt zeigt, ist der „Fair-Value“ keine ein-

deutige Grösse, somit ist es auch nicht eindeutig, ob ein Trend tatsächlich fehlerbehaftet ist. Je

uneindeutiger der „Fair-Value“ ist, d.h., je uneindeutiger der Fehler ist, desto riskanter ist die

Position gegen den „falschen“ Trend, welche zur Kapitalisierung der Marktfehler aufgebaut

wird, weil erstens jeder Trend über eigene Begründung verfügt89 und zweitens der Anschluss

an einen Trend dem durchschnittlichen Marktteilnehmer die Sicherheit gibt, welche ihm auf-

grund der Uneindeutigkeit fehlt. Folglich kann Herdentrieb oder Fad dauerhaft sein, und in

diesem Fall ist die Arbitrageposition gegen den „falschen“ Trend sehr riskant.

Der Herdentrieb ist dadurch charakterisiert, dass die Investitionsentscheidungen anhand von

vergangenen Kursentwicklungen anstelle von fundamentalen Daten getroffen werden.90 D.h.,

dass ein Teil der Investoren als Momentum-Investor agiert. Der einem Herdentrieb immanen-

te Gruppenzwang bewirkt das gleichgerichtete Verhalten einer Gruppe von Marktteilnehmern,

wobei sowohl fundamentale als auch nichtfundamentale Gründe diesen Herdentrieb auslösen

können. Die in einem Herdentrieb zum Vorschein kommende Homogenisierung von Anlage-

meinungen kann darauf zurückgeführt werden, dass sich der Mensch mit seinen Entscheidun-

gen wohl fühlt, falls diese im Einklang mit dem Verhalten anderer Marktteilnehmer stehen.

87 Restriktionen der Arbitrageur siehe die Diskussion in dem nachfolgenden Abschnitt. 88 Vgl. DeLong, Shleifer, Summers und Waldmann (1990 a) S.713. 89 Während des TMT-Bubbles fanden die Finanzanalysten stets auch die ökonomischen (fundamentalen) Erklä-rungen für die hohen Marktpreise (Überbewertungen) und empfahlen die Kunden, in die TMT-Titeln zu investie-ren. Nach dem Platzen des Bubbles haben die privaten Investoren in Deutschland beispielsweise Klage gegen die Grossbanken erhoben, weil deren Prognosen bzw. Analysen mit gravierenden Fehler behaftet waren (Fahrlässig-keit). 90 Vgl. Culter, Poterba und Summers (1990) S.63.

Behavior-Paradigma

53

Die Investitionsentscheidungen ist vor allem eine Entscheidung unter Unsicherheit, und durch

den Anschluss an einen Herdentrieb, d.h., die Homogenisierung der eigenen Meinung mit der

Mehrheitsmeinung, gewinnt der Investor mehr Sicherheit. Zur Reduktion der Unsicherheit hat

der Investor somit das Motiv, in den Trend einzuspringen. Das gleichgerichtete Verhalten

führt zu einer massiven Verschiebung im normalen Nachfrage-Angebot-Verhältnis, und

Überkaufe bzw. Überverkaufe können unter Abwesenheit der fundamentalen Informationen

die Kurse massgeblich und dauerhaft beeinflussen.

Unter dem Begriff Fad ist ein Investorenverhalten zu verstehen, bei welchem die Anlageent-

scheide weniger auf das Maximieren von Portfolio-Renditen als auf Modeerscheinungen im

weitesten Sinne abgestützt werden. Das Fad ist dadurch charakterisiert, dass das Investieren in

spekulativen Märkten genau so wie andere soziale Aktivitäten in und out sein und so die

Nachfrage nach Wertpapieren zu- und abnehmen kann, ohne dass auf fundamentale Werte

geachtet wird. Mit anderen Worten sind die Investitionsentscheidungen der Investoren im

Falle von Fad mit der ökonomischen Realität unkorreliert.91 Die Anlage in Wertschriften mit

spekulativem Charakter nimmt für die individuellen Investoren eher die Züge eines Gesell-

schaftsspiels oder einer Wette an und impliziert daher einen anderen als den rein profitmaxi-

mierenden Nutzen, etwa die blosse Lust zu spielen oder soziale Anerkennung. Diese Ansicht

ist motiviert durch die anekdotische Evidenz zahlreicher Spekulationsbooms und Börsenkrä-

che wie etwa dem niederländischen Tulpenboom im 17. Jahrhundert.92 Die Existenz von Fad

ist nicht unbedingt ein Ausdruck der Irrationalität in diesem Gesellschaftsspiel, sie reflektiert

eher die Unsicherheit der durchschnittlichen naiven Investoren bei der Erwartungsbildung

über die Zukunft, da sie meistens über ein nur sehr unvollständiges oder gar kein Modell der

Preisbildung verfügen und auch keinen Zugang zur Wahrscheinlichkeitsverteilung bezüglich

erwarteter zukünftiger Rendite besitzen. In dieser Ungewissheit bietet die Orientierung an

einer zeitgemässen Mode die notwendige Referenzgrösse, weil die Modeströmung beobacht-

91 Vgl. Topol (1991) S.786f. 92 Vgl. Shiller (1989 a) S.50ff; Ein extremes Beispiel von Fad ist die berühmte „Tulipomanie“, die in Holland etwa ein Jahrhundert nach der Einführung der Tulpen aus Konstantinopel ausbrach und die innerhalb weniger Jahre um 1636 ihren Höhepunkt erreichte, als eine einzige Zwiebel der Sorte „Semper Augustus“ mit ihrem Preis von 6000 Gulden in etwa dem Gegenwert eines Hauses samt Garten entsprach. Die Entwicklung scheint als eine Mode der Reichen begonnen zu haben, die einander durch die Extravaganz ihrer Züchtungen zu überbieten trachteten. Schon bald gehörte der Besitz interessanter Tulpen auch bei den einfacheren Leuten zum guten Ton, die freilich, um sich diesen Luxus leisten zu können, am Verkauf ihrer Kreationen interessiert sein mussten. Schliesslich wollte jedermann verkaufen, solange die Preise noch hoch standen, und kaum jemand kaufen. Die Panik war da, und die Preise fielen ins Bodenlose.“ Vgl. Hofstätter (1990) S.29.

Behavior-Paradigma

54

bar und der Fundamentalwert dagegen meistens nicht beobachtbar ist. Folglich ist die Gefahr

grösser, dass fundamentale Überlegungen zeitweise ausser Kraft gesetzt werden, je uneindeu-

tiger der Fundamentalwert ist. Das Vorhandensein von Fad impliziert nicht, dass dadurch risi-

kolose Profitmöglichkeiten geschaffen werden, da die zukünftige Entwicklung von Modeer-

scheinungen kaum oder gar nicht vorhergesagt werden kann. Die Tendenz zur geringen Profi-

tabilität arbitragemotivierter Anlagestrategien nimmt mit der langsameren und langfristigeren

Bewegung von Fad zu, was die Abwesenheit von Arbitrage in solchen langfristigen Zyklen

erklärt. Der über den Fundamentalwert gut informierte Investor wird im Falle eines langen

Fads mit seiner Arbitrageposition gegen den Trend ein substantielles Risiko tragen.93

In der Praxis wird das Risiko, welches aus der Disposition gegen den Trend resultiert, als ein

grosses Risiko betrachtet. Zur Vermeidung dieses Risikos folgen die meisten Marktteilnehmer

der Faustregel wie: „Trend is your friend.“ oder „Gehorche dem Trend.“ Die von diversen

professionellen Marktteilnehmern umgesetzte Momentumstrategie ist beispielsweise eine

Umsetzung dieser Faustregel. Die Entscheidung, als Momentum-Investor zu agieren, ist vor

allem auf die Rendite-Risiko-Überlegung zurückzuführen. Zur Optimierung des Rendite-

Risiko-Verhältnisses kann der Investor im Fall eines Herdentriebs oder Fads in Richtung

Trend anstatt in Richtung des Fundamentalwerts spekulieren. DeLong, Shleifer, Summers und

Waldman argumentieren, dass „in the presence of positive feedback94 investors it might be

rational for speculators to jump on the bandwagon and not to buck the trend.”95 Gemäss empi-

rischer Studien kann die Momentumstrategie tatsächlich eine Überschussrendite generieren.96

Daraus geht hervor, dass der Momentum-Investor nicht ex ante auf der Verlierer-Seite steht.

Aus Sicht der Rendite-Risiko-Überlegung ist es durchaus möglich, dass der am Fundamen-

talwert orientierte Investor, welcher gemäss dem rationalen Konzept den irrationalen Investor

wie Momentum-Investor aus dem Markt verdrängen sollte, zum Momentum-Investor wech-

selt.97 In diesem Fall wird der Fehltrend nicht gedämpft, sondern gestärkt.

93 Vgl. DeLong, Shleifer, Summers und Waldmann (1990 b) S.393f; 94 Positives Feedback ist synonym für Herdentrieb oder Momentum. 95Vgl. DeLong, Shleifer, Summers und Waldmann (1990 b) S.393. 96 Vgl. die Diskussion über die Anomalien im Kapitel 1. 97 “The sing of arbitrage positions can be the opposite of what one needs to move asset prices toward fundamen-tals.” Vgl. DeLong, Shleifer, Summers und Waldmann (1990 b) S.394.

Behavior-Paradigma

55

2.2.3 Restriktionen bei der Fehlerkorrektur

2.3.3.1 Die Trennung von Wissen und Kapital

Nicht nur die oben geschilderten Risiken führen zu einer eingeschränkten Fehlerkorrektur,

sondern auch die eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten in der Praxis. Anders als die Vor-

stellung des normativen Konzepts, wo jeder Marktteilnehmer die Marktfehler korrigieren

kann und will, sind die meisten Marktteilnehmer im realen Kontext aufgrund der ungenügen-

den Informationen und ihres Wissensmangels nicht in der Lage, die Über- bzw. Unterbewer-

tung mit Sicherheit zu identifizieren.98 Der reale Aktienmarkt ist durch eine Trennung von

Wissen und Kapital geprägt,99 und der Boom der Fondindustrie sowie der Vermögensverwal-

tung ist Ausdruck dieser Trennung. Im Hinblick auf die Durchführung einer effektiven Feh-

lerkorrektur – die Arbitrage – ist eine Kombination zwischen dem Know-how der professio-

nellen Spezialisten und dem Kapital von Investoren oft notwendig. Beispiele dafür liefern die

Hedge Funds, wo Kapitalgeber und Arbitrageur („talentierte Spezialisten“) zusammenarbei-

ten,100 weil der Arbitrageur zur Fehlerkorrektur das Kapital von anderen benötigt, um grosse

Marktpreis beeinflussende Positionen aufbauen zu können. Ein fundamentaler Charakter die-

ser Arbitrage liegt in der Trennung der „Brains“ und „Resources“ durch eine Agency-

Relationship.101

2.3.3.2 Kapitalbedarf

Unter realen Bedingungen trägt die Arbitrageaktion, welche die Marktfehler zu kapitalisieren

versucht, einerseits Risiko und benötigt andererseits Kapital.102 Der Arbitrageur kann zwar bei

Kursen, die unterhalb der fundamentalen Werte liegen, einen unterbewerteten Titel kaufen,

ein gleichzeitiger Verkauf desselben Titels zum Fundamentalwert im Spotmarkt zur soforti-

98 Sonst besteht kein Unterschied zwischen professionellen Finanzspezialisten und Masseninvestoren. 99 Dem Wissensträger fehlt das Kapital und es mangelt dem Kapitalinhaber an Wissen. 100 Der Quantum Fund von George Soros verwaltete beispielsweise 20 Milliarden $ Vermögen, und die Short-Spekulation im britischen Pfund im Herbst 1992 war erfolgreich im Hinblick auf die Generierung einer Über-schussrendite. Der Tiger Funds von Robertson hatte in seiner besten Zeit ein verwaltetes Vermögen von mehr als 22 Milliarden $, so dass dessen Investmentdisposition eine den Preis beeinflussende Rolle spielte. 101 Vgl. Shleifer und Vishny (1997) S. 36. 102 Beispiel von „Capital requirement” für Arbitrage im Bondmarkt: Vgl. Shleifer und Vishny (1997) S. 35f.

Behavior-Paradigma

56

gen Realisierung des Gewinns ist ihm aber in den meisten Fällen nicht möglich. Entsprechen-

de Short-Positionen im Futures- oder Terminmarkt sind möglich, sie benötigen aber Initial

Margin und Margin-Pay bei weiterer Kurssenkung. Ein Leerverkauf ist auch margin-pflichtig.

Ein Null-Investment zum Aufbau der Arbitrage-Strategie mit Long-Positionen in unterbewer-

teten Titeln und Short-Positionen in überbewerteten Titeln mit den gleichen Risiken liegt

zwar im Bereich des Möglichen, aber das Problem ist, dass die Realisierung der Gewinne

oder Verluste dieser Strategie erst in einem späteren Zeitpunkt erfolgt, und dass eine weitere

Verzerrung nicht ausgeschlossen werden kann. Deswegen ist die Verfügbarkeit eines Haf-

tungskapitals für den Fall der Realisierung eines Verlustes notwendig.

Die Wirksamkeit der Fehlerkorrektur durch Arbitrage setzt voraus, dass die Arbitrage den

Marktpreis beeinflussen kann. Im normativen Konzept gibt es unzählige kleine Arbitrageure

und die gleichgerichteten Transaktionsentscheidungen dieser Gemeinschaft führen sofort eine

Verschiebung in der Nachfrage-Angebot-Relation herbei, so dass der Preis zwingend zum

einem bestimmten Wert wie Fundamentalwert zurückkehrt. Mit anderen Worten ist die Beein-

flussbarkeit des Preises durch die Arbitrage nicht gegeben, wenn die Arbitrageure zahlenmäs-

sig in einer absoluten Minderheit sind. Die Mehrheit der Investoren sind Laien und meistens

nicht in der Lage, selber die Arbitragemöglichkeiten zu identifizieren. Die spezialisierten pro-

fessionellen Finanzspezialisten, welche die falsche Bewertung kennen, sind im realen Kontext

zahlenmässig in einer absoluten Minderheit und mit wenig Kapital ausgestattet. Die Arbitra-

geposition dieser Spezialisten ist an sich nicht in der Lage, eine Verschiebung der Nachfrage

oder des Angebots auszulösen, um den Preis zu beeinflussen, damit die Korrektur auch tat-

sächlich durchgeführt wird und der Gewinn realisiert werden kann. Angesichts dieser Tatsa-

che benötigt der „einsame“ Arbitrageur eine „Allianz“. Erst mit dem Kapital vieler anderen

kann der Arbitrageur grosse Arbitragepositionen aufbauen, die in der Lage sind, den Preis zu

beeinflussen. Somit benötigt der Arbitrageur einen grossen Kapitaleinsatz zur Sicherstellung

der Wirksamkeit der Fehlerkorrektur durch Arbitrage.103

103 Die von den Hedge Funds verwalteten Vermögen betragen schätzungsweise 300 Milliarden US-Dollar und wachsen jährlich um ca. 20%. Vgl. http://www.vanhedge.com.

Behavior-Paradigma

57

2.3.3.3 Restriktionen

Die reale Arbitrage unterliegt dann Restriktionen, wenn der Arbitrageur auch mit dem Ver-

mögen anderer arbeitet.104 Die Existenz der Agency-Relationship impliziert die Notwendig-

keit der Kontrolle, und die Kapitalabhängigkeit die Macht des Kapitalinhabers als Kontrol-

leur. Suboptimalität oder Fehlentscheidungen sind oft Konsequenz einer Kontrolle, wenn der

Kontrolleur das Geschäft nicht versteht und trotzdem kontrolliert. Das ist der Fall, wenn der

Arbitrageur auch das Kapital von anderen verwaltet und der Kapitalgeber nicht exakt weiss

oder versteht, welche „Spekulation“ der Arbitrageur mit seinem Geld unternimmt.

Als Kriterium der Kontrolle des Kapitalgebers bleibt dann in vielen Fällen nichts anderes üb-

rig, als die Performancemessung pro Zeitperiode. Das Alpha der gegen den Fehltrend gerich-

teten Arbitrageposition sollte zwar langfristig gesehen105 attraktiv sein, aber innerhalb einer

kurzfristigen Zeitperiode106 (bis zu einem Jahr) kann das Alpha negativ sein, wenn der Fehl-

trend weiter dominiert und sich der Anteil der Noise im Preis vergrössert. Die Sicherheit, dass

das Alpha auch in der Kontrollperiode einen genügend positiven Wert annimmt, hat der Ar-

bitrageur somit nicht. Bei einem negativen Alpha, Auftritt von Verlusten, ist der Arbitrageur

mit der Unentschlossenheit des Kapitalgebers konfrontiert, da der Kapitalgeber als Kontrol-

leur mit dem Kriterium „Performance“ aufgrund der Tatsache einer negativen Performance

unsicher wird. Der Verlust, der wegen des Leverage in der Arbitrage wesentlich höher als im

Normalfall ausfällt, kann von den Kapitalgebern als Indiz der Inkompetenz des Arbitrageurs

wahrgenommen werden. Deshalb können weitere Kapitalzuflüsse ausbleiben oder noch

schlimmer, Kapitalrückzug wird vorgenommen,107 wenn auch die erwartete Rendite der Ar-

bitrageposition hoch ist. Bei einer Vergrösserung der Verzerrung sollte der Arbitrageur seine

gegen die Verzerrung gerichteten Positionen eigentlich weiter aufbauen und viel aggressiver

agieren, es sind somit weitere Kapitalzuflüsse notwendig. Unter realen Bedingungen ist je-

104 Die Hedge Funds haben beispielsweise meistens eine hohe Fremdfinanzierung. 105 Langfristigkeit: Der Zeitraum von Mean-Reversion, Korrektur der Bewertungsfehler, hat erfahrungsmässig in der Praxis eine Dauer von 3-5 Jahren. 106 Kurzfristigkeit: Das Momentum (Herdentrieb) hat erfahrungsgemäss in der Praxis eine Dauer von 3-9 Mona-ten. 107 Die Kapitalabflüsse im Verlustfall werden zusätzlich durch den Mechanismus der sich selbst erfüllenden Erwartung verstärkt, weil der wegen des Verlustes motivierte Abfluss oft den Verlust vergrössert und somit zusätzliche Abflüsse auslöst. Der Verdacht auf Verlust kann allein den Verlust herbeiführen, besonders wenn dieser Verdacht eine Liquidation erzwingt. Die schlechte Performance des Tiger Funds von Julian Robertson im Jahr 1999 hatte beispielsweise massive Mittelabflüsse herbeigeführt, so dass Robertson Ende März 2000 die Tore seines Hedge Funds schliessen musste. George Soros und sein Quantum Fund waren im Jahr 2000 mit denselben Problemen konfrontiert.

Behavior-Paradigma

58

doch in einem solchen Fall, in welchem der Verlust aufgrund des Leverage durch eine andere

Dimension als üblich charakterisiert wird, mit Kapitalabflüssen zu rechnen, was oft die Liqui-

dation der Arbitrageposition erzwingt: Eine sofortige Realisierung der Verluste bei Aufgabe

der überdurchschnittlichen Gewinnchance durch sicheres Recovery zu einem späteren Zeit-

punkt.

Aus Mangel an Wissen kann der Kapitalgeber die Recovery oft nicht vorhersehen. Deshalb ist

ihm eine Arbitrageposition gegen den Markttrend zu riskant, besonders dann, wenn ein vorü-

bergehender Verlust auftritt. In diesem Fall ist das Beurteilungskriterium nicht die erwartete

zukünftige Rendite, sondern die bereits realisierte Rendite. Die Zukunftsorientierung ist beim

(naiven) Kapitalgeber als Kontrolleur oft einfach eine Extrapolation des heutigen Zustands in

die Zukunft, und somit kann die Bekanntgabe der Verluste in der Rechenungslegung gravie-

rende Konsequenzen für den Arbitrageur bedeuten. Aus dieser Sicht ist die Performance pro

Zeitperiode für das Überleben des Arbitrageurs entscheidend. Shleifer und Vishny bezeich-

nen die Arbitrage unter einer solchen Restriktion als „performance based Arbitrage“.108

2.3.3.4 Restriktionen: Ein Fallbeispiel

Die „performance based Arbitrage“ unterliegt zwei Restriktionen: Der Performance und dem

Anlagehorizont. Der Arbitrageur muss innerhalb der Rechenschaftsperiode eine positive Per-

formance erbringen. Der Fall der Orange County Bankruptcy liefert ein entsprechendes Bei-

spiel für diese Restriktion.

Der Treasurer des Orange County Investment Pools, Robert Citron, erwartete am Anfang der

90er Jahre eine Tendenz zur Zinssenkung bei Beibehaltung der normalen Zinskurve aufgrund

der Rezession und Desinflation, nämlich eine parallele Verschiebung nach unten. Der Zins

sank von 1989 bis 1993 tatsächlich kontinuierlich und der Spread zwischen 2- und 5-jährigen

Sätzen blieb relativ konstant bei 100 Basispunkten. Zur Kapitalisierung seiner Erwartung ging

er mit einem Repurchase Agreement109 long in 5-jährigen US-Treasuries und short in 2-

108 Vgl. Shleifer und Vishny (1997) S. 37. 109 Repurchase Agreement: purchased five-year Treasury obtained with money borrowed for two years at the two-year rate. Such leveraging corresponds to purchasing stock on margin. Vgl. Shefrin (2000) S.198.

Behavior-Paradigma

59

jährigen US-Treasuries. Die Strategie war erfolgreich bis 1993: Einerseits die Spreadeinnah-

men und anderseits die Wertsteigerung der Eigenmittel bei fallenden Zinsen aufgrund der

positiven Duration.110

Im Jahr 1994 hat die Fed den Zins fünfmal (in den Monaten Februar, März, April, August und

November) erhöht, nachdem die Fed in den vergangenen 5 Jahren den Zins kontinuierlich

gesenkt hatte. Somit verschob sich die Zinskurve im Jahr 1994 nach oben, wobei der Spread

zwischen dem 2- und 5-jährigen Treasury-Satz unverändert blieb. Die steigenden Zinsen führ-

ten dazu, dass der Markwert der Long-Position stärker als der Marktwert der Short-Position

sank und dass Verlust aus dem Repurchase Agreement entstand. Der Orange County Invest-

ment Pool erlitt folglich einen Papierverlust. Aus Angst vor weiteren Verlusten zogen sich die

Investoren des Investment Pools zurück und erzwangen somit die sofortige Realisierung der

Verluste. Im Dezember 1994 ging der Orange County Investment Pool Konkurs mit einem

Verlust von ca. 2 Milliarden US-Dollar. Der Treasurer Robert Citron, der seit 1971 County

Treasurer und die meiste Zeit erfolgreich gewesen war, wurde im Jahr 1995 zu einem Jahr

Gefängnis und einer Geldstrafe von 100'000 US-Dollar verurteilt.111

Nach Merton Milder und David Ross (1997) ist Robert Citron jedoch Opfer der Restriktionen.

Die beiden Autoren weisen darauf hin, dass der Bankrott nicht notwendig gewesen wäre, weil

der Investment Pool im Dezember 1994 weder insolvent noch illiquid war. Noch wichtiger ist,

dass die Zinsentwicklung nach diesem Zeitpunkt eine schnelle und volle Recovery herbeifüh-

ren konnte. Der Verlust kann vermieden werden, wenn der Investor das Portfolio beibehält,

anstatt es zu liquidieren.112 Ex post gesehen dauerte die Tendenz zur Zinssenkung bis Ende

der 90er Jahre an, wie Robert Citron korrekt erwartete. Das Alpha seiner Anlagepositionen

war somit langfristig gesehen ausreichend positiv. Das LTCM-Debakel wäre auch weniger

schlimm gewesen, wenn die Investoren dem Fundsmanager einen längeren Zeithorizont ge-

währt hätten und bei der Beurteilung der Performance der Anlagedisposition nicht nur die

bereits realisierte Rendite sondern auch die erwartete zukünftige Rendite berücksichtigt hät-

ten.

110 Duration der Long-Position ist grösser als die Duration der Short-Position. Bei einer Zinssenkung steigt der Marktwert der Long-Position stärker als der Marktwert der Short-Position. 111 Die komplette Fallstudie über Orange Country Bankruptcy vgl. Shefrin (2000) S. 193-212. 112 Vgl. Shefrin (2000) S.204-205;

Behavior-Paradigma

60

2.2.4 Die Frage der Fehlerfreiheit

Der normative Ansatz postuliert, dass die Marktdisziplin hinreichend für einen fehlerfreien

Markt ist. Die Auseinandersetzung mit der Frage der Marktdisziplin zeigt jedoch, dass die

Existenz der Disziplinierungskraft nicht zwingend die Fehlerfreiheit impliziert. Erstens ist die

Entscheidung zur Fehlerkorrektur eine Entscheidung mit Unsicherheit, d.h., die zur Kapitali-

sierung der Fehler motivierte Arbitrage ist mit Risiken verbunden. Die Annahme, dass die

Fehlerkorrektur durch einen Gewinn ohne Risiko materiell erzwungen wird, ist verfehlt.

Zweitens führen die Risiken bei der Fehlerkorrektur zur Aufweichung der Marktdisziplin. Die

Träger der Fehler (wie Momentum-Investoren) sind nicht ex ante Verlierer und es ist durch-

aus möglich, dass die sogenannten rationalen Arbitrageure (wie Fundamental-Investoren) aus

Profitüberlegung zu den Momentum-Investoren wechseln. Eine Rationalität, welche durch

Gewinnmaximierung gekennzeichnet ist, ist nicht hinreichend für die Eliminierung der Feh-

ler. Drittens haben die Restriktionen bei der Fehlerkorrektur eine Beschränkung des Umfangs

der Fehlerkorrektur zur Folge. Die Trennung von Wissen und Kapital erfordert vom Arbitra-

geur, die Restriktionen hinsichtlich Performance und Zeithorizont zu beachten. Dies führt

dazu, dass der Arbitrageur von dem Aktienmarkt – wo der Fehler uneindeutig, die Volatilität

hoch, und das Verhalten von Noise-Trader unvorhersehbar ist – fern bleibt. Die Restriktionen

bewirken, dass die von dem rationalen Konzept angenommene Fehlerkorrektur am Aktien-

markt in der Tat sehr schwach ist. Kurz, die Marktdisziplin führt noch keine Fehlerfreiheit

herbei.

Die Existenz der Fehler ist doch kein Alptraum für den Markt, im Gegenteil, sie ist ein Kata-

lysator für den Markt. In einem effizienten Markt ohne Fehler lohnt es sich für niemanden,

kostenverursachende Informationen über Fundamentals zu beschaffen, um aufgrund derselben

die Aktienmarkttransaktionen vorzunehmen, welche die Markteffizienz generieren, wenn die

beobachtbaren Marktpreise (kostenlos) in diesem Fall genau den Fundamentalwert widerspie-

geln. Daraus folgt, dass die als informationseffizient geltenden Preise diese unterstellte Effi-

zienz erst gar nicht erreichen können.113 Für das Funktionieren von Kapitalmärkten ist die

Existenz von Fehlern unerlässlich, da ansonsten kein Handel stattfinden würde.114 Existieren

113 Vgl. Grossman und Stiglitz (1976) S. 250. Das Paradoxon informationseffizienter Preise wird auch als Grossman-Stiglitz-Paradoxon bezeichnet. 114 Vgl. Milgrom und Stokey (1982), und Black (1986) S. 530. „From the point of view of someone who knows what both the traders know, one side or the other must be making a mistake. If the one who is making declines to trade, there will be no trading on information.”

Behavior-Paradigma

61

auf einem Markt ausschliesslich informierte Investoren mit der Folge effizienter Preise, d.h.,

ohne Fehler, dann kommt es nicht zu Umsätzen, da Transaktionen auf der Basis von neuen

Informationen keinen Gewinn versprechen. Da Fehler eine notwendige Bedingung informati-

onseffizienter Preise ist, müssen die am Kapitalmarkt beobachtbaren Kurse zumindest in be-

stimmtem Ausmass mit Fehlern behaftet sein. Fehler (Noise) lassen sich nach Menkhoff und

Röckmann durch vier Merkmale charakterisieren:115

Noise erklärt den beobachtbaren Kurs;

Noise basiert auf einem schwächeren Rationalitätsbegriff als die neoklassische

Kapitalmarkttheorie;

Noise geht von der Heterogenität der Anleger an Kapitalmärkten aus;

Noise lässt sich empirisch validieren.

Die konzeptionelle Behandlung der „Fehler“ ist die Kernkompetenz von Behavioral Finance.

Wir kommen nun zum zweiten Teil der Arbeit über „Behaviorale Modelle“.

115 Vgl. Menkhoff und Röckmann (1994) S.279.

Behaviorale Modelle

62

Teil 2 Behaviorale Modelle

Kapitel 3 Grundlagen: Behaviorale Erkenntnisse

3.1 Behaviorale Erkenntnisse

Der Fokus dieses Abschnitts wird auf die Behavior-Biases gerichtet, welche die Grundlagen

der zu überprüfenden Modelle bilden. Zur Beschränkung des Umfangs der Arbeit werden

andere Behavior-Biases überblicksweise behandelt.

3.1.1 Overconfidence

DeBondt und Thaler vertreten die Meinung: „Perhaps the most robust finding in the psychol-

ogy of judgment is that people are overconfident.”116 In seiner Fallstudie über „Overconfiden-

ce in Judgments“ hat Oskamp (1965) festgestellt, dass die Confidence mit der Zunahme der

verfügbaren Informationen deutlich steigt und die Accuracy dagegen relativ konstant bleibt.

D.h., je mehr Informationen verfügbar sind, desto mehr Confidence hat der Entscheidungsträ-

ger, desto overconfidenter ist er im Vergleich zum Durchschnitt. Die Differenz zwischen

Confidence und Accuracy reflektiert den Grad der Overconfidence.117

Tabelle 3: Die Differenz zwischen Konfidenz und Genauigkeit

Measure Stage 1 Stage 2 Stage 3 Stage 4 F P

Accuracy (%) 26.0 24.0 28.4 27.8 5.02 0.01

Confidence (%) 34.2 39.2 46.0 52.8 36.06 0.001 Die Quantität der Informationen steigt von Stage 1 zu Stage 4 kontinuierlich. Overconfidence

ergibt sich aus der Differenz zwischen Confidence und Accuracy.

Vgl. Oskamp (1965): Table 2, “Performance of 32 judges on the 25-item case-study test”, S.291.

Verschiedene Studien haben festgestellt, dass der Mensch overconfident ist.118 Dieses Phä-

nomen manifestiert sich in der Überschätzung der Verlässlichkeit eigener Erfahrungen und

eigenen Wissens bei gleichzeitiger Unterschätzung der Möglichkeiten eigener Fehler. Jeder

116 Vgl. DeBondt und Thaler (1995) S.389; 117 Vgl. Oskampf (1965) S.288-291; 118 Zur Überschätzung eigener Fähigkeiten: Greenwald 1980; Svenson 1981; Cooper, Woo und Dunkelberg 1988; Taylor und Brown 1988; Zur Unterschätzung eigener Fehlervarianz: Alpert und Raiffa 1982; Fischhoff, Slovic und Lichtenstein 1977; Batchelor und Dua 1992; Lichtenstein, Fischhoff und Phillips 1982; Yatas 1990;

Behaviorale Modelle

63

kann selber einen „Overconfidence-Test“ machen. Angenommen, der SPI habe heute

(28.09.2000) einen Indexstand von 5‘500. Die Frage lautet: Was ist Ihre Einschätzung über

den Indexstand des SPI in einem Monat? Anschliessend soll ein maximaler Indexstand prog-

nostiziert werden, so dass mit 99%-iger Sicherheit der SPI nach einem Monat niedriger als

dieser Höchstwert ist. Und dann wird ein minimaler Indexstand prognostiziert, so dass mit

99%-iger Sicherheit der SPI nach einem Monat höher als dieser Wert ist. Die subjektive

Wahrscheinlichkeit, dass der SPI nach einem Monat höher oder niedriger als der Grenzwert

ist, liegt bei 2%. Somit ist ein 98% subjektives Konfidenzintervall festgelegt worden. Es gibt

nun drei Möglichkeiten:

Der SPI kann in einem Monat später höher als der höchste Wert der Einschätzung sein.

Der SPI kann sich in einem Monat später innerhalb des Konfidenzintervalls bewegen.

Der SPI kann in einem Monat später niedriger als der niedrigste Wert der Einschät-

zung sein.

Ein guter Prognostiker kann in 98% aller Fälle seine Einschätzung als korrekt bestätigen. Die

Überraschungsfälle (Fehleinschätzungen) liegen approximativ bei 2%. Vielleicht sind Sie ein

guter Prognostiker. Eine ganze Reihe empirischer Untersuchungen hat festgestellt, dass nur

sehr wenige Leute gute Prognostiker sind. Die Überraschungsfälle in den Studien sind we-

sentlich höher. Das typische Ergebnis beim oben beschriebenen Test ist, dass sich die Fehl-

einschätzungen zwischen 15% bis 20% bewegen, wenn sie ursprünglich nur mit 2% erwartet

worden sind. Das heisst, dass die durchschnittliche Versuchsperson nur 80% sicher ist, wenn

sie behauptet, dass sie 98% sicher ist.119 Mit anderen Worten legt die durchschnittliche Ver-

suchsperson bei der Erwartungsbildung das Konfidenzintervall viel breiter an, als es tatsäch-

lich sein sollte. Dieses Phänomen wird als Overconfidence bezeichnet. Ein interessantes Bei-

spiel der Overconfidence kommt aus der empirischen Untersuchung von Svenson (1988),

wonach 90% der Autofahrer in Schweden der Meinung sind, dass sie überdurchschnittlich gut

fahren. In Bezug auf die Fahrsicherheit sind 82% der Studenten aus USA der Meinung, dass

sie zu den besten 30% ihrer Gruppe gehören.120

Die Overconfidence ist positiv mit dem Schwierigkeitsgrad der Fragestellung korreliert. Bei

extrem schwierigen Fragen121 ist die Möglichkeit von Overconfidence hoch, während bei ein-

119 Vgl. Kahneman und Riepe (1998) S.35; DeBondt und Thaler (1995) S.389f. 120 Vgl. DeBondt und Thaler (1995) S.389f; 121 Overconfidence bei schwierigen Fragen: Fischhoff, Slovic und Lichtenstein 1977; Lichtenstein, Fischhoff und Phillips 1982; Yates 1990; Griffin und Tversky 1992;

Behaviorale Modelle

64

facheren Fragen Underconfidence zu beobachten ist.122 Schwer zu kontrollierende Aufgaben,

begleitet von Noise und erst verspätetem Feedback oder mit offenem Ergebnis, gehören zum

typischen Bereich, in welchem Overconfidence eine wichtige Rolle in der Einschätzung ein-

nimmt. Im Gegensatz dazu ist Overconfidence bei repetitiven Aufgaben mit schnellem und

klarem Feedback (wie Meteorologie) minimal.123 Darüber hinaus ist die Korrelation zwischen

Fähigkeit und Overconfidence positiv: Je fähiger das Individuum ist, desto eher ist es over-

confident.124 Auf den Finanzmärkten herrscht harter Wettbewerb und die Anforderungen sind

hoch. Die aktiven Teilnehmer sind oft diejenigen, deren Qualifikation überdurchschnittlich

hoch ist. Deswegen ist damit zu rechnen, dass das Konfidenzniveau auf den Finanzmärkten

relativ hoch ist. Ein weiterer Faktor, welcher zu Overconfidence führen kann, ist die Survi-

vorship:125 Erfolglose Marktteilnehmer müssen den Markt verlassen und erfolgreiche Markt-

teilnehmer bleiben. Der Erfolgreiche rechnet seinen Erfolg in der Regel seiner Begabung zu,

und nicht auch den Einflussfaktoren wie dem Zufall oder dem Glück. Folglich hat er ein hö-

heres Konfidenzniveau und die Anfälligkeit gegenüber Overconfidence steigt. Demzufolge ist

Overconfidence positiv mit dem Erfolg korreliert. Nicht zuletzt produziert der Prozess „reich

zu werden“ auch Nebenprodukte wie Overconfidence.

Wie andere behaviorale Biases ist Overconfidence nur eine potenzielle Quelle einer Fehlein-

schätzung. In einem stabilen und durchschaubaren Kontext mit schnellem und eindeutigem

Feedback-Mechanismus ist Overconfidence meistens nicht aktiv. Es hängt vom jeweiligen

Kontext ab, ob Overconfidence die Einschätzung verzerrt. Generell ist mit einem Vorliegen

von Overconfidence zu rechnen, wenn die Analyse auf mehrdeutigen subjektiven Informatio-

nen beruht und die Ergebnisse der Analyse wegen eines fehlenden Feedback-Systems schwer

zu beurteilen sind.

Der Finanzmarkt, wo Informationen mehrdeutig sind und das Feedback oft uneindeutig ist, ist

deshalb kaum frei von Overconfidence:126 „There are two main implications of investor over-

confidence. The first is that investors take bad bets because they fail to realize that they are at

an informational disadvantage. The second is that they trade more frequently than is prudent,

122 Vgl. Odean (1998a) S.1892f; 123 Vgl. Daniel, Hirshleifer und Subrahmanyam (1998) S.1845f; 124 Vgl. Odean (1998a) S.1896ff; 125 Vgl. Odean (1998a) S.1896 126 Empirische Evidenz von Overconfidence der Finanzmarktspezialisten: Ahlers und Lakonishok 1983; Elton, Gruber und Gultekin 1984; Froot und Frankel 1989; DeBondt und Thaler 1990; DeBondt 1991;

Behaviorale Modelle

65

which leads to excessive trading volume.“127 Mit seiner Case-Study über Overconfidence hat

Shefrin (2000) festgestellt, dass sowohl die Finanzexperten als auch durchschnittliche Inves-

toren overconfident sind.128

127 Vgl. Shefrin (2000) S.41; 128 Case-Study über Overconfidence von Finanzexperten: Vgl. Shefrin (2000) S.194-205; Beispiele über Over-confidence von durchschnittlichen Investoren: Vgl. Shefrin (2000) S.131-134;

Behaviorale Modelle

66

3.1.2 Representativeness

Die Bedeutung von Ähnlichkeit als beziehungsstiftendes Prinzip kam schon in den gestaltpsy-

chologischen Überlegungen zum Ausdruck. Dieses Prinzip ist unabdingbar, wenn man Objek-

te, Personen oder Zustände als Orientierungsgrösse in der Umwelt benutzt. Es gilt nicht nur

für die Gleichsetzung oder Unterschiedlichkeit verschiedener Objekte, Personen, Zustände

etc., sondern auch für deren Zuordnung zu der für sie äquivalenten Klasse oder Gruppe. Je

grösser die Ähnlichkeit einer einzelnen oder mehrerer Ausprägungen für die typische Merk-

male dieser Klasse oder Gruppe ist, desto eher wird angenommen, dass es sich bei dem zu

betrachtenden Fall um etwas sehr Typisches handelt.

Das Problem liegt darin, inwieweit der zu betrachtende Fall – als Stichprobe verstanden –

repräsentativ für die Grundgesamtheit ist. Eine Repräsentativitätsheuristik ist ein kognitiver

Prozess, welcher versucht, den Grad der geschätzten Übereinstimmung festzulegen, und zwar

für die Urteilsbildung und dabei besonders für Kategorisierung und Wahrscheinlichkeitsurtei-

le. In ihren Untersuchungen über die Repräsentativitätsheuristik haben Kahneman und

Tversky (1972; 1973) festgestellt, dass die Benutzung dieser Heuristik zu fehlerhaften Ein-

schätzungen der Wahrscheinlichkeiten führt.

Diese Heuristik soll anhand eines Beispiels veranschaulicht werden: In der Untersu-

chung von Kahneman und Tversky (1972) werden alle Familien mit 6 Kindern in

einer Stadt befragt. In 72 Familien ist die exakte Geburtenabfolge von Jungen (J)

und Mädchen (M) gegeben durch MJMJJM. Die Versuchspersonen werden aufge-

fordert, die Anzahl der Familien mit einer Geburtenabfolge von JMJJJJ zu schätzen.

Wenn man davon ausgeht, dass die Geburtenhäufigkeit für Jungen und Mädchen

gleich gross ist (sie weichen in der Realität minimal ab, was hier aber unbedeutend

ist) und dass das Geschlecht eines Kindes keine Voraussagen über das Geschlecht

des nächsten enthält, sollten beide Sequenzen gleich wahrscheinlich sein. Aber die

meisten Versuchspersonen, 81.5% der Befragten, betrachten die Geburtenabfolge

von JMJJJJ als unwahrscheinlicher, im Vergleich zu der Geburtenabfolge von

MJMJJM. Der Mittelwert der geschätzten Anzahl der Familien mit einer Geburten-

abfolge von JMJJJJ beträgt 30, weniger als die Hälfte der Anzahl der Familien mit

einer Geburtenabfolge von MJMJJM. Kahneman und Tversky führen die fehlerhafte

Schätzung auf die Repräsentativitätsheuristik zurück:“The two birth sequences are

about equally likely, but most people will surely agree that they are not equally rep-

Behaviorale Modelle

67

resentative. The sequence with five boys and one girl fails to reflect the proportion

of boys and girls in the population.”129

Kahneman und Tversky (1972; 1973) glauben, dass man intuitiv bei Zufallsstichproben Re-

gelmässigkeiten ausschliesst, sie werden als nicht repräsentativ für die Grundgesamtheit er-

achtet. Es lässt sich im Allgemeinen die Annahme einer ausgewogenen Verteilung offenlegen

(Beispiel Roulette: Wer setzt nach 12 mal rot wieder auf rot!), auch wenn definitiv keine Ab-

hängigkeit zu dem vorausgegangenen Ereignis existiert. Es handelt sich dabei um ein regres-

sives Denken, wobei der Glaube dominiert, dass durch einen sich selbst korrigierenden Zu-

fallsprozess ein Ausgleich stattfindet. Dafür gibt es aber bei einer kleinen Stichprobe jedoch

keinen Anlass, weil das Gesetz der grossen Zahlen nur dann gilt, wenn die Stichprobe genü-

gend gross ist.

Weiter werden durch die Benutzung von Repräsentativitätsheuristiken auch die Fälle ange-

sprochen, in denen vorgegebene Wahrscheinlichkeiten vernachlässigt werden, wenn ein In-

formationselement als typisch für eine Kategorie, eine Gruppe oder eine Situation angesehen

wird. Das heisst, sobald Ansätze von Stereotypen in einer Beschreibung erkennbar sind (zum

Beispiel deutet die Beschreibung eher auf einen Ingenieur als auf einen Juristen hin), wird

eine vorgegebene Wahrscheinlichkeit (von 100 Beschreibungen wurden 70 Juristen zugeord-

net) unter Umständen total ignoriert. So ist zum Beispiel denkbar, dass die Aktie eines Unter-

nehmens deshalb stark in die Höhe getrieben wird, weil das Unternehmen in einer bestimmten

Wachstumsbranche wie der TMT-Bereich tätig ist und die Zugehörigkeit zur Branche als re-

präsentativ für hohes Wachstum wahrgenommen wird. Untergewichtet oder gar übersehen

wird dabei vielleicht dessen Fähigkeit zur Generierung der zukünftigen Cashflows. Ähnlich

sieht es auch mit der Attraktivität von Neuemissionen aus. Auch wenn man wüsste, dass Neu-

emissionen statistisch nicht besser als der Gesamtmarkt abschneiden (50% Chance), spielt

dies nicht unbedingt eine Rolle. Solange, durch punktuelle Erfahrung bestärkt und medien-

mässig begleitet, „neu“ schnell mit „besser“ (im Sinne von kurzfristigen Profiten) gleichge-

setzt wird, bleiben Statistiken untergewichtet.130

129 Vgl. Kahneman und Tversky (1972) S. 33f. Ähnliche Untersuchung siehe: Strack (1985); 130 „ Representativeness can be thought of as excessive attention to the strength of particularly salient evidence, in spite of its relatively low weight. „ Vgl. Barberis, Shleifer und Vishny (1998) S.308

Behaviorale Modelle

68

Bar-Hillel (1982) zufolge führt die Benutzung von Repräsentativitätsheuristiken zu zwei sys-

tematischen Fehlern bei der Wahrscheinlichkeitseinschätzung:131

It may give undue influence to variables that affect the representativeness of the

event but not its probability;

It may reduce the importance of variables that are crucial to determining the

event’s probability but are unrelated to the event’s representativeness.

Mit seinem Case-Study über Representativeness-Bias hat Shefrin (2000) festgestellt, dass

sowohl der Finanzexperte wie Barton Biggs von Morgan Stanley (Chefökonom und Global

Strategist) als auch die durchschnittlichen Investoren durch Representativeness-Bias beein-

flusst werden.132

131 Vgl. Bar-Hillel (1982) S.69; 132 Case-Study über Representativeness-Bias von Barton Biggs (Chefökonom): Vgl. Shefrin (2000) S.14-18; Case-Study über Representativeness-Bias von durchschnittlichen Investoren: Vgl. Shefrin (2000) S.81-83;

Behaviorale Modelle

69

3.1.3 Behavior-Biases im Überblick

Es gibt eine Reihe von Behavior-Biases, welche für die Abweichung der deskriptiven Erwar-

tungsbildung von der normativen rationalen Erwartungsbildung verantwortlich sind. Wenn

man seinen Kopf nicht in den Sand steckt und die empirische Evidenz ernst nimmt, dann liegt

es klar auf der Hand, dass die von traditionellem Konzept postulierte rationale Erwartung zu

weit weg von der Realität ist.

Selektive Wahrnehmung

Die selektive Wahrnehmung ist darauf zurückzuführen, dass die Wahrnehmung der Informa-

tionen durch das (Vor-)Wissen bestimmt wird und dass die Probleme nach eigenen Erfahrun-

gen der Investoren restrukturiert werden. Die Antizipation dessen, was ein Entscheidungsträ-

ger erwartet wahrzunehmen, beeinflusst die Wahrnehmung der Realität. Diese Strategie re-

flektiert den Wunsch nach Stabilität und Kontinuität, was aber mit Kosten verbunden ist. In

Entscheidungssituationen werden zur Wahrscheinlichkeitseinschätzung die Informationen

übergewichtet, welche den Vorstellungen oder Hypothesen des Entscheidungsträgers besser

entsprechen, und hingegegen werden diejenigen Informationen, welche den eigenen Vorstel-

lungen oder Hypothesen widersprechen, verdrängt, vernachlässigt oder untergewichtet. Mit

anderen Worten werden neue Informationen nicht unverfälscht den bereits vorhandenen In-

formationselementen hinzugefügt, indem die neuen Informationen den Abwehr- oder Umdeu-

tungsprozessen unterliegen, so dass mit einer systematischen Verzerrung zu rechnen ist.133

Availability

Die Availability ist ein Ausdruck von beschränkter Kapazität sowie „satisfying“ in der Ent-

scheidungsfindung, und sie leistet einen Beitrag zur Reduktion der Komplexität von Proble-

men und des Aufwandes für die Informationssuche.134 Bei der Verwendung der Verfügbar-

keitsheuristik werden diejenigen Informationen übergewichtet,135 welche einen starken Ein-

druck hinterliessen und deshalb kognitiv leicht verfügbar sind. Vorlieben, Erfahrungen und

133 Vgl. Maas und Weibler (1990) S. 73-77; 134Die Verfügbarkeitsheuristik kann beispielsweise dazu führen, dass die eigene Meinung (unbewusst) als Ver-treterin des Konsens betrachtet wird, falls die Konsensinformation nicht verhanden ist, die eigene Meinung dazu jedoch verfügbar ist. 135 Eine Übergewichtung der Informationen bedeutet, dass die Informationen viel stärker wahrgenommen wer-den, als sie sein sollte.

Behaviorale Modelle

70

Handlungen aus dem Familien- und Bekanntenkreis, die ebenso schnell sowie leicht verfüg-

bar sind, führen zur Übergewichtung von solchen Informationen, was oft in „vorschnellen“

Urteilen mündet. Mit anderen Worten kann durch die gezielte Lenkung der Aufmerksamkeit

auf ein Ereignis oder eine Information die subjektive Einschätzung der zugehörigen Eintritts-

wahrscheinlichkeit verzerrt werden. Die Availability ist für die Überschätzung der Auftritts-

häufigkeit auffälliger Ereignisse verantwortlich und wird somit auch als „salience biases“

bezeichnet.136

Framing

Die Art der Präsentation von Informationen – beispielsweise die Reihenfolge – beeinflusst die

nachfolgend getroffenen Entscheidungen (Relevanz der ersten bzw. letzten Information, Ver-

letzung der Invarianz-Bedingung). Ob die Informationen zu einem Ereignis auf einmal oder

nacheinander präsentiert werden, übt einen Einfluss auf die zu treffende Entscheidung aus. Es

werden beispielsweise unterschiedliche Entscheidungen getroffen, je nachdem, ob Verluste

als solche oder als entgangene Gewinne dargestellt werden (positive oder negative Darstel-

lung).137 Die Entscheidung ist konzeptabhängig.

Conservatism

Der Konservatismus drückt sich durch das Beharrungsvermögen bestehender Informationen

oder Meinungen gegenüber neu eintreffenden Informationen aus. Dieses Non-Bayesian Beha-

vior führt zu einer Unterreaktion auf neue Informationen.138 Der Konservatismus hat eine

Übergewichtung des Status quo zur Folge, und foglich ist die Erwartung über die Zukunft oft

eine lineare Extrapolation des Status quo.

Illusion of control

Investoren entwickeln im Umgang mit unsicheren Entscheidungssituationen das Gefühl, sie

könnten die unsicheren Situationen steuern und im Griff haben, obwohl sie als einzelne

Marktteilnehmer nur sehr geringe Einflussmöglichkeiten auf das Marktgeschehen haben. Die

136 Vgl. Tversky und Kahneman (1973) S.163-165; und Taylor (1982) S.192-194; 137 Vgl. Shefrin (2000) S. 29-30; 138 Vgl. Edwards (1968) S. 363-365;

Behaviorale Modelle

71

Erfahrung von Kontrolle bzw. Steuerbarkeit führt zu Gefühlen von eigener Wichtigkeit und

Kompetenz. Der Verlust von Kontrolle oder das Ausbleiben solcher führt zu negativen Aus-

wirkungen auf das Befinden eines Entscheidungsträgers. Kontrolle im kontrolltheoretischen

Sinn erfasst auch die subjektive Wahrnehmung von Kontingenzen zwischen Handlung und

Konsequenzen (wahrgenommene oder kognizierte Kontrolle). Kognizierte Kontrolle kann

dann auch in Form „illusionärer Kontrolle“ vorliegen, d.h., in das Phänomen münden, dass

Kontrollmöglichkeiten wahrgenommen werden, ohne dass diese existieren. Das Erlebnis der

Kontroll-Illusion verzerrt die Erwartungsbildung und verfälscht Lernprozesse, indem Zusam-

menhänge an Finanzmärkten wahrgenommen werden, die real nicht bestehen.139

Mental Accounting

Entscheidungsträger tendieren dazu, verschiedene (wahrgenommene) Typen von Alternativen

zu trennen, sie unterschiedlichen „fiktiven Konten“ zuzuweisen und Entscheidungen dann

separat für verschiedene Konten zu treffen, um die Komplexität zu reduzieren. Folglich ist

eine punktuelle Optimierung zu verzeichnen, wobei das gesamte Bild verlorengeht. Im Hin-

blick auf die Verarbeitung der Informationen kann Mental Accounting dazu führen, dass die

Informationen nicht aus einer Perspektive des Ganzen wahrgenommen und verarbeitet wer-

den.140

Anchoring

Verankerung und Anpassung beschreiben den Urteilsbildungsprozess in Fällen, in denen aus-

gehend von einem bestimmten Richtwert – Anker – bei der Problemeinschätzung eine fort-

laufende Anpassung beim Eintritt neuer Informationen erfolgt. Ein wertvoller Anhaltspunkt

kann durch Anchoring gewonnen werden, wenn ein objektiver und informativer Anker identi-

fiziert werden kann. Dies ist jedoch oft nicht der Fall, und somit wird das Urteilsergebnis in

Richtung Anker verzerrt. Eine Verankerung mit falschem Anker führt zu systematischen Ver-

zerrungen der Art, dass eine ursprüngliche Information (Anker) ein Endurteil stärker prägt, als

im Verlauf der Zeit hinzukommende neue Informationen, die den vorliegenden früheren In-

formationen zumindest teilweise widersprechen, d.h., die ursprüngliche Verankerung führt zu

139 Vgl. Bungard und Schultz-Gambard (1990) 145-151; 140 Vgl. Shiller (1997) S. 8-9;

Behaviorale Modelle

72

einer verringerten Anpassung der ursprünglichen Einschätzung aufgrund neuer Informatio-

nen.141

Gambler’s fallacy

Die auch als „misperception of chance fluctuation“ bekannte Anomalie beschreibt die Nei-

gung von Entscheidungsträgern, aus der Beobachtung einer Anzahl gleichwahrscheinlicher

ähnlicher Ereignisse abzuleiten, dass die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines anderen

Ereignisses höher ist. Beispielsweise wird beim Roulette nach 12 mal rot eher schwarz erwar-

tet. Der Entscheidungsträger zeigt in solchen Situationen ein Bestreben, zufällige Ereignisse

(das Glück) in eine Normalverteilung zu zwingen. Anders formuliert bewirkt der „Irrglauben

des Spielers“, dass „illusionary correlations“ entstehen, wenn auch nach den Regeln der

Wahrscheinlichkeitstheorie tatsächlich zufällige und voneinander unabhängige Ereignisse

vorliegen. In diesem Zusammenhang scheint die Gültigkeit des Gesetzes der grossen Zahl

auch für sehr kleine Stichproben erwartet zu werden, und folglich ist mit einer Über- oder

Unterreaktion zu rechnen. Es wird auch vom „Aberglauben an das Gesetz des Durchschnitts“

gesprochen, beispielsweise glauben viele Investoren, dass es nach steigenden Kursen am Ak-

tienmarkt wieder zu fallenden Kursen kommen muss (sogenanntes regressives Denken und

Verhalten).142

Conjunction fallacy

Es kommt vor, dass der Entscheidungsträger auf der deskriptiven Ebene die Wahrscheinlich-

keit des Auftretens von zwei konjunktiv verknüpften Ereignissen für grösser hält, als die

Wahrscheinlichkeit des Eintretens jeder der beiden einzelnen Ereignisse, d.h., P(A&B) ≥ P(B),

weil er die konjunktiv verknüpften Ereignisse als repräsentativ empfindet.143 Dieses Verhalten

ist inkonsistent mit der Conjunction-Rule in der Wahrscheinlichkeitstheorie, wo P(A&B) ≤

P(B) sein muss.144

141 Vgl. Mass und Weibler (1990) S. 93-96; 142 Vgl. Kahneman und Tversky (1971) S.24-25; Hofstätter (1990) S. 14-23; 143 “An individual may resemble our image of a Republican artist more than our image of a Republican. .... Simi-larity or representativeness can be increased by specification of the target. If probability judgments are mediated by representativeness or similarity it should be possible that a conjunction of outcomes appears more representa-tive and hence more probable than one of its components.” Vgl. Tversky und Kahneman (1982) S.90; 144 In den experimentellen Untersuchungen kommen beispielsweise 87% der Teilnehmer zu der Beurteilung, dass P(A) > P(A&J) > P(J) ist. Vgl. Tversky und Kahneman (1982) Table I, S.93;

Behaviorale Modelle

73

Loss Aversion

Empirische Untersuchungen haben ergeben, dass Verluste stärker als Gewinne wahrgenom-

men und Verluste dementsprechend auch stärker als Gewinne in gleicher Höhe bewertet wer-

den.145 Mit anderen Worten ist das Entscheidungsverhalten in einem Verlustfall systematisch

anders als in einem Gewinnfall.146 Die rationale Entscheidungstheorie kennt hingegen keinen

systematischen Unterschied zwischen den beiden Fällen.

