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356 © Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Stahlbau 73 (2004), Heft 5 Die Ergebnisse einer nichtlinearen FE-Berechnung eines Durchlaufver- bundträgers mit Stegöffnung werden vorgestellt. Dabei zeigen sich beim Tragverhalten einige Besonderheiten, die man bei der Bemessung sol- cher Träger beachten sollte. Specials of continuous composite beams with web openings. The results of one non-linear FE-calculation for a continuous composite beam with a web opening are presented. Thereby some of bearing behaviour and specials can be showed, which should be concerned by designing. 1 Einleitung Obwohl Einfeldverbundträger mit Stegöffnungen häufig un- tersucht wurden, sind Durchlaufverbundträger mit Stegöff- nungen selten erforscht worden. Bei der Bemessung von Durchlaufverbundträgern ohne Stegöffnung darf sowohl nach deutschen Normen als auch nach EC 4 die Fließge- lenktheorie angewendet werden. Dadurch kann neben der Querschnittstragfähigkeit auch die Systemreserve ausge- nutzt werden. Bei Durchlaufträgern mit Stegöffnungen stellt sich die Frage, ob die Fließgelenktheorie auch ohne wei- teres angewendet werden darf, oder ob Besonderheiten zu beachten sind. Zu diesen Fragen liegen z. Z. noch wenige genaue Untersuchungsergebnisse vor. Im vorliegenden Auf- satz werden deshalb einige Ergebnisse vorgestellt, die durch die nichtlineare Berechnung eines Durchlaufträgers mit Steg- öffnung gewonnen wurden. 2 Lastverformungskurve Der untersuchte Träger ist in Bild 1 dargestellt. Dessen Querschnittswerte und Materialkenndaten können [1] ent- nommen werden. Ferner liegt die Mitte der Stegöffnung ungefähr dort, wo sich der Nullpunkt des elastisch ermittel- ten Moments befindet. Um die Tragmechanismen mit und ohne Stegöffnung vergleichen zu können, wird der gleiche Träger ohne Stegöffnung berechnet, und dessen Ergebnisse werden gegenübergestellt. Die in Bild 1 aufgetragene Durch- biegung ist an der Stelle unter der Einzellast im linken Feld. Dabei zeigt es sich, daß die Traglast, die Steifigkeit und die Verformbarkeit des Trägers mit Stegöffnung deutlich klei- ner sind als die des Trägers ohne Öffnung. Die Lastver- formungskurve gibt hierbei einen direkten Eindruck des glo- balen Tragverhaltens, daraus läßt sich aber kein Hinweis über das innere Geschehen des Trägers ableiten. Dazu sind weitere Ergebnisse notwendig. Im folgenden werden diese vorgestellt. 3 Vertikale Verformungen In Bild 2 sind die vertikalen Verformungen über die Träger- länge aufgetragen. Die maximale Verformung im linken Feld ist deutlich größer (um 76 %) als im rechten Feld. Auch der Verlauf der Verformungen zeigt einen starken Unterschied zwischen dem linken und dem rechten Feld: Während das rechte Feld einen gekrümmten Durchbiegungsverlauf auf- weist, zeigt das linke Feld einen rapiden linearen Anstieg der Durchbiegung über die Öffnungsbreite. Dies ist darauf zurückzuführen, daß die sekundären Momente jeweils am linken und am rechten Rand der Öffnung den gleichen Sinn wie das primäre Moment aufweisen, d. h., am linken Rand sind sie positiv und am rechten Rand negativ. Unter der Beanspruchung der negativen Momente bleiben die Ver- Besonderheiten von Durchlauf- verbundträgern mit Stegöffnungen Donghua Zhou Bild 1. Lastdurchbiegungskurven Fig. 1. Load-deflection curve Bild 2. Verläufe der vertikalen Verformungen über die Träger- länge Fig. 2. Gradient of the vertical deformations over the length of the beam

Besonderheiten von Durchlaufverbundträgern mit Stegöffnungen

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© Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Stahlbau 73 (2004), Heft 5

Die Ergebnisse einer nichtlinearen FE-Berechnung eines Durchlaufver-bundträgers mit Stegöffnung werden vorgestellt. Dabei zeigen sich beimTragverhalten einige Besonderheiten, die man bei der Bemessung sol-cher Träger beachten sollte.

Specials of continuous composite beams with web openings. Theresults of one non-linear FE-calculation for a continuous composite beamwith a web opening are presented. Thereby some of bearing behaviourand specials can be showed, which should be concerned by designing.

