18
Bemerkungen zum risikotheoretischen Modell des Vergleichs von Ruckversicherungsformen aus der Sicht der Praxis* Von Thom as Mack, Miinchen In der Versicherungspraxis gibt es im wesentlichen nur vier verschie- dene Riickversicherungs-Vertragsformen, die in den Riickversicherungs- Beziehungen zwischen Erstversicherer und Riickversicherer eine Rolle spielen. Es sind dies der Quotenvertrag, der Summenexzedentenvertrag, der Schadenexzedentenvertrag und der Jahrestiberschadenvertrag, kurz Stop Loss genannt. Trotz dieser iibersichtlichen Auswahl stellt sich in der Praxis immer wieder die Frage, welche Riickversicherungsform in der gegebenen Situation die geeignetste ist. In der Lebensversicherung ist diese Frage nicht so relevant, da dort nur zwei Riickversicherungs- Vertragsformen praktische Bedeutung haben, so daB man sich im fol- genden vielleicht eher eine Nichtlebensgesellschaft vorstellt. Audi die Risikotheorie hat versucht, die Frage nach der geeignetsten Riickver- sicherungs-Form zu beantworten; und ihre beiden grundlegenden Aus- sagen sollen hier nailer vorgestellt und kommentiert werden. Die Risikotheorie miichte in ihren Modellen moglichst wirklichkeits- nah sein, und die zu untersuchende Frage hat ja auch einen sehr kon- kreten Praxisbezug. Die Modelle der Risikotheorie sollen aber auch transparent und insbesondere rechenbar sein (und zwar moglichst ana- lytisch, nicht nur numerisch), woraus sich manchmal ein gewisser Kon- flikt mit dem Bemiihen um Wirklichkeitsndhe ergibt. Daher soil der Frage, ob das hier zu besprechende Modell des Vergleichs von Riickver- sicherungs-Formen die relevanten Aspekte der Praxis ausreichend gut abbildet, besonderes Augenmerk zugewandt werden. Nach diesen Vorbemerkungen nun zum Modell: Fiir ein gegebenes Versicherungsportefeuille sei b der zur Bezahlung der Schaden angesetzte Teil der Jahresprâmie (d. h. also etwa die Bruttopramie abziiglich der kalkulatorischen Akquisitions- und Ver- waltungskosten sowie der Gewinnmarge), und S die ZufallsgrilBe des * tlberarbeitete und urn 3 Anhange erweiterte Fassung eines Vortrags vor der Mitgliederversammlung der Deutschen Gesellschaft fiir Versicherungs- mathematik am 30. 4. 1982. Der Verfasser dankt den Herren Dr. H.-R. Dienst, Prof. E. Helton, Dr. P. Albrecht und Dipl. Math. J. Hutter fiir wert- voile Hinweise.

Bemerkungen zum risikotheoretischen Modell des Vergleichs von Rückversicherungsformen aus der Sicht der Praxis

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Bemerkungen zum risikotheoretischen Modell des Vergleichs von Rückversicherungsformen aus der Sicht der Praxis

Bemerkungen zum risikotheoretischen Modell des Vergleichsvon Ruckversicherungsformen aus der Sicht der Praxis*

Von Thom as Mack, Miinchen

In der Versicherungspraxis gibt es im wesentlichen nur vier verschie-dene Riickversicherungs-Vertragsformen, die in den Riickversicherungs-Beziehungen zwischen Erstversicherer und Riickversicherer eine Rollespielen. Es sind dies der Quotenvertrag, der Summenexzedentenvertrag,der Schadenexzedentenvertrag und der Jahrestiberschadenvertrag, kurzStop Loss genannt. Trotz dieser iibersichtlichen Auswahl stellt sich inder Praxis immer wieder die Frage, welche Riickversicherungsform inder gegebenen Situation die geeignetste ist. In der Lebensversicherungist diese Frage nicht so relevant, da dort nur zwei Riickversicherungs-Vertragsformen praktische Bedeutung haben, so daB man sich im fol-genden vielleicht eher eine Nichtlebensgesellschaft vorstellt. Audi dieRisikotheorie hat versucht, die Frage nach der geeignetsten Riickver-sicherungs-Form zu beantworten; und ihre beiden grundlegenden Aus-sagen sollen hier nailer vorgestellt und kommentiert werden.

Die Risikotheorie miichte in ihren Modellen moglichst wirklichkeits-nah sein, und die zu untersuchende Frage hat ja auch einen sehr kon-kreten Praxisbezug. Die Modelle der Risikotheorie sollen aber auchtransparent und insbesondere rechenbar sein (und zwar moglichst ana-lytisch, nicht nur numerisch), woraus sich manchmal ein gewisser Kon-flikt mit dem Bemiihen um Wirklichkeitsndhe ergibt. Daher soil derFrage, ob das hier zu besprechende Modell des Vergleichs von Riickver-sicherungs-Formen die relevanten Aspekte der Praxis ausreichend gutabbildet, besonderes Augenmerk zugewandt werden.

Nach diesen Vorbemerkungen nun zum Modell:

Fiir ein gegebenes Versicherungsportefeuille sei b der zur Bezahlungder Schaden angesetzte Teil der Jahresprâmie (d. h. also etwa dieBruttopramie abziiglich der kalkulatorischen Akquisitions- und Ver-waltungskosten sowie der Gewinnmarge), und S die ZufallsgrilBe des

* tlberarbeitete und urn 3 Anhange erweiterte Fassung eines Vortrags vorder Mitgliederversammlung der Deutschen Gesellschaft fiir Versicherungs-mathematik am 30. 4. 1982. Der Verfasser dankt den Herren Dr. H.-R.Dienst, Prof. E. Helton, Dr. P. Albrecht und Dipl. Math. J. Hutter fiir wert-voile Hinweise.

Page 2: Bemerkungen zum risikotheoretischen Modell des Vergleichs von Rückversicherungsformen aus der Sicht der Praxis

326 Thomas Mack

akkumulierten Jahresschadenbetrags, dann ist Go = b — S die Zufalls-grOBe des versicherungstechnischen Ergebnisses des Bruttoportefeuilles(Brutto = vor Rtickversicherung). Der Einfachheit halber wird ange-nommen, daB das Portefeuille nur Risiken aus einer Sparte enthalt.

Durch Riickversicherung wird der Jahresschaden S in den Selbst-behaltsschaden Q und den vom Riickversicherer ubernommenen Scha-den R zerlegt: S = Q R, wobei Q und R ebenfalls ZufallsgrOBen sindmit 0 < Q, R < S. nir die Ubernahme des Schadenanteils R verlangtder Rtickversicherer eine Pramie b (R), von der angenommen wird, daBsie urn eine etwa vom Rtickversicherer vergiltete Provision bereits ver-mindert ist. Wegen dieses Ansatzes braucht im folgenden nicht zwi-schen proportionaler und nichtproportionaler Ruckversicherung unter-schieden zu werden.

Fiir das versicherungstechnische Ergebnis GI. des Nettoportefeuilles(Netto = nach Rtickversicherung) ergibt sich damit:

G 1 -- Go — (b (R) — R)

= (b — b (R)) — Q .

