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Besucher bei unseren Vogelaufzuchten. Von O. Heinroth, Berlin. Schon lange bevor meine Frau und ich unsre ,,V6gel Mitteleur,pas" herausgaben, war es natiirlich in Fach- und Freundeskreisen bekannt, da~ wit a]lj~hrlich eine Menge der verschiedenal~igsten heimischen Jungv6gel zu Hause hatten, und viele kamen, um die zahlreiche Pflege- kinderschar zu besichtigen. Bei solchen ,,Vogelbesuchen"; wie wir diese Wi•begierigen und Neugierigen kurz zu nennen pflegen, lernt man die Menschen, ihre Be(rachtungsweise, ihre Auffassung, die Einstellung zur Umwelt und zu sieh selbst, sowie namentlich ihre Fachkenntnisse aus- gezeichnet kennen~ und man bekommt einen guten Begriff yon der Beobachtungsgabe und-zuverlgssigkeit yon Bekannten und Freunden. Auch bei kleinen Fiihrungen dutch unser Vogelheim nach wissenschaft- lichen Sitzungen offenbart sich der geistige Hoch- oder Tiefstand, der Sinn fiir Zucht und Ordnung sowie das Taktgefiihl solcher Gesellschaften. Ich merke so etwas ja auch sehr im Aquarium, denn der Unterschied zwischen der gegenseitigen Riicksichtslosigkeit tier Mitglieder irgend- eines geselligen Vereins und dem Takt der AngehSrigen eines Offizier- kooks ist gradezu verbliiffend. Warum ich dies gerade zu HA~T~TS siebzigstem Geburtstage sehreibe? Weft HA~ss~R¢ uns immer einer der liebsten Besucher war, und hoffentlich kommt er noch recht oft zu uns. Es gibt n~mlich aueh unter den engeren Fachgenossen nicht viele, die wirklich sehen und hSren kSnnen. Dazu gehSrt offenbar eine grol3e Kenntnis und Vorbildung, und wenn man nicht Fragen im Kopfe hat, so gibt einem ein Gegenstand, also bier ein junger, vielleicht noch hie geschauter Vogel, ~uch keine Ant- wort. Nur wenige kSnnen sich in das Aussehen und Benehmen yon Dunenjnngen so vertiefen, wie unser ~ller Lehrer HARTERT, dem alle Arten nach Farbe und Ma~ bekannt sind, und der sich darnm glficklich sch~tzt, wenn er die kleinen Dinger als krabbelnde Wesen mit ihrem

Besucher bei unseren Vogelaufzuchten

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Besucher bei unseren Voge laufzuchten .

Von O. Heinroth, Berlin.

Schon lange bevor meine Frau und ich unsre ,,V6gel Mitteleur,pas" herausgaben, war es natiirlich in Fach- und Freundeskreisen bekannt, da~ wit a]lj~hrlich eine Menge der verschiedenal~igsten heimischen Jungv6gel zu Hause hatten, und viele kamen, um die zahlreiche Pflege- kinderschar zu besichtigen. Bei solchen ,,Vogelbesuchen"; wie wir diese Wi•begierigen und Neugierigen kurz zu nennen pflegen, lernt man die Menschen, ihre Be(rachtungsweise, ihre Auffassung, die Einstellung zur Umwelt und zu sieh selbst, sowie namentlich ihre Fachkenntnisse aus- gezeichnet kennen~ und man bekommt einen guten Begriff yon der Beobachtungsgabe und-zuverlgssigkeit yon Bekannten und Freunden. Auch bei kleinen Fiihrungen dutch unser Vogelheim nach wissenschaft- lichen Sitzungen offenbart sich der geistige Hoch- oder Tiefstand, der Sinn fiir Zucht und Ordnung sowie das Taktgefiihl solcher Gesellschaften. Ich merke so etwas ja auch sehr im Aquarium, denn der Unterschied zwischen der gegenseitigen Riicksichtslosigkeit tier Mitglieder irgend- eines geselligen Vereins und dem Takt der AngehSrigen eines Offizier- kooks ist gradezu verbliiffend.

