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ÜberdenAutor - Vivat

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Über den Autor:

Vlastimil Vondruska, geboren 1955, hat in Prag Geschichte undEthnologie studiert. Danach hat er im Prager Nationalmuseum ge-arbeitet und gemeinsam mit seiner Frau eine Werkstatt zur Nachbil-dung von historischem Glas betrieben. Heute widmet er sich ganzdem Schreiben. Neben zahlreichen wissenschaftlichen Werken hater über dreißig historische Romaneveröffentlicht und gehört zu denerfolgreichsten Autoren Tschechiens. Besonders beliebt ist die Serieum Ritter Ulrich von Kulm und seinen Knappen Otto.

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Vlastimil Vondruska

DIE TOTENVOM

JAKOBSWEGHistorischer Kriminalroman

Aus dem Tschechischen vonSophia Marzolff

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BASTEI LÜBBE TASCHENBUCHBand 17 433

Dieser Titel ist auch als E-Book erschienen

Vollständige Taschenbuchausgabe

Deutsche Erstausgabe

Für die Originalausgabe:Copyright � 2010 by Vlastimil Vondruska und

Moravska Bastei MOBA, s.r.o., BrnoTitel der tschechischen Originalausgabe: »Tajemstvı abatyse z Assisi«

Für die deutschsprachige Ausgabe:Copyright � 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Hanna Granz, WittenTitelillustration: � akg-images/Album/Oronoz;

� Johannes Wiebel ¦ punchdesign, München,unter Verwendung von Motiven von � shutterstock/m.bonotto;

shutterstock/B artUmschlaggestaltung: Johannes Wiebel, punchdesign, München

Satz: Urban SatzKonzept, DüsseldorfGesetzt aus der Garamond

Druck und Verarbeitung: GGP Media, PößneckPrinted in Germany

ISBN 978-3-404-17433-1

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Meiner Frau Alena gewidmet

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Prolog

Als im Jahre des Herrn 1186 der siebenjährige König von Jeru-salem Balduin V. starb und seine Mutter Sibylle als Thronfolge-rin die Herrschaft ihrem zweiten Gatten Guido von Lusignanüberließ, geschah, was nie hätte passieren dürfen. Der neue Jeru-salemer König vertrieb den Regenten Raimund III. in die Graf-schaft Tripolis im Norden und erklärte alle Friedensabkommen,die sein Vorgänger mit den Muselmanen geschlossen hatte, fürungültig. Anders als Raimund III. war Guido von Lusignan einKriegsbefürworter. Ihm ging es nicht um den Glauben, er warein Abenteurer. Er wollte kämpfen und war auf Beute aus. DieJahre relativen Friedens waren damit vorbei.

Guido von Lusignan wurde von etlichen Rittern unter-stützt, die alle mit dem gleichen Ziel ins Heilige Land gekommenwaren – Reichtümer zu erwerben. Der wohl skrupelloseste unterihnen war Rainald von Chatillon, Fürst von Antiochia. Er warein schon nicht mehr junger Mann, der nach Herzenslust mor-dete und plünderte. Im Roten Meer besaß er sogar eine Piraten-flotte, aber selbst das genügte ihm nicht, und so überfiel er imNamen des christlichen Glaubens die Insel Zypern, die dembyzantinischen Kaiser gehörte. Er massakrierte die wehrlosenBewohner und kümmerte sich nicht darum, dass sie sich eben-falls zum Christentum bekannten, wenn auch zur Variante derOstkirche. Er beging derartige Grausamkeiten, dass man in derganzen christlichen Welt lieber über seine Taten schwieg. Nie-mand nun hatte an Guido von Lusignans Thronbesteigung inJerusalem größere Freude als gerade Rainald. Noch am Tag desMachtwechsels begann er jenseits des Jordans erneut musel-

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manische Karawanen anzugreifen. Und wieder färbte sich derSand entlang der Handelswege rot vom Blut der AnhängerAllahs. Ein neuerlicher Krieg war unausweichlich.

Zu jener Zeit einigte Sultan Saladin die muslimische Welt. Aufdie Provokationen der Christen reagierte er dennoch zunächstbesonnen. Er forderte vom Jerusalemer König eine Entschuldi-gung sowie die Herausgabe der Gefangenen und der Raubgüter.Doch Guido von Lusignan dachte nicht daran, Rainald vonChatillon zur Verantwortung zu ziehen, denn er glaubte, einenmöglichen Krieg gewinnen zu können. Und sogleich begann ermit den Vorbereitungen. Im Frühling des Jahres 1187 hatte er einHeer versammelt, wie es noch keiner der Jerusalemer Königebesessen hatte. Unter seiner Standarte fand sich auch der ver-triebene Raimund von Tripolis ein, denn wie den meisten dermoderateren Ritter war ihm bewusst, dass es hier um Sein oderNichtsein der Christen im Heiligen Land ging. Sie waren zwarmit Guidos Vorgehen nicht einverstanden, aber das bedeutetenicht, dass sie dem Ansturm der Muselmanen untätig zuschauenwürden, waren sie doch trotz allem christliche Ritter.

Und so rückten sie alle in den Tagen nach Ostern von Jerusa-lem aus. Am See Genezareth warteten die Truppen Saladins aufsie. Es dauerte nicht lange, und die beiden Heere waren nur nocheinen Tagesmarsch voneinander entfernt. Doch tatsächlich wardie Strecke zwischen ihnen fast unüberwindlich, denn der Wegzum See führte durch eine öde und völlig ausgedorrte Hügel-landschaft. Da ein Weitermarsch unter der heißen Sonne, durchden Staub und über die glühend heißen Steine die Männer, abervor allem ihre Pferde ohne ausreichende Wasservorräte zu sehrerschöpft hätte, sahen die Christen von einem weiteren Vor-rücken ab. Durch diese Landschaft hindurch geradewegs indie Arme der Feinde zu marschieren wäre gleichbedeutend miteinem Gang zur Schlachtbank gewesen, das wusste der Königvon Jerusalem ebenso gut wie Saladin.

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Nicht weit von einem kleinen Fluss schlugen sie deshalb ihrLager auf, und es begann, was in solchen Situationen üblich war.Die Ritter zogen mit ihrem Gefolge plündernd durch die Ge-gend. Der Langeweile entgingen sie auch dadurch, dass sie ge-legentlich mit muselmanischen Spähtrupps zusammenstießen.Derartige Scharmützel hatten beide Seiten schon etliche hintersich. Sie endeten gewöhnlich mit einer Aussöhnung, und oftkehr-ten die Heere nach einigen Wochen vergeblichen Wartens auf denentscheidenden Zusammenstoß wieder nach Hause zurück.

Saladins Truppen waren zwar zahlenmäßig unterlegen, dochdiesmal wollte er sich nicht mit einer schnellen Aussöhnungzufriedengeben, zu gravierend waren die Beleidigungen und Ge-walttaten der Christen gewesen. Allerdings wollte auch er nichtden Marsch durch die trockene Ödnis riskieren, sondern suchtesich ein näheres und einfacheres Ziel: Er griff die Stadt Tiberiasan, die am Ufer des Sees Genezareth lag. Zufällig befehligte dieGemahlin des Raimund von Tripolis die Verteidigung der Stadt.Doch nicht einmal dieser Umstand bewog ihren Mann dazu,sich für den riskanten Vormarsch durch das Hügelland auszu-sprechen. Raimund äußerte im Gegenteil in einer Rede, es seibesser, eine Stadt zu verlieren als das ganze Heer und dazu Jerusa-lem. Er wusste, dass Saladin im Geiste ein Ritter war wie er selbstunddeshalbseinerFraunichtsantunwürde.SollteTiberias fallen,würde er allenfalls ein Lösegeld für sie zahlen müssen. Eindring-lich bat er deshalb den König von Jerusalem, sich nicht provo-zieren zu lassen und abzuwarten. Doch Guido von Lusignan sahin dem Überfall auf Tiberias einen willkommenen Anlass, denKrieg fortzusetzen. Einen ganzen Nachmittag lang beriet er sichmit seinen Getreuen, um am Ende doch einzusehen, dass eineOffensive zu riskant wäre.

Es sah also zunächst so aus, als hätte die Vernunft gesiegt.Doch noch in der gleichen Nacht erhielt Guido von Lusignanin seinem Zelt Besuch vom Großmeister des Tempelordens.

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Dieser versuchte den König mit Schmeicheleien zu überreden,sein Schwert nicht ruhen zu lassen. »Handelt nach dem Vorbildder ersten Kreuzritter, als sie in das Heilige Land kamen! Siebefanden sich in einer schlechteren Lage als wir. Und doch grif-fen sie die Ungläubigen an und siegten über sie. Gott ist mituns!«, rief er und reckte das heilige Schwert seines Ordens indie Höhe. Schließlich überzeugte er Guido von Lusignan: DieSchlacht am darauffolgenden Tage war beschlossen und damitauch das Schicksal Jerusalems – und das des Ulrich von Kulm.