1 Einleitung

Obwohl Einfeldverbundträger mit Stegöffnungen häufig un-tersucht wurden, sind Durchlaufverbundträger mit Stegöff-nungen selten erforscht worden. Bei der Bemessung vonDurchlaufverbundträgern ohne Stegöffnung darf sowohlnach deutschen Normen als auch nach EC 4 die Fließge-lenktheorie angewendet werden. Dadurch kann neben derQuerschnittstragfähigkeit auch die Systemreserve ausge-nutzt werden. Bei Durchlaufträgern mit Stegöffnungen stelltsich die Frage, ob die Fließgelenktheorie auch ohne wei-teres angewendet werden darf, oder ob Besonderheiten zubeachten sind. Zu diesen Fragen liegen z. Z. noch wenigegenaue Untersuchungsergebnisse vor. Im vorliegenden Auf-satz werden deshalb einige Ergebnisse vorgestellt, die durchdie nichtlineare Berechnung eines Durchlaufträgers mit Steg-öffnung gewonnen wurden.

2 Lastverformungskurve

Der untersuchte Träger ist in Bild 1 dargestellt. DessenQuerschnittswerte und Materialkenndaten können [1] ent-nommen werden. Ferner liegt die Mitte der Stegöffnungungefähr dort, wo sich der Nullpunkt des elastisch ermittel-ten Moments befindet. Um die Tragmechanismen mit undohne Stegöffnung vergleichen zu können, wird der gleicheTräger ohne Stegöffnung berechnet, und dessen Ergebnissewerden gegenübergestellt. Die in Bild 1 aufgetragene Durch-biegung ist an der Stelle unter der Einzellast im linken Feld.Dabei zeigt es sich, daß die Traglast, die Steifigkeit und dieVerformbarkeit des Trägers mit Stegöffnung deutlich klei-ner sind als die des Trägers ohne Öffnung. Die Lastver-formungskurve gibt hierbei einen direkten Eindruck des glo-balen Tragverhaltens, daraus läßt sich aber kein Hinweisüber das innere Geschehen des Trägers ableiten. Dazu sindweitere Ergebnisse notwendig. Im folgenden werden diesevorgestellt.

3 Vertikale Verformungen

In Bild 2 sind die vertikalen Verformungen über die Träger-länge aufgetragen. Die maximale Verformung im linken Feldist deutlich größer (um 76 %) als im rechten Feld. Auch der

Verlauf der Verformungen zeigt einen starken Unterschiedzwischen dem linken und dem rechten Feld: Während dasrechte Feld einen gekrümmten Durchbiegungsverlauf auf-weist, zeigt das linke Feld einen rapiden linearen Anstiegder Durchbiegung über die Öffnungsbreite. Dies ist daraufzurückzuführen, daß die sekundären Momente jeweils amlinken und am rechten Rand der Öffnung den gleichenSinn wie das primäre Moment aufweisen, d. h., am linkenRand sind sie positiv und am rechten Rand negativ. Unterder Beanspruchung der negativen Momente bleiben die Ver-

Besonderheiten von Durchlauf-verbundträgern mit Stegöffnungen

Donghua Zhou

Bild 1. LastdurchbiegungskurvenFig. 1. Load-deflection curve

Bild 2. Verläufe der vertikalen Verformungen über die Träger-längeFig. 2. Gradient of the vertical deformations over the length ofthe beam

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formungen am rechten Rand klein und wachsen am lin-ken Rand aufgrund der positiven Momente überpropor-tional an.

4 Horizontale Verformungen

Neben den vertikalen Verformungen entstehen auch hori-zontale Verformungen. Diese sind insbesondere im Öffnungs-bereich groß. Um dies deutlich zu machen, ist in Bild 3 dieverformte Öffnungskontur (Öffnungsränder) dargestellt. DieVerformungen sind 10fach vergrößert dargestellt. Zum Ver-gleich ist die Stegverformung an der gleichen Stelle im zwei-ten Trägerfeld ohne Öffnung (spiegelsymmetrisch zur mitt-leren Auflagerachse) dargestellt, die in Bild 3 als Spiegel-kontur bezeichnet wird.