Ambiguity Aversion

Der Ambiguitätseffekt ist dadurch gekennzeichnet, dass bei unsicheren Handlungsalternativen

der Grad der Information über die zugrundeliegende Wahrscheinlichkeitsverteilung die Präfe-

renz des Entscheidungsträgers beeinflusst147, d.h., der Entscheidungsträger bevorzugt die Si-

tuationen, in denen er sich ein klares Bild von den Eintretenswahrscheinlichkeiten machen

kann, gegenüber solchen mit einer Unklarheit bezüglich der Wahrscheinlichkeiten (Ambigui-

täts-Situation). Dadurch kann das Unabhängigkeitsaxiom der Erwartungsnutzentheorie ver-

letzt werden, wie das Ellsberg-Paradox gezeigt hat148. Mit zunehmender Ambiguität sinkt die

Bereitschaft eines ambiguitätsaversen Entscheidungsträgers, Transaktion durchzuführen und

unsichere Positionen in der ambiguitätsbehafteten Anlage zu halten.149

Regret Avoidance

Die Verhaltensasymmetrie im Hinblick auf Gewinn und Verlust kann auf das Bestreben von

Entscheidungsträgern zurückgeführt werden, Enttäuschung bzw. Bedauern (regret) über eine

nach dem Eintritt des Ereignisses als fehlerhaft eingestufte Entscheidung dadurch zu vermei-

den, dass der potenzielle Verlust nicht (oder noch nicht) realisiert wird. Empirische Untersu-

chungen führten zum Ergebnis, dass die mögliche Enttäuschung über eine falsche Entschei-

145 Nach De Bondt und Thaler werden die Verluste in der Bewertung doppelt so stark wie die Gewinne gewich-tet. Vgl. De Bondt und Thaler (1995) S. 390; 146 Vgl. Thaler, Kahneman und Knetsch (1992) S.73-74; 147 Ambiguität kann als die subjektive Erfahrung fehlender, für eine Vorhersage relevanter Information verstan-den werden. Vgl. Einsenberger (1996) S.40; 148 Das Ellsberg-Paradox, Vgl. Einsenberger (1996) S. 44-49; 149 Vgl. Einsenberger (1996) S.54 und S.74;

Behaviorale Modelle

74

dung höher bewertet wird als der mögliche Stolz (pride) im Fall einer richtigen Entscheidung,

und daher die Tendenz zu beobachten ist, dass viele Entscheidungsträger eine Untätigkeit

bzw. Passivität einer Aktivität vorziehen bzw. negative Konsequenzen als Folge einer Aktivi-

tät stärker enttäuschend empfinden als negative Konsequenzen aufgrund von Untätigkeit.150

Disposition Effect (endowment effect)

Es wird „disparity between willingness to accept and willingness to pay“ beobachtet. Die vom

Entscheidungsträger angegebenen Kauf- und Verkaufspreise für ein und dasselbe Gut diffe-

rieren so stark, dass die Differenz nicht allein mit Einkommenseffekten oder Transaktionskos-

ten begründet oder als strategischer Faktor verstanden werden kann. Als Ursache einer sol-

chen Diskrepanz von Kauf- und Verkaufspreisen wird der „disposition effect“ angeführt, d.h.,

das Zögern des Entscheidungsträgers, ein Gut aus seinem Besitz zu verkaufen bzw. sich von

seinem Besitz zu trennen. Während ein langfristiger „disposition effect“ vor allem auf eine

gefühlsmässige Verbundenheit mit einem Gut zurückgeführt werden kann („sentimental at-

tachment“), gelten für den kurzfristigen „disposition effect“ mehrere Ursachen als relevant,

die nicht alle unabhängig voneinander sind. Eine wesentliche Ursache ist die Loss Aversion.

Die Beeinflussung der Entscheidungsfindung durch den „disposition effect“ hat schliesslich

eine suboptimale Nutzenmaximierung zur Folge.151

Prospect Theorie

Prospect Theorie ist eine Alternative zur klassischen Erwartungsnutzentheorie. Die wichtigs-

ten Elemente dieser Theorie sind die Berücksichtigung der mentalen Repräsentation des Prob-

lems im Rahmen einer „editing“-Phase, die Definition von Gewinnen und Verlusten als Ab-

weichungen von einem individuellen Referenzpunkt, die unterschiedliche Behandlung der

Gewinne und Verluste durch die Entscheider, sowie die Verwendung einer Wahrscheinlich-

keitsgewichtungsfunktion zur Transformation der gegebenen, objektiven Wahrscheinlichkei-

ten.

150 Vgl. Shiller (1997) S.6; 151 Vgl. Shefrin (2000) S.107-117; Thaler, Kahneman und Knetsch (1992) S.64-78;

Behaviorale Modelle

75

Prospect Theory - A: Value Function

Die Valuefunktion unterscheidet sich von der Nutzenfunktion in drei wichtigen Aspekten:

Erstens ist ein Benchmark (reference point) zur Messung von Gewinnen und Verlusten ins

Modell eingebaut; Zweitens handelt es sich um ein relatives Konzept, wobei die Funktion

nicht durch ein absolutes Niveau des Wohlstands, sondern durch Gewinne bzw. Verluste be-

stimmt, welche referenzpunktabhängig sind. Somit erfolgt eine relative Bewertung, welche

die relative Wahrnehmung bzw. relative Bewertung in der tatsächlichen Entscheidung abbil-

det. Drittens geht das Modell explizit von der unterschiedlichen Bewertung von Gewinn und

Verlust aus: konkav für Gewinn und konvex für Verlust.152 Dadurch wird der Unterschied

zwischen Gewinn- und Verlustverhalten abgebildet.

Abbildung 8: Prospect Theory Valuefunction

Valuefunktion

Value

Loss Gain

Reference point

Quelle: Kahneman und Tversky (1979) S.279

Prospect Theory - B: Weighting Function

Die Weighting Function der Prospect Theorie beruht auf den Erkenntnissen aus den experi-

mentellen Untersuchungen, dass objektive Wahrscheinlichkeiten in der tatsächlichen Ent-

scheidungsfindung modifiziert werden, d.h., die Gewichtungen im Entscheidungsbaum sind

nicht identisch mit den objektiven Wahrscheinlichkeiten, denn die objektiven Wahrschein-

lichkeiten sind nicht „eins zu eins“ in den Entscheidungsbaum aufgenommen worden. Kon-

kret werden die extrem hohen Wahrscheinlichkeiten approximativ als sicheres Auftreten be-

152 Vgl. Kahneman und Tversky (1979) S.279

Behaviorale Modelle

76

trachtet, und deswegen übergewichtet.153 Mit anderen Worten sind die subjektiven Wahr-

scheinlichkeiten der Ereignisse mit extrem hohen Wahrscheinlichkeiten, die Gewichtung im

Entscheidungsbaum des Entscheidungsträgers, höher als deren objektiven Wahrscheinlichkei-

ten, und es liegt folglich eine Überschätzung vor. Hingegen werden Ereignisse mit moderaten

oder hohen objektiven Wahrscheinlichkeiten untergewichtet bzw. unterschätzt. Die Ereignisse

mit extrem niedrigen Wahrscheinlichkeiten werden approximativ als sicheres Nichtauftreten

betrachtet.154

Abbildung 9: Prospect Theory Weighting Function

1

0 1Wahrscheinlichkeit p

Ents

chei

dung

sgew

icht

π(p

)

Weighting Function der Prospect Theory

153 Wenn die Gewinnchance einer Lotterie beispielsweise 99% ist, dann wird die entsprechende Gewinnmög-lichkeit als sicher betrachtet. In der tatsächlichen Entscheidungsfindung wird der Gewinn dann mit Sicherheit erwartet, d.h., anstatt 99% wird 100% zur Berechnung des Outcomes verwendet. 154 Vgl. Kahneman und Tversky (1979) S. 265-266;

Behaviorale Modelle

77

3.1.4 Die Persistenz

Zum Aufzeigen, dass es sich bei Behavior-Biases um persistente Verhaltensmuster handelt,

wird in diesem Abschnitt die Ursache von Behavior-Biases diskutiert. Es wird zuerst disku-

tiert, warum verkürzende kognitive Prozesse (Behavior-Biases) persistent existieren. Und

dann wird exemplarisch die Persistenz von Overconfidence behandelt.

3.1.4.1 Zufriedenstellung statt Optimierung

Im Jahre 1978 wurde der Nobelpreis in Wirtschaftswissenschaft an einen Psychologen verge-

ben, Herber A. Simon von der Carnegy-Mellon-University, dessen Arbeiten über Entschei-

dungsfindung und künstliche Intelligenz das Verständnis des Problemlösens stark vorange-

bracht hat. Eine der fesselndsten und einflussreichsten Thesen Simons besagt, dass Entschei-

dungsträger ihre Wahl im Grunde nicht optimieren in dem Sinne, als dass sie alle möglichen

Alternativen nach der besten durchsuchen. Statt dessen suchen sie Simon zufolge lediglich

eine zufriedenstellende Lösung. Das heisst, sie wählen die erste Alternative, die gut genug

ist.155

Die Stossrichtung eines Grossteils der Arbeit Simons war, die Grenzen der rationalen Res-

sourcen des Menschen zu demonstrieren, die Tatsache, dass ein grosser Teil der für eine Ent-

scheidung relevanten Informationen nicht ohne weiteres zur Verfügung steht oder zu teuer zu

beschaffen und zu benutzen ist. Seine Ideen lassen sich durch die Parabel vom Bauern veran-

schaulichen, der einen Hemdenknopf verloren hat. Vielleicht könnte der Bauer seinen Heu-

haufen nach der schärfsten Nadel durchsuchen; aber das ist zu mühsam, also beschliesst er,

nach irgendeiner Nadel zu suchen, die sich zum Annähen des Knopfs eignen würde. Plötzlich

fällt dem Bauern ein, dass es in seinem Haus üblich ist, Hemden, deren Knöpfe fehlen, in die

Waschküche zu hängen. Eine „zufriedenstellende“ Lösung! Was Simon damit sagen will, ist,

dass die Entscheidungsfindung selbst im Investment eher damit vergleichbar ist, dass der

Bauer sein Hemd in die Waschküche hängt, als dass er den Heuhaufen nach der schärfsten

Nadel durchsucht.156

155 Vgl. March (1978) S.858-859; 156 Vgl. March (1978) S.858-861;

Behaviorale Modelle

78

Satisfying führt dazu, dass in Wirklichkeit die Entscheidungen deshalb oft nach der simpleren

intuitiven Methode getroffen werden, mit dem Ergebnis, dass man erst durch Schaden klug

wird.157 Die Studie von Tversky und Kahneman hat gezeigt, dass die intuitiven Methoden,

simple Abkürzungsstrategien, in der tatsächlichen Entscheidungsfindung breit eingesetzt wer-

den, und dass das Zufriedenstellung wichtiger als die Optimierung ist: Die Versuchspersonen

sind zu unbeweglich, wenn es darum geht, ihre Schätzungen zu überprüfen, weitere Informa-

tionen zu berücksichtigen, um zum optimalen Resultat zu gelangen. Sie vertrauen ferner zu

sehr auf ihre eigene Beurteilung der Resultate, also eine Selbstzufriedenheit. Sie lassen sich

zu leicht von sehr kleinen Stichproben beeindrucken. Diese Voreingenommenheit legen nicht

nur normale Versuchspersonen an den Tag, sondern auch erfahrene Forscher, wenn sie sich

auf ihre Intuition verlassen.158

Tversky hat ausgehend vom Satisfying eine Theorie entwickelt, wonach die tatsächliche Ent-

scheidungsfindung als eine Heuristik (oder eine Strategie) der schrittweisen Eliminierung

beschrieben wird.159 Beim Kauf eines Autos wird beispielsweise selten zwecks optimaler Ent-

scheidung ein Entscheidungsbaum eingesetzt, damit der erwartete Nutzen als Evaluationskri-

terium angewandt werden kann.160 In der tatsächlichen Entscheidungsfindung setzt man oft

zunächst eine Preisgrenze von einem gewissen Betrag (z.B. 60'000 sFr.) und schliesst dadurch

alle teueren Modelle aus den Überlegungen aus. Unter den verbleibenden Alternativen wird

dann ein weiterer Aspekt ausgewählt, vielleicht die Bedingung, dass das Auto ein automati-

sches Getriebe haben muss, somit werden alle Autos ohne Automatik von der Liste gestri-

chen. Dieser Vorgang wiederholt sich, bis alle Modelle mit Ausnahme von einem eliminiert

sind. Tversky zufolge besteht der Vorzug dieser Heuristik darin, dass diese Strategie leicht zu

formulieren, zu begründen und anzuwenden ist. Bei der Wahl zwischen vielen komplexen

Alternativen, wie neue Autos oder Stellenangebote, ist man in der Regel mit einer überwälti-

genden Menge relevanter Informationen konfrontiert. Das optimale Verfahren, um unter die-

sen Alternativen eine Wahl zu treffen, erfordert gewöhnlich komplizierte Berechnungen, die

auf dem Wert basieren, den man den verschiedenen relevanten Faktoren zuschreibt. Die Men-

schen scheinen sich davor zu scheuen, nach dem Grundsatz zu handeln, dass (auch sehr wich-

tige) Entscheidungen von Berechnungen abhängen sollten, die auf subjektiven Schätzungen

157 Dem rationalen Konzept nach sollte anhand eines Entscheidungsbaums mit entsprechender Gewichtung und jeweiligem Nutzen nach einer nutzenmaximierenden Entscheidung gesucht werden. 158 Vgl. Tversky und Kahneman (1974) S. 3-11; 159 Vgl. Tversky (1972) S. 286-291; 160 Auf deskriptiver Ebene ist es nicht immer möglich, den Nutzen und die Gewichtung eindeutig festzustellen.

Behaviorale Modelle

79

von Wahrscheinlichkeiten oder Werten beruhen, zu denen der Entscheidungsträger selber nur

begrenztes Vertrauen hat.161

In ihren Forschungen haben Slovic, Fischhoff und Lichtenstein darauf hingewiesen, dass

Menschen manchmal anderen einfachen Regeln folgen, etwa jeweils nur zwei Alternativen

miteinander zu vergleichen und nur die bessere für spätere Vergleiche beizubehalten.162 Diese

Regel wird beispielsweise in politischen Wahlen breit eingesetzt, obwohl sie zu inkonsisten-

ten Resultaten führen kann.163 Die Zuhilfenahme von einfachen Regeln garantiert zwar keine

optimalen oder konsistenten Entscheidungen, aber sie ist in der Praxis beliebt, weil sie durch-

aus eine zufriedenstellende Lösung liefern kann.

161 Vgl. Tversky (1972) S. 291-292; 162 Vgl. Fischhoff, Slovic und Lichtenstein (1977) S.552-553; 163 Das Arrow-Paradoxon: Nach dem Unmöglichkeitssatz von Arrow sind die notwendigen Nebenbedingungen für das Zustandekommen konsistenter Resultate untereinander unvereinbar ( NB: Universeller Definitionsbe-reich; Einstimmigkeitsprinzip; Unabhängigkeit von irrelevanten Alternativen; Diktatorverbot; Rationalität der aggregierten Präferenz).

Behaviorale Modelle

80

3.1.4.2 Die Persistenz von Overconfidence

Im Hinblick auf die Beeinflussung der Entscheidung durch Overconfidence ist die Frage von

Bedeutung, ob Overconfidence persistent bleibt. Es liegt auf der Hand, dass viele Nachteile

mit Overconfidence verbunden sind. Es sollen Vorteile gefunden werden können, wenn es

sich dabei um ein persistentes Phänomen handelt. Die evolutionäre Theorie vertritt die Hypo-

these, dass das Individuum mit seiner Erscheinung als stärkeres und intelligenteres Wesen in

seiner Population bessere Möglichkeiten hat, das andere Geschlecht für sich zu gewinnen und

seine DNA weiterzugeben.164 Die Strategie von Overconfidence erhöht somit die Chance des

Individuums zur Fortpflanzung seiner eigenen Gene, die wichtigste Aufgabe im evolutionären

Kontext. In dieser Hinsicht ist das Muster von Overconfidence biologisch verwurzelt.

Im ökonomischen Kontext schafft Overconfidence ein positives Signalling, wodurch ein

komparativer Vorteil gegenüber Mitkonkurrenten geschaffen werden kann, somit wird die

Möglichkeit, im Wettbewerb „ausgewählt“ werden zu können, vergrössert. Portfoliomanager,

welche das positive Signalling beherrschen und sich als Smartest zu verkaufen verstehen,

können im Vergleich zu anderen Portfoliomanagern mit gleicher Qualifikation und Leistung

mehr Kunden gewinnen und sich dadurch eine bessere Ausgangslage im Wettbewerb ver-

schaffen. Die Fähigkeit, sich kompetenter und intelligenter als tatsächlich zu präsentieren,

schafft Wettbewerbsvorteile, weil dadurch an Glaubwürdigkeit gewonnen wird. Glaubwür-

digkeit ist die Voraussetzung für jeden Erfolg.165 Der Grund dieser Täuschungsstrategie

(Marketing) liegt darin, dass dadurch mehr Chancen gewonnen werden können, unter Neben-

bedingung der Informationsasymmetrie.166

Ein interessanter Punkt dabei ist, dass man zuerst sich selbst überzeugen muss, um dann die

anderen zu überzeugen. Die Erscheinung als Smartest setzt den Glauben an die eigene Kom-

petenz bzw. Intelligenz voraus. Die natürliche Selektion hat zu diesem Zweck ein Instrument

entwickelt, und in der Psychologie wird dieses Instrument als Self-Attribution genannt. Ge-

mäss der Attributionstheorie lassen sich die Menschen zwischen Erfolgszurechner und Mis-

serfolgszurechner unterscheiden. Ein Erfolgszurechner rechnet die Erfolge der eigenen Bega-

164 Vgl. Waldman (1994) und Hirshleifer (1999) 165 Handle wie ein König, um wie ein König behandelt zu werden. 166 Das Game in der natürlichen Selektion ist nicht zwingend fair. Faires Game ist aus evolutionärer Sicht nicht unbedingt eine gute Konstruktion, weil die Offenheit des Systems durch Determinismus und Starrheit stark be-schränkt wird. Die Botschaft einer offenen Zukunft ist nicht inkonsistent mit einer unfairen Konstruktion, in der alles möglich ist.

Behaviorale Modelle

81

bung resp. Anstrengung zu, während Misserfolge der ungünstigen Situation oder der Pech

zugeschrieben werden. Empirische Untersuchungen haben die Evidenz der Attribution bestä-

tigt.167

Self-Attribution:

Ort der Verursachung (Locus of control) Stabilität über Zeit

in der Person (internal) in den Umständen (external)

stabil Begabung Aufgabenschwierigkeit

instabil Anstrengung Zufall (Glück & Pech)

Erfolg zu internalisieren und Misserfolg zu externalisieren ist eine beliebte Strategie, auch für

Investoren. Ein durchschnittlicher Investor verdankt den Kursgewinn von Titeln in seinem

Portfolio selten dem Zufall, sondern in der Regel seiner Kompetenz. Bei Kursverlust wird

selten die eigene Kompetenz in Frage gestellt, denn eine ungünstige Lage oder Pech kann

alles erklären. Das Muster der asymmetrischen Attribution ist tief im Unterbewusstsein ver-

wurzelt. Der Zweck dieses Mechanismus liegt in der Selbsttäuschung (Selbstüberzeugung),

damit das positive Signalling nach aussen perfekt sein kann.

Neben den positiven Effekten des Signalling kann die Attribution die ungewollten Kosten

einer objektiven Selbsteinschätzung reduzieren: Das Zugeben eigener Fehler ist zwar objektiv

und korrekt, aber nicht ungefährlich, weil der Markt linear denkt. In diesem Fall ist die Gefahr

gross, dass eine Kontinuität der Fehler stillschweigend angenommen wird. Wer in der Ge-

genwart einen Fehler begeht, der läuft die Gefahr, dass sein Fehler durch die Erwartungsbil-

dung von anderen in die Zukunft extrapoliert wird. Diese lineare Extrapolierung manifestiert

sich beispielsweise beim sogenannten Short-Run Momentum: Gewinner bleiben Gewinner

und Verlierer bleiben Verlierer. In diesem Fall stellt die Attribution eine massgeschneiderte

Gegenstrategie gegen diese Linearität dar, und somit sind die Attribution und die Overconfi-

dence ein notwendiges Mittel zum Ziel, um in der ökonomischen Selektion „ausgewählt“

werden zu können. Die mit diesem Bias verbundenen Nachteile können durch dessen Vorteile

durchaus überkompensiert werden.

167 Attribution-Bias: DeLong, Shleifer, Summers und Waldmann (1990), Taylor und Brown (1988); Miller und Ross (1975); Langer und Roth (1975); Fischoff (1982);

Behaviorale Modelle

82

Overconfidene wird durch Attribution ins Leben gerufen und verstärkt. Die Confidence der

Investoren wird gestärkt, indem der möglicherweise vom Zufall verursachte Erfolg der eige-

nen Fähigkeit zugerechnet wird, wenn die öffentlichen Informationen die subjektive Einschät-

zung der Investoren bestätigen oder ein Kursgewinn verbucht werden kann. Im umgekehrten

Fall wird die Confidence nicht geschwächt, wenn sich die subjektive Einschätzung als falsch

erwiesen hat oder ein Kursverlust eingetreten ist, weil mittels des Immunisierungssystems der

Attributionstrategie für den Misserfolg stets ein Sündenbock gefunden werden kann.

Neben Genen, Signalling sowie Attribution gibt es andere Gründe, welche die Overconfiden-

ce hervorrufen können. Overconfidence kann auch auf die Schwierigkeiten zurückgeführt

werden, Unsicherheit adäquat zu beschreiben. Die Unzulänglichkeiten bei „situational

construal“ machen es schwierig, die Unsicherheit in einem viel breiteren Kontext zu identifi-

zieren. Die Beschränktheit der Wahrnehmungsperspektiven kann zur Overconfidence füh-

ren.168

Aus der Auseinandersetzung mit den möglichen Ursachen von Overconfidence geht hervor,

dass es sich beim Behavior-Bias wie Overconfidence nicht um einen zufälligen Fehler han-

delt, der auf aggregierter Ebene ohne weiteres verschwinden wird. In der Tat ist das Verhal-

tensmuster biologisch verwurzelt und dient als Instrument dazu, um in der ökonomischen Se-

lektion ausgewählt zu werden. Es lassen sich Gründe identifizieren, systematisch overconfi-

dent zu agieren. Wie jeder Behavior-Fehler seine Kehrseite hat, ist Overconfidence auch mit

Vorteilen verbunden, welche deren Persistenz unterstützen.

168 Vgl. Shiller (1997) S.10. Es liegt auf der Hand, dass ein Mensch mit „Scheuklappen“ anfällig auf Overconfi-dence ist. Die Strategie der Scheuklappen kann jedoch eine effiziente Strategie im Informationswahrnehmungs- und Bearbeitungsprozess darstellen und somit bewusst eingesetzt werden: Fokussierung anstatt Panorama. Es wird bewusst in Kauf genommen, dass viele Nebenaspekte aufgrund der Fokussierung auf den Schwerpunkt vernachlässigt werden, damit eine bessere ökonomische Ratio, z.B. Output/Input, erreicht werden kann.

Behaviorale Modelle

83

3.1.4.3 Andere Rationalität

Es ist eine starke Vereinfachung, die Abkürzungsstrategie in der Entscheidungsfindung ein-

fach als irrationales Verhalten zu betrachten. Die behavioralen Biases sind Produkte natürli-

cher Selektion. Was im ökonomischen Kontext als irrational angesehen wird, ist beispielswei-

se im evolutionären Kontext nicht unbedingt irrational, denn es gibt andere Ebenen von Rati-

onalität. Im Kampf ums Überleben geht es nicht hauptsächlich um fehlerfreie Optimierung,

sondern um Lernfähigkeit, Ausdauer und Flexibilität. Verkürzende kognitive Prozesse gehö-

ren zu den wichtigsten Mitteln des Überlebenskampfs, weil dadurch eine schnelle und kosten-

günstige Lösung ermöglicht wird. Die Kehrseite ist die Fehleranfälligkeit dieser Lösung. Im

evolutionären Kontext stellen jedoch eine schnelle Reaktion, ein ökonomisches Umgehen mit

knappen Ressourcen sowie die Flexibilität Determinanten der Selektion dar. Selektive Wahr-

nehmung kann zum Beispiel eine schnelle Reaktion und Minimierung des Einsatzes der

knappen Ressourcen ermöglichen, somit ist sie aus evolutionärer Sicht nicht irrational. Es

genügt, das Wesentliche aus den Datenbergen herauszufiltern. Ein entscheidender Vorteil

dieser Strategie liegt in seiner Schnelligkeit, weil die Reaktionszeit zu den wichtigsten Deter-

minanten der natürlichen Selektion zählt. Diese Strategie hat allerdings auch ihre Kehrseite:

Unvollständige Bearbeitung aller verfügbaren Informationen zugunsten des Zeitgewinns und

der Minimierung des Einsatzes der knappen Ressourcen kann zu Biases führen. Aus evolutio-

närer Perspektive können die Nachteile jedoch durch andere Vorteile überkompensiert wer-

den.

Die natürliche Selektion ist eigentlich durch ihre Fehlertoleranz gekennzeichnet.169 Die An-

nahme der fehlerfreien Entscheidung hat zwei wichtige Determinanten der Evolution nicht

ausreichend berücksichtigt: Reaktionszeit und ökonomisches Umgehen mit den knappen Res-

sourcen. Auf der deskriptiven Ebene kann der Entscheidungsträger zugunsten des Zeitge-

winns und der Minimierung des Einsatzes knapper Ressourcen die Fehler bewusst in Kauf

nehmen, indem verkürzende kognitive Prozesse eingesetzt werden, und diese Shortcuts-

Strategien sind im evolutionären Kontext nicht irrational. Hier sollte der optimale Trade-off

zwischen Nutzen und Kosten berücksichtigt werden. Das Abkürzungsmotiv liegt vor allem in

der Optimierung der Output/Input Ratio.

169 Der Überlebende ist oft nicht derjenige, der sich stets optimal oder korrekt entscheidet, sondern derjenige, der stets wieder aufsteht und weitere Versuche unternimmt, obwohl er wegen seiner Fehlentscheidung zu Boden fällt. Andererseits ist die optimale Entscheidung in der realen Welt schwierig, weil jede Optimierung konzept-abhängig ist und fehlerhaft sein kann, wenn deren Annahmen aufgrund der dynamischen Veränderung der Rah-menbedingungen nicht mehr zutreffen.

Behaviorale Modelle

84

3.2 Die behavioralen Erkenntnisse von Keynes

Eine unangenehme Tatsache am Aktienmarkt ist, dass der Assetpreis wie eine nominale Grös-

se dem inneren Wert (einer realen Grösse) oft nicht entspricht. Die Differenz zwischen nomi-

naler und realer Grösse ist ein altbekanntes Phänomen und lässt an Keynes und seinen Mone-

tarismus zurückdenken. In seinen Überlegungen zur Zinsbildung streitet Keynes beispielswei-

se die neoklassische Auffassung des Zinses als eine Entschädigung für den Konsumverzicht

ab. Er postulierte, dass der Zins kein realwirtschaftliches, sondern ein monetäres Phänomen

darstellt: Den Preis für die zeitliche Überlassung von Geld. Dabei wird Geld, im Gegensatz

zum „homogenen Gut“, welches in der Neoklassik die Funktionen eines Numeraires und

Tauschmittels übernimmt, nicht als ein Index verstanden. Geld ist nicht auf die einzelnen Res-

sourcen reduzierbar, die es kaufen kann, sondern eine komplexe Grösse. Geldpreis ist ein

„Nichts“, eine soziale Konvention, die eine Aneignung von Ressourcen ohne Tausch ver-

mag.170 Dabei fasst der Geldpreis das Vertrauen zusammen, welches die Wirtschaftssubjekte

ihren Vorstellungen über das Verhalten der Gesamtheit der Akteure beimessen. Die Konven-

tion an sich stellt jedoch keine Garantie für eine korrekte Beurteilung dar, hingegen kann sie

die monetäre Illusion aufrechterhalten. Keynes zufolge muss der Assetpreis nicht zwingend

seinen Innenwert reflektieren, der Assetpreis ist primär eine soziale Konvention, ein „Nichts“,

das sowohl auf den harten Faktoren (wie fundamentalen Faktoren) als auch auf den weichen

Faktoren (wie Vertrauen) beruht. Die Feststellung des Assetpreises ist somit nicht eine rein

mathematische Aufgabe, denn im realen Aktienmarkt spielt der soziale Charakter auch eine

wichtige Rolle. Mit anderen Worten ist die Gefahr einer Fehleinschätzung, sei es eine Blase

oder eine Illusion, systeminhärent, weil die Preisfindung auch eine soziale und somit fehleran-

fällige Dimension in sich hat, wenn auch diese Dimension der Preisfindung mit realitätsfrem-

den Annahmen wegrationalisiert werden kann. Keynes‘ Metapher vom Schönheitswettbewerb

ist in dieser Hinsicht illustrativ.

170 Vgl. Riese (1989), S.1ff.

Behaviorale Modelle

85

3.2.1 Keynes’ Schönheitswettbewerb

Der Investor steht in der Regel vor der schwierigen Aufgabe, die weitere Entwicklung der

Notierung abzuschätzen. Keynes, dem unter anderem auch erfolgreiche Börsenspekulationen

nachgesagt werden, verglich diese Aufgabe mit einem Preisausschreiben, bei dem aus 100

Mädchenphotos die sechs hübschesten Gesichter auszuwählen sind und der Gewinn demjeni-

gen zufällt, der dem Mehrheitsvotum aller Beteiligten am nächsten kommt. Da alle Teilneh-

mer diese Bedingung kennen, hängt der Erfolg nicht so sehr von der Güte des eigenen Ge-

schmacks ab – vom ökonomischen Sachverstand – als von der Menschenkenntnis, die dazu

ausreichen muss, das zu antizipieren, was im Meinungsdurchschnitt als Durchschnittsmeinung

erwartet wird. Es galt also weder, jenes Foto auszusuchen, das man selbst für das hübscheste

hielt, noch jenes, welches objektiv zum schönsten gekürt werden müsste. 171 Keynes führte

also eine „dritte Stufe“ ein, in welcher sich der Verstand darauf konzentriert, herauszufinden,

was im Meinungsdurchschnitt als „Durchschnittsmeinung“ gesehen wird. Er endet dann mit

der philosophischen Aussage, dass es seinem Wissen nach auch noch einige Marktteilnehmer

gebe, die eine vierte, fünfte und weitere Stufen von abgeleiteten Meinungen praktizieren:

„... professional investment may be likened to those newspaper competitions in

which the competitors have to pick out the six prettiest faces from a hundred

photographs, the prize being awarded to the competitor whose choice most

nearly corresponds to the average preferences of the competitors as a whole: so

that each competitor has to pick, not those faces which he himself finds pretti-

est, but those which he thinks likeliest to catch the fancy of other competitors,

all of whom are looking at the problem from the same point of view. It is not a

case of choosing those which, to the best of one’s judgment, are really the pret-

tiest, nor even those which average opinion genuinely thinks the prettiest. We

have reached the third degree where we devote our intelligence to anticipating

what average opinion expects the average opinion to be. And there are some, I

believe, who practise the fourth, fifth and higher degrees.”172

171 So bizarr ist diese Situation nun auch wieder nicht, da im politischen Leben einer Demokratie die Auswahl der Kandidaten ebenfalls weitgehend im Hinblick darauf erfolgt, wie gut dieser oder jener bei den durchschnitt-lichen Wählern ankommen dürfte. Wer die Kandidatenliste einer Partei voraussagen wollte, müsste daher in manchen Fällen ebenfalls von den Qualitäten absehen, auf die er sonst bei einem Politiker grossen Wert legt. Auch für ihn käme es auf Behavior und Psychologie an. 172 Vgl. Keynes (1936) S.156.

Behaviorale Modelle

86

Der an der Börse sehr erfolgreiche Spekulant Keynes diskriminierte im Hinblick auf Assetpri-

cing die behavioralen Faktoren gegenüber den ökonomischen Faktoren nicht, nicht zuletzt

aufgrund seiner eigenen Praxiserfahrungen. Jeder rationale Marktteilnehmer bildet neben den

fundamentalen Überlegungen auch gleichzeitig Erwartungen über die Durchschnittsmeinung,

denn davon hängt der Marktpreis auch ab. Der Preis dient sowohl als Signal für den Funda-

mentalwert als auch für die Durchschnittsmeinung. Im Falle der Eindeutigkeit des Fundamen-

talwerts oder der strengen Marktdisziplin sollte aus der Durchschnittsmeinung keine Verzer-

rung resultieren, mit anderen Worten fallen Wert und Preis zusammen. Allerdings kann der

Zusammenhang zwischen der Durchschnittsmeinung und dem Fundamentalwert aufgrund des

Mangels an Marktdisziplin und der Uneindeutigkeit des Fundamentalwerts geschwächt wer-

den, so dass sich ein unbestimmtes Element in die Preisbildung einschleicht. In diesem Fall

reflektiert die Durchschnittsmeinung den Fundamentalwert nur in begrenztem, oft ungenü-

gendem Umfang. Ohne eine strenge Marktdisziplin ist der Preis primär ein Reflex der Durch-

schnittsmeinung, welche nicht unbedingt in einem eindeutigen Zusammenhang zum Funda-

mentalwert steht. Dies trifft sogar dann zu, wenn der stochastische Renditeprozess als existent

und bekannt unterstellt wird. Die individuellen Erwartungen über die zukünftigen Preise kön-

nen sich aufgrund des Mangels an Marktdisziplin von der Wahrscheinlichkeitsverteilung des

Renditeprozesses abkoppeln,173 wie im Falle eines Schönheitswettbewerbs.

Sobald die Antizipation der Durchschnittsmeinung entscheidungsrelevant wird, lässt sich der

Informationsbegriff nicht mehr objektivieren. Die Grenze zwischen relevanten (den Funda-

mentalwert betreffenden) und irrelevanten (das Sentiment betreffenden) Informationen kann

verwischt werden, weil die Veränderung des Sentiments der durchschnittlichen Marktteil-

nehmer im Hinblick auf die Antizipation der Preisänderung gleich informativ sein kann. Der

Aktienkurs könnte ohne realwirtschaftliche Fundierung auch steigen, wenn sich die durch-

schnittliche Meinung in einer optimistischen Fassung befindet. Die in den Preis einfliessende

Information kann nicht länger als eine feste, subjektunabhängige Grösse betrachtet werden

und schon besteht, bevor die Wirtschaftssubjekte dem ökonomischen Problem gegenüberste-

hen. Im Falle der Uneindeutigkeit des Fundamentalwerts und des Mangels an Marktdisziplin

reflektieren die Preise eher die durchschnittliche Antizipation der Durchschnittsmeinung.

Weil letztere nirgendwo eindeutig sowie objektiv verankert, sondern vertrauensabhängig ist,

hat die Vertrauensschwankung einen ähnlichen Einfluss auf die Preise wie die Dividenden-

173 Diese Abkopplung bringt die Indeterminiertheit bei der Bildung von Erwartung zum Ausdruck.

Behaviorale Modelle

87

schwankung. Aus dieser Sicht ist der Aktienpreis auch von den weichen sozialen Faktoren

abhängig.

Keynes postuliert, dass die Marktbewertung auch gleichzeitig durch die Massenpsychologie

beeinflusst wird. Daher sieht er auf Basis von kollektiven Meinungsänderungen auch raschere

Veränderungen von optimistischen und pessimistischen Einstellungen und erhöhte Volatilität

in den Märkten. Wellenbewegungen würden die Börse auf von der realen ökonomischen Ba-

sis abgehobenem Niveau in die eine oder andere Richtung bewegen, und in diesem Zusam-

menhang kritisiert Keynes, dass die Spekulation an der Börse der Realwirtschaft letztlich –

vor allem auf dem Wege der Blasenbildung und deren Platzen – auch erheblichen Schaden

zufügen kann.174

174 Vgl. Pinner (1997) S. 22-24.

Behaviorale Modelle

88

3.2.2 Konventionelle Erwartung

Im Hinblick auf die ökonomische Erwartungsbildung hat Keynes eine Verhaltenshypothese

aufgestellt. Keynes zufolge ist die deskriptive Erwartungsbildung des Investors durch Non-

Professionalität geprägt, indem der existierende Zustand einfach in die Zukunft extrapoliert

wird. Die Notwendigkeit der Anpassung der Erwartungen wird nur dann in die Überlegung

miteinbezogen, wenn die empirischen Fakten stark für eine Modifikation sprechen und diese

auch im Vorstellungsbereich der Durchschnittsmeinung liegt. Je weiter die Konsequenzen

einer Entscheidung in der Zukunft liegen, umso uneindeutiger können die Key-Variablen sein,

umso unvollständiger ist also die Wissensbasis, auf welcher die Erwartungsbildung beruht.

Daraus resultiert keine hohe Zuverlässigkeit der Beurteilung. Unter Unsicherheit lehnt man

sich wie in anderen Gesellschaftsbereichen auch an Konventionen an, mit deren Hilfe Ord-

nung geschafft und die Unsicherheit reduziert werden kann. Keynes zufolge sind drei Kon-

ventionen bei der Bildung von langfristigen Erwartungen wirksam:175

Die Konvention, dass die Zukunft wie die Vergangenheit sein wird.

(Man ignoriert also die Möglichkeit zukünftiger Veränderungen, deren genaue Natur un-

bekannt ist.)

Die Konvention, dass die bestehende Marktbewertung auf einer korrekten Einschät-

zung zukünftiger Aussichten basiert.

(Obwohl diese Einschätzung nicht einzig und allein korrekt sein kann, da das vorhandene

Wissen keine ausreichende Basis für eine eindeutige und korrekte Schätzung liefert.)

Die Konvention, dass die Durchschnittsmeinung die beste Orientierung ist.

(Weil die eigene Urteilskraft eigentlich als wertlos betrachtet werden sollte, stützt man

sich auf die Urteile anderer ab: Man imitiert die Mehrheit, indem man der Durch-

schnittsmeinung folgt.)

Mit der Erkenntnis, dass durch den Preis auch die Durchschnittsmeinung repräsentiert und der

Preis somit gleichzeitig ein soziales Faktum ist, betrachtet Keynes die Preisbildung am Akti-

enmarkt auch aus einer anderen Perspektive. In seinen Überlegungen über die Erwartungsbil-

dung im Rahmen des Assetpricings ist der Ausgangspunkt nicht ein normatives SOLL, son-

dern ein deskriptives IST: Es wird keine Anforderung an die Rationalität oder Objektivität der

175 Vgl. Keynes (1937) S.214; Keynes (1973) S.124; und Cymbalista F. (1998) S.141.

Behaviorale Modelle

89

Marktteilnehmer gestellt, sondern die behavioralen Gegebenheiten werden akzeptiert. Kon-

ventionen vermitteln eine Art von „peace and comfort of mind“ und zwar dadurch, indem sie

uns es ermöglichen, „to hide from ourselves how little we foresee.” Die von Keynes postulier-

ten Konventionen sind Daumenregeln, welche von der Mehrheit der Investoren akzeptiert

werden. Sie sind handlungswirksam, weil sie einen Ersatz für das nicht vorhandene und uner-

reichbare Wissen als Entscheidungsgrundlage in einer undeterminierten Welt bieten.176

Durch seine Hypothese der Konventionen hat Keynes als erster die behavioralen Aspekte des

Aktienmarktes angesprochen. In einem Aktienmarkt mit einer schwachen Marktdisziplin und

der Uneindeutigkeit des Fundamentalwerts akzentuiert er den behavioralen Aspekt der Be-

wertung, ohne dass dabei auf das ökonomische Prinzip verzichtet werden muss.

Die erste Konvention widerspiegelt den Konservatismus im menschlichen Verhalten, welcher

die Persistenz sowie die Stabilität bestehender Erwartungen begünstigt. Forschungen im

Rahmen sozialer Wahrnehmung und kognitiver Dissonanzen legen nahe, dass der Konserva-

tismus einen Einfluss darauf hat, welche Informationen überhaupt wahrgenommen werden:

Informationen, deren Inhalt zu eigenen Vorstellungen passt, werden besonders schnell und

intensiv wahrgenommen, während eher widersprechende Informationen vernachlässigt oder

verdrängt werden. Die selektive Wahrnehmung kann dazu führen, dass einer Erwartung wi-

dersprechende Informationen in ihrem diagnostischen und prognostischen Gehalt unterschätzt

und der Erwartung entsprechende Informationen überschätzt werden. Bezogen auf den Akti-

enmarkt kann dieser Effekt als ein Prozess zunehmender Stereotypisierung bei der Bewertung

von wirtschaftlichen Informationen beschrieben werden: Informationen über wirtschaftliche

Phänomene werden oft nur im Lichte bereits bestehender Erwartungen gesehen, und die Men-

ge notwendiger Informationen, um eine bestehende Erwartung zu widerlegen, muss um so

grösser sein, je etablierter die bestehende Erwartung ist, mit anderen Worten, je grösser die

Notwendigkeit eines Paradigmawechsels ist, desto fehleranfälliger ist die aus dieser Konven-

tion resultierende Beurteilung.177 Keynes zufolge sollte sowohl die Etablierung von Titel der

New Economy als auch deren Korrektur im Falle einer Blasenbildung durch die Konventi-

onswirkung bei der Preisbildung deutlich langsamer als in einem rationalen Markt sein.

176 Vgl. Keynes (1973) S.124; und Cymbalista F. (1998) S.141 177 Das Sprichwort – „Wer am Anfang gewinnt, hat für immer verloren“ – spielt beispielsweise auf die Tatsache an, dass Personen, die zunächst in ihrer Erwartung bestätigt wurden, häufig zu rigide werden und zu wenig flexi-bel sind, ihre Erwartung zeitmässig zu verändern.

Behaviorale Modelle

90

Die zweite Konvention stellt einen Reflex der Kontrollillusion der Investoren dar. Den psy-

chologischen Forschungen zufolge haben die meisten Menschen das Bedürfnis, in einer kon-

trollierbaren Welt zu leben, d.h., sich als Verursacher von Ereignissen und Veränderungen,

die einen selbst betreffen, zu erleben.178 Die Erfahrung von Kontrolle führt zu Gefühlen von

eigener Kompetenz und Wertigkeit, und das Ausbleiben sowie der Verlust von Kontrollen hat

schwerwiegende negative Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Betroffenen zur Folge.179

Die Kontrolle im engeren Sinn ist dann gegeben, wenn die Ereignisse durch das Handeln be-

einflusst werden können. Eine Kontrolle im weiteren Sinn zeichnet sich dadurch aus, dass die

Ereignisse erklärbar und vorhersagbar sind. Unerklärbarkeit und Unvorhersagbarkeit führen

den sogenannten Kontrollverlust herbei. Die Erklärbarkeit ist am Aktienmarkt im Allgemei-

nen beschränkt, und die Vorhersagbarkeit ist auch nicht immer gegeben. Dies gilt nicht nur in

Krisenzeiten, sondern auch für den Normalzustand. Somit wäre ein Kontrollverlust vorpro-

grammiert und der Handel würde in diesem Fall zum Erliegen kommen, weil die Unkontrol-

lierbarkeit eine Passivität oder ein Rückzugsverhalten zur Folge hätte. Die regen Transaktio-

nen zeigen jedoch die Existenz von Kontrollillusion, d.h., die Investoren gehen in der Regel

davon aus, dass sie durch die intensive Beobachtung der Tagesereignisse und relevanter Ent-

wicklungen durchaus zu validen Vorhersagen und Erwartungen kommen können. Dies lässt

sich auch am Einfluss der Expertenmeinungen, Faustregeln von Spekulationsgurus und

brandheissen Tipps von Anlageberatern ablesen. Der Einfluss der zweiten Konvention ist

durch die Tatsache besonders evident, dass die meisten Marktteilnehmer quasi konditioniert

den Preis als korrekt wahrnehmen, im Glauben, dass der Markt immer Recht hat,180 dies trotz

der eigenen Erfahrung mit der Blasenbildung und deren Platzen.

Die dritte Konvention bringt die Schaffung einer sozialen Wirklichkeit durch eine gemeinsa-

me Meinung sowie Groupthinking181 zum Ausdruck. Sie wird tendenziell als Bestätigung der

178 Vgl. Bungard, W. und S. G. Jürgen (1990) S. 146. 179 Vgl. Bungard, W. und S. G. Jürgen (1990) S. 147. 180 Ist die Effizienzhypothese ein Ausdruck dieser Konvention? 181 Menschliches Verhalten findet fast zwangsläufig in einem sozialen Kontext statt, so dass Gruppeneinflüsse wie Zuschauereffekte bzw. Koaktionseffekte unvermeidlich sind. Der Gruppendruck übt im Allgemeinen eine starke Wirkung auf das Urteil des Einzelnen aus. Es gibt zwei wichtige Mechanismen der sozialen Beeinflussung in einer Konformitätssituation: Die von anderen in derselben Situation gelieferten Informationen werden als zuverlässige Anhaltspunkte für die richtige Reaktion gewertet (informatorischer sozialer Einfluss), und was andere tun und welches Verhalten sie von einem erwarten, wird zum akzeptablen Verhalten in der Situation (normativer sozialer Einfluss).

Behaviorale Modelle

91

Meinungsrichtigkeit gedeutet und verringert somit die wahrgenommene Unsicherheit.182

Bleibt der Prozess undeterminiert und hängt der Handlungserfolg eines Investors vom Verhal-

ten aller anderen ab, so wird die Antizipation der Durchschnittsmeinung entscheidungsrele-

vant. Dies führt dazu, dass neben den fundamentalen Faktoren auch behaviorale Elemente in

die Preise einfliessen können. Gemäss psychologischen Forschungen183 kann die Überein-

stimmung mit Mitgliedern einer Gruppe, mit der man sich vergleicht, als Bestätigung einer

Erwartung dienen, wenn keine passende Referenzinformationen vorhanden sind. Dieses Phä-

nomen wird als „Consensual Validation“ bezeichnet.184 Soziale Unterstützung durch die

Durchschnittsmeinung einer Gruppe dient ferner nicht nur der Bestätigung von Erwartungen

in Abwesenheit von eindeutigen Referenzgrössen, sondern ist auch eine wichtige Quelle der

Entstehung solcher Erwartungen. Die Kausalität kann umgekehrt werden, indem die Durch-

schnittsmeinung vom Mittel zum Ziel wird. Das Underlying der Erwartungen ist in diesem

Fall nicht mehr der objektive Sachverhalt, sondern eine subjektive Kollektivreaktion (Durch-

schnittsmeinung).185 Im sozialen Bereich kommt es bei Gruppenentscheidungen oft zu Extre-

misierungen der ursprünglichen Einzelurteile der Gruppenmitglieder.186 Das trifft auch am

Aktienmarkt zu, wenn an dieser Stelle diverse Blasenbildungen und die dahinter stehende

kollektive Euphorie in Erinnerung gerufen werden. Die Macht dieser Konvention am Aktien-

markt zeigt sich besonders in der Situation, in welcher das Sentiment stark ausgeprägt ist. In

dieser Hinsicht bevorzugt Keynes keine Langfristigkeit187, er war der Ansicht, dass eine auf

langfristigen Erwartungen basierende Anlagetätigkeit nicht durchführbar sei. Er gehorcht der

dritten Konvention und rät den Marktteilnehmern, sich dem Trend der Zeit – also der Durch-

schnittsmeinung – anzupassen und ebenfalls kurzfristig zu agieren.188 Schliesslich gibt es kei-

182 Vgl. Cymbalista (1998) S.142. 183 Als Beispiel kann dabei das klassische Experiment zum autokinetischen Phänomen herangezogen werden: In diesem Experiment hatten die Versuchspersonen in einer kleinen Gruppe die scheinbare Bewegung eines Licht-punktes in einem dunklen Raum zu beobachten. Tatsächlich bewegte sich der Lichtpunkt jedoch nicht, was al-lerdings in einem dunklen Raum ohne Bezugsgrössen nicht eindeutig erkennbar ist. So gaben die meisten Ver-suchspersonen ein gewisses Ausmass wahrgenommener Bewegung an. Es zeigte sich jedoch, dass sich die laut gesprochenen Urteile der Versuchspersonen über den Umfang der Bewegung im Laufe wiederholter Urteile aneinander anglichen. Es bildete sich eine Norm heraus, was man als Bestätigung einer Wahrnehmungshypothe-se durch Übereinstimmung ansehen kann. Vgl. Frey und Stahlberg (1990) S.123-124. 184 Vgl. Frey und Stahlberg (1990) S.123f. 185 Dem Preis als einem objektiven Signal über die Fundamentals wird damit zum Teil der Boden entzogen. 186 Gruppen haben die Tendenz, sich riskanter und weniger verantwortungsbewusst zu verhalten, als dieselben Personen das tun würden, wenn sie allein handeln würden. Dass Gruppenurteile durchaus manchmal auch zu Fehlentscheidungen führen können, wurde in den Arbeiten von Janis (1972) überzeugend dokumentiert. 187 „In the long run, we are all dead“; 188 Vgl. Pinner (1997) S.23.

Behaviorale Modelle

92

ne konzeptunabhängige Wirklichkeit, die Wirklichkeit ist eine gemeinsame Schöpfung der

Menschen selbst. In diesem Sinn ist die dritte Konvention eine fundamentale Regel.

Was den Aktienmarkt betrifft, so ist Keynes ein Behaviorist. Was er vor 70 Jahren gezeigt

hat, ist auch in der Gegenwart wegweisend.

Behaviorale Modelle

93

Kapitel 4 Behaviorale Modelle

4.1 Das Investor-Sentiment-Modell

Zur Erklärung der Unter- und Überreaktionen am Aktienmarkt sowie der dadurch verursach-

ten abnormalen Preisentwicklung haben Barberis, Shleifer und Vishny (1998, BSV) ein Mo-

dell namens „Model of Investor Sentiment“ entwickelt,189 ausgehend von der Annahme der

beschränkten Rationalität der Investoren aufgrund einer Beeinflussung der Entscheidung

durch den Representativeness-Bias.190

4.1.1 Informale Beschreibung

4.1.1.1 Das Sentiment des Investors

Der Aktienmarkt kennt auch eine weiche Seite: Das Sentiment des Investors. Von einer

Haussestimmung (Baissestimmung) ist dann die Rede, wenn die Erwartung eines nach oben

(unten) gerichteten Trends vorherrscht. Dagegen ist von einer lustlosen oder schläfrigen

Stimmung die Rede, wenn der Markt keine Veränderung erwartet und die Erwartung von Re-

verting herrscht. BSV führen die Existenz des Sentiments auf den Representativeness-Bias

zurück: Die Investoren betrachten die fortdauernden Kursentwicklungen in eine Richtung

(nach oben oder unten) innerhalb einer kurzen Periode (d.h., kleine Stichprobe) als repräsenta-

tiv für einen Trend, und umgekehrt werden die abwechselnden Kursentwicklungen (up, down,

up, down...) als repräsentativ für Reverting wahrgenommen. Dies führt dazu, dass die Ran-

dombewegung der Rendite verzerrt wahrgenommen wird und das Sentiment – stark oder

schwach ausgeprägte Hausse- bzw. Baissestimmung – entsteht.191

189 Vgl. Barberis, Shleifer und Vishny (1998); 190 Der Representativeness-Bias ist definiert als: “subjective judgment of the extent to which the event in ques-tion is similar in essential properties to its parent population or reflect the salient features of the process by which it is generated.” Vgl. Kahneman und Tversky (1972) S.33; 191 Ohne Verzerrungen durch das nicht-rationale Behavior wie den Representativeness-Bias sollte keine Hausse- bzw. Baissestimmung beobachtet werden, weil in jedem Zeitpunkt die Wahrscheinlichkeit von „up“ äquivalent mit der Wahrscheinlichkeit von „down“ ist und die Renditeänderung unvorhersehbar ist. Auf realen Märkten kommt es aber kaum vor, dass der Marktteilnehmer sentimentfrei ist und sich keine Gedanken über mögliche Richtungen der Veränderungen macht, wie die Unvorhersehbarkeit impliziert. In der Tat bemühen sich die meis-ten durchschnittlichen Investoren, die möglichen Richtungen der Renditenveränderungen zu antizipieren.

Behaviorale Modelle

94

Dem BSV-Modell nach erwartet der Investor, dass die Ertragsänderung durch zwei Regime

bestimmt wird: Im Regime 1 liegt die Regel Mean-Reverting vor, wo nach einer Ertragserhö-

hung eine Senkung eher wahrscheinlich ist und die Hausse- bzw. Baissestimmung deswegen

schwach ausgeprägt ist. Im Regime 2 dominiert die Regel „Trend“, wo nach einer Ertragser-

höhung (Ertragssenkung) eine weitere Erhöhung (Senkung) eher wahrscheinlich ist und die

Hausse- bzw. Baissestimmung somit stark ausgeprägt ist. In jeder Periode erhält der Investor

Ertragsinformationen, und gemäss BSV-Modell benutzt er diese Informationen zur Aktuali-

sierung (Updating) seiner Erwartung, so dass seine Erwartung darüber, welches Regime die

aktuellen Ertragsveränderungen bestimmt, immer der neuen Evidenz entsprechend aktualisiert

wird. Beispielsweise erhöht der Investor die Wahrscheinlichkeit, dass die Ertragsveränderung

durch das Regime Trend bestimmt wird, wenn eine positive (negative) Ertragsüberraschung

der anderen positiven (negativen) folgt. Im Falle negativer serieller Korrelation innerhalb kur-

zer Perioden, wo eine positive Ertragsüberraschung einer negativen folgt, erhöht der Investor

die Wahrscheinlichkeit, dass das Regime Mean Reverting die Ertragsveränderung be-

stimmt.192 In seiner Aktualisierung ist der Investor Bayesianer, obwohl sein Modell des Er-

tragsprozesses – Mean Reverting oder Trend – inkorrekt ist.

Weder das Regime Mean Reverting noch das Regime Trend folgt einem Random-Walk. Die

Hauptaufgabe des Investors liegt darin, mit Hilfe von historischen Informationen festzustel-

len, welches Regime die aktuellen Ertragsveränderungen bestimmt, damit er die Richtung der

kommenden Änderungen vorhersehen kann. Die Transitionswahrscheinlichkeit zwischen die-

sen zwei Regimes sowie die statistischen Eigenschaften des Ertragsprozesses im jeweiligen

Regime sind fixer Bestandteil der Erwartung des Investors.193 Das BSV-Modell geht davon

aus, dass die Wahrscheinlichkeit eines Regimewechsels relativ klein ist.194 Das heisst: Die

Wahrscheinlichkeit ist gross, dass das Regime Mean Reverting die Ertragsänderung in Perio-

de t+1 bestimmt, falls die Ertragsänderung in Periode t durch das Regime Mean Reverting

bestimmt wird. Dasselbe gilt auch für das Regime Trend.195 Je grösser die Wahrscheinlichkeit

des Regimewechsels ist, desto ähnlicher ist der wahrgenommene Ertragsprozess mit dem tat-

sächlichen Random-Walk. Die Verzerrung in der Wahrnehmung führt jedoch zu einer relativ

niedrigen Wahrscheinlichkeit des Regimewechsels.

192 Vgl. Barberis, Shleifer und Vishny (1998) S.309 193 Gegenstand der eigenen Erfahrung der Investoren; 194 Das heisst: die wahrgenommene Stationärität ist grösser als die tatsächliche. 195 Vgl. Barberis, Shleifer und Vishny (1998) S. 319

Behaviorale Modelle

95

Das Regimesystem kann als ein Versuch des Investors verstanden werden, dem Randomwalk

eine Regelmässigkeit – Trend oder Reverting – hinzuzufügen, ausgehend von einer kleinen

Stichprobe. Umgekehrt hinterlassen die stochastischen Eigenschaften – Regress zum Mittel-

wert unter Nebenbedingung der grossen Zahlen – auch im Regimesystem ihre Spuren: Die

Investoren glauben, dass sich der Markt mehr im Regime Mean Reverting als im Regime

Trend befindet. Zudem spezifiziert das BSV-Modell den Underlying-Prozess als einen Mar-

kov-Prozess: In jedem Regime ist die Ertragsänderung in Periode t nur von der Ertragsände-

rung in der Vorperiode t-1 abhängig. Im Hinblick auf einen Regimewechsel ist der Regime-

wechsel in der Periode t nur vom Regime in der Periode t-1 abhängig.196 Im BSV-Modell ist

die Lernfähigkeit des Investors beschränkt, so dass er die Tatsache der Unvorhersehbarkeit

der Ertragsänderung nicht einsehen kann. Mit dem Glauben an Regelmässigkeit sind die Da-

ten zum Zweck der Verbesserung der Vorhersehbarkeit verarbeitet worden, wobei der Fokus

darauf gerichtet ist, festzustellen, welches Regime die Ertragsänderung bestimmt.197

196 Vgl. Barberis, Shleifer und Vishny (1998) S. 318-320 197 Vgl. Barberis, Shleifer und Vishny (1998) S.320

Behaviorale Modelle

96

4.1.1.2 Über- und Unterreaktion

Die Erwartung des Investors hinsichtlich des Regimes des Ertragsprozesses führt zu Über-

sowie Unterreaktionen. Der Investor wird auf neue Evidenz unterreagieren, wenn er davon

ausgeht, dass das Regime Mean Reverting die Ertragsänderung bestimmt, da die Veränderung

im Regime Mean Reverting nur temporär ist und es keinen Anlass gibt, voll auf die neue Evi-

denz zu reagieren. Umgekehrt tritt Überreaktion auf neue Information auf, falls der Investor

von der Herrschaft des Regimes Trend überzeugt ist und demzufolge der Trend in der Ver-

gangenheit linear in die Zukunft extrapoliert wird.

