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COMPETENCE Brennpunkt Energiewende Das Magazin der ZHAW School of Management and Law Nr. 5, November 2014

COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

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Die Energiewende bewegt die Schweiz. Mit der Energiestrategie 2050 gibt der Bundesrat die Richtung vor, doch noch sind viele Fragen offen. Welche Chancen und Risiken birgt die Energiewende? Vor welchen Herausforderungen stehen kleine und grosse Energieversorgungsunternehmen? Wie sozial- und wirtschaftsverträglich lassen sich die politischen Vorgaben umsetzen? Und genügen Innovationen, Effizienzsteigerung sowie der Ausbau der erneuerbaren Energien, um die ambitionierten Ziele zu erreichen, oder müssen wir grundlegend umdenken und genügsamer werden? Im vorliegenden Magazin stellen Expertinnen und Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung ihre Sicht der Dinge dar.

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Page 1: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

COMPETENCE

Brennpunkt Energiewende Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Nr 5 November 2014

Building Competence Crossing Borders

Wo tanken Winterthurerinnen und Winterthurer ihr Erdgas-Auto

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Inhalt

Vorwort 5

CEO-PerspektivelaquoMit Schulterklopfen laumlsst sich kein Geld verdienenraquo Interview mit Dr Suzanne Thoma 6

HintergrundFukushima gibt den Takt vor Dr Monika Gisler 10

Auf dem Weg zu einer nach haltigen Energieversorgung Dr Walter Steinmann 13

Hochschulperspektive

Loumlsungen suchen bevor es zum Rechtsstreit kommt Prof Dr Andreas Abegg und Prof Dr Reneacute Wiederkehr 16

Negawatt statt Megawatt Rolf Rellstab 18

Klima im Wandel ndash Emissionsrechte im Handel Dr Regina Betz 21

Energie haltbar machen Prof Dr Petr Korba 24

Dissonanz an der Steckdose Dr Claudio Cometta 26

Unternehmensperspektive Vom Versorger zum Dienstleister Florian Wehrli 28

Innovativer Treiber der Energiewende Andreas Fluumltsch 32

ExpertensichtHaumluser in der ersten Reihe Paul Knuumlsel 34

laquoDer Wasserkraft Sorge tragenraquo Interview mit Roger Pfammatter 36

Lebenselixier der Wirtschaft Kurt Lanz 40

Alumni-Perspektive Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger Florian Wehrli 43

PerspektivenwechselDie grundlegendere Effizienz Marcel Haumlnggi 47

Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen 50

Glossar 52

Wie viel Wald steht den Einwohnerinnen und Einwohnern von Winterthur zur Verfuumlgung

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Die Energiewende bewegt die Schweiz Wohin die Reise geht ist hingegen noch nicht restlos klar Zwar gibt der Bundesrat mit der Energie-strategie 2050 die Richtung vor (S 13) doch insbesondere die Wirtschafts-verbaumlnde (S 40) die sich um die Ver-sorgungssicherheit und Konkurrenz-faumlhigkeit des Standorts sorgen treten

auf die Bremse und pochen auf eine Kurskorrektur Es gilt ihre Befuumlrchtungen ernst zu nehmen und tragfaumlhige Loumlsungen zu entwickeln Hier steht dem Gesetzgeber noch ein steiniger Weg bevor

Dennoch Der politische Wille weniger und effizienter Energie zu verbrauchen entsprechendes Verhalten zu be-lohnen und Innovationen zu foumlrdern ist spuumlrbar Und allen Bedenken zum Trotz birgt die Energiewende auch wirt-schaftliche Chancen Chancen die es zu nutzen gilt So muumlssen sich grosse Energieversorger wie die BKW neu positionieren Im Interview erklaumlrt CEO Suzanne Thoma wie sich das Unternehmen angesichts der neuen Rah-menbedingungen vom Versorger zum Dienstleister wan-delt (S 6) Sie verraumlt in welchen Bereichen kuumlnftig inves-tiert wird zeigt aber auch auf wo sich derzeit kein Geld verdienen laumlsst Schwer hat es insbesondere die Wasser-kraft seit Jahrzehnten wichtigster Pfeiler der Schweizer Stromversorgung Sie bleibt zwischen marktverzerrenden Subventionen hohen Abgaben und Partikularinteres-sen derzeit auf der Strecke Doch nicht nur ihre Vertreter fordern neue Rahmenbedingungen um Investitionen zu

Prof Andreacute HaelgLeiter ZHAW School of Management and Law

sichern und Potenziale zu nutzen (S 36) Auch der Aus-bau der neuen erneuerbaren Energien erfordert mehr Rechtssicherheit Mit welchen Mitteln diese herbeigefuumlhrt werden kann lesen Sie auf Seite 16

Bezuumlglich Energieeffizienz eilen Technologieunternehmen wie ABB mit ihren Innovationen weit voraus (S 32) Fuumlr den Umbau zu einer nachhaltigen Energieversorgung sind aber auch die Hochschulen zentral Die Zuumlrcher Hoch-schule fuumlr Angewandte Wissenschaften hat schon vor einigen Jahren die Energieforschung als Schwerpunkt de-finiert Forschende unterschiedlicher Disziplinen arbeiten Hand in Hand um Antworten auf draumlngende Fragen zu finden So untersucht beispielsweise ein laufendes Projekt die Wirksamkeit bisheriger Energieeffizienzprogramme fuumlr KMU und gibt Empfehlungen wie diese zu verbessern ist (S 18) Mit solchen und vielen weiteren Aktivitaumlten tragen wir dazu bei die Energiewende auf den richtigen Weg zu bringen

Eine Reise ins Ungewisse ist immer mit Risiken verbun - den Doch in einer dynamischen Welt kann es bisweilen gefaumlhrlicher sein stehen zu bleiben Oder wie der damalige US-Praumlsident Abraham Lincoln bereits vor uumlber 150 Jah - ren pointiert bemerkte laquoWe must plan for the future be-cause people who stay in the present will remain in the pastraquo Mit ihrer Forschung zaumlhlen Hochschulen zur Avant-garde der gesellschaftlichen technischen und wirtschaft-lichen Entwicklung Die Verantwortung die sich daraus ableitet nehmen wir gerne wahr In diesem Sinne volle Kraft voraus

Vorwort

Building Competence

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CEO-Perspektive

laquoMit Schulterklopfen laumlsst sich kein Geld verdienenraquo

nuumltz herumstehen lassen sondern rasch zuruumlckbauen Bis 2019 haben wir dafuumlr nicht nur die noumltigen Mittel zuruumlck-gestellt sondern auch ausreichend Zeit um das Projekt sauber vorzubereiten und alle Bewilligungen einzuholen

Laut Energiestrategie 2050 des Bundes wird der Ausstieg aus der Kernenergie in der Schweiz ohne Gaskombikraft-werke kaum gelingen Auch die BKW hat entsprechen-de Projekte Wie beurteilen Sie allfaumlllige Risiken bezuumlglich VersorgungssicherheitKurzfristig ist das Risiko einer Stromluumlcke aumlusserst klein Mit dem Ausstieg aus der Kernenergie koumlnnte das Thema jedoch spaumlter aktuell werden Ich sehe ein anderes Pro-blem Wie koumlnnen wir das Stromnetz stabil halten wenn ein namhafter Teil der Produktion wetter- und tageszeitab-haumlngig anfaumlllt Gaskraftwerke koumlnnten eine Rolle spielen da sie kurzfristig an- und abgeschaltet werden koumlnnen Sie stehen dabei in Konkurrenz zu den Pumpspeicher-kraftwerken Im heutigen wirtschaftlichen Umfeld mit sin-kenden Preisen fuumlr Dienstleistungen zur Erhaltung der Systemstabilitaumlt bestehen aber keine Investitionsanreize weder fuumlr Pumpspeicher- noch fuumlr Gaskraftwerke

Die Konzernstrategie BKW 2030 erwaumlhnt grosse Investitio-nen Wo wird die BKW besonders stark investierenDie Investitionen fliessen in die Erhaltung der Produktions-infrastruktur und in die Netze Weiter investieren wir in neue erneuerbare Energien und nicht zuletzt in den Auf-bau neuer Geschaumlftsfelder

Investitionen in Kraftwerke und Netze Subventionen fuumlr erneuerbare Energien die den Marktpreis verzerren ndash kann man mit Strom noch Geld verdienenSuzanne Thoma In der subventionierten Stromproduk-tion ja Die marktabhaumlngige Produktion ist bei den aktuell sehr tiefen Strompreisen houmlchst anspruchsvoll

Erwarten Sie dass sich dies in naumlchster Zeit aumlndertWir befassen uns intensiv mit dieser Frage und simulie-ren die Strompreise anhand diverser Marktmodelle Diese zeigen dass der Strompreis in den naumlchsten Jahren tief bleiben sich dann aber signifikant erholen wird Aus der Finanzbranche ist bekannt dass Modellrechnungen leider nur so gut sind wie deren Input Es gibt durchaus Ten-denzen die dafuumlr sorgen koumlnnten dass der Strompreis laumlngerfristig tief bleibt

Die BKW wird das Kernkraftwerk Muumlhleberg 2019 vom Netz nehmen Eine Volksinitiative welche die sofortige Abschaltung forderte wurde im Mai 2014 vom Berner Stimmvolk deutlich abgelehnt Hat Sie das uumlberraschtIch war erfreut uumlberrascht war ich nicht Sachlich betrach-tet haben wir mit Muumlhleberg den vernuumlnftigen Weg einge-schlagen Da das Thema Kernenergie in der Gesellschaft emotional behaftet ist konnten wir aber nicht sicher sein dass die Initiative in dieser Deutlichkeit abgelehnt wird Die Problematik der Initiative war dass wir haumltten abschalten muumlssen ohne mit dem Ruumlckbau beginnen zu koumlnnen Geht ein Kernkraftwerk vom Netz sollte man es nicht un-

Die Energiewende stellt die Stromversorger vor grosse Heraus-forderungen Suzanne Thoma CEO der BKW AG gewaumlhrt Einblicke in die Strategie eines der bedeutendsten Schweizer Energieunternehmen Sie spricht uumlber den Wandel vom Ver-sorger zum Dienstleister sowie uumlber Rahmen bedingungen der StromproduktionInterview Adrian Sulzer

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Ein Fokus ist der Ausbau der Windenergie Hierzulande sind aber viele windreiche Gegenden Schutzgebiete Wird die BKW vornehmlich im Ausland investierenJa wie wir das bereits heute tun Die BKW besitzt zwar rund die Haumllfte der installierten einheimischen Windkapa-zitaumlt die grossen Projekte befinden sich aber in Deutsch-land Frankreich und Italien In der Schweiz gibt es kaum geeignete Standorte und die Durchfuumlhrung von Projekten ist aufgrund strenger Auflagen buumlrokratischer Aufwaumlnde und moumlglicher Einsprachen schwierig Wir erhoffen uns hierzulande mehr Potenzial von der Kleinwasserkraft

Welche erneuerbaren Energien haben das groumlsste Poten-zial in der Schweiz

Das groumlsste technische Potenzial haben Grosswasserkraft-werke Nur lohnen sich diese Investitionen wirtschaftlich zurzeit nicht Bezuumlglich neuer erneuerbarer Energien sehe ich signifikantes Potenzial bei der Fotovoltaik Der Bund rechnet langfristig mit einem Ausbau auf mehr als zehn Tera wattstunden pro Jahr was ich fuumlr realisierbar halte Ob dies wirklich umgesetzt wird haumlngt davon ab ob die Kos-ten der Fotovoltaik weiter gesenkt werden koumlnnen

Die BKW will sich von der Energieversorgerin zur umfas-senden Energiedienstleisterin wandeln Welche neuen An-gebote sind geplantZunaumlchst sind da die Infrastrukturdienstleistungen die wir vermehrt auch fuumlr Private anbieten werden Von grosser

Suzanne Thoma laquoVersorgungsunternehmen sollen sich mittels Positionierung Kommunikation und Aufklaumlrung fuumlr einen bewussten Energieverbrauch einsetzen Es kann aber nicht ihr Auftrag sein die Kunden zu bevormundenraquo

Bild Florian Wehrli

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mehr Komfort Mobilitaumlt Ernaumlhrungs- oder andere Kon-sumgewohnheiten

Wie koumlnnen Energieversorger Anreize schaffen damit we-niger Energie verbraucht wirdIch bin dafuumlr dass sich Stromversorgungsunternehmen mittels Positionierung Kommunikation und Aufklaumlrungs-arbeit fuumlr einen bewussten Energieverbrauch einsetzen Es kann aber nicht ihr Auftrag sein die Kunden zu bevor-munden Neben einem veraumlnderten Bewusstsein im Be-reich Energie- und Ressourcenkonsum generell kommt der groumlsste Einfluss nach wie vor vom Preis Fuumlr Privat-konsumenten faumlllt die Stromrechnung nicht ins Gewicht und auch die anderen Energiekosten ndash jedenfalls die direkt spuumlrbaren ndash sind nicht wirklich hoch Glauben Sie mir uns waumlre es lieber der Strompreis waumlre houmlher

Energie ist also zu billigJa Die Welt benoumltigt viel Energie und Verschwendung laumlsst sich nur schwer bekaumlmpfen solange Energie so billig ist Die reiche Schweiz ist sicher staumlrker in der Pflicht als arme Laumlnder die unter anderem mit billiger Energie ver-suchen ihren Einwohnern etwas Wohlstand zu ermoumlgli-chen Allerdings duumlrfen wir unserer Industrie durch houmlhere Energiekosten keine zusaumltzlichen Lasten aufbuumlrden sonst verliert sie ihre Konkurrenzfaumlhigkeit

Prinzipiell befuumlrwortet die Bevoumllkerung die Energiewende gegen den Bau neuer Leitungskapazitaumlten oder Wind-turbinen wird aber haumlufig rekurriertNicht haumlufig immer

Sehen Sie einen Ausweg aus dem DilemmaIch sehe darin eine wesentliche Schwierigkeit fuumlr die Um-setzung der Energiestrategie In der Schweiz stehen fuumlr Einsprachen mehr rechtliche Mittel zur Verfuumlgung als im Ausland Ich befuumlrworte deshalb den Vorstoss des Bun-desrats bestimmte Gebiete fuumlr die Energieproduktion zu definieren wo nur noch uumlber eine Instanz rekurriert wer-den kann Das Grundproblem bleibt aber dass wir einen Lebensstil pflegen dessen Konsequenzen wir nicht bereit sind zu tragen

Bedeutung sind fuumlr uns auch die Netze Beim Thema Haumluser und Energieeffizienz sehen wir unsere Rolle als Integrator Dort kommen verschiedene Technologien zur Anwendung die nicht nur viele Hausbesitzer uumlberfordern sondern auch manche Spezialisten Die BKW kann auf jahrzehntelange Erfahrung und grosses Know-how in die-sem Bereich zuruumlckgreifen Wo noumltig werden wir mit Part-nern zusammenarbeiten

Eine Analyse des BFE kam im Mai 2014 zum Schluss dass die Mehrheit der untersuchten Unternehmen nicht bereit sei fuumlr die Energiewende Teilen Sie diese EinschaumltzungWas laquobereit fuumlr die Energiewenderaquo heisst ist schwer ein-zuordnen und ich moumlchte nicht fuumlr andere Unternehmen sprechen Die BKW ist ein wirtschaftlich gefuumlhrtes Unter-nehmen ohne politische Mission Unser Auftrag ist es zum Erhalt und zur Weiterentwicklung der Infrastruktur generell und zur Energieversorgung im Speziellen beizutragen Wir orientieren uns dabei an den Beduumlrfnissen unserer Kun-den und bewegen uns innerhalb der politischen und wirt-schaftlichen Rahmenbedingungen Dabei entwickeln wir unser Unternehmen weiter sodass es profitabel bleibt und weiter gestaumlrkt wird

Die BKW hat also an dieser Studie teilgenommenJa aber ich habe die Studie nicht gelesen Offenbar sind wir im oberen Drittel der Rangliste aber das steht nicht im Vordergrund Die Zeit in der Stromversorger punkto Ener-giewende um die Gunst des Bundes gewetteifert haben ist weitgehend vorbei Es ist den meisten klar geworden dass sich mit Schulterklopfen das Geld fuumlr die noumltigen Investitionen nicht verdienen laumlsst Entscheidend sind die konkreten Rahmenbedingungen das Marktumfeld und die Kundenbeduumlrfnisse

Gemaumlss der Energiestrategie soll der durchschnittliche Energieverbrauch pro Person in der Schweiz bis 2035 ge-genuumlber 2000 um 43 Prozent sinken Ist das realistischTechnisch halte ich das fuumlr absolut moumlglich Dabei geht es aber bei Weitem nicht nur um den Stromkonsum sondern auch um den Konsum fossiler Brennstoffe und Investitio-nen in Effizienzmassnahmen Im Kern geht es aber um viel

CEO-Perspektive

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Konzernleitung der BKW liegt der Frauenanteil aktuell bei 33 Prozent

Stichwort Unternehmensfuumlhrung Gibt es eine spezielle Philosophie die Sie verfolgenIch versuche immer Klarheit zu schaffen Ich moumlchte je-weils zum Kern der Dinge vordringen und erwarte dasselbe Bestreben von meinen Mitarbeitenden Wenn alle wissen worum es im Kern geht und was die Treiber des Geschaumlfts sind und wenn alle mit Freude ihre Arbeit verrichten dann leitet sich alles Weitere daraus ab Ich glaube an gemein-same Visionen und Ziele sowie eine delegierte Umsetzung

Welche Rolle wird die Schweiz in einem liberalisierten euro paumlischen Strommarkt spielenDie Frage ist ob die Schweiz in Zukunft denselben Zugang zum europaumlischen Markt haben wird wie bisher Davon gehe ich aus Unter dieser Voraussetzung muss man sich fragen wie der europaumlische Markt kuumlnftig ausgestaltet sein wird Ich erwarte eine fortschreitende Liberalisierung die tendenziell zu mehr Stromhandel und noch tieferen Preisen fuumlhren wird Gleichzeitig wird man aber Kapazi-taumltsmaumlrkte schaffen muumlssen damit Energieunternehmen Anreize haben in Versorgungssicherheit und System-stabilitaumlt zu investieren Beides wird heute kaum abgegol-ten Das muss sich aumlndern Die Frage ist ob Kapazitaumlts-maumlrkte nationale Maumlrkte sein werden

Welche Folgen haumltte das fuumlr die SchweizDas waumlre eine ungluumlckliche Konstellation Einerseits haumltten wir unter den tieferen Preisen zu leiden andererseits koumlnn-ten wir die Dienstleistungen die wir mit unseren Pump-speicherkraftwerken erbringen weniger gut verkaufen

Blicken wir in die Zukunft Strom wird dezentral produziert nach Bedarf verbraucht ins intelligente Netz eingespeist oder in Batterien gespeichert Braucht es dann noch Ener-gieversorger wie die BKWAuf jeden Fall Denn die grossen Energieversorger werden dann zu grossen Energiedienstleistern Deshalb stellen wir unsere Strategie jetzt um Viele der Kompetenzen die wir als Versorger uumlber Jahrzehnte aufgebaut haben sind auch in diesem Szenario absolut notwendig Moumlglich ist hingegen dass es kuumlnftig weniger zentrale Kraftwerks-kapazitaumlt braucht Als Unternehmen muumlssen wir uns so positionieren dass wir uns im Rahmen aller denkbaren Szenarien weiterentwickeln koumlnnen

Die Energiebranche gilt als Maumlnnerdomaumlne Mit Alpiq und BKW haben nun zwei der groumlssten Schweizer Energiever-sorger eine Frau als CEO Ist das ein Zeichen des Kultur-wandelsJa schon Das Geschlecht war aber gewiss kein Krite-rium fuumlr die Stellenbesetzung Alle Bewerber mussten sich demselben strengen Auswahlverfahren stellen In der

Suzanne ThomaDr Suzanne Thoma ist seit 1 Januar 2013 CEO der BKW AG Zu-vor verantwortete sie das Netz- und Netzdienstleistungsgeschaumlft der BKW als Mitglied der Konzernleitung Vor ihrem Eintritt in die BKW leitete sie das Automobilzuliefergeschaumlft der WICOR Group und fuumlhr-te zuvor als CEO das High-Tech-Unternehmen Rolic Technologies Ltd Im Weiteren war sie fuumlr die Ciba Spezialitaumltenchemie AG in ver-schiedenen Funktionen und Laumlndern taumltig Suzanne Thoma studierte Chemieingenieurtechnik an der ETH Zuumlrich

BKW Energie AGDie BKW ist ein bedeutendes Schweizer Energiedienstleistungs-unternehmen Sie beschaumlftigt mehr als 3 000 Mitarbeitende und ver-sorgt zusammen mit Partnern rund eine Million Menschen mit Strom Neben der reinen Energieversorgung entwickelt implementiert und betreibt die BKW Energiegesamtloumlsungen fuumlr Privat- und Geschaumlfts-kunden sowie fuumlr Energieversorgungsunternehmen und Gemeinden Zudem engagiert sie sich in Forschungsprogrammen zur Entwicklung innovativer Technologien fuumlr eine nachhaltige und sichere Energie-versorgung

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Bundesrat und Parlament haben 2011 als Reaktion auf den Reaktorunfall in Fukushima entschieden mittelfristig aus der Kernenergie auszusteigen und sich gleichzeitig den zwei grossen Herausforderungen der kommenden Jahre zu stellen Zum einen wird die weltweite Nachfrage nach Energie nochmals stark ansteigen da die zuneh-mende Weltbevoumllkerung absolut gesehen und pro Kopf immer mehr Energie konsumiert Das fuumlhrt zu einer deut-lichen Verschaumlrfung des Wettbewerbs um Energie Eine Energiepolitik die staumlrker lokal verankert ist entschaumlrft das Problem Zum anderen birgt die Klimaerwaumlrmung grosse oumlkologische wirtschaftliche und gesellschaftliche Risiken denen mit klimapolitischen Entscheiden auf glo-baler Ebene begegnet werden muss Mit einer konzisen Energie- und Klimapolitik haumllt die Schweiz hierauf eine moumlgliche Antwort bereit

Energiewende im historischen KontextDer bekannte Energiehistoriker Vaclav Smil versteht un-ter Energie die Ausschoumlpfung der natuumlrlichen Ressour-cen durch den Menschen der sich damit das Uumlberleben sichert und seine Lebensqualitaumlt erhoumlht Mit der geplan-ten Energiewende wird das System Energie in seiner ge-sellschaftlichen Dimension umfassend transformiert Die gegenwaumlrtige Diskussion wird jedoch von technischen und oumlkonomischen Fragestellungen dominiert die gesell-schaftliche Dimension kommt dagegen zu kurz Bei der Energiewende geht es jedoch um mehr als lediglich da-rum eine Ressource durch eine andere zu ersetzen Es geht darum die bestehenden Strukturen fundamental

umzuformen Es geht um Stromnetze und Erdoumllpipelines um idyllische Landschaften und Staumldte um Politik und neue Technologien Diese und zahlreiche weitere Para-meter wurden alle aufgrund energiepolitischer Entschei-dungen im vergangenen Jahrhundert gestaltet Fuumlr die Zukunft sind radikale Eingriffe geplant welche die kom-menden Generationen praumlgen werden Es ist deshalb wesentlich das Thema langfristig zu betrachten und die heutige Situation und Diskussion auch historisch zu situ-ieren Wie wurden Energiesysteme ndash also die Verknuumlpfung von Menschen Ingenieurwesen industriellen Praktiken technologischen Artefakten politischen Programmen und institutionellen Ideologien ndash formiert Welche gesell-schaftlichen Voraussetzungen haben zur Entscheidung fuumlr den einen und gegen den anderen Energietraumlger gefuumlhrt Und letztlich auch Welchen internationalen Trends ist die kleine ressourcenarme Schweiz weshalb gefolgt und in welchen Momenten hat sie sich fuumlr den schweizerischen Sonderweg entschieden

Industrialisierung und EnergiewendeEnergiesysteme entwickeln sich kontinuierlich waren je-doch historisch gesehen uumlber lange Zeit relativ stabil Die Jahrzehnte seit dem Beginn der Industrialisierung in der zweiten Haumllfte des 18 bis Ende des 19 Jahrhunderts wa-ren die Aumlra des Holzes (und nicht der Kohle) die erste Haumllfte des 20 Jahrhunderts war die Zeit der Kohle (und nicht des Erdoumlls) die zweite diejenige des Erdoumlls und der Kernenergie Die Wasserkraft war eine wichtige Strom-lieferantin jedoch nie die Nummer eins unter den Energie-

Hintergrund

Fukushima gibt den Takt vor

Der Energiesektor hat sich in den letzten 150 Jahren drama-tisch schnell entwickelt Nicht nur haben sich Produktion und Verbrauch um ein Vielfaches erhoumlht auch die wirtschaftlichen rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich grundlegend gewandelt Ein kurzer historischer Ruumlckblick zeigt die grossen Entwicklungen und Trends aufText Monika Gisler

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Problem der Entsorgung radioaktiver Abfaumllle wurden an-fangs kaum thematisiert Erdoumll wurde erst in den 1970er-Jahren zum politischen Thema als mit den Erdoumll(preis)- krisen von 197374 und 197980 seine (geopolitisch be-dingte) Endlichkeit manifest wurde Gleichzeitig verstaumlrkte die Erdoumllkrise das Bewusstsein uumlber die Abhaumlngigkeit von importierten Energietraumlgern die mit der Industrialisierung eingesetzt hatte

Anfaumlnge des UmweltschutzesAufgrund dieser beiden Entwicklungen kamen Themen wie Energiesparen und die Forderung nach umweltfreund-licheren Energien in den 1970er-Jahren erstmals auf die politische Traktandenliste Der oumlffentliche Diskurs um die laquoGrenzen des Wachstumsraquo und damit einhergehend auch die ersten Debatten zum Umweltschutz entbrannten In-teressanterweise glaubte man dass Wind- und Solar-anlagen erst ab dem Jahr 2000 in signifikantem Umfang zur Verfuumlgung stehen wuumlrden was ja auch eintrat

Die Diskussion flaute so rasch ab wie sie gekommen war Alternativenergien bewahrten ihr Nischendasein bis zu dem Ereignis das mittlerweile den neuen Takt vorgibt die Nuklearkatastrophe von Fukushima Es wird sich weisen wie erfolgreich die Umsetzungsmassnahmen sein werden und wie rasch sie implementiert werden koumlnnen Sicher scheint jedoch dass das Unternehmen Energiewende nur verstanden und ndash so zumindest die Hoffnung ndash auch ak-zeptiert wird wenn man es in seiner ganzen Dimension erfasst

traumlgern Es wird sich weisen ob das 21 Jahrhundert das-jenige der (neuen) erneuerbaren Energien sein wird

Kohle war nach Holz der wichtigste und langfristigste Energie traumlger der Schweiz Ihre Bedeutung hielt mehr als acht Jahrzehnte an ihr Niedergang setzte 1940 ein 1955 wurde sie vom Erdoumll als wichtigster Energietraumlger abgeloumlst Der Klimahistoriker Christian Pfister erklaumlrt diese Transition mit den rasch fallenden Oumllpreisen die zu einer immer groumls ser werdenden Nachfrage nach dieser guumlns-tigen Energie fuumlhrten Ein weiterer Grund war die Domi-nanz des Verbrennungsmotors uumlber die Dampfmaschine auf dem Weg zu einer immer mobileren Gesellschaft Es ist nicht nur das Angebot sondern auch die Nachfrage welche die Bedeutung eines Energietraumlgers formt Die Entscheidung fuumlr Oumll (und spaumlter Gas) war gleichermassen beeinflusst von den technischen Veraumlnderungen wie von den Verschiebungen am Finanzmarkt

Schon fruumlh hatte auch die Wasserkraft eine grosse Be-deutung fuumlr die Schweiz 1918 war man uumlberzeugt dass laquo[hellip] fuumlr unser Land [hellip] die Frage der Energiequelle ein-wandfrei erledigt [sei] Der ganze Entwicklungsgang von Technik und Volkswirtschaft fuumlhrt endlich zur Erkenntnis dass die Natur uns mit den Wasserkraumlften fuumlr die Kohlen-armut entschaumldigtraquo (Parlamentarische Debatte zum Was-serrechtsgesetz 1918) Wasserkraft wurde im Energiemix immer ergaumlnzend zu anderen Ressourcen eingesetzt und nach 1970 entscheidend wenn auch nicht paritaumltisch mit Kernenergie zur Gewinnung von Elektrizitaumlt komplettiert

So war die zweite Haumllfte des 20 Jahrhunderts die Zeit des Erdoumlls und der Kernenergie Die beiden Energie traumlger entwickelten sich nach 1945 fast parallel und haben doch eine sehr unterschiedliche Geschichte Das hat mit ihrer jeweiligen Form und Verfuumlgbarkeit zu tun aber auch da-mit dass ihre politische Bedeutung sehr verschieden-artig war Die Kernkraft barg aufgrund ihrer Naumlhe zu ei-ner toumldlichen Waffe schon immer politischen Sprengstoff Gleichzeitig genoss sie anfaumlnglich auch den Ruf einer sauberen und nahezu unbegrenzt zur Verfuumlgung stehen-den Energiequelle Die Gefahr einer Verstrahlung und das

Monika GislerDr Monika Gisler hat an den Universitaumlten Zuumlrich Basel und Los Angeles (UCLA) Ge-schichte und Politische Philosophie studiert Sie war Forschungsverantwortliche an der ETH Zuumlrich und bietet seit 2008 mit laquoUnter-nehmen Geschichteraquo Forschung Lehre und Beratung zu den Themen Umwelt Energie und Innovation an (wwwunternehmenge-schichtech) Aktuell lehrt sie als Dozentin an der ETH zu Energiewenden in Geschichte und Gegenwart

Wie viele Fotovoltaikanlagen sind auf den Daumlchern Winterthurs zu finden

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Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Energieversorgung

dem Parlament die Energiestrategie 2050 vor welche die Basis fuumlr diesen Umbau schafft Grundsaumltze der Energie-strategie sind die Energieeffizienz die Steigerung des An-teils aus erneuerbaren Energien und die Umsetzung des Verursacherprinzips Das bedeutet dass die Kosten der Energienutzung moumlglichst von den Verursachern getragen werden

Die Schweiz verfuumlgt zwar uumlber eine hohe Versorgungs-sicherheit allerdings sind unsere Energiequellen teilweise nicht nachhaltig Gegenwaumlrtig liegt der Anteil der fossilen Energietraumlger am Endenergieverbrauch bei rund 80 Pro-zent Damit traumlgt die Schweiz zu den negativen Folgen der Klimaerwaumlrmung bei Als rohstoffarmes Land importiert sie einen grossen Teil dieser Energie ndash insbesondere Roh-oumll und Gas Dementsprechend hoch ist die Abhaumlngigkeit vom Ausland Zudem steht die Schweiz energiepolitisch vor weiteren grossen Herausforderungen Aufgrund des Bevoumllkerungs- und Wirtschaftswachstums des steigen-den Wohlstands sowie der zunehmenden Mobilitaumlt nimmt die Nachfrage nach Energie zu Teilweise veraltete Infra-struktur wachsender Wettbewerb und die Integration in das europaumlische Energienetz stellen das Energiesystem zudem vor zusaumltzliche Herausforderungen die es zu be-waumlltigen gilt

Langfristige StrategieUm diese Herausforderungen anzugehen ist ein Umbau des Energiesystems in Richtung Nachhaltigkeit unabding-bar Im Nachgang zur Reaktorkatastrophe in Fukushima haben Bundesrat und Parlament im Jahr 2011 den Grund-satzentscheid fuumlr einen schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie gefaumlllt Der Bundesrat legte anschliessend

Mit der Energiestrategie 2050 des Bundes soll unter anderem der Energieverbrauch reduziert und der Anteil der erneuerbaren Energien erhoumlht werden Dazu gehoumlren eine Reduk tion der energiebedingten CO2-Emissionen und der schrittweise Ausstieg aus der Kernenergie ndash dies ohne die bisher hohe Versorgungs-sicherheit und die preiswerte Energieversorgung zu gefaumlhrden Die ambitioumlsen Ziele sind aber nur zu erreichen wenn ein Um-denken stattfindet und Politik Wirtschaft Wissenschaft und Gesellschaft enger zusammenarbeiten Text Walter Steinmann

Hintergrund

Stossrichtungen der Energiestrategie ndash Energieeffizienz erhoumlhen Energieverbrauch

senken Stromverbrauch stabilisieren ndash Anteil der erneuerbaren Energien erhoumlhen und

Restbedarf durch fossile Stromproduktion und Importe decken

ndash Zugang zu internationalen Energiemaumlrkten sicherstellen

ndash Um- und Ausbau der elektrischen Netze und der Energiespeicherung vorantreiben

ndash Energieforschung verstaumlrken ndash Vorbildfunktion der oumlffentlichen Hand wahrnehmen ndash Internationale Zusammenarbeit im Energiebereich

intensivieren

14 COMPETENCE | 2014

Hintergrund

Der Bundesrat hat dem Parlament im September 2013 ein erstes Massnahmenpaket zur Umsetzung der Energie-strategie 2050 vorgelegt Das Geschaumlft wird momentan von den vorberatenden parlamentarischen Kommissio-nen behandelt Es ist auf die Zielsetzungen fuumlr das Jahr 2020 ausgerichtet und soll langfristig wirken Konkret vorgesehen ist etwa eine Erhoumlhung der CO2-Abgabe auf Brennstoffe mit einer gleichzeitigen Verstaumlrkung des Ge-baumludesanierungsprogramms Weiter soll die bisherige kostendeckende Einspeiseverguumltung zu einem Verguuml-tungssystem mit Direktvermarktung umgebaut werden Dafuumlr sind eine Totalrevision des Energiegesetzes sowie Anpassungen in weiteren neun Bundesgesetzen noumltig Berechnungen zufolge soll der Energieverbrauch mit der Umsetzung des ersten Massnahmenpakets bis 2050 we-sentlich abnehmen Insbesondere bei den fossilen Ener-gietraumlgern wird mit grossen Ruumlckgaumlngen gerechnet

Volkswirtschaftlich werden sich die Kosten fuumlr die Um-setzung der Energiestrategie in Grenzen halten Den er-heblichen Investitionen in die Energieeffizienz stehen Ein-sparungen bei den Energieimporten gegenuumlber Es sind jedoch betraumlchtliche Investitionen insbesondere fuumlr den Zubau der Stromproduktion aus erneuerbaren Energietrauml-gern noumltig

Zusammensetzung des Endshyenergieverbrauchs (ohne Treibshystoffverbrauch des internationalen Flugverkehrs) bis 2050 auf der Basis des vorliegenden Massnahmen pakets des UVEK (Quelle Prognos)

Ein Markt mit ZukunftEine nachhaltige Energiepolitik ist nur moumlglich wenn die Schweiz staumlrker auf erneuerbare Energien setzt Heute stammen nur gerade 20 Prozent der verbrauchten Ener-gie aus erneuerbaren Quellen Die laufenden Arbeiten zur Energiestrategie 2050 zeigen dass Sonnen- und Wind-energie Wasserkraft und Geothermie in der Schweiz uumlber grosse Potenziale verfuumlgen deren optimale Er-schliessung jedoch durch verschiedene Faktoren behin-dert beziehungsweise verzoumlgert wird Dazu gehoumlren die

langwierigen Bewilligungsverfahren und die teils fehlende Akzeptanz in der Bevoumllkerung aber auch die begrenzten Foumlrdermittel zur Realisierung entsprechender Projekte Mit der Energiestrategie 2050 sollen guumlnstigere Rahmenbe-dingungen geschaffen werden

Die Sicherung des langfristigen Energieangebots wird zu einer der zentralen Herausforderungen und bietet gleichzeitig grosse Chancen fuumlr den Wirtschaftsstandort

laquoFortschritte bei der Ressourcen-effizienz und den erneuerbaren

Energien ermoumlglichen Wettbewerbs-vorteile auf den Exportmaumlrktenraquo

15COMPETENCE | 2014

Schweiz Bereits heute verfuumlgt die Schweiz uumlber ein gros-ses industrielles und technologisches Know-how gerade im Bereich Cleantech Fortschritte bei der Ressourcen-effizienz und den erneuerbaren Energien ermoumlglichen Wett bewerbsvorteile auf den Exportmaumlrkten sie schaffen neue Arbeitsplaumltze und erhoumlhen die Unabhaumlngigkeit in der Rohstoffversorgung Zusammen mit dem Masterplan Cleantech traumlgt die Energiestrategie 2050 dazu bei dass sich die Schweiz hier als Vorreiterin profilieren kann

Uumlbergang in ein LenkungssystemDamit sich der Markt in Richtung Nachhaltigkeit entwickelt werden kuumlnftig weitere Massnahmen noumltig sein Waumlhrend das erste Massnahmenpaket noch stark auf Foumlrderung zielt wird die Energiepolitik ab 2021 gemeinsam mit der Klimapolitik strategisch neu ausgerichtet Das bestehen-de Foumlrdersystem basiert auf einem Netzzuschlag fuumlr die Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Ener-gien und einer Teilzweckbindung der CO2-Abgabe fuumlr das Gebaumludeprogramm Es soll durch ein marktwirtschaftli-ches Lenkungssystem abgeloumlst werden mit dem sich die Energie -und Klimaziele effektiv und oumlkonomisch effizient erreichen lassen Konkret werden erneuerbare Energien und Gebaumludesanierungen zunaumlchst noch staatlich unter-stuumltzt ndash langfristig soll der Markt spielen Das Bundesamt fuumlr Energie ist daran in Zusammenarbeit mit dem Eidge-noumlssischen Finanzdepartement und dem Staatssekretariat fuumlr Wirtschaft zu konkretisieren wie das umzusetzen ist

Wissenstransfer staumlrken Gluumlcklicherweise herrscht an den Hochschulen und ihren Instituten im Energiebereich Aufbruchstimmung Fuumlr Un-ternehmen ist es jedoch oft schwierig das an Hochschu-len vorhandene Wissen abzuholen gerade wegen der grossen Diversitaumlt der Forschung und der Fragmentierung des Wissens auf zahlreiche Institute Gleichzeitig stossen mit Unternehmen der Informations- und Kommunikations-technologie neue Akteure mit grossem Know-how in den Energieversorgungsmarkt vor Energieversorgungsunter-nehmen in ganz Europa ruumlcken vom reinen Stromverkauf ab und positionieren sich vermehrt als Anbieter von umfas-senden Energiedienstleistungen Diesem Trend muss sich

Walter SteinmannDr Walter Steinmann ist seit 2001 Direktor des Bundesamts fuumlr Energie (BFE) Er hat an der Universitaumlt Zuumlrich Volkswirtschaft studiert und seine Studien 1988 mit einer Doktorarbeit an der Universitaumlt Konstanz ab geschlossen Von 1981 bis 1988 war er Delegierter fuumlr Wirtschaftsfoumlrderung des Kantons Basel-Landschaft und arbeitete an-schliessend als Beauftragter fuumlr Wirtschafts-foumlrderung des Kantons Solothurn Von 1994 bis 2001 war er Chef des Amts fuumlr Wirtschaft und Arbeit des Kantons Solothurn

auch die Schweiz stellen und ihre Kraumlfte vermehrt buumlndeln um Synergien zwischen Wirtschaft und Forschung zu schaffen Nur so kann der Technologiestandort Schweiz staumlrker werden Der Bund setzt bereits Massnahmen um damit der Transfer der Forschungsresultate in den Markt sichergestellt wird Dazu gehoumlrt der Aufbau vernetzter Forschungskompetenzzentren der Swiss Competence Centers for Energy Research Auch die ZHAW School of Management and Law beteiligt sich in diesem Rahmen massgeblich an den nationalen Forschungsaktivitaumlten zum Umbau des Schweizer Energiesystems

Mit der Energiestrategie 2050 hat die Schweiz die Chance sich aus ihrer Abhaumlngigkeit von den fossilen Energien zu loumlsen den Export fortschrittlicher Technologien zu staumlrken und mit dem ressourcen- und klimaschonenden Umgang mit Energie international eine Fuumlhrungsrolle zu uumlberneh-men Nutzen wir diese Chance

Weitere Informationen unter wwwenergiestrategie2050ch

laquoDie Schweiz muss ihre Kraumlfte vermehrt buumlndeln um

Synergien zwischen Wirtschaft und Forschung zu schaffenraquo

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Eine der wichtigsten Zielsetzungen der Energiewende wie sie der Bundesrat formuliert hat ist der Ausbau der er-neuerbaren Energien Der Anteil von Wasser- Wind- und Sonnenkraft sowie Erdwaumlrme am Energiemix soll massiv erhoumlht werden Die durchschnittliche inlaumlndische Produk-tion ndash ohne Wasserkraft ndash soll im Jahr 2020 bei mindes-tens 4 400 Gigawattstunden (GWh) und im Jahr 2035 bei mindestens 14 500 GWh liegen Bei der Produktion von Elektrizitaumlt aus Wasserkraft wird bis im Jahr 2035 ein Aus-bau der Produktion auf 37 400 GWh angestrebt Zum Ver-gleich Die Jahresproduktion des AKW Muumlhleberg liegt bei rund 2 600 GWh Das sind houmlchst ambitioumlse Ziele

Der geplante Ausbau der Nutzung von erneuerbaren Energien bedarf zahlreicher Anlagen ndash Windparks Was-serkraftwerke oder groumlsserer Solaranlagen ndash mit entspre-chend hohem Raumbedarf Der Bundesrat sieht nicht vor die Umwelt- und Heimatschutzgesetze massgeblich zu lo-ckern obwohl es regelmaumlssig zu Konflikten zwischen den Schutzinteressen und Energienutzungsanlagen sowie zu entsprechenden Gerichtsverfahren kommt ndash wie juumlngst im Goms bei der Planung eines Wasserkraftwerks (BGE 140 II 262 ff) Das Bundesgericht nimmt jeweils eine im Resul-tat schwer voraussehbare Interessenabwaumlgung vor und stellt die Leistung der Anlage sowie die Faumlhigkeit zeitlich flexibel und marktorientiert zu produzieren den Schutz-interessen gegenuumlber

Ein weiteres Problem besteht darin dass groumlssere Anla-gen bei der Nachbarschaft oder in einer breiteren Bevoumll-kerung keine Akzeptanz finden So waumlre zwar im Kanton

Loumlsungen suchen bevor es zum Rechtsstreit kommt

Hochschulperspektive

Der Bundesrat sieht im Rahmen der Energiestrategie 2050 vor den Anteil der erneuerbaren Energien massiv zu erhoumlhen Die vermehrte Nutzung erneuerbarer Energietraumlger fuumlhrt jedoch zu einem Interessenkonflikt zwischen Wirtschaftlichkeit umwelt-rechtlichen Anforderungen und sozialer Akzeptanz Diesen gilt es mit klaren rechtlichen Grundlagen zu loumlsenText Reneacute Wiederkehr und Andreas Abegg

Zuumlrich Wind vorhanden doch dreht sich dort bis heute keine einzige grosse Windturbine Gegen die einzige bis-her geplante Versuchsanlage am Stuumlssel oberhalb Baumlrets-wil hat eine Interessengemeinschaft Rekurs erhoben und will die geplante Windmessanlage bis vor Bundesgericht bekaumlmpfen Diese Probleme ndash die Kollision mit Schutz-interessen und die Angst vor Nachbarrekursen ndash koumlnnen im Ergebnis dazu fuumlhren dass die Energieunternehmen auf den Bau von Anlagen verzichten obwohl ein erhebli-ches Potenzial vorhanden waumlre

Loumlsungsansatz des BundesratsIm Rahmen der Energiepolitik 2050 schlaumlgt der Bundesrat vor dass die Kantone mit Unterstuumltzung des Bundes ein Konzept fuumlr den Ausbau der erneuerbaren Energien er-arbeiten und Gebiete fuumlr die Nutzung durch erneuerbare Energien bestimmen Nach der Genehmigung durch den Bund dient das Konzept den Kantonen als Grundlage fuumlr ihre Richtplanung Dadurch wird fuumlr die kommunalen und kantonalen Behoumlrden verbindlich festgelegt in welchen Gebieten Bewilligungen fuumlr erneuerbare Energieproduktio-nen erteilt werden koumlnnen

Welche Gebiete sich tatsaumlchlich fuumlr den Ausbau der er-neuerbaren Energien eignen ist bisher allerdings kaum erforscht worden Bund Kantonen und Gemeinden fehlen die Grundlagen um die Eignung von Standorten und Ge-bieten aus rechtlicher Sicht zu beurteilen Es ist deshalb einfacher ungeeignete Gebiete von der Nutzung auszu-nehmen Vor allem Gebiete welche fuumlr Natur- und Hei-matschutz wertvoll sind koumlnnen zu einer sogenannten

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schen und rechtsstaatlichen Verfahren aus So wurde zum Beispiel im Kanton Zuumlrich der Heimatschutz gegenuumlber dem Interesse an neuen Solaranlagen bereits zuruumlck-gestuft und das entsprechende Bewilligungsverfahren gestrafft Es wird sich gerade bei der Wahl von Stand-orten fuumlr die Nutzung erneuerbarer Energien zeigen ob die Energiewende ndash wie zuweilen befuumlrchtet ndash auf Kosten von Demokratie und Rechtsstaat sowie auf Kosten von Natur- und Heimatschutz geht oder ob wir die gegenwaumlr-tigen Strukturen unter transparenter und angemessener Wahrung aller Interessen anpassen koumlnnen um die an-spruchsvollen Energieziele zu erreichen

Negativzone fuumlhren Auch andere Anliegen wie die Erhal-tung von landwirtschaftlichem Kulturland und Wald der Schutz des Vogelzugs oder die Beduumlrfnisse der Luftfahrt sind zu beruumlcksichtigen Zudem ist zu beachten dass der Bau neuer Anlagen einen Ausbau des Energienetzes nach sich ziehen kann was wiederum zu Konflikten mit anderen raumrelevanten Interessen fuumlhrt

InteressenabwaumlgungUm die erneuerbare Energie wie geplant massiv foumlrdern zu koumlnnen muumlssen die notwendigen Anlagen rasch rea-lisiert werden In den hierzu notwendigen Bewilligungs- und Rechtsmittelverfahren muumlssen die Zielkonflikte der verschiedenen Interessen transparent gemacht und unter gleichberechtigter Abwaumlgung geloumlst werden Das gilt so-wohl fuumlr das konkrete Rechtsmittelverfahren vor Behoumlrden und Gerichten wie auch fuumlr eine vorgezogene Mediations-phase

Hier setzen die vom Bund initiierten Forschungen zur Energiewende auf drei Ebenen an Zunaumlchst muumlssen die Details der komplizierten Bewilligungsverfahren im Aus-tausch mit der Gerichtspraxis ausgearbeitet werden Das sorgt fuumlr Rechtssicherheit Auf einer zweiten Ebene gilt es die bestehenden kantonal reglementierten Verfahren zu vereinheitlichen und wenn moumlglich zu vereinfachen Damit es zu rechtsstaatlich tragfaumlhigen und sozial akzep-tierten Loumlsungen kommt sind die Rechte aller Beteiligten zu wahren jene von Gemeinden Kantonen und Bund als Behoumlrden von Energieunternehmen als Gesuchsteller so-wie von Nachbarn und beschwerdeberechtigten Verbaumln-den als Gegner Schliesslich sind auf einer dritten Ebene neue Hilfsmittel zu suchen mit denen Gebiete und Stand-orte bezeichnet werden koumlnnen die sich fuumlr die Nutzung erneuerbarer Energien besonders eignen Das Bewilli-gungsverfahren wird hiermit transparenter berechenbarer und ndash so die Hoffnung ndash kuumlrzer Mit klaren Rechtsgrund-lagen koumlnnen die Beteiligten zudem Loumlsungen suchen bevor es uumlberhaupt zum Rechtsstreit kommt Die geplante Foumlrderung erneuerbarer Energien kommt nicht ohne Veraumlnderungen in bestehenden demokrati-

Andreas AbeggProf Dr Andreas Abegg ist Leiter des Zen-trums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht an der ZHAW School of Management and Law Privatdozent an der Universitaumlt Fribourg und praktizierender Rechtsanwalt Er beschaumlf-tigt sich mit den rechtlichen Schnittpunkten zwischen Staat und Privaten insbesondere in den Bereichen Regulierung Verwaltungs-organisation und Energie Andreas Abegg forscht im Rahmen des vom Bund mitfinan-zierten Competence Center for Research in Energy Society and Transition (CREST) in der Forschungsgruppe Energy Policy Analysis

Reneacute WiederkehrProf Dr Reneacute Wiederkehr ist stellvertre-tender Leiter des Zentrums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht an der ZHAW School of Management and Law und Titularprofessor der Universitaumlt Luzern Er forscht und lehrt in den Bereichen Verwaltungsrecht und oumlf-fentliches Prozessrecht sowie im Rahmen des vom Bund mitfinanzierten Competence Center for Research in Energy Society and Transition (CREST) in der Forschungsgruppe Energy Policy Analysis

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Negawatt statt Megawatt

Energieeffizienzmassnahmen finanziell lohnen Zudem ver-fuumlgen kleine und mittlere Unternehmen selten uumlber Ener-gieverantwortliche oder Umweltbeauftragte die im Akqui-sitionsprozess gezielt angesprochen werden koumlnnen

Schwaumlchen bisheriger ProgrammeEine Umfrage der ZHAW bei Programmverantwortlichen zeigt diverse Schwaumlchen laufender Effizienzprogramme auf Ein haumlufiges Problem sind falsche Anreize So wird vornehmlich vermittelt wie mit Energieeffizienz Geld ge-spart wird Offensichtlich geht man davon aus dass Un-ternehmen praktisch nur uumlber finanzielle Anreize zu moti-vieren sind Bei den angepeilten KMU fallen Energiekosten jedoch kaum ins Gewicht Beratungsaufwand und Ergeb-nis stehen umso mehr im Missverhaumlltnis je weniger Ener-gie verbraucht wird Weiter scheinen die Programmver-antwortlichen ihre Zielgruppen kaum zu segmentieren und als unterschiedliche Kundensegmente wahrzunehmen Entsprechend beinhalten die meisten Programme ein Standardangebot mit einem breiten Spektrum an Mass-nahmen die oft nicht branchenspezifisch zugeschnitten sind Auch die Kundenansprache erfolgt in der Regel un-differenziert und die Moumlglichkeiten der Neuen Medien wer-den kaum genutzt

Keine langfristige PerspektiveEin Grossteil der Programme ist nicht auf Kundenbindung ausgelegt Insbesondere werden kaum Informationen er-fasst welche die Planung einer weiterfuumlhrenden Bezie-

Schweizer Unternehmen koumlnnten auf wirtschaftliche Art und Weise bis zu 30 Prozent ihres Energieverbrauchs ein-sparen Speziell bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) die immerhin 10 Prozent des Schweizer Stromver-brauchs verantworten ist das Sparpotenzial aber ungenuuml-gend ausgeschoumlpft

Energieeffizienzprogramme wirken nichtBehoumlrden Energieversorger und private Organisatio-nen haben in den letzten Jahren wiederholt Programme lanciert um Energieeinsparungen gezielt zu foumlrdern Al-lerdings haben bislang weniger als 1 Prozent der rund 300 000 Schweizer KMU an einem solchen Programm teilgenommen und die Umsetzungsquoten sind ebenfalls gering Uumlber die Gruumlnde die Unternehmen daran hindern an Energieeffizienzprogrammen teilzunehmen und ent-sprechende Massnahmen umzusetzen sind sich die Pro-grammverantwortlichen uneinig Oft werden Zeitmangel Priorisierung anderer Investitionen fehlende Mittel und zu lange Amortisationszeiten als Hemmnisse genannt Ge-nerell scheint es dass bei Kleinunternehmen Zeit- und Geldmangel eine wichtige Rolle spielen waumlhrend bei Un-ternehmen mittlerer Groumlsse eher der Mangel an Motiva tion und Bewusstsein ausschlaggebend ist Energiekosten machen bei KMU einen verschwindend kleinen Anteil der Gesamtkosten aus sodass die Prioritaumlten fuumlr Investitionen haumlufig anders liegen Man investiert beispielsweise lieber in Betriebsmittel zur Erhoumlhung der Produktivitaumlt als in die Reduktion der (bereits tiefen) Energiekosten obwohl sich

Energieeffizienz ist ein zentraler Pfeiler der Energiestrategie 2050 Die Schweiz gehoumlrt zu den Spitzenreitern punkto Energie effizienz auch dank ihrem dominanten Tertiaumlrsektor Dennoch liegen auch bei hiesigen Unternehmen grosse Sparpotenziale brach Wie diese genutzt werden koumlnnen untersucht die ZHAW in einem interdisziplinaumlren ProjektText Rolf Rellstab

Hochschulperspektive

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brauch betrifft erhoumlhte Arbeitssicherheit weniger Laumlrm-belastung oder geringerer Rohstoffverbrauch Der Wert solcher laquoNon-Energy Benefitsraquo kann fuumlr Unternehmen bis zu 250 Prozent der energetischen Einsparungen betra-gen Es geht also darum KMU gezielter auf die Chancen der Energieeffizienz hinzuweisen Schliesslich gilt es auch Unternehmen wissen zu lassen dass sich ihre Kunden fuumlr dieses Thema interessieren sowie ihnen dabei zu helfen ihr Energie effizienzengagement sichtbar zu machen Waumlh-rend bereits heute viele Unternehmen bestaumltigen dass sich ihr Image bei den Kunden durch die Teilnahme an einem Energieeffizienzprogramm verbessert hat achten erst wenige Firmen auch bei der Kommunikation darauf dass entsprechende Massnahmen gebuumlhrend bekannt gemacht werden

hung zu den Programmteilnehmenden ermoumlglichen wuumlr-den Angaben zu Stromverbrauch Houmlhe und Anteil der Energiekosten Anzahl Mitarbeitende und Umsatz waumlren wertvolle Informationen im Hinblick auf allfaumlllige Folgepro-gramme Im Vordergrund stehen zudem bei den meisten Programmen technische Loumlsungen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz Eine nachhaltige Verhaltensaumlnderung bei Mitarbeitenden oder auf Managementebene wird hingegen kaum verfolgt Auch ein Monitoring der Wirkung von Ener-gieeffizienzprogrammen ist bislang nicht vorhanden oder

wird zu wenig systematisch betrieben So wird zum Bei-spiel die effektive Energieeinsparung vielfach nicht erfasst und gepruumlft Das tatsaumlchliche Kosten-Nutzen-Verhaumlltnis einzuschaumltzen ist somit schwierig Dass die bestehenden Energieeffizienzprogramme inhaltlich durchaus Anklang finden zeigen Ruumlckmeldungen von Unternehmen die in der Vergangenheit daran teilgenommen haben Die Befrag-ten beurteilen ihre Erfahrungen mehrheitlich positiv Aus Sicht der Unternehmen lagen die Energieeinspar effekte im Bereich der Erwartungen Viele wuumlrden nochmals an einem solchen Programm teilnehmen was die oben ge-nannten Versaumlumnisse umso bedauerlicher macht

Wirksamkeit verbessernWie koumlnnen KMU zum Energiesparen motiviert werden Aus Marketingsicht beinhaltet ein sinnvolles Programm eine segmentspezifische Kundenansprache die den laquoReifegradraquo (Wissen Einstellungen und Verhalten) eines Unternehmens in Bezug auf Energieeffizienz beruumlcksich-tigt Zweitens braucht es eine klare Kundenbeziehungs-strategie welche eine wiederholte Teilnahme zum Ziel hat Bei den Anreizen einzig die finanziellen Aspekte wie etwa erwartete Kostensenkungen oder Foumlrderbeitraumlge hervor-zuheben scheint wenig erfolgversprechend Der Fokus wird in Zukunft wohl vermehrt darauf liegen denjenigen Nutzen hervorzuheben der nicht direkt den Energiever-

Rolf RellstabRolf Rellstab ist wissenschaftlicher Mit-arbeiter und Projektleiter am Institut fuumlr Marketing Management der ZHAW School of Management and Law Seine Arbeits-schwerpunkte liegen im Bereich Kommuni-kation Kundenbeziehungsmanagement und B-to-B-Marketing

Projektziel und VorgehensweiseIm ZHAW-Projekt laquoNegawatt statt Megawattraquo werden optimierte Vorgehensweisen entwickelt um KMU mit einem jaumlhrlichen Strom-verbrauch zwischen 10 und 500 MWh zum Energiesparen zu moti-vieren Der Begriff laquoNegawattraquo bezeichnet die eingesparte Energie die zu virtuellen Negawatt-Kraftwerken kombiniert wird So wird anschaulich aufgezeigt wie viel Energie dank diesen Einsparungen weniger produziert werden muss Das Projekt beinhaltet eine interna-tionale Literaturstudie zu den Erfolgsfaktoren und Hemmnissen von Energieeffizienzprogrammen eine Umfrage bei Anbietern solcher Programme sowie eine Befragung von KMU Aus den Ergebnissen dieser drei Teilstudien werden Hypothesen im Hinblick auf ein idea-les Energieeffizienzprogramm abgeleitet In einem Folgeprojekt sol-len die Hypothesen im Rahmen eines Pilotprogramms uumlberpruumlft und weiterentwickelt werden Das Projekt wird durch den WWF Schweiz die Stiftung Pro Evolution das Bundesamt fuumlr Energie (BFE) und die Elektrizitaumltswerke des Kantons Zuumlrich (EKZ) unterstuumltzt Weitere In-formationen wwwzhawchnegawatt

laquoEine nachhaltige Verhaltens - aumlnderung bei Mitarbeitenden oder auf Managementebene

wird kaum verfolgtraquo

Wie viel Heizoumll wird jaumlhrlich in Winterthur verbraucht

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Klima im Wandel ndash Emissionsrechte im Handel

Der Klimawandel laumlsst sich anhand des Treibhauseffekts veranschaulichen Die Treibhausgase bewirken dass kurz-welliges Sonnenlicht zur Erdoberflaumlche gelangt verhindern jedoch dass langwellige Waumlrmestrahlung von der Erde nach aussen dringt Somit kann die Waumlrme nicht mehr entweichen und die Temperatur steigt Der Ausstoss von Treibhausgasen die vor allem bei der Verbrennung von fossilen Energietraumlgern wie Kohle Gas und Oumll entstehen hat seit der industriellen Revolution stark zugenommen und den natuumlrlichen Treibhauseffekt verstaumlrkt Eine Zunahme der Haumlufigkeit und Intensitaumlt meteorologischer und hydro-logischer Grossereignisse wie Stuumlrme und Uumlberschwem-mungen sind die Folge ndash mit gravierenden oumlkologischen oumlkonomischen und sozialen Konsequenzen

Der 2013 veroumlffentlichte Bericht der internationalen Exper-tengruppe Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zeigt auf dass die globale Durchschnittstempera-tur in den letzten 130 Jahren um 085deg Celsius gestiegen

Der Klimawandel findet nicht in ferner Zukunft sondern bereits jetzt statt Um ihn fuumlr Mensch und Umwelt auf einem ertraumlg-lichen Niveau zu stabilisieren muumlssen die Treibhausgas-emissionen reduziert werden Der Emissionshandel soll dazu beitragen sie dort zu mindern wo die geringsten Kosten an-fallen So kann das gesetzte Mengenziel oumlkonomisch effizient erreicht werdenText Regina Betz

ist Ohne Minderungsanstrengungen wird bis 2100 ein mehr als fuumlnffacher Anstieg prognostiziert Um die Treib-hausgaskonzentration in der Atmosphaumlre auf einem fuumlr Mensch und Umwelt akzeptablen Niveau zu stabilisieren muss die Erwaumlrmung bei unter 2deg Celsius stagnieren Da-fuumlr muumlssen laut dem 2014 veroumlffentlichten Bericht des IPCC die globalen Treibhausgasemissionen (THGE) bis 2050 gegenuumlber 2010 mindestens halbiert und bis 2100 um rund 100 Prozent reduziert werden 1997 hat sich die internationale Staatengemeinschaft im Kyoto-Protokoll fuumlr die Jahre 2008 bis 2012 erstmals auf voumllkerrechtlich ver-bindliche Ziele fuumlr den Ausstoss von THGE in den entwi-ckelten Laumlndern geeinigt aktuell finden Verhandlungen fuumlr die Festlegung neuer Ziele statt

Cap and TradeZur Zielerreichung sieht das Kyoto-Protokoll unter ande-rem den Emissionshandel auf Staatenebene vor Zahl-reiche Laumlnder wenden dieses Instrument aber haumlufiger auf Unternehmensebene an Das Grundprinzip ist einfach Die Houmlchstmenge (Cap) an erlaubten Gesamtemissionen wird festgelegt und an die regulierten Unternehmen im Emissions rechtehandelssystem (EHS) verteilt Die Unter-nehmen sind verpflichtet fuumlr jede emittierte Tonne Kohlen-dioxid ein Emissionsrecht einzureichen ansonsten sind Sanktionszahlungen faumlllig Will ein Unternehmen uumlber die ihm zugeteilte Menge hinaus emittieren muss es ein an-deres Unternehmen finden das ihm die benoumltigte Menge an Emissionsrechten verkauft (Trade) Unternehmen mit hohen Minderungskosten werden dabei Emissionsrechte hinzukaufen und Unternehmen mit niedrigen Kosten wer-den ihre Emissionen mindern indem sie etwa Biomasse statt Kohle verbrennen und uumlberschuumlssige Emissions-rechte verkaufen Durch den Handel koumlnnen die erforder-lichen Emissionsminderungen dort realisiert werden wo sie mit den geringsten Kosten verbunden sind Am Markt stellt sich ein Preis fuumlr die Emissionsrechte ein der Ange-bot und Nachfrage zum Ausgleich bringt

So einfach das Prinzip ist so schwierig ist seine Umset-zung Das System bedingt dass die Regierungen Rech-te fuumlr die Nutzung der Atmosphaumlre schaffen die zu einer

Hochschulperspektive

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Hochschulperspektive

Reduktion der Emissionen gegenuumlber einer Referenzent-wicklung fuumlhren dem sogenannten Business-as-usual-Szenario Doch die Abschaumltzung dieses Szenarios also der Entwicklung der Emissionen ohne Mengenbegren-zung ist schwierig wie die nachfolgenden Ausfuumlhrungen zum Emissionshandel in der EU zeigen

Der Emissionshandel in der EUDas EU-EHS ist der weltweit groumlsste Markt von Emissions-rechten Alle 28 EU-Staaten sowie Liechtenstein Island und Norwegen sind daran beteiligt Die Schweiz wuumlrde sich gerne anschliessen Das EU-EHS leidet seit seiner Einfuumlhrung im Jahr 2005 unter einem Uumlberangebot das sich mittlerweile auf rund 2 Milliarden Emissionsrechte be-laumluft Dies entspricht ungefaumlhr den vom System regulierten Emissionen eines Jahres Neben den unvorhergesehenen oumlkonomischen Entwicklungen durch die globale Finanz-krise traumlgt auch der starke Zubau an erneuer baren Ener-gien zu einem houmlheren Ruumlckgang der Emissio nen bei als geplant Der Hauptgrund fuumlr den derzeitigen Uumlberschuss liegt jedoch darin dass die regulierten Unternehmen ne-ben den Europaumlischen Emissionsrechten ndash European Union Allowances (EUAs) ndash auch auslaumlndische Emissions-minderungszertifikate ndash Certified Emission Reductions (CERs) ndash zu einem bestimmten Anteil anrechnen koumlnnen Mit dem sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) koumlnnen Industrienationen in Entwicklungslaumlndern emissionsmindernde Projekte finanzieren und sich die da-bei entstehenden THGE-Reduktionen mithilfe von CERs anrechnen lassen

Durch diese verschiedenen Faktoren hat sich ein Uumlberan-gebot entwickelt das den Preis der EUAs und CERs stark sinken liess Der Preis belaumluft sich derzeit auf rund fuumlnf Euro pro EUA Die bisherigen Reformanstrengungen wie etwa das sogenannte Backloading das Verschieben von Auktionen in spaumltere Jahre um die Menge zu verknappen haben bisher kaum zu einer Preiserhoumlhung gefuumlhrt

Die Schweiz als PreishochburgDer Schweizer Markt wuumlrde bei einem Zusammen-schluss nur rund 03 Prozent des EU-EHS ausmachen

Die Schweiz wuumlrde somit als Preisnehmerin agieren Das heisst der EU-Preis sollte auch in der Schweiz gelten Umso erstaunlicher ist es daher dass der Schweizer Preis pro Emissionsrecht derzeit bei rund 40 Franken liegt ob-wohl die Verbindung des Schweizer EHS mit dem EU-EHS geplant ist (sogenanntes Linking) Das auf der Basis des revidierten CO2-Gesetzes von 2012 und der CO2-Verord-nung verabschiedete System das den Emissionshandel am 1 Januar 2013 fuumlr 38 Unternehmen beziehungsweise 55 Anlagen in der Schweiz verbindlich eingefuumlhrt hat uumlber-nimmt weitestgehend die Regeln des EU-EHS Das neue System hat das bisherige freiwillige EHS in der Schweiz abgeloumlst Die im EHS erfassten Unternehmen sind von der CO2-Abgabe befreit Die hohe Kompatibilitaumlt des Schwei-zer EHS und des EU-EHS sollte ein schnelles Linking er-moumlglichen wobei die Verhandlungen durch die Annahme der Einwanderungsinitiative zum Stillstand gekommen sind Ein moumlglicher Erklaumlrungsansatz ist daher dass der hohe Preisunterschied die derzeitige Unsicherheit uumlber den Ausgang der Linking-Verhandlungen widerspiegelt Gehen die Schweizer Unternehmen davon aus dass kein Linking stattfindet sollte sich der Preis anhand der Minderungs-kosten und der Knappheit im Schweizer EHS bilden Fuumlr die Unternehmen ist es immer noch guumlnstiger den der-zeitigen Preis von 40 Franken fuumlr die Emissionsrechte zu bezahlen als eine Busse von 125 Franken pro fehlendes Emissionsrecht Zusaumltzlich zur Busse ist das Unternehmen verpflichtet die fehlenden Rechte im naumlchsten Jahr nach-zureichen Auch hier hat sich die Schweiz stark am EU-EHS orientiert bei dem die Busse bei 100 Euro pro EUA plus Wiedergutmachung liegt

Allokation beeinflusst den WettbewerbDie Gesamtmenge an Emissionsrechten (Cap) leitet sich aus den historischen Emissionen der teilnehmenden EHS-Unternehmen ab Fuumlr bestehende Anlagen die bereits vor 2013 am EHS in der Schweiz beteiligt waren setzt sie sich aus der Summe der durchschnittlich zugeteilten Emis-sionsrechte der ersten Verpflichtungsperiode (2008 bis 2012) zusammen fuumlr Anlagen die 2013 hinzukommen aus der Summe der durchschnittlichen Emissionen der

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fuumlr neue Anlagen in einer Reserve zuruumlckbehalten deren Uumlberschuumlsse zweimal jaumlhrlich versteigert werden Die Zu-teilung der Emissionsrechte hat etwas laumlnger gedauert so-dass sie in der Schweiz fuumlr die Jahre 2013 und 2014 erst im Februar 2014 erfolgte Das mag auch einer der Gruumlnde sein dass bisher kein Handel auf dem Sekundaumlrmarkt fuumlr den die Berner Kantonalbank eine eigene Emissions-handelsplattform bereitgestellt hat stattgefunden hat Das erste Preissignal war deshalb die Auktion der Uumlberschuumls-se aus der Neuemittentenreserve Diese fand vom 14 bis 21 Mai 2014 statt und erzielte fuumlr die 150 000 Emissions-rechte einen Preis von 4025 Franken pro Emissionsrecht

Wie sich die Liquiditaumlt im Schweizer Markt in Zukunft ent-wickeln wird und ob ein Linking mit dem EU-EHS und so-mit eine Angleichung der Schweizer Preise an die EU-EHS-Preise stattfinden wird bleibt abzuwarten Letzteres waumlre zwar aus oumlkonomischer Sicht zu begruumlssen da ein groumls-serer liquider Markt mit einheitlichem Preissignal als effizi-enter bewertet wird Aus oumlkologischer Sicht scheint jedoch ein Linking der Systeme ohne weitere Reformen des EU-EHS nicht wuumlnschenswert da es die Minderungsanreize in der Schweiz als Folge des Angebotsuumlberschusses an Emissionsrechten in der EU massiv reduzieren wuumlrde

Jahre 2009 bis 2011 Diese Summe wird jaumlhrlich um 174 Prozent reduziert analog der Regelung im EU-EHS

Neben der Festlegung der Obergrenze ist die Ausgestal-tung der Zuteilungsregeln politisch am schwierigsten da diese Verteilungswirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussen Bis 2012 wurden die Emissionsrechte in der EU daher groumlsstenteils kostenlos zugeteilt Seit 2013 werden rund 48 Prozent der Emissionsrechte versteigert wobei diese vor allem von Elektrizitaumltsfirmen gekauft wer-den muumlssen Da diese nicht im internationalen Wettbewerb

stehen konnten sie den Preis der gratis erhaltenen Emis-sionsrechte an die Elektrizitaumltskonsumenten weitergege-ben und hohe Gewinne erzielen Unternehmen aus Sek-toren die im internationalen Wettbewerb stehen koumlnnen hingegen die Kosten fuumlr die Emissionsrechte nicht an ihre Endkunden weitergeben ohne betraumlchtliche Nachteile in Kauf zu nehmen Es besteht daher das Risiko dass diese Firmen in Laumlnder ohne Klimapolitik abwandern Um dieses Risiko zu senken erhalten Unternehmen bei denen ein Risiko auf Abwanderung besteht auch in Zukunft weitest-gehend kostenlos Emissionsrechte zugeteilt Die Zuteilung basiert dabei auf sogenannten Benchmarks (Tonne Koh-lendioxid pro Tonne Produkt) die auf der Basis der effizi-entesten 10 Prozent der Unternehmen berechnet und mit historischen Produktionsdaten multipliziert werden

Noch kein Handel in der SchweizDie Schweiz hat die Benchmarks des EU-EHS uumlbernom-men Da in der Schweiz vor allem stark im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen aus den Sektoren Zement Papier Chemie Stahl und Raffinerien unter den Emissionshandel fallen werden fast alle Emissionsrechte kostenlos zugeteilt Ein kleiner Anteil von 5 Prozent wird

Regina BetzDr Regina Betz ist Dozentin fuumlr Energie- und Umweltoumlkonomie an der ZHAW School of Management and Law Seit 2014 leitet sie den volkswirtschaftlichen Teil der Ener-gy Policy Analysis Group des Zentrums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht das Mitglied des Schweizer Competence Centers for Research in Energy Society and Transition (CREST) ist Zuvor lehrte sie an der University of New South Wales Australia Umwelt- und Klimaoumlkonomie und leitete als Co-Direktorin das Centre for Energy and Environmental Markets (CEEM) 1998 bis 2004 arbeitete sie als Wissenschaftlerin am Fraunhofer-Institut fuumlr System- und Innovationsforschung ISI in Deutschland

laquoNeben der Festlegung der Ober grenze ist die Ausgestaltung der Zuteilungsregeln politisch am

schwierigsten da diese Verteilungs wirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussenraquo

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nicht vollstaumlndig genutzt werden kann In der Energiestra-tegie des Bundes ist gemaumlss einem Szenario bis 2050 ein Zubau auf knapp 12 TWh pro Jahr Stromproduktion aus Fotovoltaik angedacht Dies bedingt den Bau von Fotovol-taikanlagen mit einer installierten Spitzenleistung von etwa 12 Gigawattpeak (GWp) und einem Flaumlchenbedarf von rund 84 000 000 Quadratmetern Dieser Flaumlchenbedarf ist auf den bestehenden Daumlchern in der Schweiz verfuumlgbar

An einem schoumlnen Sommertag koumlnnen diese Anlagen dann also etwa 12 GW erzeugen die maximale Ver-brauchslast liegt im Sommer aber nur bei rund 8 GW Es entsteht ein Uumlberschuss von 4 GW die Speicherleistung der Schweizer Pumpspeicheranlagen betraumlgt heute aber nur 15 GW 25 GW Leistung koumlnnen in diesem Szenario also gar nicht genutzt werden An einem Wintertag mit Hochnebel erzeugen diese Anlagen uumlberhaupt keinen Strom die Verbrauchslast liegt aber mit 10 GW noch houml-her als im Sommer Hier entsteht eine Luumlcke die mit ande-ren Energieformen oder Importen gedeckt werden muss

Speichern uumlbertragen oder einsparenUm diesem Problem zu begegnen gibt es verschiedene Loumlsungsansaumltze Ein Ansatz ist die Energie lokal dort zu speichern wo sie erzeugt aber nicht sofort verbraucht werden kann In diesem Fall werden in erster Linie viele kleine Speichermodule benoumltigt die sowohl fuumlr kurz- als auch langfristigen Ausgleich sorgen muumlssen Eine andere Moumlglichkeit ist es die Energie an Orte zu uumlbertragen wo sie sofort verbraucht wird dann muss in erster Linie das Netz ausgebaut werden Schliesslich koumlnnte Energie auch zentral zu grossen Speichern transportiert werden was sowohl einen Netzausbau als auch neue Speichertechno-logien bedingen wuumlrde

Als die Gesellschaft noch aus Jaumlgern und Sammlern be-stand verbrauchte der Mensch seine Energie lokal dort wo er sie benoumltigte Er lebte von der Hand in den Mund Im Zuge der aufkommenden Landwirtschaft musste er Methoden entwickeln um Nahrung haltbar zu machen und sie zu transportieren Vor demselben Problem steht heute die Energiewirtschaft Ort und Zeit der erneuerbaren Energieerzeugung korrelieren je laumlnger je weniger mit dem Verbrauch Die Herausforderung der Energiewende ist deshalb nicht nur die Produktion selbst sondern auch die Uumlbertragung die Speicherung und das lokale Verbrauchs-last-Management

Saisonale Speicherung problematischMit dem Ausstieg aus der Kernenergie muumlssen in der Schweiz etwa 40 Prozent der produzierten elektrischen Energie ersetzt werden also rund 23 Terawattstunden (TWh) pro Jahr Im Gegensatz zur Kernenergie haben die neuen erneuerbaren Energien den Nachteil dass ihre Pro-duktion nicht steuerbar ist und unregelmaumlssig anfaumlllt Der Kapazitaumltsfaktor also das Verhaumlltnis von durchschnittlicher zu maximaler Leistung betraumlgt bei konventionellen Kraft-werken bis zu 100 Prozent bei Fotovoltaikanlagen dage-gen nur etwa 10 Prozent Hinzu kommen die starken saiso-nalen Schwankungen dieser stochastisch erzeugenden Energiequellen Im Winter liegt die Stromverbrauchsspitze mit circa 10 Gigawatt (GW) rund ein Drittel houmlher als im Sommer gleichzeitig liefern Fotovoltaikanlagen aufgrund des flacheren Einstrahlungswinkels und der kuumlrzeren Son-nenscheindauer wesentlich weniger Strom als im Sommer

Anhand eines Gedankenexperiments laumlsst sich veran-schaulichen dass das Potenzial der neuen erneuerbaren Energien ohne zusaumltzliche Speicher oder steuerbare Lasten

Energie haltbar machen

Der Ausbau von erneuerbaren Energiequellen geht so schnell voran dass Speicher- und Uumlbertragungstechnologien kaum mithalten koumlnnen Um Produktionsspitzen zu glaumltten braucht es Fortschritte in der EnergietechnikText Petr Korba

Hochschulperspektive

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Petr KorbaProf Dr Petr Korba ist Dozent und Fach-gruppenleiter fuumlr elektrische Energietechnik und Smart Grids an der ZHAW School of En-gineering Zuvor forschte er uumlber zehn Jahre bei ABB Schweiz in den Bereichen Automa-tion Energie- und Regelungstechnik

Scherrer Institut an der Power2Gas-Technologie Dabei wird Kohlendioxid mit Strom aus erneuerbaren Quellen durch Elektrolyse zu Wasserstoff oder weiter zu Methan verarbeitet Aumlhnlich wie bei der Nahrungsmittelproduktion wo Staumlrke schliesslich als raffinierter Zucker gespeichert wird gibt es auch bei der Stromspeicherung immer raffi-niertere Formen Bei jeder Umwandlung geht aber Energie verloren Man muss sich also gut uumlberlegen ob man uumlber-haupt speichern will und wenn ja uumlber welchen Zeitraum

Mit der wachsenden Integration von erneuerbaren Energi-en steigen auch die Anforderungen an die Energietechnik Unser kuumlnftiges Energiesystem wird staumlrker automatisiert und intelligenter sein Um erneuerbare Energiequellen zu integrieren werden Informations- und Kommunikations-technologien Automatisierungs- und Regelungstechnik Signalverarbeitung oder Wettervorhersagen immer wich-tiger In den intelligenten Stromnetzen der Zukunft wer-den alle beteiligten Komponenten Daten wie den aktuellen Verbrauch verfuumlgbare Strommengen oder lokale Aus-faumllle melden und gleichzeitig solche Daten aus anderen Netzkomponenten empfangen Das daraus resultierende Smart Grid ist ein Gefuumlge das selbststaumlndig auf diese Ein-fluumlsse reagiert und seine eigene Effizienz optimiert Es gilt Energie effizienter zu uumlbertragen um raumlumliche Distanzen zu uumlberwinden und neue Speichertechnologien zu entwi-ckeln um zeitliche Engpaumlsse zu uumlberbruumlcken Elektrische Energie kann auf verschiedene Arten erzeugt gespei-chert und uumlbertragen werden Jede Art hat ihre Vor- und Nachteile und ihren Preis Anreize aus der Politik werden schliesslich entscheiden welche Formen dies in der Zu-kunft sein werden

Auf der Verbraucherseite laumlsst sich die Nutzlast durch ge-eignetes Last-Management anpassen Diese Steuerung schaltet verbrauchsintensive Anlagen in Unternehmen gewerblichen Betrieben und Haushalten gezielt dann ein wenn die Stromtarife guumlnstig sind Es duumlrfte aber schwie-rig sein der Bevoumllkerung vorzuschreiben wann sie zum Beispiel fernsehen oder kochen darf Eine intelligente Re-gelung von grossen Kuumlhlhaumlusern stoumlrt dagegen nieman-den Trotz solchen Bestrebungen geht die International Energy Agency (IEA) davon aus dass der Stromverbrauch weltweit jaumlhrlich um rund 1 Prozent zunimmt Diese Ten-denz verstaumlrkt sich voraussichtlich noch falls sich der Bereich Mobilitaumlt von fossilen Energietraumlgern hin zur Elek-tromobilitaumlt verschieben wird Die Geschichte hat gezeigt dass der Energieverbrauch eigentlich nur in Krisenzeiten zuruumlckgeht

Klar ist jedenfalls dass der Ausbau von Speichern und Netzen Hand in Hand mit der zunehmenden Integration von erneuerbaren Energiequellen erfolgen muss Auf unter-schiedlichen Netzebenen kommen unterschiedliche Spei-chertechnologien zum Einsatz Waumlhrend fuumlr Haushalte mit kleinen Fotovoltaikanlagen und im Niederspannungsnetz bereits Batteriespeicher vorhanden sind stossen diese bei mehr als einer Windturbine oder groumlsseren Solarparks schnell an ihre Grenzen Das groumlsste Batterieenergie-speichersystem der Schweiz betreiben die Elektrizitaumlts-werke des Kantons Zuumlrich in Dietikon Es hat 1 Megawatt (MW) maximale Speicherleistung und kann diese waumlhrend ungefaumlhr 15 Minuten abgeben respektive speichern Die Spitzenlast im Schweizer Hochspannungsnetz liegt aber bei 8 GW im Sommer und 10 GW im Winter Die Schwei-zer Pumpspeicherkraftwerke koumlnnen unseren Strombe-darf nur etwa einen Monat lang decken Das europaumlische Hochspannungsnetz verfuumlgt uumlber eine Spitzenlast von circa 500 GW Um die Leistung von Grosskraftwerken wie Offshore-Windparks langfristig zu speichern braucht es neue Technologien

Raffinierte EnergiespeicherungDafuumlr forscht die ZHAW School of Engineering gemein-sam mit der ETH Zuumlrich der EPF Lausanne und dem Paul

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Hochschulperspektive

Dissonanz an der Steckdose

Mit der Energiestrategie 2050 haben Bundesrat und Parla-ment eine Kehrtwende in der Schweizer Energiepolitik ein-gelaumlutet der die wichtigsten politischen Huumlrden erst noch bevorstehen Auf den ersten Blick scheint der Kurswechsel breit abgestuumltzt Seit dem Reaktorunfall in Fukushima fuumlh-ren Umfragen immer wieder zum gleichen Ergebnis Der langfristige Ausstieg aus der Kernenergie findet eine Mehr-heit Im Grundsatz stossen erneuerbare Energien sowie Massnahmen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz auf hohe Zustimmung Was fuumlr den Stimmzettel gilt beeinflusst aber nicht automatisch das Konsum- und Investitionsverhalten der Energiekunden Die Bereitschaft aus eigenem Antrieb mehr fuumlr ein oumlkologisch houmlherwertiges Produkt aus neuen erneuerbaren Energietraumlgern zu bezahlen ist beschraumlnkt Nur wenige Haushalte sind zudem bereit ihren Energie- und insbesondere ihren Stromkonsum zu reduzieren wenn dies mit nicht amortisierbaren Investitionskosten oder einem moumlglichen Komfortverlust verbunden ist

Mit anderen Worten Effizienz wird als teuer und Suffizienz als bevormundend empfunden Die private Zahlungsbereit-schaft laumlsst sich zwar mit regulatorischen Interventionen wie fixen Einspeiseverguumltungen oder Investitionssubven-tionen in Effizienzmassnahmen etwas erhoumlhen Doch die Erfahrungen in Deutschland und der Schweiz zeigen dass solche Massnahmen oumlkonomisch ineffizient sind und oft als ungerecht empfunden werden Sie koumlnnen damit zum Bumerang fuumlr die Akzeptanz der energiepolitischen Ziele werden Neben den politischen Huumlrden ist somit auch die kognitive Huumlrde der Konsumenten zu beruumlcksichtigen De-ren Uumlberwindung bedarf zuerst einer differenzierten Analyse der Ursachen und danach der Entwicklung innovativer Ver-triebsmodelle und Produkte auf Versorgerseite

Eine Mehrheit der Bevoumllkerung unterstuumltzt den Ausstieg aus der Kernenergie doch nur wenige beziehen ein oumlkologisches Stromprodukt Warum das so ist und wie sich diese Dissonanz aufloumlsen laumlsst beschaumlftigt derzeit viele EnergieversorgerText Claudio Cometta

Indifferenz uumlberwiegtFuumlr viele Konsumenten ist die Strom- Gas- oder Fern-waumlrmerechnung ein verhaumlltnismaumlssig kleiner Posten im Haushaltsbudget dem wenig Beachtung geschenkt wird Die Schweiz ist sogar einer der Spitzenreiter in Europa machen die Stromkosten im Durchschnitt doch nicht mehr als 2 Prozent der Haushaltsausgaben aus Wenig Beachtung bedeutet auch wenig Kenntnis des Preises und der Menge der bezogenen Energieleistung oder der Zusammensetzung des Tarifs aus Energiekosten Netz-kosten und Abgaben Entsprechend besteht nur ein ge-ringes Interesse Energie und damit Kosten zu sparen Konsumentenbefragungen zeigen zudem dass nur eine kleine Minderheit der Kunden die Zusammensetzung ihres Stromprodukts nach Energietraumlgern kennt Die geringen Kosten und Unkenntnis des Produkts verhindern also die Wahl anderer Stromprodukte Strom ist ein klassisches Commodity-Produkt Man kann ihn weder sehen noch riechen Er ist verhaumlltnismaumlssig guumlnstig immer verfuumlgbar und aumlndert in keinerlei Hinsicht seine Eigenschaften wenn dafuumlr mehr bezahlt wird Zudem ist meist nicht sichtbar wer wie viel von welchem Produkt bezieht Der Strom-konsum ist Privatsache

Uumlberwindung durch VertriebsmodelleDie Vorgaben der Energiestrategie 2050 beinhalten nicht nur einen massiven Zubau der Produktionskapazitaumlt aus erneuerbaren Energietraumlgern sondern auch die kon-tinuierliche Reduktion des Energie- und insbesondere des Stromkonsums pro Kopf Die direkte Finanzierung der dazu notwendigen Investitionsvorhaben scheint an-gesichts der Indifferenz auf Konsumentenseite jedoch schwierig Aus diesem Grund sind mehrere Schweizer

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rund um Haushaltstechnik Sicherheit Pflege oder Kom-munikation sowie ein geschicktes Marketing mit Elemen-ten der sozialen Kontrolle Denkbar sind auch Anreize die keinen direkten Zusammenhang mit dem Energiekonsum aufweisen aber fuumlr breite Bevoumllkerungsgruppen attrak-tiv sind So haben etwa einzelne skandinavische Versor-ger damit begonnen energiesparendes Verhalten ihrer Kunden mit Verguumlnstigungen fuumlr die Nutzung oumlffentlicher Transportmittel zu belohnen

Uumlberwindung durch PartizipationDie wohl wirkungsvollste Massnahme zur Uumlberwindung der Dissonanz an der Steckdose ist bereits inhaumlrent in der Transformation des Energiesystems hin zu einer staumlrker dezentralen Erzeugung angelegt Kunden entwi-ckeln sich von passiven Leistungsempfaumlngern zu aktiven Leistungserbringern sogenannten Prosumern Als Klein-produzenten von Strom mit einer hauseigenen Fotovol-taikanlage oder thermischer Speicherleistung mit Kraft-Waumlrme-Kopplungsanlagen im Mikroformat werden sie mittelfristig wesentlich zum Umbau des Energiesystems und zu den Zielen der Energiestrategie beitragen koumlnnen Eine nicht ganz unbedeutende Rolle koumlnnten in Zukunft sogenannte Buumlrgerbeteiligungsmodelle fuumlr die Finanzie-rung neuer In frastrukturprojekte spielen Diese wuumlrden gleichzeitig die Akzeptanz sichtbarer Produktionsanlagen von neuen erneuerbaren Energien erhoumlhen Doch erst wenn das Produkt Strom nicht mehr als reines Commodity-Produkt wahrgenommen wird werden politische Meinung und Konsumverhalten bei einer Mehrheit der Stimmbuumlrger uumlbereinstimmen

