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(Aus der Deutschen Forschungsanstalt fiir Psychiatrie [Kaiser Wilhelm-Institut] in Miinchen.) Beitriige zur pathologischen Anatomic des Kleinhirns. II[. III. Mitteilung: Genuine Kleinhirnatrophien. Von Hans-Joachim Scherer. Mit 29 Textabbildungen. (Eingegangen am 20. Dezember 1932.) Inhaltsverzeichnis. seite Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 Material und Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 Zur Frage der Kleinhirnhypoplasien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 Die Rindenatrophien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 1. Totale Rindenatrophien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 2. Systematische Rindenatrophien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 3. Die Atrophic c~r4belleuse tardive s predominance corticale ..... 367 4. Die Frage der kausalen Genese . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 Die Marksklerosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 1. Die Kleinhirnver~nderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 2. Die Pons-Olivenver&nderungen ................... 387 3. Formale Genese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 4. Ver~nderungen im iibrigen Zentralnervensystem .......... 395 5. Zur kausalen Genese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 Zur Einteilung und Terminologie der genuinen Kleinhirnatrophien ..... 397 Differentialdiagnose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 Schlu~ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 Einleitung. Die Literatur fiber Kleinhirnatrophien weist eine fast unfibersehbare Zahl yon Einzelarbeiten auf; ebenso ist yon zaJalreichen Autoren bereits der Versuch einer Einteilung der Kleinhirnatrophien gemacht worden, was zur Aufstellung der (je nach den Gesiehtspunkten der Einteflung) verschiedensten Schemata geffihrt hat. Es kann nicht die Aufgabe dieser Arbeit sein, in eine ErSrterung dieser vorliegenden schematischen Einteilungen einzutreten, yon denen fibrigens keine reeht befriedigt, oder

Beiträge zur pathologischen Anatomie des Kleinhirns. III

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Page 1: Beiträge zur pathologischen Anatomie des Kleinhirns. III

(Aus der Deutschen Forschungsanstalt fiir Psychiatrie [Kaiser Wilhelm-Institut] in Miinchen.)

Beitriige zur pathologischen Anatomic des Kleinhirns. II[.

III. Mitteilung: Genuine Kleinhirnatrophien. Von

Hans-Joachim Scherer.

Mit 29 Textabbildungen.

(Eingegangen am 20. Dezember 1932.)

Inhaltsverzeichnis. seite

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 Material und Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 Zur Frage der Kleinhirnhypoplasien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 Die Rindenatrophien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349

1. Totale Rindenatrophien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 2. Systematische Rindenatrophien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 3. Die Atrophic c~r4belleuse tardive s predominance corticale . . . . . 367 4. Die Frage der kausalen Genese . . . . . . . . . . . . . . . . . 372

Die Marksklerosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 1. Die Kleinhirnver~nderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 2. Die Pons-Olivenver&nderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 3. Formale Genese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 4. Ver~nderungen im iibrigen Zentralnervensystem . . . . . . . . . . 395 5. Zur kausalen Genese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396

Zur Einteilung und Terminologie der genuinen Kleinhirnatrophien . . . . . 397 Differentialdiagnose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 Schlu~ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403

Einleitung. Die Li te ra tur fiber Kle inh i rna t roph ien weist eine fast unfibersehbare

Zahl yon Einzelarbei ten auf; ebenso ist yon zaJalreichen Autoren bereits der Versuch einer Ein te i lung der Kle inh i rna t roph ien gemacht worden, was zur Aufstel lung der (je nach den Gesiehtspunkten der Einteflung) verschiedensten Schemata geffihrt hat . Es k a n n nicht die Aufgabe dieser Arbeit sein, in eine ErSr terung dieser vorliegenden schematischen Ein te i lungen einzutreten, yon denen fibrigens keine reeht befriedigt, oder

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sie gar um eine neue zu vermehren. Dagegen muff hier natfirlich festge- legt werden, welche Kleinhirnver~nderungen denn im Rahmen dieser Mitteilung besprochen werden sollen. Kurz gesagt alle die Prozesse, die weder durch herdfSrmigen, lokal umschriebenen oder einseitigen, dabei g~nzlich unsystematischen Charakter ohne weiteres ihre ,,exogene" (vor- wiegend vascul~re) bzw. korrelative (kontralaterale !) Genese verraten, und die in den beiden ersten Mitteilungen (Scherer 54) eine zusammen- fassende Besprechung erfahren haben; sondern diejenigen, die sich durch Doppelseitigkeit, Symmetrie, Affektion oder Respektierung bestimmter Systeme hervorheben. Und die damit - - bei dem heutigen Stande unserer Kenntnisse - - auch den Verdacht auf eine ,,endogene" Bedingtheit oder wenigstens konstitutionelle Mitbedingtheit nahelegen. DaB dies theo- retisch keine brauchbare Definition ist, liegt auf der Hand. Praktisch aber babe ich ffir die Auswahl der F~lle mit dieser Umgrenzung ohne Schwierigkeiten auskommen kSnnen. Die MSglichkeit einer sch~rferen Formulierung des Begriffes der ,,genuinen" Kleinhirnatrophie wird dann am Schlusse der Arbeit unter Berficksichtigung der neu gewonnenen Gesichtspunkte nochmals zu erSrtern sein.

Die oben angedeutete Abgrenzung geht mit Absicht zun~chst yon rein anatomischen Gesichtspunkten aus; erst im Laufe der Arbeit soll sich zeigen, wie weit diese sich mit klinischen und erbbiologischen decken. Denn bei den meisten der bisherigen Einteilungen ist gerade dadurch viel Unklarheit geschaffen worden, da~ man yon vornherein klinische und anatomische Gesichtspunkte vermengt hat.

Das Hauptziel dieser Arbeit soll die Darstellung der Histopathologie der zu besprechenden Kleinhirnver~nderungen sein. Der grSl3te Tell der bisherigen Publikationen auf diesem Gebiete hat in konsequenter Ver- folgung der gedanklichen Einstellung auf Bahnen- und Neuronensysteme auch technisch fast ausschlie~lich mit Methoden gearbeitet, die der Erforschung der Fasersysteme sehr dienlich, der der Histopathologie der Ver~tnderungen aber absolut hinderlich waren. Beschr~nkte man sich friiher auf eine Bearbeitung mit Markscheiden- und primitiven Kern- f~rbungsmethoden (Carmin, van Gieson), so macht sich seit der Auf- stellung der bekannten cerebellofugalen trod -petalen Degenerationstypen durch Bielschowsky ~ mehr und mehr das Bestreben geltend, die Silber- impr~gnationsverfahren unter Vernachliissigung anderer Methoden anzu- wenden. In jedem Falle ist besonders das Studium der faserigen Glia extrem vernachl~ssigt worden, und damit eines der wesentlichsteli Momente zur Beurteilung histopathologischer Prozesse. Das Bestreben der meisten jiingeren Arbeiten, ihre FMle im Sinne der Bielschows]cyschen Rindendegenerationstypen zu klassifizieren, hat weiterhin dazu gefiihrt, dab gerade die prims Mar]cprozesse sehr stark vernachl~ssigt wurden. DaB es derartige in bezug auf die Kleinhirnrinde prim~re Markprozesse fiberhaupt gibt, ist eine Tatsache, die sich zwar in vielen Arbeiten

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angedeutet finder, aber nirgends klar und mit dem nStigen Nachdruck herausgearbeitet worden ist. Gerade die Histologie dieser Markprozesse lieB aber im Hinblick auf die in jiingster Zeit lebhaft diskutierten Probleme der diffusen Markver/~nderungen des GroBhirns interessante Gesichtspunkte erwarten.

Weiterhin ergab sich aus der Vernachl/~ssigung der gerade fiir die Beurteilung des Stadiums eines Prozesses wichtigen Methoden (Gliafaser-, Fettf/~rbung) im Verein mit der Tendenz zur Konstruktion immer neuer seharf umrissener Bilder, dal3 die Literatur fiber unser Gebiet einen l~berreichtum yon Namen und Typen und damit eine verwirrende Unfibersichtliehkeit geschaffen hat. Auf dem Boden der hier dureh vergleichende Betrachtung eines relativ grol3en Materials gewonnenen histopathologischen Tatsachen soll gezeigt werden, was nur als ver- sehiedenes Stadium eines einheitlichen Prozesses anzusehdn ist, und was tats/~ehlich an grunds~tzlich verschiedenen Prozessen iibrigbleibt. DaB dabei auch die klinischen Daten zu Hflfe genommen werden miissen, liegt auf der Hand. Wenn hierbei einer Form, n/~mlich den (olivo-ponto- cerebellaren) ,,Marksklerosen", ein besonders breiter Raum gewidmet wird, so liegt das aul3er an der Reichlichkeit eigenen Materials und dem erh6hten praktischen Interesse gerade dieser Erkrankung (relative H/~ufig- keit, Auftreten gerade im mittleren Lebensalter) vor allem darin be- grfindet, dab sich hier Gesichtspunkte von allgemeinem Interesse ergaben, die diese Erkrankung in Beziehung setzen lassen zu den in jfingerer Zeit ffir verschiedene /~tiologisch unklare Hirnprozesse (Picksche Krankheit, Huntingtonsche Chorea) lebhaft diskutierten Problemen des ,,lokalen Alterns". Die Er6rterung mul3 hier notwendig fiber das Kleinhirn hinausfiihren, well hier der Kleinhirnmarkprozel3 nur Teilerscheinung einer Erkrankung des Rhombencephalon und Hirnstammes ist.

Fiir die Gliederung der Arbeit soll zun/~chst die oben angedeutete Trennung in Rindenprozesse (mit nur sekund/~rer Markbeteiligung) und in Markprozesse (bei relativ intakter Rinde) als Grundlage dienen. Eine eingehende Berfieksichtigung der eigentlichen Miflbildungen wiirde ins Uferlose fiihren, ohne histopathologiseh Wesentliches zu bringen. Zudem liegt hierfiber die ausgezeichnete Zusammenfassung yon Brun 1~ vor. Auf die gr6beren teratologisehen St6rungen gehe ich deshalb iiberhaupt nieht ein. Nur ein Fall von ,,Aplasia neocerebellaris" soll einleitend genauer erSrtert werden, weft er nicht nur vergleichend den Prozessen gegeniiber yon Interesse ist, die den eigentlichen Gegenstand der Arbeit bflden, sondern auch eine Stellungnahme zu histologisch .grunds~tzlieh wichtigen Fragen erlaubt. Weiterhin soll besonders die Pathogenese der verschiedenen Formen vergleichend eingehend berficksichtigt werden. Endlich wird der pathologisch-anatomischen Differentialdiagnose ein eigener Abschnitt zu widmen sein.

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Material und Methoden.

Diese Darstellung der genuinen Kleinhirnatrophien geht zun~chst nicht yon den bisher aufgestellten Systemen aus, sondern ausschliel]lich von dem bier in der Forschungsanstalt vorliegenden Material. Es niul]te sich daraus naturgem~l] eine gewisse Unvollst~ndigkeit ergeben, die aber dadurch recht gering wurde, dab sich unter der relativ kleinen Zahl yon Fallen gliicklieherweise fast alle wesentlichen Haupttypen prim~rer Kleinhirnatrophien vertreten fanden. Si~mtliche hier verwcndeten F~lle haben bisher keine kasuistische VerSffentlichung erfahren. Um die klinische Seite der Frage auch zu ihrem Rechte kommen zu lassen, erfahren 3 F~lle gleichzeitig eine klinisch-anatomische VerSffentlichung gemeinsam mit Maas. Selbstverst~ndlich war es mein Bestreben, in dicser Arbeit, .die den ersten Versuch einer zusammenfassenden Dar- stellung des ganzen Gebietes bildet, durch Mitberiicksichtigung der gesamten einschl~gigen Literatur die durch die zufiillige Zusammen- setzung des Materials bedingten Liicken auszufiillen.

Die Falle wurden mit allen ffir die Histopathologie wichtigeren Methoden untersucht : Nissl-, Markscheiden-, Fett-, Holzer-, Bielschowslcy-, Eisenf~rbungen, zum Teil auch noch mit weiteren Impragnations- methoden (Cajal usw.). Leider gabon diese letzteren zum Teil nieht mehr sicher verwertbare Resultate, da es sich um Material handelte, das schon sehr lange in Formol aufbewahrt wurde. Immerhin konnten fast in s~mtlichen Fiillen alle fiir diagnostische und pathogenetische Gesichts- punkte wichtigen Fragen gekl~rt werden. Soweit es das Material zuliel~, wurde dabei der grSl~te Wert auf grebe Hemisph~renschnitte gelegt, die allein bei den bier zu besprechcnden Gesamtver~nderungen des Klein- hirns eine erfolgreiche Untersuchung gew~hrleisten. Gerade der Verzicht auf groBe ~rbersichtsschnitte hat in vielen neucren Arbeiten, die vor- wiegend Impri~gnationsverfahren anwendeten, hemmend gewirkt. Die fiir die vorwiegend histopathologischen Fragestellungen notwendige Ver- wendung der verschiedenen Methoden gestatteten natfirlich nicht die Serienuntersuchung am nach Weigert impr~gnierten Block, wie sie fiir die Mehrzahl der bisher verSffentlichten F~lle angewendet wurde; es konnte aber auf feinere fasernanatomische Untersuchungen um so eher verzichtet werden, als diese eben schon in genfigend grol~er Zahl vorliegen, w~hrend die Histopathologie in allen derart untersuchten Fi~llen natiirlieh zu kurz kam.

Zur Frage der I(leinhirnhypoplasien. Wie der Name Hypoplasie besagt, soll hier nicht yon sekund~r riiek-

gebildeten Organen, sondern von primer mangelhaft angelegten die Rede sein. Kenntlich sind diese Hemmungsbildungen daran, dal~ sie eineu normalerweise in der Ontogenese nur voriibergehend bestehenden Zustand endgfiltig fixiert aufweisen. Aber schon hier bcginnt der Strcit darum,

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Beitr/~ge zur pathologischen Anatomie des Kleinhirns. III . 389

ob es sich um eine ,,endogene", ab ovo in der Anlage bedingte Hemmung oder nm eine sekund~re, ,,pathologische", d .h . dutch irgendwelche w/~hrend der jeweils in Frage kommenden Terminationsperiode ablaufende fetale Erkrankungsprozesse bedingte, handelt. Ist auf der einen Seite die Monakowsche Schule (s. Brun 1~) bemiiht, m6glichst viele dieser FMle als ,,endogen" aufzufassen, so pl/~diert andererseits die Marburgsche Schule (Marburg 43, Kubo 36) fiir eine m6glichst ausgedehnte Annahme einer sekund/~ren Entstehung durch hypothetische fetale Encephalitiden und Zirkulationsst6rungen. Daf~ a priori beide M6glichkeiten iiberhaupt vorliegen, wird yon niemandem bestritten. Strittig ist nut immer die Ausdeutung des Einzelfalles; und so leicht die Unterscheidung zun/ichst scheinen k6nnte, so schwer, ja oft unm6glich ist sie in Wirklichkeit. Denn man muB Brun zweifellos zugeben, da$ das Vorkommen yon Gef/~$prozessen, Entziindungsresten und dergleichen noch nicht gegen eine endogene Entstehung spricht, weil sich all dies natiirlich auch in einem prim/~r miSgebildeten Organ sekund~r entwickeln kann. Der Beweis daftir, da$ dies im Einzelfall tats/~chlich der Fall war, ist abet schlechter- dings kaum zu liefern. Dal~ weiterhin abet auf der entsprechenden fetalen Entwicklungsstufe ablaufende Krankheitsprozesse ebenso zu einer ,,neo- cerebellar" lokalisierten Hypoplasie fiihren k6rmen, wie eine anlage- bedingte Hemmung, ist gleichfalls offensichtlich. Die Frage ist nur, ob diese hypothetischen fetalen Encephalitiden iiberhaupt vorkommen, und welche Rolle sie positiven Falles fiir die Entwicklung derartiger St6rungen spielen. Zum 1. Punkt ist der Marburgschen Schule gegeniiber mit Brun zu betonen, dab der Nachweis yon Entztindungsresten nattirlich gar nichts fiber ihre urs/~chliche Bedeutung aussagt - - haben wir doch mehr und mehr die groBe Rolle der symptomatischen Entztindung im Zentral- nervensystem wiirdigen gelernt. Zum 2. Punkt komme ich auf die in meinen ersten Mitteilungen gemachte Feststellung zuriick, da$ wit beim Erwachsenen niemals so ausgedehnte, gleichm~$ig systematische Ausf/flle als Folge entziindlicher Prozesse * zu sehen bekommen. Aber da nach den Ergebnissen der Spatzschen 6o, 61 Untersuchungen selbstverst~ndlich mit der Wahrscheinlichkeit gerechnet werden mu$, dal~ das fetale, noch plastische Gewebe ganz anders als das erwachsene auf Sch~digungen aller Art reagiert, so ist damit nicht viel gewonnen. Nut sollte man meinen, dal~ als einfachstes Merkmal einer sekund~ren pathologischen Hemmungsbildung die Glianarbe den Ablauf eines zerstSrenden Prozesses anzeigen miiBte. Ist abet einesteils - - wieder nach den Ergebnissen der Spatzschen Untersuchungen - - damit zu rechnen, dal~ es trotz ausge- dehnten Gewebsunterganges beim Fetus nicht zur Gliafaserbildung kommt, so ist andererseits, wie Brun betont, das Vorliegen einer Faser- gliose noch nicht beweisend fiir deren Narbencharakter: man k6nne sehr wohl an eble Fehlentwicklung infolge prim~iren Ausbleibens der regel-

�9 Die im Kleinhirn an und fiir sich eine auffallend geringe Rolle spielen.

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rechten Parenchymanlage denken. Also auch das Fehlen oder Vorliegen einer Fasergliose l~Bt keine sichere Entscheidung treffen. Zudem wissen vcir leider gerade fiber diese Seite der einschl~gigen F~lle deshalb recht wenig Zuverliissiges, weil fast alle Autoren die Anwendung yon ]~aserglia- f~rbungen versi~umt haben. Gerade der bier zu bespreehende Fall ist geeignet, alle diese Schwierigkeiten in ein rechtes Licht zu setzen. Naeh alledem scheint mix yon vornherein nur das eine mit Sicherheit auszu- schlieBen zu sein, dab etwa vascul~re StSrungen (die auch oft diskutiert wurden) als Ursaehe in Frage k~men. Denn wenn auch nach Bodechtel 4 gerade das frfihkiadliche Mark gegen vasculi~re Sch~den besonders vulnerabel ist, so ist doch der Gef~verlauf beim Fetus prinzipiell der gleiche wie beim Erwachsenen, er halt sich nicht an die paleo-neo- cerebellaren Grenzen, und da es sieh bier nieht um die zuzugebende verschiedene Reaktionsm(iglichkeit bei Fet und Erwachsenem, sondern allein um die Topik der 1)rozesse handelt, so kann man die vSllig andere Topographie (siehe z .B. Tschernyscheff und Grigorowsky ss, Scherer 54) vasculi~rer Ausfi~lle beim Erwachsenen sehr ~vohl als bfindigen Gegen- beweis gegen diese ~Sglichkeit aueh beim Fetus ins Feld ffihren.

Wenn hier die Beschreibung eines mit allen modernea Methoden untersuchten neuen Falles yon ,,Aplasia neo-cerebellaris" gegeben wird, so soll das nieht etwa mit der Seltenheit derartiger Fiille gerechtfertigt werden; denn da nach dem eben Gesagten eine Kli~rung der grund- sgtzlieh wichtigeren Fragen aus in der Natur der Sache liegenden Grfinden nieht zu erwarten ist, kSnnte dies als unfruchtbare Kasuistik erscheinen. Der Grmld dieser Mitteilung ist einmal die in mehrfacher Richtung zu findende Beziehung zu den ,,Marksklerosen" des Kleinhirns, dann aber vor allem die Untersuchung des Verhaltens der fasergli~isen Strukturen, das bisher nut in dem oben angegebenen Sinne hypothetisch erSrtert, aber in keinem der verSffentlichten Falle wirklich untersucht wurde.

Es handelt sich im vorliegenden Falle (F. A. 1875) um ein 18 Menate altes Kind, das 14 Tage zu frtih geboren war und sich yon Anfang an geistig nicht recht ent- wickeltc. Von einem schweren Magen-Darmkatarrh im 1. Monat erholte sich das Kind niemals mehr recht. Mit 15 Monaten erstmals Auftreten yon KrampfanfMlen, die je 5 Min. dauern, sich etwa 3 ~ m a l tgglich einstellen. Es besteht jetzt eine deutliche Hypertonie aller Extremit~ten, Adduktionsspasmus beider Beine, kein Babinski, kein Klonus, l~eflexe, auch Pupillenreflexe in Ordnung. Das Kind sitzt nicht, kann den Kopf nicht aufrecht halten. Wassermann in Blut und Liquor negativ. Tod an Bronchopneumonie. Die Sektion ergibt, yon der Pneumonie abgesehen, eine katarrhalische Colitis und eine auffallende Kleinheit des ganzen Gehirns mit ausgesprochener Hypoplasie des Kleinhirns.

Ich erw~hne diese Daten deshalb bier kurz, weil sie eine auffallende (~berein- stimmung mit den wenigen in der Literatur bisher verSffentlichten einschl~gigen F~llen (Brun, Fall 1; Koster 3~; Krause as; Vogt-Astwazaturow ~9, Fall 1) zeigen: der Tod idiotischer Kinder zwischen 1--2 Jahren an Bronchopneumonie odcr s interkurrenten Erkrankungen scheint in derartigen F~llen die Regel zu bilden. Der yon Brun gegebenen zusammenfassenden Darstellung dcr klinischen Er- scheinungen babe ich keine eigenen neuen Beobachtungen hinzuzuffigen.

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Am Zentralnervensystem ist makroskopisch zun/ichst auffallend die Kleinheit des GroBhirns, ohne dal3 dabei Windungsanomalien wahrnehmbar w/~ren. Ferner besteht eine hochgradige Abflachung des Ponsful~es und der ventralen Medulla oblongata-Abschnitte. Ungew6hnlich klein ist auch das ganze Riickenmark: sein Durchmesser betrggt thorakal 5 mm, in der Cervicalanschwellung knapp 8 ram.

Die schwersten Veri~nderungen bietet schon makroskopisch das Kleinhirn. Es besteht eine h6chstgradige Verkleinerung beider Hemisph/~ren, die windungslos erscheinen, w$ihrend die relativ gut ausgebildeten Wurm und Flocken deutlicho Gyrifikation aufweisen, l~elativ am besten sind noch die eaudalen Abschnitte der Hemisph/~ren entwickelt, die wenigstens einige wenige, nicht untergeteilte ver- kfimmerte Lamellen tragen. (Ganz fibereinstimmend mit dem Falle yon Brun.) Auf dem Sehnitt finden sich im linken Kleinhirn zwei gut stecknadelkopfgroBe Be- zirke, die im formolfixierten Stiick eine lebhaft rostbraune Farbe aufweisen.

Abb. 1. F.A. 1875. iplasia neocerebellaris. Weigert-PaL Erld~rungen siehe Text.

Frontal-Weigert-Schnitte (Abb. 1) durch Kleinhirn und Medulla zeigen, dab Wurm und Flocken in normaler Weise angelegt, gegliedert und myelinisiert sind. Zwischen Wurm und Flocken aber liegen nicht, wie normal, die stark vorgew61bten, reich gewundenen und in diesem Alter vollst~ndig myelinisierten Hemisph~ren, sondern ein schmales Band mit nur sehr geringffigigen Andeutungen einer Gyri- fikation. Die vereinzelt angelegten Lamellen machen durch das fast v611ige Fehlen einer Unterteilung in Sublobuli einen verkiimmerten Eindruck. Die Hauptm~sse der ,,Hemisph~ren" ist gebildet yon dem im ganzen etwas kleinen, aber offenbar relativ gut entwickclten Dentatusgebiet mit gut markhaltigem Vlies, auf das nach aul3en nur eine schmale, fast vSllig marklose Zone folgt*, fiber der die ,,Rinde" liegt:

Diese besteht in den neocerebellaren, ungegliederten Abschnitten nur aus einer ~uBerst schmalen, fast vSllig zellfreien Molekularsehicht, darunter einer sehr dfinnen (3--5schichtigen) Lage yon KSrnerzellen (ihrer Struktur nach nicht etwa Bergmannsche Zellen !), fiber der sich gar nicht selten auch noch leidlieh erhaltene Purkinje-Zellen linden. An vereinzelten Stellen fehlen die KOrner v611ig, w~hrend die Pur kinje.Zellen auch in solchen Bezirken zu finden sind. Streekenweise aber finder sich ein wirklich absolutes Fehlen aller Rindenelemente (siehe z. B. Abb. 4,

* Bei sehwacher VergrSBerung ist das an dem schlecht gef~rbten Weigert-Schnitt (sehr Mtes Material !) der Abb. 1 nicht deutlich erkennbar.

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bei a)*. Im Holzer.Bild zeigt sich in diesen neocerebellaren l~indenabschnitten eine ziemlich intensive Randgliose (siehe Abb. 4, bei b), m~Big starke Bergmannsehe Gliose und sehr intensive Fasergliose des Marks, das im Spielmeyer-Pr~parat fast v611ig entmarkt erseheint. Doch hieriiber sp~ter.