In der Morgendämmerung erklang im Lager der Christen derSchall der Trompeten, die das Heer zum Kampf gegen Saladin zu-sammenriefen. Raimund von Tripolis eilte zu Guido von Lusig-nan, um ihn im letzten Moment umzustimmen, doch dieser woll-te ihn nicht empfangen. Die Getreuen des Königs liefen von ZeltzuZelt, stacheltendieZaudernden an,malten ihnendieBeuteaus,die sie im Lager der Muselmanen erwarten würde, und argumen-tierten weiter damit, dass sie laut ihren Spähern gegenüber Sala-dins Truppen deutlich in der Überzahl seien. Und noch bevor dieSonne über den Horizont gestiegen war, brach das Heer auf.

Es war ein heißer Julitag. Die Ebene, die die Kreuzzüglerdurchqueren mussten, war baumlos, nirgendwo gab es auch nurein Fleckchen Schatten, in das man sich für einen kurzen Mo-ment hätte zurückziehen können. Wasser hatte der trockeneErdboden seit Monaten nicht gesehen. Die Wasservorräte, diesie in ledernen Schläuchen mit sich führten, waren bereits vorMittag verbraucht, und die Helme auf ihren Köpfen waren soglühend heiß, dass man sie fast nicht berühren konnte. Sie ab-zusetzen wäre jedoch noch schlimmer gewesen. Um Mittagherum starb der erste Mann an Entkräftung. Trotzdem gab nie-mand den Befehl zum Rückzug. Mit hängenden Köpfen taumel-ten sie weiter und versuchten, nicht darüber nachzudenken, wassie erwartete. Das warnun einmal ihr Leben als KämpferChristi.

»Haltet durch!«, versuchten die Ritter ihr Gefolge zu ermuti-

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gen. »Heute Abend sind wir am See Genezareth. Ihr dürft ihnganz austrinken, wenn ihr wollt! Sein Wasser ist schön frisch,klar und kühl . . .« Doch ein paar Stunden später hatten sie selbstnicht mehr die Kraft, die anderen aufzurichten. Das Heer rücktezusehends langsamer vor. Die Fußsoldaten gerieten ins Stolpern,und etliche Pferde gingen zu Boden. Allmählich wurde es dunk-ler, und die Ufer des Sees waren immer noch nicht zu sehen.

Dem Großmeister des Tempelordens klebte die Zunge amGaumen, als er hervorbrachte: »Lasst uns hierbleiben! Wir müs-sen ausruhen.« Er und seine Tempelritter waren wohl in derschlechtesten Verfassung von allen. Und in noch schlechteremZustand waren ihre Pferde. Schließlich gab der König von Jeru-salem seine Zustimmung. Sie befanden sich in einer flachen Tal-mulde nahe des Dorfes Hattin und ließen sich einfach nieder.Keiner baute Zelte auf, niemand machte Anstalten, wenigstenseine provisorische Befestigung zu errichten. Und niemand be-zog Stellung als Wache. Alle waren zu Tode erschöpft. Sie ließensich auf den Boden sinken und beteten zu Gott, dass die Sonnebald hinter dem Horizont versinken möge. In Hattin gab eseinen einzigen Brunnen, und darin stand nur wenig Wasser. Rai-nald von Chatillon und seine Männer erbeuteten alles für sich.

In der Nacht näherten sich die Muselmanen und began-nen, das Lager einzukreisen. Die christlichen Ritter waren amEnde ihrer Kräfte, doch sie mussten fortwährend in Habacht-stellung bleiben, denn Saladin konnte jeden Moment angreifen.Aber er tat es nicht, er wollte den Morgen abwarten. Die Chris-ten litten. Der Durst schnürte ihnen die Kehle zu, und Krämpfedurchzogen ihre Eingeweide. Kaum einer von ihnen verspürtedie Gnade Gottes, welche die Waffen zum Sieg führt. Sie hattenjegliche Hoffnung aufgegeben.

»Das ist deine Schuld!«, schrie Raimund von Tripolis wutent-brannt Rainald von Chatillon an. »Du hast diesen Krieg herauf-beschworen. Du bist ein Räuber und kein Ritter!«

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»Es war die Entscheidung unseres Königs, gegen die Musel-manen in den Kampf zu ziehen«, entgegnete Rainald müde,ohne seine übliche Arroganz zur Schau zu stellen.

»Und der Wille Gottes«, fügte der Großmeister der Temp-ler tonlos hinzu. Er kniete vor seinem Schwert, das er in dieErde gebohrt hatte, legte seine Hände auf die Parierstange undbetete, als wäre es das Kreuz.

Im ersten Morgengrauen rotteten sich einige Tausend Fuß-soldaten zusammen, die in der Nacht beschlossen hatten, ihrenRittern den Gehorsam zu verweigern. Guido von Lusignan hattenicht die Kraft, sie zurückzuhalten, und so marschierten die Söld-ner los in Richtung Hattin, um sich zum See Genezareth durch-zuschlagen. Sie alle trieb nur eine einzige Sehnsucht: Wasser.

Doch ohne die Unterstützung der Ritter auf ihren Pferdenund ohne Führung wurden die Fußtruppen zur leichten Beuteder Muselmanen. Gnadenlos wurden sie von ihnen niederge-macht. In der Zwischenzeit griffen Saladins berittene Trup-pen das Zentrum des christlichen Heeres an. Der erste Ansturmließ sich zwar abwehren, doch die Ritter waren völlig entkräf-tet. Überdies hatten sie den Großteil ihres Fußvolks verloren,und ohne dessen Unterstützung ließ sich keine Schlacht führen.Die Pferde der Ritter scheuten, und es wurde immer aussichts-loser, noch in eine Angriffsformation zu finden.

»Wir werden allesamt umkommen«, jammerte ein ältererJohanniter, der von der grellen Sonne so entzündeteAugen hatte,dass er fast nichts mehr sehen konnte.

Und ein junger Mann, der erst vor wenigen Wochen ins Hei-lige Land gekommen war, schrie verzweifelt: »Ich will nichthier sterben!«

»Gott wird uns beschützen«, versuchte der König von Jeru-salem ihnen gut zuzureden und bemühte sich dabei um einenfesten Ton. Er blickte ringsum in die Gesichter der Ritter, dieschweigend seine Entscheidung abwarteten, und er wusste, sie

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würden sowieso nicht auf ihn hören. Um den Anschein könig-licher Würde zu wahren, sagte er mit gepresster Stimme: »Ichentbinde euch vom Treueschwur zu unserer Krone. Ein jedervon euch versuche, alleine der Belagerung zu entkommen. UndGott erlaubt es euch auch. Versucht, euer Leben zu retten!«Ebenso gut hätte er verkünden können, dass er die Schlacht auf-gebe. Sie waren verloren!

Umgeben von seinen Männern bestieg Raimund von Tripolissein Pferd und folgte Guido von Lusignan mit düsterer Miene.Der König hatte ihn zwar nicht dazu aufgefordert, doch esblieb ohnehin nicht viel anderes übrig, als die Flucht zu wagen.Er lächelte seine Ritter aufmunternd an. Viele kannte er schonseit Jugendzeiten. »Wir werden als Erste sterben, edle Brüder.Ich danke euch allen für eure treuen Dienste!«

Dann zog er sein Schwert und galoppierte in Richtung derAnhöhe, wo Saladins grüne Standarten aufragten. Dies warkein Angriff nach ritterlichen Regeln. Seine Truppe blieb nurmit großer Mühe zusammen. Vor ihnen glänzten die Schildeund Helme der Muselmanen. Gewöhnlich machten die an-greifenden Ritter sich mit lautem Geschrei Mut, aber diesmalfehlte ihnen die Energie dazu. Sie waren schon froh, sich im Sat-tel halten zu können. Ihre letzte Willenskraft sparten sie sich fürdas Zusammentreffen mit den Ungläubigen auf.

Aber auch von den Feinden war kein Laut zu vernehmen, alsdie Ritter auf sie zugaloppierten. Zu ihrer Überraschung kamenihnen auch keine Pfeile entgegen, stattdessen öffneten sich dieReihen der Muselmanen. Raimund von Tripolis zügelte seinPferd und brachte es zum Stehen. Sein Blick suchte Saladin. Erentdeckte ihn schnell. Der Sultan saß auf einem prachtvollenRappen unter einem Baldachin. Sein scharf geschnittenes, braungebranntes Gesicht wurde von einem gestutzten Bart gerahmt.Sie kannten sich gut, hatten oft gegeneinander gekämpft undnoch öfter miteinander verhandelt. Immer auf redliche Weise.

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Saladin zeigte ein leichtes Lächeln und bedeutete ihnen miteiner Geste, dass sie hindurchreiten dürften. War Saladin guterDinge, konnte er sehr großzügig sein. Zum Zeichen seinesDanks neigte Raimund ein wenig den Kopf und hob die Handzum Gruß, dann trieb er sein Pferd an. Sobald er mit seinem Ge-folge die Gasse der Muselmanen passiert hatte, schlossen sich dieReihen wieder. Zusammen mit Raimunds Männern war auch derSohn des Rainald von Chatillon der Belagerung entkommen.

Gleich darauf begann die Schlacht. Doch der Kampf währtenicht lange. Noch zwei weiteren Truppen gelang dabei dieFlucht. Die eine befehligte Balian von Ibelin, die andere GrafRainald von Sidon. Von beiden wussten die Muselmanen, dasssie zum gemäßigten Lager des Raimund von Tripolis gehörten.Sie schätzten sie als tapfere und ehrenhafte Ritter, die niemalswehrlose Händler oder Dorfleute umbringen würden – ganzanders als jene, die sich nun in der Talmulde um das Zelt kauer-ten, über dem schlaff die Fahne des Königreichs Jerusalem he-rabhing.