Warum ich dies gerade zu HA~T~TS siebzigstem Geburtstage sehreibe? Weft HA~ss~R¢ uns immer einer der liebsten Besucher war, und hoffentlich kommt er noch recht oft zu uns. Es gibt n~mlich aueh unter den engeren Fachgenossen nicht viele, die wirklich sehen und hSren kSnnen. Dazu gehSrt offenbar eine grol3e Kenntnis und Vorbildung, und wenn man nicht Fragen im Kopfe hat, so gibt einem ein Gegenstand, also bier ein junger, vielleicht noch hie geschauter Vogel, ~uch keine Ant- wort. Nur wenige kSnnen sich in das Aussehen und Benehmen yon Dunenjnngen so vertiefen, wie unser ~ller Lehrer HARTERT, dem alle Arten nach Farbe und Ma~ bekannt sind, und der sich darnm glficklich sch~tzt, wenn er die kleinen Dinger als krabbelnde Wesen mit ihrem

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Gesiehtsausdruck, ihrer Haltung und Stimme vor sich sehen kann. An solch liebem Besueh erlebt man seine helle Freude, man hat das Geftihl der ZusammengehSrigkeit iin Lernen and Lehren, und giles PersSnIiche und Nebensi~ehliehe tritt zuriiek. Wir sehen HA~Et~T noeh lebhaft vor uns, Ms er im Vogelzimmer zwisehen drei kiinstliehen gut- besetzten Raubvogelhorsten stand nnd die Reiehweite der spritzenden Kotstrahlen ganz vergessen hatte, denn ehe wit es verhindern konnten, besudelte ein Habieht den schSnen, neuen Sommeranzug yon oben his unten. HAI~T~T mugte Mso ins Badezimmer genommen und yon meiner Frau tiiehtig sbgewasehen und dann getroeknet werden. Ein solehes Miggesehiek st6rte ihn natiirlich nieht, denn er ist den Umgang mit Tieren in der Freiheit gewShnt.

Man kann ss ja eigentlich niemandem recht iibelnehmen, wenn er neugeborsne Schleiereulen oder frischgesehltipfte WaehtelkSnige nieht kennt, denn es gibt kaum gute Abbildungen davon, und die Beschreibungen sind zum Teil falseh oder doch nur rasngelhsfg. Man ist abet doeh erstaunt, wie wenig setbst gut in Systematik nnd Feldbeobaehtung gettbte Vogetkundige yon Nesthockern und Nestfliichtern wissen, wie wenig ihnen dis grunds~tzlieh verschiedene Lebensweise solcher Vogelkinder Mar ist, wie sie sieh in der GrSl~e irren, trotzdem sie die Eier kennen miissen, nnd wie unklsr ihnen die Versehiedenheit in der Erstlings- bedaunung und in tier Entwieklung des Federkleides ist; yon Ft~tteraufnshme und Entleerungsweise, sowie yon W~rmebediirftigkeit ganz zn sehweigen.

Dag der ,,Vogelbesuch" zun~ehst einmal lanter SchSnheitsurteils als Magst~be an unsere Pfleglinge legt, sind wit gew6hnt und noch mehr daran, dai3 der eigene Brutpflegetrieb suf sie umsehlggt, nsmentlieh suf die, die niedtieh sind. Mit solchen tieben VSgelehen, wie z. B. mehrt~gigen Turmfalksn, Wachtelkiiken, oder Drei-'Woehen-Eulen besehifftigen sieh die Leute gradezu gierig und unendlich, ohne dabei etwas Wiehtiges und W esentliches daran zu sehen. Die meisten Besueher leben in der ganz unbegriindeten Vorsussetzung, da6 wir all unsre JungvSgel reizend fanden und sie flit sehr klug hietten, sis schgtzen uns also fiir Tiernarren ein. Wir erinnern uns immer wieder mit grol]er Preude daran, dal3 wit jemsndera eine mehrtggige, also nach mensehliehen Begriffen unglaublich hi~Bliehe Sehleiereule zeigten, nnd er dann ~erlegen und schiiehtern gn6erte: ,,Die kSnnte mir weniger gefallen.:' Wit antworteten wie aus einem Munde: ,,Uns gefgllt sie such nigt , sagen sie ruhig, es ist ein schengliehes Vieh[".

Es ist kaum glanblieh, wie wenig sieh angeblieh nsturkundlieh ein- gestellte Leute in die Tiere und ihre Lebensweise hineinversetzen kSnnen.

