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I. MITTEILUNGEN AUS DEM ORTHOPAD]SCHEN INSTITUT VON DR. A. Li)NING UND DR. W. SCHULTHESS, PRIVATOOZENTEN 1N Zi3RICH. III. Beitr/ige zur pathologisehen Anatomie der Wirbels ule. Von Dr. Wilhelm Schulthess. Mit 22 Abbildungen. A. Skoliose. 1. Messung'sresultat und Obduktionsresultat bei Skoliose. Verhttltnism~ssig selten bietet sich dem Orthoptiden Gelegenheit, das Er- gebnis der Messung eines Skoliotischen mit dem Befunde am Leichentische zu vergleichen. Wir geben deshalb in folgendem den Status einer Skoliose, die wit vor und nach dem Tode untersuchen konnten, wieder. Einleitend schicken wir voraus, inwieweit sich nach unserem bisherigen Wissen die anatomischen Eigenschaften einer Skoliose aus der Messung erkennen lassen. Die Messung mit unserem Messapparate gibt uns die Projektion der Dorn- fortsatzlinie auf eine frontale und auf eine sagittale Ebene, ferner die Pro- jektion der KSrperkonturen ebenfalls auf eine frontale Ebene, einige Que~:- konturen des Riickens, event, wie auf dem beistehenden Bilde, (s. Fig. i) Lttngskonturen. Wir sind dadurch in die Lage versetzt, die Deviationen der I)ornfortsatzlinie, ihren Verlauf im Raume aufs Genaneste zu beurteilen. Wit wissen nicht, nur wo sie seitlich abgewichen, sondern auch wo sie zu- gleich vorgewSlbt oder abgeflacht ist. Wit sind ferner iiber die Deformitiit des Thorax informiert, soweit sich dieselbe in VorwSlbungen und Ab- flachungen der Rippen an der I{iickenflt~che und in der hiervon in erster Linie abhi~ngigen Schulterblattstellung ~ussert. Wir kennen die Sti~rke des Torsionswulstes der Lendenwirbels~ule. Das Messbild kltirt uns also iiber das ganze Relief des Riickens auf. Ferner zeigt es in der Lichtfigur die Self- Arch. f. Orthop., Mechanoth. u. Unf.-Chir. n. 1. 1

Beiträge zur pathologischen Anatomie der Wirbelsäule

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Page 1: Beiträge zur pathologischen Anatomie der Wirbelsäule

I.

MITTEILUNGEN AUS DEM ORTHOPAD]SCHEN INSTITUT VON DR. A. Li)NING UND

DR. W . SCHULTHESS, PRIVATOOZENTEN 1N Zi3RICH.

III.

Beitr/ige zur pathologisehen Anatomie der Wirbels ule. Von

Dr. Wilhelm Schulthess.

Mit 22 Abbildungen.

A. S k o l i o s e .

1. Messung ' s resu l ta t und O b d u k t i o n s r e s u l t a t bei Skoliose.

Verhttltnism~ssig selten bietet sich dem Orthoptiden Gelegenheit, das Er- gebnis der Messung eines Skoliotischen mit dem Befunde am Leichentische zu vergleichen. Wir geben deshalb in folgendem den Status einer Skoliose, die wit vor und nach dem Tode untersuchen konnten, wieder. Einleitend schicken wir voraus, inwieweit sich nach unserem bisherigen Wissen die anatomischen Eigenschaften einer Skoliose aus der Messung erkennen lassen. Die Messung mit unserem Messapparate gibt uns die Projektion der Dorn- fortsatzlinie auf eine frontale und auf eine sagittale Ebene, ferner die Pro- jektion der KSrperkonturen ebenfalls auf eine frontale Ebene, einige Que~:- konturen des Riickens, event, wie auf dem beistehenden Bilde, (s. Fig. i) Lttngskonturen. Wir sind dadurch in die Lage versetzt, die Deviationen der I)ornfortsatzlinie, ihren Verlauf im Raume aufs Genaneste zu beurteilen. Wit wissen nicht, nur wo sie seitlich abgewichen, sondern auch wo sie zu- gleich vorgewSlbt oder abgeflacht ist. Wit sind ferner iiber die Deformitiit des Thorax informiert, soweit sich dieselbe in VorwSlbungen und Ab- flachungen der Rippen an der I{iickenflt~che und in der hiervon in erster Linie abhi~ngigen Schulterblattstellung ~ussert. Wir kennen die Sti~rke des Torsionswulstes der Lendenwirbels~ule. Das Messbild kltirt uns also iiber das ganze Relief des Riickens auf. Ferner zeigt es in der Lichtfigur die Self-

Arch. f. Orthop., Mechanoth. u. Unf.-Chir. n. 1. 1

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2 Wilhelm Schulthess.

wiirtsneigung des ganzen Truncus. Nehmen wir hierzu die bekannten Messungen mit dem Niveilierzirkel fiir die Beckenstellung, dem Nivellier- trapez :in Vorbeugehaltung fiir die NNeaudifferenzen des Riickens, die An- gaben fiber das Verhalten des Sulcus paraspinosus und der RippenwOlbung in dieser Stellung in der Form, in der wir diese Eigenschaften in unseren Krankengeschichten festzustellen pflegen, so ergibt sich hieraus fiir den Kundigen eine u der Wirbels~tulendeformit~t, welche der Wirklich- keit ausserordentlich nahe kommt.

Wir wissen, dass infolge der Torsion die Abweichung der KSrperreihe auf der vorderen Mitte gemessen im a]lgemeinen st~rkere Bogen gibt als die

Dornfortsatzlinie. Der Bogen der KSrperreihe ist verh~tltnis- mEssig um so grSsser, je grSsser die Torsion sieh an dem Rippen- hScker~ bezw. am Torsions- wulste der Lendenwirbels~ule auspragt. Der Bogen wird ferner zunehmen, yon demjenigen der Dornfortsatzlinie abweichen und zwar auch bei verhS~ltnismiissig leichten Skoliosen mit der Ver- drehung des Schultergiirtels im ganzen gegenfiber dem Beeken. In diesen letzteren F~llen ist es sogar denkbar, dass die Dorn- fortsatzlinie einen einzigen z. B. linkskonvexenBogen bildet,w~th- rend die Verbindungslinie der Mitre der vorderen Wirbel- kSrperperipherie einen unten linkskonvexen, oben reehtskon-

Fig. 1. vexen Bogen beschreibt. Die Messhild einer 30jiihrigen Patientin. Projektion derDornfortsatzlinie

und der vorderen KSrpermitte auf die frontale Ebene werden sich demnach bei Skoliosen mit mehrfacher Biegung an einzelnen Punkten schneiden. Die Schnittpunkte werden jeweilen zwischen zwei Bogen liegen, wie das schematiseh in Fig. 2 dargestellt ist. Scharfe Abbiegung der Dornfortsatzlinie mit daran sieh kniipfenden, ~usserlich sehr stark sichtbaren Torsionserscheilmngen, deutet selbstverst~ndlich auf alas Vor- handensein ausgeprfigter WirbeldeformitEten auf Keilwirbei, wi~hrend die Ab- biegung der Dornfortsatzlinie allein noch keinen Keilwirbe] bedingt. Riickt der Kamm des Rippenbuckels sehr nahe an die stark deviierte Dornfortsatzlinie heran, ist letztere an dieser Stelle zudem kyphotisch nach hinten ausgebogen, so wissen wir, dass wi res mit den hSchsten Graden der WirbelsSmlentorsion zu tun haben, dass die Rippen sozusagen ~uf der Wirbelsi/ule aufgewickelt sind.

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Beitr~igo zur pathologischen Anatomie der Wirbels/~ule. 3

So bieten uns die Resultate unserer Messungen mannigfache Anhalts- punkte zur Beurteilung der Deformit~t der Wirbels~ule.

Unser Fall betrifft eine 30jghrige Frau, welche angeblich seit dem neunten oder zehnten Lebensjahre Zeichen yon schlechter Haltung geboten hatte. Im 15. bis 16. Lebensjahre soll sich die Verkrfimmung bedeutend verschlimmert haben, undes wurde besonders das Tragen kleiner Kinder auf dem Arm als Ursache angegeben. Nicht sicher ist festzustellen, ob eine Pleuritis, welche die Patientin im sechsten Jahre durchgemacht hatte, als ittiologisches Moment ffir die Skoliose betrachtet werden darf. Sie kam in unsere Behandlung wegen deutlicher I~filtrationserscheinungen an beiden Lungen, am 9. August 1897. Anf~tnglieh konnte sie einen Teil des Tages ausser Bett zubringen, so dass es mSglich war, am 30. September 1897 den Grad der Skoliose durch Mes- L sung festzustellen. Diese ergab das beistehende Bild ,~

/ I (Fig. 1). Man ersieht aus demselben, dasses sich um '"I eine rechtskonvexe Dorsalskoliose handelt mit starker " Seitendeviation des Dorsalteiles und um eine linkskon- , , ~ vexe Lendenskoliose mit etwas geringerer Seitendeviation. ,, In der Sagittalrichtung zeigt die Dornfortsatzlinie eine , ziemlieh starke l~eduktion der Lendenlordose und einen ~ ~b. fast gradlinigen Ubergang der Kontur der Lendenwirbel- ,, r s~ule in diejenige der Brustwirbels~ule, mit anderen Worten eine Abflachung des unteren Teils der dorsalen (( Kyphose. Der obere Teil der Rfickenkriimmung ist da- gegen deutlich und fiber die 1Norm kypbotisch. Im ganzen bietet also die Sagittalprojektion alas Bitd einer insuffi-

Fig. 2. cienten, unter dem Einftusse yon Muskelschw~che ent- standenen Haltung. Projektionslinien der

Die genauere Betrachtung der Frontalprojektion Dornfortsatzlinie{a)und der vorderen Wirbel-

der Dornfortsatzlinie ergibt, dass sich die Lendenwirbel- kSrpermittellinie (b) in s~ule direkt fiber dem Kreuzbein nach links neigt, einen schemat. Darstellung. linkskonvexen Bogen beschreibt mit Kuppe ungef/~hr am zweiten bis dritten Lendenwirbel und die Vertikale oberhalb des Proc. spin. des zwSIften Brustwirbels schneider. Der rechtskonvexe dorsale Bogen wendet sich ungef~hr in der HShe des sechsten und siebten Brustwirbels wiederum nach links. Die Kuppe des Bogens liegt also an dieser bekannten Pr~dilek- tionsstelle. Der obere Schnittpunkt mit der Vertikalen liegt an der Grenze des oberen und mittleren Drittels der Brustwirbels~ule, somit etwa am vierten oder fiinften Brustwirbel. Hier geht die Dorsalkriimmung mit einer ziemlich scharfen Wendung unmittelbar in die senkrechte Richtung [~.ber. Die obere Gegenkrfimmung iiberschreitet also die vertikale Richtung nicht nach der entgegengesetzten Seite.

Die erwSLhnte starke Abflachung des Dorsalteiles deutete auf eine ziemlich starke Torsion der Wirbels~ule, welche eine weitere Best5tigung in d e m Vorhandensein des deutlichen Rippenbuckels fand. Bei Vergleichung

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4 Wilhelm Schulthess.

mit ~nderen Messbildern von skoliotischen Er,vaehsenen miissen wir die Torsion im anfreehten Stehen in Anbetraeht der vorhandenen Seitendeviation als eine verhS~ltnism~ssig missige, gering entwiekelte bezeichnen. Besonders zeigLe sich d~s in dem gerin~en Einsinken der linken Thoraxh~ilfte am Riieken, welches sich dutch den Verlau[' d~r liaken vertik~len Lgngskontur ausspricht (s. Fig. 1). Der relativ geringen Torsion des Thorax entspricht aueh die geringe Torsion der Lendenwirbelsgule (s. Fig. 1). In der Vor- beugehMtung zeig~e die Torsion in der Dorsalregion einen ziemlich starken, doch keinen sehr hohen Grad. Die Auguli der Rippen, welehe sieh in dieser

~tellung stark nach hinten pressen, bildeten einen abgerundeten Kamm. Wiihrend nun schon in der dreifachen Schliingelung der Dornfortsatzlinie die Tendenz zur gegen- seitigen Kompensation der Kriimmungen ent- halten ist, spricht sich dieselbe welter in der Beckenstellung aus. Diese kann weniger aus dem Messbilde, a.ls aus den Messungen mit dem Nivellierzirkel beurteilt werden. Das Becken zeigt eine verhi~ltnismiissig ge- ringe Neigung ngch links, eine Drehung in dem Sinne, dass die linke Spina nach vorn geschoben erscheint.

Die Skoliose machte nach allen diesen Messungen und Feststellungen den Eindruck, als ob es sich hier um eine ziemlich schwere Deformiti~t der Wirbels~ule handle, bei wel- cher die Seitenkriimmungen stark, aber in ihrer Verteilung auf Lumbal-Dorsalsegment gleich- miissig entwickelt sind. Diese Eigenschaften unterschieden den Fall scharf yon den hohen

F,g. 8. Graden der Skoliose, in welehem immer der Abguss des Riickens, in Sitzlage der eine und zwar vorwiegend der dorsale Bogen

Leiche angefertigt, bedeutend stiirker, bis zum Verschwinden des lumbalen entwickelt ist. Wir konnten nach

diesem Ergebnis der i~usseren Untersuchung ganz sehwere Knochendeformitiiten in der WirbelsS~ule nicht erwarten.

Die am 9. Jan. 1898 ausgefiihrte Sektion ergab eine ausgebreitete Tuber- kulose beider Lungen und an der WirbelsS~ule den Befand, wie er in den beigegebenen Abbildungen dargestellt ist.

An der unversehrten Leiche wurde in der Sitzlage ein Gipsabguss des Riickens gemacht und naeh Entfernung der Brust- und Abdominalorgane eben ein solcher yon der Vorderit~che der Wirbe|siiule. Die Betraehtung des Abgusses des Riickens (s. Fig. 3) zeigt nun ungefSohr die VerhSoltnisse, wie sie irn Messungsbild sictl darstellten. Die sti~rkste Abweiehung wiesen der siebte Brustwirbel auf nach rechts und der zweite Lendenwirbel nach

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links. Auffallend ist die starke Ablenkung, welche die Wirbelsiiule fiber dem Becken nach links erfuhr, was woht auf (tie starke Pressung der vorderen Teile der WirbelkSrper in der Sitzlage zuriicl<zuffihren ist. Infelgedessen weicht die Dornfortsatzlinie in der Lenden~irbelsi~ule verh~ltnismgssig mehr nuch links ab (3,5 cm), als in der Zeichnung im aufrechten Stehen, woselbst die ScheitelhShe des linkskonvexen Bogens nur 2 cm betr~gt. Umgekehrt betr~gt die Seitenabweichung in der Dorsalwirbels~ule am Gipsgusse nut 22 mm gegeniiber derjenigen an der Zeichnung, woselbst 32 gemessen wurde. Die Dorsalkriimmung hat sich am Gipsgusse durch die Seitw~rtsneigung fiber dem Becken etwas ausgegli~hen. Infolge der Seitwiirtsneigung der Lendenwirbelsiiule fiber dem Becken hat sich dasselbe rechts in die HShe gezogen und dadurch eine Kompensation geschaffen. Die Scheitelpunkte stimmen am Gipsguss genau mit denjenigen an der Messzeichnung fiberein. Die Torsionsverhgltnisse sind da- gegen am Gipsguss etwas starker ausgepr~gt als in der Zeichnung, entsprechend der ver- ~tnderten Lage.