Als Saladins Mannen das Lager stürmten, fanden sie den Königvon Jerusalem und einige seiner Getreuen völlig entkräftet imZelt auf dem Boden liegen. Sie konnten nicht einmal mehr auf-stehen, weshalb die Muselmanen sie auf Tragen in ihr eigenesLager beförderten.

Saladin erwartete sie in einem großen Zelt aus schwarzerSeide. Er hatte einen überwältigenden Sieg errungen undwusste, dass er soeben seine Position in der muselmanischenWelt bedeutend gefestigt hatte. Es war noch nicht lange her,dass er an die Macht gelangt war, und er musste seine Stellungals bester Kämpfer Allahs erst beweisen. Nach dem heutigenTag konnte niemand mehr daran zweifeln. Er war jedoch nichtso töricht zu glauben, damit sei alles erreicht. Sein Ziel lag noch

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höher. Er wollte Jerusalem zurückerobern. Aus diesem Grundbegegnete er Guido von Lusignan mit Freundlichkeit – standdem Sieger einer Schlacht Diplomatie doch besser zu Gesichtals hohle Prahlerei.

Er reichte dem König von Jerusalem einen Becher mit klaremWasser, das herrlich kühl war, da seine Sklaven es in Behältnissenmit Schnee transportiert hatten. In Saladins Welt bedeutete dasReichen des Bechers, dass man die Sicherheit seines Gastes garan-tierte. Indirekt drückte er damit aus, dass er den König von Jeru-salem am Leben lassen würde. Dieser musste jedoch zu verhan-deln beginnen und seine vollständige Niederlage eingestehen.

Guido von Lusignan trank gierig und reichte den Becher anRainald von Chatillon weiter, der neben ihm stand. Er ahntenicht, welchen Fehler er damit beging. Als Christ hatte er ein-fach mit seinem Nächsten teilen wollen.

Zornentbrannt fuhr Saladin den Dolmetscher an, er solle denChristen übersetzen, er habe den Becher lediglich dem Königvon Jerusalem gereicht. Damit gab er zu verstehen, dass er fürdas Leben der anderen keine Gewähr leiste.

Rainald von Chatillon war zwar ein Räuber, aber kein Feig-ling. Er hatte immer ein raues Leben geführt, und rau war auchsein Handeln, selbst in einer Lage, in der sein Leben auf demSpiel stand. Er grinste verächtlich und machte eine höchst res-pektlose Bemerkung, die der Dolmetscher kaum zu übersetzenwagte.

Doch Saladin verstand auch so. Er runzelte die Stirn undpresste wütend die Lippen zusammen, dann zog er blitzschnellsein Schwert und schlug Rainald den Kopf ab. Den entsetztenChristen hielt er vor, dass ebendieser Mann der Hauptschuldigean dem Krieg zwischen den Christen und ihnen sei, da er sounzählige Grausamkeiten begangen habe. Deshalb habe er denTod verdient. Im Grunde hätten auch die anderen ihn verdient,da sie den Verbrecher frei wüten ließen.

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Der Großmeister der Tempelritter kniete neben dem totenRainald von Chatillon nieder. Er hob den abgeschlagenen Kopfauf und legte ihn zum Stumpf des Halses. Dann drückte er demToten die Augen zu und strich über seinen Körper, als wolle ersich von ihm verabschieden. Doch gleichzeitig durchsuchteer dabei unauffällig seine Sachen. Dann bekreuzigte er sich er-schrocken.

Saladin hatte ihnen den Rücken zugewandt. Er hatte genugvon diesen Christen und befahl, sie abzuführen und ihnen Was-ser zu geben. Er werde den Besiegten später seine Bedingungenmitteilen.

Unterdessen flüsterte der Großmeister dem König von Jeru-salem heimlich zu: »Er hat es nicht bei sich!«

»Was meinst du?«, fragte der geschlagene Guido von Lusig-nan resigniert.

»Das heiligste Geheimnis unseres Ordens.«»Großer Gott, wie ist es denn zu ihm gelangt?«»Ich selbst habe es ihm gestern Nacht anvertraut. Ich rech-

nete mit meinem nahen Tod«, erklärte der Großmeister derTempler verstört. »Er schwor mir, er werde es nach der Schlachtunserem Orden zurückgeben.«

»Du Narr!«, brauste Guido von Lusignan auf. »Du hättestdie Schatulle mir geben sollen.«

»Gewiss«, pflichtete der Großmeister ihm zerknirscht bei.Der König bekreuzigte sich. »Das ist eine schreckliche Ka-

tastrophe«, sagte er leise. Er sprach nicht von der Niederlagebei Hattin. Er sprach von dem, was Rainald von Chatillon beisich getragen hatte und was nun verschwunden war.

Etwa zwei Monate später, am 2. Oktober 1187, übergabBalian von Ibelin, der als Letzter die Verteidigung Jerusalemsbefehligt hatte, nach kurzem und erbittertem Kampf die StadtJerusalem und das Grab Christi an Sultan Saladin.

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I. Kapitel

Es war schon Abend, als der königliche Prokurator Ulrich vonKulm mit seinen Männern in das Gehöft unweit von Leipazurückkehrte, das er als Verwalter Nordböhmens derzeit er-neuerte. Er war müde, hatte eine Schramme im Gesicht, undseine Stimmung war auf dem Tiefpunkt. Zwei Tage lang hatteer eine Räuberbande verfolgt, die auf den Wegen nach ZittauKaufleute überfallen hatte, doch die Gauner waren ihm wiederentwischt. Er hatte Adalbert von Habstein in Verdacht, dieBande zu leiten, aber solange er ihn nicht in flagranti ertappte,konnte er ihn nicht verurteilen. In letzter Zeit war er vom Pechverfolgt. Im Frühjahr war seine Ehefrau Blanka gestorben.Dann hatte er auf der Prager Burg zwar den Mord an Landrich-ter Dobrej aufklären können, sich gleich darauf aber denUnmut König Premysl Ottokars II. und vermutlich auch deshöchsten Burggrafen Wilhelm von Landstein zugezogen, als erdie Hand von dessen Tochter Lucia ablehnte. Und zu Hause inNordböhmen taten die Herren von Dauba und von Warten-berg, was ihnen beliebte, als wollten sie ihm zeigen, dass diesihr Herrschaftsgebiet war und ein Vertreter des Königs ihnennichts zu sagen hatte.

König Premysl Ottokar II. regierte nun schon das zweiteJahr und erwies sich als tatkräftiger Monarch, allerdings wuch-sen ihm die Probleme über den Kopf. Und sie beschränktensich längst nicht auf das Königreich Böhmen. Sein Vater WenzelI. hatte ihn vor seinem Tode mit Margarete von Babenberg ver-mählt, die mit ihren fünfzig Jahren nahezu Ottokars Groß-mutter hätte sein können. Zusammen mit ihrer Hand erhielt er

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das Herzogtum Österreich, und nach Wenzels Ansicht musstedas für eine glückliche Ehe ausreichen. So wurde der böhmi-sche König der mächtigste Herrscher nördlich der Alpen. Einaltes Sprichwort seiner Vorfahren besagte jedoch, je zahlreicherdie Verwandten, desto zahlreicher die Sorgen, und so war esdann auch. Jenseits der Grenzen hatte Premysl Ottokar II. soviele Sorgen, dass ihn das läppische Gezänk der nordböhmi-schen Adligen nicht weiter interessierte.

Es war also Ulrich von Kulms Aufgabe, in der Gegend vonLeipa für Ordnung zu sorgen, und deshalb war er so verärgertdarüber, dass ihm die Räuber wieder entkommen waren.

Dieses hügelige und bewaldete Stück Böhmen war ihm ansHerz gewachsen. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte ersich an einem Ort zu Hause. Er war mit seiner Frau hier glück-lich gewesen, solange sie lebte. Nun, nach ihrem Tod, blieb ihmnur noch das Gefühl der Verantwortung. Aber es gab im Lebeneines Ritters schließlich höhere Werte als ein flüchtiges Glück.Gott hatte ihm ein Schwert gegeben, um die Schwachen zuschützen, und dieser Aufgabe hatte er sich mit Leib und Seeleverschrieben. Selbst auf die Gefahr hin, dass er damit zeitweiligden Unmut des Königs, der Kirche oder eines nordböhmischenMagnaten erregte.

Als er durch das Tor in den Vorhof einritt, wartete dort schonsein Knappe auf ihn. Otto von Zastrizl war ein besonderer Bur-sche. Unlängst war er zum Ritter geschlagen worden, dochobwohl er längst erwachsen war, bezeichnete er sich selbst wei-terhin als Knappe. Und so blieb es schließlich dabei. Im Grundewar Otto ein Einzelgänger, und daran änderte selbst die Tatsa-che nichts, dass er mit allerlei Mädchen anbandelte und manch-mal sogar – wie der örtliche Kaplan säuerlich moniert hatte –mit verheirateten Frauen. Der Knappe hatte dem Geistlichenfreundlich entgegnet, Gott wolle offenbar nicht, dass er dasSakrament der Ehe eingehe, da er ihm die Richtige bislang noch

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nicht zugeführt habe. Worauf der Kaplan spitz bemerkt hatte,er werde schwerlich die Richtige finden, wenn er sich mit allenversündige.