Der l~bergang zu den erhaltenen Rindenpartien vollzieht sieh fliegend (Abb. 4, bei a), wenn aueh bei der KMnheit des ganzen Organs auf ziemlieh kurzen l~aum zusammengedr~ngt. Molekular- und KSrnerschicht verbreitern sich, und die Purkinje-Zellen werden immer h/~ufiger. In den normal entwickelten Bezirken bietet das Nissl.Bild (Abb. 2) den Anbliek einer fast normal zu nennenden l~inde. ])as gilt nicht nur ftir Wurm und Flocke, sondern aueh fiir die vereinzelten Li~ppehen,

A.bb. 2. F. 2~. 1875. lr der Flockengegend, normM entwickelr ~Bci -4. zwel Inclsurert fiber umschI ' icbener Rind.enatrol)hic. NissI -Bi ld .

die an den caudalen Hemisphi~renteilen ausgebildet sind. Sehr auffallend ist aber, dag sich auch an solchen normal gebildeten Li~ppchen stellenweise (und zwar auch in der :Flocke !) umschriebene hochgradige Sklerosen bis zum vSlligen Ausfall aller Nervenelemente linden (siehe Abb. 2). Eigenartig gegeniiber dem uns vom Er- wachsenen her geli~ufigen Bild der Li~ppchensklerose sind nur hi~ufige tiefe Ein- schnitte (Abb. 2, 4b), die ein Status verrueosus-i~hnliches Bild hervorrufen. Ich habe bei Li~ppchensklerosen des Erwachsenen und Kindes niemals derartige Bilder gesehen; dagegen entsprechen sie vollkommen den yon Brun als ,,Ineisuren", ,,segmentierte Molekularschicht" in seinem aueh sonst identischen Fall neo- cerebellarer Aplasie beschriebenen Bildern.

Bei diesem im wesentlichen normalen Zustande der ICinde in den iiberhaupt entwickelten neocerebellaren Absehnitten fi~llt es um so mehr auf, dag sich aueh hier im Spielmeyer-Pr~parat ein hochgradiger Markmangel ** findet (siehe Abb. 3).

* Wie es Vogt-Astwazaturow als durchgehendeu Befund in ihrem Falle l, der im 1)rinzip dem hier beschriebenen gleicht, beschreiben.

** Wurm un4 Flocken sind dagegen, wie oben erwhhnt, tadellos markhaltig.

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Dabei sind am best~n noch die axialen Fasern erhalten, also die Purkinje-Axone, wi~hrend offenbar die zentripetale Faserung v611ig fehlt. Dementsprechend zeigt das ganze Marklager des Kleinhirns eine sehr starke Holzer-Gliose, auch in den ang~legten Rinden-Markabschnitten (siehe Abb. 4). Ihrer Qualit/~t nach handelt es sich um einen ganz anisomorphen, sehr dichten Faserfilz, mit nur sehr sp~rlich eingelagerten Zellen (das Nissl-Bil4 1/~llt yon dieser Gliose gar nichts ahnen!); nirgends finden sich mehr astrocyti~re Faserbildner als Zeichen eines noch frischen Prozesses. Im Bielschowsky-Bild sieht man hier yon den cerebellopetalen und intracorticalen l%sersystemen fiberhaupt nichts, w~hrend die axialen Purkinje- Axone gut angefiirbt sind: letzteres entspricht also v611ig dem Markscheidenbild

Abb. 3. Derselbe Fall. Hochgradiger ~VIarkmangel in den entwickelten neocerebeUaren Lamellen. Spielmeyers )[arkscheidenfitrbung.

und spricht gegen die natiirlich zu berficksichtigende M6glichkeit, dab der Ausfall der cerebellopetalen Fibrillen nur durch mangelhafte Anf~rbung an dem zu alten Material vorget~uscht sein k6nnte.

Das Fettbild l~I3t im Kleinhirn nirgends auch nur eine Spur von Fettabbau erkennen. Die bei der makroskopischen Beschreibung erw~hnten rostbraunen Flecke im Flockenmark erweisen sich histologisch als stark eisenpigmenthaltige Reste alter Blutungen, die (Achuccarro.Bild) nicht zu einer st~rkeren Bindegewebs- wucherung (wie man sie gerade in eisenhaltigen Gehirnnarben sonst gern findet), sondern zu einer reinen Faserglianarbe in strahliger Anordnung gefiihrt haben. l~brigens zeigen Achuccarro- und Biondi.Pr~parate auch im ganzen tibrigen Klein- hirnmark keine einwandfreie Bindegewebsvermehrung, jedoch einen auffallenden GefiiBreichtum.

Das Dentatussystem erscheint bei Betrachtung mit bloBem Auge insofern relativ intakt, als es ein etwa normal gro~es Areal einnimmt und deutlieh lamelliert sich gegen das gut markhaltige Vlies abhebt. In Wahrheit aber ist yon einem einheitliehen Zellbande keine Rede, sondern es heben sieh besonders im Mark-

z. f. d. g. Neur. 11. Psych. 145. 23

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scheidenbild eine Reihe yon Zellhaufen heraus, die in keinem fortlaufenden Zusammenhang miteinander stehen, also nicht das gew6hnliche ,,Zellband" bilden, wenn sie in ihrer Gesamtheit auch etwa einem gewundenen Bande entsprechen. Und dementsprechend zeigt das Nissl-Bild nicht das fortlaufende Band des ,,Nissl- Grau" mit gleichm/~13ig darin verteilten Zellen, sondern Zellanh~ufungen, die in

Abb. 4. Dcrselbe Fall. Holzer-Bild zeigt dio ituBerst intensive Fasergliose des ~[arldagers. Bei a ~bergang angelegter Rindenteile in einen Abschnitt mit vSUigem Fehlen tier Rinde.

Bei b starke Randgliose und Incisuren.

keiner durch Grauf~rbung hervorgehobenen Grundmasse liegen (siehe auch Oliven). Die angelegten Zellinseln zeigen gut entwickelte normale Zellen (yon kadaverSsen Ver~nderungen abgesehen). Keine Spur von Gliavermehrung. Das Vlies ist gut markhaltig, wenn auch etwas heller als die ihm aul3en anliegende spinocerebellare Faserung. Dagegen ist der Hilus auffallend markarm.

Ein vSllig sicheres Urteil fiber das Verhalten der einzelnen Faserzfige bzw. Kleinhirnstiele is~ an dem vorhandenen Material nicht mehr zu gewinnen. Doch scheinen die spinocerebellaren Bahnen im wesentlichen intakt zu sein, was auch wieder mit der Beobachtung yon Brun iibereinstimmt.

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Beitr~ge zur pathologischen Anatomie des Kleinhirns. I lL 345

Dagegen zeigen die olivo-pontocerebellaren Systeme sehwere Defekte. Die makroskopisch sichtbare schwere Atrophic des Ponsful~es finder ihr histologisches Substrat in einem so gut wie totalen Ausfall der Ponskerne (Abb. 5), nur ganz vereinzelte laterale Zellgruppen sind beiderseits erhalten. Auff~llig, besonders ira Vergleich mit den entsprechenden Bildern der olivo-pontocerebellaren Atrophien des Erwachsenen ist bier das v611ige Fehlen einer zelligen Gliose, wodurch die normale Struktur g~nzlich verwischt erscheint (vgl. Abb. 5 mit Abb. 28), zumal auch bier kein deutliches Nissl-Grau angelegt ist.

In der Medulla oblongata fehlen die Nuclei arcua~i vOllig (auch wieder ohne irgendeinen Gliaersatz), und die Anlage der Oliven ~hnelt der des Den~atus insofern,

.~bb. 5. Derselbe Fall. To~alcs Fehlcn der Ponskerne, kcine 4eutliche zelligc Gliose. Nissl-Bild. Vgl. d~bb. 28.

als auch hier kein gewundenes Band des Nissl-Grau zu sehcn ist, sondern einzelne unzusammenh~ngende, iibrigens sehr diinn ges~te Zellgruppen das normale Oliven- feld andeuten. Das Fehlen eines Nissl-Grau wie einer Gliose bringt es mit sieh, dab yon der sonst bei Erwachsenen auch bei hochgradigem Ausf~llen zu sehenden Normalstruktur des gewundenen Bandes nichts mehr zu erkennen ist. Relativ am besten entwickelt sind die medioventralen Anteile, ebenso sind die Neben- olivcn tadellos ausgebildet - - was also allen Angaben der Literatur zu dieser Frage v611ig entspricht *. Ebenso sind gut erhalten die iibrigen Kerngruppen der Medulla (XII, X, Substantia reticularis, Nucleus funiculi lateralis, magnocellularis usw.; die Pyramiden sind markhaltig, gut entwickelt), ebenso die der Ponshaube (Locus coerulcus, Augenmuskelkerne). Substantia nigra, Striopallidum, Thalamus

* Es wfirde den Rahmen dieser Arbeit weit tiberschreiten, auf die hier liegenden interessanten entwicklungsgeschichtlichen und fasernanatomischen Oberlegungen einzugehen. Ich verweise dazu auf die Arbeiten von G. Holmes u. Stewart as, Essick 17 u. a.

23*

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346 Hans-Joachim Scherer:

und Zwischenhirnkerne erweisen sich gleichfalls also. B. Im Ammonshornzellband findet sich eine hochgradige Lichtung mit vSllig ,,typischer" Lokalisation im Sommerschen Sektor und Endblatt, wobei auch die Fascia dentata erheblich gelitten hat. Im iibrigen zeigt die Groi3himrinde zwar hier und da uncharakteristisehe Zell$usf~lle, aber jedenfalls keine schweren StSrungen ihrer Architektonik.

:Dagegen erweist sich die makroskopisch so auff~llige Kleinhei~ des Rfickenmarks bedingt durch eine sehr mangelhafte Anlage des weitgehend marklosen Vorder- seitenstrangareals, demgegeniiber die I-Iinterstr~nge gut entwickelt erscheinen (Abb. 6). Die graue Substanz ist normal, auch in der weiBen l~l]t das Nissl-Bild keine Gliavermehrung erkennen *, w~hrend im Holzer-Pr~parat die marklosen Ab- schnitte des Rtickenmarkswei~ eine recht intensive Fasergliose erkennen lassen:

diese ist weniger dicht als die des Kleinhirns, mit der sie aber in bezug auf das Alter (keine groBen Faserbildner mehr) offenbar identisch ist.

]:)as eigentliche Thema dieser Arbeit verbietet es, auf die interessanten Ver- ~nderungen des Rficken- marks n~her einzugehen. Bezfiglich des Grol]hirns ist der so typische Ausfall ira Ammonshorn wohl

2Lbb. 6. Derselbe Fall. Cervicalmark. Spielmeyers zwanglos auf die in der 5~arkscheidenfarbung. Siehe Text. Anamnese erw~hnten h~u-

figen Krampfanf~lle zu be- ziehen, bietet also bier zu weiteren ErSrterungen keinen AnlaB.

Was nun die Kleinhirnver~nderungen betrifft, so soll an dieser Stelle nur auf die weitgehende J~nlichkeit ** mit den bisher beschriebenen F~llen yon Aplasia neocerebellaris hingewiesen werden, ohne auf alle interessanten Einzelheiten ns einzugehen. ])as, was nach dem eingangs Gesagten aber bier erSrtert werden soll, ist die Frage der Fasergliose des Marks. Die bisher beschriebenen l~lle wurden ausnahmslos als MiB- bildungen aufgefaI~t, das Verhalten der Faserglia dabei aber nirgends untersucht, und es ist deshalb das hier liegende Problem: Ist die immer noch weitverbreRete (siehe z. B. v. Sdntha 5a) landl~ufige Auffassungjeder Fasergliose als blol3e Ersatzwucherung eines Parenchymunterganges berechtigt ? gar nicht welter erSrtert worden. Dies soll hier aber wegen der sps nochmals bei den ,,Marksklerosen" auftauchenden gleichen Frage geschehen. Zuni~chst die Frage: Haben wir es wirklich mit einer Mi~bfldung ira Sinne einer Entwicklungshemmung zu tun, oder liegt

* Vsllig fibereinstimmend mit Bruu. Schon dies spricht gegen sekund~re Degeneration, die ja stets im Niss/-Bild an der Dichte der Gliakerne kenntlich ist.

** Abweichungen bestehen nut in bezug auf mehr,,akzessorische" StSrungen: Bei Krause Erhaltung der embryonalen KSrnerschicht, bei Brun zahlreiche Hetero- topien, bei Brun des weiteren aberrierende Markfasern in der Rinde usw.

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eine Atrophie vor ? Ffir MiBbfldung sprieht zun/~chst unbedingt die fehlerhafte Anlage des Dentatus und der Oliven, die durch sekund~re Atrophie nicht zu erkliiren ist. Ebenso muB es sich bei der Kleinheit des Gehirns und Rfickenmarks * mit der hier vorliegenden mangelhaften Myelinisation unbedingt um Entwicklungshemmungen handeln (dal3 im Rfickenmark keine sekunds Degeneration, etwa der Pyramiden vorliegt, geht, yon den Gliaverh/~Itnissen abgesehen, schon daraus hervor, dab diese z. B. in der Medulla oblongata noch tadellos markhaltig sind, ohne dab weiter caudal ein Herd bestfinde). Beim Kleinhirn macht zungehst das Vorhandensein zweifellos sekund/~rer Veriinderungen, wie des alten Blutungsherdes, der umschriebenen L/~ppchensklerosen, stutzig; doch ist naturgem/il~ mit Brun festzustellen, dab dies nieht gegen eine Ent- wicklungshemmung spricht: auch in einer solchen kSnnen sich selbst- verst/~ndlich sp/~ter weitere Prozesse etablieren, und speziell fiir die bekanntlich sonst bei Krampferkrankungen (Epilepsie) so hi~ufigen Lgppchensklerosen ist bei dem auf die gleiche ~tiologie zu beziehenden, gleichzeitig vorhandenen Ammonshornausfall an eine derartige Ent- stehung zu denken. Dal~ weiterhin beim reifen Organismus niemals ein so vollst/~ndiges Verschwinden angelegter Hemisphiiren vorkommt, ist klar ; immerhin w/~re aber der Einwand denkbar, dal3 das viel plastisehere Gewebe des Fetus so weitgehend auch sekund~r ,,verschwinden" kSrmte. Das an sich Unwahrscheinliche dieses Gedankens wird aber noch unter- strichen dadurch, dab das Bild aller bisher beschriebenen Fiille so aul~er- ordentlich gleich ist : Dies scheint mir eines der wesentlichsten Argumente dafiir zu sein, dab wires tatsachlich mit einer auf einer ganz bestimmten Entwicklungsstufe erfolgten ,,Fixierung" des gerade bestehenden Ent- wicklungsstadiums zu tun haben; dena eine sekund/ire Entstehung k6nnte so vSllig fibereinstimmende Bilder nicht erkl/iren. Damit ist aber nichts darfiber gesagt, ob diese Hemmung in dem fraglichen Zeit- punkt durch eine gul3ere Erkrankung hervorgerufen wurde oder anlage- m~Big bedingt war. Wegen der eingangs diskutierten UnmSglichkeit einer vSllig klaren Beantwortung dieser Frage verzichte ich auch an dieser Stelle auf ihre weitere ErSrterung. Was hier interessiert ist die Frage, wie es in einem in seiner Entwicklung (sei es ,,prim/ir" oder ,,sekund/~r") gehemmten Organ zu einer so intensiven Fasergliose kommt. Eine Reaktion auf den Ausfall vorhanden gewesenen Gewebes kann sie ja nicht sein. Dies um so weniger, als es naeh Spatz' Untersuchungen bei Gewebsunterggngen im Fetalleben gerade nicht zur Gliose kommt, so dal~ ihr Vorhandensein an sich eher gegen diese sekund~re Atrophie sprechen wiirde. Bleibt nur die MSglichkeit einer poliferativ-entzfind- lichen Genese (wie z. B. in den Herden der multiplen Sklerose), die sich aber mit dem Hinweis auf die auBerordentliche Gleichm~Bigkeit und

�9 Wohl mit Recht nimmt Brun diese so hgufige Kombination yon St6rungen im Bereieh des gesamten Medull~rrohres fiir eino endogene St6rung in Anspruch.

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348 Hans-Joachim Scherer:

systematische GesetzmaBigkeit in der Ausdehnung der Fasergliose von selbst erledigt.

Damit wird der Gedanke zwingend, da6 hier tats~chlich eine,,primiire" Gliose vorliegt. Spatz hat darauf aufmerksam gemacht, da$ in der Umgebung seiner experimentell gesetzten Defekte beim Neugeborenen die Gliazellen ungewShnlich dicht liegen: Nicht dutch ein sekundiires Zusammenrficken, sondern durch ein Nichtauseinanderrficken infolge des Ausbleibens der Entwicklung paraplastischer Substanzen, in diesem Falle also mangelnde ~yelinisation. Doch berichtet er nichts fiber eine Faserbildung in diesen Bezh'ken, was natfirlich daran liegen kann, da6 bier die Untersuchung ziemlich bald nach der L~sion vorgenommen wurde, w~hrend das Einsetzen der Faserproduktion (fiber dessen Zeit- punkt wir ja nichts Sicheres wissen) in unserem Falle sehr wohl sparer zu denken ist. Denn in unserem Fall handelt es sich ja gerade um eine intensive Fasergliose der nichtmyelinisierten Abschnitte des Kleinhirn- markes. Es mul~ bier mit der Wahrscheinlichkeit gerechnet werden, dal~ die Glia, der die MSglichkeit der Erffillung ihrer normalen Aufgaben in Richtung des Markscheidenaufbaues und aller der Funktionen, die man mit der Bezeichnung ,,trol0hisch" anzudeuten pflegt, genommen ist, eine einseitige Differenzierung im Sinne ihrer anderen Aufgabe, der Stfitzfunktion, erf~hrt: n~tmlich durch intensive Faserproduktion. Dies erscheint mir als die einzig naheliegende Erkl~rung dieser einzigartigen Fasergliose in primiir nichtmyelinisierten Gebieten, die sich auSer im Kleinhirnmark ja auch in dem Vorderseitenstrangareal unseres Falles findet - - und auf die in anderen entsprechenden F~llen in Zukunft durch Gliafaserf~rbungen zu aehten sein wird. Wenn, wie ausdrficklich vermerkt, im Zellbild hier gerade ]ceine dichte Lagerung der Kerne wahrzunehmen ist - - ganz im Gegensatz gerade zu sekund~ren Atrophien, vergleiche die Marksklerosen ! --, so erkl~rt sich dies im Sinne der Spatz- sehen Annahme eben durch die stattgehabte Entwieklung paraplastischer, bier fasergliSser Strukturen.

Ein zweiter, hiermit zusammenh~ngender und ffir den weiteren Ver- lauf dieser Arbeit wichtiger Gesichtspunkt ist dann das eigenartige Verhalten des Markes im Bereich der ausgebildeten neoeerebellaren Windungen: das hier resultierende Bild eines im wesentlichen marklosen ,,Markes" unter einer (fast) intakten Rinde ~hnelt n~mlich auf den ersten Blick allzusehr den spi~ter zu besprechenden ,,Marksklerosen" des Erwachsenen. Die sieh hieraus ergebenden Folgerungen sollen dort im Zusammenhang besproehen werden (siehe S. 391), bier sei nur naeh- drfieklich auf diese Tatsache hingewiesen, sowie darauf, dab auch das Fehlen der Ponskerne und -fasern (bier offenbar als primi~rer Defekt der Kleinhirnanteile, dort durch die Gliose als sekund~rer Ausfall charakterisiert), das Verhalten der Oliven und Nuclei areuati, die Intaktheit des Dentatusvlies, vor allem aber die neocerebellare

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Beitrage zur pathologisehen Anatomie des Kleinhirns. III. 349

Lokalisation hier wie dort fibereinstimmen. Ki t anderen Worten: Dieser Fall einer sicheren Hypoplasie weist mit den im spi~teren Leben auf- tretenden Marksklerosen eine vSllige Gleiehheit der Lokalisation der Ver~nderungen im Kleinhirn und seinen Anteilen auf, und in der Qualitgt besteht insofern eine wichtige Beziehung, als wir auch dort bei den Marksklerosen eine Neigung der Glia zu ,,prims Faserproduktion zu beriicksiehtigen haben werden.

Dies sind die Hauptgriinde, die mich hier zu einer n~heren Besprechung des Falles veranlaBt haben. In bezug auf die wiehtigen ontogenetischen und fasernanatomischen ~berlegungen, zu denen er AnlaB bietet, mug auf die ghnlich oder gleich liegenden Fs yon Brun und Krause ver- wiesen werden, die yon den Autoren gerade nach dieser Richtung hin eingehend ausgewertet wurden.

Die Rindenatrophien. 1. Totale Rindenatrophien.

Die durch seine Entstehung auf dem Wege einer Entwicklungs- hemmung bedingte Eigenart des vorigen Falles yon Aplasie erf~hrt eine lehrreiche Beleuchtung aueh dureh Vergleich mit den jetzt zu besprechenden Fs zweifelloser Atrophie. Und zwar handelt es sich um Atrophie der Rinde durch Sehwund aller ihrer parenehymatSsen Elemente, nieht etwa nur best immter Systeme im Sinne der cerebello- petalen oder -fugalen Degeneration. DaB es sich um generalisierte, vSllig symmetrische Erkrankungen handelt, braueht kaum noehmals hervor- gehoben zu werden: nur diese sind der Gegenstand dieser Arbeit. Die zwei mir zur Verfiigung stehenden Fi~lle gleichen sich so vollst~ndig, dab die Befunde bier aus Grfinden der Raumersparnis zusammen wieder- gegeben werden sollen.

Kliniseh handelte es sieh beide Male um Kleinkinder, deren geistiger Ent- wicklungszustand mit der Diagnose Idiotie umschrieben wurde und die an inter- kurrenten Erkrankungen starben. Zu dem einen Fall (F. A. 256/29) waren leider keine klinischen Angaben zu erlangen. Der andere (F. A. 1936) war 14 Tage iiber- tragen, machte in den ersten Lebenstagen mehrmals Zust~nde von Asphyxie und allgemeiner Schlaffheit dutch (war dabei wi~hrend einiger Minuten ,,wie leblos"). Die Aufnahme in die Klinik erfolgte im Alter yon 2 Jahren, 2 Monaten, 14 Tagen a. e., wegen postmorbillSser Kaehexie. Geistig ausgesprochen zuriiekgeblieben, kann den Kopf allein nicht halten. S~mtliche Sehnenreflexe fehlen, Cremasterreflexe beiderseits d-, Babinski reehts-[-. Tod unter zunehmender Kachexie, agonal stundenlang klonische Zuckungen.

W~hrend im Falle 1936 das GroBhirn makroskopiseh keine nennens- werten Veri~nderungen hot, bestand bei 256/29 ein sehwerer Hydro- cephalus internus * mit hochgradiger Atrophie des Str iatum undThalamus.

�9 In Anbetraeht der yon Marburg und seiner Schule (siehe Kubo u. a.) ver- tretenen These der i~tiologischen Bedeutung des Hydrocephalus fiir derartige Kleinhimatrophien sei dies hier vermerkt; des weiteren gehe ieh auf die kausale Genese dieser F~lle sparer ein.

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Das Kleinhirn fiel in beiden FMlen auf durch die auI~erordentliche Kleinheit seiner beiden Hemisphiiren; diese zeigen dabei aber im Gegen- satz zu der eingangs besprochenen Hypoplasie regelrechte Lamellierung. Das Klaffen der Furchen ist nicht sehr hochgradig, diese sind sehr schmal, aber offenbar zusammengerfickt. Wi~hrend im Falle 256/29 auBer den

Abb. 7. F. A. 1936. Absolute Rindenatrophie. Siehe Text. Nissl-Bild.

Flocken auch der Unterwurm relativ gut erhalten ist, zeigen bei 1936 makroskopisch nur die Flocken ein ann~hernd normales Verhalten, der Wurm ist hier gleichfalls bis auf geringe Reste in demselben Sinne wie die Hemisph~ren ver~ndert.

Diese im gro]en und ganzen vorwiegend ,,neocerebellare", wenn auch keineswegs scharf abgegrenzte LokMisation der Atrophie wird auch durch das his~ologische Bild best~tig~. Dieses ergibt in beiden F~llen in allen fiberhaupt ver~nderten Abschnitten ein v611ig einheitliches Bild: Eine absolute Atrophie der Kleinhirnrinde, die nieht nur von allen Ganglienzellen (Purkin]e- wie KSrnerzellen), sondern auch yon s~mtlichen Nervenfasern (siehe Abb. 7) v611ig entbl6Bt ist. Die L~ppchen-

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Beitr/ige zur pathologischen Anatomie des Kleinhims. III. 851

konturen sind ausgesprochen abgerundet. Die Molekularschicht ist extrem ver- schmMert (bis auf 1/5--1/10 ihrer normalen Breite), enthi~lt dabei auch fast fiberhaupt keine Gliazellen mehr. Unter ihr die Bergmannsche Zellschicht, die sich abet nicht sehr deutlich abhebt, da sie nur 1--2schichtig liegt und nach innen ohne scharfe Grenze in die Gliazellen des Markes fibergeht. Dieses erscheint im Nissl-Bild eigenartig strukturlos, da die Gliazellen nicht die normale, den Fasernztigen folgende Anordnung aufweisen, sondern ganz ungeordnet eine neben der anderen liegen (siehe Abb. 7).