(in Worten: Nettoergebnis =

Bruttoergebnis minus Riickversicherungsergebnis

oder

Selbstbehaltsprfimie minus Selbstbehaltssch5den)

Die Risikotheorie interessiert sich nun nicht !Ur das Ergebnis eineseinzelnen Jahres, da dies stets zufalligen Charakter hat. Sie betrachtetvielmehr das Ergebnis, mit dem man ceteris paribus langfristig imSchnitt rechnen muB, das ist der sogenannte Erwartungswert. Wendetman also den Erwartungswert-Operator E auf die vorstehende Glei-chung an, so ergibt sich:

E (G 1) = E (Go) — (b (R) — E (R))•n•,,

k (R)

Der Ausdruck k (R) = b (R) — E (R), also Riickversicherungspramieminus Erwartungswert der vom Riickversicherer zu bezahlenden Scha-den, stellt die Kosten dar, die dem Erstversicherer im Mittel durch dieRiickversicherung entstehen. Und es handelt sich in der Tat urn Kosten,denn man kann natiirlicherweise davon ausgehen, daB auch der Riick-versicherer etwas mehr Prâmie verlangen muB, als er Schaden erwar-tet, d. h. daB k (R)> 0 ist. Auf diese mit k (R) bezeichneten Riickver-sicherungskosten wird spater noch nailer eingegangen. 1 Zunachst kann

1 In der Literatur wird der Begriff „Riickversicherungskosten" nicht ein-heitlich verwendet. Die hier gegebene Definition ist fiir risikotheoretischeTTherlegtmgen besonders geeignet. Doch ist darauf hinzuweisen, dal3 es sick

Page 3: Bemerkungen zum risikotheoretischen Modell des Vergleichs von Rückversicherungsformen aus der Sicht der Praxis

Risikotheoretisches Vergleichsmodell von Riickversicherungsformen 327

man also festhalten, daB das zu erwartende Nettoergebnis sich gegen-ilber dem zu erwartenden Bruttoergebnis urn die Riickversicherungs-kosten verringert. Dafilr bringt die Riickversicherung dem Erstversiche-rer auch Vorteile, nâmlich hauptsfichlich eine Verringerung des ver-sicherungstechnischen Risikos, d. h. das mit dem Nettoportefeuilleverbundene Risiko ist geringer als das mit dem Bruttoportefeuille Goverbundene Risiko.

Das versicherungstechnische Risiko besteht dabei darin, daB das jedesJahr konkret realisierte versicherungstechnische Ergebnis vom erwar-teten Ergebnis E (G0) bzw. E (G1) mehr oder weniger deutlich und zwarpositiv oder negativ abweicht. Ein Hauptziel der Riickversicherung istes, diese jdhrlichen Ergebnisschwankungen zu verringern. Das klas-sische MaB fiir die Ergebnisschwankungen ist die Varianz. Mit ihr 15.Btsich das Ziel der Verringerung des versicherungstechnischen Risikosdurch Rtickversicherung wie folgt formulieren: Die Varianz des Netto-portefeuilles soil deutlich geringer sein als die Varianz des Bruttoporte-feuilles, d. h.

Var (G 1) = Var (Q) < Var (S) = Var (G o) .

Die Varianz ist der Mittelwert der quadrierten Ergebnisabweichungenvom Erwartungswert; sie hat die Dimension (DM) 2 und fiihrt daher zuwenig anschaulichen Zahlenwerten. Deswegen wird oft die Quadratwur-zel aus der Varianz verwendet, das ist die sogenannte Standardabwei-chung. Im vorliegenden Fall kommt dies jedoch auf dasselbe heraus,denn wenn die Varianz des Nettoportefeuilles kleiner ist als die desBruttoportefeuilles, so gilt das auch fiir ihre Quadratwurzel, die Stan-dardabweichung, und umgekehrt.

Zum Vergleich des versicherungstechnischen Risikos von Brutto- undNettoportefeuille ist die Varianz (ebenso wie die Standardabweichung)nur ein sehr bedingt geeignetes Kriterium. Sie bewertet positive undnegative Abweichungen vom Erwartungswert (also Gewinne und Ver-luste) in gleicher Weise, und so braucht fur ein Nettoportefeuille trotzkleinerer Varianz die Wahrscheinlichkeit, eine bestimmte Verlustgrenzezu iiberschreiten, nicht notwendig geringer zu sein als fur das Brutto-portefeuille mit der grOBeren Varianz. Allgemein kann man sagen, daBder Hauptnachteil von Standardabweichung oder Varianz als MaB fiirdas versicherungstechnische Risiko darin besteht, daB jedes nur einenspeziellen Aspekt der moglichen Ergebnisabweichungen vom Erwar-tungswert miBt.

dabei nicht urn Kosten im betriebswirtschaftlichen Sinne handelt, sondernum den Erwartungswert der Differenz derjenigen Ausgaben und Einnah-men, die durch die Riickversicherung bedingt sind. Da aus der Sicht derRisikotheorie die Ausgaben iiberwiegen, ist die Bezeichnung „Rackversiche-rungskosten" sinnvoll.

Page 4: Bemerkungen zum risikotheoretischen Modell des Vergleichs von Rückversicherungsformen aus der Sicht der Praxis

328 Thomas Mack

Eine andere MOglichkeit, das versicherungstechnische Risiko zu quan-tifizieren, ist die Ruinwahrscheinlichkeit, d. h. die Wahrscheinlichkeitftir den Eintritt des Falles, daB die zu bezahlenden Schaden die Summevon Pramien und Reserven iibersteigen. Doch auch diese MaBzahl hatverschiedene Nachteile. Abgesehen davon, daB die Ruinwahrschein-lichkeit analytisch viel schwieriger zu behandeln ist als die Varianz,muB man zu ihrer Berechnung noch die line der verfiigbaren Reservenund den zu betrachtenden Planungshorizont festlegen. Hierbei kann essehr wohl eintreten, daB von zwei Riickversicherungsalternativen beieiner bestimmten ReservehOhe die eine Alternative, bei einer nur weniganderen Reservehtihe die andere Alternative zu niederer Ruinwahr-scheinlichkeit fahrt. Es bleibt dann ,evtl. unklar, inwieweit die Wahlder Reservehdhe bzw. des Planungshorizonts das Ergebnis beeinfluBthat. Ahnliche Situationen entstehen auch, wenn mehrere MaBzahlenwie Varianz, Ruinwahrscheinlichkeit, Schiefe u. a. zugleich zur Quanti-fizierung des versicherungstechnischen Risikos verwendet werden, wo-bei zur Entscheidungsfindung dann jeder MaBzahl ein bestimmten Ge-wicht zugeordnet werden muB, und sich bei unterschiedlichen Gewich-tungen unterschiedliche Entscheidungen ergeben kiinnen.

In hhnlicher Weise ist mittels einer sogenannten Nutzenfunktion eineindividuelle Bewertung der Gesamtheit aller moglichen versicherungs-technischen Ergebnisse eines Portefeuilles mtiglich. Dieser Weg wirdvon den Risikotheoretikern bevorzugt, obwohl man fiber das konkreteAussehen der Nutzenfunktion einer Versicherungsgesellschaft nur sehrwenig weiB. Jedoch gelang es bei verschiedenen Problemstellungen, fiireine grt513ere Klasse von Nutzenfunktionen zu Aussagen zu kommen, sodaB die Unsicherheit fiber das Aussehen. der Nutzenfunktion von Ver-sicherungs-Gesellschaften nicht mehr so schwer wiegt. Die Ergebnisseder Nutzentheorie bezilglich des Vergleichs von Rtickversicherungs-For-men sind sehr ähnlich wie bei Verwendung des Varianzkriteriums. DasVarianzkriterium ist sogar als Spezialfall (bei quadratischer Nutzen-funktion) im Ansatz mittels der Nutzentheorie enthalten. Im folgendenwird daher doch das transparentere Modell mit der Varianz als MaB filrdas versicherungstechnische Risiko dargestellt, zumal alle wesentlichenAspekte des Nutzentheorie-Modells auch auf diese Weise erlautert wer-den airmen. Beim Versuch, eine Riickversicherungsentscheidung in derPraxis anhand des darzustellenden Modells zu treffen, milBten jedochdie genannten Schwachen des Varianzkriteriums beriicksichtigt werden.Die wichtigsten Resultate des Ansatzes mittels der Nutzentheorie sindim Anhang 3 zusammengestellt; Anhang 2 enthalt die entsprechendenResultate der Ruintheorie.