Unterreaktion drückt sich dadurch aus, dass die durchschnittliche Rendite in den einer positi-

ven Überraschung folgenden Perioden grösser ist als die durchschnittliche Rendite in den ei-

ner negativen Überraschung folgenden Perioden.198 Unterreaktion ist darauf zurückzuführen,

dass der durchschnittliche Investor typischerweise an eine Stationärität glaubt, die länger als

tatsächlich ist.199 Dies ist der Fall, wenn der Investor erwartet, dass der Ertragsprozess Mean

Reverting ist. Im Regime Mean Reverting ist der Investor davon überzeugt, dass die positive

Überraschung aufgrund der Stationärität der Rendite in den folgenden Perioden partiell korri-

giert werden soll und demzufolge eine nach unten gerichtete Korrektur in der folgenden Peri-

ode eher wahrscheinlich ist. Folgt der Ertragsprozess einem Random-Walk, so ist die Kurs-

bewegung hinsichtlich „up“ und „down“ symmetrisch: Nach einer positiven Überraschung ist

die Wahrscheinlichkeit der Fortsetzung der positiven Kursentwicklung gleich gross wie die

Wahrscheinlichkeit einer Umkehrung. Es kommt zur Diskrepanz zwischen den erwarteten

und realisierten Renditen, falls der Investor das Regime Mean Reverting erwartet: Wenn die

positive Überraschung durch eine negative Kursentwicklung abgelöst wird und Reverting

erfolgt, dann entspricht die erwartete Rendite der realisierten Rendite, und die unerwartete

Rendite ist nicht von null verschieden. Falls die positive Überraschung wieder durch eine po-

sitive Kursentwicklung fortgesetzt wird und das Reverting nicht eintritt, dann ist die realisier-

te Rendite grösser als die erwartete, weil die weitere positive Kursentwicklung vom Investor,

welcher ein Mean Reverting erwartet, nicht erwartet wird, und die unerwartete Rendite ist in

diesem Fall grösser als null. Deswegen ist damit zu rechnen, dass die durchschnittliche uner-

wartete Rendite in der Folgeperiode einer positiven Überraschung positiv ist und der Gewin-

ner200 in der Folgeperiode auch Gewinner bleibt, falls der Investor das Regime Mean Rever-

198 Vgl. Barberis, Shleifer und Vishny (1998) S. 321; 199 Vgl. Barberis, Shleifer und Vishny (1998) S. 312; 200 Der Gewinner wird hier als Träger der positiven Überraschungen verstanden.

Behaviorale Modelle

97

ting erwartet. Aus demselben Grund resultiert aus einer negativen Überraschung eine negative

durchschnittliche unerwartete Rendite in der Folgeperiode, und der Verlierer bleibt in der

Folgeperiode unverändert Verlierer.201

Das durch die empirischen Untersuchungen festgestellte Phänomen, dass Gewinner und Ver-

lierer langfristig gesehen ihre Position wechseln und ein Reversal erfolgt, lässt auf eine Über-

reaktion schliessen. Die Überreaktion kann darauf zurückgeführt werden, dass der Trend der

Vergangenheit in die Zukunft extrapoliert wird.202 Das Reversal-Phänomen entspricht der

Folge des Investorenverhaltens im Regime Trend. Nach einer Serie von gleichgerichteten

Überraschungen adjustiert der Investor seine Erwartung hinsichtlich einer möglichen Rich-

tungsveränderungen der Rendite, indem die Wahrscheinlichkeit, dass das Regime Trend die

Ertragsveränderungen bestimmt, erhöht wird. Der Investor wird an das Vorliegen des Re-

gimes Trend glauben, nachdem diese Wahrscheinlichkeit eine kritische Grösse überschritten

hat. Im Regime Trend erwartet der Investor die Fortsetzung des Trends,203 wobei die Wahr-

scheinlichkeit eines Regimewechsels als niedrig betrachtet wird. Nach einem positiven

Schock werden vom Investor weitere Schocks in die gleiche Richtung erwartet. Unabhängig

davon folgt der Underlying-Prozess jedoch einem Random-Walk, und es kann zur Diskrepanz

zwischen erwarteten und realisierten Renditen kommen: Die unerwartete Rendite (Differenz

zwischen realisierten und erwarteten Renditen) ist dann null, wenn der weitere positive

Schock wie erwartet eintritt und der Trend tatsächlich fortdauert. Mit einer negativen uner-

warteten Rendite muss gerechnet werden, wenn der Trend nicht eintritt. In einer Randomwelt

ist die Kursbewegung hinsichtlich up und down symmetrisch, und die Wahrscheinlichkeit der

Fortsetzung eines Trends ist gleich so gross wie die Wahrscheinlichkeit der Umkehrung des

Trends. Somit ist die durchschnittliche unerwartete Rendite in der Folgeperiode nach einer

Reihe positiver Überraschungen negativ. Aus demselben Grund ist die durchschnittliche un-

erwartete Rendite in der Folgeperiode nach einer Reihe negativer Überraschungen positiv.204

Daraus resultiert ein Reversal-Muster.

201 Vgl. Barberis, Shleifer und Vishny (1998) S.320f; 202 „In Practice, the forecasts of many investors are naive extrapolations of recent experience.” Vgl. DeBondt und Thaler (1995) S.394; 203 Das ist der Fall, wo stark ausgeprägte Hausse- bzw. Baissestimmung vorherrscht. 204 Vgl. Barberis, Shleifer und Vishny (1998) S.320f.

Behaviorale Modelle

98

4.1.2 Regime-Switching Modell

Das BSV-Modell geht von folgenden Annahmen aus:205

Der Ertragsprozess folgt dem Random-Walk. Der Ertrag wird zu 100% als Divi-

dende ausgeschüttet. Der Diskontsatz ist konstant.

Der durchschnittliche Investor nimmt den tatsächlichen Random-Walk nicht wahr

und benutzt das Regimesystem mit den beiden Regimen Mean Reverting bzw. Trend

zur Unterstützung seiner Erwartungsbildung.

Der repräsentative Investor ist risikoneutral. Bei der Aktualisierung der Informa-

tionen ist er Bayesianer. Die Erwartung des repräsentativen Investors reflektiert den

Konsens.

Die Wahrscheinlichkeit von Mean Reverting ist grösser als die Wahrscheinlichkeit

von Trend. Die Wahrscheinlichkeit eines Regimewechsels ist klein.

Der Unternehmensgewinn zum Zeitpunkt t beträgt ttt yNN += −1 , wobei }{ yyyt −= , einer

diskreten Gewinnänderung entspricht. Der Investor geht davon aus, dass die Ertragsänderung

durch eines der beiden Regime bestimmt wird. Die Übergangswahrscheinlichkeiten können

wie folgt beschrieben werden:

Modell 1: Mean Reverting Modell 2: Trend

yt+1 = y yt+1 = -y yt+1 = y yt+1 = -y

yt = y πL 1- πL yt = y πH 1-πH

yt = -y 1- πL πL

yt = -y 1-πH πH

Wichtig dabei ist, dass πL klein und πH gross ist (d.h., die Wahrscheinlichkeit eines Regime-

wechsels ist klein). Nach BSV soll sich πL im Intervall (0, 0.5) und πH im Intervall (0.5, 1)

befinden. Das heisst: Im Regime „Mean Reverting“ soll die Wahrscheinlichkeit der Fortset-

zung von Reverting in der Folgeperiode, 1- πL, grösser als 50% sein, während die Wahr-

scheinlichkeit der Fortsetzung des Trends in der folgenden Periode, πH, im Regime von Trend

auch grösser als 50% sein soll. Der Investor kennt nach eigener Erfahrung die Parameter πL

205 Vgl. Barberis, Shleifer und Vishny (1998) S.318 – S.322;

Behaviorale Modelle

99

und πH. Die Wahrscheinlichkeit eines Regimewechsels ist durch die Übergangsmatrix defi-

niert und kann wie folgt beschrieben werden:

Wahrscheinlichkeit des Regimewechsels

st+1 = 1 st+1 = 2

st = 1 1- λ1 λ1

st = 2 λ2 1- λ2

Der Zustand zum Zeitpunkt t wird durch st beschrieben. Falls st = 1 ist, erwartet der Investor

zum Zeitpunkt t, dass die Ertragsveränderungen durch Mean Reverting (Modell 1) bestimmt

werden. Im Falle st = 2 geht der Investor zum Zeitpunkt t davon aus, dass der Trend die Er-

tragsveränderungen bestimmt. Die Parameter λ1 und λ2 widerspiegeln die Wahrscheinlichkeit

des Regimewechsels in der folgenden Periode. Nach der Modellannahme sind λ1 und λ2

klein. Und es wird angenommen, dass λ1 + λ2 < 1 ist, das heisst, die Wahrscheinlichkeit eines

Regimewechsels ist niedriger als die Wahrscheinlichkeit der Fortsetzung eines bestimmten

Regimes. Die Modellannahme, dass die vom Investor erwartete Wahrscheinlichkeit von Mean

Reverting grösser als die entsprechende Wahrscheinlichkeit von Trend ist, impliziert λ1 < λ2,

dementsprechend soll die Wahrscheinlichkeit λ2, vom Regime 2 (Trend) zu Regime 1 (Mean

Reverting) zu wechseln, im Vergleich zur Wahrscheinlichkeit des Wechsels vom Regime 1

(Mean Reverting) zu Regime 2 (Trend), λ1, grösser sein.

Die Prognose der zukünftigen Gewinnentwicklung reduziert sich unter Verwendung des

BSV-Modells für den Investor darauf, den bestehenden Zustand (Reverting oder Trend) und

damit die „gültige Regelmässigkeit“ hinsichtlich Gewinnänderung zu bestimmen. Anhand der

Beobachtung der Gewinnänderung yt berechnet er zum Zeitpunkt t die Wahrscheinlichkeit qt,

dass yt durch Mean Reverting (Modell 1) bestimmt wird und verwendet die neuen Gewinn-

Daten zur Aktualisierung seiner Schätzung qt-1 aus der Vorperiode. Formal ausgedrückt:

( )11,,1 −−== ttttt qyysPq . BSV zufolge folgt die Aktualisierung der Zustandserwartung qt der

Regel von Bayes:

),2Pr())1)(1(((),1Pr())1()1((),1Pr())1()1((

11211121

11211

tttttttttt

tttttt ysyqqysyqq

ysyqqq

=−−++=−+−=−+−

=++++

+++ λλλλ

λλ (4.1)

Behaviorale Modelle

100

Wenn die Gewinnänderung yt+1 in der Periode t+1 dem Vorzeichen der Gewinnänderung yt in

der Periode t entspricht (yt+1 = yt), aktualisiert der Investor qt+1 von qt gemäss:

HttLtt

Lttt qqqq

qqqπλλπλλ

πλλ))1)(1(())1()1((

))1()1((

2121

211 −−++−+−

−+−=+ (4.2)

In diesem Fall lässt sich zeigen, dass qt+1 < qt gilt.206 Mit anderen Worten legt der Investor ein

grösseres Gewicht auf das Modell 2 (Trend), wenn er zwei nachfolgende Gewinnänderungen

gleichen Vorzeichens beobachtet. Im Falle einer Umkehrung der Gewinnänderung, yt+1 = -

yt, wird q durch Aktualisierung nach oben korrigiert, so dass qt+1 > qt. Dem Modell 1 (Mean

Reverting) wird mehr Gewicht zugeschrieben, wenn der Investor die Gewinnänderung mit

einem umgekehrten Vorzeichen beobachtet. Die Aktualisierung folgt in diesem Fall der fol-

genden Regel:

)1))(1)(1(()1))(1()1(()1))(1()1((

2121

211

HttLtt

Lttt qqqq

qqqπλλπλλ

πλλ−−−++−−+−

−−+−=+ (4.3)

Mit dem Ergebnis aus der Simulation des Modells207 kann ein Einblick gewonnen worden,

wie der Aktualisierungsprozess praktisch verläuft. Angenommen, der Startzeitpunkt sei in t=0

und y sei die Gewinnänderung (Ertragsschock). Die Wahrscheinlichkeit, dass die Gewinnän-

derung durch Mean Reverting bestimmt wird, sei im Startzeitpunkt 50%, nämlich q0=0.5. Die

Tabelle unten präsentiert den Aktualisierungsprozess von qt. Die Parameter werden von BSV

wie folgt gewählt: πL=1/3 < πH=3/4; λ1=0.1 < λ2=0.4. Unabhängig vom Regimesystem folgt

der tatsächliche Ertragsprozess einem Random-Walk.

206 Zur Herleitung „qt+1 < qt“ siehe BSV (1998) Appendix; 207 Vgl. Barberis, Shleifer und Vishny (1998) S.324

t yt qt t yt qt

0 y 0.501 -y 0.80 11 y 0.742 y 0.90 12 y 0.563 -y 0.93 13 y 0.444 y 0.94 14 y 0.365 y 0.74 15 -y 0.746 -y 0.89 16 y 0.897 -y 0.69 17 y 0.698 y 0.87 18 -y 0.879 -y 0.92 19 y 0.9210 y 0.94 20 y 0.72

Behaviorale Modelle

101

In den Perioden 0 bis 4 sind die Ertragsschocks (Gewinnänderungen) symmetrisch: Dem posi-

tiven Schock folgt ein negativer Schock, und umgekehrt. Die Reihenfolge entspricht dem Pat-

tern von Mean Reverting. Diese „Evidenz“ aus der Ertragsinformation hat der Investor beo-

bachtet, und er aktualisiert dementsprechend seine Schätzung von qt . Folglich erhöht sich qt

von 0.5 in Periode 0 auf 0.94 in Periode 4, d.h., in Periode 4 erwartet der Investor mit 94%

Sicherheit, dass die Gewinnänderung durch Mean Reverting bestimmt ist. In den Perioden 10

bis 14 sind fünf positive Schocks nacheinander zu beobachten, als ob ein Trend auftreten

würde. Diese neue Evidenz aus der Schockinformation ist „beeindruckend“ für den Investor,

dessen Beurteilung durch Representativeness-Bias verzerrt wird. Dementsprechend senkt er qt

und erhöht somit die Wahrscheinlichkeit, dass der Ertragsprozess dem Regime Trend unter-

steht. Folglich fällt q von 0.94 in Periode 10 auf 0.36 in Periode 14. Mit anderen Worten er-

wartet der Investor in Periode 14 mit 64% Sicherheit, dass die Gewinnänderung durch Trend

bestimmt wird. Im Modell steigt qt, wenn die Gewinnänderung in t ein umgekehrtes Vorzei-

chen im Vergleich zur Gewinnänderung in der Vorperiode hat (Umkehrung); qt sinkt, wenn

die Gewinnänderung in t dieselbe Richtung wie die Gewinnänderung in t-1 hat (Fortsetzung).

Die Wahrscheinlichkeit qt wird stets anhand neuer Informationen angepasst und aktualisiert,

und bei der Aktualisierung von qt ist der Investor Bayesianer.

Das BSV-Modell liefert einen Anhaltspunkt zur Identifizierung von Über- und Unterreaktion.

Die Wahrscheinlichkeit einer Unterreaktion ist gross, wenn der Investor das Regime Mean

Reverting erwartet. Dies ist der Fall, wenn qt gross ist. Die Wahrscheinlichkeit einer Überre-

aktion ist dann gross, wenn der Investor vom Regime Trend ausgeht. Dies ist der Fall, wenn qt

klein ist. Zur Identifikation von Über- sowie Unterreaktion ist qt somit ein Schlüssel. Ob und

wie qt beobachtbar ist, wird im Kapitel 6.2.2.2, Proxy für Sentiment, diskutiert.

Behaviorale Modelle

102

4.1.3 Implikationen

Im BSV-Modell entspricht der korrekte Wertpapierpreis Pt dem vom repräsentativen Investor

beigemessenen Wert der diskontierten erwarteten zukünftigen Cashflows:

( )

+= ∑

=

+

1 1nn

nttt r

NEP (4.4)

Der Wertpapierpreis weicht jedoch vom „korrekten“ Wert ab, da der Investor zur Gewinn-

prognose nicht das Random Walk-Modell, sondern eine Kombination der Modelle der Trend-

umkehr und der Trendkontinuität (Regime-Switching Modell) verwendet.

PROPOSITION 1:

Sofern der Investor annimmt, dass die Gewinnänderung durch das Regime-Switching Modell

bestimmt wird, erfüllen die Wertpapierpreise:

)( 21 ttt

t qppyr

NP −+= (4.5)

wobei p1 und p2 Konstanten darstellen, die von πL, πH, λ1 und λ2 abhängen.208

Der erste Term, Nt/r, entspricht dem Wertpapierpreis, wenn der Investor das Random Walk-

Modell zur Gewinnprognose verwendet. Der zweite Term, yt(p1- p2qt), gibt die Abweichung

des Wertpapierpreises von diesem Wert an und kann als Bubbleterm interpretiert werden.

Damit die Preisfunktion Pt durchschnittlich eine Unterreaktion auf eine Folge nicht gleich

gerichteter Ertragsschocks generiert, darf p1 im Verhältnis zu p2 einerseits nicht zu gross ge-

wählt werden.209 Andererseits darf p1 im Verhältnis zu p2 nicht zu klein gewählt werden, da-

mit die Preisfunktion Pt durchschnittlich eine Überreaktion auf eine Folge gleichgerichteter

Ertragsschocks impliziert.210 Damit ergeben sich für p1 im Verhältnis zu p2 eine obere und

eine untere Wertgrenze.

208 Vgl. Barberis, Shleifer und Vishny (1998) S.324; Die Ausdrücke für p1 und p2 sind in dem Beweis der Propo-sition 1 in BSV(1998), S.333f., Appendix IA gegeben. 209 Es sei angenommen, dass der Investor einen positiven Ertragsschock beobachtet habe. Bei einer Unterreakti-on erfolgt durchschnittlich nur eine unvollständige Preisanpassung, so dass der neue Fundamentalwert unter-schätzt wird. Folglich ist die durchschnittliche Preisabweichung yt(p1- p2qt) negativ. Eine Unterreaktion erfordert somit, dass die Beziehung p1 < p2qMW gilt, wobei qMW den Mittelwert von q bezeichnet. 210 Es sei angenommen, dass der Investor einen positiven Ertragsschock beobachtet habe. Bei einer Überreaktion übersteigt der Preis den Fundamentalwert. Zudem ist bekannt, dass nach einer Folge von gleichgerichteten Er-tragsschocks qt einen kleinen Wert annimmt. Das heisst: Die geschätzte Wahrscheinlichkeit, dass das Regime „Mean Reverting“ die Gewinnänderung bestimmt, ist klein. Eine Überreaktion impliziert, dass yt(p1- p2qt) positiv ist bzw. die Beziehung p1 > p2qklein gilt, wobei qklein einen kleinen Wert von q bezeichnet.

Behaviorale Modelle

103

PROPOSITION 2: Sofern die Modellparameter πL, πH, λ1 und λ2 die Bedingung

212 pkppk << (4.6)

erfüllen, weist die Preisfunktion in Proposition 1 sowohl eine Unterreaktion als auch eine

Überreaktion auf die Gewinninformationen auf, wobei k und k positive Konstanten darstel-

len, die von πL, πH, λ1 und λ2 abhängen.211

BSV (1998) haben anhand von Simulationsberechnungen gezeigt, dass die Über- sowie Un-

terreaktion durch die Formel (4.5) in Proposition 1 konkret beschrieben werden kann. In der

BSV-Simulation wurden folgende Parameterwerte angenommen: πL=1/3, πH=3/4, λ1=0.1 und

λ2=0.4. BSV haben das Random-Walk Modell zur Simulation von 2'000 unabhängigen Er-

tragsserien verwendet. Jede Ertragsserie beschreibt eine fiktive Firma. Die Volatilität der Er-

tragsschocks ist konstant, und der Ertragsschock yt ist im Vergleich zum Anfangsniveau des

Gewinns N0 klein, um negative Erträge zu vermeiden. Es werden zwei Portfolios für n Perio-

den gebildet: Das Portfolio (+) besteht aus den Firmen mit positiven Ertragsschocks in jeder

der n Perioden, und das Portfolio (-) setzt sich aus den Firmen mit negativen Ertragsschocks

in jeder der n Perioden zusammen. Die Differenz der Rendite zwischen beiden Portfolios in

der Folgeperiode nach der Portfolioformation, r+n – r-

n, wird berechnet:

Resultat der BSV-Simulation

r+1 – r-

1 0.0391

r+2 – r-

2 0.0131

r+3 – r-

3 -0.0072

r+4 – r-

4 -0.0309

Eine positive Differenz impliziert eine Unterreaktion (Momentum), und eine negative Diffe-

renz reflektiert eine Überreaktion (Reversal).

211 Vgl. Barberis, Shleifer und Vishny (1998) S.326; Die Ausdrücke für k und k sind im Beweis der Proposition 2 in BSV(1998), S.336f., Appendix IB definiert.

Behaviorale Modelle

104

4.2 Overconfidence-Modell

Ausgehend von asymmetrischer Information und gradueller Informationsdiffusion auf Wert-

papiermärkten einerseits und Overconfidence des Investors andererseits haben Daniel, Hirsh-

leifer und Subrahmanyam (1998, DHS) das Overconfidence-Modell entwickelt, womit die

Über- und Unterreaktion bzw. short-run Momentum und long-run Reversal erklärt werden

können. Im Gegensatz zum BSV-Modell richtet sich der Erwartungsbildungsfehler jedoch

nicht auf die Gewinnprognose, sondern auf die Interpretation privater und öffentlicher Infor-

mationssignale, aufgrund des nicht-rationalen Marktverhaltens wie Overconfidence.212

4.2.1 Informale Beschreibung

Das Overconfidencemodell geht davon aus, dass die uninformierten Investoren frei von Be-

havior-Biases sind, während die informierten Investoren unter den Biases wie Overconfidence

und Self-Attribution leiden. Es wird eine graduelle Informationsdiffusion angenommen. Am

Anfang des Events wird der Preis durch die Privatinformationen der informierten Investoren

bestimmt213 und ist biasanfällig. Die Overconfidence des informierten Investors manifestiert

sich in der Überschätzung der Genauigkeit der eigenen Informationen, was zu Überreaktion

führt. Die durch Self-Attribution verursachte asymmetrische Gewichtung der öffentlichen

Informationen – Übergewichtung der konformen Informationen und Untergewichtung der

nicht konformen Informationen – ermöglicht dann die Persistenz der Überreaktion.214 Somit

entsteht aus der behavioralen Perspektive ein anderes Bild: In der ersten Phase der Preisände-

rungen im Rahmen eines Events, in welcher der Preis nur durch die Privatinformationen be-

stimmt wird, ist aufgrund von Overconfidence der informierten Investoren mit einer Überre-

aktion zu rechnen. Die ineffiziente Abweichung der Preise vom Fundamentalwert kann in der

Folgeperiode nur partiell korrigiert werden, weil die eingetroffenen öffentlichen Informatio-

nen am Anfang noisy sind und die Self-Attribution eine volle Korrektur verhindert, so dass

der Trend der Überreaktion fortdauern kann. Der hochgetriebene Preis kommt erst mit einer

zeitlichen Verzögerung langsam zum Fundamentalwert zurück, wenn in den nachfolgenden

Perioden mehr öffentliche Informationen im Markt auftreten und die öffentlichen Signale viel

stärker und deutlicher werden. Die Kernidee des Overconfidencemodells lässt sich wie folgt

212Vgl. Daniel, Hirshleifer und Subrahmanyam (1998), S.1839f. 213 Vgl. Daniel, Hirshleifer und Subrahmanyam (1998) S. 1840 214 Vgl. Daniel, Hirshleifer und Subrahmanyam (1998) S. 1841-1845

Behaviorale Modelle

105

zusammenfassen: I) Die Preisänderung wird durch die Privatinformationen der informierten

Investoren initiiert, und die Informationsdiffusion ist graduell. Die Überschätzung der Genau-

igkeit der eigenen Informationen aufgrund von Overconfidence löst Überreaktionen aus.

Langfristig wird der Preis aber durch die öffentliche Information bestimmt. Die Korrektur der

anfänglichen Überreaktionen manifestiert sich durch die negative Autokorrelation der Rendite

„in the long-run“ (Reversal); II) Die Self-Attribution führt zur Unterschätzung der öffentli-

chen Informationen, welche den informierten Investor zu einer Korrektur seiner Überreaktion

veranlassen sollte, so dass die Überreaktion „in the short-run“ persistent bleiben kann. Diese

Persistenz manifestiert sich „in the short-run“ als positive Autokorrelation der Rendite

(Momentum).

Behaviorale Modelle

106

4.2.2 Das Grundmodell

4.2.2.1 Das Grundmodell mit konstanter Confidence

Es wird angenommen, dass es zwei Typen von Investoren gibt: Informierte Investoren (I) und

uninformierte Investoren (U), wobei die uninformierten Investoren nur öffentliche Informati-

onen und die informierten Investoren auch Privatinformationen erhalten. In Bezug auf speku-

lative Assets herrscht am Anfang des Events asymmetrische Information: Der Insider hat zu

diesem Zeitpunkt die preisrelevanten Informationen, während der Outsider keinen Zugang zu

diesen Informationen hat. Somit wird die durch den Event ausgelöste unerwartete Preisände-

rung durch die Privatinformation initiiert. Die informierten Investoren haben nicht nur einen

Informationsvorsprung, sondern werden auch durch Overconfidence und Self-Attribution ge-

leitet, so dass die Fehlervarianz der eigenen Prognose unterschätzt und auf die nicht konfor-

men öffentlichen Informationen unterreagiert wird. Eine andere wichtige Annahme ist die

graduelle Informationsdiffusion, wonach die öffentliche Information hinsichtlich des Events

mit zeitlicher Verzögerung hinter der Privatinformation graduell in den Markt auftritt. Somit

ist die Preisänderung zuerst eine Variable der Privatinformation des informierten Investors,

und die öffentliche Information kann erst in der zweiten Phase ihre deterministische Rolle in

der Preisfindung einnehmen.

Im DHS-Modell ist jeder Marktteilnehmer mit einem Ausgangsvermögen ausgestattet in Ak-

tien und einer risikolosen Anlage. Zur Modellvereinfachung werden die Uninformierten als

risikoavers und die Informierten als risikoneutral angenommen. Es gibt vier Zeitperioden:

Zum Zeitpunkt t=0 nehmen die Marktteilnehmer bei homogenen Erwartungen einen Handel

ihrer Ausstattungen zu Zwecken der optimalen Risikoallokation auf. Zum Zeitpunkt t=1 er-

halten die Informierten ein verrauschtes privates Signal hinsichtlich des Wertes des Underly-

ing-Assets und handeln aufgrund dieser Information mit den Uninformierten. Zum Zeitpunkt

t=2 ist das verrauschte öffentliche Informationssignal in den Markt eingetroffen und der Han-

del setzt sich fort. Zum Zeitpunkt t=3 herrscht vollständige öffentliche Information, und der

Fundamentalwert ist bekannt. Es wird auf das Wertpapier eine Liquiditätsdividende zum

Zweck des Konsums ausgeschüttet. Alle Randomvariablen sind unabhängig und normalver-

teilt.

Das risikobehaftete Wertpapier hat einen Zeitwert von θ, der mit einem Mittelwertθ und

einer Varianz σθ2 als unabhängig und normalverteilt angenommen wird. Ohne Verlust an All-

Behaviorale Modelle

107

gemeingültigkeit wirdθ = 0 gesetzt. Zum Zeitpunkt t=1 erhalten Informierte das private Sig-

nal:

εθ +=1S (4.2.1)

wobei ε ∼ N(0, σε2). Die Genauigkeit des Signals beträgt 1/σε

2. Die Uninformierten können

die Varianz dieses Störterms ohne Biases korrekt einschätzen,215 während die Informierten

aufgrund von Overconfidence die Fehlervarianz der eigenen Prognose unterschätzen, d.h., σC2

< σε2.216 Den Marktteilnehmergruppen sind diese abweichenden Schätzungen der Informati-

onsgenauigkeit bekannt.

Zum Zeitpunkt t=2 ist das öffentliche Signal eingetroffen:217

ηθ +=2S (4.2.2)

wobei η ∼ N(0, σp2), unabhängig von θ und ε. Die Varianz des Störterms σp

2 wird von allen

Investoren unverzerrt eingeschätzt. In Bezug auf die öffentliche Informationen besteht kein

Bias.

Der Wertpapierpreis wird von den Erwartungen der risikoneutralen Informierten, EC(...), be-

stimmt, womit zu jedem Zeitpunkt (t=1, 2, 3) die folgenden Beziehungen erfüllt sind:

[ ]εθθ += CEP1 (4.2.3)

[ ]ηθεθθ ++= ,2 CEP (4.2.4)

θ=3P (4.2.5)

Bei der öffentlichen Bekanntgabe zum Zeitpunkt 3 entspricht der Wertpapierpreis dem ratio-

nalen Wert (P3=θ). Für normalverteilte Variablen folgt:218

)(22

2

1 εθσσ

σ

θ

θ ++

=C

P (4.2.6)

215 Allerdings erhalten Uninformierte keine privaten Signale. Die korrekte Einschätzung dient als Benchmark. 216 σC

2: die durch „overconfidente“ Investoren geschätzte Varianz des privaten Signals; 217 Die Annahme, dass die private der öffentlichen Information vorausgeht, ist nach DHS (1998) zur Ableitung der Modellergebnisse nicht zwingend. Erforderlich ist, dass zumindest einige öffentliche Informationen nach dem privaten Signal auftreten. Die Modellergebnisse behalten ihre Gültigkeit, wenn zusätzliche Information dem privaten Signal vorausgeht bzw. mit diesem zeitlich zusammenfällt. 218 Siehe Anderson (1984), Kapitel 2

Behaviorale Modelle

108

ησσεσσ

θσσσ θθθ

DDDP CppC

2222222

2

)(++

+= (4.2.7)

mit 22222 )( CpCpD σσσσσθ ++≡ , wobei σθ2 die Varianz des Fundamentalwerts bezeichnet. Zum

Zeitpunkt t=1 wird das Signal, εθ +=1S , durch die Genauigkeit des Signals normalisiert.

Bei gegebenem θ beträgt die Genauigkeit der Information zum Zeitpunkt t=1 σθ2/σθ

2 +σC2 .219

Je sicherer bzw. overconfidenter der Investor bezüglich privater Information ist, desto kleiner

ist σC2, desto näher ist der Term σθ

2/(σθ2 +σC

2) bei 1, und desto mehr fliesst die private In-

formation, εθ +=1S , in den Preis ein. Umgekehrt reflektiert der Preis das private Signal ε

nur in beschränktem Umfang, wenn die Unsicherheit über die private Information dominiert,

und mit einem entsprechend grossen Wert von σC2 ist der Term σθ

2/(σθ2 +σC

2) weit kleiner als

1. Die Adjustierung um die Genauigkeit der verrauschten Informationen erfolgt auch zum

Zeitpunkt t=2.

Die Modellierung lässt die Überreaktion des Wertpapierpreises entstehen, da bei einer Unter-

schätzung der Fehlervarianz der eigenen Prognose aufgrund von Overconfidence, σC2 < σε

2,

der Preis P1 zum Zeitpunkt 1 gemäss (4.2.6) überschätzt wird. Diese Überschätzung kann in

der folgenden Periode korrigiert werden, wenn das öffentliche Signal eindeutiger wird und

mit einem kleinen Wert von σp2 die Gewichtung des privaten Signals in der Bewertung (4.2.7)

sinkt.220 Allerdings kann die Überschätzung in bestimmtem Umfang persistent bleiben, wenn

die privaten Investoren wegen Self-Attribution in der Folgeperiode (Zeitpunkt t=2) an der

Genauigkeit ihrer Schätzung nicht zweifeln, so dass sich σC2 < σε

2 fortsetzt. Folglich wird die

öffentliche Information, η, in der Bewertung (4.2.7) unterschätzt, weil σC2σθ

2/D < σε2σθ

2/D

ist. Der zweite Term in (4.2.7), σp2σθ

2/D, kann als Korrekturterm verstanden werden, während

der dritte Term in (4.2.7), σC2σθ

2/D, als Momentumterm betrachtet werden kann.221

219 Die objektive Genauigkeit beträgt σθ

2/σθ2 +σε

2 , mit gegebenem θ und noisy ε; Die von den Informierten wahrgenommene Genauigkeit beträgt σθ

2/σθ2 +σC

2 , mit gegebenem θ und noisy ε. 220 Bei Bekanntgabe vollständiger öffentlicher Information in der Endperiode ist σp

2 gleich null, und somit ist die Gewichtung der privaten Information in der Bewertung null. 221 Die Interpretation der Bewertungsformel vertritt nur die Meinung des Autors dieser Arbeit. DHS (1998) könnten eine andere Erklärung haben.

Behaviorale Modelle

109

4.2.2.2 Implikation des Grundmodells: Über- sowie Unterreaktion

Das DHS-Modell stellt ein Instrument zur Verfügung, womit Über- sowie Unterreaktion er-

klärt werden kann. Die Overconfidence im privaten Signal bewirkt, dass der Wertpapierpreis

am Anfang des Events, zum Zeitpunkt t=1, auf die private Information überreagiert. Auf die

Überreaktionsphase folgt eine Korrekturphase, wobei die durch Self-Attribution herbeigeführ-

te Untergewichtung der nicht konformen öffentlichen Informationen zur Unterreaktion führt,

so dass die Abweichung nur partiell korrigiert wird.222 Aus dem Modell resultiert sowohl po-

sitive als auch negative Autokorrelation. In Bezug auf die Autokorrelationen der Preisverän-

derungen impliziert die Überreaktion auf das private Informationssignal und deren partielle

Korrektur beim Auftreten öffentlicher Informationen, dass die Kovarianz der einperiodigen

Preisänderungen der Zeitpunkte t=1 und t=2, cov(P2-P1, P1-P0), negativ sein soll. Die Kovari-

anz cov(P2-P1, P1-P0) des DHS-Modells hat in dem Fall einen negativen Wert, wenn

Overconfidence die Erwartungsbildung verzerrt (σC2 < σε

2):223

0))()((

)()( 2222222

2222

01,12 <+++

−−=−−pCpCC

CCPPPPCOVσσσσσσσ

σσσσθθ

εθ (4.2.8)

Die Unterreaktion auf öffentliche Information impliziert, dass der Preis nicht sofort die öffent-

liche Information reflektiert, nachdem diese im Markt aufgetreten ist. Die partielle Korrektur

der Überreaktion führt zu einer positiven Autokorrelation der Preisänderungen. Dementspre-

chend hat das DHS-Modell eine positive Kovarianz, cov(P3-P2, P2-P1):

0))()((

)()( 22222222

22226

12,23 >+++

−=−−

pCpCC

CpCPPPPCOVσσσσσσσ

σσσσσ

θθ

εθ (4.2.9)

Im Hinblick auf Über- sowie Unterreaktionen kommen DHS (1998) zu folgender Schlussfol-

gerung:224

PROPOSITION 1: Wenn die Investoren overconfident sind,

werden die durch das Auftreten privater Information hervorgerufenen Preisände-

rungen in der langen Frist durchschnittlich partiell aufgehoben;

222 Die durch Self-Attribution verursachte asymmetrische Gewichtung der öffentlichen Informationen, Überge-wichtung der konformen Informationen und Untergewichtung der nicht konformen Informationen, ermöglicht die Persistenz der Überreaktion. 223 Zur Herleitung der nachfolgend angegebenen Kovarianz siehe DHS (1998) S.1869. 224 Vgl. Daniel, Hirshleifer und Subrahmanyam (1998) S. 1848

Behaviorale Modelle

110

sind die Preisänderungen beim Auftreten öffentlicher Information mit nachfol-

genden Preisänderungen positiv korreliert.

In den empirischen Untersuchungen der seriellen Preisabhängigkeiten werden die Autokorre-

lationen der Wertpapierrendite im Allgemeinen nicht auf das Auftreten privater bzw. öffentli-

cher Informationssignale konditioniert. Hierdurch können Vorzeichenunterschiede der Auto-

korrelationen in Abhängigkeit der Art des Informationsergebnisses überdeckt werden. So ist

der Durchschnitt der Kovarianzen cov(P2-P1, P1-P0) und cov(P3-P2, P2-P1) der einperiodigen

Preisänderungen nach dem Auftreten der privaten und der darauffolgenden öffentlichen In-

formation negativ:

0))()((2

)(

))()((21

22222222

2248

12,2301,12

<+++

−−=

−−+−−

ppCC

CC

PPPPCOVPPPPCOV

σσσσσσσσσσσ

θθθ

εθ (4.2.10)

PROPOSITION 2: Wenn die Investoren overconfident sind, dann weisen die Preisänderungen

über einen kurz- und langfristigen Zeithorizont eine unkonditioniert negative Autokorrelation

auf.

Das Modell mit einer konstanten Confidence steht im Einklang mit der Beobachtung einer

Trendumkehrung, nicht jedoch mit einer Trendkontinuität. Dies lässt sich durch eine Erweite-

rung des Modells um eine ergebnisabhängige Confidence erzielen.

Behaviorale Modelle

111

4.2.3 Das erweitertes Modell

4.2.3.1 Das erweitertes Modell mit ergebnisabhängiger Confidence

Im erweiterten Modell wird Confidence nicht als konstant betrachtet, sondern variiert asym-

metrisch mit den resultierenden Ergebnissen: Die Confidence wird überpropotional erhöht,

wenn die private Prognose in der Folgeperiode durch öffentliche Information bestätigt wird,

während die Confidence unverändert bleibt, wenn die öffentliche Information die private wi-

derlegt. Somit erhöht das Auftreten öffentlicher Information im Durchschnitt die Confidence

der Informierten und verstärkt daher die Überreaktion. Durch die Einbeziehung der Rückwir-

kung des Handelserfolgs auf das Konfidenzniveau lässt sich im Modell von DHS (1998) die

Preisumkehrung kontinuierlich modellieren, wodurch auch das Auftreten einer Trendkontinui-

tät erklärt werden kann.225 Die Variation der Confidence aufgrund von Self-Attribution hat die

Verlängerung der Überreaktionsphase zur Folge, was eine positive Autokorrelation der kurz-

fristigen Preisänderungen herbeiführt. Somit kann die öffentliche Information nur mit zeitli-

cher Verzögerung den Wertpapierpreis zu seinem Fundamentalwert zurückbringen, was sich

durch langfristige negative Autokorrelationen zeigt.

Im Vergleich zum Grundmodell ist die Overconfidence der Informierten am Anfang des

Events nicht zwingend, so dass σC2 ≤ σε

2 gilt. Zur Vereinfachung wird das öffentliche Signal

zum Zeitpunkt t=2 als diskret mit S2 = { 1, -1} angenommen. S2=1 bedeutet eine Bestätigung

der privaten Information durch öffentliche, während S2= -1 die Widerlegung der privaten In-

formation durch öffentliche bezeichnet. DHS (1998) nehmen an, dass die Genauigkeit (1/σC2),

mit der die Informierten die Verlässlichkeit ihres privaten Signals beurteilen, von der Realisa-

tion des öffentlichen Signals in der Folgeperiode abhängt. Die Confidence nimmt zu, wenn

)()( 2Ssignsign =+εθ (4.2.11)

womit die Schätzung der Varianz des eigenen Prognosenfehlers aufgrund der Zunahme von

Confidence auf σC2-k, mit 0<k<σC

2, abnimmt. Im Falle S2=1 erhöhen die Informierten somit

die Verlässlichkeit ihrer privaten Informationen um k/(σC2-k) σC

2. Die Confidence - die Si-

cherheit über die Zuverlässigkeit der eigenen Information - bleibt hingegen im Falle S2= -1

unverändert bei 1/σC2, wenn

)()( 2Ssignsign ≠+εθ (4.2.12)

225 Vgl. Daniel, Hirshleifer und Subrahmanyam (1998) S.1855-1856

Behaviorale Modelle

112

Der Erwartungswert des Wertpapierpreises wird durch die Erwartungen der risikoneutralen

Informierten mit Overconfidence-Bias bestimmt, und zum Zeitpunkt t=1 ist folgende Bezie-

hung zu erfüllen:

[ ] )(22

2

1 εθσσ

σεθθθ

θ ++

=+=C

CEP (4.2.13)

Im Falle S2= -1 bleibt sowohl die Confidence als auch der Preis konstant, P1=P2, weil das öf-

fentliche Signal virtuell als nicht informativ wahrgenommen wird. Im Falle S2=1 wird der

neue Preis, P2C, durch die adjustierte Confidence (σC2-k) bestimmt:

)(22

2

2 εθσσ

σθ

θ +−+

=k

PC

C (4.2.14)

Um einen genügenden Zeitraum für die graduelle Diffusion der öffentlichen Informationen zu

ermöglichen, wird im Modell ein weiterer Zeitpunkt t=3′ zwischen dem Zeitpunkt t=2 und t=3

hinzugefügt, bei dem ein öffentliches Signal (θ+η) mit η ∼ N(0, σp2) auftritt.

Abbildung 10: Die Difussion der öffentlichen Informationen im Overconfidencemodell

0 1 2 3 ′ 3

Privates Signal

S1=θ+ε

Öffentliches. Signal

S2={ 1,-1}S3′=θ+η

S4=θ

Öffentliches. Signal

Öffentliches. Signal

Reihenfolge der Informationsschocks

Zur Vereinfachung wird von DHS (1998) angenommen, dass die Confidence nicht vom zwei-

ten öffentlichen Signal zum Zeitpunkt t=3′ beeinflusst wird. Bleibt die Confidence zum Zeit-

punkt t=2 im Falle S2= -1 unverändert, so ist der Wertpapierpreis zum Zeitpunkt t=3′ nach

Gleichung (4.2.7) gegeben. Erhöht sich die Confidence zum Zeitpunkt t=2 in der Folge von

S2=1, so ist die adjustierte Confidence in der Preisfindung zum Zeitpunkt t=3′ bestimmend:

Behaviorale Modelle

113

ησσεσσ

θσσσ θθθ

Dk

DDk

P CppCC

)()( 2222222

'3−++

+−= (4.2.15)

wobei )()( 22222 kkD CpCp −+−+≡ σσσσσθ

4.2.3.2 Implikation des erweiterten Modells: Über- sowie Unterreaktion

Die durch Overconfidence verursachte Überreaktion auf das private Signal und deren Fortset-

zung wegen Self-Attribution implizieren, dass die Kovarianz cov(P2-P1, P1-P0) der einperiodi-

gen Preisänderungen in der Überreaktionsphase positiv ist. Mit der Annahme, dass die Wahr-

scheinlichkeit von S2=1 gleich 50% ist, und σC2 < σε

2 gilt, resultiert aus dem Modell eine po-

sitive Korrelation:226

0)()(2

)()( 22222

224

01,12 >−++

+=−−k

kPPPPCOVCC σσσσ

σσσθθ

θεθ (4.2.16)

Die Korrektur der Überreaktion impliziert eine negative Korrelation der Preisänderungen zwi-

schen der Überreaktions- und der Korrekturphase. Im DHS-Modell sind die Kovarianzen

cov(P3-P2, P2-P1) und cov(P3-P1, P1-P0) dementsprechend negativ:

0)(

)()( 222

224

01,13 <+

−−=−−C

CPPPPCOVσσ

σσσθ

εθ (4.2.17)

0))((2

))(()( 22222

22222

12,23 <−++

−+−=−−k

kkPPPPCOVCC

C

σσσσσσσσ

θθ

εθθ (4.2.18)

Die durch die Unterreaktion auf öffentliche Information implizierten partiellen und dauerhaf-

ten Korrekturen der Fehler in der Korrekturphase werden durch die positive Kovarianz der

Preisänderungen in dieser Phase, cov(P3-P3′, P3′-P2), reflektiert:

0))()()((

))(())(()(

)(2

)(

22222222

222

22222222

2226

2'3,'33

>

−+−++−−+−

+

+++−

=−−

kkkkk

PPPPCOV

CpCpC

CC

pCCpC

CC

σσσσσσσσσσ

σσσσσσσσσσσ

θθ

ε

θθ

εθ (4.2.19)

226 Zur Herleitung der nachfolgend angegebenen Kovarianzen siehe DHS (1998) S. 1877 ff.

Behaviorale Modelle

114

Bei der Berechnung der Autokorrelationen würde eine positive Autokorrelation am ersten Lag

auftreten (Momentum, 4.2.16). Im Gegensatz hierzu sind die Paare von Preisänderungen an

langen Lags, die den Umkehrungspunkt einschliessen, negativ korreliert (Reversal, 4.2.17),

weil die Preisänderungen der Überreaktionsphase tendenziell ein entgegengesetztes Vorzei-

chen zu den Preisänderungen aus der Korrekturphase aufweisen. Diese Implikationen für das

Preisverhalten werden von DHS (1998) wie folgt zusammengefasst:

PROPOSITION 3: Wenn sich die Confidence von Investoren wegen Self-Attribution ändert

und die Überreaktions- und Korrekturphasen beim Auftreten neuer Information graduell ver-

laufen,227 dann weisen die Preisänderungen „in the short-run“ positive Autokorrelation (Mo-

mentum) und „in the long-run“ negative Autokorrelation (Reversal) auf.228

227 D.h., die graduelle Informationsdiffusion gilt. 228 Vgl. Daniel, Hirshleifer und Subrahmanyam (1998) S.1858

Empirische Überprüfbarkeit

115

Teil 3 Empirische Überprüfbarkeit der behavioralen Modelle

Kapitel 5 Empirische Überprüfbarkeit

Aus der Sicht des Empirismus muss eine Aussage stets empirisch überprüfbar sein, denn

nichts ist intellectu, was nicht in der Erfahrung war, im Gegensatz zum Rationalismus, der die

Erkenntnis aus dem Denken stammen lässt.229 Bekanntlich sind behaviorale Elemente am

Aktienmarkt transzendent und der Erfahrung nicht direkt zugänglich.230 Zwecks wissenschaft-

licher Sicherheit muss die Frage zwingend beantwortet werden können, ob das Overconfiden-

cemodell (BSV) und das Sentimentmodell (DHS) empirisch überprüfbar sind, da die trans-

zendenten Begriffe im Modell (wie Overconfidence und Sentiment) die Gefahr in sich bergen,

dass sich pseudowissenschaftliche oder metaphysische Behauptungen einschleichen können.

Somit widmet sich dieses Kapitel der Frage der empirischen Überprüfbarkeit beider Modelle.

5.1 Methodologische Vorüberlegung

5.1.1 Empirische Überprüfung

Der empirische Test dient der Überprüfung der Bewährung bzw. des Bewährungsgrads der

Modelle.231 Als Überprüfungsmechanismus sieht sich der empirische Test bei der Finanz-

marktforschung mit zwei Problemen konfrontiert: Der Unbeobachtbarkeit der Key-Variablen

und Duhem/Quine-Frage.

229 Vgl. Stier (1996) S.5. 230 Das betrifft jedoch die Natur der Sache nicht, es stellt sich vielmehr die Frage des Zugangs zu ihnen. Wegen der begrenzten technischen Messmöglichkeiten hat die menschliche Erfahrung jedoch nur einen sehr beschränk-ten Zugang zum Menschen selbst, und die Charakteristiken des Menschen (wie Overconfidence, Representative-ness, selektive Wahrnehmung, Konservatismus, usw.) gehören weiterhin zum Bereich des Unbeobachtbaren. 231 Aus dem Aussagensystem werden (unter Verwendung bereits anerkannter Sätze) empirisch möglichst leicht nachprüfbare bzw. anwendbare singuläre Folgerungen (Prognosen) deduziert und aus diesen insbesondere jene ausgewählt, die aus bekannten Systemen nicht ableitbar sind bzw. mit ihnen in Widerspruch stehen. Über die abgeleiteten Folgerungen (Prognosen) wird nun im Zusammenhang mit der praktischen Anwendung, den Expe-rimenten usw. entschieden. Fällt eine Entscheidung positiv aus, d.h., das System hält eingehenden und strengen Nachprüfungen stand und wird auch nicht durch die fortschreitende Entwicklung der Wissenschaft überholt, dann hat sich das System bewährt. Der Bewährungsgrad kennzeichnet den Grad, in dem eine Hypothese strengen Prüfungen standgehalten hat.

Empirische Überprüfbarkeit

116

Die Testbarkeit setzt voraus, dass die Key-Variablen der Modelle direkt beobachtbar und

messbar sind. Diese Voraussetzung ist in der empirischen Marktforschung oft nicht erfüllt,

und die empirischen Untersuchungen sind meistens mit den Problemen konfrontiert, dass „die

harten Faktoren“ wie Wohlstand oder Marktportfolio nicht direkt beobachtbar sind und dass

die inhärente Unsicherheit bei deren Messung eine objektive Beurteilung hinsichtlich der Be-

währung der Modelle verunmöglicht. In dieser Hinsicht stellt der empirische Test kein end-

gültiges Kriterium für eine objektive Überprüfung der Bewährung der Marktmodelle dar, so-

lange das Problem der Beobachtbarkeit bei den Key-Variablen nicht in zufriedenstellendem

Umfang gelöst ist. Beispielsweise ist das CAPM aufgrund der Unbeobachtbarkeit des Markt-

portfolios schwer testbar, und die aus den empirischen Tests resultierenden Kritiken gegen

das CAPM sollten deswegen mit Vorsicht beurteilt werden, weil die beobachteten Abwei-

chungen nicht zwingend den Modellfehler implizieren, sondern mit grosser Wahrscheinlich-

keit auch auf Datenfehler zurückgeführt werden können. Im Vergleich zu den harten Fakto-

ren haben weiche Faktoren – wie Behavior Risk, Reputationsrisiken, Vertrauen und Image –

eine noch ungünstigere Ausgangslage, da sie nicht direkt beobachtbar und damit unmessbar

sind. Demzufolge ist eine objektive Überprüfung des Bewährungsgrads der behavioralen Mo-

delle durch empirische Tests ausserordentlich schwierig. Es wäre ein entscheidender wissen-

schaftlicher Durchbruch in der Finanzmarktforschung, wenn die Hürde der Transzendenz ge-

nommen und das Problem der Beobachtbarkeit und Messbarkeit befriedigend gelöst werden

könnte.

Im Hinblick auf die Überprüfung des Bewährungsgrads der Modelle ist die Aussagekraft em-

pirischer Tests im Falle der Beobachtbarkeit aller Daten trotzdem nur begrenzt, denn jeder

Versuch einer Widerlegung scheitert an der Duhem/Quine-Frage, ob eine falsche Prognose

die benutzte Theorie, eine Randbedingung oder einen Bestandteil des Hintergrundwissens

widerlegt.232 Mit anderen Worten lässt ein widersprechender empirischer Befund keinen ein-

deutigen Rückschluss darauf zu, wo der Fehler zu suchen ist.233 Beispielsweise besteht jeder

empirische Test bezüglich der Markteffizienz aus einem Hypothesenbündel, eine Ablehnung

des Hypothesenbündels ist daher nie eindeutig der Ineffizienz zuzuschreiben, sie kann auf das

unterstellte Preisbildungsmodell zurückgeführt werden, wie auch darauf, dass das verwendete

Messverfahren nicht das misst, was es messen soll. Die Annahme über die Konstanz der er-

warteten Rendite sowie Risikoprämie kann auch für die Ablehnung verantwortlich sein. Der

232 Vgl. Zahar (1998) S.104f. 233 Vgl. Gadenne (1998) S. 136.

Empirische Überprüfbarkeit

117

empirische Test kann somit in diesem Fall die entsprechende Theorie nicht eindeutig falsifi-

zieren.

Popper zufolge sagt die Bewährung einer Theorie durch die empirischen Untersuchungen nur

etwas über ihre vergangenen, nichts dagegen über die zukünftigen Leistungen oder die Ver-

lässichkeit einer Theorie aus. Die kritische Auseinandersetzung kann nie hinreichende Gründe

für die Behauptung erbringen, dass eine Theorie wahr sei. Um es prägnant zu formulieren:

Man kann nie eine Theorie – d.h., eine Behauptung, man wisse, dass sie wahr sei – rational

rechtfertigen.234 Andererseits verleihen induktive Schlüsse der Konklusion, demzufolge sich

bisher beobachtete Erfolgshäufigkeiten in die Zukunft extrapolieren lassen, keine Sicherheit.

Zum einen ist das Induktionsprinzip empirisch nicht begründbar, denn hierzu müsste man von

einem Induktionsprinzip höherer Ordnung Gebrauch machen (demzufolge induktive Schlüsse,

weil sie sich bisher bewährt haben, sich auch in Zukunft bewähren werden), und dies führt

zum unendlichen Regress. Zum anderen ist der Versuch, das Induktionsprinzip als a priori

gültig zu erweisen, zum Scheitern verurteilt, denn es ist denkmöglich, dass sich die Welt

schon morgen ganz anders verhält als bisher.235 D.h., die Bewährung durch die empirische

Untersuchung ist nur vorläufig, eine bisher gut bewährte Theorie kann schon morgen falsifi-

ziert werden. Somit kann der empirische Test die Theorie nicht verifizieren, sondern lediglich

falsifizieren. Die Falsifikation durch den empirischen Test ist jedoch nicht endgültig. Popper

zufolge ist eine Theorie niemals falsifizierbar in dem Sinne, dass die fragliche Theorie end-

gültig oder zwingend falsifiziert werden kann.236

234 Vgl. Gadenne (1998) S.137. 235 Vgl. Schurz (1994) S.26f. 236 Vgl. Gadenne (1998) S.136.

Empirische Überprüfbarkeit

118

5.1.2 Das Problem der Transzendenz

Gemäss der Grundthese des Empirismus sollten die Aussagen über die Wirklichkeit nur an-

hand der Erfahrung gewonnen und beurteilt werden. Demzufolge werden wissenschaftliche

Theorien durch Induktion aus der Beobachtung bzw. den empirischen Tatsachen sozusagen

herausextrapoliert, und der empirische Test soll die Korrektheit dieser Prozeduren überprüfen.

Doch bereits sehr einfache Theorien wie z.B. das Galileische Fallgesetz oder gar die Newton-

sche Physik enthalten Allgemeinbegriffe, welche über jede Erfahrung, über das Beobachtbare

hinausgehen, wie z.B. „reibungslose Bewegung“, „Mass“, „Kraft“ usw.237 Das Problem der

Transzendenz der Darstellung kann zwar in der Naturwissenschaft durch konventionelle Ent-

scheidungen238 relativiert werden, das bedeutet jedoch nicht, dass die Naturwissenschaft des-

wegen stets immun gegenüber der Transzendenz ist.