Diese Veri~nderungen sind in den Hemispharen ubiquiti~r, im Fall 1936 auch ira grSBten Teile des Wurms; nur das Declive vermis zeigt hier etwas besser

2~bb. 8. F. 2~. 1936. Declive vermis mit besser erhaltenen Windungen, noch ziemlich viol erhaltene Purktnje-Zcllcn. NissI-Bild.

erhaltene Windungen (Abb. 8). Diese entsprechen einer ziemlich welt fortge- schrittenen ,,erworbenen" L/~ppchenatrophie mit (in den besterhaltenen Partien) noch zum Tell vorhandenen Purkin#-Zellen, breiterer, etwas zellreicherer Molekular~ schicht, otwas intensiverer Ber!lmann-Zellgliose und einer gewissen Zahl erhattener KSrnerzellen. Der ]~bergang zu den total atrophischen Bezirken erfolgt flieflend, wie wires yon allen erworbenen L~ppchensklerosen gewShnt sind (siehe I. Mit- teilung, S. 584). Im Falle 256/29 sind diese besser erhaltenen Partien im Wurm zweifellos ausgedehnter, doch ist der Oberwurm auch bier weitgehend atrophiert. Die Flocken zeigen in beiden F/illen fast vSllig normal erhaltene Windungen,

In den totM atrophierten Bezirken zeigt das Bielschowsky-Bild einen absoluten Schwund auch aUer Fasersysteme: es f~rbt sich fiberhaupt nichts mehr an, mit Ausnahme der radi/~r angeordneten Bergmannschen Gliafasern. Diese sind naturgemiil~ viol deutlicher im Holzer-Bild (Abb. 9) zu erkennen, das fiber mehrere prinzipiell wichtige Punkte AufschluB gibt: Erstens ist die Fasergliose der ,,Rinde", d. h. also der hochgradig geschrumpften Molekulamchicht, viol inten- siver als die des darunterliegenden Markes. Dicses zeigt eine vSllig anisomorphe Anordnung der Gliafasern, was sich also mit dem im Nissl-Bild so auffallenden

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Eindruck v611iger Strukturlosigkeit deckt. Weisen diese Gebiete nur noch sehr wenig Gliazellen und gar keine Faserbildner mehr auf, so linden sich letztere noch in betr/~ehtlicher Zahl in den ~bergangszonen zu den erhaltenen (paleo-cerebellaren) Abschnitten: dies scheint auf ein noch im Gang befindliches Fortschreiten des Prozesses auch auf diese Gebiete hinzuweisen. Der wichtigste Punkt ist aber die beim Studium von Obersichtsschnitten in Markscheiden- wie Holzer-Bildern sofort auffallende Tatsache, dab das Mark der Lamellen viel mehr gelitten hat, als das zentrale Marklager. Ist das erstere fast v611ig entmarkt (mit entsprechender struktur- loser Gliose), so erseheint das ganze zentrale Marklager (siehe Abb. 10) auffallend gut markhaltig, rclativ viel ~rmer an Gliafasern, und dementsprechend auch im

&bb. 9. If. 2k. 256/29. Holzer-Bild zcigt die hochgradige l~indengliose bei lntenslver anisomorpher Gliosc des Marks. VgL Abb. 4.

Nissl-Bild im Gcgensatz zum Lamellenmark normal strukturiert. Deutlich gelichtet ist dagegen das Vlies des Dentatus (als selbstverst/~ndliche Folge des totalen Unter- ganges der Purkin]e-Axone), sowie sein ttilus, w/~hrend das Zellband selbst ausge- zeichnet erhalten ist (Abb. 11). Auch die feinere Analyse ergibt im einen Falle (1936) gar keine, im anderen nur sehr geringfiigige umschriebene Zellausf/~lle. Die in beiden F/~llen verbreiteten postmortalen Ver~nderungen der Dentatuszellen sind in Anbe- tracht der besonderen ,,postmortalen Vulnerabilitiit" dieses Kerngebietes (II. Mit- teilung) bei diesen Kindergehirnen nicht zu verwundern. Eine Gliazellvermehrung im Dentatuszellband besteht gleichfalls nicht.

Dieses Verhalten der Dentati in F/~llen sehwerster ausgedehntester Rinden- atrophie spricht, wie hier in Paranthese bemerkt sein mag, gleiehfalls gegen die yon D~mole, Rossi und Simonelli (siehe II . Mitteilung) u. a. behauptete sekund/~re Den- tatusatrophie als Folge yon Rindensch~digungen. Es best~tigt somit meine in der II . Mitteilung auf Grund ganz anderen Materials zu diesem Punkto gegul3erten Anschauungen.

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Beitrage zur pathologischen Anatomie des Kleinhirns. III. 353

Bevor ich zur Besprechung der Befunde in den Kleinhirnanteilen dieser F~lle fibergehe, sollen hier zun~chst die wichtigsten Gesichtspunkte

Abb . 10. F . A . 256/29 zc ig t den auff~l lcnRen G c g c n s a t z zwischcn l'~st m a r k l o s e n Lanlel len u n d g u t m a r k h ~ l t i g e m z c n t r a l c m l~ark lager . L i c h t u n g des Dcnt~ tusv l ics . Splelmeyers

M a r k s c h e i d c n f a r b u n g .

Abb . 11. F . A. 1936. Den~a tus t ade l los e rha l t en , n i m m t c inch unverhi t l tnisnff iBig grof3en R a u m in der k le inen IIcmisph~tre ein. Nissl-Bil4.

erSrtert werden, die sich aus den eben besprochenen Kleinhirnver/inde- rungen selbst, besonders in bezug auf die formale Genese ergeben.

Zun/~chst die Lokalisation. Sie 1/~$t unverkennbar ein gewisses Ver- schontbleiben der paleocerebellaren Abschnitte erkennen. Dal~ bier aber keine so scharfe Abgrenzung besteht, wie im erstbeschriebenen Fall yon

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Aplasia neocerebellaris, lehrt eben der Vergleich mit diesem Falle sehr eindringlich. Sehen wir doch in diesen beiden Fs schon erhebliche Teile des Wurmes mitbeteiligt (und zwar nicht nur diejenigen, die naeh Jakob 3z als Neuanteile zu gelten haben, sondern auch paleocerebellare Gebiete); und dieses Schon erh~lt die Berechtigung einer auch zeitli~en Bedeutung durch den Umstand, dab die Glia in den ~bergangszonen viel zellreicher ist und noch grol3e faserbildende Zellen ffihrt. Dies kann wohl nut so gedeutet werden, dab hier ein noch im Gang befindlicher Prozel3 vorliegt. Im Neocerebellum (zellarme, strukturlose Glianarbe !) ist er abgeschlossen, seine weitere Ausdehnung auf paleocerebellare Gebiete aber ist noch im Gange.

Wenn sich auch an diesen ,,l~bergangszonen" (yon geringer adventitieller Lipoid- speieherung abgesehen) keine Zeichen eines Abbaues finden, so steht das in voller l~bereinstimmung mit allen anderen, in dieser Mitteilung zu besprechenden Klein- ]firnatrophien. Es ist dies eines der Kennzeichen, das ihnen den Stempel der ,,prim~ratrophisierenden" Prozesse mi$ ihrem ,,unsichtbaren" langsamen Ver- schwinden des Gewebes aufdriickt.

Bei dieser Lage der Dinge bedarf die Auffassung dieser F~lle als Atrophien im Gegensatz zur Aplasie des ersten Falles keiner weiteren Begrfindung, ich verweise zurfick auf die dort eingehend er6rterten Gesichtspunkte, die fiir die Annahme eben einer Aplasie richtunggebend waren.

Das Verhalten der Rinde an sich gibt in diesen beiden Fi~llen zu ErSrterungen keinen Anla~: Sie befindet sich im Stadium der totalen L~ppchensklerose, d .h . also in einem vollendeten Narbenzustand, aus dean naturgems nichts mehr fiber frfihere Entwicklungsstufen herauszu- lesen ist. Dagegen bedarf das Verhalten des NIarkes noch einer Be- sprechung; ist doch der im Bilde wiedergegebene scharfe Kontrast zwischen Lamellen- und zentralem l~Iark zuns sehr verblfiffend. Bei einem derart generalisierten, absoluten und oifenbar in den neocerebellaren Partien l~ngst abgeschlossenen Rindenausfall erwartet man unwillkiirlich auch eine schwere Lichtung des ganzen N[arklagers. In Wirklichkeit aber fand sich wohl eine solche des Lamellenmarkes und des Dentatusvlieses, dem Sammelpunkt aller Purlcinje-Axone, aber ein relativ ausgezeichneter Markgehalt des ganzen zentralen N[arklagers. Es sei hier vorweg- genommen, da]3 dies nichts ffir die eben beschriebenen FAlle Spezifisches ist: wie weitere ]~lle dieser Arbeit lehren werden, ist dies Verhalten gesetzmdflig ffir alle selcunddren Markatrophien als Folge (sei es auch schwerster) Rindenl~sionen. Ich lege auf diese prinzipielle Fes~stellung schon an dieser Stelle den grSl3ten Wert, weil sie schlagend die Be- rechtigung der hier vorweggenommenen Trennung in Rinden- und mark- prozesse beweist. Finden wir bei so totaler Sklerosierung der Rinde, wie in diesen FAllen, ein so gut erhaltenes N[arklager, so kann dessen ausgedehnte Entmarkung in anderen F~llen niemals als Folge einer auch noch so schweren Rindensch~digung gedeutet werden - - noch viel

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Beitr~ge zur pathologisehen Anatomic des Kteinhirns. III. 855

weniger als solehe yon so geringffigigen Rindenl/isionen, wie sic eben die als prim~re ,,Marksklerosen" zusammengefaBten F~lle darbieten. Hier- fiber sp/~ter mehr. An dieser Stelle ist dagegen zu erSrtern, wie denn dieser raerkwfirdige Gegensatz yon Lamellen- und zentralem Mark erkl~rt werden soll. Bevor man sich zu Auseinandersetzungen entschlieBt, die die Grundprinzipien der Neuronenlehre beriihren, ergibt sich als n~chstliegende l~berlegung die, dab das zentrale Marklager im Gegensatz zum Lamellenmark offenbar grSBtenteils aus Fasern gebildet wird, die nicht aus der Rinde stammeR, und in denen sieh die relativ geringe Zahl Yon eerebellofugalen Rindenfasern derart verliert, da$ ihr Ausfall nieht ohne weiteres auff~llt. Es fragt sich bei dieser Annahme nut, wie wir das Fehlen der gesamten intracortieal gelegenen cerebellopetalen Faserung hiermit in Einklang bringen; es zeigt sich sofort aueh bier, dab das Denken in ,,Systemen" den tats/~ehliehen Verh/~ltnissen nicht immer gerecht wird: Eine totale Atrophic der Rinde ffihrt eben zum Ausfall aller topisch in ihr enthaltenen Elemente - - aber dariiber hinaus eben nur der l~asern, die ihre trophischen Stfitzpunkte in der Rinde haben; d .h . die cerebellofugalen Systeme degenerieren bis zu ihrem Ende (ira Dentatusvlies), die cerebellopetalen aber nur, soweit sic eben in der Rinde liegen, aber nicht riiekl~ufig, und so bleibt die ganze cerebello- petale Faserung im Marklager erhalten, obwohl sie dureh den Ausfall ihrer Endigungen zur Funktionslosigkeit verurteilt ist. Ffir die bei amaurotischer Idiotic vorkommenden KleirLhirnatrophien ist dies Ver- halten - - der elektive Ausfall der intracortical gelegenen eerebellopetalen Faserung bei ihrer Persistenz im Mark - - seit den Untersuchungen Bielschowskys bekannt. Ein Gegensatz zwischen Lamellen- und zentralem Mark konnte dort deshalb nicht auffallen, weil ja in den Yon Biel- schowsky beschriebenen F~llen die Purkinje-Zellen gut erhalten waren, deren Axonausfall aber gerade die Aufhellung des Lamellenmarkes bedingt.

Dieser eigenartige Gegensatz zwischen zentralem und Lamellenmark, der alien sekund~re~ Markatrophien bei prim/~rer Rindenseh~digung eignet, erkl~rt sich also zusammengefaBt folgendermaBen: Das Lamellen- mark enth/~lt relativ sehr viel eerebellofugale Axone, muB also dutch deren zwangsl~ufige absteigende Degeneration stark gelichtet erscheinen. Das zentrale Marklager besteht vorwiegend aus cerebellopetalen Bahnen, die nicht riickl/~ufig degenerieren, w~hrend ihre erhaltene Masse die sich zahlenm~Big darin verlierenden untergegangenen Purkinje-Axone vSllig fiberdeckt.

Hier ergibt sich zwangsl/~ufig eine kurze Besprechung des Verhaltens tier Kleinhirnanteile auch im Rahmen dieses Themas. In beiden eben besprochenen Fallen besteht eine sehr schwere Sch~digung der Oliven. Und zwar fehlen bei 256/29 in den oralen Olivenabschnitten fast alle Ganglienzellen, w~hrend weiter caudal immer mehr Zellen im ventralen Schenkel und lateralen Bogen auftauchen. Lebhafte Ersatzwucherung der Makro- und Hortega-Glia, mit starker Fasergliose (siehe Abb. 12) der betroffenen Abschnitte. Ferner ein so gut wie totaler Ausfall der Nebenoliven

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und Nuclei areuati, gleiehfalls mit entspreehender Gliavermehrung. Im Fall 1936 dagegen besteht totMer Zellausfall gerade in den eaudMen Olivenabschnitten mit entsprechender Gliose (nach vorn zu wird er etwas geringer), w&hrend die ventro- mediale Nebenolive erhebliche Ausf~lle zeigt, die dorsale aber auffallend gut erhalten ist. Diesem Verhalten der Oliven in beiden Fi~llen steht ein auffallendes Versehontbleiben der Ponskerne gegeniiber: bei 1936 sind tiberhaupt keine nennens. werten Ausfi~lle erkennbar und bei 256/29 besteht zwar ein deutlicher symmetrischer, durch Gliapoliferation gedeckter Zellausfall (siehe Abb. 13), besonders in den h~teralen Gruppen der I)onskerne, der caudal betrachtlich st/~rker wird, doch sind

Abb. 12. F. A. 256/29. IIochgradige Fasergliose in dcu atrophiertcn dorsal-lateralen Olivcna~schnittem HoIzer-l'rii,pm'at.

die Ponskerne auch hier, besonders oral, mit den Oliven verglichen relativ gut erhalten.

Es kam mir hier darauf an, zun/~ehst das beiden F/tllen in bezug auf die Kleinhirnanteite G e m e i n s a m e herauszuarbeiten; und das ist eine sehwere Sch/idigung der Olivensysteme bei fast vSlliger Intaktheit (1936) oder relativ geringfiigiger Sch~digung (256/29) der Ponssysteme. Ieh lege auf diese Feststellung sehon an dieser Stelle Wert, weil sic in seharfem Gegensatz steht zu dem umgekehrten Verhalten der Marksklerosen (= olivo-pontocerebellare Atrophien der bisherigen Nomenklatur). Ohne weiteres gewinnt hier sehon der Unvoreingenommene den Eindruek, dag (lie Olivensysteme mit der Kleinhirnrinde, die Ponskerne dagegen mit dem Mark in innigerem Komlex stehen. Und zwar muB dieser Gegensatz hier mit allem Naehdruek hervorgehoben werden, weil infolge der heil- losen Verwirrung, die dutch (tie an Namen iiberreiehe Nomenklatur

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Beitr/~ge zur pathologischen Anatomie des Kleinhirns. III. 357

allm/ihlich verursacht wurde, in der Literatur unter anderem An- schauungen wie die vertreten werden, dab ,,die" oIivocerebellare Atrophie eine incipiente Form der olivo-pontocerebelIaren sei (siehe Bakker 2). I n Wirklichkeit haben diese Dinge fiberhaupt nichts miteinander zu tun; denn die letztere ist, wie ich sp/~ter noch ausffihren werde, eine anatomisch scharf umrissene Krankheitseinheit, ,,die" olivocerebellare Atrophie abet

Abb. 13. F. A. 256/29. )ISI~ig s ta rkc ZellausfSllc im Gcbiet der l~tcralcn Ponskcrnc, Nissl-Bi ld.

existiert fiberhaupt nicht, sondern wir bekommen eine Olivenatrophie bei /itiologisch und histologisch verschiedensten Sch/~digungen der Kleinhirnrinde, auch bei unzweife]haft exogenen Prozessen, wie groben, eine ganze Hemisphere betreffenden ZirkulationsstSrungen usw. Ohne auf die in diesem Punkte ~ul~erst widersprechenden Meinungen der Literatur * ngher einzugehen, halte ich an dieser Anschauung auf Grund

- * Im Gegensatz zu Scha//er, der (nach v. Sdntha 53) eine koordinierte StSrung annimmt, mOchte ich die Olivenatrophie ffir sekund/~r halten, weil sie gerade in noch frischen Fi~llen (siehe S. 362) fehlt, und, wie verschiedentlich in der Arbeit noch betont wcrden wird, die Fasersysteme offenb~r moist vor den Olivenzellen zugrunde gehen.

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358 Hans-Joachim Scherer:

eigener Erfahrungen lest; sie deckt sich mit der Angabe Bielschowskys, dal~ die Oliven offenbar yon den Purlcinje-Zellen, jedenfalls nicht vom Dentatus (der ja auch in allen diesen Fi~llen hier intakt war) abhgngen. Andererseits kann auf Grund zahlreicher Literaturbeispiele wohl nicht bestritten werden, da[~ trotz ausgedehnter KleinhirnrindenstSrung gut erhaltene Oliven bestehen bleiben kSnnen. Da die normalanatomischen Beziehungen im einzelnen aber nach wie vor reichlich unklar sind, gehe ich hier auf diese Unstimmigkeiten, wie auch die ffir unsere Fglle giinzlich unklaren Fragen bezfiglich der feineren Unterschiede in beiden Fgllen nicht niiher ein. Es sei nur darauf hingewiesen, da~ das bei 1936 ange- deutete bessere Erhaltenbleiben des dorsalen Olivenbandes und die weit- gehende Unversehrtheit der Nebenoliven gut fibereinstimmt mit der ziemlich allgemein anerkannten Lehre (siehe Holmes-Stewart 2s, Brun 18, Schob 55, Jakob al, v. Sdntha 5a u.a.), dab diese Abschnitte zum Paleo- cerebellum in Beziehung stehen, wghrend der Fall 256/29 (vSltiger Ausfall der Nebenoliven, schwerste Schgdigung gerade des dorsalen Oliven- abschnittes [Abb. 12]) der Erklgrung grol~e Schwierigkeiten macht. ])as, worauf es bier ankam, war einmal der Gegensatz zwischen Ponskernen und Olivensystemen (einschliel~lich der Nuclei arcuati), dann abet rfick- blickend der Vergleich mit dem Fall yon neocerebellarer Aplasie: Das deutlich vorhandene Nissl-Grau, ebenso die Gliareaktion in den ge- schgdigten ,,Kleinhirnanteilen" der eben besprochenen Fglle setzt das dort beobachtete vSllige Fehlen der Normalstrukturcn in das rechte Licht. Sie spricht, wie nebenbei bemerkt sein mag, im Sinne der Spatz- schen Ergebnisse daffir, dal~ der ganze Prozel~ wahrscheinlich nicht wghrend der Fetalperiode, sondern erst nach der Geburt abgelaufen ist.

2. Systematische Rindenatrophien. Wie oben betont, lassen sich in den bisher besprochenen Endstadien

Angaben fiber die vorangegangenen Entwicklungsstufen der Rinden- sklerose nicht mehr machen. Dagegen ist ein weiterer, jetzt zu be- sprechender Fall gerade in dieser Richtung sehr wertvoll. Er bietet besonders im Vergleich mit einem weiteren Fall rein cerebellofugaler Rindenatrophie Anlal~ zur Diskussion der Frage, wieweit die yon Biel- schows]cy herausgearbeiteten Rindendegenerationstypen als ,,Krank- heiten" sui gencris oder nur als Reaktionsformen, wieweit sie als End- zustgnde oder nur als Entwicklungsstufen aufzufassen seien. Und wie sie letzten Endes nut besonders akzentuierte und reine Resultate eines offenbar allgemeinen Reaktionstypus darstellen, der in meiner I. Mit- teilung schon mit der Herausstellung des auch bei exogenen Schgdigungen aller Art zu findenden Unterschiedes einer betonten Vulnerabiliti~t oder Resistenz der Pur]cinje-Zellen angedeutet wurde.

Der hier vorliegende Fall (F. A. 24/31) betrifft ein 22 Monate altes, gleichfalls idiotisches Kind, das an einer Grippepneumonie starb (nghere klinische Angaben nicht vorhanden).

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Beitr~ge zur pathologisehen Anatomic des Kleirdfirns. I I I . 359

W~hrend Grol~hirn und Hirnst~mm auch mikroskopisch ohne erw~hnenswerten Befund waren, fiel das Kleinhirn schon makroskopisch durch seine recht erhebliche, vSllig symmetrische Atrophie auf, die i m Gegensatz zu den bisher besprochenen F~llen einen Unterschied zwischen Wurm und Hemisph~ren vermissen liel3. Ein Klaffen der Furchen war nur angedeutet. Im Nissl-Bild ist sehon bei schwaeher VergrSl3erung (Abb. 14) sehr auffallend die Abrundung der einzelncn Li~ppehen, sowie eine auffallend helle TSnung der ganzen KSrnerschicht ; die Molekularsehicht ist deutlich verschm~lert, d~bei yon etwa normalem Zellreiehtum, die Bergmann- sche Schicht aber einwandfrei, wenn auch nicht hochgradig, gewuchert *; die

_&bb. 14. F. At. 24/31, Nissl-Bild bci schwachcrVcrgr0Berung zcigt Abrundung dcrL~tppchen, VerschmSlcrung der lViolekularschtcht, lcichte Bergman, n-Gliosc, Lichtung tier KSrncr mad

vorgetSuschten l~urkgnje-Zcllausfa]l. VgL Abb. 15 un4 17.

Purkinje-Zellen scheinen bei dieser Vergr6Berung iiberhaupt zu fehlen. St/irkere VergrSBerung aber ergibt in dieser Beziehung ein ganz anderes Bild: sic best~tigt zwar die erhebliche Lichtung der K6rner, beweist aber andererseits, dab yon dem vermuteten hochgradigen Ausfall yon Purkin#-Zellen keine Rede sein kann. Dieser wird bei schwacher VergrSl]erung nur vorget~uscht durch die auffallende Kleinheit aller Elemente. Und zwar linden sich sowohl im g~nzen dunkel tingierte wie auch geschrumpfte Exemplare neben solchen mit sehr hellem bl~schenf6rmigem Kern, tier nur yon einem ziemlich schmalen, mehr oder weniger intensiv tingierten Plasma- saum umgeben ist (siehe Abb. 15). Normale Nissl-Schollen finden sich in keinem Falle. Zahlenm/~Big iiberwiegt fibrigens weitaus die letztere helle Zellform (was auch zum Eindruck ausgedehnter Ausf~lle bei schwacher Vergr6flerung beitr/~gt).

* Da bei Kindern die Bergmannsche Zellschicht an sich oft viel st/~rker hervor- t r i t t als beim Erwachsenen, ist hier Vorsicht in der Beurteilung nStig. In diesem Falle aber liefert die Bergmannsche Fasergliose im Holzer-Bild den Beweis fiir die ~ats~chliche Proliferation.

z. f. d. g. Ncur. u. Psych. 145. 24

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860 Hans-Joachim Scherer:

Dieser Zustand der Rinde finder sich fast vSllig gleichmi~gig in allen Teilen. Ganz umschrieben aber triffg man auch bereits schwerere Grade der Atrophie (Abb. 16), die bier dann bis zur totalen L/~ppehensklerose geht. Art solchen Stellen resultieren also mit anderen Worten Bilder, wie sie bei der vorher beschriebenen Totalatrophie die gesamte befallene Kleinhirnrinde einnehmen. In den (natiirlich flieBenden) ~)berg/~ngen zu den umschriebenen Totalsklerosen dieses Falles linden

Abb. 15. F. 2~. 24/31. Eine geschrumpfte un4 eine auffallcn4 helle, kleine, plasmaarme Purklnje-Zelle mit groi3em Kern, wie sie die Hauptmasse aller Purkinje-],]lemente

ausmachen. Nissl-Bild.

sich viele in die Molekularschicht verlagerte Purkinje-Zellen (siehe Abb. 16 bei a); weiterhin is~ in diesen Bezirken eine gewisse Resistenz tier Purkinje-Zellen (Abb. 16 bei a) unverkennbar, denn sie linden sich in nicht unbetr~chtlicher Zahl selbst noch an Stellen, we die KSrner bereits sehr weitgehend geschwunden sin& Und das Bielschowsky-Pr~parat ergibt in allen den Abschnitten, die dem in Abb. 17 darge- stellten Nissl-Bild entsprechen, den in Abb. 20 illustrierten Zustand: ein hoch- gradiges Schwinden aller KSrbe urn die erhaltenen Purkinje.Zellen, weiterhin ein sehr weitgehender, wenn auch keineswegs vSlliger Schwund der Kletter- und Tangential- fasern, w~hrend die Moosfasern leidlieh erhalten sind. Dort, we sich noch Korbfasern finden, sind sie, verglichen mit denen normaler KSrbe, ungewShnlich fein und zart.

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Beitr~ge zur pathologischen Anatomie des Kleinhirns. I I I . 361

~bb. 16. F. A.. 24/31. Stellenweise l~bergang in Totalsklorose mit (bei a) Verlagerung yon Purkinje-Zellen in die Molekularschicht un4 relativer Resistenz 4erselben. Nissl-Bil4.