Energieversoger in letzter Zeit dazu uumlbergegangen soge-nannte Default-Modelle einzufuumlhren die Stromprodukte aus erneuerbaren Quellen zum neuen Standard erheben Dabei macht man sich die Traumlgheit der Kunden zunutze indem die Wahl eines Stromprodukts aus nicht erneuer-baren Energietraumlgern als Option definiert wird die aktiv bestellt werden muss

Nicht zuletzt aufgrund solcher Modelle ist die Zahl der Schweizer Haushalte die ein Stromprodukt aus aus-schliesslich erneuerbaren Energien beziehen auf uumlber 25 Prozent gestiegen Doch weitere Vertriebsinnovationen werden notwendig sein etwa um der Herausforderung der Einspeisung von Strom aus fluktuierend nutzbaren Quellen (Solar- und Windenergie) in die Verteilnetze gewachsen zu sein die immer staumlrker ins Gewicht faumlllt In der Folge gilt es Investitionen in Netz- und Speichersysteme zu finan-zieren In innovativen Vertriebsmodellen welche dieser Herausforderung gerecht werden erhaumllt das Konsumver-halten einen Wert Zeitliche Flexibilitaumlt wird belohnt durch Tarifreduktion Bonus oder Vermeidung einer Gebuumlhr Wie diese beiden Beispiele zeigen laumlsst sich der Mehrwert von vermeintlichen Commodity-Produkten durch neue Vertriebsmodelle abschoumlpfen und als marktwirtschaftlich vertraumlglicher Finanzierungsmechanismus fuumlr neue Infra-strukturvorhaben im Energiesektor nutzen

Uumlberwindung durch innovative ProdukteNoch groumlsseres Potenzial birgt die Weiterentwicklung von Stromprodukten zu Leistungssystemen die fuumlr Energie-kunden einen echten Mehrwert bieten Hierzu gehoumlrt die Verknuumlpfung des Kernprodukts Strom mit Dienstleistun-gen die den Kunden ein transparenteres Verbrauchsver-halten sowie Kostenoptimierung ermoumlglichen Intelligente Stromzaumlhler sogenannte Smart Meter kombiniert mit fle-xiblen Tarifen und einem einfachen Feedback- und Steuer-system sind die Voraussetzung um zumindest oumlkologisch sensibilisierten oder kostenbewussten Endkunden einen Effizienzeffekt zu ermoumlglichen Damit solche Leistungs-systeme aber fuumlr die grosse Gruppe der Indifferenten interessant werden braucht es weitere Mehrwerte Dazu gehoumlren die Verknuumlpfung mit intelligenten Anwendungen

Claudio ComettaDr Claudio Cometta ist Dozent fuumlr Innovation und Entrepreneurship an der ZHAW School of Management and Law Er koordiniert den Aufbau des nationalen Energie-Kompetenz-zentrums SCCER 5 an der ZHAW

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Die Energiewende stellt die Energieversorgungsunternehmen in der Schweiz vor grosse Herausforderungen Das Beispiel von Stadtwerk Winterthur zeigt wie die Branche auf den Paradig-menwechsel reagiertText Florian Wehrli

Von den Anfaumlngen als laquoWinterthurer Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtungraquo vor uumlber 150 Jahren bis zum modernen Querverbundunternehmen hat sich Stadtwerk Winterthur kontinuierlich weiterentwickelt Seine Aufgabe ist aber gemaumlss Direktor Markus Saumlgesser weitgehend dieselbe geblieben die Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung zu verbes-sern So bietet das staumldtische Versorgungsunternehmen neben klassischen Produkten wie Wasser Strom Gas oder Kehrichtentsorgung und Abwasserreinigung heute auch Fernwaumlrme Haustechnik Glasfasernetz und Ener-gie-Contracting an Die Ausdehnung auf neue Geschaumlfts-bereiche will der Direktor aber nicht als Reaktion auf die Liberalisierung des Energiemarkts verstanden wissen laquoWir begegnen der Marktoumlffnung proaktiv und wollen die sich bietenden Chancen aktiv nutzenraquo

Lokales Potenzial ausgeschoumlpftIm liberalisierten Markt hat das staumldtische Versorgungs-unternehmen mit dem Monopol auf sein Energieversor-gungsnetz von gesamthaft mehr als 2 500 Kilometern einen Vorteil Dessen Unterhalt ist nach wie vor eine der Hauptaufgaben Im Gegensatz zu anderen Energieversor-gern betreibt Stadtwerk Winterthur naumlmlich einen verhaumllt-nismaumlssig geringen Anteil an eigenen Produktionsanlagen Das Flaggschiff ist die wohl modernste Kehrichtverwer-tungsanlage der Schweiz laquoMit dem Umbau konnten wir 2013 den Wirkungsgrad der Anlage um einen Drittel stei-gern und die Abluft gehoumlrt zu den saubersten weltweitraquo sagt Markus Saumlgesser Heute deckt die KVA 20 Prozent des Winterthurer Strom- und 12 Prozent des Waumlrmebe-darfs ab Auf solchen Lorbeeren ausruhen will sich Stadt-werk Winterthur aber nicht laquoWir wollen mithelfen eine nachhaltige Energiewirtschaft aufzubauenraquo Mittelfristig soll

die Haumllfte des Stromangebots aus erneuerbaren Quellen stammen laquoDas ist ein ehrgeiziges Zielraquo sagt Saumlgesser laquowir sind aber auf gutem Weg dazuraquo

Rund die Haumllfte des Rahmenkredits von 90 Millionen Franken fuumlr erneuerbaren Strom den das Winterthurer Stimmvolk 2012 bewilligt hat ist bereits investiert Im Bereich Fotovoltaik ist die Planung der groumlssten Anlagen abgeschlossen etwa auf den Daumlchern der Eishalle oder des Busdepots Eine aktuelle Windpotenzialstudie zeigt fuumlr Winterthur nur wenige moumlgliche Standorte auf zumal die Bewilligung solcher Anlagen mit grossem buumlrokratischem Aufwand verbunden sei Mit diversen Nahwaumlrmever-buumlnden nutzt Stadtwerk Winterthur auch Holzabfaumllle bereits sehr effizient Aber auch dieser Energietraumlger ist in Winterthur beschraumlnkt vorhanden Das letzte Projekt das Holz aus dem Winterthurer Stadtwald einsetzen wird ist in der Aufbauphase Studien im Bereich Wasserkraft haben gezeigt dass abgesehen von einem Kleinwasser-kraftwerk an der Toumlss in der Region kaum Potenzial vor-handen ist

Investitionen im AuslandlaquoDiese aufwendige Aufbauarbeit soll nicht zur Regel wer-denraquo sagt Markus Saumlgesser laquoDas limitierte Energiepoten-zial in der Schweiz und die beschwerlichen Instanzenwe-ge fuumlr Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie lassen uns deshalb vermehrt im Ausland investierenraquo 2012 be-teiligte sich das Stadtwerk mit 12 Millionen Franken am Kleinkraftwerk Birseck AG das Kleinwasserkraftwerke und Foto voltaikanlagen in der Schweiz und in Frankreich be-treibt 2013 folgte eine Beteiligung in der Houmlhe von 25 Mil-lionen Franken an der Swisspower Renewables AG die in

Vom Versorger zum Dienstleister

Unternehmensperspektive

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sein glaubt er aber nicht daran dass der Stromverbrauch insgesamt zuruumlckgehen wird laquoDafuumlr ist der Marktpreis zu niedrig Aus serdem wird Strom im Bereich Waumlrme und Mobilitaumlt einen Grossteil der fossilen Energietraumlger ersetzen muumlssenraquo Damit der geplante Verbrauchsruumlck-gang dennoch gelingt will der Bund Anreize schaffen Mit sogenannten weissen Zertifikaten will er die Versor-ger be lohnen wenn sie ihre Kunden zu einem geringeren Energie verbrauch bewegen In Grossbritannien Italien und Frankreich sind solche Modelle bereits im Einsatz Markus Saumlgesser sieht dieser Entwicklung mit gemischten Gefuumlh-len entgegen laquoWir haben bereits vor der Reaktorkatastro-phe in Fukushima auf Energieeffizienz gesetzt und konn-ten uns dadurch profilieren Weil die Politik nun eingreift und den Markt uumlbersteuert bleibt uns als Unternehmen weniger Spielraum um uns zu positionierenraquo

Windkraftanlagen im angrenzenden Ausland investiert Fuumlr die Beschaffung von Strom am freien Markt ist das Stadtwerk eine Zusammenarbeit mit der Trianel GmbH in Aachen ndash einer der fuumlhrenden Stadtwerke-Kooperationen in Europa ndash eingegangen Damit sollen insbesondere der Zugang zum Grosshandelsmarkt sowie die Marktfor-schung sichergestellt werden Denn um Kunden nachhal-tige Energieprodukte verkaufen zu koumlnnen muss man ihre Beduumlrfnisse genau kennen

Anreize fuumlr geringeren VerbrauchDie Strategie scheint aufzugehen laquoSeit der Einfuumlhrung der neuen Stromprodukte Anfang 2013 haben wir den Absatz von erneuerbarer Energie in Winterthur verdop-pelt und denjenigen von Oumlkostrom sogar vervierfachtraquo so Saumlgesser Trotz dem steigenden oumlkologischen Bewusst-

Gemaumlss seinem Leitbild soll Stadtwerk Winterthur mit einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der soziashylen Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Bild Michael Lio

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Ausgliederung aus der StadtverwaltungAuch auf kommunaler Ebene ist Stadtwerk Winterthur von den politischen Rahmenbedingungen abhaumlngig ndash mit allen Vor- und Nachteilen Die politischen Kurswechsel in den vorgesetzten Gremien seien hinderlich bei der Umsetzung der Strategie des Unternehmens laquoWir taumltigen Investitio-nen mit einem Planungshorizont von mehreren Jahrzehn-tenraquo sagt Markus Saumlgesser laquoin der Politik wird dagegen in Amtsperioden von vier Jahren gedachtraquo Es gibt deshalb Bestrebungen das Stadtwerk aus der Stadtverwaltung auszugliedern und einem langfristig operierenden Steue-rungsgremium zu unterstellen Bei der Stimmbevoumllkerung geniesst Stadtwerk Winterthur grossen Ruumlckhalt Alleine in den letzten zwei Jahren wurden vier Abstimmungsvor-lagen mit grossem Mehr angenommen darunter Rah-menkredite fuumlr das Energie-Contracting oder erneuerbare Energien laquoEine bessere Legitimation koumlnnen wir uns gar nicht wuumlnschenraquo sagt Markus Saumlgesser

Neue BetriebskulturStrategisch und energiepolitisch werden Dienstleistungen wie das Energie-Contracting fuumlr Stadtwerk Winterthur immer wichtiger laquoWir wollen unserer Kundschaft Waumlr-me oder Kaumllte gleich komfortabel anbieten koumlnnen wie Stromraquo sagt Markus Saumlgesser laquoImmobilienbesitzerinnen und -besitzer sollen sich nicht mehr um den Fuumlllstand ih-res Oumlltanks oder den Termin fuumlr den Kaminfeger kuumlmmern muumlssenraquo Das Energie-Contracting waumlchst stark und macht heute bereits rund 5 Prozent des Umsatzes von Stadtwerk Winterthur aus

Die neuen Geschaumlftsfelder ziehen auch andere Arbeits-kraumlfte an als bisher Verschiedene Betriebskulturen seien in den vergangenen Jahren teilweise parallel gelaufen be-ginnen nun aber langsam zu verschmelzen Ein Beispiel dafuumlr ist die Verknuumlpfung von Smart Metering und dem traditionellen Verteilnetz Elektrizitaumlt Als Voraussetzung fuumlr das Change-Management in der Betriebskultur habe man alle Mitarbeitenden in die Erarbeitung des Unterneh-mensleitbildes involviert Entstanden ist ein Leitbild das Stadtwerk Winterthur dabei unterstuumltzt die Unterneh-mensstrategie umzusetzen Stadtwerk Winterthur soll mit

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

Markus SaumlgesserMarkus Saumlgesser (52) ist diplomierter Ma-schineningenieur ETH und hat ein Nachdi-plomstudium in technischen Betriebswissen-schaften absolviert Seit Anfang 2011 ist er Direktor von Stadtwerk Winterthur Seine bisherige berufliche Taumltigkeit fuumlhrte Markus Saumlgesser nach zwei Jahren Assistenz an der ETH zu einem Ingenieurbuumlro fuumlr Ener-gie- und Haustechnik Waumlhrend dieser rund sechsjaumlhrigen Zeit war er bei anspruchsvol-len Bauprojekten verantwortlich fuumlr die Konzeption und Koordination der technischen Gebaumludeausruumlstung Zudem war er waumlhrend vier Jahren Mitglied der Geschaumlftsleitung Nach zweijaumlhriger Taumltigkeit als Abteilungsleiter in einer groumlsseren Gemeinde wechselte er zum Elek-trizitaumltswerk der Stadt Zuumlrich (EWZ) bei dem er die Abteilung Vertrieb Grosskunden leitete Daneben war Markus Saumlgesser beim EWZ in verschiedene Innovationsprojekte involviert So zeichnete er fuumlr das Projekt laquoStromzukunft Stadt Zuumlrichraquo verantwortlich das wichtige Grundlagen fuumlr die Strategie des EWZ und die Volksabstimmung zur 2000-Watt-Gesellschaft in der Stadt Zuumlrich beisteuerte

Stadtwerk Winterthur in Zahlen (2013)Mitarbeitende 347Nettoinvestitionen 1198 Mio CHFDurchgeleitete Strommenge 5643 Mio kWhUmsatz Strom 93 Mio CHFDurchgeleitete Gasmenge 5295 Mio kWhUmsatz Gas 411 Mio CHFUnternehmensgewinn 109 Mio CHF

einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der sozia-len Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Wann wurden in Winterthur die ersten Strassenlampen mithilfe von Stein-kohle erleuchtet

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Unternehmensperspektive

ckelte Hochspannungsgleichstromschalter sollen zudem sicherstellen dass etwa ein Kurzschluss durch eine hy-perschnelle Abschaltung isoliert und das Netz somit nicht gefaumlhrdet wird Von 14 solchen Schaltsystemen welt-weit stammen 13 von ABB Die hohen Investitionen fuumlr die armdicken Gleichstromkabel rechnen sich da beim Transport viel weniger Strom verloren geht als bei der tradi tionellen Wechselstromtechnik Die Produktelinie ent-wickelt sich zum Renner Sie wird zur Anbindung von So-lar- und Windparks zur Versorgung von Inseln als Ersatz fuumlr Diesel generatoren auf Oumll- und Gasplattformen auf See eingesetzt Oder um Starkstrom vom Festland zu auf dem Meeresboden platzierten ferngesteuerten Foumlrderanlagen fuumlr Gas und Oumll zu leiten ndash wofuumlr ABB auch wartungsfreie Kompressoren liefert damit Kunden wie Statoil und Pet-robras teure Ausfaumllle erspart bleiben

Komplettloumlsungen aus einer HandDank hohem Innovationstempo sind die Divisionen Ener-gietechnik- und Niederspannungsprodukte gut ausgelas-tet Dies gilt ebenso fuumlr die Divisionen Industrie- und Pro-zessautomation Speziell energieintensive Industrien die unter hohem Kostendruck stehen muumlssen ihre Anlagen auf dem neusten Stand halten Dazu zaumlhlen Bergbau Oumll- und Gasindustrie Zellstoff- Papier- und Zementfabriken Chemie- und Pharmafirmen sowie Raffinerien Gefragt sind auch Industrieroboter und schwenkbare dank ABB-Leistungselektronik stufenlos regulierbare Schiffsantrie-be ABB liefert Grosskunden fertige Loumlsungen die hohe Produktivitaumlt und Energieeffizienz gewaumlhrleisten Alles ist aufeinander abgestimmt von der Elektrik uumlber Antriebe Generatoren Roboter Sensoren und Steuerungen bis hin

Zu Beginn des Jahrtausends stand ABB am Abgrund Doch eine neue Fuumlhrungscrew fuumlhrte das Unternehmen aus der Krise sodass die Schweiz inzwischen wieder stolz sein kann auf ihren Industriemulti mit Sitz in Zuumlrich Oerli-kon 2013 erzielte ABB mit rund 148 000 Mitarbeitenden in 100 Laumlndern 42 Milliarden Dollar Umsatz Die renom-mierte US-Universitaumlt MIT zaumlhlt ABB zu den 50 innova-tivsten Unternehmen weltweit Dank 8 000 Ingenieuren in Forschung und Entwicklung und einem Forschungsetat von 15 Milliarden Dollar kann ABB selbst mit Giganten wie Siemens und General Electric mithalten

Innovationen die Technikfans begeisternWas ABB alles macht wissen wohl nur Technikfans Denn der Konzern hat uumlber 70 000 Produkte im Angebot Die 300 ABB-Fabriken liefern taumlglich 15 Millionen Kompo-nenten aus die zu elektrischen Einrichtungen oder in Pro-duktionssteuerungen verbaut werden Aus Kanada etwa kam juumlngst ein Grossauftrag uumlber 400 Millionen Dollar Erneuerbare Energie die auf Neufundland und Labrador gewonnen wird soll ab 2017 via Hochspannungskabel 360 Kilometer nach Westen fliessen um dort 350 000 Haumluser zu versorgen Weltweit gibt es erst 90 solche Gleichstromkabelverbindungen die meist unter der Erde oder auf dem Meeresgrund verlaufen ABB ist mit rund 50 Prozent Anteil Marktfuumlhrer Die futuristisch anmuten-de Technik in den abgeschirmten Hallen wo der Strom vor dem Transport auf Hochspannung transformiert wird erinnert an den Maschinenraum von Raumschiff Enter-prise Ein wichtiges Steuerungselement bilden dabei in Baden Daumlttwil entwickelte und in Lenzburg produzierte Spezialchips die Houmlchstspannung aushalten Neu entwi-

Der schweizerisch-schwedische Technikkonzern treibt an vor-derster Front die Energiewende voran Dafuumlr forscht man bei ABB intensiv zu erneuerbaren Energien schlauen Stromnetzen sowie hocheffizienten Industrieanlagen Einzig die schwache Nachfrage nach Energieanlagen in Europa bremst die ExpansionText Andreas Fluumltsch

Innovativer Treiber der Energiewende

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uumlber weite Strecken in die Ballungsraumlume geleitet werden muss brummt das Geschaumlft In den USA treibt der Oumll- und Gasboom die Nachfrage Nur in Europa harzt das Geschaumlft mit Grossanlagen Weniger Nachfrage belastet die Margen bei Auftraumlgen fuumlr Wind- und Solarfarmen so-wie fuumlr Netzinfrastruktur Die Risiken der oft mehrjaumlhrigen Projekte sind so hoch dass ABB waumlhlerischer sein muss und etwa das Geschaumlft mit Solarloumlsungen zurzeit auf Sparflamme betreibt Dennoch ist ABB immer noch hoch-profitabel nicht zuletzt da die Kosten Jahr fuumlr Jahr um 3 bis 5 Prozent gesenkt werden Aber der erfolgsgewohnte Konzern musste sich 2013 mit 6 Prozent Umsatzplus zu-friedengeben Umso intensiver treibt der neue ABB-Chef Ulrich Spiesshofer die Integration der vorab in den USA fuumlr 10 Milliarden Dollar getaumltigten Zukaumlufe voran Und Spiess-hofer forciert die Zusammenarbeit der Divisionen damit ABB die Unternehmensvision laquoEnergie und Produktivitaumlt fuumlr eine bessere Weltraquo mit moumlglichst vielen eigenen Pro-dukten realisieren kann

zur Leittechnik samt angepasster Software Kleine und mittlere Kunden ordern Komponenten oder Teilsysteme Ein wichtiges Verkaufsargument ist das Sparpotenzial von stufenlos steuerbaren Elektromotoren Nur einer von fuumlnf Motoren hat laut einer Erhebung des Bundes einen Leis-tungsregler der Rest laumluft auf Hochtouren und wird ndash man glaubt es kaum ndash bei Bedarf mit Klappen oder Ventilen mechanisch abgebremst Eine gigantische Verschwen-dung da Industriemotoren laut einer Studie der Schwei-zerischen Agentur fuumlr Energieeffizienz 27 Prozent des Schweizer Stromverbrauchs ausmachen

Europaumlische ZuruumlckhaltungEigentlich muumlsste die Division Energietechniksysteme ebenfalls ausgelastet sein Denn auch die Stromwirtschaft muss ihre Effizienz steigern Schliesslich erfordert die Energiewende einen Totalumbau der auf Verteilung ausge-richteten Netze damit diese unter der Last von Solar- und Windenergie nicht instabil werden Arbeit in Huumllle und Fuumllle fuumlr ABB sollte man meinen Doch der erst zaghafte Auf-schwung in Europa daumlmpft die Nachfrage Erschwerend kommt hinzu dass subventionierte Wind- und Solarener-gie in Europas liberalisiertem Strommarkt den Strompreis in ungeahnte Tiefen druumlckte Die Konkurrenzfaumlhigkeit von Wasser- Gas- und Atomkraftwerken hat gelitten Pump-speicher sind keine Goldesel mehr seit die erneuerbaren Energien die Preisspitzen brechen Entsprechend schie-ben Stromkonzerne wie Alpiq oder RWE Investitionen auf Unsicherheiten rund um den Atomausstieg belasten zu-saumltzlich Die voraussichtlich noch auf Jahre hinaus tiefen Strompreise schmaumllern auch die Faumlhigkeit der Besitzer von Hochspannungs- und Verteilnetzen deren Umruumlstung zu finanzieren hoch verschuldete EU-Staaten fahren die Foumlrderung von Wind- und Solarenergie zuruumlck

Straffe KostenkontrolleABB bekommt den Investitionsstau empfindlich zu spuuml-ren Die Division Energietechniksysteme schreibt seit eini-ger Zeit rote Zahlen Zwar ordern Grosskunden aus Asien und Lateinamerika weiterhin kraumlftig Neben China inves-tiert vermehrt auch Indien in neue Stromnetze Uumlberall dort wo die Bevoumllkerung rasch waumlchst oder der Strom

Andreas FluumltschAndreas Fluumltsch war urspruumlnglich Jurist und arbeitete ab 1983 als Journalist fuumlr laquoBlickraquo laquoWeltwocheraquo laquoBilanzraquo und laquoCashraquo Zwischen 1989 und 1990 war er Mitglied der Geschaumlftsleitung von Greenpeace Schweiz anschliessend Hausmann Nach der Ruumlck-kehr in den Journalismus 1992 arbeitete er bei laquoBlickraquo laquoSonntagszeitungraquo und laquoTages- Anzeigerraquo und absolvierte eine Ausbildung zum Boumlrsenhaumlndler Nach der Fruumlhpensio-nierung Ende 2013 machte er sich als Publi-zist selbststaumlndig

ABB in Zahlen (2013)Betriebsertrag 41 848 Mio USDBetriebsergebnis 4 387 Mio USDndash Industrieautomation 1 458 Mio USDndash Niederspannung 1 092 Mio USDndash Prozessautomation 990 Mio USDndash Energietechnik 1 331 Mio USDndash Energiesysteme 171 Mio USD

Mitarbeitende 147 700ndash davon in der Schweiz 6 966

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Hohe Nachfrage nach MinergieDer Erfolg der bisherigen Sparbemuumlhungen bleibt nicht aus laquoTrotz zunehmender Pro-Kopf-Wohnflaumlche und stei-gendem Komfort sinkt der Energieverbrauch fuumlrs Heizen in den letzten Jahrzehnten stetigraquo verkuumlndet der Zuumlrcher Regierungsrat im Energieplanungsbericht 2014 Dazu tra-gen nicht nur die laufend verschaumlrften Gesetze bei Ebenso wichtig ist die Bereitschaft von Bautraumlgerschaften freiwillig Uumlberdurchschnittliches zu leisten Vor allem die Minergie-Regeln werden inzwischen gerne befolgt weshalb Haumluser mit halbiertem Energieverbrauch beinahe Standard sind Schweizweit traumlgt eines von zehn neuen Wohnhaumlusern ein Minergie-Zertifikat Der Anteil an Minergie-Haumlusern im Grossraum Zuumlrich liegt gemaumlss einer Marktanalyse der Universitaumlt Zuumlrich bereits nahe bei 20 Prozent Dies ist privaten Hauseigentuumlmern und institutionellen Investoren zu verdanken Wohn- und Geschaumlftshaumluser mit houmlchster Energieeffizienz gehoumlren inzwischen zum guten Ton Den juumlngsten Beweis liefert eine Immobilienstiftung der Credit Suisse die 70 Millionen Franken in die groumlsste Oumlkosied-lung der Schweiz investiert Im Aargauer Reusstal wohnen seit diesem Jahr rund 200 Familien Paare und Singles deren Wohnhaumluser sich weitgehend selbst mit Sonnen-energie versorgen So klimafreundlich die Energiewende-Architektur ist der Investor erwartet dennoch marktuumlb-liche Renditen Ist der Markt aber bereit oumlkologisches Engagement angemessen zu honorieren

Marktpotenzial fruumlhzeitig erkanntDie Zuumlrcher Kantonalbank (ZKB) beziffert den Mehrwert von Minergie-Haumlusern auf 7 Prozent Kaumlufer seien bereit diesen Aufpreis fuumlr mehr Energieeffizienz zu bezahlen Als weitere Nebeneffekte nennt der vor drei Jahren publizierte ZKB-Bericht eine hochwertige dauerhafte Bausubstanz sowie die Absicherung gegen steigende Oumll- und Energie-preise Fachleute des Immobilienberatungsunternehmens Wuumlest amp Partner (WampP) warnen indes dass sich zusaumltz-liche Investitionen in die Energieeffizienz nicht uumlberall loh-nen laquoRegional schwankt die Zahlungsbereitschaft des Immobilienmarktsraquo praumlzisiert WampP-Partner Ivan Anton Minergie-Haumluser koumlnnen aber nicht nur in abgelegenen Regionen ein Marktrisiko werden laquoMit Ausnahme der

Beim Autokauf wird bevorzugt auf Pferdestaumlrken Be-schleunigung und Innenausstattung geachtet Der CO2-Ausstoss interessiert hingegen kaum So kommt die Energieeffizienz im Strassenverkehr nur stockend voran 1995 schluckten alle neu immatrikulierten Personen-wagen durchschnittlich 9 Liter Benzin pro 100 Kilometer 20 Jahre spaumlter liegt der Durchschnittsverbrauch gemaumlss Bundesamt fuumlr Energie (BFE) immer noch uumlber 6 Litern Das viel gepriesene laquoDrei-Liter-Autoraquo haben alle Hersteller wieder aus der Modellpalette genommen

Demgegenuumlber gelingen dem oft traumlge genannten Ge-baumludebereich weitaus groumlssere Effizienzspruumlnge Ver-brauchen 40 Jahre alte Haumluser im Schnitt 220 Kilowatt-stunden (kWh) Heizenergie pro Quadratmeter Wohnflaumlche und Jahr sind die aktuellen Werte unter die 50er-Marke gesunken Zusaumltzliche Sparerfolge sind nur eine Frage der Zeit Im Fruumlhsommer haben die kantonalen Energie-direktoren uumlber ein Rahmenabkommen beraten das Null-energieneubauten demnaumlchst zum Standard machen soll Wie die nationale Energiewende zu erreichen ist erklaumlrt Christoph Gmuumlr von der Abteilung Energie des Kantons Zuumlrich laquoDer spezifische Verbrauchswert ist zudem auf 35 kWh pro Quadratmeter zu senkenraquo Gebaumlude die sich mit umweltfreundlicher Energie selbst versorgen wollen auch die EU-Staaten Ab 2020 wird ein Gebaumludestandard eingefuumlhrt der nur noch laquoNiedrigstenergiegebaumluderaquo mit sehr hoher Energieeffizienz als Neubauten vorsieht

Energiesparhaumluser waren vor 30 Jahren Exoten inzwischen nimmt der Bereich der energie-effizienten Gebaumlude eine Vor-bildrolle fuumlr die Energie wende ein Bauherren profitieren davon ebenso wie die Zuliefer-branche Text Paul Knuumlsel

Expertensicht

Haumluser in der ersten Reihe

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der Bau von Niedrigenergiehaumlusern und alternativen Hei-zungsanlagen sowie energetische Gebaumludesanierungen Investitionen im Umfang von rund 4 Milliarden Franken ausgeloumlst rechnet der Bund vor laquoEin Fuumlnftel insgesamt 860 Millionen Franken stammt aus den oumlffentlichen Kas-senraquo verweist die BFE-Stelle EnergieSchweiz auf die Im-pulse der kantonalen Foumlrderprogramme Einen Wermuts-tropfen besitzt diese Wirkungsbilanz Fruumlhere Analysen der Energiesparprogramme zeigen naumlmlich dass zwi-schen einem Drittel und der Haumllfte der energetisch vorbild-lichen Gebaumlude auch ohne staatliche Foumlrderung realisiert worden waumlren Dem Mitnahmeeffekt ist auch die Eidge-noumlssische Steuerverwaltung auf der Spur Sie schaumltzt dass Bund und Kantonen jaumlhrlich 14 Milliarden Franken entgehen weil energetische Gebaumludesanierungen bei der Liegenschaftssteuer abzugsberechtigt sind Die Energie-wende erfordert nicht nur mehr Effizienz bei den Anwen-dungen sondern auch einen effizienten Einsatz staatlicher Mittel Im Energieplanungsbericht 2013 hat der Zuumlrcher Regierungsrat erstmals uumlber alternative Anreizsysteme nachgedacht Demnach soll eine Lenkungsabgabe den Energiekonsum reduzieren und das bisherige Foumlrdersys-tem abloumlsen Aumlhnliche Plaumlne verfolgt der Bund Denn ein Lenkungssystem duumlrfte weitere Sparbemuumlhungen im Ge-baumludebereich aber auch im Strassenverkehr foumlrdern Ins-besondere dann wenn Heizoumll und Benzin im Gleichschritt teurer werden

begehrten Wohnlagen haben Hauseigentuumlmer an vielen Orten mit moumlglichen Verkaufsverlusten zu rechnenraquo so Anton Zwar sei die Nachfrage bei Eigentuumlmern und Mie-tern aumlhnlich gross Aber auch Mieter wuumlrden nicht uumlberall mehr fuumlr eine energieeffiziente Wohnung bezahlen Kaum uumlberraschen darf daher dass Immobilieninvestoren immer haumlufiger die steigenden Energieanforderungen kritisieren und kostenguumlnstigere Baustandards vorziehen Fuumlr WampP-Berater Urs Hausmann ist laquonachhaltiges Bauen trotzdem keine Frage von Luxus oder Wohlstand sondern eine wie man mit Ressourcen umgehen willraquo Dass ein hohes Um-weltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauen Der Run auf den oumlkologischen Baustoff Holz laumlsst zum Beispiel eine gesamte Wertschoumlpfungskette und viele

innovative Unternehmen profitieren Forstbetriebe Sauml-gereien Fensterbauer Daumlmmstoffhersteller und andere Bauzulieferer vergroumlssern ihre Produktionskapazitaumlten und stellen zusaumltzliches Personal ein laquoDie Umsaumltze im Schweizer Holzbau sind in den letzten Jahren um mehrere Hundert Millionen Franken gestiegen und die Trendkurve zeigt weiter nach obenraquo freut sich Christoph Starck Di-rektor des Holzbaudachverbands Lignum

Einheimische Zulieferer als GewinnerAuch im Verein Minergie ist man sich bewusst dass sich energieeffizientes Bauen wirtschaftlich positiv auswirkt In den letzten 15 Jahren sind 25 000 Wohnhaumluser Buumlro-komplexe Schulbauten Sport- und Industriehallen mit Niedrig energiezertifikat entstanden Gemeinsam sparen sie 15 Milliarden Kilowattstunden Energie laquoUumlber 2 Milliar-den Franken wurden zusaumltzlich investiertraquo rechnet Miner-gie-Sprecher Antonio Milelli vor Anstatt fossile Brennstoffe einzukaufen wird mehr Geld fuumlr Daumlmmstoffe Isolierfenster Luumlftungsanlagen und Sonnenkollektoren aus inlaumlndischer Fabrikation ausgegeben Zwischen 2001 und 2012 haben

Paul KnuumlselPaul Knuumlsel studierte Umweltnaturwissen-schaften an der ETH Zuumlrich Er ist unabhaumln-giger Wissenschaftsjournalist und schreibt seit Jahren in Publikums- und Fachmedien uumlber die vielfaumlltigen Aspekte des nachhalti-gen Bauens Zusaumltzlich betreut er in der Re-daktion des laquoTEC21raquo das Ressort laquoEnergie und Umweltraquo

laquoDass ein hohes Umweltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren

derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauenraquo

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Der Wasserkraft Sorge tragen

Welchen Beitrag kann die Wasserwirtschaft zur Energie-wende leisten Roger Pfammatter Die Wasserkraft ist der energie-politische Trumpf der Schweiz Wir befinden uns in der gluumlcklichen Lage uumlber grosse Mengen Wasser und das notwendige Gefaumllle zu verfuumlgen ndash das sind die beiden wichtigsten Voraussetzungen fuumlr die hydroelektrische Produktion Und wir haben in den vergangenen 100 Jah-ren gelernt dieses Potenzial effizient und moumlglichst um-weltschonend zu nutzen Die Wasserkraft ist der Schluumls-sel fuumlr eine nachhaltige Energieversorgung technisch ausgereift politisch erwuumlnscht einheimisch erneuerbar und CO2-frei

Wie viel mehr ist moumlglichHeute leistet die Wasserkraft nicht nur rund 60 Prozent der Stromproduktion in der Schweiz sondern bietet auch unverzichtbare Regel- und Systemdienstleistungen die markant an Bedeutung gewinnen werden Vor allem bei der Flexibilisierung der Wasserkraft durch mehr Leistung und Speichervolumen waumlre noch einiges moumlglich Um die Aufgaben weiterhin zu gewaumlhrleisten muumlssen wir aber primaumlr dem Bestehenden Sorge tragen

Die Energiestrategie des Bundes gibt aber klare Ausbau-ziele vor Bis 2035 soll die Stromproduktion aus Wasser-kraft um 10 Prozent steigenUnter den momentanen Rahmenbedingungen ist dieses Ausbauziel nicht realistisch Im Gegenteil Aufgrund der Restwasserbestimmungen wird die Produktion in den naumlchsten Jahren vermutlich sogar zuruumlckgehen

Die Wasserkraft ist der wichtigste Pfeiler der Schweizer Ener-giewirtschaft ihr Potenzial ist aber weitgehend ausgeschoumlpft Roger Pfammatter Geschaumlftsfuumlhrer des Wasserwirtschaftsver-bands gibt im Interview Auskunft uumlber die Lage der Branche und ihre Bedeutung fuumlr die EnergiezukunftInterview Florian Wehrli

Expertensicht

Was muss sich aumlndern damit die vorgegebenen Ziele um-gesetzt werden koumlnnenZum einen braucht es dafuumlr die Akzeptanz der Umweltver-baumlnde der Fischer und letztlich der gesamten Bevoumllkerung Zum anderen muumlssen laumlngerfristig die extremen Marktver-zerrungen abgebaut werden damit sich auch Investitionen in die nicht gefoumlrderte Wasserkraft wieder lohnen Heute wird nur noch in subventionierte Anlagen investiert

Wer ist hier in der PflichtHier ist die Politik gefordert die Rahmenbedingungen zu verbessern Denn ohne die Wasserkraft kann die Energie-wende nicht gelingen

Anfang Jahr wurde der Wasserwirtschaftsverband von den zustaumlndigen Kommissionen angehoumlrt Welche Forderun-gen hat die Branche an das ParlamentWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerba-re Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichten die bereits bis zur Haumllfte der Geste-hungskosten ausmachen Damit sind wir doppelt diskrimi-niert Die Wasserkraft ist extrem unter Preisdruck ndash und dies obwohl sie mit Gestehungskosten zwischen 3 und 10 Rappen pro Kilowattstunde die effizienteste Strompro-duktionstechnologie ist Nur zum Vergleich Fotovoltaik -anlagen werden heute mit rund 40 Rappen subventioniert

Bis 2011 liess sich mit der Grosswasserkraft noch viel Geld verdienen Wurden zu wenige Ruumlcklagen fuumlr schlechte Zei-ten gebildet

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Es kann nicht der Sinn sein Ruumlcklagen fuumlr Zeiten zu bil-den in denen die Marktpreise die Gestehungskosten nicht mehr decken Das waumlre wie wenn ein Baumlcker auf jedem Gipfeli einige Rappen zuruumlckbehalten muumlsste damit er sie am naumlchsten Tag gratis abgeben kann Mit dem durch Subventionen verzerrten Marktpreis von 4 bis 5 Rappen pro Kilowattstunde ist unter den konventionellen Energie-traumlgern praktisch nur Kohle konkurrenzfaumlhig Das ist be-stimmt nicht im Sinn der Energiewende

Drei Grosswasserkraftprojekte sind heute bereits im Bau Koumlnnen die enormen Kosten uumlberhaupt amortisiert wer-denPrognosen sind schwierig An der europaumlischen Strom-boumlrse (EEX) werden bis 2020 Strompreise zwischen 45 und 53 Rappen pro Kilowattstunde gehandelt Der Markt glaubt also nicht an eine baldige Erholung Dafuumlr muumlsste das Uumlberangebot in Europa zuruumlckgehen etwa uumlber die Anhebung des CO2-Preises von heute 5 auf mindestens 30 Euro pro Tonne Politisch ist das aber kaum durchsetz-bar Neue Pumpspeicherwerke werden sich deshalb wohl erst in mehreren Jahrzehnten lohnen

Was kann die Kleinwasserkraft leistenOhne die kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) wuumlr-de niemand Kleinwasserkraftanlagen bauen genauso we-nig wie Fotovoltaik- Wind- oder Biomasseanlagen Zurzeit gibt es aber allein bei der Kleinwasserkraft rund 1 000 An-meldungen fuumlr Foumlrderbeitraumlge mit einem bescheidenen Ge-samtpotenzial von 33 Terawattstunden pro Jahr Die oumlko-logischen Auswirkungen sind im Vergleich zum Ertrag zu gross Obwohl wir von marktverzerrenden Foumlrderprogram-men wegkommen sollten waumlre es in einer Uumlbergangs phase sinnvoll die KEV-Obergrenze von 10 Mega watt aufzuheben und dort zu foumlrdern wo es wirklich etwas bringt

Wie soll die Grosswasserkraft unterstuumltzt werdenDas Sinnvollste waumlre die Abkehr von der Subventions-maschinerie ndash und zwar auf europaumlischer Ebene Dann wuumlrde sich die Wasserkraft als effiziente erneuerbare Stromproduktionsform mit Sicherheit durchsetzen Min-destens als Uumlbergangsloumlsung waumlre aber die Entlastung

von Abgaben in erster Linie vom Wasserzins dringend Der maximale Wasserzins wurde in den letzten vier Jahren um 38 Prozent erhoumlht und wird naumlchstes Jahr um weite-re 10 Prozent angehoben Diese Erhoumlhung wurde 2008 beschlossen und steht heute in keinerlei Bezug mehr zur Ertrags lage Kurzfristig koumlnnten die Kantone auf einen Teil dieser Zinsen verzichten ndash das waumlre ein wichtiges politi-sches Zeichen Langfristig muss ein neuer Modus fuumlr die Zinsberechnung gefunden werden der die Ertragslage der Wasserkraft mitberuumlcksichtigt Das ist auch im Interesse von Bund Kantonen und Gemeinden schliesslich ist die Wasserkraft zu 85 Prozent in oumlffentlicher Hand Ebenfalls als Uumlbergangsloumlsung bis zu besseren Marktpreisen waumlren zinsguumlnstige Darlehen fuumlr die noumltigen Investitionen in die Grosswasserkraft denkbar Ohne mindestens eine dieser Massnahmen kann die Wasserwirtschaft das geforderte Ausbauziel nicht erreichen

Bis dahin gibt es noch eine weitere Huumlrde den Heimfall der Stauanlagen an die Standortgemeinden Welchen Ein-fluss hat dieser UmstandWenn die Konzessionen nach 80 oder 100 Jahren aus-laufen muss der Betreiber der Gemeinde eine Entschaumldi-gung fuumlr den Restwert der Anlagen entrichten Im Fall der Staumauer Barberine bezahlen die SBB und Alpiq 2017 an sechs Walliser Gemeinden 343 Millionen Franken Das 400-Seelen-Dorf Finhaut erhaumllt alleine 112 Millionen Fran-ken und weiss kaum wohin mit dem Geld Der gesamte Wert des Heimfalls der Anlagen bewegt sich schweizweit im Milliardenbereich Der Houmlhepunkt des Heimfalls wird um 2035 erreicht werden Bis zu diesem Zeitpunkt soll aber auch ein Grossteil der geforderten Produktionsstei-gerung umgesetzt werden

Bei der Stromproduktion ist ein Ausbau von uumlber 10 Pro-zent wohl nicht realistisch Wie sieht es bei der Speicher-leistung aus Hier muss man unterscheiden zwischen kurzfristiger und saisonaler Speicherung Fuumlr die saisonale Speicherung verfuumlgt die Schweiz mit 200 Speicherseen uumlber ein Vo-lumen von rund 9 000 Gigawattstunden (GWh) die jedes Jahr vom Sommer in den Winter umgelagert werden Dies

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Expertensicht

entspricht einem Viertel der jaumlhrlichen Produktion aus Wasserkraft Das Ausbaupotenzial durch die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren betraumlgt rund 2 000 GWh Falls der Ausbau aber nicht gelingt entsteht im Winter durch den Ausfall der Kernenergie eine immer groumlssere Luumlcke an Bandenergie die durch den Import von Atom- oder Kohlestrom gedeckt werden muss

Wie sieht es beim Ausbau der Pumpleistung zum kurzfris-tigen Ausgleich von Schwankungen im Netz ausGrundsaumltzlich ist das Potenzial fuumlr Pumpspeicherwerke in der Schweiz riesig Es braucht nur zwei Seen auf unter-schiedlicher Houmlhe Die Frage ist ob sich solche Investi-tionen rechnen Die Pumpspeicherwerke finanzieren sich

uumlber den Preisunterschied zwischen Band- und Spitzen-energie Wenn an einem schoumlnen Sommertag in Europa mittags die geballte Ladung an Sonnen- und Windener-gie eingespeist wird koumlnnen die Pumpspeicherkraftwerke sehr guumlnstig oder sogar zu Negativpreisen Strom bezie-hen Man darf aber nicht vergessen dass dieselbe Situa-tion fuumlr die Laufwasserkraftwerke die rund die Haumllfte der Wasserkraftproduktion in der Schweiz ausmachen den gegenteiligen Effekt hat Diese koumlnnen aus technischen konzessionsrechtlichen oder oumlkologischen Gruumlnden nicht vom Netz genommen werden und muumlssen fuumlr ihre Strom-produktion bezahlen Das kann gehoumlrig ins Geld gehen An Weihnachten 2012 lag der Strompreis zum Beispiel bei minus 30 Rappen pro Kilowattstunde

Roger Pfammatter laquoWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerbare Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichtenraquo

Bild Florian Wehrli

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cherseen zur Flexibilisierung Damit das gelingt muss der Wert der Wasserkraft staumlrker im Bewusstsein der Bevoumllke-rung verankert sein Und nicht zuletzt muss der Marktpreis so weit uumlber den Gestehungskosten liegen dass sich In-vestitionen in die Wasserwirtschaft rentieren

Versuchen das Bestehende zu erhalten Diese Vision klingt etwas resigniertDas ist eine Frage der Perspektive Die Wasserkraft hat als Technologie in der Schweiz seit Langem Bestand Sie befindet sich in einer anderen Situation als Fotovoltaik und Windenergie die sich in einem hochdynamischen Umfeld mit grossem Potenzial in Forschung und Wachstum be-finden Die Wasserkraft ist dagegen nicht mehr in der Auf-bruchsphase sondern in der Konsolidierungsphase Da-fuumlr kann man sich auf die Wasserkraftwerke verlassen Sie produzieren bei Tag und in der Nacht im Sommer wie im Winter bei Windstille oder im Nebel Auch der Erhalt und die Optimierung des Bestehenden sind grosse Heraus-forderungen und bedingen grosse Investitionen

Sehen Sie eine Moumlglichkeit wie die Schweizer Wasser-wirtschaft in Zukunft Geld mit Systemdienstleistungen wie Netzstabilitaumlt verdienen kannDie unregelmaumlssig einspeisenden Stromproduzenten neh-men keinerlei Systemverantwortung wahr Ich habe selbst ein Solarpanel auf dem Dach Wenn Produktion moumlglich ist speise ich Strom ins Netz ein wenn nicht beziehe ich Die Produzenten mehr in die Verantwortung zu nehmen faumlnde ich sinnvoll ndash zum Beispiel uumlber Zertifikate fuumlr Spei-cherleistungen Diese koumlnnten bei Pumpspeicherwerken bezogen werden

Welcher Ausbau der Pumpspeicherleistung ist dafuumlr noumltigDie installierte Leistung betraumlgt heute rund 14 Gigawatt (GW) Mit den im Bau befindlichen und den geplanten An-lagen kann die Kapazitaumlt maximal auf 51 GW ausgebaut werden ndash etwa die Haumllfte der Jahreshoumlchstlast im Netz Damit die Schweizer Wasserkraft aber einen Beitrag zur Stabilitaumlt des europaumlischen Stromnetzes leisten kann muumlssten auch das Stauvolumen und die Leitungskapazi-taumlt erhoumlht werden Hier sind die Einsprachen von Anwoh-nern und Umweltverbaumlnden noch gravierender als bei den Anlagen selbst

Braucht es neue rechtliche Instrumente um den geplan-ten Ausbau durchsetzen zu koumlnnenEs braucht vor allem die Einsicht dass die Wasserkraft das Ruumlckgrat unserer Versorgungssicherheit ist und die Aus-wirkungen eines Ausbaus immer auch mit den Alternativen verglichen werden muumlssen Wir befinden uns aber auch in einem intensiv genutzten Land mit vielen Partikularinteres-sen Diese muumlssen gewichtet und abgewogen werden In der Abwaumlgung zwischen Landschaftsschutz und Wasser-nutzung waumlre es hilfreich wenn Grosswasserkraftanlagen den Status von nationalem Interesse erhalten

Wie soll die Schweizer Wasserwirtschaft im Jahr 2035 aussehenIch wuumlnsche mir dass die bestehende Infrastruktur auf dem heutigen Stand erhalten optimiert oumlkologisiert und im Idealfall etwas ausgebaut wird Dazu gehoumlren etwa die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren sowie neue Spei-

Roger PfammatterSeit seinem Ingenieurstudium an der ETH Zuumlrich hat er sich in ver-schiedenen Rollen dem Wasser verschrieben Nach sieben Lehr- und Wanderjahren in der Forschung und in der Entwicklungszusammen-arbeit war er zehn Jahre beim Ingenieurunternehmen Ernst Basler + Partner engagiert Seit 2010 ist er Geschaumlftsfuumlhrer des Schweizeri-schen Wasserwirtschaftsverbandes (SWV) und Herausgeber der Zeit-schrift laquoWasser Energie Luftraquo In diesen Funktionen setzt er sich ein fuumlr den Fachaustausch und gute Rahmenbedingungen in den Bereichen Wasserkraft und Hochwasserschutz

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Die globalen Energiemaumlrkte sind seit einigen Jahren stark in Bewegung Volatile Erdoumllpreise die Foumlrderung von un-konventionellen Gasvorkommen in grossem Stil die mas-sive Subventionierung von neuen erneuerbaren Energien in Deutschland der laquoarabische Fruumlhlingraquo und der Konflikt in der Ukraine hinterlassen Spuren Die Folge sind starke Verwerfungen an den Maumlrkten und fehlende Investitionssi-cherheit In diesem dynamischen und unsicheren Kontext will der Bund die bisherige Energiepolitik neu ausrichten ndash wahrlich eine Herkulesaufgabe Die Schweizer Wirtschaft verlangt dass der Bund bei der Neuausrichtung der Ener-giepolitik seinem in der Verfassung verankerten Auftrag nachkommt und sich fuumlr eine ausreichende sichere breit gefaumlcherte wirtschaftliche und umweltvertraumlgliche Ener-gieversorgung einsetzt Somit ist klar Die Energiestrate-gie 2050 muss in erheblichen Teilen optimiert und justiert werden Nur wenn vernetzt gedacht wird ist eine sichere Versorgung zu wettbewerbsfaumlhigen Preisen moumlglich

Prognosen klaffen weit auseinanderSeit Jahrzehnten bietet der Strommix aus Wasserkraft (knapp 60 Prozent) und Kernenergie (40 Prozent) Gewaumlhr fuumlr eine sichere klimafreundliche und wirtschaftliche Ener-gieversorgung Im Rahmen der Energiestrategie 2050 muss die Kernenergie langfristig ersetzt werden Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen zumal die Ziele des Bundes

Lebenselixier der Wirtschaft

Die Schweizer Wirtschaft ist auch in Zukunft auf eine sichere und wirtschaftliche Stromver-sorgung angewiesen Die Ener-giestrategie 2050 setzt stark auf Subventionen Dadurch entstehen Fehlanreize welche die Versorgungssicherheit ge-faumlhrdenText Kurt Lanz

Expertensicht

in Bezug auf das Potenzial der neuen erneuerbaren Ener-gien von Wunschdenken geleitet sind Die neuen erneuer-baren Energien werden sich langsamer entwickeln als an-gestrebt Der Bund rechnet mit rund 12 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2035 die Schweizer Wirtschaft mit 44 TWh Die vorsichtigeren Prognosen der Wirtschaft scheinen re-alistischer Dies zeigen exemplarisch die gescheiterten Geothermieprojekte in Basel und St Gallen Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Nachfrageprognosen Der Bund rechnet in seinen Szenarien mit einem Ruumlckgang des Stromverbrauchs pro Kopf von 16 Prozent zwischen 2000 und 2035 Die Schweizer Wirtschaft orientiert sich in ihren Szenarien am Verband Schweizerischer Elektrizitaumlts-unternehmen (VSE) der weiter mit einer steigenden Nach-frage rechnet Die Wirtschaft fordert von der Politik eine vernuumlnftige Planung aufgrund realistischer Schaumltzungen Die Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energiestrategie nicht gefaumlhrdet werden

Subventionen fuumlhren zu FehlanreizenDie Schweiz hat seit vielen Jahrzehnten erfolgreich die Wasserkraft vorangetrieben Aus politischen Gruumlnden wird nun die ndash unregelmaumlssige ndash Stromproduktion durch Sonnen- und Windenergie forciert Unsere sogenann-te kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) entspricht dem deutschen Foumlrdermodell Beide haben das gleiche Ziel Sie sollen erneuerbare Energien ausbauen indem sie neue Formen der Stromproduktion zur Marktreife brin-gen Weil das KEV-System die Sonnen- und Windenergie massiv foumlrdert kommt ein weiterer Ausbau der bewaumlhrten Wasserkraft nicht infrage Diese Entwicklung gefaumlhrdet die Versorgungssicherheit der Schweiz Auf den ersten Blick sinken zwar die Produktionskosten fuumlr Solarstrom gleich-zeitig steigen aber die Kosten fuumlr Speicherung und Inte-gration ins Netz spuumlrbar Auch ist der Ausbau von Solar- und Windenergie nur von beschraumlnktem Nutzen solange keine ausreichenden Speicherkapazitaumlten vorhanden sind Nur Preissignale koumlnnen das Investitionsverhalten von Stromproduzenten Netzbetreibern und Konsumen-ten sinnvoll lenken Subventionen sind zu beseitigen denn sie fuumlhren zu Fehlanreizen

41COMPETENCE | 2014

Alle Optionen offenhaltenOffenheit und Neugier gehoumlren zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft Kategorisches Abwehrverhalten und Denkverbote verhindern konstruktive Loumlsungsansaumltze und Innovation Eine sichere und kostenguumlnstige Strom-versorgung kann auch in Zukunft nur mit der notwendi-gen Offenheit gegenuumlber allen Technologien und Energie-

systemen garantiert werden Die Schweiz ist dank einer erfolgreichen Hochschulland-schaft und vielen Technolo-gieunternehmen gut geruumlstet Die verschiedenen Energie-systeme muumlssen faktenba-siert und ohne ideologische

Scheuklappen verglichen werden Nur so koumlnnen effizi-ente und umweltvertraumlgliche Loumlsungen gefunden werden Das heutige System der Foumlrderung der neuen erneuer-baren Energien ist durch ein marktorientiertes System ab-zuloumlsen Produzenten die nachfragegerecht einspeisen sollen eine houmlhere Verguumltung erhalten als andere Auch soll der Vorrang der Netzeinspeisung fuumlr subventionierte Energietraumlger aufgehoben werden

laquoDie Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit

des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energie strategie nicht

gefaumlhrdet werdenraquo

Schnellere Verfahren anstrebenGrundvoraussetzung fuumlr eine Neuausrichtung der Ener-giepolitik sind funktionierende Stromnetze Diese muumls-sen zwingend parallel zum Umbau der Stromproduktion weiterentwickelt werden Allein der noumltige Ausbau der Uumlbertragungsnetze belaumluft sich auf rund 1 000 Kilometer bis ins Jahr 2020 Erforderlich sind zudem Investitionen in alle Verteilernetzebenen Al-lerdings verzoumlgern komplizier-te Verfahren auf Kantons- und Bundesebene den Ausbau Ausserdem erwaumlchst praktisch jedem Projekt Widerstand von privater Seite was zu weiteren Verzoumlgerungen fuumlhrt Die Wirt-schaft fordert deshalb Bei Bewilligungen von Stromnetzen ist der Gang vors Bundesgericht nur noch bei Grundsatz-fragen moumlglich Umbauten sowie Spannungs- und Kapa-zitaumltserweiterungen koumlnnen ohne Planungsgenehmigung realisiert werden Ausserdem sind die Verfahren bei einer einzigen Leitbehoumlrde anzusiedeln

Spielfeld erweiternDie Schweiz ist seit jeher ein wichtiges Stromtransitland Schon seit den 90er-Jahren treibt die EU die Vereinheitli-chung des Binnenmarkts fuumlr Strom hin zu einem eigent-lichen EU-Strommarkt voran In der Schweiz erweist sich die gesetzliche Trennung von Grundversorgung und Markt diesbezuumlglich zunehmend als Hindernis Aus Sicht der Wirtschaft ist die vollstaumlndige Liberalisierung des Strom-markts eine zwingende Voraussetzung fuumlr eine erfolgrei-che energiepolitische Neuausrichtung

Eine Marktoumlffnung wuumlrde insbesondere auch den erneuer-baren Energien neue Chancen eroumlffnen und Zugang zu neuen Kunden gewaumlhren Von hoher Wichtigkeit ist auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU Je groumlsser der Anteil erneuerbarer Energien umso wichtiger ist die Einbettung in Europa denn Investitionen in Netze und Produktion koumlnnen in Koordination mit der EU wirkungsvoller und wahrscheinlich kostenguumlnstiger getaumltigt werden

Kurt LanzKurt Lanz ist Leiter Infrastruktur Energie und Umwelt sowie Geschaumlftsleitungsmitglied von economiesuisse dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft

Gut vernetzt ndash Vorschlaumlge der Schweizer Wirtschaftzur EnergiepolitikDie Publikation basiert auf der Grundlagenarbeit der breit abgestuumltz-ten Energiekommission von economiesuisse und macht konstruk-tive Vorschlaumlge fuumlr einen erfolgreichen energiepolitischen Weg der Schweiz Download unter wwweconomiesuissech

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

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Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

wwwsmlzhawch

Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 2: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

Building Competence Crossing Borders

Wo tanken Winterthurerinnen und Winterthurer ihr Erdgas-Auto

3COMPETENCE | 2014

Inhalt

Vorwort 5

CEO-PerspektivelaquoMit Schulterklopfen laumlsst sich kein Geld verdienenraquo Interview mit Dr Suzanne Thoma 6

HintergrundFukushima gibt den Takt vor Dr Monika Gisler 10

Auf dem Weg zu einer nach haltigen Energieversorgung Dr Walter Steinmann 13

Hochschulperspektive

Loumlsungen suchen bevor es zum Rechtsstreit kommt Prof Dr Andreas Abegg und Prof Dr Reneacute Wiederkehr 16

Negawatt statt Megawatt Rolf Rellstab 18

Klima im Wandel ndash Emissionsrechte im Handel Dr Regina Betz 21

Energie haltbar machen Prof Dr Petr Korba 24

Dissonanz an der Steckdose Dr Claudio Cometta 26

Unternehmensperspektive Vom Versorger zum Dienstleister Florian Wehrli 28

Innovativer Treiber der Energiewende Andreas Fluumltsch 32

ExpertensichtHaumluser in der ersten Reihe Paul Knuumlsel 34

laquoDer Wasserkraft Sorge tragenraquo Interview mit Roger Pfammatter 36

Lebenselixier der Wirtschaft Kurt Lanz 40

Alumni-Perspektive Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger Florian Wehrli 43

PerspektivenwechselDie grundlegendere Effizienz Marcel Haumlnggi 47

Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen 50

Glossar 52

Wie viel Wald steht den Einwohnerinnen und Einwohnern von Winterthur zur Verfuumlgung

5COMPETENCE | 2014

Die Energiewende bewegt die Schweiz Wohin die Reise geht ist hingegen noch nicht restlos klar Zwar gibt der Bundesrat mit der Energie-strategie 2050 die Richtung vor (S 13) doch insbesondere die Wirtschafts-verbaumlnde (S 40) die sich um die Ver-sorgungssicherheit und Konkurrenz-faumlhigkeit des Standorts sorgen treten

auf die Bremse und pochen auf eine Kurskorrektur Es gilt ihre Befuumlrchtungen ernst zu nehmen und tragfaumlhige Loumlsungen zu entwickeln Hier steht dem Gesetzgeber noch ein steiniger Weg bevor

Dennoch Der politische Wille weniger und effizienter Energie zu verbrauchen entsprechendes Verhalten zu be-lohnen und Innovationen zu foumlrdern ist spuumlrbar Und allen Bedenken zum Trotz birgt die Energiewende auch wirt-schaftliche Chancen Chancen die es zu nutzen gilt So muumlssen sich grosse Energieversorger wie die BKW neu positionieren Im Interview erklaumlrt CEO Suzanne Thoma wie sich das Unternehmen angesichts der neuen Rah-menbedingungen vom Versorger zum Dienstleister wan-delt (S 6) Sie verraumlt in welchen Bereichen kuumlnftig inves-tiert wird zeigt aber auch auf wo sich derzeit kein Geld verdienen laumlsst Schwer hat es insbesondere die Wasser-kraft seit Jahrzehnten wichtigster Pfeiler der Schweizer Stromversorgung Sie bleibt zwischen marktverzerrenden Subventionen hohen Abgaben und Partikularinteres-sen derzeit auf der Strecke Doch nicht nur ihre Vertreter fordern neue Rahmenbedingungen um Investitionen zu

Prof Andreacute HaelgLeiter ZHAW School of Management and Law

sichern und Potenziale zu nutzen (S 36) Auch der Aus-bau der neuen erneuerbaren Energien erfordert mehr Rechtssicherheit Mit welchen Mitteln diese herbeigefuumlhrt werden kann lesen Sie auf Seite 16

Bezuumlglich Energieeffizienz eilen Technologieunternehmen wie ABB mit ihren Innovationen weit voraus (S 32) Fuumlr den Umbau zu einer nachhaltigen Energieversorgung sind aber auch die Hochschulen zentral Die Zuumlrcher Hoch-schule fuumlr Angewandte Wissenschaften hat schon vor einigen Jahren die Energieforschung als Schwerpunkt de-finiert Forschende unterschiedlicher Disziplinen arbeiten Hand in Hand um Antworten auf draumlngende Fragen zu finden So untersucht beispielsweise ein laufendes Projekt die Wirksamkeit bisheriger Energieeffizienzprogramme fuumlr KMU und gibt Empfehlungen wie diese zu verbessern ist (S 18) Mit solchen und vielen weiteren Aktivitaumlten tragen wir dazu bei die Energiewende auf den richtigen Weg zu bringen

Eine Reise ins Ungewisse ist immer mit Risiken verbun - den Doch in einer dynamischen Welt kann es bisweilen gefaumlhrlicher sein stehen zu bleiben Oder wie der damalige US-Praumlsident Abraham Lincoln bereits vor uumlber 150 Jah - ren pointiert bemerkte laquoWe must plan for the future be-cause people who stay in the present will remain in the pastraquo Mit ihrer Forschung zaumlhlen Hochschulen zur Avant-garde der gesellschaftlichen technischen und wirtschaft-lichen Entwicklung Die Verantwortung die sich daraus ableitet nehmen wir gerne wahr In diesem Sinne volle Kraft voraus

Vorwort

Building Competence

6 COMPETENCE | 2014

CEO-Perspektive

laquoMit Schulterklopfen laumlsst sich kein Geld verdienenraquo

nuumltz herumstehen lassen sondern rasch zuruumlckbauen Bis 2019 haben wir dafuumlr nicht nur die noumltigen Mittel zuruumlck-gestellt sondern auch ausreichend Zeit um das Projekt sauber vorzubereiten und alle Bewilligungen einzuholen

Laut Energiestrategie 2050 des Bundes wird der Ausstieg aus der Kernenergie in der Schweiz ohne Gaskombikraft-werke kaum gelingen Auch die BKW hat entsprechen-de Projekte Wie beurteilen Sie allfaumlllige Risiken bezuumlglich VersorgungssicherheitKurzfristig ist das Risiko einer Stromluumlcke aumlusserst klein Mit dem Ausstieg aus der Kernenergie koumlnnte das Thema jedoch spaumlter aktuell werden Ich sehe ein anderes Pro-blem Wie koumlnnen wir das Stromnetz stabil halten wenn ein namhafter Teil der Produktion wetter- und tageszeitab-haumlngig anfaumlllt Gaskraftwerke koumlnnten eine Rolle spielen da sie kurzfristig an- und abgeschaltet werden koumlnnen Sie stehen dabei in Konkurrenz zu den Pumpspeicher-kraftwerken Im heutigen wirtschaftlichen Umfeld mit sin-kenden Preisen fuumlr Dienstleistungen zur Erhaltung der Systemstabilitaumlt bestehen aber keine Investitionsanreize weder fuumlr Pumpspeicher- noch fuumlr Gaskraftwerke

Die Konzernstrategie BKW 2030 erwaumlhnt grosse Investitio-nen Wo wird die BKW besonders stark investierenDie Investitionen fliessen in die Erhaltung der Produktions-infrastruktur und in die Netze Weiter investieren wir in neue erneuerbare Energien und nicht zuletzt in den Auf-bau neuer Geschaumlftsfelder

Investitionen in Kraftwerke und Netze Subventionen fuumlr erneuerbare Energien die den Marktpreis verzerren ndash kann man mit Strom noch Geld verdienenSuzanne Thoma In der subventionierten Stromproduk-tion ja Die marktabhaumlngige Produktion ist bei den aktuell sehr tiefen Strompreisen houmlchst anspruchsvoll

Erwarten Sie dass sich dies in naumlchster Zeit aumlndertWir befassen uns intensiv mit dieser Frage und simulie-ren die Strompreise anhand diverser Marktmodelle Diese zeigen dass der Strompreis in den naumlchsten Jahren tief bleiben sich dann aber signifikant erholen wird Aus der Finanzbranche ist bekannt dass Modellrechnungen leider nur so gut sind wie deren Input Es gibt durchaus Ten-denzen die dafuumlr sorgen koumlnnten dass der Strompreis laumlngerfristig tief bleibt

Die BKW wird das Kernkraftwerk Muumlhleberg 2019 vom Netz nehmen Eine Volksinitiative welche die sofortige Abschaltung forderte wurde im Mai 2014 vom Berner Stimmvolk deutlich abgelehnt Hat Sie das uumlberraschtIch war erfreut uumlberrascht war ich nicht Sachlich betrach-tet haben wir mit Muumlhleberg den vernuumlnftigen Weg einge-schlagen Da das Thema Kernenergie in der Gesellschaft emotional behaftet ist konnten wir aber nicht sicher sein dass die Initiative in dieser Deutlichkeit abgelehnt wird Die Problematik der Initiative war dass wir haumltten abschalten muumlssen ohne mit dem Ruumlckbau beginnen zu koumlnnen Geht ein Kernkraftwerk vom Netz sollte man es nicht un-

Die Energiewende stellt die Stromversorger vor grosse Heraus-forderungen Suzanne Thoma CEO der BKW AG gewaumlhrt Einblicke in die Strategie eines der bedeutendsten Schweizer Energieunternehmen Sie spricht uumlber den Wandel vom Ver-sorger zum Dienstleister sowie uumlber Rahmen bedingungen der StromproduktionInterview Adrian Sulzer

7COMPETENCE | 2014

Ein Fokus ist der Ausbau der Windenergie Hierzulande sind aber viele windreiche Gegenden Schutzgebiete Wird die BKW vornehmlich im Ausland investierenJa wie wir das bereits heute tun Die BKW besitzt zwar rund die Haumllfte der installierten einheimischen Windkapa-zitaumlt die grossen Projekte befinden sich aber in Deutsch-land Frankreich und Italien In der Schweiz gibt es kaum geeignete Standorte und die Durchfuumlhrung von Projekten ist aufgrund strenger Auflagen buumlrokratischer Aufwaumlnde und moumlglicher Einsprachen schwierig Wir erhoffen uns hierzulande mehr Potenzial von der Kleinwasserkraft

Welche erneuerbaren Energien haben das groumlsste Poten-zial in der Schweiz

Das groumlsste technische Potenzial haben Grosswasserkraft-werke Nur lohnen sich diese Investitionen wirtschaftlich zurzeit nicht Bezuumlglich neuer erneuerbarer Energien sehe ich signifikantes Potenzial bei der Fotovoltaik Der Bund rechnet langfristig mit einem Ausbau auf mehr als zehn Tera wattstunden pro Jahr was ich fuumlr realisierbar halte Ob dies wirklich umgesetzt wird haumlngt davon ab ob die Kos-ten der Fotovoltaik weiter gesenkt werden koumlnnen

Die BKW will sich von der Energieversorgerin zur umfas-senden Energiedienstleisterin wandeln Welche neuen An-gebote sind geplantZunaumlchst sind da die Infrastrukturdienstleistungen die wir vermehrt auch fuumlr Private anbieten werden Von grosser

Suzanne Thoma laquoVersorgungsunternehmen sollen sich mittels Positionierung Kommunikation und Aufklaumlrung fuumlr einen bewussten Energieverbrauch einsetzen Es kann aber nicht ihr Auftrag sein die Kunden zu bevormundenraquo

Bild Florian Wehrli

8 COMPETENCE | 2014

mehr Komfort Mobilitaumlt Ernaumlhrungs- oder andere Kon-sumgewohnheiten

Wie koumlnnen Energieversorger Anreize schaffen damit we-niger Energie verbraucht wirdIch bin dafuumlr dass sich Stromversorgungsunternehmen mittels Positionierung Kommunikation und Aufklaumlrungs-arbeit fuumlr einen bewussten Energieverbrauch einsetzen Es kann aber nicht ihr Auftrag sein die Kunden zu bevor-munden Neben einem veraumlnderten Bewusstsein im Be-reich Energie- und Ressourcenkonsum generell kommt der groumlsste Einfluss nach wie vor vom Preis Fuumlr Privat-konsumenten faumlllt die Stromrechnung nicht ins Gewicht und auch die anderen Energiekosten ndash jedenfalls die direkt spuumlrbaren ndash sind nicht wirklich hoch Glauben Sie mir uns waumlre es lieber der Strompreis waumlre houmlher

Energie ist also zu billigJa Die Welt benoumltigt viel Energie und Verschwendung laumlsst sich nur schwer bekaumlmpfen solange Energie so billig ist Die reiche Schweiz ist sicher staumlrker in der Pflicht als arme Laumlnder die unter anderem mit billiger Energie ver-suchen ihren Einwohnern etwas Wohlstand zu ermoumlgli-chen Allerdings duumlrfen wir unserer Industrie durch houmlhere Energiekosten keine zusaumltzlichen Lasten aufbuumlrden sonst verliert sie ihre Konkurrenzfaumlhigkeit

Prinzipiell befuumlrwortet die Bevoumllkerung die Energiewende gegen den Bau neuer Leitungskapazitaumlten oder Wind-turbinen wird aber haumlufig rekurriertNicht haumlufig immer

Sehen Sie einen Ausweg aus dem DilemmaIch sehe darin eine wesentliche Schwierigkeit fuumlr die Um-setzung der Energiestrategie In der Schweiz stehen fuumlr Einsprachen mehr rechtliche Mittel zur Verfuumlgung als im Ausland Ich befuumlrworte deshalb den Vorstoss des Bun-desrats bestimmte Gebiete fuumlr die Energieproduktion zu definieren wo nur noch uumlber eine Instanz rekurriert wer-den kann Das Grundproblem bleibt aber dass wir einen Lebensstil pflegen dessen Konsequenzen wir nicht bereit sind zu tragen

Bedeutung sind fuumlr uns auch die Netze Beim Thema Haumluser und Energieeffizienz sehen wir unsere Rolle als Integrator Dort kommen verschiedene Technologien zur Anwendung die nicht nur viele Hausbesitzer uumlberfordern sondern auch manche Spezialisten Die BKW kann auf jahrzehntelange Erfahrung und grosses Know-how in die-sem Bereich zuruumlckgreifen Wo noumltig werden wir mit Part-nern zusammenarbeiten

Eine Analyse des BFE kam im Mai 2014 zum Schluss dass die Mehrheit der untersuchten Unternehmen nicht bereit sei fuumlr die Energiewende Teilen Sie diese EinschaumltzungWas laquobereit fuumlr die Energiewenderaquo heisst ist schwer ein-zuordnen und ich moumlchte nicht fuumlr andere Unternehmen sprechen Die BKW ist ein wirtschaftlich gefuumlhrtes Unter-nehmen ohne politische Mission Unser Auftrag ist es zum Erhalt und zur Weiterentwicklung der Infrastruktur generell und zur Energieversorgung im Speziellen beizutragen Wir orientieren uns dabei an den Beduumlrfnissen unserer Kun-den und bewegen uns innerhalb der politischen und wirt-schaftlichen Rahmenbedingungen Dabei entwickeln wir unser Unternehmen weiter sodass es profitabel bleibt und weiter gestaumlrkt wird

Die BKW hat also an dieser Studie teilgenommenJa aber ich habe die Studie nicht gelesen Offenbar sind wir im oberen Drittel der Rangliste aber das steht nicht im Vordergrund Die Zeit in der Stromversorger punkto Ener-giewende um die Gunst des Bundes gewetteifert haben ist weitgehend vorbei Es ist den meisten klar geworden dass sich mit Schulterklopfen das Geld fuumlr die noumltigen Investitionen nicht verdienen laumlsst Entscheidend sind die konkreten Rahmenbedingungen das Marktumfeld und die Kundenbeduumlrfnisse

Gemaumlss der Energiestrategie soll der durchschnittliche Energieverbrauch pro Person in der Schweiz bis 2035 ge-genuumlber 2000 um 43 Prozent sinken Ist das realistischTechnisch halte ich das fuumlr absolut moumlglich Dabei geht es aber bei Weitem nicht nur um den Stromkonsum sondern auch um den Konsum fossiler Brennstoffe und Investitio-nen in Effizienzmassnahmen Im Kern geht es aber um viel

CEO-Perspektive

9COMPETENCE | 2014

Konzernleitung der BKW liegt der Frauenanteil aktuell bei 33 Prozent

Stichwort Unternehmensfuumlhrung Gibt es eine spezielle Philosophie die Sie verfolgenIch versuche immer Klarheit zu schaffen Ich moumlchte je-weils zum Kern der Dinge vordringen und erwarte dasselbe Bestreben von meinen Mitarbeitenden Wenn alle wissen worum es im Kern geht und was die Treiber des Geschaumlfts sind und wenn alle mit Freude ihre Arbeit verrichten dann leitet sich alles Weitere daraus ab Ich glaube an gemein-same Visionen und Ziele sowie eine delegierte Umsetzung

Welche Rolle wird die Schweiz in einem liberalisierten euro paumlischen Strommarkt spielenDie Frage ist ob die Schweiz in Zukunft denselben Zugang zum europaumlischen Markt haben wird wie bisher Davon gehe ich aus Unter dieser Voraussetzung muss man sich fragen wie der europaumlische Markt kuumlnftig ausgestaltet sein wird Ich erwarte eine fortschreitende Liberalisierung die tendenziell zu mehr Stromhandel und noch tieferen Preisen fuumlhren wird Gleichzeitig wird man aber Kapazi-taumltsmaumlrkte schaffen muumlssen damit Energieunternehmen Anreize haben in Versorgungssicherheit und System-stabilitaumlt zu investieren Beides wird heute kaum abgegol-ten Das muss sich aumlndern Die Frage ist ob Kapazitaumlts-maumlrkte nationale Maumlrkte sein werden

Welche Folgen haumltte das fuumlr die SchweizDas waumlre eine ungluumlckliche Konstellation Einerseits haumltten wir unter den tieferen Preisen zu leiden andererseits koumlnn-ten wir die Dienstleistungen die wir mit unseren Pump-speicherkraftwerken erbringen weniger gut verkaufen

Blicken wir in die Zukunft Strom wird dezentral produziert nach Bedarf verbraucht ins intelligente Netz eingespeist oder in Batterien gespeichert Braucht es dann noch Ener-gieversorger wie die BKWAuf jeden Fall Denn die grossen Energieversorger werden dann zu grossen Energiedienstleistern Deshalb stellen wir unsere Strategie jetzt um Viele der Kompetenzen die wir als Versorger uumlber Jahrzehnte aufgebaut haben sind auch in diesem Szenario absolut notwendig Moumlglich ist hingegen dass es kuumlnftig weniger zentrale Kraftwerks-kapazitaumlt braucht Als Unternehmen muumlssen wir uns so positionieren dass wir uns im Rahmen aller denkbaren Szenarien weiterentwickeln koumlnnen

Die Energiebranche gilt als Maumlnnerdomaumlne Mit Alpiq und BKW haben nun zwei der groumlssten Schweizer Energiever-sorger eine Frau als CEO Ist das ein Zeichen des Kultur-wandelsJa schon Das Geschlecht war aber gewiss kein Krite-rium fuumlr die Stellenbesetzung Alle Bewerber mussten sich demselben strengen Auswahlverfahren stellen In der

Suzanne ThomaDr Suzanne Thoma ist seit 1 Januar 2013 CEO der BKW AG Zu-vor verantwortete sie das Netz- und Netzdienstleistungsgeschaumlft der BKW als Mitglied der Konzernleitung Vor ihrem Eintritt in die BKW leitete sie das Automobilzuliefergeschaumlft der WICOR Group und fuumlhr-te zuvor als CEO das High-Tech-Unternehmen Rolic Technologies Ltd Im Weiteren war sie fuumlr die Ciba Spezialitaumltenchemie AG in ver-schiedenen Funktionen und Laumlndern taumltig Suzanne Thoma studierte Chemieingenieurtechnik an der ETH Zuumlrich

BKW Energie AGDie BKW ist ein bedeutendes Schweizer Energiedienstleistungs-unternehmen Sie beschaumlftigt mehr als 3 000 Mitarbeitende und ver-sorgt zusammen mit Partnern rund eine Million Menschen mit Strom Neben der reinen Energieversorgung entwickelt implementiert und betreibt die BKW Energiegesamtloumlsungen fuumlr Privat- und Geschaumlfts-kunden sowie fuumlr Energieversorgungsunternehmen und Gemeinden Zudem engagiert sie sich in Forschungsprogrammen zur Entwicklung innovativer Technologien fuumlr eine nachhaltige und sichere Energie-versorgung

10 COMPETENCE | 2014

Bundesrat und Parlament haben 2011 als Reaktion auf den Reaktorunfall in Fukushima entschieden mittelfristig aus der Kernenergie auszusteigen und sich gleichzeitig den zwei grossen Herausforderungen der kommenden Jahre zu stellen Zum einen wird die weltweite Nachfrage nach Energie nochmals stark ansteigen da die zuneh-mende Weltbevoumllkerung absolut gesehen und pro Kopf immer mehr Energie konsumiert Das fuumlhrt zu einer deut-lichen Verschaumlrfung des Wettbewerbs um Energie Eine Energiepolitik die staumlrker lokal verankert ist entschaumlrft das Problem Zum anderen birgt die Klimaerwaumlrmung grosse oumlkologische wirtschaftliche und gesellschaftliche Risiken denen mit klimapolitischen Entscheiden auf glo-baler Ebene begegnet werden muss Mit einer konzisen Energie- und Klimapolitik haumllt die Schweiz hierauf eine moumlgliche Antwort bereit

Energiewende im historischen KontextDer bekannte Energiehistoriker Vaclav Smil versteht un-ter Energie die Ausschoumlpfung der natuumlrlichen Ressour-cen durch den Menschen der sich damit das Uumlberleben sichert und seine Lebensqualitaumlt erhoumlht Mit der geplan-ten Energiewende wird das System Energie in seiner ge-sellschaftlichen Dimension umfassend transformiert Die gegenwaumlrtige Diskussion wird jedoch von technischen und oumlkonomischen Fragestellungen dominiert die gesell-schaftliche Dimension kommt dagegen zu kurz Bei der Energiewende geht es jedoch um mehr als lediglich da-rum eine Ressource durch eine andere zu ersetzen Es geht darum die bestehenden Strukturen fundamental

umzuformen Es geht um Stromnetze und Erdoumllpipelines um idyllische Landschaften und Staumldte um Politik und neue Technologien Diese und zahlreiche weitere Para-meter wurden alle aufgrund energiepolitischer Entschei-dungen im vergangenen Jahrhundert gestaltet Fuumlr die Zukunft sind radikale Eingriffe geplant welche die kom-menden Generationen praumlgen werden Es ist deshalb wesentlich das Thema langfristig zu betrachten und die heutige Situation und Diskussion auch historisch zu situ-ieren Wie wurden Energiesysteme ndash also die Verknuumlpfung von Menschen Ingenieurwesen industriellen Praktiken technologischen Artefakten politischen Programmen und institutionellen Ideologien ndash formiert Welche gesell-schaftlichen Voraussetzungen haben zur Entscheidung fuumlr den einen und gegen den anderen Energietraumlger gefuumlhrt Und letztlich auch Welchen internationalen Trends ist die kleine ressourcenarme Schweiz weshalb gefolgt und in welchen Momenten hat sie sich fuumlr den schweizerischen Sonderweg entschieden

Industrialisierung und EnergiewendeEnergiesysteme entwickeln sich kontinuierlich waren je-doch historisch gesehen uumlber lange Zeit relativ stabil Die Jahrzehnte seit dem Beginn der Industrialisierung in der zweiten Haumllfte des 18 bis Ende des 19 Jahrhunderts wa-ren die Aumlra des Holzes (und nicht der Kohle) die erste Haumllfte des 20 Jahrhunderts war die Zeit der Kohle (und nicht des Erdoumlls) die zweite diejenige des Erdoumlls und der Kernenergie Die Wasserkraft war eine wichtige Strom-lieferantin jedoch nie die Nummer eins unter den Energie-

Hintergrund

Fukushima gibt den Takt vor

Der Energiesektor hat sich in den letzten 150 Jahren drama-tisch schnell entwickelt Nicht nur haben sich Produktion und Verbrauch um ein Vielfaches erhoumlht auch die wirtschaftlichen rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich grundlegend gewandelt Ein kurzer historischer Ruumlckblick zeigt die grossen Entwicklungen und Trends aufText Monika Gisler

11COMPETENCE | 2014

Problem der Entsorgung radioaktiver Abfaumllle wurden an-fangs kaum thematisiert Erdoumll wurde erst in den 1970er-Jahren zum politischen Thema als mit den Erdoumll(preis)- krisen von 197374 und 197980 seine (geopolitisch be-dingte) Endlichkeit manifest wurde Gleichzeitig verstaumlrkte die Erdoumllkrise das Bewusstsein uumlber die Abhaumlngigkeit von importierten Energietraumlgern die mit der Industrialisierung eingesetzt hatte

Anfaumlnge des UmweltschutzesAufgrund dieser beiden Entwicklungen kamen Themen wie Energiesparen und die Forderung nach umweltfreund-licheren Energien in den 1970er-Jahren erstmals auf die politische Traktandenliste Der oumlffentliche Diskurs um die laquoGrenzen des Wachstumsraquo und damit einhergehend auch die ersten Debatten zum Umweltschutz entbrannten In-teressanterweise glaubte man dass Wind- und Solar-anlagen erst ab dem Jahr 2000 in signifikantem Umfang zur Verfuumlgung stehen wuumlrden was ja auch eintrat

Die Diskussion flaute so rasch ab wie sie gekommen war Alternativenergien bewahrten ihr Nischendasein bis zu dem Ereignis das mittlerweile den neuen Takt vorgibt die Nuklearkatastrophe von Fukushima Es wird sich weisen wie erfolgreich die Umsetzungsmassnahmen sein werden und wie rasch sie implementiert werden koumlnnen Sicher scheint jedoch dass das Unternehmen Energiewende nur verstanden und ndash so zumindest die Hoffnung ndash auch ak-zeptiert wird wenn man es in seiner ganzen Dimension erfasst

traumlgern Es wird sich weisen ob das 21 Jahrhundert das-jenige der (neuen) erneuerbaren Energien sein wird

Kohle war nach Holz der wichtigste und langfristigste Energie traumlger der Schweiz Ihre Bedeutung hielt mehr als acht Jahrzehnte an ihr Niedergang setzte 1940 ein 1955 wurde sie vom Erdoumll als wichtigster Energietraumlger abgeloumlst Der Klimahistoriker Christian Pfister erklaumlrt diese Transition mit den rasch fallenden Oumllpreisen die zu einer immer groumls ser werdenden Nachfrage nach dieser guumlns-tigen Energie fuumlhrten Ein weiterer Grund war die Domi-nanz des Verbrennungsmotors uumlber die Dampfmaschine auf dem Weg zu einer immer mobileren Gesellschaft Es ist nicht nur das Angebot sondern auch die Nachfrage welche die Bedeutung eines Energietraumlgers formt Die Entscheidung fuumlr Oumll (und spaumlter Gas) war gleichermassen beeinflusst von den technischen Veraumlnderungen wie von den Verschiebungen am Finanzmarkt

Schon fruumlh hatte auch die Wasserkraft eine grosse Be-deutung fuumlr die Schweiz 1918 war man uumlberzeugt dass laquo[hellip] fuumlr unser Land [hellip] die Frage der Energiequelle ein-wandfrei erledigt [sei] Der ganze Entwicklungsgang von Technik und Volkswirtschaft fuumlhrt endlich zur Erkenntnis dass die Natur uns mit den Wasserkraumlften fuumlr die Kohlen-armut entschaumldigtraquo (Parlamentarische Debatte zum Was-serrechtsgesetz 1918) Wasserkraft wurde im Energiemix immer ergaumlnzend zu anderen Ressourcen eingesetzt und nach 1970 entscheidend wenn auch nicht paritaumltisch mit Kernenergie zur Gewinnung von Elektrizitaumlt komplettiert

So war die zweite Haumllfte des 20 Jahrhunderts die Zeit des Erdoumlls und der Kernenergie Die beiden Energie traumlger entwickelten sich nach 1945 fast parallel und haben doch eine sehr unterschiedliche Geschichte Das hat mit ihrer jeweiligen Form und Verfuumlgbarkeit zu tun aber auch da-mit dass ihre politische Bedeutung sehr verschieden-artig war Die Kernkraft barg aufgrund ihrer Naumlhe zu ei-ner toumldlichen Waffe schon immer politischen Sprengstoff Gleichzeitig genoss sie anfaumlnglich auch den Ruf einer sauberen und nahezu unbegrenzt zur Verfuumlgung stehen-den Energiequelle Die Gefahr einer Verstrahlung und das

Monika GislerDr Monika Gisler hat an den Universitaumlten Zuumlrich Basel und Los Angeles (UCLA) Ge-schichte und Politische Philosophie studiert Sie war Forschungsverantwortliche an der ETH Zuumlrich und bietet seit 2008 mit laquoUnter-nehmen Geschichteraquo Forschung Lehre und Beratung zu den Themen Umwelt Energie und Innovation an (wwwunternehmenge-schichtech) Aktuell lehrt sie als Dozentin an der ETH zu Energiewenden in Geschichte und Gegenwart

Wie viele Fotovoltaikanlagen sind auf den Daumlchern Winterthurs zu finden

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13COMPETENCE | 2014

Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Energieversorgung

dem Parlament die Energiestrategie 2050 vor welche die Basis fuumlr diesen Umbau schafft Grundsaumltze der Energie-strategie sind die Energieeffizienz die Steigerung des An-teils aus erneuerbaren Energien und die Umsetzung des Verursacherprinzips Das bedeutet dass die Kosten der Energienutzung moumlglichst von den Verursachern getragen werden

Die Schweiz verfuumlgt zwar uumlber eine hohe Versorgungs-sicherheit allerdings sind unsere Energiequellen teilweise nicht nachhaltig Gegenwaumlrtig liegt der Anteil der fossilen Energietraumlger am Endenergieverbrauch bei rund 80 Pro-zent Damit traumlgt die Schweiz zu den negativen Folgen der Klimaerwaumlrmung bei Als rohstoffarmes Land importiert sie einen grossen Teil dieser Energie ndash insbesondere Roh-oumll und Gas Dementsprechend hoch ist die Abhaumlngigkeit vom Ausland Zudem steht die Schweiz energiepolitisch vor weiteren grossen Herausforderungen Aufgrund des Bevoumllkerungs- und Wirtschaftswachstums des steigen-den Wohlstands sowie der zunehmenden Mobilitaumlt nimmt die Nachfrage nach Energie zu Teilweise veraltete Infra-struktur wachsender Wettbewerb und die Integration in das europaumlische Energienetz stellen das Energiesystem zudem vor zusaumltzliche Herausforderungen die es zu be-waumlltigen gilt