»Du kannst das nicht verstehen«, hielt Otto dagegen. »Wiesoll ich deiner Meinung nach herausfinden, welche die Richtigeist, wenn ich sie nicht genauestens kennenlerne?«

»Gewiss sollst du dein zukünftiges Eheweib kennenlernen.Aber auf eine fromme Weise, bei der Kirchenandacht«, be-harrte der Kaplan.

»Aber ich suche doch keine Nonne! Frauen lerne ich lieberdort kennen, wo ich mit meinem Eheweib, wie ich hoffe, öftersein werde als bei der Andacht.«

Auf solche Argumente wusste der Kaplan nichts mehr zuerwidern. Manchmal beschwerte er sich bei Ulrich von Kulm,und dieser rügte seinen Knappen gelegentlich, doch er wusste,dass es nicht viel nutzte, weshalb seine Ermahnungen auch eherhalbherzig klangen. Vor allem aber hatte Ulrich seinen Knap-pen sehr gern, war Otto doch der treueste Diener, den man sichnur wünschen konnte. Er war jederzeit bereit, für seinen Herrnsein Leben zu geben, nur in Herzensdingen ließ er sich nichtbefehlen, wie er selbst zu sagen pflegte. Wenn er besonders gutgelaunt war, fügte er noch hinzu, man dürfe die Treue zu einemHerrn nicht mit der Treue zu einer Frau verwechseln – einenHerrn wähle man im Unterschied zur Frau fürs ganze Leben.

Auch wenn Otto so leichtfertig über seine Liebesabenteuersprach, hätte er in Wahrheit doch niemals die Gefühle einesMädchens verletzt. Er suchte sich vor allem solche aus, die wieer auf ein kurzfristiges Vergnügen aus waren. Und er hattedurchaus etwas zu bieten: Er besaß ein gefälliges Gesicht, dasnach deutscher Mode von lockigem, hellem Haar umrahmtwurde. Er war groß und kräftig und bewegte sich dabei ge-schmeidig und mit einer gewissen Eleganz. Bei allem sorgfältiggepflegten Äußeren hatte er jedoch nichts von der weibischen

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Art vieler seiner Altersgenossen, die sich, wie man am Königs-hof spottete, in der Frauenkemenate wohler fühlten als aufdem Turnierplatz. Otto bemerkte dazu gerne, er sei wohl diegoldene Ausnahme, denn er fühle sich an beiden Orten glei-chermaßen wohl.

»Mein Herr«, rief der Knappe nun, als Ulrich von Kulm inden Hof ritt. »Ein Bote unseres erhabenen Königs war hier.«

»So? Was wollte er denn?«, fragte der Prokurator verwun-dert, sprang aus dem Sattel und warf die Zügel dem Knecht zu,der darauf wartete, das Pferd in den Stall zu führen.

»Er hat einen Brief überbracht. Es sei von höchster Wichtig-keit. Mehr wusste er selbst nicht zu sagen. Nur dass es wohl mitder erhabenen Tante unseres noch erhabeneren Königs zu tunhabe. Die erhabene Äbtissin Agnes nämlich wolle . . .«

»Jetzt übertreibe es mal nicht mit der Erhabenheit«, fielUlrich ihm ins Wort. Seine gute Laune kehrte langsam zurück.»Agnes von Böhmen ist nicht mehr Äbtissin, falls du das nochnicht weißt. Sie hat das Amt aus Gründen der Demut nieder-gelegt. Jetzt lässt sie sich nur noch soror maior – ältere Schwes-ter – nennen.«

»Das ändert nichts daran, dass Ordensschwestern doch nurKalamitäten verheißen. Wir müssen nämlich auf eine Wallfahrtund . . .« Der Knappe unterbrach sich. Ulrich von Kulm mus-terte ihn prüfend, dann begann er zu lachen.

»Gib zu, du hast den Brief gelesen.«»Der Bote hatte von höchster Wichtigkeit gesprochen. Und

dass uns eine eilige Abreise bevorstünde. Und da das Siegel ausirgendeinem Grunde nicht richtig am Pergament haftete undsich löste . . . Nur aus reinem Pflichtgefühl habe ich den Briefgelesen, um nicht irgendetwas zu versäumen«, erklärte Ottoschuldbewusst.

»Der Brief ist also entsiegelt?«»Nicht gänzlich . . . Ich habe das Siegel auf der Rückseite

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leicht erwärmt und hernach wieder aufgedrückt. Ich fürchtete,Ihr würdet Euch nicht darüber freuen, dass ich meine Nase inEure Angelegenheiten stecke, mein Herr. So weiß ich nun frei-lich, wohin unser erhabener König uns zu schicken gedenkt.«

»Als hätte ich hier nicht genug zu tun«, stöhnte Ulrich undging auf das im Umbau befindliche Herrenhaus zu. »Wohin solles denn diesmal gehen? Warte, lass mich raten! Der Jahrestagdes heiligen Wenzel war zwar bereits, aber vielleicht nach Alt-Bunzlau?«

»Viel weiter, mein Herr.«»Zum heiligen Adalbert an die Sasau? Nein? Dann irgend-

wohin nach Mähren?«Wieder schüttelte Otto den Kopf.»Sag nicht, der König will uns ins Herzogtum Österreich

schicken?«»Als wäre mit den österreichischen Besitzungen die christ-

liche Welt schon zu Ende . . . Nein, er schickt uns viel weiter. ImGrunde fast bis ans Ende der Welt. Nach Galicien. Auf dieWallfahrt zum heiligen Jakobus in Compostela. Dorthin näm-lich gedenkt die ältere Schwester zu reisen . . .«

»Moment . . . sprichst du von Agnes von Böhmen?«»Ich dachte, sie hätte den Titel der Äbtissin niedergelegt?«,

fragte Otto unschuldig. »Nun, wir sollen also die ältere Schwes-ter begleiten.«

»Nenne sie doch lieber Äbtissin. Aus deinem Munde klingt›Schwester‹, als würdest du von einer Kellnerin sprechen . . .Aber wie auch immer, der Weg nach Compostela ist der be-rühmteste Pilgerweg der Christenheit. Ich bin noch nie dortgewesen. Allerdings wird diese Reise mehrere Monate in An-spruch nehmen, und dafür habe ich gar keine Zeit. Schließ-lich muss ich den König hier vertreten«, sagte Ulrich ratlos.»Warum also ausgerechnet ich? Der König hat am Hof dochgenug Ritter, die nichts taugen und sich ausgezeichnet als Be-

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gleiter eignen würden – warum schickt er nicht sie? Wer solldann hier in Nordböhmen für Ordnung sorgen?«

»In dem Schreiben steht, der Papst werde für die Dauerder Wallfahrt eine treuga Dei, also einen Gottesfrieden überganz Nordböhmen verhängen. Sollten die Herren von Daubaoder von Wartenberg den geringsten Vorstoß gegen den Königunternehmen, so droht ihnen die Exkommunikation. Sie wer-den es sich daher gut überlegen, ob sie uns Schwierigkeitenbereiten. Und mit allem anderen wird Kommandeur Divisschon fertigwerden.«

»Was ist das denn für ein Unsinn?«, brummte der königlicheProkurator skeptisch. Den Gottesfrieden verhängte der Papstsonst nur, wenn er die Besitzungen von Christen schützenwollte, die das Kreuz auf sich nahmen und ins Heilige Landzogen, um die Ungläubigen zu bekämpfen. Er selbst war einstin Magdeburg zur Klosterschule gegangen und kannte sich inKirchendingen recht gut aus, deshalb war er sich fast sicher,dass der Papst im Fall einer gewöhnlichen Pilgerreise nicht diegleichen Befugnisse besaß. Aber er würde sich hüten, die Ent-scheidungen des Heiligen Vaters in Rom zu kritisieren. Es ge-nügte, dass er einmal die Beschlüsse des Magdeburger Bischofsbeanstandet hatte und dafür beinahe mit dem Leben bezahlthätte. Dies war auch der Grund, warum er letztlich kein Kleri-ker geworden, sondern in die Dienste des böhmischen Königsgetreten war. Zwar entstammte er keiner bedeutenden Familie,doch er hatte schon zu einer Zeit Ottokars Vertrauen gewon-nen, da dieser noch Thronanwärter war. Deshalb erhielt erspäter auch sein wichtiges Amt.

Wenn Papst Innozenz IV. die Reise der Äbtissin unter einenso ungewöhnlichen Schutz stellte, dann musste es sich um einehochwichtige Angelegenheit handeln. Ulrich konnte nichtglauben, dass es dabei wirklich nur um eine Pilgerreise zumGrab des Apostels Jakobus ging, denn welchen Grund sollte

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der Papst haben, einen Pilger zu schützen, und sei dieser ausköniglichem Geblüt? Ein diffuses Unbehagen machte sich inihm breit. Er kannte dieses Gefühl. Gott schien ihm die Gabeder Vorahnung verliehen zu haben, denn dieses Unbehagenbeschlich ihn jedes Mal, wenn ein schwieriger Auftrag auf ihnzukam.