Abb. 17. F./~. 24/31. Bielsehowsky-Bil4 zeigt fast v011igen Sehwun4 aller Fasersysteme, erhaltene, abet abnorm gestaltete Purkinje-Zellen. Siehe Text,

24*

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862 Hans-Joachim Scherer:

Bevor ich zur Besprechung des Verhaltens des Markes iibergehe, seien die hier nStigen grunds~tzlichen ]~berlegungen betreffs der Klassi- fikation des Rindenprozesses gegeben: erhaltene Pu@inje-Zellen *, verschwundene FaserkSrbe, gelichtete K5rner - - ein zweifellos der cerebellopetalen Atrophie Bielschowskys einzureihender Proze~. Aber die sich sofort aufdr~ngenden Schwierigkeiten liegen einmal in dem guten Erhaltenbleiben der ~oosfasern (die ja bei diesem Degenerationstyp mit schwinden miil]ten), vor allem aber in dem hSchst eigenartigen Aussehen der Purkinje-Zellen: Sollte es sieh um primer entwicklungsgestSrte Zellformen handeln ?

Hiergegen aber spricht das Verhalten des Markes **; denn ganz im Gegensatz zu dem, was man nach diesem Rindenbild erwarten sollte, zeigt das Mark gerade die Ver~nderungen, die fiir eine elektive Purkinje- Zellschgdigung charakteristisch sind: n~mlieh eine Lichtung mit reeht intensiver Fasergliose gerade der axialen Lamellenteile und des Dentatus- vlies! Und zwar enthalten die Gliosen zahlreiche grol~e astrocyt~re Formen, was also auf einen noch im Gang befindliehen Proze] hinweist - - womit der Einwand hinfMlig wird, es kSnnte sieh um eine ,,dys- plastische" Gliaentwieklung im Bereich primer in der Markreife ge- hemmter Neurone handeln ira Sinne der bei der Aplasia neocerebellaris gemachten Ausfiihrungen.

Das Bild ist als Ganzes betrachtet zuns aul~erordentlich ver- wirrend. Bietet die Rinde das Bild eines vorwiegend cerebellopetalen Degenerationstyps, so weist das Mark fiir sich allein betrachtet , ebenso entschieden auf einen eerebellofugalen hin. Und sind die Pu@inje-Zellen der Rinde grol~enteils erhalten (wenn auch in eigenartiger Gestalt), so miil~te man naeh dem Markbild allein ihren weitgehenden Untergang vermuten.

Zun~chst die Deutung dieses Verhaltens des Purkinje-Systems. Sie kann meines Erachtens nur in einer Richtung erfolgen, n~mlich der, dab hier die Vernichtung der Axone im Mark der der zugeh6rigen Zellen offenbar vorausgeht. Eine andere DeutungsmSglichkeit sehe ich nicht. Die Zellen selbst scheinen erst sp~ter einem allm~hlichen eigenartig ,,atrophisierenden" Untergang zu unterliegen als ihre Axone.

DaB es einen derart verlaufenden ProzeB iiberhaupt gibt, dafiir spricht ein ktirzlich in der Forschungsanstalt beobachteter Fall yon Thalliumvergiftung mit

*Oliven und Ponskerne zeigten in diesem Falle keinerlei Veri~nderungen ihres Zellgehaltes und ihrer Faserung: ein Beweis fiir die Richtigkeit der Bid- schowskyschen Anschauung ihrer Abhimgigkeit yon den Purkinie-Zellen, sowie des sekundaren Charakters der Olivenver/~nderungen; hier haben wires ja zweifellos noch mit einem wenig entwickelten frischen ProzeB zu tun. Ebenso ist meines Erachtens das Fehlen des Olivenausfalles in dem Brouwerschen Falle zu deuten, der eine Krankheitsdauer yon nur 10 Monaten aufwies.

** Das auch wieder - - wcnn auch naturgemi~ll in viel schwacherer Form als die Totalatrophien - - die starkere Beteiligung des Lamellcn- als des zentralen Markes zeigt.

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Beitrage zur pathologischen Anatomie des Kleinhirns. I I I . 363

eigenartigen Kleinhirnver~nderungen, der eine ausfiihrliche Publikation durch Scharrer erfahren wird. Hier bestand ein hochgradiger Fettabbau im Dentatusvlies, scharf auf dieses begrenzt, w~hrend das iibrige Kleinhirnmark erst ganz vereinzelte Fettprodukte in Gliazellen axialer Markstrahlenteile zeigte, in denen auch eine deutliche Vermehrung faserbildender Astrocyten vorlag: die Purkinje-Zellen er- wiesen sieh ausnahmslos als (noch) intakt. DaB bier eine elektive Erkrankung des peripheren Teiles des Purkinje-Neurons vorliegt, ist unverkennbar *; sie ist hier akut und frisehen Datums und hat noeh nicht das neuronale Zentrum ergriffen. Um nieht miBverstanden zu werden, betone ich ausdriicklieh, dal3 ich hierbei nicht an eine retrograde Degeneration denke, sondern an eine Erkrankung des Purkinje-Neurons, die als solche an der Peripherie beginnt. Freilieh kann man hier einwenden, dal3 man auf jeden Fall Bilder prim~rer Reizung an den Purkinje- Zellen linden miiBte. Nun wissen wir aber heute, dal3 die Art der Zellreaktion auf bestimmte Sehadigungen keineswegs fiir alle Zellarten gleichartig ist; wie in den ersten Mitteilungen ausgefiihrt, konnte an den Purkinje-Zellen an sehr groBem Material niemals das Bild der prim~ren Reizung beobachtet werden, auch in den l~iillen nicht, in denen sic sich fast ubiquit/ir im Zentralnervensystem fand (dann natiirlich nich~ als ,,retrograde" VerKnderung; wie heute bekarmt, kommt ja dies Bild auch bei ganz anderen Sch~digungen vor). Dal3 z. B. die Dentatuszellen umge- kehrt ungew6hnlich oft dieses Bild der prim~en Reizung zeigen, wurde in der lI. Mitteilung beton~. Offenbar ist der Reaktionstyp der prim/iren Reizung der Struktur der Purkinje-Zelle nicht ad/~quat, so dab aus seinem Fehlen in derartigen Fiillen keine Schliisse gezogen werden dfirfen.

Hier soll diese Tatsache einer offenbar vorausgehenden L/ision der Axone nur mit Nachdruck betont werden. Die weitere Er6r terung dieser Erscheinung soll zusammenfassend bei den ,,Marksklerosen" erfolgen, da hier ein Problem liegt, das fiir die genuinen Klein_hirn- a t rophien fiberhaupt yon grofler Bedeutung zu sein scheint.

Zur Klassifikation des Rindenprozesses ist folgendes zu sagen. Schon in seiner ersten Ver6ffentlichung, die die Aufstellung der beiden Degene- ra t ions typen brachte, ha t Bielschowsky 26 ausdrficklich betont , dab Misch- formen vorkommen und ganz reine l~/~lle sicher selten sind. I n dem eben besprochenen •alle haben wit es zweifellos mix einem noch progredienten ProzeB zu tun, dessen Ziel, wie vereinzelte umschriebene Stellen zeigen, eine totale Rindenatrophie, wie in den erstbesprochenen F/~llen ist. Offenbar kann die Entwicktung zu dieser Totalsklerose in einem l~alle die Stufenleiter der mehr cerebellopetalen, im anderen der ./ugalen Degene- rat ion durchlaufen (was dem Endzus tand natiirlich nicht mehr anzusehen ist). Die Bedingungen, die die jeweils eintretende Entwicklungsr ichtung diktieren, sind uns in ihrem Wesen verschlossen. Doch daf t man sie wohl mix gr613ter Wahrscheinlichkeit in immanenten konstitutionellen Faktoren suchen. Denn dab die Xtiologie hier keine Rolle spielt, beweisen

* I m gleichen Falle bestand eine schwere, ganz frische Olivensch/~digung und man k6nnte deshalb auf Grund der Annahme Bielschowskys, dal3 auch reichlich Olivenfasern ins Dentatusvlies ziehen, dessen Erkrankung als sekund~re Degene- ration yon den Oliven her deuten wollen. Daft dies nicht m6glich ist, ergibt sich zweifelsfrei daraus, dag weder in den Fasorsystemen des Olivenvlies und -hilus, noeh den Tractus olivo-cerebellares eine Spur yon Fettabbau nachweisbar ist, w~hrend er im Dentatusvlies so massiv erscheint.

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364 Hans-Joachim Scherer:

unzweifelhaft die seltenen, durch exogene Schiidigungen ausgelSsten F/~lle reiner cerebellofugaler Degeneration: die hier bei den einschlagigen Fallen (siehe unter anderen Brouwer 11, Maas-Scherer) in Frage kommenden Noxen sind jeweils ganz verschieden und andererseits gerade Sch/~di- gungen, die eminent h/~ufig sind, ohne derartige Kleinhirnaffektionen nach sich zu ziehen. Da ich auf dieses Problem der ,,exogenen" Aus- 15sung gerade der cerebellofugalen Kleinhirnatrophien an Hand eines neuen Falles n/~her eingegangen bin, kann ich hier auf diese gleichzeitig erscheinende, gemeinsam mit Maas verSffentlichte klinisch-anatomische Studie verweisen. Das, was bier zusammenfassend gesagt werden muB, ist folgendes:

Es kann keine Rede davon sein, da$ die cerebellopetale und -fugale Degeneration irgendwie abgegrenzte Kralflcheitseinheiten darstellen. Es sind - - ganz im Sinne ihrer ursprfinglichen Aufstellung durch Bid- schowsky - - Reaktionstypen auf konstitutioneller Basis, die ausgelSst sein kSnnen durch verschiedene Faktoren. Doch komme ich auf die kausale Genese noch zurfiek. Zur formalen ist hier zu sagen, dal~ das jeweils entstehende Bild einmal beherrscht wird durch den Grad der Aus- schliel~lichkeit der Vulnerabilit/~t des einen oder anderen Systems: so resultieren die vSllig reinen :F/~lle als Endzustgnde. In anderen F/~llen stellen sie nur eine Entwicklungsstufe dar; d. h. nach und nach wird aueh das andere System ergriffen und es kann aus einer Systemdegeneration schliel~lieh eine Totalatrophie werden. Der eben besproehene Fall endlich zeigt keine eindeutige Auspr/igung in Richtung eines Systems, sondern der Prozef~ greift bier offenbar gleichzeitig an versehiedenen Systemen an. Auch bier aber ist die Totalatrophie - - an einigen Stellen bereits erkennbar - - als Endziel des noch floriden Prozesses vorauszusehen. Im Sinne dieser Erkenntnis seheint mir der Fall besonders wertvoll; er mahnt dazu auch, in jedem :Falle einer ,,reinen" Systemdegeneration, der noch Zeichen eines floriden Prozel3gesehehens zeigt (siehe z. B. den :Fall St. yon Maas-Scherer), an die MSglichkeit einer Entwicklung zur Totalatrophie zu denken. Die Unzahl yon VerSffentlichungen tiber bestimmte systematische Degenerationstypen des Kleinhirns veranlaSt mich, gerade diesen Punkt zu unterstreichen. Von allzu vielen Autoren wird jeder Fall ohne weiteres als etwas Besonderes und Neues deshalb betrachtet, weft er als etwas Fertiges und nicht als etwas in der Ent- wicklung Begriffenes gedeutet wird. Das Ergebnis einer zusammen- fassenden Bearbeitung verschiedener :F~lle ist aber hier, wie fiberall eine Einschr/inkung der dureh kasuistische Einzeldarstellungen ins Uferlose wachsenden Zahl verschiedener Typen, eben auf Grund der Erkenntnis, dal3 hier vielfaeh nur verschiedene Stadien desselben Ge- sehehens vorliegen.

Diese ,,Anfi~lligkeit" des einen oder anderen Systems 1/~$t sieh aueh in die umschriebenen, zweifellos exogenen Sch/~den der Kleinhirnrinde

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Beitrage zur pathologischen Anatomie des Kleinhirns. III. 365

hinein verfolgen. Ich meine hier nicht die bekannte, zuerst dutch Spiel- meyer gefundene Tatsaehe einer besonderen Empfindlichkeit des Purkinje- Systems gegen vascul/~re Sch/iden, die ja offenkundig direkt yon der Noxe abh/~ngt. Sondern ich denke hier an die eigenartige, im 1. Tefl (S. 564) betonte, keineswegs selten zu maehende Beobaehtung, daI~ bei Rindenl/isionen verschiedenster J(tiologie ohne erkennbare Ursaehe die Purkinje-Zellen einmal besonders resistent, das andere Mal besonders vulnerabel sind. DaB im letzteren Falle, n/~mlich bei elektiven Purkinje. Ausf/~llen, die FaserkSrbe (zun/ichst wenigstens) erhalten bleiben, so dab lokal das Bild der cerebellofugalen Atrophie entsteht, ist zuerst yon Liebers 4o bei Epilepsien unterstrichen worden. Ich selbst babe derartige Bilder bei sehr verschiedenen Anliissen gesehen, und es unterliegt danaeh wohl keinem Zweifel, dab w i r e s hier mit konstitutionellen Eigenheiten zu tun haben. Sie/s sieh bei den umschriebenen Rindenschiidigungen ebenso wie bei den generalisierten, systematischen, die Gegenstand dieser Arbeit sind. Und es ist nichts damit gewonnen, wenn man bei often- sichtlich exogen bedingten Ausf/~llen der Purkinje-Zellen *, wie z. B. in dem von Griinthal 22 verSffentlichten Paget-Falle, deshalb gleich yon einer Systemerkrankung sprieht.

Eine kurze Besprechung erfordern in diesem Zusammenhange noch gewisse hierhergehSrige Teilfragen der Kleinhirnvers bei amau- rotischer Idiotie. Bielschowsky 3 hat hier bekaantlich F/~lle systematiseher Kleinhirndegeneration besehrieben, die als Prototyp, ja als einzig reine Vertreter des cerebellopetalen Reaktionsmodus galten und gelten. In den (sp/~tinfantilen) F~llen Bielschowskys handelte es sieh um einen totalen Schwund aller zelligen und faserigen Rindenparenchymelemente, mit Ausnahme der Purkinje-Neurone. Das relative Erhaltenbleiben des Markes trotz dieser Rindenatrophie wird auch ffir diese F/ille von Biel- schowsky betont. Ferner besonders die ungewShnlich intensive :Faser- gliose der Rinde, die sich in der Molekularschicht z .B. nicht auf die Bergmann-Gliose beschr/inkt, sondern auch mehrere Tangential- streifen bildet. Dieser Gliose mii~t Bielschowsky eine besondere :Bedeutung bei. Einmal h/~lt er sie nicht fiir eine reine Reparationswucherung ** zum anderen betrachtet er sie als die Ursache des Schwundes der intra- corticalen cerebellopetalen Faserung: prim/~r schwinden die K5rner (die gegen den Zellprozef~ der amaurotisehen Idiotie besonders empfindlich

* Gri~nthal spricht yon einer systematischen cerebellofugalen Degeneration, ausgel6st wohl durch Druck. Da er selbst die auffallende Resistenz der Gehirn- substanz gegen Druck hervorhebt, erscheint mir viel wahrscheinlicher, dab dieser nur auf dem Wege tiber behinderte Zirkulation die hiergegen nach Spielmeyer so besonders vulnerabeln Purkin]e.Zellen zum Ausfall gebraeht hat.

** Tats~ehlich ergibt der Vergleich mit den vorn geschilderten F/~llen yon Totalatrophie, dab die Wucherung in derartigen Fallen yon amaurotiseher Idiotie weit tiber das ftir bloBe l~egeneration zul/~ssige MaB hinausgeht: eine weitere Sttitze ftir die Annahme des Vorkommens ,,prim/~rer" Fasergliosen.

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866 Hans-Joachim Scherer:

zu sein scheinen, Bielschowsky) und die sich an ihrer Stelle entwickelnde Fasergliose erdrfickt dann sozusagen die cerebellopetale Faserung, w~hrend die Purkinje-Neurone ihr Widerstand leisten. Es fragt sich nur, ob dieser Typ tatsiichlich fiir aUe Fi~lle yon amaurotiseher Idiotie mit Kleinhirn- atrophie zutrifft, und ob sich insbesondere die eben skizzierte mecha- nistische Erkli~rung allgemein anwenden li~f~t. Vergleiche ich die vier in der Forsehungsanstalt vorliegenden F/ille generalisierter Kleinhirnatrophie bei amaurotischer Idiotie in bezug auf diese Fragen miteinander, so entsprieht ein Fall (2808, Hi. *) bis in alle Einzelheiten dam oben skizzierten, yon Bielschowsky besehriebenen Bilde. Ein weiterer Fall (1587, Le.) zeigt aber bereits eine Abweichung; aueh bier liegt zweifellos ein cerebellopetaler Typ vor, aber dem vSlligen Schwund dieser intra- cortiealen Fasern steht ein recht gutes Erhaltenbleiben der KSrner gegen- fiber: diese kSnnen also hier nieht dureh Schwund und nachfolgende Fasergliose den Systemausfall nach sich gezogen haben, sondem dieser ist hier unzweifelhaft das Prim/~re. In den beiden weiteren Fi~llen endlieh kann yon einer ausgesprochenen cerebellopetalen Atrophie fiberhaupt keine Rede sein. In einem Falle (61/31, es handelt sieh um einen noch nieht beschriebenen Spi~tfall mit eigenartiger Lokalisation des Zell- prozesses in Rfickenmark und Rhombencephalon bei intaktem Telence- phalon) bestand ein starker Schwund der KSrner bei tadellos intaktem cerebellopetalem Fasersystem und Purkinje-Neuronen, was also eventuell noch als frfihestes Stadium im Sinne Bielschowskys verwertet werden kSnnte. Bei 2776 (L5.) besteht zweifellos eine deutliche Lichtung der K5rner und sehwerer Ausfall der Korb- und Tangentialfasern, aber die l~Ioosfasern sind reeht gut erhalten und daffir sind aueh die Purkinje- Zellen reichlieh zugrunde gegangen, so dab wir im Mark direkt das yon cerebellofugalen Atrophien gewohnte Bild bekommen: Liehtung und Fasergliose des Dentatusvlies und der Markstrahlenachsen. Die Gliose in tier Rinde hi~lt sich in sehr m/~l~igen Grenzen. Das Bild dieses ,,Misch- falles" erinnert so in mehr als einer Beziehung an den oben beschriebenen Fall 24/31 (bei dem yon amaurotischer Idiotie keine Rede sein konnte). U n d e s ist bezeichnend, dal~ bier wie dort das Vorhandensein reichlicher faserbildender Astrocyten auf eiaen noch im Gang befindlichen Proze$ hinweist. Denn das, worauf es mir bier ankommt, ist zu zeigen, dab aueh bei der amaurotischen Idiotic selbstverst/~ndlieh damit zu reehnen ist, da$ man eben in einem Falle End_formen, im anderen frfihere Ent- wieklungsstufen findet. Es ist klar, dab aus dem eben beschriebenen Bflde eine Totalatrophie, aus dem an zweiter Stelle besehriebenen eine voll- sti~ndige eerebellopetale Atrophie wie im ersten und Bielschowskys F/~llen werden kann, und da$ endlieh selbst aus solchen Fi~llen durch schlieBlich

* Die Namensabktirzungen sind dieselben wie die ffir die gleichen Fi~lle in meiner Arbeit fiber die Ammonshornveri~nderungen bei der familii~ren amaurotischen Idiotie angewendeten (Z. Neur. 188, 1932).

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auch eintretenden v511igen PurIcinje-Zellenuntergang noch eine Total- sklerose entstehen kann, hat Bielschowsky in seiner ersten Arbeit selbst betont. Da er nur sehr weir fortgesehrittene Stadien untersuchen konnte, ist seine oben angegebene pathogenetische Erklarung naheliegend und durchaus verstandlich ; dab sie nicht, j edenfalls nicht ffir alle Falle zutrifft, geht aus den hier kurz gegebenen Befunden znr Genfige hervor ; ebenso, dab auch bei amaurotischer Idiotie der Systemtypus nicht in allen Fallen ganz gleichartig ist, wenn aueh das vorwiegend cerebellopetale Fort- schreiten des Prozesses unbestreitbar bleibt. Unzweifelhaft beruht auch in diesen Fallen die eigenartige Pradilektion ffir ein bestimmtes System in irgendwelchen ,,endogenen" Faktoren, deren Wesen uns versehlossen ist. Auf das an sich sehr reizvolle Problem dieser Kombination einer eigenartigen Kleinhirnerkrankung mit dem ProzeB der amaurotischen Idiotie (dal3 es nieht eine blol3e Teilerscheinung des amaurotischen Zell- prozesses ist, ist nach dem Gesagten wohl klar) kann im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter eingegangen werden (siehe S. 374).

Ebenso wie die Erkrankung eines Systems nur ein Stadium in der Entwicklung zu einer totalen Rindensklerose sein kann, ebenso kann sich offenbar topisch ein zunaehst neocerebellar lokalisierter Prozel3 mehr und mehr auch auf paleocerebellare Abschnitte ausdehnen: das zeigen die oben gesehilderten Falle yon Totalatrophien der Rinde mit eindeutiger Progredienz in paleocerebellare Bezirke sehr eindeutig. Und man wird sich deshalb in Zukunft fiir diese 5rtlichen Untersehiede ebenso wie ffir die systematischen in jedem Einzelfalle zu fiberlegen haben, wieweit es nur eine Frage des Stadiums ist und wieweit ein endgiiltig fixierter Zustand yon prinzipieller Bedeutung vorliegt.

3. Die Atrophie cdrdbelleuse tardive h prddominance corticale. Ohne den leisesten Versuch machen zu wollen, die bisher besprochenen

Bflder yon Rindenatrophien alle in einen Topf zu werfen, daft man sagen, dab sich bei der oben versuchten Betrachtungsweise gewisse einheitliche Zfige bei allen Verschiedenheiten doch linden. Ich denke hier besonders an die allen F~llen gemeinsame ,,neocerebellare" Lokali- sation, nicht in dem ja gerade hier widerlegten Sinne einer scharf systematisch begrenzten Erkrankung dieser Abschnitte, aber jedenfalls in dem einer unzweifelhaft starksten bzw. friihesten Auspragung des Prozesses in neocerebellaren Hemisphi~renanteilen mit erst spaterem ~bergreifen auf die Altteile. Der jetzt als Repr~sentant einer letzten Form yon Rindenprozessen zu besprechende Fall (F. A. 1994) aber fi~llt gerade in dieser Hinsicht vSllig aus dem Rahmen der bisher besprochenen Form heraus. Es handelt sich um die yon Marie-Foix-Alajouanine 4a zuerst als anatomisch einheitliche, scharf begrenzte Form erkannte ,,Atrophie c6r~bclleuse tardive ~ prddominance corticale". Einzelne F~lle waren schon vorher beschrieben, aber erst yon den fl'anzSsischen Autoren

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368 Hans-Joachim Scherer:

als zusammengeh6rig erkannt worden. ])as Charakteristische dieser F/~lle* abet ist gerade eine bevorzugte Lokalisation in paleocerebellaren Abschnitten. Wenigstens scheint diese Interpretierung berechtigt nach dem kfirzlich yon K i r s c h b a u m und Eichholz aa ver6ffentlichten neuen Fall dieser Erkrankung, sowie nach dem dieser Er6rterung zugrunde liegenden. M a r i e - F o i x - A l a j o u a n i n e haben diese Seite der Frage weniger betont, obwohl ihre Schilderung sonst geradezu klassisch alles Charakte- ristische des Prozesses umfM3t, dagegen hat Ross i 49 (einer der ersten

Abb. 18. F. A. 1994. ~trophie tar4ive ~ pr6dominance cortfcale, Sagittalschnitt. Zeigt das hochgTadige lrlaffen 4er Furchen dorsal, wahren4 die caudalen und ventralen Abschnittc

nicht atrophisch sind.

Beobaehter dieses eigenartigen Krankheitsbildes) schon die Atrophie auch der Flocke und ihrer Nachbarschaft betont. Es handelt sieh im Gegensatz zu allen bisher besproehenen Rindenatrophien um eine Form, die schon makroskoloisch auf den ersten Blick eine siehere Diagnose infolge ihrer eigenartigen Lokalisation gestattet: n/~mlieh ein hoehgradiges Klaffen der Furehen an der dorsalen F1/iehe, und zwar am intensivsten oben, vorn und medial (d. h. also in den vorderen Wurmbezirken und den Lobi quadrangulares der Hemisph~iren), mit ganz allmiihlieher Abnahme naeh hhlten, lateral und unten. I)as hoehgradige Klaffen der Furehen

* Kliniseh handelt es sieh um eine sehr langsam progredient verlaufende Erkrankung des h6heren und h6ehsten Alters; manehe F/~lle beginnen abet offenbar schon ungew6hnlich frfih (Maas-Scherer 30 Jahre, Gordon Holmes [siehe S. 374 !] zwischen 33 und 40 Jahren, Kirschbaum-Eiehholz 3a sogar sehon mit 20 Jahren), ziehen sich abet dann bis ins Senium hinein fort. Einzelheiten fiber die Klinik siehe in der gleiehzeitigen Publikation yon Maas-Scherer.

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wird besonders deutlich auf Horizontalschnitten, wie Abb. 18 zeigt. Sehr schSn ist auch hier die Abnahme der Veri~nderungen nach hinten zu und die vSllige Intaktheit der caudal-ventralen Partien zu erkennen. Histo- logisch handelt es sich um eine ausgesprochene Rindenatrophie, und zwar findet sich ein vorwiegend cerebellofugaler Typ insofern, als einem offenbar sehr friihzeitigen ausgedehnten Purkinje-Zellausfall ein relativ langes Erhaltenbleiben der FaserkSrbe * entspricht. Die gleichzeitig bestehende Rarifikation der KSrner und Verschm~lerung der noch recht gliareichen Molekularschicht bietet so fin ganzen das :Bild einer ms weir fortgeschrittenen L~ppchenatrophie mit ganz allm/~hlichem fliel~enden Crbergang zu den gesunden Partien.