Vergleichen wir nun welter die Zeich- hung mit dem Gipsgusse der Innenfl~che, entspreehend der Vorderseite der Wirbel (s. Fig. 4), so entdecken wir hier innert der Eingangs gegebenen Grenzen eine iihnliche (~bereinstimmung. 1Jber dem Beeken ist die WirbelsSule nach links abgelenkt und dabei ziemlich stark nach links gedreht. Die Ab- lenkung, gerade des ffinften Lendenwirbels ist schon ganz deutlich und stimmt mit der Ablenkung der Dornfortsatzlinie fiber dem Becken im Messbilde fiberein. Sie erhi~lt sich Fig. 4.

in derselben Richtung bis zum dritten Lenden- Abguss der Vorderfl~iche der Wirbel- wirbel, w~hrend die Dornfortsatzlinie im Mess- saule mit~ den angrenzenden Teilen bild sowohl als am Gipsabguss des Riickens des Thorax. erst am zweiten die deutliche Umbiegung er- kennen l~isst. Der KSrper des dritten Lendenwirbels (s. Fig. 5), welcher nebst dem zweiten und ersten excidiert wurde, wendet dutch seine Keilform den Bogen nach der rechten Seite, bezw. er stellt die Vertikalriehtung des- selben wieder her, dadurch, dass seine obere Fli~che sich horizontal stellt. Er ist links bedeutend hSher als rechts; iiberdies ist seine rechte Wand ein- geknickt, im frontalen Vertikalschnitt stark ausgebShlt (s. Fig. 5), durch das starke u des oberen und unteren l~andes. Die AushShlung quali- fiziert sich nicht als eine wirkliche, sondern als eine scheinbare, dadurch, dass die Flucht der Seitenfi~iche unmittelbar in die Bogenwurzel fibergeht,

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6 Wilhelm Schulthess.

w~hrend der obere und der untere Rand stark fiber dieselbe hervorragen. Die Vertiefung betr~gt rechts stark 6 mm; links kaum 4 ram, wghrend die Reduktion in der HShe, am Knochen gemessen, 2 8 - 17 ----- 11 mm betr~gt. Bemerkenswert ist, dass bei diesen so ausgepr~gten Inflexionserscheinungen die Torsionserscheinungen am WirbelkSrper gleich Null sind. Die obere und untere Flgehe des Wirbels sind annis symmetrisch gebaut. Im frischen Zustand war an der Intervertebralscheibe IV--III und II[--II noch sehr deutlich die Verschiebung des Nucleus pulposus naeh links zu sehen. Die Kuppe der Kriimmung bildet am Abguss die Intervertebralscheibe III--II . Dieselbe war ebenfalls keilfSrmig und veranlasste dadurch eine Ablenkung des oberen Lendensegmentes nach rechts (s. Fig. 6). Der zweite Lendenwirbel," welcher auf diese Art mit dem dritten die Kuppe des linkskonvexen Bogens bildet, ist ebenfalls ein Keilwirbel. Die Differenz in der HShe der beiden Seiten ist bei ibm ebenfalls gross, sie betr/igt 5--6 ram. Die Einziehung seiner rechten Seite dagegen ist (s. Fig. 6) noch tiefer, ganz besonders springt der obere Rand stark nach rechts vor. Ausser der Keilbildung zeigt aber dieser Wirbel

Fig. 5. Fig. 6. Fig. 7.

:Fig. 5. Fig. 6. Fig. 7.

KSrper des III. Lendenwirbels yon vorn. KSrper des II. Lendenwirbels yon vorn. KSrper des I. Lendenwirbels yon vorn.

entschieden leichte Torsionserscheinungen in dem Sinne, dass die obere Fls gegen die untere nach rechts und hinten verdreht erscheint. Er macht da- durch den Anfang zum ?dbergang der mehr nach links nnd hinten ge- richteten Lendentorsion in die nach rechts und hinten gerichtete Torsion des Dorsalteiles. Der ebenfMls excidierte erste Lendenwirbel muss als Schr~ig- wirbel aufgefasst werden (s. Fig. 7). Er liegt genau in der Richtung der nach rechts abgelenkten Wirbel, die den Obergang yon der Lendenskoliose zur Dorsalskoliose bilden. Seine obere F|~che ist gegen die untere naeh rechts verschoben. Seine HShe ist links 4- -5 mm grSsser wie rechts; sein unterer Rand springt rechts stark vor, wie bei den vorhin beschriebenen Keil- wirbeln, w~hrend der obere diese Erscheinung nicht zeigt. Der Faserverlauf auf seiner Oberfti~che ist dementspreehend schief; der Nucleus pulposus an seiner Unterfigche nach links verschobea, an seiner oberen fast median liegend. So qualifiziert sich dieser Wirbel als ein Ubergang vom Keilwirbel zum Schri~gwirbel.

Wenn nun hier nach der Messung die Kuppe des Bogens entsprechend dem Verlaufe der Dornfortsatzlinie ungef/~hr in den zweiten Lendenwirbel

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verlegt werden musste, so ist der Fehler verglichen mit dem Verhalten der WirbelkSrper ein ausserordentlich geringer, da bier tatsgchlich die Kuppe in der IntervertebrMscheibe III auf II gelegen war.

Die Kuppe des rechtskonvexen Bogens in der DorsMwirbels~ule ist am achten Brustwirbel, bezw. an der Grenze vom achten und neunten Brust- wirbel gelegen. Die Neigung des unteren Tells des dorsalen Bogens zur Ver- tikalen nnd zu der unteren Lendenwirbels~ule ist entschieden etwas grSsser als das nach der Masszeichnung scheint. W~thrend hier die BogenhShe des Lendenabschnittes auf die Kuppe des Dorsalabschnittes gemessen, nur ca. 2 cm ausmacht, betr~gt diese BogenhShe auf die Mitre der WirbelkSrper am Gipsabgusse gemessen, 3,5 cm, entspricht somit den Voraussetzungen, welche wir fiir die Auslegung der Zeichnungen Eingangs gemacht haben.

Einer besonderen ErwS~hnung bedarf die Umbiegestelle oberhMb der rechtskonvexen Dorsalkriimmung. An der Dornfortsatzlinie der Zeichnung wiirde diese Umbiegung ungefghr am vierten bis fiinften Proc. spin. liegen. Am Gipsabgusse der Riickenfl~tche finden wit don dritten his vierten Proc. spin. wieder median gestellt. Die Innenfl'~ehe zeigt diese Umbiegung der l e t z t e r e n Beobachtung entsprechend oder noch etwas h5her, ca. am dritten. Es scheint also, als ob die KSrperreihe hSher oben abgebogen sei, als die Dornfortsatzreihe. Die letztere wiirde demnaeh der ersteren in der Abbiegung vorausgehen. Nun ist es ja selbstverst~ndlich, dass die nach unten gerichteten Proc. spinosi als Zeiger der Verstellung des Wirbels ohnehin den Eindruck erweeken, als ob diese Abbiegung welter unten liege, aber auch naeh Ab- schStzung dieses Eindruckes ist doch die Abbiegung der Dornfortsatzlinie tatsS~chlich friiher erfolgt, als die der KSrperreihe, so dass wir gezwungen sind, eine Ablenkung der Proe. spinosi des vierten und fiinften Brustwirbels nach der linker Seite anzunehmen.

Ein etwas eigentiimliches Verhalten zeigt bier die Torsion. Sie ist wie oben angegeben, in den beiden Abschnitten der Wirbels~ule nicht so gross, als sie gewShnlich bei Skoliosen yon Erwachsenen gefunden wird. Man sieht schon an dem Gipsguss der Innenfl~che, dass sie haupts~tchlieh nur auf wirk- licher Drehung der WirbelkSrper beruht und dass sehwere Deformierungen an den einzelnen Wirbeln, welehe auf die Torsion zurtickzufiihren w~ren, mehr oder weniger fehlen. Auch an den excidierten Wirbeln ist ausser- ordentlich deutlich zu sehen, dass yon den Eigenschaften des Keilwirbels, speziell die Abschr~gung nach rechts das Bild der Deformit~t beherrscht und dass die schweren Ver~tnderungen im horizontalen Sehnitte, welche bei den stark torquierten Wirbeln so deutlieh zu sehen sind, am dritten Lendenwirbel vollstgndig fehlen. Der erste und zweite Lendenwirbel lassen auch nur an- deutungsweise eine Drehung der oberen Fl~che gegen die untere erkennen. An der Brustwirbels~ule erkennen wir ebenfalls keine schweren Deformierungen im Sinne der Torsion. Auch hier miissen wir also die vorhandene Torsion auf Stellungsver/inderung zuriickfiihren.

Diesem Verhalten der Wirbels~ule entsprieht nun ziemlich genau das- jenige des Thorax. Wir finden ziemlich ausgesprochene Torsionserscheinungen,

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8 W i l h e l m S c h u l t h e s s .

aber der rechtsseitige Rippenbuckel ist kaum kammfSrmig, eher etwas ab- gerundet~ zu nennen, wie sowohl der Abguss der Rficken- als aueh der

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F i g . 8 a.

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Innenfliiche dartut. Besonders an der Innenfliiche ist deutlich zu sehen, (s. Fig. 8), dass der rechtsseitige Rippenbuckel nur auf kurze Distanz vorwiegt. Die Torsion des Thorax springt im oberen Tell auf die linke H~lfte fiber. Im ganzen haben wir es also mit einer Skoliose zu tum welche verhi~ltnism~ssig deutliche Seitendeviation bei verh~i]tnism~ssig geringen Torsionser- scheinungen erkennen l'~sst. Aus a]l den beschriebenen Erscheinungen miissen wir schliessen, dass die Skoliose erst in sp~terer Zeit entstanden sei, denn erfah- rungsgemiiss werden speziell die Torsions- erscheinungen um so intensiver, je friiher die Deformit~t beginnt. Die Wirbelsi~ule des Neugeborenen und des Kindes in den ersten Lebensjahren zeigt mehr Neigung zu Torsion, als die des Adolescenten oder Erwachsenen. Fiir eine solehe Auffas-

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F i g . 8 b.

Fig. 8 a und 8b. Horizontalkonturen. Abguss der Innenfliiche abgenommen. -- In Fig. 8 a sind auf den Liingskon~uren die Hiihen

der Querkonturen angegeben.

sung spricht auch die ungemein gleichm/issige Verteilung der Kriimmungen auf beide Seiten. W~hrend wir bei friih entstandenen Skoliosen gewShnlich die Erfahrung machen~ dass die Dorsalkriimmung unter starker Vermeh- rung der Deviation die Lendenkrfimmung gewissermassen iiberwiiltigt~ und

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Beitrage zur pathologischen Anatomie der Wirbels~iule. 9

dass dabei eine starke Seitwi~rtsneigung des Truncus fiber dem Becken eintritt, sehen wir hier eine verh~ltnism~ssig geringe, der Lendenkriimmung entgegengesetzte Neigung fiber dem Kreuzbein nach links.

Die excidierten Wirbel gaben uns Gelegenheit zum Studium der offenbar auf statische Einwirkungen zurfickzuffihrenden Ver~nderungen und da gibt besonders das Obergreifen der R~nder des WirbelkSrpers, auf der niedrigen Seite ein charakteristisches Bild. Diese st~rkere Entwi(.kelung, welche wie ein Herauspressen der Knochensubstanz auf der konkaven Seite aussieht, er- kli~rt sich sehr leicht. An der konkaven Seite springen die Intervertebral- scheiben stark vor, quellen fSrmlir heraus, wie das an den Bildern der lordotischen Wirbels~ule in einer spi~teren Mitteilung deutlich zu sehen ist. Da in der Intervertebralseheibe der die Stelle der Epiphysenplatte versehende Knorpel mit inbegriffen ist, so muss der Knochen folgerichtig in diese Form hineimvachsen und es resultieren aus diesem Verhalten die vorspringenden R~nder an der niedrigen Seite des Keilwirbels.

Vergleichen wir die Ergebnisse der Messung mit denjenigen der ana- tomischen Untersuchungen, so d[irfen wir wohl behaupten, dass aus der Messung bis anf Details des anatomischen Verhaltens gesehlossen werden konnte. Die Krfimmungen der Dornfortsatzlinie spiegeln sich genau in den Deviationen der KSrperreihe wieder: Abbiegung fiber dem Kreuzbein naeh links, linkskonvexe Lendenkriimmung in der oberen Lendenwirhels~ule, rechts- konvexe Dorsalkrfimmung mit Kuppe am siebten bis achten Brustwirbel, Riickkehr auf die Vertikalrichtnng in den oberen Brustwirbeln unter Auftreten einer m~ssigen Kyphose. Die Torsion des Thorax, welche sich an der kom- pensatorischen Umbiegung im oberen Tell deutlich beteili~t und keine sehr schroffen Uberg~nge zeigt, deutet neben dem verh~ltnism~issig flachen Verlaufe der Seitendeviation auf den Mangel scharfer Abbiegungen und anatomisch scharf ausgesprochener Torsionserscheinungen am einzelnen Wirbel. Alle diese Beobachtungen gestatten uns den Schluss zu ziehen, dass die Messung im Messapparate, bezw. das gelieferte Bild in Verbindung mit der Messung der Torsion in Vorbeugehaltung und der Beckenstellung im aufrechten Stehen ein zuverlKssiges Bild einer skoliotischen Riickgratsverkrfimmung abgibt.

2. O b d u k t i o n s r e s u l t a t bei s c h w e r e r Skoliose.

Es ist l~ngst bekannt, dass schwere Skoliosen zu bedentenden Ver- Knderungen, ganz besonders in den Zirkulationsorganen fiihren, und dass ihre Tr~ger verh/~ltnismiissig friihzeitig an Stauungen des Kreislaufs, an ()demen erkranken und sterben. Am bekanntesten waren yon jeher die Veriinderungen des Herzens, jedoch herrscht fiber die Erkli~rung derselben noch keineswegs Einigkeit. Wir glauben daher, dass die Kasuistik yon Obduktionsresultaten immer noch der Erweiterung bedarf und geben in diesem Sinne den folgenden Befund wieder :

Ein 49jiihriger Mann, der yon Jugend an, sicher schon seit dem 10.--12. Jahre an schwerer Skoliose gelitten hatte, erkrankte an allm~hlich zunehmen-

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10 Wilhelm Schulthess.

der Atemnot. Ein leichter Grad yon Beengung hatte yon jeher bestanden, seit die Skoliose ausgebildet war. Bet der ersten Untersuchung des Kranken zeigte derselbe eine deutliche Cyanose des Gesichts, welches tiberdies ge- dunsen ersehien. Die Venen am Halse Sehienen erweitert, die Atmung war miihsam, der Kranke suchte besti~ndig einen Stiitzpunkt ftir seine Hgnde, be- sonders fiir seine linke Hand, um einigermassen ergiebige Inspirationsbe- wegungen ausfiihren zu kSnnen. Die Skoliose war eine ganz schwere rechts- konvexe dorsale Form mit hochgradigem Rippenbuckel und sehr scharf aus- gesprochener Rechtsneigung des Truncus im Lendensegment. Die Herz- di~mpfung war nach rechts und links verbreitert, die HerztSne dumpf, aber rein, in den unteren Lungenteilen hinten Bronchitis, kein Erguss; die Leber deutlich vergrSssert~ kein Ascites nachweisbz~r~ dagegen leichte ()deme der Unterschenke�91 Suspension am Kopfe erleichterte zwar die Atmung, machte abet in sehr kurzer Zeit, auch bet sorgfitltigster Auswahl der Kopfschlinge unertriigliches Hitzegefiihl duroh venSse Stauungen. Bet dem vorgeschrittenen Alter des Patienten und den Schwierigkeiten z welche sich sehon bet ein- father Suspension ergaben, musste eine Korsettherapie~ wie sie sonst in leichteren Fgllen von Atmungsbehinderung bei relativ schweren Skoliosen 5fters mit Erfolg angewendet werden kann, ziemlich aussiehtslos erscheinen. Man beschr~tnkte sich deshalb auf die ze i twe i se Anwendung der Suspension. Im Verlaufe yon wenigen Monaten mehrten sich die ()deme, es trat eine Bronchitis ein und der Kranke erlag unter Auftreten yon Ascites und Hydro- thorax dem LungenSdem.