Dabei hatte seine Sorge durchaus nichts Irrationales – auchbei klarem Verstand betrachtet blieb die Situation ungewöhn-lich. Warum sollte der Papst Agnes von Böhmen seinen Schutzgewähren, solange sie doch in keiner Gefahr schwebte? Schließ-lich waren schon ganze Pilgerscharen nach Compostela auf-gebrochen, ohne dass ihnen etwas passiert wäre. Ein kleinesRittergefolge hätte für diesen Zweck völlig genügt. Und dochübergab der König seine geliebte Tante in die Obhut des Ulrichvon Kulm, da er sich offenbar um sie sorgte. Ebenso wie derPapst.

Otto beobachtete seinen Herrn aufmerksam und schien zubegreifen, weshalb er zögerte. Mit Bedauern fügte er hinzu,weiter habe in dem Brief leider nichts gestanden. Der Bote habeihm nur noch vertraulich mitgeteilt, dass Willibald Odo, derPropst von Vysehrad, sie auf der Reise begleiten werde.

»Das wird ja immer besser«, seufzte Ulrich. Er kannte denPropst der Prager Hochburg Vysehrad gut, und sie konntensich herzlich wenig leiden. Willibald Odo gehörte zu den Mit-gliedern des königlichen Rates, die sich unlängst gegen ihngestellt hatten, als er im Mordfall des Richters Dobrej ermittelthatte. Der Propst war für ihn ein aufgeblasener Dummkopf.Vorsichtig fragte Ulrich, ob sein Knappe nicht vielleicht nochirgendeine gute Nachricht für ihn hätte.

»O doch«, antwortete Otto prompt. »Ich habe mir erlaubt,für Euch zu packen. Der Bote sagte, wir sollten spätestens über-morgen in Prag sein. Und die Köchin habe ich angewiesen,einen Pflaumenkuchen zu backen.«

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Ulrich von Kulm liebte Pflaumenkuchen. Niemand hatte ihnjedoch so gut zuzubereiten verstanden wie seine verstorbeneFrau. Fast alles hier zu Hause erinnerte ihn an sie, ob er wollteoder nicht. Dabei wusste er, es war nicht gut, ständig an sie zudenken. Im menschlichen Leben musste alles sein Maß be-halten – auch die Trauer. Insofern würde die lange Pilgerreiseihn ein wenig ablenken, deshalb sollte er sich eigentlich darauffreuen. Zudem war er immer neugierig auf neue Erlebnisse, undso weit war er noch nie gereist. Ein Lächeln huschte über seinGesicht. Er konnte nicht wissen, wie sehr sein christlicherGlaube in den folgenden Wochen auf die Probe gestellt werdenwürde.

Falls Ulrich gedacht hatte, in Prag würde er weitere Auskunftüber die geplante Wallfahrt erhalten, so hatte er sich getäuscht.Der König befand sich nicht in der Stadt. Nicht lange nachdemPremysl Ottokar II. den Thron bestiegen hatte, hatte im ver-gangenen Jahr Bela IV. von Ungarn mit seinen Kumanen dieStadt Olmütz überfallen. Zeitgleich waren der bayerische Her-zog Otto und traditionsgemäß auch die Polen in Mähren einge-fallen. Die Olmützer wussten sich zwar zu verteidigen, und aufBetreiben von Papst Innozenz IV. kam es zu einem Friedens-schluss, doch an der Ostgrenze des Landes kehrte immer nochkeine Ruhe ein. Und so war Ottokar abermals mit dem Heernach Mähren gezogen.

Zwar empfing Agnes von Böhmen Ulrich in ihrem Kloster,doch beschränkte sich ihr Austausch auf ein paar freundlicheWorte nach der Messe in der St.-Franziskus-Kirche. Das Ein-zige, was er in Erfahrung bringen konnte, war, dass der Komturdes Tempelordens, Jakob de Vries, die Pilgerschaft leiten würde.Die Komturei für die Provinz Böhmen befand sich neben derLaurentiuskirche in der Prager Altstadt. Von St. Franziskus aus

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waren das nur wenige Schritte, sodass er auch dort seine Auf-wartung machte. Er traf den Komtur jedoch nicht an.

Äußerst missmutig kehrte er darauf in die Taverne Zum Gol-denen Rad zurück, in der er und sein Knappe Unterkunft bezo-gen hatten. Otto war noch nicht da. Ulrich setzte sich an einenTisch hinten am Fenster, was sein bevorzugter Platz war, dennman konnte von dort auf den Hof der Taverne hinausschauenund saß gleichzeitig nah am Kamin. Es war Oktober und in denfrühen Abendstunden bereits empfindlich kalt. Er bestellte sicheinen kleinen Krug warmen Met und grübelte darüber nach,was die nächsten Tage wohl bringen würden. Von draußenerklang Hufgeklapper, und kurz darauf sah er durch das Fens-ter, wie ein Reiter durch das offene Tor in den Hof geritten kam.Er erkannte ihn sofort: Auf dem Pferd saß Burggraf Wilhelmvon Landstein. Er vertrat den König in dessen Abwesenheit aufder Prager Burg.

Der Burggraf hatte stets seine schützende Hand über denköniglichen Prokurator gehalten, auch bei dem Fall um dasJudaszeichen, doch Ulrich war sich unsicher, ob er ihm auchjetzt noch gutgesinnt war. Schließlich hatte er die Hand seinerTochter Lucia verschmäht und, was noch schlimmer war, denRang des Landrichters missachtet, um das Leben eines un-bedeutenden Ritters zu retten. Die Tatsache, dass Wilhelm vonLandstein hier angeritten kam, war so außergewöhnlich, alswürde der König höchstpersönlich die Taverne besuchen. Eskonnte bedeuten, dass der Burggraf alles längst vergessen hatteund Ulrich von Kulm weiterhin als seinen Schutzbefohlenenbetrachtete. Oder aber es bedeutete, dass er die Sache mitnich-ten vergessen hatte und ihn seine Macht spüren lassen wollte.Einen Vorwand dafür fand ein so mächtiger Beamter jederzeit.

»Diese vermaledeite Äbtissin!«, fluchte Ulrich leise vor sichhin und fuhr mit der Hand unwillkürlich über seinen kurzenBart, wie so oft, wenn er sich zu konzentrieren versuchte. Was

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konnte er jetzt auf die Schnelle tun? Er stellte fest, dass Wilhelmvon Landstein lediglich von zwei Soldaten begleitet wurde, dieim Hof zurückblieben. Ihr Gespräch würde also privater Natursein, und offenkundig war er nicht gekommen, um ihn zu ver-haften. Immerhin etwas! Er trank einen Schluck aus seinemKrug und wartete ergeben ab.

Kurz darauf flog die Tür zur Gaststube auf, und ein hochge-wachsener älterer Mann mit blauem Samtwams betrat hoheits-voll den Raum. Über die Schulter hatte er einen dunklen Mantelgeworfen, der gemäß seinem Familienwappen mit fünfblätt-rigen goldenen Rosen durchwirkt war, und um die Taille truger einen prächtigen Silbergürtel mit Amethysten. Er schlossdie Türe nicht hinter sich, nahm seinen Helm ab und ging ziel-gerichtet auf die Ecke zu, in der Ulrich von Kulm saß. Erwusste genau, wo er ihn finden würde.

Der korpulente Schankwirt schloss diensteifrig die Tür undwieselte ihm hinterher. Mit höflicher Geste rückte er ihm einenStuhl heran und erkundigte sich, welchen Wein er kredenzendürfe, er habe die allerbesten Sorten – sogar zwei Krüge thessa-lischen Wein, der eigens aus Venedig hergebracht worden sei.»Diesen Wein trank schon Alexander der Große«, erklärte erschmeichlerisch und schien im Stillen schon zu berechnen, wieviel er damit verdienen könnte.

»Was trinkst denn du, Ulrich?«, fragte Wilhelm von Land-stein freundlich. »Met? Dann bring mir, Schankwirt, aucheinen kleinen Krug.«

Der Wirt verzog seine verfetteten Wangen zu einem langenGesicht. »Einfachen Honigwein?«, fragte er, doch der Burg-graf beachtete ihn schon nicht mehr. Ulrich hingegen war wach-sam geworden. Er wusste, dass Wilhelm von Landstein sichgewöhnlich nicht in Liebenswürdigkeiten erging. Zumindestnicht, wenn er nicht einen Nutzen daraus schlagen wollte. Wasmochte es also bedeuten, dass er ihn so sanftmütig anlächelte?

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»Ich sehe, du bist dieser Taverne treu geblieben. Hier alsohast du Christian letztes Mal versteckt?«, fuhr der Burggrafleutselig fort.

»Das gehört der Vergangenheit an«, antwortete Ulrich höf-lich, aber bestimmt. Christian war jener Ritter, den er vor demTod bewahrt hatte, indem er seine Unschuld bewies.

»Gewiss, gewiss«, pflichtete Wilhelm von Landstein ihm bei.Er nahm den Metkrug vom Schankwirt entgegen, und sie pros-teten einander zu. »Das gehört der Vergangenheit an. Aberweißt du, was interessant ist? Dass der König nicht den gerings-ten Zorn gegen dich hegt. Dabei hast du einem Gefangenen zurFlucht verholfen, den er persönlich zum Tode verurteilt hatte.Ich meine sogar, er schätzt dich seitdem nur noch mehr. Undmeine Tochter nicht minder.«

Ulrich wusste, dass es nun angebracht war, sich wenigstenshöflich nach Lucias Wohlergehen zu erkundigen, doch er tat esnicht. Wilhelm von Landstein schwieg und wartete ab. Dabeifunkelten seine Augen belustigt, als könnte er die Gedankendes königlichen Prokurators lesen. Der Burggraf war ein klugerMann, er hatte an einem berühmten Basler Kolleg studiert, undanders als die meisten Magnaten achtete er die Bildung hoch,obwohl er Ritter war. Vermutlich hatte er es sich deshalb nachdem Tod von Ulrichs Frau in den Kopf gesetzt, dass er ihn gernan der Seite seiner Tochter sehen würde. Auf seine etwas be-rechnende Art hatte er ihn nämlich gern.