Langfristige StrategieUm diese Herausforderungen anzugehen ist ein Umbau des Energiesystems in Richtung Nachhaltigkeit unabding-bar Im Nachgang zur Reaktorkatastrophe in Fukushima haben Bundesrat und Parlament im Jahr 2011 den Grund-satzentscheid fuumlr einen schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie gefaumlllt Der Bundesrat legte anschliessend

Mit der Energiestrategie 2050 des Bundes soll unter anderem der Energieverbrauch reduziert und der Anteil der erneuerbaren Energien erhoumlht werden Dazu gehoumlren eine Reduk tion der energiebedingten CO2-Emissionen und der schrittweise Ausstieg aus der Kernenergie ndash dies ohne die bisher hohe Versorgungs-sicherheit und die preiswerte Energieversorgung zu gefaumlhrden Die ambitioumlsen Ziele sind aber nur zu erreichen wenn ein Um-denken stattfindet und Politik Wirtschaft Wissenschaft und Gesellschaft enger zusammenarbeiten Text Walter Steinmann

Hintergrund

Stossrichtungen der Energiestrategie ndash Energieeffizienz erhoumlhen Energieverbrauch

senken Stromverbrauch stabilisieren ndash Anteil der erneuerbaren Energien erhoumlhen und

Restbedarf durch fossile Stromproduktion und Importe decken

ndash Zugang zu internationalen Energiemaumlrkten sicherstellen

ndash Um- und Ausbau der elektrischen Netze und der Energiespeicherung vorantreiben

ndash Energieforschung verstaumlrken ndash Vorbildfunktion der oumlffentlichen Hand wahrnehmen ndash Internationale Zusammenarbeit im Energiebereich

intensivieren

14 COMPETENCE | 2014

Hintergrund

Der Bundesrat hat dem Parlament im September 2013 ein erstes Massnahmenpaket zur Umsetzung der Energie-strategie 2050 vorgelegt Das Geschaumlft wird momentan von den vorberatenden parlamentarischen Kommissio-nen behandelt Es ist auf die Zielsetzungen fuumlr das Jahr 2020 ausgerichtet und soll langfristig wirken Konkret vorgesehen ist etwa eine Erhoumlhung der CO2-Abgabe auf Brennstoffe mit einer gleichzeitigen Verstaumlrkung des Ge-baumludesanierungsprogramms Weiter soll die bisherige kostendeckende Einspeiseverguumltung zu einem Verguuml-tungssystem mit Direktvermarktung umgebaut werden Dafuumlr sind eine Totalrevision des Energiegesetzes sowie Anpassungen in weiteren neun Bundesgesetzen noumltig Berechnungen zufolge soll der Energieverbrauch mit der Umsetzung des ersten Massnahmenpakets bis 2050 we-sentlich abnehmen Insbesondere bei den fossilen Ener-gietraumlgern wird mit grossen Ruumlckgaumlngen gerechnet

Volkswirtschaftlich werden sich die Kosten fuumlr die Um-setzung der Energiestrategie in Grenzen halten Den er-heblichen Investitionen in die Energieeffizienz stehen Ein-sparungen bei den Energieimporten gegenuumlber Es sind jedoch betraumlchtliche Investitionen insbesondere fuumlr den Zubau der Stromproduktion aus erneuerbaren Energietrauml-gern noumltig

Zusammensetzung des Endshyenergieverbrauchs (ohne Treibshystoffverbrauch des internationalen Flugverkehrs) bis 2050 auf der Basis des vorliegenden Massnahmen pakets des UVEK (Quelle Prognos)

Ein Markt mit ZukunftEine nachhaltige Energiepolitik ist nur moumlglich wenn die Schweiz staumlrker auf erneuerbare Energien setzt Heute stammen nur gerade 20 Prozent der verbrauchten Ener-gie aus erneuerbaren Quellen Die laufenden Arbeiten zur Energiestrategie 2050 zeigen dass Sonnen- und Wind-energie Wasserkraft und Geothermie in der Schweiz uumlber grosse Potenziale verfuumlgen deren optimale Er-schliessung jedoch durch verschiedene Faktoren behin-dert beziehungsweise verzoumlgert wird Dazu gehoumlren die

langwierigen Bewilligungsverfahren und die teils fehlende Akzeptanz in der Bevoumllkerung aber auch die begrenzten Foumlrdermittel zur Realisierung entsprechender Projekte Mit der Energiestrategie 2050 sollen guumlnstigere Rahmenbe-dingungen geschaffen werden

Die Sicherung des langfristigen Energieangebots wird zu einer der zentralen Herausforderungen und bietet gleichzeitig grosse Chancen fuumlr den Wirtschaftsstandort

laquoFortschritte bei der Ressourcen-effizienz und den erneuerbaren

Energien ermoumlglichen Wettbewerbs-vorteile auf den Exportmaumlrktenraquo

15COMPETENCE | 2014

Schweiz Bereits heute verfuumlgt die Schweiz uumlber ein gros-ses industrielles und technologisches Know-how gerade im Bereich Cleantech Fortschritte bei der Ressourcen-effizienz und den erneuerbaren Energien ermoumlglichen Wett bewerbsvorteile auf den Exportmaumlrkten sie schaffen neue Arbeitsplaumltze und erhoumlhen die Unabhaumlngigkeit in der Rohstoffversorgung Zusammen mit dem Masterplan Cleantech traumlgt die Energiestrategie 2050 dazu bei dass sich die Schweiz hier als Vorreiterin profilieren kann

Uumlbergang in ein LenkungssystemDamit sich der Markt in Richtung Nachhaltigkeit entwickelt werden kuumlnftig weitere Massnahmen noumltig sein Waumlhrend das erste Massnahmenpaket noch stark auf Foumlrderung zielt wird die Energiepolitik ab 2021 gemeinsam mit der Klimapolitik strategisch neu ausgerichtet Das bestehen-de Foumlrdersystem basiert auf einem Netzzuschlag fuumlr die Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Ener-gien und einer Teilzweckbindung der CO2-Abgabe fuumlr das Gebaumludeprogramm Es soll durch ein marktwirtschaftli-ches Lenkungssystem abgeloumlst werden mit dem sich die Energie -und Klimaziele effektiv und oumlkonomisch effizient erreichen lassen Konkret werden erneuerbare Energien und Gebaumludesanierungen zunaumlchst noch staatlich unter-stuumltzt ndash langfristig soll der Markt spielen Das Bundesamt fuumlr Energie ist daran in Zusammenarbeit mit dem Eidge-noumlssischen Finanzdepartement und dem Staatssekretariat fuumlr Wirtschaft zu konkretisieren wie das umzusetzen ist

Wissenstransfer staumlrken Gluumlcklicherweise herrscht an den Hochschulen und ihren Instituten im Energiebereich Aufbruchstimmung Fuumlr Un-ternehmen ist es jedoch oft schwierig das an Hochschu-len vorhandene Wissen abzuholen gerade wegen der grossen Diversitaumlt der Forschung und der Fragmentierung des Wissens auf zahlreiche Institute Gleichzeitig stossen mit Unternehmen der Informations- und Kommunikations-technologie neue Akteure mit grossem Know-how in den Energieversorgungsmarkt vor Energieversorgungsunter-nehmen in ganz Europa ruumlcken vom reinen Stromverkauf ab und positionieren sich vermehrt als Anbieter von umfas-senden Energiedienstleistungen Diesem Trend muss sich

Walter SteinmannDr Walter Steinmann ist seit 2001 Direktor des Bundesamts fuumlr Energie (BFE) Er hat an der Universitaumlt Zuumlrich Volkswirtschaft studiert und seine Studien 1988 mit einer Doktorarbeit an der Universitaumlt Konstanz ab geschlossen Von 1981 bis 1988 war er Delegierter fuumlr Wirtschaftsfoumlrderung des Kantons Basel-Landschaft und arbeitete an-schliessend als Beauftragter fuumlr Wirtschafts-foumlrderung des Kantons Solothurn Von 1994 bis 2001 war er Chef des Amts fuumlr Wirtschaft und Arbeit des Kantons Solothurn

auch die Schweiz stellen und ihre Kraumlfte vermehrt buumlndeln um Synergien zwischen Wirtschaft und Forschung zu schaffen Nur so kann der Technologiestandort Schweiz staumlrker werden Der Bund setzt bereits Massnahmen um damit der Transfer der Forschungsresultate in den Markt sichergestellt wird Dazu gehoumlrt der Aufbau vernetzter Forschungskompetenzzentren der Swiss Competence Centers for Energy Research Auch die ZHAW School of Management and Law beteiligt sich in diesem Rahmen massgeblich an den nationalen Forschungsaktivitaumlten zum Umbau des Schweizer Energiesystems

Mit der Energiestrategie 2050 hat die Schweiz die Chance sich aus ihrer Abhaumlngigkeit von den fossilen Energien zu loumlsen den Export fortschrittlicher Technologien zu staumlrken und mit dem ressourcen- und klimaschonenden Umgang mit Energie international eine Fuumlhrungsrolle zu uumlberneh-men Nutzen wir diese Chance

Weitere Informationen unter wwwenergiestrategie2050ch

laquoDie Schweiz muss ihre Kraumlfte vermehrt buumlndeln um

Synergien zwischen Wirtschaft und Forschung zu schaffenraquo

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Eine der wichtigsten Zielsetzungen der Energiewende wie sie der Bundesrat formuliert hat ist der Ausbau der er-neuerbaren Energien Der Anteil von Wasser- Wind- und Sonnenkraft sowie Erdwaumlrme am Energiemix soll massiv erhoumlht werden Die durchschnittliche inlaumlndische Produk-tion ndash ohne Wasserkraft ndash soll im Jahr 2020 bei mindes-tens 4 400 Gigawattstunden (GWh) und im Jahr 2035 bei mindestens 14 500 GWh liegen Bei der Produktion von Elektrizitaumlt aus Wasserkraft wird bis im Jahr 2035 ein Aus-bau der Produktion auf 37 400 GWh angestrebt Zum Ver-gleich Die Jahresproduktion des AKW Muumlhleberg liegt bei rund 2 600 GWh Das sind houmlchst ambitioumlse Ziele

Der geplante Ausbau der Nutzung von erneuerbaren Energien bedarf zahlreicher Anlagen ndash Windparks Was-serkraftwerke oder groumlsserer Solaranlagen ndash mit entspre-chend hohem Raumbedarf Der Bundesrat sieht nicht vor die Umwelt- und Heimatschutzgesetze massgeblich zu lo-ckern obwohl es regelmaumlssig zu Konflikten zwischen den Schutzinteressen und Energienutzungsanlagen sowie zu entsprechenden Gerichtsverfahren kommt ndash wie juumlngst im Goms bei der Planung eines Wasserkraftwerks (BGE 140 II 262 ff) Das Bundesgericht nimmt jeweils eine im Resul-tat schwer voraussehbare Interessenabwaumlgung vor und stellt die Leistung der Anlage sowie die Faumlhigkeit zeitlich flexibel und marktorientiert zu produzieren den Schutz-interessen gegenuumlber

Ein weiteres Problem besteht darin dass groumlssere Anla-gen bei der Nachbarschaft oder in einer breiteren Bevoumll-kerung keine Akzeptanz finden So waumlre zwar im Kanton

Loumlsungen suchen bevor es zum Rechtsstreit kommt

Hochschulperspektive

Der Bundesrat sieht im Rahmen der Energiestrategie 2050 vor den Anteil der erneuerbaren Energien massiv zu erhoumlhen Die vermehrte Nutzung erneuerbarer Energietraumlger fuumlhrt jedoch zu einem Interessenkonflikt zwischen Wirtschaftlichkeit umwelt-rechtlichen Anforderungen und sozialer Akzeptanz Diesen gilt es mit klaren rechtlichen Grundlagen zu loumlsenText Reneacute Wiederkehr und Andreas Abegg

Zuumlrich Wind vorhanden doch dreht sich dort bis heute keine einzige grosse Windturbine Gegen die einzige bis-her geplante Versuchsanlage am Stuumlssel oberhalb Baumlrets-wil hat eine Interessengemeinschaft Rekurs erhoben und will die geplante Windmessanlage bis vor Bundesgericht bekaumlmpfen Diese Probleme ndash die Kollision mit Schutz-interessen und die Angst vor Nachbarrekursen ndash koumlnnen im Ergebnis dazu fuumlhren dass die Energieunternehmen auf den Bau von Anlagen verzichten obwohl ein erhebli-ches Potenzial vorhanden waumlre

Loumlsungsansatz des BundesratsIm Rahmen der Energiepolitik 2050 schlaumlgt der Bundesrat vor dass die Kantone mit Unterstuumltzung des Bundes ein Konzept fuumlr den Ausbau der erneuerbaren Energien er-arbeiten und Gebiete fuumlr die Nutzung durch erneuerbare Energien bestimmen Nach der Genehmigung durch den Bund dient das Konzept den Kantonen als Grundlage fuumlr ihre Richtplanung Dadurch wird fuumlr die kommunalen und kantonalen Behoumlrden verbindlich festgelegt in welchen Gebieten Bewilligungen fuumlr erneuerbare Energieproduktio-nen erteilt werden koumlnnen

Welche Gebiete sich tatsaumlchlich fuumlr den Ausbau der er-neuerbaren Energien eignen ist bisher allerdings kaum erforscht worden Bund Kantonen und Gemeinden fehlen die Grundlagen um die Eignung von Standorten und Ge-bieten aus rechtlicher Sicht zu beurteilen Es ist deshalb einfacher ungeeignete Gebiete von der Nutzung auszu-nehmen Vor allem Gebiete welche fuumlr Natur- und Hei-matschutz wertvoll sind koumlnnen zu einer sogenannten

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schen und rechtsstaatlichen Verfahren aus So wurde zum Beispiel im Kanton Zuumlrich der Heimatschutz gegenuumlber dem Interesse an neuen Solaranlagen bereits zuruumlck-gestuft und das entsprechende Bewilligungsverfahren gestrafft Es wird sich gerade bei der Wahl von Stand-orten fuumlr die Nutzung erneuerbarer Energien zeigen ob die Energiewende ndash wie zuweilen befuumlrchtet ndash auf Kosten von Demokratie und Rechtsstaat sowie auf Kosten von Natur- und Heimatschutz geht oder ob wir die gegenwaumlr-tigen Strukturen unter transparenter und angemessener Wahrung aller Interessen anpassen koumlnnen um die an-spruchsvollen Energieziele zu erreichen

Negativzone fuumlhren Auch andere Anliegen wie die Erhal-tung von landwirtschaftlichem Kulturland und Wald der Schutz des Vogelzugs oder die Beduumlrfnisse der Luftfahrt sind zu beruumlcksichtigen Zudem ist zu beachten dass der Bau neuer Anlagen einen Ausbau des Energienetzes nach sich ziehen kann was wiederum zu Konflikten mit anderen raumrelevanten Interessen fuumlhrt

InteressenabwaumlgungUm die erneuerbare Energie wie geplant massiv foumlrdern zu koumlnnen muumlssen die notwendigen Anlagen rasch rea-lisiert werden In den hierzu notwendigen Bewilligungs- und Rechtsmittelverfahren muumlssen die Zielkonflikte der verschiedenen Interessen transparent gemacht und unter gleichberechtigter Abwaumlgung geloumlst werden Das gilt so-wohl fuumlr das konkrete Rechtsmittelverfahren vor Behoumlrden und Gerichten wie auch fuumlr eine vorgezogene Mediations-phase

Hier setzen die vom Bund initiierten Forschungen zur Energiewende auf drei Ebenen an Zunaumlchst muumlssen die Details der komplizierten Bewilligungsverfahren im Aus-tausch mit der Gerichtspraxis ausgearbeitet werden Das sorgt fuumlr Rechtssicherheit Auf einer zweiten Ebene gilt es die bestehenden kantonal reglementierten Verfahren zu vereinheitlichen und wenn moumlglich zu vereinfachen Damit es zu rechtsstaatlich tragfaumlhigen und sozial akzep-tierten Loumlsungen kommt sind die Rechte aller Beteiligten zu wahren jene von Gemeinden Kantonen und Bund als Behoumlrden von Energieunternehmen als Gesuchsteller so-wie von Nachbarn und beschwerdeberechtigten Verbaumln-den als Gegner Schliesslich sind auf einer dritten Ebene neue Hilfsmittel zu suchen mit denen Gebiete und Stand-orte bezeichnet werden koumlnnen die sich fuumlr die Nutzung erneuerbarer Energien besonders eignen Das Bewilli-gungsverfahren wird hiermit transparenter berechenbarer und ndash so die Hoffnung ndash kuumlrzer Mit klaren Rechtsgrund-lagen koumlnnen die Beteiligten zudem Loumlsungen suchen bevor es uumlberhaupt zum Rechtsstreit kommt Die geplante Foumlrderung erneuerbarer Energien kommt nicht ohne Veraumlnderungen in bestehenden demokrati-

Andreas AbeggProf Dr Andreas Abegg ist Leiter des Zen-trums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht an der ZHAW School of Management and Law Privatdozent an der Universitaumlt Fribourg und praktizierender Rechtsanwalt Er beschaumlf-tigt sich mit den rechtlichen Schnittpunkten zwischen Staat und Privaten insbesondere in den Bereichen Regulierung Verwaltungs-organisation und Energie Andreas Abegg forscht im Rahmen des vom Bund mitfinan-zierten Competence Center for Research in Energy Society and Transition (CREST) in der Forschungsgruppe Energy Policy Analysis

Reneacute WiederkehrProf Dr Reneacute Wiederkehr ist stellvertre-tender Leiter des Zentrums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht an der ZHAW School of Management and Law und Titularprofessor der Universitaumlt Luzern Er forscht und lehrt in den Bereichen Verwaltungsrecht und oumlf-fentliches Prozessrecht sowie im Rahmen des vom Bund mitfinanzierten Competence Center for Research in Energy Society and Transition (CREST) in der Forschungsgruppe Energy Policy Analysis

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Negawatt statt Megawatt

Energieeffizienzmassnahmen finanziell lohnen Zudem ver-fuumlgen kleine und mittlere Unternehmen selten uumlber Ener-gieverantwortliche oder Umweltbeauftragte die im Akqui-sitionsprozess gezielt angesprochen werden koumlnnen

Schwaumlchen bisheriger ProgrammeEine Umfrage der ZHAW bei Programmverantwortlichen zeigt diverse Schwaumlchen laufender Effizienzprogramme auf Ein haumlufiges Problem sind falsche Anreize So wird vornehmlich vermittelt wie mit Energieeffizienz Geld ge-spart wird Offensichtlich geht man davon aus dass Un-ternehmen praktisch nur uumlber finanzielle Anreize zu moti-vieren sind Bei den angepeilten KMU fallen Energiekosten jedoch kaum ins Gewicht Beratungsaufwand und Ergeb-nis stehen umso mehr im Missverhaumlltnis je weniger Ener-gie verbraucht wird Weiter scheinen die Programmver-antwortlichen ihre Zielgruppen kaum zu segmentieren und als unterschiedliche Kundensegmente wahrzunehmen Entsprechend beinhalten die meisten Programme ein Standardangebot mit einem breiten Spektrum an Mass-nahmen die oft nicht branchenspezifisch zugeschnitten sind Auch die Kundenansprache erfolgt in der Regel un-differenziert und die Moumlglichkeiten der Neuen Medien wer-den kaum genutzt

Keine langfristige PerspektiveEin Grossteil der Programme ist nicht auf Kundenbindung ausgelegt Insbesondere werden kaum Informationen er-fasst welche die Planung einer weiterfuumlhrenden Bezie-

Schweizer Unternehmen koumlnnten auf wirtschaftliche Art und Weise bis zu 30 Prozent ihres Energieverbrauchs ein-sparen Speziell bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) die immerhin 10 Prozent des Schweizer Stromver-brauchs verantworten ist das Sparpotenzial aber ungenuuml-gend ausgeschoumlpft

Energieeffizienzprogramme wirken nichtBehoumlrden Energieversorger und private Organisatio-nen haben in den letzten Jahren wiederholt Programme lanciert um Energieeinsparungen gezielt zu foumlrdern Al-lerdings haben bislang weniger als 1 Prozent der rund 300 000 Schweizer KMU an einem solchen Programm teilgenommen und die Umsetzungsquoten sind ebenfalls gering Uumlber die Gruumlnde die Unternehmen daran hindern an Energieeffizienzprogrammen teilzunehmen und ent-sprechende Massnahmen umzusetzen sind sich die Pro-grammverantwortlichen uneinig Oft werden Zeitmangel Priorisierung anderer Investitionen fehlende Mittel und zu lange Amortisationszeiten als Hemmnisse genannt Ge-nerell scheint es dass bei Kleinunternehmen Zeit- und Geldmangel eine wichtige Rolle spielen waumlhrend bei Un-ternehmen mittlerer Groumlsse eher der Mangel an Motiva tion und Bewusstsein ausschlaggebend ist Energiekosten machen bei KMU einen verschwindend kleinen Anteil der Gesamtkosten aus sodass die Prioritaumlten fuumlr Investitionen haumlufig anders liegen Man investiert beispielsweise lieber in Betriebsmittel zur Erhoumlhung der Produktivitaumlt als in die Reduktion der (bereits tiefen) Energiekosten obwohl sich

Energieeffizienz ist ein zentraler Pfeiler der Energiestrategie 2050 Die Schweiz gehoumlrt zu den Spitzenreitern punkto Energie effizienz auch dank ihrem dominanten Tertiaumlrsektor Dennoch liegen auch bei hiesigen Unternehmen grosse Sparpotenziale brach Wie diese genutzt werden koumlnnen untersucht die ZHAW in einem interdisziplinaumlren ProjektText Rolf Rellstab

Hochschulperspektive

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brauch betrifft erhoumlhte Arbeitssicherheit weniger Laumlrm-belastung oder geringerer Rohstoffverbrauch Der Wert solcher laquoNon-Energy Benefitsraquo kann fuumlr Unternehmen bis zu 250 Prozent der energetischen Einsparungen betra-gen Es geht also darum KMU gezielter auf die Chancen der Energieeffizienz hinzuweisen Schliesslich gilt es auch Unternehmen wissen zu lassen dass sich ihre Kunden fuumlr dieses Thema interessieren sowie ihnen dabei zu helfen ihr Energie effizienzengagement sichtbar zu machen Waumlh-rend bereits heute viele Unternehmen bestaumltigen dass sich ihr Image bei den Kunden durch die Teilnahme an einem Energieeffizienzprogramm verbessert hat achten erst wenige Firmen auch bei der Kommunikation darauf dass entsprechende Massnahmen gebuumlhrend bekannt gemacht werden

hung zu den Programmteilnehmenden ermoumlglichen wuumlr-den Angaben zu Stromverbrauch Houmlhe und Anteil der Energiekosten Anzahl Mitarbeitende und Umsatz waumlren wertvolle Informationen im Hinblick auf allfaumlllige Folgepro-gramme Im Vordergrund stehen zudem bei den meisten Programmen technische Loumlsungen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz Eine nachhaltige Verhaltensaumlnderung bei Mitarbeitenden oder auf Managementebene wird hingegen kaum verfolgt Auch ein Monitoring der Wirkung von Ener-gieeffizienzprogrammen ist bislang nicht vorhanden oder

wird zu wenig systematisch betrieben So wird zum Bei-spiel die effektive Energieeinsparung vielfach nicht erfasst und gepruumlft Das tatsaumlchliche Kosten-Nutzen-Verhaumlltnis einzuschaumltzen ist somit schwierig Dass die bestehenden Energieeffizienzprogramme inhaltlich durchaus Anklang finden zeigen Ruumlckmeldungen von Unternehmen die in der Vergangenheit daran teilgenommen haben Die Befrag-ten beurteilen ihre Erfahrungen mehrheitlich positiv Aus Sicht der Unternehmen lagen die Energieeinspar effekte im Bereich der Erwartungen Viele wuumlrden nochmals an einem solchen Programm teilnehmen was die oben ge-nannten Versaumlumnisse umso bedauerlicher macht

Wirksamkeit verbessernWie koumlnnen KMU zum Energiesparen motiviert werden Aus Marketingsicht beinhaltet ein sinnvolles Programm eine segmentspezifische Kundenansprache die den laquoReifegradraquo (Wissen Einstellungen und Verhalten) eines Unternehmens in Bezug auf Energieeffizienz beruumlcksich-tigt Zweitens braucht es eine klare Kundenbeziehungs-strategie welche eine wiederholte Teilnahme zum Ziel hat Bei den Anreizen einzig die finanziellen Aspekte wie etwa erwartete Kostensenkungen oder Foumlrderbeitraumlge hervor-zuheben scheint wenig erfolgversprechend Der Fokus wird in Zukunft wohl vermehrt darauf liegen denjenigen Nutzen hervorzuheben der nicht direkt den Energiever-

Rolf RellstabRolf Rellstab ist wissenschaftlicher Mit-arbeiter und Projektleiter am Institut fuumlr Marketing Management der ZHAW School of Management and Law Seine Arbeits-schwerpunkte liegen im Bereich Kommuni-kation Kundenbeziehungsmanagement und B-to-B-Marketing

Projektziel und VorgehensweiseIm ZHAW-Projekt laquoNegawatt statt Megawattraquo werden optimierte Vorgehensweisen entwickelt um KMU mit einem jaumlhrlichen Strom-verbrauch zwischen 10 und 500 MWh zum Energiesparen zu moti-vieren Der Begriff laquoNegawattraquo bezeichnet die eingesparte Energie die zu virtuellen Negawatt-Kraftwerken kombiniert wird So wird anschaulich aufgezeigt wie viel Energie dank diesen Einsparungen weniger produziert werden muss Das Projekt beinhaltet eine interna-tionale Literaturstudie zu den Erfolgsfaktoren und Hemmnissen von Energieeffizienzprogrammen eine Umfrage bei Anbietern solcher Programme sowie eine Befragung von KMU Aus den Ergebnissen dieser drei Teilstudien werden Hypothesen im Hinblick auf ein idea-les Energieeffizienzprogramm abgeleitet In einem Folgeprojekt sol-len die Hypothesen im Rahmen eines Pilotprogramms uumlberpruumlft und weiterentwickelt werden Das Projekt wird durch den WWF Schweiz die Stiftung Pro Evolution das Bundesamt fuumlr Energie (BFE) und die Elektrizitaumltswerke des Kantons Zuumlrich (EKZ) unterstuumltzt Weitere In-formationen wwwzhawchnegawatt

laquoEine nachhaltige Verhaltens - aumlnderung bei Mitarbeitenden oder auf Managementebene

wird kaum verfolgtraquo

Wie viel Heizoumll wird jaumlhrlich in Winterthur verbraucht

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Klima im Wandel ndash Emissionsrechte im Handel

Der Klimawandel laumlsst sich anhand des Treibhauseffekts veranschaulichen Die Treibhausgase bewirken dass kurz-welliges Sonnenlicht zur Erdoberflaumlche gelangt verhindern jedoch dass langwellige Waumlrmestrahlung von der Erde nach aussen dringt Somit kann die Waumlrme nicht mehr entweichen und die Temperatur steigt Der Ausstoss von Treibhausgasen die vor allem bei der Verbrennung von fossilen Energietraumlgern wie Kohle Gas und Oumll entstehen hat seit der industriellen Revolution stark zugenommen und den natuumlrlichen Treibhauseffekt verstaumlrkt Eine Zunahme der Haumlufigkeit und Intensitaumlt meteorologischer und hydro-logischer Grossereignisse wie Stuumlrme und Uumlberschwem-mungen sind die Folge ndash mit gravierenden oumlkologischen oumlkonomischen und sozialen Konsequenzen

Der 2013 veroumlffentlichte Bericht der internationalen Exper-tengruppe Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zeigt auf dass die globale Durchschnittstempera-tur in den letzten 130 Jahren um 085deg Celsius gestiegen

Der Klimawandel findet nicht in ferner Zukunft sondern bereits jetzt statt Um ihn fuumlr Mensch und Umwelt auf einem ertraumlg-lichen Niveau zu stabilisieren muumlssen die Treibhausgas-emissionen reduziert werden Der Emissionshandel soll dazu beitragen sie dort zu mindern wo die geringsten Kosten an-fallen So kann das gesetzte Mengenziel oumlkonomisch effizient erreicht werdenText Regina Betz

ist Ohne Minderungsanstrengungen wird bis 2100 ein mehr als fuumlnffacher Anstieg prognostiziert Um die Treib-hausgaskonzentration in der Atmosphaumlre auf einem fuumlr Mensch und Umwelt akzeptablen Niveau zu stabilisieren muss die Erwaumlrmung bei unter 2deg Celsius stagnieren Da-fuumlr muumlssen laut dem 2014 veroumlffentlichten Bericht des IPCC die globalen Treibhausgasemissionen (THGE) bis 2050 gegenuumlber 2010 mindestens halbiert und bis 2100 um rund 100 Prozent reduziert werden 1997 hat sich die internationale Staatengemeinschaft im Kyoto-Protokoll fuumlr die Jahre 2008 bis 2012 erstmals auf voumllkerrechtlich ver-bindliche Ziele fuumlr den Ausstoss von THGE in den entwi-ckelten Laumlndern geeinigt aktuell finden Verhandlungen fuumlr die Festlegung neuer Ziele statt

Cap and TradeZur Zielerreichung sieht das Kyoto-Protokoll unter ande-rem den Emissionshandel auf Staatenebene vor Zahl-reiche Laumlnder wenden dieses Instrument aber haumlufiger auf Unternehmensebene an Das Grundprinzip ist einfach Die Houmlchstmenge (Cap) an erlaubten Gesamtemissionen wird festgelegt und an die regulierten Unternehmen im Emissions rechtehandelssystem (EHS) verteilt Die Unter-nehmen sind verpflichtet fuumlr jede emittierte Tonne Kohlen-dioxid ein Emissionsrecht einzureichen ansonsten sind Sanktionszahlungen faumlllig Will ein Unternehmen uumlber die ihm zugeteilte Menge hinaus emittieren muss es ein an-deres Unternehmen finden das ihm die benoumltigte Menge an Emissionsrechten verkauft (Trade) Unternehmen mit hohen Minderungskosten werden dabei Emissionsrechte hinzukaufen und Unternehmen mit niedrigen Kosten wer-den ihre Emissionen mindern indem sie etwa Biomasse statt Kohle verbrennen und uumlberschuumlssige Emissions-rechte verkaufen Durch den Handel koumlnnen die erforder-lichen Emissionsminderungen dort realisiert werden wo sie mit den geringsten Kosten verbunden sind Am Markt stellt sich ein Preis fuumlr die Emissionsrechte ein der Ange-bot und Nachfrage zum Ausgleich bringt

So einfach das Prinzip ist so schwierig ist seine Umset-zung Das System bedingt dass die Regierungen Rech-te fuumlr die Nutzung der Atmosphaumlre schaffen die zu einer

Hochschulperspektive

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Hochschulperspektive

Reduktion der Emissionen gegenuumlber einer Referenzent-wicklung fuumlhren dem sogenannten Business-as-usual-Szenario Doch die Abschaumltzung dieses Szenarios also der Entwicklung der Emissionen ohne Mengenbegren-zung ist schwierig wie die nachfolgenden Ausfuumlhrungen zum Emissionshandel in der EU zeigen

Der Emissionshandel in der EUDas EU-EHS ist der weltweit groumlsste Markt von Emissions-rechten Alle 28 EU-Staaten sowie Liechtenstein Island und Norwegen sind daran beteiligt Die Schweiz wuumlrde sich gerne anschliessen Das EU-EHS leidet seit seiner Einfuumlhrung im Jahr 2005 unter einem Uumlberangebot das sich mittlerweile auf rund 2 Milliarden Emissionsrechte be-laumluft Dies entspricht ungefaumlhr den vom System regulierten Emissionen eines Jahres Neben den unvorhergesehenen oumlkonomischen Entwicklungen durch die globale Finanz-krise traumlgt auch der starke Zubau an erneuer baren Ener-gien zu einem houmlheren Ruumlckgang der Emissio nen bei als geplant Der Hauptgrund fuumlr den derzeitigen Uumlberschuss liegt jedoch darin dass die regulierten Unternehmen ne-ben den Europaumlischen Emissionsrechten ndash European Union Allowances (EUAs) ndash auch auslaumlndische Emissions-minderungszertifikate ndash Certified Emission Reductions (CERs) ndash zu einem bestimmten Anteil anrechnen koumlnnen Mit dem sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) koumlnnen Industrienationen in Entwicklungslaumlndern emissionsmindernde Projekte finanzieren und sich die da-bei entstehenden THGE-Reduktionen mithilfe von CERs anrechnen lassen

Durch diese verschiedenen Faktoren hat sich ein Uumlberan-gebot entwickelt das den Preis der EUAs und CERs stark sinken liess Der Preis belaumluft sich derzeit auf rund fuumlnf Euro pro EUA Die bisherigen Reformanstrengungen wie etwa das sogenannte Backloading das Verschieben von Auktionen in spaumltere Jahre um die Menge zu verknappen haben bisher kaum zu einer Preiserhoumlhung gefuumlhrt

Die Schweiz als PreishochburgDer Schweizer Markt wuumlrde bei einem Zusammen-schluss nur rund 03 Prozent des EU-EHS ausmachen

Die Schweiz wuumlrde somit als Preisnehmerin agieren Das heisst der EU-Preis sollte auch in der Schweiz gelten Umso erstaunlicher ist es daher dass der Schweizer Preis pro Emissionsrecht derzeit bei rund 40 Franken liegt ob-wohl die Verbindung des Schweizer EHS mit dem EU-EHS geplant ist (sogenanntes Linking) Das auf der Basis des revidierten CO2-Gesetzes von 2012 und der CO2-Verord-nung verabschiedete System das den Emissionshandel am 1 Januar 2013 fuumlr 38 Unternehmen beziehungsweise 55 Anlagen in der Schweiz verbindlich eingefuumlhrt hat uumlber-nimmt weitestgehend die Regeln des EU-EHS Das neue System hat das bisherige freiwillige EHS in der Schweiz abgeloumlst Die im EHS erfassten Unternehmen sind von der CO2-Abgabe befreit Die hohe Kompatibilitaumlt des Schwei-zer EHS und des EU-EHS sollte ein schnelles Linking er-moumlglichen wobei die Verhandlungen durch die Annahme der Einwanderungsinitiative zum Stillstand gekommen sind Ein moumlglicher Erklaumlrungsansatz ist daher dass der hohe Preisunterschied die derzeitige Unsicherheit uumlber den Ausgang der Linking-Verhandlungen widerspiegelt Gehen die Schweizer Unternehmen davon aus dass kein Linking stattfindet sollte sich der Preis anhand der Minderungs-kosten und der Knappheit im Schweizer EHS bilden Fuumlr die Unternehmen ist es immer noch guumlnstiger den der-zeitigen Preis von 40 Franken fuumlr die Emissionsrechte zu bezahlen als eine Busse von 125 Franken pro fehlendes Emissionsrecht Zusaumltzlich zur Busse ist das Unternehmen verpflichtet die fehlenden Rechte im naumlchsten Jahr nach-zureichen Auch hier hat sich die Schweiz stark am EU-EHS orientiert bei dem die Busse bei 100 Euro pro EUA plus Wiedergutmachung liegt

Allokation beeinflusst den WettbewerbDie Gesamtmenge an Emissionsrechten (Cap) leitet sich aus den historischen Emissionen der teilnehmenden EHS-Unternehmen ab Fuumlr bestehende Anlagen die bereits vor 2013 am EHS in der Schweiz beteiligt waren setzt sie sich aus der Summe der durchschnittlich zugeteilten Emis-sionsrechte der ersten Verpflichtungsperiode (2008 bis 2012) zusammen fuumlr Anlagen die 2013 hinzukommen aus der Summe der durchschnittlichen Emissionen der

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fuumlr neue Anlagen in einer Reserve zuruumlckbehalten deren Uumlberschuumlsse zweimal jaumlhrlich versteigert werden Die Zu-teilung der Emissionsrechte hat etwas laumlnger gedauert so-dass sie in der Schweiz fuumlr die Jahre 2013 und 2014 erst im Februar 2014 erfolgte Das mag auch einer der Gruumlnde sein dass bisher kein Handel auf dem Sekundaumlrmarkt fuumlr den die Berner Kantonalbank eine eigene Emissions-handelsplattform bereitgestellt hat stattgefunden hat Das erste Preissignal war deshalb die Auktion der Uumlberschuumls-se aus der Neuemittentenreserve Diese fand vom 14 bis 21 Mai 2014 statt und erzielte fuumlr die 150 000 Emissions-rechte einen Preis von 4025 Franken pro Emissionsrecht

Wie sich die Liquiditaumlt im Schweizer Markt in Zukunft ent-wickeln wird und ob ein Linking mit dem EU-EHS und so-mit eine Angleichung der Schweizer Preise an die EU-EHS-Preise stattfinden wird bleibt abzuwarten Letzteres waumlre zwar aus oumlkonomischer Sicht zu begruumlssen da ein groumls-serer liquider Markt mit einheitlichem Preissignal als effizi-enter bewertet wird Aus oumlkologischer Sicht scheint jedoch ein Linking der Systeme ohne weitere Reformen des EU-EHS nicht wuumlnschenswert da es die Minderungsanreize in der Schweiz als Folge des Angebotsuumlberschusses an Emissionsrechten in der EU massiv reduzieren wuumlrde

Jahre 2009 bis 2011 Diese Summe wird jaumlhrlich um 174 Prozent reduziert analog der Regelung im EU-EHS

Neben der Festlegung der Obergrenze ist die Ausgestal-tung der Zuteilungsregeln politisch am schwierigsten da diese Verteilungswirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussen Bis 2012 wurden die Emissionsrechte in der EU daher groumlsstenteils kostenlos zugeteilt Seit 2013 werden rund 48 Prozent der Emissionsrechte versteigert wobei diese vor allem von Elektrizitaumltsfirmen gekauft wer-den muumlssen Da diese nicht im internationalen Wettbewerb

stehen konnten sie den Preis der gratis erhaltenen Emis-sionsrechte an die Elektrizitaumltskonsumenten weitergege-ben und hohe Gewinne erzielen Unternehmen aus Sek-toren die im internationalen Wettbewerb stehen koumlnnen hingegen die Kosten fuumlr die Emissionsrechte nicht an ihre Endkunden weitergeben ohne betraumlchtliche Nachteile in Kauf zu nehmen Es besteht daher das Risiko dass diese Firmen in Laumlnder ohne Klimapolitik abwandern Um dieses Risiko zu senken erhalten Unternehmen bei denen ein Risiko auf Abwanderung besteht auch in Zukunft weitest-gehend kostenlos Emissionsrechte zugeteilt Die Zuteilung basiert dabei auf sogenannten Benchmarks (Tonne Koh-lendioxid pro Tonne Produkt) die auf der Basis der effizi-entesten 10 Prozent der Unternehmen berechnet und mit historischen Produktionsdaten multipliziert werden

Noch kein Handel in der SchweizDie Schweiz hat die Benchmarks des EU-EHS uumlbernom-men Da in der Schweiz vor allem stark im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen aus den Sektoren Zement Papier Chemie Stahl und Raffinerien unter den Emissionshandel fallen werden fast alle Emissionsrechte kostenlos zugeteilt Ein kleiner Anteil von 5 Prozent wird

Regina BetzDr Regina Betz ist Dozentin fuumlr Energie- und Umweltoumlkonomie an der ZHAW School of Management and Law Seit 2014 leitet sie den volkswirtschaftlichen Teil der Ener-gy Policy Analysis Group des Zentrums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht das Mitglied des Schweizer Competence Centers for Research in Energy Society and Transition (CREST) ist Zuvor lehrte sie an der University of New South Wales Australia Umwelt- und Klimaoumlkonomie und leitete als Co-Direktorin das Centre for Energy and Environmental Markets (CEEM) 1998 bis 2004 arbeitete sie als Wissenschaftlerin am Fraunhofer-Institut fuumlr System- und Innovationsforschung ISI in Deutschland

laquoNeben der Festlegung der Ober grenze ist die Ausgestaltung der Zuteilungsregeln politisch am

schwierigsten da diese Verteilungs wirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussenraquo

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nicht vollstaumlndig genutzt werden kann In der Energiestra-tegie des Bundes ist gemaumlss einem Szenario bis 2050 ein Zubau auf knapp 12 TWh pro Jahr Stromproduktion aus Fotovoltaik angedacht Dies bedingt den Bau von Fotovol-taikanlagen mit einer installierten Spitzenleistung von etwa 12 Gigawattpeak (GWp) und einem Flaumlchenbedarf von rund 84 000 000 Quadratmetern Dieser Flaumlchenbedarf ist auf den bestehenden Daumlchern in der Schweiz verfuumlgbar

An einem schoumlnen Sommertag koumlnnen diese Anlagen dann also etwa 12 GW erzeugen die maximale Ver-brauchslast liegt im Sommer aber nur bei rund 8 GW Es entsteht ein Uumlberschuss von 4 GW die Speicherleistung der Schweizer Pumpspeicheranlagen betraumlgt heute aber nur 15 GW 25 GW Leistung koumlnnen in diesem Szenario also gar nicht genutzt werden An einem Wintertag mit Hochnebel erzeugen diese Anlagen uumlberhaupt keinen Strom die Verbrauchslast liegt aber mit 10 GW noch houml-her als im Sommer Hier entsteht eine Luumlcke die mit ande-ren Energieformen oder Importen gedeckt werden muss

Speichern uumlbertragen oder einsparenUm diesem Problem zu begegnen gibt es verschiedene Loumlsungsansaumltze Ein Ansatz ist die Energie lokal dort zu speichern wo sie erzeugt aber nicht sofort verbraucht werden kann In diesem Fall werden in erster Linie viele kleine Speichermodule benoumltigt die sowohl fuumlr kurz- als auch langfristigen Ausgleich sorgen muumlssen Eine andere Moumlglichkeit ist es die Energie an Orte zu uumlbertragen wo sie sofort verbraucht wird dann muss in erster Linie das Netz ausgebaut werden Schliesslich koumlnnte Energie auch zentral zu grossen Speichern transportiert werden was sowohl einen Netzausbau als auch neue Speichertechno-logien bedingen wuumlrde

Als die Gesellschaft noch aus Jaumlgern und Sammlern be-stand verbrauchte der Mensch seine Energie lokal dort wo er sie benoumltigte Er lebte von der Hand in den Mund Im Zuge der aufkommenden Landwirtschaft musste er Methoden entwickeln um Nahrung haltbar zu machen und sie zu transportieren Vor demselben Problem steht heute die Energiewirtschaft Ort und Zeit der erneuerbaren Energieerzeugung korrelieren je laumlnger je weniger mit dem Verbrauch Die Herausforderung der Energiewende ist deshalb nicht nur die Produktion selbst sondern auch die Uumlbertragung die Speicherung und das lokale Verbrauchs-last-Management

Saisonale Speicherung problematischMit dem Ausstieg aus der Kernenergie muumlssen in der Schweiz etwa 40 Prozent der produzierten elektrischen Energie ersetzt werden also rund 23 Terawattstunden (TWh) pro Jahr Im Gegensatz zur Kernenergie haben die neuen erneuerbaren Energien den Nachteil dass ihre Pro-duktion nicht steuerbar ist und unregelmaumlssig anfaumlllt Der Kapazitaumltsfaktor also das Verhaumlltnis von durchschnittlicher zu maximaler Leistung betraumlgt bei konventionellen Kraft-werken bis zu 100 Prozent bei Fotovoltaikanlagen dage-gen nur etwa 10 Prozent Hinzu kommen die starken saiso-nalen Schwankungen dieser stochastisch erzeugenden Energiequellen Im Winter liegt die Stromverbrauchsspitze mit circa 10 Gigawatt (GW) rund ein Drittel houmlher als im Sommer gleichzeitig liefern Fotovoltaikanlagen aufgrund des flacheren Einstrahlungswinkels und der kuumlrzeren Son-nenscheindauer wesentlich weniger Strom als im Sommer

Anhand eines Gedankenexperiments laumlsst sich veran-schaulichen dass das Potenzial der neuen erneuerbaren Energien ohne zusaumltzliche Speicher oder steuerbare Lasten

Energie haltbar machen

Der Ausbau von erneuerbaren Energiequellen geht so schnell voran dass Speicher- und Uumlbertragungstechnologien kaum mithalten koumlnnen Um Produktionsspitzen zu glaumltten braucht es Fortschritte in der EnergietechnikText Petr Korba

Hochschulperspektive

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Petr KorbaProf Dr Petr Korba ist Dozent und Fach-gruppenleiter fuumlr elektrische Energietechnik und Smart Grids an der ZHAW School of En-gineering Zuvor forschte er uumlber zehn Jahre bei ABB Schweiz in den Bereichen Automa-tion Energie- und Regelungstechnik

Scherrer Institut an der Power2Gas-Technologie Dabei wird Kohlendioxid mit Strom aus erneuerbaren Quellen durch Elektrolyse zu Wasserstoff oder weiter zu Methan verarbeitet Aumlhnlich wie bei der Nahrungsmittelproduktion wo Staumlrke schliesslich als raffinierter Zucker gespeichert wird gibt es auch bei der Stromspeicherung immer raffi-niertere Formen Bei jeder Umwandlung geht aber Energie verloren Man muss sich also gut uumlberlegen ob man uumlber-haupt speichern will und wenn ja uumlber welchen Zeitraum

Mit der wachsenden Integration von erneuerbaren Energi-en steigen auch die Anforderungen an die Energietechnik Unser kuumlnftiges Energiesystem wird staumlrker automatisiert und intelligenter sein Um erneuerbare Energiequellen zu integrieren werden Informations- und Kommunikations-technologien Automatisierungs- und Regelungstechnik Signalverarbeitung oder Wettervorhersagen immer wich-tiger In den intelligenten Stromnetzen der Zukunft wer-den alle beteiligten Komponenten Daten wie den aktuellen Verbrauch verfuumlgbare Strommengen oder lokale Aus-faumllle melden und gleichzeitig solche Daten aus anderen Netzkomponenten empfangen Das daraus resultierende Smart Grid ist ein Gefuumlge das selbststaumlndig auf diese Ein-fluumlsse reagiert und seine eigene Effizienz optimiert Es gilt Energie effizienter zu uumlbertragen um raumlumliche Distanzen zu uumlberwinden und neue Speichertechnologien zu entwi-ckeln um zeitliche Engpaumlsse zu uumlberbruumlcken Elektrische Energie kann auf verschiedene Arten erzeugt gespei-chert und uumlbertragen werden Jede Art hat ihre Vor- und Nachteile und ihren Preis Anreize aus der Politik werden schliesslich entscheiden welche Formen dies in der Zu-kunft sein werden

Auf der Verbraucherseite laumlsst sich die Nutzlast durch ge-eignetes Last-Management anpassen Diese Steuerung schaltet verbrauchsintensive Anlagen in Unternehmen gewerblichen Betrieben und Haushalten gezielt dann ein wenn die Stromtarife guumlnstig sind Es duumlrfte aber schwie-rig sein der Bevoumllkerung vorzuschreiben wann sie zum Beispiel fernsehen oder kochen darf Eine intelligente Re-gelung von grossen Kuumlhlhaumlusern stoumlrt dagegen nieman-den Trotz solchen Bestrebungen geht die International Energy Agency (IEA) davon aus dass der Stromverbrauch weltweit jaumlhrlich um rund 1 Prozent zunimmt Diese Ten-denz verstaumlrkt sich voraussichtlich noch falls sich der Bereich Mobilitaumlt von fossilen Energietraumlgern hin zur Elek-tromobilitaumlt verschieben wird Die Geschichte hat gezeigt dass der Energieverbrauch eigentlich nur in Krisenzeiten zuruumlckgeht

Klar ist jedenfalls dass der Ausbau von Speichern und Netzen Hand in Hand mit der zunehmenden Integration von erneuerbaren Energiequellen erfolgen muss Auf unter-schiedlichen Netzebenen kommen unterschiedliche Spei-chertechnologien zum Einsatz Waumlhrend fuumlr Haushalte mit kleinen Fotovoltaikanlagen und im Niederspannungsnetz bereits Batteriespeicher vorhanden sind stossen diese bei mehr als einer Windturbine oder groumlsseren Solarparks schnell an ihre Grenzen Das groumlsste Batterieenergie-speichersystem der Schweiz betreiben die Elektrizitaumlts-werke des Kantons Zuumlrich in Dietikon Es hat 1 Megawatt (MW) maximale Speicherleistung und kann diese waumlhrend ungefaumlhr 15 Minuten abgeben respektive speichern Die Spitzenlast im Schweizer Hochspannungsnetz liegt aber bei 8 GW im Sommer und 10 GW im Winter Die Schwei-zer Pumpspeicherkraftwerke koumlnnen unseren Strombe-darf nur etwa einen Monat lang decken Das europaumlische Hochspannungsnetz verfuumlgt uumlber eine Spitzenlast von circa 500 GW Um die Leistung von Grosskraftwerken wie Offshore-Windparks langfristig zu speichern braucht es neue Technologien

Raffinierte EnergiespeicherungDafuumlr forscht die ZHAW School of Engineering gemein-sam mit der ETH Zuumlrich der EPF Lausanne und dem Paul

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Hochschulperspektive

Dissonanz an der Steckdose

Mit der Energiestrategie 2050 haben Bundesrat und Parla-ment eine Kehrtwende in der Schweizer Energiepolitik ein-gelaumlutet der die wichtigsten politischen Huumlrden erst noch bevorstehen Auf den ersten Blick scheint der Kurswechsel breit abgestuumltzt Seit dem Reaktorunfall in Fukushima fuumlh-ren Umfragen immer wieder zum gleichen Ergebnis Der langfristige Ausstieg aus der Kernenergie findet eine Mehr-heit Im Grundsatz stossen erneuerbare Energien sowie Massnahmen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz auf hohe Zustimmung Was fuumlr den Stimmzettel gilt beeinflusst aber nicht automatisch das Konsum- und Investitionsverhalten der Energiekunden Die Bereitschaft aus eigenem Antrieb mehr fuumlr ein oumlkologisch houmlherwertiges Produkt aus neuen erneuerbaren Energietraumlgern zu bezahlen ist beschraumlnkt Nur wenige Haushalte sind zudem bereit ihren Energie- und insbesondere ihren Stromkonsum zu reduzieren wenn dies mit nicht amortisierbaren Investitionskosten oder einem moumlglichen Komfortverlust verbunden ist

Mit anderen Worten Effizienz wird als teuer und Suffizienz als bevormundend empfunden Die private Zahlungsbereit-schaft laumlsst sich zwar mit regulatorischen Interventionen wie fixen Einspeiseverguumltungen oder Investitionssubven-tionen in Effizienzmassnahmen etwas erhoumlhen Doch die Erfahrungen in Deutschland und der Schweiz zeigen dass solche Massnahmen oumlkonomisch ineffizient sind und oft als ungerecht empfunden werden Sie koumlnnen damit zum Bumerang fuumlr die Akzeptanz der energiepolitischen Ziele werden Neben den politischen Huumlrden ist somit auch die kognitive Huumlrde der Konsumenten zu beruumlcksichtigen De-ren Uumlberwindung bedarf zuerst einer differenzierten Analyse der Ursachen und danach der Entwicklung innovativer Ver-triebsmodelle und Produkte auf Versorgerseite

Eine Mehrheit der Bevoumllkerung unterstuumltzt den Ausstieg aus der Kernenergie doch nur wenige beziehen ein oumlkologisches Stromprodukt Warum das so ist und wie sich diese Dissonanz aufloumlsen laumlsst beschaumlftigt derzeit viele EnergieversorgerText Claudio Cometta

Indifferenz uumlberwiegtFuumlr viele Konsumenten ist die Strom- Gas- oder Fern-waumlrmerechnung ein verhaumlltnismaumlssig kleiner Posten im Haushaltsbudget dem wenig Beachtung geschenkt wird Die Schweiz ist sogar einer der Spitzenreiter in Europa machen die Stromkosten im Durchschnitt doch nicht mehr als 2 Prozent der Haushaltsausgaben aus Wenig Beachtung bedeutet auch wenig Kenntnis des Preises und der Menge der bezogenen Energieleistung oder der Zusammensetzung des Tarifs aus Energiekosten Netz-kosten und Abgaben Entsprechend besteht nur ein ge-ringes Interesse Energie und damit Kosten zu sparen Konsumentenbefragungen zeigen zudem dass nur eine kleine Minderheit der Kunden die Zusammensetzung ihres Stromprodukts nach Energietraumlgern kennt Die geringen Kosten und Unkenntnis des Produkts verhindern also die Wahl anderer Stromprodukte Strom ist ein klassisches Commodity-Produkt Man kann ihn weder sehen noch riechen Er ist verhaumlltnismaumlssig guumlnstig immer verfuumlgbar und aumlndert in keinerlei Hinsicht seine Eigenschaften wenn dafuumlr mehr bezahlt wird Zudem ist meist nicht sichtbar wer wie viel von welchem Produkt bezieht Der Strom-konsum ist Privatsache

Uumlberwindung durch VertriebsmodelleDie Vorgaben der Energiestrategie 2050 beinhalten nicht nur einen massiven Zubau der Produktionskapazitaumlt aus erneuerbaren Energietraumlgern sondern auch die kon-tinuierliche Reduktion des Energie- und insbesondere des Stromkonsums pro Kopf Die direkte Finanzierung der dazu notwendigen Investitionsvorhaben scheint an-gesichts der Indifferenz auf Konsumentenseite jedoch schwierig Aus diesem Grund sind mehrere Schweizer

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rund um Haushaltstechnik Sicherheit Pflege oder Kom-munikation sowie ein geschicktes Marketing mit Elemen-ten der sozialen Kontrolle Denkbar sind auch Anreize die keinen direkten Zusammenhang mit dem Energiekonsum aufweisen aber fuumlr breite Bevoumllkerungsgruppen attrak-tiv sind So haben etwa einzelne skandinavische Versor-ger damit begonnen energiesparendes Verhalten ihrer Kunden mit Verguumlnstigungen fuumlr die Nutzung oumlffentlicher Transportmittel zu belohnen

Uumlberwindung durch PartizipationDie wohl wirkungsvollste Massnahme zur Uumlberwindung der Dissonanz an der Steckdose ist bereits inhaumlrent in der Transformation des Energiesystems hin zu einer staumlrker dezentralen Erzeugung angelegt Kunden entwi-ckeln sich von passiven Leistungsempfaumlngern zu aktiven Leistungserbringern sogenannten Prosumern Als Klein-produzenten von Strom mit einer hauseigenen Fotovol-taikanlage oder thermischer Speicherleistung mit Kraft-Waumlrme-Kopplungsanlagen im Mikroformat werden sie mittelfristig wesentlich zum Umbau des Energiesystems und zu den Zielen der Energiestrategie beitragen koumlnnen Eine nicht ganz unbedeutende Rolle koumlnnten in Zukunft sogenannte Buumlrgerbeteiligungsmodelle fuumlr die Finanzie-rung neuer In frastrukturprojekte spielen Diese wuumlrden gleichzeitig die Akzeptanz sichtbarer Produktionsanlagen von neuen erneuerbaren Energien erhoumlhen Doch erst wenn das Produkt Strom nicht mehr als reines Commodity-Produkt wahrgenommen wird werden politische Meinung und Konsumverhalten bei einer Mehrheit der Stimmbuumlrger uumlbereinstimmen

Energieversoger in letzter Zeit dazu uumlbergegangen soge-nannte Default-Modelle einzufuumlhren die Stromprodukte aus erneuerbaren Quellen zum neuen Standard erheben Dabei macht man sich die Traumlgheit der Kunden zunutze indem die Wahl eines Stromprodukts aus nicht erneuer-baren Energietraumlgern als Option definiert wird die aktiv bestellt werden muss

Nicht zuletzt aufgrund solcher Modelle ist die Zahl der Schweizer Haushalte die ein Stromprodukt aus aus-schliesslich erneuerbaren Energien beziehen auf uumlber 25 Prozent gestiegen Doch weitere Vertriebsinnovationen werden notwendig sein etwa um der Herausforderung der Einspeisung von Strom aus fluktuierend nutzbaren Quellen (Solar- und Windenergie) in die Verteilnetze gewachsen zu sein die immer staumlrker ins Gewicht faumlllt In der Folge gilt es Investitionen in Netz- und Speichersysteme zu finan-zieren In innovativen Vertriebsmodellen welche dieser Herausforderung gerecht werden erhaumllt das Konsumver-halten einen Wert Zeitliche Flexibilitaumlt wird belohnt durch Tarifreduktion Bonus oder Vermeidung einer Gebuumlhr Wie diese beiden Beispiele zeigen laumlsst sich der Mehrwert von vermeintlichen Commodity-Produkten durch neue Vertriebsmodelle abschoumlpfen und als marktwirtschaftlich vertraumlglicher Finanzierungsmechanismus fuumlr neue Infra-strukturvorhaben im Energiesektor nutzen

Uumlberwindung durch innovative ProdukteNoch groumlsseres Potenzial birgt die Weiterentwicklung von Stromprodukten zu Leistungssystemen die fuumlr Energie-kunden einen echten Mehrwert bieten Hierzu gehoumlrt die Verknuumlpfung des Kernprodukts Strom mit Dienstleistun-gen die den Kunden ein transparenteres Verbrauchsver-halten sowie Kostenoptimierung ermoumlglichen Intelligente Stromzaumlhler sogenannte Smart Meter kombiniert mit fle-xiblen Tarifen und einem einfachen Feedback- und Steuer-system sind die Voraussetzung um zumindest oumlkologisch sensibilisierten oder kostenbewussten Endkunden einen Effizienzeffekt zu ermoumlglichen Damit solche Leistungs-systeme aber fuumlr die grosse Gruppe der Indifferenten interessant werden braucht es weitere Mehrwerte Dazu gehoumlren die Verknuumlpfung mit intelligenten Anwendungen

Claudio ComettaDr Claudio Cometta ist Dozent fuumlr Innovation und Entrepreneurship an der ZHAW School of Management and Law Er koordiniert den Aufbau des nationalen Energie-Kompetenz-zentrums SCCER 5 an der ZHAW

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Die Energiewende stellt die Energieversorgungsunternehmen in der Schweiz vor grosse Herausforderungen Das Beispiel von Stadtwerk Winterthur zeigt wie die Branche auf den Paradig-menwechsel reagiertText Florian Wehrli

Von den Anfaumlngen als laquoWinterthurer Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtungraquo vor uumlber 150 Jahren bis zum modernen Querverbundunternehmen hat sich Stadtwerk Winterthur kontinuierlich weiterentwickelt Seine Aufgabe ist aber gemaumlss Direktor Markus Saumlgesser weitgehend dieselbe geblieben die Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung zu verbes-sern So bietet das staumldtische Versorgungsunternehmen neben klassischen Produkten wie Wasser Strom Gas oder Kehrichtentsorgung und Abwasserreinigung heute auch Fernwaumlrme Haustechnik Glasfasernetz und Ener-gie-Contracting an Die Ausdehnung auf neue Geschaumlfts-bereiche will der Direktor aber nicht als Reaktion auf die Liberalisierung des Energiemarkts verstanden wissen laquoWir begegnen der Marktoumlffnung proaktiv und wollen die sich bietenden Chancen aktiv nutzenraquo

Lokales Potenzial ausgeschoumlpftIm liberalisierten Markt hat das staumldtische Versorgungs-unternehmen mit dem Monopol auf sein Energieversor-gungsnetz von gesamthaft mehr als 2 500 Kilometern einen Vorteil Dessen Unterhalt ist nach wie vor eine der Hauptaufgaben Im Gegensatz zu anderen Energieversor-gern betreibt Stadtwerk Winterthur naumlmlich einen verhaumllt-nismaumlssig geringen Anteil an eigenen Produktionsanlagen Das Flaggschiff ist die wohl modernste Kehrichtverwer-tungsanlage der Schweiz laquoMit dem Umbau konnten wir 2013 den Wirkungsgrad der Anlage um einen Drittel stei-gern und die Abluft gehoumlrt zu den saubersten weltweitraquo sagt Markus Saumlgesser Heute deckt die KVA 20 Prozent des Winterthurer Strom- und 12 Prozent des Waumlrmebe-darfs ab Auf solchen Lorbeeren ausruhen will sich Stadt-werk Winterthur aber nicht laquoWir wollen mithelfen eine nachhaltige Energiewirtschaft aufzubauenraquo Mittelfristig soll

die Haumllfte des Stromangebots aus erneuerbaren Quellen stammen laquoDas ist ein ehrgeiziges Zielraquo sagt Saumlgesser laquowir sind aber auf gutem Weg dazuraquo

Rund die Haumllfte des Rahmenkredits von 90 Millionen Franken fuumlr erneuerbaren Strom den das Winterthurer Stimmvolk 2012 bewilligt hat ist bereits investiert Im Bereich Fotovoltaik ist die Planung der groumlssten Anlagen abgeschlossen etwa auf den Daumlchern der Eishalle oder des Busdepots Eine aktuelle Windpotenzialstudie zeigt fuumlr Winterthur nur wenige moumlgliche Standorte auf zumal die Bewilligung solcher Anlagen mit grossem buumlrokratischem Aufwand verbunden sei Mit diversen Nahwaumlrmever-buumlnden nutzt Stadtwerk Winterthur auch Holzabfaumllle bereits sehr effizient Aber auch dieser Energietraumlger ist in Winterthur beschraumlnkt vorhanden Das letzte Projekt das Holz aus dem Winterthurer Stadtwald einsetzen wird ist in der Aufbauphase Studien im Bereich Wasserkraft haben gezeigt dass abgesehen von einem Kleinwasser-kraftwerk an der Toumlss in der Region kaum Potenzial vor-handen ist

Investitionen im AuslandlaquoDiese aufwendige Aufbauarbeit soll nicht zur Regel wer-denraquo sagt Markus Saumlgesser laquoDas limitierte Energiepoten-zial in der Schweiz und die beschwerlichen Instanzenwe-ge fuumlr Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie lassen uns deshalb vermehrt im Ausland investierenraquo 2012 be-teiligte sich das Stadtwerk mit 12 Millionen Franken am Kleinkraftwerk Birseck AG das Kleinwasserkraftwerke und Foto voltaikanlagen in der Schweiz und in Frankreich be-treibt 2013 folgte eine Beteiligung in der Houmlhe von 25 Mil-lionen Franken an der Swisspower Renewables AG die in

Vom Versorger zum Dienstleister

Unternehmensperspektive

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sein glaubt er aber nicht daran dass der Stromverbrauch insgesamt zuruumlckgehen wird laquoDafuumlr ist der Marktpreis zu niedrig Aus serdem wird Strom im Bereich Waumlrme und Mobilitaumlt einen Grossteil der fossilen Energietraumlger ersetzen muumlssenraquo Damit der geplante Verbrauchsruumlck-gang dennoch gelingt will der Bund Anreize schaffen Mit sogenannten weissen Zertifikaten will er die Versor-ger be lohnen wenn sie ihre Kunden zu einem geringeren Energie verbrauch bewegen In Grossbritannien Italien und Frankreich sind solche Modelle bereits im Einsatz Markus Saumlgesser sieht dieser Entwicklung mit gemischten Gefuumlh-len entgegen laquoWir haben bereits vor der Reaktorkatastro-phe in Fukushima auf Energieeffizienz gesetzt und konn-ten uns dadurch profilieren Weil die Politik nun eingreift und den Markt uumlbersteuert bleibt uns als Unternehmen weniger Spielraum um uns zu positionierenraquo

Windkraftanlagen im angrenzenden Ausland investiert Fuumlr die Beschaffung von Strom am freien Markt ist das Stadtwerk eine Zusammenarbeit mit der Trianel GmbH in Aachen ndash einer der fuumlhrenden Stadtwerke-Kooperationen in Europa ndash eingegangen Damit sollen insbesondere der Zugang zum Grosshandelsmarkt sowie die Marktfor-schung sichergestellt werden Denn um Kunden nachhal-tige Energieprodukte verkaufen zu koumlnnen muss man ihre Beduumlrfnisse genau kennen

Anreize fuumlr geringeren VerbrauchDie Strategie scheint aufzugehen laquoSeit der Einfuumlhrung der neuen Stromprodukte Anfang 2013 haben wir den Absatz von erneuerbarer Energie in Winterthur verdop-pelt und denjenigen von Oumlkostrom sogar vervierfachtraquo so Saumlgesser Trotz dem steigenden oumlkologischen Bewusst-

Gemaumlss seinem Leitbild soll Stadtwerk Winterthur mit einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der soziashylen Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Bild Michael Lio

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Ausgliederung aus der StadtverwaltungAuch auf kommunaler Ebene ist Stadtwerk Winterthur von den politischen Rahmenbedingungen abhaumlngig ndash mit allen Vor- und Nachteilen Die politischen Kurswechsel in den vorgesetzten Gremien seien hinderlich bei der Umsetzung der Strategie des Unternehmens laquoWir taumltigen Investitio-nen mit einem Planungshorizont von mehreren Jahrzehn-tenraquo sagt Markus Saumlgesser laquoin der Politik wird dagegen in Amtsperioden von vier Jahren gedachtraquo Es gibt deshalb Bestrebungen das Stadtwerk aus der Stadtverwaltung auszugliedern und einem langfristig operierenden Steue-rungsgremium zu unterstellen Bei der Stimmbevoumllkerung geniesst Stadtwerk Winterthur grossen Ruumlckhalt Alleine in den letzten zwei Jahren wurden vier Abstimmungsvor-lagen mit grossem Mehr angenommen darunter Rah-menkredite fuumlr das Energie-Contracting oder erneuerbare Energien laquoEine bessere Legitimation koumlnnen wir uns gar nicht wuumlnschenraquo sagt Markus Saumlgesser

Neue BetriebskulturStrategisch und energiepolitisch werden Dienstleistungen wie das Energie-Contracting fuumlr Stadtwerk Winterthur immer wichtiger laquoWir wollen unserer Kundschaft Waumlr-me oder Kaumllte gleich komfortabel anbieten koumlnnen wie Stromraquo sagt Markus Saumlgesser laquoImmobilienbesitzerinnen und -besitzer sollen sich nicht mehr um den Fuumlllstand ih-res Oumlltanks oder den Termin fuumlr den Kaminfeger kuumlmmern muumlssenraquo Das Energie-Contracting waumlchst stark und macht heute bereits rund 5 Prozent des Umsatzes von Stadtwerk Winterthur aus

Die neuen Geschaumlftsfelder ziehen auch andere Arbeits-kraumlfte an als bisher Verschiedene Betriebskulturen seien in den vergangenen Jahren teilweise parallel gelaufen be-ginnen nun aber langsam zu verschmelzen Ein Beispiel dafuumlr ist die Verknuumlpfung von Smart Metering und dem traditionellen Verteilnetz Elektrizitaumlt Als Voraussetzung fuumlr das Change-Management in der Betriebskultur habe man alle Mitarbeitenden in die Erarbeitung des Unterneh-mensleitbildes involviert Entstanden ist ein Leitbild das Stadtwerk Winterthur dabei unterstuumltzt die Unterneh-mensstrategie umzusetzen Stadtwerk Winterthur soll mit

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

Markus SaumlgesserMarkus Saumlgesser (52) ist diplomierter Ma-schineningenieur ETH und hat ein Nachdi-plomstudium in technischen Betriebswissen-schaften absolviert Seit Anfang 2011 ist er Direktor von Stadtwerk Winterthur Seine bisherige berufliche Taumltigkeit fuumlhrte Markus Saumlgesser nach zwei Jahren Assistenz an der ETH zu einem Ingenieurbuumlro fuumlr Ener-gie- und Haustechnik Waumlhrend dieser rund sechsjaumlhrigen Zeit war er bei anspruchsvol-len Bauprojekten verantwortlich fuumlr die Konzeption und Koordination der technischen Gebaumludeausruumlstung Zudem war er waumlhrend vier Jahren Mitglied der Geschaumlftsleitung Nach zweijaumlhriger Taumltigkeit als Abteilungsleiter in einer groumlsseren Gemeinde wechselte er zum Elek-trizitaumltswerk der Stadt Zuumlrich (EWZ) bei dem er die Abteilung Vertrieb Grosskunden leitete Daneben war Markus Saumlgesser beim EWZ in verschiedene Innovationsprojekte involviert So zeichnete er fuumlr das Projekt laquoStromzukunft Stadt Zuumlrichraquo verantwortlich das wichtige Grundlagen fuumlr die Strategie des EWZ und die Volksabstimmung zur 2000-Watt-Gesellschaft in der Stadt Zuumlrich beisteuerte

Stadtwerk Winterthur in Zahlen (2013)Mitarbeitende 347Nettoinvestitionen 1198 Mio CHFDurchgeleitete Strommenge 5643 Mio kWhUmsatz Strom 93 Mio CHFDurchgeleitete Gasmenge 5295 Mio kWhUmsatz Gas 411 Mio CHFUnternehmensgewinn 109 Mio CHF

einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der sozia-len Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Wann wurden in Winterthur die ersten Strassenlampen mithilfe von Stein-kohle erleuchtet

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Unternehmensperspektive

ckelte Hochspannungsgleichstromschalter sollen zudem sicherstellen dass etwa ein Kurzschluss durch eine hy-perschnelle Abschaltung isoliert und das Netz somit nicht gefaumlhrdet wird Von 14 solchen Schaltsystemen welt-weit stammen 13 von ABB Die hohen Investitionen fuumlr die armdicken Gleichstromkabel rechnen sich da beim Transport viel weniger Strom verloren geht als bei der tradi tionellen Wechselstromtechnik Die Produktelinie ent-wickelt sich zum Renner Sie wird zur Anbindung von So-lar- und Windparks zur Versorgung von Inseln als Ersatz fuumlr Diesel generatoren auf Oumll- und Gasplattformen auf See eingesetzt Oder um Starkstrom vom Festland zu auf dem Meeresboden platzierten ferngesteuerten Foumlrderanlagen fuumlr Gas und Oumll zu leiten ndash wofuumlr ABB auch wartungsfreie Kompressoren liefert damit Kunden wie Statoil und Pet-robras teure Ausfaumllle erspart bleiben

Komplettloumlsungen aus einer HandDank hohem Innovationstempo sind die Divisionen Ener-gietechnik- und Niederspannungsprodukte gut ausgelas-tet Dies gilt ebenso fuumlr die Divisionen Industrie- und Pro-zessautomation Speziell energieintensive Industrien die unter hohem Kostendruck stehen muumlssen ihre Anlagen auf dem neusten Stand halten Dazu zaumlhlen Bergbau Oumll- und Gasindustrie Zellstoff- Papier- und Zementfabriken Chemie- und Pharmafirmen sowie Raffinerien Gefragt sind auch Industrieroboter und schwenkbare dank ABB-Leistungselektronik stufenlos regulierbare Schiffsantrie-be ABB liefert Grosskunden fertige Loumlsungen die hohe Produktivitaumlt und Energieeffizienz gewaumlhrleisten Alles ist aufeinander abgestimmt von der Elektrik uumlber Antriebe Generatoren Roboter Sensoren und Steuerungen bis hin

Zu Beginn des Jahrtausends stand ABB am Abgrund Doch eine neue Fuumlhrungscrew fuumlhrte das Unternehmen aus der Krise sodass die Schweiz inzwischen wieder stolz sein kann auf ihren Industriemulti mit Sitz in Zuumlrich Oerli-kon 2013 erzielte ABB mit rund 148 000 Mitarbeitenden in 100 Laumlndern 42 Milliarden Dollar Umsatz Die renom-mierte US-Universitaumlt MIT zaumlhlt ABB zu den 50 innova-tivsten Unternehmen weltweit Dank 8 000 Ingenieuren in Forschung und Entwicklung und einem Forschungsetat von 15 Milliarden Dollar kann ABB selbst mit Giganten wie Siemens und General Electric mithalten

Innovationen die Technikfans begeisternWas ABB alles macht wissen wohl nur Technikfans Denn der Konzern hat uumlber 70 000 Produkte im Angebot Die 300 ABB-Fabriken liefern taumlglich 15 Millionen Kompo-nenten aus die zu elektrischen Einrichtungen oder in Pro-duktionssteuerungen verbaut werden Aus Kanada etwa kam juumlngst ein Grossauftrag uumlber 400 Millionen Dollar Erneuerbare Energie die auf Neufundland und Labrador gewonnen wird soll ab 2017 via Hochspannungskabel 360 Kilometer nach Westen fliessen um dort 350 000 Haumluser zu versorgen Weltweit gibt es erst 90 solche Gleichstromkabelverbindungen die meist unter der Erde oder auf dem Meeresgrund verlaufen ABB ist mit rund 50 Prozent Anteil Marktfuumlhrer Die futuristisch anmuten-de Technik in den abgeschirmten Hallen wo der Strom vor dem Transport auf Hochspannung transformiert wird erinnert an den Maschinenraum von Raumschiff Enter-prise Ein wichtiges Steuerungselement bilden dabei in Baden Daumlttwil entwickelte und in Lenzburg produzierte Spezialchips die Houmlchstspannung aushalten Neu entwi-

Der schweizerisch-schwedische Technikkonzern treibt an vor-derster Front die Energiewende voran Dafuumlr forscht man bei ABB intensiv zu erneuerbaren Energien schlauen Stromnetzen sowie hocheffizienten Industrieanlagen Einzig die schwache Nachfrage nach Energieanlagen in Europa bremst die ExpansionText Andreas Fluumltsch

Innovativer Treiber der Energiewende

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uumlber weite Strecken in die Ballungsraumlume geleitet werden muss brummt das Geschaumlft In den USA treibt der Oumll- und Gasboom die Nachfrage Nur in Europa harzt das Geschaumlft mit Grossanlagen Weniger Nachfrage belastet die Margen bei Auftraumlgen fuumlr Wind- und Solarfarmen so-wie fuumlr Netzinfrastruktur Die Risiken der oft mehrjaumlhrigen Projekte sind so hoch dass ABB waumlhlerischer sein muss und etwa das Geschaumlft mit Solarloumlsungen zurzeit auf Sparflamme betreibt Dennoch ist ABB immer noch hoch-profitabel nicht zuletzt da die Kosten Jahr fuumlr Jahr um 3 bis 5 Prozent gesenkt werden Aber der erfolgsgewohnte Konzern musste sich 2013 mit 6 Prozent Umsatzplus zu-friedengeben Umso intensiver treibt der neue ABB-Chef Ulrich Spiesshofer die Integration der vorab in den USA fuumlr 10 Milliarden Dollar getaumltigten Zukaumlufe voran Und Spiess-hofer forciert die Zusammenarbeit der Divisionen damit ABB die Unternehmensvision laquoEnergie und Produktivitaumlt fuumlr eine bessere Weltraquo mit moumlglichst vielen eigenen Pro-dukten realisieren kann

zur Leittechnik samt angepasster Software Kleine und mittlere Kunden ordern Komponenten oder Teilsysteme Ein wichtiges Verkaufsargument ist das Sparpotenzial von stufenlos steuerbaren Elektromotoren Nur einer von fuumlnf Motoren hat laut einer Erhebung des Bundes einen Leis-tungsregler der Rest laumluft auf Hochtouren und wird ndash man glaubt es kaum ndash bei Bedarf mit Klappen oder Ventilen mechanisch abgebremst Eine gigantische Verschwen-dung da Industriemotoren laut einer Studie der Schwei-zerischen Agentur fuumlr Energieeffizienz 27 Prozent des Schweizer Stromverbrauchs ausmachen

Europaumlische ZuruumlckhaltungEigentlich muumlsste die Division Energietechniksysteme ebenfalls ausgelastet sein Denn auch die Stromwirtschaft muss ihre Effizienz steigern Schliesslich erfordert die Energiewende einen Totalumbau der auf Verteilung ausge-richteten Netze damit diese unter der Last von Solar- und Windenergie nicht instabil werden Arbeit in Huumllle und Fuumllle fuumlr ABB sollte man meinen Doch der erst zaghafte Auf-schwung in Europa daumlmpft die Nachfrage Erschwerend kommt hinzu dass subventionierte Wind- und Solarener-gie in Europas liberalisiertem Strommarkt den Strompreis in ungeahnte Tiefen druumlckte Die Konkurrenzfaumlhigkeit von Wasser- Gas- und Atomkraftwerken hat gelitten Pump-speicher sind keine Goldesel mehr seit die erneuerbaren Energien die Preisspitzen brechen Entsprechend schie-ben Stromkonzerne wie Alpiq oder RWE Investitionen auf Unsicherheiten rund um den Atomausstieg belasten zu-saumltzlich Die voraussichtlich noch auf Jahre hinaus tiefen Strompreise schmaumllern auch die Faumlhigkeit der Besitzer von Hochspannungs- und Verteilnetzen deren Umruumlstung zu finanzieren hoch verschuldete EU-Staaten fahren die Foumlrderung von Wind- und Solarenergie zuruumlck

Straffe KostenkontrolleABB bekommt den Investitionsstau empfindlich zu spuuml-ren Die Division Energietechniksysteme schreibt seit eini-ger Zeit rote Zahlen Zwar ordern Grosskunden aus Asien und Lateinamerika weiterhin kraumlftig Neben China inves-tiert vermehrt auch Indien in neue Stromnetze Uumlberall dort wo die Bevoumllkerung rasch waumlchst oder der Strom

Andreas FluumltschAndreas Fluumltsch war urspruumlnglich Jurist und arbeitete ab 1983 als Journalist fuumlr laquoBlickraquo laquoWeltwocheraquo laquoBilanzraquo und laquoCashraquo Zwischen 1989 und 1990 war er Mitglied der Geschaumlftsleitung von Greenpeace Schweiz anschliessend Hausmann Nach der Ruumlck-kehr in den Journalismus 1992 arbeitete er bei laquoBlickraquo laquoSonntagszeitungraquo und laquoTages- Anzeigerraquo und absolvierte eine Ausbildung zum Boumlrsenhaumlndler Nach der Fruumlhpensio-nierung Ende 2013 machte er sich als Publi-zist selbststaumlndig

ABB in Zahlen (2013)Betriebsertrag 41 848 Mio USDBetriebsergebnis 4 387 Mio USDndash Industrieautomation 1 458 Mio USDndash Niederspannung 1 092 Mio USDndash Prozessautomation 990 Mio USDndash Energietechnik 1 331 Mio USDndash Energiesysteme 171 Mio USD

Mitarbeitende 147 700ndash davon in der Schweiz 6 966

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Hohe Nachfrage nach MinergieDer Erfolg der bisherigen Sparbemuumlhungen bleibt nicht aus laquoTrotz zunehmender Pro-Kopf-Wohnflaumlche und stei-gendem Komfort sinkt der Energieverbrauch fuumlrs Heizen in den letzten Jahrzehnten stetigraquo verkuumlndet der Zuumlrcher Regierungsrat im Energieplanungsbericht 2014 Dazu tra-gen nicht nur die laufend verschaumlrften Gesetze bei Ebenso wichtig ist die Bereitschaft von Bautraumlgerschaften freiwillig Uumlberdurchschnittliches zu leisten Vor allem die Minergie-Regeln werden inzwischen gerne befolgt weshalb Haumluser mit halbiertem Energieverbrauch beinahe Standard sind Schweizweit traumlgt eines von zehn neuen Wohnhaumlusern ein Minergie-Zertifikat Der Anteil an Minergie-Haumlusern im Grossraum Zuumlrich liegt gemaumlss einer Marktanalyse der Universitaumlt Zuumlrich bereits nahe bei 20 Prozent Dies ist privaten Hauseigentuumlmern und institutionellen Investoren zu verdanken Wohn- und Geschaumlftshaumluser mit houmlchster Energieeffizienz gehoumlren inzwischen zum guten Ton Den juumlngsten Beweis liefert eine Immobilienstiftung der Credit Suisse die 70 Millionen Franken in die groumlsste Oumlkosied-lung der Schweiz investiert Im Aargauer Reusstal wohnen seit diesem Jahr rund 200 Familien Paare und Singles deren Wohnhaumluser sich weitgehend selbst mit Sonnen-energie versorgen So klimafreundlich die Energiewende-Architektur ist der Investor erwartet dennoch marktuumlb-liche Renditen Ist der Markt aber bereit oumlkologisches Engagement angemessen zu honorieren

Marktpotenzial fruumlhzeitig erkanntDie Zuumlrcher Kantonalbank (ZKB) beziffert den Mehrwert von Minergie-Haumlusern auf 7 Prozent Kaumlufer seien bereit diesen Aufpreis fuumlr mehr Energieeffizienz zu bezahlen Als weitere Nebeneffekte nennt der vor drei Jahren publizierte ZKB-Bericht eine hochwertige dauerhafte Bausubstanz sowie die Absicherung gegen steigende Oumll- und Energie-preise Fachleute des Immobilienberatungsunternehmens Wuumlest amp Partner (WampP) warnen indes dass sich zusaumltz-liche Investitionen in die Energieeffizienz nicht uumlberall loh-nen laquoRegional schwankt die Zahlungsbereitschaft des Immobilienmarktsraquo praumlzisiert WampP-Partner Ivan Anton Minergie-Haumluser koumlnnen aber nicht nur in abgelegenen Regionen ein Marktrisiko werden laquoMit Ausnahme der

Beim Autokauf wird bevorzugt auf Pferdestaumlrken Be-schleunigung und Innenausstattung geachtet Der CO2-Ausstoss interessiert hingegen kaum So kommt die Energieeffizienz im Strassenverkehr nur stockend voran 1995 schluckten alle neu immatrikulierten Personen-wagen durchschnittlich 9 Liter Benzin pro 100 Kilometer 20 Jahre spaumlter liegt der Durchschnittsverbrauch gemaumlss Bundesamt fuumlr Energie (BFE) immer noch uumlber 6 Litern Das viel gepriesene laquoDrei-Liter-Autoraquo haben alle Hersteller wieder aus der Modellpalette genommen

Demgegenuumlber gelingen dem oft traumlge genannten Ge-baumludebereich weitaus groumlssere Effizienzspruumlnge Ver-brauchen 40 Jahre alte Haumluser im Schnitt 220 Kilowatt-stunden (kWh) Heizenergie pro Quadratmeter Wohnflaumlche und Jahr sind die aktuellen Werte unter die 50er-Marke gesunken Zusaumltzliche Sparerfolge sind nur eine Frage der Zeit Im Fruumlhsommer haben die kantonalen Energie-direktoren uumlber ein Rahmenabkommen beraten das Null-energieneubauten demnaumlchst zum Standard machen soll Wie die nationale Energiewende zu erreichen ist erklaumlrt Christoph Gmuumlr von der Abteilung Energie des Kantons Zuumlrich laquoDer spezifische Verbrauchswert ist zudem auf 35 kWh pro Quadratmeter zu senkenraquo Gebaumlude die sich mit umweltfreundlicher Energie selbst versorgen wollen auch die EU-Staaten Ab 2020 wird ein Gebaumludestandard eingefuumlhrt der nur noch laquoNiedrigstenergiegebaumluderaquo mit sehr hoher Energieeffizienz als Neubauten vorsieht

Energiesparhaumluser waren vor 30 Jahren Exoten inzwischen nimmt der Bereich der energie-effizienten Gebaumlude eine Vor-bildrolle fuumlr die Energie wende ein Bauherren profitieren davon ebenso wie die Zuliefer-branche Text Paul Knuumlsel

Expertensicht

Haumluser in der ersten Reihe

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der Bau von Niedrigenergiehaumlusern und alternativen Hei-zungsanlagen sowie energetische Gebaumludesanierungen Investitionen im Umfang von rund 4 Milliarden Franken ausgeloumlst rechnet der Bund vor laquoEin Fuumlnftel insgesamt 860 Millionen Franken stammt aus den oumlffentlichen Kas-senraquo verweist die BFE-Stelle EnergieSchweiz auf die Im-pulse der kantonalen Foumlrderprogramme Einen Wermuts-tropfen besitzt diese Wirkungsbilanz Fruumlhere Analysen der Energiesparprogramme zeigen naumlmlich dass zwi-schen einem Drittel und der Haumllfte der energetisch vorbild-lichen Gebaumlude auch ohne staatliche Foumlrderung realisiert worden waumlren Dem Mitnahmeeffekt ist auch die Eidge-noumlssische Steuerverwaltung auf der Spur Sie schaumltzt dass Bund und Kantonen jaumlhrlich 14 Milliarden Franken entgehen weil energetische Gebaumludesanierungen bei der Liegenschaftssteuer abzugsberechtigt sind Die Energie-wende erfordert nicht nur mehr Effizienz bei den Anwen-dungen sondern auch einen effizienten Einsatz staatlicher Mittel Im Energieplanungsbericht 2013 hat der Zuumlrcher Regierungsrat erstmals uumlber alternative Anreizsysteme nachgedacht Demnach soll eine Lenkungsabgabe den Energiekonsum reduzieren und das bisherige Foumlrdersys-tem abloumlsen Aumlhnliche Plaumlne verfolgt der Bund Denn ein Lenkungssystem duumlrfte weitere Sparbemuumlhungen im Ge-baumludebereich aber auch im Strassenverkehr foumlrdern Ins-besondere dann wenn Heizoumll und Benzin im Gleichschritt teurer werden

begehrten Wohnlagen haben Hauseigentuumlmer an vielen Orten mit moumlglichen Verkaufsverlusten zu rechnenraquo so Anton Zwar sei die Nachfrage bei Eigentuumlmern und Mie-tern aumlhnlich gross Aber auch Mieter wuumlrden nicht uumlberall mehr fuumlr eine energieeffiziente Wohnung bezahlen Kaum uumlberraschen darf daher dass Immobilieninvestoren immer haumlufiger die steigenden Energieanforderungen kritisieren und kostenguumlnstigere Baustandards vorziehen Fuumlr WampP-Berater Urs Hausmann ist laquonachhaltiges Bauen trotzdem keine Frage von Luxus oder Wohlstand sondern eine wie man mit Ressourcen umgehen willraquo Dass ein hohes Um-weltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauen Der Run auf den oumlkologischen Baustoff Holz laumlsst zum Beispiel eine gesamte Wertschoumlpfungskette und viele

innovative Unternehmen profitieren Forstbetriebe Sauml-gereien Fensterbauer Daumlmmstoffhersteller und andere Bauzulieferer vergroumlssern ihre Produktionskapazitaumlten und stellen zusaumltzliches Personal ein laquoDie Umsaumltze im Schweizer Holzbau sind in den letzten Jahren um mehrere Hundert Millionen Franken gestiegen und die Trendkurve zeigt weiter nach obenraquo freut sich Christoph Starck Di-rektor des Holzbaudachverbands Lignum

