Chancengerechtigkeit durch frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung?

Chancengerechtigkeit durch Chancengerechtigkeit durch frühkindliche Bildung, frühkindliche Bildung,

Betreuung und Erziehung?Betreuung und Erziehung?

Vortrag an der Tagung Vortrag an der Tagung Assises Fribourgeoises de l‘Accueil Assises Fribourgeoises de l‘Accueil

de la Petite Enfancede la Petite Enfance16. Mai.2009 in Grangeneuve16. Mai.2009 in Grangeneuve

Dr. Vanessa-Isabelle Reinwand

InhaltInhalt

Aktuelle Diskussionen: Staat versus Aktuelle Diskussionen: Staat versus Familie?Familie?

Wirkungen von FBBE (International)Wirkungen von FBBE (International) Wirkungen von FBBE (National) Wirkungen von FBBE (National) Situation der FBBE in der SchweizSituation der FBBE in der Schweiz Chancengerechtigkeit durch FBBE?Chancengerechtigkeit durch FBBE? FBBE für alle – aber wie?FBBE für alle – aber wie?


Staat versus Familie?Staat versus Familie? Welche Verantwortung trägt die Familie in der Welche Verantwortung trägt die Familie in der

frühkindlichen Erziehung, welche der Staat? frühkindlichen Erziehung, welche der Staat? Wie viel staatlichen Einfluss braucht die Wie viel staatlichen Einfluss braucht die Erziehung bzw. wie viel ist wünschenswert? Erziehung bzw. wie viel ist wünschenswert?


Schulerfolg der Kinder korreliert stark Schulerfolg der Kinder korreliert stark mitmit Soziale Herkunft Soziale Herkunft Bildungsaspiration und Einstellungen Bildungsaspiration und Einstellungen der Eltern zur Schule (vgl. z.B. PISA; der Eltern zur Schule (vgl. z.B. PISA; Moser, Stamm & Hollenweger, 2005)Moser, Stamm & Hollenweger, 2005) Soziale Benachteiligung entsteht vor Soziale Benachteiligung entsteht vor allem durch mangelnde familiäre allem durch mangelnde familiäre Anregungsqualität und Anregungsqualität und Bildungsansprüche der Eltern Bildungsansprüche der Eltern FBBE? FBBE?

FBBEFBBE

Frühkindliche Betreuung, Bildung und Frühkindliche Betreuung, Bildung und ErziehungErziehung

Kinder lernen ganzheitlich und kokonstruktiv. Kinder lernen ganzheitlich und kokonstruktiv. Sie brauchen eine anregende Spiel- und Sie brauchen eine anregende Spiel- und Lernumgebung als professionelle Lernumgebung als professionelle Erweiterung zum familiären Umfeld. Spielen Erweiterung zum familiären Umfeld. Spielen muss Lernen sein und Lernen Spiel.muss Lernen sein und Lernen Spiel.Es geht NICHT um eine „Schule für Kleine“!Es geht NICHT um eine „Schule für Kleine“!Aber wie wirksam ist FBBE tatsächlich in der Aber wie wirksam ist FBBE tatsächlich in der

Vorbereitung auf die Schule?Vorbereitung auf die Schule?


Internationale Studien zur Wirkung von Internationale Studien zur Wirkung von FBBE-ProgrammenFBBE-Programmen

Erste Bildungsprogramme in den 1960er Erste Bildungsprogramme in den 1960er Jahren für Kinder zwischen 2-6/7 JahrenJahren für Kinder zwischen 2-6/7 Jahren

Meist Kinder aus benachteiligten MilieusMeist Kinder aus benachteiligten Milieus Verschiedenste Langzeitstudien in USA Verschiedenste Langzeitstudien in USA

und Grossbritannien und Grossbritannien Kurzzeitstudien in Irland, Neuseeland, Kurzzeitstudien in Irland, Neuseeland,

Kanada und SchwedenKanada und Schweden Deutschland „European Child Care and Deutschland „European Child Care and

Education“ (D, AU, ES, PT)Education“ (D, AU, ES, PT)


High/ Scope Perry Preschool - ProjektHigh/ Scope Perry Preschool - Projekt

5 Fe s tn a h m e n

Be ru flich e An s te llu n g

Min d e s te n s e in e Ge fä n g n is s tra fe

H ig h Sch o o l Ab s ch lu s s

0% 20% 40% 60% 80%

3 6 %

7 6 %

5 9 %

2 8 %

6 5 %

5 5 %

6 2 %

8 0 %

5 2 %

4 5 %

Ve rs u ch s g ru p p e Ko n tro llg ru p p e

Min d e s te n s e in So zia lle is tu n g s -b e zu g in d e n le tzte n ze h n Ja h re n

5 > Festnahmen

Ausgewählte Resultate des «High/Scope Perry Preschool»-Projekts,

nach Schweinhart et al. (2005).