Es muss noch hervorgehoben werden, dass er schon l~ngere Zeit, wie oben angedeutet, im Bette sieh auf den linken Ellbogen zu stfitzen pflegte, um so durch die Fixation der Schulter einen festen Punkt far seine Inspirations- bewegungen zu gewinnen. An diese fixierte Schulter zog er sodann haupt- s~chlich vermittelst des Pectoralis minor seine Rippen empor und infolgedessen gewann dieser Muskel eine ausserordentliche St~rke und Ausbildung. Seine Konturen waren deutlich durch den Pectoralis major hindurch zu sehen, wie das ein post mortem angefertigter Gipsabguss deutlieh darstellte. Die Autopsie ergab folgenden Befund:

M~ssige (}deme der unteren Extremit~ten und des Gesichtes. Starker Meteorismus. Haut mit venSsem Blur fiberffillt. Abdomen enth~lt einige Liter klare, gelbliehe Ascitesfliissigkeit. Muskulatur am Thorax hellrot, etwas 5dematOs durchtrSnkt. Peetoralis minor links auffallend stark entwickelt, besonders die eine zur dritten Rippe gehende Zacke. Die zur dritten und vierten Rippe gehenden Bfindel haben zusammen eine Dicke yon zwei Fingern. Der Winkel zwischen Manubrium und Corpus Sterni ist auffallend stark vor- sp ringen d.

Das H erz fiillt den Thorax in seiner Breite beinahe ganz aus. Es wird vom Sternum in zwei beinahe gleiche Teile geteilt. Rechte Lunge durch Adh~sionen mit dem Herzbeutel verklebt. L i n k e L u n g e frei. In der PleurahShle ca. 1/'~1 klare Fliissigkeit, ebenso, aber weniger, im tIerzbeutel.

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Beitr~ge zur pathologischen Anatomie der Wirbels~ule. l l

/3sophagus durchschneidet das Mediastinum derart, dass er an der HShe der Kyphoseskoliose etwa vier Finger breit vo r der Wirbels~ule liegt. A o r t a folgt der Wirbels~ule und liegt auf der HShe der Kyphoskoliose an der Vorderseite, welche hier yon der linken Rippenartikulation gebildet wird.

R e c h t e L u n g e ist stark verwachsen. Der Kamm der rechten Thorax- h~lfte ist nach hinten zu vSllig spaltfSrmig. Naeh unten kann die rechte Lunge wegen flachenhaften Verwachsungen nur mit Substanzverlust entfernt werden. Sie ist 5dematSs und zeigt an der Oberfl~che des Ober- lappens einen halbkirschgrossen verkalkten Kno- ten. Unterlappen vollstgmdig gtelektatisch. Bron- chialschleimhaut stark gerStet und zum Teil mit z~Lhem Schleim bedeekt. In der Mitre des spaltfSrmigen Raumes sind die Rippen dutch Adh~sionen an die Wirbels~Lule angeheftet. Die Leber ist yon mittlerer GrSsse und zeigt im reehten Lappen eine tiefe Furche yon tier Rippenkompression. Auf der Schnittfi~tche zeigt sie Muskatzeichnung. Milz ist matsch und etwas Fig. 9 ~). vergrSssert. Linke Niere etwas cyanotisch. Herz einesSkoliotischen yon vorn. Reehte ebenso. Magen ist dilatiert und yon normaler Form. A o r t a yon gewShnlicher Dicke, kein Aneurysma, abet der Difformit~t der Wirbels~Lule entsprechende Schl~tngelung und Knickung. Wandung atheromatSs.

Fig. 10. Fig. 11.

Fig. 10. Herz eines Skoliotischen, yon oben. Fig. 11. Dasselbe. Fensterschnitt im r. Ventrikel. Fig. 12. Dasselbe. Fensterschnitt5 im 1. Ventrikel.

Fig. 12.

Die ScheitelhShe der grSssten Kriimmung der Wirbelst@e betr~gt 17 cm. Die Kuppe der Lendenkriimmung liegt ~m dritten Lendenwirbel, der nach rechts keilfSrmig abgeschr~gt ist.

1) Die photographischen Aufnahmen zu Fig. 9--12 verdanke ich der Gefiilligkeit des ]:lerrn Dr. Max O s k a r W y s s .

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12 Wilhelm Schul~hess.

Das Herz zeigte als aufl'allendste Erscheinung eine kolossale Dilatation seiner rechten Hglfte (s. Fig. 9 und 10). Es wurde nach Unterbindung der Gefgsse excidiert und in Formalin gehgrtet. Die weitere Praparation und Anlegung der Fensterschnitte verdanke ich der Gef~lligkeit des Herrn Privat- dozenten Dr. Biihler vom anatomischen Institut.

Der rechte Vorhof besonders war enorm erweitert. Der rechte Ven- trikel zeigte an seiner Basis einen Umfang ~'on 20 cm, wiihrend auf den linken nur 12 em fallen am Formalin-Pr~parat. Der linke Yentrikel priisen- tierte sieh somit nur als eine Art Anhiingsel des reehten. Die Koronar- gefiisse sind bedeutend erweitert, an der Orenze ~,on Vorhof und Yentrikel und liings der Grenze der beiden Ventrikel vorn findet sieh eine mfissige Menge Fett. Naeh Anlegung der Fenstersehnitte (s. Fig. 11 lind 12) I) iiber- sieht man die Wanddieke und die Ausdehnung der HShlen.

Am reehten Ventrikel (s. Fig. 11) betrggt die Wanddieke ohne die Trabeeulae 8 ram, im unteren Tell 6 ram, im Conus pnlmonalis 10 ram. Die Trabeeulae sind stark entwickelt, wie besonders das exeidierte Stiick beweist; die Papillarmuskeln stark, die SehnenfS~den kriiftig. Der Durehmesser des reehten Ventrikels auf das Septum gemessen, betr~igt im oberen Teil stark 31/,, em, sein gr6sster Durehmesser yon vorn naeh hinten stark 6 em.

Eine starke Erweiterung zeigt der Conus pulmonalis. Die Pulmonalis hat im Verh:~iJtnisse znr Aorta grosse Durehmesser. Der Vorhof win'de im Interesse der Erhaltung des Prgparates nieht erSffnet.

Der linke Yenlrikel zeigt eine bedeutende Wandstiirke (s. Fig. 12). Wir messen in dem 23 mm unterhalb des Suleus eoronarius angelegten Fenstersehnitt eine Wandstiirke im Maximum 20, im Minimum 15 mm. Die Muskulatur seheint im FormalinprSparat betraehtet, derb und grobfaserig. Aueh bier sind die Papillarmuskeln stark, ebenso die Sehnenfgden.

Die Liehtung des Ventrikels misst nieht mehr wie 15 mm in den ver- schiedenen Durchmessern. Die Muskulatur darf demnaeh als eine ausser- ordentlieh kriiftige bezeiehnet werden.

Das vorliegende Priiparat liefert ein Beispiel ftir die Vertinderungen, wie sie sieh nieht selten beim Skoliotisehen vorfinden. Dehnung und Hyper- trophie des reehten u besonders des Conus pulmonalis, bedeutende Dehnung des reehten Vorhofs, verhi~ltnismiissig grosser Durehmesser tier Arteria pulmonalis und Hyloertrophie des linken Ventrikels sind die priig- nantesten Eigensehaften desselben. Dass eine so lange Zeit bestehende sehwere Deformitiit des Thorax auf das Herz einen bedeutenden Einfluss ausiiben muss, ist leieht einzusehen.

Die Hauptver/inderung in der Funktion besteht in der Verminderung der Lungenkapazit~it der geringen Respirationstiefe. Eine sehwerer zu be- urteilende StSrung bewirken die Kniekungen der Gefiisse, Venen und Arterien. Hier ist sehon der anatomisehe Naehweis der Veriinderungen sehr sehwer, noeh sehwerer die Beurteilung ihrer Einwirkungen auf die Funktion yon tterz und Lunge.

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Beitriige zur pathologischen Anatomie der Wirbelsiiule. 13

In bezug auf die Respiration l~sst sich jedenfalls folgendes sagen: Der schwer Skoliotisehe atmet kurz ein, weft es ihm Miihe kostet den

Thorax in den letzten Phasen der Inspiration lest zu halten weil diese Ar- beit ffir ihn schon eine fiber das physiologische Mass hinausgehende Leistung ist. Er ist in seiner Ruhestellung meehanisch durch das Zusammensinken der Wirbels~ule, beziehungsweise das Heraufdringen des Zwerehfells schon in eine Inspirationsstellung gedrS~ngt und jede inspiratorisehe Atembewegung yon dieser Stellung aus, bedeutet fiir ihn deshalb eine abnorme Leistung. Die verminderte Respirationsleistung ruff nun ihrerseits eine vermehrte Arbeit des rechten Herzens hervor, damit in der Zeiteinheit diejenige Masse Blur durch die Lunge getrieben werden kann, deren Gasweehsel dem Atmungs- bediirfnisse entspricht.

Damit w/ire nun allerdings die Hypertrophie des rechten Ventrikels er- kli~rt, nicht aber die gewaltige Stauung, deren Vorhandensein die starke Dila- tation des rechten Herzens beweist. Es miissen demnaeh beim Skoliotisehen im kleinen Kreislaufe Hindernisse liegen, ffir welche die bisherigen Unter- suehungen noch keine ganz sicheren Beweise geliefert haben. Als solche werden u. a. die auch in unserem Falle vorhandenen chronischen Bronchitiden und pleuritischen Verwachsungen angesprochen; aueh 15~sst sieh annehmen, dass infolg~ der mangelhaften T~ttigkeit des Respirationsmechanismus die An- saugung des Blutes in die Lunge eine mangelhafte ist. Dieser letzte Punkt ist gewiss ein wichtiges Moment zur Erkl~rung der Stauung.

Sehen wir doch bei jedem dutch irgend einea Zustand zur kurzen Re- spiration veranlassten Menschen in kurzer Zeit venSse Stauungen eintreten, das heisst, eine in kleinem Kreislaut' begriindete, auf das rechte Herz und das zugeh5rende Venensystem einwirkende Verlangsamung der Zirkulation. Ausser dieser Ursache mfissen aber noch andere Griinde fiir die meist sehr erhebliche Stauung beigezogen werden, z. B. die relative Kleinheit der Lungen und im einzelnen Falle auch Knickungen in grSsseren Gefiissen.

Wohl sind bei noch jiingeren Skoliotischen die schlimmen Folgen aller dieser VerS, nderungen dureh eine vermehrte Herzarbeit kompensiert; abet sehon relativ geringe Anstrengungen sind im stande, verhS~ltnisms rasch Dyspnoe und Cyanose herbeizufiihren, so dass jeder Orthop~de gelegentlich yon seinen Kranken dieser Erscheinungen wegen um Hilfe angesprochen wird.

Die besehriebene Entwickelung des Leidens bringt es dann auch mit sich, dass die in venSser Stauung und Hydrops gipfelnden Erseheinungen beim Skoliotischen einen eigentiimliehen Charakter tragen. Ist im vorgeriickten Alter der gerzmuskel nicht mehr so leistungsfghig oder ist er aus irgend einem Grunde, Infektionskrankheiten, Alkohol, degeneriert, so treten in ver- h~ltnism~ssig kurzen Zeit schwere KompensationsstSrungen Bin. Auch dann, wenn durch eine Bronchitis oder eine Pneumonie die LungentS, tigkeit er- schwert und reduziert ist, so fiihrt die Insufficienz des Herzens viel rascher zu sehweren StSrungen und zum Tode als bei normalem Thorax.

Die in unserem Falle gefundene H y p e r t r o p h i e des l i n k e n V e n - t r i k e l s , welche bei schweren Skoliosen nicht gerade regelm~ssig vorkommt

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14 Wilhelm Schulthoss.

und selbstverst~ndlich bei dem Fehlen yon Klappenerkrankung auf ein Itindernis in tier Aorta hindeutet, glauben wir dureh die Knickung an Stelle des Kriimmungsscheitels der Skoliose und die verhgltnism~ssig geringe Weite des Gefiisses erkl~ren zu miissen. -- Diese ist ~'erh~ltnism~ssig geringer als diejenige der Pulmonalis, entspreehend der Uberfiillung des Venensystems.

Die beschriebenen Erseheinungen lassen sich demnaeh wie folgt zu- sammenfassen:

Eines der ersten Symptome der StSrnng ist gewGhnlich Stauung tier Hals- gefiisse und Cyanose des Gesiehtes. Oft ist dasselbe auch deutlieh gedunsen, leieht hydropisch, w~hrend Odeme anderswo noeh fehlen. - - An den Armen, sowie an der ganzen oberen KGrperh~lfte zeigt sieh naeh und naeh venGse Stauung, daneben besteht eine deutliche Dyspnoe mit mtihsamer kurzer Inspiration, ohne dass, wie beim Emphysematiker die Exspiration deutlieh verli~ngert w~re. Naeh und nach entwickeln sieh lJdeme der ganzen Hautoberfl~che und zwar wiederum im Gegensatz zu ~'ielen anderen Formen des Hydrops, ohne dass dabei die Unterextremit~ten allein betroffen wiiren oder erheblich voraus- gingen. In den sp~ten Stadien unterscheidet sieh das Bild allerdings nieht mehr wesentlich yon demjenigen anderer Herzhydropisehen; nur steht immer die Cyanose im u Infolgedessen stellen sich aueh verh~ltnis- m~issig friih sopori~se Zust~nde (Kohlens~ureinoxtikation) Bin, in welehen der Kranke sehliesslich erliegt.

Die gesehilderten Ver~inderungen treten friihzeitig in einer Form auf, welch ernst genug ist, um die Aufmerksamkeit der )~rzte aueh auf diese Seite der Seh~tdigungen der Gesundheit, Leistungsf~higkeit und Lebensdauer dutch sehwere Deformit~ten der Wirbels~ule zu lenken. Und wenn aueh in ver- h~tltnism~ssig leiehten mittleren Formen diese ZirkulationsstSrungen sieh nieht in dem Masse i~ussern, so lehrt eine aufmerksame Beobachtung doeh, dass sic bis zu einem gewissen Grade vorhanden sind und dass sic die Leistungs- f~higkeit des Individuums bedeutend herabsetzen.

Jeder therapeutische Versuch hat sieh deshalb aueh die Frage vorzu- legen, inwieweit er mit der Deformit~t aueh die Verhiiltnisse der inneren Organe bessert. Dass eine vollst/indige I-Ieilung aueh naeh dieser Riehtung gtinstige Wirkungen erzielt, ist selbstverstS~ndlieh. Wenn wit aber nut Besse- rungen erzielen, so sind dieselben nieht sowohl nach der kosmetisehen als aueh naeh der eben beigezogenen Richtung auszugestalten.

B. Spondylitis.

In der chirurgischen und orthop~disehen Literatur fehit es zwar nicht an einer grossen Zahl von Darstellungen der ZerstSrungen, welche die Tuber- kulose an der Wirbels~ule verursacht; jedoeh zeigen die meisten Bilder, welche diesen Gegenstand beleuchten, nur den Befund am macerierten Knochen. Da ich nun zuf~ltig fiber eine Anzahl yon Pr~paraten verffige, bei welchen die Weichteile noch nicht oder nur teilweise entfernt sind, so glaube ich durch

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Beitr~ige zur pathologischen Anatoime der Wirbels~tule. 15

die Wiedergabe der entsprechenden Bilder da und dort eine Liicke ausfiillen zu kSnnen. Auch wird die folgende Darstellung Gelegenheit geben zu An- kniipfung yon Bemerkungen fiber die Diagnostik, Pathologic und Therapie des ganzen Krankheitsbildes.