Um die Rede auf ein anderes Thema zu lenken, sagte Ulrichmit Stirnrunzeln: »Dieser Auftrag, mit dem mich unser erhabe-ner König diesmal betraut hat, macht mir Sorgen.«

»Ganz unbegründet«, antwortete der Burggraf entschieden.Er nahm noch einen Schluck und schmatzte zufrieden. »Duwirst keinerlei Verantwortung tragen. Ja du wirst noch nichteinmal zum eigentlichen Gefolge der Äbtissin gehören.«

»Warum zum Teufel soll ich dann nach Compostela?«, platzte

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es aus Ulrich heraus. Allmählich schwante ihm, dass die Sachekomplizierter war als gedacht.

»Vielleicht weil du dich versündigt hast und unser König dirdie Möglichkeit geben will, deinen Eigensinn mit einer Wall-fahrt abzubüßen«, sagte Wilhelm von Landstein und lachte.Ulrich wusste, dass er ihn nur necken wollte, und deshalb fal-tete er fromm die Hände und erklärte demütig, das sei natürlichetwas anderes und besänftige seine Seele außerordentlich.

»Ich habe Compostela selbst einmal besucht«, erzählte derBurggraf jovial. »Für einen Christen ist es ein unvergesslichesErlebnis! Ich denke immer noch häufig an diese Reise zu-rück.«

Ulrich hatte den Burggrafen noch nie dergleichen erzählenhören.

»Meine Tochter hast du ja kennengelernt«, fuhr Wilhelm vonLandstein fort. »Sie ähnelt dir in mancherlei Hinsicht. Sie hateinen wahren Dickkopf, und wenn sie sich etwas in den Kopfgesetzt hat, kann man es ihr nicht ausreden. Störrisch wieein Maulesel . . . Ich muss ihr wohl allzu begeistert von meinerPilgerreise zum Apostel Jakobus berichtet haben, jedenfallshatte es zur Folge, dass Lucia nun ebenfalls Compostela be-suchen möchte. Sie hat noch drei andere Mädchen aus den edels-ten böhmischen Familien überredet, mit ihr zu reisen. Mög-licherweise wird die eine oder andere von ihnen dereinst in denDamianitinnenorden unserer Agnes von Böhmen eintreten . . .Deshalb hat diese ihr Einverständnis gegeben, dass die Jung-frauen sie begleiten dürfen, unter der Bedingung allerdings,dass sie ein eigenes Geleit erhalten. Schließlich ist es ein sehr wei-ter Weg, und wer weiß, was alles geschehen könnte. Und unserKönig hat sie in diesem Ansinnen unterstützt.«

Wilhelm von Landstein verstummte und hob unmerklichdie Augenbrauen. Was sollte er auch weiter hinzufügen? Ulrichhatte längst begriffen. So wütend war er lange nicht gewesen.

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In diesem Moment ging die Tür auf, und sein Knappe Ottokam in die Gaststube. Er ging direkt auf ihren Tisch zu, machteeine höfliche Verbeugung und begann seinem Herrn begeistertzu berichten, er habe glänzende Neuigkeiten. In der Pilger-schaft, welche die Äbtissin Agnes nach Compostela begleitenwerde, befinde sich auch eine Gruppe von Edelfräulein. DieReise verspreche also weniger langweilig zu werden, als er zu-nächst befürchtet habe.

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II. Kapitel

Bald zeigte sich, dass es mit der Abreise aus Prag doch nichtso dringlich war, wie der Bote behauptet hatte, als er in Nord-böhmen den Brief übergab. In vier Tagen erst würde man auf-brechen. Ulrich beschloss, die freie Zeit dafür zu nutzen, soviele Informationen wie möglich über die vor ihnen liegendeWegstrecke zu sammeln. Gleich am nächsten Morgen begaber sich ins Stiftskapitel von Vysehrad. Im dortigen Skriptoriumbefanden sich vor allem Glaubenstraktate christlicher Kirchen-lehrer, aber auch einige wissenschaftliche Werke. Im Domkapitelder St.-Veits-Kathedrale gab es zwar wesentlich mehr Bücher,aber Ulrich kannte den Vysehrader Bibliothekar Emmeran vonGreifsfeld und schätzte seine etwas steife Gelehrtenart. Wennihm jemand helfen konnte, dann er.

Der Bibliothekar nickte bedächtig mit seinem kahlgeschore-nen Kopf. »Ihr seid schon der Dritte in kurzer Zeit, der sich fürden Jakobsweg interessiert.« Er trug ein braunes Ordenshabitund hatte dunkle Ringe unter den Augen, weil er in der Nachtvor Zahnschmerzen nicht hatte schlafen können. Wenn ihnetwas quälte, sah er noch dünner und knochiger aus, als er ohne-hin schon war.

»Das wird wohl daran liegen, dass die edle Äbtissin Agnessich auf diese Wallfahrt begibt«, entgegnete Ulrich sanft. Dochda verdüsterte sich der Blick des hageren Bibliothekars, und erwies ihn streng darauf hin, die ehrwürdige Agnes sei nicht mehrÄbtissin, sondern nur noch ältere Schwester in Christo. Dannöffnete er eine Truhe und holte daraus vier in helles Schweins-leder gebundene Kodizes hervor.

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»Ich habe alles bereitliegen. Könnt Ihr glauben, königlicherProkurator, dass sich sogar unser Propst hierher in die Biblio-thek verirrt hat?« Er bemühte sich gar nicht erst, seine Gehäs-sigkeit zu verbergen. Der Vysehrader Propst Willibald Odowar von seiner Herkunft Normanne. Zwar lebte er schon seitseiner Jugend in Böhmen, hatte jedoch nie richtig Tschechischgelernt. Er war ein großer, muskulöser Mann, hatte strahlendblondes Haar, helle Augen und ein streitbares Temperamentwie seine wikingischen Vorfahren. Der Bibliothekar war nichtgut auf den Propst zu sprechen, weil Willibald Odo nur einpaar grundlegende christliche Lehrsätze kannte und überzeugtwar, damit auszukommen. Durch irgendeine unergründlicheFügung war er Agnes von Böhmens Beichtvater geworden. Erverachtete Gelehrsamkeit und kämpfte lieber mit dem Schwertfür den Glauben. Und er verachtete auch Emmeran von Greifs-feld und ließ ihn das merken.

»Ei, so weiß unser Willibald Odo doch tatsächlich, wo sichin seinem Stiftskapitel die Bibliothek befindet!«, sagte Ulrichlachend. Er wusste, wie er den mageren Ordensmann für sicheinnehmen konnte.

»Ja. Zuweilen geschehen noch Zeichen und Wunder«, ant-wortete Emmeran ebenso respektlos. »Damit, dass er hierher-fand, war es dann freilich auch schon vorbei. Der erhabenePropst blickte von der Türschwelle aus durch den Raum undwies mich an, ihm nur die allerwichtigsten Dinge auf Perga-ment zu notieren. Nicht ein einziges Buch hat er aufgeschla-gen! Er behauptete, er hätte nicht genug Zeit, um jeden Unfugzu lesen, den irgendwer irgendwann niedergeschrieben habe.Wenn Ihr gesehen hättet, wie er mich dabei angeschaut hat! Erweiß nämlich genau, dass ich derzeit ein Traktat über Lebenund Werk des Apostels Jakobus verfasse. Dieser Mann be-herrscht die Kunst der Erniedrigung, aber das habt Ihr wohlselbst schon zu spüren bekommen. Es bereitet ihm Freude, ob-

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gleich er doch ein Diener Christi ist und unser Bruder seinsollte.«

»Wollt Ihr mir verraten, was Ihr ihm Wichtiges auf Perga-ment notiert habt, Bruder Bibliothekar?«, fragte Ulrich mitunverhohlenem Interesse.

»Ihr könnt es Euch ansehen, denn er hat es noch nicht abholenlassen«, antwortete der hagere Bibliothekar gallig und zog einePergamentrolle aus der Truhe. Er öffnete sie und reichte sie sei-nem Gast.

Auf dem Pergament stand zu lesen: Jakobus der Ältere (unterden Jüngern Jesu Christi gab es noch einen anderen Jüngernamens Jakobus, der als der Jüngere bezeichnet wird) ist derältere Bruder des Evangelisten und Apostels Johannes. Er warbei Jesu Erscheinung nach der Auferstehung dabei. Er gehörtezu den erstberufenen Jüngern, verkündete das Evangelium inSpanien und starb als Erster der zwölf Apostel den Märtyrertodin Jerusalem, worauf die Jünger seine sterblichen Überreste aufein unbemanntes Boot legten und es aufs Meer hinausschickten.Durch Gottes Hand geleitet trieb das Boot bis nach Spanien, woFischer es entdeckten, die Jakobus’ Leichnam dort begruben,wo sich heute Santiago de Compostela befindet. Wohlgemerkt,Bruder Propst: Der Ort heißt Compostela, nicht Santiago. Nurum sicherzugehen: Santiago ist spanisch für ›heiliger Jakob‹.