Einheimische Zulieferer als GewinnerAuch im Verein Minergie ist man sich bewusst dass sich energieeffizientes Bauen wirtschaftlich positiv auswirkt In den letzten 15 Jahren sind 25 000 Wohnhaumluser Buumlro-komplexe Schulbauten Sport- und Industriehallen mit Niedrig energiezertifikat entstanden Gemeinsam sparen sie 15 Milliarden Kilowattstunden Energie laquoUumlber 2 Milliar-den Franken wurden zusaumltzlich investiertraquo rechnet Miner-gie-Sprecher Antonio Milelli vor Anstatt fossile Brennstoffe einzukaufen wird mehr Geld fuumlr Daumlmmstoffe Isolierfenster Luumlftungsanlagen und Sonnenkollektoren aus inlaumlndischer Fabrikation ausgegeben Zwischen 2001 und 2012 haben

Paul KnuumlselPaul Knuumlsel studierte Umweltnaturwissen-schaften an der ETH Zuumlrich Er ist unabhaumln-giger Wissenschaftsjournalist und schreibt seit Jahren in Publikums- und Fachmedien uumlber die vielfaumlltigen Aspekte des nachhalti-gen Bauens Zusaumltzlich betreut er in der Re-daktion des laquoTEC21raquo das Ressort laquoEnergie und Umweltraquo

laquoDass ein hohes Umweltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren

derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauenraquo

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Der Wasserkraft Sorge tragen

Welchen Beitrag kann die Wasserwirtschaft zur Energie-wende leisten Roger Pfammatter Die Wasserkraft ist der energie-politische Trumpf der Schweiz Wir befinden uns in der gluumlcklichen Lage uumlber grosse Mengen Wasser und das notwendige Gefaumllle zu verfuumlgen ndash das sind die beiden wichtigsten Voraussetzungen fuumlr die hydroelektrische Produktion Und wir haben in den vergangenen 100 Jah-ren gelernt dieses Potenzial effizient und moumlglichst um-weltschonend zu nutzen Die Wasserkraft ist der Schluumls-sel fuumlr eine nachhaltige Energieversorgung technisch ausgereift politisch erwuumlnscht einheimisch erneuerbar und CO2-frei

Wie viel mehr ist moumlglichHeute leistet die Wasserkraft nicht nur rund 60 Prozent der Stromproduktion in der Schweiz sondern bietet auch unverzichtbare Regel- und Systemdienstleistungen die markant an Bedeutung gewinnen werden Vor allem bei der Flexibilisierung der Wasserkraft durch mehr Leistung und Speichervolumen waumlre noch einiges moumlglich Um die Aufgaben weiterhin zu gewaumlhrleisten muumlssen wir aber primaumlr dem Bestehenden Sorge tragen

Die Energiestrategie des Bundes gibt aber klare Ausbau-ziele vor Bis 2035 soll die Stromproduktion aus Wasser-kraft um 10 Prozent steigenUnter den momentanen Rahmenbedingungen ist dieses Ausbauziel nicht realistisch Im Gegenteil Aufgrund der Restwasserbestimmungen wird die Produktion in den naumlchsten Jahren vermutlich sogar zuruumlckgehen

Die Wasserkraft ist der wichtigste Pfeiler der Schweizer Ener-giewirtschaft ihr Potenzial ist aber weitgehend ausgeschoumlpft Roger Pfammatter Geschaumlftsfuumlhrer des Wasserwirtschaftsver-bands gibt im Interview Auskunft uumlber die Lage der Branche und ihre Bedeutung fuumlr die EnergiezukunftInterview Florian Wehrli

Expertensicht

Was muss sich aumlndern damit die vorgegebenen Ziele um-gesetzt werden koumlnnenZum einen braucht es dafuumlr die Akzeptanz der Umweltver-baumlnde der Fischer und letztlich der gesamten Bevoumllkerung Zum anderen muumlssen laumlngerfristig die extremen Marktver-zerrungen abgebaut werden damit sich auch Investitionen in die nicht gefoumlrderte Wasserkraft wieder lohnen Heute wird nur noch in subventionierte Anlagen investiert

Wer ist hier in der PflichtHier ist die Politik gefordert die Rahmenbedingungen zu verbessern Denn ohne die Wasserkraft kann die Energie-wende nicht gelingen

Anfang Jahr wurde der Wasserwirtschaftsverband von den zustaumlndigen Kommissionen angehoumlrt Welche Forderun-gen hat die Branche an das ParlamentWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerba-re Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichten die bereits bis zur Haumllfte der Geste-hungskosten ausmachen Damit sind wir doppelt diskrimi-niert Die Wasserkraft ist extrem unter Preisdruck ndash und dies obwohl sie mit Gestehungskosten zwischen 3 und 10 Rappen pro Kilowattstunde die effizienteste Strompro-duktionstechnologie ist Nur zum Vergleich Fotovoltaik -anlagen werden heute mit rund 40 Rappen subventioniert

Bis 2011 liess sich mit der Grosswasserkraft noch viel Geld verdienen Wurden zu wenige Ruumlcklagen fuumlr schlechte Zei-ten gebildet

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Es kann nicht der Sinn sein Ruumlcklagen fuumlr Zeiten zu bil-den in denen die Marktpreise die Gestehungskosten nicht mehr decken Das waumlre wie wenn ein Baumlcker auf jedem Gipfeli einige Rappen zuruumlckbehalten muumlsste damit er sie am naumlchsten Tag gratis abgeben kann Mit dem durch Subventionen verzerrten Marktpreis von 4 bis 5 Rappen pro Kilowattstunde ist unter den konventionellen Energie-traumlgern praktisch nur Kohle konkurrenzfaumlhig Das ist be-stimmt nicht im Sinn der Energiewende

Drei Grosswasserkraftprojekte sind heute bereits im Bau Koumlnnen die enormen Kosten uumlberhaupt amortisiert wer-denPrognosen sind schwierig An der europaumlischen Strom-boumlrse (EEX) werden bis 2020 Strompreise zwischen 45 und 53 Rappen pro Kilowattstunde gehandelt Der Markt glaubt also nicht an eine baldige Erholung Dafuumlr muumlsste das Uumlberangebot in Europa zuruumlckgehen etwa uumlber die Anhebung des CO2-Preises von heute 5 auf mindestens 30 Euro pro Tonne Politisch ist das aber kaum durchsetz-bar Neue Pumpspeicherwerke werden sich deshalb wohl erst in mehreren Jahrzehnten lohnen

Was kann die Kleinwasserkraft leistenOhne die kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) wuumlr-de niemand Kleinwasserkraftanlagen bauen genauso we-nig wie Fotovoltaik- Wind- oder Biomasseanlagen Zurzeit gibt es aber allein bei der Kleinwasserkraft rund 1 000 An-meldungen fuumlr Foumlrderbeitraumlge mit einem bescheidenen Ge-samtpotenzial von 33 Terawattstunden pro Jahr Die oumlko-logischen Auswirkungen sind im Vergleich zum Ertrag zu gross Obwohl wir von marktverzerrenden Foumlrderprogram-men wegkommen sollten waumlre es in einer Uumlbergangs phase sinnvoll die KEV-Obergrenze von 10 Mega watt aufzuheben und dort zu foumlrdern wo es wirklich etwas bringt

Wie soll die Grosswasserkraft unterstuumltzt werdenDas Sinnvollste waumlre die Abkehr von der Subventions-maschinerie ndash und zwar auf europaumlischer Ebene Dann wuumlrde sich die Wasserkraft als effiziente erneuerbare Stromproduktionsform mit Sicherheit durchsetzen Min-destens als Uumlbergangsloumlsung waumlre aber die Entlastung

von Abgaben in erster Linie vom Wasserzins dringend Der maximale Wasserzins wurde in den letzten vier Jahren um 38 Prozent erhoumlht und wird naumlchstes Jahr um weite-re 10 Prozent angehoben Diese Erhoumlhung wurde 2008 beschlossen und steht heute in keinerlei Bezug mehr zur Ertrags lage Kurzfristig koumlnnten die Kantone auf einen Teil dieser Zinsen verzichten ndash das waumlre ein wichtiges politi-sches Zeichen Langfristig muss ein neuer Modus fuumlr die Zinsberechnung gefunden werden der die Ertragslage der Wasserkraft mitberuumlcksichtigt Das ist auch im Interesse von Bund Kantonen und Gemeinden schliesslich ist die Wasserkraft zu 85 Prozent in oumlffentlicher Hand Ebenfalls als Uumlbergangsloumlsung bis zu besseren Marktpreisen waumlren zinsguumlnstige Darlehen fuumlr die noumltigen Investitionen in die Grosswasserkraft denkbar Ohne mindestens eine dieser Massnahmen kann die Wasserwirtschaft das geforderte Ausbauziel nicht erreichen

Bis dahin gibt es noch eine weitere Huumlrde den Heimfall der Stauanlagen an die Standortgemeinden Welchen Ein-fluss hat dieser UmstandWenn die Konzessionen nach 80 oder 100 Jahren aus-laufen muss der Betreiber der Gemeinde eine Entschaumldi-gung fuumlr den Restwert der Anlagen entrichten Im Fall der Staumauer Barberine bezahlen die SBB und Alpiq 2017 an sechs Walliser Gemeinden 343 Millionen Franken Das 400-Seelen-Dorf Finhaut erhaumllt alleine 112 Millionen Fran-ken und weiss kaum wohin mit dem Geld Der gesamte Wert des Heimfalls der Anlagen bewegt sich schweizweit im Milliardenbereich Der Houmlhepunkt des Heimfalls wird um 2035 erreicht werden Bis zu diesem Zeitpunkt soll aber auch ein Grossteil der geforderten Produktionsstei-gerung umgesetzt werden

Bei der Stromproduktion ist ein Ausbau von uumlber 10 Pro-zent wohl nicht realistisch Wie sieht es bei der Speicher-leistung aus Hier muss man unterscheiden zwischen kurzfristiger und saisonaler Speicherung Fuumlr die saisonale Speicherung verfuumlgt die Schweiz mit 200 Speicherseen uumlber ein Vo-lumen von rund 9 000 Gigawattstunden (GWh) die jedes Jahr vom Sommer in den Winter umgelagert werden Dies

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Expertensicht

entspricht einem Viertel der jaumlhrlichen Produktion aus Wasserkraft Das Ausbaupotenzial durch die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren betraumlgt rund 2 000 GWh Falls der Ausbau aber nicht gelingt entsteht im Winter durch den Ausfall der Kernenergie eine immer groumlssere Luumlcke an Bandenergie die durch den Import von Atom- oder Kohlestrom gedeckt werden muss

Wie sieht es beim Ausbau der Pumpleistung zum kurzfris-tigen Ausgleich von Schwankungen im Netz ausGrundsaumltzlich ist das Potenzial fuumlr Pumpspeicherwerke in der Schweiz riesig Es braucht nur zwei Seen auf unter-schiedlicher Houmlhe Die Frage ist ob sich solche Investi-tionen rechnen Die Pumpspeicherwerke finanzieren sich

uumlber den Preisunterschied zwischen Band- und Spitzen-energie Wenn an einem schoumlnen Sommertag in Europa mittags die geballte Ladung an Sonnen- und Windener-gie eingespeist wird koumlnnen die Pumpspeicherkraftwerke sehr guumlnstig oder sogar zu Negativpreisen Strom bezie-hen Man darf aber nicht vergessen dass dieselbe Situa-tion fuumlr die Laufwasserkraftwerke die rund die Haumllfte der Wasserkraftproduktion in der Schweiz ausmachen den gegenteiligen Effekt hat Diese koumlnnen aus technischen konzessionsrechtlichen oder oumlkologischen Gruumlnden nicht vom Netz genommen werden und muumlssen fuumlr ihre Strom-produktion bezahlen Das kann gehoumlrig ins Geld gehen An Weihnachten 2012 lag der Strompreis zum Beispiel bei minus 30 Rappen pro Kilowattstunde

Roger Pfammatter laquoWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerbare Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichtenraquo

Bild Florian Wehrli

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cherseen zur Flexibilisierung Damit das gelingt muss der Wert der Wasserkraft staumlrker im Bewusstsein der Bevoumllke-rung verankert sein Und nicht zuletzt muss der Marktpreis so weit uumlber den Gestehungskosten liegen dass sich In-vestitionen in die Wasserwirtschaft rentieren

Versuchen das Bestehende zu erhalten Diese Vision klingt etwas resigniertDas ist eine Frage der Perspektive Die Wasserkraft hat als Technologie in der Schweiz seit Langem Bestand Sie befindet sich in einer anderen Situation als Fotovoltaik und Windenergie die sich in einem hochdynamischen Umfeld mit grossem Potenzial in Forschung und Wachstum be-finden Die Wasserkraft ist dagegen nicht mehr in der Auf-bruchsphase sondern in der Konsolidierungsphase Da-fuumlr kann man sich auf die Wasserkraftwerke verlassen Sie produzieren bei Tag und in der Nacht im Sommer wie im Winter bei Windstille oder im Nebel Auch der Erhalt und die Optimierung des Bestehenden sind grosse Heraus-forderungen und bedingen grosse Investitionen

Sehen Sie eine Moumlglichkeit wie die Schweizer Wasser-wirtschaft in Zukunft Geld mit Systemdienstleistungen wie Netzstabilitaumlt verdienen kannDie unregelmaumlssig einspeisenden Stromproduzenten neh-men keinerlei Systemverantwortung wahr Ich habe selbst ein Solarpanel auf dem Dach Wenn Produktion moumlglich ist speise ich Strom ins Netz ein wenn nicht beziehe ich Die Produzenten mehr in die Verantwortung zu nehmen faumlnde ich sinnvoll ndash zum Beispiel uumlber Zertifikate fuumlr Spei-cherleistungen Diese koumlnnten bei Pumpspeicherwerken bezogen werden

Welcher Ausbau der Pumpspeicherleistung ist dafuumlr noumltigDie installierte Leistung betraumlgt heute rund 14 Gigawatt (GW) Mit den im Bau befindlichen und den geplanten An-lagen kann die Kapazitaumlt maximal auf 51 GW ausgebaut werden ndash etwa die Haumllfte der Jahreshoumlchstlast im Netz Damit die Schweizer Wasserkraft aber einen Beitrag zur Stabilitaumlt des europaumlischen Stromnetzes leisten kann muumlssten auch das Stauvolumen und die Leitungskapazi-taumlt erhoumlht werden Hier sind die Einsprachen von Anwoh-nern und Umweltverbaumlnden noch gravierender als bei den Anlagen selbst

Braucht es neue rechtliche Instrumente um den geplan-ten Ausbau durchsetzen zu koumlnnenEs braucht vor allem die Einsicht dass die Wasserkraft das Ruumlckgrat unserer Versorgungssicherheit ist und die Aus-wirkungen eines Ausbaus immer auch mit den Alternativen verglichen werden muumlssen Wir befinden uns aber auch in einem intensiv genutzten Land mit vielen Partikularinteres-sen Diese muumlssen gewichtet und abgewogen werden In der Abwaumlgung zwischen Landschaftsschutz und Wasser-nutzung waumlre es hilfreich wenn Grosswasserkraftanlagen den Status von nationalem Interesse erhalten

Wie soll die Schweizer Wasserwirtschaft im Jahr 2035 aussehenIch wuumlnsche mir dass die bestehende Infrastruktur auf dem heutigen Stand erhalten optimiert oumlkologisiert und im Idealfall etwas ausgebaut wird Dazu gehoumlren etwa die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren sowie neue Spei-

Roger PfammatterSeit seinem Ingenieurstudium an der ETH Zuumlrich hat er sich in ver-schiedenen Rollen dem Wasser verschrieben Nach sieben Lehr- und Wanderjahren in der Forschung und in der Entwicklungszusammen-arbeit war er zehn Jahre beim Ingenieurunternehmen Ernst Basler + Partner engagiert Seit 2010 ist er Geschaumlftsfuumlhrer des Schweizeri-schen Wasserwirtschaftsverbandes (SWV) und Herausgeber der Zeit-schrift laquoWasser Energie Luftraquo In diesen Funktionen setzt er sich ein fuumlr den Fachaustausch und gute Rahmenbedingungen in den Bereichen Wasserkraft und Hochwasserschutz

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Die globalen Energiemaumlrkte sind seit einigen Jahren stark in Bewegung Volatile Erdoumllpreise die Foumlrderung von un-konventionellen Gasvorkommen in grossem Stil die mas-sive Subventionierung von neuen erneuerbaren Energien in Deutschland der laquoarabische Fruumlhlingraquo und der Konflikt in der Ukraine hinterlassen Spuren Die Folge sind starke Verwerfungen an den Maumlrkten und fehlende Investitionssi-cherheit In diesem dynamischen und unsicheren Kontext will der Bund die bisherige Energiepolitik neu ausrichten ndash wahrlich eine Herkulesaufgabe Die Schweizer Wirtschaft verlangt dass der Bund bei der Neuausrichtung der Ener-giepolitik seinem in der Verfassung verankerten Auftrag nachkommt und sich fuumlr eine ausreichende sichere breit gefaumlcherte wirtschaftliche und umweltvertraumlgliche Ener-gieversorgung einsetzt Somit ist klar Die Energiestrate-gie 2050 muss in erheblichen Teilen optimiert und justiert werden Nur wenn vernetzt gedacht wird ist eine sichere Versorgung zu wettbewerbsfaumlhigen Preisen moumlglich

Prognosen klaffen weit auseinanderSeit Jahrzehnten bietet der Strommix aus Wasserkraft (knapp 60 Prozent) und Kernenergie (40 Prozent) Gewaumlhr fuumlr eine sichere klimafreundliche und wirtschaftliche Ener-gieversorgung Im Rahmen der Energiestrategie 2050 muss die Kernenergie langfristig ersetzt werden Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen zumal die Ziele des Bundes

Lebenselixier der Wirtschaft

Die Schweizer Wirtschaft ist auch in Zukunft auf eine sichere und wirtschaftliche Stromver-sorgung angewiesen Die Ener-giestrategie 2050 setzt stark auf Subventionen Dadurch entstehen Fehlanreize welche die Versorgungssicherheit ge-faumlhrdenText Kurt Lanz

Expertensicht

in Bezug auf das Potenzial der neuen erneuerbaren Ener-gien von Wunschdenken geleitet sind Die neuen erneuer-baren Energien werden sich langsamer entwickeln als an-gestrebt Der Bund rechnet mit rund 12 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2035 die Schweizer Wirtschaft mit 44 TWh Die vorsichtigeren Prognosen der Wirtschaft scheinen re-alistischer Dies zeigen exemplarisch die gescheiterten Geothermieprojekte in Basel und St Gallen Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Nachfrageprognosen Der Bund rechnet in seinen Szenarien mit einem Ruumlckgang des Stromverbrauchs pro Kopf von 16 Prozent zwischen 2000 und 2035 Die Schweizer Wirtschaft orientiert sich in ihren Szenarien am Verband Schweizerischer Elektrizitaumlts-unternehmen (VSE) der weiter mit einer steigenden Nach-frage rechnet Die Wirtschaft fordert von der Politik eine vernuumlnftige Planung aufgrund realistischer Schaumltzungen Die Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energiestrategie nicht gefaumlhrdet werden

Subventionen fuumlhren zu FehlanreizenDie Schweiz hat seit vielen Jahrzehnten erfolgreich die Wasserkraft vorangetrieben Aus politischen Gruumlnden wird nun die ndash unregelmaumlssige ndash Stromproduktion durch Sonnen- und Windenergie forciert Unsere sogenann-te kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) entspricht dem deutschen Foumlrdermodell Beide haben das gleiche Ziel Sie sollen erneuerbare Energien ausbauen indem sie neue Formen der Stromproduktion zur Marktreife brin-gen Weil das KEV-System die Sonnen- und Windenergie massiv foumlrdert kommt ein weiterer Ausbau der bewaumlhrten Wasserkraft nicht infrage Diese Entwicklung gefaumlhrdet die Versorgungssicherheit der Schweiz Auf den ersten Blick sinken zwar die Produktionskosten fuumlr Solarstrom gleich-zeitig steigen aber die Kosten fuumlr Speicherung und Inte-gration ins Netz spuumlrbar Auch ist der Ausbau von Solar- und Windenergie nur von beschraumlnktem Nutzen solange keine ausreichenden Speicherkapazitaumlten vorhanden sind Nur Preissignale koumlnnen das Investitionsverhalten von Stromproduzenten Netzbetreibern und Konsumen-ten sinnvoll lenken Subventionen sind zu beseitigen denn sie fuumlhren zu Fehlanreizen

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Alle Optionen offenhaltenOffenheit und Neugier gehoumlren zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft Kategorisches Abwehrverhalten und Denkverbote verhindern konstruktive Loumlsungsansaumltze und Innovation Eine sichere und kostenguumlnstige Strom-versorgung kann auch in Zukunft nur mit der notwendi-gen Offenheit gegenuumlber allen Technologien und Energie-

systemen garantiert werden Die Schweiz ist dank einer erfolgreichen Hochschulland-schaft und vielen Technolo-gieunternehmen gut geruumlstet Die verschiedenen Energie-systeme muumlssen faktenba-siert und ohne ideologische

Scheuklappen verglichen werden Nur so koumlnnen effizi-ente und umweltvertraumlgliche Loumlsungen gefunden werden Das heutige System der Foumlrderung der neuen erneuer-baren Energien ist durch ein marktorientiertes System ab-zuloumlsen Produzenten die nachfragegerecht einspeisen sollen eine houmlhere Verguumltung erhalten als andere Auch soll der Vorrang der Netzeinspeisung fuumlr subventionierte Energietraumlger aufgehoben werden

laquoDie Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit

des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energie strategie nicht

gefaumlhrdet werdenraquo

Schnellere Verfahren anstrebenGrundvoraussetzung fuumlr eine Neuausrichtung der Ener-giepolitik sind funktionierende Stromnetze Diese muumls-sen zwingend parallel zum Umbau der Stromproduktion weiterentwickelt werden Allein der noumltige Ausbau der Uumlbertragungsnetze belaumluft sich auf rund 1 000 Kilometer bis ins Jahr 2020 Erforderlich sind zudem Investitionen in alle Verteilernetzebenen Al-lerdings verzoumlgern komplizier-te Verfahren auf Kantons- und Bundesebene den Ausbau Ausserdem erwaumlchst praktisch jedem Projekt Widerstand von privater Seite was zu weiteren Verzoumlgerungen fuumlhrt Die Wirt-schaft fordert deshalb Bei Bewilligungen von Stromnetzen ist der Gang vors Bundesgericht nur noch bei Grundsatz-fragen moumlglich Umbauten sowie Spannungs- und Kapa-zitaumltserweiterungen koumlnnen ohne Planungsgenehmigung realisiert werden Ausserdem sind die Verfahren bei einer einzigen Leitbehoumlrde anzusiedeln

Spielfeld erweiternDie Schweiz ist seit jeher ein wichtiges Stromtransitland Schon seit den 90er-Jahren treibt die EU die Vereinheitli-chung des Binnenmarkts fuumlr Strom hin zu einem eigent-lichen EU-Strommarkt voran In der Schweiz erweist sich die gesetzliche Trennung von Grundversorgung und Markt diesbezuumlglich zunehmend als Hindernis Aus Sicht der Wirtschaft ist die vollstaumlndige Liberalisierung des Strom-markts eine zwingende Voraussetzung fuumlr eine erfolgrei-che energiepolitische Neuausrichtung

Eine Marktoumlffnung wuumlrde insbesondere auch den erneuer-baren Energien neue Chancen eroumlffnen und Zugang zu neuen Kunden gewaumlhren Von hoher Wichtigkeit ist auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU Je groumlsser der Anteil erneuerbarer Energien umso wichtiger ist die Einbettung in Europa denn Investitionen in Netze und Produktion koumlnnen in Koordination mit der EU wirkungsvoller und wahrscheinlich kostenguumlnstiger getaumltigt werden

Kurt LanzKurt Lanz ist Leiter Infrastruktur Energie und Umwelt sowie Geschaumlftsleitungsmitglied von economiesuisse dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft

Gut vernetzt ndash Vorschlaumlge der Schweizer Wirtschaftzur EnergiepolitikDie Publikation basiert auf der Grundlagenarbeit der breit abgestuumltz-ten Energiekommission von economiesuisse und macht konstruk-tive Vorschlaumlge fuumlr einen erfolgreichen energiepolitischen Weg der Schweiz Download unter wwweconomiesuissech

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

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Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

wwwsmlzhawch

Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 3: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

3COMPETENCE | 2014

Inhalt

Vorwort 5

CEO-PerspektivelaquoMit Schulterklopfen laumlsst sich kein Geld verdienenraquo Interview mit Dr Suzanne Thoma 6

HintergrundFukushima gibt den Takt vor Dr Monika Gisler 10

Auf dem Weg zu einer nach haltigen Energieversorgung Dr Walter Steinmann 13

Hochschulperspektive

Loumlsungen suchen bevor es zum Rechtsstreit kommt Prof Dr Andreas Abegg und Prof Dr Reneacute Wiederkehr 16

Negawatt statt Megawatt Rolf Rellstab 18

Klima im Wandel ndash Emissionsrechte im Handel Dr Regina Betz 21

Energie haltbar machen Prof Dr Petr Korba 24

Dissonanz an der Steckdose Dr Claudio Cometta 26

Unternehmensperspektive Vom Versorger zum Dienstleister Florian Wehrli 28

Innovativer Treiber der Energiewende Andreas Fluumltsch 32

ExpertensichtHaumluser in der ersten Reihe Paul Knuumlsel 34

laquoDer Wasserkraft Sorge tragenraquo Interview mit Roger Pfammatter 36

Lebenselixier der Wirtschaft Kurt Lanz 40

Alumni-Perspektive Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger Florian Wehrli 43

PerspektivenwechselDie grundlegendere Effizienz Marcel Haumlnggi 47

Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen 50

Glossar 52

Wie viel Wald steht den Einwohnerinnen und Einwohnern von Winterthur zur Verfuumlgung

5COMPETENCE | 2014

Die Energiewende bewegt die Schweiz Wohin die Reise geht ist hingegen noch nicht restlos klar Zwar gibt der Bundesrat mit der Energie-strategie 2050 die Richtung vor (S 13) doch insbesondere die Wirtschafts-verbaumlnde (S 40) die sich um die Ver-sorgungssicherheit und Konkurrenz-faumlhigkeit des Standorts sorgen treten

auf die Bremse und pochen auf eine Kurskorrektur Es gilt ihre Befuumlrchtungen ernst zu nehmen und tragfaumlhige Loumlsungen zu entwickeln Hier steht dem Gesetzgeber noch ein steiniger Weg bevor

Dennoch Der politische Wille weniger und effizienter Energie zu verbrauchen entsprechendes Verhalten zu be-lohnen und Innovationen zu foumlrdern ist spuumlrbar Und allen Bedenken zum Trotz birgt die Energiewende auch wirt-schaftliche Chancen Chancen die es zu nutzen gilt So muumlssen sich grosse Energieversorger wie die BKW neu positionieren Im Interview erklaumlrt CEO Suzanne Thoma wie sich das Unternehmen angesichts der neuen Rah-menbedingungen vom Versorger zum Dienstleister wan-delt (S 6) Sie verraumlt in welchen Bereichen kuumlnftig inves-tiert wird zeigt aber auch auf wo sich derzeit kein Geld verdienen laumlsst Schwer hat es insbesondere die Wasser-kraft seit Jahrzehnten wichtigster Pfeiler der Schweizer Stromversorgung Sie bleibt zwischen marktverzerrenden Subventionen hohen Abgaben und Partikularinteres-sen derzeit auf der Strecke Doch nicht nur ihre Vertreter fordern neue Rahmenbedingungen um Investitionen zu

Prof Andreacute HaelgLeiter ZHAW School of Management and Law

sichern und Potenziale zu nutzen (S 36) Auch der Aus-bau der neuen erneuerbaren Energien erfordert mehr Rechtssicherheit Mit welchen Mitteln diese herbeigefuumlhrt werden kann lesen Sie auf Seite 16

Bezuumlglich Energieeffizienz eilen Technologieunternehmen wie ABB mit ihren Innovationen weit voraus (S 32) Fuumlr den Umbau zu einer nachhaltigen Energieversorgung sind aber auch die Hochschulen zentral Die Zuumlrcher Hoch-schule fuumlr Angewandte Wissenschaften hat schon vor einigen Jahren die Energieforschung als Schwerpunkt de-finiert Forschende unterschiedlicher Disziplinen arbeiten Hand in Hand um Antworten auf draumlngende Fragen zu finden So untersucht beispielsweise ein laufendes Projekt die Wirksamkeit bisheriger Energieeffizienzprogramme fuumlr KMU und gibt Empfehlungen wie diese zu verbessern ist (S 18) Mit solchen und vielen weiteren Aktivitaumlten tragen wir dazu bei die Energiewende auf den richtigen Weg zu bringen

Eine Reise ins Ungewisse ist immer mit Risiken verbun - den Doch in einer dynamischen Welt kann es bisweilen gefaumlhrlicher sein stehen zu bleiben Oder wie der damalige US-Praumlsident Abraham Lincoln bereits vor uumlber 150 Jah - ren pointiert bemerkte laquoWe must plan for the future be-cause people who stay in the present will remain in the pastraquo Mit ihrer Forschung zaumlhlen Hochschulen zur Avant-garde der gesellschaftlichen technischen und wirtschaft-lichen Entwicklung Die Verantwortung die sich daraus ableitet nehmen wir gerne wahr In diesem Sinne volle Kraft voraus

Vorwort

Building Competence

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CEO-Perspektive

laquoMit Schulterklopfen laumlsst sich kein Geld verdienenraquo

nuumltz herumstehen lassen sondern rasch zuruumlckbauen Bis 2019 haben wir dafuumlr nicht nur die noumltigen Mittel zuruumlck-gestellt sondern auch ausreichend Zeit um das Projekt sauber vorzubereiten und alle Bewilligungen einzuholen

Laut Energiestrategie 2050 des Bundes wird der Ausstieg aus der Kernenergie in der Schweiz ohne Gaskombikraft-werke kaum gelingen Auch die BKW hat entsprechen-de Projekte Wie beurteilen Sie allfaumlllige Risiken bezuumlglich VersorgungssicherheitKurzfristig ist das Risiko einer Stromluumlcke aumlusserst klein Mit dem Ausstieg aus der Kernenergie koumlnnte das Thema jedoch spaumlter aktuell werden Ich sehe ein anderes Pro-blem Wie koumlnnen wir das Stromnetz stabil halten wenn ein namhafter Teil der Produktion wetter- und tageszeitab-haumlngig anfaumlllt Gaskraftwerke koumlnnten eine Rolle spielen da sie kurzfristig an- und abgeschaltet werden koumlnnen Sie stehen dabei in Konkurrenz zu den Pumpspeicher-kraftwerken Im heutigen wirtschaftlichen Umfeld mit sin-kenden Preisen fuumlr Dienstleistungen zur Erhaltung der Systemstabilitaumlt bestehen aber keine Investitionsanreize weder fuumlr Pumpspeicher- noch fuumlr Gaskraftwerke

Die Konzernstrategie BKW 2030 erwaumlhnt grosse Investitio-nen Wo wird die BKW besonders stark investierenDie Investitionen fliessen in die Erhaltung der Produktions-infrastruktur und in die Netze Weiter investieren wir in neue erneuerbare Energien und nicht zuletzt in den Auf-bau neuer Geschaumlftsfelder

Investitionen in Kraftwerke und Netze Subventionen fuumlr erneuerbare Energien die den Marktpreis verzerren ndash kann man mit Strom noch Geld verdienenSuzanne Thoma In der subventionierten Stromproduk-tion ja Die marktabhaumlngige Produktion ist bei den aktuell sehr tiefen Strompreisen houmlchst anspruchsvoll

Erwarten Sie dass sich dies in naumlchster Zeit aumlndertWir befassen uns intensiv mit dieser Frage und simulie-ren die Strompreise anhand diverser Marktmodelle Diese zeigen dass der Strompreis in den naumlchsten Jahren tief bleiben sich dann aber signifikant erholen wird Aus der Finanzbranche ist bekannt dass Modellrechnungen leider nur so gut sind wie deren Input Es gibt durchaus Ten-denzen die dafuumlr sorgen koumlnnten dass der Strompreis laumlngerfristig tief bleibt

Die BKW wird das Kernkraftwerk Muumlhleberg 2019 vom Netz nehmen Eine Volksinitiative welche die sofortige Abschaltung forderte wurde im Mai 2014 vom Berner Stimmvolk deutlich abgelehnt Hat Sie das uumlberraschtIch war erfreut uumlberrascht war ich nicht Sachlich betrach-tet haben wir mit Muumlhleberg den vernuumlnftigen Weg einge-schlagen Da das Thema Kernenergie in der Gesellschaft emotional behaftet ist konnten wir aber nicht sicher sein dass die Initiative in dieser Deutlichkeit abgelehnt wird Die Problematik der Initiative war dass wir haumltten abschalten muumlssen ohne mit dem Ruumlckbau beginnen zu koumlnnen Geht ein Kernkraftwerk vom Netz sollte man es nicht un-

Die Energiewende stellt die Stromversorger vor grosse Heraus-forderungen Suzanne Thoma CEO der BKW AG gewaumlhrt Einblicke in die Strategie eines der bedeutendsten Schweizer Energieunternehmen Sie spricht uumlber den Wandel vom Ver-sorger zum Dienstleister sowie uumlber Rahmen bedingungen der StromproduktionInterview Adrian Sulzer

7COMPETENCE | 2014

Ein Fokus ist der Ausbau der Windenergie Hierzulande sind aber viele windreiche Gegenden Schutzgebiete Wird die BKW vornehmlich im Ausland investierenJa wie wir das bereits heute tun Die BKW besitzt zwar rund die Haumllfte der installierten einheimischen Windkapa-zitaumlt die grossen Projekte befinden sich aber in Deutsch-land Frankreich und Italien In der Schweiz gibt es kaum geeignete Standorte und die Durchfuumlhrung von Projekten ist aufgrund strenger Auflagen buumlrokratischer Aufwaumlnde und moumlglicher Einsprachen schwierig Wir erhoffen uns hierzulande mehr Potenzial von der Kleinwasserkraft

Welche erneuerbaren Energien haben das groumlsste Poten-zial in der Schweiz

Das groumlsste technische Potenzial haben Grosswasserkraft-werke Nur lohnen sich diese Investitionen wirtschaftlich zurzeit nicht Bezuumlglich neuer erneuerbarer Energien sehe ich signifikantes Potenzial bei der Fotovoltaik Der Bund rechnet langfristig mit einem Ausbau auf mehr als zehn Tera wattstunden pro Jahr was ich fuumlr realisierbar halte Ob dies wirklich umgesetzt wird haumlngt davon ab ob die Kos-ten der Fotovoltaik weiter gesenkt werden koumlnnen

Die BKW will sich von der Energieversorgerin zur umfas-senden Energiedienstleisterin wandeln Welche neuen An-gebote sind geplantZunaumlchst sind da die Infrastrukturdienstleistungen die wir vermehrt auch fuumlr Private anbieten werden Von grosser

Suzanne Thoma laquoVersorgungsunternehmen sollen sich mittels Positionierung Kommunikation und Aufklaumlrung fuumlr einen bewussten Energieverbrauch einsetzen Es kann aber nicht ihr Auftrag sein die Kunden zu bevormundenraquo

Bild Florian Wehrli

8 COMPETENCE | 2014

mehr Komfort Mobilitaumlt Ernaumlhrungs- oder andere Kon-sumgewohnheiten

Wie koumlnnen Energieversorger Anreize schaffen damit we-niger Energie verbraucht wirdIch bin dafuumlr dass sich Stromversorgungsunternehmen mittels Positionierung Kommunikation und Aufklaumlrungs-arbeit fuumlr einen bewussten Energieverbrauch einsetzen Es kann aber nicht ihr Auftrag sein die Kunden zu bevor-munden Neben einem veraumlnderten Bewusstsein im Be-reich Energie- und Ressourcenkonsum generell kommt der groumlsste Einfluss nach wie vor vom Preis Fuumlr Privat-konsumenten faumlllt die Stromrechnung nicht ins Gewicht und auch die anderen Energiekosten ndash jedenfalls die direkt spuumlrbaren ndash sind nicht wirklich hoch Glauben Sie mir uns waumlre es lieber der Strompreis waumlre houmlher

Energie ist also zu billigJa Die Welt benoumltigt viel Energie und Verschwendung laumlsst sich nur schwer bekaumlmpfen solange Energie so billig ist Die reiche Schweiz ist sicher staumlrker in der Pflicht als arme Laumlnder die unter anderem mit billiger Energie ver-suchen ihren Einwohnern etwas Wohlstand zu ermoumlgli-chen Allerdings duumlrfen wir unserer Industrie durch houmlhere Energiekosten keine zusaumltzlichen Lasten aufbuumlrden sonst verliert sie ihre Konkurrenzfaumlhigkeit

Prinzipiell befuumlrwortet die Bevoumllkerung die Energiewende gegen den Bau neuer Leitungskapazitaumlten oder Wind-turbinen wird aber haumlufig rekurriertNicht haumlufig immer

Sehen Sie einen Ausweg aus dem DilemmaIch sehe darin eine wesentliche Schwierigkeit fuumlr die Um-setzung der Energiestrategie In der Schweiz stehen fuumlr Einsprachen mehr rechtliche Mittel zur Verfuumlgung als im Ausland Ich befuumlrworte deshalb den Vorstoss des Bun-desrats bestimmte Gebiete fuumlr die Energieproduktion zu definieren wo nur noch uumlber eine Instanz rekurriert wer-den kann Das Grundproblem bleibt aber dass wir einen Lebensstil pflegen dessen Konsequenzen wir nicht bereit sind zu tragen

Bedeutung sind fuumlr uns auch die Netze Beim Thema Haumluser und Energieeffizienz sehen wir unsere Rolle als Integrator Dort kommen verschiedene Technologien zur Anwendung die nicht nur viele Hausbesitzer uumlberfordern sondern auch manche Spezialisten Die BKW kann auf jahrzehntelange Erfahrung und grosses Know-how in die-sem Bereich zuruumlckgreifen Wo noumltig werden wir mit Part-nern zusammenarbeiten

Eine Analyse des BFE kam im Mai 2014 zum Schluss dass die Mehrheit der untersuchten Unternehmen nicht bereit sei fuumlr die Energiewende Teilen Sie diese EinschaumltzungWas laquobereit fuumlr die Energiewenderaquo heisst ist schwer ein-zuordnen und ich moumlchte nicht fuumlr andere Unternehmen sprechen Die BKW ist ein wirtschaftlich gefuumlhrtes Unter-nehmen ohne politische Mission Unser Auftrag ist es zum Erhalt und zur Weiterentwicklung der Infrastruktur generell und zur Energieversorgung im Speziellen beizutragen Wir orientieren uns dabei an den Beduumlrfnissen unserer Kun-den und bewegen uns innerhalb der politischen und wirt-schaftlichen Rahmenbedingungen Dabei entwickeln wir unser Unternehmen weiter sodass es profitabel bleibt und weiter gestaumlrkt wird

Die BKW hat also an dieser Studie teilgenommenJa aber ich habe die Studie nicht gelesen Offenbar sind wir im oberen Drittel der Rangliste aber das steht nicht im Vordergrund Die Zeit in der Stromversorger punkto Ener-giewende um die Gunst des Bundes gewetteifert haben ist weitgehend vorbei Es ist den meisten klar geworden dass sich mit Schulterklopfen das Geld fuumlr die noumltigen Investitionen nicht verdienen laumlsst Entscheidend sind die konkreten Rahmenbedingungen das Marktumfeld und die Kundenbeduumlrfnisse

Gemaumlss der Energiestrategie soll der durchschnittliche Energieverbrauch pro Person in der Schweiz bis 2035 ge-genuumlber 2000 um 43 Prozent sinken Ist das realistischTechnisch halte ich das fuumlr absolut moumlglich Dabei geht es aber bei Weitem nicht nur um den Stromkonsum sondern auch um den Konsum fossiler Brennstoffe und Investitio-nen in Effizienzmassnahmen Im Kern geht es aber um viel

CEO-Perspektive

9COMPETENCE | 2014

Konzernleitung der BKW liegt der Frauenanteil aktuell bei 33 Prozent

Stichwort Unternehmensfuumlhrung Gibt es eine spezielle Philosophie die Sie verfolgenIch versuche immer Klarheit zu schaffen Ich moumlchte je-weils zum Kern der Dinge vordringen und erwarte dasselbe Bestreben von meinen Mitarbeitenden Wenn alle wissen worum es im Kern geht und was die Treiber des Geschaumlfts sind und wenn alle mit Freude ihre Arbeit verrichten dann leitet sich alles Weitere daraus ab Ich glaube an gemein-same Visionen und Ziele sowie eine delegierte Umsetzung

Welche Rolle wird die Schweiz in einem liberalisierten euro paumlischen Strommarkt spielenDie Frage ist ob die Schweiz in Zukunft denselben Zugang zum europaumlischen Markt haben wird wie bisher Davon gehe ich aus Unter dieser Voraussetzung muss man sich fragen wie der europaumlische Markt kuumlnftig ausgestaltet sein wird Ich erwarte eine fortschreitende Liberalisierung die tendenziell zu mehr Stromhandel und noch tieferen Preisen fuumlhren wird Gleichzeitig wird man aber Kapazi-taumltsmaumlrkte schaffen muumlssen damit Energieunternehmen Anreize haben in Versorgungssicherheit und System-stabilitaumlt zu investieren Beides wird heute kaum abgegol-ten Das muss sich aumlndern Die Frage ist ob Kapazitaumlts-maumlrkte nationale Maumlrkte sein werden

Welche Folgen haumltte das fuumlr die SchweizDas waumlre eine ungluumlckliche Konstellation Einerseits haumltten wir unter den tieferen Preisen zu leiden andererseits koumlnn-ten wir die Dienstleistungen die wir mit unseren Pump-speicherkraftwerken erbringen weniger gut verkaufen

Blicken wir in die Zukunft Strom wird dezentral produziert nach Bedarf verbraucht ins intelligente Netz eingespeist oder in Batterien gespeichert Braucht es dann noch Ener-gieversorger wie die BKWAuf jeden Fall Denn die grossen Energieversorger werden dann zu grossen Energiedienstleistern Deshalb stellen wir unsere Strategie jetzt um Viele der Kompetenzen die wir als Versorger uumlber Jahrzehnte aufgebaut haben sind auch in diesem Szenario absolut notwendig Moumlglich ist hingegen dass es kuumlnftig weniger zentrale Kraftwerks-kapazitaumlt braucht Als Unternehmen muumlssen wir uns so positionieren dass wir uns im Rahmen aller denkbaren Szenarien weiterentwickeln koumlnnen

Die Energiebranche gilt als Maumlnnerdomaumlne Mit Alpiq und BKW haben nun zwei der groumlssten Schweizer Energiever-sorger eine Frau als CEO Ist das ein Zeichen des Kultur-wandelsJa schon Das Geschlecht war aber gewiss kein Krite-rium fuumlr die Stellenbesetzung Alle Bewerber mussten sich demselben strengen Auswahlverfahren stellen In der

Suzanne ThomaDr Suzanne Thoma ist seit 1 Januar 2013 CEO der BKW AG Zu-vor verantwortete sie das Netz- und Netzdienstleistungsgeschaumlft der BKW als Mitglied der Konzernleitung Vor ihrem Eintritt in die BKW leitete sie das Automobilzuliefergeschaumlft der WICOR Group und fuumlhr-te zuvor als CEO das High-Tech-Unternehmen Rolic Technologies Ltd Im Weiteren war sie fuumlr die Ciba Spezialitaumltenchemie AG in ver-schiedenen Funktionen und Laumlndern taumltig Suzanne Thoma studierte Chemieingenieurtechnik an der ETH Zuumlrich

BKW Energie AGDie BKW ist ein bedeutendes Schweizer Energiedienstleistungs-unternehmen Sie beschaumlftigt mehr als 3 000 Mitarbeitende und ver-sorgt zusammen mit Partnern rund eine Million Menschen mit Strom Neben der reinen Energieversorgung entwickelt implementiert und betreibt die BKW Energiegesamtloumlsungen fuumlr Privat- und Geschaumlfts-kunden sowie fuumlr Energieversorgungsunternehmen und Gemeinden Zudem engagiert sie sich in Forschungsprogrammen zur Entwicklung innovativer Technologien fuumlr eine nachhaltige und sichere Energie-versorgung

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Bundesrat und Parlament haben 2011 als Reaktion auf den Reaktorunfall in Fukushima entschieden mittelfristig aus der Kernenergie auszusteigen und sich gleichzeitig den zwei grossen Herausforderungen der kommenden Jahre zu stellen Zum einen wird die weltweite Nachfrage nach Energie nochmals stark ansteigen da die zuneh-mende Weltbevoumllkerung absolut gesehen und pro Kopf immer mehr Energie konsumiert Das fuumlhrt zu einer deut-lichen Verschaumlrfung des Wettbewerbs um Energie Eine Energiepolitik die staumlrker lokal verankert ist entschaumlrft das Problem Zum anderen birgt die Klimaerwaumlrmung grosse oumlkologische wirtschaftliche und gesellschaftliche Risiken denen mit klimapolitischen Entscheiden auf glo-baler Ebene begegnet werden muss Mit einer konzisen Energie- und Klimapolitik haumllt die Schweiz hierauf eine moumlgliche Antwort bereit

Energiewende im historischen KontextDer bekannte Energiehistoriker Vaclav Smil versteht un-ter Energie die Ausschoumlpfung der natuumlrlichen Ressour-cen durch den Menschen der sich damit das Uumlberleben sichert und seine Lebensqualitaumlt erhoumlht Mit der geplan-ten Energiewende wird das System Energie in seiner ge-sellschaftlichen Dimension umfassend transformiert Die gegenwaumlrtige Diskussion wird jedoch von technischen und oumlkonomischen Fragestellungen dominiert die gesell-schaftliche Dimension kommt dagegen zu kurz Bei der Energiewende geht es jedoch um mehr als lediglich da-rum eine Ressource durch eine andere zu ersetzen Es geht darum die bestehenden Strukturen fundamental

umzuformen Es geht um Stromnetze und Erdoumllpipelines um idyllische Landschaften und Staumldte um Politik und neue Technologien Diese und zahlreiche weitere Para-meter wurden alle aufgrund energiepolitischer Entschei-dungen im vergangenen Jahrhundert gestaltet Fuumlr die Zukunft sind radikale Eingriffe geplant welche die kom-menden Generationen praumlgen werden Es ist deshalb wesentlich das Thema langfristig zu betrachten und die heutige Situation und Diskussion auch historisch zu situ-ieren Wie wurden Energiesysteme ndash also die Verknuumlpfung von Menschen Ingenieurwesen industriellen Praktiken technologischen Artefakten politischen Programmen und institutionellen Ideologien ndash formiert Welche gesell-schaftlichen Voraussetzungen haben zur Entscheidung fuumlr den einen und gegen den anderen Energietraumlger gefuumlhrt Und letztlich auch Welchen internationalen Trends ist die kleine ressourcenarme Schweiz weshalb gefolgt und in welchen Momenten hat sie sich fuumlr den schweizerischen Sonderweg entschieden

Industrialisierung und EnergiewendeEnergiesysteme entwickeln sich kontinuierlich waren je-doch historisch gesehen uumlber lange Zeit relativ stabil Die Jahrzehnte seit dem Beginn der Industrialisierung in der zweiten Haumllfte des 18 bis Ende des 19 Jahrhunderts wa-ren die Aumlra des Holzes (und nicht der Kohle) die erste Haumllfte des 20 Jahrhunderts war die Zeit der Kohle (und nicht des Erdoumlls) die zweite diejenige des Erdoumlls und der Kernenergie Die Wasserkraft war eine wichtige Strom-lieferantin jedoch nie die Nummer eins unter den Energie-

Hintergrund

Fukushima gibt den Takt vor

Der Energiesektor hat sich in den letzten 150 Jahren drama-tisch schnell entwickelt Nicht nur haben sich Produktion und Verbrauch um ein Vielfaches erhoumlht auch die wirtschaftlichen rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich grundlegend gewandelt Ein kurzer historischer Ruumlckblick zeigt die grossen Entwicklungen und Trends aufText Monika Gisler

11COMPETENCE | 2014

Problem der Entsorgung radioaktiver Abfaumllle wurden an-fangs kaum thematisiert Erdoumll wurde erst in den 1970er-Jahren zum politischen Thema als mit den Erdoumll(preis)- krisen von 197374 und 197980 seine (geopolitisch be-dingte) Endlichkeit manifest wurde Gleichzeitig verstaumlrkte die Erdoumllkrise das Bewusstsein uumlber die Abhaumlngigkeit von importierten Energietraumlgern die mit der Industrialisierung eingesetzt hatte

Anfaumlnge des UmweltschutzesAufgrund dieser beiden Entwicklungen kamen Themen wie Energiesparen und die Forderung nach umweltfreund-licheren Energien in den 1970er-Jahren erstmals auf die politische Traktandenliste Der oumlffentliche Diskurs um die laquoGrenzen des Wachstumsraquo und damit einhergehend auch die ersten Debatten zum Umweltschutz entbrannten In-teressanterweise glaubte man dass Wind- und Solar-anlagen erst ab dem Jahr 2000 in signifikantem Umfang zur Verfuumlgung stehen wuumlrden was ja auch eintrat

Die Diskussion flaute so rasch ab wie sie gekommen war Alternativenergien bewahrten ihr Nischendasein bis zu dem Ereignis das mittlerweile den neuen Takt vorgibt die Nuklearkatastrophe von Fukushima Es wird sich weisen wie erfolgreich die Umsetzungsmassnahmen sein werden und wie rasch sie implementiert werden koumlnnen Sicher scheint jedoch dass das Unternehmen Energiewende nur verstanden und ndash so zumindest die Hoffnung ndash auch ak-zeptiert wird wenn man es in seiner ganzen Dimension erfasst

traumlgern Es wird sich weisen ob das 21 Jahrhundert das-jenige der (neuen) erneuerbaren Energien sein wird

Kohle war nach Holz der wichtigste und langfristigste Energie traumlger der Schweiz Ihre Bedeutung hielt mehr als acht Jahrzehnte an ihr Niedergang setzte 1940 ein 1955 wurde sie vom Erdoumll als wichtigster Energietraumlger abgeloumlst Der Klimahistoriker Christian Pfister erklaumlrt diese Transition mit den rasch fallenden Oumllpreisen die zu einer immer groumls ser werdenden Nachfrage nach dieser guumlns-tigen Energie fuumlhrten Ein weiterer Grund war die Domi-nanz des Verbrennungsmotors uumlber die Dampfmaschine auf dem Weg zu einer immer mobileren Gesellschaft Es ist nicht nur das Angebot sondern auch die Nachfrage welche die Bedeutung eines Energietraumlgers formt Die Entscheidung fuumlr Oumll (und spaumlter Gas) war gleichermassen beeinflusst von den technischen Veraumlnderungen wie von den Verschiebungen am Finanzmarkt

Schon fruumlh hatte auch die Wasserkraft eine grosse Be-deutung fuumlr die Schweiz 1918 war man uumlberzeugt dass laquo[hellip] fuumlr unser Land [hellip] die Frage der Energiequelle ein-wandfrei erledigt [sei] Der ganze Entwicklungsgang von Technik und Volkswirtschaft fuumlhrt endlich zur Erkenntnis dass die Natur uns mit den Wasserkraumlften fuumlr die Kohlen-armut entschaumldigtraquo (Parlamentarische Debatte zum Was-serrechtsgesetz 1918) Wasserkraft wurde im Energiemix immer ergaumlnzend zu anderen Ressourcen eingesetzt und nach 1970 entscheidend wenn auch nicht paritaumltisch mit Kernenergie zur Gewinnung von Elektrizitaumlt komplettiert

So war die zweite Haumllfte des 20 Jahrhunderts die Zeit des Erdoumlls und der Kernenergie Die beiden Energie traumlger entwickelten sich nach 1945 fast parallel und haben doch eine sehr unterschiedliche Geschichte Das hat mit ihrer jeweiligen Form und Verfuumlgbarkeit zu tun aber auch da-mit dass ihre politische Bedeutung sehr verschieden-artig war Die Kernkraft barg aufgrund ihrer Naumlhe zu ei-ner toumldlichen Waffe schon immer politischen Sprengstoff Gleichzeitig genoss sie anfaumlnglich auch den Ruf einer sauberen und nahezu unbegrenzt zur Verfuumlgung stehen-den Energiequelle Die Gefahr einer Verstrahlung und das

Monika GislerDr Monika Gisler hat an den Universitaumlten Zuumlrich Basel und Los Angeles (UCLA) Ge-schichte und Politische Philosophie studiert Sie war Forschungsverantwortliche an der ETH Zuumlrich und bietet seit 2008 mit laquoUnter-nehmen Geschichteraquo Forschung Lehre und Beratung zu den Themen Umwelt Energie und Innovation an (wwwunternehmenge-schichtech) Aktuell lehrt sie als Dozentin an der ETH zu Energiewenden in Geschichte und Gegenwart

Wie viele Fotovoltaikanlagen sind auf den Daumlchern Winterthurs zu finden

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13COMPETENCE | 2014

Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Energieversorgung

dem Parlament die Energiestrategie 2050 vor welche die Basis fuumlr diesen Umbau schafft Grundsaumltze der Energie-strategie sind die Energieeffizienz die Steigerung des An-teils aus erneuerbaren Energien und die Umsetzung des Verursacherprinzips Das bedeutet dass die Kosten der Energienutzung moumlglichst von den Verursachern getragen werden

Die Schweiz verfuumlgt zwar uumlber eine hohe Versorgungs-sicherheit allerdings sind unsere Energiequellen teilweise nicht nachhaltig Gegenwaumlrtig liegt der Anteil der fossilen Energietraumlger am Endenergieverbrauch bei rund 80 Pro-zent Damit traumlgt die Schweiz zu den negativen Folgen der Klimaerwaumlrmung bei Als rohstoffarmes Land importiert sie einen grossen Teil dieser Energie ndash insbesondere Roh-oumll und Gas Dementsprechend hoch ist die Abhaumlngigkeit vom Ausland Zudem steht die Schweiz energiepolitisch vor weiteren grossen Herausforderungen Aufgrund des Bevoumllkerungs- und Wirtschaftswachstums des steigen-den Wohlstands sowie der zunehmenden Mobilitaumlt nimmt die Nachfrage nach Energie zu Teilweise veraltete Infra-struktur wachsender Wettbewerb und die Integration in das europaumlische Energienetz stellen das Energiesystem zudem vor zusaumltzliche Herausforderungen die es zu be-waumlltigen gilt

Langfristige StrategieUm diese Herausforderungen anzugehen ist ein Umbau des Energiesystems in Richtung Nachhaltigkeit unabding-bar Im Nachgang zur Reaktorkatastrophe in Fukushima haben Bundesrat und Parlament im Jahr 2011 den Grund-satzentscheid fuumlr einen schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie gefaumlllt Der Bundesrat legte anschliessend

Mit der Energiestrategie 2050 des Bundes soll unter anderem der Energieverbrauch reduziert und der Anteil der erneuerbaren Energien erhoumlht werden Dazu gehoumlren eine Reduk tion der energiebedingten CO2-Emissionen und der schrittweise Ausstieg aus der Kernenergie ndash dies ohne die bisher hohe Versorgungs-sicherheit und die preiswerte Energieversorgung zu gefaumlhrden Die ambitioumlsen Ziele sind aber nur zu erreichen wenn ein Um-denken stattfindet und Politik Wirtschaft Wissenschaft und Gesellschaft enger zusammenarbeiten Text Walter Steinmann

Hintergrund

Stossrichtungen der Energiestrategie ndash Energieeffizienz erhoumlhen Energieverbrauch

senken Stromverbrauch stabilisieren ndash Anteil der erneuerbaren Energien erhoumlhen und

Restbedarf durch fossile Stromproduktion und Importe decken

ndash Zugang zu internationalen Energiemaumlrkten sicherstellen

ndash Um- und Ausbau der elektrischen Netze und der Energiespeicherung vorantreiben

ndash Energieforschung verstaumlrken ndash Vorbildfunktion der oumlffentlichen Hand wahrnehmen ndash Internationale Zusammenarbeit im Energiebereich

intensivieren

14 COMPETENCE | 2014

Hintergrund

Der Bundesrat hat dem Parlament im September 2013 ein erstes Massnahmenpaket zur Umsetzung der Energie-strategie 2050 vorgelegt Das Geschaumlft wird momentan von den vorberatenden parlamentarischen Kommissio-nen behandelt Es ist auf die Zielsetzungen fuumlr das Jahr 2020 ausgerichtet und soll langfristig wirken Konkret vorgesehen ist etwa eine Erhoumlhung der CO2-Abgabe auf Brennstoffe mit einer gleichzeitigen Verstaumlrkung des Ge-baumludesanierungsprogramms Weiter soll die bisherige kostendeckende Einspeiseverguumltung zu einem Verguuml-tungssystem mit Direktvermarktung umgebaut werden Dafuumlr sind eine Totalrevision des Energiegesetzes sowie Anpassungen in weiteren neun Bundesgesetzen noumltig Berechnungen zufolge soll der Energieverbrauch mit der Umsetzung des ersten Massnahmenpakets bis 2050 we-sentlich abnehmen Insbesondere bei den fossilen Ener-gietraumlgern wird mit grossen Ruumlckgaumlngen gerechnet

Volkswirtschaftlich werden sich die Kosten fuumlr die Um-setzung der Energiestrategie in Grenzen halten Den er-heblichen Investitionen in die Energieeffizienz stehen Ein-sparungen bei den Energieimporten gegenuumlber Es sind jedoch betraumlchtliche Investitionen insbesondere fuumlr den Zubau der Stromproduktion aus erneuerbaren Energietrauml-gern noumltig

Zusammensetzung des Endshyenergieverbrauchs (ohne Treibshystoffverbrauch des internationalen Flugverkehrs) bis 2050 auf der Basis des vorliegenden Massnahmen pakets des UVEK (Quelle Prognos)

Ein Markt mit ZukunftEine nachhaltige Energiepolitik ist nur moumlglich wenn die Schweiz staumlrker auf erneuerbare Energien setzt Heute stammen nur gerade 20 Prozent der verbrauchten Ener-gie aus erneuerbaren Quellen Die laufenden Arbeiten zur Energiestrategie 2050 zeigen dass Sonnen- und Wind-energie Wasserkraft und Geothermie in der Schweiz uumlber grosse Potenziale verfuumlgen deren optimale Er-schliessung jedoch durch verschiedene Faktoren behin-dert beziehungsweise verzoumlgert wird Dazu gehoumlren die

langwierigen Bewilligungsverfahren und die teils fehlende Akzeptanz in der Bevoumllkerung aber auch die begrenzten Foumlrdermittel zur Realisierung entsprechender Projekte Mit der Energiestrategie 2050 sollen guumlnstigere Rahmenbe-dingungen geschaffen werden

Die Sicherung des langfristigen Energieangebots wird zu einer der zentralen Herausforderungen und bietet gleichzeitig grosse Chancen fuumlr den Wirtschaftsstandort

laquoFortschritte bei der Ressourcen-effizienz und den erneuerbaren

Energien ermoumlglichen Wettbewerbs-vorteile auf den Exportmaumlrktenraquo

15COMPETENCE | 2014

Schweiz Bereits heute verfuumlgt die Schweiz uumlber ein gros-ses industrielles und technologisches Know-how gerade im Bereich Cleantech Fortschritte bei der Ressourcen-effizienz und den erneuerbaren Energien ermoumlglichen Wett bewerbsvorteile auf den Exportmaumlrkten sie schaffen neue Arbeitsplaumltze und erhoumlhen die Unabhaumlngigkeit in der Rohstoffversorgung Zusammen mit dem Masterplan Cleantech traumlgt die Energiestrategie 2050 dazu bei dass sich die Schweiz hier als Vorreiterin profilieren kann

Uumlbergang in ein LenkungssystemDamit sich der Markt in Richtung Nachhaltigkeit entwickelt werden kuumlnftig weitere Massnahmen noumltig sein Waumlhrend das erste Massnahmenpaket noch stark auf Foumlrderung zielt wird die Energiepolitik ab 2021 gemeinsam mit der Klimapolitik strategisch neu ausgerichtet Das bestehen-de Foumlrdersystem basiert auf einem Netzzuschlag fuumlr die Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Ener-gien und einer Teilzweckbindung der CO2-Abgabe fuumlr das Gebaumludeprogramm Es soll durch ein marktwirtschaftli-ches Lenkungssystem abgeloumlst werden mit dem sich die Energie -und Klimaziele effektiv und oumlkonomisch effizient erreichen lassen Konkret werden erneuerbare Energien und Gebaumludesanierungen zunaumlchst noch staatlich unter-stuumltzt ndash langfristig soll der Markt spielen Das Bundesamt fuumlr Energie ist daran in Zusammenarbeit mit dem Eidge-noumlssischen Finanzdepartement und dem Staatssekretariat fuumlr Wirtschaft zu konkretisieren wie das umzusetzen ist

Wissenstransfer staumlrken Gluumlcklicherweise herrscht an den Hochschulen und ihren Instituten im Energiebereich Aufbruchstimmung Fuumlr Un-ternehmen ist es jedoch oft schwierig das an Hochschu-len vorhandene Wissen abzuholen gerade wegen der grossen Diversitaumlt der Forschung und der Fragmentierung des Wissens auf zahlreiche Institute Gleichzeitig stossen mit Unternehmen der Informations- und Kommunikations-technologie neue Akteure mit grossem Know-how in den Energieversorgungsmarkt vor Energieversorgungsunter-nehmen in ganz Europa ruumlcken vom reinen Stromverkauf ab und positionieren sich vermehrt als Anbieter von umfas-senden Energiedienstleistungen Diesem Trend muss sich

Walter SteinmannDr Walter Steinmann ist seit 2001 Direktor des Bundesamts fuumlr Energie (BFE) Er hat an der Universitaumlt Zuumlrich Volkswirtschaft studiert und seine Studien 1988 mit einer Doktorarbeit an der Universitaumlt Konstanz ab geschlossen Von 1981 bis 1988 war er Delegierter fuumlr Wirtschaftsfoumlrderung des Kantons Basel-Landschaft und arbeitete an-schliessend als Beauftragter fuumlr Wirtschafts-foumlrderung des Kantons Solothurn Von 1994 bis 2001 war er Chef des Amts fuumlr Wirtschaft und Arbeit des Kantons Solothurn

auch die Schweiz stellen und ihre Kraumlfte vermehrt buumlndeln um Synergien zwischen Wirtschaft und Forschung zu schaffen Nur so kann der Technologiestandort Schweiz staumlrker werden Der Bund setzt bereits Massnahmen um damit der Transfer der Forschungsresultate in den Markt sichergestellt wird Dazu gehoumlrt der Aufbau vernetzter Forschungskompetenzzentren der Swiss Competence Centers for Energy Research Auch die ZHAW School of Management and Law beteiligt sich in diesem Rahmen massgeblich an den nationalen Forschungsaktivitaumlten zum Umbau des Schweizer Energiesystems

Mit der Energiestrategie 2050 hat die Schweiz die Chance sich aus ihrer Abhaumlngigkeit von den fossilen Energien zu loumlsen den Export fortschrittlicher Technologien zu staumlrken und mit dem ressourcen- und klimaschonenden Umgang mit Energie international eine Fuumlhrungsrolle zu uumlberneh-men Nutzen wir diese Chance

Weitere Informationen unter wwwenergiestrategie2050ch

laquoDie Schweiz muss ihre Kraumlfte vermehrt buumlndeln um

Synergien zwischen Wirtschaft und Forschung zu schaffenraquo

16 COMPETENCE | 2014

Eine der wichtigsten Zielsetzungen der Energiewende wie sie der Bundesrat formuliert hat ist der Ausbau der er-neuerbaren Energien Der Anteil von Wasser- Wind- und Sonnenkraft sowie Erdwaumlrme am Energiemix soll massiv erhoumlht werden Die durchschnittliche inlaumlndische Produk-tion ndash ohne Wasserkraft ndash soll im Jahr 2020 bei mindes-tens 4 400 Gigawattstunden (GWh) und im Jahr 2035 bei mindestens 14 500 GWh liegen Bei der Produktion von Elektrizitaumlt aus Wasserkraft wird bis im Jahr 2035 ein Aus-bau der Produktion auf 37 400 GWh angestrebt Zum Ver-gleich Die Jahresproduktion des AKW Muumlhleberg liegt bei rund 2 600 GWh Das sind houmlchst ambitioumlse Ziele

Der geplante Ausbau der Nutzung von erneuerbaren Energien bedarf zahlreicher Anlagen ndash Windparks Was-serkraftwerke oder groumlsserer Solaranlagen ndash mit entspre-chend hohem Raumbedarf Der Bundesrat sieht nicht vor die Umwelt- und Heimatschutzgesetze massgeblich zu lo-ckern obwohl es regelmaumlssig zu Konflikten zwischen den Schutzinteressen und Energienutzungsanlagen sowie zu entsprechenden Gerichtsverfahren kommt ndash wie juumlngst im Goms bei der Planung eines Wasserkraftwerks (BGE 140 II 262 ff) Das Bundesgericht nimmt jeweils eine im Resul-tat schwer voraussehbare Interessenabwaumlgung vor und stellt die Leistung der Anlage sowie die Faumlhigkeit zeitlich flexibel und marktorientiert zu produzieren den Schutz-interessen gegenuumlber

Ein weiteres Problem besteht darin dass groumlssere Anla-gen bei der Nachbarschaft oder in einer breiteren Bevoumll-kerung keine Akzeptanz finden So waumlre zwar im Kanton

Loumlsungen suchen bevor es zum Rechtsstreit kommt

Hochschulperspektive

Der Bundesrat sieht im Rahmen der Energiestrategie 2050 vor den Anteil der erneuerbaren Energien massiv zu erhoumlhen Die vermehrte Nutzung erneuerbarer Energietraumlger fuumlhrt jedoch zu einem Interessenkonflikt zwischen Wirtschaftlichkeit umwelt-rechtlichen Anforderungen und sozialer Akzeptanz Diesen gilt es mit klaren rechtlichen Grundlagen zu loumlsenText Reneacute Wiederkehr und Andreas Abegg

Zuumlrich Wind vorhanden doch dreht sich dort bis heute keine einzige grosse Windturbine Gegen die einzige bis-her geplante Versuchsanlage am Stuumlssel oberhalb Baumlrets-wil hat eine Interessengemeinschaft Rekurs erhoben und will die geplante Windmessanlage bis vor Bundesgericht bekaumlmpfen Diese Probleme ndash die Kollision mit Schutz-interessen und die Angst vor Nachbarrekursen ndash koumlnnen im Ergebnis dazu fuumlhren dass die Energieunternehmen auf den Bau von Anlagen verzichten obwohl ein erhebli-ches Potenzial vorhanden waumlre

Loumlsungsansatz des BundesratsIm Rahmen der Energiepolitik 2050 schlaumlgt der Bundesrat vor dass die Kantone mit Unterstuumltzung des Bundes ein Konzept fuumlr den Ausbau der erneuerbaren Energien er-arbeiten und Gebiete fuumlr die Nutzung durch erneuerbare Energien bestimmen Nach der Genehmigung durch den Bund dient das Konzept den Kantonen als Grundlage fuumlr ihre Richtplanung Dadurch wird fuumlr die kommunalen und kantonalen Behoumlrden verbindlich festgelegt in welchen Gebieten Bewilligungen fuumlr erneuerbare Energieproduktio-nen erteilt werden koumlnnen

Welche Gebiete sich tatsaumlchlich fuumlr den Ausbau der er-neuerbaren Energien eignen ist bisher allerdings kaum erforscht worden Bund Kantonen und Gemeinden fehlen die Grundlagen um die Eignung von Standorten und Ge-bieten aus rechtlicher Sicht zu beurteilen Es ist deshalb einfacher ungeeignete Gebiete von der Nutzung auszu-nehmen Vor allem Gebiete welche fuumlr Natur- und Hei-matschutz wertvoll sind koumlnnen zu einer sogenannten

17COMPETENCE | 2014

schen und rechtsstaatlichen Verfahren aus So wurde zum Beispiel im Kanton Zuumlrich der Heimatschutz gegenuumlber dem Interesse an neuen Solaranlagen bereits zuruumlck-gestuft und das entsprechende Bewilligungsverfahren gestrafft Es wird sich gerade bei der Wahl von Stand-orten fuumlr die Nutzung erneuerbarer Energien zeigen ob die Energiewende ndash wie zuweilen befuumlrchtet ndash auf Kosten von Demokratie und Rechtsstaat sowie auf Kosten von Natur- und Heimatschutz geht oder ob wir die gegenwaumlr-tigen Strukturen unter transparenter und angemessener Wahrung aller Interessen anpassen koumlnnen um die an-spruchsvollen Energieziele zu erreichen

Negativzone fuumlhren Auch andere Anliegen wie die Erhal-tung von landwirtschaftlichem Kulturland und Wald der Schutz des Vogelzugs oder die Beduumlrfnisse der Luftfahrt sind zu beruumlcksichtigen Zudem ist zu beachten dass der Bau neuer Anlagen einen Ausbau des Energienetzes nach sich ziehen kann was wiederum zu Konflikten mit anderen raumrelevanten Interessen fuumlhrt

InteressenabwaumlgungUm die erneuerbare Energie wie geplant massiv foumlrdern zu koumlnnen muumlssen die notwendigen Anlagen rasch rea-lisiert werden In den hierzu notwendigen Bewilligungs- und Rechtsmittelverfahren muumlssen die Zielkonflikte der verschiedenen Interessen transparent gemacht und unter gleichberechtigter Abwaumlgung geloumlst werden Das gilt so-wohl fuumlr das konkrete Rechtsmittelverfahren vor Behoumlrden und Gerichten wie auch fuumlr eine vorgezogene Mediations-phase

Hier setzen die vom Bund initiierten Forschungen zur Energiewende auf drei Ebenen an Zunaumlchst muumlssen die Details der komplizierten Bewilligungsverfahren im Aus-tausch mit der Gerichtspraxis ausgearbeitet werden Das sorgt fuumlr Rechtssicherheit Auf einer zweiten Ebene gilt es die bestehenden kantonal reglementierten Verfahren zu vereinheitlichen und wenn moumlglich zu vereinfachen Damit es zu rechtsstaatlich tragfaumlhigen und sozial akzep-tierten Loumlsungen kommt sind die Rechte aller Beteiligten zu wahren jene von Gemeinden Kantonen und Bund als Behoumlrden von Energieunternehmen als Gesuchsteller so-wie von Nachbarn und beschwerdeberechtigten Verbaumln-den als Gegner Schliesslich sind auf einer dritten Ebene neue Hilfsmittel zu suchen mit denen Gebiete und Stand-orte bezeichnet werden koumlnnen die sich fuumlr die Nutzung erneuerbarer Energien besonders eignen Das Bewilli-gungsverfahren wird hiermit transparenter berechenbarer und ndash so die Hoffnung ndash kuumlrzer Mit klaren Rechtsgrund-lagen koumlnnen die Beteiligten zudem Loumlsungen suchen bevor es uumlberhaupt zum Rechtsstreit kommt Die geplante Foumlrderung erneuerbarer Energien kommt nicht ohne Veraumlnderungen in bestehenden demokrati-

Andreas AbeggProf Dr Andreas Abegg ist Leiter des Zen-trums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht an der ZHAW School of Management and Law Privatdozent an der Universitaumlt Fribourg und praktizierender Rechtsanwalt Er beschaumlf-tigt sich mit den rechtlichen Schnittpunkten zwischen Staat und Privaten insbesondere in den Bereichen Regulierung Verwaltungs-organisation und Energie Andreas Abegg forscht im Rahmen des vom Bund mitfinan-zierten Competence Center for Research in Energy Society and Transition (CREST) in der Forschungsgruppe Energy Policy Analysis

Reneacute WiederkehrProf Dr Reneacute Wiederkehr ist stellvertre-tender Leiter des Zentrums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht an der ZHAW School of Management and Law und Titularprofessor der Universitaumlt Luzern Er forscht und lehrt in den Bereichen Verwaltungsrecht und oumlf-fentliches Prozessrecht sowie im Rahmen des vom Bund mitfinanzierten Competence Center for Research in Energy Society and Transition (CREST) in der Forschungsgruppe Energy Policy Analysis

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Negawatt statt Megawatt

Energieeffizienzmassnahmen finanziell lohnen Zudem ver-fuumlgen kleine und mittlere Unternehmen selten uumlber Ener-gieverantwortliche oder Umweltbeauftragte die im Akqui-sitionsprozess gezielt angesprochen werden koumlnnen

Schwaumlchen bisheriger ProgrammeEine Umfrage der ZHAW bei Programmverantwortlichen zeigt diverse Schwaumlchen laufender Effizienzprogramme auf Ein haumlufiges Problem sind falsche Anreize So wird vornehmlich vermittelt wie mit Energieeffizienz Geld ge-spart wird Offensichtlich geht man davon aus dass Un-ternehmen praktisch nur uumlber finanzielle Anreize zu moti-vieren sind Bei den angepeilten KMU fallen Energiekosten jedoch kaum ins Gewicht Beratungsaufwand und Ergeb-nis stehen umso mehr im Missverhaumlltnis je weniger Ener-gie verbraucht wird Weiter scheinen die Programmver-antwortlichen ihre Zielgruppen kaum zu segmentieren und als unterschiedliche Kundensegmente wahrzunehmen Entsprechend beinhalten die meisten Programme ein Standardangebot mit einem breiten Spektrum an Mass-nahmen die oft nicht branchenspezifisch zugeschnitten sind Auch die Kundenansprache erfolgt in der Regel un-differenziert und die Moumlglichkeiten der Neuen Medien wer-den kaum genutzt

Keine langfristige PerspektiveEin Grossteil der Programme ist nicht auf Kundenbindung ausgelegt Insbesondere werden kaum Informationen er-fasst welche die Planung einer weiterfuumlhrenden Bezie-

Schweizer Unternehmen koumlnnten auf wirtschaftliche Art und Weise bis zu 30 Prozent ihres Energieverbrauchs ein-sparen Speziell bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) die immerhin 10 Prozent des Schweizer Stromver-brauchs verantworten ist das Sparpotenzial aber ungenuuml-gend ausgeschoumlpft

Energieeffizienzprogramme wirken nichtBehoumlrden Energieversorger und private Organisatio-nen haben in den letzten Jahren wiederholt Programme lanciert um Energieeinsparungen gezielt zu foumlrdern Al-lerdings haben bislang weniger als 1 Prozent der rund 300 000 Schweizer KMU an einem solchen Programm teilgenommen und die Umsetzungsquoten sind ebenfalls gering Uumlber die Gruumlnde die Unternehmen daran hindern an Energieeffizienzprogrammen teilzunehmen und ent-sprechende Massnahmen umzusetzen sind sich die Pro-grammverantwortlichen uneinig Oft werden Zeitmangel Priorisierung anderer Investitionen fehlende Mittel und zu lange Amortisationszeiten als Hemmnisse genannt Ge-nerell scheint es dass bei Kleinunternehmen Zeit- und Geldmangel eine wichtige Rolle spielen waumlhrend bei Un-ternehmen mittlerer Groumlsse eher der Mangel an Motiva tion und Bewusstsein ausschlaggebend ist Energiekosten machen bei KMU einen verschwindend kleinen Anteil der Gesamtkosten aus sodass die Prioritaumlten fuumlr Investitionen haumlufig anders liegen Man investiert beispielsweise lieber in Betriebsmittel zur Erhoumlhung der Produktivitaumlt als in die Reduktion der (bereits tiefen) Energiekosten obwohl sich

Energieeffizienz ist ein zentraler Pfeiler der Energiestrategie 2050 Die Schweiz gehoumlrt zu den Spitzenreitern punkto Energie effizienz auch dank ihrem dominanten Tertiaumlrsektor Dennoch liegen auch bei hiesigen Unternehmen grosse Sparpotenziale brach Wie diese genutzt werden koumlnnen untersucht die ZHAW in einem interdisziplinaumlren ProjektText Rolf Rellstab

Hochschulperspektive

19COMPETENCE | 2014

brauch betrifft erhoumlhte Arbeitssicherheit weniger Laumlrm-belastung oder geringerer Rohstoffverbrauch Der Wert solcher laquoNon-Energy Benefitsraquo kann fuumlr Unternehmen bis zu 250 Prozent der energetischen Einsparungen betra-gen Es geht also darum KMU gezielter auf die Chancen der Energieeffizienz hinzuweisen Schliesslich gilt es auch Unternehmen wissen zu lassen dass sich ihre Kunden fuumlr dieses Thema interessieren sowie ihnen dabei zu helfen ihr Energie effizienzengagement sichtbar zu machen Waumlh-rend bereits heute viele Unternehmen bestaumltigen dass sich ihr Image bei den Kunden durch die Teilnahme an einem Energieeffizienzprogramm verbessert hat achten erst wenige Firmen auch bei der Kommunikation darauf dass entsprechende Massnahmen gebuumlhrend bekannt gemacht werden

hung zu den Programmteilnehmenden ermoumlglichen wuumlr-den Angaben zu Stromverbrauch Houmlhe und Anteil der Energiekosten Anzahl Mitarbeitende und Umsatz waumlren wertvolle Informationen im Hinblick auf allfaumlllige Folgepro-gramme Im Vordergrund stehen zudem bei den meisten Programmen technische Loumlsungen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz Eine nachhaltige Verhaltensaumlnderung bei Mitarbeitenden oder auf Managementebene wird hingegen kaum verfolgt Auch ein Monitoring der Wirkung von Ener-gieeffizienzprogrammen ist bislang nicht vorhanden oder

wird zu wenig systematisch betrieben So wird zum Bei-spiel die effektive Energieeinsparung vielfach nicht erfasst und gepruumlft Das tatsaumlchliche Kosten-Nutzen-Verhaumlltnis einzuschaumltzen ist somit schwierig Dass die bestehenden Energieeffizienzprogramme inhaltlich durchaus Anklang finden zeigen Ruumlckmeldungen von Unternehmen die in der Vergangenheit daran teilgenommen haben Die Befrag-ten beurteilen ihre Erfahrungen mehrheitlich positiv Aus Sicht der Unternehmen lagen die Energieeinspar effekte im Bereich der Erwartungen Viele wuumlrden nochmals an einem solchen Programm teilnehmen was die oben ge-nannten Versaumlumnisse umso bedauerlicher macht

Wirksamkeit verbessernWie koumlnnen KMU zum Energiesparen motiviert werden Aus Marketingsicht beinhaltet ein sinnvolles Programm eine segmentspezifische Kundenansprache die den laquoReifegradraquo (Wissen Einstellungen und Verhalten) eines Unternehmens in Bezug auf Energieeffizienz beruumlcksich-tigt Zweitens braucht es eine klare Kundenbeziehungs-strategie welche eine wiederholte Teilnahme zum Ziel hat Bei den Anreizen einzig die finanziellen Aspekte wie etwa erwartete Kostensenkungen oder Foumlrderbeitraumlge hervor-zuheben scheint wenig erfolgversprechend Der Fokus wird in Zukunft wohl vermehrt darauf liegen denjenigen Nutzen hervorzuheben der nicht direkt den Energiever-

Rolf RellstabRolf Rellstab ist wissenschaftlicher Mit-arbeiter und Projektleiter am Institut fuumlr Marketing Management der ZHAW School of Management and Law Seine Arbeits-schwerpunkte liegen im Bereich Kommuni-kation Kundenbeziehungsmanagement und B-to-B-Marketing

Projektziel und VorgehensweiseIm ZHAW-Projekt laquoNegawatt statt Megawattraquo werden optimierte Vorgehensweisen entwickelt um KMU mit einem jaumlhrlichen Strom-verbrauch zwischen 10 und 500 MWh zum Energiesparen zu moti-vieren Der Begriff laquoNegawattraquo bezeichnet die eingesparte Energie die zu virtuellen Negawatt-Kraftwerken kombiniert wird So wird anschaulich aufgezeigt wie viel Energie dank diesen Einsparungen weniger produziert werden muss Das Projekt beinhaltet eine interna-tionale Literaturstudie zu den Erfolgsfaktoren und Hemmnissen von Energieeffizienzprogrammen eine Umfrage bei Anbietern solcher Programme sowie eine Befragung von KMU Aus den Ergebnissen dieser drei Teilstudien werden Hypothesen im Hinblick auf ein idea-les Energieeffizienzprogramm abgeleitet In einem Folgeprojekt sol-len die Hypothesen im Rahmen eines Pilotprogramms uumlberpruumlft und weiterentwickelt werden Das Projekt wird durch den WWF Schweiz die Stiftung Pro Evolution das Bundesamt fuumlr Energie (BFE) und die Elektrizitaumltswerke des Kantons Zuumlrich (EKZ) unterstuumltzt Weitere In-formationen wwwzhawchnegawatt

laquoEine nachhaltige Verhaltens - aumlnderung bei Mitarbeitenden oder auf Managementebene

wird kaum verfolgtraquo

Wie viel Heizoumll wird jaumlhrlich in Winterthur verbraucht

21COMPETENCE | 2014

Klima im Wandel ndash Emissionsrechte im Handel

Der Klimawandel laumlsst sich anhand des Treibhauseffekts veranschaulichen Die Treibhausgase bewirken dass kurz-welliges Sonnenlicht zur Erdoberflaumlche gelangt verhindern jedoch dass langwellige Waumlrmestrahlung von der Erde nach aussen dringt Somit kann die Waumlrme nicht mehr entweichen und die Temperatur steigt Der Ausstoss von Treibhausgasen die vor allem bei der Verbrennung von fossilen Energietraumlgern wie Kohle Gas und Oumll entstehen hat seit der industriellen Revolution stark zugenommen und den natuumlrlichen Treibhauseffekt verstaumlrkt Eine Zunahme der Haumlufigkeit und Intensitaumlt meteorologischer und hydro-logischer Grossereignisse wie Stuumlrme und Uumlberschwem-mungen sind die Folge ndash mit gravierenden oumlkologischen oumlkonomischen und sozialen Konsequenzen

Der 2013 veroumlffentlichte Bericht der internationalen Exper-tengruppe Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zeigt auf dass die globale Durchschnittstempera-tur in den letzten 130 Jahren um 085deg Celsius gestiegen

Der Klimawandel findet nicht in ferner Zukunft sondern bereits jetzt statt Um ihn fuumlr Mensch und Umwelt auf einem ertraumlg-lichen Niveau zu stabilisieren muumlssen die Treibhausgas-emissionen reduziert werden Der Emissionshandel soll dazu beitragen sie dort zu mindern wo die geringsten Kosten an-fallen So kann das gesetzte Mengenziel oumlkonomisch effizient erreicht werdenText Regina Betz

ist Ohne Minderungsanstrengungen wird bis 2100 ein mehr als fuumlnffacher Anstieg prognostiziert Um die Treib-hausgaskonzentration in der Atmosphaumlre auf einem fuumlr Mensch und Umwelt akzeptablen Niveau zu stabilisieren muss die Erwaumlrmung bei unter 2deg Celsius stagnieren Da-fuumlr muumlssen laut dem 2014 veroumlffentlichten Bericht des IPCC die globalen Treibhausgasemissionen (THGE) bis 2050 gegenuumlber 2010 mindestens halbiert und bis 2100 um rund 100 Prozent reduziert werden 1997 hat sich die internationale Staatengemeinschaft im Kyoto-Protokoll fuumlr die Jahre 2008 bis 2012 erstmals auf voumllkerrechtlich ver-bindliche Ziele fuumlr den Ausstoss von THGE in den entwi-ckelten Laumlndern geeinigt aktuell finden Verhandlungen fuumlr die Festlegung neuer Ziele statt

Cap and TradeZur Zielerreichung sieht das Kyoto-Protokoll unter ande-rem den Emissionshandel auf Staatenebene vor Zahl-reiche Laumlnder wenden dieses Instrument aber haumlufiger auf Unternehmensebene an Das Grundprinzip ist einfach Die Houmlchstmenge (Cap) an erlaubten Gesamtemissionen wird festgelegt und an die regulierten Unternehmen im Emissions rechtehandelssystem (EHS) verteilt Die Unter-nehmen sind verpflichtet fuumlr jede emittierte Tonne Kohlen-dioxid ein Emissionsrecht einzureichen ansonsten sind Sanktionszahlungen faumlllig Will ein Unternehmen uumlber die ihm zugeteilte Menge hinaus emittieren muss es ein an-deres Unternehmen finden das ihm die benoumltigte Menge an Emissionsrechten verkauft (Trade) Unternehmen mit hohen Minderungskosten werden dabei Emissionsrechte hinzukaufen und Unternehmen mit niedrigen Kosten wer-den ihre Emissionen mindern indem sie etwa Biomasse statt Kohle verbrennen und uumlberschuumlssige Emissions-rechte verkaufen Durch den Handel koumlnnen die erforder-lichen Emissionsminderungen dort realisiert werden wo sie mit den geringsten Kosten verbunden sind Am Markt stellt sich ein Preis fuumlr die Emissionsrechte ein der Ange-bot und Nachfrage zum Ausgleich bringt

So einfach das Prinzip ist so schwierig ist seine Umset-zung Das System bedingt dass die Regierungen Rech-te fuumlr die Nutzung der Atmosphaumlre schaffen die zu einer