1. Spondyl i t i s cerv ica l i s .

WKhrend die Tuberkulose an den tiefer liegenden Teilen der Wirbelsiiule durch die ZerstSrung, die sie an den WirbelkSrpern anrichtet, die bekanntem charakteristischen Deformitiiten ~'erursacht, so sind ihre Gefahren, wenn sic die oberen Teile ergreift, hauptsiichlich durch die ZerstSrung der Gelenke be- dingt. Es ist das Verdienst ganz besonders yon B e r g m a n n s , auf die cha- rakteristischen klinischen Eigenschaften speziell der Erkrankungen des Atlanto- occipitalgelenkes aufmerksam gemaeht zu haben. Leider ist diese Form der Tuberkulose keine ganz seltene und sic fiihrt aueh bei sorgf'fil)iger Behandlung h~ufig zum Tode. Wit h~ben bereits in unserem Atlas zwei Pr~parate abge- bildet (Tafel 12, a und b), welehe zeigen, in welch typiseher Art die Hals- wirbelerkrankung zum Tode ffihren kann. Es ist l~ingst bekannt, dass plStz- liehe Todesfiille dureh mechanische L~ision der Medulla vorkommen und dass aueh nicht selten die Tuberkulose in miliarer Form ~'on den erkrankten Teilen auf die Meningen iibergeht. Jene genannten Abbildungen demonstrieren zwei Beispiele fiir die erstgenannte Todesart. In dem einen Fall war durch die Loekerung der beiderseitigen Gelenke zwisehen Atlas und Epistropheus und durch die ini'olge der Erkrankung eingetretene Loekerung des Ligamentum transversale atlantis tier Zahn des Epistropheus durch die Dura an der Seh~del- basis gedrungen und hatte die Medulla direkt komprimiert. Es handelte sieh hier also um eine symmetrisehe Erkrankung der beiden genannten Gelenke, nebst derjenigen, welche den Zahnfortsatz umgeben. In dem zweiten Falle (Tafel 12 b des Atlas) war der Mechanismus der L~ision des Riiekenmarks insofern ein anderer, als hier infolge der Lockerung des linksseitigen Gelenkes zwisehen Atlas und Epistropheus eine Drehung des Atlas urn das reehtsseitige entspreeh- ende Gelenk stattfand. Dadureh wurde der hier ebenfalls in seinen Verbindungen rnit dem Atlas geloekerte Zahnfortatz auf die Medulla oblongata gepresst, bezw. der Kopf sank mit dem Atlas unter einer Drehung um das reehtsseitige atlanto-epistropheale Gelenk nach vorn, so dass alas Riickenmark gewissermassen dureh den Meehanismus abgeschert wurde. Auf die Krankengesehichten jener F~lle will ieh hier nieht zurtiekkommen, sic sind im Auszug bereits bei Ge- legenheit eines Vortrages in der Gesellsehaft der Arzte des Kantons Ziirieh publiziertl) (27. November 1900). Es ist aus jenen Beobachtungen hervorge- gangen, dass es in der [Iherapie dieser Erkrankungen ausserordentlieh wiehtig ist, den Kopf gegen die'Halswirbels/iule kraftig zu reklinieren, um dem un- liebsamen Ereignis der Perforation des Zahnfortsatzes dureh die Dura, iiber- haupt den Versehiebungen des gopfes naeh vorne entgegenzutreten. Es hat sich aber aueh die merkwiirdige Tatsaehe gezeigt, dass der Zahnfortsatz des

~) S. Korrespondenzblatt far Schweizer Arzte, 1901, Nr. 4.

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16 Wilhelm Schulthess.

Epistropheus die Dura an der Sehiidelbasis perforieren kann, ohne den sofor- tigen Tod herbeizufiihren, auch ohne in dem der Perforation vorangehenden Stadium eine Meningitis zu erzeugen.

Zufitllig kam ieh in den Besitz eines dritten Pr~tparates, welches wiederum die grosse Tendenz des Zahnfortsatzes zur Perforation der Dura zeigt. Die Patientin, yon weleher es stammt, kam im Alter yon 15 Jahren in unsere Behandlung. Sie war hereditSz nieht belastet, maehte friiher Masern dureh und vor 3 Jahren eine Pneumonie. Sic hatte schon ca. a/4 Jahre an Sehmerzen im Naeken, in der linken Gesichtshiilfte (Zahn- weh !) gelitten. Seit April fiihlte sic sieh sehwer krank. Sic wurde wegen ihrer Besehwerden im Halse yon versehiedenen )~rzten behandelt, unter anderem aueh 14 Tage lang massiert. In letzter Zeit musste sie den Kopf best~tndig mit den H~inden sttitzen, weil das freie Tragen desselben Sehmerzen verursaehte. Sic zeigte bei ihrem Eintritt eine Steifstellung und eine ausserordentliche Empfindliehkeit gegen jede Bewegung des Kopfes, dabei hoehgradige Sehwellung der Teile unterhalb der Seh~tdelbasis. Befund der inneren Organe bot nichts krankhaftes. Nach diesen Erseheinungen konnte die Diagnose ,,Cervikalspondylitis" keinem Zweifel begegnen. Im Raehen konnte ein Abscess nieht konstatiert werden. Patientin wurde sofort dureh ein Gipskataplasma, nm Sehulter, Nacken und Itinterhaupt gelegt, immobilisiert. Es wurde auf eine leiehte Reklination Bedacht genommen. Im weiteren Ver- laufe ist bemerkenswert, dass naeh ca. 4 Monaten Behandlung bei bestSmdiger ruhiger Bettlage eine LS~hmung der linken Zungenhi~lfte zur Beobachtung kam. Man beobaehtete daran fibrillS~re Zuekungen, aueh eine etwas hellerrote Fiir- bung als an der reehten HSMte. Die Zunge wich beim Herausstreeken stark naeh links ab, abet auch sehon bei rnhiger Lage im Munde zeigte sieh in der linken H~tlfte lateral eine Delle und tier Zungenriieken sehien auch links etwas h5her zu sein als reehts. Es konnte nach diesen Erscheinungen an der Dia- gnose ,,Hypoglossusl~hmung" nieht gezweifelt werden. Naeh weiteren 3 Monaten wurde an der hinteren Raehenwand eine Anschwellung konstatiert, welche aber nieht deutlieh fluktuierte. Die Geschwulst berfihrte beinahe die Gaumenbogen und die Sprache war infolgedessen etwas behindert. Da zu gleicher Zeit etwas vermehrte Schmerzen eintraten, wurde zu der Reklination noch eine leiehte Kopfextension beigefiigt, welehe die Schmerzen etwas verminderte. Die Kopf- stellung blieb bei alledem eine etwas asymmetrische. Der Kopf wurde meistens etwas nach links gedreht und nach links geneigt. Das Allgenleinbefinden war anfiinglich gestSrt. LS, ngere Zeit klagte die Patientin aueh fiber Leibsehmerzen, Druekschmerz und VerdauungsstSrungen; stellenweise D~tmpfungen liessen uns eine tuberkulSse Peritonitis annehmen. Naeh und naeh besserten sich die Erscheinungen, die Hypoglossusl~thmung dagegen ver~chwand nie vollst~ndig, eine kiirzere Zeit wurde auch eine Parese des linken Facialis beobaehtet. Be- merkenswert sind die Pulszahlen, welehe auch bei Abwesenheit yon Fieber oder bei ganz geringen Steigerungen wiihrend der ganzen Beobaehtungszeit selten unter 100 gingen und 5fters 120 erreiehten. Naeh einer weiteren Be- handlung yon ca. 14 Monaten war die Schmerzhaftigkeit bedeutend zuriiek-

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gegangen, so dass der Versuch gemacht wurde, die Patientin in einem schalen- fSrmigen Gipsverbande, der yon den Hfiften his fiber den Kopf reiehte, gut Init Binden fixiert, aufstehen zu lassen. Naehdem sie einige Monate anfi~ng- lieh mit diesem Gips~'erbande, spi~ter mit einem Portativapparat aus gewalktem Leder mit Stahlversti~rkung ausser Bett zugebracht hatte, traten wieder Sehmer- zen im Hinterkopf auf; das Allgemeinbefinden verschlechterte sich und inner- halb kurzer Zeit zeigten sigh die Erscheinungen einer tuberkulSsen Meningitis. Naeh einer Behandlungszeit yon etwas mehr als ll/~ Jahren im Krankenhaus erlag die Patientin dieser Krankheit. Bei der Autopsie zeigte sigh folgender Befund :

Extrem abgemagerte Leiehe, eingesunkenes Abdomen, das Netz in der ganzen Ansdehnung mit dem Peritoneum parietale verwaehsen, ebenso an ein- zelnen Stellen mit dem Darm. Aueh unter sieh sind die D/irme teilweise dutch Adhgsionen verwaehsen. Das H e rz bietet normalen Befnnd, die Lungen zeigen zahlreiehe Verwachsungen mit der Pleura eostalis. In beiden Lungen- spitzen findet man eingezogene, harte Narben. Im weiteren zeigen sie tJdem und Hypostase. In der Umgebung der Bronehien liegen verkgoste BronGhial- driisen. Die Milz ist aufs doppelte vergrSssert. Der D a r m zeigt neben den erwi~hnten zahlreiehen VerwaGhsungen, welehe sieh nur mit dem Messer trennen lassen, im unteren Tell des Ileums einige frisehe tuberkulSse Gesehwiire, daneben eine grosse Zahl yon Narben.

L e b e r mit dem Peritoneum parietale verwaehsen. Nach ErSffnung des Schi~dels zeigt sieh die Innenseite der Dura

glatt und spiegelnd, die Pia besonders in den unteren Teilen getriibt. Nach Entfernung des Gehirns entleert sigh aus dem Rtiekgratskanal viel triibe Fliissigkeit, an der Gehirnbasis ist die Pia stark getriibt, die GefS~sse sind stark gefiillt, fiberall an der Basis, ganz besonders in der Fossa sylvii liegen zerstreute miliare KnStehen, die Ventrikel sind erweitert, die Hirnsubstanz, die Ganglien, die Medulla oblongata und das Kleinhirn lassen auf dem Schnitt nichts abnormes erkennen.

Ohne Riicksicht auf den lokalen Befund an der Sch/idelbasis ergab also die Sektion als Todesursache M e n i n g i t i s t u b e r e u l o s a und als weitere Veri~nderungen alte ausgeheilte Herde in den Lungen, verk~ste Bronchial- driisen, hypostatisehe Pneumonie, vollst/indig ausgeheilte Peritonitis, Narben yon Gesehwiiren im Darm und frisehe tuberkulSse Gesehwiire desselben.

Der Fall liefert also beil~ufig gesagt wieder einmal den Naehweis fiir die MSgliehkeit der Ausheilung der tuberkul. Peritonitis, welehe ja, wie in der Krankengesehiehte bemerkt, kliniseh beobaehtet und diagnostiziert worden war.

Zur Feststellung des Lokalbefundes speziell in bezug auf die Erkrankung der obersten Halswirbel und der SGhgdelbasis wurde die Untersuehung noch welter gefiihrt.

Naeh Er5ffnung des Sehi~dels wurde vermittelst der Giglisehen Siige ein etwa 8 tin im Durehmesser haltendes Stfiek rings um das Foramen oeeipitale herausgesi/gt und samt einem Teile der Halswirbelsihde entfernt. Die Schiidelbasis sass, wie nun deutlieh zu sehen war, etwas schief naeh

Arch. f. Orthop., Mechanoth. u. Unf.-Chir. n. 1. 2

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:8 Wilhelm Schulthess.

links geneigt und wenig nach links gedreht, auf der Halswirbels~ule. Bet vollkommen unversehrter Dura trieb etwas rechts yon der Mitre nahe dem vorderen Umfange des Hinterhauptloches ein harter Tumor, nichts anderes als der Zahnfortsatz des Epistropheus die harte Hirnhaut nach oben (s. Fig. 13). Die Dura ersehien vor dieser VorwSlbung rauh, mit Adh~sionen bedeckt und leicht injiziert. Die Pia war dort adh/irent. Hier ist die Entzfindung yon den R:~umen u n t e r der Dura i iber dieselbe nnd in den Sch~delraum hineingedrungen.

An der Vorderseite der Wirbelsgule land man da, wo ein Abscess ver- mutet wnrde, auch jetzt keine grSssere Eiteransammlung, sondern nur eine Infiltration der Weichteile. Zur genaueren Demonstration der Lage des nach oben geschobenen Processus odontoides im Verh:tltnis zur Sch~delbasis wurde das Pr~parat n~ch langer Hgrtung in Formalin sagittal durchgesg.gt. Auf dem Schnitte (s. Fig. 14) zeigte sich nun, dass die Sch~delbasis wirklich tiber

die Halswirbels~tule heruntergesunken, und dass dadurch der Zahnfortsatz 10--12 mm fiber den oberen vorderen Rand des Hinter- hauptloches hinaufgestiegen war. Die ganze VerschiebungsgrSsse des Epistrophens nach oben mochte danach wohl ann~hernd 2 cm be- tragen. Zwischen der vorderen Wand des Zahn- fortsatzes, der oberen Fl~che der Scb~delbasis

Fig. 13. und der Dura befindet sich ein dreieckiger Spondylitiscervicalis. Sch/~delbasis Raum, der (lurch die Abhebung der Dura yore und Hinterhauptsloch yon vorn und Hinterhauptsloche geschaffen wurde und zum ~oben gesehen. Die Dura dureh den Teil mit brSckligen, k~sigen Massen, zum Tell Processusodontoidesemporgehoben mit Granulationsgewebe erfiilltist. Der vordere (a), dahinter die Sehnittfl/iehe des

Rfickenmarks (b). Rand des Hinterhauptsloches, der durch diesen ganzen Vorgang yore Periost vollstS~ndig ent-

blSsst wurde, ist hSckerig, rauh und durch l'qekrose weiss gefSzbt. Der Durchschnitt der hinteren Umrahmung des Hinterhauptsloches (s. Fig. 14 b) scheint dagegen yon der Krankheit nicht ergriffen worden zu sein. Der Zahn- fortsatz selbst (s. Fig. 14a) ist in seiner Konsistenz am Formalinpr/~parate nicht ~:erSmdert, wohl aber hell gefgrbL im Gegensatz zum KSrper des Epi- stropheus, der wie die iibrigen Halswirbel eine dunkle F~rbung zeigt. Vor dem unteren Teil des Zahnfortsatzes liegt der Durchschnitt des ~,orderen Atlasbogen (s. Fig. 14d),~ welcher deutliche Erkrankungsherde und im ganzen eine Reduktion zeigt und im Zerfall begriffen ist. Die vordere Umrahmung des Hinterhauptsloches liegt mit ihrer Spitze direkt auf dem Atlasbogen. In dem yon Epistropheus und Sch~delbasis nach unten gebildeten Winkel beobachtet man eine weit naeh nnten bis znm vierten Halswirbel reichende Infiltration s~imtlicher Gewebe. Direkt unter der Sch~idelbasis liegt in diesem Dreieck ein mit kKsiger Masse geftillter Hohlraum.

An der hinteren Fl:iche der WirbelkSrper ist die Dura 1--3 mm hoch abgehoben bis in die HShe des KSrpers des ~'ierten Halswirbels. Der Raum ist ausgeftillt mit einer rotgef~rbten Masse.

