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Anamnese Ein 42-jähriger Mann stellt sich zur Ab- klärung einer neu aufgetretenen beidsei- tigen Sehverschlechterung vor. Der Pa- tient beklagt seit dem Vortag am rechten Auge einen zentralen Schatten zu bemer- ken, welcher seit einigen Stunden auch zunehmend am linken Auge aufgetreten sei. Zudem beschreibt der Patient beidsei- tig flimmernde Figuren und farbige Trug- wahrnehmungen. Seit einigen Wochen bestehe ferner eine körperliche Leistungs- schwäche schon unter mäßiger Belastung. Treppensteigen sei nur noch schwer mög- lich, außerdem beklagt der Patient eine andauernde Müdigkeit. Diagnostik Der bestkorrigierte 5-Meter-Visus beträgt am rechten Auge 0,8 partiell und am lin- ken Auge 1,0. Die Untersuchung der Vor- derabschnitte zeigt keine Auffälligkei- ten, funduskopisch imponieren an bei- den Augen, rechts mehr als links, subre- tinale Flüssigkeit sowie am rechten Au- ge eine streifige parapapilläre Blutung (. Abb. 1). Die Fluoreszenzangiographie zeigt an beiden Augen feinfleckige Leckage-Area- le sowie eine zentrale Abschattung durch subretinale Flüssigkeitsblasen (. Abb. 2). In der optischen Kohärenztomogra- phie (OTC) kann am rechten Auge im Bereich des hinteren Pols eine große zen- trale bullöse Netzhautabhebung mit Kon- takt zur Papille nachgewiesen werden. Am linken Auge zeigt sich ein vergleich- barer Befund in geringerer Ausprägung (. Abb. 3). In der Gesichtsfelduntersuchung (Humphrey Field Analyzer, Programm 30-2) finden sich am rechten Auge ein Zentralskotom sowie beidseitige dif- fuse Empfindlichkeitsminderungen (. Abb. 4). H. . Ophthalmologe 2014 · 111:781–784 DOI 10.1007/s00347-014-3041-0 Online publiziert: 3. Juli 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 D. Duwendag · J. Roider · J. Hillenkamp Klinik für Ophthalmologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel Bilaterale Sehverschlechterung  und zunehmender körperlicher  Leistungsverlust Abb. 1 8 Fundusfotos mit subretinaler Flüssigkeit beidseits und parapapillärer Blutung rechts. a Rech- tes Auge. b Linkes Auge 781 Der Ophthalmologe 8 · 2014| Bild und Fall

Bilaterale Sehverschlechterung und zunehmender körperlicher Leistungsverlust

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Page 1: Bilaterale Sehverschlechterung und zunehmender körperlicher Leistungsverlust

Anamnese

Ein 42-jähriger Mann stellt sich zur Ab-klärung einer neu aufgetretenen beidsei-tigen Sehverschlechterung vor. Der Pa-tient beklagt seit dem Vortag am rechten Auge einen zentralen Schatten zu bemer-ken, welcher seit einigen Stunden auch zunehmend am linken Auge aufgetreten sei. Zudem beschreibt der Patient beidsei-tig flimmernde Figuren und farbige Trug-wahrnehmungen. Seit einigen Wochen bestehe ferner eine körperliche Leistungs-schwäche schon unter mäßiger Belastung. Treppensteigen sei nur noch schwer mög-lich, außerdem beklagt der Patient eine andauernde Müdigkeit.

Diagnostik

Der bestkorrigierte 5-Meter-Visus beträgt am rechten Auge 0,8 partiell und am lin-ken Auge 1,0. Die Untersuchung der Vor-derabschnitte zeigt keine Auffälligkei-ten, funduskopisch imponieren an bei-den Augen, rechts mehr als links, subre-tinale Flüssigkeit sowie am rechten Au-

ge eine streifige parapapilläre Blutung (. Abb. 1).

Die Fluoreszenzangiographie zeigt an beiden Augen feinfleckige Leckage-Area-le sowie eine zentrale Abschattung durch subretinale Flüssigkeitsblasen (. Abb. 2).

In der optischen Kohärenztomogra-phie (OTC) kann am rechten Auge im Bereich des hinteren Pols eine große zen-trale bullöse Netzhautabhebung mit Kon-takt zur Papille nachgewiesen werden. Am linken Auge zeigt sich ein vergleich-barer Befund in geringerer Ausprägung (. Abb. 3).