Hochschulperspektive

22 COMPETENCE | 2014

Hochschulperspektive

Reduktion der Emissionen gegenuumlber einer Referenzent-wicklung fuumlhren dem sogenannten Business-as-usual-Szenario Doch die Abschaumltzung dieses Szenarios also der Entwicklung der Emissionen ohne Mengenbegren-zung ist schwierig wie die nachfolgenden Ausfuumlhrungen zum Emissionshandel in der EU zeigen

Der Emissionshandel in der EUDas EU-EHS ist der weltweit groumlsste Markt von Emissions-rechten Alle 28 EU-Staaten sowie Liechtenstein Island und Norwegen sind daran beteiligt Die Schweiz wuumlrde sich gerne anschliessen Das EU-EHS leidet seit seiner Einfuumlhrung im Jahr 2005 unter einem Uumlberangebot das sich mittlerweile auf rund 2 Milliarden Emissionsrechte be-laumluft Dies entspricht ungefaumlhr den vom System regulierten Emissionen eines Jahres Neben den unvorhergesehenen oumlkonomischen Entwicklungen durch die globale Finanz-krise traumlgt auch der starke Zubau an erneuer baren Ener-gien zu einem houmlheren Ruumlckgang der Emissio nen bei als geplant Der Hauptgrund fuumlr den derzeitigen Uumlberschuss liegt jedoch darin dass die regulierten Unternehmen ne-ben den Europaumlischen Emissionsrechten ndash European Union Allowances (EUAs) ndash auch auslaumlndische Emissions-minderungszertifikate ndash Certified Emission Reductions (CERs) ndash zu einem bestimmten Anteil anrechnen koumlnnen Mit dem sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) koumlnnen Industrienationen in Entwicklungslaumlndern emissionsmindernde Projekte finanzieren und sich die da-bei entstehenden THGE-Reduktionen mithilfe von CERs anrechnen lassen

Durch diese verschiedenen Faktoren hat sich ein Uumlberan-gebot entwickelt das den Preis der EUAs und CERs stark sinken liess Der Preis belaumluft sich derzeit auf rund fuumlnf Euro pro EUA Die bisherigen Reformanstrengungen wie etwa das sogenannte Backloading das Verschieben von Auktionen in spaumltere Jahre um die Menge zu verknappen haben bisher kaum zu einer Preiserhoumlhung gefuumlhrt

Die Schweiz als PreishochburgDer Schweizer Markt wuumlrde bei einem Zusammen-schluss nur rund 03 Prozent des EU-EHS ausmachen

Die Schweiz wuumlrde somit als Preisnehmerin agieren Das heisst der EU-Preis sollte auch in der Schweiz gelten Umso erstaunlicher ist es daher dass der Schweizer Preis pro Emissionsrecht derzeit bei rund 40 Franken liegt ob-wohl die Verbindung des Schweizer EHS mit dem EU-EHS geplant ist (sogenanntes Linking) Das auf der Basis des revidierten CO2-Gesetzes von 2012 und der CO2-Verord-nung verabschiedete System das den Emissionshandel am 1 Januar 2013 fuumlr 38 Unternehmen beziehungsweise 55 Anlagen in der Schweiz verbindlich eingefuumlhrt hat uumlber-nimmt weitestgehend die Regeln des EU-EHS Das neue System hat das bisherige freiwillige EHS in der Schweiz abgeloumlst Die im EHS erfassten Unternehmen sind von der CO2-Abgabe befreit Die hohe Kompatibilitaumlt des Schwei-zer EHS und des EU-EHS sollte ein schnelles Linking er-moumlglichen wobei die Verhandlungen durch die Annahme der Einwanderungsinitiative zum Stillstand gekommen sind Ein moumlglicher Erklaumlrungsansatz ist daher dass der hohe Preisunterschied die derzeitige Unsicherheit uumlber den Ausgang der Linking-Verhandlungen widerspiegelt Gehen die Schweizer Unternehmen davon aus dass kein Linking stattfindet sollte sich der Preis anhand der Minderungs-kosten und der Knappheit im Schweizer EHS bilden Fuumlr die Unternehmen ist es immer noch guumlnstiger den der-zeitigen Preis von 40 Franken fuumlr die Emissionsrechte zu bezahlen als eine Busse von 125 Franken pro fehlendes Emissionsrecht Zusaumltzlich zur Busse ist das Unternehmen verpflichtet die fehlenden Rechte im naumlchsten Jahr nach-zureichen Auch hier hat sich die Schweiz stark am EU-EHS orientiert bei dem die Busse bei 100 Euro pro EUA plus Wiedergutmachung liegt

Allokation beeinflusst den WettbewerbDie Gesamtmenge an Emissionsrechten (Cap) leitet sich aus den historischen Emissionen der teilnehmenden EHS-Unternehmen ab Fuumlr bestehende Anlagen die bereits vor 2013 am EHS in der Schweiz beteiligt waren setzt sie sich aus der Summe der durchschnittlich zugeteilten Emis-sionsrechte der ersten Verpflichtungsperiode (2008 bis 2012) zusammen fuumlr Anlagen die 2013 hinzukommen aus der Summe der durchschnittlichen Emissionen der

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fuumlr neue Anlagen in einer Reserve zuruumlckbehalten deren Uumlberschuumlsse zweimal jaumlhrlich versteigert werden Die Zu-teilung der Emissionsrechte hat etwas laumlnger gedauert so-dass sie in der Schweiz fuumlr die Jahre 2013 und 2014 erst im Februar 2014 erfolgte Das mag auch einer der Gruumlnde sein dass bisher kein Handel auf dem Sekundaumlrmarkt fuumlr den die Berner Kantonalbank eine eigene Emissions-handelsplattform bereitgestellt hat stattgefunden hat Das erste Preissignal war deshalb die Auktion der Uumlberschuumls-se aus der Neuemittentenreserve Diese fand vom 14 bis 21 Mai 2014 statt und erzielte fuumlr die 150 000 Emissions-rechte einen Preis von 4025 Franken pro Emissionsrecht

Wie sich die Liquiditaumlt im Schweizer Markt in Zukunft ent-wickeln wird und ob ein Linking mit dem EU-EHS und so-mit eine Angleichung der Schweizer Preise an die EU-EHS-Preise stattfinden wird bleibt abzuwarten Letzteres waumlre zwar aus oumlkonomischer Sicht zu begruumlssen da ein groumls-serer liquider Markt mit einheitlichem Preissignal als effizi-enter bewertet wird Aus oumlkologischer Sicht scheint jedoch ein Linking der Systeme ohne weitere Reformen des EU-EHS nicht wuumlnschenswert da es die Minderungsanreize in der Schweiz als Folge des Angebotsuumlberschusses an Emissionsrechten in der EU massiv reduzieren wuumlrde

Jahre 2009 bis 2011 Diese Summe wird jaumlhrlich um 174 Prozent reduziert analog der Regelung im EU-EHS

Neben der Festlegung der Obergrenze ist die Ausgestal-tung der Zuteilungsregeln politisch am schwierigsten da diese Verteilungswirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussen Bis 2012 wurden die Emissionsrechte in der EU daher groumlsstenteils kostenlos zugeteilt Seit 2013 werden rund 48 Prozent der Emissionsrechte versteigert wobei diese vor allem von Elektrizitaumltsfirmen gekauft wer-den muumlssen Da diese nicht im internationalen Wettbewerb

stehen konnten sie den Preis der gratis erhaltenen Emis-sionsrechte an die Elektrizitaumltskonsumenten weitergege-ben und hohe Gewinne erzielen Unternehmen aus Sek-toren die im internationalen Wettbewerb stehen koumlnnen hingegen die Kosten fuumlr die Emissionsrechte nicht an ihre Endkunden weitergeben ohne betraumlchtliche Nachteile in Kauf zu nehmen Es besteht daher das Risiko dass diese Firmen in Laumlnder ohne Klimapolitik abwandern Um dieses Risiko zu senken erhalten Unternehmen bei denen ein Risiko auf Abwanderung besteht auch in Zukunft weitest-gehend kostenlos Emissionsrechte zugeteilt Die Zuteilung basiert dabei auf sogenannten Benchmarks (Tonne Koh-lendioxid pro Tonne Produkt) die auf der Basis der effizi-entesten 10 Prozent der Unternehmen berechnet und mit historischen Produktionsdaten multipliziert werden

Noch kein Handel in der SchweizDie Schweiz hat die Benchmarks des EU-EHS uumlbernom-men Da in der Schweiz vor allem stark im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen aus den Sektoren Zement Papier Chemie Stahl und Raffinerien unter den Emissionshandel fallen werden fast alle Emissionsrechte kostenlos zugeteilt Ein kleiner Anteil von 5 Prozent wird

Regina BetzDr Regina Betz ist Dozentin fuumlr Energie- und Umweltoumlkonomie an der ZHAW School of Management and Law Seit 2014 leitet sie den volkswirtschaftlichen Teil der Ener-gy Policy Analysis Group des Zentrums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht das Mitglied des Schweizer Competence Centers for Research in Energy Society and Transition (CREST) ist Zuvor lehrte sie an der University of New South Wales Australia Umwelt- und Klimaoumlkonomie und leitete als Co-Direktorin das Centre for Energy and Environmental Markets (CEEM) 1998 bis 2004 arbeitete sie als Wissenschaftlerin am Fraunhofer-Institut fuumlr System- und Innovationsforschung ISI in Deutschland

laquoNeben der Festlegung der Ober grenze ist die Ausgestaltung der Zuteilungsregeln politisch am

schwierigsten da diese Verteilungs wirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussenraquo

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nicht vollstaumlndig genutzt werden kann In der Energiestra-tegie des Bundes ist gemaumlss einem Szenario bis 2050 ein Zubau auf knapp 12 TWh pro Jahr Stromproduktion aus Fotovoltaik angedacht Dies bedingt den Bau von Fotovol-taikanlagen mit einer installierten Spitzenleistung von etwa 12 Gigawattpeak (GWp) und einem Flaumlchenbedarf von rund 84 000 000 Quadratmetern Dieser Flaumlchenbedarf ist auf den bestehenden Daumlchern in der Schweiz verfuumlgbar

An einem schoumlnen Sommertag koumlnnen diese Anlagen dann also etwa 12 GW erzeugen die maximale Ver-brauchslast liegt im Sommer aber nur bei rund 8 GW Es entsteht ein Uumlberschuss von 4 GW die Speicherleistung der Schweizer Pumpspeicheranlagen betraumlgt heute aber nur 15 GW 25 GW Leistung koumlnnen in diesem Szenario also gar nicht genutzt werden An einem Wintertag mit Hochnebel erzeugen diese Anlagen uumlberhaupt keinen Strom die Verbrauchslast liegt aber mit 10 GW noch houml-her als im Sommer Hier entsteht eine Luumlcke die mit ande-ren Energieformen oder Importen gedeckt werden muss

Speichern uumlbertragen oder einsparenUm diesem Problem zu begegnen gibt es verschiedene Loumlsungsansaumltze Ein Ansatz ist die Energie lokal dort zu speichern wo sie erzeugt aber nicht sofort verbraucht werden kann In diesem Fall werden in erster Linie viele kleine Speichermodule benoumltigt die sowohl fuumlr kurz- als auch langfristigen Ausgleich sorgen muumlssen Eine andere Moumlglichkeit ist es die Energie an Orte zu uumlbertragen wo sie sofort verbraucht wird dann muss in erster Linie das Netz ausgebaut werden Schliesslich koumlnnte Energie auch zentral zu grossen Speichern transportiert werden was sowohl einen Netzausbau als auch neue Speichertechno-logien bedingen wuumlrde

Als die Gesellschaft noch aus Jaumlgern und Sammlern be-stand verbrauchte der Mensch seine Energie lokal dort wo er sie benoumltigte Er lebte von der Hand in den Mund Im Zuge der aufkommenden Landwirtschaft musste er Methoden entwickeln um Nahrung haltbar zu machen und sie zu transportieren Vor demselben Problem steht heute die Energiewirtschaft Ort und Zeit der erneuerbaren Energieerzeugung korrelieren je laumlnger je weniger mit dem Verbrauch Die Herausforderung der Energiewende ist deshalb nicht nur die Produktion selbst sondern auch die Uumlbertragung die Speicherung und das lokale Verbrauchs-last-Management

Saisonale Speicherung problematischMit dem Ausstieg aus der Kernenergie muumlssen in der Schweiz etwa 40 Prozent der produzierten elektrischen Energie ersetzt werden also rund 23 Terawattstunden (TWh) pro Jahr Im Gegensatz zur Kernenergie haben die neuen erneuerbaren Energien den Nachteil dass ihre Pro-duktion nicht steuerbar ist und unregelmaumlssig anfaumlllt Der Kapazitaumltsfaktor also das Verhaumlltnis von durchschnittlicher zu maximaler Leistung betraumlgt bei konventionellen Kraft-werken bis zu 100 Prozent bei Fotovoltaikanlagen dage-gen nur etwa 10 Prozent Hinzu kommen die starken saiso-nalen Schwankungen dieser stochastisch erzeugenden Energiequellen Im Winter liegt die Stromverbrauchsspitze mit circa 10 Gigawatt (GW) rund ein Drittel houmlher als im Sommer gleichzeitig liefern Fotovoltaikanlagen aufgrund des flacheren Einstrahlungswinkels und der kuumlrzeren Son-nenscheindauer wesentlich weniger Strom als im Sommer

Anhand eines Gedankenexperiments laumlsst sich veran-schaulichen dass das Potenzial der neuen erneuerbaren Energien ohne zusaumltzliche Speicher oder steuerbare Lasten

Energie haltbar machen

Der Ausbau von erneuerbaren Energiequellen geht so schnell voran dass Speicher- und Uumlbertragungstechnologien kaum mithalten koumlnnen Um Produktionsspitzen zu glaumltten braucht es Fortschritte in der EnergietechnikText Petr Korba

Hochschulperspektive

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Petr KorbaProf Dr Petr Korba ist Dozent und Fach-gruppenleiter fuumlr elektrische Energietechnik und Smart Grids an der ZHAW School of En-gineering Zuvor forschte er uumlber zehn Jahre bei ABB Schweiz in den Bereichen Automa-tion Energie- und Regelungstechnik

Scherrer Institut an der Power2Gas-Technologie Dabei wird Kohlendioxid mit Strom aus erneuerbaren Quellen durch Elektrolyse zu Wasserstoff oder weiter zu Methan verarbeitet Aumlhnlich wie bei der Nahrungsmittelproduktion wo Staumlrke schliesslich als raffinierter Zucker gespeichert wird gibt es auch bei der Stromspeicherung immer raffi-niertere Formen Bei jeder Umwandlung geht aber Energie verloren Man muss sich also gut uumlberlegen ob man uumlber-haupt speichern will und wenn ja uumlber welchen Zeitraum

Mit der wachsenden Integration von erneuerbaren Energi-en steigen auch die Anforderungen an die Energietechnik Unser kuumlnftiges Energiesystem wird staumlrker automatisiert und intelligenter sein Um erneuerbare Energiequellen zu integrieren werden Informations- und Kommunikations-technologien Automatisierungs- und Regelungstechnik Signalverarbeitung oder Wettervorhersagen immer wich-tiger In den intelligenten Stromnetzen der Zukunft wer-den alle beteiligten Komponenten Daten wie den aktuellen Verbrauch verfuumlgbare Strommengen oder lokale Aus-faumllle melden und gleichzeitig solche Daten aus anderen Netzkomponenten empfangen Das daraus resultierende Smart Grid ist ein Gefuumlge das selbststaumlndig auf diese Ein-fluumlsse reagiert und seine eigene Effizienz optimiert Es gilt Energie effizienter zu uumlbertragen um raumlumliche Distanzen zu uumlberwinden und neue Speichertechnologien zu entwi-ckeln um zeitliche Engpaumlsse zu uumlberbruumlcken Elektrische Energie kann auf verschiedene Arten erzeugt gespei-chert und uumlbertragen werden Jede Art hat ihre Vor- und Nachteile und ihren Preis Anreize aus der Politik werden schliesslich entscheiden welche Formen dies in der Zu-kunft sein werden

Auf der Verbraucherseite laumlsst sich die Nutzlast durch ge-eignetes Last-Management anpassen Diese Steuerung schaltet verbrauchsintensive Anlagen in Unternehmen gewerblichen Betrieben und Haushalten gezielt dann ein wenn die Stromtarife guumlnstig sind Es duumlrfte aber schwie-rig sein der Bevoumllkerung vorzuschreiben wann sie zum Beispiel fernsehen oder kochen darf Eine intelligente Re-gelung von grossen Kuumlhlhaumlusern stoumlrt dagegen nieman-den Trotz solchen Bestrebungen geht die International Energy Agency (IEA) davon aus dass der Stromverbrauch weltweit jaumlhrlich um rund 1 Prozent zunimmt Diese Ten-denz verstaumlrkt sich voraussichtlich noch falls sich der Bereich Mobilitaumlt von fossilen Energietraumlgern hin zur Elek-tromobilitaumlt verschieben wird Die Geschichte hat gezeigt dass der Energieverbrauch eigentlich nur in Krisenzeiten zuruumlckgeht

Klar ist jedenfalls dass der Ausbau von Speichern und Netzen Hand in Hand mit der zunehmenden Integration von erneuerbaren Energiequellen erfolgen muss Auf unter-schiedlichen Netzebenen kommen unterschiedliche Spei-chertechnologien zum Einsatz Waumlhrend fuumlr Haushalte mit kleinen Fotovoltaikanlagen und im Niederspannungsnetz bereits Batteriespeicher vorhanden sind stossen diese bei mehr als einer Windturbine oder groumlsseren Solarparks schnell an ihre Grenzen Das groumlsste Batterieenergie-speichersystem der Schweiz betreiben die Elektrizitaumlts-werke des Kantons Zuumlrich in Dietikon Es hat 1 Megawatt (MW) maximale Speicherleistung und kann diese waumlhrend ungefaumlhr 15 Minuten abgeben respektive speichern Die Spitzenlast im Schweizer Hochspannungsnetz liegt aber bei 8 GW im Sommer und 10 GW im Winter Die Schwei-zer Pumpspeicherkraftwerke koumlnnen unseren Strombe-darf nur etwa einen Monat lang decken Das europaumlische Hochspannungsnetz verfuumlgt uumlber eine Spitzenlast von circa 500 GW Um die Leistung von Grosskraftwerken wie Offshore-Windparks langfristig zu speichern braucht es neue Technologien

Raffinierte EnergiespeicherungDafuumlr forscht die ZHAW School of Engineering gemein-sam mit der ETH Zuumlrich der EPF Lausanne und dem Paul

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Hochschulperspektive

Dissonanz an der Steckdose

Mit der Energiestrategie 2050 haben Bundesrat und Parla-ment eine Kehrtwende in der Schweizer Energiepolitik ein-gelaumlutet der die wichtigsten politischen Huumlrden erst noch bevorstehen Auf den ersten Blick scheint der Kurswechsel breit abgestuumltzt Seit dem Reaktorunfall in Fukushima fuumlh-ren Umfragen immer wieder zum gleichen Ergebnis Der langfristige Ausstieg aus der Kernenergie findet eine Mehr-heit Im Grundsatz stossen erneuerbare Energien sowie Massnahmen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz auf hohe Zustimmung Was fuumlr den Stimmzettel gilt beeinflusst aber nicht automatisch das Konsum- und Investitionsverhalten der Energiekunden Die Bereitschaft aus eigenem Antrieb mehr fuumlr ein oumlkologisch houmlherwertiges Produkt aus neuen erneuerbaren Energietraumlgern zu bezahlen ist beschraumlnkt Nur wenige Haushalte sind zudem bereit ihren Energie- und insbesondere ihren Stromkonsum zu reduzieren wenn dies mit nicht amortisierbaren Investitionskosten oder einem moumlglichen Komfortverlust verbunden ist

Mit anderen Worten Effizienz wird als teuer und Suffizienz als bevormundend empfunden Die private Zahlungsbereit-schaft laumlsst sich zwar mit regulatorischen Interventionen wie fixen Einspeiseverguumltungen oder Investitionssubven-tionen in Effizienzmassnahmen etwas erhoumlhen Doch die Erfahrungen in Deutschland und der Schweiz zeigen dass solche Massnahmen oumlkonomisch ineffizient sind und oft als ungerecht empfunden werden Sie koumlnnen damit zum Bumerang fuumlr die Akzeptanz der energiepolitischen Ziele werden Neben den politischen Huumlrden ist somit auch die kognitive Huumlrde der Konsumenten zu beruumlcksichtigen De-ren Uumlberwindung bedarf zuerst einer differenzierten Analyse der Ursachen und danach der Entwicklung innovativer Ver-triebsmodelle und Produkte auf Versorgerseite

Eine Mehrheit der Bevoumllkerung unterstuumltzt den Ausstieg aus der Kernenergie doch nur wenige beziehen ein oumlkologisches Stromprodukt Warum das so ist und wie sich diese Dissonanz aufloumlsen laumlsst beschaumlftigt derzeit viele EnergieversorgerText Claudio Cometta

Indifferenz uumlberwiegtFuumlr viele Konsumenten ist die Strom- Gas- oder Fern-waumlrmerechnung ein verhaumlltnismaumlssig kleiner Posten im Haushaltsbudget dem wenig Beachtung geschenkt wird Die Schweiz ist sogar einer der Spitzenreiter in Europa machen die Stromkosten im Durchschnitt doch nicht mehr als 2 Prozent der Haushaltsausgaben aus Wenig Beachtung bedeutet auch wenig Kenntnis des Preises und der Menge der bezogenen Energieleistung oder der Zusammensetzung des Tarifs aus Energiekosten Netz-kosten und Abgaben Entsprechend besteht nur ein ge-ringes Interesse Energie und damit Kosten zu sparen Konsumentenbefragungen zeigen zudem dass nur eine kleine Minderheit der Kunden die Zusammensetzung ihres Stromprodukts nach Energietraumlgern kennt Die geringen Kosten und Unkenntnis des Produkts verhindern also die Wahl anderer Stromprodukte Strom ist ein klassisches Commodity-Produkt Man kann ihn weder sehen noch riechen Er ist verhaumlltnismaumlssig guumlnstig immer verfuumlgbar und aumlndert in keinerlei Hinsicht seine Eigenschaften wenn dafuumlr mehr bezahlt wird Zudem ist meist nicht sichtbar wer wie viel von welchem Produkt bezieht Der Strom-konsum ist Privatsache

Uumlberwindung durch VertriebsmodelleDie Vorgaben der Energiestrategie 2050 beinhalten nicht nur einen massiven Zubau der Produktionskapazitaumlt aus erneuerbaren Energietraumlgern sondern auch die kon-tinuierliche Reduktion des Energie- und insbesondere des Stromkonsums pro Kopf Die direkte Finanzierung der dazu notwendigen Investitionsvorhaben scheint an-gesichts der Indifferenz auf Konsumentenseite jedoch schwierig Aus diesem Grund sind mehrere Schweizer

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rund um Haushaltstechnik Sicherheit Pflege oder Kom-munikation sowie ein geschicktes Marketing mit Elemen-ten der sozialen Kontrolle Denkbar sind auch Anreize die keinen direkten Zusammenhang mit dem Energiekonsum aufweisen aber fuumlr breite Bevoumllkerungsgruppen attrak-tiv sind So haben etwa einzelne skandinavische Versor-ger damit begonnen energiesparendes Verhalten ihrer Kunden mit Verguumlnstigungen fuumlr die Nutzung oumlffentlicher Transportmittel zu belohnen

Uumlberwindung durch PartizipationDie wohl wirkungsvollste Massnahme zur Uumlberwindung der Dissonanz an der Steckdose ist bereits inhaumlrent in der Transformation des Energiesystems hin zu einer staumlrker dezentralen Erzeugung angelegt Kunden entwi-ckeln sich von passiven Leistungsempfaumlngern zu aktiven Leistungserbringern sogenannten Prosumern Als Klein-produzenten von Strom mit einer hauseigenen Fotovol-taikanlage oder thermischer Speicherleistung mit Kraft-Waumlrme-Kopplungsanlagen im Mikroformat werden sie mittelfristig wesentlich zum Umbau des Energiesystems und zu den Zielen der Energiestrategie beitragen koumlnnen Eine nicht ganz unbedeutende Rolle koumlnnten in Zukunft sogenannte Buumlrgerbeteiligungsmodelle fuumlr die Finanzie-rung neuer In frastrukturprojekte spielen Diese wuumlrden gleichzeitig die Akzeptanz sichtbarer Produktionsanlagen von neuen erneuerbaren Energien erhoumlhen Doch erst wenn das Produkt Strom nicht mehr als reines Commodity-Produkt wahrgenommen wird werden politische Meinung und Konsumverhalten bei einer Mehrheit der Stimmbuumlrger uumlbereinstimmen

Energieversoger in letzter Zeit dazu uumlbergegangen soge-nannte Default-Modelle einzufuumlhren die Stromprodukte aus erneuerbaren Quellen zum neuen Standard erheben Dabei macht man sich die Traumlgheit der Kunden zunutze indem die Wahl eines Stromprodukts aus nicht erneuer-baren Energietraumlgern als Option definiert wird die aktiv bestellt werden muss

Nicht zuletzt aufgrund solcher Modelle ist die Zahl der Schweizer Haushalte die ein Stromprodukt aus aus-schliesslich erneuerbaren Energien beziehen auf uumlber 25 Prozent gestiegen Doch weitere Vertriebsinnovationen werden notwendig sein etwa um der Herausforderung der Einspeisung von Strom aus fluktuierend nutzbaren Quellen (Solar- und Windenergie) in die Verteilnetze gewachsen zu sein die immer staumlrker ins Gewicht faumlllt In der Folge gilt es Investitionen in Netz- und Speichersysteme zu finan-zieren In innovativen Vertriebsmodellen welche dieser Herausforderung gerecht werden erhaumllt das Konsumver-halten einen Wert Zeitliche Flexibilitaumlt wird belohnt durch Tarifreduktion Bonus oder Vermeidung einer Gebuumlhr Wie diese beiden Beispiele zeigen laumlsst sich der Mehrwert von vermeintlichen Commodity-Produkten durch neue Vertriebsmodelle abschoumlpfen und als marktwirtschaftlich vertraumlglicher Finanzierungsmechanismus fuumlr neue Infra-strukturvorhaben im Energiesektor nutzen

Uumlberwindung durch innovative ProdukteNoch groumlsseres Potenzial birgt die Weiterentwicklung von Stromprodukten zu Leistungssystemen die fuumlr Energie-kunden einen echten Mehrwert bieten Hierzu gehoumlrt die Verknuumlpfung des Kernprodukts Strom mit Dienstleistun-gen die den Kunden ein transparenteres Verbrauchsver-halten sowie Kostenoptimierung ermoumlglichen Intelligente Stromzaumlhler sogenannte Smart Meter kombiniert mit fle-xiblen Tarifen und einem einfachen Feedback- und Steuer-system sind die Voraussetzung um zumindest oumlkologisch sensibilisierten oder kostenbewussten Endkunden einen Effizienzeffekt zu ermoumlglichen Damit solche Leistungs-systeme aber fuumlr die grosse Gruppe der Indifferenten interessant werden braucht es weitere Mehrwerte Dazu gehoumlren die Verknuumlpfung mit intelligenten Anwendungen

Claudio ComettaDr Claudio Cometta ist Dozent fuumlr Innovation und Entrepreneurship an der ZHAW School of Management and Law Er koordiniert den Aufbau des nationalen Energie-Kompetenz-zentrums SCCER 5 an der ZHAW

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Die Energiewende stellt die Energieversorgungsunternehmen in der Schweiz vor grosse Herausforderungen Das Beispiel von Stadtwerk Winterthur zeigt wie die Branche auf den Paradig-menwechsel reagiertText Florian Wehrli

Von den Anfaumlngen als laquoWinterthurer Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtungraquo vor uumlber 150 Jahren bis zum modernen Querverbundunternehmen hat sich Stadtwerk Winterthur kontinuierlich weiterentwickelt Seine Aufgabe ist aber gemaumlss Direktor Markus Saumlgesser weitgehend dieselbe geblieben die Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung zu verbes-sern So bietet das staumldtische Versorgungsunternehmen neben klassischen Produkten wie Wasser Strom Gas oder Kehrichtentsorgung und Abwasserreinigung heute auch Fernwaumlrme Haustechnik Glasfasernetz und Ener-gie-Contracting an Die Ausdehnung auf neue Geschaumlfts-bereiche will der Direktor aber nicht als Reaktion auf die Liberalisierung des Energiemarkts verstanden wissen laquoWir begegnen der Marktoumlffnung proaktiv und wollen die sich bietenden Chancen aktiv nutzenraquo

Lokales Potenzial ausgeschoumlpftIm liberalisierten Markt hat das staumldtische Versorgungs-unternehmen mit dem Monopol auf sein Energieversor-gungsnetz von gesamthaft mehr als 2 500 Kilometern einen Vorteil Dessen Unterhalt ist nach wie vor eine der Hauptaufgaben Im Gegensatz zu anderen Energieversor-gern betreibt Stadtwerk Winterthur naumlmlich einen verhaumllt-nismaumlssig geringen Anteil an eigenen Produktionsanlagen Das Flaggschiff ist die wohl modernste Kehrichtverwer-tungsanlage der Schweiz laquoMit dem Umbau konnten wir 2013 den Wirkungsgrad der Anlage um einen Drittel stei-gern und die Abluft gehoumlrt zu den saubersten weltweitraquo sagt Markus Saumlgesser Heute deckt die KVA 20 Prozent des Winterthurer Strom- und 12 Prozent des Waumlrmebe-darfs ab Auf solchen Lorbeeren ausruhen will sich Stadt-werk Winterthur aber nicht laquoWir wollen mithelfen eine nachhaltige Energiewirtschaft aufzubauenraquo Mittelfristig soll

die Haumllfte des Stromangebots aus erneuerbaren Quellen stammen laquoDas ist ein ehrgeiziges Zielraquo sagt Saumlgesser laquowir sind aber auf gutem Weg dazuraquo

Rund die Haumllfte des Rahmenkredits von 90 Millionen Franken fuumlr erneuerbaren Strom den das Winterthurer Stimmvolk 2012 bewilligt hat ist bereits investiert Im Bereich Fotovoltaik ist die Planung der groumlssten Anlagen abgeschlossen etwa auf den Daumlchern der Eishalle oder des Busdepots Eine aktuelle Windpotenzialstudie zeigt fuumlr Winterthur nur wenige moumlgliche Standorte auf zumal die Bewilligung solcher Anlagen mit grossem buumlrokratischem Aufwand verbunden sei Mit diversen Nahwaumlrmever-buumlnden nutzt Stadtwerk Winterthur auch Holzabfaumllle bereits sehr effizient Aber auch dieser Energietraumlger ist in Winterthur beschraumlnkt vorhanden Das letzte Projekt das Holz aus dem Winterthurer Stadtwald einsetzen wird ist in der Aufbauphase Studien im Bereich Wasserkraft haben gezeigt dass abgesehen von einem Kleinwasser-kraftwerk an der Toumlss in der Region kaum Potenzial vor-handen ist

Investitionen im AuslandlaquoDiese aufwendige Aufbauarbeit soll nicht zur Regel wer-denraquo sagt Markus Saumlgesser laquoDas limitierte Energiepoten-zial in der Schweiz und die beschwerlichen Instanzenwe-ge fuumlr Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie lassen uns deshalb vermehrt im Ausland investierenraquo 2012 be-teiligte sich das Stadtwerk mit 12 Millionen Franken am Kleinkraftwerk Birseck AG das Kleinwasserkraftwerke und Foto voltaikanlagen in der Schweiz und in Frankreich be-treibt 2013 folgte eine Beteiligung in der Houmlhe von 25 Mil-lionen Franken an der Swisspower Renewables AG die in

Vom Versorger zum Dienstleister

Unternehmensperspektive

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sein glaubt er aber nicht daran dass der Stromverbrauch insgesamt zuruumlckgehen wird laquoDafuumlr ist der Marktpreis zu niedrig Aus serdem wird Strom im Bereich Waumlrme und Mobilitaumlt einen Grossteil der fossilen Energietraumlger ersetzen muumlssenraquo Damit der geplante Verbrauchsruumlck-gang dennoch gelingt will der Bund Anreize schaffen Mit sogenannten weissen Zertifikaten will er die Versor-ger be lohnen wenn sie ihre Kunden zu einem geringeren Energie verbrauch bewegen In Grossbritannien Italien und Frankreich sind solche Modelle bereits im Einsatz Markus Saumlgesser sieht dieser Entwicklung mit gemischten Gefuumlh-len entgegen laquoWir haben bereits vor der Reaktorkatastro-phe in Fukushima auf Energieeffizienz gesetzt und konn-ten uns dadurch profilieren Weil die Politik nun eingreift und den Markt uumlbersteuert bleibt uns als Unternehmen weniger Spielraum um uns zu positionierenraquo

Windkraftanlagen im angrenzenden Ausland investiert Fuumlr die Beschaffung von Strom am freien Markt ist das Stadtwerk eine Zusammenarbeit mit der Trianel GmbH in Aachen ndash einer der fuumlhrenden Stadtwerke-Kooperationen in Europa ndash eingegangen Damit sollen insbesondere der Zugang zum Grosshandelsmarkt sowie die Marktfor-schung sichergestellt werden Denn um Kunden nachhal-tige Energieprodukte verkaufen zu koumlnnen muss man ihre Beduumlrfnisse genau kennen

Anreize fuumlr geringeren VerbrauchDie Strategie scheint aufzugehen laquoSeit der Einfuumlhrung der neuen Stromprodukte Anfang 2013 haben wir den Absatz von erneuerbarer Energie in Winterthur verdop-pelt und denjenigen von Oumlkostrom sogar vervierfachtraquo so Saumlgesser Trotz dem steigenden oumlkologischen Bewusst-

Gemaumlss seinem Leitbild soll Stadtwerk Winterthur mit einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der soziashylen Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Bild Michael Lio

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Ausgliederung aus der StadtverwaltungAuch auf kommunaler Ebene ist Stadtwerk Winterthur von den politischen Rahmenbedingungen abhaumlngig ndash mit allen Vor- und Nachteilen Die politischen Kurswechsel in den vorgesetzten Gremien seien hinderlich bei der Umsetzung der Strategie des Unternehmens laquoWir taumltigen Investitio-nen mit einem Planungshorizont von mehreren Jahrzehn-tenraquo sagt Markus Saumlgesser laquoin der Politik wird dagegen in Amtsperioden von vier Jahren gedachtraquo Es gibt deshalb Bestrebungen das Stadtwerk aus der Stadtverwaltung auszugliedern und einem langfristig operierenden Steue-rungsgremium zu unterstellen Bei der Stimmbevoumllkerung geniesst Stadtwerk Winterthur grossen Ruumlckhalt Alleine in den letzten zwei Jahren wurden vier Abstimmungsvor-lagen mit grossem Mehr angenommen darunter Rah-menkredite fuumlr das Energie-Contracting oder erneuerbare Energien laquoEine bessere Legitimation koumlnnen wir uns gar nicht wuumlnschenraquo sagt Markus Saumlgesser

Neue BetriebskulturStrategisch und energiepolitisch werden Dienstleistungen wie das Energie-Contracting fuumlr Stadtwerk Winterthur immer wichtiger laquoWir wollen unserer Kundschaft Waumlr-me oder Kaumllte gleich komfortabel anbieten koumlnnen wie Stromraquo sagt Markus Saumlgesser laquoImmobilienbesitzerinnen und -besitzer sollen sich nicht mehr um den Fuumlllstand ih-res Oumlltanks oder den Termin fuumlr den Kaminfeger kuumlmmern muumlssenraquo Das Energie-Contracting waumlchst stark und macht heute bereits rund 5 Prozent des Umsatzes von Stadtwerk Winterthur aus

Die neuen Geschaumlftsfelder ziehen auch andere Arbeits-kraumlfte an als bisher Verschiedene Betriebskulturen seien in den vergangenen Jahren teilweise parallel gelaufen be-ginnen nun aber langsam zu verschmelzen Ein Beispiel dafuumlr ist die Verknuumlpfung von Smart Metering und dem traditionellen Verteilnetz Elektrizitaumlt Als Voraussetzung fuumlr das Change-Management in der Betriebskultur habe man alle Mitarbeitenden in die Erarbeitung des Unterneh-mensleitbildes involviert Entstanden ist ein Leitbild das Stadtwerk Winterthur dabei unterstuumltzt die Unterneh-mensstrategie umzusetzen Stadtwerk Winterthur soll mit

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

Markus SaumlgesserMarkus Saumlgesser (52) ist diplomierter Ma-schineningenieur ETH und hat ein Nachdi-plomstudium in technischen Betriebswissen-schaften absolviert Seit Anfang 2011 ist er Direktor von Stadtwerk Winterthur Seine bisherige berufliche Taumltigkeit fuumlhrte Markus Saumlgesser nach zwei Jahren Assistenz an der ETH zu einem Ingenieurbuumlro fuumlr Ener-gie- und Haustechnik Waumlhrend dieser rund sechsjaumlhrigen Zeit war er bei anspruchsvol-len Bauprojekten verantwortlich fuumlr die Konzeption und Koordination der technischen Gebaumludeausruumlstung Zudem war er waumlhrend vier Jahren Mitglied der Geschaumlftsleitung Nach zweijaumlhriger Taumltigkeit als Abteilungsleiter in einer groumlsseren Gemeinde wechselte er zum Elek-trizitaumltswerk der Stadt Zuumlrich (EWZ) bei dem er die Abteilung Vertrieb Grosskunden leitete Daneben war Markus Saumlgesser beim EWZ in verschiedene Innovationsprojekte involviert So zeichnete er fuumlr das Projekt laquoStromzukunft Stadt Zuumlrichraquo verantwortlich das wichtige Grundlagen fuumlr die Strategie des EWZ und die Volksabstimmung zur 2000-Watt-Gesellschaft in der Stadt Zuumlrich beisteuerte

Stadtwerk Winterthur in Zahlen (2013)Mitarbeitende 347Nettoinvestitionen 1198 Mio CHFDurchgeleitete Strommenge 5643 Mio kWhUmsatz Strom 93 Mio CHFDurchgeleitete Gasmenge 5295 Mio kWhUmsatz Gas 411 Mio CHFUnternehmensgewinn 109 Mio CHF

einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der sozia-len Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Wann wurden in Winterthur die ersten Strassenlampen mithilfe von Stein-kohle erleuchtet

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Unternehmensperspektive

ckelte Hochspannungsgleichstromschalter sollen zudem sicherstellen dass etwa ein Kurzschluss durch eine hy-perschnelle Abschaltung isoliert und das Netz somit nicht gefaumlhrdet wird Von 14 solchen Schaltsystemen welt-weit stammen 13 von ABB Die hohen Investitionen fuumlr die armdicken Gleichstromkabel rechnen sich da beim Transport viel weniger Strom verloren geht als bei der tradi tionellen Wechselstromtechnik Die Produktelinie ent-wickelt sich zum Renner Sie wird zur Anbindung von So-lar- und Windparks zur Versorgung von Inseln als Ersatz fuumlr Diesel generatoren auf Oumll- und Gasplattformen auf See eingesetzt Oder um Starkstrom vom Festland zu auf dem Meeresboden platzierten ferngesteuerten Foumlrderanlagen fuumlr Gas und Oumll zu leiten ndash wofuumlr ABB auch wartungsfreie Kompressoren liefert damit Kunden wie Statoil und Pet-robras teure Ausfaumllle erspart bleiben

Komplettloumlsungen aus einer HandDank hohem Innovationstempo sind die Divisionen Ener-gietechnik- und Niederspannungsprodukte gut ausgelas-tet Dies gilt ebenso fuumlr die Divisionen Industrie- und Pro-zessautomation Speziell energieintensive Industrien die unter hohem Kostendruck stehen muumlssen ihre Anlagen auf dem neusten Stand halten Dazu zaumlhlen Bergbau Oumll- und Gasindustrie Zellstoff- Papier- und Zementfabriken Chemie- und Pharmafirmen sowie Raffinerien Gefragt sind auch Industrieroboter und schwenkbare dank ABB-Leistungselektronik stufenlos regulierbare Schiffsantrie-be ABB liefert Grosskunden fertige Loumlsungen die hohe Produktivitaumlt und Energieeffizienz gewaumlhrleisten Alles ist aufeinander abgestimmt von der Elektrik uumlber Antriebe Generatoren Roboter Sensoren und Steuerungen bis hin

Zu Beginn des Jahrtausends stand ABB am Abgrund Doch eine neue Fuumlhrungscrew fuumlhrte das Unternehmen aus der Krise sodass die Schweiz inzwischen wieder stolz sein kann auf ihren Industriemulti mit Sitz in Zuumlrich Oerli-kon 2013 erzielte ABB mit rund 148 000 Mitarbeitenden in 100 Laumlndern 42 Milliarden Dollar Umsatz Die renom-mierte US-Universitaumlt MIT zaumlhlt ABB zu den 50 innova-tivsten Unternehmen weltweit Dank 8 000 Ingenieuren in Forschung und Entwicklung und einem Forschungsetat von 15 Milliarden Dollar kann ABB selbst mit Giganten wie Siemens und General Electric mithalten

Innovationen die Technikfans begeisternWas ABB alles macht wissen wohl nur Technikfans Denn der Konzern hat uumlber 70 000 Produkte im Angebot Die 300 ABB-Fabriken liefern taumlglich 15 Millionen Kompo-nenten aus die zu elektrischen Einrichtungen oder in Pro-duktionssteuerungen verbaut werden Aus Kanada etwa kam juumlngst ein Grossauftrag uumlber 400 Millionen Dollar Erneuerbare Energie die auf Neufundland und Labrador gewonnen wird soll ab 2017 via Hochspannungskabel 360 Kilometer nach Westen fliessen um dort 350 000 Haumluser zu versorgen Weltweit gibt es erst 90 solche Gleichstromkabelverbindungen die meist unter der Erde oder auf dem Meeresgrund verlaufen ABB ist mit rund 50 Prozent Anteil Marktfuumlhrer Die futuristisch anmuten-de Technik in den abgeschirmten Hallen wo der Strom vor dem Transport auf Hochspannung transformiert wird erinnert an den Maschinenraum von Raumschiff Enter-prise Ein wichtiges Steuerungselement bilden dabei in Baden Daumlttwil entwickelte und in Lenzburg produzierte Spezialchips die Houmlchstspannung aushalten Neu entwi-

Der schweizerisch-schwedische Technikkonzern treibt an vor-derster Front die Energiewende voran Dafuumlr forscht man bei ABB intensiv zu erneuerbaren Energien schlauen Stromnetzen sowie hocheffizienten Industrieanlagen Einzig die schwache Nachfrage nach Energieanlagen in Europa bremst die ExpansionText Andreas Fluumltsch

Innovativer Treiber der Energiewende

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uumlber weite Strecken in die Ballungsraumlume geleitet werden muss brummt das Geschaumlft In den USA treibt der Oumll- und Gasboom die Nachfrage Nur in Europa harzt das Geschaumlft mit Grossanlagen Weniger Nachfrage belastet die Margen bei Auftraumlgen fuumlr Wind- und Solarfarmen so-wie fuumlr Netzinfrastruktur Die Risiken der oft mehrjaumlhrigen Projekte sind so hoch dass ABB waumlhlerischer sein muss und etwa das Geschaumlft mit Solarloumlsungen zurzeit auf Sparflamme betreibt Dennoch ist ABB immer noch hoch-profitabel nicht zuletzt da die Kosten Jahr fuumlr Jahr um 3 bis 5 Prozent gesenkt werden Aber der erfolgsgewohnte Konzern musste sich 2013 mit 6 Prozent Umsatzplus zu-friedengeben Umso intensiver treibt der neue ABB-Chef Ulrich Spiesshofer die Integration der vorab in den USA fuumlr 10 Milliarden Dollar getaumltigten Zukaumlufe voran Und Spiess-hofer forciert die Zusammenarbeit der Divisionen damit ABB die Unternehmensvision laquoEnergie und Produktivitaumlt fuumlr eine bessere Weltraquo mit moumlglichst vielen eigenen Pro-dukten realisieren kann

zur Leittechnik samt angepasster Software Kleine und mittlere Kunden ordern Komponenten oder Teilsysteme Ein wichtiges Verkaufsargument ist das Sparpotenzial von stufenlos steuerbaren Elektromotoren Nur einer von fuumlnf Motoren hat laut einer Erhebung des Bundes einen Leis-tungsregler der Rest laumluft auf Hochtouren und wird ndash man glaubt es kaum ndash bei Bedarf mit Klappen oder Ventilen mechanisch abgebremst Eine gigantische Verschwen-dung da Industriemotoren laut einer Studie der Schwei-zerischen Agentur fuumlr Energieeffizienz 27 Prozent des Schweizer Stromverbrauchs ausmachen

Europaumlische ZuruumlckhaltungEigentlich muumlsste die Division Energietechniksysteme ebenfalls ausgelastet sein Denn auch die Stromwirtschaft muss ihre Effizienz steigern Schliesslich erfordert die Energiewende einen Totalumbau der auf Verteilung ausge-richteten Netze damit diese unter der Last von Solar- und Windenergie nicht instabil werden Arbeit in Huumllle und Fuumllle fuumlr ABB sollte man meinen Doch der erst zaghafte Auf-schwung in Europa daumlmpft die Nachfrage Erschwerend kommt hinzu dass subventionierte Wind- und Solarener-gie in Europas liberalisiertem Strommarkt den Strompreis in ungeahnte Tiefen druumlckte Die Konkurrenzfaumlhigkeit von Wasser- Gas- und Atomkraftwerken hat gelitten Pump-speicher sind keine Goldesel mehr seit die erneuerbaren Energien die Preisspitzen brechen Entsprechend schie-ben Stromkonzerne wie Alpiq oder RWE Investitionen auf Unsicherheiten rund um den Atomausstieg belasten zu-saumltzlich Die voraussichtlich noch auf Jahre hinaus tiefen Strompreise schmaumllern auch die Faumlhigkeit der Besitzer von Hochspannungs- und Verteilnetzen deren Umruumlstung zu finanzieren hoch verschuldete EU-Staaten fahren die Foumlrderung von Wind- und Solarenergie zuruumlck

Straffe KostenkontrolleABB bekommt den Investitionsstau empfindlich zu spuuml-ren Die Division Energietechniksysteme schreibt seit eini-ger Zeit rote Zahlen Zwar ordern Grosskunden aus Asien und Lateinamerika weiterhin kraumlftig Neben China inves-tiert vermehrt auch Indien in neue Stromnetze Uumlberall dort wo die Bevoumllkerung rasch waumlchst oder der Strom

Andreas FluumltschAndreas Fluumltsch war urspruumlnglich Jurist und arbeitete ab 1983 als Journalist fuumlr laquoBlickraquo laquoWeltwocheraquo laquoBilanzraquo und laquoCashraquo Zwischen 1989 und 1990 war er Mitglied der Geschaumlftsleitung von Greenpeace Schweiz anschliessend Hausmann Nach der Ruumlck-kehr in den Journalismus 1992 arbeitete er bei laquoBlickraquo laquoSonntagszeitungraquo und laquoTages- Anzeigerraquo und absolvierte eine Ausbildung zum Boumlrsenhaumlndler Nach der Fruumlhpensio-nierung Ende 2013 machte er sich als Publi-zist selbststaumlndig

ABB in Zahlen (2013)Betriebsertrag 41 848 Mio USDBetriebsergebnis 4 387 Mio USDndash Industrieautomation 1 458 Mio USDndash Niederspannung 1 092 Mio USDndash Prozessautomation 990 Mio USDndash Energietechnik 1 331 Mio USDndash Energiesysteme 171 Mio USD

Mitarbeitende 147 700ndash davon in der Schweiz 6 966

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Hohe Nachfrage nach MinergieDer Erfolg der bisherigen Sparbemuumlhungen bleibt nicht aus laquoTrotz zunehmender Pro-Kopf-Wohnflaumlche und stei-gendem Komfort sinkt der Energieverbrauch fuumlrs Heizen in den letzten Jahrzehnten stetigraquo verkuumlndet der Zuumlrcher Regierungsrat im Energieplanungsbericht 2014 Dazu tra-gen nicht nur die laufend verschaumlrften Gesetze bei Ebenso wichtig ist die Bereitschaft von Bautraumlgerschaften freiwillig Uumlberdurchschnittliches zu leisten Vor allem die Minergie-Regeln werden inzwischen gerne befolgt weshalb Haumluser mit halbiertem Energieverbrauch beinahe Standard sind Schweizweit traumlgt eines von zehn neuen Wohnhaumlusern ein Minergie-Zertifikat Der Anteil an Minergie-Haumlusern im Grossraum Zuumlrich liegt gemaumlss einer Marktanalyse der Universitaumlt Zuumlrich bereits nahe bei 20 Prozent Dies ist privaten Hauseigentuumlmern und institutionellen Investoren zu verdanken Wohn- und Geschaumlftshaumluser mit houmlchster Energieeffizienz gehoumlren inzwischen zum guten Ton Den juumlngsten Beweis liefert eine Immobilienstiftung der Credit Suisse die 70 Millionen Franken in die groumlsste Oumlkosied-lung der Schweiz investiert Im Aargauer Reusstal wohnen seit diesem Jahr rund 200 Familien Paare und Singles deren Wohnhaumluser sich weitgehend selbst mit Sonnen-energie versorgen So klimafreundlich die Energiewende-Architektur ist der Investor erwartet dennoch marktuumlb-liche Renditen Ist der Markt aber bereit oumlkologisches Engagement angemessen zu honorieren

Marktpotenzial fruumlhzeitig erkanntDie Zuumlrcher Kantonalbank (ZKB) beziffert den Mehrwert von Minergie-Haumlusern auf 7 Prozent Kaumlufer seien bereit diesen Aufpreis fuumlr mehr Energieeffizienz zu bezahlen Als weitere Nebeneffekte nennt der vor drei Jahren publizierte ZKB-Bericht eine hochwertige dauerhafte Bausubstanz sowie die Absicherung gegen steigende Oumll- und Energie-preise Fachleute des Immobilienberatungsunternehmens Wuumlest amp Partner (WampP) warnen indes dass sich zusaumltz-liche Investitionen in die Energieeffizienz nicht uumlberall loh-nen laquoRegional schwankt die Zahlungsbereitschaft des Immobilienmarktsraquo praumlzisiert WampP-Partner Ivan Anton Minergie-Haumluser koumlnnen aber nicht nur in abgelegenen Regionen ein Marktrisiko werden laquoMit Ausnahme der

Beim Autokauf wird bevorzugt auf Pferdestaumlrken Be-schleunigung und Innenausstattung geachtet Der CO2-Ausstoss interessiert hingegen kaum So kommt die Energieeffizienz im Strassenverkehr nur stockend voran 1995 schluckten alle neu immatrikulierten Personen-wagen durchschnittlich 9 Liter Benzin pro 100 Kilometer 20 Jahre spaumlter liegt der Durchschnittsverbrauch gemaumlss Bundesamt fuumlr Energie (BFE) immer noch uumlber 6 Litern Das viel gepriesene laquoDrei-Liter-Autoraquo haben alle Hersteller wieder aus der Modellpalette genommen

Demgegenuumlber gelingen dem oft traumlge genannten Ge-baumludebereich weitaus groumlssere Effizienzspruumlnge Ver-brauchen 40 Jahre alte Haumluser im Schnitt 220 Kilowatt-stunden (kWh) Heizenergie pro Quadratmeter Wohnflaumlche und Jahr sind die aktuellen Werte unter die 50er-Marke gesunken Zusaumltzliche Sparerfolge sind nur eine Frage der Zeit Im Fruumlhsommer haben die kantonalen Energie-direktoren uumlber ein Rahmenabkommen beraten das Null-energieneubauten demnaumlchst zum Standard machen soll Wie die nationale Energiewende zu erreichen ist erklaumlrt Christoph Gmuumlr von der Abteilung Energie des Kantons Zuumlrich laquoDer spezifische Verbrauchswert ist zudem auf 35 kWh pro Quadratmeter zu senkenraquo Gebaumlude die sich mit umweltfreundlicher Energie selbst versorgen wollen auch die EU-Staaten Ab 2020 wird ein Gebaumludestandard eingefuumlhrt der nur noch laquoNiedrigstenergiegebaumluderaquo mit sehr hoher Energieeffizienz als Neubauten vorsieht

Energiesparhaumluser waren vor 30 Jahren Exoten inzwischen nimmt der Bereich der energie-effizienten Gebaumlude eine Vor-bildrolle fuumlr die Energie wende ein Bauherren profitieren davon ebenso wie die Zuliefer-branche Text Paul Knuumlsel

Expertensicht

Haumluser in der ersten Reihe

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der Bau von Niedrigenergiehaumlusern und alternativen Hei-zungsanlagen sowie energetische Gebaumludesanierungen Investitionen im Umfang von rund 4 Milliarden Franken ausgeloumlst rechnet der Bund vor laquoEin Fuumlnftel insgesamt 860 Millionen Franken stammt aus den oumlffentlichen Kas-senraquo verweist die BFE-Stelle EnergieSchweiz auf die Im-pulse der kantonalen Foumlrderprogramme Einen Wermuts-tropfen besitzt diese Wirkungsbilanz Fruumlhere Analysen der Energiesparprogramme zeigen naumlmlich dass zwi-schen einem Drittel und der Haumllfte der energetisch vorbild-lichen Gebaumlude auch ohne staatliche Foumlrderung realisiert worden waumlren Dem Mitnahmeeffekt ist auch die Eidge-noumlssische Steuerverwaltung auf der Spur Sie schaumltzt dass Bund und Kantonen jaumlhrlich 14 Milliarden Franken entgehen weil energetische Gebaumludesanierungen bei der Liegenschaftssteuer abzugsberechtigt sind Die Energie-wende erfordert nicht nur mehr Effizienz bei den Anwen-dungen sondern auch einen effizienten Einsatz staatlicher Mittel Im Energieplanungsbericht 2013 hat der Zuumlrcher Regierungsrat erstmals uumlber alternative Anreizsysteme nachgedacht Demnach soll eine Lenkungsabgabe den Energiekonsum reduzieren und das bisherige Foumlrdersys-tem abloumlsen Aumlhnliche Plaumlne verfolgt der Bund Denn ein Lenkungssystem duumlrfte weitere Sparbemuumlhungen im Ge-baumludebereich aber auch im Strassenverkehr foumlrdern Ins-besondere dann wenn Heizoumll und Benzin im Gleichschritt teurer werden

begehrten Wohnlagen haben Hauseigentuumlmer an vielen Orten mit moumlglichen Verkaufsverlusten zu rechnenraquo so Anton Zwar sei die Nachfrage bei Eigentuumlmern und Mie-tern aumlhnlich gross Aber auch Mieter wuumlrden nicht uumlberall mehr fuumlr eine energieeffiziente Wohnung bezahlen Kaum uumlberraschen darf daher dass Immobilieninvestoren immer haumlufiger die steigenden Energieanforderungen kritisieren und kostenguumlnstigere Baustandards vorziehen Fuumlr WampP-Berater Urs Hausmann ist laquonachhaltiges Bauen trotzdem keine Frage von Luxus oder Wohlstand sondern eine wie man mit Ressourcen umgehen willraquo Dass ein hohes Um-weltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauen Der Run auf den oumlkologischen Baustoff Holz laumlsst zum Beispiel eine gesamte Wertschoumlpfungskette und viele

innovative Unternehmen profitieren Forstbetriebe Sauml-gereien Fensterbauer Daumlmmstoffhersteller und andere Bauzulieferer vergroumlssern ihre Produktionskapazitaumlten und stellen zusaumltzliches Personal ein laquoDie Umsaumltze im Schweizer Holzbau sind in den letzten Jahren um mehrere Hundert Millionen Franken gestiegen und die Trendkurve zeigt weiter nach obenraquo freut sich Christoph Starck Di-rektor des Holzbaudachverbands Lignum

Einheimische Zulieferer als GewinnerAuch im Verein Minergie ist man sich bewusst dass sich energieeffizientes Bauen wirtschaftlich positiv auswirkt In den letzten 15 Jahren sind 25 000 Wohnhaumluser Buumlro-komplexe Schulbauten Sport- und Industriehallen mit Niedrig energiezertifikat entstanden Gemeinsam sparen sie 15 Milliarden Kilowattstunden Energie laquoUumlber 2 Milliar-den Franken wurden zusaumltzlich investiertraquo rechnet Miner-gie-Sprecher Antonio Milelli vor Anstatt fossile Brennstoffe einzukaufen wird mehr Geld fuumlr Daumlmmstoffe Isolierfenster Luumlftungsanlagen und Sonnenkollektoren aus inlaumlndischer Fabrikation ausgegeben Zwischen 2001 und 2012 haben

Paul KnuumlselPaul Knuumlsel studierte Umweltnaturwissen-schaften an der ETH Zuumlrich Er ist unabhaumln-giger Wissenschaftsjournalist und schreibt seit Jahren in Publikums- und Fachmedien uumlber die vielfaumlltigen Aspekte des nachhalti-gen Bauens Zusaumltzlich betreut er in der Re-daktion des laquoTEC21raquo das Ressort laquoEnergie und Umweltraquo

laquoDass ein hohes Umweltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren

derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauenraquo

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Der Wasserkraft Sorge tragen

Welchen Beitrag kann die Wasserwirtschaft zur Energie-wende leisten Roger Pfammatter Die Wasserkraft ist der energie-politische Trumpf der Schweiz Wir befinden uns in der gluumlcklichen Lage uumlber grosse Mengen Wasser und das notwendige Gefaumllle zu verfuumlgen ndash das sind die beiden wichtigsten Voraussetzungen fuumlr die hydroelektrische Produktion Und wir haben in den vergangenen 100 Jah-ren gelernt dieses Potenzial effizient und moumlglichst um-weltschonend zu nutzen Die Wasserkraft ist der Schluumls-sel fuumlr eine nachhaltige Energieversorgung technisch ausgereift politisch erwuumlnscht einheimisch erneuerbar und CO2-frei

Wie viel mehr ist moumlglichHeute leistet die Wasserkraft nicht nur rund 60 Prozent der Stromproduktion in der Schweiz sondern bietet auch unverzichtbare Regel- und Systemdienstleistungen die markant an Bedeutung gewinnen werden Vor allem bei der Flexibilisierung der Wasserkraft durch mehr Leistung und Speichervolumen waumlre noch einiges moumlglich Um die Aufgaben weiterhin zu gewaumlhrleisten muumlssen wir aber primaumlr dem Bestehenden Sorge tragen

Die Energiestrategie des Bundes gibt aber klare Ausbau-ziele vor Bis 2035 soll die Stromproduktion aus Wasser-kraft um 10 Prozent steigenUnter den momentanen Rahmenbedingungen ist dieses Ausbauziel nicht realistisch Im Gegenteil Aufgrund der Restwasserbestimmungen wird die Produktion in den naumlchsten Jahren vermutlich sogar zuruumlckgehen

Die Wasserkraft ist der wichtigste Pfeiler der Schweizer Ener-giewirtschaft ihr Potenzial ist aber weitgehend ausgeschoumlpft Roger Pfammatter Geschaumlftsfuumlhrer des Wasserwirtschaftsver-bands gibt im Interview Auskunft uumlber die Lage der Branche und ihre Bedeutung fuumlr die EnergiezukunftInterview Florian Wehrli

Expertensicht

Was muss sich aumlndern damit die vorgegebenen Ziele um-gesetzt werden koumlnnenZum einen braucht es dafuumlr die Akzeptanz der Umweltver-baumlnde der Fischer und letztlich der gesamten Bevoumllkerung Zum anderen muumlssen laumlngerfristig die extremen Marktver-zerrungen abgebaut werden damit sich auch Investitionen in die nicht gefoumlrderte Wasserkraft wieder lohnen Heute wird nur noch in subventionierte Anlagen investiert

Wer ist hier in der PflichtHier ist die Politik gefordert die Rahmenbedingungen zu verbessern Denn ohne die Wasserkraft kann die Energie-wende nicht gelingen

Anfang Jahr wurde der Wasserwirtschaftsverband von den zustaumlndigen Kommissionen angehoumlrt Welche Forderun-gen hat die Branche an das ParlamentWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerba-re Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichten die bereits bis zur Haumllfte der Geste-hungskosten ausmachen Damit sind wir doppelt diskrimi-niert Die Wasserkraft ist extrem unter Preisdruck ndash und dies obwohl sie mit Gestehungskosten zwischen 3 und 10 Rappen pro Kilowattstunde die effizienteste Strompro-duktionstechnologie ist Nur zum Vergleich Fotovoltaik -anlagen werden heute mit rund 40 Rappen subventioniert

Bis 2011 liess sich mit der Grosswasserkraft noch viel Geld verdienen Wurden zu wenige Ruumlcklagen fuumlr schlechte Zei-ten gebildet

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Es kann nicht der Sinn sein Ruumlcklagen fuumlr Zeiten zu bil-den in denen die Marktpreise die Gestehungskosten nicht mehr decken Das waumlre wie wenn ein Baumlcker auf jedem Gipfeli einige Rappen zuruumlckbehalten muumlsste damit er sie am naumlchsten Tag gratis abgeben kann Mit dem durch Subventionen verzerrten Marktpreis von 4 bis 5 Rappen pro Kilowattstunde ist unter den konventionellen Energie-traumlgern praktisch nur Kohle konkurrenzfaumlhig Das ist be-stimmt nicht im Sinn der Energiewende

Drei Grosswasserkraftprojekte sind heute bereits im Bau Koumlnnen die enormen Kosten uumlberhaupt amortisiert wer-denPrognosen sind schwierig An der europaumlischen Strom-boumlrse (EEX) werden bis 2020 Strompreise zwischen 45 und 53 Rappen pro Kilowattstunde gehandelt Der Markt glaubt also nicht an eine baldige Erholung Dafuumlr muumlsste das Uumlberangebot in Europa zuruumlckgehen etwa uumlber die Anhebung des CO2-Preises von heute 5 auf mindestens 30 Euro pro Tonne Politisch ist das aber kaum durchsetz-bar Neue Pumpspeicherwerke werden sich deshalb wohl erst in mehreren Jahrzehnten lohnen

Was kann die Kleinwasserkraft leistenOhne die kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) wuumlr-de niemand Kleinwasserkraftanlagen bauen genauso we-nig wie Fotovoltaik- Wind- oder Biomasseanlagen Zurzeit gibt es aber allein bei der Kleinwasserkraft rund 1 000 An-meldungen fuumlr Foumlrderbeitraumlge mit einem bescheidenen Ge-samtpotenzial von 33 Terawattstunden pro Jahr Die oumlko-logischen Auswirkungen sind im Vergleich zum Ertrag zu gross Obwohl wir von marktverzerrenden Foumlrderprogram-men wegkommen sollten waumlre es in einer Uumlbergangs phase sinnvoll die KEV-Obergrenze von 10 Mega watt aufzuheben und dort zu foumlrdern wo es wirklich etwas bringt

Wie soll die Grosswasserkraft unterstuumltzt werdenDas Sinnvollste waumlre die Abkehr von der Subventions-maschinerie ndash und zwar auf europaumlischer Ebene Dann wuumlrde sich die Wasserkraft als effiziente erneuerbare Stromproduktionsform mit Sicherheit durchsetzen Min-destens als Uumlbergangsloumlsung waumlre aber die Entlastung

von Abgaben in erster Linie vom Wasserzins dringend Der maximale Wasserzins wurde in den letzten vier Jahren um 38 Prozent erhoumlht und wird naumlchstes Jahr um weite-re 10 Prozent angehoben Diese Erhoumlhung wurde 2008 beschlossen und steht heute in keinerlei Bezug mehr zur Ertrags lage Kurzfristig koumlnnten die Kantone auf einen Teil dieser Zinsen verzichten ndash das waumlre ein wichtiges politi-sches Zeichen Langfristig muss ein neuer Modus fuumlr die Zinsberechnung gefunden werden der die Ertragslage der Wasserkraft mitberuumlcksichtigt Das ist auch im Interesse von Bund Kantonen und Gemeinden schliesslich ist die Wasserkraft zu 85 Prozent in oumlffentlicher Hand Ebenfalls als Uumlbergangsloumlsung bis zu besseren Marktpreisen waumlren zinsguumlnstige Darlehen fuumlr die noumltigen Investitionen in die Grosswasserkraft denkbar Ohne mindestens eine dieser Massnahmen kann die Wasserwirtschaft das geforderte Ausbauziel nicht erreichen

Bis dahin gibt es noch eine weitere Huumlrde den Heimfall der Stauanlagen an die Standortgemeinden Welchen Ein-fluss hat dieser UmstandWenn die Konzessionen nach 80 oder 100 Jahren aus-laufen muss der Betreiber der Gemeinde eine Entschaumldi-gung fuumlr den Restwert der Anlagen entrichten Im Fall der Staumauer Barberine bezahlen die SBB und Alpiq 2017 an sechs Walliser Gemeinden 343 Millionen Franken Das 400-Seelen-Dorf Finhaut erhaumllt alleine 112 Millionen Fran-ken und weiss kaum wohin mit dem Geld Der gesamte Wert des Heimfalls der Anlagen bewegt sich schweizweit im Milliardenbereich Der Houmlhepunkt des Heimfalls wird um 2035 erreicht werden Bis zu diesem Zeitpunkt soll aber auch ein Grossteil der geforderten Produktionsstei-gerung umgesetzt werden

Bei der Stromproduktion ist ein Ausbau von uumlber 10 Pro-zent wohl nicht realistisch Wie sieht es bei der Speicher-leistung aus Hier muss man unterscheiden zwischen kurzfristiger und saisonaler Speicherung Fuumlr die saisonale Speicherung verfuumlgt die Schweiz mit 200 Speicherseen uumlber ein Vo-lumen von rund 9 000 Gigawattstunden (GWh) die jedes Jahr vom Sommer in den Winter umgelagert werden Dies

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Expertensicht

entspricht einem Viertel der jaumlhrlichen Produktion aus Wasserkraft Das Ausbaupotenzial durch die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren betraumlgt rund 2 000 GWh Falls der Ausbau aber nicht gelingt entsteht im Winter durch den Ausfall der Kernenergie eine immer groumlssere Luumlcke an Bandenergie die durch den Import von Atom- oder Kohlestrom gedeckt werden muss

Wie sieht es beim Ausbau der Pumpleistung zum kurzfris-tigen Ausgleich von Schwankungen im Netz ausGrundsaumltzlich ist das Potenzial fuumlr Pumpspeicherwerke in der Schweiz riesig Es braucht nur zwei Seen auf unter-schiedlicher Houmlhe Die Frage ist ob sich solche Investi-tionen rechnen Die Pumpspeicherwerke finanzieren sich

uumlber den Preisunterschied zwischen Band- und Spitzen-energie Wenn an einem schoumlnen Sommertag in Europa mittags die geballte Ladung an Sonnen- und Windener-gie eingespeist wird koumlnnen die Pumpspeicherkraftwerke sehr guumlnstig oder sogar zu Negativpreisen Strom bezie-hen Man darf aber nicht vergessen dass dieselbe Situa-tion fuumlr die Laufwasserkraftwerke die rund die Haumllfte der Wasserkraftproduktion in der Schweiz ausmachen den gegenteiligen Effekt hat Diese koumlnnen aus technischen konzessionsrechtlichen oder oumlkologischen Gruumlnden nicht vom Netz genommen werden und muumlssen fuumlr ihre Strom-produktion bezahlen Das kann gehoumlrig ins Geld gehen An Weihnachten 2012 lag der Strompreis zum Beispiel bei minus 30 Rappen pro Kilowattstunde

Roger Pfammatter laquoWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerbare Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichtenraquo

Bild Florian Wehrli

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cherseen zur Flexibilisierung Damit das gelingt muss der Wert der Wasserkraft staumlrker im Bewusstsein der Bevoumllke-rung verankert sein Und nicht zuletzt muss der Marktpreis so weit uumlber den Gestehungskosten liegen dass sich In-vestitionen in die Wasserwirtschaft rentieren

Versuchen das Bestehende zu erhalten Diese Vision klingt etwas resigniertDas ist eine Frage der Perspektive Die Wasserkraft hat als Technologie in der Schweiz seit Langem Bestand Sie befindet sich in einer anderen Situation als Fotovoltaik und Windenergie die sich in einem hochdynamischen Umfeld mit grossem Potenzial in Forschung und Wachstum be-finden Die Wasserkraft ist dagegen nicht mehr in der Auf-bruchsphase sondern in der Konsolidierungsphase Da-fuumlr kann man sich auf die Wasserkraftwerke verlassen Sie produzieren bei Tag und in der Nacht im Sommer wie im Winter bei Windstille oder im Nebel Auch der Erhalt und die Optimierung des Bestehenden sind grosse Heraus-forderungen und bedingen grosse Investitionen

Sehen Sie eine Moumlglichkeit wie die Schweizer Wasser-wirtschaft in Zukunft Geld mit Systemdienstleistungen wie Netzstabilitaumlt verdienen kannDie unregelmaumlssig einspeisenden Stromproduzenten neh-men keinerlei Systemverantwortung wahr Ich habe selbst ein Solarpanel auf dem Dach Wenn Produktion moumlglich ist speise ich Strom ins Netz ein wenn nicht beziehe ich Die Produzenten mehr in die Verantwortung zu nehmen faumlnde ich sinnvoll ndash zum Beispiel uumlber Zertifikate fuumlr Spei-cherleistungen Diese koumlnnten bei Pumpspeicherwerken bezogen werden

Welcher Ausbau der Pumpspeicherleistung ist dafuumlr noumltigDie installierte Leistung betraumlgt heute rund 14 Gigawatt (GW) Mit den im Bau befindlichen und den geplanten An-lagen kann die Kapazitaumlt maximal auf 51 GW ausgebaut werden ndash etwa die Haumllfte der Jahreshoumlchstlast im Netz Damit die Schweizer Wasserkraft aber einen Beitrag zur Stabilitaumlt des europaumlischen Stromnetzes leisten kann muumlssten auch das Stauvolumen und die Leitungskapazi-taumlt erhoumlht werden Hier sind die Einsprachen von Anwoh-nern und Umweltverbaumlnden noch gravierender als bei den Anlagen selbst

Braucht es neue rechtliche Instrumente um den geplan-ten Ausbau durchsetzen zu koumlnnenEs braucht vor allem die Einsicht dass die Wasserkraft das Ruumlckgrat unserer Versorgungssicherheit ist und die Aus-wirkungen eines Ausbaus immer auch mit den Alternativen verglichen werden muumlssen Wir befinden uns aber auch in einem intensiv genutzten Land mit vielen Partikularinteres-sen Diese muumlssen gewichtet und abgewogen werden In der Abwaumlgung zwischen Landschaftsschutz und Wasser-nutzung waumlre es hilfreich wenn Grosswasserkraftanlagen den Status von nationalem Interesse erhalten

Wie soll die Schweizer Wasserwirtschaft im Jahr 2035 aussehenIch wuumlnsche mir dass die bestehende Infrastruktur auf dem heutigen Stand erhalten optimiert oumlkologisiert und im Idealfall etwas ausgebaut wird Dazu gehoumlren etwa die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren sowie neue Spei-

Roger PfammatterSeit seinem Ingenieurstudium an der ETH Zuumlrich hat er sich in ver-schiedenen Rollen dem Wasser verschrieben Nach sieben Lehr- und Wanderjahren in der Forschung und in der Entwicklungszusammen-arbeit war er zehn Jahre beim Ingenieurunternehmen Ernst Basler + Partner engagiert Seit 2010 ist er Geschaumlftsfuumlhrer des Schweizeri-schen Wasserwirtschaftsverbandes (SWV) und Herausgeber der Zeit-schrift laquoWasser Energie Luftraquo In diesen Funktionen setzt er sich ein fuumlr den Fachaustausch und gute Rahmenbedingungen in den Bereichen Wasserkraft und Hochwasserschutz

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Die globalen Energiemaumlrkte sind seit einigen Jahren stark in Bewegung Volatile Erdoumllpreise die Foumlrderung von un-konventionellen Gasvorkommen in grossem Stil die mas-sive Subventionierung von neuen erneuerbaren Energien in Deutschland der laquoarabische Fruumlhlingraquo und der Konflikt in der Ukraine hinterlassen Spuren Die Folge sind starke Verwerfungen an den Maumlrkten und fehlende Investitionssi-cherheit In diesem dynamischen und unsicheren Kontext will der Bund die bisherige Energiepolitik neu ausrichten ndash wahrlich eine Herkulesaufgabe Die Schweizer Wirtschaft verlangt dass der Bund bei der Neuausrichtung der Ener-giepolitik seinem in der Verfassung verankerten Auftrag nachkommt und sich fuumlr eine ausreichende sichere breit gefaumlcherte wirtschaftliche und umweltvertraumlgliche Ener-gieversorgung einsetzt Somit ist klar Die Energiestrate-gie 2050 muss in erheblichen Teilen optimiert und justiert werden Nur wenn vernetzt gedacht wird ist eine sichere Versorgung zu wettbewerbsfaumlhigen Preisen moumlglich

Prognosen klaffen weit auseinanderSeit Jahrzehnten bietet der Strommix aus Wasserkraft (knapp 60 Prozent) und Kernenergie (40 Prozent) Gewaumlhr fuumlr eine sichere klimafreundliche und wirtschaftliche Ener-gieversorgung Im Rahmen der Energiestrategie 2050 muss die Kernenergie langfristig ersetzt werden Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen zumal die Ziele des Bundes

Lebenselixier der Wirtschaft

Die Schweizer Wirtschaft ist auch in Zukunft auf eine sichere und wirtschaftliche Stromver-sorgung angewiesen Die Ener-giestrategie 2050 setzt stark auf Subventionen Dadurch entstehen Fehlanreize welche die Versorgungssicherheit ge-faumlhrdenText Kurt Lanz

Expertensicht

in Bezug auf das Potenzial der neuen erneuerbaren Ener-gien von Wunschdenken geleitet sind Die neuen erneuer-baren Energien werden sich langsamer entwickeln als an-gestrebt Der Bund rechnet mit rund 12 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2035 die Schweizer Wirtschaft mit 44 TWh Die vorsichtigeren Prognosen der Wirtschaft scheinen re-alistischer Dies zeigen exemplarisch die gescheiterten Geothermieprojekte in Basel und St Gallen Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Nachfrageprognosen Der Bund rechnet in seinen Szenarien mit einem Ruumlckgang des Stromverbrauchs pro Kopf von 16 Prozent zwischen 2000 und 2035 Die Schweizer Wirtschaft orientiert sich in ihren Szenarien am Verband Schweizerischer Elektrizitaumlts-unternehmen (VSE) der weiter mit einer steigenden Nach-frage rechnet Die Wirtschaft fordert von der Politik eine vernuumlnftige Planung aufgrund realistischer Schaumltzungen Die Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energiestrategie nicht gefaumlhrdet werden

Subventionen fuumlhren zu FehlanreizenDie Schweiz hat seit vielen Jahrzehnten erfolgreich die Wasserkraft vorangetrieben Aus politischen Gruumlnden wird nun die ndash unregelmaumlssige ndash Stromproduktion durch Sonnen- und Windenergie forciert Unsere sogenann-te kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) entspricht dem deutschen Foumlrdermodell Beide haben das gleiche Ziel Sie sollen erneuerbare Energien ausbauen indem sie neue Formen der Stromproduktion zur Marktreife brin-gen Weil das KEV-System die Sonnen- und Windenergie massiv foumlrdert kommt ein weiterer Ausbau der bewaumlhrten Wasserkraft nicht infrage Diese Entwicklung gefaumlhrdet die Versorgungssicherheit der Schweiz Auf den ersten Blick sinken zwar die Produktionskosten fuumlr Solarstrom gleich-zeitig steigen aber die Kosten fuumlr Speicherung und Inte-gration ins Netz spuumlrbar Auch ist der Ausbau von Solar- und Windenergie nur von beschraumlnktem Nutzen solange keine ausreichenden Speicherkapazitaumlten vorhanden sind Nur Preissignale koumlnnen das Investitionsverhalten von Stromproduzenten Netzbetreibern und Konsumen-ten sinnvoll lenken Subventionen sind zu beseitigen denn sie fuumlhren zu Fehlanreizen

41COMPETENCE | 2014

Alle Optionen offenhaltenOffenheit und Neugier gehoumlren zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft Kategorisches Abwehrverhalten und Denkverbote verhindern konstruktive Loumlsungsansaumltze und Innovation Eine sichere und kostenguumlnstige Strom-versorgung kann auch in Zukunft nur mit der notwendi-gen Offenheit gegenuumlber allen Technologien und Energie-

systemen garantiert werden Die Schweiz ist dank einer erfolgreichen Hochschulland-schaft und vielen Technolo-gieunternehmen gut geruumlstet Die verschiedenen Energie-systeme muumlssen faktenba-siert und ohne ideologische

Scheuklappen verglichen werden Nur so koumlnnen effizi-ente und umweltvertraumlgliche Loumlsungen gefunden werden Das heutige System der Foumlrderung der neuen erneuer-baren Energien ist durch ein marktorientiertes System ab-zuloumlsen Produzenten die nachfragegerecht einspeisen sollen eine houmlhere Verguumltung erhalten als andere Auch soll der Vorrang der Netzeinspeisung fuumlr subventionierte Energietraumlger aufgehoben werden

laquoDie Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit

des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energie strategie nicht

gefaumlhrdet werdenraquo

Schnellere Verfahren anstrebenGrundvoraussetzung fuumlr eine Neuausrichtung der Ener-giepolitik sind funktionierende Stromnetze Diese muumls-sen zwingend parallel zum Umbau der Stromproduktion weiterentwickelt werden Allein der noumltige Ausbau der Uumlbertragungsnetze belaumluft sich auf rund 1 000 Kilometer bis ins Jahr 2020 Erforderlich sind zudem Investitionen in alle Verteilernetzebenen Al-lerdings verzoumlgern komplizier-te Verfahren auf Kantons- und Bundesebene den Ausbau Ausserdem erwaumlchst praktisch jedem Projekt Widerstand von privater Seite was zu weiteren Verzoumlgerungen fuumlhrt Die Wirt-schaft fordert deshalb Bei Bewilligungen von Stromnetzen ist der Gang vors Bundesgericht nur noch bei Grundsatz-fragen moumlglich Umbauten sowie Spannungs- und Kapa-zitaumltserweiterungen koumlnnen ohne Planungsgenehmigung realisiert werden Ausserdem sind die Verfahren bei einer einzigen Leitbehoumlrde anzusiedeln

Spielfeld erweiternDie Schweiz ist seit jeher ein wichtiges Stromtransitland Schon seit den 90er-Jahren treibt die EU die Vereinheitli-chung des Binnenmarkts fuumlr Strom hin zu einem eigent-lichen EU-Strommarkt voran In der Schweiz erweist sich die gesetzliche Trennung von Grundversorgung und Markt diesbezuumlglich zunehmend als Hindernis Aus Sicht der Wirtschaft ist die vollstaumlndige Liberalisierung des Strom-markts eine zwingende Voraussetzung fuumlr eine erfolgrei-che energiepolitische Neuausrichtung

Eine Marktoumlffnung wuumlrde insbesondere auch den erneuer-baren Energien neue Chancen eroumlffnen und Zugang zu neuen Kunden gewaumlhren Von hoher Wichtigkeit ist auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU Je groumlsser der Anteil erneuerbarer Energien umso wichtiger ist die Einbettung in Europa denn Investitionen in Netze und Produktion koumlnnen in Koordination mit der EU wirkungsvoller und wahrscheinlich kostenguumlnstiger getaumltigt werden

Kurt LanzKurt Lanz ist Leiter Infrastruktur Energie und Umwelt sowie Geschaumlftsleitungsmitglied von economiesuisse dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft

Gut vernetzt ndash Vorschlaumlge der Schweizer Wirtschaftzur EnergiepolitikDie Publikation basiert auf der Grundlagenarbeit der breit abgestuumltz-ten Energiekommission von economiesuisse und macht konstruk-tive Vorschlaumlge fuumlr einen erfolgreichen energiepolitischen Weg der Schweiz Download unter wwweconomiesuissech

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

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Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

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Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

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laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

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Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

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PERFORMANCE

Page 4: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

Wie viel Wald steht den Einwohnerinnen und Einwohnern von Winterthur zur Verfuumlgung

5COMPETENCE | 2014

Die Energiewende bewegt die Schweiz Wohin die Reise geht ist hingegen noch nicht restlos klar Zwar gibt der Bundesrat mit der Energie-strategie 2050 die Richtung vor (S 13) doch insbesondere die Wirtschafts-verbaumlnde (S 40) die sich um die Ver-sorgungssicherheit und Konkurrenz-faumlhigkeit des Standorts sorgen treten

auf die Bremse und pochen auf eine Kurskorrektur Es gilt ihre Befuumlrchtungen ernst zu nehmen und tragfaumlhige Loumlsungen zu entwickeln Hier steht dem Gesetzgeber noch ein steiniger Weg bevor

Dennoch Der politische Wille weniger und effizienter Energie zu verbrauchen entsprechendes Verhalten zu be-lohnen und Innovationen zu foumlrdern ist spuumlrbar Und allen Bedenken zum Trotz birgt die Energiewende auch wirt-schaftliche Chancen Chancen die es zu nutzen gilt So muumlssen sich grosse Energieversorger wie die BKW neu positionieren Im Interview erklaumlrt CEO Suzanne Thoma wie sich das Unternehmen angesichts der neuen Rah-menbedingungen vom Versorger zum Dienstleister wan-delt (S 6) Sie verraumlt in welchen Bereichen kuumlnftig inves-tiert wird zeigt aber auch auf wo sich derzeit kein Geld verdienen laumlsst Schwer hat es insbesondere die Wasser-kraft seit Jahrzehnten wichtigster Pfeiler der Schweizer Stromversorgung Sie bleibt zwischen marktverzerrenden Subventionen hohen Abgaben und Partikularinteres-sen derzeit auf der Strecke Doch nicht nur ihre Vertreter fordern neue Rahmenbedingungen um Investitionen zu

Prof Andreacute HaelgLeiter ZHAW School of Management and Law

sichern und Potenziale zu nutzen (S 36) Auch der Aus-bau der neuen erneuerbaren Energien erfordert mehr Rechtssicherheit Mit welchen Mitteln diese herbeigefuumlhrt werden kann lesen Sie auf Seite 16

Bezuumlglich Energieeffizienz eilen Technologieunternehmen wie ABB mit ihren Innovationen weit voraus (S 32) Fuumlr den Umbau zu einer nachhaltigen Energieversorgung sind aber auch die Hochschulen zentral Die Zuumlrcher Hoch-schule fuumlr Angewandte Wissenschaften hat schon vor einigen Jahren die Energieforschung als Schwerpunkt de-finiert Forschende unterschiedlicher Disziplinen arbeiten Hand in Hand um Antworten auf draumlngende Fragen zu finden So untersucht beispielsweise ein laufendes Projekt die Wirksamkeit bisheriger Energieeffizienzprogramme fuumlr KMU und gibt Empfehlungen wie diese zu verbessern ist (S 18) Mit solchen und vielen weiteren Aktivitaumlten tragen wir dazu bei die Energiewende auf den richtigen Weg zu bringen

Eine Reise ins Ungewisse ist immer mit Risiken verbun - den Doch in einer dynamischen Welt kann es bisweilen gefaumlhrlicher sein stehen zu bleiben Oder wie der damalige US-Praumlsident Abraham Lincoln bereits vor uumlber 150 Jah - ren pointiert bemerkte laquoWe must plan for the future be-cause people who stay in the present will remain in the pastraquo Mit ihrer Forschung zaumlhlen Hochschulen zur Avant-garde der gesellschaftlichen technischen und wirtschaft-lichen Entwicklung Die Verantwortung die sich daraus ableitet nehmen wir gerne wahr In diesem Sinne volle Kraft voraus

Vorwort

Building Competence

6 COMPETENCE | 2014

CEO-Perspektive

laquoMit Schulterklopfen laumlsst sich kein Geld verdienenraquo

nuumltz herumstehen lassen sondern rasch zuruumlckbauen Bis 2019 haben wir dafuumlr nicht nur die noumltigen Mittel zuruumlck-gestellt sondern auch ausreichend Zeit um das Projekt sauber vorzubereiten und alle Bewilligungen einzuholen

Laut Energiestrategie 2050 des Bundes wird der Ausstieg aus der Kernenergie in der Schweiz ohne Gaskombikraft-werke kaum gelingen Auch die BKW hat entsprechen-de Projekte Wie beurteilen Sie allfaumlllige Risiken bezuumlglich VersorgungssicherheitKurzfristig ist das Risiko einer Stromluumlcke aumlusserst klein Mit dem Ausstieg aus der Kernenergie koumlnnte das Thema jedoch spaumlter aktuell werden Ich sehe ein anderes Pro-blem Wie koumlnnen wir das Stromnetz stabil halten wenn ein namhafter Teil der Produktion wetter- und tageszeitab-haumlngig anfaumlllt Gaskraftwerke koumlnnten eine Rolle spielen da sie kurzfristig an- und abgeschaltet werden koumlnnen Sie stehen dabei in Konkurrenz zu den Pumpspeicher-kraftwerken Im heutigen wirtschaftlichen Umfeld mit sin-kenden Preisen fuumlr Dienstleistungen zur Erhaltung der Systemstabilitaumlt bestehen aber keine Investitionsanreize weder fuumlr Pumpspeicher- noch fuumlr Gaskraftwerke

Die Konzernstrategie BKW 2030 erwaumlhnt grosse Investitio-nen Wo wird die BKW besonders stark investierenDie Investitionen fliessen in die Erhaltung der Produktions-infrastruktur und in die Netze Weiter investieren wir in neue erneuerbare Energien und nicht zuletzt in den Auf-bau neuer Geschaumlftsfelder

Investitionen in Kraftwerke und Netze Subventionen fuumlr erneuerbare Energien die den Marktpreis verzerren ndash kann man mit Strom noch Geld verdienenSuzanne Thoma In der subventionierten Stromproduk-tion ja Die marktabhaumlngige Produktion ist bei den aktuell sehr tiefen Strompreisen houmlchst anspruchsvoll