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Beitriige zur pathologischen Anatomie der Wirbels~u]e. ]9

Der hintere Atlasbogen (s. Fig. 14 c), zeigt auf dem Durchschuitt in seinem oberen Teile normale F~rbung, im unteren ist er weiss, zum Teil schon im k~tsigen Zerfall begriffen. In seiner Umgebung sind die Weichteile zum Teil infiltriert. Unterhalb des Durchschnittes des Bogens des zweiten ttalswirbels liegt ein weiterer K~iseherd, dagegen fehlen in den weiter unten ge- ]egenen Partien am hinteren U m- range des Riickenmarkskanals sowohl Infiltrationen der G ewebe als Knochenerkrankungen.

Besondere Schwierigkeiten bereitete in diesem Falle die Untersuchung der Stellung des Atlas zum ttinterhaupt. Schon beim Betrachten des unver- sehrten Priiparates ergab sich, dass der Zahnfortsatz nicht nur emporgeschoben, sondern auch an den rechten vorderen Quadranten des Hinterhaupts- loches angedr~ngt war. Mit dem Epistropheus war nun auch der Atlas nach rechts gewandert und ~ie oben be- merkt~ war diese Verschiebung der Halswirbels~ule nach rechts~ beziehungsweise der Sch~del- basis nach links mit einer Senkung derselben nach links verbunden.

Der Kopf hatte gegenfiber der Halswirbels~ule eine Dreh- Fig. 14. ung um eine horizont~le, sagit- Sagittalschnitt durch das Pr~parat yon Fig. 13. tale Achse nach links gemacht. Rechte H~lfte. W~hrend nun die rechte H~lfte a Processus odon~oides, b Durchschnitt durch die

hintere Umrahmung des Hinterhauptsloehes. e Durch- des Atlas dieser Bewegung ent- schnitt des Atlas, hintere Spange. d Durchsehnitt sprechend unter dem rechten des Atlas, vordere Spange. Umfang des Hinterhauptsloches

verschwand und nach rechts und aussen verlagert wurde, so trat die linke H~lfte in der Lichtung hervor, so dass der oberste Tell des Riickenmarkskanals da- durch yon links her etwas ein~eengt wurde. Fig. 13 zeigt diese assymmetrische Einengung. Man fiihlt nahe der linken Umrahmung des Hinterhauptsloches den Atlas ganz deutlich und zwar ist er nicht nur nach innen, sondern auch

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20 Wilhelm Schulthess.

in die HiJhe getreten. Die eben beschriebene Verschiebung macht sich am PrS, parate auch yon aussen her dadurch geltend, dass man die iiusseren Teile des Atlas rechts unterhalb des Hinterhauptes deutlich iiihlt, links da- gegen nicht. Die Verschiebung des Atlas gegeniiber dem linken Rande des Hinterhauptsloches betriigt l l - - 12 mm.

Die beschriebene Verschiebung ist nun besonders in der HShendimension nu r d u r c h e i n e g l e i c h z e i t i g e Z e r s t 5 r u n g de s l i n k s s e i t i g e n A t l a n t o o c c i p i t a l g e l e n k e s u n d e i n e s T e i l e s d e r M a s s a la t . sin. a t l a n t i s d e n k b a r . Zur weiteren Untersuchuag der Stellung wurden zwei RSntgenaufnahmen yon dem Pr~- parate durch Herrn Dr. B iir in Ziirich gemacht (s. Fig. 15 und 16).

Das Bild der rechten HSMte (s. Fig. 15) ergibt nun deutlich die Kon- turen des Hinterhauptes des Atlas (c und d), des Epistropheus (a) und der iibrigen Halswirbel. Und zwar liegt der Zahnfortsatz (s. Fig. 15 a) dem Pr~parate entsprechend in den Konturen des Hinterhauptes (b). Die vordere Atlasspange (d) liegt hart unter- halb des Hinterhauptes, die hintere (c) ist durch einen 4 mm breiten Zwischen- raum yon demselben getrennt.

Man sieht deutlich den [)bergang Fig. 15. in die Massa lateralis atlantis und die

Radiogramm der reehten H~lfte des Pr~- Anfiigung derselben an das Hinter- parates von Fig. 13, aufgen, von Hr. Dr, Bar. haupt. a Proc. odontoides, b Hinterhaup~sbein. Ganz anders verh~lt sich die linke c Hinterer Ailasbogen. d Vorderer Atlas- Hiilfte (s. Fig. 16). Der Zahnfortsatz,

bogen, e Proc. spin. des Epistropheus. yon welchem auf dieser Seite nur ein kleineres Stiick iibrig geblieben war,

ist in seinen Konturen nicht deutlich zu erkennen, sein Schatten liegt direkt auf dem Hinterhaupt. Es fehlt auch eine deutliche Kontur der vorderen Atlasspange. Die hintere Atlasspange (s. Fig. 16 c) erkennt man dagegen deutlich als keulenfSrmigen Schatten, dessen oberer Tell noch in die Konturen des Hinterhauptes f~llt. Von einer Massa lateralis ist nichts zu sehen. Die Radiogramme best~tigen demnach den bei der Betrachtung des Pr/~parates sich ergebenden Befund in bezug auf die Lagerung der beid- seitigen Atlasgelenke.

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Beitriige zur pathologischen Anatomie der Wirbelsiiulo. 21

Der geschilderte Befund bietet sowohl yon seiten der Knochenerkrankung als yon seiten der Komplikationen im Gebiete des •ervensystems mannig- faltiges Interesse. ~ach tuberkulSser Erkrankung der Allantooccipitalgelenke und der Verbindungen zwischen Zahnfortsatz und Atlas sind auch die kn5cherne Umrahmung des Hinterhauptsloches und die vordere und hintere Fl~che der WirbelkSrper yon dem Prozesse ergriffen worden. Dabei stellte sich eine ~ekrose, zum Teil Verk~sung der Schgdelbasis am vorderen Rande des Hinterhauptsloches, eines Teiles des Atlas und des Dens epistrophei ein.

Von besonderem Interesse und fiir die Prognose yon grosser Bedeutung ist die beginnende Nekrose des Zahnfort- satzes. Eine Ausheilung des Prozesses h~tte in diesem Falle nur durch roll- st~ndigen Zerfall, Verk~sung~ u kung oder Vereiterung desselben ein- treten kSnnen. Vorausgesetzt der Tod durch Meningitis wgre nicht eingetreten und die vollst~ndige Perforation der Dura durch den Zahnfortsatz ebenfalls nicht erfolgt, so hgtten der Kranken auf dem langen Wege der Ausheilung noch eine Unzahl yon Gefahren gewartet. Aueh ergeben sich ohne weiteres die Schwierigkeiten einer Fixation des Kopfes und der Halswirbels~ule; wenn man die grosse Ausdehnung der Er- krankungsherde und die Zerst5rung, die sie an Gelenken und Knochen an- gerichtet haben, iibersieht. Man sieht ein, dass ein krgftige Extension bei dieser allgemeinen Lockerung der Ge- Fig. 16. lenkskomplexe nicht im stande wfire~

Radiogramm der linken Halfte des Prii- eine Ruhigstellung hervorzubringen. Hier parates yon Fig. 13, aufgen, yon Hr. Dr. Bar. muss eine geeignete Lagerung mithelfen, b tlinterhauptsbeine, c Hinterer Atlasbogen. aber die Schraerzhaftigkeit ist gewOhn- e Processus spin. des Epistropheus. lich so gross~ dass man yon irgendwie erheblichen manuellen oder mechanischen Eingriffen so viel wie mSglich ab- sehen muss. Der Durchschnitt der vor der Wirbels~ule gelegenen Infiltration der Weichteile zeigt, dass dieselbe aus einer Reihe yon Herden zusammen- gesetzt ist, welche intra vitam wohl grossenteils tuberkulSse Granulationen und nur zum kleineren Teile Eiter enthielten. Die hnschwellung hatte die Form eines retropharyngealen Abscesses. Mit einer Incision wgre abet nur ein sehr beschri~nktes Gebiet des befallenen Gewebes erSffnet worden. Eine hie heilende Fistel w~re die Folge gewesen. Dass die terminale Meningitis in

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22 Wilhelm Schulthess.

diesem Falle infolge der Einwanderung der Infektion durch die Dura entstanden ist, steht ausser Frage; war doch die Pin an der besehriebenen Stelle vor dem Zahnfortsatz an die Dura adherent gerade an der Stelle, we ausserhalb der Dura die grSsste Ausbreitung des Prozesses bemerkbar war.

Grosses Interesse erweeken nun in unserer Krankengeschichte die nervSsen Erscheinungen. Dass eine Spondylitis cervicalis mit Neuralgien im Gebiete des Trigeminus verl/~uft, ist eine gewShnliche Erscheinung und sie ist bisher durch die extrakraniell den Nerven treffenden Sch.~dlichkeiten, die entziindliche Infiltration in seiner Umgebung erkl~rt worden. Auch hier kSnnen wir ffir das Auftreten der h~ufigeu Neuralgien nichts anderes verantwortlich machen und wir sind um so eher geneigt, auf dem bisherigen Standpunkt stehen zu bleiben, als zeitweiseExacerbation des Prozesses jeweilen mit Ver- mehrung der Neuralgien verliefen. Bemerkenswert bleibt immerhin, dass Lage- ver/inderungen des Kopfes bei solchen Kranken die Neuralgien steigern, so dass also auch Zerrungen oder Quetschungen der Nerven daneben mit eine Rolle spielen kSnnen.

Anders verh~lt es sich aber mit den Erscheinungen yon seiten des Vagus und Hypoglossus. Auf die Affektion des ersteren deutet die yon Anfang an aueh in fieberlosen Zeiten beobachtete Vermehrung der Pulsfrequenz. Noch sch~rfer trat die Affektion des Hypoglossus auf. Leider kann der genaue Zeit- punkt ihres Eintretens nicht angegeben werden und eben so wenig ist es mSglich, festzustellen, ob die L~hmung des Nerven plStzlieh oder allm~hlich eingetreten sei. Es handelt sich hier nun in bezug auf diese L~sion um die Entseheidung der Frage, ob der Nerv auf meehanisehem Wege odor dutch entziindliehe Vorg~nge affiziert worden sei; ferner durum, ob die Sch~dlichkeiten intra- oder extrakraniell eingewirkt haben. Nach der klinischen Beobaehtung w/iron wir geneigt gewesen, entzfiudliche Vorggnge der Urheberschaft zu boschuldigen und zwar eben die auch bei der Autopsie gefundenen Infiltrationen der Weich- teile an der Seh~delbasis. Nach dem Resultat der Autopsie und der genaueren Untersuchung des PrEparates dagegen seheint uns eine mechanisehe L/ision des Nerven viel wahrseheinlicher. Dutch die Versehiebung des Hinterhauptes auf dem Atlas nach links, wie sie oben beschrieben worden ist, wurde die Eintrittsstelle des Nerven in die Dura von der Eintrittsstelle im Knochen ent- fernt und ein Zug, eine Dehnung des Nerven muss wohl hier stattgefunden haben. Als weiterer Grund fiir :meehanisehe L~sion ist die Einseitigkeit anzuffihren. Wiirden die entzfindliehen Vorg~tnge an der Sch~delbasis den Nerven mitergriffen haben, so ist nicht reeht einzusehen, warum das nur auf der einen Seite stattgefunden haben soil, w/~hrend doeh die Infiltration beider- seits ziemlich gleichm~tssig aufgetreten war. Audererseits waren die mecha- nisehen Verh~ltnisse der beiden Seiten so verschieden, dass links ein Zug an dem Nerven angenommen werden muss~e, rechts eine Verkiirzung seines Weges.

W~hrend wir mit der anatomischen Untersuchung des vorliegenden Falles besch~tftigt waren, gab uns ein weiterer Fall Gelegenheit, speziell fiber die Hypoglossusl~thmung und ihre Atiologie klinisehe Studien zu machen. Eine 20jghrige Tochter war im M~rz 1902 m~t Kopfschmerzen uud St@ungen des

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Beitriige zur pathologischen Anatomie der Wirbelsiiule. '-)3

Allgemeinbefindens erkrankt. Sie entdeckte zur selben Zeit eine kleine Ge- schwulst fiber der Stirne. Einen Monat sparer bezeichneten Schmerzen im Halse, besonders links, ausstrahlend bis auf den Kopf und bis auf den Arm, den Beginn der sp~teren Erkrankung an Cervikalspondylitis. Zu gleicher Zeit begann noch an einem dritten Orte die Knoehentuberkulose in Form einer Erkrankung der Lend~nwirbel mit ober[l~chlicher Abscessbildung. Die Cervical- spondylitis war privatim im Gipsbett behandelt worden.

Bei der Aufnahme ins Krankenhaus bestanden noch Neuralgien besonders auf der linken Seite und Patientinklagte zu Zeiten fiber eine gewisse Schwerbeweg- lichkeit der Zunge. Ca. 3 Wochen nach der Aufname wurde in sorgfiiltiger, leiehter

�9 Extension eine yon den tIfiften bis fiber das Hinterhaupt ragende Gipsschale tGipshalbkorsett) angefertigt. Am Tage naeh der Applikation sprach die Patientin etwas undeutlicher wie gewShnlich und die Untersuchung der MundhShle und der Zunge ergab, dass dieselbe iihnlich wie in dem erst beschriebenen Falle eine tiefe Delle in der linken Seite zeigte und beim Herausstrecken nach links abwich; auch war wie dort bei ruhiger Lage der Zunge der Zungen- rficken links etwas hSher wie rechts. Es konnte keinem Zweifel unterliegen, dass auch hier der Hypoglossus gel~hmt war und wenn auch gewisse Zeichen schon vor der Applikation des Gipskorsetts fiir eine Affektion dieses Nerven sprachen, so war die sehwerere L~sion doch unzweifelhaft infolge der not- wendigen Bewegungen und Dislokationen~ obwohl sie rait peinlichster Sorg- falt ausgeffihrt wurden, aufgetreten. D e r H y p o g 1 o s s u s w ur d e a u f m e c h a n i s c h e m Wege d u r e h Z e r r u n g o d e r Q u e t s c h u n g i n f o l g e V e r s c h i e b u n g z w i s c h e n A t l a s u n d H i n t e r h a u p t l i i d i e r t . Die Kopfhaltung dieser Patientin zeigte insofern eine gewisse ~_hnlichkeit mit der Haltung des oben beschriebenen Falles, als der Kopf leicht links gesenkt mit dem Gesieht nach rechts gedreht und fiberdies transversal nach rechts verschoben erschien.

Da die Halswirbels~ule links im mittleren Tell vorgewSlbt, rechts etwas eingebogen war, so musste bier eine Versehiebung der obersten Halswirbel im umgekehrtem Sinne nach rechts unter dem Hinterhaupt angenommen werden. Die linkskonvexe Skoliose der Halswirbels~tule w}ire demnach ais eine Kompensation dieser Versehiebung aufzufassen.

Auch in diesem Falle beobachteten wit verh~ltnism~ssig hohe Puls- zahlen trotz relativ geringer Temperaturen. Die ErhShung der Pulsfrequenz war aber keineswegs zu gleicher Zeit mit der Hypoglossusliihmung aufge- treten, so dass an eine Vagusaffektion derselben Atiologie, wie die Hypoglossus- liihmung nicht gedacht werden konnte.

Die Hypoglossusliihmung ging in der Folge ziemlich rasch zuriick, so dass sie bei dem 31/~ Monate nach ihrem Auftreten erfolgten Austritt der Patientin nicht mehr bemerkbar war. - - Im fibrigen hatte sich aber der Zu- stand der Patientin verschlechtert. Senkungsabscess am Halse, neuer Herd an einer Rippe, Pleuritis.

Da uns die Feststellung der einzelnen Symptome der nervSsen StSrungen diagnostisch grosses Interesse zu haben schien~ so ersuchten wir Herrn Dr.