Ein entsprechendes Beispiel, die Erfahrung über „parallele Geraden“, illustriert den Fall der

Transzendenz in der Naturwissenschaft: Im Axiomsystem der euklidischen Geometrie scheint

Postulat 5 – Euklids Parallelenpostulat239 – die direkte physikalische Erfahrung zu transzen-

dieren. Die unterschiedlichen Konventionen über den Begriff „parallele Geraden“ führen

schliesslich zu zwei nichteuklidischen Geometrien: Hyperbolische Geometrie und elliptische

Geometrie.240 Angesichts der Transzendenz der Darstellung ist die empirische Untersuchung

nicht in der Lage, die Aussagen über die geometrische Wirklichkeit (zwei nichteuklidische

Geometrien) anhand der Erfahrung zu beurteilen. Die Erfahrung „parallele Gerade“ ist nicht

theorieunabhängig, sondern theorieabhängig, was dazu führt, dass zwei nichteuklidische Ge-

ometrien inkommensurabel sind, weil erstens die Beobachtungstatsachen theorieabhängig

sind und zweitens theoriebedingte Interpretationen involvieren, eine Tatsache, die offensicht-

lich nicht mit den Grundannahmen des modernen Empirismus vereinbar ist. In diesem Kon-

text sind Popper zufolge Entscheidungen oder Festsetzungen notwendig, um eine Hypothese

237 Vgl. Schurz (1994) S. 30. 238 Eine typische Konvention ist es, einen Meter als 1/40‘000‘000 des Umfangs der Erde zu definieren. Diese Konvention kann zweckmässig sein oder nicht, ist aber weder wahr noch falsch. 239 Euklids 5. Postulat: Parallele Geraden sind Geraden, die in derselben Ebene liegen, unbeschränkt in beiden Richtungen weitergeführt werden und sich weder in der einen noch in der anderen Richtung schneiden. 240 Hyperbolische oder Lobatschewkysche Geometrie:

In einer Ebene sei eine Gerade L und ein Punkt P nicht auf L gegeben. Dann gibt es mindestens zwei Geraden durch P, die Parallel zu L sind. Summe (Innenwinkel) < 180°.

Elliptische oder Riemannsche Geometrie: In einer Ebene sei eine Gerade L und ein Punkt P nicht auf L gegeben. Dann gibt es keine Gerade durch P, die Parallel zu L wäre. Summe (Innenwinkel) > 180°.

Empirische Überprüfbarkeit

119

überprüfen zu können, und das wissenschaftliche Urteil ist in diesem Fall dem Verdikt der

Geschworenen über Tatsachenfragen vergleichbar.241 Das Beispiel aus der Geometrie hat ge-

zeigt, dass die Aussagen über die Wirklichkeit nicht nur anhand der Erfahrung gewonnen und

beurteilt werden, und dass die Transzendenz der Darstellung nicht zwingend den Ausschluss

eines möglichen Erkenntnisgewinns impliziert. Mit anderen Worten ist der Empirismus im

Hinblick auf Erkenntnisgewinn in den Naturwissenschaften nicht die einzige Möglichkeit.

Das Problem der Transzendenz der Darstellung gibt es nicht nur in den Naturwissenschaften,

sondern auch in anderen wissenschaftlichen Bereichen. Ein bekanntes Beispiel dafür ist die

Psychoanalyse von Sigmund Freud, eine Revolution in der wissenschaftlichen Theorie, wel-

che das Selbstverständnis des Menschen als ein rationales, edel gesinntes, moralisches Ge-

schöpf, dessen Verhalten durch Rationalität und Optimalität gesteuert wird, in Zweifel zieht.

Die Theorie von Freud kann aufgrund einer Reihe transzendenter Begriffe (wie Unbewusst-

sein, Über-Ich, Ödipus-Komplex, Elektra-Komplex242 usw.) jedoch nicht anhand der Erfah-

rung direkt beurteilt werden. Ähnlich wie der Fall von parallelen Geraden in der Geometrie ist

hier eine Entscheidung notwendig, wo die Theorieabhängigkeit, die Unvereinbarkeit mit den

Grundannahmen des Empirismus, unvermeidlich ist. Aus der Sicht des Empirismus ist die

Psychoanalyse ein typisches Beispiel der Pseudowissenschaft, aber es gibt auch andere

Sichtweisen und demzufolge gehört die Psychoanalyse von Freud trotz deren Unvereinbarkeit

mit dem Empirismus zu den wichtigsten wissenschaftlichen Entdeckungen des letzten Jahr-

hunderts, wie die Relativitätstheorie von Einstein.

Sowohl im Falle von parallelen Geraden als auch im Falle der Psychoanalyse können die

Aussagen aufgrund der Transzendenz nicht direkt anhand der Erfahrung beurteilt werden.

Dies hat aber nicht dazu geführt, dass die entsprechenden Aussagen ohne weiteres verworfen

werden. Im Gegenteil, die zwei nichteuklidischen Geometrien und die Psychoanalyse stellen

einen wichtigen Beitrag im Hinblick auf Erkenntnisgewinn dar. Das impliziert, dass die

Überprüfung durch die direkte Erfahrung nicht das einzige Kriterium in der wissenschaftli-

chen Forschung sein kann. Gemäss Rationalismus kann die Erkenntnis aus dem Denken

stammen.

241 Vgl. Andersson (1998) 157-164. 242 Ödipus-Komplex: Das männliche Kind strebt nach dem Alleinbesitz seiner Mutter, wobei es seinen Vater als furchterregendes Hindernis erlebt. Elektra-Komplex: Das kleine Mädchen rivalisiert mit seiner Mutter um die Zuneigung seines Vaters.

Empirische Überprüfbarkeit

120

Die Transzendenz oder Unbeobachtbarkeit betrifft die Natur der Gegenstände nicht, sondern

ist eine Frage des Zugangs zu ihnen. Zugangsmöglichkeiten können sich aber verändern, auch

durch Veränderungen im Verständnis dessen, was zugelassene Zugänge sind. Beobachtbarkeit

ist somit eine Eigenschaft, die selbst mit verändertem Wissensstand und den technischen

Möglichkeiten Veränderungen unterliegt und daher keine a priori beantwortbare Frage ist. Die

Verbesserung der Zugangsmöglichkeiten kann dazu führen, dass ehedem als metaphysisch,

also als nicht entscheidbar eingeschätzte Behauptungen nunmehr als empirischer Untersu-

chung und Prüfung zugängliche angesehen werden und mithin als empirische Aussagen gelten

müssen. Ein Beispiel dazu ist die Atomlehre, die in ihrer ursprünglichen antiken Form mit

dem damaligen Wissenshorizont sicherlich als eine metaphysische Lehre einzuschätzen war

und in ihrer modernen Version schliesslich dem Bereich empirisch-wissenschaftlicher Theo-

rien zuzuordnen ist.243 Die Verbesserung der Zugangsmöglichkeiten hat sowohl einen techni-

schen Aspekt - die Weiterentwicklung der technischen Erkennungsmittel wie das Fernrohr

von Galilei - als auch einen metaphysischen Aspekt, nämlich die Veränderung vorempirischer

Annahmen, welche erst die Standards der Bewertung liefern, was überhaupt als empirische

Erkenntnis zählt. Beispielsweise ist die Entdeckung Galileis lange Zeit wegen philosophischer

Vorurteile einfach nicht zur Kenntnis genommen worden.244 Im Hinblick auf den Erkenntnis-

gewinn in der Finanzmarktforschung bedeutet die Transzendenz bzw. die Unbeobachtbarkeit

weder die Nichtexistenz des Erkenntnisobjektes (wie Behavior) noch die Unmöglichkeit eines

Erkenntnisgewinns (wie Behavior-Erkenntnis). Das Erkenntnisobjekt existiert unabhängig

von den subjektiven vorempirischen Annahmen, und die Möglichkeit eines Erkenntnisge-

winns kann sowohl durch eine Verbesserung der Zugangsmöglichkeiten als auch durch eine

Offenheit (Veränderung vorempirischer Annahmen) verbessert werden.

243 Vgl. Wendel (1998) S.60f. 244 Die Ergebnisse der Wahrnehmungspsychologie, selektive Wahrnehmung wie im Fall von Galilei, erweisen sich als unvereinbar mit den Grundannahmen des modernen Empirismus, indem sich herausgestellt hat, dass die empirische Basis der Erkenntnis theoriebedingte Interpretationen involviert, was sich für die Idee von der Stabi-lität und Theorieunabhängigkeit von Beobachtungstatsachen als äusserst problematisch erweist. Das Fallbeispiel von Galilei und seine Entdeckung durch das Fernrohr siehe Wendel (1998) S.62-65.

Empirische Überprüfbarkeit

121

5.1.3 Die Entscheidung in der Überprüfung

Es ist schliesslich eine Entscheidung, ob Erkenntnis nur durch Erfahrung gewonnen und ge-

prüft werden kann. Der transzendente Begriff „das Unendliche“ hat beispielsweise die Ma-

thematik vor diese Entscheidung gestellt,245 die Intuitionisten und Formalisten haben diesbe-

züglich verschiedene Entscheidungen getroffen:

Prinzip des ausgeschlossenen Dritten:

Entweder gilt für alle x ∈ S die Eigenschaft E, oder es existiert x ∈ S, das nicht die Eigenschaft E hat.

Standpunkt der Intuitionisten Standpunkt der Formalisten

Ist richtig, wenn S endlich ist;

Ist nicht (in endlich Schritten) überprüfbar, wenn S

unendlich ist, und gilt daher nicht uneingeschränkt.

Gilt immer, unabhängig davon, ob wir ein

x ∈ S mit Eigenschaft ¬ E finden können

oder nicht.

Existenzbeweise müssen konstruktiv sein.246 Existenzbeweise müssen nicht konstruktiv

(aber finit) sein.247

Das Aktual-Unendlich wird abgelehnt. Das Aktual-Unendlich wird zugelassen.

Überprüfbarkeit und Gültigkeit dürfen nicht ge-

trennt werden!

Die Überprüfbarkeit hat nichts mit der

Gültigkeit zu tun!

245 Das Unendliche: Potenzial-unendlich oder absolut-unendlich? Aristoteles: „Es hat aber die Betrachtung über das Unbegrenzte eine Schwierigkeit, denn es ergibt sich viel Un-mögliches, mag man aufstellen, dass es nicht existiere, oder dass es existiere.“ Leibniz: „Ich bin derart für das aktual Unendliche, dass ich – anstatt zuzugeben, dass die Natur es verabscheut, wie man gemeinhin sagt – dass ich annehme, dass sie es überall schätzt, um die Vollkommenheit des Schöpfers besser zu verdeutlichen. So glaube ich, dass es keinen Teil der Materie gibt, der nicht – ich sage nicht: teilbar ist -, sondern tatsächlich geteilt ist.“ Descartes: „Nur der, welcher seinen Geist für unendlich hält, kann glauben, hierüber nachdenken zu müssen.“ Hilbert: „Aus dem Paradies (das Unendliche), das Cantor uns geschaffen, soll uns niemand vertreiben können.“ Vgl. Gauglhofer-Witzig (1998) S. 69. 246 Konstruktiver Existenzbeweis: Satz: Es gibt komplexe Zahlen α und β, so dass αβ reell ist. Beweis: ii = (eπ/2*i )i = e-π/2 = 0.2079 (reell)

(Euler’sche Relation: yiyeiy sincos += ; Denn 2

sin2

cos ππ ii += ; somit 2πiei = )

247 Nicht konstruktiver Existenzbeweis: Satz: Es gibt irrationale Zahlen α und β, so dass αβ rational ist.

?22

= rational (Fall a) oder irrational (Fall b)

Im Fall a: Satz bewiesen;

Im Fall b: α=2

2 , β=2 ;

2)2()2( 222== (Satz bewiesen)

Empirische Überprüfbarkeit

122

Im Hinblick auf die Frage, ob die Aussagen allein anhand der Erfahrung überprüft werden

müssen, haben die Formalisten anders als die Intuitionisten (Erfahrung als einziges Urteilskri-

terium) entschieden, eine grosse Entscheidung für die Mathematik und ein reiner mathemati-

scher Formalismus entsteht.248 Dem harten Formalismus von David Hilbert zufolge sollte sich

die Überprüfung von Axiomsystemen, nämlich Theorien, vor allem auf die Widerspruchfrei-

heit, die Vollständigkeit und die gegenseitige Unabhängigkeit der Axiome konzentrieren. Es

geht nicht um Wahrheit, sondern nur um Sicherheit, denn der Erkenntnisanspruch auf Wahr-

heit ist rational nie zu rechtfertigen. Somit wird auf Anschaulichkeit und ontologische Fundie-

rung verzichtet, dafür die Existenz des Axiomsystems durch Nachweis von Unabhängigkeit

und Widerspruchfreiheit gesichert. D.h., das Axiomsystem ist als Gegenstand einer vernünfti-

gen Theorie „existent“.249 Mit anderen Worten wird die Rolle der Erfahrung bei der Überprü-

fung der Aussagen minimiert.

Aufgrund der Transzendenz bzw. Beobachtbarkeit ist die Finanzmarkttheorie mit einer ähnli-

chen Situation konfrontiert wie die Mathematik im Falle des Unendlichen, so dass eine Ent-

scheidung, Intuitionismus oder Formalismus, notwendig ist. Das Beispiel der Mathematik, das

durch die Erfahrung unüberprüfbare Unendliche, hat gezeigt, dass die Erkenntnisse nicht

zwingend allein durch die Erfahrung gewonnen und beurteilt werden müssen. In dieser Hin-

sicht sollte der Intuitionismus (strenger Empirismus) bei der Beurteilung der neuen Ansätze

kein letztes Urteil treffen, denn sonst ist die Tür zu einem Teil der wertvollen Erkenntnisse

(wie das Unendliche) für immer geschlossen.

248 Mathematischer Formalismus (reine Mathematik): Russell „Laws of Thought“, Boole „Formale Logik“, Hil-bert „Grundlage der Mathematik“ usw. 249 Vgl. Gauglhofer-Witzig (1998) S. 66-69;

Empirische Überprüfbarkeit

123

5.1.4 Die Unsicherheit in der Forschung

Die Sicherheit, die David Hilbert durch seinen strengen Formalismus erreichen wollte, wird

jedoch nicht erreicht, nachdem Kurt Gödel gezeigt hat, dass die Widerspruchfreiheit eines

Programms nicht mit den Mitteln dieses Programms bewiesen werden kann. Nach Gödels

Unvollständigkeitssatz enthalten alle axiomatischen Formulierungen unentscheidbare Aussa-

gen.250 Streng genommen basieren axiomatische Programme wie die Mathematik nicht auf

Beweisen, sondern auf Annahmen, d.h., Axiomen, die den unbeweisbaren Ausgangspunkt

darstellen. Ein Beweis im engeren Sinn ist nur das logische Schliessen von Axiomen auf Aus-

sagen. Aus dieser Sicht ist ein Beweis nichts anderes als ein richtiges Schliessen, und ob das

Axiom richtig ist, kann „der Beweis“ nicht beweisen. Der Versuch, durch Beweis die Kor-

rektheit der Axiome zu rechtfertigen, ist irgendwie zirkulär, als ob man sich an den eigenen

Haaren aus dem Sumpf ziehen wollte. Kurt Gödel zufolge ist eine „Selbstgarantie“ des

menschlichen Denkens, auf welchem Gebiet auch immer, ausgeschlossen.251 In diesem Sinne

hat die Finanztheorie wie andere Wissenschaften keine Pflicht, eine Selbstgarantie zu liefern.

Bei Theorien lassen sich zwischen erklärenden und beschreibenden Theorien unterscheiden.

Dabei zeigt sich, dass Galileis Fallgesetz den Fall von Körpern beschreibt und auf diese Wei-

se erklärt, warum ein Geschoss bei einem Abgangswinkel von 45° die grösste Reichweite hat,

während erst Newtons Gravitationsgesetz den Fall von Körpern erklärt, indem es die Wirkung

der Gravitation beschreibt, ohne sie seinerseits erklären zu können.252 Die Fähigkeit der Theo-

rien zur Beschreibung und Erklärung ist jedoch meistens beschränkt. Die Mathematik wurde

beispielsweise bis zum 19. Jahrhundert als Theorie betrachtet, die sowohl korrekt beschreiben

als auch überzeugend erklären kann. Die Geburt nichteuklidischer Geometrien hat jedoch

gezeigt, dass die Mathematik nicht in der Lage ist, die reale Welt adäquat zu beschreiben,

weil deren Bausteine wie „Gerade“ oder „Ebene“ transzendent sind. Gödels Unvollständig-

keitssatz stellt weiter die Glaubwürdigkeit der Mathematik als Denkmodell in Frage und da-

mit deren Erklärungsmacht. Einen Garantieschein hat die Mathematik nicht, aber dies ist kein

Grund, die Mathematik als Theorie zu verwerfen. Die Wissenschaft besitzt keine absolut si-

chere Basis, sondern alles ist ein Gewebe von Vermutungen. Popper vergleicht damit die

Wissenschaft mit einem Pfeilerbau, der über einem Sumpfland errichtet ist. Die Pfeiler errei-

250 Vgl. Gauglhofer-Witzig (1998) S. 80; Hofstadter (1985) 251 Vgl. Gauglhofer-Witzig (1998) S. 79-84. 252 Vgl. Musgrave (1977) S.85f.

Empirische Überprüfbarkeit

124

chen keinen Felsengrund, sondern sind nur so weit in den Sumpf getrieben, dass man hoffen

kann, dass sie das Gebäude tragen.253 Der Erkenntnisfortschritt resultiert sozusagen aus Ver-

such und Irrtum auf diesem Sumpfland, alle Theorien und Wissen sind fehlbar, und wir lernen

primär nicht aus erfüllten sondern gescheiterten Erwartungen.

Im Hinblick auf die Überprüfung der neuen Ansätze sollte die allgemeine Unsicherheit der

wissenschaftlichen Forschung genügend berücksichtigt werden, wie die bewährten alten An-

sätze können die neuen Ansätze auch keine Selbstgarantie liefern, weil die neuen wie die alten

keine sichere Basis hinsichtlich Beschreibung und Erklärung besitzen. Sowohl die Neuen als

auch die Alten versagen, wenn eine totale wissenschaftliche Sicherheit bei der Überprüfung

verlangt wird. Angesicht des „Sumpflands“ ist die Thematisierung der Unsicherheit in der

Forschung wissenschaftlich wenig sinnvoll, wenn der Erkenntnisfortschritt das primäre Ziel

bildet. Wie das traditionelle Konzept ist der Behavior-Ansatz auch nicht auf Felsengrund auf-

gebaut und somit nicht in der Lage ist, sämtliches Marktgeschehen zu beschreiben und flä-

chendeckend zu erklären. Keine Wissenschaft darf einen solchen absoluten Erkenntnisan-

spruch erheben. Kleine Defizite in den einzelnen Gebieten gehören zur wissenschaftlichen

Normalität. Schliesslich ist es mit der grundsätzlichen Fehlbarkeitsannahme besser in Ein-

klang zu bringen, stets damit zu rechnen, dass eine Theorie, wenn auch die beste, dennoch

nicht den Grad an Vollkommenheit erreicht hat, den man ihr mit dem Prädikat „Wahrheit“

zusprechen würde.

253 Vgl. Andersson (1998) S. 161f.

Empirische Überprüfbarkeit

125

5.1.5 Bemerkung: Orientierung bei der Überprüfung

Bei der Überprüfung bzw. der Beurteilung der behavioralen Ansätze könnte es zu einer Situa-

tion kommen, in welcher vorempirische Annahmen und theoriebedingte Interpretationen in-

volviert sind, weil Transzendenz und Unsicherheit unter Umständen eine eindeutige Beurtei-

lung nicht zulassen und eine Entscheidung erzwingen. Im Falle einer unausweichlichen Ent-

scheidung bei der Beurteilung dient die Offenheit als Orientierung für diese Arbeit:

Das Problem der Transzendenz kann dazu führen, dass eine Entscheidung getrof-

fen werden muss. Dabei ist die Dominanz des Intuitionismus – des strengen Empi-

rismus – zu relativieren, weil in der wissenschaftlichen Forschung zugelassen ist,

dass die Erkenntnisse aus dem Denken stammen. Eine methodologische Offenheit

schafft einen breiteren Zugang zu den noch nicht entdeckten Erkenntnissen.

Die Unsicherheit in der Forschung erfordert nicht nur die Vorsicht, sondern auch

eine entsprechende Offenheit bei der Beurteilung, weil von keiner Theorie eine

Selbstgarantie verlangt werden darf. Wie alle anderen Theorien enthalten die beha-

vioralen Ansätze Vereinfachungen, so dass auf jeden Fall davon ausgegangen wer-

den muss, dass sie bestenfalls nur eine Annäherung an die Wirklichkeit darstellen.

Von den behavioralen Ansätzen wird in dieser Arbeit nicht verlangt, dass sie alles

beschreiben bzw. erklären und dass die entsprechende Basis absolut sicher sein

muss. Das primäre Ziel der Überprüfung liegt nicht darin, die wissenschaftliche Un-

sicherheit zu thematisieren, sondern darin, die Gefahr der pseudowissenschaftlichen

bzw. metaphysischen Aussagen zu minimieren, um die Sicherheit des Erkenntnis-

gewinns auf einem Sumpfland zu verbessern.

Im Falle, dass die empirischen Befunde kein eindeutiges letztes Urteil liefern kön-

nen und dass im Hinblick auf die Beurteilung der neuen Ansätze eine Kontroverse

herrscht, wie die Diskussion über die möglichen Über- bzw. Unterreaktionen am En-

de dieses Kapitels (im Kapitel 5.3) zeigt, wird für die Offenheit als Orientierung in

der Uneindeutigkeit entschieden, unter der Nebenbedingung, dass die Gefahr der Me-

taphysik bzw. Pseudowissenschaft ausgeschlossen ist.

Empirische Überprüfbarkeit

126

5.2 Die Möglichkeiten der Falsifizierung

Die Voraussetzung der behavioralen Ansätze als Erfahrungswissenschaft ist, dass die Mög-

lichkeit der Falsifizierung besteht. Aufgrund der transzendenten Begriffe wie Sentiment oder

Overconfidence in den behavioralen Ansätzen stellt sich logischerweise die Frage, ob die

Möglichkeit der empirischen Falsifizierung besteht, oder anders formuliert, ob es sich bei den

behavioralen Aussagen um pseudowissenschaftliche oder metaphysische Aussagen handelt.

Zur Auseinandersetzung mit dieser Fragestellung wird in diesem Abschnitt zuerst auf die Kri-

terien der Falsifizierung eingegangen, und dann wird mit diesen Kriterien überprüft, ob beha-

viorale Ansätze zu erfahrungswissenschaftlichen Arbeiten gehören.

5.2.1 Das Falsifizierbarkeitskriterium

Sofern sich die Aussagen einer Wissenschaft auf die Wirklichkeit beziehen, müssen sie falsi-

fizierbar sein. Das für die Aussagen der empirischen Wissenschaft Charakteristische ist Pop-

per zufolge einerseits die logische Form des Scheiternkönnens und andererseits das Schei-

ternkönnen an der Erfahrung.254 D.h., erfahrungswissenschaftliche Aussagen müssen nicht nur

scheitern können, sondern sie müssen empirisch – im Sinne methodischer Nachprüfung –

scheitern können. Das Falsifizierbarkeitskriterium umfasst also zwei Aspekte: Einen logi-

schen und einen empirischen.

Die Gemeinsamkeit der wissenschaftlichen Aussagen ist, dass sie, indem sie etwas behaupten,

zugleich auch etwas verbieten. Aus den universellen Wenn-dann-Aussagen folgen auch be-

stimmte negative Existenzaussagen (Existenzverbote). Daher können die Aussagen aufgrund

ihrer logischen Form mit besonderen Aussagen in Widerspruch geraten. Die Möglichkeit des

Scheiternkönnens besteht dann, wenn das durch die Behauptung Verbotene akzeptiert wird,

und in diesem Fall muss die Aussage verworfen werden. Das Vorhandensein der logischen

Möglichkeit der Widerlegung ist mit dem Informationsgehalt eng verbunden, d.h., je informa-

tiver die Aussage ist, desto grösser ist das Intervall der Verbote, und desto grösser ist die

Möglichkeit der Falsifikation. Das logische Kriterium soll vor allem die Wissenschaft von der

Pseudowissenschaft unterscheiden. Pseudowissenschaften sind Aussagengebäude, die im

254 Vgl. Wendel (1998) S.45.

Empirische Überprüfbarkeit

127

Grunde genommen kein empirisches Ereignis verbieten, die vermeintlich für jede mögliche

Tatsache eine Erklärung haben.255 Keine logische Möglichkeit ist vorhanden, die Pseudowis-

senschaft zu widerlegen, weil das Intervall der Verbote leer ist.

Die Falsifizierbarkeit soll nicht nur im Sinne der blossen logischen Möglichkeiten, sondern

darüber hinaus auch im Sinne des Scheiternkönnens an Erfahrung verlangt werden, wenn es

sich um erfahrungswissenschaftliche Aussagensysteme handelt. Das heisst, wissenschaftliche

Aussagen müssen so beschaffen sein, dass sie bestimmte Erfahrungssätze – Basissätze256 –

verbieten, deren Wahrheit somit die Falschheit der betreffenden wissenschaftlichen Aussage

implizieren würde. Der Aspekt des Scheiternkönnens an der Erfahrung gibt den Aussagen

empirischen Informationsgehalt und macht sie erfahrungswissenschaftlich. Je mehr die Aus-

sagen beobachtbare Ereignisse verbieten, um so mehr sind sie empirisch überprüfbar, und um

so mehr sind sie Erfahrungswissenschaft. Der empirische Gehalt einer Aussage wird als die

Klasse ihrer Falsifikationsmöglichkeiten definiert, d.h., die Klasse der mit ihr unvereinbaren

Basissätze.257 Die empirische Prüfbarkeit stellt hier eine Abgrenzung von empirischen gegen-

über metaphysischen Aussagen dar,258 denn die metaphysischen Aussagen sind keiner empiri-

schen Überprüfung zugänglich.

255 Vgl. Wendel (1998) S.55. 256 Basissätze sind Sätze, die verwendet werden, um Theorien empirisch zu überprüfen. Die Transzendenz der Darstellung im Basissatz (Allgemeinbegriff oder Universalien) sowie die Unverifizierbarkeit der Basissätze führt dazu, dass die Wissenschaft keine sichere empirische Basis besitzt. Insofern ist diese Bezeichnung verleitend, weil die Basis schwankt. Der Basissatz wird auch als Prüfsatz oder Protokollsatz bezeichnet. 257 Vgl. Wendel (1998) S.50. 258 Was die Abgrenzung des Metaphysischen vom Empirischen angeht, so zeigt aber die neuere Entwicklung in der Wissenschaftstheorie, dass eindeutige Kriterien hier schwer zu geben sind und zudem selbst zutiefst von metaphysischen Voraussetzungen abhängen. Vgl. Wendel (1998) 53-57.

Empirische Überprüfbarkeit

128

5.2.2 Überprüfbarkeit der behavioralen Modelle

Es stellt sich die Frage, ob die behavioralen Modelle an Erfahrung scheitern können. Als er-

fahrungswissenschaftliche Theorien müssen sie empirisch überprüfbar sein, d.h., sie müssen

etwas Erfahrbares verbieten, denn nur dann sind sie solche, die unsere erfahrbare Wirklichkeit

beschreiben. Wenn dies nicht der Fall ist, dann sind sie zumindest als Metaphysik klassifi-

zierbar, in diesem Fall ist dann eine zweite Frage zu beantworten, nämlich, ob die logischen

Möglichkeiten des Scheiternkönnens vorhanden sind. Mit anderen Worten müssen sie etwas

verbieten. Wenn dies weiter nicht der Fall ist, dann handelt es sich bei den behavioralen Mo-

dellen um Pseudowissenschaft.

Um die Frage der empirischen Überprüfbarkeit zu beantworten, werden aus den Modellen

zuerst empirisch leicht nachprüfbare singuläre Folgerungen (Prognosen) deduziert und aus

diesen insbesondere jene ausgewählt, die aus bekannten Aussagensystemen nicht ableitbar

sind bzw. mit ihnen in Widerspruch stehen. Dann ist nachzuprüfen, ob diese Behauptungen

etwas Erfahrbares verbieten, d.h., ob die Möglichkeiten vorhanden sind, diese Behauptungen

durch Erfahrungen zu widerlegen.

5.2.2.1 Sentiment-Modell BSV

Modell-Proposition: Sofern der Investor annimmt, dass die Gewinnänderung durch das Re-

gime-Switching Modell bestimmt wird, erfüllen die Wertpapierpreise:

)( 21 ttt

t qppyr

NP −+=

wobei p1 und p2 Konstanten darstellen, die von πL, πH, λ1 und λ2 abhängen. Der erste Term,

Nt/r, entspricht dem Wertpapierpreis, wenn der Investor den Random-Walk zur Gewinnprog-

nose verwendet. Der zweite Term, yt(p1- p2qt), gibt die Abweichung des Wertpapierpreises

vom inneren Wert an und kann als „Bubbleterm“ interpretiert werden.

Die empirisch leicht nachprüfbaren singulären Folgerungen (Prognosen) des BSV-Modells,

welche aus bekannten Aussagensystemen nicht ableitbar sind bzw. mit ihnen in Widerspruch

stehen, lauten wie folgt:

Es gibt Phasen, in welchen der Renditeprozess nicht einem Random-Walk folgt;

Empirische Überprüfbarkeit

129

Es gibt Über- sowie Unterreaktionen am Aktienmarkt;

Es gibt Momentum und Reversal.

Durch seine negativen Existenzaussagen – Existenzverbote – stehen die Aussagen des Senti-

ment-Modells mit folgenden bekannten Aussagen im Widerspruch, d.h., sie verbieten,

dass der Renditeprozess stets dem Random-Walk folgt, und

dass alle relevanten Informationen stets sofort in den Preis einfliessen.

Die Aussagen des BSV-Modells sind empirisch widerlegbar, indem durch empirische Tests

gezeigt wird, dass

serielle Autokorrelation der Renditen stets insignifikant von null verschieden ist;

die Blasenbildungen ausbleiben;

die Überschussrendite der Momentumstrategie bzw. der konträren Strategie stets

nicht signifikant von null verschieden ist.

Die Aussagen des im Jahr 1998 im „Journal of Financial Economics“ publizierten Sentiment-

Modells BSV können direkt empirisch mit vorhandenen Marktdaten überprüft werden. Die

Klasse der potenziellen empirischen Befunde der Effizienztests, die BSV falsifizieren würden,

ist umfassend, so dass a priori das Risiko gross ist, dass das Sentiment-Modell in der empiri-

schen Überprüfung scheitert. Die Falsifizierbarkeit der Aussagen des Sentiment-Modells ist

somit gross, mit anderen Worten ist die Strenge der Prüfung genügend, und folglich handelt

es sich hier um ein durch Erfahrung widerlegbares Aussagensystem.259

259 Testbar sind die Implikationen des Modells, nicht aber dessen Annahmen.

Empirische Überprüfbarkeit

130

5.2.2.2 Overconfidence-Modell DHS

PROPOSITION 1: Wenn die Investoren overconfident sind,

werden die durch das Auftreten privater Information hervorgerufenen Preisände-

rungen in der langen Frist durchschnittlich partiell aufgehoben;

sind die Preisänderungen beim Auftreten öffentlicher Information mit nachfolgen-

den Preisänderungen positiv korreliert.

PROPOSITION 2: Wenn die Investoren overconfident sind, dann weisen die Preisänderungen

über einen kurz- und langfristigen Zeithorizont eine unkonditioniert negative Autokorrelation

auf.

PROPOSITION 3: Wenn sich die Confidence von Investoren wegen Self-Attribution ändert

und die Überreaktions- und Korrekturphasen beim Auftreten neuer Information graduell ver-

laufen, dann weisen die Preisänderung „in the short-run“ positive Autokorrelation (Momen-

tum) und „in the long-run“ negative Autokorrelation (Reversal) auf.

Die aus bekannten Aussagensystemen nicht ableitbaren bzw. mit ihnen in Widerspruch ste-

henden Folgerungen (Prognosen) des Overconfidence-Modells lauten wie folgt:

Es gibt Überreaktionen auf Privatinformation;260

Es gibt Unterreaktionen auf öffentliche Information;

Es gibt Short-Term Momentum sowie Long-Term Reversal.

Die Aussagen des Overconfidence-Modells verbieten gleichzeitig, dass

die Information stets objektiv verarbeitet wird;

alle öffentlichen Informationen stets sofort in den Preis einfliessen;

der Renditeprozess stets einem Random-Walk folgt.

Die Aussagen des Overconfidence-Modells lassen sich empirisch widerlegen, indem durch

empirische Tests gezeigt wird,

dass alle Informierten stets systematisch Überschussrendite erwirtschaften;261

260 I) Wenn die Investoren overconfident sind, dann wird auf Privatinformationen überreagiert. (Hypothese) II) Es gibt overconfidente Investoren (Randbedingung) III) Es gibt Überreaktion auf Privatinformationen. (Prognose) 261 Beispielsweise kann die Performance der Insider durch eine Event-Study untersucht werden.

Empirische Überprüfbarkeit

131

dass die serielle Autokorrelation der Renditen stets insignifikant von null ver-

schieden ist; und

dass die Überschussrendite der Momentumstrategie bzw. der konträren Strategie

stets nicht signifikant von null verschieden ist.

Die Aussagen des im Jahr 1998 im „Journal of Finance“ publizierten Overconfidence-Modells

DHS können direkt empirisch mit vorhandenen Marktdaten überprüft werden, und die Mög-

lichkeit einer Falsifizierung des Overconfidence-Modells ist gross. Somit handelt es sich beim

Overconfidence-Modell um ein durch Erfahrung widerlegbares Aussagensystem.

Empirische Überprüfbarkeit

132

5.3 Empirie: Über- und Unterreaktion

Nachdem im vorausgehenden Abschnitt gezeigt worden ist, dass die Aussagen von Overcon-

fidence-Modell und Sentiment-Modell direkt empirisch mit vorhandenen Marktdaten über-

prüft werden können und somit den empirischen Überprüfungen zugänglich sind, stellt sich

die Frage, ob die empirisch widerlegbaren Aussagen bereits durch Empirie widerlegt worden

sind. Das Overconfidence-Modell und das Sentiment-Modell postulieren, dass der Akien-

markt nicht frei von Über- sowie Unterreaktionen ist. Gibt es tatsächlich systematische Über-

sowie Unterreaktionen am Aktienmarkt? Und welche Ergebnisse haben die diesbezüglichen

empirischen Untersuchungen schon erzielt? Aus der Überlegung der Unsicherheit in der For-

schung bzw. der Probleme der Transzendenz wird Vorsicht bei der Interpretation der empiri-

schen Befunde angestrebt, und sowohl Pro- als auch Kontra-Argumente werden gleichzeitig

berücksichtigt.

5.3.1 Die Unterreaktion

Die Synchronisation zwischen „big news“ und „big movements“ am Aktienmarkt ist in den

meisten Fällen nicht perfekt. Oft kann beobachtet werden, dass sich der Preis nur moderat

bewegt, wenn die „big news“ eintreffen. Dagegen kommen „big movements“ im Markt oft an

dem Tag vor, wo nur „little news“ vorhanden sind.262 Beispielsweise fielen die Kurse am 19.

Oktober 1987 ohne „big news“ über den fundamentalen Wert innerhalb eines Tages um 23%,

und die einzige kursrelevante Information an diesem Tag war der Crash selbst. Die tatsächli-

che Marktreaktion auf neue Evidenz aus den Informationen scheint viel langsamer als die

rationale Reaktion unter der Hypothese der Markteffizienz zu sein. Die serielle Korrelation

der Rendite soll sich in der Nähe von null befinden, wenn Unter- und Überreaktion nur unbe-

deutend sind. Die empirischen Untersuchungen zeigen aber, dass die serielle Korrelation der

Short-Run Rendite zeitweise signifikant positiv sein kann, was eine Unterreaktion impli-

ziert,263 wenn man davon ausgeht, dass dieses Muster nicht vollständig auf Datenprobleme

oder die Spezifikationen der Modelle zurückgeführt werden kann. Mit anderen Worten ist die

262 Vgl. Poterba und Summers (1989) S.8-12; 263 Momemtum: vgl. Jegadeesh und Titman (1993); Chan, Jagadeesh und Lakonishok (1996);

Empirische Überprüfbarkeit

133

positive Korrelation in diesem Fall ein Indiz dafür, dass der Investor beim Eintreten der neuen

Information nicht voll reagiert und er deswegen in den folgenden Perioden sukzessiv seinen

Fehler korrigiert, so dass sich der Preis nach der anfänglichen Anpassung weiter in die Rich-

tung dieser Anpassung bewegt. Somit kann beobachtet werden, dass der Preis nach einer an-

fänglichen Erhöhung wegen einer unerwarteten positiven Information auch in den folgenden

Perioden den Trend nach oben behält, als ob die Performance kurzfristig persistent bleibt:

Gewinner bleibt Gewinner, Verlierer bleibt Verlierer. Die kurzfristige Persistenz des Gewin-

ners und Verlierers aufgrund der Unterreaktion wird auch als „Momentum“ bezeichnet. For-

mal lässt sich dies wie folgt beschreiben:

( ) ( )SZrEGZrE tttt =>= ++ 11264

Mit den Daten aus der NYSE/AMEX von 1965 bis 1989 haben Jagadeesh und Titman als

erste den Momentum-Effekt untersucht, indem eine Momentum-Strategie265 gebildet wurde.

Die Performance dieser Strategie ist signifikant von null verschieden: Eine durchschnittliche

Überschussrendite von 1.66% pro Monat mit einer t-Statistik von 6.67.266 Mit einer längeren

Datenreihe aus der NYSE – von 1963 bis 1993 – hat Carhart eine durchschnittliche monatli-

che Überschussrendite der Momentum-Strategie von 0.82% mit einer t-Statistik von 4.46

festgestellt.267 Ein ähnliches Resultat hat Rouwenhorst bei seiner Untersuchung europäischer

Daten von 1980 bis 1995 erzielt.268 Es stellt sich die Frage, ob sich der Umfang der Unterre-

aktion verringern lässt, wenn sich der Investor der Existenz von Momentum bewusst ist. Zu-

mindest ist der Momentum-Effekt seit 1993 kein Geheimnis mehr, und das Momentum-

Phänomen sollte mit der Zeit verschwinden, wenn die signifikante Überschussrendite und das

negative CAPM-β der Momentum-Strategie die Arbitragemotive aktivieren.269 Mit einer Da-

tenreihe von 1963 bis Ende 1997 haben Daniel und Titman den Momentum-Effekt wieder

untersucht. Das alte Resultat bleibt unverändert: 1.17% durchschnittliche monatliche Über-

schussrendite mit einer t-Statistik von 6.62, wobei das Momentum-Phänomen auch nach dem

Jahr 1993 persistent blieb.270

264 Zt: Information zum Zeitpunkt t; G: gute Nachricht; S: schlechte Nachricht; 265 Momentum-Strategie: long past six-month winners (stock in the top performance decile); short past six-month losers (stock in the bottem performance decile); 266 Vgl. Jegadeesh und Titman (1993), Table IV, S.80. 267 Vgl. Carhart (1997), Table II, S.62. 268 Vgl. Rouwenhorst (1998) 269 Vgl. Daniel und Titman (1999) S.31, CAPM-β des Momentum-Portfolios in der entsprechenden empirischen Studie war -0.258. 270 Vgl. Daniel und Titman (1999) S.32, Figure 1: das Momentum-Pattern nach dem Jahr 1993.

Empirische Überprüfbarkeit

134

Die Untersuchung der seriellen Autokorrelation liefert ein ähnliches Bild und spricht für die

Vermutung der Existenz der Unterreaktion am Aktienmarkt innerhalb eines kurzen Zeitraums

von 3 bis 9 Monaten. Gemäss der Studie von Bernard und Thomas über die Preisveränderun-

gen nach der Bekanntgabe der Gewinnzahlen mit den Daten von 1974 bis 1986 über 2'626

Firmen ist die serielle Autokorrelation signifikant von null verschieden: 0.34 (bei 3 Monaten);

0.19 (bei 6 Monaten); 0.06 (bei 9 Monaten); -0.24 (bei 12 Monaten).271 Zu einem ähnlichen

Resultat kamen auch Culter, Poterba und Summers.272 Bernard führt die Non-Zero-

Autokorrelation auf die anfängliche Unterreaktion auf die neuen unerwarteten Informationen

in den Gewinnzahlen zurück, indem er zeigt, dass die Stärke des Momentums mit der Stärke

der unerwarteten Informationsschocks positiv korreliert ist. D.h., um so mehr die neue Infor-

mation unerwartet ist, desto stärker ist die Unterreaktion beim Eintreten der neuen Informati-

on, und desto grösser ist der Korrekturbedarf in den nachfolgenden Perioden.273 Die negative

serielle Autokorrelation nach der anfänglichen positiven Korrelation mit einem Zeithorizont

von 3 bis 9 Monate impliziert andererseits die Überreaktion in der Korrekturphase. Das Mus-

ter der seriellen Autokorrelation der Preisveränderungen nach der Bekanntgabe der Gewinn-

zahlen ist ein Indiz dafür, dass die Informationen aus den Gewinnzahlen nicht sofort in den

Preis einfliessen und der Markt unter- bzw. überreagieren kann, wenn neue unerwartete In-

formationen eintreten.

Eine Reihe von Event-Studies kommt zum gleichen Resultat, nämlich einer Unterreaktion auf

öffentliche Informationen, d.h., die durchschnittliche Rendite am Event-date hat dasselbe

Vorzeichen wie die durchschnittliche Rendite in den direkt nachfolgenden Perioden, ausge-

drückt durch die positiven seriellen Autokorrelationen der Preisveränderungen.274

271 Vgl. Bernard (1993) Table 1, S.317. 272 Vgl. Culter, Poterba und Summers (1991) 273 Vgl. Bernard (1993) S. 305-309. 274 Event-Studies siehe: Stock splits: Grinblatt, Masulis und Titman (1984); Desai und Jain (1997); Ikenberry, Rankine und Stice (1996); Tender offer und open market repurchases: Lakonishok und Vermaelen (1990), Ikenberry, Lakonishok und Vermaelen (1995); Analyst recommendations: Groth, Lewellen, Scharbaum und Lease (1979); Bjerring, Lako-nishok und Vermaelen (1983); Elton, Gruber und Gultekin (1984); Womack (1996); Michaely und Womack (1996); Dividend initiations und omissions: Michaely, Thaler und Womack (1995); Seasoned issues of common stock: Longhran und Ritter (1995); Spiess und Affleck-Graves (1995); Kang, Kim und Stulz (1996); Earnings surprises: Bernard und Thomas (1989); Brown und Pope (1996); Public announcement of previous insider tra-des: Seyhun (1997); Seyhun (1986); Seyhun (1988); Razeff und Zaman (1988);

Empirische Überprüfbarkeit

135

Eine Existenz der Unterreaktion würde implizieren, dass die Möglichkeit besteht, Überschuss-

rendite ohne zusätzliche Informationen zu erwirtschaften. Es stellt sich an dieser Stelle die

Frage, ob es im realen Markt tatsächlich solche Möglichkeiten gibt. Das Wall Street Journal

und Zacks Investment Research haben zu diesem Zweck eine Studie durchgeführt, wobei die

Performance der von 17 Brokerage-Firmen empfohlenen Aktien untersucht wurde.275 Die

Studie ging der Frage nach, ob ein Investor, der nur die öffentlichen Informationen benutzte

und sein Aktien-Portfolio ausschliesslich nach den Kaufempfehlungen von Brokerage-Firmen

aufbaute und umschichtete, eine Überschussrendite erwirtschaften konnte. Die Studie ergab,

dass die Performance solcher Aktien-Portfolios zwischen 1993 bis 1997 permanent besser als

der S&P 500 Index war, wobei das Aktien-Portfolio in der Fünfjahresperiode (01.93-12.97)

eine Rendite von 165% und der S&P 500 Index eine Rendite von 151% erwirtschaftete. Die

jährliche Überschussrendite betrug 1.06% bei einem durchschnittlichen Portfolio-Beta von

0.94.276 Das bedeutete, dass zwischen 1993-1997 die Möglichkeit bestand, dass der Investor

ausschliesslich mit den öffentlichen Informationen – den aktuellen Aktien-Kaufempfehlungen

von Brokerfirmen – systematisch eine Überschussrendite erzielte, wenn der S&P 500 Index

als Benchmark diente und die Transaktionskosten (Kommission) 1% betrugen.

Die Unterreaktion scheint persistent zu bleiben und kein Zufall zu sein. Eine Reihe von empi-

rischen Untersuchungen277 hat dieses Phänomen unter die Lupe genommen und festgestellt,

dass Beta, Size und Marktkapitalisierung diesbezüglich keinen Erklärungsgehalt haben. Die

empirischen Befunde liefern wenig Unterstützung, dass die Unterreaktion vollständig durch

die Fehlspezifikation des Risikomodells erklärt werden kann.

275 Procedure: The Study assumes that an investor buys every strongly recommended stock and sells all others, even if they are designated as holds or weak buys. All buying and selling is on the last trading day of each month. Performance is tracked monthly. A 1% commission is charged for trade. Dividends are included, and taxes are disregarded. Vgl. Shefrin (2000) S. 71-74. 276 Vgl. Shefrin (2000) S. 73-75; 277 Vgl. Dressendörfer (1999) S57-58;

Empirische Überprüfbarkeit

136

Tabelle 4: Empirische Untersuchungen der Unterreaktion

Studie, Daten und Methoden Untersuchungsergebnisse

Brown und Harlow (88)

NYSE 1946-1983; CRSP-Monthly Return File;

Long Winner und Short Loser;

Signifikante Unterreaktion; Unterreaktion wächst

mit der Grösse und Intensität negativer (nicht posi-

tiver) Ereignisse;

Jegadeesh (90)

NYSE/AMEX 1926-1987; CRSP-Daily Return File; Long

Winner und Short Loser;

Signifikante Unterreaktion (0.93% p.m.278 12 Mo-

nate); Positive Autokorrelation; Grösseneffekt und

Risikoänderung ohne Erklärungsgehalt;

Jegadeesh und Titman (93)

NYSE/AMEX 1965-1989; CRSP-Daily Return File; Long

Winner und Short Loser;

Signifikante Unterreaktion (1.66% p.m., 6 Monate);

Stärkere Unterreaktion für Unternehmen mit gerin-

ger Grösse und mit niedrigem Betawert;

Asness (95)

NYSE/AMEX/Nasdaq1963-1992;CRSP-Monthly Return

File; Long Winner und Short Loser;

Signifikante Unterreaktion (1.0% p.m., 6 Monate);

Beta, Marktkapitalisierung, B/M, Volumen und

Kursniveau ohne Erklärungsgehalt;

Schiereck und Weber (95)

Frankfurter Börse 1973-1991; Monatliche Daten der

KKMDB; Long Winner und Short Loser;

Signifikante Unterreaktion (8.1% p.a., 12 Monate);

Saisonalitätseinfluss;

Chan, Jagadeesh und Lakonishok (96)

NYSE/AMEX/Nasdaq 1977-1993; CRSP-Monthly Return

File; Long Winner und Short Loser;

Signifikante Unterreaktion (8.8% p.a., 6 Monate);

Beta, Marktkapitalisierung und B/M ohne Erklä-

rungsgehalt;

Broman, Schiereck und Weber (97)

Frankfurter Börse 1973-1993; Monatliche Daten der

KKMDB; Long Winner und Short Loser;

Signifikante Unterreaktion (8.1% p.a., 12 Monate);

Konzentration in liquiden Aktien;

Rouwenhorst (98)

Frankfurter und Zürcher Börsen 78-95; Monatliche Daten;

Signifikante Unterreaktion (1.0% p.m., 12 Monate);

Konzentration in kleinen Unternehmen;

278 0.93% p.m.: die monatliche Überschussrendite der Momentum-Strategie beträgt 0.93%.

Empirische Überprüfbarkeit

137

5.3.2 Die Überreaktion

Das „Long-Term Reversal“ des spekulativen Assets stellt ein Indiz für die Existenz der Über-

reaktion des Investors am Aktienmarkt dar. Das Reversal-Muster ist durch eine Reihe empiri-

scher Untersuchungen in der Gegenwart identifiziert worden.279

Die erste einflussreiche Untersuchung von „Long-Term Reversal“ kam von DeBondt und

Thaler im Jahr 1985, wobei eine negative Autokorrelation der Aktienrendite bei einem langen

Zeithorizont von 3 bis 5 Jahren nachgewiesen wurde. Mit den US-Daten bis in das Jahr 1933

zurück haben DeBondt und Thaler festgestellt, dass das Portfolio mit Aktien, die in der Ver-

gangenheit eine extrem schlechte Rendite erwirtschaftet hatten, eine signifikant höhere Shar-

pe-Ratio in den folgenden Perioden aufwies als das Portfolio bestehend aus den Aktien, die in

der Vergangenheit eine extrem gute Performance hatten.280 Aktien mit schlechter Sharpe-

Ratio in den vergangenen 5 Jahren wiesen in den meisten Fällen eine hohe Sharpe-Ratio in

den kommenden 5 Jahren auf und vice versa. Für monatliche, aus der CRSP-Datenbank

stammende Aktienrenditen von 1926 bis 1982 wurde eine Performance-Differenz zwischen

Verlierer-Portfolio und Gewinner-Portfolio (ACARv,60 – ACARG,60) von 31.9% mit einem t-

Wert von 4.28 ermittelt. Demnach konnte die konträre Anlagestrategie mit einem Zeithorizont

von 5 Jahren, wobei das Gewinner-Portfolio verkauft und gleichzeitig das Verlierer-Portfolio

gekauft wurde,281 die kumulative Kursentwicklung des Aktienmarktes um 31.9% übertref-

fen.282

DeBondt und Thaler begründen das Reversal-Pattern mit den Überreaktionen am Aktien-

markt, wonach die am Aktienmarkt tätigen Akteure bei den Gewinnern (Verlierern) oft über-

279 Empirische Untersuchungen des Reversal-Patterns vgl:

Aktienmarkt: Stock (1990) bzw. Meyer (1995) für den deutschen Aktienmarkt; Poterba und Sum-mer (1988), Klein (1990) bzw. Fama und French (1988, 1996) für den US-Aktienmarkt; Alonso und Rubio (1990) für den spanischen Aktienmarkt; Kryzanowski und Zhang (1992) für den kanadischen Aktienmarkt; Richards (1997) für den Internationalen Markt;

Cross-section return: Fama und French (1996); Ball, Kothari und Shanken (1995); Chopra, Lakon-ishok und Ritter (1992);

Market to Book ratio: Fama und French (1992); DeBondt und Thaler (1987); Market value to cash flow: Lakonishok, Shleifer und Vishny (1994); Robustness of the finding: Carmel und Young (1997); Daniel (1996); Asness (1995);

280 Vgl. DeBondt und Thaler (1985), S. 709-804. 281 Das Gewinner-Portfolio besteht in diesem Fall aus Titeln, die in den vergangenen 5 Jahren erfolgreich waren, und das Verlierer-Portfolio setzt sich hier aus den Titeln zusammen, die in den vergangenen 5 Jahren stets auf der Verliererseite standen. 282 Vgl. DeBondt und Thaler (1985), S. 801.

Empirische Überprüfbarkeit

138

mässig positive (negative) Prognosen bezüglich der weiteren Kursentwicklungen formen und

diese Fehleinschätzung erst allmählich korrigieren, wodurch es zur Umkehrung in der Kurs-

entwicklung kommt, ausgedrückt durch negative serielle Autokorrelation.

Die Existenz des von DeBondt und Thaler entdeckten Reversalpatterns wird durch diverse

andere empirische Untersuchungen in der Gegenwart bestätigt. Mit einer US-Datenreihe von

1931 bis 1993 haben Fama und French beispielsweise Long-Term Reversal bzw. Short-Term

Momentum untersucht, indem eine Reversal-Strategie283 bzw. Momentum-Strategie gebildet

und deren Performance gemessen wurde:284

Tabelle 5: Die Performance der Reversal- bzw. Momentumstrategie

Average monthly returns from reversal and momentum strategies

Strategy Period Formation Months Average Return, 10-1

Reversal 6307-9312 60-13 -0.74%

Momentum 6307-9312 12-2 +1.31%

Reversal 3101-6306 60-13 -1.61%

Momentum 3101-6306 12-2 +0.38%

Die monatliche Performance der Reversal-Strategie, Long Gewinner und Short Verlierer, ist

signifikant negativ und besagt somit, dass der Verlierer als Gewinner hervorgeht und dass der

Gewinner sich in eine Verliererposition begibt. Formal kann Long-Term Reversal wie folgt

beschrieben werden:

( ) ( )SZSZSZrEGZGZGZrE jttttjtttt ===<=== −−+−−+ ,.....,,......, 1111

Es stellt sich an dieser Stelle die Frage, ob es im realen Markt tatsächlich Gewinner- bzw.

Verlierer-Portfolios gibt, denn in einem fehlerfreien Markt, wo Über- sowie Unterreaktion

sofort durch Marktdisziplin korrigiert wird, sollten Gewinner- bzw. Verlierer-Portfolios nicht

persistent bleiben können. Eine Prüfmöglichkeit liegt im Performancevergleich von unter-

schiedlichen Funds. Vom Standpunkt der strengen Marktdisziplin aus, wo die Über- bzw.

283 Die Reversal Strategie: monthly long the best-performing Stocks and short the worst-performing Stocks based on performance in year –5 to year –1; Vgl. Fama und French (1996) S.66 284 Procedure: Each month, allocate all NYSE firms on CRSP to 10 portfolios based on their performance during the “performance formation months” interval. For example, 60-13 forms portfolios based on return from 5 year ago to 1 year, 1 month ago. Then buy the best-performing decile portfolio (decile 10) and short the worst per-forming decile portfolio (decile 1). Vgl. Fama und French (1996) Table VI S. 66.

Empirische Überprüfbarkeit

139

Unterreaktion ausgeschlossen ist, sollte die Performance von unterschiedlichen Funds nach

der Risiko-Adjustierung gleich gut oder schlecht sein, es darf also keinen Gewinnerfonds

bzw. Verliererfonds geben, denn die Marktdisziplin korrigiert die durch Über- bzw. Unterre-

aktion induzierten Fehler (Über- bzw. Unterbewertung) sofort. Die empirische Untersuchung

von Cochrane über die Performance in der Fundsindustrie hat gezeigt, dass die Rendi-

te/Risiko-Verhältnisse von unterschiedlichen Funds breit um die SML gestreut sind und Ge-

winner- bzw. Verliererfunds kein vorübergehender Zufall, sondern weitgehend ein persisten-

tes Phänomen sind.285 Die Performancevergleiche von unterschiedlichen Funds in Massenme-

dien bzw. Fachzeitschriften ergeben ein ähnliches Bild. Die signifikant breite Streuung des

Rendite/Risiko-Verhältnisses verschiedener Funds um die SML ist ein Indiz dafür, dass der

Mechanismus der Marktdisziplin nicht hinreichend für eine sofortige Eliminierung der Fehler

ist. Folglich existieren Gewinner- bzw. Verliererfunds, und das Reversal-Muster reflektiert

die Korrektur der Fehler in nachfolgenden Perioden. Am US-Aktienmarkt wiesen zum Bei-

spiel die Small/Value-Aktien zwischen 1988 bis 1993 im Vergleich zum Benchmark eine

durchschnittliche Outperformance auf, und das Reversal kam, als die Small/Value-Aktien im

Zeitraum von 1993 bis 1998 eine durchschnittliche Underperformance zeigten.286

285 Vgl. Cochrane (1999a) S.25-26. 286 Vgl. Shefrin (2000) S.79-80.

Empirische Überprüfbarkeit

140

5.3.3 Eine Bemerkung zur Kontroverse

Es herrscht eine Kontroverse darüber, wie die Über- bzw. Unterreaktion erklärt werden sollte.

Das traditionelle Konzept führt das abnormale Pattern auf andere Gründe zurück:287

Falsche Spezifikationen des Modells in Bezug auf die erwartete Rendite bzw. die

Risikoprämie können z.B. für das abnormale Pattern (wie Momentum oder Rever-

sal) verantwortlich sein. Mit einer Variation der erwarteten Rendite oder Risikoprä-

mie ist es technisch möglich, das abnormale Pattern verschwinden zu lassen;

Die Verliereraktien haben höhere Risiken, weil das Konkursrisiko aufgrund der

schlechten Performance der Aktien in der Vergangenheit steigt, und dies zieht eine

höhere Entschädigung für das Halten dieses zusätzlichen Risikos nach sich. In die-

sem Sinn gibt es keine Überschussrendite bzw. Überreaktion. Fama und French zu-

folge wird der Risikopreis nicht allein durch die Kovarianz mit der Marktbewegung

(CAPM-Beta) bestimmt, sondern auch durch andere Risiken wie Konkursrisiken

mitbestimmt.288 Die schlechte Performance in der Vergangenheit kann in diesem

Fall als Proxy für das Konkursrisiko dienen;

Die Verliereraktien sind meistens Aktien von kleinkapitalisierten Firmen, und die

Überperformance des Verlierer-Portfolios kann deswegen zum grossen Teil auf den

Grösseneffekt zurückgeführt werden.289 Somit kann der Überreaktionseffekt auf ei-

nen Grösseneffekt reduziert werden, wobei Size als Proxy für das Konkursrisiko be-

trachtet wird;

Das Reversal-Pattern kann auf die intertemporale Variation der Volatilität zu-

rückgeführt werden. Black zufolge ist der Leverage-Effekt eine Ursache der Inkon-

stanz der Volatilität.290 Typischerweise sind die Aktienmärkte in rezessiven Phasen

volatiler als in Perioden der Hochkonjunktur, und der Leverage-Effekt stellt in die-

sem Zusammenhang eine Erklärungsvariable dar. Die Aktien einer mit Fremdkapital

verschuldeten Firma sind im Vergleich zu einer identischen, aber rein eigenkapital-

finanzierten Firma riskanter, und deshalb volatiler. Die Volatilität der Aktien der

287 Die Aufzählung der Erklärungsansätze hier ist nicht vollständig. 288 Vgl. Fama und French (1995) S. 153-154. 289 Vgl. Zarowin (1990) S.118. 290 Vgl. Black (1976) S.179.