Wenn man also anstrebt, die Varianz Var (Q) des Selbstbehalts durchRiickversicherung R = S — Q mtiglichst klein gegeniiber der Varianz

Page 5: Bemerkungen zum risikotheoretischen Modell des Vergleichs von Rückversicherungsformen aus der Sicht der Praxis

Risikotheoretisches Vergleichsmodell von Rtickversicherungsformen 329

Var (S) des Bruttoportefeuilles werden zu lassen, so gibt es in der Tateine optimale LOsung, namlich Q = 0 und R = S, d. h. totale Rtickver-sicherung. Doch dies ist selbstverstandlich auch die beztiglich der Mick-versicherungskosten k (R) teuerste LOsung. Es ist daher nur sinnvoll,Rtickversicherungsformen miteinander zu vergleichen, die gleichvielkosten. Die Frage lautet also: Gibt es unter alien Rtickversicherungs-formen R S — Q mit vorgegebenen Kosten k (R) = k0 eine, die dieVarianz Var (Q) des Selbstbehaltes minimiert? Zum selben Problem-kreis ftihrt auch die andersherum gestellte Frage: Welches ist die preis-lich giinstigste Rtickversicherungsform unter der Einschrànkung, daBdie Varianz des Selbstbehaltes eine vorgegebene, ftir tolerierbar ge-haltene line nicht ilbersteigt? Um diese Fragen angehen zu kOnnen,muB man zunachst untersuchen, wie hoch die in der Riickversicherungs-pramie b (R) steckenden Kosten k (R) air unterschiedliche Ruckversiche-rungsformen R sind. Es wird sich herausstellen, daB die Art des An-satzes fiir die Rtickversicherungskosten k (R) der Dreh- und Angelpunktdes ganzen Modells ist.

Die Risikotheorie hat ftir die Rtickversicherungskosten k (R) aller-dings gar keinen eigenen Ansatz entwickelt. Die Riickversicherungs-kosten k (R) werden ja definitionsgem5B von der Rtickversicherungs-prdmie b (R) gepràgt. Daher konnte die Risikotheorie auf das von ihrganz allgemein zur Berechnung von Pr5mien, egal ob Erstversicherungs-pràrnie oder Rtickversicherungspramie, entwickelte Modell zuriickgrei-fen. Dieses Pramienberechnungsmodell bezieht sich nur auf den Scha-denanteil in der Prdmie (die sogenannte Risikopramie), und beinhaltetzusàtzlich zum Erwartungswert des Schadens noch einen sogenanntenSchwankungszuschlag. Uber die Notwendigkeit dieses Schwankungs-zuschlags sind sich die Risikotheoretiker einig. Das Prâmienberech-nungsmodell der Risikotheorie stellt lediglich verschiedene Miiglichkei-ten — Prinzipien genannt — zur Verftigung, urn den filr ein Porte-feuille insgesamt erforderlichen Schwankungszuschlag auf die einzelnenRisiken — im vorliegenden Fall also die Rtickversicherungs-Vertrdge —aufzuteilen.

Die Pràrnie b (R) far die Schadenvariable R eines Rtickversidierungs-Vertrags kann gerna den bekanntesten Prinzipien auf eine der fol-genden drei Arten berechnet werden:

b 1 (R) = E (R) al. • E (R) , Erwartungswertprinzip, a 1 > 0

132 (R) = E (R) a2 • VVar (R) , Standardabweichungsprinzip, a2 > 0

b3 (R) = E (R) a3 • Var (R) , Varianzprinzip, a3 > 0

Dabei ist ai ein Parameter, der bewirken soil, daB die Summe der ein-zelnen Schwankungszuschlage den ftir das Portefeuille des Rtickver-sicherers insgesamt erforderlichen Schwankungszuschlag ergibt. Der

Page 6: Bemerkungen zum risikotheoretischen Modell des Vergleichs von Rückversicherungsformen aus der Sicht der Praxis

Varianzprinzip

Standardabweichungs-prinzip

Erwartungawertprinzip

E(R)

330 Thomas Mack

Parameter ai ist daher eine geschaftspolitische GraBe, deren Htihe vonder Portefeuillestruktur, der Reservekraft und dem Sicherheitsstrebendes Riickversicherers abhangt. Die unterschiedliche Wirkungsweise die-ser Pramienprinzipien kann graphisch wie folgt dargestellt werden:

Rlickversicherungspramie b(R)

A

Var(R)

Fidr zwei Risiken oder Schadenvariable RI, R2 mit gleichem Erwar-tungswert E (R i) = E (R2) ergibt also das Erwartungswertprinzip stetsdie gleiche Pramie bi (Ri) = bi (R2), auch wenn die Varianzen Var (Ri)und Var (R2) sehr unterschiedlich sind. Die beiden anderen Prinzipienfiihren dagegen bei dem Risiko mit der hOheren Varianz im Vergleichzu dem mit der niedrigeren Varianz zu einem htiheren Schwankungs-zuschlag und damit zu einer hiiheren Pramie trotz der tibereinstimmen-den Schadenerwartung. Dies ist offensichtlich auch risikogerechter. DieAnwendung des Erwartungsprinzips hingegen wiirde fur ein Rtickver-sicherungsportefeuille aus Summenexzedentenvertragen letztlich be-deuten, daB beim Ubergang auf Schadenexzedenten- oder Stop-Loss-Vertrage mit deutlich niedrigerer Schadenerwartung sich der Mr dasPortefeuille insgesamt verftigbare Schwankungszuschlag erheblich ver-mindert, obwohl die Schwankungen im Schadenverlauf des Portefeuil-les bei weitem nicht in entsprechendem Umfang geringer werden. Einesolche Verschlechterung des Sicherheitsniveaus wird durch die Anwen-dung des Standardabweichungs- oder des Varianzprinzips verhindert.Denn hierbei wird der individuelle Zuschlag zur Schadenerwartungnaherungsweise so bemessen, wie der jeweilige Rtickversicherungsver-trag zu den Schwankungen des Gesamtportefeuilles des Riickversiche-rers beitragt.

Die Risikotheoretiker haben lange diskutiert, welches dieser beidenPrinzipien das geeignetere ist. Jedes hat namlich gewisse wiinschens-

Page 7: Bemerkungen zum risikotheoretischen Modell des Vergleichs von Rückversicherungsformen aus der Sicht der Praxis

Risikotheoretisches Vergleichsmodell von Mickversicherungsformen 331

werte Eigenschaften, die das andere Prinzip nicht hat. Oder anders be-trachtet: Jedes der beiden Prinzipien hat gewisse Nachteile, die sichverzerrend auswirken airmen. Letztlich handelt es sich dabei urn die-selbe Problematik, die schon bei der Frage diskutiert wurde, ob die Va-rianz ein geeignetes MaB fiir das versicherungstechnische Risiko einesPortefeuilles ist; die Problematik namlich, die darin besteht, daB Va-rianz bzw. Standardabweichung nur einen Teilaspekt der gesamtenSchadenverteilung von R darstellen. AuBerdem kommt hinzu, daB alledrei genannten Pramienprinzipien einen etwaigen Zusammenhang zwi-schen dem jeweils zu tarifierenden Vertrag und dem bereits bestehen-den Portefeuille des Riickversicherers — also das, was die PraktikerKumul nennen — nicht berLicksichtigen. Insgesamt ist festzuhalten, daBStandardabweichungs- und Varianzprinzip den Forderungen an einideales Pramienprinzip nur teilweise gerecht werden, daB sie aber ge-gentiber ,dem Erwartungswertprinzip im ailgemeinen vorzuziehen sind.Zwar gibt es noch weitere Pr5mienprinzipien, doch braucht auf diesenicht eingegangen zu werden, da fiir sie keine Resultate beztiglich desVergleichs von Riickversicherungs-Formen vorliegen.