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24 Wilhelm Schutthess.

Ve ragu th , Dozent der Nervenheilkunde, um eine exakte neurologische Untersuchung des Falles. Seine Erhebungen ergaben folgendes:

,Eine genaue Untersuchung am 28. X. (vier Tage nach Applikation des Gipsbettes!) ergab das Bild einer linksseitigen Hypoglossusparese. In der Ruhelage wich die Zungenspitze etwas nach r e e h t s ab (Hypotonie des Longitud. linguae sinistr.); die Raphe war demnach etwas rechtskonkav ver- bogen. Die linke Zungenh~lfte erschien im Zungengrund stiirker gewSlbt als die rechte (Wirkung des yon rechts innervierten Musc. transversus, bei gleich- zeitiger Hypotonie des Musc. hyoglossus sinist.). Die seitliche linke Wand der Zunge zeigte eine taterale Delle (Wirkung des Musc. transversus bei gleichzeitiger Hypotonie des Musc. stylo-glossus). Diese Konfiguration der ruhenden, einseitig gel~hmten Zunge ist unrichtigerweise mit Atrophie des Organes bezeichnet worden; sie erkliirt sich abet einfach aus dem Ausfall der Wirkung einzelner Muskeln. Auf die Aufforderung, die Zunge heraus- zustrecken, wurde dieselbe in einem nach links konkaven Bogen aus dem Mund gestreckt, so dass die Spitze nach links abwich (Fehlen der Wirkung des Muse. genioglossus sinist, bei gleichzeitiger hktion des rechtsseitigen Musc. gen iog | . ) . - Das Aussprechen der Buehstaben C~ R, X, Sch und Z war erschwert. Patientin konnte auch die linke Wangentasche nicht r~umen. StSrungen der yon der Ansa hypoglossi innervierten Muskeln waren nicht nachweisbar.

StSrungen der Innervation der Accessorius-Muskeln, der Sensibilit~t, des Geschmackes und die yore oberen Halssympathikus versorgten Gebiete waren nicht in verwertbarem Masse vorhanden; dagegen bestand bei nor- ma]er Temperatur andauernde ErhShung der Pulsfrequenz (zwischen 120 und 134). Der Fall bietet insofern ein bcsonderes Interesse, als die Hypoglossusl~hmung mit der grSssten Wahrscheinlichkeit rein mechanisch und nicht, wie vielleicht in anderen F~llen inl-]ammatoriseh oder inflammatorisch u nd mechanisch be- dingt war. Er lest daher die Frage nahe: hat die Hypoglossusl:~ihmung als solche lokalisatorischen Wert beziiglich des Sitzes der Knochenerkrankung?

Eine Dislokation der obersten Halswirbel kann auf den Hypoglossus mechanisch wirken :

1. durch Zerrung des intrakraniellen Teiles, Verschiebung der Medulla im Sinne der Wirbels~ulendeviation).

2. dutch Quetschung des extrakraniellen Teiles (Druck der deviierten Wirbel auf den h'ervenverlauf ausserhalb des Forum. canal, hypogl.). Da aber in der Strecke yore Austritt aus der Medulla bis welt ausserhalb des Sch~deis keine Zweige yore Hypoglossus abbiegen, so ist aus dem Bild der Hypoglossusparese s e l b s t eine lokalisatorisehe Differentialdiagnose nicht zu stellen (wie etwa beim Faeialis). Eher etwa aus einer Kombination der- selben mit Symptomen seitens benachbarter Nerven (glossoph. Vagus, accessor. Sympath.).

Im vorliegenden Fall fehlen solche, abgesehen yon der nieht eindeutigen PulsfrequenzerhShung.

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Beitr~go zur pathologischen Anatomie der Wirbelsiiule. 25

Die Komplikation des Wirbelleidens mit der nervSsen StSrung gibt da- her trotz der rein meehanischen Genese in diesem Falte, wiewohl in den neuesten anderen bisherigen klinischen Beobachtungen keine Anhaltspunkte fiir eine feinere Lokalisation des Ossi~ren oder artikulatorischen Krankheits- prozesses.

Umgekehrt wird wohl an a n a t o m i s c h e n Pr.Xparaten yon Cervikal- spondylitis die Mechanik eventueller Hypoglossusl~hmungen retrospectiv immer erkl~trbar sein."

Wie Herr Dr. V e r a g u t h erwiihnt, hat dies eigentfimliche Bild, welches die LS~hmung an der Form der Zunge verursacht, Veranlassung gegeben, die frische Affektion als eine Atrophie der Zunge zu deuten. - - In der Literatur ist auch bis jetzt yon Zungenatrophie gesprochen worden und wir haben uns aueh bis jetzt dieser Ansicht angeschlossen. Die beiden Beobaehtungen geben fiber die Herkunft der Form und FunktionsverS~nderung der Zunge eine unzweideutige Erklg~rung.

Unsere Erhebungen deuten darauf hin, dass die LS~hmung des Hypo- glossus auf grobe mechanische Liision des Nerven zurfiekzufiihren ist, welehe sich nur dutch starke Versehiebungen zwischen Atlas und Hinterhaupt er- kl~iren lassen. Dieses Ereignis kann aber nur eintreten, wenn die Gelenke zwisehen Atlas und Hinterhaupt weitgehende ZerstSrungen erfahren haben, und insofern kommt also der Hypoglossusl/ihmung unter allen Umstanden doch eine prognostische Bedeutung zu.

2. Spondylitis anterior superficialis.

Die tuberkulSse Erkrankung der dorsalen und lumbalen Abschnitte der Wirbels~ule 5.ussert sich u. a. auch in einer oberfliichlichen Ausbreitung der Tuberkulose fiber einen grossen Teil der V o r d e r f l ~ c h e der Wirbel. Wir w~hlen deshalb die obige Bezeichnung. Man findet dann entweder eine Menge einzclner konfluierender Herde oder eine Abli3sung des Periostes samt dem Ligamentum anterius in grSsserer Ausdehnung. Die Lokalisation der Er- krankung bringt es mit sich, dass die Diagnose hier oft grossen Schwierig- keiten begegnet. Der Gibbus, das sicherste Zeiehen der Spondylitis fehlt; es fehlen meistens - - in einem unserer Fiille allerdings n ic h t - - LS, hmungs- erscheinungen und der streng lokalisierte Druckschmerz. Die beiden foIgenden Befunde werden das am besten beleuchten.

E r s t e r F a l l : Die P~tientin, eine 61j~hrige Hausfl'au, aus gesunder Familie stammend, war frfiher nicht nennenswert krank gewesen. u 4 Jahren m~chte sie eine Prolapsoperation durch, vor ca. 3 Jahren zeigte sich fiber dem unteren Ende des Brustbeins eine kleine Geschwulst, welche yon selbst aufbrach und Eiter entleerte. Seitdem besteht hier eine FistelSffnung. Seit 2 Jahren ffihlte sich Patientin krank, verlor nach und nach den Appetit, war 5fters sehr mfide. Eine Kur in Rheinfelden vor einem Jahre brachte keine Erleichterung~ seitdem besteht fiberdies ~ngeblich eine Cystitis. In den letzten Monaten wurde das Gehen immer schwerer, es kam jedoch hie zu einer roll-

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26 Wilhelm Schulthess.

st~ndigen L~hmung. In den letzten Wochen endlich stellte sich heftige DiarrhSe ein und schliesslich 5fteres Erbrechen. Sie magerte enorm ab, verlor angeb- lich 40 Pfund an KSrpergewicht. Die Kranke wurde unter der Diagnose ,,Chronischer Magenkatarrh" ins Krankenhaus (Kranken- und Diakonissen- anstalt Neumfinster) gesandt. Hier zeigte die Frau bei ihrer Aufnahme einen ~ussersten Grad yon Magerkeit und Kr~ftezerfall. Man konstatierte die Fistel am unteren Ende des Sternums, welche momentan dutch eine Kruste ver- schlossen war. Der Leib war aufgetrieben und bei tiefem Eindrfieken empfind- lich, die Zunge belegt. Patientin klagte fiber Schmerzen fast fiberall, wenn man sie aut'hob. Ganz besonders empfindlich war aueh schon m~ssiger Drnck auf die Knochen an den Unterextremit~ten, besonders an den Oberschenkeln. Patientin konate nieht stehen, angeblich vor Sehws Irgendwelche Ver- suche nach dieser Richtung waren bei der schwer Kranken ausgeschlossen. Im Bette konnte Patientin die Beine bewegen. Der Befund fiber den Lungen und dem Herzen bot nichts besonderes, Leber und Milz nicht deutlich ver- gr5ssert, die Palpation des Abdomens war sehmerzhaft, es konute abet nirgends eine Geschwulst nachgewiesen werden. Patientin klagte nach irgendwie tieferem Eindrficken fiber einen naehhaltigen Schmerz. Die Temperatur war subnormal und der Puls relativ langsam. Ws des Aufenthaltes im Krankenhause hatte die Patientin best~ndig diarrh5ische Entleerungen, 1--5real per Tag. Die Stfihle enthielten Schleim. Nach wenigen Tagen trat auch t~glich ein- oder mehrmals Erbrechen ein. Die Symptome, die vom Verdauungskanal ausgingen, standen so sehr im Vordergrunde, dass wir in erster Linie an einen nicht nachweisbaren Tumor des Darms, event, mit Metastasen in der Wirbelss zu denken geneigt waren, trotz der Fistel am Sternum, welehe auf eine bestehende tuberkulSse Erkrankung des Knochens hinwies. Die Druck- empflndlichkeit, welche sieh gleichms fiber die ganze Wirbels~ule und die Unterextremiti~ten nachweisen liess, musste uns den letzteren Gedanken nahe legen. Die Cystitis, welehe fortbestand, war freilich dadurch noch nicht er- kl/~rt. Der gis Mangel an Anhaltspunkten fiir eine lokale Diagnose verhinderte uns am Versuche eines operativen Eingriffes und wir mussten uns in der Behandlung auf die Linderung der Beschwerden beschri~nken. Drei Wochen nach dem Eintritt ins Krankenhaus starb die Patientin, ohne dass an dem geschilderten Krankheitsbilde sich etwas ges hgtte. Die Tem- peraturen blieben subnormal nnd der Puls zeigte meistens eine Frequenz zwischen 70--80.

Die S e k t ion zeigte, dass die beschriebene Fistel mit einer Erkrankung des Sternums in Zusammenhang stand. An seiner Innenflgche war das Periost abgehoben, hier lag ein Abscess. Der unterliegende Knochen war rauh. Herz und Lungen boten ausser einigen Verwachsungen der letzteren nichts beson- deres. Nach Entfernung des 0sophagus und der Baucheingeweide stSsst man auf eine Reihe yon weichen, fiuktuierenden Tumoren, welche lgngs der Wirbelsiiule angeordnet sind. Deutlieher waren sis nachzuweisen an der Dorsal- wirbelsiiule, jedoch auch fiber dem unteren Teile der Lendenwirbelss finden sich ghnliche, aber kleinere Tumoren. Beim Einsehneiden derselben entleerte

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Beitrgge zur patho|ogischen Anatomie tier Wirbels~ule. 27

sieh dicktliissiger Eiter und man gelangte da und Zum Zwecke genaueren Studiums wurde nun die eiD Pr~parat gewonnen yon 13 Wirbeln, davon 5 Lenden- und 8 Brustwirbel. Nach ErSffnung der Abscesse und H~irtung des Prg.parates in For- malin wurden die Weiehteile yon der Vorderfl~che so weir entfernt, als sie durch die Abscessbildung abgehoben waren. Nach dieser Prgparation ergab sich das vorliegende Bild (s. Fig. 17). Man sieht aus demselben, class kein Wirbel des ganzen Pr~- parates vSllig intakt ist. Unter den zum Teil schon mit eingediektem Eiter gefiillten Abseess- h5hlen liegt iiberall der rauhe Knochen zutage. An den meisten Stellen sind die Knoehen auf eine grSssere Tiefe zerstSrt in kgsige Masse um- gewandelt. Einzelne zeigen bis 1 cm tiefe HSh- lungen, Intervertebralscheiben zwisehen dem neunten und zehnten und zwisehen dem aehten und neunten Brustwirbel sind grSsstenteils zerstSrt, so dass die Verbindung, besonders zwisehen dem neunten und zehnten Wirbel fast vollstgndig geloekert ist. Das Eigentiimliche des Prozesses besteht darin, dass die Knoehensubstanz an einer Unzahl yon Orten er- griffen ist, ohne dass es zu einer d u r c h g e h e n d e n Abhebung der Weiehteile gekommen ist. Auch in den tieferen Teilen der Wirbels~ule, wo die Abscess- bildung weniger deutlieh war, sind da und dort die Knochen herdweise zerst5rt, w~hrend das Ligamentum anterius die gussere Form der Wirbel- s~ule durchaus gewahrt hat. Trotzdem konnten wir nirgends einen knSchernen Sequester ent- decken. Die Knochen in der Umgebung der Herde sind teilweise auffallend hart, an wenigen Stellen vollst~ndig erweicht. Die tuberkulSse Infiltration hat sich an manchen Stellen seitwgrts bis in die Processus transversi in die unmittelbare Nghe der IntervertebrallScher fortgesetzt. Dagegen ist in der Muskulatur des Sulcus paraspinosus nirgends eiae Abscessbildung an einzelnen Stellen, besonders der Lendenwirbelsgule, nur eine gewisse Aufquel- lung zu konstatieren. Von einer ErSffnung des um das Prgparat nicht zu zerstSren, abgesehen.

dort auf rauhen Knochen. Wirbelsaule exeidiert und

Fig. 17.

Spondylitis anterior superficial. 5 Lendenwirbel, 8 Brustwirbel.

Riickenmarkkanals wurde,

Das Pr~parat zeigt uns also eine ausgebreitete multiple Tuberkulose der Wirbelsgule bei einer 61j~hrigen Frau, ausgezeiehnet durch das Auftreten einer Unzahl vereinzelter Herde, yon denen der eine yore anderen nieht direkt

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28 Wilt~elm Schulthess.

abh~ngig zu sein scbeint. Wir kSnnen das um so weniger annehmen, als eine Menge dieser tlerde sich im gleichen Stadium zu befinden scheinen. Es dr~ngt sich uns bei dieser Beobachtung die Frage auf, welche Grfinde wohl eine derartig massenhafte Infektion veranlasst h~tten und wir denken un- willkfirlich an die seit langem bestehende Fistel am Sternum und die ohne Zweifel noch ~ltere tuberkulSse Erkrankung dieses Knochens. Dieser Herd muss wohl ausserordentlicb gfinstig gelegen haben ffir eine so ausgebreitete Erkrankung der Wirbels~tule und die Infektion ist selbstverst~ndig hier auf dem Blut- oder Lymphwege erfolgt. (Embolien.) Die Literatur gibt uns keine Anhaltspunkte fiir die Griinde, welche das eine Mal eine so ausgebreitete, das andere Mal eine auf einzelne Herde beschriinkte Erkrankung hervorrufen. Der weitere yon uns beigezogene Unterschied gegenfiber anderen Erkrankungen, welcher darin besteht, dass die Abhebung der Weichteile eine so gusserst geringe ist, muss anatomisch darin begriindet sein, dass das Grenzgebiet zwischen Weichteilen und Knoehen nur langsam erkrankte und dass die Herde im Knochen eine raschere Ausbreitungstendenz zeigten als die Periost- erkrankung. Diese Eigenschaft wiederum deutet auf einen Ursprung der Herde im Mark. Nach der iiblichen Bezeichnung wiirde es sich also hier wohl um eine os ta le G r a n u l a t i o n s t u b e r k u l o s e handeln. Von Erkrankung der Gelenke ist nichts nachzuweisen. Die Bogenteile sind yon dem Prozesse prim~ir jedenfalls ~erschont gewesen, sekund~ir nur insoweit affiziert, als das durch Ausbreitung der Infiltration, yon benachbarten KSrperherden aus mSglich war. Aber auch da, wo die Erkrankung am intensivsten aufgetreten ist, in den LendenwirbelkSrpern, lassen sieh isolierte Herde in den Bogenteilen night entdecken. An sp~iteren Beobachtungen wird die Frage dieser Unterschiede im Auftreten der tuberkulSsen Herde und ihrer Ursachen weiter studiert werden miissen. Es wird zu entscheiden sein, ob die geschilderte Tendenz zu multipler Herdbildung auf einer individuellen Disposition, Alter, Heredit~it, oder auf der Art der Infektion, Virulenz des Bacillus, oder auf mechanischen Momenten, Lage des prim~ren Herdes u. s. w. beruht.