Empirische Überprüfbarkeit

141

verschuldeten Firma wird sich stark erhöhen, wenn die verschuldete Firma aufgrund

einer Rezession oder durch Distress des Unternehmens zur Verliererseite wechselt

und der negative Hebel des Leverage wirkt. Die erhöhte Volatilität der Verlierer

führt zu einer höheren Risikoprämie in Form einer höheren Rendite. In diesem Sinn

reflektiert die Performance-Differenz zwischen Gewinner-Portfolio und Verlierer-

Portfolio die Variation der Risikoprämie, nicht jedoch eine Überreaktion;291

Auch der Mangel an Qualität beim Datenmaterial und bei den Untersuchungsme-

thoden kann das Reversal-Pattern herbeiführen. Survivorship Bias kann beispiels-

weise für die Performance der Reversal-Strategie verantwortlich sein, wenn die ech-

ten Verlierer, die in Konkurs gehen, nicht durch die Datenbasis erfasst werden;

Die Anhänger des traditionellen Konzepts vertreten die Ansicht, dass die den em-

pirischen Untersuchungsmethoden zugrunde gelegten Modelle fehlspezifiziert sind,

weil die Portfolios mit einem oder mehreren unbekannten Risikofaktoren korreliert

sind, welche die beobachtete Performance der Gewinner und Verlierer erzeugen. Je-

de Variation beim Return ist und muss rational sein.

Die traditionellen Erklärungsansätze können zwar das abnormale Pattern zum Teil auf einer

normativen Ebene erklären, aber es werden noch keine empirisch bewährten Modell-

Lösungen seitens traditionellen Konzepts vorgeschlagen, womit das abnormale Preisverhalten

zum Verschwinden gebracht werden kann. Wie die Diskussion über die Marktdisziplin im

Kapitel 2 gezeigt hat, trifft die allgemeine Argumentation, dass die strenge Marktdisziplin

hinreichend für die Eliminierung der Über- und Unterreaktion ist, deskriptiv nicht zu. Was die

Erklärung der Über- und Unterreaktion betrifft, sind die Argumente des traditionellen Kon-

zepts nicht in jeder Hinsicht genügend überzeugend:

Die Fehlerfreiheit kann zwar technisch „erzwungen“ werden, indem die erwartete

Rendite bzw. Risikoprämie dynamisch variiert, so dass die Möglichkeit der Über-

bzw. Unterbewertung faktisch ausgeschlossen ist. Der Verlust liegt hier aber in der

starken Verringerung der Falsifizierbarkeit der Hypothese der Fehlerfreiheit und

291 Volatility Feedback ist auch ein Erklärungsansatz in diesem Zusammenhang. Dem Volatility-Feedback An-satz nach führt die Persistenz der Informationsschocks dazu, dass weitere Schocks folgen werden. Somit wird sich die erwartete Varianz erhöhen. Die Persistenz der Schocks ist jedoch ein Indikator für die Beeinflussung durch behaviorale Elemente.

Empirische Überprüfbarkeit

142

kann sogar dazu führen, dass sie unwiderlegbar wird. Die Anpassungen müssen vor

allem ökonomisch sinnvoll sein;

Die Annahme der Variation der Risikoprämie und der erwarteten Rendite ist zwar

nicht unplausibel, aber deren Umsetzung ist mit technischen Schwierigkeiten ver-

bunden. Technisch ist es beispielsweise schwierig, eine Grenznutzenfunktion mit

extremer Variabilität bezogen auf „State“ zu identifizieren, wobei der Grenznutzen

mit der Rendite des Size-, Book-to-Market-, und Momentum-Portfolios stark kovari-

ieren muss.292

Intuitiv ist es überzeugend, dass die Verliereraktien ein grösseres Konkursrisiko

haben, jedoch ist dieser Zusammenhang nicht zwingend. Es gibt Beispiele, in wel-

chen der Wechsel von Gewinner zu Verlierer oder von Verlierer zu Gewinner mit

dem Konkursrisiko unkorreliert ist. Die Bluechips wie VW, CS oder UBS gehörten

beispielsweise zeitweise zu den Verlierern am Aktienmarkt, als ihre Kurse um 30%

bis 40% dramatisch fielen. Ex post konnte eine Long-Position der Verlierer in die-

sem Zeitpunkt Überschussrendite erwirtschaften, die erzielte Überschussrendite

kann jedoch nicht vollständig durch eine zusätzliche Konkursprämie aufgrund der

entsprechenden Erhöhung der Konkursrisiken dieser Firmen erklärt werden, zumal

solche Firmen nicht nur „too big to fail“, sondern auch weit entfernt von einem

möglichen potenziellen Konkurs waren, als ihre Kurse dramatisch fielen. Wichtig in

diesem Zusammenhang ist, dass das Konkursrisiko der individuellen Firma nicht als

Risikofaktor betrachtet werden sollte, weil dieser Faktor ein unsystematisches Risi-

ko darstellt und wegdiversifiziert werden kann. Somit sollte das Konkursrisiko nicht

durch den Aktienmarkt entschädigt werden;293

Über- sowie Unterreaktion (Momentum sowie Reversal) sind kein spezielles Phä-

nomen bei Small-Size-Aktien, und es gilt auch bei Bluechips. Die empirischen Un-

tersuchungen haben gezeigt, dass Size und Marktkapitalisierung in Bezug auf Erklä-

rung der Unter- sowie Überreaktion keinen Erklärungsgehalt haben.294 Übrigens ist

es theoretisch fraglich, ob die Überschussrendite der konträren Strategie durch das

292 Vgl. Campbell und Cochrane (1999) S. 205-207. 293 Vgl. Cochrane (1999a) S.10-11. 294 Vgl. Tabelle: Empirische Untersuchungen der Unterreaktion, Kapitel 5.3.1;

Empirische Überprüfbarkeit

143

Konkursrisiko erklärt werden darf, wenn Size als Proxy für das Konkursrisiko be-

trachtet wird;

Solange der Konjunktur- und Unternehmungszyklus nicht die angenommene Ver-

teilung der Rendite verändern, sollte das erste bzw. das zweite Moment der Vertei-

lung zeitinvariant und konstant sein. In diesem Fall sollte die durch diesen Zyklus

induzierte Veränderung von Leverage kaum Einfluss auf die Volatilität haben.

Kurz, die Position des traditionellen Konzepts, wonach der Markt frei von Über- bzw. Unter-

reaktion sein muss und die durch empirische Untersuchungen festgestellte Über- bzw. Unter-

reaktion eine falsche Wirklichkeit darstellt, besitzt weder empirische Evidenz noch eine solide

theoretische Fundierung.295 Die Evidenz fehlt, dass die Über- bzw. Unterreaktion ausschliess-

lich auf die Fehlspezifikationen der rationalen Modelle und die Datenprobleme zurückzufüh-

ren ist. Wenn die Erfahrung am realen Markt – die Blasenbildung und deren Platzen – als

Ausgangspunkt der Überlegung dient, dann stellt die wahrgenommene Über- bzw. Unterreak-

tion keine falsche Wirklichkeit dar.296 In Bezug auf die Ausgangsfrage dieses Abschnittes, ob

die empirisch widerlegbaren behavioralen Aussagen, welche die Über- sowie Unterreaktion

prognostizieren, bereits durch die Empirie widerlegt sind, ist eine vorläufige Nichtfalsifikati-

on zu bejahen.

Die empirischen Befunde über die Über- sowie Unterreaktion am Aktienmarkt liefern zwar

eine gute Möglichkeiten, die behavioralen Ansätze mit bereits vorhandenen Fakten direkt zu

295 Sentana fasst die Kontroverse wie folgt zusammen: “There is now overwhelming evidence that the simple present value model for stock prices with constant expected returns is rejected by data. The disagreement is now centred of whether the observed predictability is due to rational variation in expected returns or the result of market inefficiencies.” Vgl. Sentana (1993) S. 401. 296 Eine empirisch gesicherte Antwort auf die Frage der Über- bzw. Unterreaktion kann jedoch nicht gefunden worden. Nach den Argumenten des traditionellen Konzepts besitzen die empirischen Untersuchungen im Hin-blick auf die Beantwortung der Frage, ob der Markt über- sowie unterreagieren kann, keine genügende Aussage-kraft, weil die Fehlspezifikationen der rationalen Modelle und die noch ungelösten Datenprobleme eine objekti-ve Beurteilung durch Erfahrungen erschweren. Ob der Aktienmarkt fehlerfrei ist, ist im Grunde genommen so-mit eine transzendente Frage, und aufgrund der Unbeobachtbarkeit der Key-Daten und der Modellprobleme ist es auch schwierig, wenn nicht unmöglich, eine endgültige und empirisch gesicherte Antwort auf diese Frage zu finden. Diese Unsicherheit verlangt nicht nur Vorsicht, sondern insbesondere auch wissenschaftliche Offenheit, denn es gibt den heutigen Kenntnissen zufolge ex ante kein eindeutiges Verbot der Über- sowie Unterreaktionen, und im Licht der offenen Zukunft kann und wird alles geschehen, was nicht ausdrücklich verboten ist. Die Mög-lichkeit der Über- sowie Unterreaktion lässt sich nicht ausschliessen, solange die empirischen Fakten für deren Ausschluss fehlen.

Empirische Überprüfbarkeit

144

falsifizieren, aber eine vorläufige Nichtfalsifikation impliziert nicht die vorläufige Bewäh-

rung, denn „der Beweis“ fehlt noch, dass die festgestellten Über- sowie Unterreaktionen tat-

sächlich auf behaviorale Ursachen zurückzuführen sind. Somit sind Tests der behavioralen

Modelle notwendig. Diese Tests müssen vor allem Out-of-Sample sein, weil die behavioralen

Modelle zur Erklärung der Über- sowie Unterreaktion konstruiert sind und eine Überprüfung

durch dieses Phänomen Gefahr „des zirkulären Beweises“ läuft. Somit wird im nächsten Ka-

pitel auf die Frage der Testbarkeit eingegangen, wobei die Überprüfung der technischen Mög-

lichkeiten der Out-of-Sample Tests den Schwerpunkt bildet.

Empirische Überprüfbarkeit

145

6 Testbarkeit der Behavior-Modelle

Aus der Sicht des strengen Empirismus muss jede neue Theorie mindestens 3 Kriterien

gleichzeitig erfüllen, um sich als Kandidatin zu qualifizieren297:

Sie basiert auf a priori plausiblen Annahmen;

Sie erklärt die neue Evidenz;

Sie ist „Out-of-Sample“ testbar.

Die Prognose der behavioralen Modelle – Overconfidencemodell bzw. Sentimentmodell –

kann zwar direkt durch empirische Befunde falsifiziert werden, aber die direkten Testmög-

lichkeiten sind aufgrund der Unbeobachtbarkeit der Key-Variablen stark eingeschränkt. Um

wissenschaftliche Sicherheit zu gewinnen und praktischen Nutzen daraus ziehen zu können,

müssen sie jedoch testbar sein, und zwar Out-of-Sample. Fama zufolge sollte man sich nicht

durch diejenigen Modelle beeindrucken lassen, die speziell zur Erklärung bestimmter abnor-

maler Pattern konstruiert worden sind. Der Test muss somit Out-of-Sample sein: Die Fähig-

keit zur Generierung neuer Hypothesen, welche durch andere empirische Untersuchungen

falsifizierbar sind. „The over-riding question should always be: does the new model produce

coherent rejectable predictions...”.298 Ohne die Bewährung durch solche Tests bleiben die

Modelle aus der Sicht des strengen Empirismus wissenschaftlich wertlos, wenn auch sie die

neue Evidenz zu erklären vermögen. Mit anderen Worten ist hier zwecks wissenschaftlicher

Sicherheit ein „Out-of-Sample Test“ zwingend notwendig. Der Test dient der Falsifikation,

nicht jedoch der Verifikation; und eine vorläufige Bewährung durch den Test besitzt hinsicht-

lich der Wahrheitsnähe keine Aussagekraft. Das Ziel des Out-of-Sample Tests liegt primär

darin, zu überprüfen, ob eine Falsifikation durch Out-of-Sample Tests möglich ist. Angelehnt

an die neusten empirischen Behavioruntersuchungen in der Finanzmarktforschung wird in

diesem Kapitel die Testbarkeit der behavioralen Modelle behandelt, um die Frage zu beant-

worten, ob Behavioral Finance überhaupt zur Erfahrungswissenschaft gehört.

297 Vgl. Hong und Stein (1999) S. 2144. 298 Vgl. Fama und French (1998) S. 284ff.

Empirische Überprüfbarkeit

146

6.1 Die Testbarkeit von Overconfidence

Das Overconfidence-Modell geht von zwei zentralen Annahmen aus, die im Widerspruch

zum traditionellen Konzept stehen: Erstens beeinflusst Overconfidence die tatsächliche Ent-

scheidung der Investoren. Und zweitens ist die Diffusion der Informationen im Falle einer

Informationsasymmetrie auch nach der Offenbarung der Privatinformation graduell. Aus

Sicht des traditionellen Konzepts sollte der Retail-Investor in seiner tatsächlichen Investment-

entscheidung eine Als-Ob-Rationalität aufweisen, folglich sollte die tatsächliche Transakti-

onsentscheidung frei vom Fehlverhalten wie Overconfidence sein. Die strenge Marktdisziplin

garantiert sowohl die Als-Ob-Rationalität als auch die Informationseffizienz, demnach soll die

Diffusion der Informationen nach der Offenbarung der Privatinformationen genügend schnell

sein, so dass systematische Fehler nicht auftreten. Die unterschiedlichen Annahmen hinsicht-

lich Rationalität und Informationseffizienz implizieren neue Hypothesen beim Overconfiden-

ce-Modell: Die durch Overconfidence verzerrte Transaktionsentscheidung und die graduelle

Informationsdiffusion. Diese neuen Prognosen haben zwei Möglichkeiten geliefert, die Aus-

sagen des Overconfidence-Modells Out-of-Sample zu testen:

Beeinflusst die Overconfidence die tatsächliche Entscheidung der Investoren?

Ist die Informationsdiffusion nach der Offenbarung der Privatinformation gradu-

ell?

Die durch das Overconfidence-Modell prognostizierten Über- sowie Unterreaktionen sind die

logische Konsequenz des Einflusses von Overconfidence in der tatsächlichen Investmentent-

scheidung sowie des Einflusses der graduellen Informationsdiffusion, und somit kann die Va-

lidität der Aussagen des Overconfidence-Modells direkt anhand dieser zwei Aspekte getestet

werden. Mit anderen Worten kann das Overconfidence-Modell durch empirische Tests direkt

falsifiziert werden, wenn empirische Tests ergeben, dass Overconfidence die tatsächlichen

Transaktionsentscheidungen nicht beeinflusst299 oder dass die Informationsdiffusion nach der

Offenbarung von Privatinformationen nicht graduell ist.

299 D.h.: Investoren mit differenziertem Konfidenzniveau verhalten sich gleich.

Empirische Überprüfbarkeit

147

6.1.1 Der Overconfidence-Test

Das Ziel der Overconfidence-Tests liegt darin, zu testen, ob Overconfidence die tatsächliche

Transaktionsentscheidungen beeinflusst, d.h., ob die Differenz im Konfidenzniveau der Inves-

toren zu systematisch unterschiedlichen Entscheidungen führt. Nach dem traditionellen Kon-

zept sollten sich verschiedene Investorentypen in den tatsächlichen Transaktionsentscheidun-

gen gleich verhalten, wenn auch verschiedene Investorentypen durchaus ein unterschiedliches

Konfidenzniveau aufweisen können. Im Falle der Beeinflussung der Transaktionsentschei-

dung durch Overconfidence sollte beobachtet werden können, dass die nach dem Kriterium

des Konfidenzniveaus unterschiedlichen Investorentypen in ihrer Transaktionsentscheidung

nicht die gleiche Rationalität aufweisen, ausgedrückt durch einen systematischen Unterschied

hinsichtlich des Handelsvolumens und der risikoadjustierten Rendite. Mit anderen Worten

sollte beobachtet werden können, dass die Aktivitäten der Investorengruppe, die im Vergleich

zu anderen Gruppen relativ overconfident ist, durch grösseres Handelsvolumen und schlechte-

re Performance geprägt sind, weil die Overconfidence den Investor zur Mehraktivität verleitet

und die Underperformance die logische Konsequenz der Fehlentscheidung darstellt, falls die

tatsächlichen Transaktionsentscheidungen durch Overconfidence beeinflussbar sind und die

von dem traditionellen Konzept angenommene Rationalität auf deskriptiver Ebene aufge-

weicht wird. Zu diesem Zweck können die Investoren nach deren Konfidenzdifferenz in Sub-

gruppen unterteilt werden, um zu überprüfen, ob ein systematischer Unterschied hinsichtlich

Handelsvolumen und Performance zu beobachten ist. Ausgehend von der Konfidenzdifferenz

zwischen traditionellen Investoren und Online-Investoren kann getestet werden, ob die Trans-

aktionsentscheidung tatsächlich durch Overconfidence verzerrt wird.

6.1.1.1 Konfidenzdifferenz zwischen Online-Investor und Phone-Investor als Proxy

Das Internet verändert die Welt, und dies gilt ganz besonders für den Börsenhandel über das

Internet. In den USA handeln bereits mehr als 10 Mio. Menschen online. 25% aller Börsen-

transaktionen von US-Kleininvestoren werden übers Web abgewickelt.300 Forrester Research

prognostiziert, „that by 2003, 9.7 million U.S. households will manage more than $ 3 trillion

300 Vgl. CS Bulletin (2000): http:// bulletin.credit-suisse.ch/ebusiness/939794497.html;

Empirische Überprüfbarkeit

148

online, nearly 19% of total retail investment assets, in 20.4 million online accounts.”301 Die

unangefochtenen Trendsetter im Internet-Trading sind die USA. Derzeit macht der Wert-

schriftenhandel per Mausklick bereits 16% des US-Börsenhandels aus, und die Tendenz ist

weiter steigend. Die Home-Page des US-Marktführers Charles Schwab, der ca. 30% des US-

Online-Markts beherrscht, wird täglich 76 Mio.-mal aufgerufen, und 6 Mio. Kunden, fast 50%

davon mit einem Online-Konto, nutzen dabei die Möglichkeit, online Aktiengeschäfte zu täti-

gen. Die Nutzniesser des enormen Anstiegs des Online-Aktienhandels sind die US-

amerikanischen Online-Broker. Aus einem Bericht der Deutschen Bank geht hervor, dass sich

das verwaltete Vermögen der weltweit 10 grössten Online-Broker auf ca. 1.3 Bio. USD be-

läuft. Verglichen mit den 4.7 Bio. USD an Einlagen aller US-amerikanischen Banken ist dies

beachtlich. Gut 100 Broker zählt der US-Markt gegenwärtig. Die 10 grössten davon vereinen

rund 80% aller Online-Transaktionen auf sich.302

„E*Trade“ bringt dem Investor echten „added Value“: Niedrige Kommissionen, tiefere

Transaktionskosten, höhere Geschwindigkeit, besserer Zugang zu Echt-Zeit-Informationen.

Aber trotzdem ist die Mehrheit der Retail-Investoren eher zurückhaltend gegenüber dieser

neuen Möglichkeit. Neuerdings verbreitet sich jedoch allmählich die Akzeptanz durch die

Mainstream-Investoren.303 Als eine Gruppe sind die Online-Trader im Vergleich zu den

durchschnittlichen Retail-Investoren in vieler Hinsicht überdurchschnittlich: Sie sind im Be-

reich neuer Technologien relativ fit, im Vergleich zu anderen Investoren haben Sie ein über-

durchschnittliches Einkommen sowie Vermögen, sie haben mehr Investmenterfahrung als der

Durchschnitt, und ihre Performance vor dem „Go-Online“ ist deutlich höher als der Durch-

schnitt. Nach der Studie von Barber und Odean (1999a) weisen die durchschnittlichen Online-

Investoren vor dem „Going-Online“ gegenüber dem Marktdurchschnitt eine jährliche Outper-

formance von 4.2% auf, ohne Berücksichtigung der Transaktionskosten.304 Kurz, sie sind eine

„Pioniergruppe“ im Vergleich zum Marktdurchschnitt: Wohlhabender, kompetenter und er-

folgreicher, ausgestattet mit überdurchschnittlichen Fähigkeiten und entsprechenden Er-

folgsausweisen. Daraus folgt, dass sie im Vergleich zum Marktdurchschnitt logischerweise

301 Vgl. Barber und Odean (1999 a) S.1; 302 Vgl. CS Bulletin (2000): http:// bulletin.credit-suisse.ch/ebusiness/939794497.html; 303 Aktuelle demographische Verteilung der CS-Youtrade-Benützer: 20-30 Jahre: 21%; 30-40 Jahre: 33%; 40-50 Jahre: 23%; 50-60 Jahre: 14%; über 60 Jahre: 7% In den USA gehören 75% der gesamten Vermögen Menschen mit einem Alter von mehr als 65 Jahren. Vgl. CS Bulletin (2000); 304 Mit p = 0.09; Vgl. Barber und Odean (1999 a) Table III, S. 28;

Empirische Überprüfbarkeit

149

über ein höheres Konfidenzniveau verfügen und als overconfident bezeichnet werden können,

wenn das Konfidenzniveau des Marktdurchschnitts als Benchmark dient.305

Overconfidence ist keine unveränderbare Eigenschaft des Menschen, sondern sie ist eine

Funktion von Erfolg, Erfahrungshorizont und Quantität der Informationen.306 Die relative

Overconfidence der Online-Investoren im Vergleich zu traditionellen Investoren hinsichtlich

Stock-Picking kann auf folgende Aspekte zurückgeführt werden:

Das Konfidenzniveau ist positiv mit dem Erfolg korreliert und der Erfolg schafft

Overconfidence. Die überdurchschnittliche Performance vor Go-Online führt im All-

gemeinen zu einem höheren Konfidenzniveau der Online-Investoren, ausgedrückt

durch eine Überschätzung der Verlässlichkeit des eigenen Wissens einerseits und Un-

terschätzung der eigenen Fehlervarianz andererseits.

Ein wichtiger Teil der Online-Investoren besteht aus Vertretern der jüngeren Ge-

neration, die meistens nur Erfahrung mit dem Bullmarkt besitzt und die grosse Re-

zession nicht selber miterlebt hat. Der enge Erfahrungshorizont und die Verwöh-

nung durch die Wohlstandsgesellschaft machen die junge Generation weniger

selbstkritisch als die ältere erfahrene Generation, folglich neigt diese Gruppe im

Vergleich zur älteren erfahrenen Generation dazu, die eigenen Fähigkeiten zu über-

schätzen.307

Erfolg, Fähigkeit und Erfahrungshorizont schaffen zwar Overconfidence, aber

diese Eigenschaft wird erst dann handlungswirksam, wenn die Nebenbedingungen

dafür reif sind. Die Quantität der Informationen bildet eine wichtige Voraussetzung

dafür, dass Overconfidence die Transaktionsentscheidung beeinflussen kann. In sei-

ner Fallstudie über „Overconfidence in Judgments“ hat Oskamp (1965) festgestellt,

dass die Confidence mit der Zunahme der verfügbaren Informationen deutlich steigt

und die Genauigkeit der Einschätzung dagegen relativ konstant bleibt. D.h., je mehr

Informationen verfügbar sind, desto mehr Confidence hat der Beurteilte, desto over-

305 Overconfidence im Sinne der Überschätzung der eigenen Selektionsfähigkeit (stock picking abilities); 306 Overconfidence ist positiv mit Erfolg, Erfahrungshorizont und Quantität der Informationen korreliert. 307 Je mehr man erlebt, und umso mehr Wissen man hat, desto bescheidener ist man. Daher behauptete Aristote-les, dass er nichts wisse. Dagegen neigt derjenige, der eine beschränkte Wissensbasis und einen limitierten Er-fahrungshorizont hat, oft zur Überschätzung eigener Fähigkeit.

Empirische Überprüfbarkeit

150

confidenter ist er im Vergleich zum Durchschnitt.308 Online-Investoren sind die Ver-

treter der neuen Technologiegeneration auf dem Finanzmarkt, sie sind vertraut mit

neuen Informatikmöglichkeiten und haben im Hinblick auf die Informationssuche

im Vergleich zu klassischen Investoren einen systematischen Vorteil. Sie haben ei-

nen besseren Zugang zu Informationen und nutzen diesen auch systematisch aus, um

besser und schneller informiert zu sein. Mit anderen Worten haben Online-

Investoren im Durchschnitt mehr Informationen als der Marktdurchschnitt, und

demzufolge haben sie auch ein relativ höheres Konfidenzniveau verbunden mit einer

höheren Wahrscheinlichkeit, overconfident zu sein, wenn die zusätzlichen Informa-

tionen zur Erhöhung der Genauigkeit der Einschätzung nicht viel beitragen können.

Zusammengefasst kann davon ausgegangen werden, dass Online-Investoren im Vergleich

zum Marktdurchschnitt relativ gesehen Overconfidence aufweisen sollten und das Behavior

der Online-Investoren somit annäherungsweise als ein mögliches Proxy für Overconfidence

angewandt werden kann. Es stellt sich dann die Frage, ob Overconfidence tatsächlich die

Transaktionsentscheidung beeinflusst. Wenn dies der Fall ist, dann sollte beobachtet werden,

dass Online-Investoren in ihrer Transaktionsentscheidung im Vergleich zum Marktdurch-

schnitt nicht die gleiche Rationalität aufweisen, ausgedrückt durch einen systematischen Un-

terschied hinsichtlich des Handelsvolumens und der Performance. Mit anderen Worten sollte

beobachtet werden, dass die Transaktionen der Online-Investoren, welche im Vergleich zu

anderen Gruppen relativ overconfident sind, durch höhere Handelsvolumen und unterdurch-

schnittliche Performance geprägt sind, weil die Overconfidence den Investor zur Mehraktivi-

tät verleitet und die Underperformance die logische Konsequenz der Fehlentscheidung dar-

stellt, falls die tatsächlichen Transaktionsentscheidungen durch Overconfidence beeinflussbar

sind und das Proxy die Konfidenzdifferenz reflektieren kann. Barber und Odean (1999 a) ha-

ben zum Zweck des Testens der Overconfidence die Transaktionen der Online-Investoren

bezüglich Turnover und Performance untersucht.309

308 Vgl. Oskamp (1965) S.289ff; 309 Vgl. Barber und Odean (1999 a)

Empirische Überprüfbarkeit

151

6.1.1.2 Daten und Methoden

A. Daten Der Fortschritt in der Informatik hat dazu geführt, dass Mikrodaten310 im Dienst ökonomi-

scher Erkenntnisse zu stehen beginnen. Mit Hilfe der gespeicherten Daten über die „Tra-

dingrecords“ und „Position-Statements“ der Investoren ist ein Vergleich hinsichtlich Perfor-

mance und Turnover verschiedener Investorengruppe möglich. Es können zwei Gruppen ge-

bildet werden: Eine Gruppe der Online-Investoren und eine Matching-Gruppe als Vergleichs-

benchmark. Für jeden Online-Investor wird somit ein Matched-Investor in der Datenbank

ausgesucht, der im Hinblick auf Vermögensausstattung, Investmenterfahrung sowie demogra-

phische Eigenschaft dem Online-Investor am meisten ähnelt und seine Transaktionen nicht

über das Internet sondern über das Telefon abwickelt.311 Es sollte keine systematische Abwei-

chung zwischen beiden Gruppen beobachtet werden, wenn Overconfidence irrelevant ist.

Mit der Datenunterstützung durch eine US-Brokeragefirma, die seit 1991 die Mikrodaten (de-

taillierte „Tradingrecords“312 sowie „Position-Statements“ der individuellen Kunden) in deren

Datenbank erfasst und gepflegt hat, haben Barber und Odean Overconfidence der Online-

Investoren sowie deren Einfluss untersucht. Aus den Daten von über 78'000 Investoren haben

sie zuerst 1'607 Online-Investoren identifiziert313 und dann eine entsprechende Matching-

Gruppe (matched-pair research design) aufgebaut,314 welche während der Stichprobenperiode

kein Online-Trading vorgenommen hat.

Marktwert der Investmentpositionen während der Sample-Periode315

Online-Investoren Size-Matched-Investoren Gesamtes Sample

Mean Median Mean Median Mean Median

$133‘600 $44‘800 $130‘400 $42‘100 62‘710 $21‘346

310 Mikrodaten sind Datensets, die sich aus Beobachtungen zusammensetzen, welche das Verhalten einzelner Personen, Haushalte oder Firmen abbilden. Sie beschreiben die Begleitumstände, welche einen beobachteten Entscheid begründen könnten, in weit grösserem Detail als Makrodaten. 311 Vgl. Barber und Odean (1999 a) S. 3-4; 312 Die Trading-Records dokumentieren auch, wie die Transaktionen ausgelöst werden: durch Telefon oder PC. 313 Die Gruppe der Online-Investoren repräsentiert alle Haushalte, die mindestens eine Aktie in jedem Monat der Stichprobenperiode (01.91-12.96) besitzen und E*Trade zwischen 01.92 und 12.95 tätigen. 314 Matched-pair research design: Each online investor is size matched to the investor whose market value of commen stock positions is closest to that of the online investor. This size matching is done in the month preced-ing the online investor’s first online trade. As in the case for the online sample, the matched investor must have a common stock position in each month of the six-year sample period and at least one common stock trade during the six years. Vgl. Barber und Odean (1999 a) S. 3- 4; 315 Vgl. Barber und Odean (1999 a) S.4;

Empirische Überprüfbarkeit

152

Während die Gruppe der Size-Matched-Investoren in Bezug auf den Marktwert des Invest-

mentportfolios eine minimale Abweichung zur Gruppe der Online-Investoren aufzeigt, gibt es

jedoch bei anderen Aspekten Unterschiede: 316

Im Vergleich zu den Size-Matched-Investoren sind Online-Investoren jünger, haben

ein höheres Einkommen und Vermögen:

Mean-Alter Mean-Einkommen Median-Vermögen

Online-Investoren 49.6 $80‘300 $150‘000

Matched-Investoren 54.1 $75‘200 $100‘500

Online-Investoren haben nach eigenen Angaben im Vergleich zu Size-Matched-

Investoren grössere Investmenterfahrungen:317

Investment-Erfahrung Online-Investoren Matched-Investoren

None 1.2% 4.0%

Limited 19.3% 32.1%

Good 59.4% 48.7%

Extensive 20.1% 15.2%

B. Transaktionskosten Für jede Transaktion schätzten Barber und Odean (1999) den bid-ask Spread für den Kauf

(sprdb) und den Verkauf (sprds) wie folgt:318

−= 1s

ds

clds

ds PPspr und

−−= 1b

db

cldb

db PPspr

cldsP und cl

dbP sind die elektronisch dokumentierten Closing-Preise aus dem CRSP-File für „daily

stock return“ an dem Tag, an welchem der Verkauf oder der Kauf getätigt worden ist. s

dsP und bdbP sind die aktuellen Verkauf- oder Kaufpreise, bei denen die Investoren die Transak-

tionen durchgeführt haben, elektronisch dokumentiert als Tradingrecords. Aus den gelieferten

Daten haben Barber und Odean auch die aktuellen Informationen über die Kommissionen

herausgefiltert, wodurch die Transaktionskosten in der Performancemessung berücksichtigt

316 Für eine umfassende statistische Beschreibung der Daten siehe: Barber und Odean (1999 a) Table I. S.26; 317 Selbstangaben über eigene Investmenterfahrungen sind nur für 510 Online-Investoren und 360 Matched-Investoren verfügbar. Vgl. Barber und Odean (1999 a) S.26; 318 Vgl. Barber und Odean (1999 a) S.4f;

Empirische Überprüfbarkeit

153

werden können. Für die Online-Investoren sinken die Transaktionskosten, nachdem sie online

gegangen sind. Die durchschnittlichen round-trip Kommissionen sinken von 3.3% auf 2.5%

und die durchschnittlichen round-trip Spreads von 1.1% auf 0.9%:319

Tabelle 6: Transaktionskosten vor und nach dem Online Trading

Mean-Transaktionskosten vor und nach E*Trade

Kauf Verkauf Round-Trip

Vor Online-Trading

Spread (%) 0.297 0.836 1.133

Kommission (%) 1.697 1.568 3.265

Nach Online-Trading

Spread (%) 0.223 0.636 0.859

Kommission (%) 1.315 1.192 2.507

C. Performance-Messung Es wird die Brutto-Performance und die Netto-Performance berechnet. Die monatliche Brut-

torendite des Portfolios des Haushalt-Investors wird berechnet als:

∑=

=htS

i

gritit

grht RpR

1

wobei itp die Gewichtung der Aktie i im Monat t im Portfolio darstellt (Marktwert der Aktie i

am Monatsanfang dividiert durch den Marktwert des gesamten Portfolios am Monatsanfang), gritR ist die monatliche Bruttorendite der Aktie i320 und htS bezeichnet die Anzahl der Aktien i

im Portfolio von Haushalt h im Monat t. Die monatliche Netto-Performance des Wertpapiers i

kann dann durch die Bereinigung der entsprechenden Transaktionskosten berechnet werden:

( ))1(

)1()1(1

1,

,b

ti

stigr

itnetit c

cRR

−+−

+=+

wobei sitc die durch den Verkaufspreis im Monat t skalierten Kosten des Verkaufs darstellt,

und btic 1, − die durch den Kaufpreis im Monat t skalierten Kosten des Kaufs. Die Kosten des

319 Statistische Daten über die Transaktionskosten siehe: Barber und Odean (1999 a) Table II. S.27; 320 Bei Barber und Odean (1999 a) wird die monatliche Bruttorendite mit Hilfe des Position-Statements am Mo-natsanfang und monatlichen Rendite-Files von CRSP geschätzt. Demzufolge werden vereinfachende Annahmen getroffen: I) Alle Wertpapiere werden am letzten Tag des Monats gekauft oder verkauft. II) Es gibt kein Intra-month-Trading. Barber und Odean (2000) zeigen im Anhang, dass diese Annahmen die Renditeschätzung mate-riell nicht beeinflussen.

Empirische Überprüfbarkeit

154

Kaufs und des Verkaufs berücksichtigen sowohl die Kommissionen als auch den Bid-Ask-

Spread und werden individuell für jedes Trading geschätzt.321 Für ein Wertpapier, welches im

Monat t-1 und t weder gekauft noch verkauft wird, sind sitc sowie b

tic 1, − beide null, hingegen

sind sitc sowie b

tic 1, − beide positiv, falls das Wertpapier im Monat t-1 gekauft und dann im

Monat t verkauft wird.322 Dadurch werden die Transaktionskosten des Timings berücksichtigt,

und die Haushalte, welche über das gleiche Portfolio verfügen, aber hinsichtlich Timing un-

terschiedlich sind (relativ aktive Investoren vs. relativ passive Investoren), werden eine unter-

schiedliche Netto-Performance erwirtschaften. Die monatliche Netto-Performance des Haus-

halt-Investors ist gegeben durch:

∑=

=hts

i

netitit

netht RpR

1

;

D. Die risikoadjustierte Performance Die wichtige neue Aussage des Overconfidence-Modells ist, dass overconfidente Investoren

eine relativ schlechte Performance erwirtschaften. Zur Überprüfung dieser Aussage ist eine

objektive Performancemessung die notwendige Voraussetzung. Die Performance ist eine rela-

tive Grösse und erst dann informativ für eine Beurteilung, wenn ein fairer Benchmark identi-

fiziert werden kann.

Die Wahl des korrekten Benchmarks ist in der Forschung der Performancemessung bis heute

das wohl kontroverseste Thema geblieben. Die theoretische Fundierung ist strittig: Roll

(1978) weist in einer grundsätzlichen Diskussion auf die logische Inkonsistenz der Verwen-

dung des CAPM für die Leistungsmessung hin.323 Er zeigt, dass die Leistungsmessung mit

der Security-Market-Line-Analyse sehr sensitiv gegenüber der Wahl des verwendeten Ver-

gleichsindex ist. Er führt dies darauf zurück, dass die als Approximation für das unbekannte

Marktportfolio verwendeten Referenzportfolios innerhalb der Efficient Frontier liegen und

damit ineffizient sind. Die Reihenfolge passiver Portfolios ist durch die Wahl alternativer in-

effizienter Indizes beliebig veränderbar. Andererseits kann ein effizientes Benchmarkportfolio

321 Vgl. Barber und Odean (1999 a) S.6; 322 Falls nur ein Kauf getätigt wird, ist s

itc null. 323 Vgl. Roll (1978) S. 1052-1054, 1056;

Empirische Überprüfbarkeit

155

nicht zwischen passiven Portfolios unterscheiden. Wenn der Benchmark effizient ist, liegen

alle darin enthaltenen Wertpapiere und aus diesen Wertpapieren gebildeten Portfolios auf der

Security-Market-Line. Eine Unterscheidung der Portfolios bezüglich Performance ist nicht

möglich.

Grinblatt und Titman (1989) begründen die logische Inkonsistenz mit der Unvereinbarkeit der

Perspektiven zwischen informierten und uninformierten Investoren.324 Die von den informier-

ten und uninformierten Investoren wahrgenommenen Betas sind nicht dieselben.325 Aus der

Perspektive der Uninformierten führt das Markttiming der Informierten zur Erhöhung der

Betas, wenn auch die Strategie aus der Perspektive der Informierten in der Tat die Betas

senkt.326 Der Benchmark, der effizient bezüglich passiver Portfolios von Uninformierten ist,

ist somit in Bezug auf aktive Portfolios von Informierten nicht effizient.

Die Forschung ist mit einem unangenehmen Dilemma konfrontiert: Der Benchmark mit einer

plausiblen theoretischen Fundierung wie das Fundamentalmodell327 leidet oft an einem nied-

rigen R2, andererseits haben die Modelle wie das Drei-Faktoren-Modell von Fama und French

(1993)328 und das Vier-Faktoren-Modell von Carhart (1997)329, welche sich vom Standpunkt

der Modernen Finance aus nicht durch deren theoretische Fundierung auszeichnen, eine ver-

gleichsweise grössere Erklärungskraft. Aufgrund der Schwierigkeit der Wahl eines fairen

Benchmarks werden in der Praxis auch alternative Benchmarks wie die Styleanalyse von

Sharpe330 bzw. der Period-Weighting-Approach von Grinblatt und Titman331 (Own-

Benchmark) zur Performancemessung eingesetzt.

Um ein möglichst objektives Bild zu gewinnen und die Probleme der Wahl eines fairen Ben-

chmarks zu berücksichtigen, haben Barber und Odean (1999 a) verschiedene Benchmarks zur

324 Vgl. Grinblatt und Titman (1989 a) S.394-403; 325 Uninformierte Investoren gehen von konstanten Betas aus. Die informierten Investoren kapitalisieren die Variation von instantaneous Volatilitäten durch Markttiming, um das instantaneous Alpha zu maximieren. Vgl. Nielsen und Vassalou (1998) S. 27-32; 326 Grinblatt und Titman (1989a) S. 395; 327 Erklärende Variablen im Fundamental-Modell: Term-Spread, Default-Spread, Dividend Yield, P/E Ratio, Wechselkurs, globale Marktvolatilität, usw. 328 Vgl. Fama und French (1993) 329 Vgl. Carhart (1997) 330 Vgl. Sharpe (1992) 331 Vgl. Grinblatt und Titman (1989a)

Empirische Überprüfbarkeit

156

zur Messung der Überperformance eingesetzt: CAPM-Benchmark, Fama-French-Benchmark

und Own-Benchmark.

D-1. CAPM als Benchmark

itmtiiit rr εβα ++=

wobei )(

)cov(

m

mii RVar

RR −=β

mit „White Noise“ Eigenschaften des Störterms εit:

;0),(;0),(;)(;0)( 1,,2

,, ==== − mititititi rCovCovVarE εεεσεε ε

rit bezeichnet die Überschussrendite des Portfolios (Rit – Rft), und rmt beschreibt die Über-

schussrendite des Kapitalmarktes (Rmt – Rft). Das Jensen’s Alpha αi entspricht der Über-

schussrendite, die durch Umsetzung von Selektionsinformation gegenüber einer passiven

„buy-and-hold“ Strategie (in Form einer indexierten Anlage) erreicht wird. Ein guter Bench-

mark impliziert, dass αi insignifikant von null abweicht. Als Schätzgrösse unterliegt das Jen-

sen’s Alpha jedoch einem Stichprobenfehler. Bei der Beurteilung der Ergebnisse muss des-

halb die statistische Signifikanz (t-Test) berücksichtigt werden.

D-2. Drei-Faktor-Benchmark (Fama und French 1993)

„Small cap stocks“ haben eine kleine Marktkapitalisierung, und „value“ oder „high

book/market stocks“ haben im Vergleich zu ihrem Buchwert auch einen relativ kleinen

Marktwert. Die durchschnittliche Rendite der beiden Kategorien ist hoch. Umgekehrt haben

„large“ und „growth stocks“ oft eine ungewöhnlich niedrige durchschnittliche Rendite. Eine

höhere durchschnittliche Rendite ist konsistent mit dem CAPM, wenn die entsprechenden

Aktienkategorien eine höhere Sensitivität gegenüber dem Marktportfolio (hohes Marktbeta)

aufweisen. Jedoch ist die durchschnittliche Rendite bei „small stocks“ und besonders bei „va-

lue stocks“ nach der Adjustierung durch Marktbetas weiterhin abnormal hoch. Umgekehrt

werden „growth stocks“ aus Sicht des CAPM für deren systematische Risiken systematisch

schlecht entschädigt. „Small size puzzle“ und „value puzzle“ weisen auf die mögliche Unzu-

Empirische Überprüfbarkeit

157

länglichkeit des CAPMs als fairer Benchmark hin.332 Zur Berücksichtigung dieser empiri-

schen Evidenz haben Fama und French ein Multifaktormodell entwickelt, wo Marktrendite,

die Rendite von „small minus big stocks“ (SMB) sowie die Rendite von „high B/M minus

low B/M stocks“ (HML) als drei erklärende Faktoren betrachtet werden.

ittitiftmtiiftit SMBsHMLhRRRR εβα +++−+=− )(

mit

)(31)(31 HBMBLBHSMSLSSMB ++−++=

)(21)(21 LBLSHBHSHML +−+=

wobei αi den Achsenabschnitt sowie βi, hi und si die Faktorkoeffizienten in einer Zeitreihen-

regression der (monatlichen) Überschussrendite des Wertpapiers i (Rit- Rft) auf (1) die Über-

schussrendite des Marktes (Rmt- Rft), (2) die B/M-Faktor Prämie HMLt und (3) die Size-

Faktor Prämie SMBt bezeichnen. Rmt bezeichnet die Rendite auf einen wertgewichteten Akti-

enindex, SMB beschreibt die Renditedifferenz zwischen zwei wertgewichteten Portfolios von

Unternehmen mit einer niedrigen (S) und einer hohen (B) Marktkapitalisierung, nämlich

„small-minus-big“ und kontrolliert durch B/M-Effekte.333 HML stellt die Renditedifferenz

zwischen zwei wertgewichteten Portfolios von Unternehmen mit einem hohen (H) und einem

niedrigen (L) Book/Market-Verhältnis dar, d.h., „high-minus-low“ kontrolliert durch den Si-

ze-Effekt.334 Rft ist die Schätzgrösse des risikolosen Zinssatzes und εit der White-Noise-

Störterm. Die risikoadjustierte Überschussrendite eines Wertpapiers αi lässt sich aus der Ab-

weichung der realisierten von der erwarteten Rendite berechnen.

Fama und French (1993) interpretieren das Drei-Faktor-Modell als multifaktorielle Version

des Intertemporalen CAPM (ICAPM) von Merton (1973) oder der Arbitrage Pricing Theory

(APT) von Ross (1976), wobei die überdurchschnittliche Rendite von Unternehmen mit einer

relativ kleinen Marktkapitalisierung bzw. einem hohen B/M-Verhältnis eine Entschädigung

für die übernommenen Risiken darstellt.335 Diese übernommenen Risiken sind nach Fama und

French nicht die Kovarianz mit der Marktbewegung, sondern „financial distress“ (Konkursri-

332 Bereits Black/Jensen/Scholes (1972) und Fama/MacBeth (1973) stellen in ersten empirischen Überprüfungen des CAPMs am US-Aktienmarkt einen zu flachen Verlauf der Wertpapiermarktgerade fest, was auf einen gerin-gen Erklärungsgehalt des Betas für den Querschnitt der Aktienrenditen hinweist. 333 S/L: Small Stocks & Low Book/Market; S/H: Small Stocks & High Book/Market; 334 S/H:Small Stocks & High B/M; B/H: Big Stocks & High B/M; 335 Vgl. Fama und French (1993) S.4ff, 51ff;

Empirische Überprüfbarkeit

158

siko), und die B/M Ratio kann somit als Proxy für relativen Distress interpretiert werden:336

Eine niedrige B/M Ratio (Charakter der starken Firma) impliziert eine niedrige Rendite auf-

grund ihrer hohen Immunität gegenüber „financial distress“, und der entsprechende Rendite-

abschlag ist unabhängig von der Risikoladung (Marktbeta). Aus demselben Grund hat die

Firma mit einer hohen B/M Ratio (Charakter der schwachen Firma) eine hohe Rendite zu er-

wirtschaften, ungeachtet deren Risikoladung (Kovarianz mit der Marktbewegung).337

Die Charakter-Hypothese von Fama und French besagt, dass neben dem Marktrisiko der

Distress-Faktor eine wichtige Variable des Renditegenerierungsprozesses darstellt. Beispiels-

weise gibt es starke Firmen (low B/M Ratio) in einer konkursgefährdeten (distressed) Bran-

che. Nach dem Charakter-Modell sollte die Rendite solcher Firmen aufgrund ihrer Stärke

niedrig sein. Die Kovarianz dieser Firmen kann jedoch hoch sein, wenn ein Teil dieser Kova-

rianz durch den Distress ihrer Branche mitbestimmt wird. Mit anderen Worten haben diese

Firma eine relative niedrige Rendite im Vergleich zu deren Marktbeta. Umgekehrt hat die

konkursgefährdete (distressed) Firma in der starken Branche aus demselben Grund eine rela-

tiv höhere Rendite im Vergleich zu deren Marktbeta. Fama und French zufolge sollte die

durch das CAPM postulierte Rendite-Risiko-Relation viel deutlicher werden, falls der

Distress-Faktor kontrolliert wird.

D-3. Own-Benchmark: GT-Measure (Grinblatt und Titman 1993)

Grinblatt und Titman gehen von einer Unterscheidung zwischen Informierten und Uninfor-

mierten aus. Aus der Perspektive der Uninformierten ist der Vektor der erwarteten Assetrendi-

te über die Zeit konstant und impliziert somit, dass Portfolioholdings der Uninformierten

(passives Portfoliomanagement) mit der Future-Assetrendite nicht korreliert sind. Die Infor-

mierten können jedoch dank ihres Informationsvorspungs vorhersehen, wann die Rendite der

jeweiligen Assets höher oder niedriger als der Durchschnitt ist, und der Vektor der erwarteten

Assetrenditen variiert dementsprechend aus der Perspektive der Informierten über die Zeit.

Durch Markttiming kapitalisiert der Informierte die Veränderung der erwarteten Rendite, in-

dem die Gewichtung der Portfolios zugunsten des Assets mit positiver Renditeveränderung

und zulasten der Assets mit negativer Renditeveränderung verschoben wird.338 Im Hinblick

336 Vgl. Fama und French (1995) S.153f; 337Vgl. Davis, Fama und French (1999) S.2f; 338 Vgl. Grinblatt und Titman (1999) S.49;

Empirische Überprüfbarkeit

159

auf die Beurteilung der Performance kann die Gewichtung oder die Rendite direkt als Bench-

mark dienen.

∑∑ −−= TwwRrehangeMeasuPortfolioC ktititi /))(( ,,,

∑∑ +−= TRRwMeasureEventStudy ktititi /))( ,,,

wobei wt die Portfoliogewichtung am Anfang der Periode t mit ∑ = 1tw und Ri,t die Portfo-

liorendite von t bis t+1 bezeichnet. In der „Portfolio Change Measure“ ist die Portfolioge-

wichtung am Anfangszeitpunkt (t-k) als Benchmark eingesetzt, und die Superiorinformation

wird durch eine Verschiebung der Gewichtung (wi,t – wi,t-k) reflektiert. In der „Event Study

Measure“ dient die Rendite zum Zeitpunkt (t+k) als Benchmark. Der Vorteil des Own-

Benchmarks liegt darin, dass die Performancemessung unabhängig von bestimmten Risiko-

modellen ist. Durch „Portfolio Change Measure“ kann beispielsweise direkt gemessen wer-

den, ob Markttiming (Umschichtung) zu zusätzlicher nicht risikoadjustierter Rendite führt,

indem die passive Hold-Strategie als Benchmark dient. Die abnormale Rendite, gemessen

durch den Own-Benchmark, wird null sein, falls der Retail-Investor während des Jahres kein

Trading getätigt hat.339 Der Own-Benchmark wird in der Untersuchung von Barber und Ode-

an als eine Ergänzung zum Risk-Benchmark eingesetzt.

339 Vgl. Barber und Odean (1999 a) S.8;

Empirische Überprüfbarkeit

160

6.1.1.3 Empirische Befunde

Das Ziel der Overconfidence-Untersuchung durch Barber und Odean ist zu testen, ob Over-

confidence die tatsächliche Entscheidung der Investoren beeinflusst. Im Falle der Beeinflus-

sung der Transaktionsentscheidung durch Overconfidence sollte beobachtet werden, dass die

nach dem Kriterium des Konfidenzniveaus unterschiedlichen Investorentypen in ihrer Trans-

aktionsentscheidung nicht die gleiche Rationalität aufweisen, ausgedrückt durch einen syste-

matischen Unterschied hinsichtlich Handelsvolumen und risikoadjustierter Rendite. Mit ande-

ren Worten sollte beobachtet werden, dass die Transaktionen der Investorengruppe, die im

Vergleich zu anderen Gruppen relativ overconfident ist, durch höheres Handelsvolumen und

schlechte Performance geprägt sind.

A. Turnover Die Untersuchung von Barber und Odean ergibt, dass die Handelsaktivität des Investors deut-

lich steigt, nachdem er zum Online-Trading gewechselt hat. Die jährliche Turnover-Rate340

steigt von 74.7% (vor Online-Trading) auf 95.5% (mit Online-Trading), und die Turnover-

Rate hat um 21.8% (p<0.01) zugenommen.341 Mit anderen Worten ist der Investor tatsächlich

deutlich aktiver geworden, wenn er online handelt. Die annualisierte Turnover-Rate des ersten

Monats, wenn der Investor zum Online-Trading wechselt, beträgt gar 120%.342 Diese Mehrak-

tivität ist noch evidenter, wenn eine Size-Matched-Gruppe als Benchmark eingesetzt wird.

Die Turnover-Rate der Online-Investoren ist doppelt so hoch wie die klassischen Investoren

mit denselben Investitionsvolumen, also 95.5% vs. 48.2% (Differenz: 47.3%, p<0.01).343 Der

empirische Befund zeigt, dass sich der Online-Investor im Hinblick auf Handelsaktivität sys-

tematisch anders verhält: Er handelt signifikant mehr.

Gemäss den Daten ist die Transaktionsentscheidung nicht unkorreliert mit „Go-Online“

(Wechsel der Handelsplattform), was nicht im Einklang mit dem rationalen Konzept steht,

denn es sollte keine systematische Veränderung beobachtet werden, wenn sich der Investor

340 The aggregate turnover is calculated as one half the total value of purchases and sales by all online investors in a month (the numerator) divided by the sum of month-end position statements for that month (the denomina-tor). The annualized turnover is calculated as monthly turnover times twelve. Vgl. Barber und Odean (1999 a) S. 11f. 341 Vgl. Barber und Odean (1999 a) Table IV, S. 30. 342 Vgl. Barber und Odean (1999 a) S.12. 343 Vgl. Barber und Odean (1999 a) Table IV, S. 30.

Empirische Überprüfbarkeit

161

gleich rational verhält und demzufolge invariant gegenüber dem Wechsel der Handelsplatt-

form ist. Die Beeinflussung der Transaktionsentscheidung durch den Wechsel der Handels-

plattform deutet darauf hin, dass die Rationalität eine beeinflussbare Grösse ist und der Inves-

tor nicht zwingend mit gleicher Rationalität agiert.

B. Performance Was die Performance betrifft, ist vor allem eine Frage interessant: Wird die risikoadjustierte

Netto-Performance der Online-Investoren, d.h., unter Berücksichtigung der Transaktionskos-

ten, durch die neue Plattform wie E*Trade verschlechtert? Dem rationalen Konzept zufolge

sollte die Performance keine Verschlechterung erfahren, weil:

der Grenznutzen für jede zusätzliche Transaktion grösser oder gleich null sein

sollte und aus der Mehraktivität beim Handel dementsprechend kein negativer Saldo

resultieren sollte, wenn sich der Investor rational verhält. D.h., im Vergleich zu sich

selbst, vor Go-Online, sollte keine Verschlecherterung beobachtet werden.

die Online-Investoren im Vergleich zu anderen Investoren niedrige Transaktions-

kosten und besseren bzw. schnelleren Zugang zu den Informationen haben und aus

diesen systematischen Vorteilen kein systematisch negatives Nettoresultat resultie-

ren sollte, d.h., im Vergleich zu anderen traditionellen Investoren sollte keine Per-

formanceverschlechterung beobachtet werden.

Aus dieser Überlegung sollte die Performance der Online-Investoren nach dem Go-Online

mindestens nicht verschlechtert werden. Sie sollte aufgrund der Senkung von Transaktions-

kosten und der Verbesserung der Handelsbedingungen eigentlich verbessert werden, falls das

Fehlverhalten wie Overconfidence die tatsächlichen Transaktionsentscheidungen nicht ver-

zerrt. Dagegen impliziert eine Verschlechterung der risikoadjustierten Netto-Performance die

Verzerrung durch Behavior wie Overconfidence.

Die Untersuchung von Barber und Odean hat eine deutliche Verschlechterung der risikoadjus-

tierten Netto-Performance nach dem Go-Online festgestellt, sowohl im Vergleich zu sich

selbst (vor Go-Online vs. nach Go-Online) als auch im Vergleich zu einer Kontrollgruppe

(Online-Investor vs. Size-Matched-Investor). Die Verschlechterung der Brutto-Performance,

Empirische Überprüfbarkeit

162

d.h., die Performance vor der Bereinigung der Transaktionskosten, nimmt einen ähnlichen

Umfang an.344

Tabelle 7: Die Verschlechterung der Nettoperformance der Online-Investoren

Verschlechterung der monatlichen Nettoperformance

der Online-Investoren (%)

Vor Go-Online

(Confidence-Benchmark)

Nach Go-Online

(rel. Overconfidence)

CAPM-Alpha 0.124

(0.58)

-0.520

(-2.78)***

Fama-French Alpha -0.025

(-0.18)

-0.364

(-2.77)***

Own-Benchmark -0.172

(-6.06)***

-0.330

(-7.30)***

***,**,* signifikant auf 1%, 5%, 10% Niveau, Vgl. Barber und Odean (1999a) Table III, S.29

Mit allen Benchmarks lässt sich eine Verschlechterung der monatlichen Nettoperformance

nach Go-Online beobachten. Je nach Benchmark bewegt sich die Verschlechterung zwischen

16 und 64 Basispunkten pro Monat, d.h., zwischen 1.9% und 7.7% pro Jahr, ein markanter

Rückgang der Netto-Performance. Vor Go-Online haben die Online-Investoren ein insignifi-

kantes CAPM-Alpha bzw. Fama-French-Alpha, d.h., sie sind insignifikant von Null-

Überperformance verschieden, was die Effizienz des Marktes reflektiert. Aber nach Go-

Online ist die Underperformance signifikant, sowohl das negative CAPM-Alpha als auch das

negative Fama-French-Alpha sind statistisch signifikant.