Die Öffnungskontur besitzt hierbei zwei spitze undzwei stumpfe Winkel, während die Spiegelkontur nahezurechtwinklig ist. Aus der Gegenüberstellung beider Kon-turen läßt sich folgendes ableiten:1. Die Öffnungskontur weist aufgrund der relativen Verdre-hung der Kanten an den Öffnungsecken schubgleitungsähn-liche Verzerrungen auf, während die Spiegelkontur fast nurBiegeverformungen erleidet, weshalb die rechten Winkelauch erhalten bleiben.2. Die linken und rechten Ränder der Öffnungskontur sindnicht mehr gerade. Folglich bleiben die Querschnitte nichteben, was wiederum die Ungültigkeit der technischen Biege-lehre in diesem Bereich bestätigt.3. Es tritt eine horizontale relative Verschiebung zwi-schen dem oberen und dem unteren Teilquerschnitt auf.In Analogie zum Schlupf in der Verbundfuge läßt sichhier sagen, daß der obere und untere Teilquerschnitt auf-grund der horizontalen relativen Verschiebung nichtmehr voll zusammenwirken.

5 Teilschnittgrößen

In Bild 4 sind die Normalkräfte der Teilquerschnitte aufTraglastniveau oberhalb und unterhalb des Schnitts I–I

dargestellt, der auf der Höhe der Oberkante der Öff-nung geführt wird. Die Normalkraft weist im linken Feldeinen stufenweisen Verlauf auf, und das Maximum liegtum 12 % niedriger als im rechten Feld. Dies ist auf diehorizontale relative Verschiebung der beiden Teilquer-schnitte über und unter der Öffnung (s. Bild 3) zurück-zuführen.

Durch die Darstellung der Teilschnittgrößen im Laufeder Belastung (vgl. Bild 5) läßt sich noch ein weiteres Trag-verhalten erkennen. In Bild 5 sind Voben, Vunten, Vges undNunten, die Querkraft des unteren, des oberen Teilquer-schnitts, des Gesamtquerschnitts bzw. die Normalkraft desunteren Teilquerschnitts, dargestellt. Interessant ist, daßVunten nur wenig anwächst und dann konstant bleibt, daNunten ansteigt und die Materialfestigkeit in Anspruchnimmt. Voben nimmt deshalb gleichmäßig mit Vges zu. Diesbestätigt die Aussage, daß der untere Teilquerschnitt be-vorzugt die Normalkraft aufnimmt und der obere Teilquer-schnitt die Querkraft.

a) b)

Bild 3. Verformte Öffnungskontur a) und verformte Spiegelkontur b)Fig. 3. Deformed opening contour a) and deformed symmetric contour b)

Unter Schnitt I–I

gesamte Normalkraft

Über Schnitt I–I

P = 407,05 kN P

um 12 %

Bild 4. Normalkraftverlauf über und unter Schnitt I–IFig. 4. Gradient of the normal force over the section I–I

6 Stützmoment

In Bild 6 ist neben dem Biegemoment der nichtlinearenBerechnung auch das Biegemoment der linearen Berech-nung aufgetragen. Zum Vergleich wird auch das Momentder linearen Berechnung ohne Öffnung eingezeichnet. AlleMomente sind auf dem gleichen Lastniveau (P = 407,05 kN)berechnet, welches der Traglast der nichtlinearen Berech-nung entspricht.

Man erkennt, daß das elastische Stützmoment mitÖffnung schon um 20 % kleiner als das ohne Öffnung ist,während das Stützmoment der nichtlinearen Berechnungnoch weiter darunter liegt (insgesamt 56 %). Dies hat zweiGründe:

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– Die Größe der Biegesteifigkeit des linken Felds bestimmtden Einspanngrad des rechten Felds (durch das linke Feld).Die Stegöffnung reduziert die Steifigkeit des linken Feldsund damit auch den Einspanngrad des rechten Felds, waszu einem kleineren Stützmoment führt. Treten die Nicht-linearitäten der Werkstoffe im Öffnungsbereich auf, so re-duziert sich die Biegesteifigkeit des linken Felds noch zu-sätzlich und somit auch der Einspanngrad des rechten Felds,was wiederum ein kleineres Stützmoment zur Folge hat.– Aufgrund der großen Verformungen an der Öffnung bil-den sich in den Öffnungsecken lokale Fließgelenke aus;damit entsteht praktisch ein globales Querkraftgelenk. Des-halb versagt der Träger, bevor sich das Stützmoment unddas Feldmoment noch weiter aufbauen können.

Bild 5. Teilquerkräfte (Voben, Vunten), Gesamtquerkraft (Vges) und Normalkraft (Nunten)Fig. 5. Components (Voben, Vunten), overall shear force (Vges) and normal force (Nunten)

Bild 6. Verläufe des elastischen und plastischen MomentsFig. 6. Gradient of the elastic and plastic moments

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Durch Vergleich der plastischen Biegemomente der Quer-schnitte im Feld und am mittleren Auflager mit denen dernichtlinearen Berechnung in der Tabelle 1 läßt sich des wei-teren feststellen: Im Traglastzustand wird nur in der Feld-mitte das plastische Feldmoment erreicht, am mittleren Auf-lager wird das plastische Stützmoment jedoch nicht erreicht.Dies deutet darauf hin, daß die übliche Fließgelenkkette –ein Gelenk über der Stütze, eins in jedem Feld – in diesemFall nicht auftritt, da der Träger vorher im linken Feld ver-sagt.