Allgemeine ErgebnisseAllgemeine Ergebnisse

Weiter fortgeschrittene kognitive EntwicklungWeiter fortgeschrittene kognitive Entwicklung Positive Entwicklung der Sozialkompetenz Positive Entwicklung der Sozialkompetenz

(weniger Probleme mit Eltern, Lehrern und (weniger Probleme mit Eltern, Lehrern und Peers, politisches und gesellschaftliches Peers, politisches und gesellschaftliches Engagement, stabile Beziehungen/ Engagement, stabile Beziehungen/ Partnerschaften)Partnerschaften)

Benachteiligte Kinder profitieren am meistenBenachteiligte Kinder profitieren am meistenAllerdings:Allerdings:Es gibt verschiedene Projekte, in denen KEINE Es gibt verschiedene Projekte, in denen KEINE

(langfristige) Wirksamkeit nachweisbar war.(langfristige) Wirksamkeit nachweisbar war.


VoraussetzungenVoraussetzungen

Positive, nachhaltige Effekte wurden in Positive, nachhaltige Effekte wurden in internationalen Studien erzielt, wenn…internationalen Studien erzielt, wenn…

Kontinuierliche Förderung auch während Kontinuierliche Förderung auch während der Schulzeit;der Schulzeit;

Intensive Beteiligung der Eltern und des Intensive Beteiligung der Eltern und des sozialen Umfeldes an FBBE;sozialen Umfeldes an FBBE;

Hohe Qualität des Bildungs- und Hohe Qualität des Bildungs- und Betreuungsangebotes und spielorientierte, Betreuungsangebotes und spielorientierte, selbstbestimmte, offene Curricula;selbstbestimmte, offene Curricula;

Keine zu intensive und zu frühe Keine zu intensive und zu frühe Fremdbetreuung (individuell)!Fremdbetreuung (individuell)!


Ergebnisse von Schweizer StudienErgebnisse von Schweizer Studien

Zwei- bis Dreijährige sind sozial weiter Zwei- bis Dreijährige sind sozial weiter entwickelt, wenn die FBBE eine hohe Qualität entwickelt, wenn die FBBE eine hohe Qualität besitzt (Pierrehumbert, 2005)besitzt (Pierrehumbert, 2005)

Kinder aus familienergänzenden Programmen Kinder aus familienergänzenden Programmen (hier: Kinder mit Migrationshintergrund) (hier: Kinder mit Migrationshintergrund) schaffen leichter den Übergang vom schaffen leichter den Übergang vom Kindergarten zur Schule, wenn die Eltern und Kindergarten zur Schule, wenn die Eltern und das soziale Umfeld in das Programm involviert das soziale Umfeld in das Programm involviert sind (Lanfranchi, 2002)sind (Lanfranchi, 2002)

Allerdings:Allerdings: keine langfristigen Wirkungen dieser keine langfristigen Wirkungen dieser Programme, sondern entscheidend ist die Programme, sondern entscheidend ist die Bildungsaspiration der Eltern.Bildungsaspiration der Eltern.


Situation der FBBE in der SchweizSituation der FBBE in der Schweiz

V erw andte (z .B . Gros s e lte rn)

Bekannte , Nac hbarn

A ndere Pers onen (z .B . K indermädc hen)

Tages mutte r , Pf legef amilie

K inderkr ippe , Tages kindergar ten , -s c hu le

Mittags tis c h , Nac hs c hu lbe treuung

A nderes

0% 20% 40% 60%

52.3%

6.6%

3.7%

15.9%

32.5%

1.4%

1.0%

52.4%

8.2%

3.8%

14.7%

26.7%

3.8%

1.5%

49.1%

12.0%

4.4%

19.3%

21.7%

7.8%

3.6%

Paarhaus ha lte mit K ind(ern) Jüngs tes K ind 0-6 Jahre

Paarhaus ha lte mit K ind(ern) To ta l

Eine lte rnhaus ha lte To ta l

Anteil Haushalte mit

familien-ergänzender

vorschulischer Kinderbetreuu

ng nach Betreuungsart

(BFS, 2007)

jüngstem Kind 0-6 Jahre

Kindern Total

??? Mögliche Erklärungen ?????? Mögliche Erklärungen ???