Ganz andere Verh~tltnisse finden wir in dem z w e i t e n F~ l l e yon Spondylitis anterior, welcher weit mehr als tier erst beschriebene die Bezeich- nung superficialis verdient.

Eine 38j~ihrige Frau wurde mit einem Abscess im rechten Sulcus para- spinosus, fast ~ollstgndiger L~ihmnng der Beine und mit hohem Fieber einge- bracht. Es konnte eruiert werden, dass sie schon mehrere Mon~te an ihrer Krankheit gelitten hatte. In der Mitte de r DorsalwirbelsSmle bestand ein deutlicher Druckschmerz auf die Processus spinosi aber kein Gibbus; in tier Nabelgegend fand sich eine Fistel, welche naeh Angabe schon l~ngere Zeit bestand. Die Lghmung tier Beine war eine fast vollst~ndige; die Unter- suchung der Lungen ergab da und dort Rasselger~iusche aber keine kompakte Infiltration. Die Patientin klagte fiber Schmerzen bei Bewegungen des Rumples; sie konnte nur in der linken Seitenlage ohne erhebliche Schmerzen lgngere Zeit verbleiben. Das wechselnde Fieber, der schwere Allgemeinzu- stand, die Erscheinungen auf den Lungen, mit der Tatsache, dass eine

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Beitr~tge zur pathologisehen Anatomie der Wirbels/tule. 29

Tuberkulose an verschiedenen Stellen des KSrpers, Wirbels~ule, Bauchdecken, nachzuweisen war, veranlassten zur Diagnose M i l i a r t u b e r k u l o s e . Nach wenigen Tagen starb die Patientin.

Die S e k t i o n zeigte, dass die unterhalb des Nabels bestehende F i s t e l nicht in die PeritonialhShle ffihrte. Der Gang war nur ein kurzes Stfick zwischen den Bauehdecken zu verfolgen. Die linke L u n g e an der Spitze adherent. Im Oberlappen finder man mehrere kS.sige Herde; die r e c h t e L u n g e ist ebenfalls adh~trent, aber vor allem an der medialen, der Wirbel- s~ule zugekehrten Fliiche. In der ganzen rechten Lunge finder man zahl- reiche mitiare KnStchen, aber keine vereinzelten Herde. Die Adh~renz der rechten Lunge liegt auf einem tier B r u s t w i r b e l s ~ u l e e n t l a n g b i s f ibe r d i e o b e r e n L e n d e n w i r b e l a u s g e d e h n t e n f l a c h e n A b s c e s s . Bei der Abtrennung der Lunge 5finer sich die Abscesswand und entleert griin- lichen, "ziemlich dicken Eiter. Die weitere Untersuchung der inneren Organe, H e r z , N i e r e n , L e b e r , gibt ein negatives Resultat, Milz gross, fibrige Abdominalorgane nichts besonderes.

Nach Entfernung sgmtlicher innerer Organe wird die Abscesswand, welche sich bis auf die Lendenwirbels~ule ausdehnt, noch yon der Aorta be- freit, deren AblSsung jedoch nur vermittelst Perforation des Abscesses an einer Stelle mSglich ist. Nunmehr wird die Abseesswand der ganzen Li~nge nach gespalten und es zeigg sich dabei, dass die Weichteile fiber den Brust- wirbeln vollstiindig und fiber den oberen Lendenwirbeln teilweise abgehoben sind. Die AbseesshShle enth~lt iiberall denselben ziemlieh dicken, griinlichen Eiter; keine Sequester. Die Wirbels~iule wird yore zweiten Brustwirbel bis und mit dem ersten Lendenwirbel naeh Durchtrennung der Rippen excidiert. Das in Formalin geh~rtete Pri~parat (s. Fig. 18) zeigt nun noeh die ganze Abscesswand, welche vom fiinften bis zum zehnten Brustwirbel sich nicht nur fiber die Vorderfl~che der Wirbel, sondern his fiber die Rippengelenke hinaus 2--3 cm in das Rippengebiet hinein erstreckt. Sie zeigt eine grosse Perforationsstelle rechts dort wo die Lunge adherent war. Unterhalb des elften Brustwirbels ist die Abhebung eine weniger allgemeine; hier sind einzelne Teile der Ligamente noch auf dem Knoehen lest angeheftet. Der zutage liegende Knoehen zeigt im allgemeinen an der Oberfl~che keine grossen Vertiefungen, nut der oberste, zweite und dritte Wirbel des Pr~parats weisen einige flache Vertiefungen auf. Die Oberflgche ist also im ganzen in ihrer Struktur erhalten und wenig zerfallen. An mehreren Stellen, am ffinften bis achten Brustwirbel sieht man dagegen einige weisse, verf&rbte Flecken am Knoehen, welche nach Ausspiilung des Pr~parates unter starkem Wasserstr~hle sich aIs nekrotische Knochenteile herausstellen. Diese Nekrosen stehen jeweilen am Rande der Knochen und sehen aus wie eine des M~rkes vollst/~ndig beraubte, wirklich ausgewaschene Spongiosa. An einzelnen Stellen hat sich dieselbe yon den iibrigen, nicht entf/irbten Teilen des Knochens splitterartig losgelSst und am achten Brustwirbel ist ein grosset Teil der Oberfl/iche welt hinein in dieser Weise zerfallen und saint der Inter- vertebralscheibe VII auf VIII versehwunden. Die Intervertebralscheibe VI und VII

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30 Wilhelm Schulthess.

ist ebenfalls teilweise zu grunde gegangen, w~hrend die iibrigen Intervertebral- scheiben meistens unversehrt oder nur an ihrer Oberfl~che etwas reduziert sind.

Die Ausdehnung des Abscesses auf die Rippen entspricht einer ausge- dehnten Beteiligung der Rippengelenke am tuberkul5sen Prozesse. Das vierte

bis zehnte rechts- seitige und links- seitige Rippenge- lenk ist erkrankt und zwar in einem

solchen Masse, dass nach Aus- spfilung des Ab- seesssackes die betreffenden Ge- lenkh5hlen welt often stehen. Der Knorpel ist roll- st~ndig zerst5rt und die KSpfehen der Rippen zeigen

eine oberfl~ch- liche Nekrose, we|-

che ~hnliche Eigenschaften

aufweist, wie die oben beschrie-

benen an den Wirbeln. Da-

durch, dass der Abscess, der

Innenfl~iche der Rippen entlang nach links und

rechts vor, Fig. 18. gedrungenist und

hier die Weich- Spondylitis anterior superficialis, umfassend den II[. Brust-W. bis u. mit I. Lenden-W. Die hbscesswand gespalten, zuriickgeschlagen teilevon den Rip- (bet a). Besonders am VI. u. VIII. Brust-W. nekrotische weisse Stellen. pen abgehoben

hat, w~thrend das Gewebe zwischen den Rippen mit der Abscesswand in Verbindung blieb, hat der Abscess in den Seitenteilen das im Bilde deutlich sichtbare, vielkam- merige Aussehen gewonnen.

Die Wirbelgelenke scheinen mit Ausnahme derjenigen an den untersten Brustwirbeln yon dem Prozess versehont geblieben zu seth. Hier deutet abet die Infiltration in der Umgebung darauf bin, dass sie nicht intakt geblieben

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Beitriige zur pathologischen Anatomie der Wirbels~iule. 31

sind. Ein Gibbus ist an der vollst~ndig erhaltenen Dornfortsatzreihe nicht zu sehen.

u einer weiteren Untersuehung durch ErSffnung des Rfickenmarks- kanMs, wie dieselbe bei einem Falle ~'on Paraplegie geboten w~re, lmben wir hier abgesehen, um das ~usserst charakteristische Bild~ welches die Vorder- fl~che darbietet, nicht zu zerst5ren.

Die Vergleichung dieses Befundes mit dem anderen, ~'orber beschriebenen ergibt fiir die makroskopische Untersuchung ganz auffallende Unterschiede, dort eine Menge yon einzelnen~ tier in den Knochen sich einbohrenden, often- bar gleichzeitig an allen mSglichen Stellen aufgetretenen Herden 5fters mit Sklerosierung des Knochens in der Umgebung derselben, dabei eine sehr ge- ringe Tendenz zu allgemeiner AblSsung der Weichteile - - nirgends deutlich ~ekrotische Stellen. Hier weitgehende AblSsung des Periostes und der Weich- teile fiber ein grosses Segment der Wirbels~ule und der benachbarten Rippen; nirgends ein tiefes Eindringen des Prozesses, da und dort oberfl~ichliche •e- krosen und yon der Oberfl~che nach der Tiefe fortschreitende ZerstSrung der Intervertebralscheibe. Dabei weitgehende Zerst5rung s~mtlicher l~ippengelenke.

Anatomisch gleichartig sind die beiden F~lle nur insofern, als sie haupt- s~ichlich an der Vorderfl~iche ihren Sitz haben und einen grossen Abschnitt der Wirbels~ule befielen und klinisch gleichartig insofern, als sie nicht zu Gibbusbildung fiihrten. Wie in jenem ersten Falle miissen wir uns hier fragen~ welche Ursache zu einem derart ausgebreiteten Prozess gefilhrt hat und damit stellen wir zugleich die Frage, ob es sich hier um einen Senkungs- abscess handelt, der~ yon einer Stelle ausgehend, sich fiber die ganze Vorder- il~tche der Wirbelss ~Terbreitet, zur AblSsung der Weichteile u gegeben und die yon ihm bespillten Teile infiziert hat. Gegen eine solche Auf- fassung spricht alas vorliegende Bild. Allerdings ist der Prozess an der Inter- vertebralscheibe VII auf VIII und in tier bTachbarschaft etwas intensiver als an anderen Stellen. Am fiinften, sechsten, siebenten und achten sind Knochen- nekrosen nachzuweisen. Aber die Rippengelenke und die u der Wirbel sind im iibrigen links und rechts derart gleichartig ergriffen und die Unterschiede in der Intensit~t der Erkranknng an den hSher und tiefer ge- legenen Teilen sind so gering, dass wir doch vielmehr an ein Fortkriechen des Prozesses zwischen Periost und Knochen als eine Senkung eines Abscesses denken miissen. Gegen diese Annahme spricht fiberdies die Form des Ab- scesses, welcher schlauchartig der Wirbels~ule entlang sich ausgebreitet hat, w~hrend wir bei einzelnen tlerderkrankungen mehr rundliche Formen zu sehen gewohnt sind. Eigentfimlich ist auch in diesem Falle das u einer Fistel in der vorderen Bauehwand, welche allerdings bier nicht wie in dem ersten yon einem erkrankten Knochen ausgegangen ist, sondern als der Rest eines isolierten tuberkulSsen Abscesses angesehen werden muss.

Der w~hrend des Lebens beobachtete Abscess an der Riickenfl~iche ist auf die Perforation des inneren Abscesses durch die Weichteile zwischen den Rippen hindurch zur[ickzuffihren. Augenscheinlich gab die Veranlassung zur Erkrankung an miliarer Tuberkulose die Perforation des Abscesses in die

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Lunge, wenn auch eine eigentliche Entleerung desselben auf diesem Wege nicht nachgewiesen werden konnte. Es ist erstaunlich, wie ]ange die Patientin diese ausserordentlich schwere Affektion ertragen konnte, ohne dass eine all- gemeine Infektion zu stande kam. Diagnostisch hat dieser Fail, wie schon mit- geteilt~ keine Sehwierigkeiten gemacht; wenn auch kein Gibbus vorhanden war, so deuteten der lokale Druckschmerz auf die Prec. spinosi der mittleren Brustwirbels~ule, der paraspinale Abscess und die LS~hmung der Unterextre- mit~ten deutlich genug auf die Wirbe]affektion. Was diese letztere anbetrifft, so kann sie nicht eine wirkliehe Kompressionsmyelitis gewesen sein, jedoch miissen wir aus den erwi~bnten Griinden auf die Entscheidung der Natur derselben verzichten.

Dass prognostisch Erkrankungen yon der beschriebenen Ausdehnung als unbedingt tSdlich aufgefasst werden miissen, seheint mir unzweifelhaft zu sein, miisste doch in einem solchen Falle wie der letztbeschriebene sich nach und nacb die ganze Wirbels~ule sequestrieren. Therapeutisch endlich sagt uns der Fall mit seinem bSsartigen Verlaufe so viel, dass nur dann ein wirk- sames Eingreifen mSglich ws wenn es gel~inge~ solche Prozesse im Beginn an weiterem Fortschreiten zu verhindern. Es wird uns also yon neuem nahe- gelegt, dass die A l l g e m e i n b e h a n d l u n g de r T u b e r k u l o s e fiir diese Affektionen das allein wirksame sein kann.

3. S p o n d y l i t i s dorsa l i s mit Gibbus und A b s c e s s - B i l d u n g im h i n t e r e n Mediastinum.

In unserem Atlas findet sich auf Taf. VII und VIII des Prs einer Dorsalspondylitis abgebildet, welche zu einer Abscessbildung an Ort und Stelte, zu Gibbus und zu Kompressionsliihmung gefiihrt hatte. Der Abscess war ein- gedickt, verkalkt und lag in diesem geschrumpften Zustande der deformierten Wirbelss vorn und in der rechten Seite an. Der Riickgang der L~Lhmung, der klinisch an jenem Falle beobachtet war, konnte auf die Schrumpfung des tuberkul5sen Tumors bezogen werden, welche nach dem Pr/iparate un- zweifelbaft angenommen werden musste. Wiihrend nun iibnliche Pr~parate nicht selten beobachtet werden, so kommt es viel seltener vor, dass man Gelegenheit hat, in der Dorsalwirbelsiiule frische Abscessbildungen yon be- schriinktem Umfange zu sehen. In der beistehenden Figur (s. Fig. 19) ist ein grosser, die Wirbelsiiule in der unteren Dorsalgegend veto neunten Brust- bis zum zweiten Lendenwirbel vorn vollsti~ndig umfassenden Abscess darge- stellt. I)as Prttparat stammt yon einer 46j~hrigen Frau, welche schon jahrelang an Tuberkulose des Hiiftgelenks gelitten hatte und schliesslich ca. zwei Jahre vor ihrem Tode an Tuberkulose der Wirbelsiiule und der Lungen erkrankte. Die Erkrankung verlief in den letzten Wochen sehr schwer mit heftigen 8chmerzen und hochgradiger Dyspnoe. Die Patientin kam ganz cyanotisch ins Krankenhaus. Die venSse Stauung hielt auch in der Folgezeit an, es stellte sich Hydrops ein, welchem die Kranke nach wenigen Wochen erlag. Neben diesen Erscheinungen entwickelte sich allmiiblich eine L~thmung der Unterextremitiiten, welche in den letzten Tagen des Lebens komplett wurde.