Nun klinnen die beiden Hauptresultate der Risikotheorie zur Frage„Welche Riickversicherungs-Form liefert bei vorgegebenen Riickver-sicherungskosten dem Erstversicherer das an der Varianz des Selbst-behaltes gemessene, geringste versicherungstechnische Risiko?" formu-liert werden:

Satz (Borth 1960, Kahn 1961, Pesonen 1967): Berechnet der Riickver-sicherer bei alien Rtickversicherungsformen R die Riic.kversicherungs-pramie b (R) gemaB dem Erwartungswertprinzip, d. h. betragen dieRiickversicherungskosten k (R) = b (R) — E (R) = al E (R) mit festemParameter al, dann minimiert unter alien R mit vorgegebenemk (R) ko die unlimitierte Stop-Loss-Riickversicherung die VarianzVar (Q) des Selbstbehalts des Erstversicherers.

Satz (Beard, Pentikainen, Pesonen 1969): Berechnet der Riickver-sicherer bei allen Riickversicherungsformen R die Riickversicherungs-

b (R) entweder stets gemaB dem Standardabweichungsprinzip,

d. h. es ist k (R) = a2 • V Var (R) mit festem Parameter a2, oder stets ge-maB dem Varianzprinzip, d. h. es ist k (R) = a3 Var (R) mit festem Pa-rameter a3, dann minimiert unter allen R mit vorgegebenem k (R) = kodie Quotenriickversicherung die Varianz Var (Q) des Selbstbehalts desErstversicherers.

Als erstes ist auf einige formale Vorziige dieser Satze hinzuweisen.Zungchst Mit auf, daB die Aussage beider Satze iiberhaupt nicht vonder Schadenvariablen S des betrachteten Erstversicherungsportefeuilles

Page 8: Bemerkungen zum risikotheoretischen Modell des Vergleichs von Rückversicherungsformen aus der Sicht der Praxis

332 Thomas Mack

abhangt. Die Sdtze gelten also fiir jedes Portefeuille und jede Branche,ja sogar air eine beliebige Kombination von Branchen — eine etwasunerwartete, aber sehr angenehme Eigenschaft. Ebenso hat das Niveauko der Riickversicherungskosten k (R) auf die resultierende Riickver-sicherungsform keinerlei EinfluB; d. h. wenn nur wenig ftir Riickver-sicherung ausgegeben werden soil, ergibt sich dieselbe Mickver-sicherungsform, wie wenn die Rilckversicherungskosten in der Mlleihres Maximalwerts k (S) liegen. therraschend ist auch die Tatsache,daB diese beiden Satze eine Verbindung herstellen zwischen rein risiko-theoretisch postulierten Pramien- und Optimalitatsprinzipien und zwi-schen Riickversicherungsformen, die unabhangig von aller Risikotheorieschon lange in der Versicherungspraxis einen festen Platz haben — eshatten ja auch ganz unilbliche Riickversicherungsformen herauskommenkiinnenl Als letzter Vorzug ist anzufiihren, daB die Beweise beiderSatze verbliiffend kurz und elementar sind (siehe Anhang 1).

Soweit die Darstellung der Risikotheorie. Das Ergebnis der beidenSatze ist sicher etwas uberraschend fiir den Praktiker, insbesondere diehier bewiesene optimale Position der Quotenriickversicherung — dieStop-Loss-Riickversicherung erfordert zur Optimalitat ja ein ungeeig-netes Pramienprinzip seitens des Riickversicherers; auBerdem ist sie inunlimitierter Form auf dem Riickversicherungsmarkt nicht verfiigbar.In der Praxis hat die Quoten-Rtickversicherung jedoch keine besondersherausragende Stellung; diese wird — ausgenommen in der Haftpflicht-versicherung — vielmehr von der Summenexzedenten-Riickversiche-rung eingenommen. Es stellt sich also die Frage: Wo liegt der Fehler? Inder Praxis oder im Modell?

Beim Vergleich der beiden Satze fallt auf, daB das Resultat, d. h. dieoptimale Riickversicherungsform, ausschlieBlich vom Pramienprinzipdes Riickversicherers abhangt. Ein Wechsel des Pramienprinzips bewirkteine gewaltige Anderung der optimalen Riickversicherungsform, dennQuote und Stop Loss sind zwei grundverschiedene Rtickversicherungs-formen. Es liegt also nahe, zu tiberprtifen, ob die in den Satzen unter-stellten Pramienprinzipien mit der bei Riiqkversicherungsvertragenpraktizierten Pramienfestsetzung iibereinstimmen.

Zunachst mag bei den Riickversicherungspraktikern iiberhaupt derEindruck bestehen, daB zumindest in der proportionalen Riickversiche-rung in der Mickversicherungs-Pramie keinerlei Schwankungszuschlagenthalten ware. Doch die proportionale Aufteilung der Erstversiche-rungspramie gewahrleistet gerade, daB der Riickversicherer auch denentsprechenden Anteil am Schwankungszuschlag des Erstversicherersbekommt, wenn die Riickversicherungsprovision mit den Originalkosteniibereinstimmt. Daneben hat der Riickversicherer durch eine von den

Page 9: Bemerkungen zum risikotheoretischen Modell des Vergleichs von Rückversicherungsformen aus der Sicht der Praxis

Risikotheoretisches Vergleichsmodell von RUckversicherungsformen 333

Originalkosten abweichende Rtickversicherungsprovision die MOglich-keit, den Schwankungszuschlag anzustreben, der entsprechend dem vonihm angewandten Pramienprinzip auf den in Frage stehenden Riickver-sicherungsvertrag entfdllt. So ist z. B. die Riickversicherungsprovisionftir einen 2. (Summen-)Exzedenten in den Nichtlebenssparten fast immerniedriger als ftir einen 1. Exzedenten, da der 1. Exzedent nach allge-meiner Erfahrung weniger schwankend verlauft. Aus dieser Tatsachekann man schlieBen, daB zumindest in der Nichtlebens-Ruckversiche-rung nicht das Erwartungswertprinzip angewandt wird.

Wenn man sich den eingangs dargestellten Zusammenhang zwischenBrutto- und Nettoportefeuille wieder ins Gedachtnis zurtickruft, wirdschnell klar, daB die Riickversicherungskosten k (R), die j a definiert sindals Differenz zwischen Rtickversicherungsprdmie b (R) und Erwartungs-wert der Rtickversicherungsschaden E (R), nicht nur einen Schwankungs-zuschlag enthalten. Sie enthalten auf jeden Fall auch eine Marge fiirdie anteiligen Verwaltungskosten des Rtickversicherers. Auch dem Erst-versicherer entstehen durch die Rfickversicherung gewisse Bearbeitungs-kosten, die eigentlich zur Riickversicherungspramie b (R) bzw. zu denRiickversicherungskosten k (R) hinzuzurechnen sind, da es sich insge-samt ja urn nberlegungen aus der Sicht des Erstversicherers handelt.Das heiBt, daB die Pramienprinzipien der Risikotheorie, die ja die Frageder Verwaltungskosten absichtlich unberiicksichtigt lassen, der hier zubehandelnden Frage der Riickversicherungskosten gar nicht gerechtwerden. Denn es leuchtet unmittelbar ein, .daB hier die Verwaltungs-kosten nicht ausgeklammert werden kiinnen, da sonst zwei zunachst alsgleichteuer verglichene Rtickversicherungsvertragsformen zu letztlichdoch sehr verschiedenen Kosten air den Erstversicherer ftihren kiinnen.

Die Berechnung der Riickversicherungskosten k (R) mittels der Pra-mienprinzipien kiinnte nur darn beibehalten werden, wenn der Ver-waltungskostenanteil dieselbe Abhangigkeit vom Riickversicherungs-schaden R aufweisen wiirde wie der Schwankungszuschlag. Man kannjedoch wohl kaum davon ausgehen, daB die anteiligen Verwaltungs-kosten durchwegs proportional zu Erwartungswert, Standardabwei-chung oder Varianz des Riickversicherungsschadens sind. So werdenz. B. in der Sachversicherung ein Quotenvertrag und ein Schadenexze-dentenvertrag weder bei gleichem Erwartungswert nosh bei gleicherVarianz den gleichen Verwaltungskostenzuschlag erhalten, denn beimRtickversicherer sind die Verwaltungskosten in jedem Fall ftir denSchadenexzedenten hoher, insbesondere wegen der viel schwieriger be-stimmbaren Mille der angemessenen Riickversicherungsprdmie, und diebeim Erstversicherer anfallenden Rtickversicherungs-Bearbeitungskostendtirften in der Sachversicherung ebenfalls eher bei der Quote als beimSchadenexzedenten niedriger sein.