Muttermythos („Das Kind gehört zur Muttermythos („Das Kind gehört zur Mutter!“)Mutter!“)

Zu wenige BetreuungsplätzeZu wenige Betreuungsplätze Zu teure BetreuungsplätzeZu teure Betreuungsplätze Zu schlechte Qualität der FBBEZu schlechte Qualität der FBBE Wenig flexible ÖffnungszeitenWenig flexible Öffnungszeiten …… Im Jahr 2006/07 besuchen 74% der Fünf- Im Jahr 2006/07 besuchen 74% der Fünf-

und Sechsjährigen (staatlicher Kindergarten/ und Sechsjährigen (staatlicher Kindergarten/ Vorschule) und nur 26% der Zwei- bis Vorschule) und nur 26% der Zwei- bis Vierjährigen FBBE Angebote (BFS, 2008).Vierjährigen FBBE Angebote (BFS, 2008).


Fakten zur familienergänzenden Fakten zur familienergänzenden Betreuung von Kindern unter fünf JahrenBetreuung von Kindern unter fünf Jahren

Mangelnde Passung zwischen Angebot und Mangelnde Passung zwischen Angebot und Nachfrage!Nachfrage!

Es gibt zu wenige subventionierte FBBE-Es gibt zu wenige subventionierte FBBE-Plätze. (Stamm et al., 2009)Plätze. (Stamm et al., 2009)

Gerade sozial benachteiligte Familien und Gerade sozial benachteiligte Familien und Familien mit mangelnden Familien mit mangelnden Sprachkenntnissen (Informationsdefizit) Sprachkenntnissen (Informationsdefizit) nutzen kaum FBBE-Angebote.nutzen kaum FBBE-Angebote.


Chancengerechtigkeit durch FBBE?Chancengerechtigkeit durch FBBE?

Chancengleichheit vs. ChancengerechtigkeitChancengleichheit vs. Chancengerechtigkeit

Chancengleichheit – Ideal, dass nur angestrebt, Chancengleichheit – Ideal, dass nur angestrebt, aber aus systemimmanenten Gründen aber aus systemimmanenten Gründen niemals verwirklicht werden kann.niemals verwirklicht werden kann.

Chancengerechtigkeit – gibt jedem Einzelnen Chancengerechtigkeit – gibt jedem Einzelnen die Möglichkeit, seine Fähigkeiten und die Möglichkeit, seine Fähigkeiten und Potenziale bestmöglichst zu entwickeln.Potenziale bestmöglichst zu entwickeln.


FBBE-Programme …FBBE-Programme …

fördern insbesondere benachteiligte Kinder;fördern insbesondere benachteiligte Kinder; fördern kognitive und soziale Kompetenzen;fördern kognitive und soziale Kompetenzen; sind nachhaltig, wenn sie die Eltern und das sind nachhaltig, wenn sie die Eltern und das

soziale Umfeld mit einbeziehen;soziale Umfeld mit einbeziehen; müssen bei der kindlichen Bildungsaspiration, müssen bei der kindlichen Bildungsaspiration,

Motivation und beim Selbstbild ansetzen.Motivation und beim Selbstbild ansetzen.

Weder Staat noch Familie, sondern geteilte Weder Staat noch Familie, sondern geteilte Verantwortlichkeiten!Verantwortlichkeiten!


Chancengerechtigkeit durch FBBE – Chancengerechtigkeit durch FBBE – aber wie?aber wie?

FBBE muss, um Chancengerechtigkeit zu FBBE muss, um Chancengerechtigkeit zu befördernbefördern

schon sehr früh, kostenlos (staatlich) und für schon sehr früh, kostenlos (staatlich) und für allealle zugänglich sein; zugänglich sein;

eine hohe Qualität besitzen (Qualifikation und eine hohe Qualität besitzen (Qualifikation und Einsatz des Personals);Einsatz des Personals);

integrativ und individuell gestaltet sein;integrativ und individuell gestaltet sein; unter Einbezug der Eltern und des gesamten unter Einbezug der Eltern und des gesamten

Umfeldes (Bildungsaspiration) stattfinden;Umfeldes (Bildungsaspiration) stattfinden; nicht nur auf akademische Fähigkeiten nicht nur auf akademische Fähigkeiten

ausgerichtet sein;ausgerichtet sein; Keine Früh-Selektion befördern.Keine Früh-Selektion befördern.