Erwarten Sie dass sich dies in naumlchster Zeit aumlndertWir befassen uns intensiv mit dieser Frage und simulie-ren die Strompreise anhand diverser Marktmodelle Diese zeigen dass der Strompreis in den naumlchsten Jahren tief bleiben sich dann aber signifikant erholen wird Aus der Finanzbranche ist bekannt dass Modellrechnungen leider nur so gut sind wie deren Input Es gibt durchaus Ten-denzen die dafuumlr sorgen koumlnnten dass der Strompreis laumlngerfristig tief bleibt

Die BKW wird das Kernkraftwerk Muumlhleberg 2019 vom Netz nehmen Eine Volksinitiative welche die sofortige Abschaltung forderte wurde im Mai 2014 vom Berner Stimmvolk deutlich abgelehnt Hat Sie das uumlberraschtIch war erfreut uumlberrascht war ich nicht Sachlich betrach-tet haben wir mit Muumlhleberg den vernuumlnftigen Weg einge-schlagen Da das Thema Kernenergie in der Gesellschaft emotional behaftet ist konnten wir aber nicht sicher sein dass die Initiative in dieser Deutlichkeit abgelehnt wird Die Problematik der Initiative war dass wir haumltten abschalten muumlssen ohne mit dem Ruumlckbau beginnen zu koumlnnen Geht ein Kernkraftwerk vom Netz sollte man es nicht un-

Die Energiewende stellt die Stromversorger vor grosse Heraus-forderungen Suzanne Thoma CEO der BKW AG gewaumlhrt Einblicke in die Strategie eines der bedeutendsten Schweizer Energieunternehmen Sie spricht uumlber den Wandel vom Ver-sorger zum Dienstleister sowie uumlber Rahmen bedingungen der StromproduktionInterview Adrian Sulzer

7COMPETENCE | 2014

Ein Fokus ist der Ausbau der Windenergie Hierzulande sind aber viele windreiche Gegenden Schutzgebiete Wird die BKW vornehmlich im Ausland investierenJa wie wir das bereits heute tun Die BKW besitzt zwar rund die Haumllfte der installierten einheimischen Windkapa-zitaumlt die grossen Projekte befinden sich aber in Deutsch-land Frankreich und Italien In der Schweiz gibt es kaum geeignete Standorte und die Durchfuumlhrung von Projekten ist aufgrund strenger Auflagen buumlrokratischer Aufwaumlnde und moumlglicher Einsprachen schwierig Wir erhoffen uns hierzulande mehr Potenzial von der Kleinwasserkraft

Welche erneuerbaren Energien haben das groumlsste Poten-zial in der Schweiz

Das groumlsste technische Potenzial haben Grosswasserkraft-werke Nur lohnen sich diese Investitionen wirtschaftlich zurzeit nicht Bezuumlglich neuer erneuerbarer Energien sehe ich signifikantes Potenzial bei der Fotovoltaik Der Bund rechnet langfristig mit einem Ausbau auf mehr als zehn Tera wattstunden pro Jahr was ich fuumlr realisierbar halte Ob dies wirklich umgesetzt wird haumlngt davon ab ob die Kos-ten der Fotovoltaik weiter gesenkt werden koumlnnen

Die BKW will sich von der Energieversorgerin zur umfas-senden Energiedienstleisterin wandeln Welche neuen An-gebote sind geplantZunaumlchst sind da die Infrastrukturdienstleistungen die wir vermehrt auch fuumlr Private anbieten werden Von grosser

Suzanne Thoma laquoVersorgungsunternehmen sollen sich mittels Positionierung Kommunikation und Aufklaumlrung fuumlr einen bewussten Energieverbrauch einsetzen Es kann aber nicht ihr Auftrag sein die Kunden zu bevormundenraquo

Bild Florian Wehrli

8 COMPETENCE | 2014

mehr Komfort Mobilitaumlt Ernaumlhrungs- oder andere Kon-sumgewohnheiten

Wie koumlnnen Energieversorger Anreize schaffen damit we-niger Energie verbraucht wirdIch bin dafuumlr dass sich Stromversorgungsunternehmen mittels Positionierung Kommunikation und Aufklaumlrungs-arbeit fuumlr einen bewussten Energieverbrauch einsetzen Es kann aber nicht ihr Auftrag sein die Kunden zu bevor-munden Neben einem veraumlnderten Bewusstsein im Be-reich Energie- und Ressourcenkonsum generell kommt der groumlsste Einfluss nach wie vor vom Preis Fuumlr Privat-konsumenten faumlllt die Stromrechnung nicht ins Gewicht und auch die anderen Energiekosten ndash jedenfalls die direkt spuumlrbaren ndash sind nicht wirklich hoch Glauben Sie mir uns waumlre es lieber der Strompreis waumlre houmlher

Energie ist also zu billigJa Die Welt benoumltigt viel Energie und Verschwendung laumlsst sich nur schwer bekaumlmpfen solange Energie so billig ist Die reiche Schweiz ist sicher staumlrker in der Pflicht als arme Laumlnder die unter anderem mit billiger Energie ver-suchen ihren Einwohnern etwas Wohlstand zu ermoumlgli-chen Allerdings duumlrfen wir unserer Industrie durch houmlhere Energiekosten keine zusaumltzlichen Lasten aufbuumlrden sonst verliert sie ihre Konkurrenzfaumlhigkeit

Prinzipiell befuumlrwortet die Bevoumllkerung die Energiewende gegen den Bau neuer Leitungskapazitaumlten oder Wind-turbinen wird aber haumlufig rekurriertNicht haumlufig immer

Sehen Sie einen Ausweg aus dem DilemmaIch sehe darin eine wesentliche Schwierigkeit fuumlr die Um-setzung der Energiestrategie In der Schweiz stehen fuumlr Einsprachen mehr rechtliche Mittel zur Verfuumlgung als im Ausland Ich befuumlrworte deshalb den Vorstoss des Bun-desrats bestimmte Gebiete fuumlr die Energieproduktion zu definieren wo nur noch uumlber eine Instanz rekurriert wer-den kann Das Grundproblem bleibt aber dass wir einen Lebensstil pflegen dessen Konsequenzen wir nicht bereit sind zu tragen

Bedeutung sind fuumlr uns auch die Netze Beim Thema Haumluser und Energieeffizienz sehen wir unsere Rolle als Integrator Dort kommen verschiedene Technologien zur Anwendung die nicht nur viele Hausbesitzer uumlberfordern sondern auch manche Spezialisten Die BKW kann auf jahrzehntelange Erfahrung und grosses Know-how in die-sem Bereich zuruumlckgreifen Wo noumltig werden wir mit Part-nern zusammenarbeiten

Eine Analyse des BFE kam im Mai 2014 zum Schluss dass die Mehrheit der untersuchten Unternehmen nicht bereit sei fuumlr die Energiewende Teilen Sie diese EinschaumltzungWas laquobereit fuumlr die Energiewenderaquo heisst ist schwer ein-zuordnen und ich moumlchte nicht fuumlr andere Unternehmen sprechen Die BKW ist ein wirtschaftlich gefuumlhrtes Unter-nehmen ohne politische Mission Unser Auftrag ist es zum Erhalt und zur Weiterentwicklung der Infrastruktur generell und zur Energieversorgung im Speziellen beizutragen Wir orientieren uns dabei an den Beduumlrfnissen unserer Kun-den und bewegen uns innerhalb der politischen und wirt-schaftlichen Rahmenbedingungen Dabei entwickeln wir unser Unternehmen weiter sodass es profitabel bleibt und weiter gestaumlrkt wird

Die BKW hat also an dieser Studie teilgenommenJa aber ich habe die Studie nicht gelesen Offenbar sind wir im oberen Drittel der Rangliste aber das steht nicht im Vordergrund Die Zeit in der Stromversorger punkto Ener-giewende um die Gunst des Bundes gewetteifert haben ist weitgehend vorbei Es ist den meisten klar geworden dass sich mit Schulterklopfen das Geld fuumlr die noumltigen Investitionen nicht verdienen laumlsst Entscheidend sind die konkreten Rahmenbedingungen das Marktumfeld und die Kundenbeduumlrfnisse

Gemaumlss der Energiestrategie soll der durchschnittliche Energieverbrauch pro Person in der Schweiz bis 2035 ge-genuumlber 2000 um 43 Prozent sinken Ist das realistischTechnisch halte ich das fuumlr absolut moumlglich Dabei geht es aber bei Weitem nicht nur um den Stromkonsum sondern auch um den Konsum fossiler Brennstoffe und Investitio-nen in Effizienzmassnahmen Im Kern geht es aber um viel

CEO-Perspektive

9COMPETENCE | 2014

Konzernleitung der BKW liegt der Frauenanteil aktuell bei 33 Prozent

Stichwort Unternehmensfuumlhrung Gibt es eine spezielle Philosophie die Sie verfolgenIch versuche immer Klarheit zu schaffen Ich moumlchte je-weils zum Kern der Dinge vordringen und erwarte dasselbe Bestreben von meinen Mitarbeitenden Wenn alle wissen worum es im Kern geht und was die Treiber des Geschaumlfts sind und wenn alle mit Freude ihre Arbeit verrichten dann leitet sich alles Weitere daraus ab Ich glaube an gemein-same Visionen und Ziele sowie eine delegierte Umsetzung

Welche Rolle wird die Schweiz in einem liberalisierten euro paumlischen Strommarkt spielenDie Frage ist ob die Schweiz in Zukunft denselben Zugang zum europaumlischen Markt haben wird wie bisher Davon gehe ich aus Unter dieser Voraussetzung muss man sich fragen wie der europaumlische Markt kuumlnftig ausgestaltet sein wird Ich erwarte eine fortschreitende Liberalisierung die tendenziell zu mehr Stromhandel und noch tieferen Preisen fuumlhren wird Gleichzeitig wird man aber Kapazi-taumltsmaumlrkte schaffen muumlssen damit Energieunternehmen Anreize haben in Versorgungssicherheit und System-stabilitaumlt zu investieren Beides wird heute kaum abgegol-ten Das muss sich aumlndern Die Frage ist ob Kapazitaumlts-maumlrkte nationale Maumlrkte sein werden

Welche Folgen haumltte das fuumlr die SchweizDas waumlre eine ungluumlckliche Konstellation Einerseits haumltten wir unter den tieferen Preisen zu leiden andererseits koumlnn-ten wir die Dienstleistungen die wir mit unseren Pump-speicherkraftwerken erbringen weniger gut verkaufen

Blicken wir in die Zukunft Strom wird dezentral produziert nach Bedarf verbraucht ins intelligente Netz eingespeist oder in Batterien gespeichert Braucht es dann noch Ener-gieversorger wie die BKWAuf jeden Fall Denn die grossen Energieversorger werden dann zu grossen Energiedienstleistern Deshalb stellen wir unsere Strategie jetzt um Viele der Kompetenzen die wir als Versorger uumlber Jahrzehnte aufgebaut haben sind auch in diesem Szenario absolut notwendig Moumlglich ist hingegen dass es kuumlnftig weniger zentrale Kraftwerks-kapazitaumlt braucht Als Unternehmen muumlssen wir uns so positionieren dass wir uns im Rahmen aller denkbaren Szenarien weiterentwickeln koumlnnen

Die Energiebranche gilt als Maumlnnerdomaumlne Mit Alpiq und BKW haben nun zwei der groumlssten Schweizer Energiever-sorger eine Frau als CEO Ist das ein Zeichen des Kultur-wandelsJa schon Das Geschlecht war aber gewiss kein Krite-rium fuumlr die Stellenbesetzung Alle Bewerber mussten sich demselben strengen Auswahlverfahren stellen In der

Suzanne ThomaDr Suzanne Thoma ist seit 1 Januar 2013 CEO der BKW AG Zu-vor verantwortete sie das Netz- und Netzdienstleistungsgeschaumlft der BKW als Mitglied der Konzernleitung Vor ihrem Eintritt in die BKW leitete sie das Automobilzuliefergeschaumlft der WICOR Group und fuumlhr-te zuvor als CEO das High-Tech-Unternehmen Rolic Technologies Ltd Im Weiteren war sie fuumlr die Ciba Spezialitaumltenchemie AG in ver-schiedenen Funktionen und Laumlndern taumltig Suzanne Thoma studierte Chemieingenieurtechnik an der ETH Zuumlrich

BKW Energie AGDie BKW ist ein bedeutendes Schweizer Energiedienstleistungs-unternehmen Sie beschaumlftigt mehr als 3 000 Mitarbeitende und ver-sorgt zusammen mit Partnern rund eine Million Menschen mit Strom Neben der reinen Energieversorgung entwickelt implementiert und betreibt die BKW Energiegesamtloumlsungen fuumlr Privat- und Geschaumlfts-kunden sowie fuumlr Energieversorgungsunternehmen und Gemeinden Zudem engagiert sie sich in Forschungsprogrammen zur Entwicklung innovativer Technologien fuumlr eine nachhaltige und sichere Energie-versorgung

10 COMPETENCE | 2014

Bundesrat und Parlament haben 2011 als Reaktion auf den Reaktorunfall in Fukushima entschieden mittelfristig aus der Kernenergie auszusteigen und sich gleichzeitig den zwei grossen Herausforderungen der kommenden Jahre zu stellen Zum einen wird die weltweite Nachfrage nach Energie nochmals stark ansteigen da die zuneh-mende Weltbevoumllkerung absolut gesehen und pro Kopf immer mehr Energie konsumiert Das fuumlhrt zu einer deut-lichen Verschaumlrfung des Wettbewerbs um Energie Eine Energiepolitik die staumlrker lokal verankert ist entschaumlrft das Problem Zum anderen birgt die Klimaerwaumlrmung grosse oumlkologische wirtschaftliche und gesellschaftliche Risiken denen mit klimapolitischen Entscheiden auf glo-baler Ebene begegnet werden muss Mit einer konzisen Energie- und Klimapolitik haumllt die Schweiz hierauf eine moumlgliche Antwort bereit

Energiewende im historischen KontextDer bekannte Energiehistoriker Vaclav Smil versteht un-ter Energie die Ausschoumlpfung der natuumlrlichen Ressour-cen durch den Menschen der sich damit das Uumlberleben sichert und seine Lebensqualitaumlt erhoumlht Mit der geplan-ten Energiewende wird das System Energie in seiner ge-sellschaftlichen Dimension umfassend transformiert Die gegenwaumlrtige Diskussion wird jedoch von technischen und oumlkonomischen Fragestellungen dominiert die gesell-schaftliche Dimension kommt dagegen zu kurz Bei der Energiewende geht es jedoch um mehr als lediglich da-rum eine Ressource durch eine andere zu ersetzen Es geht darum die bestehenden Strukturen fundamental

umzuformen Es geht um Stromnetze und Erdoumllpipelines um idyllische Landschaften und Staumldte um Politik und neue Technologien Diese und zahlreiche weitere Para-meter wurden alle aufgrund energiepolitischer Entschei-dungen im vergangenen Jahrhundert gestaltet Fuumlr die Zukunft sind radikale Eingriffe geplant welche die kom-menden Generationen praumlgen werden Es ist deshalb wesentlich das Thema langfristig zu betrachten und die heutige Situation und Diskussion auch historisch zu situ-ieren Wie wurden Energiesysteme ndash also die Verknuumlpfung von Menschen Ingenieurwesen industriellen Praktiken technologischen Artefakten politischen Programmen und institutionellen Ideologien ndash formiert Welche gesell-schaftlichen Voraussetzungen haben zur Entscheidung fuumlr den einen und gegen den anderen Energietraumlger gefuumlhrt Und letztlich auch Welchen internationalen Trends ist die kleine ressourcenarme Schweiz weshalb gefolgt und in welchen Momenten hat sie sich fuumlr den schweizerischen Sonderweg entschieden

Industrialisierung und EnergiewendeEnergiesysteme entwickeln sich kontinuierlich waren je-doch historisch gesehen uumlber lange Zeit relativ stabil Die Jahrzehnte seit dem Beginn der Industrialisierung in der zweiten Haumllfte des 18 bis Ende des 19 Jahrhunderts wa-ren die Aumlra des Holzes (und nicht der Kohle) die erste Haumllfte des 20 Jahrhunderts war die Zeit der Kohle (und nicht des Erdoumlls) die zweite diejenige des Erdoumlls und der Kernenergie Die Wasserkraft war eine wichtige Strom-lieferantin jedoch nie die Nummer eins unter den Energie-

Hintergrund

Fukushima gibt den Takt vor

Der Energiesektor hat sich in den letzten 150 Jahren drama-tisch schnell entwickelt Nicht nur haben sich Produktion und Verbrauch um ein Vielfaches erhoumlht auch die wirtschaftlichen rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich grundlegend gewandelt Ein kurzer historischer Ruumlckblick zeigt die grossen Entwicklungen und Trends aufText Monika Gisler

11COMPETENCE | 2014

Problem der Entsorgung radioaktiver Abfaumllle wurden an-fangs kaum thematisiert Erdoumll wurde erst in den 1970er-Jahren zum politischen Thema als mit den Erdoumll(preis)- krisen von 197374 und 197980 seine (geopolitisch be-dingte) Endlichkeit manifest wurde Gleichzeitig verstaumlrkte die Erdoumllkrise das Bewusstsein uumlber die Abhaumlngigkeit von importierten Energietraumlgern die mit der Industrialisierung eingesetzt hatte

Anfaumlnge des UmweltschutzesAufgrund dieser beiden Entwicklungen kamen Themen wie Energiesparen und die Forderung nach umweltfreund-licheren Energien in den 1970er-Jahren erstmals auf die politische Traktandenliste Der oumlffentliche Diskurs um die laquoGrenzen des Wachstumsraquo und damit einhergehend auch die ersten Debatten zum Umweltschutz entbrannten In-teressanterweise glaubte man dass Wind- und Solar-anlagen erst ab dem Jahr 2000 in signifikantem Umfang zur Verfuumlgung stehen wuumlrden was ja auch eintrat

Die Diskussion flaute so rasch ab wie sie gekommen war Alternativenergien bewahrten ihr Nischendasein bis zu dem Ereignis das mittlerweile den neuen Takt vorgibt die Nuklearkatastrophe von Fukushima Es wird sich weisen wie erfolgreich die Umsetzungsmassnahmen sein werden und wie rasch sie implementiert werden koumlnnen Sicher scheint jedoch dass das Unternehmen Energiewende nur verstanden und ndash so zumindest die Hoffnung ndash auch ak-zeptiert wird wenn man es in seiner ganzen Dimension erfasst

traumlgern Es wird sich weisen ob das 21 Jahrhundert das-jenige der (neuen) erneuerbaren Energien sein wird

Kohle war nach Holz der wichtigste und langfristigste Energie traumlger der Schweiz Ihre Bedeutung hielt mehr als acht Jahrzehnte an ihr Niedergang setzte 1940 ein 1955 wurde sie vom Erdoumll als wichtigster Energietraumlger abgeloumlst Der Klimahistoriker Christian Pfister erklaumlrt diese Transition mit den rasch fallenden Oumllpreisen die zu einer immer groumls ser werdenden Nachfrage nach dieser guumlns-tigen Energie fuumlhrten Ein weiterer Grund war die Domi-nanz des Verbrennungsmotors uumlber die Dampfmaschine auf dem Weg zu einer immer mobileren Gesellschaft Es ist nicht nur das Angebot sondern auch die Nachfrage welche die Bedeutung eines Energietraumlgers formt Die Entscheidung fuumlr Oumll (und spaumlter Gas) war gleichermassen beeinflusst von den technischen Veraumlnderungen wie von den Verschiebungen am Finanzmarkt

Schon fruumlh hatte auch die Wasserkraft eine grosse Be-deutung fuumlr die Schweiz 1918 war man uumlberzeugt dass laquo[hellip] fuumlr unser Land [hellip] die Frage der Energiequelle ein-wandfrei erledigt [sei] Der ganze Entwicklungsgang von Technik und Volkswirtschaft fuumlhrt endlich zur Erkenntnis dass die Natur uns mit den Wasserkraumlften fuumlr die Kohlen-armut entschaumldigtraquo (Parlamentarische Debatte zum Was-serrechtsgesetz 1918) Wasserkraft wurde im Energiemix immer ergaumlnzend zu anderen Ressourcen eingesetzt und nach 1970 entscheidend wenn auch nicht paritaumltisch mit Kernenergie zur Gewinnung von Elektrizitaumlt komplettiert

So war die zweite Haumllfte des 20 Jahrhunderts die Zeit des Erdoumlls und der Kernenergie Die beiden Energie traumlger entwickelten sich nach 1945 fast parallel und haben doch eine sehr unterschiedliche Geschichte Das hat mit ihrer jeweiligen Form und Verfuumlgbarkeit zu tun aber auch da-mit dass ihre politische Bedeutung sehr verschieden-artig war Die Kernkraft barg aufgrund ihrer Naumlhe zu ei-ner toumldlichen Waffe schon immer politischen Sprengstoff Gleichzeitig genoss sie anfaumlnglich auch den Ruf einer sauberen und nahezu unbegrenzt zur Verfuumlgung stehen-den Energiequelle Die Gefahr einer Verstrahlung und das

Monika GislerDr Monika Gisler hat an den Universitaumlten Zuumlrich Basel und Los Angeles (UCLA) Ge-schichte und Politische Philosophie studiert Sie war Forschungsverantwortliche an der ETH Zuumlrich und bietet seit 2008 mit laquoUnter-nehmen Geschichteraquo Forschung Lehre und Beratung zu den Themen Umwelt Energie und Innovation an (wwwunternehmenge-schichtech) Aktuell lehrt sie als Dozentin an der ETH zu Energiewenden in Geschichte und Gegenwart

Wie viele Fotovoltaikanlagen sind auf den Daumlchern Winterthurs zu finden

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13COMPETENCE | 2014

Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Energieversorgung

dem Parlament die Energiestrategie 2050 vor welche die Basis fuumlr diesen Umbau schafft Grundsaumltze der Energie-strategie sind die Energieeffizienz die Steigerung des An-teils aus erneuerbaren Energien und die Umsetzung des Verursacherprinzips Das bedeutet dass die Kosten der Energienutzung moumlglichst von den Verursachern getragen werden

Die Schweiz verfuumlgt zwar uumlber eine hohe Versorgungs-sicherheit allerdings sind unsere Energiequellen teilweise nicht nachhaltig Gegenwaumlrtig liegt der Anteil der fossilen Energietraumlger am Endenergieverbrauch bei rund 80 Pro-zent Damit traumlgt die Schweiz zu den negativen Folgen der Klimaerwaumlrmung bei Als rohstoffarmes Land importiert sie einen grossen Teil dieser Energie ndash insbesondere Roh-oumll und Gas Dementsprechend hoch ist die Abhaumlngigkeit vom Ausland Zudem steht die Schweiz energiepolitisch vor weiteren grossen Herausforderungen Aufgrund des Bevoumllkerungs- und Wirtschaftswachstums des steigen-den Wohlstands sowie der zunehmenden Mobilitaumlt nimmt die Nachfrage nach Energie zu Teilweise veraltete Infra-struktur wachsender Wettbewerb und die Integration in das europaumlische Energienetz stellen das Energiesystem zudem vor zusaumltzliche Herausforderungen die es zu be-waumlltigen gilt

Langfristige StrategieUm diese Herausforderungen anzugehen ist ein Umbau des Energiesystems in Richtung Nachhaltigkeit unabding-bar Im Nachgang zur Reaktorkatastrophe in Fukushima haben Bundesrat und Parlament im Jahr 2011 den Grund-satzentscheid fuumlr einen schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie gefaumlllt Der Bundesrat legte anschliessend

Mit der Energiestrategie 2050 des Bundes soll unter anderem der Energieverbrauch reduziert und der Anteil der erneuerbaren Energien erhoumlht werden Dazu gehoumlren eine Reduk tion der energiebedingten CO2-Emissionen und der schrittweise Ausstieg aus der Kernenergie ndash dies ohne die bisher hohe Versorgungs-sicherheit und die preiswerte Energieversorgung zu gefaumlhrden Die ambitioumlsen Ziele sind aber nur zu erreichen wenn ein Um-denken stattfindet und Politik Wirtschaft Wissenschaft und Gesellschaft enger zusammenarbeiten Text Walter Steinmann

Hintergrund

Stossrichtungen der Energiestrategie ndash Energieeffizienz erhoumlhen Energieverbrauch

senken Stromverbrauch stabilisieren ndash Anteil der erneuerbaren Energien erhoumlhen und

Restbedarf durch fossile Stromproduktion und Importe decken

ndash Zugang zu internationalen Energiemaumlrkten sicherstellen

ndash Um- und Ausbau der elektrischen Netze und der Energiespeicherung vorantreiben

ndash Energieforschung verstaumlrken ndash Vorbildfunktion der oumlffentlichen Hand wahrnehmen ndash Internationale Zusammenarbeit im Energiebereich

intensivieren

14 COMPETENCE | 2014

Hintergrund

Der Bundesrat hat dem Parlament im September 2013 ein erstes Massnahmenpaket zur Umsetzung der Energie-strategie 2050 vorgelegt Das Geschaumlft wird momentan von den vorberatenden parlamentarischen Kommissio-nen behandelt Es ist auf die Zielsetzungen fuumlr das Jahr 2020 ausgerichtet und soll langfristig wirken Konkret vorgesehen ist etwa eine Erhoumlhung der CO2-Abgabe auf Brennstoffe mit einer gleichzeitigen Verstaumlrkung des Ge-baumludesanierungsprogramms Weiter soll die bisherige kostendeckende Einspeiseverguumltung zu einem Verguuml-tungssystem mit Direktvermarktung umgebaut werden Dafuumlr sind eine Totalrevision des Energiegesetzes sowie Anpassungen in weiteren neun Bundesgesetzen noumltig Berechnungen zufolge soll der Energieverbrauch mit der Umsetzung des ersten Massnahmenpakets bis 2050 we-sentlich abnehmen Insbesondere bei den fossilen Ener-gietraumlgern wird mit grossen Ruumlckgaumlngen gerechnet

Volkswirtschaftlich werden sich die Kosten fuumlr die Um-setzung der Energiestrategie in Grenzen halten Den er-heblichen Investitionen in die Energieeffizienz stehen Ein-sparungen bei den Energieimporten gegenuumlber Es sind jedoch betraumlchtliche Investitionen insbesondere fuumlr den Zubau der Stromproduktion aus erneuerbaren Energietrauml-gern noumltig

Zusammensetzung des Endshyenergieverbrauchs (ohne Treibshystoffverbrauch des internationalen Flugverkehrs) bis 2050 auf der Basis des vorliegenden Massnahmen pakets des UVEK (Quelle Prognos)

Ein Markt mit ZukunftEine nachhaltige Energiepolitik ist nur moumlglich wenn die Schweiz staumlrker auf erneuerbare Energien setzt Heute stammen nur gerade 20 Prozent der verbrauchten Ener-gie aus erneuerbaren Quellen Die laufenden Arbeiten zur Energiestrategie 2050 zeigen dass Sonnen- und Wind-energie Wasserkraft und Geothermie in der Schweiz uumlber grosse Potenziale verfuumlgen deren optimale Er-schliessung jedoch durch verschiedene Faktoren behin-dert beziehungsweise verzoumlgert wird Dazu gehoumlren die

langwierigen Bewilligungsverfahren und die teils fehlende Akzeptanz in der Bevoumllkerung aber auch die begrenzten Foumlrdermittel zur Realisierung entsprechender Projekte Mit der Energiestrategie 2050 sollen guumlnstigere Rahmenbe-dingungen geschaffen werden

Die Sicherung des langfristigen Energieangebots wird zu einer der zentralen Herausforderungen und bietet gleichzeitig grosse Chancen fuumlr den Wirtschaftsstandort

laquoFortschritte bei der Ressourcen-effizienz und den erneuerbaren

Energien ermoumlglichen Wettbewerbs-vorteile auf den Exportmaumlrktenraquo

15COMPETENCE | 2014

Schweiz Bereits heute verfuumlgt die Schweiz uumlber ein gros-ses industrielles und technologisches Know-how gerade im Bereich Cleantech Fortschritte bei der Ressourcen-effizienz und den erneuerbaren Energien ermoumlglichen Wett bewerbsvorteile auf den Exportmaumlrkten sie schaffen neue Arbeitsplaumltze und erhoumlhen die Unabhaumlngigkeit in der Rohstoffversorgung Zusammen mit dem Masterplan Cleantech traumlgt die Energiestrategie 2050 dazu bei dass sich die Schweiz hier als Vorreiterin profilieren kann

Uumlbergang in ein LenkungssystemDamit sich der Markt in Richtung Nachhaltigkeit entwickelt werden kuumlnftig weitere Massnahmen noumltig sein Waumlhrend das erste Massnahmenpaket noch stark auf Foumlrderung zielt wird die Energiepolitik ab 2021 gemeinsam mit der Klimapolitik strategisch neu ausgerichtet Das bestehen-de Foumlrdersystem basiert auf einem Netzzuschlag fuumlr die Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Ener-gien und einer Teilzweckbindung der CO2-Abgabe fuumlr das Gebaumludeprogramm Es soll durch ein marktwirtschaftli-ches Lenkungssystem abgeloumlst werden mit dem sich die Energie -und Klimaziele effektiv und oumlkonomisch effizient erreichen lassen Konkret werden erneuerbare Energien und Gebaumludesanierungen zunaumlchst noch staatlich unter-stuumltzt ndash langfristig soll der Markt spielen Das Bundesamt fuumlr Energie ist daran in Zusammenarbeit mit dem Eidge-noumlssischen Finanzdepartement und dem Staatssekretariat fuumlr Wirtschaft zu konkretisieren wie das umzusetzen ist

Wissenstransfer staumlrken Gluumlcklicherweise herrscht an den Hochschulen und ihren Instituten im Energiebereich Aufbruchstimmung Fuumlr Un-ternehmen ist es jedoch oft schwierig das an Hochschu-len vorhandene Wissen abzuholen gerade wegen der grossen Diversitaumlt der Forschung und der Fragmentierung des Wissens auf zahlreiche Institute Gleichzeitig stossen mit Unternehmen der Informations- und Kommunikations-technologie neue Akteure mit grossem Know-how in den Energieversorgungsmarkt vor Energieversorgungsunter-nehmen in ganz Europa ruumlcken vom reinen Stromverkauf ab und positionieren sich vermehrt als Anbieter von umfas-senden Energiedienstleistungen Diesem Trend muss sich

Walter SteinmannDr Walter Steinmann ist seit 2001 Direktor des Bundesamts fuumlr Energie (BFE) Er hat an der Universitaumlt Zuumlrich Volkswirtschaft studiert und seine Studien 1988 mit einer Doktorarbeit an der Universitaumlt Konstanz ab geschlossen Von 1981 bis 1988 war er Delegierter fuumlr Wirtschaftsfoumlrderung des Kantons Basel-Landschaft und arbeitete an-schliessend als Beauftragter fuumlr Wirtschafts-foumlrderung des Kantons Solothurn Von 1994 bis 2001 war er Chef des Amts fuumlr Wirtschaft und Arbeit des Kantons Solothurn

auch die Schweiz stellen und ihre Kraumlfte vermehrt buumlndeln um Synergien zwischen Wirtschaft und Forschung zu schaffen Nur so kann der Technologiestandort Schweiz staumlrker werden Der Bund setzt bereits Massnahmen um damit der Transfer der Forschungsresultate in den Markt sichergestellt wird Dazu gehoumlrt der Aufbau vernetzter Forschungskompetenzzentren der Swiss Competence Centers for Energy Research Auch die ZHAW School of Management and Law beteiligt sich in diesem Rahmen massgeblich an den nationalen Forschungsaktivitaumlten zum Umbau des Schweizer Energiesystems

Mit der Energiestrategie 2050 hat die Schweiz die Chance sich aus ihrer Abhaumlngigkeit von den fossilen Energien zu loumlsen den Export fortschrittlicher Technologien zu staumlrken und mit dem ressourcen- und klimaschonenden Umgang mit Energie international eine Fuumlhrungsrolle zu uumlberneh-men Nutzen wir diese Chance

Weitere Informationen unter wwwenergiestrategie2050ch

laquoDie Schweiz muss ihre Kraumlfte vermehrt buumlndeln um

Synergien zwischen Wirtschaft und Forschung zu schaffenraquo

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Eine der wichtigsten Zielsetzungen der Energiewende wie sie der Bundesrat formuliert hat ist der Ausbau der er-neuerbaren Energien Der Anteil von Wasser- Wind- und Sonnenkraft sowie Erdwaumlrme am Energiemix soll massiv erhoumlht werden Die durchschnittliche inlaumlndische Produk-tion ndash ohne Wasserkraft ndash soll im Jahr 2020 bei mindes-tens 4 400 Gigawattstunden (GWh) und im Jahr 2035 bei mindestens 14 500 GWh liegen Bei der Produktion von Elektrizitaumlt aus Wasserkraft wird bis im Jahr 2035 ein Aus-bau der Produktion auf 37 400 GWh angestrebt Zum Ver-gleich Die Jahresproduktion des AKW Muumlhleberg liegt bei rund 2 600 GWh Das sind houmlchst ambitioumlse Ziele

Der geplante Ausbau der Nutzung von erneuerbaren Energien bedarf zahlreicher Anlagen ndash Windparks Was-serkraftwerke oder groumlsserer Solaranlagen ndash mit entspre-chend hohem Raumbedarf Der Bundesrat sieht nicht vor die Umwelt- und Heimatschutzgesetze massgeblich zu lo-ckern obwohl es regelmaumlssig zu Konflikten zwischen den Schutzinteressen und Energienutzungsanlagen sowie zu entsprechenden Gerichtsverfahren kommt ndash wie juumlngst im Goms bei der Planung eines Wasserkraftwerks (BGE 140 II 262 ff) Das Bundesgericht nimmt jeweils eine im Resul-tat schwer voraussehbare Interessenabwaumlgung vor und stellt die Leistung der Anlage sowie die Faumlhigkeit zeitlich flexibel und marktorientiert zu produzieren den Schutz-interessen gegenuumlber

Ein weiteres Problem besteht darin dass groumlssere Anla-gen bei der Nachbarschaft oder in einer breiteren Bevoumll-kerung keine Akzeptanz finden So waumlre zwar im Kanton

Loumlsungen suchen bevor es zum Rechtsstreit kommt

Hochschulperspektive

Der Bundesrat sieht im Rahmen der Energiestrategie 2050 vor den Anteil der erneuerbaren Energien massiv zu erhoumlhen Die vermehrte Nutzung erneuerbarer Energietraumlger fuumlhrt jedoch zu einem Interessenkonflikt zwischen Wirtschaftlichkeit umwelt-rechtlichen Anforderungen und sozialer Akzeptanz Diesen gilt es mit klaren rechtlichen Grundlagen zu loumlsenText Reneacute Wiederkehr und Andreas Abegg

Zuumlrich Wind vorhanden doch dreht sich dort bis heute keine einzige grosse Windturbine Gegen die einzige bis-her geplante Versuchsanlage am Stuumlssel oberhalb Baumlrets-wil hat eine Interessengemeinschaft Rekurs erhoben und will die geplante Windmessanlage bis vor Bundesgericht bekaumlmpfen Diese Probleme ndash die Kollision mit Schutz-interessen und die Angst vor Nachbarrekursen ndash koumlnnen im Ergebnis dazu fuumlhren dass die Energieunternehmen auf den Bau von Anlagen verzichten obwohl ein erhebli-ches Potenzial vorhanden waumlre

Loumlsungsansatz des BundesratsIm Rahmen der Energiepolitik 2050 schlaumlgt der Bundesrat vor dass die Kantone mit Unterstuumltzung des Bundes ein Konzept fuumlr den Ausbau der erneuerbaren Energien er-arbeiten und Gebiete fuumlr die Nutzung durch erneuerbare Energien bestimmen Nach der Genehmigung durch den Bund dient das Konzept den Kantonen als Grundlage fuumlr ihre Richtplanung Dadurch wird fuumlr die kommunalen und kantonalen Behoumlrden verbindlich festgelegt in welchen Gebieten Bewilligungen fuumlr erneuerbare Energieproduktio-nen erteilt werden koumlnnen

Welche Gebiete sich tatsaumlchlich fuumlr den Ausbau der er-neuerbaren Energien eignen ist bisher allerdings kaum erforscht worden Bund Kantonen und Gemeinden fehlen die Grundlagen um die Eignung von Standorten und Ge-bieten aus rechtlicher Sicht zu beurteilen Es ist deshalb einfacher ungeeignete Gebiete von der Nutzung auszu-nehmen Vor allem Gebiete welche fuumlr Natur- und Hei-matschutz wertvoll sind koumlnnen zu einer sogenannten

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schen und rechtsstaatlichen Verfahren aus So wurde zum Beispiel im Kanton Zuumlrich der Heimatschutz gegenuumlber dem Interesse an neuen Solaranlagen bereits zuruumlck-gestuft und das entsprechende Bewilligungsverfahren gestrafft Es wird sich gerade bei der Wahl von Stand-orten fuumlr die Nutzung erneuerbarer Energien zeigen ob die Energiewende ndash wie zuweilen befuumlrchtet ndash auf Kosten von Demokratie und Rechtsstaat sowie auf Kosten von Natur- und Heimatschutz geht oder ob wir die gegenwaumlr-tigen Strukturen unter transparenter und angemessener Wahrung aller Interessen anpassen koumlnnen um die an-spruchsvollen Energieziele zu erreichen

Negativzone fuumlhren Auch andere Anliegen wie die Erhal-tung von landwirtschaftlichem Kulturland und Wald der Schutz des Vogelzugs oder die Beduumlrfnisse der Luftfahrt sind zu beruumlcksichtigen Zudem ist zu beachten dass der Bau neuer Anlagen einen Ausbau des Energienetzes nach sich ziehen kann was wiederum zu Konflikten mit anderen raumrelevanten Interessen fuumlhrt

InteressenabwaumlgungUm die erneuerbare Energie wie geplant massiv foumlrdern zu koumlnnen muumlssen die notwendigen Anlagen rasch rea-lisiert werden In den hierzu notwendigen Bewilligungs- und Rechtsmittelverfahren muumlssen die Zielkonflikte der verschiedenen Interessen transparent gemacht und unter gleichberechtigter Abwaumlgung geloumlst werden Das gilt so-wohl fuumlr das konkrete Rechtsmittelverfahren vor Behoumlrden und Gerichten wie auch fuumlr eine vorgezogene Mediations-phase

Hier setzen die vom Bund initiierten Forschungen zur Energiewende auf drei Ebenen an Zunaumlchst muumlssen die Details der komplizierten Bewilligungsverfahren im Aus-tausch mit der Gerichtspraxis ausgearbeitet werden Das sorgt fuumlr Rechtssicherheit Auf einer zweiten Ebene gilt es die bestehenden kantonal reglementierten Verfahren zu vereinheitlichen und wenn moumlglich zu vereinfachen Damit es zu rechtsstaatlich tragfaumlhigen und sozial akzep-tierten Loumlsungen kommt sind die Rechte aller Beteiligten zu wahren jene von Gemeinden Kantonen und Bund als Behoumlrden von Energieunternehmen als Gesuchsteller so-wie von Nachbarn und beschwerdeberechtigten Verbaumln-den als Gegner Schliesslich sind auf einer dritten Ebene neue Hilfsmittel zu suchen mit denen Gebiete und Stand-orte bezeichnet werden koumlnnen die sich fuumlr die Nutzung erneuerbarer Energien besonders eignen Das Bewilli-gungsverfahren wird hiermit transparenter berechenbarer und ndash so die Hoffnung ndash kuumlrzer Mit klaren Rechtsgrund-lagen koumlnnen die Beteiligten zudem Loumlsungen suchen bevor es uumlberhaupt zum Rechtsstreit kommt Die geplante Foumlrderung erneuerbarer Energien kommt nicht ohne Veraumlnderungen in bestehenden demokrati-

Andreas AbeggProf Dr Andreas Abegg ist Leiter des Zen-trums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht an der ZHAW School of Management and Law Privatdozent an der Universitaumlt Fribourg und praktizierender Rechtsanwalt Er beschaumlf-tigt sich mit den rechtlichen Schnittpunkten zwischen Staat und Privaten insbesondere in den Bereichen Regulierung Verwaltungs-organisation und Energie Andreas Abegg forscht im Rahmen des vom Bund mitfinan-zierten Competence Center for Research in Energy Society and Transition (CREST) in der Forschungsgruppe Energy Policy Analysis

Reneacute WiederkehrProf Dr Reneacute Wiederkehr ist stellvertre-tender Leiter des Zentrums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht an der ZHAW School of Management and Law und Titularprofessor der Universitaumlt Luzern Er forscht und lehrt in den Bereichen Verwaltungsrecht und oumlf-fentliches Prozessrecht sowie im Rahmen des vom Bund mitfinanzierten Competence Center for Research in Energy Society and Transition (CREST) in der Forschungsgruppe Energy Policy Analysis

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Negawatt statt Megawatt

Energieeffizienzmassnahmen finanziell lohnen Zudem ver-fuumlgen kleine und mittlere Unternehmen selten uumlber Ener-gieverantwortliche oder Umweltbeauftragte die im Akqui-sitionsprozess gezielt angesprochen werden koumlnnen

Schwaumlchen bisheriger ProgrammeEine Umfrage der ZHAW bei Programmverantwortlichen zeigt diverse Schwaumlchen laufender Effizienzprogramme auf Ein haumlufiges Problem sind falsche Anreize So wird vornehmlich vermittelt wie mit Energieeffizienz Geld ge-spart wird Offensichtlich geht man davon aus dass Un-ternehmen praktisch nur uumlber finanzielle Anreize zu moti-vieren sind Bei den angepeilten KMU fallen Energiekosten jedoch kaum ins Gewicht Beratungsaufwand und Ergeb-nis stehen umso mehr im Missverhaumlltnis je weniger Ener-gie verbraucht wird Weiter scheinen die Programmver-antwortlichen ihre Zielgruppen kaum zu segmentieren und als unterschiedliche Kundensegmente wahrzunehmen Entsprechend beinhalten die meisten Programme ein Standardangebot mit einem breiten Spektrum an Mass-nahmen die oft nicht branchenspezifisch zugeschnitten sind Auch die Kundenansprache erfolgt in der Regel un-differenziert und die Moumlglichkeiten der Neuen Medien wer-den kaum genutzt

Keine langfristige PerspektiveEin Grossteil der Programme ist nicht auf Kundenbindung ausgelegt Insbesondere werden kaum Informationen er-fasst welche die Planung einer weiterfuumlhrenden Bezie-

Schweizer Unternehmen koumlnnten auf wirtschaftliche Art und Weise bis zu 30 Prozent ihres Energieverbrauchs ein-sparen Speziell bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) die immerhin 10 Prozent des Schweizer Stromver-brauchs verantworten ist das Sparpotenzial aber ungenuuml-gend ausgeschoumlpft

Energieeffizienzprogramme wirken nichtBehoumlrden Energieversorger und private Organisatio-nen haben in den letzten Jahren wiederholt Programme lanciert um Energieeinsparungen gezielt zu foumlrdern Al-lerdings haben bislang weniger als 1 Prozent der rund 300 000 Schweizer KMU an einem solchen Programm teilgenommen und die Umsetzungsquoten sind ebenfalls gering Uumlber die Gruumlnde die Unternehmen daran hindern an Energieeffizienzprogrammen teilzunehmen und ent-sprechende Massnahmen umzusetzen sind sich die Pro-grammverantwortlichen uneinig Oft werden Zeitmangel Priorisierung anderer Investitionen fehlende Mittel und zu lange Amortisationszeiten als Hemmnisse genannt Ge-nerell scheint es dass bei Kleinunternehmen Zeit- und Geldmangel eine wichtige Rolle spielen waumlhrend bei Un-ternehmen mittlerer Groumlsse eher der Mangel an Motiva tion und Bewusstsein ausschlaggebend ist Energiekosten machen bei KMU einen verschwindend kleinen Anteil der Gesamtkosten aus sodass die Prioritaumlten fuumlr Investitionen haumlufig anders liegen Man investiert beispielsweise lieber in Betriebsmittel zur Erhoumlhung der Produktivitaumlt als in die Reduktion der (bereits tiefen) Energiekosten obwohl sich

Energieeffizienz ist ein zentraler Pfeiler der Energiestrategie 2050 Die Schweiz gehoumlrt zu den Spitzenreitern punkto Energie effizienz auch dank ihrem dominanten Tertiaumlrsektor Dennoch liegen auch bei hiesigen Unternehmen grosse Sparpotenziale brach Wie diese genutzt werden koumlnnen untersucht die ZHAW in einem interdisziplinaumlren ProjektText Rolf Rellstab

Hochschulperspektive

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brauch betrifft erhoumlhte Arbeitssicherheit weniger Laumlrm-belastung oder geringerer Rohstoffverbrauch Der Wert solcher laquoNon-Energy Benefitsraquo kann fuumlr Unternehmen bis zu 250 Prozent der energetischen Einsparungen betra-gen Es geht also darum KMU gezielter auf die Chancen der Energieeffizienz hinzuweisen Schliesslich gilt es auch Unternehmen wissen zu lassen dass sich ihre Kunden fuumlr dieses Thema interessieren sowie ihnen dabei zu helfen ihr Energie effizienzengagement sichtbar zu machen Waumlh-rend bereits heute viele Unternehmen bestaumltigen dass sich ihr Image bei den Kunden durch die Teilnahme an einem Energieeffizienzprogramm verbessert hat achten erst wenige Firmen auch bei der Kommunikation darauf dass entsprechende Massnahmen gebuumlhrend bekannt gemacht werden

hung zu den Programmteilnehmenden ermoumlglichen wuumlr-den Angaben zu Stromverbrauch Houmlhe und Anteil der Energiekosten Anzahl Mitarbeitende und Umsatz waumlren wertvolle Informationen im Hinblick auf allfaumlllige Folgepro-gramme Im Vordergrund stehen zudem bei den meisten Programmen technische Loumlsungen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz Eine nachhaltige Verhaltensaumlnderung bei Mitarbeitenden oder auf Managementebene wird hingegen kaum verfolgt Auch ein Monitoring der Wirkung von Ener-gieeffizienzprogrammen ist bislang nicht vorhanden oder

wird zu wenig systematisch betrieben So wird zum Bei-spiel die effektive Energieeinsparung vielfach nicht erfasst und gepruumlft Das tatsaumlchliche Kosten-Nutzen-Verhaumlltnis einzuschaumltzen ist somit schwierig Dass die bestehenden Energieeffizienzprogramme inhaltlich durchaus Anklang finden zeigen Ruumlckmeldungen von Unternehmen die in der Vergangenheit daran teilgenommen haben Die Befrag-ten beurteilen ihre Erfahrungen mehrheitlich positiv Aus Sicht der Unternehmen lagen die Energieeinspar effekte im Bereich der Erwartungen Viele wuumlrden nochmals an einem solchen Programm teilnehmen was die oben ge-nannten Versaumlumnisse umso bedauerlicher macht

Wirksamkeit verbessernWie koumlnnen KMU zum Energiesparen motiviert werden Aus Marketingsicht beinhaltet ein sinnvolles Programm eine segmentspezifische Kundenansprache die den laquoReifegradraquo (Wissen Einstellungen und Verhalten) eines Unternehmens in Bezug auf Energieeffizienz beruumlcksich-tigt Zweitens braucht es eine klare Kundenbeziehungs-strategie welche eine wiederholte Teilnahme zum Ziel hat Bei den Anreizen einzig die finanziellen Aspekte wie etwa erwartete Kostensenkungen oder Foumlrderbeitraumlge hervor-zuheben scheint wenig erfolgversprechend Der Fokus wird in Zukunft wohl vermehrt darauf liegen denjenigen Nutzen hervorzuheben der nicht direkt den Energiever-

Rolf RellstabRolf Rellstab ist wissenschaftlicher Mit-arbeiter und Projektleiter am Institut fuumlr Marketing Management der ZHAW School of Management and Law Seine Arbeits-schwerpunkte liegen im Bereich Kommuni-kation Kundenbeziehungsmanagement und B-to-B-Marketing

Projektziel und VorgehensweiseIm ZHAW-Projekt laquoNegawatt statt Megawattraquo werden optimierte Vorgehensweisen entwickelt um KMU mit einem jaumlhrlichen Strom-verbrauch zwischen 10 und 500 MWh zum Energiesparen zu moti-vieren Der Begriff laquoNegawattraquo bezeichnet die eingesparte Energie die zu virtuellen Negawatt-Kraftwerken kombiniert wird So wird anschaulich aufgezeigt wie viel Energie dank diesen Einsparungen weniger produziert werden muss Das Projekt beinhaltet eine interna-tionale Literaturstudie zu den Erfolgsfaktoren und Hemmnissen von Energieeffizienzprogrammen eine Umfrage bei Anbietern solcher Programme sowie eine Befragung von KMU Aus den Ergebnissen dieser drei Teilstudien werden Hypothesen im Hinblick auf ein idea-les Energieeffizienzprogramm abgeleitet In einem Folgeprojekt sol-len die Hypothesen im Rahmen eines Pilotprogramms uumlberpruumlft und weiterentwickelt werden Das Projekt wird durch den WWF Schweiz die Stiftung Pro Evolution das Bundesamt fuumlr Energie (BFE) und die Elektrizitaumltswerke des Kantons Zuumlrich (EKZ) unterstuumltzt Weitere In-formationen wwwzhawchnegawatt

laquoEine nachhaltige Verhaltens - aumlnderung bei Mitarbeitenden oder auf Managementebene

wird kaum verfolgtraquo

Wie viel Heizoumll wird jaumlhrlich in Winterthur verbraucht

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Klima im Wandel ndash Emissionsrechte im Handel

Der Klimawandel laumlsst sich anhand des Treibhauseffekts veranschaulichen Die Treibhausgase bewirken dass kurz-welliges Sonnenlicht zur Erdoberflaumlche gelangt verhindern jedoch dass langwellige Waumlrmestrahlung von der Erde nach aussen dringt Somit kann die Waumlrme nicht mehr entweichen und die Temperatur steigt Der Ausstoss von Treibhausgasen die vor allem bei der Verbrennung von fossilen Energietraumlgern wie Kohle Gas und Oumll entstehen hat seit der industriellen Revolution stark zugenommen und den natuumlrlichen Treibhauseffekt verstaumlrkt Eine Zunahme der Haumlufigkeit und Intensitaumlt meteorologischer und hydro-logischer Grossereignisse wie Stuumlrme und Uumlberschwem-mungen sind die Folge ndash mit gravierenden oumlkologischen oumlkonomischen und sozialen Konsequenzen

Der 2013 veroumlffentlichte Bericht der internationalen Exper-tengruppe Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zeigt auf dass die globale Durchschnittstempera-tur in den letzten 130 Jahren um 085deg Celsius gestiegen

Der Klimawandel findet nicht in ferner Zukunft sondern bereits jetzt statt Um ihn fuumlr Mensch und Umwelt auf einem ertraumlg-lichen Niveau zu stabilisieren muumlssen die Treibhausgas-emissionen reduziert werden Der Emissionshandel soll dazu beitragen sie dort zu mindern wo die geringsten Kosten an-fallen So kann das gesetzte Mengenziel oumlkonomisch effizient erreicht werdenText Regina Betz

ist Ohne Minderungsanstrengungen wird bis 2100 ein mehr als fuumlnffacher Anstieg prognostiziert Um die Treib-hausgaskonzentration in der Atmosphaumlre auf einem fuumlr Mensch und Umwelt akzeptablen Niveau zu stabilisieren muss die Erwaumlrmung bei unter 2deg Celsius stagnieren Da-fuumlr muumlssen laut dem 2014 veroumlffentlichten Bericht des IPCC die globalen Treibhausgasemissionen (THGE) bis 2050 gegenuumlber 2010 mindestens halbiert und bis 2100 um rund 100 Prozent reduziert werden 1997 hat sich die internationale Staatengemeinschaft im Kyoto-Protokoll fuumlr die Jahre 2008 bis 2012 erstmals auf voumllkerrechtlich ver-bindliche Ziele fuumlr den Ausstoss von THGE in den entwi-ckelten Laumlndern geeinigt aktuell finden Verhandlungen fuumlr die Festlegung neuer Ziele statt

Cap and TradeZur Zielerreichung sieht das Kyoto-Protokoll unter ande-rem den Emissionshandel auf Staatenebene vor Zahl-reiche Laumlnder wenden dieses Instrument aber haumlufiger auf Unternehmensebene an Das Grundprinzip ist einfach Die Houmlchstmenge (Cap) an erlaubten Gesamtemissionen wird festgelegt und an die regulierten Unternehmen im Emissions rechtehandelssystem (EHS) verteilt Die Unter-nehmen sind verpflichtet fuumlr jede emittierte Tonne Kohlen-dioxid ein Emissionsrecht einzureichen ansonsten sind Sanktionszahlungen faumlllig Will ein Unternehmen uumlber die ihm zugeteilte Menge hinaus emittieren muss es ein an-deres Unternehmen finden das ihm die benoumltigte Menge an Emissionsrechten verkauft (Trade) Unternehmen mit hohen Minderungskosten werden dabei Emissionsrechte hinzukaufen und Unternehmen mit niedrigen Kosten wer-den ihre Emissionen mindern indem sie etwa Biomasse statt Kohle verbrennen und uumlberschuumlssige Emissions-rechte verkaufen Durch den Handel koumlnnen die erforder-lichen Emissionsminderungen dort realisiert werden wo sie mit den geringsten Kosten verbunden sind Am Markt stellt sich ein Preis fuumlr die Emissionsrechte ein der Ange-bot und Nachfrage zum Ausgleich bringt

So einfach das Prinzip ist so schwierig ist seine Umset-zung Das System bedingt dass die Regierungen Rech-te fuumlr die Nutzung der Atmosphaumlre schaffen die zu einer

Hochschulperspektive

22 COMPETENCE | 2014

Hochschulperspektive

Reduktion der Emissionen gegenuumlber einer Referenzent-wicklung fuumlhren dem sogenannten Business-as-usual-Szenario Doch die Abschaumltzung dieses Szenarios also der Entwicklung der Emissionen ohne Mengenbegren-zung ist schwierig wie die nachfolgenden Ausfuumlhrungen zum Emissionshandel in der EU zeigen

Der Emissionshandel in der EUDas EU-EHS ist der weltweit groumlsste Markt von Emissions-rechten Alle 28 EU-Staaten sowie Liechtenstein Island und Norwegen sind daran beteiligt Die Schweiz wuumlrde sich gerne anschliessen Das EU-EHS leidet seit seiner Einfuumlhrung im Jahr 2005 unter einem Uumlberangebot das sich mittlerweile auf rund 2 Milliarden Emissionsrechte be-laumluft Dies entspricht ungefaumlhr den vom System regulierten Emissionen eines Jahres Neben den unvorhergesehenen oumlkonomischen Entwicklungen durch die globale Finanz-krise traumlgt auch der starke Zubau an erneuer baren Ener-gien zu einem houmlheren Ruumlckgang der Emissio nen bei als geplant Der Hauptgrund fuumlr den derzeitigen Uumlberschuss liegt jedoch darin dass die regulierten Unternehmen ne-ben den Europaumlischen Emissionsrechten ndash European Union Allowances (EUAs) ndash auch auslaumlndische Emissions-minderungszertifikate ndash Certified Emission Reductions (CERs) ndash zu einem bestimmten Anteil anrechnen koumlnnen Mit dem sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) koumlnnen Industrienationen in Entwicklungslaumlndern emissionsmindernde Projekte finanzieren und sich die da-bei entstehenden THGE-Reduktionen mithilfe von CERs anrechnen lassen

Durch diese verschiedenen Faktoren hat sich ein Uumlberan-gebot entwickelt das den Preis der EUAs und CERs stark sinken liess Der Preis belaumluft sich derzeit auf rund fuumlnf Euro pro EUA Die bisherigen Reformanstrengungen wie etwa das sogenannte Backloading das Verschieben von Auktionen in spaumltere Jahre um die Menge zu verknappen haben bisher kaum zu einer Preiserhoumlhung gefuumlhrt

Die Schweiz als PreishochburgDer Schweizer Markt wuumlrde bei einem Zusammen-schluss nur rund 03 Prozent des EU-EHS ausmachen

Die Schweiz wuumlrde somit als Preisnehmerin agieren Das heisst der EU-Preis sollte auch in der Schweiz gelten Umso erstaunlicher ist es daher dass der Schweizer Preis pro Emissionsrecht derzeit bei rund 40 Franken liegt ob-wohl die Verbindung des Schweizer EHS mit dem EU-EHS geplant ist (sogenanntes Linking) Das auf der Basis des revidierten CO2-Gesetzes von 2012 und der CO2-Verord-nung verabschiedete System das den Emissionshandel am 1 Januar 2013 fuumlr 38 Unternehmen beziehungsweise 55 Anlagen in der Schweiz verbindlich eingefuumlhrt hat uumlber-nimmt weitestgehend die Regeln des EU-EHS Das neue System hat das bisherige freiwillige EHS in der Schweiz abgeloumlst Die im EHS erfassten Unternehmen sind von der CO2-Abgabe befreit Die hohe Kompatibilitaumlt des Schwei-zer EHS und des EU-EHS sollte ein schnelles Linking er-moumlglichen wobei die Verhandlungen durch die Annahme der Einwanderungsinitiative zum Stillstand gekommen sind Ein moumlglicher Erklaumlrungsansatz ist daher dass der hohe Preisunterschied die derzeitige Unsicherheit uumlber den Ausgang der Linking-Verhandlungen widerspiegelt Gehen die Schweizer Unternehmen davon aus dass kein Linking stattfindet sollte sich der Preis anhand der Minderungs-kosten und der Knappheit im Schweizer EHS bilden Fuumlr die Unternehmen ist es immer noch guumlnstiger den der-zeitigen Preis von 40 Franken fuumlr die Emissionsrechte zu bezahlen als eine Busse von 125 Franken pro fehlendes Emissionsrecht Zusaumltzlich zur Busse ist das Unternehmen verpflichtet die fehlenden Rechte im naumlchsten Jahr nach-zureichen Auch hier hat sich die Schweiz stark am EU-EHS orientiert bei dem die Busse bei 100 Euro pro EUA plus Wiedergutmachung liegt

Allokation beeinflusst den WettbewerbDie Gesamtmenge an Emissionsrechten (Cap) leitet sich aus den historischen Emissionen der teilnehmenden EHS-Unternehmen ab Fuumlr bestehende Anlagen die bereits vor 2013 am EHS in der Schweiz beteiligt waren setzt sie sich aus der Summe der durchschnittlich zugeteilten Emis-sionsrechte der ersten Verpflichtungsperiode (2008 bis 2012) zusammen fuumlr Anlagen die 2013 hinzukommen aus der Summe der durchschnittlichen Emissionen der

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fuumlr neue Anlagen in einer Reserve zuruumlckbehalten deren Uumlberschuumlsse zweimal jaumlhrlich versteigert werden Die Zu-teilung der Emissionsrechte hat etwas laumlnger gedauert so-dass sie in der Schweiz fuumlr die Jahre 2013 und 2014 erst im Februar 2014 erfolgte Das mag auch einer der Gruumlnde sein dass bisher kein Handel auf dem Sekundaumlrmarkt fuumlr den die Berner Kantonalbank eine eigene Emissions-handelsplattform bereitgestellt hat stattgefunden hat Das erste Preissignal war deshalb die Auktion der Uumlberschuumls-se aus der Neuemittentenreserve Diese fand vom 14 bis 21 Mai 2014 statt und erzielte fuumlr die 150 000 Emissions-rechte einen Preis von 4025 Franken pro Emissionsrecht

Wie sich die Liquiditaumlt im Schweizer Markt in Zukunft ent-wickeln wird und ob ein Linking mit dem EU-EHS und so-mit eine Angleichung der Schweizer Preise an die EU-EHS-Preise stattfinden wird bleibt abzuwarten Letzteres waumlre zwar aus oumlkonomischer Sicht zu begruumlssen da ein groumls-serer liquider Markt mit einheitlichem Preissignal als effizi-enter bewertet wird Aus oumlkologischer Sicht scheint jedoch ein Linking der Systeme ohne weitere Reformen des EU-EHS nicht wuumlnschenswert da es die Minderungsanreize in der Schweiz als Folge des Angebotsuumlberschusses an Emissionsrechten in der EU massiv reduzieren wuumlrde

Jahre 2009 bis 2011 Diese Summe wird jaumlhrlich um 174 Prozent reduziert analog der Regelung im EU-EHS

Neben der Festlegung der Obergrenze ist die Ausgestal-tung der Zuteilungsregeln politisch am schwierigsten da diese Verteilungswirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussen Bis 2012 wurden die Emissionsrechte in der EU daher groumlsstenteils kostenlos zugeteilt Seit 2013 werden rund 48 Prozent der Emissionsrechte versteigert wobei diese vor allem von Elektrizitaumltsfirmen gekauft wer-den muumlssen Da diese nicht im internationalen Wettbewerb

stehen konnten sie den Preis der gratis erhaltenen Emis-sionsrechte an die Elektrizitaumltskonsumenten weitergege-ben und hohe Gewinne erzielen Unternehmen aus Sek-toren die im internationalen Wettbewerb stehen koumlnnen hingegen die Kosten fuumlr die Emissionsrechte nicht an ihre Endkunden weitergeben ohne betraumlchtliche Nachteile in Kauf zu nehmen Es besteht daher das Risiko dass diese Firmen in Laumlnder ohne Klimapolitik abwandern Um dieses Risiko zu senken erhalten Unternehmen bei denen ein Risiko auf Abwanderung besteht auch in Zukunft weitest-gehend kostenlos Emissionsrechte zugeteilt Die Zuteilung basiert dabei auf sogenannten Benchmarks (Tonne Koh-lendioxid pro Tonne Produkt) die auf der Basis der effizi-entesten 10 Prozent der Unternehmen berechnet und mit historischen Produktionsdaten multipliziert werden

Noch kein Handel in der SchweizDie Schweiz hat die Benchmarks des EU-EHS uumlbernom-men Da in der Schweiz vor allem stark im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen aus den Sektoren Zement Papier Chemie Stahl und Raffinerien unter den Emissionshandel fallen werden fast alle Emissionsrechte kostenlos zugeteilt Ein kleiner Anteil von 5 Prozent wird

Regina BetzDr Regina Betz ist Dozentin fuumlr Energie- und Umweltoumlkonomie an der ZHAW School of Management and Law Seit 2014 leitet sie den volkswirtschaftlichen Teil der Ener-gy Policy Analysis Group des Zentrums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht das Mitglied des Schweizer Competence Centers for Research in Energy Society and Transition (CREST) ist Zuvor lehrte sie an der University of New South Wales Australia Umwelt- und Klimaoumlkonomie und leitete als Co-Direktorin das Centre for Energy and Environmental Markets (CEEM) 1998 bis 2004 arbeitete sie als Wissenschaftlerin am Fraunhofer-Institut fuumlr System- und Innovationsforschung ISI in Deutschland

laquoNeben der Festlegung der Ober grenze ist die Ausgestaltung der Zuteilungsregeln politisch am

schwierigsten da diese Verteilungs wirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussenraquo

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nicht vollstaumlndig genutzt werden kann In der Energiestra-tegie des Bundes ist gemaumlss einem Szenario bis 2050 ein Zubau auf knapp 12 TWh pro Jahr Stromproduktion aus Fotovoltaik angedacht Dies bedingt den Bau von Fotovol-taikanlagen mit einer installierten Spitzenleistung von etwa 12 Gigawattpeak (GWp) und einem Flaumlchenbedarf von rund 84 000 000 Quadratmetern Dieser Flaumlchenbedarf ist auf den bestehenden Daumlchern in der Schweiz verfuumlgbar

An einem schoumlnen Sommertag koumlnnen diese Anlagen dann also etwa 12 GW erzeugen die maximale Ver-brauchslast liegt im Sommer aber nur bei rund 8 GW Es entsteht ein Uumlberschuss von 4 GW die Speicherleistung der Schweizer Pumpspeicheranlagen betraumlgt heute aber nur 15 GW 25 GW Leistung koumlnnen in diesem Szenario also gar nicht genutzt werden An einem Wintertag mit Hochnebel erzeugen diese Anlagen uumlberhaupt keinen Strom die Verbrauchslast liegt aber mit 10 GW noch houml-her als im Sommer Hier entsteht eine Luumlcke die mit ande-ren Energieformen oder Importen gedeckt werden muss

Speichern uumlbertragen oder einsparenUm diesem Problem zu begegnen gibt es verschiedene Loumlsungsansaumltze Ein Ansatz ist die Energie lokal dort zu speichern wo sie erzeugt aber nicht sofort verbraucht werden kann In diesem Fall werden in erster Linie viele kleine Speichermodule benoumltigt die sowohl fuumlr kurz- als auch langfristigen Ausgleich sorgen muumlssen Eine andere Moumlglichkeit ist es die Energie an Orte zu uumlbertragen wo sie sofort verbraucht wird dann muss in erster Linie das Netz ausgebaut werden Schliesslich koumlnnte Energie auch zentral zu grossen Speichern transportiert werden was sowohl einen Netzausbau als auch neue Speichertechno-logien bedingen wuumlrde

Als die Gesellschaft noch aus Jaumlgern und Sammlern be-stand verbrauchte der Mensch seine Energie lokal dort wo er sie benoumltigte Er lebte von der Hand in den Mund Im Zuge der aufkommenden Landwirtschaft musste er Methoden entwickeln um Nahrung haltbar zu machen und sie zu transportieren Vor demselben Problem steht heute die Energiewirtschaft Ort und Zeit der erneuerbaren Energieerzeugung korrelieren je laumlnger je weniger mit dem Verbrauch Die Herausforderung der Energiewende ist deshalb nicht nur die Produktion selbst sondern auch die Uumlbertragung die Speicherung und das lokale Verbrauchs-last-Management

Saisonale Speicherung problematischMit dem Ausstieg aus der Kernenergie muumlssen in der Schweiz etwa 40 Prozent der produzierten elektrischen Energie ersetzt werden also rund 23 Terawattstunden (TWh) pro Jahr Im Gegensatz zur Kernenergie haben die neuen erneuerbaren Energien den Nachteil dass ihre Pro-duktion nicht steuerbar ist und unregelmaumlssig anfaumlllt Der Kapazitaumltsfaktor also das Verhaumlltnis von durchschnittlicher zu maximaler Leistung betraumlgt bei konventionellen Kraft-werken bis zu 100 Prozent bei Fotovoltaikanlagen dage-gen nur etwa 10 Prozent Hinzu kommen die starken saiso-nalen Schwankungen dieser stochastisch erzeugenden Energiequellen Im Winter liegt die Stromverbrauchsspitze mit circa 10 Gigawatt (GW) rund ein Drittel houmlher als im Sommer gleichzeitig liefern Fotovoltaikanlagen aufgrund des flacheren Einstrahlungswinkels und der kuumlrzeren Son-nenscheindauer wesentlich weniger Strom als im Sommer

Anhand eines Gedankenexperiments laumlsst sich veran-schaulichen dass das Potenzial der neuen erneuerbaren Energien ohne zusaumltzliche Speicher oder steuerbare Lasten

Energie haltbar machen

Der Ausbau von erneuerbaren Energiequellen geht so schnell voran dass Speicher- und Uumlbertragungstechnologien kaum mithalten koumlnnen Um Produktionsspitzen zu glaumltten braucht es Fortschritte in der EnergietechnikText Petr Korba

Hochschulperspektive

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Petr KorbaProf Dr Petr Korba ist Dozent und Fach-gruppenleiter fuumlr elektrische Energietechnik und Smart Grids an der ZHAW School of En-gineering Zuvor forschte er uumlber zehn Jahre bei ABB Schweiz in den Bereichen Automa-tion Energie- und Regelungstechnik

Scherrer Institut an der Power2Gas-Technologie Dabei wird Kohlendioxid mit Strom aus erneuerbaren Quellen durch Elektrolyse zu Wasserstoff oder weiter zu Methan verarbeitet Aumlhnlich wie bei der Nahrungsmittelproduktion wo Staumlrke schliesslich als raffinierter Zucker gespeichert wird gibt es auch bei der Stromspeicherung immer raffi-niertere Formen Bei jeder Umwandlung geht aber Energie verloren Man muss sich also gut uumlberlegen ob man uumlber-haupt speichern will und wenn ja uumlber welchen Zeitraum

Mit der wachsenden Integration von erneuerbaren Energi-en steigen auch die Anforderungen an die Energietechnik Unser kuumlnftiges Energiesystem wird staumlrker automatisiert und intelligenter sein Um erneuerbare Energiequellen zu integrieren werden Informations- und Kommunikations-technologien Automatisierungs- und Regelungstechnik Signalverarbeitung oder Wettervorhersagen immer wich-tiger In den intelligenten Stromnetzen der Zukunft wer-den alle beteiligten Komponenten Daten wie den aktuellen Verbrauch verfuumlgbare Strommengen oder lokale Aus-faumllle melden und gleichzeitig solche Daten aus anderen Netzkomponenten empfangen Das daraus resultierende Smart Grid ist ein Gefuumlge das selbststaumlndig auf diese Ein-fluumlsse reagiert und seine eigene Effizienz optimiert Es gilt Energie effizienter zu uumlbertragen um raumlumliche Distanzen zu uumlberwinden und neue Speichertechnologien zu entwi-ckeln um zeitliche Engpaumlsse zu uumlberbruumlcken Elektrische Energie kann auf verschiedene Arten erzeugt gespei-chert und uumlbertragen werden Jede Art hat ihre Vor- und Nachteile und ihren Preis Anreize aus der Politik werden schliesslich entscheiden welche Formen dies in der Zu-kunft sein werden

Auf der Verbraucherseite laumlsst sich die Nutzlast durch ge-eignetes Last-Management anpassen Diese Steuerung schaltet verbrauchsintensive Anlagen in Unternehmen gewerblichen Betrieben und Haushalten gezielt dann ein wenn die Stromtarife guumlnstig sind Es duumlrfte aber schwie-rig sein der Bevoumllkerung vorzuschreiben wann sie zum Beispiel fernsehen oder kochen darf Eine intelligente Re-gelung von grossen Kuumlhlhaumlusern stoumlrt dagegen nieman-den Trotz solchen Bestrebungen geht die International Energy Agency (IEA) davon aus dass der Stromverbrauch weltweit jaumlhrlich um rund 1 Prozent zunimmt Diese Ten-denz verstaumlrkt sich voraussichtlich noch falls sich der Bereich Mobilitaumlt von fossilen Energietraumlgern hin zur Elek-tromobilitaumlt verschieben wird Die Geschichte hat gezeigt dass der Energieverbrauch eigentlich nur in Krisenzeiten zuruumlckgeht

Klar ist jedenfalls dass der Ausbau von Speichern und Netzen Hand in Hand mit der zunehmenden Integration von erneuerbaren Energiequellen erfolgen muss Auf unter-schiedlichen Netzebenen kommen unterschiedliche Spei-chertechnologien zum Einsatz Waumlhrend fuumlr Haushalte mit kleinen Fotovoltaikanlagen und im Niederspannungsnetz bereits Batteriespeicher vorhanden sind stossen diese bei mehr als einer Windturbine oder groumlsseren Solarparks schnell an ihre Grenzen Das groumlsste Batterieenergie-speichersystem der Schweiz betreiben die Elektrizitaumlts-werke des Kantons Zuumlrich in Dietikon Es hat 1 Megawatt (MW) maximale Speicherleistung und kann diese waumlhrend ungefaumlhr 15 Minuten abgeben respektive speichern Die Spitzenlast im Schweizer Hochspannungsnetz liegt aber bei 8 GW im Sommer und 10 GW im Winter Die Schwei-zer Pumpspeicherkraftwerke koumlnnen unseren Strombe-darf nur etwa einen Monat lang decken Das europaumlische Hochspannungsnetz verfuumlgt uumlber eine Spitzenlast von circa 500 GW Um die Leistung von Grosskraftwerken wie Offshore-Windparks langfristig zu speichern braucht es neue Technologien

Raffinierte EnergiespeicherungDafuumlr forscht die ZHAW School of Engineering gemein-sam mit der ETH Zuumlrich der EPF Lausanne und dem Paul

26 COMPETENCE | 2014

Hochschulperspektive

Dissonanz an der Steckdose

Mit der Energiestrategie 2050 haben Bundesrat und Parla-ment eine Kehrtwende in der Schweizer Energiepolitik ein-gelaumlutet der die wichtigsten politischen Huumlrden erst noch bevorstehen Auf den ersten Blick scheint der Kurswechsel breit abgestuumltzt Seit dem Reaktorunfall in Fukushima fuumlh-ren Umfragen immer wieder zum gleichen Ergebnis Der langfristige Ausstieg aus der Kernenergie findet eine Mehr-heit Im Grundsatz stossen erneuerbare Energien sowie Massnahmen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz auf hohe Zustimmung Was fuumlr den Stimmzettel gilt beeinflusst aber nicht automatisch das Konsum- und Investitionsverhalten der Energiekunden Die Bereitschaft aus eigenem Antrieb mehr fuumlr ein oumlkologisch houmlherwertiges Produkt aus neuen erneuerbaren Energietraumlgern zu bezahlen ist beschraumlnkt Nur wenige Haushalte sind zudem bereit ihren Energie- und insbesondere ihren Stromkonsum zu reduzieren wenn dies mit nicht amortisierbaren Investitionskosten oder einem moumlglichen Komfortverlust verbunden ist

Mit anderen Worten Effizienz wird als teuer und Suffizienz als bevormundend empfunden Die private Zahlungsbereit-schaft laumlsst sich zwar mit regulatorischen Interventionen wie fixen Einspeiseverguumltungen oder Investitionssubven-tionen in Effizienzmassnahmen etwas erhoumlhen Doch die Erfahrungen in Deutschland und der Schweiz zeigen dass solche Massnahmen oumlkonomisch ineffizient sind und oft als ungerecht empfunden werden Sie koumlnnen damit zum Bumerang fuumlr die Akzeptanz der energiepolitischen Ziele werden Neben den politischen Huumlrden ist somit auch die kognitive Huumlrde der Konsumenten zu beruumlcksichtigen De-ren Uumlberwindung bedarf zuerst einer differenzierten Analyse der Ursachen und danach der Entwicklung innovativer Ver-triebsmodelle und Produkte auf Versorgerseite

Eine Mehrheit der Bevoumllkerung unterstuumltzt den Ausstieg aus der Kernenergie doch nur wenige beziehen ein oumlkologisches Stromprodukt Warum das so ist und wie sich diese Dissonanz aufloumlsen laumlsst beschaumlftigt derzeit viele EnergieversorgerText Claudio Cometta

Indifferenz uumlberwiegtFuumlr viele Konsumenten ist die Strom- Gas- oder Fern-waumlrmerechnung ein verhaumlltnismaumlssig kleiner Posten im Haushaltsbudget dem wenig Beachtung geschenkt wird Die Schweiz ist sogar einer der Spitzenreiter in Europa machen die Stromkosten im Durchschnitt doch nicht mehr als 2 Prozent der Haushaltsausgaben aus Wenig Beachtung bedeutet auch wenig Kenntnis des Preises und der Menge der bezogenen Energieleistung oder der Zusammensetzung des Tarifs aus Energiekosten Netz-kosten und Abgaben Entsprechend besteht nur ein ge-ringes Interesse Energie und damit Kosten zu sparen Konsumentenbefragungen zeigen zudem dass nur eine kleine Minderheit der Kunden die Zusammensetzung ihres Stromprodukts nach Energietraumlgern kennt Die geringen Kosten und Unkenntnis des Produkts verhindern also die Wahl anderer Stromprodukte Strom ist ein klassisches Commodity-Produkt Man kann ihn weder sehen noch riechen Er ist verhaumlltnismaumlssig guumlnstig immer verfuumlgbar und aumlndert in keinerlei Hinsicht seine Eigenschaften wenn dafuumlr mehr bezahlt wird Zudem ist meist nicht sichtbar wer wie viel von welchem Produkt bezieht Der Strom-konsum ist Privatsache

Uumlberwindung durch VertriebsmodelleDie Vorgaben der Energiestrategie 2050 beinhalten nicht nur einen massiven Zubau der Produktionskapazitaumlt aus erneuerbaren Energietraumlgern sondern auch die kon-tinuierliche Reduktion des Energie- und insbesondere des Stromkonsums pro Kopf Die direkte Finanzierung der dazu notwendigen Investitionsvorhaben scheint an-gesichts der Indifferenz auf Konsumentenseite jedoch schwierig Aus diesem Grund sind mehrere Schweizer

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rund um Haushaltstechnik Sicherheit Pflege oder Kom-munikation sowie ein geschicktes Marketing mit Elemen-ten der sozialen Kontrolle Denkbar sind auch Anreize die keinen direkten Zusammenhang mit dem Energiekonsum aufweisen aber fuumlr breite Bevoumllkerungsgruppen attrak-tiv sind So haben etwa einzelne skandinavische Versor-ger damit begonnen energiesparendes Verhalten ihrer Kunden mit Verguumlnstigungen fuumlr die Nutzung oumlffentlicher Transportmittel zu belohnen

Uumlberwindung durch PartizipationDie wohl wirkungsvollste Massnahme zur Uumlberwindung der Dissonanz an der Steckdose ist bereits inhaumlrent in der Transformation des Energiesystems hin zu einer staumlrker dezentralen Erzeugung angelegt Kunden entwi-ckeln sich von passiven Leistungsempfaumlngern zu aktiven Leistungserbringern sogenannten Prosumern Als Klein-produzenten von Strom mit einer hauseigenen Fotovol-taikanlage oder thermischer Speicherleistung mit Kraft-Waumlrme-Kopplungsanlagen im Mikroformat werden sie mittelfristig wesentlich zum Umbau des Energiesystems und zu den Zielen der Energiestrategie beitragen koumlnnen Eine nicht ganz unbedeutende Rolle koumlnnten in Zukunft sogenannte Buumlrgerbeteiligungsmodelle fuumlr die Finanzie-rung neuer In frastrukturprojekte spielen Diese wuumlrden gleichzeitig die Akzeptanz sichtbarer Produktionsanlagen von neuen erneuerbaren Energien erhoumlhen Doch erst wenn das Produkt Strom nicht mehr als reines Commodity-Produkt wahrgenommen wird werden politische Meinung und Konsumverhalten bei einer Mehrheit der Stimmbuumlrger uumlbereinstimmen

Energieversoger in letzter Zeit dazu uumlbergegangen soge-nannte Default-Modelle einzufuumlhren die Stromprodukte aus erneuerbaren Quellen zum neuen Standard erheben Dabei macht man sich die Traumlgheit der Kunden zunutze indem die Wahl eines Stromprodukts aus nicht erneuer-baren Energietraumlgern als Option definiert wird die aktiv bestellt werden muss

Nicht zuletzt aufgrund solcher Modelle ist die Zahl der Schweizer Haushalte die ein Stromprodukt aus aus-schliesslich erneuerbaren Energien beziehen auf uumlber 25 Prozent gestiegen Doch weitere Vertriebsinnovationen werden notwendig sein etwa um der Herausforderung der Einspeisung von Strom aus fluktuierend nutzbaren Quellen (Solar- und Windenergie) in die Verteilnetze gewachsen zu sein die immer staumlrker ins Gewicht faumlllt In der Folge gilt es Investitionen in Netz- und Speichersysteme zu finan-zieren In innovativen Vertriebsmodellen welche dieser Herausforderung gerecht werden erhaumllt das Konsumver-halten einen Wert Zeitliche Flexibilitaumlt wird belohnt durch Tarifreduktion Bonus oder Vermeidung einer Gebuumlhr Wie diese beiden Beispiele zeigen laumlsst sich der Mehrwert von vermeintlichen Commodity-Produkten durch neue Vertriebsmodelle abschoumlpfen und als marktwirtschaftlich vertraumlglicher Finanzierungsmechanismus fuumlr neue Infra-strukturvorhaben im Energiesektor nutzen

Uumlberwindung durch innovative ProdukteNoch groumlsseres Potenzial birgt die Weiterentwicklung von Stromprodukten zu Leistungssystemen die fuumlr Energie-kunden einen echten Mehrwert bieten Hierzu gehoumlrt die Verknuumlpfung des Kernprodukts Strom mit Dienstleistun-gen die den Kunden ein transparenteres Verbrauchsver-halten sowie Kostenoptimierung ermoumlglichen Intelligente Stromzaumlhler sogenannte Smart Meter kombiniert mit fle-xiblen Tarifen und einem einfachen Feedback- und Steuer-system sind die Voraussetzung um zumindest oumlkologisch sensibilisierten oder kostenbewussten Endkunden einen Effizienzeffekt zu ermoumlglichen Damit solche Leistungs-systeme aber fuumlr die grosse Gruppe der Indifferenten interessant werden braucht es weitere Mehrwerte Dazu gehoumlren die Verknuumlpfung mit intelligenten Anwendungen

Claudio ComettaDr Claudio Cometta ist Dozent fuumlr Innovation und Entrepreneurship an der ZHAW School of Management and Law Er koordiniert den Aufbau des nationalen Energie-Kompetenz-zentrums SCCER 5 an der ZHAW

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Die Energiewende stellt die Energieversorgungsunternehmen in der Schweiz vor grosse Herausforderungen Das Beispiel von Stadtwerk Winterthur zeigt wie die Branche auf den Paradig-menwechsel reagiertText Florian Wehrli

Von den Anfaumlngen als laquoWinterthurer Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtungraquo vor uumlber 150 Jahren bis zum modernen Querverbundunternehmen hat sich Stadtwerk Winterthur kontinuierlich weiterentwickelt Seine Aufgabe ist aber gemaumlss Direktor Markus Saumlgesser weitgehend dieselbe geblieben die Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung zu verbes-sern So bietet das staumldtische Versorgungsunternehmen neben klassischen Produkten wie Wasser Strom Gas oder Kehrichtentsorgung und Abwasserreinigung heute auch Fernwaumlrme Haustechnik Glasfasernetz und Ener-gie-Contracting an Die Ausdehnung auf neue Geschaumlfts-bereiche will der Direktor aber nicht als Reaktion auf die Liberalisierung des Energiemarkts verstanden wissen laquoWir begegnen der Marktoumlffnung proaktiv und wollen die sich bietenden Chancen aktiv nutzenraquo

Lokales Potenzial ausgeschoumlpftIm liberalisierten Markt hat das staumldtische Versorgungs-unternehmen mit dem Monopol auf sein Energieversor-gungsnetz von gesamthaft mehr als 2 500 Kilometern einen Vorteil Dessen Unterhalt ist nach wie vor eine der Hauptaufgaben Im Gegensatz zu anderen Energieversor-gern betreibt Stadtwerk Winterthur naumlmlich einen verhaumllt-nismaumlssig geringen Anteil an eigenen Produktionsanlagen Das Flaggschiff ist die wohl modernste Kehrichtverwer-tungsanlage der Schweiz laquoMit dem Umbau konnten wir 2013 den Wirkungsgrad der Anlage um einen Drittel stei-gern und die Abluft gehoumlrt zu den saubersten weltweitraquo sagt Markus Saumlgesser Heute deckt die KVA 20 Prozent des Winterthurer Strom- und 12 Prozent des Waumlrmebe-darfs ab Auf solchen Lorbeeren ausruhen will sich Stadt-werk Winterthur aber nicht laquoWir wollen mithelfen eine nachhaltige Energiewirtschaft aufzubauenraquo Mittelfristig soll

die Haumllfte des Stromangebots aus erneuerbaren Quellen stammen laquoDas ist ein ehrgeiziges Zielraquo sagt Saumlgesser laquowir sind aber auf gutem Weg dazuraquo

Rund die Haumllfte des Rahmenkredits von 90 Millionen Franken fuumlr erneuerbaren Strom den das Winterthurer Stimmvolk 2012 bewilligt hat ist bereits investiert Im Bereich Fotovoltaik ist die Planung der groumlssten Anlagen abgeschlossen etwa auf den Daumlchern der Eishalle oder des Busdepots Eine aktuelle Windpotenzialstudie zeigt fuumlr Winterthur nur wenige moumlgliche Standorte auf zumal die Bewilligung solcher Anlagen mit grossem buumlrokratischem Aufwand verbunden sei Mit diversen Nahwaumlrmever-buumlnden nutzt Stadtwerk Winterthur auch Holzabfaumllle bereits sehr effizient Aber auch dieser Energietraumlger ist in Winterthur beschraumlnkt vorhanden Das letzte Projekt das Holz aus dem Winterthurer Stadtwald einsetzen wird ist in der Aufbauphase Studien im Bereich Wasserkraft haben gezeigt dass abgesehen von einem Kleinwasser-kraftwerk an der Toumlss in der Region kaum Potenzial vor-handen ist

Investitionen im AuslandlaquoDiese aufwendige Aufbauarbeit soll nicht zur Regel wer-denraquo sagt Markus Saumlgesser laquoDas limitierte Energiepoten-zial in der Schweiz und die beschwerlichen Instanzenwe-ge fuumlr Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie lassen uns deshalb vermehrt im Ausland investierenraquo 2012 be-teiligte sich das Stadtwerk mit 12 Millionen Franken am Kleinkraftwerk Birseck AG das Kleinwasserkraftwerke und Foto voltaikanlagen in der Schweiz und in Frankreich be-treibt 2013 folgte eine Beteiligung in der Houmlhe von 25 Mil-lionen Franken an der Swisspower Renewables AG die in

Vom Versorger zum Dienstleister

Unternehmensperspektive

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sein glaubt er aber nicht daran dass der Stromverbrauch insgesamt zuruumlckgehen wird laquoDafuumlr ist der Marktpreis zu niedrig Aus serdem wird Strom im Bereich Waumlrme und Mobilitaumlt einen Grossteil der fossilen Energietraumlger ersetzen muumlssenraquo Damit der geplante Verbrauchsruumlck-gang dennoch gelingt will der Bund Anreize schaffen Mit sogenannten weissen Zertifikaten will er die Versor-ger be lohnen wenn sie ihre Kunden zu einem geringeren Energie verbrauch bewegen In Grossbritannien Italien und Frankreich sind solche Modelle bereits im Einsatz Markus Saumlgesser sieht dieser Entwicklung mit gemischten Gefuumlh-len entgegen laquoWir haben bereits vor der Reaktorkatastro-phe in Fukushima auf Energieeffizienz gesetzt und konn-ten uns dadurch profilieren Weil die Politik nun eingreift und den Markt uumlbersteuert bleibt uns als Unternehmen weniger Spielraum um uns zu positionierenraquo