Dieser Effekt hat für die Bemessung in der Praxis einewichtige Bedeutung. Im EC 4 sind die folgenden Verfahrenfür die Ermittlung der Schnittgrößen zugelassen:1. Berechnung der Schnittgrößen auf der Grundlage derElastizitätstheorie2. Elastische Schnittgrößen mit begrenzter Stützmomen-tenumlagerung3. Berechnung nach dem Fließgelenkverfahren I. Ordnung.Berechnet man die Schnittgrößen nach dem ersten Verfah-ren, darf die Abminderung des Stützmoments infolge derÖffnung zur Vereinfachung nicht vernachlässigt werden.Nach dem vorliegenden Beispiel beträgt die Abweichungmit Öffnung schon ca. 20 % gegenüber dem Träger ohneÖffnung. Erfaßt man das plastische Tragverhalten mit einerbegrenzten Umlagerung des elastischen Stützmoments, be-trägt die maximale Umlagerung nach EC 4 25 % des ela-stischen Stützmoments. Dies erscheint im Vergleich mitder vorliegenden Berechnung mit einer Umlagerung von56 % als zu klein, was auch ein größeres Feldmoment zurFolge hat. Die im EC 4 festgelegte Grenze der Umlagerungist offensichtlich nicht zur Anwendung bei Durchlaufträ-gern mit Stegöffnungen geeignet, wofür sie ja auch nichtgedacht ist.

Verwendet man die Fließgelenktheorie, so muß zuerstfestgestellt werden, welche Fließgelenke (Biegemoment-,

Normalkraft- oder Querkraftfließgelenke) sich ausbildenund vor allem wo. Dann muß weiterhin festgestellt wer-den, aus welchen Fließgelenken eine Fließgelenkkette be-steht, die den Träger in ein kinematisches System überführt.Nach den Erkenntnissen der nichtlinearen Berechnung kön-nen sich Fließgelenke nicht nur an den Stellen der maxi-malen Momente ausbilden, sondern oft auch im Bereichder Stegöffnung. Bei dem hier behandelten Durchlaufträ-ger bildet sich neben einem Biegemomentengelenk in je-dem Feld auch ein Querkraftfließgelenk an der Öffnung,während die typischen Biegemomentengelenke, die sich beiVerbundträgern ohne Stegöffnung i. d. R. über dem Mittel-auflager und in der Feldmitte ausbilden, hier nicht mehr auf-treten.

7 Zusammenfassung

1. Das durch die Stegöffnung bedingte Tragverhalten, dasbei Einfeldträgern beobachtet werden kann, tritt auch beiDurchlaufträgern auf, z. B. große Verformungen im Öff-nungsbereich, kleine Steifigkeit, kleinere Verformbarkeitund kleinere Traglast.2. Über die Öffnungsbreite erfährt der Träger einen rapi-den Anstieg der vertikalen Verformungen und über die Öff-nungshöhe eine relative Verschiebung zwischen dem obe-ren und dem unteren Teilquerschnitt. Der letztere führt zueiner unvollständigen Zusammenwirkung der beiden Teil-querschnitte.3. Der untere Teilquerschnitt nimmt überwiegend die Nor-malkraft auf, während der obere Teilquerschnitt den größ-ten Anteil der Querkraft abträgt.4. Das Stützmoment ist aufgrund der Stegöffnung deut-lich kleiner, so daß die dortige Ausbildung eines Fließge-lenks eher unwahrscheinlich wird. Dies sollte bei der An-wendung der Fließgelenktheorie besonders beachtet wer-den.

Literatur[1] Zhou, D.: Beitrag zum Tragverhalten und zur Entwicklung

der Rechenmodelle von Verbundträgern mit Stegöffnungen.Dissertation, Universität Kaiserslautern (1998).

Autor dieses Beitrages:Dr.-Ing. Donghua Zhou, Schloßstraße 12, 56856 Zell/Mosel

Tabelle 1. Vergleich der berechneten Momente mit denplastischen MomentenTable 1. Comparison of the calculated moments with theplastic moments

MF Mpl,F MF/Mpl,F MS Mpl,S MS/Mpl,S[kNm] [kNm] [kNm] [kNm]

356,9 344 1,04 140,8 244,5 0,58