Wenn davon ausgegangen wird, dass der Wechsel der Handelsplattform wie Go-Online weder

die Präferenzen der Retail-Investoren noch deren Fähigkeit des Timings verändert und die

erwartete Rendite in der Test-Periode (1991-1996) stationär ist, dann impliziert die signifikan-

te Veränderung der risikoadjustierten Performance der Online-Investoren, von quasi Null-

Überperformance vor Go-Online zu signifikanter Underperformance nach Go-Online, die

Existenz des Fehlverhaltens, welches für das negative Alpha verantwortlich ist. Dieses Fehl-

verhalten deutet auf Overconfidence hin: Gemäss Overconfidence-Studien erhöht sich die

Confidence, wenn der Beurteiler mehr Informationen bekommt. Wenn die Annahme, dass der

Online-Trader im Durchschnitt mehr Informationen bekommt, plausibel ist, dann hat der On-

344 Vgl. Barber und Odean (1999 a) Table III, S. 28f;

Empirische Überprüfbarkeit

163

line-Trader im Durchschnitt ein relativ höheres Confidenceniveau (d.h., er ist relativ overcon-

fident). Der Wechsel zum Online-Trading kann als ein Proxy für die Erhöhung der Confiden-

ce betrachtet werden. Gemäss den Daten ist die Erhöhung der Confidence mit einer Ver-

schlechterung der Performance korreliert, und es liegt nahe, dass Overconfidence für die Ver-

schlechterung der Performance mitverantwortlich ist.

Der Performancevergleich vor und nach Go-Online hat jedoch den Nachteil, dass sich die

Renditezeitreihen nicht in demselben Zeitraum befinden, so dass die Verschiebung bei der

Risikoprämie bzw. der erwarteten Rendite für den grossen Teil der Veränderung der Überper-

formance verantwortlich sein könnte, weil die Benchmarkmodelle diese Verschiebung nicht

berücksichtigen können. Somit ist eine zusätzliche Kontrolle durch Vergleich der Renditezeit-

reihen in demselben Zeitraum notwendig. Zu diesem Zweck haben Barber und Odean einen

weiteren Test durchgeführt, indem die Online-Gruppe in zwei Subgruppen „already online“

vs. „not yet online“ unterteilt wird und deren Performance in demselben Zeitraum verglichen

wird.345

Tabelle 8: Die Verschlechterung der Nettoperformance und Go-Online

Verschlechterung der monatlichen Nettoperformance

der Online-Investoren (%)

Not Yet Online

(Confidence-Benchmark)

Already Online

(rel. Overconfidence)

Differenz

(already - not yet)

CAPM-Alpha -0.058

(-0.33)

-0.454

(-2.24)**

-0.396

(-4.87)***

Fama-French Alpha 0.008

(0.06)

-0.303

(-2.13)**

-0.311

(-4.25)***

Own-Benchmark -0.152

(-4.87)***

-0.330

(-6.21)***

-0.178

(-4.66)***

***,**,* signifikant auf 1%, 5%, 10% Niveau, Vgl. Barber und Odean (1999a) Table V, S.32

Der Vergleich der Performance in demselben Zeitraum ergibt eine statistisch signifikante

Verschlechterung der Performance durch Go-Online: Mit dem CAPM-Benchmark beträgt die

Verschlechterung der monatlichen Netto-Performance 40 Basispunkte (ca. 5% pro Jahr), und

345 To do so, Barber and Odean compare the returns earned by online investors who have not yet go online to those earned, during the same months, by online investors who have already begun trading online. For online sample, the first online trading begins in January 1992 and the last households commence online trading in De-cember 1995. Thus, they calculate the before-after return series for 46 month: 02.92-11.95. Vgl. Barber und Odean (1999 a) S.15.

Empirische Überprüfbarkeit

164

mit dem Fama-French-Benchmark nimmt sie eine Grössenordnung von 31 Basispunkten pro

Monat (ca. 4% pro Jahr) an. Die durch den Own-Benchmark gemessene Turnoverperforman-

ce geht auch deutlich zurück: 18 Basispunkte pro Monat (ca. 2% pro Jahr).

Der Performancevergleich mit der Kontrollgruppe (Size-Matched-Investoren) kommt zu dem-

selben Resultat, nämlich einer Verschlechterung der Performance der Online-Investoren. Hier

wird die relative Distanz zur Kontrollgruppe gemessen. Beispielsweise hat die Online-Gruppe

nach dem Go-Online ein durchschnittliches monatliches CAPM-Alpha von –0.520, und die

Kontrollgruppe (Size-Matched-Gruppe) hat in demselben Zeitraum ein durchschnittliches

CAPM-Alpha von –0.312, somit beträgt die relative Differenz nach Go-Online –0.208. Eine

relative Verschlechterung bzw. Verbesserung der Performance kann dann beobachtet werden,

wenn sich die relative Distanz zur Kontrollgruppe verändert.

Tabelle 9: Performancevergleich zwischen Online- und Phone-Investoren

Differenz der monatlichen Nettoperformance vor und nach Go-Online (%)

Online-Investoren vs. Size-Matched-Investoren

Differenz vor Go-Online

(Online less Matched)

Differenz nach Go-Online

(Online less Matched)

CAPM-Alpha 0.081

(1.03)

-0.208

(-2.10)**

Fama-French Alpha 0.094

(1.41)

-0.082

(-1.10)

Own-Benchmark 0.029

(0.60)

-0.197

(-4.52)***

***,**,* signifikant auf 1%, 5%, 10% Niveau, Vgl. Barber und Odean (1999a) Table III, S.29

Eine Veränderung der Distanz lässt sich beobachten: Vor dem Go-Online ist sie bei allen

Benchmarks positiv, und nach dem Go-Online ist sie bei allen Benchmarks negativ. Der Vor-

zeichenwechsel impliziert eine Verschlechterung der Performance der Onlinegruppe. Mit dem

CAPM als Benchmark hat die Onlinegruppe beispielsweise vor dem Go-Online im Vergleich

zur Kontrollgruppe eine leicht bessere Performance von 8 Basispunkten pro Monat (ca. 1%

pro Jahr), wobei diese relative Überperformance statistisch insignifikant ist, d.h., mit dem

CAPM als Benchmark ist die Performance von beiden Gruppen nicht verschieden. Das ändert

sich aber, sobald diese Gruppe zum Online-Trading übergeht: Mit demselben Benchmark hat

die Online-Gruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe eine um 21 Basispunkte schlechtere Per-

formance pro Monat (ca. 2.5% pro Jahr), und die relative Underperformance ist statistisch

Empirische Überprüfbarkeit

165

signifikant. Die relative Verschlechterung der Performance der Onlinegruppe aufgrund des

Go-Online beträgt 29 Basispunkte pro Monat (ca. 3.5% pro Jahr), falls das CAPM und die

Performance der Size-Matched-Phonegruppe als Benchmark dienen. Durch diese doppelten

Benchmarks können die Probleme wie die Verschiebung der Risikoprämie bzw. der erwarte-

ten Rendite berücksichtigt werden. Somit ist die Wahrscheinlichkeit klein, dass der Vorzei-

chenwechsel der Distanz, eine relative Verschlechterung der Performance der Online-

Investoren nach dem Go-Online, ein rein technisches Problem ist (Modellspezifikation bzw.

Datenproblem). Wenn davon ausgegangen wird, dass die durchschnittliche Rendite am Akti-

enmarkt 8% beträgt, ist eine durch das Go-Online herbeigeführte Verschlechterung der jährli-

chen Performance um 3.5% beachtlich.

Die Verschlechterung erfolgt nicht nur in der risikoadjustierten Performance, sondern sie ist

auch in der Veränderung der Turnoverperformance zu beobachten, wenn der Own-Benchmark

eingesetzt und der Risikoaspekt bzw. die mögliche Fehlspezifikation des Risikomodells aus-

geklammert wird: Vor dem Go-Online ist die Turnoverperformance der beiden Gruppen ren-

ditemässig, ohne Berücksichtigung der Risiken, in derselben Grössenordnung, die Online-

gruppe weist im Vergleich zur Kontrollgruppe eine insignifikant bessere Performance von 3

Basispunkten pro Monat auf. Mit anderen Worten lässt sich im Hinblick auf Turnoverperfor-

mance renditemässig kein systematischer Unterschied zwischen beiden Gruppen beobachten,

d.h., bezüglich der Fähigkeit des Markttimings besteht kein systematischer Unterschied. Das

Go-Online verändert jedoch diese Gleichheit: Nach dem Go-Online hat die Onlinegruppe im

Vergleich zur Kontrollgruppe eine relativ schlechtere Turnoverperformance von 20 Basis-

punkten pro Monat (ca. 2.4% pro Jahr). Die Underperformance ist statistisch signifikant. Die

relative Verschlechterung der Performance der Onlinegruppe aufgrund des Go-Online beträgt

23 Basispunkte pro Monat (ca. 2.8% pro Jahr), d.h., die Mehraktivität der Onlinegruppe –

Versuch des Markttimings – führt zu einem jährlichen Renditeverlust von 2.8%, falls Size-

Matched-Phonegruppe als Benchmark dient und der Risikoaspekt ausgeklammert wird.

Den unterschiedlichen Vergleichen der Performance vor und nach dem Go-Online gemeinsam

ist die signifikante Verschlechterung der Performance der Onlinegruppe. Aus den Daten lässt

sich eine Zunahme des Turnovers bei gleichzeitigem Rückgang der Performance beobachten,

ein Symptom von Overconfidence. Die Kontrollen haben gezeigt, dass die Verschlechterung

der Netto-Performance nicht allein auf technische Probleme wie die Verschiebung der Risi-

koprämie oder der erwarteten Rendite zurückgeführt werden kann. Die Feststellung, dass die

Empirische Überprüfbarkeit

166

Performance vor dem Go-Online weitgehend der Erwartung der rationalen Theorie entspricht,

nämlich die Null-Outperformance, gibt kein Indiz für die Fehlspezifikationen der rationalen

Modelle oder gravierende Datenprobleme. Mit anderen Worten ist die Verschlechterung der

Performance nicht ein Problem, welches durch eine Anpassung der rationalen Modelle bzw.

eine Verbesserung der Datenqualiät ohne weiteres zum Verschwinden gebracht werden kann,

sondern eine empirische Tatsache, die im Widerspruch zum rationalen Konzept steht. Aus den

empirischen Daten lässt sich beobachten, dass das Go-Online nicht nur zur Erhöhung der

Turnoverrate sondern auch zur Senkung der Performance führt, eine Tatsache, welche die

Overconfidence-Hypothese vorhersagt.

Empirische Überprüfbarkeit

167

6.1.1.4 Bemerkung

Der Ausgangspunkt des Overconfidencetests sind die vom Overconfidenceansatz abgeleiteten

neuen Hypothesen: I) Overconfidente Investoren handeln relativ viel; und II) Overconfidente

Investoren haben eine relativ schlechte Performance. Mit der Konfidenzdifferenz als Proxy

für die (relative) Overconfidence, unterstützt durch die Verfügbarkeit der entsprechenden

Mikrodaten, können die neu abgeleiteten Overconfidence-Hypothesen empirisch getestet

werden. Durch verschiedene Kontrollmöglichkeiten kann die Gefahr einer Verzerrung der

empirischen Befunde durch die Fehlspezifikationen der Modelle oder durch Datenprobleme

reduziert werden, damit die empirischen Befunde die Wirklichkeit besser reflektieren und

mehr Aussagekraft haben. Das erste Ergebnis des Overconfidence-Tests falsifiziert vorläufig

die Overconfidence-Hypothese nicht, denn wie die Overconfidence-Hypothese vorhersagt,

handeln die relativ overconfidenten Investoren – Investoren mit einem relativ hohen

Confidenceniveau – mehr und haben eine schlechtere Performance im Rahmen der

Stichprobe. Ob die Stichprobe repräsentativ ist, bleibt noch offen.

Wichtig ist hier nicht primär das Resultat, sondern die Möglichkeit, dank der Verfügbarkeit

von Mikrodaten die behavioralen Aussagen Out-of-Sample testen zu können. Aufgrund der

Nichtverfügbarkeit von Mikrodaten sowie der beschränkten Rechenkapazität des Computers

war dies früher nicht möglich, so dass vorempirische Annahmen entscheiden, ob Behavior auf

der aggregierten Ebene existiert oder nicht. Der Test von Overconfidence hat gezeigt, dass

die behavioralen Hypothesen empirisch überprüfbar sind, und hier liegt ihre wissenschaftliche

Bedeutung.

Da das Behavior wie Overconfidence nicht direkt beobachtbar ist, ist die Qualität des Proxys

entscheidend für die Behaviorforschung. Go-Online als Proxy für die Konfidenzdifferenz ist

zwar eine Möglichkeit, aber es gibt diesbezüglich sicher andere (besseren) Möglichkeiten.

Eine sichere wissenschaftliche Basis dafür, dass Go-Online im Durchschnitt eine Konfidenz-

differenz impliziert, ist nicht vorhanden, und es handelt sich dabei eher um eine Annahme.

Wenn die Annahme korrekt wäre, dann könnte die beobachtete Veränderung in der Perfor-

mance und dem Handelsvolumen trotzdem nur zum Teil auf die relative Overconfidence zu-

rückgeführt werden, denn es ist durchaus möglich, dass andere Faktoren dabei mitwirken

(Joint-Problem).

Empirische Überprüfbarkeit

168

6.1.2 Informationsdiffusions-Test

Dem traditionellen Konzept zufolge sollte die Informationsdiffusion nach der Offenbarung

der Privatinformation genügend schnell und nicht graduell sein. Das Overconfidence-Modell

geht jedoch von der Möglichkeit einer graduellen Informationsdiffusion aus, so dass die Ver-

zerrung durch Overconfidence nur langsam korrigiert wird. Folglich lässt sich Momentum

und Reversal beobachten. Daraus kann eine neue Out-of-Sample testbare Hypothese abgelei-

tet werden: Es sollte mehr Momentum in denjenigen Aktienkursen vorhanden sein, bei denen

die Informationsdiffusion gradueller ist.346 Die Validität des Overconfidence-Modells kann

somit Out-of-Sample durch eine neue empirisch falsifizierbare Prognose, die im Widerspruch

zum traditionellen Konzept steht, getestet werden.

6.1.2.1 Residual-Analyst-Coverage als Proxy für die Informationsdiffusion

Ein mögliches Proxy für die Informationsdiffusion ist die Analyse-Coverage. Die Idee dahin-

ter ist, dass sich die firmenspezifischen Informationen der Aktien mit niedriger Analyse-

Coverage vergleichsweise langsamer im Investmentpublikum verbreiten.347 Vontobel-Aktien

haben beispielsweise im Vergleich zu UBS-Aktien eine niedrigere Analyse-Coverage, und

dementsprechend sollte die Verbreitungsgeschwindigkeit der firmenspezifischen Informatio-

nen über Vontobel auch langsamer als im Falle von UBS sein. Falls das abnormale Preispat-

tern wie Momentum oder Reversal tatsächlich auf die graduelle Informationsdiffusion zu-

rückzuführen ist, dann sollte eine signifikante Differenz im abnormalen Pattern (Momentum)

zwischen Subgruppen der Aktien, die nach dem Unterschied bezüglich Analyse-Coverage

gruppiert sind, beobachtet werden können. D.h., die Analyse-Coverage sollte in diesem Fall

einen Erklärungsgehalt haben.348

Im Hinblick auf die Beziehung zwischen Analyse-Coverage und Informationsdiffusion sind

zwei Aspekte zu beachten:

346 Vgl. Hong, Lim und Stein (2000) S. 281; 347 Vgl. Hong, Lim und Stein (2000) S. 266f; 348 Dem Effizienzkonzept zufolge ist die öffentliche Verfügbarkeit der Informationen allein entscheidend, und dementsprechend sollte die Analyse-Coverage, welche nicht die öffentliche Verfügbarkeit der Informationen betrifft, sondern nur die Quantität der Analysen erfasst, hinsichtlich der Erklärung der abnormalen Preisentwick-lungen keine Erklärungsmacht haben, falls die Informationen unabhängig von der Quantität der Analysen sofort in den Preis einfliessen und von einer graduellen Informationsdiffusion keine Rede ist.

Empirische Überprüfbarkeit

169

Der Beitrag jeder zusätzlichen Analyse zur Informationsdiffusion ist dann gross,

wenn die entsprechenden Aktien nur durch wenige Analysten analysiert worden

sind. Dagegen ist der Grenzbeitrag zur Informationsdiffusion sehr klein, falls bereits

eine Vielzahl von Analysen über die entsprechenden Wertpapiere öffentlich verfüg-

bar ist. Und ab einem bestimmten Niveau sollte sich eine zusätzliche Analyse nur

unbedeutend auf die Geschwindigkeit der Diffusion auswirken, beispielsweise sollte

die Unternehmung mit einer Analyse-Coverage von 29 hinsichtlich Informationsdif-

fusion keinen signifikanten Unterschied gegenüber einer Unternehmung mit einer

Analyse-Coverage von 30 haben. Die absolute Anzahl der Analysen als Untertei-

lungskriterium hat somit den Nachteil, dass der Unterschied in Bezug auf den

Grenzbeitrag der Analyse zur Informationsdiffusion nicht genügend berücksichtigt

werden kann.

Als Proxy für die Informationsdiffusion hat die Analyse-Coverage ausserdem den

Nachteil, dass die Qualität des Proxys nicht hoch ist, weil die Analyse-Coverage auf

viele Faktoren (Size, Markttiefe, Branche usw.) zurückzuführen ist und man deswe-

gen mit dem Joint-Problem konfrontiert ist. Beispielsweise ist die Analyse-Coverage

stark mit Size korreliert, und das abnormale Preispattern aus der Untersuchung mit

Analyse-Coverage als Proxy für Informationsdiffusion kann somit mit hoher Wahr-

scheinlichkeit nur ein Reflex des Sizeeffekts sein und hat deswegen mit der Informa-

tionsdiffusion wenig zu tun.

Aufgrund dieser Überlegung ist es nicht optimal, die absolute Anzahl der Analysen als Proxy

für die Informationsdiffusion zu verwenden, und somit ist eine entsprechende Modifikation

notwendig. HLS (Hong, Lim und Stein 2000) verwenden „residual analyst coverage“ als Pro-

xy für Informationsdiffusion, indem anstelle einer absoluten Analysenanzahl das Residual der

Analyst-Coverage-Regression angewandt wird.349 Die Motivation dieses Ansatzes liegt darin,

dass erstens die Analyse-Coverage mit anderen Faktoren wie Size, Markttiefe (Transaktions-

kosten) oder Branche (TMT-Euphorie) stark korreliert sein kann. Durch die Anwendung des

Residuals aus der Regression kann der Einfluss dieser Faktoren kontrolliert werden. Und

zweitens kann die Logarithmierung durch log(1+Analysts) den sinkenden Grenzbeitrag der

349 Abhängige Variable: log(1+Analysts); Und unabhängige Variable: log(Size), Nasdaq-Dummy, Book/Market, Market-Beta, 1/P, Turnover, OPT-Dummy, Industry-Dummies, Varianz sowie Return der Unternehmung. Vgl. Hong, Lim und Stein (2000) Table II;

Empirische Überprüfbarkeit

170

Analyse zur Informationsdiffusion besser beschreiben.350 Dadurch verbessert sich die Quali-

tät des Proxys.

Mit Residual-Analyst-Coverage als Kriterium kann das Aktienuniversum in Subgruppen (ho-

he, mittlere bzw. niedrige Coverage-Gruppen) unterteilt werden, um deren Momentum zu

vergleichen. Es sollte eine signifikante Differenz zwischen Momentum von verschiedenen

Subgruppen beobachtet werden können, falls das Momentum auf graduelle Informationsdiffu-

sion zurückzuführen ist und die Residual-Analyst-Coverage den Unterschied in der Informa-

tionsdiffusion auch tatsächlich reflektieren kann.

Die zu testende Hypothese ist, dass die Aktien mit langsamer Informationsdiffusion mehr

Momentum aufweisen sollten. Eine einfache Methode zum Testen dieser Hypothese ist eine

Regression, wobei die seriellen Korrelationen als Regressand und das Measure der Analyse-

Coverage (wie residual analyst coverage) als Regressor verwendet werden. Um den Size- und

B/M-Effekt zu kontrollieren, können zusätzliche Regressoren wie Size, B/M und Interaktio-

nen (wie residual analyst coverage*Size, residual analyst coverage*B/M, sowie Size*B/M)

hinzugefügt werden. Dadurch kann überprüft werden, ob ein Zusammenhang zwischen seriel-

ler Korrelation und Informationsdiffusion (mit residual analyst coverage als Proxy) besteht.

350 Vgl. Hong, Lim und Stein (2000) S. 268-271;

Empirische Überprüfbarkeit

171

6.1.2.2 Empirische Befunde

Sowohl die Daten über die monatliche Rendite als auch die Daten über die Analyse-Coverage

werden in den USA systematisch gesammelt. HLS beziehen die Rendite-Daten aus dem

CRSP Monthly Stocks Combined File, welches die Daten der NYSE-, AMEX- sowie NAS-

DAQ-Aktien historisiert, während die Analyse-Coverage Daten aus dem I/B/E/S Historical

Summary File stammen, welche auf monatlicher Basis seit 1976 verfügbar sind.351 Mit beta-

adjustierter monatlicher Rendite und Residual Analyst-Coverage als Kriterien sind die unter-

suchten Aktien in Subgruppen unterteilt worden (je ein Drittel in Low-, Medium- bzw. High-

Coverage):352

Tabelle 10: Residual-Analyse-Coverage und Momentum

01.80-12.96, monatliche Beta-adjustierte Rendite in Prozent (%)

Low-Coverage Medium-Coverage High-Coverage Low minus High

P1 (Verlierer) -1.0%

(-4.97)

-0.71%

(-4.30)

-0.51%

(-2.13)

-0.49%

(-4.64)

P2 0.31%

(2.48)

0.30%

(2.92)

0.23%

(1.73)

0.08%

(1.06)

P3 (Gewinner) 0.42%

(2.76)

0.45%

(4.50)

0.43%

(2.74)

-0.01%

(-0.06)

P3-P1 (Momentum) 1.42%

(6.79)

1.16%

(5.76)

0.94%

(4.62)

0.48%

(4.04)

Mean Size (Mio.) 1070 998 464

Analysezahl (Mean) 1.8 7.1 9.9

Quelle: Hong, Lim und Stein (2000) Table VI

Bei der Untersuchung von HLS (2000) sind zwei Pattern auffallend: Erstens, wie die Hypo-

these der graduellen Informationsdiffusion vorhersagt, lässt sich tatsächlich beobachten, dass

mehr Momentum in denjenigen Aktienkursen enthalten ist, bei denen die Informationsdiffusi-

on gradueller ist, nämlich die Aktien mit Low-Coverage. Das Momentum-Measure, P3-P1,

351 Vgl. Hong, Lim und Stein (2000) S. 268ff; 352 This Table includes only stocks above the NYSE/AMEX 20th percentile. The relative momentum portfolios are formed based on six-month lagged beta-adjusted returns and held for six months. The stocks are ranked in ascending order on the basis of six-month lagged returns. Portfolio P1 is an equally weighted portfolio of stocks in the worst performing 30 percent, portfolio P2 includes the middle 40 percent, and portfolio P3 includes the best performing 30 percent. This table reports the average monthly beta-adjusted returns of these portfolios and portfolio formed using an independent sort on analyst residuals of log size and a NASDAQ dummy. T-statistics are in parentheses. Vgl. Hong, Lim und Stein (2000) Table VI;

Empirische Überprüfbarkeit

172

beträgt 1.42% pro Monat in der „low-residual-coverage“ Gruppe mit einer Mean-

Analysenanzahl von 1.8, und die Performance der Momentum-Strategie sinkt, wenn sich die

Analyse-Coverage vergrössert. Bei der „high-residual-coverage“ Gruppe, wo die Mean-

Analysenanzahl 9.9 beträgt, macht die Performance der Momentum-Strategie nur 0.94% pro

Monat aus. Die Differenz beträgt monatlich 0.48%, ist sowohl statistisch hoch signifikant mit

einer t-Statistik von 4.04, als auch ökonomisch bedeutend mit einer Grössenordnung von jähr-

lich ca. 6%. Das Pattern aus den US-Daten zeigt: Je geringer die Anzahl der Analysen ist,

d.h., je langsamer die Informationsdiffusion ist, desto grösser ist das abnormale Preisverhalten

(Momentum), wie die neu abgeleitete Behavior-Hypothese vorhersagt. Wichtig in diesem

Kontext ist wiederum nicht primär das Resultat, sondern die Möglichkeit, behaviorale Aussa-

gen Out-of-Sample durch neue empirisch falsifizierbare Prognose zu testen. Durch weitere

Untersuchungen kann beispielsweise überprüft werden, ob dasselbe Pattern in europäischen

Daten beobachtbar ist.

Das zweite Pattern zeitigt eine andere interessante Regularität: Die Analyse-Coverage beein-

flusst hauptsächlich die Verlierer-Gruppe (P1), und deren Einfluss auf die Gewinner-Gruppe

(P3) ist unbedeutend. Innerhalb der Verlierer-Gruppe (P1) beträgt die Performancedifferenz

zwischen der Low- und High-Coverage-Gruppe 49 Basispunkte pro Monat, dagegen macht

diese Performancedifferenz innerhalb der Gewinner-Gruppe (P3) nur unbedeutend 1 Basis-

punkt aus. D.h., die Momentumdifferenz zwischen der Low- und der High-Coverage-Gruppe

in einer Grössenordnung von 48 Basispunkten pro Monat ist vollständig auf die Performance-

differenz innerhalb der Verlierer-Gruppe zurückzuführen. Somit ist eine differenzierte Be-

trachtung des Beitrags der Analyse-Coverage zur Informationsdiffusion notwendig: Der Bei-

trag ist gemäss der HLS-Studie nur dann gross, wenn das Analyse-Objekt zur Verlierer-

Gruppe gehört. Wenn davon ausgegangen wird, dass das Informationsschock für die Verlierer-Gruppe im

Durchschnitt negativ und hingegen für die Gewinner-Gruppe im Durchschnitt positiv ist, dann

deutet das zweite Pattern darauf hin, dass sich die guten Nachrichten wesentlich schneller als

die schlechten Nachrichten verbreiten und dass die externen Analysen im Hinblick auf die

Verbesserung der Informationseffizienz erst dann eine wichtige Rolle spielen, wenn die fir-

menspezifischen Nachrichten schlechte Nachrichten sind. Die Asymmetrie in der Informati-

onsdiffusion zwischen guten und schlechten Nachrichten kann dadurch herbeigeführt werden,

dass die Firmen bei guten Nachrichten die Motivation haben, durch eine aktive Informations-

politik selber die positiven Informationen an die Öffentlichkeit zu bringen und die Investoren

Empirische Überprüfbarkeit

173

so schnell wie möglich zu informieren. Somit scheint die Informationsdiffusion unabhängig

von der Anzahl der externen Analysen zu sein. Dagegen haben die Firmen bei schlechten

Nachrichten eine viel geringere Motivation, Transparenz zu schaffen und den Investoren die

ungünstige Lage sofort zu kommunizieren. Somit ist der Grenzbeitrag der externen Analysen

zur Informationsdiffusion in dem Fall besonders gross, wenn das Analyse-Objekt zur Verlie-

rer-Gruppe gehört und der Informationsschock negativ ist. Aus dieser Sicht nehmen die exter-

nen Analysen die Rolle einer unentbehrlichen Kontrolle im Finanzmarkt ein, deren Beitrag

zur Informationseffizienz echten Mehrwert schafft, weil die Firmen in den meisten Fällen eine

asymmetrische Informationspolitik betreiben und der Finanzmarkt somit nicht von selbst in-

formationseffizient ist.

Interessant ist zu beobachten, welches Resultat die asymmetrische Informationspolitik er-

zeugt: Bei der Verlierer-Gruppe beträgt die monatliche Performancedifferenz zwischen der

Low- und High-Coverage-Gruppe 49 Basispunkte, jährlich ca. 6%, d.h., die zu der Verlierer-

gruppe gehörenden Firmen mit besserer externer Kontrolle sind 6% weniger unterbewertet als

die Firmen in derselben Gruppe mit weniger externer Kontrolle. Mit anderen Worten sind sich

die Investoren der asymmetrischen Informationspolitik der Firmen durchaus bewusst und for-

dern dementsprechend eine Vertrauensprämie, falls die Lage ungünstig wird, denn in diesem

Fall gehen die Investoren davon aus, dass die Firmen motiviert sind, die schlechten Nachrich-

ten zu vertuschen, so dass die Wahrscheinlichkeit gross ist, dass die Informationen unvoll-

ständig sind. Aus dieser Überlegung ist ein Vertrauensabschlag rational, und das abnormale

Preispattern in den Aktien mit kleiner Size, meistens mit schlechter externer Kontrolle, kann

somit zum Teil durch die Ineffizienz der Information, welche durch die asymmetrische Infor-

mationspolitik der Firmen herbeigeführt worden ist, erklärt werden. Aus den Daten lässt sich

beobachten, dass der Saldo der asymmetrischen Informationspolitik für die Firmen negativ ist,

denn je transparenter die Informationen in ungünstigen Situationen sind, desto kleiner ist die

Unterbewertung oder desto kleiner ist der Vertrauensabschlag. Dementsprechend sollte eine

transparente Informationspolitik besser als eine asymmetrische Informationspolitik sein, und

die Verbesserung der Transparenz liegt klar im eigenen Interesse der Firmen.

Ausgehend von der signifikanten Performancedifferenz zwischen der Low- und High-

Coverage-Gruppe in den Verliereraktien, 49 Basispunkte pro Monat (jährlich 6%) mit einer t-

Statistik von 4.64, haben HLS eine attraktive Anlagestrategie identifiziert, nämlich long „Ver-

lierer&High-Coverage“ und gleichzeitig short „Verlierer&Low-Coverage“. Sie bezeichnen

Empirische Überprüfbarkeit

174

diese Strategie als „LAST“ Strategie, „loser-analyst-spread trade“. Diese Strategie ist nicht

nur risikoneutral, sondern auch sizeneutral und momentumneutral.353

Der Ansatz der „Residual Analyse-Coverage“ ist um den Size-Effekt bereinigt, damit das Un-

tersuchungsergebnis nicht durch das abnormale Preispattern bei den kleinen Aktien verzerrt

wird. Im Hinblick auf die Untersuchung der Informationsdiffusion ist Size jedoch ein wichti-

ger Aspekt, denn der Unterschied bei Size impliziert nicht nur einen Unterschied in der Ana-

lyse-Coverage, sondern auch einen Unterschied in der Informationsdiffusion. Bei Firmen mit

grosser Marktkapitalisierung, die sich dank der intensiven externen Analysen durch hohe In-

formationstransparenz auszeichnen, sollte die Informationsdiffusion genügend schnell und das

Momentum dementsprechend unbedeutend sein, dagegen sollte eine Verzerrung durch die

graduelle Informationsdiffusion, ausgedrückt durch das Momentum, bei den Firmen mit klei-

ner Marktkapitalisierung beobachtbar sein. HLS haben in ihrer Untersuchung die Rolle von

Size unter die Lupe genommen:354

Tabelle 11: Size, Residual-Analyse-Coverage und Momemtum

20th –40th Perc. 40th-60th Perc. 60th-80th Perc. 80th-100th Perc.

Momentum (P3-P1)

Low-Coverage 1.51% (6.46) Mean-Size: 63 Mio.

Median-Coverage:0.0

1.06% (4.49) Mean-Size: 199 Mio.

Median-Coverage:0.6

0.61% (4.11) Mean-Size: 653 Mio.

Median-Coverage:4.7

0.09% (0.49) Mean-Size: 5056 Mio.

Median-Coverage:11.1

Momentum (P3-P1)

Medium-Coverage 1.39% (5.48) Mean-Size: 61 Mio.

Median-Coverage:0.9

0.98% (4.95) Mean-Size: 207 Mio.

Median-Coverage:4.6

0.32% (1.62) Mean-Size: 678 Mio.

Median-Coverage:9.0

0.009% (0.05) Mean-Size: 5163 Mio.

Median-Coverage:18.8

Momentum (P3-P1)

High-Coverage 1.15% (5.10) Mean-Size: 64 Mio.

Median-Coverage:4.1

0.73% (4.60) Mean-Size: 202 Mio.

Median-Coverage:7.6

0.43% (2.02) Mean-Size: 663 Mio.

Median-Coverage:14.7

0.07% (0.33) Mean-Size: 3650 Mio.

Median-Coverage:24.9

Low minus High 0.36% (2.13) 0.33% (1.95) 0.18% (1.18) 0.02% (0.14)

Quelle: Hong, Lim und Stein (2000) Table V

Aus den Daten lässt sich beobachten, dass die grössten Aktien, die Gruppe im 80.-100. Per-

zentil mit einer Marktkapitalisierung zwischen 3 bis 5 Milliarden $, im Vergleich zu anderen

353 Vgl. Hong, Lim und Stein (2000) S.274-275; 354 Size is sorted using NYSE/AMEX breakpoints, t-statistics are in parentheses. This Table includes only stocks above the NYSE/AMEX 20th Percentile. Portfolio P1 is an equally weighted portfolio of stocks in the worst performing 30 percent, and portfolio P3 includes the best performing 30 percent.Vgl. Hong, Lim und Stein (2000) Table V;

Empirische Überprüfbarkeit

175

Gruppen eine deutlich höhere Analyse-Coverage haben und das Momentum in diesem Seg-

ment ökonomisch unbedeutend und statistisch insignifikant ist, quasi nicht von null verschie-

den ist. Mit anderen Worten ist die Informationsdiffusion hier nicht graduell, sondern genü-

gend schnell, und somit lässt sich eine Informationseffizienz in dieser Gruppe beobachten.

Hingegen haben die Aktien mit einer kleineren Marktkapitalisierung, die Gruppe im 20.-40.

Perzentil mit einer Mean-Size von ca. 60 Millionen $, eine deutlich niedrigere Analyse-

Coverage als die anderen Gruppen, und das Momentum in dieser Gruppe ist nicht nur deutlich

höher als das Momentum in anderen Gruppen, sondern auch statistisch hoch signifikant. Das

hohe Momentum reflektiert eine graduelle Informationsdiffusion in diesem Segment, und von

einer Informationseffizienz kann also nicht die Rede sein. Das Momentum der Gruppen im

40.-60. Perzentil sowie im 60.-80. Perzentil ist ökonomisch bedeutend und statistisch signifi-

kant und stellt ein Abbild der graduellen Informationsdiffusion in diesem Segment dar. Die

Differenz des Momentums zwischen Low- und High-Coverage, „Low minus High“, kann als

der Beitrag der Analyse-Coverage zur Informationsdiffusion verstanden werden. Bei Small-

Caps, den Aktien im 20.-40. Perzentil, beträgt diese Differenz 36 Basispunkte pro Monat mit

einer t-Statistik von 2.13, und dieser Beitrag sinkt, wenn mit Vergrösserung der Size die Ana-

lysenanzahl zunimmt. Bei Aktien im 60.-80. Perzentil sinkt die Differenz um die Hälfte auf

18 Basispunkte pro Monat mit einer t-Statistik von 1.18, und bei den grössten Aktien ver-

schwindet diese Differenz schliesslich vollständig. Dies ist konsistent mit der Annahme, dass

der Grenzbeitrag der Analyse zur Informationsdiffusion mit der Erhöhung der Analysenan-

zahl abnimmt und ab einem bestimmten Niveau auf eine Konstante konvergiert. Aus den Zah-

len lässt sich beobachten, dass der Grenznutzen einer zusätzlichen Analyse bei Small-Caps

am grössten ist, wo das entsprechende Momentum jährlich ca. 18% beträgt.

Dem Untersuchungsergebnis von HLS zufolge ist bei der Beurteilung der Informationseffi-

zienz eine differenzierte Betrachtung notwendig: Im Segment der Bluechips (Top 20% aller

Aktien mit Grösse als Kriterium), zeichnet sich der Finanzmarkt weitgehend durch eine starke

Effizienz der Informationen aus, allerdings ist diese Effizienz bei den restlichen 80% auf-

grund der graduellen Informationsdiffusion schwächer. Je nach Segment weist der Markt ei-

nen unterschiedlichen Grad an Effizienz auf, und eine pauschale Beantwortung der Frage der

Effizienz mit „entweder-oder“ ist aus dieser Sicht somit wenig sachlich.

Es stellt sich die Frage, warum ein Unterschied hinsichtlich des Grades der Effizienz zu beo-

bachten ist. Gemäss der Effizienztheorie sollten alle Informationen sofort in den Preis ein-

Empirische Überprüfbarkeit

176

fliessen, sobald sie öffentlich verfügbar sind, demzufolge ist die Anzahl der externen Analy-

sen irrelevant, und wichtig ist nur die öffentliche Verfügbarkeit der Informationen, wie bei-

spielsweise durch Massenmedien. Aus dieser Überlegung lässt sich das Momentum bei Med-

Caps, den Aktien im 40.-80. Perzentil, wo die öffentliche Verfügbarkeit der Informationen

gegeben ist, schwer erklären. Eine mögliche Erklärung hier ist, dass die öffentliche Verfüg-

barkeit der Informationen nicht hinreichend für einen effizienten Zustand ist und die Effizienz

die Bearbeitung und Entcodierung der Rohinformationen durch Fachexperten voraussetzt. Mit

anderen Worten ist der durchschnittliche Marktteilnehmer nicht unbedingt in der Lage, die

verfügbaren Informationen zu nutzen. Die Effizienz wird in dieser Hinsicht durch Fachspezia-

listen geschaffen, denn je mehr externe Analysen es gibt, desto kleiner ist das Momentum und

desto effizienter ist der Markt.

Um zu überprüfen, ob ein Zusammenhang zwischen serieller Korrelation und der Informati-

onsdiffusion (mit Residual-Analyst-Coverage als Proxy) besteht, testen HLS die Hypothese

direkt durch eine Regression, wobei die seriellen Korrelationen als Regressand und „residual

analyst coverage“ und Size als Regressoren eingesetzt werden. Die Koeffizienten der Analy-

se-Coverage sind in 13 von 14 Fällen negativ und meistens statistisch signifikant. Die Koeffi-

zienten von Size sind auch meistens negativ, aber statistisch insignifikant.355 Zu demselben

Resultat kommt die Regressionsanalyse somit, nämlich negative Korrelation zwischen Mo-

mentum und Analyse-Coverage: Je niedriger die Analyse-Coverage ist, d.h., je gradueller die

Informationsdiffusion ist, desto höher ist das Momentum.

355 Vgl. Hong, Lim und Stein (2000) Table IX;

Empirische Überprüfbarkeit

177

6.1.2.3 Bemerkung

Der Ausgangspunkt des Informationsdiffusions-Tests ist die vom Overconfidenceansatz abge-

leitete neue Hypothese: Es sollte mehr Momentum in denjenigen Aktienkursen vorhanden

sein, bei denen die Informationsdiffusion gradueller ist. Mit „residual analyst coverage“ als

Proxy für die Informationsdiffusion kann überprüft werden, ob ein Zusammenhang zwischen

Informationsdiffusion und abnormalem Preispattern besteht. Der empirische Befund zeigt,

dass dieser Zusammenhang tatsächlich existiert: je gradueller die Informationsdiffusion oder

je schwächer die Informationseffizienz ist, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit des ab-

normalen Preispatterns wie Momentum.

Neben Rendite und Risiko ist die Information die dritte Kerngrösse in der Finanzmarkttheorie.

Wie effizient die Information ist, ist das wohl kontroverseste Thema in der Forschung. Da

Effizienz ein transzendenter Begriff ist, ist die Annahme der Effizienz oder Ineffizienz empi-

risch schlecht überprüfbar, so dass in der Auseinandersetzung mit dieser Thematik vorempiri-

sche Annahmen und Entscheidungen oft involviert sind. Der Informationsdiffusions-Test

stellt eine andere Möglichkeit dar, die Annahme über die Informationseffizienz empirisch zu

untersuchen, und das Resultat ist im Hinblick auf die Effizienzdiskussion nicht uninteressant:

Die öffentliche Verfügbarkeit der Informationen impliziert noch keinen effizien-

ten Zustand. Ein effizienter Zustand setzt voraus, dass erstens die Rohinformationen

durch Fachspezialisten entcodiert und bearbeitet werden und zweitens, dass die Brei-

te und Tiefe der Ausbreitung der Informationen genügend sein muss. Das heisst, die

öffentlichen Informationen fliessen nicht von sich selber sofort in den Preis ein, und

die Synchronisation zwischen Informationen und Preisveränderungen muss also

nicht zwingend perfekt sein.

Die Information ist nicht entweder effizient oder ineffizient. Bei der Effizienzfra-

ge ist eine differenzierte Betrachtung notwendig: Im Segment der grössten und

wichtigsten Aktien (20% aller Aktien) zeichnet sich der Aktienmarkt durch eine

starke Effizienz aus; Und hingegen im Segment von Med- und Small-Caps (80% al-

ler Aktien) ist die Effizienz jedoch schwach. Somit ist eine „sowohl als auch“

Sichtweise angebracht.

Die Informationsdiffusion ist asymmetrisch: Schlechte Nachrichten verbreiten

sich langsam, gute Nachrichten hingegen schnell.

Empirische Überprüfbarkeit

178

Die asymmetrische Informationspolitik der Unternehmen führt zu einem negati-

ven Saldo, denn die Überreaktion des Investors aufgrund des Misstrauens im Falle

schlechter Nachrichten (wie Gewinnwarnungen) führt zu einer (übertriebenen) Un-

terbewertung der entsprechenden Titel.

Der Aktienmarkt ist dann besonders ineffizienzverdächtig, wenn das Med- und

Small-Cap Segment von schlechten Nachrichten betroffen ist. D.h., die Gefahr einer

Überreaktion ist in diesem Fall gross.

Die Effizienz ist kein Naturphänomen, sondern eine Wertschöpfung der Fachspe-

zialisten. Der grösste Grenzbeitrag der Aktienanalyse zur Informationseffizienz ist

die Analyse der Titeln von Small-Caps.

Wie gut dieser empirische Befund die Wirklichkeit beschreibt, bleibt eine offene Frage und

lässt sich nur durch weitere Tests überprüfen. Wichtig ist hier wiederum nicht das Resultat,

sondern die Möglichkeit, die behavioralen Aussagen Out-of-Sample testen zu können. Was

behaviorale Ansätze betrifft, hat der Diffusionstest nicht nur die Annahme der graduellen In-

formationsdiffusion empirisch überprüft, sondern zeigt vor allem auch die Grenze der behavi-

oralen Ansätze auf: Für die Preisänderungen im Segment der grössten und wichtigsten Aktien

(20% aller Aktien) haben die behavioralen Ansätze wenig Erklärungsgehalt, sie sind eher An-

sätze für das Segment von Med- und Small-Caps, und haben insbesondere dann einen grossen

Erklärungsgehalt, wenn dieses Segment von schlechten Nachrichten betroffen ist. Es sollte

darauf hingewiesen werden, dass die Basis des Diffusionstests wie in anderen Tests schwan-

kend ist, denn der Beweis fehlt, dass die Analyse-Coverage den Grad der Informationsdiffusi-

on reflektiert. Es handelt sich dabei wiederum um eine Annahme, jedoch scheint diese An-

nahme a priori plausibel zu sein, und die dadurch gewonnenen Befunde sind ökonomisch

durchaus sinnvoll.

Empirische Überprüfbarkeit

179

6.1.3 Möglichkeit der direkten Überprüfung

DHS gehen von Overconfidence der Insider aus, ausgedrückt durch Unterschätzung der Risi-

ken vom Insider: σC2 < σε

2.356 Die Unterschätzung der Risiken führt zu einer Über- bzw. Un-

terreaktion, und folglich ist die serielle Korrelation ungleich null:357

0))()((

)()( 2222222

2222

01,12 <+++

−−=−−pCpCC

CCPPPPCOVσσσσσσσ

σσσσθθ

εθ

0))()((

)()( 22222222

22226

12,23 >+++

−=−−

pCpCC

CpCPPPPCOVσσσσσσσ

σσσσσ

θθ

εθ

Ein Wenn-Dann-Satz liegt vor: wenn der Inverstor overconfident (σC2 < σε

2) ist, dann kommt

es zur Über- bzw. Unterreaktion. Es ist eine offene Frage, wie das Overconfidencemodell

direkt getestet werden kann. Jedoch kann in einem ersten Schritt überprüft werden, ob die

Möglichkeit besteht, den Overconfidenceansatz direkt zu falsifizieren. Eine direkte Überprü-

fungsmöglichkeit liegt darin, zu untersuchen, ob σC2 < σε

2 gilt. Aus den Preisveränderungen

in der Periode, wo nur das private Signal eintrifft, kann die Information über σC2 gewonnen

werden, und die Preisveränderungen sowie die eventuellen Korrekturen in der nachfolgenden

Periode, wo die private Information öffentlich wird, geben Informationen über σε2. Da in den

empirischen Untersuchungen der seriellen Preisabhängigkeiten die Autokorrelationen der

Wertpapierrendite im Allgemeinen nicht auf das Auftreten privater bzw. öffentlicher Informa-

tionssignale konditioniert werden, ist die Durchführbarkeit solcher Überprüfung aufgrund der

Datenproblem stark beschränkt.

Eine andere Möglichkeit zur direkten Falsifikation des Overconfidencemodells ist zu überprü-

fen, ob overconfidente Investoren die Risiken tatsächlich unterschätzen, was σC2 < σε

2 impli-

ziert. Wenn dies der Fall ist, dann sollte dieses Behavior empirisch beobachtet werden kön-

nen: Es sollte beobachtet werden, dass das Portfoliobeta der overconfidenten Investoren (In-

sider) systematisch höher als das Portfoliobeta der Matched-Investoren ist und dass diese Dif-

ferenz statistisch signifikant ist, da die overconfidenten Investoren aufgrund der Unterschät-

zung der Risiken unbewusst eine grössere Risikotoleranz als im normalen Fall haben. Was

356 σC

2: die durch „overconfidente“ Investoren geschätzte Varianz des privaten Signals; σε2: die korrekte Varianz

des privaten Signals; σp2: die Varianz des entsprechenden öffentlichen Signals; σθ

2: die Varianz des Underlyings; 357 Wenn σC

2 < σε2 ist, dann ist cov(P2-P1, P1-P0) negativ. Wenn σC

2 = σε2 ist, d.h.: keine Unterschätzung der

Risiken durch Insider, dann ist cov(P2-P1, P1-P0) gleich null.

Empirische Überprüfbarkeit

180

den Betavergleich betrifft, ist es vor allem wichtig, eine gute Matching-Gruppe als

Vergleichsbenchmark zu konstruieren, die im Hinblick auf Vermögensausstattung, Invest-

menterfahrung, Ausbildung sowie demographische Eigenschaft der Insider-Gruppe möglichst

homogen sein sollte. Als Kontrolle kann ein zweiter Betavergleich durchgeführt werden, in-

dem das gesamte Investment der Insider-Gruppe in zwei Portfolios unterteilt wird: Ein In-

vestment-Portfolio mit Insiderinformation und ein Investment-Portfolio ohne Informations-

vorsprung, um dann deren Betas zu vergleichen. In ihrem Overconfidence-Test haben Barber

und Odean (1999) auch das Portfoliobeta zwischen der Overconfidence-Gruppe und der Mat-

ching-Gruppe verglichen, und das Portfoliobeta der Overconfidence-Gruppe ist tatsächlich

statistisch signifikant höher als das Beta der Benchmark-Gruppe.358

358 Vgl. Barber und Odean (1999 b) Table 4, S.37;

Empirische Überprüfbarkeit

181

6.2 Testbarkeit des Sentiments

Das Sentimentmodell führt die Existenz des Sentiments auf Representativeness-Bias zurück:

Die Investoren betrachten die fortdauernden Kursentwicklungen in eine Richtung innerhalb

einer kurzen Periode als repräsentativ für einen Trend, und umgekehrt werden die abwech-

selnden Kursentwicklungen als repräsentativ für Reverting wahrgenommen. Dies führt dazu,

dass die Randombewegung der Rendite verzerrt wahrgenommen wird und Sentiment, stark

oder schwach ausgeprägte Hausse- bzw. Baissestimmung, entsteht. Wenn sich der Investor

tatsächlich so verhält, wie es das Sentiment-Modell prognostiziert, dann sollte dieses Behavi-

or beobachtet werden können. Konkret sollte der Glaube an Mean-Reversion durch das

Contrarian Behavior359 zum Ausdruck kommen. Umgekehrt reflektiert das Momentum Beha-

vior360 den Glauben an einen Trend. Gemäss dem Sentiment-Modell sollte der nicht-

professionelle Investor entweder Contrarian Behavior oder Momentum Behavior zeigen361,

wobei das Contrarian Behavior dominierend sein sollte. Daraus lässt sich eine neue Out-of-

Sample testbare Prognose ableiten: Der nicht-professionelle Investor kauft gerne Verliererak-

tien und verkauft gerne Gewinneraktien. Diese neue Prognose steht im Widerspruch zum tra-

ditionellen Konzept, wonach sich der nicht-professionelle Investor bei seiner Investmentent-

scheidung indifferent gegenüber den sogenannten Gewinnern und Verlierern verhalten sollte,

weil angesichts der Randombewegung der Rendite und der strengen Marktdisziplin keine ra-

tionalen Gründe gefunden werden können, dass der nicht-professionelle Investor bei der

Kaufentscheidung die sogenannten Verliereraktien und bei der Verkaufentscheidung die so-

genannten Gewinneraktien systematisch bevorzugen sollte. Beim Test der neuen Prognose

geht die Nullhypothese somit davon aus, dass sich der nicht-professionelle Investor bei seiner

Investmententscheidung indifferent gegenüber den sogenannten Gewinner- sowie Verliererak-

tien verhält, d.h., er zeigt weder Contrarian Behavior noch Momentum Behavior.

359 Contrarian Behavior: Beim Kauf von Wertpapieren werden die Verliereraktien bevorzugt, beim Verkauf die Gewinneraktien. Long Verliereraktien > Short Verliereraktien; Long Gewinneraktien < Short Gewinneraktien; 360 Momentum Behavior: Beim Kauf von Wertpapieren werden die Gewinneraktien bevorzugt, beim Verkauf die Verliereraktien. Long Verliereraktien < Short Verliereraktien; Long Gewinneraktien > Short Gewinneraktien; 361 Die verzerrte Wahrnehmung der Randombewegung durch behaviorale Biases sollte bei nicht-professionellen Investoren am deutlichsten sein. Die Verzerrung sollte mit der Erhöhung der Professionalität sinken.

Empirische Überprüfbarkeit

182

6.2.1 Der Sentiment-Test: Contrarian Behavior

6.2.1.1 Contrarian Behavior bei der Kaufentscheidung

A. Daten und Methode Die Untersuchung des Investmentbehaviors des Investors setzt die Verfügbarkeit von detail-

lierten Transaktions- sowie Renditedaten voraus. Aus den Mikrodaten über die Tradingre-

cords und Position-Statements der Retail-Investoren lassen sich Informationen gewinnen, wo

die Investoren long und short gehen, und mit den Renditeninformationen kann dann festge-

stellt werden, ob ein systematisches Pattern in den Kaufentscheidungen zu beobachten ist. Im

Falle vom Contrarian Behavior sollte beobachtet werden, dass „Past-Losing-Stocks“ einen

überdurchschnittlichen Anteil an den gekauften Wertpapieren ausmachen.

Aufgrund der beschränkten Datenverfügbarkeit ist die Untersuchung des Investmentbehaviors

aller Investorenkategorien für die meisten Teilmärkte jedoch weiterhin unmöglich. Finnland

gehört zu den ersten Ländern, die Defizite in diesem Bereich abzubauen beginnen, indem

„The Central Register of Shareholdings for Finnish Stocks in the Finnish Central Securities

Depository (FCSD)” die entsprechenden Transaktionsdaten seit 1995 systematisch ansam-

melt. Die meisten öffentlich gehandelten finnischen Aktien sind durch das Zentralregister

erfasst, und die Abdeckung erreicht 97% der Marktkapitalisierung der finnischen Aktien. Das

Register dokumentiert sowohl den Aktienbesitz aller finnischen Investoren bei FCSD-Titeln

(Retail- sowie Institutionelle-Investoren) als auch deren Transaktionen (Aktienhandel) auf

einer Tagesbasis. Für beide Investorentypen, Retail-Investoren sowie institutionelle Investo-

ren, ist die Registrierung (Holdings & Tradings) in Finnland rechtlich zwingend, und nur der

ausländische Investor darf sich ausnahmsweise unter einem anonymen Namen registrieren

lassen.362 Die finnische Datenbasis ist wahrscheinlich die erste in der ganzen Welt, welche die

Transaktionen des ganzen Marktes systematisch und umfassend erfasst, und die finnischen

Daten sollten auch eine bessere Qualität und höhere Verlässigkeit als in anderen Fällen auf-

weisen, weil die Registrierung das öffentliche Zertifikat des Eigentums repräsentiert.363

Mit diesen einzigartigen finnischen Daten haben Grinblatt und Keloharju (2000) das In-

vestmentbehavior der finnischen Investoren untersucht, wobei die Rendite auf Basis der tägli-

chen Closing-Preise der Helsinki Stock Exchange mit entsprechenden Anpassungen für Splits

362 Vgl. Grinblatt und Keloharju (2000) S.46-48; 363 Vgl. Grinblatt und Keloharju (2000) S.46;

Empirische Überprüfbarkeit

183

sowie Dividenden berechnet und die einmonatige Finnish Markka Helsinki Interbank Offered

Rate, HELIBOR, als Proxy für die risikofreie Rendite angewandt wurde.364 Um die möglichen

Verzerrungen durch den Size-Effekt oder ausserordentliche Entwicklungen wie M&A zu

vermeiden, konzentriert sich die Untersuchung von Grinblatt und Keloharju (2000) nur auf

den Handel bei den 16 grössten finnischen Aktien, die in der Testperiode (01.95-12.96) kei-

nen Merger erlebt haben und insgesamt 52% der Marktkapitalisierung ausmachen.365

Zur Feststellung des Investmentbehaviors haben Grinblatt und Keloharju (2000) den Style-

Approach eingeführt: Momentum Style und Contrarian Style. Das Investmentbehavior einer

Investoren-Gruppe am Tag t wird demnach durch die Differenz zwischen der durchschnittli-

chen Buy-Ratio366 der Past-Winning-Stocks (top quartile Stocks) und der durchschnittlichen

Buy-Ratio der Past-Losing-Stocks (lowest quartile Stocks) gemessen.367 Eine Investoren-

Gruppe weist dann das Momentum Behavior an einem Handelstag t auf, wenn die Buy-Ratio

Differenz positiv ist, d.h., die durchschnittliche Buy-Ratio der Past-Winning-Stocks dieser

Gruppe am Tag t ist höher als die entsprechende durchschnittliche Buy-Ratio der Past-Losing

Stocks. Dagegen impliziert eine negative Buy-Ratio Differenz das Contrarian Behavior.368

Wenn eine Investorengruppe die Contrarian Strategie bevorzugt und dementsprechend in der

meisten Zeit der Untersuchungsperiode das Contrarian Behavior aufweist, d.h., der Anteil der

Tage (fraction of days), in denen die Buy-Ratio Differenz negativ ist, deutlich höher als 50%

ist, dann hat sie ein Contrarian Style. Umgekehrt reflektiert das Überwiegen der positiven

Buy-Ratio Differenz ein Momentum Style. Falls sich die Investorengruppe bei ihren Ent-

scheidungen indifferent gegenüber den sogenannten Gewinner- sowie Verliereraktien verhält,

entsprechend der Nullhypothese, dann sollte der Anteil der Tage, an welchen die Buy-Ratio

Differenz negativ ist, in der Nähe von 50% liegen.