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Da fr~gt einer, wunn man junge Grusmiicken nuehts fiittere, und denkt nicht daran, dug die alten Grasmiicken nuehts sehlufen; Bin anderer wundert sieh, dug ganz junge Bussarde oder WMdk~uze schon Mg.use bekommen. Ob ihm bei dieser Frage die 3gutterbrust oder eine 3~Iilch- flusche oder Mehlbrei vorgesehwebt haben, wissen wir nieht. Ein underes Beispiel: drei pri~chtig% vermuuserte, also ungemein dicht nnd weich befiederte Uralk~nze aas dem k~ltesten OstpreuBen sitzen frei in der Vogelstnbe. Wit gehen mit unserm Besaeh ans diesem Zimmer heraas and bitten ihn, reeht sehnell mitzukommen, damit wir die Tiire rasch wieder zumaehen kSnnen, denn die lebhaften, iibermiitigen VSgel benutzen gern die Gelegenheit, mit uuf den Flur zu kommen and dort allerlei Unfug zu treiben. Wir uber sind geradezu spraehlos, uls der ,,biologisehe" ~Besuch sagt: ,,J u, wit miissen die Ttire sehne]l zumu&en, sonst zieht es den Eulen, und sie k6nnten sieh erk~lten". Und dus noch dazu im Sommer!

Bei den der Vogelkunde fernerstehenden, uber sonst oft r e g t gebildeten und verstgndigen Personen I~igt sich der Gluube nieht uus- rotten, dM3 wit M1 diese Tiere nut zu unserem Vergniigen h~tten und begeistert oder uus Mitleid jeden dungvogel unni~bmen, um ihn aufzu- pgppetn. Im Grunde genommen sind wir gewShnli& heilsfroh, wenn wir die Jngendentwieklnng einer Art photogruphiert und beobachtet haben, wir werden uns also sehwer bitten, jedes Juhr Grasmiieken oder Buchstelzen uufzuziehen. Dug wit uueh 6fter im Dezember oder Jannar gefragt werden, was wit jetzt ftir jange VSgel haben, und dal~ wit dann immer antworten: ,,Jc[uben Sie denn frisehen Spargel im Garten?", ist sehon anderweitig erwghnt. Ebenso kSnnen es viele niemals einsehen, dug IgmNROTgS im Sommer nieht verreisen kSnnen, wenn sie sich im sp~iteren Frtihling yon fernher nnd mit vielen Kosten seltene Brateier mit S&iff nnd Buhn znsammengetragen haben.

Das waren die Frager, denen man ja, wenn sie nieht allzu gefiihls- selig und vermenschliehend sind~ inamer gem Anskunft und Antwort gibt, denn sie lassen sieh leieht bei ihren eigenen Gedanken fassen and auf die richtige Fiihrte fiihren. Schlimm sind die, die fortwi~hrend mit den Gedanken springen nnd Dinge erzithlen, die gar nicht zu dem vorliegenden Stoffe passen. Solche Leute halten einen gunz anglanblich auf und st~iren andere, wirklich Wigbegierige. Da zeigt man jemundem z. B. jnnge Uralk~uze~ die aus Eiern geschliipft sind, die wir mit vieler Sorgfalt nnd Miihe aus dem Kreise Insterbnrg hierherholten, und versueht, den Besehauer uuf die Unterschiede uufmerksam zn maehen, die diese Art dem WMdkanze gegentiber kennzeiehnen. Der Erfolg ist, dal~ tier

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Besuch erzghlt, sein Vater habe einmal eine frischgefangene Schleiereule gehabt, and die sei sehr scheu gewesen, was ja ganz selbstverst~indlich ist; d~nn mug man noch mitanhSren, unter welehen Umstgnden das Tier in Gefangensehaft geriet usw. Oder es kommt beim Bescha,~en eines Nestes seltener J ungvSgel die iibliche Erz~thlang yon einem kranken Zeisig oder Kanarienvogel oder seinen blauen Wellensittiehen, die uns vSllig eineHei ist. Wir haben uns dabei immer gewundert, dal~ gebildete Me~sehen nicht merken, wie wenig zum Gegenstande Passendes sie sagen.

Ganz kribblig maehen uns oft diejenigen, die immer die VSgel betrachten, yon denen gerade nieht die Rede ist; gerade dieser Besuch besteht zum grol3en Teil aus engeren Faehgenossen. Ebensowenig wie wir selbst hatten sie ja frtiher einen dreit~igigen Kranich eder einen einwSehigen Schwarzspecht gesehen, aber kanm haben sie einen Bliek darauf geworfen, so irren die Angen schon weiter and suchen die niiahsten Behi~lter oder Nester ab. NatiiHieh hSren sie dann auch nieht mehr auf die Erkli~rung und fragen all das, was man ausfiihrlich erliiutert hatte, noch einm~l, wenn man einen anderen Pflegling vorfiihrt. Stellung and C~esehleeht soleher Leute hindern reich dann manehmal nicht, sehr dautlich zu werden. Bei klainen Fiihrungen deeken wir jetzt gewShnlieh, so gut es geht, die Behiitter zu, yon deren Insassen nieht die Retie ist; das hi]ft wenigstens bis zu einem gewissen Grade.