Page 10: Bemerkungen zum risikotheoretischen Modell des Vergleichs von Rückversicherungsformen aus der Sicht der Praxis

334 Thomas Mack

Daneben ist nosh ein Fixkosten-Effekt zu beriicksichtigen, d. h. daBein gewisser Kostenbetrag nicht unterschritten wird, auch wenn Er-wartungswert oder Varianz des Riickversicherungsschadens R sehr kleinsind. Allgemein wird man sagen kiinnen, daB die den Riickversiche-rungskosten k (R) zuzurechnenden Verwaltungskosten eher von derRiickversicherungs-Vertragsart abhangen als von einem Parameter derSchadenvariablen R.

Eine weitere Unsicherheit beziiglich der funktionalen Abhangigkeitder Riickversicherungskosten k (R) vom Riickversicherungsschaden Rkommt dadurch zustande, daB besonders in den Nichtlebenssparten dieGestalt der Schadenverteilung des Portefeuilleschadens S und damitauch des Riickversicherungsschadens R nicht gendgend genau bekanntist. Das Modell der Risikotheorie geht ja davon aus, daB die zur Berech-nung der Riickversicherungsprthnie b (R) = E (R) k (R) erforderlichenParameter E (R) und Var (R) gegeben sind. In der Praxis kOnnen sieaber lediglich aus den Daten der Vergangenheit statistisch geschatztwerden, und diese Schatzwerte werden daher insbesondere in der Nicht-lebens-Riickversicherung von ihrem (nur in der Theorie existierenden)wahren Wert mehr oder weniger deutlich abweichen. Diese Abweichung,deren GrOBe und Vorzeichen unbekannt bleibt, mindert oder erhOht diekalkulatorischen Riickversicherungskosten. Auch das Anderungsrisiko,das beinhaltet, daB die ktinftigen Realisierungen der Zufallsgrine Sbzw. R von den vergangenen statistisch signifikant abweichen, kann inderselben Weise einen stark verzerrenden EinfluB ausiiben. DieseSchatzunsicherheiten sind offenbar in gewisser Weise von der Vertrags-form abhangig, denn sie sind besonders gravierend bei Schadenexzeden-ten- und Stop-Loss-Vertrâgen, die sich nur auf die Deckung wenigerExtremereignisse beschranken. SchlieBlich betrifft das Problem derSchatzunsicherheit natfirlich neben der Quantifizierung der Riickver-sicherungskosten auch die Quantifizierung der Varianz Var (Q) desSelbstbehalts, d. h. der GrtiBe, die das Entscheidungskriterium darstellt.

Nach alledem kommt man urn die Erkenntnis nicht herum, daB diegenaue Form der Kosten-Funktion k (R) unklar bleibt, daB sie aber sogut wie sicher mit keiner der in den beiden Satzen unterstellten reinenFormen der drei Prdmienberechnungsprinzipien iibereinstimmt. Darausist zu folgern, daB weder Quote nosh Stop Loss notwendigerweise dieRiickversicherungsform sind, die die Selbstbehaltsvarianz des Erst-versicherers minimiert.

Bezilglich der beiden anderen Hauptformen der Riickversicherung,namlich dem Summenexzedenten und dem Schadenexzedenten (die inder Lebensversicherung zusammenfallen), kennt auch die Risikotheoriekeine Kostenfunktion k (R), unter der eine dieser beiden Riickversiche-

Page 11: Bemerkungen zum risikotheoretischen Modell des Vergleichs von Rückversicherungsformen aus der Sicht der Praxis

Risikotheoretisches Vergleichsmodell von Riickversicherungsformen 335

rungsformen optimal ware (optimal im Sinne einer minimalen VarianzVar (Q) des Erstversicherers bei vorgegebenen Riickversicherungskostenk (R)). Nachdem man die Rilckversicherungskosten der Versicherungs-praxis wohl am ehesten durch eine Mischung von erwartungswert- undvarianzabhangigen Kosten (mit einem von der Vertragsform abhangen-den Mischungsverhaltnis) beschreiben kann, liegt es nahe anzunehmen,daB die im genannten Sinn optimale Ruckversicherungsform eine Misch-form zwischen Quote und Stop Loss ist. Es ist daher nicht auszuschlie-Ben, daB Summenexzedent oder Schadenexzedent eine bessere Approxi-mation als das unbekannte Optimum darstellen kOnnten als Quote oderStop Loss. Doch hierbei handelt es sich um eine reine Vermutung; Tat-sache ist, daB die Frage nach der optimalen Riickversicherungsformof fen bleibt.

Neben dem Versuch der Risikotheorie, die Frage nach der optimalenRiickversicherungsform in mOglichst groBer Allgemeinheit analytisch-deduktiv zu Ibsen, hat es auch verschiedentlich in konkreten Einzelfallenheuristisch-induktive Ansatze gegeben. Hierbei wurden fiir eine gege-bene oder unterstellte Bruttoschadenverteilung einfach verschiedeneAlternativen von Riickversicherungsformen oder Ruckversicherungs-programmen durchgerechnet, moist mit Hilfe von EDV-gestiitzten Simu-lationen. Als Ergebnis erhalt man fiir jede Alternative die entsprechendeNettoschadenverteilung des Selbstbehaltes bzw. gewisse Parameter der-selben (wie z. B. Erwartungswert, Varianz, Schiefe, Perzentilen). Aberauch solche Versuche, die gerade in jtingster Zeit durch eM Preisaus-schreiben (Nederlandse Reassurantie Groep 1981) wieder aktuell wur-den, kommen letztlich nicht an der Problematik der Riickversicherungs-kosten vorbei. Und hier wurde in keinem Fall soweit gegangen, tatsach-lich konkrete Angebote einzuholen, was mtiglicherweise auch gar nichtdurchfiihrbar ware. Vielmehr wurde auch hier wieder mit Pramien-prinzipien der Risikotheorie gearbeitet, bzw. das Problem der Wick-versicherungskosten nicht mitbehandelt. Aus diesem Grund haftet denErgebnissen dieser Versuche also dieselbe Schwache an wie den beidenSatzen der Risikotheorie.

Zusammenfassend kann also folgendes festgehalten werden: Die vor-gestellten Resultate der Risikotheorie sind einfach formulierbar, einfachbeweisbar und stellen somit ein sehr transparentes Modell dar. Siezeigen — was eigentlich schon bei der prazisen Formulierung der Frage-stellung klar wird — daB die Form der aus Sicht des Erstversiche-rers optimalen Ruckversicherung entscheidend von den Riickversiche-rungskosten abhangt, die sich als Differenz von Riickversicherungspreisund Riickversicherungsschadenerwartung ergeben. Bei naherer Analyseder Bestandteile dieser Mickversicherungskosten stellt sich heraus, daBman in der Praxis den Zusammenhang zwischen der ZufallsgrOBe des

Page 12: Bemerkungen zum risikotheoretischen Modell des Vergleichs von Rückversicherungsformen aus der Sicht der Praxis

336 Thomas Mack

riickversicherten Schadens und der Hiihe der Riickversicherungskostenauch nicht annghernd in der benOtigten funktionalen Form quantifizie-ren kann. Man kann jedoch evident machen, daB keine der beiden An-nahmen der Risikotheorie einer erwartungswert- bzw. varianzabhan-gigen Kostenfunktion erfiillt ist. Dies bedeutet, daB die entsprechendenResultate der Risikotheorie keinen Anspruch auf eine Anderung derVersicherungspraxis erheben kOnnen.