364 Vgl. Grinblatt und Keloharju (2000) S. 49; 365 Vgl. Grinblatt und Keloharju (2000) S.48; 366 Buy Ratio = Buy Volumen / (Buy Volumen + Sell Volumen); 367 „Stocks receive an equal weight rather than a value or volume weight in the buy ratio average to prevent Nokia, by far the largest and most actively traded company, from dominating the results.” Vgl. Grinblatt und Keloharju (2000) S.53; 368 Vgl. Grinblatt und Keloharju (2000) S.52f;

Empirische Überprüfbarkeit

184

B. Empirische Befunde Weil die Transaktionsdaten erst seit 1995 verfügbar sind, ist der Beobachtungszeitraum ent-

sprechend kurz und die Erklärungsmacht der Untersuchung beschränkt. Aus den Daten von

01.95-12.96 kann jedoch ein erster Eindruck gewonnen werden. In der Untersuchung von

Grinblatt und Keloharju werden sämtliche Investoren in Finnland in 6 Subgruppen unterteilt:

Haushalte, Nonprofit-Institutionen, öffentliche Institutionen, Finanz-Institutionen, Nonfinan-

cial Corporations sowie ausländische Investoren.369 Je nach Past-Return-Horizont370 werden

dann die Gewinner- sowie Verliereraktien identifiziert, und auf dieser Basis wird die Buy-

Ratio Differenz, die durchschnittliche Buy-Ratio der Past-Winning-Stocks von einer be-

stimmten Gruppe am Tag t minus die durchschnittliche Buy-Ratio der Past-Losing Stocks

dieser Gruppe an demselben Tag, berechnet. Die Tage, an denen die Buy-Ratio Differenz

positiv ist, werden addiert, um den Anteil der positiven Buy-Ratio Differenzen zu berech-

nen371:

Tabelle 12: Die Differenz der Buy-Ratio

Proportion of positive buy ratio differences

Past performance period

1 week 1 month 6 month

Households 0.353 (p=0.000) 0.299 (p=0.000) 0.159 (p=0.000)

Nonprofit institutions 0.392 (p=0.000) 0.420 (p=0.006) 0.311 (p=0.000)

Finance institutions 0.434 (p=0.005) 0.506 (p=0.793) 0.390 (p=0.000)

Foreign investors 0.608 (p=0.000) 0.572 (p=0.002) 0.647 (p=0.000)

Quelle: Grinblatt und Keloharju (2000) Table 3;

Aus dem Untersuchungsergebnis lässt sich beobachten, dass die Proportion der positiven

Buy-Ratio Differenzen in den meisten Fällen statistisch signifikant von 0.5 abweicht. Mit

anderen Worten verhält sich die Investorengruppe bei ihren Investmententscheidungen nicht

369 In der Tabelle 12 und 13 werden die Befunde über vier wichtigen Supgruppen aufgezeigt. 370 Es werden 5 Past-Return-Horizonte angewandt: 1 Tag, 1 Woche, 1 Monat, 5 Monate, 6 Monate. Vgl. Grin-blatt und Keloharju (2000) Table 3, S.56; 371 For 1995-1996, the table reports the fraction of positive daily buy ratio differences for each categories of investors, along with the significance level of a two-tailed binomial sign test that the fraction of positive differ-ences is one half. Each day’s buy ratio difference is generated by subtracting the average buy ratio for stocks with past returns in the loser quartile from the average buy ratio of stocks with past returns in the winner quartile. The past return used for ranking a stock are based on various prior return intervals relative to day t. In the ab-sence of momentum or contrarian behavior, the average buy ratio difference should be zero and the fraction of measured positive buy ratio differences should be one-half. Vgl. Grinblatt und Keloharju (2000) Table 3, S.56;

Empirische Überprüfbarkeit

185

indifferent gegenüber den sogenannten Gewinner- und Verliereraktien, und die Nullhypothe-

se, dass das systematisch abnormale Verhaltensmuster ausbleibt, ist zu verwerfen.

Das Investmentbehavior der finnischen Haushalte ist der Untersuchung zufolge durch einen

Contrarian Style geprägt: Mit einem Monat als Past-Return-Horizont haben sie beispielsweise

an 70% der Handelstage eine negative Buy-Ratio Differenz, d.h., in mehr als 2/3 der Beo-

bachtungszeit ist ihre durchschnittliche Buy-Ratio der Past-Losing-Stocks höher als ihre

durchschnittliche Buy-Ratio der Past-Winning-Stocks. Die Proportion ist noch höher, falls

sechs Monate als Past-Return-Horizont eingesetzt werden, und in diesem Fall beträgt die Pro-

portion der negativen Buy-Ratio Differenzen gar 84%. Die finnischen Haushalte scheinen bei

Ihrer Investmententscheidung tatsächlich die Verliereraktien zu bevorzugen. Das Contrarian

Behavior der Haushalte variiert jedoch mit der Investmentsize: Je kleiner die Investmentsize

ist, desto ausgeprägter ist das Contrarian Behavior.372 Falls die Investmentsize der Haushalte

als ein Proxy für deren Professionalität betrachtet werden darf, dann ist die Frequenz des

Contrarian Behaviors mit der Professionalität invers korreliert, d.h., je unprofessioneller der

Investor ist, desto häufiger zeigt er abnormales Behavior wie Contrarian in seinen Invest-

mententscheidungen. Dem Behavior-Ansatz nach ist dieses abnormale Behavior auf verzerrte

Wahrnehmung der Randombewegung zurückzuführen, und demnach lautet die Botschaft der

Daten: Je unprofessioneller der Investor ist, desto verzerrter ist seine Wahrnehmung.

Die inverse Beziehung zwischen der Frequenz des abnormalen Behaviors wie Contrarian und

Professionalität lässt sich nicht nur innerhalb der Investorengruppe „Haushalte“, sondern auch

im gesamten finnischen Markt beobachten, falls Haushalte als nicht-professionelle Investoren,

die Nonprofit-Institution als halbprofessionelle Investoren und Finanzinstitution als professi-

onelle Investoren betrachtet werden dürfen und die Proportion der positiven Buy-Ratio Diffe-

renzen mit dem Wert 0.5 das rationale Behavior kennzeichnen kann. Der Untersuchung zu-

folge weist das Behavior des nicht-professionellen Investors die grösste Abweichung zum

rationalen Behavior auf, und diese Abweichung sinkt kontinuierlich, je mehr die Professiona-

lität steigt: Mit einem Monat als Past-Return-Horizont beträgt beispielsweise die Abweichung

bei der nicht-professionellen Investorengruppe 0.2 mit statistischer Signifikanz, und die Ab-

372 Mit 6 Monaten als Past-Return-Horizont beträgt die Proportion der negativen Buy-Ratio Differenzen: für einen Haushalt mit Small Portfolio-Size: 0.825; für einen Haushalt mit Medium-Portfoliosize: 0.765; für einen Haushalt mit Large-Portfoliosize: 0.658. Dieselbe Relation zwischen Proportion der negativen Buy-Ratio Diffe-renzen und Portfoliosize lässt sich auch bei anderen Past-Return-Horizonten beobachten. Vgl. Grinblatt und Keloharju (2000) Table 3, S.56;

Empirische Überprüfbarkeit

186

weichung sinkt auf 0.08, wenn die halbprofessionelle Investorengruppe betrachtet wird.

Schliesslich lässt sich keine signifikante Abweichung (0.006, p=0.793) beobachten, wenn das

Behavior der professionellen Investorengruppe untersucht wird.

Das Abnehmen der Abweichung bei gleichzeitiger Erhöhung der Professionalität reflektiert

die Evidenz, dass fachliche Ausbildung zur Reduktion der Verzerrung in der Wahrnehmung

der Randombewegung beitragen kann, wenn davon ausgegangen wird, dass die Abweichung

zum grossen Teil durch verzerrte Wahrnehmung herbeigeführt wird. Mit einem Monat als

Past-Return-Horizont scheint die Wahrnehmung durch die Fachspezialisten verzerrungsfrei zu

sein. Allerdings lässt sich bei anderen Past-Return-Horizonten weiterhin eine signifikante

Abweichung beobachten, wenn auch das Muster der inversen Beziehung unverändert bleibt.

Im Gegensatz zum deutlichen Contrarian Behavior des finnischen Haushalts zeigen die aus-

ländischen Investoren, welche aus Mutual Funds, Hedge Funds sowie Foreign Investment

Banks bestehen373 und als Gegenpartei der finnischen Haushalt-Investoren verstanden werden

können374, ein deutliches Momentum Behavior auf, d.h., die durchschnittliche Buy-Ratio der

Past-Winning-Stocks ist grösser als die durchschnittliche Buy-Ratio der Past-Losing-Stocks.

Mit anderen Worten bevorzugt diese Gruppe bei ihren Investmententscheidungen die Gewin-

neraktien, und dieses Momentum Style ist nicht inkonsistent mit den wichtigen Eigenschaften

des internationalen Kapitalflusses: Kurzfristigkeit und Herdentrieb bei Winning-Stocks.

Es kann sein, dass der Investor eine bestimmte Branche wie Telekommunikation (z.B. Nokia)

bevorzugt und weder Mean Reversion noch Trend erwartet. In diesem Fall wird der Investor

jedoch Contrarian Behavior aufweisen, wenn die Telekommunikationstitel in der Testperiode

in der meisten Zeit zu den Verlierer-Gruppe gehören. Um diesen Fall zu kontrollieren, können

im Weiteren die „mean-adjusted buy ratio differences“375 berechnet werden, wobei die Ab-

373 Vgl. Grinblatt und Keloharju (2000) S.57; 374 Diese Gruppe kann als Gegenpartei der Haushalte verstanden werden, wenn Buy-Winner durch Sell-Loser finanziert wird. 375 Mean-adjusted buy ratio differences: an investor category’s mean-adjusted buy ratio for a stock on a given day represents the deviation of an investor’s buy ratio for the stock on that day from the investor’s typical buy ratio for that stock throughout the sample period. For purposes of computing a typical buy ratio, the investor category’s daily buy ratios for the stock throughout the sample period is averaged excluding a window of up to 240 days around the day that is being mean-adjusted. The exclusion window is necessary to avoid having behav-iorial patterns with respect to six-month past returns contaminate the mean adjustment. Vgl. Grinblatt und Kelo-harju (2000) S.59;

Empirische Überprüfbarkeit

187

weichung der Buy-Ratio von deren Mittelwert als Ausgangspunkt dient, d.h., anstelle der ab-

soluten Buy-Ratio ist die relative Buy-Ratio (aktuelle absolute Buy-Ratio minus typische

Buy-Ratio) in der Testperiode ausschlaggebend. Dadurch sollte kein abnormales Behavior

festgestellt werden können, wenn der Investor in der Tat indifferent gegenüber sogenannten

Gewinnern oder Verlierern ist und nur bestimmte Branche bevorzugt. Mit der Methode der

Mean-Adjustierung kontrollieren Grinblatt und Keloharju ihre Untersuchung und kommen zu

demselben Pattern, wonach bei Haushalts-Investoren das Contrarian Behavior und bei auslän-

dischen Investoren das Momentum Behavior vorherrscht:376

Tabelle 13: Die Differenz der Buy-Ratio mit einer Meanadjustierung

Proportion of positive buy ratio differences

(Using mean-adjusted buy ratio differences)

Past performance period

1 week 1 month 6 month

Households 0.335 (p=0.000) 0.303 (p=0.000) 0.173 (p=0.000)

Nonprofit institutions 0.429 (p=0.006) 0.464 (p=0.160) 0.388 (p=0.000)

Finance institutions 0.428 (p=0.002) 0.508 (p=0.732) 0.398 (p=0.000)

Foreign investors 0.592 (p=0.000) 0.566 (p=0.005) 0.643 (p=0.000)

Quelle: Grinblatt und Keloharju (2000) Table 4;

Mit weiteren Tests kann dann geprüft werden, ob das Resultat robust ist. Beispielsweise kann

die Buy-Ratio über die Anzahl der Transaktionen anstatt über das Volumen berechnet werden,

oder die Testperiode kann in zwei Subperioden unterteilt und dann separat analysiert werden.

In ihrem Robust-Test finden Grinblatt und Keloharju das gleiche Muster: Das Contrarian Be-

havior bei Haushalt-Investoren und das Momentum Behavior bei ausländischen Investoren.377

Die empirische Untersuchung von Grinblatt und Keloharju (2000) zeigt die Heterogenität des

Behaviors der Investoren im finnischen Markt auf. Das Ergebnis weist darauf hin, dass die

nicht-professionellen Investoren (die finnischen Haushalte) bei Investmententscheidungen das

Contrarian Behavior aufweisen, wie die aus dem Sentiment-Modell BSV abgeleitete neue

376 For 1995-1996, the table reports the fraction of positive daily “mean-adjusted” buy ratio differences for each categories of investors, along with the significance level of a two-tailed binomial sign test that the fraction of positive differences is one half. Each day’s mean-adjusted buy ratio difference is generated by subtracting the average mean-adjusted buy ratio for stocks with past returns in the loser quartile from the average mean-adjusted buy ratio of stocks with past returns in the winner quartile. Vgl. Grinblatt und Keloharju (2000) Table 4, S.60; 377 Vgl. Grinblatt und Keloharju (2000) Table 4, S.61;

Empirische Überprüfbarkeit

188

Prognose vorhersagt.378 Für das Sentiment-Modell ist dieser Befund jedoch nur eine vorläufi-

ge Unterstützung, welche nicht überschätzt werden darf: Erstens ist der Beobachtungszeit-

raum sehr kurz, und zweitens ist es möglich, dass Finnland für den globalen Finanzmarkt

nicht repräsentativ ist. Relevant in diesem Kontext ist nur, dass der Fortschritt bei der Daten-

sammlung neue Möglichkeiten eröffnet, die behavioralen Aussagen zu überprüfen.

378 Weitere Untersuchung zeigt, dass die Haushalt-Investoren im Vergleich zu anderen Investoren-Gruppen die schlechteste Performance aufweisen und die besten Performer in Finnland die ausländischen Investoren (Mutual Funds, Hedge Funds sowie Foreign Investment Banks) sind. Vgl. Grinblatt und Keloharju (2000) Table 5, S.64;

Empirische Überprüfbarkeit

189

6.2.1.2 Contrarian Behavior bei Verkaufsentscheidung

Die aus dem Sentiment-Modell abgeleitete neue Prognose behauptet, dass der nicht-

professionelle Investor auch bei den Verkaufsentscheidungen aufgrund des Glaubens an Mean

Reversion das Contrarian Behavior aufweisen sollte. Dementsprechend sollte beobachtet wer-

den können, dass er mit Vorliebe die Gewinneraktien verkauft.

A. Daten und Methoden Mit den detaillierten Transaktionsdaten über Tradingrecords sowie Position-Statements der

Investoren kann getestet werden, ob der nicht-professionelle Investor (Haushaltinvestor) tat-

sächlich den Verkauf der Gewinneraktien bevorzugt. Im Falle von Contrarian Behavior sollte

beobachtet werden können, dass Gewinneraktien im Vergleich zu Verliereraktien häufiger

verkauft werden. Schon in den 80er Jahren haben die US-Finanz-Institutionen begonnen, de-

taillierte Transaktionsdaten der Retail-Investoren systematisch zu sammeln, und somit besteht

die Möglichkeit, das Verkaufsbehavior der US-Investoren anhand dieser Daten zu untersu-

chen. Mit der Datenunterstützung eines grossen US-Discount-Brokerage Hauses hat Odean

(1998) eine Untersuchung in diesem Bereich durchgeführt. Zur Beschränkung des Umfangs

wurden 10'000 Kundenkontos per Zufall ausgewählt, und die Daten decken deren Transaktio-

nen zwischen Anfang 1987 und Ende 1993 mit 162'948 Trading Records sowie 1'258'135

Position Records ab.379

Um zu testen, ob der Haushalt-Investor beim Verkauf die Gewinneraktien bevorzugt, hat ein

Vergleich der absoluten Anzahl der verkauften Gewinner und Verlierer wenig Aussagekraft,

wenn sich der Markt in einem Boom befindet und von Assetinflation die Rede ist, denn in

diesem Fall ist der Anteil der Gewinneraktien im Portfolio überproportional, so dass die abso-

lute Anzahl der verkauften Gewinner dementsprechend höher ist, wenn auch sich der Haus-

379 The trades file includes the records of all trades made in the 10'000 accounts in sample period, and each re-cord is made up of an account identifier, the trade date, the brokerage house’s internal number for the security traded, a buy-sell indicator, the quantity traded, the commission paid, and the principal amount. Multiple buys or sells of the same stock, in the same account, on the same day are aggregated. The positions file contains monthly position information for the 10'000 accounts in sample period, and each of its 1'258'135 records is made up of the account identifier, year, month, internal security number, equity, and quantity. Accounts that were closed between sample period are not replaced, thus the data set may have some survivorship bias in favor of more successful investors. Vgl. Odean (1998) S. 1780;

Empirische Überprüfbarkeit

190

haltinvestor beim Verkauf indifferent gegenüber Gewinner und Verlierer verhält. Somit bringt

ein relativer Vergleich mehr Informationen:380

PaperGainssalizedGainsalizedGain

+ReRe = PGR (Proportion of Gains Realized)

sPaperLosseesalizedLoss

esalizedLoss+Re

Re = PLR (Proportion of Losses Realized)

Das Portfolio des Haushaltinvestors enthält sowohl Gewinner als auch Verlierer,381 und wenn

der Haushaltinvestor beim Verkauf tatsächlich die Gewinneraktien bevorzugt, dann ist zu

beobachten, dass PGR grösser als PLR ist. D.h., der Investor neigt in diesem Fall dazu, eher

die Gewinne zu realisieren. Beispielsweise hat ein Investor 6 Aktien in seinem Portfolio: A,

B, C, D, E und F. Der aktuelle Verkaufpreis von A, B und C ist höher als ihr Kaufpreis,382

während der aktuelle Verkaufpreis von D, E, F niedriger als deren Kaufpreis ist. Mit anderen

Worten sind A, B und C die Gewinner, D, E und F die Verlierer. Die andere Investorin hat 4

Aktien in ihrem Portfolio: G, H, I, J. Der aktuelle Verkaufpreis von G, H und I ist höher als

ihr Kaufpreis, und der Verkaufpreis von J dagegen ist niedriger als sein Kaufpreis. An einem

bestimmten Tag verkauft der erste Investor A, B und D, zwei Gewinner und einen Verlierer.

Am nächsten Tag verkauft die zweite Investorin G, einen Gewinner. Der Verkauf von A, B

und G kann als eine Realisierung der Gewinne verstanden werden, während der Verkauf von

D als eine Realisierung der Verluste betrachtet werden kann. Die anderen Gewinner - C, H,

und I - könnten auch zur Realisierung der Gewinne verkauft werden, bleiben aus welchem

Grund auch immer jedoch weiter im Portfolio, und somit handelt es sich bei diesen Aktien um

unrealisierte Papiergewinne. Dagegen erzeugen E, F und J als Verlierer die Papierverluste.

Also haben die zwei Investoren innerhalb dieser zwei Handelstage drei realisierte Gewinne,

einen realisierten Verlust, drei Papiergewinne sowie drei Papierverluste zu verzeichnen, somit

betragen die beiden Kennzahlen in diesem Beispiel PGR=1/2 und PLR=1/4,383 d.h., 50% der

Gewinneraktien und 25% der Verliereraktien werden verkauft. Eine höhere PGR als PLR re-

flektiert die Neigung der Investoren, beim Verkauf die Gewinneraktien zu bevorzugen.

380 Vgl. Odean (1998) S.1782-1783; 381 Jene Aktien werden als Gewinner verstanden, deren Verkaufspreis höher als deren Kaufpreis ist. Dagegen werden jene Aktien als Verlierer betrachtet, deren Verkaufspreis niedriger als deren Kaufpreis ist. Die Kommis-sionen werden bei Berechnung der Gewinne und Verluste adjustiert, indem sie zum Kaufpreis addiert und vom Verkaufspreis subtrahiert werden. Vgl. Odean (1998) S.1783; 382 Der Kaufpreis ist ein Bruttopreis, d.h., plus die entsprechende Kommission. 383 PGR = 3 realisierte Gewinne / (3 realisierte Gewinne + 3 Papiergewinne) = 1/2; PLR = 1/(1+3) = 1/4;

Empirische Überprüfbarkeit

191

Der Test hier ist ein Joint-Test: Einerseits der Test der Hypothese, dass der Investor die Ge-

winneraktien gerne verkauft, und andererseits der Test der Spezifikation des Referenzpunktes,

mit dem die Gewinner und Verlierer bestimmt worden sind. Verschiedene Kaufpreise können

als Referenzpunkt verwendet werden: Der durchschnittliche Kaufpreis, der höchste Kaufpreis,

der erste Kaufpreis sowie der aktuelle Kaufpreis. In seiner Untersuchung hat Odean verschie-

dene Kaufpreise als Referenzpunkt eingesetzt, und der Befund bleibt materiell unverändert.384

B. Empirische Befunde Es gibt zwei Hypothesen zu testen. Die erste Hypothese ist, dass der Investor bei seiner Ver-

kaufsentscheidung dazu neigt, den Verkauf der Gewinneraktien zu bevorzugen, d.h., dass

PGR > PLR gilt. Die Nullhypothese in diesem Fall ist, dass PGR ≤ PLR ist.385 Die zweite

Hypothese ist, dass sich der Investor im Monat Dezember anders verhält und den Verkauf der

Verliereraktien bevorzugt386, somit ist (PLR-PGR) im Dezember dementsprechend grösser als

(PLR-PGR) vom Januar bis November. Die entsprechende Nullhypothese ist somit, dass

(PLR-PGR) im Dezember ≤ (PLR-PGR) vom Januar bis November ist. Die Testergebnisse

von Odean (1998) sprechen für eine Verwerfung der beiden Nullhypothesen:387

384 Vgl. Odean (1998) S.1783; 385 Wenn sich der Investor indifferent gegenüber Gewinneraktien sowie Verliereraktien verhält, dann sollte PGR gleich PLR sein. Wenn der Investor der Faustregel im Handel folgt, wonach der Verlust durch einen Stop-Loss-Order sofort zu begrenzen ist und kein Stop-Winning-Order für die Gewinner einzusetzen ist, dann sollte PGR kleiner als PLR sein. Faustregel im Handel: Vgl. Lefevre (1997) S. 189-207; 386 Aus steuerlichen Gründen wird der Verkauf der Verliereraktien am Jahresende bevorzugt. 387 These tests count each sale for a gain, sale for a loss, paper gain on the day of a sale, and paper loss on the day of a sale as separate independent observations. These observations are aggregated across investors. The selling price for each stock sold is compared to its average purchase price to determine whether that stock is sold for a gain or a loss. The table compares the aggregate Proportion of Gains Realized (PGR) to the aggregate Pro-portion of Losses Realized (PLR), where PGR is the number of realized gains divided by the number of realized gains plus the number of paper (unrealized) gains, and PLR is the number of realized losses divided by the num-ber of realized losses plus the number of paper (unrealized) losses. Realized gains, paper gains, losses, paper losses are aggregated over time (1987-1993) and across all accounts in the dataset. The t-statistics test the null hypotheses that the differences in proportions are equal to zero assuming that all realized gains, paper gains, realized losses, and paper losses result from independent decisions. Vgl. Odean (1998) Table I;

Empirische Überprüfbarkeit

192

Tabelle 14: Der Unterschied bei der Realisierung der Gewinner- und Verliereraktien

PLR vs. PGR (1987-1993)

Das ganze Jahr Januar-November Dezember

PLR 0.098 0.094 0.128

PGR 0.148 0.152 0.108

Differenz in Proportion -0.05 -0.058 0.020

t-Statistik -35 -38 4.3

Quelle: Odean (1998) Table I;

Das Verhältnis von PGR und PLR über das ganze Jahr - PGR/PLR - beträgt ca. 1.5 und deutet

darauf hin, dass die Realisierungsrate der Gewinne 50% höher als die Realisierungsrate der

Verluste ist. Die Differenz zwischen PGR und PLR ist statistisch hoch signifikant. Es lässt

sich beobachten, dass der Investor beim Verkauf die Gewinneraktien tatsächlich systematisch

bevorzugt und dass die Gewinne des Investments deswegen schneller als die Verluste reali-

siert werden. Dieses Contrarian Behavior ändert sich jedoch im Dezember, wo die Realisie-

rungsrate der Verluste höher ist, was darauf hindeutet, dass der Investor im Dezember Tax-

Loss-Selling durchführt.

Das Contrarian Behavior im Hinblick auf die Realisierung der Gewinne und Verluste ist nicht

zwingend auf behaviorale Ursachen wie verzerrte Wahrnehmung der Randombewegung in

Form von falschem Glauben an Mean Reversion zurückzuführen. Rationale Gründe wie Re-

balance oder Transaktionskosten können dafür verantwortlich sein, dass Gewinne schneller

realisiert werden. Beispielsweise kann es durchaus sein, dass die Gewinneraktien überpropor-

tional häufig rebalanciert werden, und in diesem Fall reflektiert die höhere PGR primär die

höhere Rate der Umschichtung der Gewinneraktien. Dieser Fall kann kontrolliert werden,

wenn davon ausgegangen wird, dass der Investor, welcher sein Portfolio rebalancieren wollte,

nur einen Anteil seiner Gewinneraktien verkauft, nicht jedoch die gesamte Position. „A sale

of the entire holding of a stock is most likely not motivated by the desire to rebelance.”388

Somit werden beim Kontrolltest PGR und PLR nur auf Basis der Transaktionen berechnet, bei

denen die gesamte Position einer bestimmten Aktie verkauft wird. Bei diesem neuen Test, bei

dem die möglicherweise durch Rebalance motivierten Transaktionen ausgeklammert sind,

lässt sich jedoch dasselbe Pattern beobachten, nämlich dass PGR > PLR gilt, mit PGR=0.233,

388 Vgl. Odean (1998) S.1786;

Empirische Überprüfbarkeit

193

PLR=0.155 und PLR-PGR=-0.078 (t-Statistik:-32).389 Somit ist die höhere PGR - die Präfe-

renz des Verkaufs der Gewinneraktien - allein durch Rebalance nicht erklärbar.

Es kann sein, dass der Verkauf der Verliereraktien mit höheren Transaktionskosten verbunden

ist, weil der Preis der Verlierer tendenziell niedrig ist, so dass deren Transaktionskosten rela-

tiv hoch sind. Aus diesem Grund kann die Realisierungsrate der Verluste relativ niedrig sein,

so dass der Eindruck erweckt wird, dass der Investor den Verkauf der Gewinner bevorzugt.

Zur Überprüfung dieser Möglichkeit können die Aktien nach deren Preisniveau in Subgrup-

pen unterteilt werden, die Gewinneraktien und die Verliereraktien mit demselben Preisniveau

sollten dieselben Transaktionskosten verursachen. Wenn die Differenz zwischen PGR und

PLR tatsächlich auf den Faktor „Transaktionskosten“ zurückzuführen ist, dann sollte beo-

bachtet werden, dass diese Differenz für die Subgruppe, wo die Transaktionskosten dieselben

sind, insignifikant von null abweicht. Die Untersuchung von Odean (1998) zeigt, dass der

Investor den Verkauf der Gewinneraktien auch in dem Fall bevorzugt, wo kein Unterschied

hinsichtlich Transaktionskosten zwischen Gewinneraktien und Verliereraktien besteht. Es

lässt sich auch in diesem Fall statistisch eine signifikante Differenz zwischen PGR und PLR

(PGR > PLR) beobachten.390 Mit anderen Worten kann diese statistisch signifikante Differenz

nicht allein durch den Faktor „Transaktionskosten“ erklärt werden.

Der hohe Wert der t-Statistik in der Untersuchung deutet auf den Fehler in der Annahme hin,

wonach die Transaktionsentscheidung unabhängig sein sollte. Zwei Investoren können in

demselben Zeitraum dieselben Aktien verkaufen, weil sie dieselben Informationen bekom-

men, und in diesem Fall sind die Transaktionen nicht unabhängig. Der Mangel an Unabhän-

gigkeit kann dazu führen, dass die Teststatistik inflationiert wird, wenn auch die beobachteten

Proportionen (PGR sowie PLR) dadurch nicht verzerrt werden. Eine Kontrollmöglichkeit hier

ist die Annahme, dass nicht auf der Transaktionsebene, aber wohl auf der Kontoebene eine

Unabhängigkeit besteht.391 Mit anderen Worten wird angenommen, dass die Proportion der

realisierten Gewinne und Verluste eines Kontos unabhängig von der Realisierung in anderen

389 Vgl. Odean (1998) Table IV, Losses and gains are counted only if a portfolio’s total position in a stock was sold that day. Paper (unrealized) gains and losses are counted only if the portfolio’s total position in another stock held in the portfolio was sold that day. Realized gains, paper gains, losses, paper losses are aggregated over time (1987-1993) and across all accounts in the dataset. The t-statistics test the null hypotheses that the differ-ences in proportions are equal to zero assuming that all realized gains, paper gains, realized losses, and paper losses result from independent decisions. 390 Vgl. Odean (1998) Table VII; 391 Vgl. Odean (1998) S. 1783ff.

Empirische Überprüfbarkeit

194

Konten ist. PGR und PLR werden dann nicht auf der Transaktionsbasis, sondern auf der Kon-

tobasis berechnet392, der t-Wert sinkt in diesem Fall, bleibt aber trotzdem sehr hoch und sollte

weiter mit Skepsis betrachtet werden.393 Der Robusttest, bei dem das Datenset sowohl in zwei

Zeitperioden (1987-1990, 1990-1993) als auch nach der Handelsaktivität (aktive Investoren,

passive Investoren) unterteilt ist, ergibt dasselbe Pattern, nämlich dass PGR > PLR gilt, mit

statistisch signifikanter Differenz.394 Kurz, das Contrarian Behavior lässt sich bei den Ver-

kaufsentscheidungen der Investoren beobachten, wie die neue aus dem Sentiment-Modell

BSV abgeleitete Prognose vorhersagt.

392 Die durchschnittliche Konto-PGR ist 0.57, die durchschnittliche Konto-PLR ist 0.36, durchschnittliche Diffe-renz (PLR-PGR) ist –0.21 mit t-Wert von –19. Vgl. Odean (1998) S. 1783; 393 Zur Kontrolle der durch den Informationsfluss herbeigeführten Abhängigkeit können alle Transaktionen, die hinsichtlich Abhängigkeit verdächtig sind, aus der Stichprobe herausgenommen werden, damit die Signifikanz auf Basis der „bereinigten“ Daten berechnet werden kann. Beispielsweise wird der Verkauf einer Aktie nur dann in der Stichprobe berücksichtigt, wenn keiner der anderen Investoren dieselbe Aktie innerhalb eines bestimmten Zeitraums (z.B. eine Woche) verkauft hat. Der Nachteil hier ist, dass der Informationsverlust zu gross ist. 394 Vgl. Odean (1998) Table II;

Empirische Überprüfbarkeit

195

6.2.1.3 Bemerkung

Der Fortschritt bei den Mikrodaten, wie das Beispiel Finnland zeigt, in dem die Transaktionen

des gesamten Markts systematisch und umfassend mit einem Deckungsgrad von 97% erfasst

sind, hat der empirischen Forschung einen neuen Horizont eröffnet. Das Markt-Behavior ist

nun nicht mehr eine unzugängliche Blackbox, im Gegenteil, das Behavior beginnt ein ernst-

haftes Forschungsobjekt zu werden.

Die Verfügbarkeit der Mikrodaten macht es möglich, mit dem früher unmöglichen Behavior-

test in den Bereich des Möglichen vorzustossen. Die Tests von Grinblatt und Keloharju

(2000) und Odean (1998) haben gezeigt, dass Möglichkeiten bestehen, das Sentiment-Modell

durch neu abgeleitete Hypothesen Out-of-Sample zu testen, und wie die neue Hypothese vor-

hersagt, lässt sich tatsächlich Contrarian Behavior in den empirischen Daten beobachten. So-

mit ist eine vorläufige Nichtfalsifikation zu bejahen. Allerdings darf dieser Befund aufgrund

der Grösse der Stichprobe und der Länge des Beobachtungszeitraums nicht überschätzt wer-

den, und es handelt sich dabei nur um einen ersten Einblick in den Bereich des Behaviors des

Investors. Wichtig ist, dass der Out-of-Sample Test nur dem Zweck der Falsifikation dient

und keine Aussagekraft hinsichtlich einer Verifikation besitzt. Neben Sentiment können viele

andere Faktoren für die Existenz des Contrarian Behavior verantwortlich sein. Es ist nur der

erste Schritt, und mit weiteren Fortschritten bei den Mikrodaten und bei den Methoden der

Mikroökonometrie ist mit einer Vertiefung der Kenntnisse über das individuelle Verhalten des

Investors zu rechnen.

Den Untersuchungen zufolge zeigen die Haushaltinvestoren nicht nur Contrarian Behavior,

sondern sie haben im Vergleich zu anderen Investorengruppen oder dem Benchmark eine

statistisch signifikant schlechtere Performance.395 Die statistisch signifikante Differenz in der

Performance sowie die Persistenz dieser Differenz deuten darauf hin, dass die verschiedenen

Investorengruppen nicht mit quasi gleicher Rationalität im Markt agieren und die Marktdis-

ziplin nicht zwingend den Ausschluss der behavioralen Elemente in der Investmententschei-

dung impliziert.

Die Out-of-Sample Tests überprüfen nicht nur die durch das Sentiment-Modell abgeleitete

neue Hypothese, sondern zeigen auch die Grenze des Sentiment-Modells auf: Die verzerrte

395 Vgl. Grinblatt und Keloharju (2000) Table 5; Odean (1998) Table VI;

Empirische Überprüfbarkeit

196

Wahrnehmung ist nicht eine konstante Eigenschaft des Menschen, sie sinkt mit der Erhöhung

der Professionalität, bei nicht-professionellen Investoren wie Haushaltinvestoren ist die Ver-

zerrung am grössten. Dagegen ist die Wahrnehmung durch Experten weitgehend verzerrungs-

frei. Somit ist der Erklärungsgehalt des Sentiment-Modells für das Marktgeschehen besonders

gross, wenn nicht-professionelle Investoren dabei eine wichtige Rolle spielen. Die durch-

schnittliche Wahrnehmung kann durchaus verzerrt sein, wenn eine wichtige Investorengruppe

(Masseninvestoren) unter der Verzerrung leidet, wenn die Fachexperten in der Minderheit

sind und die Marktdisziplin nur in beschränktem Umfang wirksam ist, so dass die Korrektur

der Verzerrungen nicht in vollem Umfang erfolgen kann, wie im Falle des zeitweisen Herden-

triebs bei den Nasdaq-Titeln. In diesem Fall kann das Sentiment-Modell wertvolle Informati-

onen liefern, ob der Markt überreagiert. Eine Anwendung des Modells setzt jedoch die direkte

Testbarkeit voraus, damit die Parameter ermittelt werden können. An dieser Stelle wird somit

zum nächsten Thema übergegangen, nämlich ob eine direkte Überprüfung möglich ist.

Empirische Überprüfbarkeit

197

6.2.2 Möglichkeit der direkten Überprüfung

6.2.2.1 Ausgangspunkt

Dem BSV-Ansatz zufolge erfüllen die Wertpapierpreise folgende Gleichung, sofern der In-

vestor annimmt, dass die Gewinnänderung durch das Regime-Switching-Modell bestimmt

wird:

)( 21 ttt

t qppyr

NP −+=

oder: tt bXaY +=

mit r

NPY ttt −= ; 1pya t= ; 2pyb t−= ; tt qX = ;

wobei p1 und p2 Konstanten darstellen, die von der Wahrscheinlichkeitsschätzung des Inves-

tors bezüglich Regime (Reversion oder Trend) und dessen Wechsel (πL, πH, λ1 und λ2) abhän-

gen. Pt ist der Wertpapierpreis zum Zeitpunkt t, Nt ist der Gewinn, und Nt/r reflektiert den

inneren Wert des Wertpapiers in t, yt bezeichnet die Gewinnveränderung, d.h., yt = Nt - Nt-1.

Beobachtbar sind Pt , Nt/r sowie yt. Unbeobachtbar dagegen ist qt, die Erwartung des Investors

bzw. der Glaube, dass der Renditeprozess dem Gesetz der Mean Reversion folgt. Das Modell

ist nur dann testbar, wenn ein gutes Proxy für das Sentiment des Investors (qt) gefunden wer-

den kann.

6.2.2.2 Proxy für Sentiment

Durch qt wird die Erwartung des Investors, dass das Regime „Mean Reversion“ herrscht, zum

Ausdruck gebracht. Je grösser qt ist, desto eher erwartet der Investor, dass eine Verschiebung

der Rendite unwahrscheinlich ist, sei es nach oben oder nach unten. Mit anderen Worten re-

flektiert ein grosser q-Wert die Erwartung in Richtung Stabilität. Im Falle, wo qt in der Nähe

von 1 liegt, geht der Investor davon aus, dass der Markt perfekt statisch ist und alles beim

Alten bleibt. Eine Verschiebung der Rendite ist somit auszuschliessen, in diesem Fall ist die

Hausse- bzw. Baissestimmung minimal. Umgekehrt sollte der q-Wert in der Nähe von null

sein, wenn der Investor erwartet, dass der Trend nach oben oder unten nicht zu bremsen ist,

und in einem solchen Fall ist das Sentiment (Hausse- bzw. Baissestimmung) stark ausgeprägt.

Empirische Überprüfbarkeit

198

Kurz vor bzw. in der Anfangszeit eines Herdentriebs oder eines Börsencrashs, wo das Senti-

ment stark ausgeprägt ist, sollte der q-Wert sehr klein sein.

Das Sentiment im BSV-Modell, die Erwartung in Richtung Mean Reversion oder Trend, kann

somit als eine Stabilitätserwartung verstanden werden. Entweder erwartet der Investor, dass

der Markt stabil und demzufolge die Verschiebung der Rendite unwahrscheinlich ist, und in

diesem Fall ist q gross (keine Nervosität und schwach ausgeprägte Hausse- bzw. Baissestim-

mung), oder er erwartet, dass der Markt instabil und die Wahrscheinlichkeit des Primary

Trends396 (Bull oder Bear) dementsprechend gross ist, und in diesem Fall ist q klein (Nervosi-

tät und stark ausgeprägte Hausse- bzw. Baissestimmung).

Ein gutes Proxy für das Sentiment des Investors lässt sich schwer finden, zumal die Entschei-

dung des Investors nie allein auf Sentiment zurückgeführt werden kann und das Beobachtbare

deswegen stets eine Mischung von Sentiments, rationalem Kalkül und anderen Faktoren dar-

stellt, falls Sentiment tatsächlich die Entscheidung beeinflusst. Die vom Autor dieser Arbeit

vorgeschlagenen Proxys sind somit alle mit Schwächen verbunden.

I) Modifizierte Bull-Bear-Ratio als Proxy Der erste Kandidat als Proxy ist die modifizierte Bull-Bear-Ratio:

qBearBullBearBull

ZahlZahl

ZahlZahl ≅+−−1

396 Nach der Dow-Theorie gibt es 3 Trends: Primary Trends, Secondary Trends sowie Minor Trends. Die Prima-ry Trends sind die allgemeinen, breiten Auf- und Abwärtsbewegungen, die gewöhnlich mehr als ein Jahr anhal-ten, aber auch mehrere Jahre dauern können. Ist der Primary Trend aufwärts gerichtet, dann ist von Bull-Markt die Rede. Dagegen ist ein Bear-Markt durch den nach unten gerichteten Primary Trend gekennzeichnet. Die Secundary Trends sind jene bedeutsamen Reaktionen, die den Fortschritt der Kurse in Richtung Primary Trend unterbrechen. Sie sind zwischenzeitliche Kursrückgänge oder Korrekturen, die während des Bull-Marktes eintre-ten, und zwischenzeitlichen Rallies oder Erholungen, die den Bear-Markt unterbrechen. In der Regel dauern sie von drei Wochen bis zu drei Monaten, selten länger. Normalerweise machen sie ein Drittel bis zu zwei Drittel der Kursgewinne (bzw. Verluste), die vorhergehende Swing des Primary Trends gebracht hat, rückgängig. Die Minor Trends sind kurze Fluktuationen, Tagesfluktuationen. Der Minor Trend ist der einzige von den drei Trendarten, die vielleicht überhaupt manipuliert werden können. Vgl. Edwards und Magee (1988) S.15-17;

Empirische Überprüfbarkeit

199

Wenn der Markt im Durchschnitt keine Veränderungen erwartet und weder die Hausse- noch

die Baissestimmung dominierend ist,397 dann sollte beobachtet werden, dass die Anzahl der

Bull-Investoren ähnlich wie die Anzahl der Bear-Investoren ist, in diesem Fall nähert sich q

seinem grössten Wert 1. Umgekehrt sollte die Anzahldifferenz zwischen Bull- und Bear-

Investoren gross sein, falls der Markt im Durchschnitt grosse Veränderungen (Trend nach

oben oder unten) erwartet und die Hausse- bzw. die Baissestimmung dominierend ist. Im ex-

tremen Fall, wo die Bull-Investoren (oder Bear-Investoren) absolut dominieren, tendiert q

Richtung kleinster Wert 0.

Die Frage ist, wie man wissen kann, wieviele Investoren „bullish“ und wieviele „bearish“

sind. Hier stösst man auf Datenprobleme. Es gibt jedoch Firmen, welche erste Arbeiten in

diesem Bereich geleistet haben, wie beispielsweise die Firma „Chartcraft“.398 Seit 1963 sam-

melt Chartcraft systematisch die Vorhersagen über die Akienmarktentwicklungen, klassifi-

ziert die Verfasser der Vorhersagen in zwei Gruppen: Bullish und bearish,399 und die Summa-

ry-Data werden dann in der Publikation „Investor Intelligence“ veröffentlicht. Zur Messung

des Optimismus des Markts wird der „Bullish Sentiment Index“ 400 berechnet, der wie folgt

definiert ist:

ZahlZahl

Zahl

BearBullBull

+

Der Index ist jedoch ein Sentiment-Index des Newsletter-Writers (Verfasser der entsprechen-

den Studien). Ob er repräsentativ für das Sentiment der durchschnittlichen Investoren ist, ist

fraglich. Das Argument dafür ist: Der durchschnittliche (naive) Investor ist selber fachlich

nicht in der Lage, den Trend des Aktienmarktes vorherzusehen, und somit schliesst er sich in

diesem Bereich in den meisten Fällen der Meinung des Newsletter-Writers (Analysten) an.

Mit anderen Worten kann der Index als approximativ repräsentativ betrachtet werden, falls die

Medien in diesem Bereich die Rolle des Meinungsmachers spielen. In diesem Fall können die

Verhältnisse zwischen Bull- und Bear-Vorhersagen als Proxy für die Verhältnisse zwischen

Bull- und Bear-Investoren betrachtet werden.

397 D.h., im Durchschnitt sentimentfrei. 398 Vgl. http://www.chartcraft.com 399 Diejenigen, die langfristig gesehen bullish sind, aber kurzfristig eine Korrektur erwarten und somit bearish sind, werden auch „chickens“ genannt. 400 In ihrer Untersuchung über die Relation zwischen Bull-Vorhersagen in den Medien und Preisbewegungen des Aktienmarktes haben Clarke und Statman (1998) beispielsweise festgestellt, dass eine Erhöhung des S&P 500 Indexes um 1% zu einer Erhöhung der Bull-Vorhersagen um 1.23% führt. Vgl. Shefrin (2000) S. 67.

Empirische Überprüfbarkeit

200

Es besteht auch die Möglichkeit, die Anzahl der Bull- und Bear-Investoren mit Hilfe der In-

formationen über das Handelsvolumen festzustellen, denn der Umsatz geht mit dem Trend. Es

ist ein Ausdruck der allgemeinen Wahrheit, dass der Umsatz tendenziell steigt, wenn die Kur-

se sich in Richtung des vorherrschenden Primary Trends bewegen. So steigt in einem Bull-

Markt der Umsatz, wenn die Kurse steigen, und nimmt ab, wenn die Kurse fallen. Im Bear-

Markt steigt der Umsatz, wenn die Kurse fallen, und in einem Rally trocknet das Volumen

aus. In geringerem Umfang gilt das auch für Secondary Trends.401 Mit anderen Worten sollte

beobachtet werden, dass das Handelsvolumen deutlich niedriger ist, wenn die Hausse- bzw.

die Baissestimmung schwach ausgeprägt ist und der q-Wert gross ist. Dagegen sollte das

Handelsvolumen deutlich höher sein, falls eine Haussestimmung (oder eine Baissestimmung)

dominiert. Somit kann aus den Informationen über die Handelsvolumen ein Rückschluss auf

das Sentiment gezogen werden. Der Investor kann beispielsweise als bullish betrachtet wer-

den, wenn dessen Kaufvolumen grösser als sein Mean-Kaufvolumen ist. Dagegen kann der

Investor als bearish angesehen werden, wenn dessen Verkaufsvolumen grösser als sein Mean-

Verkaufsvolumen ist. Auf dieser Basis kann die Bull-Anzahl und Bear-Anzahl aggregiert

werden, damit q berechnet werden kann.

II) Modifizierte Put-Call-Ratio als Proxy

Der zweite Kandidat als Proxy ist die modifizierte Put-Call-Ratio.402 Die Veränderung der

Verhältnisse zwischen Calls und Puts reflektiert die Veränderung der durchschnittlichen

Markterwartung über die Richtung der zukünftigen Preisbewegungen, und sie ist beobachtbar.

Es stellt sich aber die Frage, ob diese Grösse auch das Sentiment reflektiert.

Falls alle Informationen, auch die unterschiedlichen zukünftigen Erwartungen, schon in den

aktuellen Preisen enthalten sind und die Preisbewegung dem Randomwalk folgt, dann sollte

die Wahrscheinlichkeit einer zukünftigen Aufwärtsbewegung nicht systematisch von der

Wahrscheinlichkeit einer zukünftigen Abwärtsbewegung abweichen, somit sollte vom ratio-

401 Vgl. Edwards und Magee (1988) S.20-21; 402 Der Strikepreis der Option ist der aktuelle Marktpreis. Es werden nur Long-Calls sowie Long-Puts berück-sichtigt, weil der Haushaltinvestor, dessen Wahrnehmung am meisten verzerrt ist, im Allgemeinen nicht in Opti-onen short gehen kann. Aus dieser Sicht ist die Short-Position (Call oder Put) nicht repräsentativ für Sentiment des Investors.

Empirische Überprüfbarkeit

201

nalen Standpunkt aus keine systematische persistente Differenz zwischen Calls und Puts be-

stehen, d.h., die Preisveränderung ist unvorhersehbar. Die in der Praxis beobachtete Differenz

zwischen Puts und Calls deutet darauf hin, dass die Unvorhersehbarkeit der Preisveränderung

nicht zwingend den Ausgangspunkt der Überlegung des Investors bildet, und dass diese Grös-

se auch die Informationen über die weichen Faktoren wie das Sentiment (Hausse- bzw.

Baissestimmung) enthalten kann, wenn auch die weichen Faktoren nicht allein für deren Ver-

änderungen verantwortlich sind. Beispielsweise verändert sich die Anzahldifferenz zugunsten

der Puts, als die Angst vor einer massiven Korrektur durch die diversen Gewinnwarnungen im

Herbst 2000 aktiviert wurde und die Baissestimmung stark zunahm. Am Aktienmarkt sind

auch Hoffnung und Angst am Werk, und die modifizierte Put-Call-Ratio könnte eine Mög-

lichkeit sein, annäherungsweise das Sentiment zu beobachten:

qPutCallPutCall

ZahlZahl

ZahlZahl ≅+−−1

Falls die durchschnittliche Meinung im Markt davon ausgeht, dass Primary sowie Secondary

Trends ausbleiben und somit weder eine Hausse- noch Baissephase kommt, dann sollte beo-

bachtet werden, dass die Anzahl-Differenz zwischen Long-Calls und Long-Puts sehr klein ist.

In diesem Fall liegt q in der Nähe seines höchsten Werts 1, d.h., der Markt ist sentimentfrei.

Wenn die durchschnittliche Marktmeinung durch die Erwartung auf einen Bull-Markt geprägt

ist und diese Erwartung auch in der Investmententscheidung umgesetzt wird, dann überwie-

gen logischerweise Long-Calls, und in diesem Fall hat q einen kleinen Wert. Je kleiner q ist,

desto mehr erwartet der Marktteilnehmer, dass ein Trend nach oben (oder unten) vorherrscht,

d.h., desto stärker ist die Haussestimmung (oder Baissestimmung).

III) Veränderung des Diskontfaktors als Proxy

Der dritte Kandidat für ein Proxy basiert auf der Annahme, dass die Schwankung in der Dis-

kontrate der Closed-End-Funds auch die Schwankung des Sentiments des Investors reflektiert.

Das abnormale Preisverhalten in Closed-End-Funds403 deutet darauf hin, dass die Diskontrate

mit dem Sentiment des Investors nicht unkorreliert ist, weil die Veränderung beim Diskont

403 Die Fundsanteile von Closed-End-Funds werden zu einem Preis gehandelt, der vom Marktpreis der Wertpa-piere im Portfolio verschieden ist, und im Allgemeinen ist der Preis deutlich niedriger als dessen Net-Asset-Value. Im US-Markt ist eine Diskontrate zwischen 10% - 20% die Norm. Vgl. Lee, Thaler and Shleifer (1991) S.75;

Empirische Überprüfbarkeit

202

der Closed-End-Funds404 nicht allein durch rationale Argumente (wie Agentkosten, Illiquidi-

tät der Assets, Steuer- sowie Risikoüberlegung) erklärt werden kann.405 Lee, Shleifer und

Thaler (1991) haben in ihrer Untersuchung eine negative Korrelation zwischen Marktrendite

und Veränderung des Diskonts der Closed-End-Funds festgestellt,406 und nach ihrer Interpre-

tation reflektiert die Veränderung des Diskonts der Closed-End-Funds die Veränderung des

Sentiments: Der Diskont vergrössert sich, wenn der Investor pessimistisch über die zukünftige

Rendite ist. Dagegen wird der Diskont kleiner, falls der Investor optimistisch ist.407 Demzu-

folge kann die Veränderung des Diskonts der Closed-End-Funds als Proxy für die Verände-

rung des Sentiments des Investors eingesetzt werden:

qa

dd≅

−−

ˆ1

wobei d den Diskont der Closed-End-Funds (in Prozent) und d̂ den Mittelwert des Diskonts

bezeichnet, während a als Konstante die absolute maximale Abweichung im Beobachtungs-

zeitraum darstellt, nämlich dda ˆmax −= . Beispielsweise ist zum Zeitpunkt t der Diskont der

Closed-End-Funds (d) 20%, der Mittelwert des Diskonts ( d̂ ) beträgt 15%, und die maximale

Abweichung im Beobachtungszeitraum (a) ist 15%, dann hat q zum Zeitpunkt t einen Wert

von 0.67. D.h., der Investor erwartet zum Zeitpunkt t mit 67% Sicherheit, dass ein Trend nach

oben oder unten ausbleiben wird. Wenn der Investor weder optimistisch noch pessimistisch

über die zukünftige Rendite ist und keine Erwartung über neuen Trend bildet, dann sollte der

Diskont d in der Nähe von seinem Mittelwert d̂ sein ( 0ˆ ≈− dd ), in diesem Fall nähert sich

q seinem grössten Wert 1. D.h., der Investor erwartet mit Sicherheit, dass der Markt unverän-

dert bleibt und ein Up wird sicher von einem Down gefolgt (Glaube an Reversion). Umge-

kehrt liegt q in der Nähe seines kleinsten Werts 0, falls der Investor sehr optimistisch (Glaube

an Bull-Markt) oder sehr pessimistisch (Glaube an Bear-Markt) ist und sich der Diskont d

404 Closed-end fund puzzle: 1) The average closed-end fund is initially priced at a premium of 10 percent; 2) Within 120 days of being brought out, the average fund is trading at a discount of 10 percent; 3) The magnitude of the discount is not stable, it varies through time; 4) When a closed-end fund is either liquidated or converted into an open-end fun, the share price tends to rise and the discount tends to shrink. Vgl. Shefrin (2000) S.179; 405 Vgl. Lee, Thaler and Shleifer (1991) S.78-80; 406 Vgl. Lee, Thaler and Shleifer (1991) Table IV-VIII; 407 Vgl. Lee, Thaler and Shleifer (1991) S. 106; „The percentage discount is computed as (NAV-SP)/NAV*100, where NAV is the per share net asset value and SP is the share price of the fund. The mean (median) of the per-centage discount or premium is 14.43 (15.0). The maximum (minimum) value is 25.0 (-2.5) and the standard deviation is 8.56. Discounts are expressed in terms of percentage of NAV. Positive discounts reflect stock prices which are below NAV.“ Vgl. Lee, Thaler and Shleifer (1991) Table I;

Empirische Überprüfbarkeit

203

dementsprechend seinem historisch höchsten Niveau nähert ( add ≈− ˆ ). In diesem Fall er-

wartet der Investor mit Sicherheit, dass ein Trend eintreten wird (Glaube an Trend).

In vielen Teilmärkten ist das Marktsegment Closed-End-Funds aufgrund dessen Grösse für

die Repräsentation des Sentiments des Investors jedoch nicht reif, so dass eine andere Lösung

notwendig ist. Falls der Diskont der Closed-End-Funds tatsächlich auch das Sentiment des

Investors reflektiert, warum sollte dann anderer Diskont frei von Sentiment sein? Wenn dies

nicht der Fall ist, dann sollte die Diskontinformation im Allgemeinen auch gleichzeitig Infor-

mationen über das Sentiment des Investors enthalten: Eine Erhöhung des Diskonts reflektiert

somit nicht nur die Veränderungen der harten Faktoren, sondern auch gleichzeitig die Zunah-

me des Pessimismus im Sentiment des Investors.408 Ausgehend von dieser Überlegung kann

die Veränderung des Diskonts im Kapitalmarkt annäherungsweise als Proxy für die Verände-

rung des Sentiments angewandt werden:

qa

dd KS ≅−

−1

wobei dS der stochastische Diskont und dK der konstante Diskont darstellen. Der absolute

Wert der maximalen Abweichung zwischen dS und dK wird durch a dargestellt. Unter idealen

Annahmen ist der Diskontsatz, der risikolose Zinssatz, konstant, in der Praxis schwankt er

jedoch. Mit Schätzmethoden wie GMM von Hansen (1982), „generalized method of mo-

ment“, kann der stochastische Diskontfaktor (SDF) geschätzt werden, damit die Schwankung

des Diskonts, (dS - dK), quantifiziert werden kann.409 Aus dieser Schwankung kann dann auch

die Information über die Veränderung des Sentiments gewonnen werden. Dementsprechend

sollte die Differenz zwischen dS und dK gross, und q somit klein sein, wenn die Investoren

besonders emotionsgeladen sind, entweder sehr optimistisch oder sehr pessimistisch. Auf die-

ser Weise ist es möglich, annäherungsweise ein Barometer über das Sentiment des Investors

zu konstruieren.

408 Die Risikoaversion im Finanzmarkt ist nicht konstant. Aus einer behavioralen Perspektive reflektiert die Ver-änderung der Risikoaversion auch die Änderung des Sentiments. In einem unsicheren Zustand mit einem pessi-mistischen Sentiment (wie im Falle des Platzens der Tech-Blase) ist die Risikoaversion entsprechend hoch. 409 Vgl. Dahlquist und Söderling (1998);

Empirische Überprüfbarkeit

204

6.2.2.3 Regressionsanalyse

Das Ziel dieses Abschnitts besteht darin, die Frage zu diskutieren, ob eine Möglichkeit be-

steht, das Sentiment-Modell direkt zu testen. Der Ausgangspunkt ist die umformulierte BSV-

Proposition:

tt bXaY +=

mit r

NPY ttt −= ; 1pya t= ; 2pyb t−= ; tt qX = ;

Beobachtbar ist Yt, unbeobachtbar dagegen ist Xt, das Sentiment des Investors. Das Modell ist

nur dann testbar, wenn ein gutes Proxy für das Sentiment des Investors Xt, qt, gefunden wer-

den kann.

Zum Zweck des Tests wird der Schwerpunkt auf die Suche nach Proxys gelegt, um das Prob-

lem der Unbeobachtbarkeit zu relativieren. Schon seit langem betrachtet man in der Praxis die

Bull-Bear-Ratio, die Put-Call-Ratio und die Diskontrate der Closed-End-Funds als Barometer

für Sentiment, und diverse Sentimentindices werden deswegen auf dieser Basis aufgebaut.