In der Gesichtsfelduntersuchung (Humphrey Field Analyzer, Programm 30-2) finden sich am rechten Auge ein Zentralskotom sowie beidseitige dif-fuse Empfindlichkeitsminderungen (. Abb. 4).

H. . Ophthalmologe 2014 · 111:781–784DOI 10.1007/s00347-014-3041-0Online publiziert: 3. Juli 2014© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

D. Duwendag · J. Roider · J. HillenkampKlinik für Ophthalmologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel

Bilaterale Sehverschlechterung und zunehmender körperlicher Leistungsverlust

Abb. 1 8 Fundusfotos mit subretinaler Flüssigkeit beidseits und parapapillärer Blutung rechts. a Rech-tes Auge. b Linkes Auge

781Der Ophthalmologe 8 · 2014  | 

Bild und Fall

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Abb. 2 8 Fluoreszenzangiographie (arteriovenöse Phase) mit beidseits feinfleckiger Leckage sowie zentraler Abschattung. a Rechtes Auge. b Linkes Auge

Abb. 3 9 Optische Kohä-renztomographie mit sub-retinaler Flüssigkeit rechts mehr als links. a Rechtes Auge. b Linkes Auge

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Bild und Fall

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Verlauf

Eine 10 Tage vor der augenärztlichen Vor-stellung auf Grund der Leistungsminde-rung durch den Hausarzt veranlasste Blut-untersuchung weist eine deutliche Leu-kozytopenie (1,6 G/l), Neutrozytopenie (23,4%) und Lymphozytose (65,5%) so-wie eine Thrombozytopenie (117 G/l) und Anämie (11,1 g/dl) auf. Zudem finden sich Blasten (4%) im peripheren Blut.

In einer vor dem Hintergrund des auf-fällig veränderten Blutbilds und der all-gemeinen Krankheitssymptomatik ein-geleiteten hämatoonkologischen Abklä-rung konnte die Diagnose einer akuten lymphatischen Leukämie (ALL) gesichert werden.

Unter der umgehend eingeleiteten Chemotherapie kam es beidseits zu einer langsamen Rückbildung der subretina-len Flüssigkeit sowie zu einer vollständi-gen Visuserholung im Verlauf von 2 Mo-naten. In der abschließenden Kontrolle mittels OCT war eine komplette Rückbil-dung der subretinalen Flüssigkeit nachzu-weisen.

Diskussion

Bei Leukämie ist eine Beteiligung sämt-licher Abschnitte des Auges möglich [1]. Angaben zur Inzidenz sind in der Litera-tur stark schwankend, eine große ophthal-mologische Untersuchungsreihe aus dem Jahr 2003 von 288 Fällen neu diagnosti-

zierter Leukämie zeigte eine Beteiligung der Augen bei 35% der Patienten, welche hier oftmals asymptomatisch blieben [2]. Beteiligungen des Auges können durch Infiltration der Orbita oder intraokula-rer Gewebe wie der Aderhaut, Netzhaut oder des Sehnervs entstehen oder auch durch vaskuläre Veränderungen auffal-len, wie retinale Hämorrhagien, Cotton-wool-Herde und Glaskörperblutungen. Auch neuroophthalmologische Verände-rungen wie Papillenschwellung oder Ab-blassung wurden beschrieben [3]. Beteili-gungen der Retina, der Gefäße oder Ader-haut sind die häufigsten Manifestationen am Auge. Die in diesem Fall vorliegende seröse Netzhautabhebung kann als Zei-chen einer Aderhautbeteiligung gewertet werden. Neben einem asymptomatischen Verlauf sind sowohl ein später Symptom-beginn im Krankheitsverlauf als auch eine bereits bei Erkrankungsbeginn einsetzen-de Symptomatik möglich [4].