Auch wenn es in einer speziellen Situation moglich sein sollte, dieKostenfunktion hinreichend gut zu bestimmen, kann sich die Risiko-theorie zwar bemiihen, bei Kenntnis dieser Kostenfunktion die zuge-hdrige optimale Illickversicherungsform zu ermitteln. In der Praxis wirdes jedoch nicht so sein, daB der Rilckversicherer dem Erstversicherersamtliche Details seiner Kalkulation ftir die verschiedensten Variantennennt, und dieser sich dann die ihm genehme Riickversicherungsformaussuchen kann. Der Rfickversicherer nennt vielmehr nur den Gesamt-preis, und auch das nur fiir einige wenige Alternativen, da — abgesehenvon Kostengriinden — die ihm vom Erstversicherer zur Verfilgung ge-gestellten Informationen moist mehr nicht ermOglichen. Daneben be-rticksichtigt er natilrlich auch das Bestehen weiterer Riickversicherungs-vertrage mit demselben Erstversicherer. So sind gerade in der Riick-versicherung der konkrete Preis und damit die darin enthaltenenKasten ausschlieBlich das individuelle Ergebnis der abwagendenlegungen der beiden Beteiligten. Allein diesen beiden bleibt es daheriiberlassen, ob sie einen ihrer individuellen Beziehung entsprechendenoptimalen Gleigewichtspunkt finden kiinnen.

Anhang

Beweise der beiden zitierten Satze der Risikotheorie

Satz (Borth 1960, Kahn 1961, Pesonen 1967): Berechnet der Rtickversichererbei alien Rtickversicherungsformen R die Rakversicherungspramie b (R)gemai3 dem Erwartungswertprinzip, d. h. betragen die Rtickversicherungs-kosten k (R) = b (R) — E (R) = a1 • E (R) mit festem Parameter al, dannminimiert unter allen R mit vorgegebenem k (R) = ko die unlimitierte Stop-Loss-Rtickversicherung die Varianz Var (Q) des Selbstbehalts des Erstver-sicherers.

Beweis: Die ZufallsgrOfie des Selbstbehalts- bzw. Riickversicherungs-schadens unter einer unlimitierten Stop-Loss-Riickversicherung ist gegebendurch:

S falls S mQ. =

m falls S > m bzw. Rm = S — Q. .

Die „Prioritdt" in wird dem Kostenniveau entsprechend so festgelegt, daBk (Rm) = al • E (Rm) = ko gilt. Dies ist ftir 0 < ko < al. • E (S) stets mOglich,

Page 13: Bemerkungen zum risikotheoretischen Modell des Vergleichs von Rückversicherungsformen aus der Sicht der Praxis

Risikotheoretisches Vergleichsmodell von Riickversicherungsformen 337

da E (R.) stetig monoton fallend in m ist mit E (R 0) = E (S) und E (R,„) = 0.Sei nun Q der Selbstbehaltsschaden bei einer beliebigen anderen Riickver-sicherungsform mit gleichem Kostenniveau, also mit k (S — Q) = al • E (S — Q)=k0. Es ist zu zeigen, daB Var (Qm) < Var (Q) gilt.

Aus al • E (S — Q) = ai • E (S — Qm) folgt E (Q) = E (Qm) und daraus

(1) (E (Q) — m)2 = (E (Qm) — m)2

Bezeichnet f (x) die Verteilungsdichte des Jahresbruttoschadens S und istQ als Funktion Q = Q (S) von S darstellbar, so gilt

(2) E (Q — m)2 = o f (Q (x) — m)2 f (x) dx

o (Q (x) — 7n)2 f (x) dx

o f m (X - 77 )2 f (x) dx (wegen Q (S) S)

= of m (Q. (x) — rrt) 2 f (x) dx (nach Definition von Qm)

= of (Qm (x) — m) 2 f (x) dx (nach Definition von Qm)

= 0 f E (Qm — m)2 .

Aus (1) und (2) folgt die Beziehung

Var (Q) = Var (Q — = E (Q — m)2 (E (Q 702

E (Qm — nt)2 — (E (Qm — m))2 = Var (Qm — m) = Var (Qm) .

Damit ist der Satz fiir solche Riickversicherungsformen bewiesen, bei denensich der Selbstbehaltsschaden Q als Funktion Q = Q (S) des Jahresbrutto-schadens S darstellen Mt. Dies ist jedoch z. B. fiir Summen- oder Schaden-exzedentenvertrage nicht erfiillt. Den in diesem Fall erforderlichen weiterenBeweisschritt hat Pesonen gezeigt:

Ist Q ein beliebiger nicht als Funktion von S darstellbarer Selbstbehalts-schaden mit k (S — Q) = k0, dann stellt auch der bedingte ErwartungswertQ : = E (Q S) die ZufallsgroBe eines Selbstbehaltsschadens dar, die jedocheine Funktion von S ist, und Mr die nach den grundlegenden Beziehungen far

bedingte Erwartungswerte E (Q) = E (Q) sowie Var (Q) < Var (Q) gilt. WegenE (Q) = E (Q) hat Q dasselbe Kostenniveau at • E (S — Q) = a l • E (S — Q) == k (S — Q) ko wie Qm, und nach dem oben Bewiesenen gilt daherVar (Q) > Var (Q,n). Insgesamt ergibt sich also Var (Q) Var (Q) Var (Qm),was besagt, daB jeder beliebige Selbstbehaltsschaden Q auf keinen Fall eineniedrigere Varianz hat als der kostengleiche Stop Loss Qm.

W. Z. z. W.

Der Satz von Beard, Pentikdinen und Pesonen kann etwas allgemeinerfilr jedes Pramienprinzip b (R) = E (R) h (Var (R)) mit einer stetigen, strengmonoton wachsenden Funktion h bewiesen werden. Das Varianzprinzip ergibtsich durch h (x) = a3 x, das Standardabweichungsprinzip durch h (x) = a2 117c.

Satz (Beard, Pentikdinen, Pesonen 1969): Berechnet der Rfickversicherer beialien Riickversicherungsformen R die Riickversicherungspramie b (R) gemalieinem von der Varianz abhangenden Pramienprinzip derart, daB die Rack-versicherungskosten k (R) = b (R) — E (R) = h (Var (R)) betragen mit einerfesten, stetigen und streng monton wachsenden Funktion h, dann minimiertunter alien R mit vorgegebenem k (R) = }co die Quotenrfickversicherung dieVarianz Var (Q) des Selbstbehalts des Erstversicherers.

22 Zeitschr. f. d. ges. Versicherungsw. 2-3

Page 14: Bemerkungen zum risikotheoretischen Modell des Vergleichs von Rückversicherungsformen aus der Sicht der Praxis

338 Thomas Mack

Beweis: Wegen der strengen Monotonie von h existiert die Umkehrfunk-tion h- 1 . Aus k (R) = h (Var (R)) = kp folgt also Var (R) h-1 (ko). In derGleichung

Var (Q) = Var (S — R) = Var (S) — 2 • Cov (S, R) Var (R)

ist damit neben Var (S) auch der Wert von Var (R) festgelegt. Das Minimumvon Var (Q) wird also fiir das Q = S — R erreicht, fiir das Coy (S, R) oder

Cov (S, R)r (S, R) — maximal wird. Filr den Korrelationskoeffizien-

V Var (S) • Var (R)ten r gilt allgemein: — 1 < r (S, R) < + 1. Der maximale Wert -I- 1 wird fiirR = qS mit q > 0 erreicht wegen Cov (S, qS) = q • Var (S) und r (S, qS) =

q • Var (S) — 1. R = qS bzw. Q = (1 — q) S stellt eine Quoten-

V Var (S) • q2 Var (S)

Riickversicherung dar. Der Wert von q wird aus q2 Var (S) Var (R) == h - 1 (k0) berechnet.