Dal3 in dem dieser Beschreibung zugrunde liegenden Fall nirgends eine Wuche- rung der Bergmannschen Schicht (aueh im Holzer-Bild keine Bergmann., aber deutliche Randgliose) zu linden ist, daft als eine Eigentiimlichkeit dieses Falles, aber nicht als Charakteristikum des Krankheitsprozesses iiberhaupt gedeutet werden, da sie in anderen F~llen (Marie-Foix-Ala]ouanine, Rossi, Kirschbaum-Eichholz) sehr wohl ausgebildet war. Abweichungen in derartigen mehr akzessorischen Merk- malen finden sich auch sonst noch: so in unserem Falle das eigenartige (siehe Maas- Scherer) Verhalten der Golgi-Elemente, im Falle Kirschbaum-Eichholz die ausge- dehnten, als Mi~bildung gedeuteten Verlagerungen von Purkin#-Zellen in die Molekularschicht, yon K6rnerzellen ins Mark, Dinge, die durch ihre Inkonstanz beweisen, da$sie nicht grunds~tzlich zum Gesamtbild gehSren.

Das Verhalten des Markes ** entspricht insofern dem bei einem Rindenprozel~ zu erwartenden Verhalten, als abgesehen yon einer Ver- schm~lerung der erkrankten Lamellenmarkstrahlen mit leichter axialer Aufhellung (und entsprechender, bei dem Reichtum an gro6en Faser- bildnern fibrigens noch frischer Gliose) und Ausfall und Gliose im Dentatusvlies (Dentatus selbst mit Brachium conjunctivum intakt) das zentrale )Iark absolut intakt erscheint. Nimmt man alles dieses zusammen, so ist mit Marie-Foix-Alajouanine zu betonen, da6 das makroskopische Bild viel imponierender ist als das mikroskopische. Woher kommt aber dieser, yon den bisherigen Autoren nicht welter gewiirdigte auffallende Gegensatz zu den bisherigen Rindenatrophien, die ja vielmehr das umgekehrte Verhalten zeigten ? Abgesehen yon der Lokalisation ist das Markanteste an dem Bride ja das enorme Klaffen der Furchen. Nun ist die l%indenatrophie an sich viel geringer als etwa in den total atrophischen F~llen, und die sekund~ire Markatrophie dementsprechend auch keines- wegs hochgradig, und trotzdem haben wir bier dieses hochgradige Klaffen der Furchen, das anderen, wesentlich schwereren Rindenatrophien fehlt.

�9 Die in unserem Falle zu beobaehtende mangelnde Impregnation der Kletter- und Tangentialfasern dtirfte, da sie sieh auch in den gesunden Partien findet, wohl als Artefakt infolge des zu alten Materials zu betrachten sein. Kirschbau.m-Eichholz betonen ausdrticklich die Intaktheit dieser Systeme.

�9 * Von den Anteilen erweisen sieh Briicke und Brachium pontis stets als intakt, wi~hrend die Oliven in manchen F~llen geseh~digt sind (in weehselndem Grade), in anderen unversehrt: alles dies in lJbereinstimmung mit den S. 358 gemachten grundsi~tzlichen Ausfiihrungen in diesen Fragen.

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370 Hans-Joachim Scherer:

Dieser Gegensatz ist so verbliiffend, da6 man den Gedanken einer Mi•bildung wenigstens voriibergehend in Erw~gung zieht; doch fehlen hierfiir sonst alle Anhaltspunkte, nachdem das klinische und histologische Bild unzweideutig auf einen progredienten Prozel~ hinweisen. Ein nicht unwesentlicher erkl~render Gesichtspunkt diirfte darin zu suchen sein, dal~ in den bisher betrachteten F~llen, in denen sich der Prozel~ auf die gesamten Hemisph/~ren ausdehnte, eben doch auch eine gewisse Volumen- reduktion des 1V[arkkSrpers bestand (durch das Zusammenrficken der erhaltenen Fasermassen aber im Markscheidenbild nicht als Ausfall sichtbar): hier dagegen, wo nur umschriebene Rindenabschnitte atro- phiert sind, tr i t t diese Volumenreduktion nicht ein, und so erheben sich die geschrumpften Lamellen auf unver~ndert breiter Basis, d .h . ihre Zwischenri~ume werden nicht durch das Zusammenriicken dieser Grund- fl~che verkleinert, wie vermutlich in den anderen Fi~llen. Sower es sich bei letzteren um kindliche Gehirne handelt, ist natiirlich auch die noch grSl~ere Plastizit~t des kindlichen Gehirns gegeniiber dem des Er- wachsenen oder gar Greisengehirns (und bei der hier vorliegenden Form handelt es sich ja um hohe Altersstufen) zu beriicksichtigen. Ganz befriedigt bin ich yon diesen Erkli~rungen zwar noch nicht, doch weisen sie immerhin einen Weg, der die absolut unwahrscheinliche ,,Mi~bildungs"- Hypothese vermeiden 1/~Bt.

Ist also die Qualitdt der feineren Veriinderungen nichts fiir die Ab- grenzung eines besonderen Krankheitsbildes Ausreichendes, so ist es in um so h6herem Grade die Lokalisation. Und hier mu6 noch einmal auf die oben kurz gestreifte Angabe einer bevorzugten Vulnerabilit~t paleoeerebellarer Zentren hingewiesen werden. Denn sowohl Rossi wie Kirschbaum-Eichholz haben iibereinstimmend mit unserem Fall eine gleiehartige Atrophie der Rinde im Flocculus und seinen Nachbarteilen beobaehtet. Nun mul~ Kirschbaum-Eichholz gegeniiber zwar festgestellt werden, da6 nach der ganzen Beschreibung naturgem~l~ yon einer scharf begrenzten ,,Systemerkrankung" des Paleocerebellums keine Rede sein kann: die medialen Abschnitte der Lobi quadrangulares beider Hemi- sph~ren gehSren ja zu den schwerst erkrankten Abschnitten, und andererseits ist auch die Floeke (siehe z .B. Rossi) nur ein Zentrum des ventralen Erkrankungsherdes, der sich mit abnehmender Intensit~t auf die benachbarten neocerebellaren Teile erstreckt.

Dieser Sachverhalt erinnert unbedingt an die yon Onari und Spatz 47 fiir die Lokalisation der Ver~nderungen bei Pickseher Krankheit gegebene Auffassung: der ProzeB beschr~nkt sich auch dort nicht auf ontogenetisch einheitlich charakterisierte Gebiete, aber es ist unzweifelhaft, dab ein solches jeweils das Zentrum des Krankheitsherdes bildet. Nur handelt es sich dort um ein in onto- und phylogenetisch jiingeren Bezirken gelegenes Zentrum, w~hrend wir hier ja gerade in paleoeerebellaren Abschnitten den Ausgangspunkt des Prozesses sehen.

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Beitrage zur pathologischen Anatomie des Kleinhirns. III. 371

Dieses Verhalten der Atrophie tardive ist sehr auffallend angesichts der Tatsache, dab s~mtliche bisher besprochenen Rindenprozesse, ebenso wie die noch zu besprechenden Marksklerosen gerade das umgekehrte Verhalten, n~mlich eine zweifellose Prgdilektion der neocerebellaren Abschnitte erkennen lassen. Eine Erkl~trung ffir dieses Vorkommnis, das die einzige Ausnahme unter allen Kleinhirnprozessen * bildet, ist schlechterdings nicht mfglich, die Tatsache aber ist vfllig eindeutig.

Sie gewinnt eine hohe Bedeutung aber noch durch eine weitere Feststellung. Im Laufe der ausgedehnten Untersuchungen Gellerstedts ** an physiologisch-senilen Gehirnen stellte sich heraus, dab die geringe Rindenatrophie (Axonauftreibungen usw.), die sich auch dort stets geltend macht, am ausgepr~gtesten ist in den dorsalen Teilen, nach den ventralen Kleinhirnabschnitten zu aber st~ndig abnimmt ***. Schon hier dr~ngt sich der Gedanke auf, dab es sich bei der Atrophie tardive um eine jener Erkrankungen handelt, die ale ,,vorzeitiges Altern" zu charakterisieren sind. Wenn fiberhaupt, so darf man diesen Begriff wohl bier anwenden, wo nach Qualit~t und Topik der Ver&nderungen eine so weitgehende ]~bereinstimmung besteht, dab der einzige Unterschied eben in der Intensitiit und der zeitlichen Anteposition (in einem Tefl der Fi~lle: Kirsehbaum-Eichholz, G. Holmes, Maas-Scherer) liegt. Die Berechtigung dieser Gedankengi~nge wird sich vollends bei den Mark- sklerosen erweisen. Hier muB noch als weiterer iibereinstimmender Punkt hervorgehoben werden, dab sowohl bei der Atrophie tardive wie fin Senium nach Gellerstedts Ergebnissen die Ver~nderungen weitaus am stiirksten an der Peripherie der einzelnen Lamelle sind, um zentralw~rts (markwiirts) mehr und mehr normalen Verh~ltnissen Platz zu maehen: dieser Punkt aber weist welt fiber die eben besprochene Beziehung des vorzeitigen zum physiologischen Altern hinaus wieder auf eine offenbar tief ira Bau des Kleinhh~s verankerte Ursache. Im I. Teil (S. 578) konnte ich darauf hinweisen, dab sich dasselbe Verhalten (Intensivierung der L~ppehenatrophien peripherw~rts) bei versehieden bedingten exo- genen umschriebenen Rindenl~sionen findet, nachdem es zuerst yon Strfiu[dler als ,,spezifiseh" ffir Paralyse beschrieben worden war. Jetzt findet sich dasselbe Verhalten als typisches Merkmal eines ,,endogenen" systematischen Kleinhirnleidens und dariiber hinaus der physiologisehen Altersinvolution, fiber deren endogenen oder exogenen Charakter zu diskutieren nicht meine Aufgabe ist. Ich bezwecke mit dieser Gegenfiber- stellung vielmehr zu zeigen, dab auch diese Erscheinung nieht als

* Es soll fibrigens auch seltene Entwicklungshemmungen mit Fehlen gerade der paleocerebellaren Teile geben, siehe Vogt-Astwazaturow.

** Gellerstedt: Uppsala Lak. FSrh., 1933. *** Auf unterschiedliches Verhalten in mediolateraler Richtung bz w. in paleo-

und neocerebellaren Abschnitten wurde yon Gellerstedt allerdings nicht geachtet, so dab hieriiber vorl~ufig nichts gesagt werden kann.

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372 Hans-Joachim Scherer:

Kriterium fiir /itiologische Gruppierungen oder eben auch nur fiir eine ,,endogene" oder ,,exogene" Genese herangezogen werden kann. Hier haben wir einen yon ihrem ersten Beschreiber als typisch fiir einen exogenen ProzeI~ (die Paralyse) angenommenen Vorgang als ebenso typisch endogen kennengelernt. Umgekehrt konnte vorn das bisher vielfach als typisch endogen (siehe v. Sdntha) geltende Auftreten der Bielschowskyschen Systemtypen als ein auch bei unzweifelhaft exogenen Noxen eintretendes Reaktionsph~nomen betont werden. Alle diese Phanomene lassen sich bei s Schiidigungen ebenso wie bei endo- genen Erkrankungen beobachten, und sie dokumentieren sich damit als angeborene, zwangsl~ufig ablaufende Reaktionen, mSgen sie nun mit oder ohne ,,~ul~ere" AuslSsung zur Verwirklichung gelangen. DaB sie damit als diagnostische Kriterien fiir ,,den" endogenen Charakter einer Erkrankung im Sinne Schaffers nicht mehr in Frage kommen, braucht demnach kaum noch unterstrichen zu werden (siehe auch Huber 29). Gerade diese Verh~ltnisse ira Kleinhirn beleuchten vielleicht am ein- dringlichsten, dab die ~lternative Fragestellung ,,endogen oder exogen" iiberhaupt nicht mehr mSglich ist; dai~ wir bier, wie heute iiberall in der )Sedizin, nur noch fragen kSnnen wieviel bei einem Krankheits- geschehen endogen und wieviel umweltbedingt ist, und dab sich damit die Aufstellung allgemeingfiltiger Kriterien yon selbst erledigt.

Freilich wird sofort bier die Frage gestellt werden miissen, an welchen Kriterien nach alledem die ,,genuinen" Kleinhirnatrophien noch erkannt werden sollen. Eine ausfiihrliche ErSrterung dieser Frage soll zweck- ms erst am SchluB der Arbeit erfolgen. Ohne weiteres aber ergibt sich aus dem bisher Gesagten, dai~ offenbar das Verhalten der Systeme nicht mal]gebend ffir die Entscheidung sei~l kann, vielmehr schon die Topik (besonders die eigenartige Symmetrie) und nicht zu- letzt das Fehlen oder die Ausschliel~barkeit anderer Ursachen. Damit ist

4. die Frage der kausalen Genese

gestellt, die ich bisher mit Absicht nicht beriihrt habe. Nehmen wir zur Grundlage der Diskussion die l~aktoren, die fiir die in den ersten iKit- teflungen besprochenen lokalen Kleinhirnveri~nderungen urs~chlich in Frage kommen, so mul~ten dort in allererster Linie vascul~re StSrungen herangezogen werden, w~hrend den entziindlichen nur eine recht unter- geordnete Rolle zugeschrieben werden konnte, und toxische Einflfisse, yon gewissen Erkrankungen der Kleinhirnkerne abgesehen, iiberhaupt mehr oder weniger hypothetisch blieben. Gehen wit diese i~tiologischen M5glichkeiten jetzt fiir die bisher besprochenen genuinen Rindenatrophien durch, so ist es gar nicht erforderlich, das Fehlen von Gefs163 (auch ffir die Atrophie tardive gerade in allen bisher verSffentlichten F~llen betont) besonders zu unterstreichen. Denn ein Vergleich mit den als sicher vasculs bedingt bekannten Bildern zeigt ohne weiteres, dal~

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Beitr/ige zur pathologisehen Anatomie des Kleinhirns. III. 878

diese symmetrischen, eigenartig gesetzm/~f~ig lokalisierten Erkrankungen einfach nicht vasal bedingt sein kSnnen.

Wenigstens nich$ vasal im iiblichen Sinne einer groben Zirkulationsbehinderung. Darfiber hinaus muB natiirlich beim heutigen Stande unserer Kenntnisse often- gelassen werden, ob nieht in bestimmten Gefi~flzentren sich abspielende morpho- logisch mehr oder weniger unfaBbare Alterationen funktioneller Natur (etwa ,,MembranstSrungen" usw.) eine Rolle spielen. Denn es ist doch auffallend, daft z.B. gerade die yon der Arteria cerebelli inferior posterior versorgten Gebiete bei der Atrophie tardive frei bleiben. Doch kann Tatsaehliches zu diesem Punkte bier vorl~ufig nicht ge~ul3ert werden.

Fiir eine entziindliche Genese bestand weiterhin in keinem Falle ein Anhaltspunkt, mit Ausnahme des gemeinsam mit Maas verSffent- lichten eigenartigen Falles yon cerebellofugaler Atrophie; doch konnte auch dort die Meningitis selbstverst/~ndlich nur als auslSsend betrachtet werden *. Was toxische Einfliisse anbctrifft, so sind diese natiirlich ebenso schwer zu widerlegen, wie zu bcweiscn, da ja unter anderem an endogene Intoxikationen verschiedenster Art zu denkcn ist. Wenn aber in der Literatur oft Dinge, wie iiberstandene Darmerkrankungen usw. erkl/~rend herangezogen werden, so ist dazu mit der gleichen Begriindung wie bei entzfindlichen Prozessen zu sagen, dab dergleichen hSchstens als auslSsendes Moment auf ein anlagem/~13ig disponiertes Organ gewiz'kt haben mag. Denn sonst miil3te man dieselben Bflder ja unendlich oft linden, w/~hrend es sich in Wirklichkeit doch bei s/~mtlichen, bisher besprochenen Formen um Scltenheiten handelt. Demgegeniiber steht die eindrucksvolle Tatsache, daI~ diejenigen F/~lle, die zuerst die Aufmerksam- keit auf derartige systematische Kleinhirndegenerationen lenkten, eben gerade als typisch endogen, zum Tell heredit/~r imponierten und zur Aufstellung der (als klinische Einheit vielumstrittenen) ,,H6r6doataxie c6r6bcllcuse" Pierre Maries ffihrten. Soweit ich die Literatur iibersehe, ist auch nach wie vor die iibcrwiegende ~ehrzahl aller verSffentlichten einschl/~gigen F/~lle (es handelt sich vorwiegend um mehr oder weniger rein cerebellofugale Typen) ohne erkennbare/~ul3ere Ursache: die meisten imponieren auch, davon abgesehen, schon rein klinisch als ganz allm/~hlich beginnende, langsam progrediente Erkrankungen. Alles in allem be- leuchtet die Tatsache, dab die auf /~ul3ere Ursachen bezogenen F/~lle wcgen ihrer verschwindenden Minderzahl als etwas ganz Besonderes gegeniiber den als ,,endogen" imponierenden, wesentlich h/~ufigeren ver- 5ffentlicht werden, sehr gut die ausschlaggebende Bedeutung anlage- m/~13iger ~omente in allen diesen F/~llen.

Die bisher erSrterten allgemeinen Gedanken haben fiir alle F/~lle Geltung, einige besondere Bemerkungen aber erfordern noch die kind- lichen F/~lle. Auf die geburtstraumatische Atiologie, auf die yon der

* Der yon Ku]s 37 verSffentliehte Fall von Atrophia ,,olivocerebellaris" infolge luischer Meningitis stellt meines Erachtens der ganzen Beschreibung nach einen typischen Fall von Atrophic tardive dar, der durch die Meningitis nut ausgel6st wurde.

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374 Hans-Joachim Scherer:

Marburgschen Schule verfochtene Bedeutung eines Hydrocephalus *, die in ihrer Existenz ~n sich noch hypothetische fetale Encephalitis und anderes n~her einzugehen, ist wenig fruchtbar. Auch hier steht die H~ufigkeit der supponierten Ursachen in einem allzu krassen ~iB- verh~ltnis zur Seltenheit des am Kleinhirn zu beobachtenden ,,Folge"- Zustandes; und dasselbe gilt fiir Lues congenita (vgl. den Fall Schob). Das auch causal-genetisch interessanteste Objekt der kindlichen Klein- hirnatrophien stellen zweifellos die bei der amaurotischen Idiotie beob- achteten F~lle dar. Hier einfach eine bloBe Folge des amaurotischen Zellprozesses sehen zu wollen, geht nach den geschilderten Befunden nicht an; zwar weiB man heute gegenfiber der friiher herrschendeu Anschauung yon der Ubiquit~t dieser Zellerkrankung, dab sie sich sehr wohl auf bestimmte Bezirke beschr~nken oder in solchen akzentuiert vorkommen kann; aber die oben kurz geschflderten histologischen Ver- hs erlauben eben nicht diese Deutung eines einfach akzentuierten Kleinhirnprozesses; diese w~re annehmbar, wenn die yon Bielschows•y erwogene MSglichkeit eines prim~ren KSrneruntergangs, der die anderen Ver~nderungen erst nach sich zieht, tats~chlich fiir alle F~lle zutr~fe; dab dies aber nicht der Fall ist, geht aus dem bier verwerteten Material eindeutig hervor. Und so bleibt nichts anderes fibrig, als tats~chlich eine Kombination anzunehmen, natiirlich nicht im Sinne eines zuf~lligen Zu- s~mmentreffens, sondern einer erbm~Bigen Koppelung beider Prozesse **

Die Frage der Heredit~it ist natfirlich such ffir alle anderen F~lle brennend. Leider kSnnen in keinem Falle eigene Ergebnisse zu dieser Frage geliefert werden. Das exquisit famili~re Auftreten der cerebellaren Heredoataxie - - anatomisch offenbar gewShnlich cerebellofugale Formen

ist hinreichend bekannt. Ffir die bisher besprochenen anderen Er- krankungen aber gibt die Literatur keinen Anhaltspunkt, yon einer wichtigen Ausnahme abgesehen: Gordon Holmes beobachtete eine bei 4 Kindern gesunder Eltern zwischen 33 und 40 Jahren auftretende ~llms progrediente Kleinhirnerkrankung (kombiniert mit endokrinen StSrungen), die sich auBerordentlich lange hinzog. Ein autoptischer Befund wurde leider nur in einem Falle erhoben, der mit 70 Jahren starb. Nach Beschreibung und Abbildung handelt es sich bestimmt nicht um eine olivo-pontocerebellare Marksklerose ***, unter welcher Rubrik diese F~lle f~lschlicherweise fiberall in der Literatur geffihrt werden,

* Wie er ]a in unserem F~lle 256/29 tats~chlich bestand, in den anderen F~llen aber nicht.

** Vgl. auch die yon BielschowsI~y selbs~ angefShrte Beobachtung Higiers, der in einer Familie amaurotische Idiotie und Heredoataxie bei verschiedenen Indi- viducu auftreten sah.

*** Diese ist ausgeschlossen, da Pons und Brachium pontis intakt, das Klein- hirnmark nur sekundar beteiligt, mit Dentatusvlieslichtung, und die sich cerebello- fugal entwickelnde Rindenatrophie in ihrer Lokalisation am meisten der Atrophie tardive entspricht.

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Beitr / ige zur pa tho log i schen A n a t o m i e des K le inh i rn s . I I I . 375

sondern um eine Atrophie tardive. Damit wi~re, ffir diese eine Form wenigstens, in einem Falle ein famili~res Vorkommen nachgewiesen. Berficksichtigt man, dal3 es sich anscheinend uni recessiven Vererbungs- modus handelt, der also in der Aszendenz nichts erwarten 1/~13t, so wird es bei der grol~en Seltenheit der F/~lle (fal3t man alle auch fraglichen Literaturbeobachtungen zusammen, so kommt man nicht fiber ein Dutzend) nicht wundernehmen, dab bisher nicht mehr fiber Vererbung bekannt ist.

Die Marksklerosen (Atrophia olivo-pontocerebellaris s. str.).

Wenn die Mannigfaltigkeit der Formen der Besprechung der genuinen Rindenerkrankungen stellenweise das Gepr/ige einer lockeren, nicht immer innerlich festgeffigten Aneinanderreihung der Fi~lle aufpr~gen muSte, das aueh durch das Bestreben einer Vereinheitlichung in der Auffassung der beobachteten Bflder nur zum Teil iiberbrfickt werden konnte, so zwingt umgekehrt die Bespreehung der Markprozesse yon vornherein zu einer Zusammenfassung des an sich reichhaltigen Materials (5 Fi~lle) zu einer Krankheitsgruppe. Denn um eine solche handelt es sich nicht nur anatomisch, sondern auch kliniseh, wie schon in der ersten Beschreibung hervorgehoben wurde (Thomas ~5, Ddjdrine und Thomas 15). Wenn ich die Bezeichnung Marksklerose dem alien Namen vorziehe, so deshalb, weft die Beteiligung der Anteile mir weder das Wesentliche des Prozesses zu sein scheint, noch, wie bier erstmals durch Beschreibung konstanter Nigraver/inderungen gefunden wurde, ersehSpfend alle anderen be- teiligten Abschnitte des ZentraInervensystems durch den alten Namen erfaBt werden, auBerdem aber diese Bezeichnung in Nachbarschaft der ffir andere Kleinhirnerkrankungen gew/ihlten, noch viel unzweck- m/~13igeren Benennung als olivocerebellare, olivo-rubrocerebellare Atrophie usw. zu verwirrenden Mil3verst/indnissen in der Literatur hinreichend AnlaB gegeben hat. Die kurze, yon mir gew/ihlte Bezeichnung drfickt dagegen das meines Erachtens Wesentliche des Prozesses pr/~gnant aus: erstens dal3 eine prim/~re Markerkrankung vorliegt (was einem groflen Tell der Autoren fiberhaupt entgangen ist) und zweitens, dab eine sklerosierende Fasergliawucherung yon Anfang an ein wesentliches Merkmal des ganzen Krankheitsgeschehens ist, nicht etwa nur eine sekund~re Deckung des Defektes. Auch dieser Gesichtspunkt ist ffir die vorliegende Erkrankung neu, muB es schon deshalb sein, well yon den meisten Autoren die Faserglia fiberhaupt nicht untersucht worden ist. Zudem mul3te zwangsl/iufig in den bisherigen, ausnahmslos kasuistischen Publikationen * manches fibersehen werden, was bei der hier erstmals mSglichen Bearbeitung yon 5 F/~llen in zum Teil recht verschiedenen Stadien der Erkrankung ohne weiteres auffallen muBte.

�9 E ine tabel lar i sche Z u s a m m e n s b e l l u n g der L i t e r a t u r s iehe S. 403.

Z. f. 4. g. Neur. u. Psych. 145. 25

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376 H a n s - J o a c h i m S c h e r e r :

Klinisch best~tigen die Fs zun~chst die bisher vorliegenden Angaben, dal~ es sich um eine um die 50er Jahre herum beginnende, langsam progrediente Erkrankung handelt, die in etwa 3--5 Jahren ad exitum ffihrt. Die markantesten konstanten Symptome sind die von Schuster 5s in ihrer Eigentfimlichkeit als cerebellar charakterisierte SprachstSrung, eine zunehmende Unsieherheit beim Gehen (subjektiv Schwiichegeffihl, objektiv breitbeiniger Gang), schliel~lieh sich fiber den ganzen KSrper ausbreitende Koordinationsst~rungen und - - als sehr eigenartige, sehwer erkl~rbare Erseheinung - - BlasenstSrungen, auf deren Konstanz besonders Balcker 2 hinwies. Ich gebe die wichtigsten klinischen Daten unserer F~lle der Raumersparnis wegen am Schlul~ in der Tabelle, zusammen mit den bisher verSffentliehten Fs der Literatur und werde nur sp~ter noeh- mals auf die Punkte zurfiekkommen, die neu oder fiir die Gesamtauf- fassung des Leidens yon Bedeutung sind.