» Beidseitige subretinale Flüssigkeit bei akuter lymphatischer Leukämie

Subretinale Flüssigkeit bei ALL ist ein sel-tenes Phänomen, genaue Angaben zur Häufigkeit existieren nicht. Hinweisge-bend für eine zugrundeliegende Leuk-ämie können anamnestische Leistungs-minderung und ein ausgeprägtes persis-tierendes Krankheitsgefühl sein. Im Dif-

ferenzialblutbild können charakteristi-sche Veränderungen wie Thrombozyto-penie und Anämie die Diagnose stützen, wobei die Abwesenheit von peripheren Blasten in der Laboruntersuchung eine Leukämie in der aleukämischen Verlaufs-form nicht ausschließt. Unter Therapie der Grunderkrankung sind die ophthal-mologischen Symptome potenziell rever-sibel [5]. Neuere Untersuchungen bei Kin-dern geben Hinweise auf eine negative As-soziation zwischen dem Vorliegen leukä-miespezifischer Beteiligungen des Auges und der Überlebensrate [6]. Eine umge-hende Vorstellung in einer spezialisierten Einrichtung sollte im Verdachtsfall veran-lasst werden.

Fazit für die Praxis

F  Eine Beteiligung sämtlicher Augenab-schnitte ist bei akuter lymphatischer Leukämie möglich.

F  Eine Visusminderung durch Beteili-gungen von Aderhaut oder des N. op-ticus sind gelegentlich als erstes Sym-ptom der Erkrankung zu beobachten, sodass der korrekten Befundinter-pretation eine besondere Rolle zu-kommt.

F  Besonders bei begleitender Allge-meinsymptomatik mit Leistungsver-lust und Krankheitsgefühl sollte eine internistische Untersuchung erfolgen.

Abb. 4 8 Gesichtsfelduntersuchung rechtes und linkes Auge

 D Wie lautet Ihre Diagnose?

783Der Ophthalmologe 8 · 2014  | 

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Korrespondenzadresse

D. DuwendagKlinik für Ophthalmologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus KielArnold-Heller-Str. 3, 24105 [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt.  D. Duwendag, J. Roider und J. Hillenkamp geben an, dass kein Interessenkonflikt be-steht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

Literatur

1. Kincaid MC, Green WR (1983) Ocular and orbital in-volvement in leukemia. Surv Ophthalmol 27:211–232

2. Reddy SC, Jackson N, Menon BS (2003) Ocular in-volvement in leukemia – a study of 288 cases. Ophthalmologica 217:441–445

3. Mayo GL, Carter JE, McKinnon SJ (2002) Bilateral optic disk edema and blindness as initial presenta-tion of acute lymphocytic leukemia. Am J Ophthal-mol 134:141–142

4. Golan S, Goldstein M (2011) Acute lymphocytic leukemia relapsing as bilateral serous retinal de-tachment: a case report. Eye (Lond) 25:1375–1378

5. Abdallah E, Hajji Z, Mellal Z et al (2005) Macular se-rous detachment revealing acute lymphoblastic leukemia. J Fr Ophtalmol 28:39–44

6. Russo V, Scott IU, Querques G et al (2008) Orbi-tal and ocular manifestations of acute childhood leukemia: clinical and statistical analysis of 180 pa-tients. Eur J Ophthalmol 18:619–623

Für Autoren

Rubrik „Bild und Fall“: Hier kann auch Ihr Fall dargestellt werden!Darstellung von eindrucksvollen Fallbeispielen  mit Quiz-Charakter

Sehr geehrte Autorin, sehr geehrter Autor,

wir freuen uns, dass Sie die Zeitschrift Der Ophthalmologe mitgestalten möchten.

Die Rubrik „Bild und Fall“ zeigt anhand von kurzen Fallbeispielen der

klinischen Praxis Fallstricke der Diagnostik und ungewöhnliche Krank-

heits- und Behandlungsverläufe. Die Besonderheit ist die zweiteilige

Gliederung in eine kurze Falldarstellung mit Anamnese und klinischem

Befund und einen zweiten Teil, in der die Diagnose gestellt und erläu-

tert wird. Erst hier werden Therapie und Verlauf des speziellen Falls dar-

gestellt. Diese besondere Form des Beitrages ermöglicht dem Leser, sich

in der Diagnosestellung zu üben. Außerdem erhält er ganz im Stil der

klassischen Kasuistik durch die Vorstellung und Diskussion konkreter

Fälle umsetzbare Hinweise zum diagnostischen und therapeutischen

Vorgehen.

Mit der folgenden Checkliste möchten wir Ihnen gerne bei der Manuskripterstellung behilflich

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z Teil 1: Anamnese und Diagnostik und

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