Ulrich rollte das Pergament zusammen, gab es dem Biblio-thekar zurück und bemerkte leicht amüsiert: »Ungewöhnlichkurz und bündig, allerdings weiß dies doch jeder Kloster-novize.«

»Der Propst hat mich angewiesen, nur das Allerwichtigste zunotieren«, erwiderte Emmeran von Greifsfeld spöttisch, »unddas habe ich getan, wie Ihr seht, denn ich habe meine Zweifel,dass dieser wikingische Seeräuber so viel weiß wie ein einfacherNovize. Es wäre ein Wunder, wenn er mein Pergament bis zumEnde durchläse. Aber warum sollte ich mir noch mehr Mühe

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geben? Schließlich will der Propst, dass ich mit ihm reise, dakann er also jederzeit nachfragen.«

»Ihr reist mit uns nach Compostela? Das ist eine gute Nach-richt«, sagte der königliche Prokurator erfreut, doch der kno-chige Bibliothekar unterbrach ihn meckernd, das sei überhauptkeine gute Nachricht. Er habe einen Haufen Arbeit, sein Zahnschmerze und außerdem sei das Reisen im Sattel nicht seineSache. Dann verstummte er, als wäre ihm bewusst geworden,dass der königliche Prokurator bestimmt nicht hergekommenwar, um sich sein Gejammer anzuhören. Er bekreuzigte sich,wohl um Gedanken zu vertreiben, die sich schlecht mit derDemut eines Ordensbruders vertrugen, und fragte, womit erihm nun eigentlich dienen könne.

»Ich würde gerne so viel wie möglich über die Wallfahrt nachCompostela erfahren. Und damit meine ich die Route selbst.Denn ich darf mit aller Bescheidenheit behaupten, dass ich überden Apostel Jakobus genug weiß.«

»Und was Ihr nicht über ihn wisst, kann ich euch gerne nocherläutern, denn auf der Reise werden wir sicher genug Zeit zumUnterhalten haben«, bot Emmeran von Greifsfeld ihm ver-söhnlich an. »Was die Route betrifft, so bedauere ich, nicht vielsagen zu können, denn in keinem unserer Kodizes wird da-rüber ausführlich berichtet. Lediglich ein Benediktinermönchhat auf dem Vorsatzblatt des Johannes-Evangeliums ein paarAnmerkungen über seine Pilgerreise niedergeschrieben. Sie sindallerdings auf Okzitanisch. Zwar ähnelt keine Sprache derchristlichen Welt dem Lateinischen so sehr wie gerade diese,dennoch würdet Ihr vermutlich nicht alles verstehen. Ich könnteEuch den Text übersetzen, aber es würde Euch nicht viel Gewinnbringen, denn dieser Mönch hat pure Belanglosigkeiten notiert:Wo es eine gute Wirtschaft gibt, wo sich eine Furt befindet, wieman die Berge umgehen kann und so fort. Kein Wort darüber,welche Gebete der Pilger sprechen sollte. Zum Glück kenne ich

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sie alle. Der ehrenwerte Isidor von Sevilla hat ein höchst lehr-reiches Traktat über die geistliche Bedeutung der Wallfahrt ver-fasst. In unserer Bibliothek haben wir es leider nicht zur Ver-fügung, aber ich kann es fast auswendig. Außerdem . . .«

»Ich wäre Euch dennoch dankbar, Bruder«, unterbrachUlrich ihn, »wenn Ihr mir diese Notizen auf dem Vorsatz desEvangeliums übersetzen würdet.«

Emmeran von Greifsfeld nickte und schlug seufzend einendicken Kodex auf. Auf der Innenseite des Buchdeckels standin winziger Schrift eine Wegbeschreibung: von Konstanz ausnach Besancon, dann per Schiff über den Doubs und die Rhonebis zum Meer, von dort zu Fuß weiter durch das Gebiet desLanguedoc bis nach Toulouse, anschließend über den FlussGaronne nach Bordeaux und schließlich mit dem Schiff entlangder Meeresküste bis zum Hafen unterhalb von Compostela.Dem Benediktiner nach war diese Route zwar länger als derLandweg, aber wesentlich schneller. Er habe nur etwas übereinen Monat gebraucht, da er auf den Flüssen stromabwärtsunterwegs gewesen und so zügig vorangekommen sei. Ulrichdankte dem Bibliothekar und ließ sich von ihm den dickenKodex in die Hand geben. Interessiert betrachtete er den Textund dachte nach.

Die Strecke von Prag bis nach Konstanz kannte er: Von hierwar es nicht weit bis zum niederösterreichischen Kloster inMelk. Von dort konnte man auf der Donau nach Sigmaringengelangen, und dann waren es nur noch ein oder zwei Tagesrittebis zum Bodensee. Allerdings galt dies für den Frühling undden Sommer; jetzt war bereits Oktober, und der Winter rücktenäher. Er begriff nicht, warum Agnes von Böhmen just in derJahreszeit reisen musste, die dem Reisen am abträglichsten war.Aber was auch immer der Grund dafür war – sicher würden siegenau diese Strecke wählen, da sie die bequemste war.

Agnes von Böhmen war immerhin nicht mehr die Jüngste.

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Sie musste mindestens fünfzig Jahre alt sein, wenngleich siejünger wirkte. Sie war schlank und fortwährend in Bewegung,denn sie pflegte den Leitsatz des heiligen Gregor zu zitieren,Müßiggang sei die Mutter der Sünde. Sie hatte zwar das Prinzipder Entsagung übernommen, wie es der heilige Franziskus vonAssisi gepredigt hatte, aber deswegen würde sie wohl kaumeinen Weg wählen, der unbequem war, zumal die Reise da-durch länger dauern und sie entsprechend später zum Grabdes heiligen Jakobus gelangen würden. Ulrich vermutete, dassAgnes von Böhmen die Weihnachtstage in Compostela bege-hen wollte. Vielleicht war das auch der Grund dafür, dass sie sobald aufbrechen wollte.

Der hagere Bibliothekar hatte die Hände in den Ärmeln sei-ner Ordenstracht verborgen und beobachtete ihn ruhig. Wasfür ein Christ einer war, äußerte sich für ihn darin, wie er mitBüchern umging. Ulrich von Kulm wendete die Blätter acht-sam und mit angemessener Ehrfurcht um. Fast ebenso behut-sam wie Emmeran selbst.

Als Ulrich gerade sorgfältig den Kodex schloss und mit derMetallspange vor dem selbsttätigen Aufspringen sicherte, hörteman das Quietschen der Türangeln. Der Propst von Vysehraderschien in der Bibliothek. Überrascht blickte er Ulrich vonKulm an und brummte: »So, Ihr hier? Was tut Ihr hier? Es heißt,Ihr seid ein äußert gelehrter Mann, königlicher Prokurator. Aberso ganz weit her, wie die Leute denken, kann es dann doch nichtsein mit Eurer Gelehrsamkeit. Sonst müsstet Ihr nicht in denBüchern nachsehen, sondern hättet alles im Kopf.«

»Meine Gelehrtheit lässt sich gewiss nicht mit Eurer verglei-chen, ehrwürdiger Propst«, antwortete Ulrich, ohne mit derWimper zu zucken. »Ihr müsst keine Bücher zu Rate ziehen.«

»Hier habe ich die Anmerkungen für Euch vorbereitet«,unterbrach Emmeran von Greifsfeld hastig und reichte demPropst die Pergamentrolle. Dieser öffnete sie sogleich, überflog

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die Zeilen und stöhnte, weshalb das denn so viel sei. Er warfnoch einen Blick durch die dämmrige Bibliothek, segnete diebeiden und ging davon.

»Habt Ihr das gehört? Und so jemand nennt sich Propst desVysehrader Kollegiatstifts! Als König Vratislav es gründete,sollte es ein Sitz kirchlicher Gelehrsamkeit sein«, ächzte derBibliothekar gequält. »Jetzt schicken sie Ordensleute hierher,deren einziges Verdienst darin besteht, aus einer vornehmenFamilie zu stammen, ansonsten sind sie Faulenzer und Dumm-köpfe. Aber glaubt nicht, edler Herr, es sei andernorts besser.Die Kirche verkommt zusehends. Und an allem sind die Bettel-orden schuld. Sie halten ein Leben in Armut, Dreck und Un-bildung für den einzig richtigen Weg zum Heil. Wohin soll dasnur führen?«

»Nun, es macht nicht den Eindruck, als habe Willibald Odoviel mit Armut im Sinn«, bemerkte Ulrich ironisch.

»Das nicht. Umso mehr jedoch mit Unbildung. Aber gut,was kann man von einem Nachfahren von Seeräubern aucherwarten? Die Normannen haben einst unser Gehöft am Rheinniedergebrannt und fast meine ganze Sippe ermordet.«

Ulrich neigte höflich seinen Kopf und faltete die Hände, umanzudeuten, dass er für das Heil der verstorbenen Seelen bete.Im Stillen rechnete er jedoch schnell nach. Die Geschehnisse,von denen der hagere Bibliothekar berichtete, lagen mindestenszweihundert Jahre zurück. Er musste seinen Propst wahrhaftighassen!