Windkraftanlagen im angrenzenden Ausland investiert Fuumlr die Beschaffung von Strom am freien Markt ist das Stadtwerk eine Zusammenarbeit mit der Trianel GmbH in Aachen ndash einer der fuumlhrenden Stadtwerke-Kooperationen in Europa ndash eingegangen Damit sollen insbesondere der Zugang zum Grosshandelsmarkt sowie die Marktfor-schung sichergestellt werden Denn um Kunden nachhal-tige Energieprodukte verkaufen zu koumlnnen muss man ihre Beduumlrfnisse genau kennen

Anreize fuumlr geringeren VerbrauchDie Strategie scheint aufzugehen laquoSeit der Einfuumlhrung der neuen Stromprodukte Anfang 2013 haben wir den Absatz von erneuerbarer Energie in Winterthur verdop-pelt und denjenigen von Oumlkostrom sogar vervierfachtraquo so Saumlgesser Trotz dem steigenden oumlkologischen Bewusst-

Gemaumlss seinem Leitbild soll Stadtwerk Winterthur mit einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der soziashylen Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Bild Michael Lio

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Ausgliederung aus der StadtverwaltungAuch auf kommunaler Ebene ist Stadtwerk Winterthur von den politischen Rahmenbedingungen abhaumlngig ndash mit allen Vor- und Nachteilen Die politischen Kurswechsel in den vorgesetzten Gremien seien hinderlich bei der Umsetzung der Strategie des Unternehmens laquoWir taumltigen Investitio-nen mit einem Planungshorizont von mehreren Jahrzehn-tenraquo sagt Markus Saumlgesser laquoin der Politik wird dagegen in Amtsperioden von vier Jahren gedachtraquo Es gibt deshalb Bestrebungen das Stadtwerk aus der Stadtverwaltung auszugliedern und einem langfristig operierenden Steue-rungsgremium zu unterstellen Bei der Stimmbevoumllkerung geniesst Stadtwerk Winterthur grossen Ruumlckhalt Alleine in den letzten zwei Jahren wurden vier Abstimmungsvor-lagen mit grossem Mehr angenommen darunter Rah-menkredite fuumlr das Energie-Contracting oder erneuerbare Energien laquoEine bessere Legitimation koumlnnen wir uns gar nicht wuumlnschenraquo sagt Markus Saumlgesser

Neue BetriebskulturStrategisch und energiepolitisch werden Dienstleistungen wie das Energie-Contracting fuumlr Stadtwerk Winterthur immer wichtiger laquoWir wollen unserer Kundschaft Waumlr-me oder Kaumllte gleich komfortabel anbieten koumlnnen wie Stromraquo sagt Markus Saumlgesser laquoImmobilienbesitzerinnen und -besitzer sollen sich nicht mehr um den Fuumlllstand ih-res Oumlltanks oder den Termin fuumlr den Kaminfeger kuumlmmern muumlssenraquo Das Energie-Contracting waumlchst stark und macht heute bereits rund 5 Prozent des Umsatzes von Stadtwerk Winterthur aus

Die neuen Geschaumlftsfelder ziehen auch andere Arbeits-kraumlfte an als bisher Verschiedene Betriebskulturen seien in den vergangenen Jahren teilweise parallel gelaufen be-ginnen nun aber langsam zu verschmelzen Ein Beispiel dafuumlr ist die Verknuumlpfung von Smart Metering und dem traditionellen Verteilnetz Elektrizitaumlt Als Voraussetzung fuumlr das Change-Management in der Betriebskultur habe man alle Mitarbeitenden in die Erarbeitung des Unterneh-mensleitbildes involviert Entstanden ist ein Leitbild das Stadtwerk Winterthur dabei unterstuumltzt die Unterneh-mensstrategie umzusetzen Stadtwerk Winterthur soll mit

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

Markus SaumlgesserMarkus Saumlgesser (52) ist diplomierter Ma-schineningenieur ETH und hat ein Nachdi-plomstudium in technischen Betriebswissen-schaften absolviert Seit Anfang 2011 ist er Direktor von Stadtwerk Winterthur Seine bisherige berufliche Taumltigkeit fuumlhrte Markus Saumlgesser nach zwei Jahren Assistenz an der ETH zu einem Ingenieurbuumlro fuumlr Ener-gie- und Haustechnik Waumlhrend dieser rund sechsjaumlhrigen Zeit war er bei anspruchsvol-len Bauprojekten verantwortlich fuumlr die Konzeption und Koordination der technischen Gebaumludeausruumlstung Zudem war er waumlhrend vier Jahren Mitglied der Geschaumlftsleitung Nach zweijaumlhriger Taumltigkeit als Abteilungsleiter in einer groumlsseren Gemeinde wechselte er zum Elek-trizitaumltswerk der Stadt Zuumlrich (EWZ) bei dem er die Abteilung Vertrieb Grosskunden leitete Daneben war Markus Saumlgesser beim EWZ in verschiedene Innovationsprojekte involviert So zeichnete er fuumlr das Projekt laquoStromzukunft Stadt Zuumlrichraquo verantwortlich das wichtige Grundlagen fuumlr die Strategie des EWZ und die Volksabstimmung zur 2000-Watt-Gesellschaft in der Stadt Zuumlrich beisteuerte

Stadtwerk Winterthur in Zahlen (2013)Mitarbeitende 347Nettoinvestitionen 1198 Mio CHFDurchgeleitete Strommenge 5643 Mio kWhUmsatz Strom 93 Mio CHFDurchgeleitete Gasmenge 5295 Mio kWhUmsatz Gas 411 Mio CHFUnternehmensgewinn 109 Mio CHF

einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der sozia-len Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Wann wurden in Winterthur die ersten Strassenlampen mithilfe von Stein-kohle erleuchtet

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Unternehmensperspektive

ckelte Hochspannungsgleichstromschalter sollen zudem sicherstellen dass etwa ein Kurzschluss durch eine hy-perschnelle Abschaltung isoliert und das Netz somit nicht gefaumlhrdet wird Von 14 solchen Schaltsystemen welt-weit stammen 13 von ABB Die hohen Investitionen fuumlr die armdicken Gleichstromkabel rechnen sich da beim Transport viel weniger Strom verloren geht als bei der tradi tionellen Wechselstromtechnik Die Produktelinie ent-wickelt sich zum Renner Sie wird zur Anbindung von So-lar- und Windparks zur Versorgung von Inseln als Ersatz fuumlr Diesel generatoren auf Oumll- und Gasplattformen auf See eingesetzt Oder um Starkstrom vom Festland zu auf dem Meeresboden platzierten ferngesteuerten Foumlrderanlagen fuumlr Gas und Oumll zu leiten ndash wofuumlr ABB auch wartungsfreie Kompressoren liefert damit Kunden wie Statoil und Pet-robras teure Ausfaumllle erspart bleiben

Komplettloumlsungen aus einer HandDank hohem Innovationstempo sind die Divisionen Ener-gietechnik- und Niederspannungsprodukte gut ausgelas-tet Dies gilt ebenso fuumlr die Divisionen Industrie- und Pro-zessautomation Speziell energieintensive Industrien die unter hohem Kostendruck stehen muumlssen ihre Anlagen auf dem neusten Stand halten Dazu zaumlhlen Bergbau Oumll- und Gasindustrie Zellstoff- Papier- und Zementfabriken Chemie- und Pharmafirmen sowie Raffinerien Gefragt sind auch Industrieroboter und schwenkbare dank ABB-Leistungselektronik stufenlos regulierbare Schiffsantrie-be ABB liefert Grosskunden fertige Loumlsungen die hohe Produktivitaumlt und Energieeffizienz gewaumlhrleisten Alles ist aufeinander abgestimmt von der Elektrik uumlber Antriebe Generatoren Roboter Sensoren und Steuerungen bis hin

Zu Beginn des Jahrtausends stand ABB am Abgrund Doch eine neue Fuumlhrungscrew fuumlhrte das Unternehmen aus der Krise sodass die Schweiz inzwischen wieder stolz sein kann auf ihren Industriemulti mit Sitz in Zuumlrich Oerli-kon 2013 erzielte ABB mit rund 148 000 Mitarbeitenden in 100 Laumlndern 42 Milliarden Dollar Umsatz Die renom-mierte US-Universitaumlt MIT zaumlhlt ABB zu den 50 innova-tivsten Unternehmen weltweit Dank 8 000 Ingenieuren in Forschung und Entwicklung und einem Forschungsetat von 15 Milliarden Dollar kann ABB selbst mit Giganten wie Siemens und General Electric mithalten

Innovationen die Technikfans begeisternWas ABB alles macht wissen wohl nur Technikfans Denn der Konzern hat uumlber 70 000 Produkte im Angebot Die 300 ABB-Fabriken liefern taumlglich 15 Millionen Kompo-nenten aus die zu elektrischen Einrichtungen oder in Pro-duktionssteuerungen verbaut werden Aus Kanada etwa kam juumlngst ein Grossauftrag uumlber 400 Millionen Dollar Erneuerbare Energie die auf Neufundland und Labrador gewonnen wird soll ab 2017 via Hochspannungskabel 360 Kilometer nach Westen fliessen um dort 350 000 Haumluser zu versorgen Weltweit gibt es erst 90 solche Gleichstromkabelverbindungen die meist unter der Erde oder auf dem Meeresgrund verlaufen ABB ist mit rund 50 Prozent Anteil Marktfuumlhrer Die futuristisch anmuten-de Technik in den abgeschirmten Hallen wo der Strom vor dem Transport auf Hochspannung transformiert wird erinnert an den Maschinenraum von Raumschiff Enter-prise Ein wichtiges Steuerungselement bilden dabei in Baden Daumlttwil entwickelte und in Lenzburg produzierte Spezialchips die Houmlchstspannung aushalten Neu entwi-

Der schweizerisch-schwedische Technikkonzern treibt an vor-derster Front die Energiewende voran Dafuumlr forscht man bei ABB intensiv zu erneuerbaren Energien schlauen Stromnetzen sowie hocheffizienten Industrieanlagen Einzig die schwache Nachfrage nach Energieanlagen in Europa bremst die ExpansionText Andreas Fluumltsch

Innovativer Treiber der Energiewende

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uumlber weite Strecken in die Ballungsraumlume geleitet werden muss brummt das Geschaumlft In den USA treibt der Oumll- und Gasboom die Nachfrage Nur in Europa harzt das Geschaumlft mit Grossanlagen Weniger Nachfrage belastet die Margen bei Auftraumlgen fuumlr Wind- und Solarfarmen so-wie fuumlr Netzinfrastruktur Die Risiken der oft mehrjaumlhrigen Projekte sind so hoch dass ABB waumlhlerischer sein muss und etwa das Geschaumlft mit Solarloumlsungen zurzeit auf Sparflamme betreibt Dennoch ist ABB immer noch hoch-profitabel nicht zuletzt da die Kosten Jahr fuumlr Jahr um 3 bis 5 Prozent gesenkt werden Aber der erfolgsgewohnte Konzern musste sich 2013 mit 6 Prozent Umsatzplus zu-friedengeben Umso intensiver treibt der neue ABB-Chef Ulrich Spiesshofer die Integration der vorab in den USA fuumlr 10 Milliarden Dollar getaumltigten Zukaumlufe voran Und Spiess-hofer forciert die Zusammenarbeit der Divisionen damit ABB die Unternehmensvision laquoEnergie und Produktivitaumlt fuumlr eine bessere Weltraquo mit moumlglichst vielen eigenen Pro-dukten realisieren kann

zur Leittechnik samt angepasster Software Kleine und mittlere Kunden ordern Komponenten oder Teilsysteme Ein wichtiges Verkaufsargument ist das Sparpotenzial von stufenlos steuerbaren Elektromotoren Nur einer von fuumlnf Motoren hat laut einer Erhebung des Bundes einen Leis-tungsregler der Rest laumluft auf Hochtouren und wird ndash man glaubt es kaum ndash bei Bedarf mit Klappen oder Ventilen mechanisch abgebremst Eine gigantische Verschwen-dung da Industriemotoren laut einer Studie der Schwei-zerischen Agentur fuumlr Energieeffizienz 27 Prozent des Schweizer Stromverbrauchs ausmachen

Europaumlische ZuruumlckhaltungEigentlich muumlsste die Division Energietechniksysteme ebenfalls ausgelastet sein Denn auch die Stromwirtschaft muss ihre Effizienz steigern Schliesslich erfordert die Energiewende einen Totalumbau der auf Verteilung ausge-richteten Netze damit diese unter der Last von Solar- und Windenergie nicht instabil werden Arbeit in Huumllle und Fuumllle fuumlr ABB sollte man meinen Doch der erst zaghafte Auf-schwung in Europa daumlmpft die Nachfrage Erschwerend kommt hinzu dass subventionierte Wind- und Solarener-gie in Europas liberalisiertem Strommarkt den Strompreis in ungeahnte Tiefen druumlckte Die Konkurrenzfaumlhigkeit von Wasser- Gas- und Atomkraftwerken hat gelitten Pump-speicher sind keine Goldesel mehr seit die erneuerbaren Energien die Preisspitzen brechen Entsprechend schie-ben Stromkonzerne wie Alpiq oder RWE Investitionen auf Unsicherheiten rund um den Atomausstieg belasten zu-saumltzlich Die voraussichtlich noch auf Jahre hinaus tiefen Strompreise schmaumllern auch die Faumlhigkeit der Besitzer von Hochspannungs- und Verteilnetzen deren Umruumlstung zu finanzieren hoch verschuldete EU-Staaten fahren die Foumlrderung von Wind- und Solarenergie zuruumlck

Straffe KostenkontrolleABB bekommt den Investitionsstau empfindlich zu spuuml-ren Die Division Energietechniksysteme schreibt seit eini-ger Zeit rote Zahlen Zwar ordern Grosskunden aus Asien und Lateinamerika weiterhin kraumlftig Neben China inves-tiert vermehrt auch Indien in neue Stromnetze Uumlberall dort wo die Bevoumllkerung rasch waumlchst oder der Strom

Andreas FluumltschAndreas Fluumltsch war urspruumlnglich Jurist und arbeitete ab 1983 als Journalist fuumlr laquoBlickraquo laquoWeltwocheraquo laquoBilanzraquo und laquoCashraquo Zwischen 1989 und 1990 war er Mitglied der Geschaumlftsleitung von Greenpeace Schweiz anschliessend Hausmann Nach der Ruumlck-kehr in den Journalismus 1992 arbeitete er bei laquoBlickraquo laquoSonntagszeitungraquo und laquoTages- Anzeigerraquo und absolvierte eine Ausbildung zum Boumlrsenhaumlndler Nach der Fruumlhpensio-nierung Ende 2013 machte er sich als Publi-zist selbststaumlndig

ABB in Zahlen (2013)Betriebsertrag 41 848 Mio USDBetriebsergebnis 4 387 Mio USDndash Industrieautomation 1 458 Mio USDndash Niederspannung 1 092 Mio USDndash Prozessautomation 990 Mio USDndash Energietechnik 1 331 Mio USDndash Energiesysteme 171 Mio USD

Mitarbeitende 147 700ndash davon in der Schweiz 6 966

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Hohe Nachfrage nach MinergieDer Erfolg der bisherigen Sparbemuumlhungen bleibt nicht aus laquoTrotz zunehmender Pro-Kopf-Wohnflaumlche und stei-gendem Komfort sinkt der Energieverbrauch fuumlrs Heizen in den letzten Jahrzehnten stetigraquo verkuumlndet der Zuumlrcher Regierungsrat im Energieplanungsbericht 2014 Dazu tra-gen nicht nur die laufend verschaumlrften Gesetze bei Ebenso wichtig ist die Bereitschaft von Bautraumlgerschaften freiwillig Uumlberdurchschnittliches zu leisten Vor allem die Minergie-Regeln werden inzwischen gerne befolgt weshalb Haumluser mit halbiertem Energieverbrauch beinahe Standard sind Schweizweit traumlgt eines von zehn neuen Wohnhaumlusern ein Minergie-Zertifikat Der Anteil an Minergie-Haumlusern im Grossraum Zuumlrich liegt gemaumlss einer Marktanalyse der Universitaumlt Zuumlrich bereits nahe bei 20 Prozent Dies ist privaten Hauseigentuumlmern und institutionellen Investoren zu verdanken Wohn- und Geschaumlftshaumluser mit houmlchster Energieeffizienz gehoumlren inzwischen zum guten Ton Den juumlngsten Beweis liefert eine Immobilienstiftung der Credit Suisse die 70 Millionen Franken in die groumlsste Oumlkosied-lung der Schweiz investiert Im Aargauer Reusstal wohnen seit diesem Jahr rund 200 Familien Paare und Singles deren Wohnhaumluser sich weitgehend selbst mit Sonnen-energie versorgen So klimafreundlich die Energiewende-Architektur ist der Investor erwartet dennoch marktuumlb-liche Renditen Ist der Markt aber bereit oumlkologisches Engagement angemessen zu honorieren

Marktpotenzial fruumlhzeitig erkanntDie Zuumlrcher Kantonalbank (ZKB) beziffert den Mehrwert von Minergie-Haumlusern auf 7 Prozent Kaumlufer seien bereit diesen Aufpreis fuumlr mehr Energieeffizienz zu bezahlen Als weitere Nebeneffekte nennt der vor drei Jahren publizierte ZKB-Bericht eine hochwertige dauerhafte Bausubstanz sowie die Absicherung gegen steigende Oumll- und Energie-preise Fachleute des Immobilienberatungsunternehmens Wuumlest amp Partner (WampP) warnen indes dass sich zusaumltz-liche Investitionen in die Energieeffizienz nicht uumlberall loh-nen laquoRegional schwankt die Zahlungsbereitschaft des Immobilienmarktsraquo praumlzisiert WampP-Partner Ivan Anton Minergie-Haumluser koumlnnen aber nicht nur in abgelegenen Regionen ein Marktrisiko werden laquoMit Ausnahme der

Beim Autokauf wird bevorzugt auf Pferdestaumlrken Be-schleunigung und Innenausstattung geachtet Der CO2-Ausstoss interessiert hingegen kaum So kommt die Energieeffizienz im Strassenverkehr nur stockend voran 1995 schluckten alle neu immatrikulierten Personen-wagen durchschnittlich 9 Liter Benzin pro 100 Kilometer 20 Jahre spaumlter liegt der Durchschnittsverbrauch gemaumlss Bundesamt fuumlr Energie (BFE) immer noch uumlber 6 Litern Das viel gepriesene laquoDrei-Liter-Autoraquo haben alle Hersteller wieder aus der Modellpalette genommen

Demgegenuumlber gelingen dem oft traumlge genannten Ge-baumludebereich weitaus groumlssere Effizienzspruumlnge Ver-brauchen 40 Jahre alte Haumluser im Schnitt 220 Kilowatt-stunden (kWh) Heizenergie pro Quadratmeter Wohnflaumlche und Jahr sind die aktuellen Werte unter die 50er-Marke gesunken Zusaumltzliche Sparerfolge sind nur eine Frage der Zeit Im Fruumlhsommer haben die kantonalen Energie-direktoren uumlber ein Rahmenabkommen beraten das Null-energieneubauten demnaumlchst zum Standard machen soll Wie die nationale Energiewende zu erreichen ist erklaumlrt Christoph Gmuumlr von der Abteilung Energie des Kantons Zuumlrich laquoDer spezifische Verbrauchswert ist zudem auf 35 kWh pro Quadratmeter zu senkenraquo Gebaumlude die sich mit umweltfreundlicher Energie selbst versorgen wollen auch die EU-Staaten Ab 2020 wird ein Gebaumludestandard eingefuumlhrt der nur noch laquoNiedrigstenergiegebaumluderaquo mit sehr hoher Energieeffizienz als Neubauten vorsieht

Energiesparhaumluser waren vor 30 Jahren Exoten inzwischen nimmt der Bereich der energie-effizienten Gebaumlude eine Vor-bildrolle fuumlr die Energie wende ein Bauherren profitieren davon ebenso wie die Zuliefer-branche Text Paul Knuumlsel

Expertensicht

Haumluser in der ersten Reihe

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der Bau von Niedrigenergiehaumlusern und alternativen Hei-zungsanlagen sowie energetische Gebaumludesanierungen Investitionen im Umfang von rund 4 Milliarden Franken ausgeloumlst rechnet der Bund vor laquoEin Fuumlnftel insgesamt 860 Millionen Franken stammt aus den oumlffentlichen Kas-senraquo verweist die BFE-Stelle EnergieSchweiz auf die Im-pulse der kantonalen Foumlrderprogramme Einen Wermuts-tropfen besitzt diese Wirkungsbilanz Fruumlhere Analysen der Energiesparprogramme zeigen naumlmlich dass zwi-schen einem Drittel und der Haumllfte der energetisch vorbild-lichen Gebaumlude auch ohne staatliche Foumlrderung realisiert worden waumlren Dem Mitnahmeeffekt ist auch die Eidge-noumlssische Steuerverwaltung auf der Spur Sie schaumltzt dass Bund und Kantonen jaumlhrlich 14 Milliarden Franken entgehen weil energetische Gebaumludesanierungen bei der Liegenschaftssteuer abzugsberechtigt sind Die Energie-wende erfordert nicht nur mehr Effizienz bei den Anwen-dungen sondern auch einen effizienten Einsatz staatlicher Mittel Im Energieplanungsbericht 2013 hat der Zuumlrcher Regierungsrat erstmals uumlber alternative Anreizsysteme nachgedacht Demnach soll eine Lenkungsabgabe den Energiekonsum reduzieren und das bisherige Foumlrdersys-tem abloumlsen Aumlhnliche Plaumlne verfolgt der Bund Denn ein Lenkungssystem duumlrfte weitere Sparbemuumlhungen im Ge-baumludebereich aber auch im Strassenverkehr foumlrdern Ins-besondere dann wenn Heizoumll und Benzin im Gleichschritt teurer werden

begehrten Wohnlagen haben Hauseigentuumlmer an vielen Orten mit moumlglichen Verkaufsverlusten zu rechnenraquo so Anton Zwar sei die Nachfrage bei Eigentuumlmern und Mie-tern aumlhnlich gross Aber auch Mieter wuumlrden nicht uumlberall mehr fuumlr eine energieeffiziente Wohnung bezahlen Kaum uumlberraschen darf daher dass Immobilieninvestoren immer haumlufiger die steigenden Energieanforderungen kritisieren und kostenguumlnstigere Baustandards vorziehen Fuumlr WampP-Berater Urs Hausmann ist laquonachhaltiges Bauen trotzdem keine Frage von Luxus oder Wohlstand sondern eine wie man mit Ressourcen umgehen willraquo Dass ein hohes Um-weltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauen Der Run auf den oumlkologischen Baustoff Holz laumlsst zum Beispiel eine gesamte Wertschoumlpfungskette und viele

innovative Unternehmen profitieren Forstbetriebe Sauml-gereien Fensterbauer Daumlmmstoffhersteller und andere Bauzulieferer vergroumlssern ihre Produktionskapazitaumlten und stellen zusaumltzliches Personal ein laquoDie Umsaumltze im Schweizer Holzbau sind in den letzten Jahren um mehrere Hundert Millionen Franken gestiegen und die Trendkurve zeigt weiter nach obenraquo freut sich Christoph Starck Di-rektor des Holzbaudachverbands Lignum

Einheimische Zulieferer als GewinnerAuch im Verein Minergie ist man sich bewusst dass sich energieeffizientes Bauen wirtschaftlich positiv auswirkt In den letzten 15 Jahren sind 25 000 Wohnhaumluser Buumlro-komplexe Schulbauten Sport- und Industriehallen mit Niedrig energiezertifikat entstanden Gemeinsam sparen sie 15 Milliarden Kilowattstunden Energie laquoUumlber 2 Milliar-den Franken wurden zusaumltzlich investiertraquo rechnet Miner-gie-Sprecher Antonio Milelli vor Anstatt fossile Brennstoffe einzukaufen wird mehr Geld fuumlr Daumlmmstoffe Isolierfenster Luumlftungsanlagen und Sonnenkollektoren aus inlaumlndischer Fabrikation ausgegeben Zwischen 2001 und 2012 haben

Paul KnuumlselPaul Knuumlsel studierte Umweltnaturwissen-schaften an der ETH Zuumlrich Er ist unabhaumln-giger Wissenschaftsjournalist und schreibt seit Jahren in Publikums- und Fachmedien uumlber die vielfaumlltigen Aspekte des nachhalti-gen Bauens Zusaumltzlich betreut er in der Re-daktion des laquoTEC21raquo das Ressort laquoEnergie und Umweltraquo

laquoDass ein hohes Umweltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren

derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauenraquo

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Der Wasserkraft Sorge tragen

Welchen Beitrag kann die Wasserwirtschaft zur Energie-wende leisten Roger Pfammatter Die Wasserkraft ist der energie-politische Trumpf der Schweiz Wir befinden uns in der gluumlcklichen Lage uumlber grosse Mengen Wasser und das notwendige Gefaumllle zu verfuumlgen ndash das sind die beiden wichtigsten Voraussetzungen fuumlr die hydroelektrische Produktion Und wir haben in den vergangenen 100 Jah-ren gelernt dieses Potenzial effizient und moumlglichst um-weltschonend zu nutzen Die Wasserkraft ist der Schluumls-sel fuumlr eine nachhaltige Energieversorgung technisch ausgereift politisch erwuumlnscht einheimisch erneuerbar und CO2-frei

Wie viel mehr ist moumlglichHeute leistet die Wasserkraft nicht nur rund 60 Prozent der Stromproduktion in der Schweiz sondern bietet auch unverzichtbare Regel- und Systemdienstleistungen die markant an Bedeutung gewinnen werden Vor allem bei der Flexibilisierung der Wasserkraft durch mehr Leistung und Speichervolumen waumlre noch einiges moumlglich Um die Aufgaben weiterhin zu gewaumlhrleisten muumlssen wir aber primaumlr dem Bestehenden Sorge tragen

Die Energiestrategie des Bundes gibt aber klare Ausbau-ziele vor Bis 2035 soll die Stromproduktion aus Wasser-kraft um 10 Prozent steigenUnter den momentanen Rahmenbedingungen ist dieses Ausbauziel nicht realistisch Im Gegenteil Aufgrund der Restwasserbestimmungen wird die Produktion in den naumlchsten Jahren vermutlich sogar zuruumlckgehen

Die Wasserkraft ist der wichtigste Pfeiler der Schweizer Ener-giewirtschaft ihr Potenzial ist aber weitgehend ausgeschoumlpft Roger Pfammatter Geschaumlftsfuumlhrer des Wasserwirtschaftsver-bands gibt im Interview Auskunft uumlber die Lage der Branche und ihre Bedeutung fuumlr die EnergiezukunftInterview Florian Wehrli

Expertensicht

Was muss sich aumlndern damit die vorgegebenen Ziele um-gesetzt werden koumlnnenZum einen braucht es dafuumlr die Akzeptanz der Umweltver-baumlnde der Fischer und letztlich der gesamten Bevoumllkerung Zum anderen muumlssen laumlngerfristig die extremen Marktver-zerrungen abgebaut werden damit sich auch Investitionen in die nicht gefoumlrderte Wasserkraft wieder lohnen Heute wird nur noch in subventionierte Anlagen investiert

Wer ist hier in der PflichtHier ist die Politik gefordert die Rahmenbedingungen zu verbessern Denn ohne die Wasserkraft kann die Energie-wende nicht gelingen

Anfang Jahr wurde der Wasserwirtschaftsverband von den zustaumlndigen Kommissionen angehoumlrt Welche Forderun-gen hat die Branche an das ParlamentWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerba-re Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichten die bereits bis zur Haumllfte der Geste-hungskosten ausmachen Damit sind wir doppelt diskrimi-niert Die Wasserkraft ist extrem unter Preisdruck ndash und dies obwohl sie mit Gestehungskosten zwischen 3 und 10 Rappen pro Kilowattstunde die effizienteste Strompro-duktionstechnologie ist Nur zum Vergleich Fotovoltaik -anlagen werden heute mit rund 40 Rappen subventioniert

Bis 2011 liess sich mit der Grosswasserkraft noch viel Geld verdienen Wurden zu wenige Ruumlcklagen fuumlr schlechte Zei-ten gebildet

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Es kann nicht der Sinn sein Ruumlcklagen fuumlr Zeiten zu bil-den in denen die Marktpreise die Gestehungskosten nicht mehr decken Das waumlre wie wenn ein Baumlcker auf jedem Gipfeli einige Rappen zuruumlckbehalten muumlsste damit er sie am naumlchsten Tag gratis abgeben kann Mit dem durch Subventionen verzerrten Marktpreis von 4 bis 5 Rappen pro Kilowattstunde ist unter den konventionellen Energie-traumlgern praktisch nur Kohle konkurrenzfaumlhig Das ist be-stimmt nicht im Sinn der Energiewende

Drei Grosswasserkraftprojekte sind heute bereits im Bau Koumlnnen die enormen Kosten uumlberhaupt amortisiert wer-denPrognosen sind schwierig An der europaumlischen Strom-boumlrse (EEX) werden bis 2020 Strompreise zwischen 45 und 53 Rappen pro Kilowattstunde gehandelt Der Markt glaubt also nicht an eine baldige Erholung Dafuumlr muumlsste das Uumlberangebot in Europa zuruumlckgehen etwa uumlber die Anhebung des CO2-Preises von heute 5 auf mindestens 30 Euro pro Tonne Politisch ist das aber kaum durchsetz-bar Neue Pumpspeicherwerke werden sich deshalb wohl erst in mehreren Jahrzehnten lohnen

Was kann die Kleinwasserkraft leistenOhne die kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) wuumlr-de niemand Kleinwasserkraftanlagen bauen genauso we-nig wie Fotovoltaik- Wind- oder Biomasseanlagen Zurzeit gibt es aber allein bei der Kleinwasserkraft rund 1 000 An-meldungen fuumlr Foumlrderbeitraumlge mit einem bescheidenen Ge-samtpotenzial von 33 Terawattstunden pro Jahr Die oumlko-logischen Auswirkungen sind im Vergleich zum Ertrag zu gross Obwohl wir von marktverzerrenden Foumlrderprogram-men wegkommen sollten waumlre es in einer Uumlbergangs phase sinnvoll die KEV-Obergrenze von 10 Mega watt aufzuheben und dort zu foumlrdern wo es wirklich etwas bringt

Wie soll die Grosswasserkraft unterstuumltzt werdenDas Sinnvollste waumlre die Abkehr von der Subventions-maschinerie ndash und zwar auf europaumlischer Ebene Dann wuumlrde sich die Wasserkraft als effiziente erneuerbare Stromproduktionsform mit Sicherheit durchsetzen Min-destens als Uumlbergangsloumlsung waumlre aber die Entlastung

von Abgaben in erster Linie vom Wasserzins dringend Der maximale Wasserzins wurde in den letzten vier Jahren um 38 Prozent erhoumlht und wird naumlchstes Jahr um weite-re 10 Prozent angehoben Diese Erhoumlhung wurde 2008 beschlossen und steht heute in keinerlei Bezug mehr zur Ertrags lage Kurzfristig koumlnnten die Kantone auf einen Teil dieser Zinsen verzichten ndash das waumlre ein wichtiges politi-sches Zeichen Langfristig muss ein neuer Modus fuumlr die Zinsberechnung gefunden werden der die Ertragslage der Wasserkraft mitberuumlcksichtigt Das ist auch im Interesse von Bund Kantonen und Gemeinden schliesslich ist die Wasserkraft zu 85 Prozent in oumlffentlicher Hand Ebenfalls als Uumlbergangsloumlsung bis zu besseren Marktpreisen waumlren zinsguumlnstige Darlehen fuumlr die noumltigen Investitionen in die Grosswasserkraft denkbar Ohne mindestens eine dieser Massnahmen kann die Wasserwirtschaft das geforderte Ausbauziel nicht erreichen

Bis dahin gibt es noch eine weitere Huumlrde den Heimfall der Stauanlagen an die Standortgemeinden Welchen Ein-fluss hat dieser UmstandWenn die Konzessionen nach 80 oder 100 Jahren aus-laufen muss der Betreiber der Gemeinde eine Entschaumldi-gung fuumlr den Restwert der Anlagen entrichten Im Fall der Staumauer Barberine bezahlen die SBB und Alpiq 2017 an sechs Walliser Gemeinden 343 Millionen Franken Das 400-Seelen-Dorf Finhaut erhaumllt alleine 112 Millionen Fran-ken und weiss kaum wohin mit dem Geld Der gesamte Wert des Heimfalls der Anlagen bewegt sich schweizweit im Milliardenbereich Der Houmlhepunkt des Heimfalls wird um 2035 erreicht werden Bis zu diesem Zeitpunkt soll aber auch ein Grossteil der geforderten Produktionsstei-gerung umgesetzt werden

Bei der Stromproduktion ist ein Ausbau von uumlber 10 Pro-zent wohl nicht realistisch Wie sieht es bei der Speicher-leistung aus Hier muss man unterscheiden zwischen kurzfristiger und saisonaler Speicherung Fuumlr die saisonale Speicherung verfuumlgt die Schweiz mit 200 Speicherseen uumlber ein Vo-lumen von rund 9 000 Gigawattstunden (GWh) die jedes Jahr vom Sommer in den Winter umgelagert werden Dies

38 COMPETENCE | 2014

Expertensicht

entspricht einem Viertel der jaumlhrlichen Produktion aus Wasserkraft Das Ausbaupotenzial durch die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren betraumlgt rund 2 000 GWh Falls der Ausbau aber nicht gelingt entsteht im Winter durch den Ausfall der Kernenergie eine immer groumlssere Luumlcke an Bandenergie die durch den Import von Atom- oder Kohlestrom gedeckt werden muss

Wie sieht es beim Ausbau der Pumpleistung zum kurzfris-tigen Ausgleich von Schwankungen im Netz ausGrundsaumltzlich ist das Potenzial fuumlr Pumpspeicherwerke in der Schweiz riesig Es braucht nur zwei Seen auf unter-schiedlicher Houmlhe Die Frage ist ob sich solche Investi-tionen rechnen Die Pumpspeicherwerke finanzieren sich

uumlber den Preisunterschied zwischen Band- und Spitzen-energie Wenn an einem schoumlnen Sommertag in Europa mittags die geballte Ladung an Sonnen- und Windener-gie eingespeist wird koumlnnen die Pumpspeicherkraftwerke sehr guumlnstig oder sogar zu Negativpreisen Strom bezie-hen Man darf aber nicht vergessen dass dieselbe Situa-tion fuumlr die Laufwasserkraftwerke die rund die Haumllfte der Wasserkraftproduktion in der Schweiz ausmachen den gegenteiligen Effekt hat Diese koumlnnen aus technischen konzessionsrechtlichen oder oumlkologischen Gruumlnden nicht vom Netz genommen werden und muumlssen fuumlr ihre Strom-produktion bezahlen Das kann gehoumlrig ins Geld gehen An Weihnachten 2012 lag der Strompreis zum Beispiel bei minus 30 Rappen pro Kilowattstunde

Roger Pfammatter laquoWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerbare Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichtenraquo

Bild Florian Wehrli

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cherseen zur Flexibilisierung Damit das gelingt muss der Wert der Wasserkraft staumlrker im Bewusstsein der Bevoumllke-rung verankert sein Und nicht zuletzt muss der Marktpreis so weit uumlber den Gestehungskosten liegen dass sich In-vestitionen in die Wasserwirtschaft rentieren

Versuchen das Bestehende zu erhalten Diese Vision klingt etwas resigniertDas ist eine Frage der Perspektive Die Wasserkraft hat als Technologie in der Schweiz seit Langem Bestand Sie befindet sich in einer anderen Situation als Fotovoltaik und Windenergie die sich in einem hochdynamischen Umfeld mit grossem Potenzial in Forschung und Wachstum be-finden Die Wasserkraft ist dagegen nicht mehr in der Auf-bruchsphase sondern in der Konsolidierungsphase Da-fuumlr kann man sich auf die Wasserkraftwerke verlassen Sie produzieren bei Tag und in der Nacht im Sommer wie im Winter bei Windstille oder im Nebel Auch der Erhalt und die Optimierung des Bestehenden sind grosse Heraus-forderungen und bedingen grosse Investitionen

Sehen Sie eine Moumlglichkeit wie die Schweizer Wasser-wirtschaft in Zukunft Geld mit Systemdienstleistungen wie Netzstabilitaumlt verdienen kannDie unregelmaumlssig einspeisenden Stromproduzenten neh-men keinerlei Systemverantwortung wahr Ich habe selbst ein Solarpanel auf dem Dach Wenn Produktion moumlglich ist speise ich Strom ins Netz ein wenn nicht beziehe ich Die Produzenten mehr in die Verantwortung zu nehmen faumlnde ich sinnvoll ndash zum Beispiel uumlber Zertifikate fuumlr Spei-cherleistungen Diese koumlnnten bei Pumpspeicherwerken bezogen werden

Welcher Ausbau der Pumpspeicherleistung ist dafuumlr noumltigDie installierte Leistung betraumlgt heute rund 14 Gigawatt (GW) Mit den im Bau befindlichen und den geplanten An-lagen kann die Kapazitaumlt maximal auf 51 GW ausgebaut werden ndash etwa die Haumllfte der Jahreshoumlchstlast im Netz Damit die Schweizer Wasserkraft aber einen Beitrag zur Stabilitaumlt des europaumlischen Stromnetzes leisten kann muumlssten auch das Stauvolumen und die Leitungskapazi-taumlt erhoumlht werden Hier sind die Einsprachen von Anwoh-nern und Umweltverbaumlnden noch gravierender als bei den Anlagen selbst

Braucht es neue rechtliche Instrumente um den geplan-ten Ausbau durchsetzen zu koumlnnenEs braucht vor allem die Einsicht dass die Wasserkraft das Ruumlckgrat unserer Versorgungssicherheit ist und die Aus-wirkungen eines Ausbaus immer auch mit den Alternativen verglichen werden muumlssen Wir befinden uns aber auch in einem intensiv genutzten Land mit vielen Partikularinteres-sen Diese muumlssen gewichtet und abgewogen werden In der Abwaumlgung zwischen Landschaftsschutz und Wasser-nutzung waumlre es hilfreich wenn Grosswasserkraftanlagen den Status von nationalem Interesse erhalten

Wie soll die Schweizer Wasserwirtschaft im Jahr 2035 aussehenIch wuumlnsche mir dass die bestehende Infrastruktur auf dem heutigen Stand erhalten optimiert oumlkologisiert und im Idealfall etwas ausgebaut wird Dazu gehoumlren etwa die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren sowie neue Spei-

Roger PfammatterSeit seinem Ingenieurstudium an der ETH Zuumlrich hat er sich in ver-schiedenen Rollen dem Wasser verschrieben Nach sieben Lehr- und Wanderjahren in der Forschung und in der Entwicklungszusammen-arbeit war er zehn Jahre beim Ingenieurunternehmen Ernst Basler + Partner engagiert Seit 2010 ist er Geschaumlftsfuumlhrer des Schweizeri-schen Wasserwirtschaftsverbandes (SWV) und Herausgeber der Zeit-schrift laquoWasser Energie Luftraquo In diesen Funktionen setzt er sich ein fuumlr den Fachaustausch und gute Rahmenbedingungen in den Bereichen Wasserkraft und Hochwasserschutz

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Die globalen Energiemaumlrkte sind seit einigen Jahren stark in Bewegung Volatile Erdoumllpreise die Foumlrderung von un-konventionellen Gasvorkommen in grossem Stil die mas-sive Subventionierung von neuen erneuerbaren Energien in Deutschland der laquoarabische Fruumlhlingraquo und der Konflikt in der Ukraine hinterlassen Spuren Die Folge sind starke Verwerfungen an den Maumlrkten und fehlende Investitionssi-cherheit In diesem dynamischen und unsicheren Kontext will der Bund die bisherige Energiepolitik neu ausrichten ndash wahrlich eine Herkulesaufgabe Die Schweizer Wirtschaft verlangt dass der Bund bei der Neuausrichtung der Ener-giepolitik seinem in der Verfassung verankerten Auftrag nachkommt und sich fuumlr eine ausreichende sichere breit gefaumlcherte wirtschaftliche und umweltvertraumlgliche Ener-gieversorgung einsetzt Somit ist klar Die Energiestrate-gie 2050 muss in erheblichen Teilen optimiert und justiert werden Nur wenn vernetzt gedacht wird ist eine sichere Versorgung zu wettbewerbsfaumlhigen Preisen moumlglich

Prognosen klaffen weit auseinanderSeit Jahrzehnten bietet der Strommix aus Wasserkraft (knapp 60 Prozent) und Kernenergie (40 Prozent) Gewaumlhr fuumlr eine sichere klimafreundliche und wirtschaftliche Ener-gieversorgung Im Rahmen der Energiestrategie 2050 muss die Kernenergie langfristig ersetzt werden Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen zumal die Ziele des Bundes

Lebenselixier der Wirtschaft

Die Schweizer Wirtschaft ist auch in Zukunft auf eine sichere und wirtschaftliche Stromver-sorgung angewiesen Die Ener-giestrategie 2050 setzt stark auf Subventionen Dadurch entstehen Fehlanreize welche die Versorgungssicherheit ge-faumlhrdenText Kurt Lanz

Expertensicht

in Bezug auf das Potenzial der neuen erneuerbaren Ener-gien von Wunschdenken geleitet sind Die neuen erneuer-baren Energien werden sich langsamer entwickeln als an-gestrebt Der Bund rechnet mit rund 12 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2035 die Schweizer Wirtschaft mit 44 TWh Die vorsichtigeren Prognosen der Wirtschaft scheinen re-alistischer Dies zeigen exemplarisch die gescheiterten Geothermieprojekte in Basel und St Gallen Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Nachfrageprognosen Der Bund rechnet in seinen Szenarien mit einem Ruumlckgang des Stromverbrauchs pro Kopf von 16 Prozent zwischen 2000 und 2035 Die Schweizer Wirtschaft orientiert sich in ihren Szenarien am Verband Schweizerischer Elektrizitaumlts-unternehmen (VSE) der weiter mit einer steigenden Nach-frage rechnet Die Wirtschaft fordert von der Politik eine vernuumlnftige Planung aufgrund realistischer Schaumltzungen Die Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energiestrategie nicht gefaumlhrdet werden

Subventionen fuumlhren zu FehlanreizenDie Schweiz hat seit vielen Jahrzehnten erfolgreich die Wasserkraft vorangetrieben Aus politischen Gruumlnden wird nun die ndash unregelmaumlssige ndash Stromproduktion durch Sonnen- und Windenergie forciert Unsere sogenann-te kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) entspricht dem deutschen Foumlrdermodell Beide haben das gleiche Ziel Sie sollen erneuerbare Energien ausbauen indem sie neue Formen der Stromproduktion zur Marktreife brin-gen Weil das KEV-System die Sonnen- und Windenergie massiv foumlrdert kommt ein weiterer Ausbau der bewaumlhrten Wasserkraft nicht infrage Diese Entwicklung gefaumlhrdet die Versorgungssicherheit der Schweiz Auf den ersten Blick sinken zwar die Produktionskosten fuumlr Solarstrom gleich-zeitig steigen aber die Kosten fuumlr Speicherung und Inte-gration ins Netz spuumlrbar Auch ist der Ausbau von Solar- und Windenergie nur von beschraumlnktem Nutzen solange keine ausreichenden Speicherkapazitaumlten vorhanden sind Nur Preissignale koumlnnen das Investitionsverhalten von Stromproduzenten Netzbetreibern und Konsumen-ten sinnvoll lenken Subventionen sind zu beseitigen denn sie fuumlhren zu Fehlanreizen

41COMPETENCE | 2014

Alle Optionen offenhaltenOffenheit und Neugier gehoumlren zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft Kategorisches Abwehrverhalten und Denkverbote verhindern konstruktive Loumlsungsansaumltze und Innovation Eine sichere und kostenguumlnstige Strom-versorgung kann auch in Zukunft nur mit der notwendi-gen Offenheit gegenuumlber allen Technologien und Energie-

systemen garantiert werden Die Schweiz ist dank einer erfolgreichen Hochschulland-schaft und vielen Technolo-gieunternehmen gut geruumlstet Die verschiedenen Energie-systeme muumlssen faktenba-siert und ohne ideologische

Scheuklappen verglichen werden Nur so koumlnnen effizi-ente und umweltvertraumlgliche Loumlsungen gefunden werden Das heutige System der Foumlrderung der neuen erneuer-baren Energien ist durch ein marktorientiertes System ab-zuloumlsen Produzenten die nachfragegerecht einspeisen sollen eine houmlhere Verguumltung erhalten als andere Auch soll der Vorrang der Netzeinspeisung fuumlr subventionierte Energietraumlger aufgehoben werden

laquoDie Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit

des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energie strategie nicht

gefaumlhrdet werdenraquo

Schnellere Verfahren anstrebenGrundvoraussetzung fuumlr eine Neuausrichtung der Ener-giepolitik sind funktionierende Stromnetze Diese muumls-sen zwingend parallel zum Umbau der Stromproduktion weiterentwickelt werden Allein der noumltige Ausbau der Uumlbertragungsnetze belaumluft sich auf rund 1 000 Kilometer bis ins Jahr 2020 Erforderlich sind zudem Investitionen in alle Verteilernetzebenen Al-lerdings verzoumlgern komplizier-te Verfahren auf Kantons- und Bundesebene den Ausbau Ausserdem erwaumlchst praktisch jedem Projekt Widerstand von privater Seite was zu weiteren Verzoumlgerungen fuumlhrt Die Wirt-schaft fordert deshalb Bei Bewilligungen von Stromnetzen ist der Gang vors Bundesgericht nur noch bei Grundsatz-fragen moumlglich Umbauten sowie Spannungs- und Kapa-zitaumltserweiterungen koumlnnen ohne Planungsgenehmigung realisiert werden Ausserdem sind die Verfahren bei einer einzigen Leitbehoumlrde anzusiedeln

Spielfeld erweiternDie Schweiz ist seit jeher ein wichtiges Stromtransitland Schon seit den 90er-Jahren treibt die EU die Vereinheitli-chung des Binnenmarkts fuumlr Strom hin zu einem eigent-lichen EU-Strommarkt voran In der Schweiz erweist sich die gesetzliche Trennung von Grundversorgung und Markt diesbezuumlglich zunehmend als Hindernis Aus Sicht der Wirtschaft ist die vollstaumlndige Liberalisierung des Strom-markts eine zwingende Voraussetzung fuumlr eine erfolgrei-che energiepolitische Neuausrichtung

Eine Marktoumlffnung wuumlrde insbesondere auch den erneuer-baren Energien neue Chancen eroumlffnen und Zugang zu neuen Kunden gewaumlhren Von hoher Wichtigkeit ist auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU Je groumlsser der Anteil erneuerbarer Energien umso wichtiger ist die Einbettung in Europa denn Investitionen in Netze und Produktion koumlnnen in Koordination mit der EU wirkungsvoller und wahrscheinlich kostenguumlnstiger getaumltigt werden

Kurt LanzKurt Lanz ist Leiter Infrastruktur Energie und Umwelt sowie Geschaumlftsleitungsmitglied von economiesuisse dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft

Gut vernetzt ndash Vorschlaumlge der Schweizer Wirtschaftzur EnergiepolitikDie Publikation basiert auf der Grundlagenarbeit der breit abgestuumltz-ten Energiekommission von economiesuisse und macht konstruk-tive Vorschlaumlge fuumlr einen erfolgreichen energiepolitischen Weg der Schweiz Download unter wwweconomiesuissech

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

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Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

wwwsmlzhawch

Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 5: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

5COMPETENCE | 2014

Die Energiewende bewegt die Schweiz Wohin die Reise geht ist hingegen noch nicht restlos klar Zwar gibt der Bundesrat mit der Energie-strategie 2050 die Richtung vor (S 13) doch insbesondere die Wirtschafts-verbaumlnde (S 40) die sich um die Ver-sorgungssicherheit und Konkurrenz-faumlhigkeit des Standorts sorgen treten

auf die Bremse und pochen auf eine Kurskorrektur Es gilt ihre Befuumlrchtungen ernst zu nehmen und tragfaumlhige Loumlsungen zu entwickeln Hier steht dem Gesetzgeber noch ein steiniger Weg bevor

Dennoch Der politische Wille weniger und effizienter Energie zu verbrauchen entsprechendes Verhalten zu be-lohnen und Innovationen zu foumlrdern ist spuumlrbar Und allen Bedenken zum Trotz birgt die Energiewende auch wirt-schaftliche Chancen Chancen die es zu nutzen gilt So muumlssen sich grosse Energieversorger wie die BKW neu positionieren Im Interview erklaumlrt CEO Suzanne Thoma wie sich das Unternehmen angesichts der neuen Rah-menbedingungen vom Versorger zum Dienstleister wan-delt (S 6) Sie verraumlt in welchen Bereichen kuumlnftig inves-tiert wird zeigt aber auch auf wo sich derzeit kein Geld verdienen laumlsst Schwer hat es insbesondere die Wasser-kraft seit Jahrzehnten wichtigster Pfeiler der Schweizer Stromversorgung Sie bleibt zwischen marktverzerrenden Subventionen hohen Abgaben und Partikularinteres-sen derzeit auf der Strecke Doch nicht nur ihre Vertreter fordern neue Rahmenbedingungen um Investitionen zu

Prof Andreacute HaelgLeiter ZHAW School of Management and Law

sichern und Potenziale zu nutzen (S 36) Auch der Aus-bau der neuen erneuerbaren Energien erfordert mehr Rechtssicherheit Mit welchen Mitteln diese herbeigefuumlhrt werden kann lesen Sie auf Seite 16

Bezuumlglich Energieeffizienz eilen Technologieunternehmen wie ABB mit ihren Innovationen weit voraus (S 32) Fuumlr den Umbau zu einer nachhaltigen Energieversorgung sind aber auch die Hochschulen zentral Die Zuumlrcher Hoch-schule fuumlr Angewandte Wissenschaften hat schon vor einigen Jahren die Energieforschung als Schwerpunkt de-finiert Forschende unterschiedlicher Disziplinen arbeiten Hand in Hand um Antworten auf draumlngende Fragen zu finden So untersucht beispielsweise ein laufendes Projekt die Wirksamkeit bisheriger Energieeffizienzprogramme fuumlr KMU und gibt Empfehlungen wie diese zu verbessern ist (S 18) Mit solchen und vielen weiteren Aktivitaumlten tragen wir dazu bei die Energiewende auf den richtigen Weg zu bringen

Eine Reise ins Ungewisse ist immer mit Risiken verbun - den Doch in einer dynamischen Welt kann es bisweilen gefaumlhrlicher sein stehen zu bleiben Oder wie der damalige US-Praumlsident Abraham Lincoln bereits vor uumlber 150 Jah - ren pointiert bemerkte laquoWe must plan for the future be-cause people who stay in the present will remain in the pastraquo Mit ihrer Forschung zaumlhlen Hochschulen zur Avant-garde der gesellschaftlichen technischen und wirtschaft-lichen Entwicklung Die Verantwortung die sich daraus ableitet nehmen wir gerne wahr In diesem Sinne volle Kraft voraus

Vorwort

Building Competence

6 COMPETENCE | 2014

CEO-Perspektive

laquoMit Schulterklopfen laumlsst sich kein Geld verdienenraquo

nuumltz herumstehen lassen sondern rasch zuruumlckbauen Bis 2019 haben wir dafuumlr nicht nur die noumltigen Mittel zuruumlck-gestellt sondern auch ausreichend Zeit um das Projekt sauber vorzubereiten und alle Bewilligungen einzuholen

Laut Energiestrategie 2050 des Bundes wird der Ausstieg aus der Kernenergie in der Schweiz ohne Gaskombikraft-werke kaum gelingen Auch die BKW hat entsprechen-de Projekte Wie beurteilen Sie allfaumlllige Risiken bezuumlglich VersorgungssicherheitKurzfristig ist das Risiko einer Stromluumlcke aumlusserst klein Mit dem Ausstieg aus der Kernenergie koumlnnte das Thema jedoch spaumlter aktuell werden Ich sehe ein anderes Pro-blem Wie koumlnnen wir das Stromnetz stabil halten wenn ein namhafter Teil der Produktion wetter- und tageszeitab-haumlngig anfaumlllt Gaskraftwerke koumlnnten eine Rolle spielen da sie kurzfristig an- und abgeschaltet werden koumlnnen Sie stehen dabei in Konkurrenz zu den Pumpspeicher-kraftwerken Im heutigen wirtschaftlichen Umfeld mit sin-kenden Preisen fuumlr Dienstleistungen zur Erhaltung der Systemstabilitaumlt bestehen aber keine Investitionsanreize weder fuumlr Pumpspeicher- noch fuumlr Gaskraftwerke

Die Konzernstrategie BKW 2030 erwaumlhnt grosse Investitio-nen Wo wird die BKW besonders stark investierenDie Investitionen fliessen in die Erhaltung der Produktions-infrastruktur und in die Netze Weiter investieren wir in neue erneuerbare Energien und nicht zuletzt in den Auf-bau neuer Geschaumlftsfelder

Investitionen in Kraftwerke und Netze Subventionen fuumlr erneuerbare Energien die den Marktpreis verzerren ndash kann man mit Strom noch Geld verdienenSuzanne Thoma In der subventionierten Stromproduk-tion ja Die marktabhaumlngige Produktion ist bei den aktuell sehr tiefen Strompreisen houmlchst anspruchsvoll

Erwarten Sie dass sich dies in naumlchster Zeit aumlndertWir befassen uns intensiv mit dieser Frage und simulie-ren die Strompreise anhand diverser Marktmodelle Diese zeigen dass der Strompreis in den naumlchsten Jahren tief bleiben sich dann aber signifikant erholen wird Aus der Finanzbranche ist bekannt dass Modellrechnungen leider nur so gut sind wie deren Input Es gibt durchaus Ten-denzen die dafuumlr sorgen koumlnnten dass der Strompreis laumlngerfristig tief bleibt

Die BKW wird das Kernkraftwerk Muumlhleberg 2019 vom Netz nehmen Eine Volksinitiative welche die sofortige Abschaltung forderte wurde im Mai 2014 vom Berner Stimmvolk deutlich abgelehnt Hat Sie das uumlberraschtIch war erfreut uumlberrascht war ich nicht Sachlich betrach-tet haben wir mit Muumlhleberg den vernuumlnftigen Weg einge-schlagen Da das Thema Kernenergie in der Gesellschaft emotional behaftet ist konnten wir aber nicht sicher sein dass die Initiative in dieser Deutlichkeit abgelehnt wird Die Problematik der Initiative war dass wir haumltten abschalten muumlssen ohne mit dem Ruumlckbau beginnen zu koumlnnen Geht ein Kernkraftwerk vom Netz sollte man es nicht un-

Die Energiewende stellt die Stromversorger vor grosse Heraus-forderungen Suzanne Thoma CEO der BKW AG gewaumlhrt Einblicke in die Strategie eines der bedeutendsten Schweizer Energieunternehmen Sie spricht uumlber den Wandel vom Ver-sorger zum Dienstleister sowie uumlber Rahmen bedingungen der StromproduktionInterview Adrian Sulzer

7COMPETENCE | 2014

Ein Fokus ist der Ausbau der Windenergie Hierzulande sind aber viele windreiche Gegenden Schutzgebiete Wird die BKW vornehmlich im Ausland investierenJa wie wir das bereits heute tun Die BKW besitzt zwar rund die Haumllfte der installierten einheimischen Windkapa-zitaumlt die grossen Projekte befinden sich aber in Deutsch-land Frankreich und Italien In der Schweiz gibt es kaum geeignete Standorte und die Durchfuumlhrung von Projekten ist aufgrund strenger Auflagen buumlrokratischer Aufwaumlnde und moumlglicher Einsprachen schwierig Wir erhoffen uns hierzulande mehr Potenzial von der Kleinwasserkraft

Welche erneuerbaren Energien haben das groumlsste Poten-zial in der Schweiz

Das groumlsste technische Potenzial haben Grosswasserkraft-werke Nur lohnen sich diese Investitionen wirtschaftlich zurzeit nicht Bezuumlglich neuer erneuerbarer Energien sehe ich signifikantes Potenzial bei der Fotovoltaik Der Bund rechnet langfristig mit einem Ausbau auf mehr als zehn Tera wattstunden pro Jahr was ich fuumlr realisierbar halte Ob dies wirklich umgesetzt wird haumlngt davon ab ob die Kos-ten der Fotovoltaik weiter gesenkt werden koumlnnen

Die BKW will sich von der Energieversorgerin zur umfas-senden Energiedienstleisterin wandeln Welche neuen An-gebote sind geplantZunaumlchst sind da die Infrastrukturdienstleistungen die wir vermehrt auch fuumlr Private anbieten werden Von grosser

Suzanne Thoma laquoVersorgungsunternehmen sollen sich mittels Positionierung Kommunikation und Aufklaumlrung fuumlr einen bewussten Energieverbrauch einsetzen Es kann aber nicht ihr Auftrag sein die Kunden zu bevormundenraquo

Bild Florian Wehrli

8 COMPETENCE | 2014

mehr Komfort Mobilitaumlt Ernaumlhrungs- oder andere Kon-sumgewohnheiten

Wie koumlnnen Energieversorger Anreize schaffen damit we-niger Energie verbraucht wirdIch bin dafuumlr dass sich Stromversorgungsunternehmen mittels Positionierung Kommunikation und Aufklaumlrungs-arbeit fuumlr einen bewussten Energieverbrauch einsetzen Es kann aber nicht ihr Auftrag sein die Kunden zu bevor-munden Neben einem veraumlnderten Bewusstsein im Be-reich Energie- und Ressourcenkonsum generell kommt der groumlsste Einfluss nach wie vor vom Preis Fuumlr Privat-konsumenten faumlllt die Stromrechnung nicht ins Gewicht und auch die anderen Energiekosten ndash jedenfalls die direkt spuumlrbaren ndash sind nicht wirklich hoch Glauben Sie mir uns waumlre es lieber der Strompreis waumlre houmlher

Energie ist also zu billigJa Die Welt benoumltigt viel Energie und Verschwendung laumlsst sich nur schwer bekaumlmpfen solange Energie so billig ist Die reiche Schweiz ist sicher staumlrker in der Pflicht als arme Laumlnder die unter anderem mit billiger Energie ver-suchen ihren Einwohnern etwas Wohlstand zu ermoumlgli-chen Allerdings duumlrfen wir unserer Industrie durch houmlhere Energiekosten keine zusaumltzlichen Lasten aufbuumlrden sonst verliert sie ihre Konkurrenzfaumlhigkeit

Prinzipiell befuumlrwortet die Bevoumllkerung die Energiewende gegen den Bau neuer Leitungskapazitaumlten oder Wind-turbinen wird aber haumlufig rekurriertNicht haumlufig immer

Sehen Sie einen Ausweg aus dem DilemmaIch sehe darin eine wesentliche Schwierigkeit fuumlr die Um-setzung der Energiestrategie In der Schweiz stehen fuumlr Einsprachen mehr rechtliche Mittel zur Verfuumlgung als im Ausland Ich befuumlrworte deshalb den Vorstoss des Bun-desrats bestimmte Gebiete fuumlr die Energieproduktion zu definieren wo nur noch uumlber eine Instanz rekurriert wer-den kann Das Grundproblem bleibt aber dass wir einen Lebensstil pflegen dessen Konsequenzen wir nicht bereit sind zu tragen

Bedeutung sind fuumlr uns auch die Netze Beim Thema Haumluser und Energieeffizienz sehen wir unsere Rolle als Integrator Dort kommen verschiedene Technologien zur Anwendung die nicht nur viele Hausbesitzer uumlberfordern sondern auch manche Spezialisten Die BKW kann auf jahrzehntelange Erfahrung und grosses Know-how in die-sem Bereich zuruumlckgreifen Wo noumltig werden wir mit Part-nern zusammenarbeiten

Eine Analyse des BFE kam im Mai 2014 zum Schluss dass die Mehrheit der untersuchten Unternehmen nicht bereit sei fuumlr die Energiewende Teilen Sie diese EinschaumltzungWas laquobereit fuumlr die Energiewenderaquo heisst ist schwer ein-zuordnen und ich moumlchte nicht fuumlr andere Unternehmen sprechen Die BKW ist ein wirtschaftlich gefuumlhrtes Unter-nehmen ohne politische Mission Unser Auftrag ist es zum Erhalt und zur Weiterentwicklung der Infrastruktur generell und zur Energieversorgung im Speziellen beizutragen Wir orientieren uns dabei an den Beduumlrfnissen unserer Kun-den und bewegen uns innerhalb der politischen und wirt-schaftlichen Rahmenbedingungen Dabei entwickeln wir unser Unternehmen weiter sodass es profitabel bleibt und weiter gestaumlrkt wird

Die BKW hat also an dieser Studie teilgenommenJa aber ich habe die Studie nicht gelesen Offenbar sind wir im oberen Drittel der Rangliste aber das steht nicht im Vordergrund Die Zeit in der Stromversorger punkto Ener-giewende um die Gunst des Bundes gewetteifert haben ist weitgehend vorbei Es ist den meisten klar geworden dass sich mit Schulterklopfen das Geld fuumlr die noumltigen Investitionen nicht verdienen laumlsst Entscheidend sind die konkreten Rahmenbedingungen das Marktumfeld und die Kundenbeduumlrfnisse

Gemaumlss der Energiestrategie soll der durchschnittliche Energieverbrauch pro Person in der Schweiz bis 2035 ge-genuumlber 2000 um 43 Prozent sinken Ist das realistischTechnisch halte ich das fuumlr absolut moumlglich Dabei geht es aber bei Weitem nicht nur um den Stromkonsum sondern auch um den Konsum fossiler Brennstoffe und Investitio-nen in Effizienzmassnahmen Im Kern geht es aber um viel

CEO-Perspektive

9COMPETENCE | 2014

Konzernleitung der BKW liegt der Frauenanteil aktuell bei 33 Prozent

Stichwort Unternehmensfuumlhrung Gibt es eine spezielle Philosophie die Sie verfolgenIch versuche immer Klarheit zu schaffen Ich moumlchte je-weils zum Kern der Dinge vordringen und erwarte dasselbe Bestreben von meinen Mitarbeitenden Wenn alle wissen worum es im Kern geht und was die Treiber des Geschaumlfts sind und wenn alle mit Freude ihre Arbeit verrichten dann leitet sich alles Weitere daraus ab Ich glaube an gemein-same Visionen und Ziele sowie eine delegierte Umsetzung

Welche Rolle wird die Schweiz in einem liberalisierten euro paumlischen Strommarkt spielenDie Frage ist ob die Schweiz in Zukunft denselben Zugang zum europaumlischen Markt haben wird wie bisher Davon gehe ich aus Unter dieser Voraussetzung muss man sich fragen wie der europaumlische Markt kuumlnftig ausgestaltet sein wird Ich erwarte eine fortschreitende Liberalisierung die tendenziell zu mehr Stromhandel und noch tieferen Preisen fuumlhren wird Gleichzeitig wird man aber Kapazi-taumltsmaumlrkte schaffen muumlssen damit Energieunternehmen Anreize haben in Versorgungssicherheit und System-stabilitaumlt zu investieren Beides wird heute kaum abgegol-ten Das muss sich aumlndern Die Frage ist ob Kapazitaumlts-maumlrkte nationale Maumlrkte sein werden

Welche Folgen haumltte das fuumlr die SchweizDas waumlre eine ungluumlckliche Konstellation Einerseits haumltten wir unter den tieferen Preisen zu leiden andererseits koumlnn-ten wir die Dienstleistungen die wir mit unseren Pump-speicherkraftwerken erbringen weniger gut verkaufen

Blicken wir in die Zukunft Strom wird dezentral produziert nach Bedarf verbraucht ins intelligente Netz eingespeist oder in Batterien gespeichert Braucht es dann noch Ener-gieversorger wie die BKWAuf jeden Fall Denn die grossen Energieversorger werden dann zu grossen Energiedienstleistern Deshalb stellen wir unsere Strategie jetzt um Viele der Kompetenzen die wir als Versorger uumlber Jahrzehnte aufgebaut haben sind auch in diesem Szenario absolut notwendig Moumlglich ist hingegen dass es kuumlnftig weniger zentrale Kraftwerks-kapazitaumlt braucht Als Unternehmen muumlssen wir uns so positionieren dass wir uns im Rahmen aller denkbaren Szenarien weiterentwickeln koumlnnen

Die Energiebranche gilt als Maumlnnerdomaumlne Mit Alpiq und BKW haben nun zwei der groumlssten Schweizer Energiever-sorger eine Frau als CEO Ist das ein Zeichen des Kultur-wandelsJa schon Das Geschlecht war aber gewiss kein Krite-rium fuumlr die Stellenbesetzung Alle Bewerber mussten sich demselben strengen Auswahlverfahren stellen In der

Suzanne ThomaDr Suzanne Thoma ist seit 1 Januar 2013 CEO der BKW AG Zu-vor verantwortete sie das Netz- und Netzdienstleistungsgeschaumlft der BKW als Mitglied der Konzernleitung Vor ihrem Eintritt in die BKW leitete sie das Automobilzuliefergeschaumlft der WICOR Group und fuumlhr-te zuvor als CEO das High-Tech-Unternehmen Rolic Technologies Ltd Im Weiteren war sie fuumlr die Ciba Spezialitaumltenchemie AG in ver-schiedenen Funktionen und Laumlndern taumltig Suzanne Thoma studierte Chemieingenieurtechnik an der ETH Zuumlrich

BKW Energie AGDie BKW ist ein bedeutendes Schweizer Energiedienstleistungs-unternehmen Sie beschaumlftigt mehr als 3 000 Mitarbeitende und ver-sorgt zusammen mit Partnern rund eine Million Menschen mit Strom Neben der reinen Energieversorgung entwickelt implementiert und betreibt die BKW Energiegesamtloumlsungen fuumlr Privat- und Geschaumlfts-kunden sowie fuumlr Energieversorgungsunternehmen und Gemeinden Zudem engagiert sie sich in Forschungsprogrammen zur Entwicklung innovativer Technologien fuumlr eine nachhaltige und sichere Energie-versorgung

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Bundesrat und Parlament haben 2011 als Reaktion auf den Reaktorunfall in Fukushima entschieden mittelfristig aus der Kernenergie auszusteigen und sich gleichzeitig den zwei grossen Herausforderungen der kommenden Jahre zu stellen Zum einen wird die weltweite Nachfrage nach Energie nochmals stark ansteigen da die zuneh-mende Weltbevoumllkerung absolut gesehen und pro Kopf immer mehr Energie konsumiert Das fuumlhrt zu einer deut-lichen Verschaumlrfung des Wettbewerbs um Energie Eine Energiepolitik die staumlrker lokal verankert ist entschaumlrft das Problem Zum anderen birgt die Klimaerwaumlrmung grosse oumlkologische wirtschaftliche und gesellschaftliche Risiken denen mit klimapolitischen Entscheiden auf glo-baler Ebene begegnet werden muss Mit einer konzisen Energie- und Klimapolitik haumllt die Schweiz hierauf eine moumlgliche Antwort bereit

Energiewende im historischen KontextDer bekannte Energiehistoriker Vaclav Smil versteht un-ter Energie die Ausschoumlpfung der natuumlrlichen Ressour-cen durch den Menschen der sich damit das Uumlberleben sichert und seine Lebensqualitaumlt erhoumlht Mit der geplan-ten Energiewende wird das System Energie in seiner ge-sellschaftlichen Dimension umfassend transformiert Die gegenwaumlrtige Diskussion wird jedoch von technischen und oumlkonomischen Fragestellungen dominiert die gesell-schaftliche Dimension kommt dagegen zu kurz Bei der Energiewende geht es jedoch um mehr als lediglich da-rum eine Ressource durch eine andere zu ersetzen Es geht darum die bestehenden Strukturen fundamental

umzuformen Es geht um Stromnetze und Erdoumllpipelines um idyllische Landschaften und Staumldte um Politik und neue Technologien Diese und zahlreiche weitere Para-meter wurden alle aufgrund energiepolitischer Entschei-dungen im vergangenen Jahrhundert gestaltet Fuumlr die Zukunft sind radikale Eingriffe geplant welche die kom-menden Generationen praumlgen werden Es ist deshalb wesentlich das Thema langfristig zu betrachten und die heutige Situation und Diskussion auch historisch zu situ-ieren Wie wurden Energiesysteme ndash also die Verknuumlpfung von Menschen Ingenieurwesen industriellen Praktiken technologischen Artefakten politischen Programmen und institutionellen Ideologien ndash formiert Welche gesell-schaftlichen Voraussetzungen haben zur Entscheidung fuumlr den einen und gegen den anderen Energietraumlger gefuumlhrt Und letztlich auch Welchen internationalen Trends ist die kleine ressourcenarme Schweiz weshalb gefolgt und in welchen Momenten hat sie sich fuumlr den schweizerischen Sonderweg entschieden

Industrialisierung und EnergiewendeEnergiesysteme entwickeln sich kontinuierlich waren je-doch historisch gesehen uumlber lange Zeit relativ stabil Die Jahrzehnte seit dem Beginn der Industrialisierung in der zweiten Haumllfte des 18 bis Ende des 19 Jahrhunderts wa-ren die Aumlra des Holzes (und nicht der Kohle) die erste Haumllfte des 20 Jahrhunderts war die Zeit der Kohle (und nicht des Erdoumlls) die zweite diejenige des Erdoumlls und der Kernenergie Die Wasserkraft war eine wichtige Strom-lieferantin jedoch nie die Nummer eins unter den Energie-

Hintergrund

Fukushima gibt den Takt vor

Der Energiesektor hat sich in den letzten 150 Jahren drama-tisch schnell entwickelt Nicht nur haben sich Produktion und Verbrauch um ein Vielfaches erhoumlht auch die wirtschaftlichen rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich grundlegend gewandelt Ein kurzer historischer Ruumlckblick zeigt die grossen Entwicklungen und Trends aufText Monika Gisler

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Problem der Entsorgung radioaktiver Abfaumllle wurden an-fangs kaum thematisiert Erdoumll wurde erst in den 1970er-Jahren zum politischen Thema als mit den Erdoumll(preis)- krisen von 197374 und 197980 seine (geopolitisch be-dingte) Endlichkeit manifest wurde Gleichzeitig verstaumlrkte die Erdoumllkrise das Bewusstsein uumlber die Abhaumlngigkeit von importierten Energietraumlgern die mit der Industrialisierung eingesetzt hatte

Anfaumlnge des UmweltschutzesAufgrund dieser beiden Entwicklungen kamen Themen wie Energiesparen und die Forderung nach umweltfreund-licheren Energien in den 1970er-Jahren erstmals auf die politische Traktandenliste Der oumlffentliche Diskurs um die laquoGrenzen des Wachstumsraquo und damit einhergehend auch die ersten Debatten zum Umweltschutz entbrannten In-teressanterweise glaubte man dass Wind- und Solar-anlagen erst ab dem Jahr 2000 in signifikantem Umfang zur Verfuumlgung stehen wuumlrden was ja auch eintrat

Die Diskussion flaute so rasch ab wie sie gekommen war Alternativenergien bewahrten ihr Nischendasein bis zu dem Ereignis das mittlerweile den neuen Takt vorgibt die Nuklearkatastrophe von Fukushima Es wird sich weisen wie erfolgreich die Umsetzungsmassnahmen sein werden und wie rasch sie implementiert werden koumlnnen Sicher scheint jedoch dass das Unternehmen Energiewende nur verstanden und ndash so zumindest die Hoffnung ndash auch ak-zeptiert wird wenn man es in seiner ganzen Dimension erfasst

traumlgern Es wird sich weisen ob das 21 Jahrhundert das-jenige der (neuen) erneuerbaren Energien sein wird

Kohle war nach Holz der wichtigste und langfristigste Energie traumlger der Schweiz Ihre Bedeutung hielt mehr als acht Jahrzehnte an ihr Niedergang setzte 1940 ein 1955 wurde sie vom Erdoumll als wichtigster Energietraumlger abgeloumlst Der Klimahistoriker Christian Pfister erklaumlrt diese Transition mit den rasch fallenden Oumllpreisen die zu einer immer groumls ser werdenden Nachfrage nach dieser guumlns-tigen Energie fuumlhrten Ein weiterer Grund war die Domi-nanz des Verbrennungsmotors uumlber die Dampfmaschine auf dem Weg zu einer immer mobileren Gesellschaft Es ist nicht nur das Angebot sondern auch die Nachfrage welche die Bedeutung eines Energietraumlgers formt Die Entscheidung fuumlr Oumll (und spaumlter Gas) war gleichermassen beeinflusst von den technischen Veraumlnderungen wie von den Verschiebungen am Finanzmarkt

Schon fruumlh hatte auch die Wasserkraft eine grosse Be-deutung fuumlr die Schweiz 1918 war man uumlberzeugt dass laquo[hellip] fuumlr unser Land [hellip] die Frage der Energiequelle ein-wandfrei erledigt [sei] Der ganze Entwicklungsgang von Technik und Volkswirtschaft fuumlhrt endlich zur Erkenntnis dass die Natur uns mit den Wasserkraumlften fuumlr die Kohlen-armut entschaumldigtraquo (Parlamentarische Debatte zum Was-serrechtsgesetz 1918) Wasserkraft wurde im Energiemix immer ergaumlnzend zu anderen Ressourcen eingesetzt und nach 1970 entscheidend wenn auch nicht paritaumltisch mit Kernenergie zur Gewinnung von Elektrizitaumlt komplettiert

So war die zweite Haumllfte des 20 Jahrhunderts die Zeit des Erdoumlls und der Kernenergie Die beiden Energie traumlger entwickelten sich nach 1945 fast parallel und haben doch eine sehr unterschiedliche Geschichte Das hat mit ihrer jeweiligen Form und Verfuumlgbarkeit zu tun aber auch da-mit dass ihre politische Bedeutung sehr verschieden-artig war Die Kernkraft barg aufgrund ihrer Naumlhe zu ei-ner toumldlichen Waffe schon immer politischen Sprengstoff Gleichzeitig genoss sie anfaumlnglich auch den Ruf einer sauberen und nahezu unbegrenzt zur Verfuumlgung stehen-den Energiequelle Die Gefahr einer Verstrahlung und das

Monika GislerDr Monika Gisler hat an den Universitaumlten Zuumlrich Basel und Los Angeles (UCLA) Ge-schichte und Politische Philosophie studiert Sie war Forschungsverantwortliche an der ETH Zuumlrich und bietet seit 2008 mit laquoUnter-nehmen Geschichteraquo Forschung Lehre und Beratung zu den Themen Umwelt Energie und Innovation an (wwwunternehmenge-schichtech) Aktuell lehrt sie als Dozentin an der ETH zu Energiewenden in Geschichte und Gegenwart

Wie viele Fotovoltaikanlagen sind auf den Daumlchern Winterthurs zu finden

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Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Energieversorgung

dem Parlament die Energiestrategie 2050 vor welche die Basis fuumlr diesen Umbau schafft Grundsaumltze der Energie-strategie sind die Energieeffizienz die Steigerung des An-teils aus erneuerbaren Energien und die Umsetzung des Verursacherprinzips Das bedeutet dass die Kosten der Energienutzung moumlglichst von den Verursachern getragen werden

Die Schweiz verfuumlgt zwar uumlber eine hohe Versorgungs-sicherheit allerdings sind unsere Energiequellen teilweise nicht nachhaltig Gegenwaumlrtig liegt der Anteil der fossilen Energietraumlger am Endenergieverbrauch bei rund 80 Pro-zent Damit traumlgt die Schweiz zu den negativen Folgen der Klimaerwaumlrmung bei Als rohstoffarmes Land importiert sie einen grossen Teil dieser Energie ndash insbesondere Roh-oumll und Gas Dementsprechend hoch ist die Abhaumlngigkeit vom Ausland Zudem steht die Schweiz energiepolitisch vor weiteren grossen Herausforderungen Aufgrund des Bevoumllkerungs- und Wirtschaftswachstums des steigen-den Wohlstands sowie der zunehmenden Mobilitaumlt nimmt die Nachfrage nach Energie zu Teilweise veraltete Infra-struktur wachsender Wettbewerb und die Integration in das europaumlische Energienetz stellen das Energiesystem zudem vor zusaumltzliche Herausforderungen die es zu be-waumlltigen gilt

Langfristige StrategieUm diese Herausforderungen anzugehen ist ein Umbau des Energiesystems in Richtung Nachhaltigkeit unabding-bar Im Nachgang zur Reaktorkatastrophe in Fukushima haben Bundesrat und Parlament im Jahr 2011 den Grund-satzentscheid fuumlr einen schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie gefaumlllt Der Bundesrat legte anschliessend

Mit der Energiestrategie 2050 des Bundes soll unter anderem der Energieverbrauch reduziert und der Anteil der erneuerbaren Energien erhoumlht werden Dazu gehoumlren eine Reduk tion der energiebedingten CO2-Emissionen und der schrittweise Ausstieg aus der Kernenergie ndash dies ohne die bisher hohe Versorgungs-sicherheit und die preiswerte Energieversorgung zu gefaumlhrden Die ambitioumlsen Ziele sind aber nur zu erreichen wenn ein Um-denken stattfindet und Politik Wirtschaft Wissenschaft und Gesellschaft enger zusammenarbeiten Text Walter Steinmann

Hintergrund

Stossrichtungen der Energiestrategie ndash Energieeffizienz erhoumlhen Energieverbrauch

senken Stromverbrauch stabilisieren ndash Anteil der erneuerbaren Energien erhoumlhen und

Restbedarf durch fossile Stromproduktion und Importe decken

ndash Zugang zu internationalen Energiemaumlrkten sicherstellen

ndash Um- und Ausbau der elektrischen Netze und der Energiespeicherung vorantreiben

ndash Energieforschung verstaumlrken ndash Vorbildfunktion der oumlffentlichen Hand wahrnehmen ndash Internationale Zusammenarbeit im Energiebereich

intensivieren

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Hintergrund

Der Bundesrat hat dem Parlament im September 2013 ein erstes Massnahmenpaket zur Umsetzung der Energie-strategie 2050 vorgelegt Das Geschaumlft wird momentan von den vorberatenden parlamentarischen Kommissio-nen behandelt Es ist auf die Zielsetzungen fuumlr das Jahr 2020 ausgerichtet und soll langfristig wirken Konkret vorgesehen ist etwa eine Erhoumlhung der CO2-Abgabe auf Brennstoffe mit einer gleichzeitigen Verstaumlrkung des Ge-baumludesanierungsprogramms Weiter soll die bisherige kostendeckende Einspeiseverguumltung zu einem Verguuml-tungssystem mit Direktvermarktung umgebaut werden Dafuumlr sind eine Totalrevision des Energiegesetzes sowie Anpassungen in weiteren neun Bundesgesetzen noumltig Berechnungen zufolge soll der Energieverbrauch mit der Umsetzung des ersten Massnahmenpakets bis 2050 we-sentlich abnehmen Insbesondere bei den fossilen Ener-gietraumlgern wird mit grossen Ruumlckgaumlngen gerechnet

Volkswirtschaftlich werden sich die Kosten fuumlr die Um-setzung der Energiestrategie in Grenzen halten Den er-heblichen Investitionen in die Energieeffizienz stehen Ein-sparungen bei den Energieimporten gegenuumlber Es sind jedoch betraumlchtliche Investitionen insbesondere fuumlr den Zubau der Stromproduktion aus erneuerbaren Energietrauml-gern noumltig

Zusammensetzung des Endshyenergieverbrauchs (ohne Treibshystoffverbrauch des internationalen Flugverkehrs) bis 2050 auf der Basis des vorliegenden Massnahmen pakets des UVEK (Quelle Prognos)

Ein Markt mit ZukunftEine nachhaltige Energiepolitik ist nur moumlglich wenn die Schweiz staumlrker auf erneuerbare Energien setzt Heute stammen nur gerade 20 Prozent der verbrauchten Ener-gie aus erneuerbaren Quellen Die laufenden Arbeiten zur Energiestrategie 2050 zeigen dass Sonnen- und Wind-energie Wasserkraft und Geothermie in der Schweiz uumlber grosse Potenziale verfuumlgen deren optimale Er-schliessung jedoch durch verschiedene Faktoren behin-dert beziehungsweise verzoumlgert wird Dazu gehoumlren die

langwierigen Bewilligungsverfahren und die teils fehlende Akzeptanz in der Bevoumllkerung aber auch die begrenzten Foumlrdermittel zur Realisierung entsprechender Projekte Mit der Energiestrategie 2050 sollen guumlnstigere Rahmenbe-dingungen geschaffen werden

Die Sicherung des langfristigen Energieangebots wird zu einer der zentralen Herausforderungen und bietet gleichzeitig grosse Chancen fuumlr den Wirtschaftsstandort

laquoFortschritte bei der Ressourcen-effizienz und den erneuerbaren

Energien ermoumlglichen Wettbewerbs-vorteile auf den Exportmaumlrktenraquo

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Schweiz Bereits heute verfuumlgt die Schweiz uumlber ein gros-ses industrielles und technologisches Know-how gerade im Bereich Cleantech Fortschritte bei der Ressourcen-effizienz und den erneuerbaren Energien ermoumlglichen Wett bewerbsvorteile auf den Exportmaumlrkten sie schaffen neue Arbeitsplaumltze und erhoumlhen die Unabhaumlngigkeit in der Rohstoffversorgung Zusammen mit dem Masterplan Cleantech traumlgt die Energiestrategie 2050 dazu bei dass sich die Schweiz hier als Vorreiterin profilieren kann

Uumlbergang in ein LenkungssystemDamit sich der Markt in Richtung Nachhaltigkeit entwickelt werden kuumlnftig weitere Massnahmen noumltig sein Waumlhrend das erste Massnahmenpaket noch stark auf Foumlrderung zielt wird die Energiepolitik ab 2021 gemeinsam mit der Klimapolitik strategisch neu ausgerichtet Das bestehen-de Foumlrdersystem basiert auf einem Netzzuschlag fuumlr die Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Ener-gien und einer Teilzweckbindung der CO2-Abgabe fuumlr das Gebaumludeprogramm Es soll durch ein marktwirtschaftli-ches Lenkungssystem abgeloumlst werden mit dem sich die Energie -und Klimaziele effektiv und oumlkonomisch effizient erreichen lassen Konkret werden erneuerbare Energien und Gebaumludesanierungen zunaumlchst noch staatlich unter-stuumltzt ndash langfristig soll der Markt spielen Das Bundesamt fuumlr Energie ist daran in Zusammenarbeit mit dem Eidge-noumlssischen Finanzdepartement und dem Staatssekretariat fuumlr Wirtschaft zu konkretisieren wie das umzusetzen ist

Wissenstransfer staumlrken Gluumlcklicherweise herrscht an den Hochschulen und ihren Instituten im Energiebereich Aufbruchstimmung Fuumlr Un-ternehmen ist es jedoch oft schwierig das an Hochschu-len vorhandene Wissen abzuholen gerade wegen der grossen Diversitaumlt der Forschung und der Fragmentierung des Wissens auf zahlreiche Institute Gleichzeitig stossen mit Unternehmen der Informations- und Kommunikations-technologie neue Akteure mit grossem Know-how in den Energieversorgungsmarkt vor Energieversorgungsunter-nehmen in ganz Europa ruumlcken vom reinen Stromverkauf ab und positionieren sich vermehrt als Anbieter von umfas-senden Energiedienstleistungen Diesem Trend muss sich

Walter SteinmannDr Walter Steinmann ist seit 2001 Direktor des Bundesamts fuumlr Energie (BFE) Er hat an der Universitaumlt Zuumlrich Volkswirtschaft studiert und seine Studien 1988 mit einer Doktorarbeit an der Universitaumlt Konstanz ab geschlossen Von 1981 bis 1988 war er Delegierter fuumlr Wirtschaftsfoumlrderung des Kantons Basel-Landschaft und arbeitete an-schliessend als Beauftragter fuumlr Wirtschafts-foumlrderung des Kantons Solothurn Von 1994 bis 2001 war er Chef des Amts fuumlr Wirtschaft und Arbeit des Kantons Solothurn

auch die Schweiz stellen und ihre Kraumlfte vermehrt buumlndeln um Synergien zwischen Wirtschaft und Forschung zu schaffen Nur so kann der Technologiestandort Schweiz staumlrker werden Der Bund setzt bereits Massnahmen um damit der Transfer der Forschungsresultate in den Markt sichergestellt wird Dazu gehoumlrt der Aufbau vernetzter Forschungskompetenzzentren der Swiss Competence Centers for Energy Research Auch die ZHAW School of Management and Law beteiligt sich in diesem Rahmen massgeblich an den nationalen Forschungsaktivitaumlten zum Umbau des Schweizer Energiesystems

Mit der Energiestrategie 2050 hat die Schweiz die Chance sich aus ihrer Abhaumlngigkeit von den fossilen Energien zu loumlsen den Export fortschrittlicher Technologien zu staumlrken und mit dem ressourcen- und klimaschonenden Umgang mit Energie international eine Fuumlhrungsrolle zu uumlberneh-men Nutzen wir diese Chance

Weitere Informationen unter wwwenergiestrategie2050ch

laquoDie Schweiz muss ihre Kraumlfte vermehrt buumlndeln um

Synergien zwischen Wirtschaft und Forschung zu schaffenraquo

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Eine der wichtigsten Zielsetzungen der Energiewende wie sie der Bundesrat formuliert hat ist der Ausbau der er-neuerbaren Energien Der Anteil von Wasser- Wind- und Sonnenkraft sowie Erdwaumlrme am Energiemix soll massiv erhoumlht werden Die durchschnittliche inlaumlndische Produk-tion ndash ohne Wasserkraft ndash soll im Jahr 2020 bei mindes-tens 4 400 Gigawattstunden (GWh) und im Jahr 2035 bei mindestens 14 500 GWh liegen Bei der Produktion von Elektrizitaumlt aus Wasserkraft wird bis im Jahr 2035 ein Aus-bau der Produktion auf 37 400 GWh angestrebt Zum Ver-gleich Die Jahresproduktion des AKW Muumlhleberg liegt bei rund 2 600 GWh Das sind houmlchst ambitioumlse Ziele