W. Z. Z. W.

Anhang 2

Resultate der Risikotheorie bezgl. der Quantifizierung desversicherungstechnischen Risikos mit Mlle der Ruinwahrscheinlichkeit

Aussagen zur Frage,welche Riickversicherungsform bei vorgegebenen Mick-versicherungskosten die Ruinwahrscheinlichkeit minimiert, sind nicht be-kannt. Dies liegt zum Teil sicker daran, dal3 fiir die Ruinwahrscheinlichkeiti. a. keine explizite Formel angegeben werden kann. Die Ruinwahrschein-lichkeit kann aber bekanntlich im Falle poissonverteilter Schadenzahl mitHilfe des sogenannten Sicherheitsindex s > 0 in der Form

Ruinwahrscheinlichkeit < cs (mit 0 < c < 1)

nach oben abgeschatzt werden (vgl. z. B. Gerber 1980, Seite 118). DieserSicherheitsindex s ergibt sick aus der Selbstbehaltspramie b — b (R) ver-mOge der Gleichung

1—s

In (E (esQ)) b — b (R)

(Q = Selbstbehaltsschaden).

s ist um so grOfier, je mehr die Selbstbehaltsprthnie b — b (R) den Erwar-tungswert E (Q) der Selbstbehaltsschaden ilbersteigt. Die Konstante c istum so kleiner, je hOher die zusdtzlich verfiigbaren Reserven sind. Beziiglicheiner Quantifizierung des versicherungstechnischen Risikos durch diesenSicherheitsindex liegen folgende Teilresultate vor:

1. Berechnet der Riickversicherer bei alien Riickversicherungsformen dieRtickversicherungspramie ger/1UB dem Erwartungswertprinzip, so ist beivorgegebenen Mickversicherungskosten (Definition wie zu Beginn desHauptteils) der Sicherheitsindex des Erstversicherers bei unlimitierterStop-Loss-Riickversicherung giinstiger als bei unlimitierter Schadenexze-denten-Rilc.kversicherung und dort wiederum gtinstiger als bei Quoten-rtickversicherung (Lambert 1960).

Page 15: Bemerkungen zum risikotheoretischen Modell des Vergleichs von Rückversicherungsformen aus der Sicht der Praxis

Risikotheoretisches Vergleichsmodell von Riickversicherungsformen 339

2. Berechnet der Riickversicherer bei alien Riickversicherungsformen dieRiickversicherungspramie gernal3 dem 'Erwartungswertpinzip, so liefertbei vorgegebenen Rilckversicherungskosten die Schadenexzedenten-Rtick-versicherung dem Erstversicherer einen giinstigeren Sicherheitsindex alsjede andere Mickversicherungsform, bei der die Halle des Riickversiche-rungsschadens pro Schadenfall ebenfalls nur von der Halle des einzelnenBruttoschadenbetrags abhangt (Gerber 1980, Seite 129- 131).

Zu den anderen Pramienprinzipien Bind bzgl. des Sicherheitsindex keineResultate bekannt. Zu dem Resultat von Gerber ist zu bemerken, daB diegenannte Bedingung von der Schadenexzedenten-Riickversicherung und derQuoten-Riickversicherung erfiillt wird, nicht aber von der Summenexzeden-ten-Rackversicherung, da dort der Riickversicherungsschaden auBer von derHalle des Bruttoschadens noch von der Versicherungssumme des betroffenenRisikos abhangt.

Anhang 3

Resultate der Risikotheorie bezgL der Quantifizierung desversicherungstechnischen Risikos mit Hilfe der Nutzentheorie

Die Nutzentheorie geht davon aus, daB die Praferenzordnung eines jedenrational entscheidenden Risikotragers durch eine sogenannte Nutzenfunktiondargestellt werden kann. Hierbei wird jedes mogliche versicherungstechnischeErgebnis x durch semen Nutzen u (x), — oo < u (x) < oo, aus der indivi-duellen Sicht des Erstversicherers bewertet. Dabei ist es natiirlich, folgendeAnnahmen zu treffen.

(x) > 0 (d. h. je hailer das Ergebnis, desto besser) und

u" (x) < 0 (d. h. eM zusatzlicher Gewinn von einer Wahrungseinheit ist urnso weniger erstrebenswert, je reicher der Risikotrager schon ist)

Eine solche Nutzenfunktion heint risikoavers (bzw. risikoneutral, wennu" 0 gilt). Damit kann man die Ergebnisvariablen G and G zweier verschie-dener Selbstbehalts-Portefeuilles vergleichen, indem man den Selbstbehaltbevorzugt, der die graBere Nutzenerwartung liefert, d. h. man wird a bevor-zugen, wenn E (u (d)) > E (u (G)) gilt. Da man die konkrete Nutzenfunktiondes Erstversicherers i. a. nicht kennt, ist man besonders an solchen Aus-sagen interessiert, die fiir alle Nutzenfunktionen gelten, wie z. B.

Satz (Arrow 1974): Berechnet der Rackversicherer bei alien Riickversiche-rungsformen die Rtickversicherungspramie gemdB dem Erwartungswertprin-zip (mit konstantem Parameter a1 ), so maximiert die unlimitierte Stop-Loss-Riickversicherung die Nutzenerwartung des Erstversicherers (Mr jede risiko-averse Nutzenfunktion).

Dabei sollte hinzugefiigt werden, daB Arrow seine Aussage eigentlichdas Verhdltnis zwischen Versicherungsnehmer und Erstversicherer im Be-reich des Massengeschafts entwickelte. In dieser urspriinglichen Formulie-rung besagt der Satz, daB fiir einen risikoaversen Versicherungsnehmer die(nutzen-) optimale Policenform eine Police mit Abzugsfranchise ist, falls derVersicherer die Pramie stets gemdB dem Erwartungswertprinzip mit festem

22•

Page 16: Bemerkungen zum risikotheoretischen Modell des Vergleichs von Rückversicherungsformen aus der Sicht der Praxis

340 Thomas Mack

Parameter al berechnet. Das Erwartungswertprinzip ist dort durchaus ange-bracht, da die Risiken einander ziemlich ahnlich sind, so daB sich auch beieinem anderen Pramienprinzip praktisch dieselben Pramien ergaben. Auch istin der Regel eine Limitierung der Haftung des Versicherers durch die Ver-sicherungssumme gegeben.

Fiir den Spezialfall der quadratischen Nutzenfunktion u (x) x — cx2 (fiir1

x < 2c ) ist die Nutzenmaximierung bei vorgegebenem Erwartungswert

nichts anderes als eine Varianzminimierung; man erhalt also den Satz vonBorth I Kahn I Pesonen zuriick. Arrow's Resultat ist somit eine echte Verall-gemeinerung.

Fiir das Verhaltnis Erstversicherer - Riickversicherer ist das Erwartungs-wertprinzip jedoch, wie schon dargelegt, nicht sehr realistisch. Wenn mannatiirlicherweise nicht nur dem Erstversicherer, sondern auch dem Riickver-sicherer eine risikoaverse Nutzeneinstellung zubilligt, dann folgt daraus, daBder Riickversicherer auf jeden Fall ein anderes Pramienprinzip als das Er-wartungswertprinzip anwenden wird, da dem Erwartungswertprinzip keinerisikoaverse Praferenzordnung zugrundeliegt. Allerdings sind zu anderenPrinzipien, z. B. den varianzabhangigen Pramienprinzipien, keine Aussagenbekannt, die fiir alle Nutzenfunktionen gelten. Die Risikotheorie hat viel-mehr die Problemstellung verallgemeinert und Modelle des Risikoaustauschszwischen zwei (oder sogar mehreren) Versicherungsgesellschaften unter-sucht. Ein Rtickversicherungsvertrag zwischen Erstversicherer und Riickver-sicherer wird dann als Spezialfall des allgemeinen Risikoaustausch-Modellsbetrachtet, bei dem nur das Portefeuille des Erstversicherers in den Austauscheingeht.