1. Die Kleinhirnver~inderungen.

Anatomisch schildere ich die charakteristischen Befunde zweck- m~Bigerweise an Hand desjenigen unserer 5 F~lle, der als das am meisten

A b b . 19. F . 2~. 75/29. Ol ivo-pontocerebe l la re Marksklerose . ]~[akroskopisch n u r A b r u n d u n g tier L ~ p p c h e n u n d Verschmt t l e rung des zen t r a l en ~r e r k e i m b a r , abe r ke in K la f f en

de r F u r e h e n .

fortgeschrittene Stadium die sinnfi~lligsten Ver~nderungen bietet. Die Krankheitsdauer betrug hier (F. A. 2782) 41/2 Jahre. l~Iakroskopiseh (Abb. 19) gilt ffir diesen, wie fiir alle folgenden FMle von Marksklerosen, dal~ die Atrophie des Kleinhirns keineswegs besonders hochgradig ist; es erseheint im ganzen m~Big verkleinert, die L~ppchenkonturen etwas

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Beitr/ige zur pathologischen Anatomie des Kleinhirns. III. 877

abgerundet, doch ist kein auffallendes Klaffen der Furchen wahrzunehmen. Imponierender ist meist die mehr oder weniger hochgradige Verkleinerung des Ponsfu6es. Das fehlende Klaffen der Furchen geht auch aus dem Ubersichtsschnitt (Abb. 20) dieses Falles hervor; er zeigt sehr eindringlich das fiir alle diese F/ille charakteristische Verschontbleiben des Wurmes und der Flocken: w~hrend diese einen fast normal zu nennenden Mark- gehalt aufweisen, befinden sich die gesamten Hemisphiiren im Zustande hochgradiger Entmarkung. Deutlicher werden diese VerhMtnisse in

Abb. 20. F. 2~. 2782. ~larksklerose. Frontalscknit t zeigt gut markhalt igen Wurm und Flockc, hochgr~dige Entmarkung tier Hemisph~ren. Weigert-Pal.

Abb. 21a und b. Man erkennt, da6 sowohl die Lamellen wie das zentrale Mark so gut wie vSllig marklos sind, wogegen sich das gut myelinisierte Vlies des Dentatus haarscharf abhebt. Das Holzer-Pr~parat liefert ein getreues Negativ hierzu bis in alle Einzelheiten. Und schon an diesen l~bersichtsschnitten erkennt man, dab die Rinde eine ira wesentlichen normale Breite aufweist und jedenfalls auch keine hochgradige Ver- mehrung der Faserglia zeigen kann. Abb. 22, ein Bielschowsky-Pr~parat der Rinde dieses Falles darstellend, best/~tigt, dab die Molekularschicht regelrecht breit ist, Purkinje- und KSrnerzellen in fast normaler Dichte erhalten sind (das Bild wechselt yon Lamelle zu Lamelle, an manchen Stellen auch nicht unerhebliche Purkinje-Ausfs und auch die Faser- k6rbe, Tangential- und Klettcrfasern keine auff/illigen Abweichungen yon der Norm bieten. Das cinzig Auff/illige sind zahlreiche ,,Torpedo"-

25*

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378 H a n s - J o a c h i m S c h e r e r :

Abb . 21a u n d b. F . 2~. 2782. F a s t vSllige E n t m ~ r k u n g 4er g e s a m t e n H e m i s p h e r e m i t h o e h g r a d i g e r F~sergliose. 2~usgespart i s t 4as Vlies des D e n t a t u s , sowie die z u m W u r m gehSr igen , m i t g e t r o f f e n e n Lamel len . A b b . 21b (Holzer-Bild) l~tfit a u c h die L i ickenfe lder a m

F u B p u n k t e in iger H a u p t s t r a h l e n e rkennen . Niiheres siehe Tex t .

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Beitri~ge zur pathologischen Anatomie des Kleinhirns. III . 379

Auftreibungen der Purkinje-Axone *, sowie ein unzweifelhaft betr~cht- licher Ausfall an Moosfasern.

Schon diese erste oberfliichliche Bet rachtung gestat te t also die Fest- stellung folgender wesentlicher Befunde: Einer wenig gesch~digten Rinde steht ein fast vSllig demyelinisiertes sklerosiertes Mark gegenfiber ; erhalten ist dieses nur in den paleocerebellaren Abschnit ten, sowie im Vlies und Hilus des Dentatus. Vergegenwiirtigt man sich die Bilder, die das Mark

•bb. 22. Derselbe Fall wie ,~bb. 21. Rinde im wesentlichen gut erhalten, auffallen4 sind nur die Torpedoauftreibungen der Purkinje-Axone. Bielschawsky.Farbung.

bei ausgedehntester totaler Atrophie der ganzen Kleinh]rnrinde bot (Abb. 10), so ist jede weitere Auseinandersetzung darfiber, dab diese Markatrophie nicht sekundiir in bezug auf die Kleinhirnrinde sein kann, iiberfliissig. Dieser schwerst geschiidigte, in gewissem Grade einen End- zus tand darstellende Fall zeigt dies absolut eindringlich schon bei fliichtiger Betrachtung.

Das Bild einer im wesentlichen erhaltenen Rinde fiber einem vSllig zerstSrten Mark macht auf den ersten Blick einen etwas unwahrscheinlichen Eindruck. Es ist abet ein am GroBhirn durchaus nicht selten zu erhebender Befund (siehe z. B. Spielmeyer 63, Abb. 187), und daft es auch bei ausgedehnten andersartigen Mark- zerstSrungen des Kleinhirns vorkommt, beweisen F~lle yon diffuser Sklerose (siehe

* Diese werden mit Bielschowsky als ,,banale Reaktionsph~nomene" - - hier wohl zwanglos durch die Sklerose im Mark erkl~rbar - - aufgefal3t; daB ilmen keinerlei grunds~zliche Bedeutung ffir die Auffassung des ganzen Prozesses zukomm~, is~ heute entgegen Scha]/er wohl allgemein anerkannt.

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380 Hans-Joachim Scherer:

z. B. den Fall yon Gagel go), ebenso wie der in meiner I. und II. Mitteilung mehrfach beriihrte Fall 244/29 (Abb. 20 und 21, bzw. Abb. 1).

Eine gewisse Besonderheit des bier besprochenen Falles ist das Auftretcn yon grSBeren Liickenfeldern im zentralen Marklager, und zwar gerade da, wo die Haupt- markstrahlen abgehen. Die Multiplizit/~t der Herde spricht bei dieser Lokalisation gegen vascul~re Genese; ein Fettabbau ist in ihnen nicht sichtbar. Auch bei einem

Abb. 23. F. A. 8/30. Ni~sl-Bil4. Sehr deutlich die ungleichmfiBige Schfidiglmg der Rinde: im Bride rechts Purkinje-Zellen gut erh&lten, auf den einan4er zugekchrten Liippchenseiten

weitgehen4 ausgefanen.

anderen schleichend atrophisierenden Prozel~, n~mlich der Piekschen Krankheit, sehen wit als Endeffekt h~ufig Liickenfelder auftreten; und bier spricht die Tatsache, dal~ sich dicse Herde gerade an den in allen F~llen schwerst gesch~digten Stellen linden, sehr daffir, dab es sich wirklich nur um extreme Auswirkungen des urspriing- lichen Prozesscs handelt.

Gehen wir je tzt un te r Heranziehung eines fast ebenso schwer ge- sch~digten Falles (F. A. 8/30) mehr ins einzelne, so sind fiir dieses fortgeschrit tene S tad ium der E r k r a n k u n g folgende ~'eststel lungen zu machen : Die Rinde ist auch in ihrem Zellgehalt keineswegs v611ig unver- sehrt; es verhal ten sich die einzelnen FMle und bei diesen auch wieder

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die einzelnen L~ppchen (innerhalb der Hemisph/~ren, vom l~aleocere- bellum sehe ich vorl~ufig ab) reeht wechselnd, besonders in bezug auf den Ausfall der Purkinje-Elemente: so 1/~l~t Abb. 23 yore Falle 8/30 einen streekenweise vSlligen Ausfall yon Purkinje-Zellen erkennen, w~hrend sie auf der anderen Seite desselben L~ppchens in betr/~chtlicher Zahl erhalten sind. Irgendwelche lokalisatorische Gesetzm/~$igkeiten sind hier nicht feststellbar. KSrner- und Molekularschicht zeigen auch hier ein im wesentlichen unver/~ndertes Bild. Die Silberpr~parate geben ein in allen F~llen insofern iibereinstimmendes Bild, als die ausgefallenen Purkinje-Zellen iiberall leere KSrbe zurfieklassen, also einen ,,eerebello- fugalen" Rindendegenerationstyp andeuten. Dasjenige intracorticale Fasersystem, das iiberall relativ am meisten gelitten hat, sind die Moos- fasern, w/~hrend Tangential- und Korbfaserung durchgehend tadellos erhalten ist. Quantitativ verhalten sieh die einzelnen L/~ppchen aueh hierin recht wechselnd, ebenso fibrigens in der Zahl der Auftreibungen der Purkinje-Axone. Alles in allem: eine wechselnde, aber selbst an den schwerst gesch~digten Stellen noch reeht geringfiigige Rindenl~sion, was sich auch in der durehgehends fehlenden und nur angedeuteten Reaktion der Bergmannschen Gliazellen i~uBert.

Demgegenfiber steht eine hochgradige Verschm/~lerung, Entmarkung und Gliose des Lamellenmarkes; tml Mil~verst/indnisse auszuschlieSen, sei gleich bier betont, dal~ , ,Entmarkung" dabei nicht im Sinne einer ,,Dissociation axomy6linique" gemeint ist: vielmehr zeigen gerade die Endstadien, wie 1%11 2782, einen sehr hochgradigen Achsenzylinder- schwund im Mark.

Man geht wohl nicht fehl, wenn man die ziemlich grobkalibrigen, erhaltenen Achsenzylinder im wesentlichen als Purkin#-Axone anspricht: ihre Unversehrtheit dokumentiert sich ja eindeutig im Dentatusvlies. Da$ man natiirlich auf frfihen Stadien eher den Eindruck eines relativen Verschontbleibens der Achsenzylinder bekommt, entspricht nur dem Gesetz ihrer allgemein grSBeren Resistenz, ohne irgendeine spezielle Bedeutung zu haben.

Und die gleichen VerhMtnisse wie im Lamellenmark finden sieh im zentralen Marklager des Kleinhirns. Im Nissl-Bild sind diese 1)artien gekennzeichnet durch ihren ungewShnlichen Reichtum an Gliakernen * (Zusammenrficken der gliSsen Zellelemente), wodurch das ganze Mark auffallend dunkel getSnt erscheint. Wie Abb. 24 zeigt, hebt sieh hiervon das im Nissl-Bild vergleichsweise helle, d .h . in seiner Gliazelldichte normale Dentatusvlies ausgezeiehnet ab: es zeigt an, dab ein nennens- werter Ausfall yon Purkinje.Axonen aueh in diesen schwersten F~llen nicht stattgefunden haben kann.

�9 Es handelt sich vorwiegend um leicht progressiv veranderte Makrogliakerne, aber auch zahlreiche Mikro- und Oligodentrogliaelemente. In weit fortgeschrittenen, stark sklerosierten Fallen zeigen sie eine ausgesprochene, in der Langsachse gerichtete Lagerung und sehen vielfach stark in die L/~nge gezogen aus, so dal~ sie direkt an Bindegewebskerne erinnern.

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882 Hans-Joachim Scherer:

Wie verhalten sich nun die paleocerebellaren Abschnitte dieser Fi~lle ? Abb. 25a und b zeigen auf den ersten Blick, dal~ man sie zwar als relativ intakt, abet keineswegs normal bezeichnen kann. Das Markscheidenbild verri~t schon bei LupenvergrSl~erung eine starke Versehmi~lerung des Lamellenmurkes, besonders im Declive vermis, w~hrend im vorderen Cuhnenabschnitt und Lobus centralis die Lamellen zwar regelrecht breit erscheinen, aber eine sehr deutliche Entmarkung, besonders der peripheren Teile, erkennen lassen. Gerade diese schwerste

Abb. 21. F. A. 8/30. Das Niss l -B i ld l~illt bei Lupenvcrg r52oru~g schr deutl ich die 4unkle Ti)nung des ]~[arkes infolgc seincs Kern re i ch tums erkennen: das Dcnta tusvl ics ist ausgespar t .

Bcachtc die gu t erhal tene Rindc.

Ausbildung des Markprozesses an der Peripherie wird noch deutlicher im Wurm eines weiteren FalIes (1789). Dal~ ferner die starke Bevor- zugung der caudalen Partien nicht auf den Wurm beschri~nkt ist, wird unten noch zu erSrtern sein. Eine weitere, schon bei dieser VergrSl~erung angedeutete topische Eigentfimlichkeit ist eine oft direkt herdartig anmutende Verst~rkung dieses Entmarkungsprozesses immer an den Verzweigungsstellen im Holzer-Pr~parat, das ein getreues Negativ des Markscheidenbildes darstellt. Getreu allerdiugs nur in iirtlicher Be- ziehung; quantitativ dagegen geht die Gliose doch betriichtlich fiber das hinaus, was man bei einem derartigen, nicht gerade sehr hochgradigen Markscheidenausfall erwarten wiirde. Im einzelnen zeigt sie gegenfiber der gleichm~$ig intensiven Faserverflechtung der Hemisphi~ren eine deutlich erkennbare perivascul~re Verdichtung.

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Abb. 25a und b. F. 3k. 8/30. Im Wurm is t tier ProzeB am ausgcsproohensten in den caudalcn Absclmittcn, un4 auch hier am intensivsten in der Peripherie. Auffallend starke

Fasergliose. a Spielmeyers ~Iarkscheidenfiirbung. b Hol;er-Bild.

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384 Hans-Joachim Scherer:

Wenn sich bier bei der Betrachtung der Wurmver/~nderungen eine Besprechung yon Einzelheiten aufdr/~ngte, die bei den Hemisph/~ren- prozessen dieser F/~lle nicht er6rtert wurden, da sie dort nicht erkennbar waren, so ergibt sich ohne weiteres der Gedanke, da$ wir in den paleo- cerebellaren Anteilen ein friiheres Stadium der Erkrankung vor uns haben.

Diese Vermutung wird vollauf dadurch best/~tigt, da6 sich v611ig entsprechende Eigentiimlichkeiten in den Hemisph/~ren solcher F/~lle linden, die im ganzen offenbar Friihstadien bilden. Da sie fiir die formale Genese, ebenso wie ffir die pathogenetische Auffassung des ganzen Geschehens von Bedeutung sind, miissen sie hier an Hand eines derartigen ,,Friihfalles" (F. A. 75/29) besprochen werden. Stellt man hier bei Lupen- vergrSBerung Markscheiden- und Holzer-Bild eines Hemisph/~rensagittala- schnittes * (Abb. 26a und b) gegeniiber, so ist man verbliifft "con dem MiBverhMtnis: lm Gliafaserpr/~parat eine intensive Gliose aller Lamellen und des zentralen Markes mit wieder tadellos ausgespartem Dentatusvlies, im Markscheidenbfld aber ein gering erscheinender Ausfall, besonders an den Abg/~ngen der Hauptstrahlen, im Photogramm leider schlechter darstellbar als in Wirklichkeit. Erst bei st/~rkerer Vergr61~erung wird der Markscheidenausfall deutlicher, und zwar bier besonders schSn in der typischen Anordnung (Abb. 27): zu dem diffusen, sich besonders in den periphersten Lamellenteilen /s Markscheidenuntergang tr i t t iiberall ein in seiner scharfen Begrenzung geradezu herdfSrmig akzentuierter an allen Verzweigungsstellen. Dem entspricht auch im Holzer-Bild eine Intensivierung der Faserbildung an den gleichen Stellen, doch ist hier der Unterschied viel weniger sinnfMlig, da eben die aueh an Stellen geringerer Entmarkung unverhMtnismii6ig starke Faser- produktion diese feineren Details ,,iiberwuchert". Im iibrigen ist aueh in diesem Falle fast iiberall eine perivasculi~r verst~rkte l~asergliose recht aufdringlich erkennbar. Allerdings erreicht diese Eigentiimlichkeit nirgends solche Grade, wie in dem yon Maas-Scherer publizierten Sonder- fall, wo sie geradezu zu einer tigerfellartigen Fleekung des Gesamt- pr/~parates fiihrte (Abbildungen siehe dort). Doch erw/~hne ich hier das andeutungsweise Auftreten prinzipiell entsprechender Bilder in anderen FMlen absichtlich deshalb, weil es eine wichtige Briicke zu diesem Falle schli~gt, die davor bewahrt, ihn prinzipiell yon den Marksklerosen abzu- trennen, zu denen er dem Gesamtbilde nach unzweifelhaft gehSrt. In bezug auf Einzelheiten verweise ieh auf die kasuistische Publikation. Hier sei nur betont, dal~ man mit starken c~uantitativen Variationen in dieser Riehtung offenbar zu rechnen hat. Aueh die Beteiligung der

* l~brigens besteht hier keine vollkommene Symmetrie insofern, als die Ver- ~nderungen auf einer Seite unzweifelhaft schon etwas fortgeschrittener sind als auf der anderen. Ebenso weist alas einseitige Auftreten der oben beschriebenen Lfickenfelder bei 2782 auf das Vorangehen einer Hemisph/~re bei dem Krankheits- prozell hin.

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-Kbb. 26a und b. F. ~. 75/29 zeigt die fiir ein Fri ihstadium charakteristischen VerhAlt- nisse: MarkscheidenausfMle erst gering (vgl. 2~bb. 27, bier bei tier schwachen Vergr0Berlmg nut an den &bgltngen tier Haupts t rahlen erkennbar), abet berelts aul~erst intensive, ausgedehnte Fasergllosc, die das Dentatusvlies frel litl3t. Caudale &bschnitte am starksten

befallen.

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386 Hans-Joachim Scherer:

Rinde unterliegt zweifellos derartigen Variationen; doch habe ich hier entschieden den Eindruek, dab in den auf Grund der Markver~inderungen als Friihformen zu betrachtenden F~llen auch die Rinde noeh weniger betroffen ist als in den sti~rker entwickelten. So zeigt z .B. der eben besprochene :Fall 75/29 eine fast normal zu nennende ginde mit Ausnahme der in diesem Falle ganz besonders zahlreichen P u r k i n j e - A x o n a u f t r e i - bungen: vielleicht spricht die vergleiehsweise gerade in diesem Fall ungewShnlich grolle Zahl dieser ,,Widerstandsreaktionen" daffir, dall es

Abb. 27. F. 2~. 75/29 zeigt das HerdfSrmige , Diskontinuierl iche des ~r gangcs, der sich zucrs t an den VerzweigungssteUen gel tend m a c h t . Lobus semihmar is .

Spielmeyers )/[arksc hciden f ~rbung.

sich tatsiichlich um reversible *, mehr oder weniger fliichtige reaktive Gebilde handelt, die sich in den spitteren Stadien zum Teil wieder zuriiek- bilden. Kehre ich yon diesen Details nochmals zur Lokalisation innerhalb der ganzen Hemisph~iren zuriick, so lehrt der Fall 75/29 eindringlich, dall fiir die Hemisphtiren in demselben Maile wie fiir den Wurm die Tatsache Geltung hat, datl am schwersten das Mark der caudalen Partien, d .h . des Lobus semilunaris superior und inferior geseh~digt ist. Die schwaehe VergrSllerung der Abb. 26a erlaubt hierfiber kein klares Urteil, bei

* Slfielmeyer 62 ist hier geneigt, diese ,,retrograde" Faserveriinderung der ,,retrograden Zellveriinderung" Nissls an die Seite zu stellen. Vielleicht haben wir gerade bei den Purkinje-Zellen darin einen Ersatz fiir die diesen Zellen nicht adiiquate ,,primiire Reizung" zu sehen.

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starkeren Systemen aber (Abb. 27 stammt gerade aus dem Semflunaris superior) ist dies Verhalten absolut eindeutig.

Diesem reichen Bride yon Ausfalls- und Reaktionsvorgangen kSnnen beziiglich des Abbaues nur wenig positive ]~efunde gegeniibergestellt werden. Ja, es daft das fast v611ige Fehlen eines mit Scharlachrot darstellbaren Fettabbaues geradezu als ein Charakteristikum dieser Er- krankung angesehen werden. In der Rinde wie im Mark, in Frfihf~llen wie in Endstadien haben wit" iiberall das gleiehe eigenartige Bild eines wirklich ,,spurlosen" Verschwindens grol~er Markmassen. Man sieht an den untergehenden Markseheiden iiberall die bekannten Zeichen ihres Zerfalles, aber man findet nirgends einen fixen, erst recht keinen mobilen Fettabbau, der seinem Grade naeh direkt auf den vorliegenden Prozel~ bezogen werden kSnnte. Denn die sehr geringffigige, in einzelnen F~llen (8/30, 2782 *) anzutreffende Fettspeieherung in vereinzelten Hortega- und Gef~l~wandelementen geht kaum fiber das hinaus, was man auch in gesunden Kleinhirnen dieses Alters findet. Etwas ergiebiger ist dagegen die Untersuehung auf Eisenspeicherung, die nach den Ergebnissen Gellerstedts wohl als eine Teilerscheinung yon Markabbauprozessen be- trachtet werden muB. Es finder sich eine unzweifelhaft gesteigerte Eisenspeieherung in Oligodendro- und Mikrogliaelementen des Markes (die Makroglia ist den Ergebnissen Gellerstedts entsprechend unbetefligt), die interessanterweise im Fall 75/29 z. B. eine dem Markscheidenausfall v611ig entsprechende Akzentuierung in den caudalen Hemisph~ren- abschnitten aufweist.

2. Die Pons-Olivenveriinderungen.

Wenn ich bisher ausschlieitlich ein Bild der Ver~nderungen des Kleinhirns gezeiehnet babe, so geschah dies in der Absicht zu beweisen, dab schon dessert Ver~nderungen allein so charakteristisch und einheitlich sind, dal~ sie eine Diagnose erlauben, auch ohne dal~ man die fibrigen, regelm~l~ig mitver~nderten Anteile fiberhaupt gesehen hat (siehe S. 400). Das mul~ deswegen nachdrficklich unterstriehen werden, weft es schlagend die Einheitlichkeit dieses Krankheitsprozesses im Gegensatz zu den anatomisch ganz heterogenen, im ersten Teil dieser Arbeit besprochenen Bildern beweist, die hSchst unzweckm~l~igerweise in der Literatur immer noeh gem als olivocerebellare Atrophien zusammengefai~t werden, ganz eels ob es sich gleichfalls um einheitliche Erkrankungsformen handele.

Ist also die Diagnose auch auf Grund des Kleinhirnbefundes allein zu stetlen, so ist ein Verstiindnis des ganzen Brides natiirlich nur mSglich unter Berfieksichtigung der fibrigen ver~nderten Abschnitte des Zentral-

* Hier findet sich eine recht lebhafte Speicherung in allen kleinen und. gr51]eren Gef~Bwandelementen: da aber dasselbe auch im Grol3hirn und Hirnstamm zu bcobachtcn ist, so kann es jedenfalls nicht mit der Kleinhirnerkr~nkung in direkten Zusammenh~ng gebracht werden.

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388 Hans-Joachim Scherer:

nervensystems. Und dies sind eben, wie man seit A. Thomas weil~, Briickenkerne mit Brachia pontis und Oliven mit olivocerebellarer Faserung, w~hrend das Dentatussystem mit Brachium conjunctivum als regelm~l~ig intakt gilt. Abb. 28 zeigt das Bild, das die Ponskerne eines solchen Falles bieten: Ein v611iger Schwund aller Ganglienelemente mit entsprechender zelliger und faseriger Gliawucherung, die die Erhaltung der normalen Struktur garantiert (im Gegensatz zu Abb. 5 !). Im Mark- scheidenbild (Abb. 29) ist die St6rtmg noch imponierender durch den

A b b . 28. F. A. 8/30. P o n s k e r n o y o n Gangl icnzc l l cn v011ig entblSBt , die ehema l igen S tmlk tu r cn a b c r info lge tier s t a r k e n Gliosc g u t e r k e n n b a r (vgl. Abb . 5). Niss l -Bi ld .

v61ligen Ausfall der gesamten pontocerebellaren Faserung, aus deren entmarktem Areal die unver~nderten Pyramidenbahnen tiefsehwarz gef~rbt hervorsteehen. Aueh der tadellose Markgehalt der Brachia conjunctiva in diesem Bilde kontrastiert seharf mit dem marklosen pontoeerebellaren System der Braehia pontis. Diese Abbildung stammt mm yon dem ,,Friihfall" 75/29, und es ist fiir die Auffassung der Patho- genese des Prozesses die Feststellung entscheidend wiehtig, dal~ hier der Ausfall der pontocerebellaren Faserung dem der Ponskerne unzweifelhaft vorausgeht: denn diese zeigen bereits eine gewisse Liehtung, aber keinen entfernt so hochgradigen Ausfall, wie in den anderen voll entwickelten F~llen (siehe Abb. 28), jene aber sind so gut wie vollst~ndig ausgefallen. Und eben derselbe Fall zeigt, dal~ fiir die Oliven offenbar genau dasselbe Gesetz gilt: Es besteht hier zweifel|os eine gewisse Lichtung des Zell-

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bandes (deren Bewertung an sich natfirlich dadurch erschwert ist, daI~ derartige Olivenliehtungen in diesem Alter - - 53 Jahre - - an sieh recht h~ufig sind), aber kein entfernt so hochgradiger mehr oder weniger totaler Ausfall, wie in den 4 anderen F~llen (und den meisten bisher verSffentliehten Beobachtungen), w~hrend die Markfaserung des Oliven- hflus und -vlies schon sehr stark gelitten ha~. l~fir die fibrigen F~lle l~Bt sich generell sagen, da$ in Oliven wie Nebenoliven ein hoehgradiger Zellausfall mit entsprechender Gliose, eine wechselnd starke, aber iiberall sehr ausgesprochene Liehtung der Hilusfaserung und der Traetus olivo- cerebellares mit intensiver Fasergliose besteht, w~hrend das Olivenvlies

2~bb. 29. F .A. 75/29. VSlliger 2LusfMl-der pontocerebeUaren Faserziige, Entmarkung der Braehia pontis, tadelloser ]VIarkgehalt der Braehia eonjunctiva. Im selben Fane Ponskerne

noeh gut erhalten. Siehe Text. Splelmeyers ~:[arkseheidenf~rbung.

relativ weniger gelichtet erseheint. In allen diesen F&llen ist natfirlich kein AufschluI~ darfiber zu gewinnen, ob Zellen oder Faserung primer ausgefallen sind, und es braucht deshalb nicht zu verwundern, dal~ bisher fiber diese Fragen wenig Klarheit erzielt werden konnte. Der bier erSrterte Fall aber zeigt jedenfalls das eine, dab der Ausfall der ponto- und olivocerebellaren Faserung nicht einfach als Folge eines Unterganges der Pons- und Olivenzellen aufgefai~t werden daft (was bisher vielfaeh geschehen ist), sondern diesem vorausgehen kann. Ffir die sp&ter zu erSrternde Auffassung der formalen Genese ist diese Feststellung ent- seheidend wiehtig.