Somit werden diese Grössen als Bausteine zum Aufbau des Proxys verwendet, um annähe-

rungsweise das durch BSV definierte Sentiment abbilden zu können.

Nachdem das Sentiment des Investors mit Hilfe der Proxys annäherungsweise als beobachtbar

betrachtet werden kann, ist der Weg frei für einen direkten Test. Durch eine Regressionsana-

lyse, wo (Pt - Nt/r) den Regressanden und qt den Regressor bilden, kann überprüft werden, ob

die durch BSV postulierte Relation zwischen Sentiment und Abweichung des Preises von

seinem inneren Wert tatsächlich existiert. Im Falle von ungenügender statistischer Testsigni-

fikanz kann die Hypothese von BSV direkt empirisch verworfen werden. Ein direkter Test des

Sentiment-Modells BSV ist somit nicht unmöglich.

Schlussbemerkung

205

Schlussbemerkung In den letzten Jahren ist die Theorie des Behavioral Finance immer mehr ins Blickfeld ge-

rückt. Die Reaktionen darauf fallen unterschiedlich aus. Nicht selten stösst die Behavioral

Finance auf Ablehnung, weil die weichen Faktoren der Marktteilnehmer – ihr Behavior – mit

einer wissenschaftlichen Unsicherheit assoziiert sind. Aus Überlegungen der wissenschaftli-

chen Sicherheit hat sich die vorliegende Arbeit mit einer einzigen Forschungsfrage auseinan-

dergesetzt: Ist die Behavioral Finance eine Pseudowissenschaft? Das Ziel dieser Arbeit liegt

darin, zur Anerkennung der Behavioral Finance als Wissenschaft beizutragen.

Zur Beantwortung der Forschungsfrage wird diese aus verschiedenen Perspektiven – theoreti-

scher, methodologischer und empirischer – beleuchtet. Aus der theoretischen Sicht ist die

Frage der Marktdisziplin im Hinblick auf die Notwendigkeit der Behavioral Finance eine

zentrale Frage. Es ist unumstritten, dass sich der Mensch nur begrenzt rational verhält. Kon-

trovers ist, inwiefern diese begrenzte Rationalität für die Finanzmärkte relevant ist. Die seit

Jahrzehnten gepredigte Fundamentanalyse geht davon aus, dass der Finanzmarkt über eine

starke Marktdisziplin verfügt und dass der Finanzmarkt folglich frei von behavioralen Verzer-

rungen sein sollte. Ob diese Hypothese gilt, ist Gegenstand zahlreicher empirischer Untersu-

chungen seit Jahrzehnten, und aufgrund der bekannten Problemen in der empirischen Unter-

suchung bleibt diese Frage stets unbeantwortet. Zur Beantwortung dieser Frage hat die vorlie-

gende Arbeit zuerst die empirischen Fakten hinsichtlich Marktdisziplin vorgebracht und dann

die Marktdisziplin fokussiert behandelt, indem die Entscheidungsunsicherheit, die Risiken

bzw. die Restriktionen bei der Fehlerkorrektur – die Ausübung der Marktdisziplin – diskutiert

werden. Aus der Auseinandersetzung geht hervor, dass die normative Annahme über eine

strenge Marktdisziplin auf der deskriptiven Ebene nicht zutrifft und, dass die Marktdisziplin

in der Tat schwach und damit nicht hinreichend für die Ausschaltung der behavioralen Beein-

flussungen ist. Zunächst wird die theoretische Fundierung für die Berücksichtigung des Beha-

viors in der Finanzmarkttheorie untermauert, um dann in einem zweiten Schritt die theoreti-

schen Grundlagen der Behavioral Finance zu behandeln. Diese zeigen auf, dass es sich bei der

Behavioral Finance um ein theoretisch fundiertes Aussagesystem handelt.

Die Behavioral Finance als Pseudowissenschaft zu klassieren ist eine harte Kritik. Eine sach-

liche Diskussion über die Behavioral Finance setzt eine solide methodologische Grundlage

voraus, und somit wird zur Beantwortung der Forschungsfrage die methodologische Perspek-

Schlussbemerkung

206

tive behandelt. In diesem Kontext ist vor allem die Frage der Transzendenz zentral. In einer

ausführlichen Diskussion über diese Thematik wird aufgezeigt, dass erstens die Anforderung,

wonach alle Bausteine einer Erfahrungswissenschaft transzendentfrei sein müssen, eine sehr

extreme Position vertritt, zumal die meisten Erfahrungswissenschaften auch mit transzenden-

ten Begriffen arbeiten, und dass zweitens die Transzendenz nicht in einem ausschliessenden

Verhältnis zum Erkenntnisgewinn steht. Es wird gezeigt, dass die transzendenten Begriffe

keine Pseudowissenschaft implizieren. Darüber hinaus wird dann anhand Falsifizierbarkeits-

kriterien auf die Frage nach Möglichkeiten zur Falsifizierung eingegangen. In Bezug auf die

empirische Überprüfbarkeit hört die Diskussion nicht auf einer allgemeinen methodologi-

schen Ebene auf, sondern setzt schwerpunktmässig mit der Frage fort, ob es konkrete Metho-

den gibt, die behavioralen Modelle Out-of-Sample zu testen. Die Verfügbarkeit konkreter

Möglichkeiten empirischer Überprüfungen der behavioralen Modelle impliziert das Verwer-

fen der Hypothese, wonach die behavioralen Modelle empirisch unüberprüfbar sind und folg-

lich pseudowissenschaftlichen Charakter haben.

Im Hinblick auf die Beantwortung der Forschungsfrage ist die beste Argumentation die auf

den empirischen Fakten basierende. Deshalb hat die vorliegende Arbeit grosses Gewicht auf

das Vorlegen empirischer Evidenz gelegt. Sowohl die theoretische Fundierung als auch die

empirische Überprüfbarkeit der Behavioral Finance wird durch zahlreiche Fakten untermau-

ert. Die empirischen Fakten sprechen eindeutig dafür, dass die Behavioral Finance eine Berei-

cherung für die Finanzmarkttheorie ist.

Die Behavioral Finance ist ein neuer, oft hart kritisierter Ansatz. Die vorliegende Arbeit hat

mit eigenem Beitrag – die systematische Behandlung der Frage der Marktdisziplin bzw. der

Frage der empirischen Überprüfbarkeit – aufgezeigt, dass die Kritik gegen diesen neuen An-

satz nicht gestützt werden kann. Die etablierte Theorie muss die empirische Evidenz erklären

können, ansonsten verliert sie ihre Rechtfertigung. Selbstverständlich führt das Postulieren

eines neuen Paradigmas zu Spannungen mit dem Bestehenden, denn im Alten steckt oft die

Identifikation. Es verlangt einen freien Geist in freier Umgebung, um die Behavioral Finance

akzeptieren zu können. Aber das braucht Zeit. Das angestrebte Ziel dieser Arbeit ist dann er-

reicht, wenn sie zur Akzeptanz der Behavioral Finance beitragen kann.

Literaturverzeichnis

207

Literaturverzeichnis

Abarbanell, J. S., and B. J. Bushee (1997): “Abnormal Returns to a Fundamental Strategy,”

Working paper, Harvard Business School.

Admati, A., and P. Pfleiderer (1988) “A Theory of Intraday Patterns: Volume and Price

Variability,” Review of Financial Studies, 1, 3-40.

Ahlers, D., and J. Lakonishok (1983): “A study of economists' consensus forecasts,” Man-

agement Science 29, 1113-1125.

Alonso, A and G. Rubio (1990):”Overreaction in the spanish equity market”, Journal of Banking and Finance, 14: 469-481. Alpert, M., and H. Raiffa (1982): "A Progress Report on the Training of Probability Asses-

sors," in Judgement under Uncertainty: Heuristics and Biases, ed. by D. Kahneman, P. Slovic,

and A. Tversky. Cambridge University Press, Cambridge.

Andersson, G. (1998): “Basisprobleme” in Keuth, H. (1998): “Logik der Forschung” Berlin, Akad. Verl. S.145-164. Asness, C. S. (1995): “The power of past stock returns to explain future stock returns,” Work-

ing paper, University of Chicago.

Ball, Ray, S. P. Kothari and Jay Shanken (1995): “Problems in measuring portfolio per-

formance: An application to contrarian investment strategies,” Journal of Financial Econom-

ics 38, 79-107.

Banerjee, A. (1992): “A simple model of herd behavior,” Quarterly Journal of Economics,

107, 797-817 .

Banz, R. W. (1981): "The Relationship between Return and the Market Value of Common

Stocks," Journal of Financial and Quantitative Analysis, 14, 421-441.

Barber, B. and T. Odean (1999 a): “Online Investors: Do the Slow Die First?” Working Paper, University of California;

Literaturverzeichnis

208

Barber, B. and T. Odean (1999 b): “Boys will be Boys: Gender, Overconfidence, and Common Stock Investment” Working Paper, University of California; Barber, B. and T. Odean (2000):”Trading is Hazardous to Your Wealth: The Common Stock Investment Performance of Individual Investors”, Journal of Finance, 55, 2, Barberis, N. (1999): “Investing for the Long Run when Return are Predictable,” Working

Paper, Graduate School of Business, University of Chicago.

Barberis, N., A. Shleifer, and R. Vishny (1998) "A Model of Investor Sentiment," Journal

of Financial Economics, vol. 49, No.3, 307-343.

Barberis, N., M. Huang, and T. Santos (1999): "Prospect Theory and Asset Prices," Work-

ing paper, Graduate School of Business, University of Chicago.

Bar-Hillel, M. (1982):”Studies of representativeness”, in Kahneman, D., Slovic, P. and A. Tversky (1982): “Judgment under uncertainty: Heuristics and biases”, Cambridge University Press, Cambridge, England; 69-83; Basu, S. (1983): "The relationship between earnings yield, market value, and return for

NYSE common stocks: Further Evidence," Journal of Financial Economics, 12, 126-156.

Batchelor, R., and P. Dua (1992): “Conservatism and consensus-seeking among economic

forecasters,” Journal of Forecasting 11, 169-181.

Baumann, A., R. B. Deber, and G. Thompson (1991): “Overconfidence among physicians

and nurses: The micro-certainty, macro-uncertainty phenomenon,” Social Science & Medi-

cine 32, 167-174.

Benartzi, S., and R. H. Thaler (1995): "Myopic Loss Aversion and the Equity Premium

Puzzle," Quarterly Journal of Economics, 110, 73-92.

Benartzi, S., and R. H. Thaler (1998): " Risk Aversion or Myopia? Choices in Repeated

Gambles and Retirement Investments," Working Paper, The Anderson School at UCLA.

Literaturverzeichnis

209

Berk, J., (1995): "A Critique of Size Related Anomalies," Review of Financial Studies, 8(2),

275-286.

Bernard, V. L. (1993): “Stock Price Reactions to Earnings Announcements”, in Thaler, R. H. (1993):”Advances in Behavioral Finance”, Russell Sage Foundation, New York, 303-340. Bernard, V. L., and J. K. Thomas (1989): “Post-earnings-announcement drift: Delayed

price response or risk premium?,” Journal of Accounting Research, Supplement 27, 1-48.

Bernard, V. L., and J. K. Thomas (1990): “Evidence that stock prices do not fully reflect

the implications of current earnings for future earnings,” Journal of Accounting and Econom-

ics 13, 305-340.

Beyer, S. and E. M. Bowden (1997):”Gender differences in self-perceptions: Convergent evidence from three measures of accuracy and bias”, Personality and Social Psychology Bul-letin, 23, 157-172; Bjerring, J. H., J. Lakonishok, and T. Vermaelen (1983): “Stock prices and financial ana-

lysts' recommendations,” Journal of Finance 38, 187-204.

Black, F ., M. Jensen, and M. Scholes (1972): "The Capital Asset Pricing Model: Some

Empirical Tests," in Studies in the Theory of Capital Markets, ed. by M. Jensen. Praeger, New

York, NY, 79-121.

Black, F. (1976):”Studies of stock price volatility changes”, Proceedings the Beusness and Economic Statistics, American Statistical Association, 177-181. Black. F. (1986): “Noise,” Journal of Finance 41, 529-544.

Black. F. (1993): “Return and Beta,” Journal of Portfolio Management, vol. 20, 8-18.

Brennan, M., T. Chordia, and A. Subrahmanyam (1998): "Alternative Factor Specifica-

tions, Security Characteristics and the Cross-Section of Expected Stock Returns," Journal of

Financial Economics, 49(3), 345-373.

Literaturverzeichnis

210

Bromann, O., D. Schiereck und M. Weber (1997):”Reichtum durch antizyklische Handels-strategien am deutschen Aktienmarkt?“, Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 49, 603-616; Brown, K and W. Harlow (1988):”Market Overreaction: Magnitude and Intensity”, Journal of Portfolio Management, Winter, 6-13; Brown, S. J., and P. F. Pope (1996): “Post-earnings announcement drift?,” Working Paper,

New York University.

Brown, S. J., and W. N. Goetzmann (1995): “Performance persistence,” Journal of Finance

50, 679-698.

Brown, S. J ., and W. N. Goetzmann (1997): “Mutual fund styles,” Journal of Financial

Economics 43,373-399.

Brown, S. J., W. N. Goetzmann and S. A. Ross (1995): “Survival,” Journal of Finance 50,

853-873.

Bungard, W. und J. Schultz-Gambard (1990): “Überlegungen zum Verhalten von Börsen-akteuren aus kontrolltheoretischer Sicht,“ in Maas, P. und J. Weibler, Hrsg., „Börse und Psy-chologie: Plädoyer für eine neue Perspektive,“ Köln, Dt. Inst.-Verl., 140-161. CampbeIl, J., and A. S. Kyle (1993): "Smart Money, Noise Trading, and Stock Price Behav-

ior," Review of Economic Studies, 60(1), 1-34.

Campbell, J ., A. Lo, and A. C. MacKinlay (1997): “The Econometrics of Financial Mar-

kets,” Princeton University Press, Princeton, NJ.

Campbell, J ., J. H. Cochrane (1999): “By Force of Habit: A Consumption-based Explana-

tion of Aggregate Stock Market Behavior, ” Journal of Political Economy, 107, 205-251.

Campbell, J., and Robert Shller (1988): “Stock prices, earnings, and expected dividends,”

Journal of Finance 43, 661-676.

Campbell, J., S. J. Grossman, and J. Wang (1993): “Trading volume and serial correlation

in stock returns,” Quarterly Journal of Economics 108, 905-939.

Literaturverzeichnis

211

Carhart, M. M. (1997): "On Persistence in Mutual Fund Performance," Journal of Finance,

vol. 52. 57-82.

Carmel, J. P., and M. Young (1997): “Long horizon mean reversion in the stock market:

The postwar years,” Working Paper, University of Michigan Business School.

Chan, L. K., N. Jegadeesh, and J. Lakonishok (1996): "Momentum Strategies," Journal of

Finance, vol. 51, no.5, 1681-1714.

Chen, Z., and P. J. Knez (1995): “Portfolio performance measurement: Theory and applica-

tions,” Review of Financial Studies 9, 511-555.

Chochrane, J. H. (1999a): “New Facts in Finance,” Working Paper, Graduate School of

Business, University of Chicago.

Chochrane, J. H. (1999b): “Portfolio Advice for a Multifactor World,” Working Paper,

Graduate School of Business, University of Chicago.

Chopra, N., J. Lakonishok and j. R. Ritter (1992):”Measuring abnormal performance: do stocks overreact?”, Journal of Financial Economics, 31: 235-268. Christoph B. (1994): “Bubbles und Excess Volatility auf dem deutschen Aktienmarkt“, Dt. Univ.-Verl., Wiesbaden, Gabler. Clarke, R..G. and M. Statman (1998):”Bullish or Bearish” Financial Analysts Journal, May/June; Connor, G. and R. A. Korajczyk (1986): “Performance measurement with the arbitrage

pricing theory: A new framework for analysis,” Journal of Financial Economics, 15, 373-394.

Constantinides, G. M. (1990): "Habit Formation: A Resolution of the Equity Premium Puz-

zle," Journal of Political Economy, 98(3), 519-543.

Constantinides, G. M., J. B. Donaldson, and R. Mehra (1997): "Junior Can't Borrow: A

New Perspective and the Equity Premium Puzzle," Working paper, University of Chicago.

Literaturverzeichnis

212

Cooper, A. C., C. W. Woo, and W. C. Dunkelberg (1988): "Entrepeneurs' Perceived

Chances for Success," Journal of Business Venturing, 3, 97-108.

Cross, F. (1973): “The Behavior of Stock Prices on Fridays and Mondays”, Financial Analyst Journal, November-December, 67-69. Cutler, D. M., J.M. Poterba, and L.H. Summers (1989): „What Moves Stock Prices”, The Journal of Portfolio Management, Spring 1989, 4-12. Cutler, D. M., J.M. Poterba, and L.H. Summers (1990) „Speculative Dynamics and the Role of Feedback Traders“, American Economic Review, Vol. 80, No.2, 63-68. Cutler, D. M., J. M. Poterba, and L. H. Summers (1991): “Speculative dynamics,” Review

of Economic Studies 58, 529-546.

Cymbalista, F. (1998): “Zur Unmöglichkeit rationaler Bewertung unter Unsicherheit“, Mar-burg, Metrololis-Verl.; Dahquist, M. and P. Söderlin (1998): “Evaluating portfolio performance with stochastic

discount factors,” Working Paper, Stockholm School of Economics.

Daniel, K. D. (1996): “The power and size of asset pricing tests,” Working paper, University

of Chicago.

Daniel, K. D., and S. Titman (1997): "Evidence on the Characteristics of Cross-Sectional

Variation in Common Stock Returns," Journal of Finance, 52(1), 1-33.

Daniel, K. D., and S. Titman (1999): "Market Efficiency in an Irrational World,” Financial

Analysts Journal, November/December, 28-40.

Daniel, K. D., D. Hirshleifer, and A. Subrahmanyam (1997): "The Survival of Overconfi-

dence," Working Paper, University of Michigan.

Daniel, K. D., D. Hirshleifer, and A. Subrahmanyam (1998): "Investor Psychology and

Security Market Under- and Over-reactions," Journal of Finance, vol. 53, no.6, 1839-1886.

Literaturverzeichnis

213

Daniel, K. D., D. Hirshleifer, and A. Subrahmanyam (1999): “Investor Overconfidence,

Covariance Risk, and Predictors of Securities Returns,” Working paper, University of Michi-

gan.

Daniel, K. D., M. Grinblatt, S. Titman, and R. Wermers (1997): "Measuring Mutual Fund

Performance with Characteristic-Based Benchmarks," Journal of Finance, vol. 52, no. 3,

1035-1058.

Danthine, J. P. and S. Moresi (1993): “Volatility, Information and Noise Trading”, Euro-pean Economic Review, Vol. 37, 961-982. Davis, J., E. F. Fama, and K. R. French (1999): "Characteristics, Covariance, and Average

Returns: 1929-1997," Working Paper, University Chicago.

De Long, J. B., A. Shleifer, L. Summers, and R. J. Waldmann (1990): "Noise Trader Risk

in Financial Markets," Journal of Political Economy, 98(4), 703-738.

Deaux, K. and E. Farris (1977):”Attributing causes for one’s own performance: The effects of sex, norms, and outcome” Journal of Research in Personality, 11, 59-72; Deaux, K. and T. Emswiller (1994):” Explanations of successful performance on sexlinked tasks: What is skill for the male is luck for the female”, Journal of Personality and Social Pschology, 29, 80-85; DeBondt, W. F. M. (1991): “What do economists know about the stock market?,” Journal of

Portfolio Management 17, 84-91.

DeBondt, W. F. M. (1993): “Betting on Trends: intuitive forecasts of financial risk and re-

turn,” International Journal of forecasting 9, 355-371.

DeBondt, W. F. M. and R. H. Thaler (1985): “Does the stock market overreact,” Journal of

Finance 40, 793-805.

DeBondt, W. F. M., and R. H. Thaler (1987): "Further Evidence on Investor Overreaction

and Stock Market Seasonality," Journal of Finance, 42(3), 557-581.

Literaturverzeichnis

214

DeBondt, W. F. M., and R. H. Thaler (1990): "Do Security Analysts Overreact?" American

Economic Review, 80, 52-57.

DeBondt, W. F. M., and R. H. Thaler (1995): "Financial Decision-Making in Markets and

Firms: A Behavioral Perspective," in Finance, Handbooks in Operations Research and Man-

agement Science, ed. by R. A. Jarrow, V. Maksimovic, and W. T. Ziemba. North Holland,

Amsterdam, vol. 9, chap. 13, pp. 385-410.

DeLong, J. B., A. Shleifer, L. Summers, and R. J. Waldmann (1990 a): “Noise Trader Risk in Financial Markets”, Journal of Political Economy, vol. 98, No. 4, 703-738. DeLong, J. B., A. Shleifer, L. Summers, and R. J. Waldmann (1990 b): “Positive Feed-back Investment Strategies and Destabilizing Rational Speculation,” Journal of Finance, Vol. 45, 379-395. Desai, H., and P. C. Jain (1997): “Long-run common stock returns following stock splits

and reverse splits dividends,” Journal of Business 70, 409-434.

Dressendörfer J. M. (1999):”Zyklische und antizyklische Handelsstrategien: Theorie und empirische Überprüfung am Schweizer Aktienmarkt“ Uhlenbruch Verlag, Bad Soden/Ts; Eckbo, B. E., and D.C. Smith (1998): “The Conditional Performance of Insider Trades” Journal of Finance, Vol. 53, No. 2, 467-498; Edwards, R. D., und J. Magee (1988):“Aktien: Technische Analyse von Trends“, Verlag Hoppenstedt, Darmstadt, 5. Ausgabe; Edwards, W. (1968): ”Conservatism in human information processing”, Reprinted in Kah-neman, D., Slovic, P. and A. Tversky (1982): “Judgment under uncertainty: Heuristics and biases”, Cambridge University Press, Cambridge, England; 359-369; Einhorn, H. J. (1980): "Overconfidence in Judgment," New Directions for Methodology of

Social and Behavioral Science, vol. 4, 1-16.

Eisenberger, R.(1996):“Ein Kapitalmarktmodell unter Ambiguität“, Physica-Verlag, Heidel-berg; Elton, E. J. and M. J. Gruber (1995): “Modern Portfolio Theory and Investment Manage-

ment,” John Wily and Sons, New York.

Literaturverzeichnis

215

Elton, E. J., M. J. Gruber, and C. R. Blake (1996a): “Survivorship bias and mutual fund

performance,” Review of Financial Studies, 1097-1120.

Elton, E. J., M. J. Gruber, and C. R. Blake (1996b): The persistence of risk-adjusted mu-

tual Fund Performance, Journal of Business 69, 133-157.

Elton, E. J., M. J. Gruber, and M. N. Gultekin (1984): "Professional Expectations: Accu-

racy and Diagnosis of Errors," Journal of Financial and Quantitative Analysis, 19(4), 351-363.

Fama; E. F . (1970): "Efficient Capital Markets: A Review of Theory and Empirical Work,"

Journal of Finance, vol. 25, no.2, 383-417.

Fama, E. F., and J. MacBeth (1973): "Risk, Return and Equilibrium: Empirical Tests,"

Journal of Political Economy, 81, 607-636.

Fama, E. F. and K. R. French (1988): “Permanent and temporary components of stock prices", Journal of Political Economy, 96(2), 246-273. Fama, E. F ., and K. R. French (1989): “Business Conditions and Expected Returns on

Stocks and Bonds,” Journal of Financial Economics 25, 23-49.

Fama, E. F., and K. R. French (1992): “The cross-section of expected stock returns,” Jour-

nal of Finance 47, 427-465.

Fama, E. F., and K. R. French (1993): "Common risk factors in the returns on stocks and

bonds," Journal of Financial Economics, vol. 33, 3-56.

Fama, E. F., and K. R. French (1995): “Size and Book-to-Market Factors in Earnings and

Return,” Journal of Finance 50, 131-155.

Fama, E. F., and K. R. French (1996): “Multifactor explanations of asset pricing anoma-

lies,” Journal of Finance 51, 55-84.

Literaturverzeichnis

216

Fama, E. F., and K. R. French (1998 a): "Value Versus Growth: The International Evi-

dence," Journal of Finance, vol. 53, 1975-1999.

Fama, E. F. (1998 b): "Market efficiency, long-term returns, and behavioral finance,” Journal

of Financial Economics, vol. 49, 283-306.

Ferson, W. and R.W. Schadt (1996): “Measuring Fund Strategy and Performance in Chang-

ing Economic Conditions,” Journal of Finance, vol. 51, no. 2, 425-461.

Ferson, W. and V. A. Warther (1996): “Evaluating fund performance in a dynamic market,”

Financial Analysts Journal, 20-28.

Fischhoff, B. (1982): “For those condemned to study the past: Heuristics and biases in hind-

sight,” in Daniel Kahneman, Paul Slovic, and Amos Tversky, ed.: “Judgement under Uncer-

tainty: Heuristics and Biases,” Cambridge University Press: Cambridge.

Fischhoff, B., P. Slovic, and S. Lichtenstein (1977): "Knowing with Certainty: the Appro-

priateness of Extreme Confidence," Journal of Experimental Psychology, 3, 552-564.

Fowler, D.J. and C.H. Rorke (1984):”Insider trading profits in the Canadian equity market”, Working Paper, York University, Canada; French, K. (1980): “Stock Returns and the Weekend Effect”, Journal of Financial Econom-ics, 8, March, 55-69. Frey, D. und D. Stahlberg (1990): “Erwartungsbildung und Erwartungsveränderung bei Börsenakteuren,“ in Maas, P. und J. Weibler, Hrsg., „Börse und Psychologie – Plädoyer für eine neue Perspektive,“ Köln, Dt. Inst.-Verl., 102-139. Froot, K., and J. A. Frankel (1989): “Forward discount bias: Is it an exchange risk pre-

mium?,” Quarterly Journal of Economics 104, 139-161.

Fuller, R. J. (1998): “Behavioral Finance and the Sources of Alpha,” Journal of Pension Plan

Investing, Winter 1998, vol. 2, no. 3.

Gadenne, V. (1998): “Bewährung” in Keuth, H. (1998): “Logik der Forschung” Berlin, Akad. Verl. S.125-144.

Literaturverzeichnis

217

Gauglhof-Witzig, M. (1998): „Philosophie der Mathematik: Formalismus & Logizismus“, Universität St.Gallen, Working Paper; Geiger, H. (1990): “Entstehung und Auswirkungen besonderer Börsenentwicklungen am Beispiel des Börsencrashs 1987,“ in Maas, P. und J. Weibler, Hrsg., „Börse und Psychologie – Plädoyer für eine neue Perspektive,“ Köln, Dt. Inst.-Verl., 213-237. Gervais, S., and T. Odean (1998) "Learning to be Overconfident," Working paper, Wharton

School.

Gibbons, M. and P. Hess (1981):”Day of the Week Effects and Asset Returns”, Journal of Business, 54, October, 579-596. Glosten, L. and R. Jagannathan (1994): “A contingent claims approach to performance

evaluation,” Journal of Empirical Finance I, 133-166.

Goetzmann, W. N., and N. Peles (1993): “Cognitive dissonance and mutual fund investors,”

Working paper, Columbia Business School.

Goetzmann, W. N., and R. G. Ibbotson (1994): “Do winners repeat? Patterns in mutual

fund performance,” Journal of Portfolio Management 20, 9-17.

Goldberg J., und R. Nitzsch (2000): “Behavioral Finance: Gewinnen mit Kompetenz,” Fi-

nanzBuch Verlag München, 3. Auflage.

Goldberg SJ, and N. Eldredge (1986): “Punctuated equilibrium at the third stage,” System-

atic Zoology 35: 143-148.

Gowdy, J.M. (1992): „Higher selection processes in evolutionary economic change“, Journal of Evolutionary Economics, 2, S.1-16, Springer-Verlag 1992. Greenwald, A. G. (1980): “The totalitarian ego: Fabrication and revision of personal his-

tory,” American Psychologist 3, 603-618.

Griffin, D., and A. Tversky (1992): "The Weighing of Evidence and the Determinants of

Overconfidence," Cognitive Psychology, vol. 24, 411-435.

Literaturverzeichnis

218

Grinblatt, M. and M. Keloharju (2000):”The investment behavior and performance of vari-ous types: a study of Finland’s unique data set”, Journal of Financial Economics, 55, 43-67;

Grinblatt, M. and S. Titman (1989a): “Portfolio Performance Evaluation: Old Issues and

New Insights,” Review of Financial Studies, 2. No. 3, S. 393-421.

Grinblatt, M., and S. Titman (1989b): “Mutual fund performance: An analysis of quarterly

portfolio holdings,” Journal of Business 62, 393-416.

Grinblatt, M., and S. Titman (1992): “Performance persistence in mutual funds,” Journal of

Finance 47, 1977-1984.

Grinblatt, M., and S. Titman (1993): “Performance measurement without benchmarks: An

examination of mutual fund returns,” Journal of Business 66, 47-68.

Grinblatt, M., and S. Titman (1994a): “A Study of monthly mutual fund returns and per-

formance evaluation techniques,” Journal of Financial and Quantitative Analysis 29, 419-444.

Grinblatt, M. and S. Titman (1994b): “The persistence of mutual fund performance,” Jour-

nal of Finance 47, 1877-1984.

Grinblatt, M., R. W. Masulis, and S. Titman (1984): “The valuation effects of stock splits

and stock dividends,” Journal of Financial Economics 13, 97-112.

Grinblatt, M., S. Titman and R. Wermers (1995): “Momentum investment strategies, port-

folio performance, and herding: A study of mutual fund behavior,” American Economic Re-

view 85, 1088-1105.

Grossman S. J. and R. J. Shiller (1982): “Consumption correlatedness and risk measure-

ment in economies with non-traded assets and heterogeneous information,” Journal of Finan-

cial Economics, S. 195-210.

Literaturverzeichnis

219

Grossman, S. J. and J. E. Stiglitz (1976): “Information and competitive price systems”, American Economic Review, 66(2): 246-253. Grossman, S. J., and J. E. Stiglitz (1980): "On the impossibility of informationally efficient

markets," American Economic Review, 70(3), 393-408.

Groth, J. C., W. G. Lewellen, G. C. Scharbaum, and R. C. Lease (1979): “An analysis of

brokerage house securities recommendations,” Financial Analysts' Journal 35, 32-40.

Gruber, M. J. (1996): “Another puzzle: The growth in actively managed mutual funds,”

Journal of Finance 51, 783-810.

Gruen, D. K. and M. C. Gizycki (1993): “Explaining Forward Discount Bias: Is It Anchor-

ing?,” Princeton University Woodrow Wilson School Discussion Paper in Economics 164.

Gultekin, M. N. and N. B. Gultekin (1983): “Sock Market Seasonality: International Evi-dence”, Journal of Financial Economics, 12, 469-481. Guo, Z. (1999): “E-Commerce: Chance für die Zukunft”, Working Paper, Universität St.Gallen. Hansen, L. P. (1982): “Large sample properties of generalized method of moments estima-

tors,” Econometrica 50, 1029-1054.

Haugen, R. A. (1999): “The Inefficient Stock Market”, Prentice Hall, Upper Saddle River, New Jersey. Haugen, R. A. and N. L. Baker (1996): “Commonality in the determinants of expected stock

returns,” Journal of Financial Economics 41, 401-439.

Hawking S. (1993): “Einsteins Traum” Hamburg, Rowohlt Verlag; Hendricks, D., J. Patel, and R. Zeckhauser (1993): “Hot hands in mutual funds: The persis-

tence of performance,” 1974-1988, Journal of Finance 48, 93-130.

Hendricks, D., J. Patel, and R. Zeckhauser (1997): “The J-shape of performance persis-

tence given survivorship bias,” Review of Economics and Statistics 79, 161-166.

Literaturverzeichnis

220

Hirshleifer, D. (1999): "An Adaptive Theory of Self-Deception," Working Paper, Ohio State

University.

Hirshleifer, D., A. Subrahmanyam, and S. Titman (1994): "Security Analysis and Trading

Patterns when Same Investors Receive Information Before Others," Journal of Finance, 49(5),

1665-1698.

Hofstadter, D. R. (1985):”Gödel, Escher, Bach” Klett-Cotta Verlag ; Hofstätter, P. R. (1990): “Zur Sozialpsychologie der Spekulation mit Aktien,“ in Maas, P. und J. Weibler, Hrsg., „Börse und Psychologie – Plädoyer für eine neue Perspektive,“ Köln, Dt. Inst.-Verl., 11-37. Hong, H., and J. C. Stein (1997): “A unified theory of underreaction, momentum trading

and overreaction in asset markets,” NBER working paper #6324.

Hong, H., and J. C. Stein (1998): “Size, Analyst Coverage and the Profitability of Momen-

tum Strategies,” Working Paper, Stanford Business School and MIT Sloan School of Man-

agement.

Hong, H. and J. C. Stein (1999): “A Unified Theory of Underreaction, Momentum Trading, and Overreaction in Asset Markets” Journal of Finance, Vol. 54, No. 6, 2143-2184;

Hong, H., T. Lim and J. C. Stein (2000): “Bad News Travels Slowly: Size, Analyst Cover-age, and the Profitability of Momentum Strategies” Journal of Finance, Vol. 55, 265-295; Hull J. (1997): „Options, Futures, and other Derivatives” 3th edition, Prentice Hall, A

Simon&Schuster, N. J.

Ikenberry , D., J. Lakonishok, and T. Vermaelen (1995): “Market underreaction to open

market share repurchases,” Journal of Financial Economics 39, 181-208.

Ikenberry, D., G. Rankine, and E. K. Stice (1996): “What do stock splits really signal?,”

Journal of Financial and Quantitative Analysis 31, 357-375.

Literaturverzeichnis

221

IMF (2000):”Would Economy Outlook”, International Monetary Fund, Washington, D.C., September 2000, http://www.imf.org/external/pubs/ft/weo/2000/02/index.htm, Jagadeesh, N. (1990):”Evidence of Predictable Behavior of Security Returns”, Journal of Finance, 45, No.3, 881-898; Jagadeesh, N., and S. Titman (1993): “Returns to buying winners and selling losers: Impli-

cations for stock market efficiency,” Journal of Finance 48, 65-91.

Jagannathan, R., and Z. Wang (1996): "The CAPM is Alive and Well," Journal of Finance,

51(1), 3-53.

Janis, I. L. (1972):”Victims of Groupthink”, Boston, Houghton Mifflin; Jensen, Michael C. (1969): “Risk, the pricing of capital assets, and evaluation of investment

portfolios,” Journal of Business 42, 167-247.

Kahneman, D. and A. Tversky (1971):” Belief in the law of small numbers”, Reprinted in Kahneman, D., Slovic, P. and A. Tversky (1982): “Judgment under uncertainty: Heuristics and biases”, Cambridge University Press, Cambridge, England; 23-31; Kahneman, D. and A. Tversky (1972):” Subjective probability: A judgment of representa-tiveness”, Reprinted in Kahneman, D., Slovic, P. and A. Tversky (1982): “Judgment under uncertainty: Heuristics and biases”, Cambridge University Press, Cambridge, England; 32-47; Kahneman, D. and A. Tversky (1973):” On the psychology of prediction”, Reprinted in Kahneman, D., Slovic, P. and A. Tversky (1982): “Judgment under uncertainty: Heuristics and biases”, Cambridge University Press, Cambridge, England; 48-68;

Kahneman D., and A. Tversky (1979): “Prospect Theory: An Analysis of Decision Under

Risk,” Econometrica 47, 263-291.

Kahneman, D., and A. Tversky (1982): Intuitive predictions: Biases and corrective proce-

dures. Reprinted In Kahneman, Slovic, and Tversky, “Judgement under Uncertainty: Heuris-

tics and Biases,” Cambridge University Press, Cambridge, England.

Kahneman, D., and A. Tversky (1992): “Advances in Prospect Theory: Cumulative Repre-

sentation of Uncertainty,” Journal of Risk and Uncertainty, 297-323.

Literaturverzeichnis

222

Kahneman D., P. Slovic, and A. Tversky (1974, 1982): “Judgment Under Uncertainty: Heu-

ristics and Biases,” Cambridge, England: Cambridge University Press.

Kahneman, D. and M. W. Riepe (1998): “Aspects of Investor Psychology,” Journal of

Portfolio Management, vol. 24, no. 4, 32-53.

Kandel, S., and R. F. Stambaugh (1996): "On the Predictability of Stock Returns: An Asset-

Allocation Perspective," Journal of Finance, vol. 53, no.2, 385-424.

Kang, J., Y. Kim, and R. M. Stulz (1996): “The underreaction hypothesis and the new issue

puzzle: Evidence from Japan,” NBER Working paper 5819.

Keim, D. B. (1983): “Size-Related Anomalies and Stock Return Seasonality: Further Empiri-cal Evidence”, Journal of Financial Economics, June, 13-32. Keynes, J. M. (1936): “The General Theory of Employment, Interest and Money”, New York. Keynes, J. M. (1973): Collected Writings, Band X IV, The General Theory and After: Part II, Defence and Development, London. Keynes, J. M. (1983): Collected Writings, Band XXIX, The General Theory and After: A Supplement, London. Klein, A. (1990): “A direct test of the cognitive bias theory of share price reversals”, Journal of Accounting and Economics, 13: 155-166. Knez, P. J., and M. J. Ready (1997): "On The Robustness of Size and Book-to-Market in

Cross-Sectional Regressions," Journal of Finance, 52(4), 1355-1382.

Kothari, S., J. Schanken and R. Sloan (1995): “Another Look at the Cross-Section of Ex-

pected Returns,” Journal of Finance, vol. 50, 185-224.

Krech, D. und R. S. Crutchfield (1992): “Grundlagen der Psychologie,” Psychologie Ver-

lags Union, Weinheim.

Literaturverzeichnis

223

Kryzanowski, L. and H. Zhang (1992): “the contrarian investment strategy does not work in Canadian markts”, Journal of Financial and Quantitative Analysis, 27(3), 383-395. Kyle, A., and F. A. Wang (1997): "Speculation Duopoly With Agreement to Disagree: Can

Overconfidence Survive the Market Test? ," Journal of Finance, 52(5), 2073-2090.

Lakonishok, J. and A. Shleifer (1992): “The impact of institutional trading on stock prices,”

Journal of Financial Economics 32, 23-43.

Lakonishok, J. and S. Smidt (1984): “Volume and Turn of the Year Behavior”, Journal of Finance, 37, 883-889. Lakonishok, J., A. Shleifer, and R. W. Vishny (1994): “Contrarian investment, extrapola-

tion, and risk,” Journal of Finance 49, 1541-1578.

Lakonishok, J., and T. Vermaelen (1990): “Anomalous price behavior around repurchase

tender offers,” Journal of Finance 45, 455-77.

Langer, E. J., and J. Roth (1975): “Heads I win tails it's chance: The illusion of control as a

function of the sequence of outcomes in a purely chance task,” Journal of Personality and

Social Psychology 32, 951-955.

Lee C. M. C. and B. Swaminathan:(1999): “Price Momentum and Trading Volume”, Work-ing Paper, Cornell University. Lee, C. M., A. Shleifer, and R. H. Thaler(1991):”Investor Sentiment and the Closed-End Fund Puzzle”, Journal of Finance, 46, 75-109; Lefévre, E. (1997): “Jesse Livermore: Das Spiel der Spiele”, Thomas Müller Börsenverlag, Rosenheim, 4. Auflage; Lenney, E (1977):”Women’s self-confidence in achievement settings”, Psychological Bulle-tin, 84, 1-13; LeRoy, S. F. (1989): “Efficient Capital Markets and Martingales”, Journal of Economic Lit-erature, Vol. 27, 1583-1621.

Literaturverzeichnis

224

Lichtenstein, S., B. Fischhoff, and L. Phillips (1982): "Calibration of Probabilities: The

State of the Art to 1980," in Judgement under Uncertainty: Heuristics and Biases, ed. by D.

Kahneman, P. Slovic, and A. Tversky. Cambridge University Press, Cambridge.

Lintner, John (1965): “The valuation of risk assets and the selection of risky investments in

stock portfolios and capital budgets,” Review of Economics and Statistics 47, 13-37.

Loughran, T., and J. Ritter (1995): "The New Issues Puzzle," The Journal of Finance,

50(1), 23-52.

Lundeberg, M. A., P. W. Fox, and J. Punccohar (1994):”Highly confident but wrong: Gender differences and similarities in confidence judgments”, Journal of Educational Psy-chology, 86, 114-121; MacKinlay, A. C. (1995): "Multifactor Models Do Not Explain Deviations from the CAPM,"

Journal of Financial Economics, 38, 3-28.

March, J. (1978): “The 1978 Nobelprize in Economics,” Science 202, 858-861.

Mass, P. und J. Weibler (1990): “Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsprozesse“, in Maas, P. und J. Weibler, Hrsg., „Börse und Psychologie – Plädoyer für eine neue Perspek-tive,“ Köln, Dt. Inst.-Verl., 72-101; McFadden, D. (1974): “On Some Facets of Betting,” in: M. Balcheds: “Essays on Economic

Behavior Under Uncertainty,” North Holland, 99-122.

Mehra, R., and E. Prescott (1985): "The Equity Premium: A Puzzle," Journal of Monetary

Economics, 15, 145-161.

Menkhoff, L. und C. Röckmann (1994): „Noise Trading auf Aktienmärkten“, Zeitschrift für Betriebswirtschaft, Vol. 64, Jg. H. 3, 277-295. Meyer, B. (1995): „Die langfristige Performance von Gewinner- und Verlierer-Aktien am deutschen Aktienmarkt“, Finanzmarkt und Portfolio Management, 9 (1): 61-80. Michaely, R., and K. L. Womack (1996): “Conflict of interest and the credibility of under-

writer analyst recommendations,” Working paper, Cornell University.

Literaturverzeichnis

225

Michaely, R., R. H. Thaler, and K. L. Womack (1995): “Price reactions to dividend initia-

tions and omissions: Overreaction or drift?,” Journal of Finance 50, 573-608.

Milgrom, P., N. Stokey (1982): “Information, Trade and Common Knowledgge,” Journal of

Economic Theory, 26, 17-27.

Miller, D. T., and M. Ross (1975): “Self-serving bias in attribution of causality: Fact or fic-

tion?,” Psychological Bulletin 82, 213-225.

Miller, M. H., and D. J. Ross (1997): “The Orange County Bankruptcy and its Aftermath: Some New Evidence.” Journal of Derivatives 4, No. 4: 51-60. Musgrave, A. E. (1977): “Explanation, Description and Scientific Realism” in Keuth, H. (1998): “Logik der Forschung” Berlin, Akad. Verl. S.83-102. Nielsen, L.T. / Vassalou, M. (1998): “Performance measures for dynamic portfolio manage-

ment,” INSEAD Working Paper.

Northcraft, G. B. and M. A. Neale (1987): “Experts, Amateurs, and Real Estate: an Anchor-

ing and Adjustment Perspective on Property Pricing Decisions,” Organizational Behavior and

Human Decision Processes 39, 84-97.

Odean, T. (1998a): “Volume, Volatility, Price and Profit When All Traders Are Above Av-

erage,” Journal of Finance, vol. 53, no. 6, 1887-1934.

Odean, T. (1998b): “Are Investors Reluctant to Realize Their Losses?” Journal of Finance,

vol. 53, No. 5, 1775-1798.

Oskamp, S.(1965):”Overconfidence in case-study judgments” The Journal of Consulting Psychology, 29, 261-265, in Kahneman, D., P. Slovic, and A. Tversky, (1982):”Judgment under uncertainty: Heuristics and biases”, Cambridge University Press, Cambridge, 287-293; Pinner, W. (1997): „Die verrückte Börse: Eine Einführung in die Börsenpsychologie“, Econ, München.

Literaturverzeichnis

226

Pope, P.F., R.C. Morris, and D.A. Peel (1990):”Insider trading: Some evidence on market efficiency and directors’s dealings in Great Britain”, Journal of Business, Finance, and Ac-counting 17, 359-380; Poterba, James M., and Lawrence H. Summers (1988): “Mean reversion in stock returns:

Evidence and imp1ications,” Journal of Financial Economics 22, 27-59.

Prince, M. (1993):”Women, men, and money styles”, Journal of Economic Psychology, 14, 175-182; Reinganum, M. R. (1983): “The Anomalous Stock Market Behavior of Small Firms in Janu-ary: Empirical Tests for Tax-loss Selling Effects”, Journal of Financial Economics, June, 89-104. Richards, A. J. (1997): “Winner-loser reversals in national stock market indices: Can they be

explained?,” Journal of Finance 52, 2129-2144.

Riese, H. (1989): „Geld, Kredit und Vermögen – Begriffliche Grundlagen und preistheoreti-sche Implikationen der monetären keynesianischen Ökonomie“, in: Riese, H. und H. Spahn, (1989); „Internationale Geldwirtschaft“, Regensburg, S. 1-59. Ritter, Jay R. (1991): “The long-term performance of initial public offerings,” Journal of

Finance 46, 3-27.

Rogalski, R. (1984):”New Findings Regarding Day-of-the-Week Returns over Trading and Non-Trading Periods: A Note”, Journal of Finance, 34, 5, December, 1603-1614. Roll, R. (1978): “Ambiguity when performance is measured by the securities market line,”

Journal of finance, 33, 1051-1069.

Roll R. (1983): “The Turn-of-the-Year Effect and the Return Premia of Small Firms”, Journal of Portfolio Management, Winter, 18-28. Rosenberg, B., K. Reid, and R. Lanstein (1985): "Persuasive evidence of market ineffi-

ciency," Journal of Portfolio Management, 11, 9-17.

Ross, L. (1987): “The Problem of Construal in social Inference and Social Psychology,” in:

Grunberg, N., R. E. Nisbett and J. Singer, eds., “A Distinctive Approach to Psychological

Research: The Influence of Stanley Schachter,” Hillsdale, NJ: Erlbaum.

Literaturverzeichnis

227

Ross, S. A. (1976): “The arbitrage theory of capital asset pricing,” Journal of Economic The-

ory 13, 341-360.

Rouwenhorst, K. G. (1998): "International Momentum Strategies," Journal of Finance, vol.

53, no.1, 267-284.

Rozeff, M. S. and W. R. Kinney (1976): „Capital Market Seasonality: The Case of Stock Returns”, Journal of Financial Economics, 3, 379-402. Rozeff, M. S., and M. A. Zaman (1988): “Market efficiency and insider trading: New evi-

dence,” Journal of Business 61, 25-44.

Sachs, J. (1999): “Die Fehler des IWF,” Bilanz, Juli, 136.

Scharfstein, D. S., and J. C. Stein (1990): “Herd behavior and investment,” American Eco-

nomic Review 80, 465-479.

Schiereck, D. und M. Weber (1995):” Zyklische und antizyklische Handelsstrategien am deutschen Aktienmarkt“, Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 47, 3-24; Schurz, D. (1994): “Das Problem der Induktion” in Keuth, H. (1998): “Logik der Forschung” Berlin, Akad. Verl. S.125-144. Schwarz, N. und G. Bohner (1990): “Stimmungseinflüsse auf Denken und Entscheiden,“ in Maas, P. und J. Weibler, Hrsg., „Börse und Psychologie – Plädoyer für eine neue Perspekti-ve,“ Köln, Dt. Inst.-Verl., 162-189. Sentana, E. (1993):“The econometrics of the stock market I: rationality test“, Investigaciones Economicas, 17(3), 401-420. Seyhun, H. N. (1986): “Insiders' profits, costs of trading, and market efficiency,” Journal of

Financial Economics 61, 189-212.

Seyhun, H. N. (1988): “The information content of aggregate insider trading,” Journal of

Business 61, 1-24.

Literaturverzeichnis

228

Seyhun, H. N. (1997): “Investment Intelligence: Tips from Insider Trading,” MIT Press:

Cambridge.

Shafir, E., P. Diamond and A. Tversky (1997): “ On Money Illusion,” Quarterly Journal of

Economics 92, 341-374.

Sharpe W. and G. Alexander (1990): „Investments“ 4th edition, Prentice Hall, Englewood Cliffs, N.J. Sharpe, W.F. (1992): “Asset Allocation: Management style and performance measurement,”

Journal of Portfolio Management, Winter 1992, 7-19.

Sharpe, W.F. (1995): “The Styles and Performance of Large Seasoned U.S. Mutual Funds,

1985-1994,” World Wide Web: http://www-shape.stanford.edu./ls100_3htm.

Sharpe, W.F. (1998): “Revisiting The Capital Asset Pricing Model” by J. Burton, World

Wide Web: http: //www.stanford.edu/~wfsharpe/art/djam/djam.htm.

Sharpe, W.F. (1999): “The Journal Interview,” by D. Spaulding, Would Wide Web:

http://www.spauldinggrp.com/sparpeinterview.htm.

Shefrin, H., and M. Statman (1994): "Behavioral Capital Asset Pricing Theory," Journal of

Financial and Quantitative Analysis, 29, 323-349.

Shefrin, H. (2000): "Beyond Greed and Fear", Harvard Business School Press, Boston, MA.

Shiller, R. J. (1981): "Do Stock Prices Move Too Much to be Justified by Subsequent

Changes in Dividends? ," American Economic Review, 71, 421-498.

Shiller, R. J. (1989 a): “Fashions, fads, and bubbles in financial markets,” in Shiller, R. J., Hrsg., “Market Volatility,” Cambrigde, MA, and London, MIT Press, 49-68; Shiller, R. J. (1989 b): “Stock prices and social dynamics,” in Shiller, R. J., Hrsg., “Market Volatility,” Cambrigde, MA, and London, MIT Press, 7-48;

Literaturverzeichnis

229

Shiller, R. J. (1997): "Human Behavior and the Efficiency of the Financial System," Work-

ing Paper, Yale University.

Shiller, R. J. (2000): "Irrational Exuberance," Princeton University Press, Princeton, New

Jersey.

Shiller, R. J., F. Kon-Ya, and Y. Tsutsui (1996): "Why Did the Nikkei Crash? Expanding

the Scope of Expectations Data Collection,” Review of Economics and Statistics 78, 156-164.

Shleifer, A., and R. Vishny (1997): "The Limits to Arbitrage," Journal of Finance, 52(1), 35-

55.

Shleifer, R. J., R. H. Thaler, and C. M. Lee.(1992): “Closed-End Mutual Funds” in: Thaler R. H. (1992): “The Winner’s Curse: Paradoxes and Anomalies of Economic Life”, The Free Press, Macmillan, New York, N. Y. 168-181. Silberman, J. and M. Klock (1989): “The Behavior of Respondents in Contingent Valua-

tion: Evidence on starting Bids,” Journal of Behavioral Economics 18, 51-60.

Simon, H. (1960): “The New Science of Management Decision,” New York, Harper.

Smirlock, M. and L. Starks (1986): “Day of the Week and Intraday Effects in Stock Re-turns”, Journal of Financial Economics, 17, 197-210. Spiess, D. K., and J. Affieck-Graves (1995): “Underperformance in long-run stock returns

following seasoned equity offerings,” Journal of Financial Economics 38, 243-268.

Stein, J . (1989): "Overreactions in the Options Market," Journal of Finance 44, 1011-1023.

Stier, W. (1996): „Empirische Forschungsmethoden“, Springer-Verl. Berlin; Stock, D. (1990): “Winner and loser anomalies in the German stock market”, Journal of Insti-tutional and theoretical Economics, 146 (3): 518-529. Strack, F. (1985):“Urteilsheuristiken“, in Frey, D. und M. Irle (1985):“Theorien der Sozial-psychologie“ Band 3, Bern, 239-267;

Literaturverzeichnis

230

Svenson, O. (1981): “Are we all less risky and more skillful than our fellow drivers?,” Acta

Psychologica 47, 143-148.

Taylor, S. E. (1982):” The availability bias in social perception and interaction”, in Kahne-man, D., Slovic, P. and A. Tversky (1982): “Judgment under uncertainty: Heuristics and bi-ases”, Cambridge University Press, Cambridge, England; 190-200; Taylor, S. E., and J. D. Brown (1988): "Illusion and Well-Being: A Social Psychological

Perspective on Mental Health," Psychological Bulletin, 103, 193-210.

Thaler, R. H. (1992): “The Winner’s Curse: Paradoxes and Anomalies of Economic Life”, The Free Press, Macmillan, New York, N. Y. Thaler, R. H., D. Kahneman and J. L. Knetsch (1992):”The Endowment Effect, Loss Aversion, and Status Quo Bias” in Thaler, R. H. (1992) “The Winner’s Curse: Paradoxes and Anomalies of Economic Life”, The Free Press, Macmillan, New York, N. Y., 63-78; Tinic, S. M. and R. R. West (1984): “Risk and Return: January and the Rest of the Year”, Journal of Financial Economics, 13, 561-574. Topol, R. (1991): “Bubbles and Volatility of Stock Prices: Effect of Mimetic Contagion,” Economic Journal, Vol. 101, July, 786-800.

Tversky, A. (1972): “Elimination by Aspects: A Theory of Choice,” Psychol. Review 79,

281-299.

Tversky, A. and D. Kahneman (1973):” Availability: A heuristic for judging frequency and probability”, Reprinted in Kahneman, D., Slovic, P. and A. Tversky (1982): “Judgment under uncertainty: Heuristics and biases”, Cambridge University Press, Cambridge, England; 163-178;

Tversky, A. and D. Kahneman (1974):” Judgment under uncertainty: Heuristics and bi-ases”, Reprinted in Kahneman, D., Slovic, P. and A. Tversky (1982): “Judgment under uncer-tainty: Heuristics and biases”, Cambridge University Press, Cambridge, England; 3-22; Tversky, A. and D. Kahneman (1982):” Judgments of and by representativeness”, in Kah-neman, D., Slovic, P. and A. Tversky (1982): “Judgment under uncertainty: Heuristics and biases”, Cambridge University Press, Cambridge, England; 84-100;

Literaturverzeichnis

231

US-President’s Working Group on Financial Market (1999): “Hedge Funds, Leverage, and the Lessons of Long-Term Capital Management,” http://www.ustreas.gov/press/releases/docs/hegfund.pdf. Waldman, M. (1994): “Systematic Errors and the Theory of Natural Selection,” American

Economic Review, vol. 84, no. 3, 482-497.

Weber, M and Camerer, M. (1987):”Recent Developments in Modelling Preferences under Risk”, in: OR Spektrum, 9, 129-151; Wendel, H. J. (1998): “Das Abgrenzungsproblem” in Keuth, H. (1998): “Logik der For-schung” Berlin, Akad. Verl. S.145-164. Wermers, R. (1997): “Mutual fund herding and the impact on stock prices,” Working paper,

University of Colorado at Boulder.

Womack, K. L. (1996): “Do brokerage analysts' recommendations have investment value?,”

Journal of Finance 51, 137-168.

Yates, J. F . (1990): “Judgement and Decision Making.” Prentice Hall, Englewood Cliffs,

New Jersey.

Zahar, D. G. (1998): “Falsibility” in Keuth, H. (1998): “Logik der Forschung” Berlin, Akad. Verl. S.103-124. Zarowin, P. (1990):”Size, seasonality and stock market overreaction”, Journal of Financial and Quantitative Analysis, 25(1): 113-125.

Lebenslauf

P E R S Ö N L I C H E D A T E N

Name: Guo

Vorname: Zhaohui

Geburtsdatum: 16 April 1968

Geburtsort: Nanjing, China

Nationalität: China

A U S B I L D U N G

Universität St. Gallen (HSG) Doktorstudium, Finanzmarkttheorie & Banking

Universität St. Gallen (HSG) Lizentiat, Finanzmarkttheorie & Banking Abschluß: LIC OE C HSG

Beijing Foreign Studies University Universität, Beijing, China

ABSCHLUß: BACHELOR OF ARTS

Gymnasium Nanjing Gymnasium, Nanjing, China

B E R U F S T Ä T I G K E I T Swiss Life Hedge Fund Partner

Risk Management, Riskmanager, Pfäffikon SZ, ab 2002; Zürcher Kantonalbank

Treasury, Asset&Liability Management, Fachbereichsleiter, Zürich, 1999 - 2001;

Aussenhandelsministerium VR China

Europaabteilung, Officer, Beijing, China, 1990 – 1992;

1998 - 2002

1994 - 1998

1986 - 1990

1978 - 1986