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Beitr/ige zur pathologischen Anatomie der Wirbelsitule. 33

Bei der Autopsie land man eine sehr bedeutende Dilatation des rechten Herzens. In den Lungen kleine disseminierte tuberkulSse Herde, hydropische Ergiisse in den KSrperh5hlen. Das auffallendste war aber das eigentiimliche BUd, welches der erw~hnte Abscess darbot. Er war so gross, dass er die Aorta und das Herz nach vorn gedrKngt hatte. Die Lunge war links an

Fig. 19.

Spondylitis dorsalis. XI. und XII. Brus~-W. schwer befallen mit Abscess im hinteren Mediastinum.

a a Bahn der Aorta. b Adh/irente Lunge.

demselben adherent und dort war die Wand der Perforation nahe. Die Aorta lag vollstis in eine fiache Bahn eingebettet auf seiner Vorderfl~che (s. Fig. 19).

Der Abscess hat zu beiden Seiten yon der Wirbels~ule eine halbkugelige Form, links ist seine Ausdehnung etwas gr5sser als rechts. Beide Hiilften fiber- ragen den Winkel zwischen Wirbelss und den Rippen und schliessen mit einer

Arch. L Orthop., Mochanoth. u. Unf.-Chir. II. 1. 3

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Einziehung an die genannte Stelle an. Nach vorne iiberragt der Abscess um 3 cm das Niveau der Wirbels~ule, wie der Sagittalschnitt lehrt (s. Fig. 20). Die Breite des ganzen Abscesses betr/igt 11 cm, die H~he ca. 6 cm. Er bedeckt in der Mittellinie die Vorderfl/~che des zehnten, elften, zwSlften Brust- wirbels und ersten Lendenwirbels. Die tuberkul~se Entzi~ndung hat hier haupts~chlich den KSrper zweier Wirbel ergriffen, welche zusammen den

Fig. 20.

Das Pritparat yon Fig. 19 im Sagittalschnitt, umfassend den IX. Brust-W. his u. mit II. Lenden-W. Kompression des Rfickenmarks durch den tuberkulSsen Tumor. An der

Vorderfl~tehe der Abscess.

winkeligen Gibbus bilden Vom oberen (elften)Brustwirbel ist der vordere und untere Teil zerstSrt, so dass auf dem Schnitt noeh stark die H~lfte des Knochens zu sehen ist. Am unteren Wirbel ist die ZerstSrung weiterge- gangen, so dass hSchstens noch 1/4 des sagittalen Sehnittes erhalten ist. Von der Intervertebralscheibe ist gar nichts mehr zu sehen, dagegen erscheint die ganze Wirbels~ule in der Sagittalrichtung yon tuberkul6ser Masse durchsetzt, welche zwischen den halb zerstSrten Knochen wie in einem Kanale gelagert ist und die vordere Abscessh6hle mit einer hinteren im Riickenmarkskanale

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Beitr~igo zur pathologischen Anatomie der Wirbelsiiule. 35

unter der dort abgehobenen Dura gelegenen verbindet. Die vordere Abscess- hShle enth~ilt teilweise eingedickten Eiter. Es l~isst sich schwer entscheiden, wie welt sich hier die Formalinwirkung geltend gemacht hat. Die eben erw~hnte Abhebung der Dura und der Ligamente an der Hinterfigche der Wirbels~ule erstreckt sich im ganzen fiber drei Wirbel und an drei Ste]len (s. Fig. 20 a, b, c) finden sich grSssere, ca. 6 mm hohe Ansammlungen yon kS.sigem Material unter derselben.

In der Mitre des ersten und in der hinteren oberen H~lfte des zweiten Lendenwirbels liegen weitere tuberkulSse Herde.

Durch die Vortreibung der Dura in den Rtickenmarkskanal wird die Abknickung der hinteren Kontur der KSrperreihe noch spitziger, als s i e e s ohnehin durch die Knickung allein schon war, und an einer Stelle wird der Riickenmarkskanal, dessen Sagittaldurchmesser in den benachbarten Teilen zwischen 16 und 14 mm schwankt, auf 7 mm verengt. Das Rfickenmark er- scheint an dieser Stelle entschieden komprimiert, es misst im Schnitte an- statt 9 mm nur 6 ram. Durch einen leiehten Druck auf die Enden des Pr~- parates kann man sieh iiberzeugen, dass die Wirbels~iule allen Halt ver- loren hat und dass das obere gegen das untere Segment beweglich ist, wie die Fragmente bei einer ganz mobilen Fraktur.

Das eigentfimliche u des Abscesses, seine Lage und die ausser- ordentlich intensive ZerstSrung der Wirbels~ule erkl~ren die oben geschilderten Symptome in beffiedigender Weise, wenn wir annehmen d[irfen, dass die Erkran- kung in den letzten Wochen eine Exacerbation erfahren habe, wozu uns die Anamnese berechtigt. Durch die vollst~tndige ZerstSrung der einen Zwischen- wirbelscheibe und einzelner Teile tier benachbarten Wirbel, wurde eine derartige Lockerung der u zwischen den benachbarten WirbelkSrpern geschaffen, dass jede Bewegung momentan verh~.ltnism~ssig starke Verschiebungen und eine starke Kompression der erkrankten Stelle herbeifiihren musste. Die Inspirations- muskulatur, welche selbstverst~ndlich nut dann eine ausgiebige Arbeit aus- fiihren kann, wenn die Wirbelsgule einer vollst~ndigen Versteifung fShig ist, musste also bei ihren Kontraktionen die dutch die Schwere, sowie so ver- mehrte Knickung noch welter steigern. Jeder Atemzug verursachte an tier erkrankten Stelle Schmerzen, so dass schon dadurch die Respiration be- deutend erschwert wurde. Ferner musste durch die Knickung tier Thorax- raum verengt und der Lufthunger dadurch noch gesteigert werden. In dem- selben Sinne wirkte selbstverstgndlich auch die Erkrankung tier Lunge. Welter lag in tier GrSsse des Abscesses ein Moment. welches den Raum be- engte, vielleicht auch ungiinstig auf den Gefgssverlauf wirkte und Stauungen verursachte. Alle diese Ver~nderungen schafften das eigentiimliche Bild einer, man mSchte sagen akuten Herzdilatation mit ihren Folgen, denn die Cyanose war l~ut Anamnese erst in den letzten Woehen aufgetreten. Die Lungenerkrankung allein konnte natiirlich niemals die geschilderte Stauung im Venenkreislauf und den I-Iydrops hervorbringen. Hierzu mtissen unbe- dingt die anderen Momente beigezogen werden. Ich bin geneigt, dem Schmerz der bei jeder Atembewegnng auftrat, hier die erste nnd der Raumbeengung

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durch den Abscess nnd die rasch eingetretene Knickung der Wirbels/~ule die zweite Stelle einzur~umen und betrachte desshalb das ganze Krankheitsbild als ein fiir rasch verlaufende Dorsalspondylitiden mit bedeutender ZerstSrung einzelner Wirbel und Abscessbildung, typisches und charakteristisches. Ahnliche Erscheinungen hat G o l d w a i t h (Boston) bei Abscessen im hinteren Media- stinum beobachtet. Die Kompression des Rtickenmarks war an dem ganzen Verlaufe insofern wenig beteiligt, als die Cyanose und tier Hydrops schon beobachtet wurde, bevor die Kompressionsl~Lhmung vollst~ndig war. Die Paraplegie wurde erst in den letzten Tagen komplett.

In Bezug auf den Mechanismus der Kompression ergibt sich uus dem Pr@arate, dass dieselbe eine wirkliche meehanische, durch den tuberkulSsen Tumor verursaehte war. Sie ist demnach in derselben Art entstanden, wie in jenem yon uns bereits beigezogenen Falle aus unseren Atlas. Wesentlich hat hierzu die Entwickelung der subdaralen Abseesse an der Hinterfl~che der WirbelkSrper beigetragen.

4. K n i c k u n g de r A o r t a dutch Gibbusbildung bei Spondylitis t u b e r c u l o s a .

Aus dem Werke yon B a c h m a n n ~) erfahren wir, dass schon ca. 1770 M o r g a g n i , A. Roy , W a t z e l die Beobachtung gemacht haben, dass bei Verkriimmungen der Wirbels~ule die Aorta regelm~ssig dem Verlaufe der Wirbels~ule folgt. Hier sind Skoliosen und Spondylitiden noch nicht ge- trennt. Im Jahre 1886 publizierte L a n e l o n g u e ftinf Beobaehtungen yon Abweichungen des Verlaufs der Aorta bei P o t t scher Krankheit, aus welchen sich dasselbe ergibt.

Sie erffihrt nicht nur flache Abweichungen, sondern auch Knickungen ihres Verlaufs, wird unter Umst~nden in die Breite gezogen und sehr h~ufig beobachtet mall eine verh~ltnisms gr5ssere Weite, mehr oder weniger deutliche Aneurysmabildung oberhalb der Knickungsstelle. Die anatomische Erkl~rung hierftir ist ohne welfares in der festen Verbindung zu suchen, in welcher das Gef~ss durch die Arteriae intercostales und lumbales mit der Wirbels~ule und den angrenzenden Teilen des Thorax gehalten wird. Die Verlaufsver~nderungen desselben h~ngen denn auch ganz direkt yon der Gr5sse der Knickungen, beziehungsweise Auftreibungen ab, welche dutch Zer- stSrung an den Wirbeln und Ansammlung yon Eiter entstehen.

Die Ver~nderungen des Gef/isses werden ferner yon der Art and Weise des Eintretens der Deformit/~t und yon der Zeit ihres Bestehens abh~ngen.

Schon mehrfach hatten wir Gelegenheit bei der Autopsie schwerer Skoliosen und Kyphosen die erw~hnten Beobachtungen zu bestis In dem letzt beschriebenen Falle lag das Gefiiss in einer breiten, flachen Bahn auf dem grossen dorsalen Abscesse (s. Fig. 19). Die Brcite der Bahn liisst an-

1) Dr. L. Bachmann. Die Ver~inderungen an den inneren Organen bei hoch- gradigen Skoliosen und Kyphoskoliosen. Stuttgart, bei Erwin Niigeli, 1899. Bibliotheea mediea.

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nehmen, dass es w~,hrend des Lebens nicht einen runden, sondern einen ovalen Querschnitt gehabt babe.

Das Pr~parat , welches wir zur Demonstration der einschl~gigen Verh~ltnisse best immt haben, s tammt yon einer im 37. Lebensjahre verstorbenen Frau,

Fig. 21.

Schl~ngelung der Aorta bei Knickung der Wirbelsliule durch Spondyliiis tuberculosa. An- sicht yon der 1. Seito.

a Arteria coeliaca, b Art. renal, sin. c Art. mesenter superior, d Art. mesenier, inferior. e Teilungsstolle der Aorta.

welche in ihrer Jugend an Spondylitis erkrankt war. Der genauere Zeit- punkt liess sich leider nicht bestimmen. Sie kam wegen fistulSsem Senkungs- abscess am linken Oberschenkel zur Behandlung ins Krankenhaus und starb hier schliesslich an Tuberkulose der Lunge.

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Die S e k t i o n ergab k a v e r n S s e P h t h i s e der linken Lungenspitze, weiter nach unten reichende Infiltration und Infiltration der rechten Lunge.

Das Pr~parat (s. Fig. 21 und 22) umfasst den neunten Brustwirbel bis und mit dem vierten Lendenwirbel. Der zwSlfte Brustwirbel ist mit deta ersten, zweiten, dritten und vierten Lendenwirbel zu einer einzigen morschen Masse verschmolzen, welche aber unterhalb des zwSlften eine gewisse Be- wegliehkeit zeigt. Die Kniekung, welche durch das Zusammensinken der er- krankten Wirbel entstand ist eine stumpfwinklige, dagegen gewann der Gibbus

durch ausserordentlich starkes Vorragen des Processus spinosus des ersten Lendenwirbels eine eigentfimliche spitzige Form.

Da s~mtliche Processus spinosi, welche den Gibbus bil- den, verh~ltnism~ssig schwaeh entwickelt und diinn sind, so muss man annehmen~ dass sie bereits stark atrophiert seien. Die Vorder- und Seitenfl~chen der Wirbels~ule zeigten sieh bei der Sektion von schwartigen Auflagerungen, die mit eiterigen Herden durchsetzt, waren be- deekt. Der linke Psoas war ebenfalls mit Eiter infiltriert. Die darunter liegenden Knochen waren in ilohem Grade morsch und brfichig. Von einer weiteren Untersuchung des PrS~parates wurde abgesehen, um die De- viation der Aorta zu erhalten.

Dieselbe ist vom neunten Fig. 22. Brustwirbel bis und mit der

Das Pr~parat yon Fig. 21 yon vorn. Bezeichnung Teilungsstelle zu iibersehen. Sie dureh Bachstaben diesolbe, f Art. renal, dex~ra, zeigt eine verh~ltnismiissig ge-

tinge Weite, oben 19 mm unter- halb des Tripus Halleri 12 ram, oberhalb der Teilung, woselbst sie mehr in die Breite entwickelt ist, 18 mm. Der Abgang der Arteriae renales mesenterica superior und cSliaea bieten niehts Auffallendes.

Unterhalb dieser Stelle wendet sich die Aorta etwas nach links, um in der HShe der unteren Begrenzung des zwSlften Brustwirbels mit einer scharfen Knickung eine quer fiber die Wirbels~ule geriehtete Lage anzunehmen. Dieses Querstiick misst ca. 4 Zentimeter. Alsdann gewinnt das GefS~ss mit einer ziemlich genau vor der Mitte der hier stark aufgetriebenen und dureh die besehriebenen Schwarten verdrehten Wirbels~ule gelegenen Wendung nach

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Beitritge zur pathologischen Anatomie der Wirbelsiiule. 39

unten die Vertikalrichtung wieder. Diese Wendung liegt hart unterhalb des Abganges der Art. mesenterica inferior.

Das Gefgss war auf diesem Wege zum Tell in Schwarten und infiltrierte Weichteile eingebettet. Es zeigt oberhalb der oberen Knickung keine Erwei- terung~ dagegen ist die Andeutung einer solchen zwischen der oberen und unteren Kniekung in dem quer verlaufenden Teile zu sehen. Im ganzen liegt die Aorta verhSltnis,n/issig stark links bis zu der zweiten Knickung und ihr Verlauf scheint auch abgesehen yon der Lage des vollst~ndig nach links ge- drehten scharfen oberen Kniekungswinkels etwas mehr naeh links gedr~ngt als das in der entspreehenden HShe unter normalen Verh/s beobachtet wird.

Als Griinde ftir die Verlagerung und Schlgngelung miissen ohne Zweifel die dutch die Knickung gegebene Verkiirzung der Wirbels~ule und die durch die Infiltration der Weichteile und die Abscessbildung bedingte geschwulstfSrmige Auftreibung, welche sieh haupts~ichlieh linl~s etablierte, betrachtet werden. Bemerkenswert scheint uns endlieh, dass die Hauptdeviation gerade unter- halb des Abganges der Arteriae renales und iiber dem Abgange der Arter. mesenterica inferior etabliert ist.

Dass bier keine deutlichen aneurysmatischen Auftreibungen, keine scharfen Differenzen ober- und unterhalb der Knickungsstelle ~'orhanden waren, mug seinen Grund darin haben, dass die Knickung der Wirbels~ule nicht so hoch- gradig war wie das h~ufig beobachtet wird - - sie misst an der Vorderfl~che ca. 135 o - - und dass in der langen Zeit des Bestehens die r~iumlichen Verh~ltnisse sich gegenseitig anpassen konnten. Das Pr~parat liefert dem- nacll ein typisches Beispiel dafiir~ dass die Aorta den Biegungen der Wirbel- s~ule so viel wie mSglich folgte.