Otto hatte von seinem Herrn keinen spezifischen Auftragerhalten, und so kam er auf die Idee, sich seinerseits ein wenigüber die geplante Reise kundig zu machen. Ihn interessierte ammeisten, welche Jungfrauen mitreisen würden. Vielleicht sollteer einmal im Palas des Burggrafen auf der Prager Burg bei Lucia

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vorsprechen? Vor nicht allzu langer Zeit hatte er ihr das Lebengerettet, wenngleich sie davon überzeugt war, das Verdienst ge-bühre vor allem seinem Herrn. Trotzdem schenkte sie ihmimmer ein Lächeln, wenn sie einander begegneten. Allerdingserschien es ihm taktisch ungünstig, sie ausgerechnet jetzt zubefragen, denn sie könnte hinterher über ihn spotten, dass ersich vor der heiligen Wallfahrt nur für Weibsbilder interessiere.Lucia konnte sehr spitz sein, und Otto vermochte sich nurschwer vorzustellen, dass sie eines Tages eine demütige Ehefrauoder gar Ordensschwester werden könnte.

Er schlenderte über die breite Straße in Richtung AltstädterRing und überlegte, wie er am ehesten an Informationen gelan-gen könnte. Er kam zu dem Schluss, am verlässlichsten sei eswie immer, sich an die besten Kennerinnen der Materie zu wen-den, nämlich an die herrschaftlichen Ammen und Köchinnen.Und so wusste er bereits vor Mittag die Namen der drei Edel-fräulein, die zu Lucias Jungfrauengefolge gehören würden.

Johanna von Blatna kannte er noch nicht, und er konnte sichauch nicht erinnern, sie je am königlichen Hofe gesehen oderetwas über sie gehört zu haben. Auch an Katharina von Gut-stein konnte er sich nur vage erinnern, da er sie länger nicht ge-sehen hatte. Er wusste allerdings, dass einer seiner Freunde,Michael Kekule von Stradonitz, um sie warb. Was er sich frei-lich nicht so recht vorstellen konnte, denn er kannte kaumeinen scheueren und unbeholfeneren Ritter, wenn es um Mäd-chen ging. Der dritte Name indessen bereitete ihm ein wenigSorgen.

Zdena Berken von Bürgstein gehörte zur weitverzweigtenFamilie derer von Dauba. Im Frühling, nach einem üppigenFestmahl in Leipa, war er ihr wesentlich nähergekommen, als essich nach Kirchenmeinung ziemte. Seither hatte er sie zwar nichtwiedergesehen, doch Otto war sich nicht sicher, wie Zdena aufihn reagieren würde. Er war zwar in jener Nacht nicht ihr erster

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Liebhaber gewesen, und als sie am Morgen auseinandergingen,hatten sie einander nichts weiter versprochen – das musstejedoch nichts heißen. Mit den Edelfräulein war die Sache kom-plizierter als mit den einfachen Mädchen, denn für sie schien oftauch das Unausgesprochene zu gelten. Wie sollte sich da einerauskennen!

Am günstigsten wäre es, wenn irgendein Ritter aus Nord-böhmen um Zdena Berken freien würde; dann hätte sie viel-leicht anderes im Kopf, und alles wäre in bester Ordnung.Doch seines Wissens hatte Zdena keinen Brautwerber, denn daswäre ihm bestimmt zu Ohren gekommen. Er wunderte sich da-rüber, war sie doch hübsch und obendrein wohlhabend. Ihmwurde etwas mulmig, wenn er daran dachte, welche Komplika-tionen ihre gemeinsame Reise mit sich bringen könnte – zumalwenn sich am Ende noch Agnes von Böhmen einmischenwürde. Deren zweite Leidenschaft neben ihrer Frömmigkeitwar es nämlich, die Vermählung von Töchtern aus vornehmerFamilie zu arrangieren.

Als Otto mit seinen Befürchtungen bis hierhin gelangt war,sagte er sich plötzlich: Was soll’s? Ich habe schon Schlimmeresüberstanden. Warum in Verteidigungsposition gehen, wo dochder Feind noch nicht einmal vor den Mauern steht? Er wusstenun, was er tun würde. Es wäre ganz unsinnig, Zdena aus demWeg zu gehen. Lieber würde er bei der erstbesten Gelegenheitdas Gespräch unter vier Augen mit ihr suchen, denn es erschienihm redlicher, gleich zu Beginn klarzustellen, dass das, was zwi-schen ihnen vorgefallen war, zu Ende war. Oder noch besser:erst gar nicht begonnen hatte. Besser riskierte er gleich einenStreit, als später vorwurfsvolle Blicke oder gar verliebte Seufzerund Tränen ertragen zu müssen. Seine Freunde beneideten ihnoft um seine Erfolge bei den Mädchen – wenn sie nur wüssten,wie viel Mühe es bedeutete, sie anschließend in allen Ehren wie-der loszuwerden!

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»Seid Ihr der Knappe Otto von Zastrizl?«, riss eine forscheStimme ihn aus seinen Gedanken. Der Mann war von rechtkleiner Statur, hatte ein scharf geschnittenes Gesicht und sprachDeutsch. Er war jedoch ganz offenkundig kein Deutscher, denner hatte einen unüberhörbaren fremdländischen Akzent. Ottowar so in Gedanken versunken gewesen, dass er ihn gar nichtbemerkt hatte, dabei war er ihm wohl schon länger gefolgt. Erhatte einen dunklen Teint, trug das Panzerhemd eines Kriegersund über den Schultern einen schwarzen Mantel. Ein Schwertwar nicht zu sehen, doch an seinem Gürtel hing ein Dolch miteinem wunderbar ziselierten Griff, der mit braunen Topasenbesetzt war.

»Zu Euren Diensten«, sagte Otto mit einer höflichen Ver-beugung und wartete gespannt ab. »Kennen wir uns?«

»Ihr seid mir wohlbekannt. Ein erwachsener Mann und dochweiterhin Knappe, ist das nicht etwas Seltsames?«, sagte derFremde lächelnd. »Ich wüsste, wie Ihr das ändern könntet.«

»Und wenn ich es nicht ändern möchte?«»Nur Heilige wollen in Armut leben. Und Ihr seid keiner,

wie mir zu Ohren gekommen ist. Würden wir sämtliche Schen-ken der Altstadt zusammen aufsuchen, würde sich wohl min-destens die Hälfte der dortigen Kellnerinnen an Euch erinnern.Eine anständige Leistung, wahrhaftig!«

»Ihr übertreibt«, sagte Otto lachend. Er war neugierig, wasdiese Begegnung bedeutete, und blieb deshalb ebenfalls freund-lich. »So viele Kellnerinnen sind es nicht. Höchstens in jedervierten Schenke würde man sich an mich erinnern. Alles andereist üble Nachrede.«

»Solchen Neigungen zu frönen kostet Geld. Wie würdeEuch das hier gefallen?«, fragte der Fremde. Er griff in seinenschwarzen Mantel und holte einen prall gefüllten kleinen Beu-tel hervor. Dann fasste er nach Ottos Hand und drückte denBeutel hinein. Waren darin wirklich Denare, mussten es min-

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destens zehn Schock sein. So viel verdiente Otto im ganzen Jahrnicht.

Der Knappe verzog das Gesicht. »Das ist ganz unnötig«,sagte er. »Ich muss mir die Kellnerinnen nicht kaufen, und sobrauche ich auch keine Silberlinge. Vor allem keine fremden.«

»Geld kann man immer gebrauchen! Schließlich steht Eucheine lange Reise bevor. Wenn Ihr Euch erst einmal auf dem Ge-biet des französischen Königs befindet, werdet Ihr staunen,was die Schneider dort Prachtvolles vollbringen. Und aus wel-chen Stoffen! Auf den Märkten werdet Ihr gar nicht wissen,wohin Ihr Euren Blick zuerst wenden sollt. Maurische Waffen,byzantinische Duftöle, Spitzen aus Venedig . . . Gönnt Euchein wenig Prunk! Das Leben ist zu kurz, um zu darben, edlerHerr von Zastrizl.« Der Fremde verneigte sich mit ernsterMiene, trat einen Schritt zurück und fügte noch hinzu: »Danktmir nicht, vielleicht werden wir einander ja noch einmal be-gegnen.« Er ließ den Beutel in Ottos Hand, drehte sich um undeilte in Richtung der Judit-Brücke davon.

»He! So wartet doch!«, schrie der völlig überrumpelte Ottound rannte ihm hinterher. Er konnte ihn gerade noch am Man-telsaum fassen und wollte ihm das Geld zurückgeben, dochder Fremde verschränkte die Arme vor der Brust und sagte intadelndem Ton: »Wir wollen doch hier auf der Straße nicht mit-einander rangeln wie zwei Markthändler. Lasst mich freund-lichst los! Solltet Ihr so unklug sein und etwa diesen schiel-äugigen Büttel dort hinten um Hilfe rufen, der uns schon vonweitem beobachtet, dann werde ich abstreiten, dass dies meinGeld ist. Ich wünsche eine glückliche Reise nach Compostela!«Dann riss er Otto den Saum seines Mantels aus der Hand undeilte weiter in Richtung Fluss.

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