Kurz mul~ noch auf das nicht ganz leicht zu deutende Verhalten der Dentati eingegangen werden. Diese gelten auf Grund der bisherigen Publikationen als unversehrt. Auf das eigenartige charakteristische Verschontbleiben des Vlies ist oben bereits hingewiescn worden, es gehSrt zu den diagnostisch wichtigen Kriterien des histologischen Bildes der

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Marksklerose. Da6 iibrigens eine je nach dem von Fall zu Fall wechselnden Ausfall yon Purkinje-Zellen verschieden starke geringfiigige Lichtung und Fasergliavermehrung auch im Vlies bestehen muG, versteht sich yon selbst; im Vergleich zum fibrigen Mark aber erscheint es in jedem Falle verschont. Das Dentatuszellband selbst zeigt in keinem Falle einen etwa dem Oliven- oder Ponsprozel~ gleichzusetzenden st~rkeren Zell- ausfall, auch keine schwerere Fasergliose. Dagegen land sich in 2 F~llen das in der II. Mitteilung als nicht selten bei verschiedenen schweren Allgemeinerkrankungen beschriebene Bfld der ,,homogenisierenden Ge- samterkrankung" des Dentatus. Vielleicht k6nnte es willkiirlich er- scheinen, dies Bild in diesen F~llen gleichfalls als Reaktion auf eine allgemeine Sch~digung (sehwere Cystitis!) aufzufassen und damit als nicht zum Kleilfllirnproze~ gehSrig abzutrennen. Aber diese Auffassung seheint mir damit gerechtfertigt, dal~ in den anderen Fiillen der Dentatus dieses Bild nicht zeigt, fiberhaupt in seinem Zell- und Gliagehalt als im wesentlichen intakt anzusprechen ist, wenn sich auch qualitative Ver- ~nderungen (besonders Schrumpfungen) seiner Zellelemente in mehr oder weniger gro~er Ausdehnung hier und da linden. Auch Dinge, die gerade an diesem so sehr empfindlichen Zellsystem etwas Allzuh~ufiges darstellen, um hier eine spezielle Auswertung zu erlauben. Die Brachia conjunetiva, also die Efferenz, sind jedenfalls in jedem Falle als intakt anzuspreehen, und damit kann zusammenfassend die bisher geltende Auffassung bests werden: Die Dentati mit Vlies und Bindearmen sind am Prozefl der olivo-pontocerebellaren Atrophie nicht beteiligt.

3. Formale Genese. Es mui~ jetzt die Frage gestellt werden, in welchem der verschiedenen

betroffenen Systeme denn der Beginn des Prozesses gesucht werden muG. Zuniiehst kann auf Grund des oben Gesagten mit Sieherheit festgestellt werden, da~ die Kleinhirnrinde am Zustandekommen des ganzen Bildes unbeteiligt ist, 4al~ vielmehr ihre relativ geringfiigigen Ver~nderungen hSchstwahrscheinlich als Folge des Markprozesses, wenn nieht als gleiehzeitige beigeordnete St5rung, aufzufassen sin4. Damit ist eine, bei den so sinnfMligen Befunden eigentlich unversti~ndliehe, friiher oft vertretene Ansicht, dab die Kleinhirnrinde ursiichlich etwas mit dem Markausfall zu tun hs yon der weiteren ErSrterung ausge- sehaltet: gerade ihre Efferenz, die Purkinje-Axone, ist ja auffallend verschont. Woher riihrt nun der ausgedehnte Ausfall der Markmassen des Kleinhirns ? Es handelt sich offenbar im wesentlichen um die durch das Brachium pontis yon den Ponskernen her einstrahlenden l~aser- massen, sowie die olivocerebellaren Faserungen. Damit wiirde, soweit die intracorticalen Faserabschnitte in Betraeht kommen, der in allen FMlen recht erhebliche Ausfall yon Moosfasern fibereinstimmen; denn wenn auch die Herkunft der cerebellopetalen Fasern im einzelnen noch

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keineswegs endgfiltig gekl~rt ist (siehe aueh v. Sdntha), so ist als die zur Zeit wahrscheinlichste Anschauung mit Jakob jedenfalls die zu betrachten, dab die ponto-olivocerebellaren Systeme als Moos- und Kletterfasern in den Hemisph~ren enden. Und erst recht dr~ngt sich diese Auffassung auf, wenn wir uns an den eingangs schon im Hinblick auf die Mark- sklerosen beschriebenen Fall yon Aplasia neoeerebellaris erinnern, in dem auch ein absoluter Defekt der Ponskerne und Oliven mit einem vS1]igen Markmangel der Hemisph~ren, auch unter erhaltenen Rinden- windungen, bei Aussparung des Dentatusvlies vorhanden war. Bei dieser Sachlage ist es verstiindlich, daI~ die fasernanatomische Einstellung der letzten Jahrzehnte dazu neigte, einfach einen prim~ren Ausfa]l der Pons- und Olivenkerne anzunehmen und die Entmarkung des Kleinhirns dann als sekund~re Degeneration aufzufassen.

Davon kann aber nach den hier geschilderten Befunden keine Rede sein. Mit dieser Deutung ist unvereinbar die oben beschriebene Topik gerade der Anfangsstadien mit ihrem Beginn in den periphersten Lamellen- abschnitten und der eigenartig herdf5rmigen Intensivierung an den Lamellenverzweigungen; unverst~ndlich bleibt dann das eigenartige, dem Ausfall durchaus nicht kongruente Verhalten der Faserglia, das auf eine ,,prim~re" Fasergliose bin-, fiber eine blo[3e Ersatzwueherung jedenfalls hinausweist. VSllig widerlegt endlich wird diese Annahme aber durch derartige Beobachtungen wie die, dal! bei noch recht gut erhaltenen Ponskernen und Oliven bereits ein schwerster Fasernausfall der abh~ngigen Bahnen sowohl im Pons wie Olivenhilus selbst, sowie im Brachium pontis besteht, w~hrend sich in den Kleinhirnhemisph~ren gleichzeitig die Entmarkung auf die Peripherie und die Verzweigungs- stellen konzentriert, im zentralen Mark aber erst angedeutet ist. Alle diese an verschiedenen Stadien vergleichend zu erhebenden Befunde widerlegen schlagend die Annahme einer se]cunddren Markatrophie, die nur bei isolierter Betrachtung yon Endzust~nden einigermal~en begriffen werden kann; wenngleich das bier in einem Extremfalle zu beobachtende Auftreten yon Lfickenfeldern erst recht gegen sekund~re Degeneration spricht. Sie beweisen vielmehr, dab der Prozel~ im Mark beginnt, und zwar offenbar nicht yon einem Ende des Neurons zum anderen fort- schreitend, sondern zuerst diskontinuierlich, oft herdfSrmig, gleichzeitig am ~u]~ersten Ende (peripherste Lamellen), in mittleren Abschnitten (Verzweigungsstellen), am Anfang (Fasermassen im Ponsful], Olivenhilus) beginnend, und erst ganz allm~hlich auch die neuronalen Zentren in Pons und Oliven sowie die dazwischenliegenden Faserabschnitte er- greifend. Der diskontinuierliche, keineswegs mit dem Charakter einer sekund~ren oder fiberhaupt in bestimmter Richtung fortschreitenden neuronalen Degeneration vereinbare Charakter des Prozesses wird noch unterstriehen durch in Friihst~dien zu beobachtende ausgesprochen perivasculdre Intensivierung der Gliose (weniger des ~[arkscheiden-

Z. f. d. g. Ncur . u. Psych . 145. 26

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392 Hans-Joachim Scherer:

untergangs !), die bis zu diffuser ,,Tigerfellfleckung" ausgesprochen sein kann. Dai~ das Ganze trotzdem aber ein durchaus systematischer, d. h. auf bestimmte Fasersysteme beschrs Proze~ ist, braucht nach allem kaum betont zu werden, es erhellt besonders aus dem Vergleich mit herdfSrmigen, dabei nicht systematischen Kleinhirnerkrankungen, etwa bei diffusen Sklerosen (siehe S. 399). Ich erinnere hier an die auf S. 362 in ganz anderem Zusammenhange gemachte Feststellung, dab es derartige, sozusagen ,,mitten im Neuron" beginnende, erst allm~hlich auf die Enden iibergreifende Erkrankungen tats~chlieh gibt. Im ganzen also kann die erstmals yon van Bogaert und Bertrand 7 an Hand eines ausgezeichnet untersuchten Friihfalles ge~u~erte Vermutung eines - - auch in bezug auf die Pons-Olivenkerne- ,,prim~ren" Markprozesses hier beweiskr~ftig best~tigt werden. Denn wenn im Falle yon van Bogaert- Bertrand eine vSllig klare Entscheidung daran scheiterte, dal~ eben die Ponskerne doch schon weitestgehend geschwunden waren, so dab die Autoren mehr den Weg eines Indizienbeweises besehreiten mu~ten, so beweist das hier anzutreffende Stadium noeh fast intakter Ponskerne bei bereits vSllig ausgefallenen pontoeerebellaren Fasersystemen unwider- leglich die Richtigkeit dieser Konzeption. Und wenn die Autoren den Pur]cinje-Zellausfall als eine transneuronale Degeneration erkli~ren, so mSchte ich auch dieser Annahme zustimmen, wobei man sich des Hypothetischen in dieser Deutung natiirlich bewul~t bleiben mul~. Doch seheint, wie mir der Vergleich meiner versehiedenen Stadien zeigt, die Schwere des Purlcinje-Zellausfalles der des Markprozesses tats~chlich einigerma~en parallel zu laufen, was immerhin im Sinne einer Abh~ngig- keit gedeutet werden mag.

Ein Punkt (der auch yon van Bogaert-Bertrand nicht beriicksichtigt wixd) verdient noch eine besondere Besprechung: n~mlich die bereits in frfihen Stadien so auffallend intensive Fasergliose. Bodechtel und Guttmann 5 haben jtingst bei Bespreehung diffuser Markerkrankungen des Grol~hirns fiir gewisse F~lle (erste Gruppe dieser Autoren) auf die Tatsache aufmerksam gemacht, da~ hier die Geringffigigkeit des Mark- scheidenausfalles in keinem Verh~ltnis steht zur St~rke der Gliafaser- produktion. Sic sprechen von ,,einem gewissen Reizzustand" der Glia, ,,der sie zwingt, auch an Stellen, wo kein starker Parenchymuntergang erfolgt, zu reagieren, und zwar weitgehendst selbsts nicht nur im Sinne der defektausffillenden Substanz, mit leaserbildung einzusetzen". Es kann nach den oben geschilderten Befunden (Abb. 26a, b) kein Zweifel sein, dab wir auch ffir die friihen Stadien der ,,Marksklerosen" des Kleinhirns mit einer ,,prim~ren" Fasergliose zu reehnen haben. Und dal~ sich diese keineswegs nur auf die olivo-pontocerebellaren, der sp~teren Entmarkung verfallenden Systeme beschr~nkt, geht daraus hervor, dan sich in einigen F~llen auch im Rfickenmark (das im Zell- und Markscheidenbild vSllig intakt erscheint) eine sehr deutliche ver-

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st~rkte Fasergliose feststellen l~i~t, besonders lumbal um die graue Substanz herum und im ventralen Hinterstranganteil, sowie cervical um das Septum posterius. Er6rterungen fiber die Natur dieser Er- scheinung wfirden den Rahmen des Themas fiberschreiten, zumal das Problem der ,,kryptogenetischen Gliosen" (siehe Roussy.Lhermitte-Ober. ling 60) noch vSllig ungekl~rt, sogar fast unbearbeitet ist. Es kann ffir den bier interessierenden Spezialfall nur gesagt werden, dab zur ErkI~rung weder ,,proliferative Komponente eines entziindlichen Prozesses" (der ja in keinem Stadium vorliegt), wie etwa bei der multiplen Sklerose, noch ein ,,blastomat6ser" l%ktor in Frage kommt, so dab man sich vorl~ufig mit der Annahme eines konstitutionellen Momentes begnfigen mul l

Es sei hier nochmals rfickblickend an die eigenartigen Gliaverh~ltnisse erinnert, die sich in dem Falle yon Aplasia neocerebeUaris fanden, und die auch nut durch eine ,,Fehlentwicklung" der Glia gedeutet werden konnten, keinesfalls aber als Ersatzwacherung. Und ebenso an die Bielschowskysche Deutung der bei den Kleinhirnprozessen der amaurotischen Idiotie zu beobachtenden, unverh~ltnism~0ig starken Fasergliose als einer primer ,,metaplastischen" Gliawucherung.

Weiterhin ist die bisher - - yon der bevorzugt neocerebellaren Lokali- sation abgesehen - - noch nicht gewfirdigte, offenbar fiberhaupt noch nicht beobachtete eigenartige Topik der Ver~nderungen innerhalb des Kleinhirnmarkes in mehrfacher Richtung interessant: N~mlich der Beginn des Prozesses in den periphersten Lamellenteilen, den Ver- zweigungsstellen der Lamellen, in caudal-ventralen Wurmabschnitten gegen- fiber den widerstandsf~higeren dorsal-vorderen (s. Abb. 25, 26), endlich das bevorzugte Befaltensein der caudalen Hemisph~renabschnitte fiber- haupt, wie es der ,,Frfihfall" 75/29 erkennen l ~ t . Wenn ich auf diese Einzelheiten nochmals zurfickgreife, so aus dem Grunde, well sie patho- genetisch interessante Hinweise nach zwei Richtungen zu geben ver- m6gen.

Einmal f~llt n~mlich eine auffatlend weitgehende (Ybereinstimmung in der Reihenfolge der befallenen Teile mit der der Markreifung auf. HMt man sich an die sorgf~ltigen Feststellungen de Sanctis' 52 (die yon sp~teren Untersuchern - - siehe Naito 4e, Jakob 31 __ nur in ffir uns unwesentlichen Einzelheiten revidiert wurden), so werden nicht nur Wurm und Flocken frfiher markreif als die Hemisph~ren, Vlies und Band des Dentatus mit Brachium conjunctivum viel frfiher als das zentrale Marklager und die Fibrae transversae pontis, sondern darfiber hinaus wird innerhalb der Hemisph~ren ein Vorangehen der Myelinisation in den zentralen Lamellenanteilen vor den peripheren beobachtet (bei erheblichen Schwankungen in den einzelnen Lamellen fiberhaupt), und im Wurm sind im allgemeinen die dorsalen und mittleren Partien besser markhaltig als die ventralen! Ffigt man dazu die auch von Naito 4~ hervorgehobene Beobachtung, dal~ innerhalb der Einzellamelle die lateralen Partien zuersb markhaltig werden, so ergibt sich eine wirklich ganz erstaunliche ~bereinstimmung mit dem Entmarkungsvorgang der

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894 Hans-Joachim Soberer:

~arksklerosen. Man kann direkt sagen: Bei diesen geht die Entmarkung im allgemeinen in der umgekehrten Reihenfolge vor sich, wie die Myelini- sation beim unreifen Individuum. Mit anderen Worten: Die bevorzugte Vulnerabilit~t der ontogenetisch sp~t reifenden Abschnitte s sich keineswegs nur in der altbekannten, hinreichend diskutierten Bevor- zugung der neocerebellaren Teile, sondern sie ist mit verbliiffender Treue bis in alle Einzelheiten hinein kopiert. Mehr als je ist danach die Anschauung begrfindet, dab wit es hier mit einem gesetzm~Bigen, dem Wesen des Prozesses irgendwie verbundenen Faktum zu tun haben. Und wenn uns dies ffir pathogenetische Fragen auch nichts greifbares Positives bietet, so genfigt es jedenfalls zu der eindeutigen negativen Feststellung, dab Gefi~Bver~nderungen ira fiblichen Sinne bei diesen ,,pr~senilen" Kleinhirnerkrankungen jedenfalls keine Rolle spielen*.

Die Bezeichnung ,,pr~senil" endlich ffihrt fiber die durch den Zeit- punkt der Erkrankung gegebene ~uBerliche Berechtigung hinaus auf grunds~tzlich wichtige innere Zusammenh~nge, wenn man die eben er6rterten Eigenheiten der Topik nicht nur nach der embryonalen, sondern nach der senilen SeRe hin vergleicht. Denn Gellerstedt land im physiologischen Senium eine Markatrophie des Kleinhirns, die zwar dem Grade nach weir hinter dem zuriickbleibt, was wir selbst als Frfihstadium des Prozesses hier sehen konnten, die aber in der Lokalisation in mehr- facher Richtung eine erstaunliche Gleichheit mit diesen NIarksklerosen aufzeigt. Dort wie hier sind die Zeichen der Markatrophie bzw. die Gliose am deutliehsten in den eaudalen Lappen (Semilunares), und hier wieder am ausgesprochensten in den peripheren Lamellenteilen und ganz besonders ihren Verzweigungspunkten! Ob auch in bezug auf die neoeerebellare Pr/~dilektion ~bereinsthnmung besteht, muB vorl/~ufig dahingestellt bleiben, weft in den auf andere Gesichtspunkte gerichteten Gellerstedtschen Untersuchungen hierauf nicht geachtet werden konnte. Da ich auf die allgemein wichtige Frage der Auffassung dieser Prozesse als Erseheinungsformen des ,,lokalen vorzeitigen Alterns" an anderer Stelle zurfickkomme, so sei hier nur auf zwei darpit in Zusammenhang stehende, unbedingt zum engeren Thema geh6rige Fragen kurz ein- gegangen.

Auf S. 371 konnte ieh darauf hinweisen, dab die eigentiimliche Lokalisation der Atrophie tardive ~ predominance cortieale eine weit- gehende ~bereinstimmung mit der yon Gellerstedt fiir die senile Rinden- atrophie gefundenen aufweist. DaB sich aueh diese mit der der physio- logiseh-senilen Marlcgliose keineswegs deckt, ist ein weiterer Hinweis

* Und doch 1/~flt das eigenartig Herdartige gemde der ersten L/~sionen, ihre perivascul~re Intensivierung und manches andere mehr wieder daran denken, dab irgendwclche, unseren heutigen morphologischen Methoden noch nicht zug/~ng- liche Zustands/mdcrungen in groBen Gef/~Bgebieten hier m6glicherwcise mitspielen m6gen.

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Beitrage zur pathologischen Anatomie des Kleinhims. III. 395

auf die innere Notwendigkeit der von mir hier vorgenommenen Trennung in Rinden- und Markprozesse, die eben sozusagen ein physiologisehes Vorbild besitzt. Im physiologischen Senium nun kommen die in ver- schiedenen Regionen lokalisierten Atrophien der Rinde und des ~Iarkes jewefls kombiniert vor, bei den pathologisehen Steigerungen aber im allgemeinen isoliert. Im allgemeineu: denn Ley as konnte einen Fall beobaehten, der anatomisch unzweifelhaft die Kombination einer olivo- pontocerebellaren Marksklerose mit einer typisch lokalisierten Atrophie tardive darstellte.

4. Ver~inderungen im iibrigen Zentralnervensystem.

Die zweite Frage, die bier der Vollst~ndigkeit halber kurz gestreift werden mul3 - - eine ausffihrliche Darstellung erfolgt gleiehfalls geson- dert - - ist die, ob sich denn das Leiden mit den genannten Ver- ~nderungen erschSpft, oder ob noch andere Teile des Zentralnerven- systems befallen werden. DaB das Riiclcenmark im wesentlichen bei den Marksklerosen unbeteiligt ist, wird im Gegensatz zu den oft mit Fried- reich-artigen Erkrankungen kombinierten jugendlichen ,,Heredoataxien" allgemein betont. Ieh mul3 dies (abgesehen yon den S. 392 erw~hnten Gli~verhiiltnissen) bestatigen, betone aber, dab ausnahmsweise auch die Kombination einer anatomisch typischen Marksklerose mit einer Fried- reich-~hnlichen Strangdegeneration vorkommt (Menze143, Thomas e5 Fall V, Maas-Scherer), seltene Fiille, die dann auch klinisch meist ab- weichend verlaufen (sehr frfiher Beginn, protrahierter Verlauf, Hinter- strangssymptome). Wieweit ihrer Art naeh zur Grundkrankheit gehSrige (durch begleitende Gefiil3- oder anderartige Erkrankungen bedingte Ver- iinderungen sind hier natfirlich auszuschlieBen) Gro~hirnerkrankungen vorkommen, dariiber liegen wenig stichhaltige anatomische Befunde vor *. Dagegen konnte ich einen neuen, soweit ich an Hand meiner F~lle beurteilen kann, konstanten Befund in Gestalt mehr oder weniger schwerer Nigraver~nderungen erheben: In allen F~llen land sich eine wechselndschwere, jeweils aber weit fiber das in diesem Alter bereits Physiologische hinausgehende Depigmentierung der Substantia nigra (und auch, soweit dies untersucht wurde, des Locus coeruleus). Wieder mul3 auf die yon Gellerstedt erhobene regelmiiBige (wenn auch im hSchsten Alter noeh viel geringffigigere) Pigmentstreuung der Nigra im Senium hingewiesen werden und ebenso auf die yon v. Braunmiihl 9 bei Pickscher Atrophie (einem gleichfalls prasenilen Prozel3) gefundene sehwere Nigra- veriinderung. Endlieh konnte ich in 4 F~llen auch eine Miterkrankung des striopallidi~ren Systems feststellen, und zwar in einer Form, die den

* In bezug auf die yon mir in einem Fall gefundene Stirnhirnrindenatrophie vcrwelse ich auI meine Mitteilung fiber das lokale Altern. Auch der yon v. Stau/]en- berg e4 publizierte Fall scheint hierher zu gehSren.

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896 Hans-Joachim Scherer:

Veranderungen bei Huntingtonscher Krankheit anzureihen ist. Die all- gemein interessante Auswertung dieser Befunde soll ira Zusammenhang mit der Besprechung des ,,lokalen Alterns" erfolgen, dort soll auch die ausffihrliche Besprechung des klinischen ~quivalentes dieser neuen Befunde gegeben werden: namlich schwerer extrapyramidaler StSrungen, die unter Umstanden das Bild vollkommen beherrschen kSnnen.

5. Zur kausalen Genese.

Was in diesem Zusammenhange interessiert, ist die Frage, was uns diese Veranderungen im extrapyramidalen System, sowie die Auffassung des gesamten Krankheitsgeschehens als ,,lokales vorzeitiges Altern" denn ffir die Pathogenese und ~4"tiologie des Leidens zu sagen haben. Zun~chst das eine, dab wir sie bis auf weiteres ebenso aufzufassen haben werden, wie die bisher (siehe Onari-Spatz) in diese Gruppe gerechneten Erkrankungen, die Picksche und Huntingtonsehe Krankheit *. N~mlich als ,,idiogene", durch auBere Faktoren nicht erklirbare ,,Atrophien im engeren Sinne". Natfirlich dringt sich sofort die Frage der Heredit~it auf. Leider ist das Resultat der bisherigen Untersuchungen recht negativ. In meinen Fallen ist nichts fiber erbliehe Belastung angegeben, und unter den doch nicht gerade wenigen Publikationen (siehe Tabelle) finden sich nur zwei. ,,positive": der Fall Winklers 70 und die zwar isolierte Beobachtung Keillers 32, die nach meinen Feststellungen konstanter Nigra- ver~nderungen eine erhShte Bedeutung gewinnt durch die Beobachtung schwerster Nigraveranderungen in allen Fallen. Diese trotz der mangel- haften Beschreibung als anatomiseh sichere olivo-pontocerebellare Atro- phien erkennbaren F~tlle sind mit der eigenartigen zeitlichen Anteposition (Mutter mit 45 Jahren, Kinder mit 32--37 Jahren gestorben) des Leidens in der jfingeren Generation auBerordentlich eindrucksvoll. Sie sollten dazu veranlassen, in Zukunft mit vermehrter Intensit~t in jedem Falle olivo- pontocerebellarer Marksklerose die Naehforsehung nach Erblichkeits- beziehungen aufzunehmen.