Wiihrend der griindliehe Kenner und geschnlte Beobaehter sieh an all den einzelnen Feinheiten yen Form, Farbe trod Benehmen vie.ler unsrer Z5g]inge kaum sattsahen kann and die kurza Zeit seines Besnchs bis zum ~iugersten zum Erfassen des Gebotenen ausntltzt, hSrt man van den ,~llermeisten sehr bald die Frage: ,,Was maehen sie nachher mit den Tieren? Lassen Sie sie fliegen, oder geben Sie sie in den Zoo?" ,,Das wissen wit hiiufig bis zum letzten Augenblieke selber nieht", pflegen wir zu sagen, denn bei der Erforschung der Jugendentwieklung kommt es darauf am allerwenigsten an. Das ergibt sieh spi~ter ganz aus dem Benehmen des Tieres, aus seinen MauserverhMtnissen, arts der MSglieh- keit, es so anderswo unterzubringen, daf~ man damit rechnen kann, a s zur gegebenen Zeit gesund und unbestogen wieder zuriiekzukriegen, damit man vielleieht noeh eine Aufnahme van Balz, Z~rtliehkeits- galaerungen, einem spgteren Kleide usw. machen kann. Leider sind solche UnterbringungsmSglichkeiten bei scbwerer zu haltenden VSgeln recht spfirlich gesgt.

Um die Geschwister einer Brat im Tagebuche getrennt fiihren zu kSnnen, wi~hlen wir zur Bezeichnung des einzelnen Stiieks hat~fig menschliche Vornamen, die manehmal Beziahungen zu dem Tgufling

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haben, oft aber auch den SchntzheiI~gen des Geburtsdatums wieder- geben. Diese Namen pr~gen sich dem Vogelbesuch h~iufig viel besser ein als die Artnanaen der VSgel. Diese Leute wissen dann nach Jahre'n noch, da~ wir einmal einen Lothar, einen Schorsch oder eine Emma batten, an die wir uns manehnaal selbst kaum mehr erinnern, sie kSnnen aber nicht angeben, dag z. B. Minehen eine Zwergseesehwalbe war. Man naerkt daraus deutlioh, wie wenig der angeblieh tierbegeisterte Besehauer yon der Besiehtigung unsrer Vogelstube hat.

Wir Tierg~rtner ina allgemeinen und wir H~I~OTI{s hn besonderen na~issen t~,glieh and manchmal stfindtieh die Erfahrung naachen, dag das sogenannte Interesse air Tiere in gar keiner Beziehung zur Tier- kenntnis steht. Es gibt fiberhaupt kauna einen Mensehen, der sich nicht als Tierfreund ausgibt, abet da Zoologie und Botanik nun einmal ]namer noch n i c h t zur Allgemeinbildung gehSren, so besteht sein Interesse far die Tierwelt aus sonderbar anmutender Vernaensehliehung und Betraehtungen fiber sehSn und hEl]lich, die nieht das naindeste nait dem Tiere selbst zu tun haben. Biieher, nanaenttieh solehe mit reeht vielen, aus aller Herren LEndern zusammengeholten Photos mit fehlenden oder sehr mangelhaften Untersehriften sind jetzt an der Mode. Wenn man die Verfasser zur Rede steltt, waruna sie denn, una die Worte Dr. ST~ESm~AS~'S zu gebrauehen, immer nur nait der Unkenntnis und Oberfl~ehliehkeit der Ktiufer rechneten, so bekomnat man gewShnlieh die Antwort, dal3 ja nur die Liebe zum Tiere geweekt werden solle and man dureh Belehrung die Leute absehreeke. In Wirkliehkeit Iiegt die Sache so, dab es vieI zu viel Tiernarren gibt, aber viel zu wenig Tier- kenner~ deshalb sollten wit allmghli& eher daranf hinwirken, lieber die Zahl derer, ,,die si& so riesig Nr Tiere interessieren" zu vermindern, ale noeh zu erhShen. All die fiber das Ziel hinansschiel]enden Tier- and Vogelsehutzbestrebnngen nait den vielen bevormundenden Verboten gehen ja naeist yon denen aus, die am liebsten jeden Wanderialken nachts zudeeken und ihn morgens mit Kaffee bewirten warden, ihna abet dabei keine ,,arnae:' Tanbe gSnnen. Ieh glaube, in kaum einena Faehe tiegt sonst die Sache so, dab ein ,,Interessent" den Stoff selbst nieht

kennt.

Druck yon Otto Don~bliith NaehL in Bernburg.