FazitFazit

„„Learning how to learn may be as Learning how to learn may be as important [or even more important] as important [or even more important] as the specifics of what is learned.“the specifics of what is learned.“ (Rutter, 1985)(Rutter, 1985)

Eine adäquate FBBE wirkt durch aktive Eine adäquate FBBE wirkt durch aktive Lernerfahrungen auf die Bildungsaspiration, Lernerfahrungen auf die Bildungsaspiration, das Selbstkonzept, das gesellschaftliche und das Selbstkonzept, das gesellschaftliche und soziale Engagement sowie die Motivation soziale Engagement sowie die Motivation und kann so familiär bedingte und kann so familiär bedingte Chancenungerechtigkeit ausgleichen.Chancenungerechtigkeit ausgleichen.

Ich danke IhnenIch danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit! für Ihre Aufmerksamkeit!

Lanfranchi, A. (2002). Lanfranchi, A. (2002). Schulerfolg von Migrationskindern. Die Bedeutung Schulerfolg von Migrationskindern. Die Bedeutung familienergänzender Betreuung im Vorschulalterfamilienergänzender Betreuung im Vorschulalter. Opladen: Leske + Budrich.. Opladen: Leske + Budrich.

Moser, U., Stamm, M. & Hollenweger, J. (2005). Für die Schule bereit? Lesen, Moser, U., Stamm, M. & Hollenweger, J. (2005). Für die Schule bereit? Lesen, Wortschatz, Mathematik und soziale Kompetenzen bei Schuleintritt. Aarau.Wortschatz, Mathematik und soziale Kompetenzen bei Schuleintritt. Aarau.

Pierrehumbert, B. (2005). Préscolarisation et développement émotionnel et Pierrehumbert, B. (2005). Préscolarisation et développement émotionnel et affectif du jeune enfant. In Cahier du service de la recherche en éducation, affectif du jeune enfant. In Cahier du service de la recherche en éducation, Scolariser la petite enfance? Actes du deuxième colloque : Constructivisme et Scolariser la petite enfance? Actes du deuxième colloque : Constructivisme et éducationéducation (S. 268-278). Genève: SRED. (S. 268-278). Genève: SRED.

Rutter, M. (1985). Family and School Influences on Cognitive Development. In: Rutter, M. (1985). Family and School Influences on Cognitive Development. In: Journal of Child Psychcology and Psychiatry 26Journal of Child Psychcology and Psychiatry 26, pp. 683-704., pp. 683-704.

Schweinhart, L. J., Montie, J, Xiang, Z., Barnett, W. S., Belfield, C. R. & Nores, M. Schweinhart, L. J., Montie, J, Xiang, Z., Barnett, W. S., Belfield, C. R. & Nores, M. (2005). (2005). Lifetime Effects: The High/Scope Perry Preschool Study Through Age 40Lifetime Effects: The High/Scope Perry Preschool Study Through Age 40. . Ypsilanti: High/Scope Press.Ypsilanti: High/Scope Press.

Stamm et al. (2009). Stamm et al. (2009). Frühkindliche Bildung in der Schweiz. Eine Frühkindliche Bildung in der Schweiz. Eine Grundlagenstudie der Schweizerischen UNESCO-Kommission.Grundlagenstudie der Schweizerischen UNESCO-Kommission. Departement Departement Erziehungswissenschaften der Universität Fribourg, Schweizerische UNESCO-Erziehungswissenschaften der Universität Fribourg, Schweizerische UNESCO-Kommission: Fribourg, Bern.Kommission: Fribourg, Bern.

Stamm, M., Reinwand, V.-I. & Burger, K. (2009). Frühkindliche Bildung als Stamm, M., Reinwand, V.-I. & Burger, K. (2009). Frühkindliche Bildung als Prävention gegen Schulversagen? Empirische Befunde und kritische Prävention gegen Schulversagen? Empirische Befunde und kritische Anmerkungen zur frühpädagogischen Forschung. Anmerkungen zur frühpädagogischen Forschung. Zeitschrift für Zeitschrift für Sozialwissenschaften.Sozialwissenschaften. In Veröffentlichung. In Veröffentlichung.

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