Im iibrigen habe ieh reich vergeblich bemfiht, in der einschlagigen Literatur brauchbare atiologisehe Gesichtspunkte sowie Anhaltspunkte daffir zu finden, daB etwa gleichzeitige andere Zeiehen vorzeitigen Alterns bestehen kSnnten. Es fiel mir ns bei meinen Fallen auf, daB einmal (8/30) das Leiden im AnschluB an eine RSntgenkastration auftrat, im Falle 75/29 mit dem Beginn des Klimakteriums zusammenfiel (dab meine simtliehen 5 Fille Frauen betreffen, ist, wie die Literaturfibersicht ergibt, ein reiner Zufall). Die Literaturangaben in dieser Richtung sind ]eider viel zu mangelhaft, um hier Zusammenh~nge (endokrine StSrungen) mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen zu kSnnen. So wird man

* Spatz neigt dazu, auch die ,,H6r6doataxic c6r6belleusc" hierhcr zu rcchnen. Die allgemeinen Gesichtspunkte in dieser Frage lassen dies gerechtfertigt erscheinen, rein morphologisch aber besteht dazu kein Anhaltspunkt.

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Beitrage zur pathologischen Anatomie des Kleinhirns. III. 897

vorl/~ufig das (kiinstliche oder natfirliche) Klimakterium bestenfalls als auslSsende Ursache betrachten diirfen, ebenso wie die sonst in der Literatur genannten ,,Hilfsursachen", unter denen eine Zeitlang besonders Lues und Alkoholismus (siehe Bakker) eine Rolle spielten. Daft sie als eigentliehe Ursache ernsthaft nieht in Frage kommt, geht sehon aus ihrer Inkonstanz hervor. In meinen 5 F/illen besteht keinmal Lues oder Alkoholismus. 1V[orphologiseh fallbare Hinweise auf eine AnlagestSrung sind in der Regel in diesen F/illen nicht zu linden, kommen aber aus- nahmsweise vor (in Gestalt yon Heterotopien, siehe Maas-Scherer).

Zur Einteilung und Terminologie der genuinen ](leinhirnatrophien. Hiermit sind die im Material der Forschungsanstalt vorliegenden

hierher gehSrigen Kleinhirnatrophien besprochen. Und es kann gesagt werden, daB, wie der l~berbliek der Literatur lehrt, damit mit ver- schwindenden Ausnahmen wirklich alle wesentlichen vorkommenden bzw. bisher bekannten Formen erschSpft sind. Denn die grol~e Zahl der verschiedenen Bezeichnungen in der Literatur beruht tells auf ver- schiedenen Namen fiir gleiche Zusti~nde (z. B. Atrophie lamelleuse cerebellofug~le Degeneration), teils auf der Aufstellung yon Krankheits- einheiten, die als solche bei n/~herer Betraehtung iiberhaupt nicht exi- stieren. Fiir ,,die" olivocerebellare Atrophie wurde dies vorn betont. Die olivo-rubrocerebellare Atrophie yon Lejonne-Lhermitte 39 __ eine vereinzelt gebliebene Beobachtung - - ist bereits von Brouwer und Bakker abgelehnt und als eine banale arteriosklerotisch bedingte Komplikation bezeichnet worden, deren Besonderheit sich nur aus dem Sitz und dadurch bedingten sekund/~ren Veriinderungen eines Erweichungsherdes zwanglos erkl/irt. Sehe ich ferner davon ab, dal] sehr viele F~lle, besonders der Mteren Literatur, wegen ihrer mangelhaften Besehreibung keine sichere Verifi- zierung mehr erlauben, so bleibt als einzige, hier nicht besprochene Form die ,,Dentatussystematrophie" von R. Hunt 3o iibrig: eine anatomisch auch vereinzelt gebliebene Beobachtung (klinisch 6 F/~lle) yon Dentatus- atrophie mit Degeneration der Bindearme. Dal~ Kombinationsformen * vorkommen kSnnen, besonders im Rahmen der ,,Altersatrophien", wurde durch den interessanten Fall von Ley belegt.

Die obenerw/ihnte Uneinheitlichkeit der Nomenklatur, die eine Orien- tierung in dem an sich nicht ganz leicht fibersehbaren Gebiet noch weiter erschwert, macht natiirlieh eine Vereinheitlichung dringend wfinschenswert. Dabei kann im Rahmen dieser Arbeit naturgem/il~ nur naeh anatomischen Gesichtspunkten gegliedert werden. Eine selbst/indige

�9 Viele anatomisch unklare, nicht recht rubrizierbare F~lle diirften aus Kom- plikation ,,genuiner" Kleinhirnatrophien durch banale, z.B. vascular bedingte StSrungen hervorgehen. So scheinen bei dem jiingst yon van Bogaert ~ verSffent- lichten Fall (1932) sicher vascular bedingtc Liickenfeldbildungen fiir die Eigenart des Falles mitverantwortlich zu sein.

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398 Hans-Joachim Scherer:

klinische Einteilung, die auch den anatomischen Tatsachen gerecht wird ist aus dem einfachen Grunde iiberhaupt nicht mSglich, weil eine klinische Differentialdiagnose der versehiedenen anatomisehen Bilder nicht durchfiihrbar ist: die verschiedensten Kleinhirnlasionen kSnnen kliniseh gleiche Symptome machen (siehe u. a. Brouwer). Deshalb scheint es mix empfehlenswert, sich zur vorlaufigen Verst~tndigung an die hier versuehte Gruppierung zu halten: Die Unterscheidung in Rinden- und Markprozesse, von denen die letzteren als einheitliche (olivo-ponto- cerebellare) Krankheitsgruppe auftreten, wahrend die ersteren teils durch ihre besondere Lokalisation (wie z. B. die Atrophie tardive), teils durch die Bevorzugung bestimmter Systeme im Sinne Bielschowskys eine weitere Gliederung gestatten. Eine Gliederung, die ausschlieBlich dem Zwecke einer klaren Verstandigung dienen kann, da ihr, wie hier gerade naehzuweisen versucht wird, Gesetzlichkeiten im Sinne yon Krankheits- einheiten nicht zugrunde liegen. Bezieht man die so besprochenen Formen auf die klinischen Bilder, so ergibt sich eine gewisse Einheitlich- keit auch wieder nur fiir die Marksklerosen, die, mit wenigen Ausnahmen, dureh einen bestimmten Zeitpunkt ihres Auftretens und im groBen ganzen eine ziemlich einheitliche Verlaufsdauer (Ausnahme siehe z. B. van Bogaert ~) sich yon den anderen Formen herausheben. Denn schon die anatomiseh so gut charakterisierte Atrophie tardive weist kliniseh offenbar reeht verschiedene Verlaufsformen (unter Umstanden Beginn sehon mit 20 Jahren bei 40jahriger Dauer, Kirschbaum-Eichholz) auf, und zwar in einer prozentual betraehtlichen Anzahl der F~lle. Und erst recht gilt dies fiir die ,,systematischen" Rindenprozesse: die cerebello- fugale Degeneration findet sich offenbar vorwiegend bei klinischer ,,Heredo- ataxie", kommt aber durchaus auch bei kliniseh ,,exogen" imponierenden Erkrankungen vor (Brouwer, Maas-Scherer). Die totaten Rindenatrophien scheinen sich besonders bei friihkindlichen Fallen (mit wenig charakte- ristisehen klinischen Symptomen) zu finden, doch sind dies alles nut sehr ungef~hr geltende Angaben. Eine auf Grund der neuen anatomischen Gesichtspunkte vorgenommene Revision der klinischen Einteilung dieser Prozesse kSnnte vielleicht zu manchen neuen Ergebnissen fiir Anatomie und Klinik fiihren.

Versucht man jetzt noch einmal, das diesen an sieh so verschieden aussehenden Fallen Gemeinsame herauszuarbeiten und damit ihre Zu- sammenfassung als ,,genuine Kleinhirnatrophie" zu rechtfertigen, so sind es kurz folgende positiven und negativen Gesichtspunkte.

1. Es handelt sich um ausgesprochenen symmetrische Erkrankungen.

2. Ihre Topik lal~t aueh sonst gewisse, sich immer wiederholende Gesetzma~igkeiten erkennen, die eine Bindung an ontogenetisch bestimmt charakterisierte Gebiete verraten: fiir die fiberwiegende ZahI der Formen handelt es sich um eine Pradilektion der neocerebellaren Abschnitte mit

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Beitr~ge zur pathologischen Anatomie des Kleinhirns. III. 399

nur zSgerndem spgten l~bergreifen auf die Altteile. Allein die Atrophie tardive zeigt das umgekehrte Verhalten.

3. Es handelt sich in jedem Falle qualitativ um ,,atrophisierende" Prozesse (Atrophien im engeren Sinne nach Onari-Spatz), charakterisiert durch ganz langsamen ,,unsichtbaren" Untergang der Gewebselemente insofern, als nennenswerte Abbauerscheinungen in keinem Stadium nachzuweisen sind.

4. ~uBere Ursachen oder morphologisch faI~bare pathogenetisehe Faktoren (etwa Gef~13ver~nderungen) sind entweder fiberhaupt nieht vorhanden oder kommen als hSchstens auslSsend deshalb in Frage, weft die gleichen Ursachen gew6hnlich nicht zu entsprechenden Vergnderungen fiihren.

In Wiederholung des einleitend Gesagtem mug betont werden, dal~ diese Gesichtspunkte fiir die Abgrenzung der F/~lle in praxi vSllig aus- reichen, wenn sie auch als theoretische Definitionen ebenso unbefriedigend sein mSgen, wie eben iiberhaupt die Definition aller ,,genuinen" Er- krankungen in der Medizin. Die Brauchbarkeit der hier gegebenen Abgrenzung bew/ihrt sich aber ohne weiteres bei der

Differentialdiagnose. Ernsthafte differentialdiagnostische Schwierigkeiten gegenfiber exo-

genen Prozessen gibt es hierbei fiberhaupt nicht. Die banalen L/ippchen- sklerosen k6nnen zwar unter Umst/~nden, besonders bei Epilepsien, recht groBe Bezirke einnehmen und auch bei anderen Ursachen (besonders Idioten, abet auch z.B. CO-Vergiftungen, siehe I. Mitteilung, Abb. 11) kann es wohl einmal zu Atrophien in ausgedehnten Bezirken kommen. Aber niemals sind diese derart generalisiert, wie in diesen F/~llen. Niemals weisen sie, wie ich nachweisen konnte (I. Mitteilung), eine Pr/idilektion in ontogenetisch bestimmt charakterisierten Gebieten auf, und niemals zeigt sich die fiir die genuinen Prozesse so typische Symmetrie. Es ergibt sich also auch diagnostisch als einzig positives Abgrenzungs- merkmal die Lokalisation bzw. Ausbreitung der Prozesse: dab die Qualit/it an sich nicht entscheidend ist, wurde vorn bereits nachdrficklich betont.

Bei den ,,Marksklerosen" k6nnte man an differentialdiagnostische Schwierigkeiten insofern denken, als auch zur ,,dfffusen Sklerose" gehSrige Prozesse im Kleinhirn ausgedehnte, noch dazu symmetrische Ent- markungen machen k6nnen, wie z. B. der Fall yon Gagel 20 oder der Fall ,,Holzapfel" yon Bodechtel.Guttmann 5 zeigen. Hier ist aber die Ent- scheidung ohne weiteres mSglich bei Beriicksichtigung der Tatsache, dab die Marksklerosen eben doch eine ganz bestimmt charakterisierte Ausbreitungsweise, etwas Systematisches an sich haben, w/ihrend wir es bei den diffusen Sklerosen stets mit einem (sei es auch noch so ausge- dehnten) Herd zu tun haben, der z. B. im Falle Holzapfel die Lamellen

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400 Hans-Joachim Scherer:

fiberhaupt nicht ergreift, sondern sich im Markzentrum, unter Ver- schonung dcr ,,U-Fasern", ausbreitet. In anderen F~llen sind die Ver- ~nderungen oft noch viel weniger ,,~hnlich". Entscheidend ist also nach dem Gesagten bier nicht die Symmetric, sondern eben das im ganzen Systematische gegenfiber dem HerdfSrmigen der dfffusen Sklerose. Sollten wirklich einmal diagnostische Schwierigkeiten auftauchen, so wfirde sie iibrigens das Gesamtbfld sofort beseitigen.

Bei den durch die unfibersichtlichen Literaturverhgltnisse gesehaffenen Schwierigkeiten, sich fiber die wesentlichen morphologischen Kriterien tier einzelnen Kleinhirnerkrankungen zu informieren, sei hier aber noch kurz zusammenfassend das Wichtigste fiber die Diagnostik der hier besprochenen gcnuinen Kleinhirnatrophien untereinander zusammen- gestellt.

Die makroskopische Betrachtung unterrichtet uns im allgemeinen nur fiber die Tats~che der symmetrischen Atrophie, ohne aber genauere Aus- kfinfte fiber die ira Einzelfall vorliegende Form zu geben. Bei den sich im sp~tcren Lebensalter entwickelnden Formen, besonders den Mark- sklerosen, pflegt iibrigens die Verkleinerung des Organs nicht hochgradig zu sein, und auch auf dem Schnitt besteht nur eine gewisse Abrundung tier L~ppchen, aber kein st~irkeres Klaffen der Furchen (siehe Abb. 19). Sehr hochgradig dagegen is t die Verkleinerung des Organs gewShnlich bei den vcrschicdenen Formen der kindliehen Atrophien. Auch ffir diese aber gilt der Satz, dab eine genauere Diagnose crst durch histologische Untersuchungen mSglich ist. Diese Regel hat eine wichtige Ausnahme: die ,,Atrophie c~r~belleuse tardive s predominance corticale" erlaubt durch ihren so ungemein charakteristischen Sitz auf den ersten Blick eine sichere makroskopische Diagnose. Das Klaffen der Furchen vorn, oben, median, das nach hinten, lateral und unten allm~hlich in die normale Gestaltung fibergeht, gibt schon beim Anblick von auBen, erst recht abcr auf dem Sagittalschnitt, ein absolut charakteristisches Bild (siehe Abb. 18). Die histologische Untcrsuchung gibt auch hier natfirlich fiber die feinercn Einzelheiten des Prozesses erst den nStigen AufschluI~, die Diagnose ist aber auch ohne sie mSglich.

Fiir ~lle anderen Formen aber ist auch diagnostisch unbedingt die histologische Untersuchung erforderlich. Am cinfachsten ist diese bei den Markskleroscn. Hier genfigt schon ein Holzer-Schnitt (sagittal durch eine ganze Hemisph/~re, mit kleinen, nur wenige Liippchen umfassendcn Schnitten ist nichts unzufangen) zur Diagnose: ])as Bfld der intensiven, die ganze Breite der Markstrahlen einnehmenden FasergIiose bei relativ intaktcr Rinde und gut erhaltcnem Vlies des Dentatus ist sehr charakte- ristisch. In beginnenden F~llen sehen wir eine ausgesprochen bfindelige Anordnung der Faserglia entsprechend dem Gef~l~verlauf, mit starker Intensivierung an Verzwcigungspunkten und Peripherie der Lamellen. Dies ist wichtig zur Unterscheidung vonder Fasergliose im Mark bci

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Beitri~ge zur pathologischen Anatomie des Kleinhirns. III. 401

starkem Purlcinje-Zellausfall. Sie dokumentiert sich am st~rksten bei elektiv eerebellofugaler Degeneration (siehe Maas-Scherer Abb. 6), deren Markbild schon durch die ausgesprochene Affektion des Dentatusvlies (siehe Maas-Scherer Abb. 5) zu den Marksklerosen in diametralem Gegensatz steht. Die physiologische Alterssklerose weist zwar, wie vorn betont, prinzipiell ~hnliche Verh~ltnisse auf wie die Marksklerosen, doch ist sie ihrem Grade nach relativ stets so geringfiigig, dab eine Ver- wechslung nicht vorkommen kann. Es ist also tats~chlich schon allein mit Hilfe des Holzer-Bildes eine siehere Abgrenzung dieser ~arksklerosen mSglich. Da~ sie aber in ausgesprochenen F~illen auch schon im Nissl- Pr~parat ein vSllig typisches Bild (besonders bei Lupenbetrachtung) geben, zeigt die Abb. 24: das au]~erordentlich dunkel getSnte Mark mit der hellen Aussparung des Dentatusvlies und der relativ gut erhaltenen Rinde ist auch hier unverkennbar.

Dagegen erfordert die Diagnostik der Rindenprozesse im allgemeinen eine detailliertere Untersuchung, deren Hauptmethoden Nissl-, Biel- schowslcy-, Markscheiden- und Holzer-F~rbung darstellen. Eine Total- atrophie ist natfirlieh schon durch jede einzelne der genannten Methoden allein erkennbar; bei ,,systematischen" Atrophien wird aueh oft das Nissl-Bfld schon allein weitgehend Aufschlu6 dariiber geben kSnnen, ob ein cerebellofugaler (fehlende Purkinje-Zellen, Gliose des Dentatusvlies) oder -petaler Typ (Pur]cinje-Zellen erhalten, KSrner gelichtet) vorliegt; doch ist gerade fiir letzteren, der eben weniger durch das Verhalten zelliger (der KSrner) als faseriger Elemente (Korb-, Moos-, Tangential- fasern) charakterisiert ist, die Anwendung der Bielschowsky-Methode unerl~l~lich. Soweit reine l~lle vorliegen, geniigt diese allein zur Diagnose. Bei den viel h~ufigeren ~bergangs- und Misehformen ist eine Anwendung der Holzer.Methode sehon allein deshalb nicht zu umgehen, weil nur sie Aufsch]uB dariiber gibt, ob ein Endzustand oder eine in Entwic]dung begriffene l~orm, also nur ein Stadium, vorliegt. Und gerade in dieser Arbeit habe ich reich bemfiht, zu betonen, da~ eine grunds~tzliche Klarstellung der Stadienverh~ltnisse fiber die Rubrizierung dieser F~lle entscheidet. Dem Fettbild kommt dabei nur eine recht untergeordnete Bedeutung zu, da eben das Fehlen eines Fettabbaues ein allen diesen Prozessen gemeinsames Charakteristikum gegenfiber allen ,,exogenen" Sehi~digungen ist.

Schwierigkeiten kSnnen noch entstehen bei Abgrenzung ausgedehnter Totalatrophien gegenfiber Aplasien. Man wird hier positive Beweise fiir den Mil~bildungscharakter fordern miissen in Gestalt yon zweifellos fehlerhaften Anlagen (z. B. abnorme Dentatusgestaltung, Heterotopien) oder des vSlligen Fehlens ausgedehnter Absehnitte. Dal~ eine vorliegende Fasergliose umgekehrt nicht gegen Mil~bildung spricht, konnte in dieser Arbeit ja ausdrfieklich naehgewiesen werden. Da die bisher beschriebenen F~lle yon Aplasien sich zudem dutch ihre auffallende ~hnlichkeit

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402 Hans-Joachim Scherer:

untereinander auszeichnen, wird ein gleiches Verhalten in jedem neuen Falle auch gerade fiir den Aplasiecharakter sprechen.

Ieh habe auch hier mit Absicht Wert darauf gelegt, die MSglichkeit einer Diagnosestellung aus dem Kleinhirnbefund allein hervorzuheben. Zur wissensehaftlichen K1/~rung jedes Falles aber gehSrt selbstverst/~ndlieh aueh die Untersuehung nieht nur der Anteile, sondern aueh des ganzen iibrigen Zentralnervensystems; die Nichtbeaehtung dieser Regel hat ja dazu gefiihrt, dab die hier als konstant festgestellten Ver~nderungen yon Nigra und Striatum bei olivo-pontoeerebellaren Marksklerosen bisher iibersehen wurden, Ver/~nderungen, die fiir die ganze Auffassung dieser Prozesse gerade yon aussehlaggebender Bedeutung sind.

SchluB. Die GrSBe des Materials erlaubt naturgem/~l~ keine Zusammenfassung

im iiblichen Sinne einer mehr oder weniger vollst/~ndigen Darstellung der Ergebnisse. Es kSnnen nur kurz noeh einmal die groSen Linien naehgezeiehnet werden, denen die hier gegebene Besehreibung der genuinen Kleinhirnatrophien folgte.

Es wird dabei prinzipiell untersehieden zw-ischen Rindenprozessen, die das Mark des Kleinhirns nur sekund/~r beteiligen (in morphologisch sehr eharakteristischer Art) und prim/~ren Markprozessen, bei denen die Rindenver/~nderungen ganz in den Hintergrund treten. Die letzteren stellen eine offenbar einheitliche Krankheitsgruppe dar, die den olivo- pontocerebellaren Atrophien der bisherigen Literatur entsprieht. Unter den Kleinhirnrindenerkrankungen aber finden sich morphologiseh recht heterogene Bflder ; doch wurde naeh M5glichkeit versueht, auch hier eine gewisse einheitliche Auffassung dadurch zu schaffen, da$ der Stadien- charakter als Grund vieler ,,Verschiedenheiten" unterstrichen wurde; auf diese Weise lassen sich viele bisher als prinzipiell verschieden erscheinende Ver/~nderungen doch auf einen gewissen gemeinsamen Nenner bringen. Dies wird unterstiitzt durch die Feststellung, da$ wir in vielen morphologischen Eigenheiten dieser Kleinhirnerkrankungen nichts ,,Spezifisches" vor uns haben, sondern Reaktionstypen sehen miissen, die sich bis in die exogenen Sch/~den hinein verfolgen lassen.

Die Abgrenzung der ,,genuinen" Atrophien gegen diese hat deshalb nicht so sehr auf Grund des ,,Systemeharakters", sondern vielmehr in Anbetracht der Ausbreitung, Lokalisation, und dabei besonders der Symmetrie der Ver/inderungen zu erfolgen. Zur Abgrenzung gegen MiB- bildungen sind ffir letztere in jedem Falle eindeutige Beweise zu fordern.

Der sorgfis Bearbeitung der formalen Genese kann in bezug auf die kausale wenig Neues gegeniibergestellt werden. Naeh wie vor spricht alles dafiir, dab wires mit konstitutionell bedingten, ,,idiogenen" Er- krankungen zu tun haben, ffir die die oft genannten /~ui~eren Ursachen nur als auslSsend in Frage kommen.

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Beitr~ge zur pathologischen Anatomie des Kleinhirns. I I I .

T a b e l l a r i s c h e Z u s a m m e n s t e l l u n g d e r L i t e r a t u r f i be r o l i v o - p o n t o e e r e b e l ] a r e A t r o p h i e n .

403

Autor

A rndt . . . . . . B a k k e r . . . . . van Boitaert-

B e r t r a n d Cass irer . . . . . Ddjdrine- T h o m a s . G u i l l a i n . M a t h i e u -

B e r t r a n d . . . .

Ke i l l e r Klinisch 4 ] Anato- Fiille

misch 3 M e n z e l . . . . . Scherer 75/29 . .

Scherer 1789 . .

Seherer 8/30 . . .

Scherer 2782 . .

S c h e r e r - M a a s . . Schus ter . . . . . Schweiger . . . . v. S tau / / enberg . . T h o m a s

(Th6se de Paris) Fall 4 . . . . . Fall 5 . . . . . (Revue neur.) .

W ink ler . . . . .

Unsichere F/~lle: F iclder . . . . .

Royet -Col le t . . .

Schul tze . . . .

w

33 1 9

3

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~ 2

66 61 46

55 52 42 49

Zeit der

47

48

46

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33 55 51 55

55 25 49

53

50

39

Tod Besondere Bemerkungen, Klinisches usw.

70 66 48

58 55 49 60

32 bis 37 40 53

55

50

60

45 59 58 62

60 41 55 59

56

57

43

Schnellst verlaufener Fall! Kombiniert mit priiseniler Demenz

Von L e y ver6ffentlieht als kombiniert mit Atrophie tardive!

Mutter an klinisch gleicher Erkrankung mit 45 Jahren gestorben

Kombiniert mit Fr i ed re i ch sch er Krankheit! Vorwiegend extrapyramidale Symptome

(Rigor, Maskengesieht, grobsehliigiger Tremor)�9 Schwere Blasenst6rungen, keine SprachstSrungen

Vorwiegend extrapyramidale Symptome (Maskengesicht, Rigor)

Schwere cerebcllare Sprachst6rung, Adia- dochokinese, Ataxie, Intensionstremor, Spasmen. Zuletzt paketartige Steifig- keit des ganzen K6rpers. Beginn nach R6ntgenkastration

Breitbeiniger, sehwerfi~lliger Gang, Dysar- thrie, keine Reflexsteigerungen, Blasen- Mastdarmparese

Kombiniert mit Fr iedre i chscher Krankheit

Kombiniert mit Fr i ed re i ch sch er Krankheit

Heredit~t

Klinisch typisch, anatomisch ungenfigend beschrieben

Offenbar typischer Fall, aber Kleinhirn nicht histologisch untersucht

Sehr wahrscheinlich typischer Fall

Literaturverzeichnis. 1 A r n d t , M . : Zur Pathologie des Kleinhirns. Arch. f. Psychiatr. 26 (1894). - -

2 B a k k e r , S . P . : Atrophia olivo-pontocerebellaris. Z. Neur. 89 (1924)�9 - - 3 Biel -

s chow sky , M . : Zur Histopathologie und Pathogenese der amaurotischen Idiotie,

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404 Hans-Joachim Scherer:

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