Das allgemeine Risikoaustausch-Modell sieht fiir den Fall von zwei betei-ligten Versicherungsgesellschaften folgendermaBen aus: Sei S bzw. T dieZufallsgrOBe des akkumulierten Jahresschadenbetrags der beiden Gesell-schaften. Ein Risikoaustausch besteht aus neuen ZufallsgrOBen Q, R mitQ + R = S + T. Dabei dilrfen Q und R neben der Schadenzahlung auchetwaige Pramienzahlungen einer Gesellschaft an die andere einschlieBen(Austausch eines variablen Schadens gegen einen konstanten „Schaden" =Pramie) und kOnnen daher negativ werden.

Ein. Risikoaustausch ware z. B. auch durch Q = 0, R = S + T gegeben, aberdieser Risikoaustausch ware nattirlich ffir die Gesellschaft 2 extrem ungiin-stig, da sie alle Schaden der Gesellschaft 1 iibernimmt ohne irgendeine Ge-genleistung. Das Modell sieht daher vor, daB jede Gesellschaft mit ihrer in-dividuellen Nutzenfunktion u i den Nutzen eines Risikoaustausches feststelltund dann fiber ihre Beteiligung an dem Austausdb. entscheidet. Ein Risiko-austausch heat besser als ein anderer, wenn er wenigstens fiir eine Gesell-schaft zu einer echten Erh6hung der Nutzenerwartung fiihrt ohne gleich-zeitig die Nutzenerwartung der anderen zu reduzieren.

Ein Risikoaustausch heiBt pareto-optimal, wenn es keinen in diesem Sinnebesseren Austausch gibt. Gesucht ist also ein im Vergleich zur Ausgangs-situation (S, T) besserer, pareto-optimaler Risikoaustausch Q, R. Mit Hilfeeines Satzes von Borch (siehe Borch 1960 a oder Gerber 1980, S. 92 - 96) kannman bei Kenntnis der beiden Nutzenfunktionen das Aussehen eines jedenpareto-optimalen Risikoaustausches berechnen. Die Ldsung hangt aber vonden individuellen Nutzenfunktionen ab.

Page 17: Bemerkungen zum risikotheoretischen Modell des Vergleichs von Rückversicherungsformen aus der Sicht der Praxis

Risikotheoretisches Vergleichsmodell von Riickversicherungsformen 341

Genau besehen eignet Bich jedoch das Risikoaustausch-Modell gar nicht zurLOsung der Frage nach der „besten" Riickversicherungsform. Bei der Riick-versicherung handelt es sich namlich nicht urn einen Risikoaustausch, dennder Erstversicherer beteiligt sich nicht an dem schon bestehenden PortefeuilleT des Riickversicherers. Das Risikoaustausch-Modell kann nur mittels Igno-rieren (T = 0) dieses Portefeuilles angewandt werden. Doch dies ist aus derSicht des Riickversicherers nicht richtig, denn er interessiert sich (z. B. bei derBestimmung der Riickversicherungspramie) nicht isoliert fiir die Nutzen-erwartung des neu hinzukommenden Vertrages R, sondern natilrlich fiir dieNutzenerwartung seines gesamten Portefeuilles T R nach Hinzunahme desneuen Vertrages R. Und dies kann je nach den Zusammenhangen (Kumuls),die zwischen T und R bestehen, zu einem ganz anderen Ergebnis fiihren. Inder Praxis sind solche Zusammenhange fast immer gegeben. Besonders offen-kundig ist dies in der Sturmversicherung sowie in all den Branchen, indenen die hochsummigen Risiken in Mitversicherung von mehreren Erst-versicherern gemeinsam gezeichnet werden. Die nutzentheoretische Formu-lierung des Rackversicherungsproblems lautet also folgendermaBen: SeienS bzw. T die Schadenvariablen der beiden Gesellschaften, s bzw. t ihre zu-satzlich zur Deckung der Schaden verfiigbaren Reserven und u 1 bzw. it ihreNutzenfunktionen. Gesucht ist eM Paar (Q, R) von nichtnegativen Zufalls-grOBen (Selbstbehaltsschaden bzw. Riickversicherungsschaden) und eM von Rabhangender Betrag b (R) (Riickversicherungspramie) mit

(1) Q R=S(Riickversicherungs-Bedingung)

(2) E (ui (s — b (R) — Q)) E (u i (s — S))

(NutzenerhOhung beim Erstversicherer)

(3) E (u2 (t b (R) — T — R)) E (u2 (t — T))

(NutzenerhOhung beim Rtickversicherer).

Dann ist aus der Sicht des Erstversicherers eM Paar (Q, R) optimal, bei demder Rackversicherer zur Bestimmung der Riickversicherungspramie b (R) dasNullnutzenprinzip verwendet (d. h. in (3) gilt das Gleichheitszeichen), und beidem Q so gewahlt wird, daB E (u1 (s — b (R) — Q)) maximal wird. Versuchthingegen auch der Riickversicherer, semen Nutzen soweit mOglich zuhen, und akzeptieren beide Seiten fiir die LOsung dieses „Verhandlungsspiels"das Axiomensystem von Nash (vgl. auch Borch 1960 a), so werden sie einePramie b (R) und eM Paar (Q, R) als optimal betrachten, bei dem das Produktder beiden Nutzenzuwachse maximal ist.

Far diese Formulierung des Rackversicherungs-Problems ist bisher in demFall, dali R und T nicht als unabhangig voneinander vorausgesetzt werden,keine LOsung bekannt.

Literatur

Arrow, K. J., 1974. Optimal insurance and generalized deductibles. Scandi-navian Actuarial Journal 1974, 1 - 42.

Beard, R. E., Pentikdinen, T., Pesonen, E., 1969. Risk theory. London: Methuen,S. 103.

Page 18: Bemerkungen zum risikotheoretischen Modell des Vergleichs von Rückversicherungsformen aus der Sicht der Praxis

342 Thomas Mack

Borch, K., 1960 An attempt to determine the optimum amount of Stop Lossreinsurance. Transactions of the 16th International Congress of ActuariesVol. 2, 597 - 610.

Borch, K., 1960 a. Reciprocal reinsurance treaties. ASTIN-Bulletin 1, 170 - 191.

Gerber, H. U., 1980. An introduction to mathematical risk theory. Philadel-phia: S. S. Huebner Foundation.

Kahn, P. M., 1961. Some remarks on a recent paper by Borch. ASTIN-Bul-letin 1, 265 - 272.

Lambert, H., 1960. Une application de la theorie collective du risque: lareassurance. Bulletin A.R.A.B. 60, 33 - 47.

Nash, J. F., 1950. The bargaining problem. Econometrica 18, 155 - 162.Nederlandse Reassurantie Groep (ed.), 1981. Net retentions, the prize-winning

papers in the Boleslaw Monic Fund Competition held in 1980.Pesonen, E., 1967. On optimal properties of the Stop Loss reinsurance. ASTIN-

Bulletin 4, 175 - 176.

Zusammenfassung

Zwei Resultate der Risikotheorie fiber die Optimalitat bestimmter Riick-versicherungsforrnen sind tiber die Risikotheorie hinaus allgemeiner bekanntgeworden: Unter einer bestimmten Voraussetzung ergibt sich die Stop-Loss-Rtickversicherung, unter einer anderen Voraussetzung die Quotenrtickversi-cherung als ftir den Erstversicherer optimal. Urn eine exakte Formulierungdieser Aussagen geben zu kdnnen, wird das zugrundeliegende Versicherungs-modell sowie der verwendete Optimalitatsbegriff ausfiihrlich dargestellt. Beider tiberprtifung des Modells anhand der Gegebenheiten der Praxis wirddeutlich, daB keine der beiden Voraussetzungen in der Praxis als erftilltbetrachtet werden kann.