Der geplante Ausbau der Nutzung von erneuerbaren Energien bedarf zahlreicher Anlagen ndash Windparks Was-serkraftwerke oder groumlsserer Solaranlagen ndash mit entspre-chend hohem Raumbedarf Der Bundesrat sieht nicht vor die Umwelt- und Heimatschutzgesetze massgeblich zu lo-ckern obwohl es regelmaumlssig zu Konflikten zwischen den Schutzinteressen und Energienutzungsanlagen sowie zu entsprechenden Gerichtsverfahren kommt ndash wie juumlngst im Goms bei der Planung eines Wasserkraftwerks (BGE 140 II 262 ff) Das Bundesgericht nimmt jeweils eine im Resul-tat schwer voraussehbare Interessenabwaumlgung vor und stellt die Leistung der Anlage sowie die Faumlhigkeit zeitlich flexibel und marktorientiert zu produzieren den Schutz-interessen gegenuumlber

Ein weiteres Problem besteht darin dass groumlssere Anla-gen bei der Nachbarschaft oder in einer breiteren Bevoumll-kerung keine Akzeptanz finden So waumlre zwar im Kanton

Loumlsungen suchen bevor es zum Rechtsstreit kommt

Hochschulperspektive

Der Bundesrat sieht im Rahmen der Energiestrategie 2050 vor den Anteil der erneuerbaren Energien massiv zu erhoumlhen Die vermehrte Nutzung erneuerbarer Energietraumlger fuumlhrt jedoch zu einem Interessenkonflikt zwischen Wirtschaftlichkeit umwelt-rechtlichen Anforderungen und sozialer Akzeptanz Diesen gilt es mit klaren rechtlichen Grundlagen zu loumlsenText Reneacute Wiederkehr und Andreas Abegg

Zuumlrich Wind vorhanden doch dreht sich dort bis heute keine einzige grosse Windturbine Gegen die einzige bis-her geplante Versuchsanlage am Stuumlssel oberhalb Baumlrets-wil hat eine Interessengemeinschaft Rekurs erhoben und will die geplante Windmessanlage bis vor Bundesgericht bekaumlmpfen Diese Probleme ndash die Kollision mit Schutz-interessen und die Angst vor Nachbarrekursen ndash koumlnnen im Ergebnis dazu fuumlhren dass die Energieunternehmen auf den Bau von Anlagen verzichten obwohl ein erhebli-ches Potenzial vorhanden waumlre

Loumlsungsansatz des BundesratsIm Rahmen der Energiepolitik 2050 schlaumlgt der Bundesrat vor dass die Kantone mit Unterstuumltzung des Bundes ein Konzept fuumlr den Ausbau der erneuerbaren Energien er-arbeiten und Gebiete fuumlr die Nutzung durch erneuerbare Energien bestimmen Nach der Genehmigung durch den Bund dient das Konzept den Kantonen als Grundlage fuumlr ihre Richtplanung Dadurch wird fuumlr die kommunalen und kantonalen Behoumlrden verbindlich festgelegt in welchen Gebieten Bewilligungen fuumlr erneuerbare Energieproduktio-nen erteilt werden koumlnnen

Welche Gebiete sich tatsaumlchlich fuumlr den Ausbau der er-neuerbaren Energien eignen ist bisher allerdings kaum erforscht worden Bund Kantonen und Gemeinden fehlen die Grundlagen um die Eignung von Standorten und Ge-bieten aus rechtlicher Sicht zu beurteilen Es ist deshalb einfacher ungeeignete Gebiete von der Nutzung auszu-nehmen Vor allem Gebiete welche fuumlr Natur- und Hei-matschutz wertvoll sind koumlnnen zu einer sogenannten

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schen und rechtsstaatlichen Verfahren aus So wurde zum Beispiel im Kanton Zuumlrich der Heimatschutz gegenuumlber dem Interesse an neuen Solaranlagen bereits zuruumlck-gestuft und das entsprechende Bewilligungsverfahren gestrafft Es wird sich gerade bei der Wahl von Stand-orten fuumlr die Nutzung erneuerbarer Energien zeigen ob die Energiewende ndash wie zuweilen befuumlrchtet ndash auf Kosten von Demokratie und Rechtsstaat sowie auf Kosten von Natur- und Heimatschutz geht oder ob wir die gegenwaumlr-tigen Strukturen unter transparenter und angemessener Wahrung aller Interessen anpassen koumlnnen um die an-spruchsvollen Energieziele zu erreichen

Negativzone fuumlhren Auch andere Anliegen wie die Erhal-tung von landwirtschaftlichem Kulturland und Wald der Schutz des Vogelzugs oder die Beduumlrfnisse der Luftfahrt sind zu beruumlcksichtigen Zudem ist zu beachten dass der Bau neuer Anlagen einen Ausbau des Energienetzes nach sich ziehen kann was wiederum zu Konflikten mit anderen raumrelevanten Interessen fuumlhrt

InteressenabwaumlgungUm die erneuerbare Energie wie geplant massiv foumlrdern zu koumlnnen muumlssen die notwendigen Anlagen rasch rea-lisiert werden In den hierzu notwendigen Bewilligungs- und Rechtsmittelverfahren muumlssen die Zielkonflikte der verschiedenen Interessen transparent gemacht und unter gleichberechtigter Abwaumlgung geloumlst werden Das gilt so-wohl fuumlr das konkrete Rechtsmittelverfahren vor Behoumlrden und Gerichten wie auch fuumlr eine vorgezogene Mediations-phase

Hier setzen die vom Bund initiierten Forschungen zur Energiewende auf drei Ebenen an Zunaumlchst muumlssen die Details der komplizierten Bewilligungsverfahren im Aus-tausch mit der Gerichtspraxis ausgearbeitet werden Das sorgt fuumlr Rechtssicherheit Auf einer zweiten Ebene gilt es die bestehenden kantonal reglementierten Verfahren zu vereinheitlichen und wenn moumlglich zu vereinfachen Damit es zu rechtsstaatlich tragfaumlhigen und sozial akzep-tierten Loumlsungen kommt sind die Rechte aller Beteiligten zu wahren jene von Gemeinden Kantonen und Bund als Behoumlrden von Energieunternehmen als Gesuchsteller so-wie von Nachbarn und beschwerdeberechtigten Verbaumln-den als Gegner Schliesslich sind auf einer dritten Ebene neue Hilfsmittel zu suchen mit denen Gebiete und Stand-orte bezeichnet werden koumlnnen die sich fuumlr die Nutzung erneuerbarer Energien besonders eignen Das Bewilli-gungsverfahren wird hiermit transparenter berechenbarer und ndash so die Hoffnung ndash kuumlrzer Mit klaren Rechtsgrund-lagen koumlnnen die Beteiligten zudem Loumlsungen suchen bevor es uumlberhaupt zum Rechtsstreit kommt Die geplante Foumlrderung erneuerbarer Energien kommt nicht ohne Veraumlnderungen in bestehenden demokrati-

Andreas AbeggProf Dr Andreas Abegg ist Leiter des Zen-trums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht an der ZHAW School of Management and Law Privatdozent an der Universitaumlt Fribourg und praktizierender Rechtsanwalt Er beschaumlf-tigt sich mit den rechtlichen Schnittpunkten zwischen Staat und Privaten insbesondere in den Bereichen Regulierung Verwaltungs-organisation und Energie Andreas Abegg forscht im Rahmen des vom Bund mitfinan-zierten Competence Center for Research in Energy Society and Transition (CREST) in der Forschungsgruppe Energy Policy Analysis

Reneacute WiederkehrProf Dr Reneacute Wiederkehr ist stellvertre-tender Leiter des Zentrums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht an der ZHAW School of Management and Law und Titularprofessor der Universitaumlt Luzern Er forscht und lehrt in den Bereichen Verwaltungsrecht und oumlf-fentliches Prozessrecht sowie im Rahmen des vom Bund mitfinanzierten Competence Center for Research in Energy Society and Transition (CREST) in der Forschungsgruppe Energy Policy Analysis

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Negawatt statt Megawatt

Energieeffizienzmassnahmen finanziell lohnen Zudem ver-fuumlgen kleine und mittlere Unternehmen selten uumlber Ener-gieverantwortliche oder Umweltbeauftragte die im Akqui-sitionsprozess gezielt angesprochen werden koumlnnen

Schwaumlchen bisheriger ProgrammeEine Umfrage der ZHAW bei Programmverantwortlichen zeigt diverse Schwaumlchen laufender Effizienzprogramme auf Ein haumlufiges Problem sind falsche Anreize So wird vornehmlich vermittelt wie mit Energieeffizienz Geld ge-spart wird Offensichtlich geht man davon aus dass Un-ternehmen praktisch nur uumlber finanzielle Anreize zu moti-vieren sind Bei den angepeilten KMU fallen Energiekosten jedoch kaum ins Gewicht Beratungsaufwand und Ergeb-nis stehen umso mehr im Missverhaumlltnis je weniger Ener-gie verbraucht wird Weiter scheinen die Programmver-antwortlichen ihre Zielgruppen kaum zu segmentieren und als unterschiedliche Kundensegmente wahrzunehmen Entsprechend beinhalten die meisten Programme ein Standardangebot mit einem breiten Spektrum an Mass-nahmen die oft nicht branchenspezifisch zugeschnitten sind Auch die Kundenansprache erfolgt in der Regel un-differenziert und die Moumlglichkeiten der Neuen Medien wer-den kaum genutzt

Keine langfristige PerspektiveEin Grossteil der Programme ist nicht auf Kundenbindung ausgelegt Insbesondere werden kaum Informationen er-fasst welche die Planung einer weiterfuumlhrenden Bezie-

Schweizer Unternehmen koumlnnten auf wirtschaftliche Art und Weise bis zu 30 Prozent ihres Energieverbrauchs ein-sparen Speziell bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) die immerhin 10 Prozent des Schweizer Stromver-brauchs verantworten ist das Sparpotenzial aber ungenuuml-gend ausgeschoumlpft

Energieeffizienzprogramme wirken nichtBehoumlrden Energieversorger und private Organisatio-nen haben in den letzten Jahren wiederholt Programme lanciert um Energieeinsparungen gezielt zu foumlrdern Al-lerdings haben bislang weniger als 1 Prozent der rund 300 000 Schweizer KMU an einem solchen Programm teilgenommen und die Umsetzungsquoten sind ebenfalls gering Uumlber die Gruumlnde die Unternehmen daran hindern an Energieeffizienzprogrammen teilzunehmen und ent-sprechende Massnahmen umzusetzen sind sich die Pro-grammverantwortlichen uneinig Oft werden Zeitmangel Priorisierung anderer Investitionen fehlende Mittel und zu lange Amortisationszeiten als Hemmnisse genannt Ge-nerell scheint es dass bei Kleinunternehmen Zeit- und Geldmangel eine wichtige Rolle spielen waumlhrend bei Un-ternehmen mittlerer Groumlsse eher der Mangel an Motiva tion und Bewusstsein ausschlaggebend ist Energiekosten machen bei KMU einen verschwindend kleinen Anteil der Gesamtkosten aus sodass die Prioritaumlten fuumlr Investitionen haumlufig anders liegen Man investiert beispielsweise lieber in Betriebsmittel zur Erhoumlhung der Produktivitaumlt als in die Reduktion der (bereits tiefen) Energiekosten obwohl sich

Energieeffizienz ist ein zentraler Pfeiler der Energiestrategie 2050 Die Schweiz gehoumlrt zu den Spitzenreitern punkto Energie effizienz auch dank ihrem dominanten Tertiaumlrsektor Dennoch liegen auch bei hiesigen Unternehmen grosse Sparpotenziale brach Wie diese genutzt werden koumlnnen untersucht die ZHAW in einem interdisziplinaumlren ProjektText Rolf Rellstab

Hochschulperspektive

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brauch betrifft erhoumlhte Arbeitssicherheit weniger Laumlrm-belastung oder geringerer Rohstoffverbrauch Der Wert solcher laquoNon-Energy Benefitsraquo kann fuumlr Unternehmen bis zu 250 Prozent der energetischen Einsparungen betra-gen Es geht also darum KMU gezielter auf die Chancen der Energieeffizienz hinzuweisen Schliesslich gilt es auch Unternehmen wissen zu lassen dass sich ihre Kunden fuumlr dieses Thema interessieren sowie ihnen dabei zu helfen ihr Energie effizienzengagement sichtbar zu machen Waumlh-rend bereits heute viele Unternehmen bestaumltigen dass sich ihr Image bei den Kunden durch die Teilnahme an einem Energieeffizienzprogramm verbessert hat achten erst wenige Firmen auch bei der Kommunikation darauf dass entsprechende Massnahmen gebuumlhrend bekannt gemacht werden

hung zu den Programmteilnehmenden ermoumlglichen wuumlr-den Angaben zu Stromverbrauch Houmlhe und Anteil der Energiekosten Anzahl Mitarbeitende und Umsatz waumlren wertvolle Informationen im Hinblick auf allfaumlllige Folgepro-gramme Im Vordergrund stehen zudem bei den meisten Programmen technische Loumlsungen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz Eine nachhaltige Verhaltensaumlnderung bei Mitarbeitenden oder auf Managementebene wird hingegen kaum verfolgt Auch ein Monitoring der Wirkung von Ener-gieeffizienzprogrammen ist bislang nicht vorhanden oder

wird zu wenig systematisch betrieben So wird zum Bei-spiel die effektive Energieeinsparung vielfach nicht erfasst und gepruumlft Das tatsaumlchliche Kosten-Nutzen-Verhaumlltnis einzuschaumltzen ist somit schwierig Dass die bestehenden Energieeffizienzprogramme inhaltlich durchaus Anklang finden zeigen Ruumlckmeldungen von Unternehmen die in der Vergangenheit daran teilgenommen haben Die Befrag-ten beurteilen ihre Erfahrungen mehrheitlich positiv Aus Sicht der Unternehmen lagen die Energieeinspar effekte im Bereich der Erwartungen Viele wuumlrden nochmals an einem solchen Programm teilnehmen was die oben ge-nannten Versaumlumnisse umso bedauerlicher macht

Wirksamkeit verbessernWie koumlnnen KMU zum Energiesparen motiviert werden Aus Marketingsicht beinhaltet ein sinnvolles Programm eine segmentspezifische Kundenansprache die den laquoReifegradraquo (Wissen Einstellungen und Verhalten) eines Unternehmens in Bezug auf Energieeffizienz beruumlcksich-tigt Zweitens braucht es eine klare Kundenbeziehungs-strategie welche eine wiederholte Teilnahme zum Ziel hat Bei den Anreizen einzig die finanziellen Aspekte wie etwa erwartete Kostensenkungen oder Foumlrderbeitraumlge hervor-zuheben scheint wenig erfolgversprechend Der Fokus wird in Zukunft wohl vermehrt darauf liegen denjenigen Nutzen hervorzuheben der nicht direkt den Energiever-

Rolf RellstabRolf Rellstab ist wissenschaftlicher Mit-arbeiter und Projektleiter am Institut fuumlr Marketing Management der ZHAW School of Management and Law Seine Arbeits-schwerpunkte liegen im Bereich Kommuni-kation Kundenbeziehungsmanagement und B-to-B-Marketing

Projektziel und VorgehensweiseIm ZHAW-Projekt laquoNegawatt statt Megawattraquo werden optimierte Vorgehensweisen entwickelt um KMU mit einem jaumlhrlichen Strom-verbrauch zwischen 10 und 500 MWh zum Energiesparen zu moti-vieren Der Begriff laquoNegawattraquo bezeichnet die eingesparte Energie die zu virtuellen Negawatt-Kraftwerken kombiniert wird So wird anschaulich aufgezeigt wie viel Energie dank diesen Einsparungen weniger produziert werden muss Das Projekt beinhaltet eine interna-tionale Literaturstudie zu den Erfolgsfaktoren und Hemmnissen von Energieeffizienzprogrammen eine Umfrage bei Anbietern solcher Programme sowie eine Befragung von KMU Aus den Ergebnissen dieser drei Teilstudien werden Hypothesen im Hinblick auf ein idea-les Energieeffizienzprogramm abgeleitet In einem Folgeprojekt sol-len die Hypothesen im Rahmen eines Pilotprogramms uumlberpruumlft und weiterentwickelt werden Das Projekt wird durch den WWF Schweiz die Stiftung Pro Evolution das Bundesamt fuumlr Energie (BFE) und die Elektrizitaumltswerke des Kantons Zuumlrich (EKZ) unterstuumltzt Weitere In-formationen wwwzhawchnegawatt

laquoEine nachhaltige Verhaltens - aumlnderung bei Mitarbeitenden oder auf Managementebene

wird kaum verfolgtraquo

Wie viel Heizoumll wird jaumlhrlich in Winterthur verbraucht

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Klima im Wandel ndash Emissionsrechte im Handel

Der Klimawandel laumlsst sich anhand des Treibhauseffekts veranschaulichen Die Treibhausgase bewirken dass kurz-welliges Sonnenlicht zur Erdoberflaumlche gelangt verhindern jedoch dass langwellige Waumlrmestrahlung von der Erde nach aussen dringt Somit kann die Waumlrme nicht mehr entweichen und die Temperatur steigt Der Ausstoss von Treibhausgasen die vor allem bei der Verbrennung von fossilen Energietraumlgern wie Kohle Gas und Oumll entstehen hat seit der industriellen Revolution stark zugenommen und den natuumlrlichen Treibhauseffekt verstaumlrkt Eine Zunahme der Haumlufigkeit und Intensitaumlt meteorologischer und hydro-logischer Grossereignisse wie Stuumlrme und Uumlberschwem-mungen sind die Folge ndash mit gravierenden oumlkologischen oumlkonomischen und sozialen Konsequenzen

Der 2013 veroumlffentlichte Bericht der internationalen Exper-tengruppe Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zeigt auf dass die globale Durchschnittstempera-tur in den letzten 130 Jahren um 085deg Celsius gestiegen

Der Klimawandel findet nicht in ferner Zukunft sondern bereits jetzt statt Um ihn fuumlr Mensch und Umwelt auf einem ertraumlg-lichen Niveau zu stabilisieren muumlssen die Treibhausgas-emissionen reduziert werden Der Emissionshandel soll dazu beitragen sie dort zu mindern wo die geringsten Kosten an-fallen So kann das gesetzte Mengenziel oumlkonomisch effizient erreicht werdenText Regina Betz

ist Ohne Minderungsanstrengungen wird bis 2100 ein mehr als fuumlnffacher Anstieg prognostiziert Um die Treib-hausgaskonzentration in der Atmosphaumlre auf einem fuumlr Mensch und Umwelt akzeptablen Niveau zu stabilisieren muss die Erwaumlrmung bei unter 2deg Celsius stagnieren Da-fuumlr muumlssen laut dem 2014 veroumlffentlichten Bericht des IPCC die globalen Treibhausgasemissionen (THGE) bis 2050 gegenuumlber 2010 mindestens halbiert und bis 2100 um rund 100 Prozent reduziert werden 1997 hat sich die internationale Staatengemeinschaft im Kyoto-Protokoll fuumlr die Jahre 2008 bis 2012 erstmals auf voumllkerrechtlich ver-bindliche Ziele fuumlr den Ausstoss von THGE in den entwi-ckelten Laumlndern geeinigt aktuell finden Verhandlungen fuumlr die Festlegung neuer Ziele statt

Cap and TradeZur Zielerreichung sieht das Kyoto-Protokoll unter ande-rem den Emissionshandel auf Staatenebene vor Zahl-reiche Laumlnder wenden dieses Instrument aber haumlufiger auf Unternehmensebene an Das Grundprinzip ist einfach Die Houmlchstmenge (Cap) an erlaubten Gesamtemissionen wird festgelegt und an die regulierten Unternehmen im Emissions rechtehandelssystem (EHS) verteilt Die Unter-nehmen sind verpflichtet fuumlr jede emittierte Tonne Kohlen-dioxid ein Emissionsrecht einzureichen ansonsten sind Sanktionszahlungen faumlllig Will ein Unternehmen uumlber die ihm zugeteilte Menge hinaus emittieren muss es ein an-deres Unternehmen finden das ihm die benoumltigte Menge an Emissionsrechten verkauft (Trade) Unternehmen mit hohen Minderungskosten werden dabei Emissionsrechte hinzukaufen und Unternehmen mit niedrigen Kosten wer-den ihre Emissionen mindern indem sie etwa Biomasse statt Kohle verbrennen und uumlberschuumlssige Emissions-rechte verkaufen Durch den Handel koumlnnen die erforder-lichen Emissionsminderungen dort realisiert werden wo sie mit den geringsten Kosten verbunden sind Am Markt stellt sich ein Preis fuumlr die Emissionsrechte ein der Ange-bot und Nachfrage zum Ausgleich bringt

So einfach das Prinzip ist so schwierig ist seine Umset-zung Das System bedingt dass die Regierungen Rech-te fuumlr die Nutzung der Atmosphaumlre schaffen die zu einer

Hochschulperspektive

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Hochschulperspektive

Reduktion der Emissionen gegenuumlber einer Referenzent-wicklung fuumlhren dem sogenannten Business-as-usual-Szenario Doch die Abschaumltzung dieses Szenarios also der Entwicklung der Emissionen ohne Mengenbegren-zung ist schwierig wie die nachfolgenden Ausfuumlhrungen zum Emissionshandel in der EU zeigen

Der Emissionshandel in der EUDas EU-EHS ist der weltweit groumlsste Markt von Emissions-rechten Alle 28 EU-Staaten sowie Liechtenstein Island und Norwegen sind daran beteiligt Die Schweiz wuumlrde sich gerne anschliessen Das EU-EHS leidet seit seiner Einfuumlhrung im Jahr 2005 unter einem Uumlberangebot das sich mittlerweile auf rund 2 Milliarden Emissionsrechte be-laumluft Dies entspricht ungefaumlhr den vom System regulierten Emissionen eines Jahres Neben den unvorhergesehenen oumlkonomischen Entwicklungen durch die globale Finanz-krise traumlgt auch der starke Zubau an erneuer baren Ener-gien zu einem houmlheren Ruumlckgang der Emissio nen bei als geplant Der Hauptgrund fuumlr den derzeitigen Uumlberschuss liegt jedoch darin dass die regulierten Unternehmen ne-ben den Europaumlischen Emissionsrechten ndash European Union Allowances (EUAs) ndash auch auslaumlndische Emissions-minderungszertifikate ndash Certified Emission Reductions (CERs) ndash zu einem bestimmten Anteil anrechnen koumlnnen Mit dem sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) koumlnnen Industrienationen in Entwicklungslaumlndern emissionsmindernde Projekte finanzieren und sich die da-bei entstehenden THGE-Reduktionen mithilfe von CERs anrechnen lassen

Durch diese verschiedenen Faktoren hat sich ein Uumlberan-gebot entwickelt das den Preis der EUAs und CERs stark sinken liess Der Preis belaumluft sich derzeit auf rund fuumlnf Euro pro EUA Die bisherigen Reformanstrengungen wie etwa das sogenannte Backloading das Verschieben von Auktionen in spaumltere Jahre um die Menge zu verknappen haben bisher kaum zu einer Preiserhoumlhung gefuumlhrt

Die Schweiz als PreishochburgDer Schweizer Markt wuumlrde bei einem Zusammen-schluss nur rund 03 Prozent des EU-EHS ausmachen

Die Schweiz wuumlrde somit als Preisnehmerin agieren Das heisst der EU-Preis sollte auch in der Schweiz gelten Umso erstaunlicher ist es daher dass der Schweizer Preis pro Emissionsrecht derzeit bei rund 40 Franken liegt ob-wohl die Verbindung des Schweizer EHS mit dem EU-EHS geplant ist (sogenanntes Linking) Das auf der Basis des revidierten CO2-Gesetzes von 2012 und der CO2-Verord-nung verabschiedete System das den Emissionshandel am 1 Januar 2013 fuumlr 38 Unternehmen beziehungsweise 55 Anlagen in der Schweiz verbindlich eingefuumlhrt hat uumlber-nimmt weitestgehend die Regeln des EU-EHS Das neue System hat das bisherige freiwillige EHS in der Schweiz abgeloumlst Die im EHS erfassten Unternehmen sind von der CO2-Abgabe befreit Die hohe Kompatibilitaumlt des Schwei-zer EHS und des EU-EHS sollte ein schnelles Linking er-moumlglichen wobei die Verhandlungen durch die Annahme der Einwanderungsinitiative zum Stillstand gekommen sind Ein moumlglicher Erklaumlrungsansatz ist daher dass der hohe Preisunterschied die derzeitige Unsicherheit uumlber den Ausgang der Linking-Verhandlungen widerspiegelt Gehen die Schweizer Unternehmen davon aus dass kein Linking stattfindet sollte sich der Preis anhand der Minderungs-kosten und der Knappheit im Schweizer EHS bilden Fuumlr die Unternehmen ist es immer noch guumlnstiger den der-zeitigen Preis von 40 Franken fuumlr die Emissionsrechte zu bezahlen als eine Busse von 125 Franken pro fehlendes Emissionsrecht Zusaumltzlich zur Busse ist das Unternehmen verpflichtet die fehlenden Rechte im naumlchsten Jahr nach-zureichen Auch hier hat sich die Schweiz stark am EU-EHS orientiert bei dem die Busse bei 100 Euro pro EUA plus Wiedergutmachung liegt

Allokation beeinflusst den WettbewerbDie Gesamtmenge an Emissionsrechten (Cap) leitet sich aus den historischen Emissionen der teilnehmenden EHS-Unternehmen ab Fuumlr bestehende Anlagen die bereits vor 2013 am EHS in der Schweiz beteiligt waren setzt sie sich aus der Summe der durchschnittlich zugeteilten Emis-sionsrechte der ersten Verpflichtungsperiode (2008 bis 2012) zusammen fuumlr Anlagen die 2013 hinzukommen aus der Summe der durchschnittlichen Emissionen der

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fuumlr neue Anlagen in einer Reserve zuruumlckbehalten deren Uumlberschuumlsse zweimal jaumlhrlich versteigert werden Die Zu-teilung der Emissionsrechte hat etwas laumlnger gedauert so-dass sie in der Schweiz fuumlr die Jahre 2013 und 2014 erst im Februar 2014 erfolgte Das mag auch einer der Gruumlnde sein dass bisher kein Handel auf dem Sekundaumlrmarkt fuumlr den die Berner Kantonalbank eine eigene Emissions-handelsplattform bereitgestellt hat stattgefunden hat Das erste Preissignal war deshalb die Auktion der Uumlberschuumls-se aus der Neuemittentenreserve Diese fand vom 14 bis 21 Mai 2014 statt und erzielte fuumlr die 150 000 Emissions-rechte einen Preis von 4025 Franken pro Emissionsrecht

Wie sich die Liquiditaumlt im Schweizer Markt in Zukunft ent-wickeln wird und ob ein Linking mit dem EU-EHS und so-mit eine Angleichung der Schweizer Preise an die EU-EHS-Preise stattfinden wird bleibt abzuwarten Letzteres waumlre zwar aus oumlkonomischer Sicht zu begruumlssen da ein groumls-serer liquider Markt mit einheitlichem Preissignal als effizi-enter bewertet wird Aus oumlkologischer Sicht scheint jedoch ein Linking der Systeme ohne weitere Reformen des EU-EHS nicht wuumlnschenswert da es die Minderungsanreize in der Schweiz als Folge des Angebotsuumlberschusses an Emissionsrechten in der EU massiv reduzieren wuumlrde

Jahre 2009 bis 2011 Diese Summe wird jaumlhrlich um 174 Prozent reduziert analog der Regelung im EU-EHS

Neben der Festlegung der Obergrenze ist die Ausgestal-tung der Zuteilungsregeln politisch am schwierigsten da diese Verteilungswirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussen Bis 2012 wurden die Emissionsrechte in der EU daher groumlsstenteils kostenlos zugeteilt Seit 2013 werden rund 48 Prozent der Emissionsrechte versteigert wobei diese vor allem von Elektrizitaumltsfirmen gekauft wer-den muumlssen Da diese nicht im internationalen Wettbewerb

stehen konnten sie den Preis der gratis erhaltenen Emis-sionsrechte an die Elektrizitaumltskonsumenten weitergege-ben und hohe Gewinne erzielen Unternehmen aus Sek-toren die im internationalen Wettbewerb stehen koumlnnen hingegen die Kosten fuumlr die Emissionsrechte nicht an ihre Endkunden weitergeben ohne betraumlchtliche Nachteile in Kauf zu nehmen Es besteht daher das Risiko dass diese Firmen in Laumlnder ohne Klimapolitik abwandern Um dieses Risiko zu senken erhalten Unternehmen bei denen ein Risiko auf Abwanderung besteht auch in Zukunft weitest-gehend kostenlos Emissionsrechte zugeteilt Die Zuteilung basiert dabei auf sogenannten Benchmarks (Tonne Koh-lendioxid pro Tonne Produkt) die auf der Basis der effizi-entesten 10 Prozent der Unternehmen berechnet und mit historischen Produktionsdaten multipliziert werden

Noch kein Handel in der SchweizDie Schweiz hat die Benchmarks des EU-EHS uumlbernom-men Da in der Schweiz vor allem stark im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen aus den Sektoren Zement Papier Chemie Stahl und Raffinerien unter den Emissionshandel fallen werden fast alle Emissionsrechte kostenlos zugeteilt Ein kleiner Anteil von 5 Prozent wird

Regina BetzDr Regina Betz ist Dozentin fuumlr Energie- und Umweltoumlkonomie an der ZHAW School of Management and Law Seit 2014 leitet sie den volkswirtschaftlichen Teil der Ener-gy Policy Analysis Group des Zentrums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht das Mitglied des Schweizer Competence Centers for Research in Energy Society and Transition (CREST) ist Zuvor lehrte sie an der University of New South Wales Australia Umwelt- und Klimaoumlkonomie und leitete als Co-Direktorin das Centre for Energy and Environmental Markets (CEEM) 1998 bis 2004 arbeitete sie als Wissenschaftlerin am Fraunhofer-Institut fuumlr System- und Innovationsforschung ISI in Deutschland

laquoNeben der Festlegung der Ober grenze ist die Ausgestaltung der Zuteilungsregeln politisch am

schwierigsten da diese Verteilungs wirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussenraquo

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nicht vollstaumlndig genutzt werden kann In der Energiestra-tegie des Bundes ist gemaumlss einem Szenario bis 2050 ein Zubau auf knapp 12 TWh pro Jahr Stromproduktion aus Fotovoltaik angedacht Dies bedingt den Bau von Fotovol-taikanlagen mit einer installierten Spitzenleistung von etwa 12 Gigawattpeak (GWp) und einem Flaumlchenbedarf von rund 84 000 000 Quadratmetern Dieser Flaumlchenbedarf ist auf den bestehenden Daumlchern in der Schweiz verfuumlgbar

An einem schoumlnen Sommertag koumlnnen diese Anlagen dann also etwa 12 GW erzeugen die maximale Ver-brauchslast liegt im Sommer aber nur bei rund 8 GW Es entsteht ein Uumlberschuss von 4 GW die Speicherleistung der Schweizer Pumpspeicheranlagen betraumlgt heute aber nur 15 GW 25 GW Leistung koumlnnen in diesem Szenario also gar nicht genutzt werden An einem Wintertag mit Hochnebel erzeugen diese Anlagen uumlberhaupt keinen Strom die Verbrauchslast liegt aber mit 10 GW noch houml-her als im Sommer Hier entsteht eine Luumlcke die mit ande-ren Energieformen oder Importen gedeckt werden muss

Speichern uumlbertragen oder einsparenUm diesem Problem zu begegnen gibt es verschiedene Loumlsungsansaumltze Ein Ansatz ist die Energie lokal dort zu speichern wo sie erzeugt aber nicht sofort verbraucht werden kann In diesem Fall werden in erster Linie viele kleine Speichermodule benoumltigt die sowohl fuumlr kurz- als auch langfristigen Ausgleich sorgen muumlssen Eine andere Moumlglichkeit ist es die Energie an Orte zu uumlbertragen wo sie sofort verbraucht wird dann muss in erster Linie das Netz ausgebaut werden Schliesslich koumlnnte Energie auch zentral zu grossen Speichern transportiert werden was sowohl einen Netzausbau als auch neue Speichertechno-logien bedingen wuumlrde

Als die Gesellschaft noch aus Jaumlgern und Sammlern be-stand verbrauchte der Mensch seine Energie lokal dort wo er sie benoumltigte Er lebte von der Hand in den Mund Im Zuge der aufkommenden Landwirtschaft musste er Methoden entwickeln um Nahrung haltbar zu machen und sie zu transportieren Vor demselben Problem steht heute die Energiewirtschaft Ort und Zeit der erneuerbaren Energieerzeugung korrelieren je laumlnger je weniger mit dem Verbrauch Die Herausforderung der Energiewende ist deshalb nicht nur die Produktion selbst sondern auch die Uumlbertragung die Speicherung und das lokale Verbrauchs-last-Management

Saisonale Speicherung problematischMit dem Ausstieg aus der Kernenergie muumlssen in der Schweiz etwa 40 Prozent der produzierten elektrischen Energie ersetzt werden also rund 23 Terawattstunden (TWh) pro Jahr Im Gegensatz zur Kernenergie haben die neuen erneuerbaren Energien den Nachteil dass ihre Pro-duktion nicht steuerbar ist und unregelmaumlssig anfaumlllt Der Kapazitaumltsfaktor also das Verhaumlltnis von durchschnittlicher zu maximaler Leistung betraumlgt bei konventionellen Kraft-werken bis zu 100 Prozent bei Fotovoltaikanlagen dage-gen nur etwa 10 Prozent Hinzu kommen die starken saiso-nalen Schwankungen dieser stochastisch erzeugenden Energiequellen Im Winter liegt die Stromverbrauchsspitze mit circa 10 Gigawatt (GW) rund ein Drittel houmlher als im Sommer gleichzeitig liefern Fotovoltaikanlagen aufgrund des flacheren Einstrahlungswinkels und der kuumlrzeren Son-nenscheindauer wesentlich weniger Strom als im Sommer

Anhand eines Gedankenexperiments laumlsst sich veran-schaulichen dass das Potenzial der neuen erneuerbaren Energien ohne zusaumltzliche Speicher oder steuerbare Lasten

Energie haltbar machen

Der Ausbau von erneuerbaren Energiequellen geht so schnell voran dass Speicher- und Uumlbertragungstechnologien kaum mithalten koumlnnen Um Produktionsspitzen zu glaumltten braucht es Fortschritte in der EnergietechnikText Petr Korba

Hochschulperspektive

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Petr KorbaProf Dr Petr Korba ist Dozent und Fach-gruppenleiter fuumlr elektrische Energietechnik und Smart Grids an der ZHAW School of En-gineering Zuvor forschte er uumlber zehn Jahre bei ABB Schweiz in den Bereichen Automa-tion Energie- und Regelungstechnik

Scherrer Institut an der Power2Gas-Technologie Dabei wird Kohlendioxid mit Strom aus erneuerbaren Quellen durch Elektrolyse zu Wasserstoff oder weiter zu Methan verarbeitet Aumlhnlich wie bei der Nahrungsmittelproduktion wo Staumlrke schliesslich als raffinierter Zucker gespeichert wird gibt es auch bei der Stromspeicherung immer raffi-niertere Formen Bei jeder Umwandlung geht aber Energie verloren Man muss sich also gut uumlberlegen ob man uumlber-haupt speichern will und wenn ja uumlber welchen Zeitraum

Mit der wachsenden Integration von erneuerbaren Energi-en steigen auch die Anforderungen an die Energietechnik Unser kuumlnftiges Energiesystem wird staumlrker automatisiert und intelligenter sein Um erneuerbare Energiequellen zu integrieren werden Informations- und Kommunikations-technologien Automatisierungs- und Regelungstechnik Signalverarbeitung oder Wettervorhersagen immer wich-tiger In den intelligenten Stromnetzen der Zukunft wer-den alle beteiligten Komponenten Daten wie den aktuellen Verbrauch verfuumlgbare Strommengen oder lokale Aus-faumllle melden und gleichzeitig solche Daten aus anderen Netzkomponenten empfangen Das daraus resultierende Smart Grid ist ein Gefuumlge das selbststaumlndig auf diese Ein-fluumlsse reagiert und seine eigene Effizienz optimiert Es gilt Energie effizienter zu uumlbertragen um raumlumliche Distanzen zu uumlberwinden und neue Speichertechnologien zu entwi-ckeln um zeitliche Engpaumlsse zu uumlberbruumlcken Elektrische Energie kann auf verschiedene Arten erzeugt gespei-chert und uumlbertragen werden Jede Art hat ihre Vor- und Nachteile und ihren Preis Anreize aus der Politik werden schliesslich entscheiden welche Formen dies in der Zu-kunft sein werden

Auf der Verbraucherseite laumlsst sich die Nutzlast durch ge-eignetes Last-Management anpassen Diese Steuerung schaltet verbrauchsintensive Anlagen in Unternehmen gewerblichen Betrieben und Haushalten gezielt dann ein wenn die Stromtarife guumlnstig sind Es duumlrfte aber schwie-rig sein der Bevoumllkerung vorzuschreiben wann sie zum Beispiel fernsehen oder kochen darf Eine intelligente Re-gelung von grossen Kuumlhlhaumlusern stoumlrt dagegen nieman-den Trotz solchen Bestrebungen geht die International Energy Agency (IEA) davon aus dass der Stromverbrauch weltweit jaumlhrlich um rund 1 Prozent zunimmt Diese Ten-denz verstaumlrkt sich voraussichtlich noch falls sich der Bereich Mobilitaumlt von fossilen Energietraumlgern hin zur Elek-tromobilitaumlt verschieben wird Die Geschichte hat gezeigt dass der Energieverbrauch eigentlich nur in Krisenzeiten zuruumlckgeht

Klar ist jedenfalls dass der Ausbau von Speichern und Netzen Hand in Hand mit der zunehmenden Integration von erneuerbaren Energiequellen erfolgen muss Auf unter-schiedlichen Netzebenen kommen unterschiedliche Spei-chertechnologien zum Einsatz Waumlhrend fuumlr Haushalte mit kleinen Fotovoltaikanlagen und im Niederspannungsnetz bereits Batteriespeicher vorhanden sind stossen diese bei mehr als einer Windturbine oder groumlsseren Solarparks schnell an ihre Grenzen Das groumlsste Batterieenergie-speichersystem der Schweiz betreiben die Elektrizitaumlts-werke des Kantons Zuumlrich in Dietikon Es hat 1 Megawatt (MW) maximale Speicherleistung und kann diese waumlhrend ungefaumlhr 15 Minuten abgeben respektive speichern Die Spitzenlast im Schweizer Hochspannungsnetz liegt aber bei 8 GW im Sommer und 10 GW im Winter Die Schwei-zer Pumpspeicherkraftwerke koumlnnen unseren Strombe-darf nur etwa einen Monat lang decken Das europaumlische Hochspannungsnetz verfuumlgt uumlber eine Spitzenlast von circa 500 GW Um die Leistung von Grosskraftwerken wie Offshore-Windparks langfristig zu speichern braucht es neue Technologien

Raffinierte EnergiespeicherungDafuumlr forscht die ZHAW School of Engineering gemein-sam mit der ETH Zuumlrich der EPF Lausanne und dem Paul

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Hochschulperspektive

Dissonanz an der Steckdose

Mit der Energiestrategie 2050 haben Bundesrat und Parla-ment eine Kehrtwende in der Schweizer Energiepolitik ein-gelaumlutet der die wichtigsten politischen Huumlrden erst noch bevorstehen Auf den ersten Blick scheint der Kurswechsel breit abgestuumltzt Seit dem Reaktorunfall in Fukushima fuumlh-ren Umfragen immer wieder zum gleichen Ergebnis Der langfristige Ausstieg aus der Kernenergie findet eine Mehr-heit Im Grundsatz stossen erneuerbare Energien sowie Massnahmen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz auf hohe Zustimmung Was fuumlr den Stimmzettel gilt beeinflusst aber nicht automatisch das Konsum- und Investitionsverhalten der Energiekunden Die Bereitschaft aus eigenem Antrieb mehr fuumlr ein oumlkologisch houmlherwertiges Produkt aus neuen erneuerbaren Energietraumlgern zu bezahlen ist beschraumlnkt Nur wenige Haushalte sind zudem bereit ihren Energie- und insbesondere ihren Stromkonsum zu reduzieren wenn dies mit nicht amortisierbaren Investitionskosten oder einem moumlglichen Komfortverlust verbunden ist

Mit anderen Worten Effizienz wird als teuer und Suffizienz als bevormundend empfunden Die private Zahlungsbereit-schaft laumlsst sich zwar mit regulatorischen Interventionen wie fixen Einspeiseverguumltungen oder Investitionssubven-tionen in Effizienzmassnahmen etwas erhoumlhen Doch die Erfahrungen in Deutschland und der Schweiz zeigen dass solche Massnahmen oumlkonomisch ineffizient sind und oft als ungerecht empfunden werden Sie koumlnnen damit zum Bumerang fuumlr die Akzeptanz der energiepolitischen Ziele werden Neben den politischen Huumlrden ist somit auch die kognitive Huumlrde der Konsumenten zu beruumlcksichtigen De-ren Uumlberwindung bedarf zuerst einer differenzierten Analyse der Ursachen und danach der Entwicklung innovativer Ver-triebsmodelle und Produkte auf Versorgerseite

Eine Mehrheit der Bevoumllkerung unterstuumltzt den Ausstieg aus der Kernenergie doch nur wenige beziehen ein oumlkologisches Stromprodukt Warum das so ist und wie sich diese Dissonanz aufloumlsen laumlsst beschaumlftigt derzeit viele EnergieversorgerText Claudio Cometta

Indifferenz uumlberwiegtFuumlr viele Konsumenten ist die Strom- Gas- oder Fern-waumlrmerechnung ein verhaumlltnismaumlssig kleiner Posten im Haushaltsbudget dem wenig Beachtung geschenkt wird Die Schweiz ist sogar einer der Spitzenreiter in Europa machen die Stromkosten im Durchschnitt doch nicht mehr als 2 Prozent der Haushaltsausgaben aus Wenig Beachtung bedeutet auch wenig Kenntnis des Preises und der Menge der bezogenen Energieleistung oder der Zusammensetzung des Tarifs aus Energiekosten Netz-kosten und Abgaben Entsprechend besteht nur ein ge-ringes Interesse Energie und damit Kosten zu sparen Konsumentenbefragungen zeigen zudem dass nur eine kleine Minderheit der Kunden die Zusammensetzung ihres Stromprodukts nach Energietraumlgern kennt Die geringen Kosten und Unkenntnis des Produkts verhindern also die Wahl anderer Stromprodukte Strom ist ein klassisches Commodity-Produkt Man kann ihn weder sehen noch riechen Er ist verhaumlltnismaumlssig guumlnstig immer verfuumlgbar und aumlndert in keinerlei Hinsicht seine Eigenschaften wenn dafuumlr mehr bezahlt wird Zudem ist meist nicht sichtbar wer wie viel von welchem Produkt bezieht Der Strom-konsum ist Privatsache

Uumlberwindung durch VertriebsmodelleDie Vorgaben der Energiestrategie 2050 beinhalten nicht nur einen massiven Zubau der Produktionskapazitaumlt aus erneuerbaren Energietraumlgern sondern auch die kon-tinuierliche Reduktion des Energie- und insbesondere des Stromkonsums pro Kopf Die direkte Finanzierung der dazu notwendigen Investitionsvorhaben scheint an-gesichts der Indifferenz auf Konsumentenseite jedoch schwierig Aus diesem Grund sind mehrere Schweizer

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rund um Haushaltstechnik Sicherheit Pflege oder Kom-munikation sowie ein geschicktes Marketing mit Elemen-ten der sozialen Kontrolle Denkbar sind auch Anreize die keinen direkten Zusammenhang mit dem Energiekonsum aufweisen aber fuumlr breite Bevoumllkerungsgruppen attrak-tiv sind So haben etwa einzelne skandinavische Versor-ger damit begonnen energiesparendes Verhalten ihrer Kunden mit Verguumlnstigungen fuumlr die Nutzung oumlffentlicher Transportmittel zu belohnen

Uumlberwindung durch PartizipationDie wohl wirkungsvollste Massnahme zur Uumlberwindung der Dissonanz an der Steckdose ist bereits inhaumlrent in der Transformation des Energiesystems hin zu einer staumlrker dezentralen Erzeugung angelegt Kunden entwi-ckeln sich von passiven Leistungsempfaumlngern zu aktiven Leistungserbringern sogenannten Prosumern Als Klein-produzenten von Strom mit einer hauseigenen Fotovol-taikanlage oder thermischer Speicherleistung mit Kraft-Waumlrme-Kopplungsanlagen im Mikroformat werden sie mittelfristig wesentlich zum Umbau des Energiesystems und zu den Zielen der Energiestrategie beitragen koumlnnen Eine nicht ganz unbedeutende Rolle koumlnnten in Zukunft sogenannte Buumlrgerbeteiligungsmodelle fuumlr die Finanzie-rung neuer In frastrukturprojekte spielen Diese wuumlrden gleichzeitig die Akzeptanz sichtbarer Produktionsanlagen von neuen erneuerbaren Energien erhoumlhen Doch erst wenn das Produkt Strom nicht mehr als reines Commodity-Produkt wahrgenommen wird werden politische Meinung und Konsumverhalten bei einer Mehrheit der Stimmbuumlrger uumlbereinstimmen

Energieversoger in letzter Zeit dazu uumlbergegangen soge-nannte Default-Modelle einzufuumlhren die Stromprodukte aus erneuerbaren Quellen zum neuen Standard erheben Dabei macht man sich die Traumlgheit der Kunden zunutze indem die Wahl eines Stromprodukts aus nicht erneuer-baren Energietraumlgern als Option definiert wird die aktiv bestellt werden muss

Nicht zuletzt aufgrund solcher Modelle ist die Zahl der Schweizer Haushalte die ein Stromprodukt aus aus-schliesslich erneuerbaren Energien beziehen auf uumlber 25 Prozent gestiegen Doch weitere Vertriebsinnovationen werden notwendig sein etwa um der Herausforderung der Einspeisung von Strom aus fluktuierend nutzbaren Quellen (Solar- und Windenergie) in die Verteilnetze gewachsen zu sein die immer staumlrker ins Gewicht faumlllt In der Folge gilt es Investitionen in Netz- und Speichersysteme zu finan-zieren In innovativen Vertriebsmodellen welche dieser Herausforderung gerecht werden erhaumllt das Konsumver-halten einen Wert Zeitliche Flexibilitaumlt wird belohnt durch Tarifreduktion Bonus oder Vermeidung einer Gebuumlhr Wie diese beiden Beispiele zeigen laumlsst sich der Mehrwert von vermeintlichen Commodity-Produkten durch neue Vertriebsmodelle abschoumlpfen und als marktwirtschaftlich vertraumlglicher Finanzierungsmechanismus fuumlr neue Infra-strukturvorhaben im Energiesektor nutzen

Uumlberwindung durch innovative ProdukteNoch groumlsseres Potenzial birgt die Weiterentwicklung von Stromprodukten zu Leistungssystemen die fuumlr Energie-kunden einen echten Mehrwert bieten Hierzu gehoumlrt die Verknuumlpfung des Kernprodukts Strom mit Dienstleistun-gen die den Kunden ein transparenteres Verbrauchsver-halten sowie Kostenoptimierung ermoumlglichen Intelligente Stromzaumlhler sogenannte Smart Meter kombiniert mit fle-xiblen Tarifen und einem einfachen Feedback- und Steuer-system sind die Voraussetzung um zumindest oumlkologisch sensibilisierten oder kostenbewussten Endkunden einen Effizienzeffekt zu ermoumlglichen Damit solche Leistungs-systeme aber fuumlr die grosse Gruppe der Indifferenten interessant werden braucht es weitere Mehrwerte Dazu gehoumlren die Verknuumlpfung mit intelligenten Anwendungen

Claudio ComettaDr Claudio Cometta ist Dozent fuumlr Innovation und Entrepreneurship an der ZHAW School of Management and Law Er koordiniert den Aufbau des nationalen Energie-Kompetenz-zentrums SCCER 5 an der ZHAW

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Die Energiewende stellt die Energieversorgungsunternehmen in der Schweiz vor grosse Herausforderungen Das Beispiel von Stadtwerk Winterthur zeigt wie die Branche auf den Paradig-menwechsel reagiertText Florian Wehrli

Von den Anfaumlngen als laquoWinterthurer Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtungraquo vor uumlber 150 Jahren bis zum modernen Querverbundunternehmen hat sich Stadtwerk Winterthur kontinuierlich weiterentwickelt Seine Aufgabe ist aber gemaumlss Direktor Markus Saumlgesser weitgehend dieselbe geblieben die Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung zu verbes-sern So bietet das staumldtische Versorgungsunternehmen neben klassischen Produkten wie Wasser Strom Gas oder Kehrichtentsorgung und Abwasserreinigung heute auch Fernwaumlrme Haustechnik Glasfasernetz und Ener-gie-Contracting an Die Ausdehnung auf neue Geschaumlfts-bereiche will der Direktor aber nicht als Reaktion auf die Liberalisierung des Energiemarkts verstanden wissen laquoWir begegnen der Marktoumlffnung proaktiv und wollen die sich bietenden Chancen aktiv nutzenraquo

Lokales Potenzial ausgeschoumlpftIm liberalisierten Markt hat das staumldtische Versorgungs-unternehmen mit dem Monopol auf sein Energieversor-gungsnetz von gesamthaft mehr als 2 500 Kilometern einen Vorteil Dessen Unterhalt ist nach wie vor eine der Hauptaufgaben Im Gegensatz zu anderen Energieversor-gern betreibt Stadtwerk Winterthur naumlmlich einen verhaumllt-nismaumlssig geringen Anteil an eigenen Produktionsanlagen Das Flaggschiff ist die wohl modernste Kehrichtverwer-tungsanlage der Schweiz laquoMit dem Umbau konnten wir 2013 den Wirkungsgrad der Anlage um einen Drittel stei-gern und die Abluft gehoumlrt zu den saubersten weltweitraquo sagt Markus Saumlgesser Heute deckt die KVA 20 Prozent des Winterthurer Strom- und 12 Prozent des Waumlrmebe-darfs ab Auf solchen Lorbeeren ausruhen will sich Stadt-werk Winterthur aber nicht laquoWir wollen mithelfen eine nachhaltige Energiewirtschaft aufzubauenraquo Mittelfristig soll

die Haumllfte des Stromangebots aus erneuerbaren Quellen stammen laquoDas ist ein ehrgeiziges Zielraquo sagt Saumlgesser laquowir sind aber auf gutem Weg dazuraquo

Rund die Haumllfte des Rahmenkredits von 90 Millionen Franken fuumlr erneuerbaren Strom den das Winterthurer Stimmvolk 2012 bewilligt hat ist bereits investiert Im Bereich Fotovoltaik ist die Planung der groumlssten Anlagen abgeschlossen etwa auf den Daumlchern der Eishalle oder des Busdepots Eine aktuelle Windpotenzialstudie zeigt fuumlr Winterthur nur wenige moumlgliche Standorte auf zumal die Bewilligung solcher Anlagen mit grossem buumlrokratischem Aufwand verbunden sei Mit diversen Nahwaumlrmever-buumlnden nutzt Stadtwerk Winterthur auch Holzabfaumllle bereits sehr effizient Aber auch dieser Energietraumlger ist in Winterthur beschraumlnkt vorhanden Das letzte Projekt das Holz aus dem Winterthurer Stadtwald einsetzen wird ist in der Aufbauphase Studien im Bereich Wasserkraft haben gezeigt dass abgesehen von einem Kleinwasser-kraftwerk an der Toumlss in der Region kaum Potenzial vor-handen ist

Investitionen im AuslandlaquoDiese aufwendige Aufbauarbeit soll nicht zur Regel wer-denraquo sagt Markus Saumlgesser laquoDas limitierte Energiepoten-zial in der Schweiz und die beschwerlichen Instanzenwe-ge fuumlr Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie lassen uns deshalb vermehrt im Ausland investierenraquo 2012 be-teiligte sich das Stadtwerk mit 12 Millionen Franken am Kleinkraftwerk Birseck AG das Kleinwasserkraftwerke und Foto voltaikanlagen in der Schweiz und in Frankreich be-treibt 2013 folgte eine Beteiligung in der Houmlhe von 25 Mil-lionen Franken an der Swisspower Renewables AG die in

Vom Versorger zum Dienstleister

Unternehmensperspektive

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sein glaubt er aber nicht daran dass der Stromverbrauch insgesamt zuruumlckgehen wird laquoDafuumlr ist der Marktpreis zu niedrig Aus serdem wird Strom im Bereich Waumlrme und Mobilitaumlt einen Grossteil der fossilen Energietraumlger ersetzen muumlssenraquo Damit der geplante Verbrauchsruumlck-gang dennoch gelingt will der Bund Anreize schaffen Mit sogenannten weissen Zertifikaten will er die Versor-ger be lohnen wenn sie ihre Kunden zu einem geringeren Energie verbrauch bewegen In Grossbritannien Italien und Frankreich sind solche Modelle bereits im Einsatz Markus Saumlgesser sieht dieser Entwicklung mit gemischten Gefuumlh-len entgegen laquoWir haben bereits vor der Reaktorkatastro-phe in Fukushima auf Energieeffizienz gesetzt und konn-ten uns dadurch profilieren Weil die Politik nun eingreift und den Markt uumlbersteuert bleibt uns als Unternehmen weniger Spielraum um uns zu positionierenraquo

Windkraftanlagen im angrenzenden Ausland investiert Fuumlr die Beschaffung von Strom am freien Markt ist das Stadtwerk eine Zusammenarbeit mit der Trianel GmbH in Aachen ndash einer der fuumlhrenden Stadtwerke-Kooperationen in Europa ndash eingegangen Damit sollen insbesondere der Zugang zum Grosshandelsmarkt sowie die Marktfor-schung sichergestellt werden Denn um Kunden nachhal-tige Energieprodukte verkaufen zu koumlnnen muss man ihre Beduumlrfnisse genau kennen

Anreize fuumlr geringeren VerbrauchDie Strategie scheint aufzugehen laquoSeit der Einfuumlhrung der neuen Stromprodukte Anfang 2013 haben wir den Absatz von erneuerbarer Energie in Winterthur verdop-pelt und denjenigen von Oumlkostrom sogar vervierfachtraquo so Saumlgesser Trotz dem steigenden oumlkologischen Bewusst-

Gemaumlss seinem Leitbild soll Stadtwerk Winterthur mit einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der soziashylen Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Bild Michael Lio

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Ausgliederung aus der StadtverwaltungAuch auf kommunaler Ebene ist Stadtwerk Winterthur von den politischen Rahmenbedingungen abhaumlngig ndash mit allen Vor- und Nachteilen Die politischen Kurswechsel in den vorgesetzten Gremien seien hinderlich bei der Umsetzung der Strategie des Unternehmens laquoWir taumltigen Investitio-nen mit einem Planungshorizont von mehreren Jahrzehn-tenraquo sagt Markus Saumlgesser laquoin der Politik wird dagegen in Amtsperioden von vier Jahren gedachtraquo Es gibt deshalb Bestrebungen das Stadtwerk aus der Stadtverwaltung auszugliedern und einem langfristig operierenden Steue-rungsgremium zu unterstellen Bei der Stimmbevoumllkerung geniesst Stadtwerk Winterthur grossen Ruumlckhalt Alleine in den letzten zwei Jahren wurden vier Abstimmungsvor-lagen mit grossem Mehr angenommen darunter Rah-menkredite fuumlr das Energie-Contracting oder erneuerbare Energien laquoEine bessere Legitimation koumlnnen wir uns gar nicht wuumlnschenraquo sagt Markus Saumlgesser

Neue BetriebskulturStrategisch und energiepolitisch werden Dienstleistungen wie das Energie-Contracting fuumlr Stadtwerk Winterthur immer wichtiger laquoWir wollen unserer Kundschaft Waumlr-me oder Kaumllte gleich komfortabel anbieten koumlnnen wie Stromraquo sagt Markus Saumlgesser laquoImmobilienbesitzerinnen und -besitzer sollen sich nicht mehr um den Fuumlllstand ih-res Oumlltanks oder den Termin fuumlr den Kaminfeger kuumlmmern muumlssenraquo Das Energie-Contracting waumlchst stark und macht heute bereits rund 5 Prozent des Umsatzes von Stadtwerk Winterthur aus

Die neuen Geschaumlftsfelder ziehen auch andere Arbeits-kraumlfte an als bisher Verschiedene Betriebskulturen seien in den vergangenen Jahren teilweise parallel gelaufen be-ginnen nun aber langsam zu verschmelzen Ein Beispiel dafuumlr ist die Verknuumlpfung von Smart Metering und dem traditionellen Verteilnetz Elektrizitaumlt Als Voraussetzung fuumlr das Change-Management in der Betriebskultur habe man alle Mitarbeitenden in die Erarbeitung des Unterneh-mensleitbildes involviert Entstanden ist ein Leitbild das Stadtwerk Winterthur dabei unterstuumltzt die Unterneh-mensstrategie umzusetzen Stadtwerk Winterthur soll mit

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

Markus SaumlgesserMarkus Saumlgesser (52) ist diplomierter Ma-schineningenieur ETH und hat ein Nachdi-plomstudium in technischen Betriebswissen-schaften absolviert Seit Anfang 2011 ist er Direktor von Stadtwerk Winterthur Seine bisherige berufliche Taumltigkeit fuumlhrte Markus Saumlgesser nach zwei Jahren Assistenz an der ETH zu einem Ingenieurbuumlro fuumlr Ener-gie- und Haustechnik Waumlhrend dieser rund sechsjaumlhrigen Zeit war er bei anspruchsvol-len Bauprojekten verantwortlich fuumlr die Konzeption und Koordination der technischen Gebaumludeausruumlstung Zudem war er waumlhrend vier Jahren Mitglied der Geschaumlftsleitung Nach zweijaumlhriger Taumltigkeit als Abteilungsleiter in einer groumlsseren Gemeinde wechselte er zum Elek-trizitaumltswerk der Stadt Zuumlrich (EWZ) bei dem er die Abteilung Vertrieb Grosskunden leitete Daneben war Markus Saumlgesser beim EWZ in verschiedene Innovationsprojekte involviert So zeichnete er fuumlr das Projekt laquoStromzukunft Stadt Zuumlrichraquo verantwortlich das wichtige Grundlagen fuumlr die Strategie des EWZ und die Volksabstimmung zur 2000-Watt-Gesellschaft in der Stadt Zuumlrich beisteuerte

Stadtwerk Winterthur in Zahlen (2013)Mitarbeitende 347Nettoinvestitionen 1198 Mio CHFDurchgeleitete Strommenge 5643 Mio kWhUmsatz Strom 93 Mio CHFDurchgeleitete Gasmenge 5295 Mio kWhUmsatz Gas 411 Mio CHFUnternehmensgewinn 109 Mio CHF

einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der sozia-len Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Wann wurden in Winterthur die ersten Strassenlampen mithilfe von Stein-kohle erleuchtet

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Unternehmensperspektive

ckelte Hochspannungsgleichstromschalter sollen zudem sicherstellen dass etwa ein Kurzschluss durch eine hy-perschnelle Abschaltung isoliert und das Netz somit nicht gefaumlhrdet wird Von 14 solchen Schaltsystemen welt-weit stammen 13 von ABB Die hohen Investitionen fuumlr die armdicken Gleichstromkabel rechnen sich da beim Transport viel weniger Strom verloren geht als bei der tradi tionellen Wechselstromtechnik Die Produktelinie ent-wickelt sich zum Renner Sie wird zur Anbindung von So-lar- und Windparks zur Versorgung von Inseln als Ersatz fuumlr Diesel generatoren auf Oumll- und Gasplattformen auf See eingesetzt Oder um Starkstrom vom Festland zu auf dem Meeresboden platzierten ferngesteuerten Foumlrderanlagen fuumlr Gas und Oumll zu leiten ndash wofuumlr ABB auch wartungsfreie Kompressoren liefert damit Kunden wie Statoil und Pet-robras teure Ausfaumllle erspart bleiben

Komplettloumlsungen aus einer HandDank hohem Innovationstempo sind die Divisionen Ener-gietechnik- und Niederspannungsprodukte gut ausgelas-tet Dies gilt ebenso fuumlr die Divisionen Industrie- und Pro-zessautomation Speziell energieintensive Industrien die unter hohem Kostendruck stehen muumlssen ihre Anlagen auf dem neusten Stand halten Dazu zaumlhlen Bergbau Oumll- und Gasindustrie Zellstoff- Papier- und Zementfabriken Chemie- und Pharmafirmen sowie Raffinerien Gefragt sind auch Industrieroboter und schwenkbare dank ABB-Leistungselektronik stufenlos regulierbare Schiffsantrie-be ABB liefert Grosskunden fertige Loumlsungen die hohe Produktivitaumlt und Energieeffizienz gewaumlhrleisten Alles ist aufeinander abgestimmt von der Elektrik uumlber Antriebe Generatoren Roboter Sensoren und Steuerungen bis hin

Zu Beginn des Jahrtausends stand ABB am Abgrund Doch eine neue Fuumlhrungscrew fuumlhrte das Unternehmen aus der Krise sodass die Schweiz inzwischen wieder stolz sein kann auf ihren Industriemulti mit Sitz in Zuumlrich Oerli-kon 2013 erzielte ABB mit rund 148 000 Mitarbeitenden in 100 Laumlndern 42 Milliarden Dollar Umsatz Die renom-mierte US-Universitaumlt MIT zaumlhlt ABB zu den 50 innova-tivsten Unternehmen weltweit Dank 8 000 Ingenieuren in Forschung und Entwicklung und einem Forschungsetat von 15 Milliarden Dollar kann ABB selbst mit Giganten wie Siemens und General Electric mithalten

Innovationen die Technikfans begeisternWas ABB alles macht wissen wohl nur Technikfans Denn der Konzern hat uumlber 70 000 Produkte im Angebot Die 300 ABB-Fabriken liefern taumlglich 15 Millionen Kompo-nenten aus die zu elektrischen Einrichtungen oder in Pro-duktionssteuerungen verbaut werden Aus Kanada etwa kam juumlngst ein Grossauftrag uumlber 400 Millionen Dollar Erneuerbare Energie die auf Neufundland und Labrador gewonnen wird soll ab 2017 via Hochspannungskabel 360 Kilometer nach Westen fliessen um dort 350 000 Haumluser zu versorgen Weltweit gibt es erst 90 solche Gleichstromkabelverbindungen die meist unter der Erde oder auf dem Meeresgrund verlaufen ABB ist mit rund 50 Prozent Anteil Marktfuumlhrer Die futuristisch anmuten-de Technik in den abgeschirmten Hallen wo der Strom vor dem Transport auf Hochspannung transformiert wird erinnert an den Maschinenraum von Raumschiff Enter-prise Ein wichtiges Steuerungselement bilden dabei in Baden Daumlttwil entwickelte und in Lenzburg produzierte Spezialchips die Houmlchstspannung aushalten Neu entwi-

Der schweizerisch-schwedische Technikkonzern treibt an vor-derster Front die Energiewende voran Dafuumlr forscht man bei ABB intensiv zu erneuerbaren Energien schlauen Stromnetzen sowie hocheffizienten Industrieanlagen Einzig die schwache Nachfrage nach Energieanlagen in Europa bremst die ExpansionText Andreas Fluumltsch

Innovativer Treiber der Energiewende

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uumlber weite Strecken in die Ballungsraumlume geleitet werden muss brummt das Geschaumlft In den USA treibt der Oumll- und Gasboom die Nachfrage Nur in Europa harzt das Geschaumlft mit Grossanlagen Weniger Nachfrage belastet die Margen bei Auftraumlgen fuumlr Wind- und Solarfarmen so-wie fuumlr Netzinfrastruktur Die Risiken der oft mehrjaumlhrigen Projekte sind so hoch dass ABB waumlhlerischer sein muss und etwa das Geschaumlft mit Solarloumlsungen zurzeit auf Sparflamme betreibt Dennoch ist ABB immer noch hoch-profitabel nicht zuletzt da die Kosten Jahr fuumlr Jahr um 3 bis 5 Prozent gesenkt werden Aber der erfolgsgewohnte Konzern musste sich 2013 mit 6 Prozent Umsatzplus zu-friedengeben Umso intensiver treibt der neue ABB-Chef Ulrich Spiesshofer die Integration der vorab in den USA fuumlr 10 Milliarden Dollar getaumltigten Zukaumlufe voran Und Spiess-hofer forciert die Zusammenarbeit der Divisionen damit ABB die Unternehmensvision laquoEnergie und Produktivitaumlt fuumlr eine bessere Weltraquo mit moumlglichst vielen eigenen Pro-dukten realisieren kann

zur Leittechnik samt angepasster Software Kleine und mittlere Kunden ordern Komponenten oder Teilsysteme Ein wichtiges Verkaufsargument ist das Sparpotenzial von stufenlos steuerbaren Elektromotoren Nur einer von fuumlnf Motoren hat laut einer Erhebung des Bundes einen Leis-tungsregler der Rest laumluft auf Hochtouren und wird ndash man glaubt es kaum ndash bei Bedarf mit Klappen oder Ventilen mechanisch abgebremst Eine gigantische Verschwen-dung da Industriemotoren laut einer Studie der Schwei-zerischen Agentur fuumlr Energieeffizienz 27 Prozent des Schweizer Stromverbrauchs ausmachen

Europaumlische ZuruumlckhaltungEigentlich muumlsste die Division Energietechniksysteme ebenfalls ausgelastet sein Denn auch die Stromwirtschaft muss ihre Effizienz steigern Schliesslich erfordert die Energiewende einen Totalumbau der auf Verteilung ausge-richteten Netze damit diese unter der Last von Solar- und Windenergie nicht instabil werden Arbeit in Huumllle und Fuumllle fuumlr ABB sollte man meinen Doch der erst zaghafte Auf-schwung in Europa daumlmpft die Nachfrage Erschwerend kommt hinzu dass subventionierte Wind- und Solarener-gie in Europas liberalisiertem Strommarkt den Strompreis in ungeahnte Tiefen druumlckte Die Konkurrenzfaumlhigkeit von Wasser- Gas- und Atomkraftwerken hat gelitten Pump-speicher sind keine Goldesel mehr seit die erneuerbaren Energien die Preisspitzen brechen Entsprechend schie-ben Stromkonzerne wie Alpiq oder RWE Investitionen auf Unsicherheiten rund um den Atomausstieg belasten zu-saumltzlich Die voraussichtlich noch auf Jahre hinaus tiefen Strompreise schmaumllern auch die Faumlhigkeit der Besitzer von Hochspannungs- und Verteilnetzen deren Umruumlstung zu finanzieren hoch verschuldete EU-Staaten fahren die Foumlrderung von Wind- und Solarenergie zuruumlck

Straffe KostenkontrolleABB bekommt den Investitionsstau empfindlich zu spuuml-ren Die Division Energietechniksysteme schreibt seit eini-ger Zeit rote Zahlen Zwar ordern Grosskunden aus Asien und Lateinamerika weiterhin kraumlftig Neben China inves-tiert vermehrt auch Indien in neue Stromnetze Uumlberall dort wo die Bevoumllkerung rasch waumlchst oder der Strom

Andreas FluumltschAndreas Fluumltsch war urspruumlnglich Jurist und arbeitete ab 1983 als Journalist fuumlr laquoBlickraquo laquoWeltwocheraquo laquoBilanzraquo und laquoCashraquo Zwischen 1989 und 1990 war er Mitglied der Geschaumlftsleitung von Greenpeace Schweiz anschliessend Hausmann Nach der Ruumlck-kehr in den Journalismus 1992 arbeitete er bei laquoBlickraquo laquoSonntagszeitungraquo und laquoTages- Anzeigerraquo und absolvierte eine Ausbildung zum Boumlrsenhaumlndler Nach der Fruumlhpensio-nierung Ende 2013 machte er sich als Publi-zist selbststaumlndig

ABB in Zahlen (2013)Betriebsertrag 41 848 Mio USDBetriebsergebnis 4 387 Mio USDndash Industrieautomation 1 458 Mio USDndash Niederspannung 1 092 Mio USDndash Prozessautomation 990 Mio USDndash Energietechnik 1 331 Mio USDndash Energiesysteme 171 Mio USD

Mitarbeitende 147 700ndash davon in der Schweiz 6 966

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Hohe Nachfrage nach MinergieDer Erfolg der bisherigen Sparbemuumlhungen bleibt nicht aus laquoTrotz zunehmender Pro-Kopf-Wohnflaumlche und stei-gendem Komfort sinkt der Energieverbrauch fuumlrs Heizen in den letzten Jahrzehnten stetigraquo verkuumlndet der Zuumlrcher Regierungsrat im Energieplanungsbericht 2014 Dazu tra-gen nicht nur die laufend verschaumlrften Gesetze bei Ebenso wichtig ist die Bereitschaft von Bautraumlgerschaften freiwillig Uumlberdurchschnittliches zu leisten Vor allem die Minergie-Regeln werden inzwischen gerne befolgt weshalb Haumluser mit halbiertem Energieverbrauch beinahe Standard sind Schweizweit traumlgt eines von zehn neuen Wohnhaumlusern ein Minergie-Zertifikat Der Anteil an Minergie-Haumlusern im Grossraum Zuumlrich liegt gemaumlss einer Marktanalyse der Universitaumlt Zuumlrich bereits nahe bei 20 Prozent Dies ist privaten Hauseigentuumlmern und institutionellen Investoren zu verdanken Wohn- und Geschaumlftshaumluser mit houmlchster Energieeffizienz gehoumlren inzwischen zum guten Ton Den juumlngsten Beweis liefert eine Immobilienstiftung der Credit Suisse die 70 Millionen Franken in die groumlsste Oumlkosied-lung der Schweiz investiert Im Aargauer Reusstal wohnen seit diesem Jahr rund 200 Familien Paare und Singles deren Wohnhaumluser sich weitgehend selbst mit Sonnen-energie versorgen So klimafreundlich die Energiewende-Architektur ist der Investor erwartet dennoch marktuumlb-liche Renditen Ist der Markt aber bereit oumlkologisches Engagement angemessen zu honorieren

Marktpotenzial fruumlhzeitig erkanntDie Zuumlrcher Kantonalbank (ZKB) beziffert den Mehrwert von Minergie-Haumlusern auf 7 Prozent Kaumlufer seien bereit diesen Aufpreis fuumlr mehr Energieeffizienz zu bezahlen Als weitere Nebeneffekte nennt der vor drei Jahren publizierte ZKB-Bericht eine hochwertige dauerhafte Bausubstanz sowie die Absicherung gegen steigende Oumll- und Energie-preise Fachleute des Immobilienberatungsunternehmens Wuumlest amp Partner (WampP) warnen indes dass sich zusaumltz-liche Investitionen in die Energieeffizienz nicht uumlberall loh-nen laquoRegional schwankt die Zahlungsbereitschaft des Immobilienmarktsraquo praumlzisiert WampP-Partner Ivan Anton Minergie-Haumluser koumlnnen aber nicht nur in abgelegenen Regionen ein Marktrisiko werden laquoMit Ausnahme der

Beim Autokauf wird bevorzugt auf Pferdestaumlrken Be-schleunigung und Innenausstattung geachtet Der CO2-Ausstoss interessiert hingegen kaum So kommt die Energieeffizienz im Strassenverkehr nur stockend voran 1995 schluckten alle neu immatrikulierten Personen-wagen durchschnittlich 9 Liter Benzin pro 100 Kilometer 20 Jahre spaumlter liegt der Durchschnittsverbrauch gemaumlss Bundesamt fuumlr Energie (BFE) immer noch uumlber 6 Litern Das viel gepriesene laquoDrei-Liter-Autoraquo haben alle Hersteller wieder aus der Modellpalette genommen

Demgegenuumlber gelingen dem oft traumlge genannten Ge-baumludebereich weitaus groumlssere Effizienzspruumlnge Ver-brauchen 40 Jahre alte Haumluser im Schnitt 220 Kilowatt-stunden (kWh) Heizenergie pro Quadratmeter Wohnflaumlche und Jahr sind die aktuellen Werte unter die 50er-Marke gesunken Zusaumltzliche Sparerfolge sind nur eine Frage der Zeit Im Fruumlhsommer haben die kantonalen Energie-direktoren uumlber ein Rahmenabkommen beraten das Null-energieneubauten demnaumlchst zum Standard machen soll Wie die nationale Energiewende zu erreichen ist erklaumlrt Christoph Gmuumlr von der Abteilung Energie des Kantons Zuumlrich laquoDer spezifische Verbrauchswert ist zudem auf 35 kWh pro Quadratmeter zu senkenraquo Gebaumlude die sich mit umweltfreundlicher Energie selbst versorgen wollen auch die EU-Staaten Ab 2020 wird ein Gebaumludestandard eingefuumlhrt der nur noch laquoNiedrigstenergiegebaumluderaquo mit sehr hoher Energieeffizienz als Neubauten vorsieht

Energiesparhaumluser waren vor 30 Jahren Exoten inzwischen nimmt der Bereich der energie-effizienten Gebaumlude eine Vor-bildrolle fuumlr die Energie wende ein Bauherren profitieren davon ebenso wie die Zuliefer-branche Text Paul Knuumlsel

Expertensicht

Haumluser in der ersten Reihe

35COMPETENCE | 2014

der Bau von Niedrigenergiehaumlusern und alternativen Hei-zungsanlagen sowie energetische Gebaumludesanierungen Investitionen im Umfang von rund 4 Milliarden Franken ausgeloumlst rechnet der Bund vor laquoEin Fuumlnftel insgesamt 860 Millionen Franken stammt aus den oumlffentlichen Kas-senraquo verweist die BFE-Stelle EnergieSchweiz auf die Im-pulse der kantonalen Foumlrderprogramme Einen Wermuts-tropfen besitzt diese Wirkungsbilanz Fruumlhere Analysen der Energiesparprogramme zeigen naumlmlich dass zwi-schen einem Drittel und der Haumllfte der energetisch vorbild-lichen Gebaumlude auch ohne staatliche Foumlrderung realisiert worden waumlren Dem Mitnahmeeffekt ist auch die Eidge-noumlssische Steuerverwaltung auf der Spur Sie schaumltzt dass Bund und Kantonen jaumlhrlich 14 Milliarden Franken entgehen weil energetische Gebaumludesanierungen bei der Liegenschaftssteuer abzugsberechtigt sind Die Energie-wende erfordert nicht nur mehr Effizienz bei den Anwen-dungen sondern auch einen effizienten Einsatz staatlicher Mittel Im Energieplanungsbericht 2013 hat der Zuumlrcher Regierungsrat erstmals uumlber alternative Anreizsysteme nachgedacht Demnach soll eine Lenkungsabgabe den Energiekonsum reduzieren und das bisherige Foumlrdersys-tem abloumlsen Aumlhnliche Plaumlne verfolgt der Bund Denn ein Lenkungssystem duumlrfte weitere Sparbemuumlhungen im Ge-baumludebereich aber auch im Strassenverkehr foumlrdern Ins-besondere dann wenn Heizoumll und Benzin im Gleichschritt teurer werden

begehrten Wohnlagen haben Hauseigentuumlmer an vielen Orten mit moumlglichen Verkaufsverlusten zu rechnenraquo so Anton Zwar sei die Nachfrage bei Eigentuumlmern und Mie-tern aumlhnlich gross Aber auch Mieter wuumlrden nicht uumlberall mehr fuumlr eine energieeffiziente Wohnung bezahlen Kaum uumlberraschen darf daher dass Immobilieninvestoren immer haumlufiger die steigenden Energieanforderungen kritisieren und kostenguumlnstigere Baustandards vorziehen Fuumlr WampP-Berater Urs Hausmann ist laquonachhaltiges Bauen trotzdem keine Frage von Luxus oder Wohlstand sondern eine wie man mit Ressourcen umgehen willraquo Dass ein hohes Um-weltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauen Der Run auf den oumlkologischen Baustoff Holz laumlsst zum Beispiel eine gesamte Wertschoumlpfungskette und viele

innovative Unternehmen profitieren Forstbetriebe Sauml-gereien Fensterbauer Daumlmmstoffhersteller und andere Bauzulieferer vergroumlssern ihre Produktionskapazitaumlten und stellen zusaumltzliches Personal ein laquoDie Umsaumltze im Schweizer Holzbau sind in den letzten Jahren um mehrere Hundert Millionen Franken gestiegen und die Trendkurve zeigt weiter nach obenraquo freut sich Christoph Starck Di-rektor des Holzbaudachverbands Lignum

Einheimische Zulieferer als GewinnerAuch im Verein Minergie ist man sich bewusst dass sich energieeffizientes Bauen wirtschaftlich positiv auswirkt In den letzten 15 Jahren sind 25 000 Wohnhaumluser Buumlro-komplexe Schulbauten Sport- und Industriehallen mit Niedrig energiezertifikat entstanden Gemeinsam sparen sie 15 Milliarden Kilowattstunden Energie laquoUumlber 2 Milliar-den Franken wurden zusaumltzlich investiertraquo rechnet Miner-gie-Sprecher Antonio Milelli vor Anstatt fossile Brennstoffe einzukaufen wird mehr Geld fuumlr Daumlmmstoffe Isolierfenster Luumlftungsanlagen und Sonnenkollektoren aus inlaumlndischer Fabrikation ausgegeben Zwischen 2001 und 2012 haben

Paul KnuumlselPaul Knuumlsel studierte Umweltnaturwissen-schaften an der ETH Zuumlrich Er ist unabhaumln-giger Wissenschaftsjournalist und schreibt seit Jahren in Publikums- und Fachmedien uumlber die vielfaumlltigen Aspekte des nachhalti-gen Bauens Zusaumltzlich betreut er in der Re-daktion des laquoTEC21raquo das Ressort laquoEnergie und Umweltraquo

laquoDass ein hohes Umweltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren

derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauenraquo

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Der Wasserkraft Sorge tragen

Welchen Beitrag kann die Wasserwirtschaft zur Energie-wende leisten Roger Pfammatter Die Wasserkraft ist der energie-politische Trumpf der Schweiz Wir befinden uns in der gluumlcklichen Lage uumlber grosse Mengen Wasser und das notwendige Gefaumllle zu verfuumlgen ndash das sind die beiden wichtigsten Voraussetzungen fuumlr die hydroelektrische Produktion Und wir haben in den vergangenen 100 Jah-ren gelernt dieses Potenzial effizient und moumlglichst um-weltschonend zu nutzen Die Wasserkraft ist der Schluumls-sel fuumlr eine nachhaltige Energieversorgung technisch ausgereift politisch erwuumlnscht einheimisch erneuerbar und CO2-frei

Wie viel mehr ist moumlglichHeute leistet die Wasserkraft nicht nur rund 60 Prozent der Stromproduktion in der Schweiz sondern bietet auch unverzichtbare Regel- und Systemdienstleistungen die markant an Bedeutung gewinnen werden Vor allem bei der Flexibilisierung der Wasserkraft durch mehr Leistung und Speichervolumen waumlre noch einiges moumlglich Um die Aufgaben weiterhin zu gewaumlhrleisten muumlssen wir aber primaumlr dem Bestehenden Sorge tragen

Die Energiestrategie des Bundes gibt aber klare Ausbau-ziele vor Bis 2035 soll die Stromproduktion aus Wasser-kraft um 10 Prozent steigenUnter den momentanen Rahmenbedingungen ist dieses Ausbauziel nicht realistisch Im Gegenteil Aufgrund der Restwasserbestimmungen wird die Produktion in den naumlchsten Jahren vermutlich sogar zuruumlckgehen

Die Wasserkraft ist der wichtigste Pfeiler der Schweizer Ener-giewirtschaft ihr Potenzial ist aber weitgehend ausgeschoumlpft Roger Pfammatter Geschaumlftsfuumlhrer des Wasserwirtschaftsver-bands gibt im Interview Auskunft uumlber die Lage der Branche und ihre Bedeutung fuumlr die EnergiezukunftInterview Florian Wehrli

Expertensicht

Was muss sich aumlndern damit die vorgegebenen Ziele um-gesetzt werden koumlnnenZum einen braucht es dafuumlr die Akzeptanz der Umweltver-baumlnde der Fischer und letztlich der gesamten Bevoumllkerung Zum anderen muumlssen laumlngerfristig die extremen Marktver-zerrungen abgebaut werden damit sich auch Investitionen in die nicht gefoumlrderte Wasserkraft wieder lohnen Heute wird nur noch in subventionierte Anlagen investiert

Wer ist hier in der PflichtHier ist die Politik gefordert die Rahmenbedingungen zu verbessern Denn ohne die Wasserkraft kann die Energie-wende nicht gelingen

Anfang Jahr wurde der Wasserwirtschaftsverband von den zustaumlndigen Kommissionen angehoumlrt Welche Forderun-gen hat die Branche an das ParlamentWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerba-re Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichten die bereits bis zur Haumllfte der Geste-hungskosten ausmachen Damit sind wir doppelt diskrimi-niert Die Wasserkraft ist extrem unter Preisdruck ndash und dies obwohl sie mit Gestehungskosten zwischen 3 und 10 Rappen pro Kilowattstunde die effizienteste Strompro-duktionstechnologie ist Nur zum Vergleich Fotovoltaik -anlagen werden heute mit rund 40 Rappen subventioniert

Bis 2011 liess sich mit der Grosswasserkraft noch viel Geld verdienen Wurden zu wenige Ruumlcklagen fuumlr schlechte Zei-ten gebildet

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Es kann nicht der Sinn sein Ruumlcklagen fuumlr Zeiten zu bil-den in denen die Marktpreise die Gestehungskosten nicht mehr decken Das waumlre wie wenn ein Baumlcker auf jedem Gipfeli einige Rappen zuruumlckbehalten muumlsste damit er sie am naumlchsten Tag gratis abgeben kann Mit dem durch Subventionen verzerrten Marktpreis von 4 bis 5 Rappen pro Kilowattstunde ist unter den konventionellen Energie-traumlgern praktisch nur Kohle konkurrenzfaumlhig Das ist be-stimmt nicht im Sinn der Energiewende

Drei Grosswasserkraftprojekte sind heute bereits im Bau Koumlnnen die enormen Kosten uumlberhaupt amortisiert wer-denPrognosen sind schwierig An der europaumlischen Strom-boumlrse (EEX) werden bis 2020 Strompreise zwischen 45 und 53 Rappen pro Kilowattstunde gehandelt Der Markt glaubt also nicht an eine baldige Erholung Dafuumlr muumlsste das Uumlberangebot in Europa zuruumlckgehen etwa uumlber die Anhebung des CO2-Preises von heute 5 auf mindestens 30 Euro pro Tonne Politisch ist das aber kaum durchsetz-bar Neue Pumpspeicherwerke werden sich deshalb wohl erst in mehreren Jahrzehnten lohnen

Was kann die Kleinwasserkraft leistenOhne die kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) wuumlr-de niemand Kleinwasserkraftanlagen bauen genauso we-nig wie Fotovoltaik- Wind- oder Biomasseanlagen Zurzeit gibt es aber allein bei der Kleinwasserkraft rund 1 000 An-meldungen fuumlr Foumlrderbeitraumlge mit einem bescheidenen Ge-samtpotenzial von 33 Terawattstunden pro Jahr Die oumlko-logischen Auswirkungen sind im Vergleich zum Ertrag zu gross Obwohl wir von marktverzerrenden Foumlrderprogram-men wegkommen sollten waumlre es in einer Uumlbergangs phase sinnvoll die KEV-Obergrenze von 10 Mega watt aufzuheben und dort zu foumlrdern wo es wirklich etwas bringt

Wie soll die Grosswasserkraft unterstuumltzt werdenDas Sinnvollste waumlre die Abkehr von der Subventions-maschinerie ndash und zwar auf europaumlischer Ebene Dann wuumlrde sich die Wasserkraft als effiziente erneuerbare Stromproduktionsform mit Sicherheit durchsetzen Min-destens als Uumlbergangsloumlsung waumlre aber die Entlastung

von Abgaben in erster Linie vom Wasserzins dringend Der maximale Wasserzins wurde in den letzten vier Jahren um 38 Prozent erhoumlht und wird naumlchstes Jahr um weite-re 10 Prozent angehoben Diese Erhoumlhung wurde 2008 beschlossen und steht heute in keinerlei Bezug mehr zur Ertrags lage Kurzfristig koumlnnten die Kantone auf einen Teil dieser Zinsen verzichten ndash das waumlre ein wichtiges politi-sches Zeichen Langfristig muss ein neuer Modus fuumlr die Zinsberechnung gefunden werden der die Ertragslage der Wasserkraft mitberuumlcksichtigt Das ist auch im Interesse von Bund Kantonen und Gemeinden schliesslich ist die Wasserkraft zu 85 Prozent in oumlffentlicher Hand Ebenfalls als Uumlbergangsloumlsung bis zu besseren Marktpreisen waumlren zinsguumlnstige Darlehen fuumlr die noumltigen Investitionen in die Grosswasserkraft denkbar Ohne mindestens eine dieser Massnahmen kann die Wasserwirtschaft das geforderte Ausbauziel nicht erreichen

Bis dahin gibt es noch eine weitere Huumlrde den Heimfall der Stauanlagen an die Standortgemeinden Welchen Ein-fluss hat dieser UmstandWenn die Konzessionen nach 80 oder 100 Jahren aus-laufen muss der Betreiber der Gemeinde eine Entschaumldi-gung fuumlr den Restwert der Anlagen entrichten Im Fall der Staumauer Barberine bezahlen die SBB und Alpiq 2017 an sechs Walliser Gemeinden 343 Millionen Franken Das 400-Seelen-Dorf Finhaut erhaumllt alleine 112 Millionen Fran-ken und weiss kaum wohin mit dem Geld Der gesamte Wert des Heimfalls der Anlagen bewegt sich schweizweit im Milliardenbereich Der Houmlhepunkt des Heimfalls wird um 2035 erreicht werden Bis zu diesem Zeitpunkt soll aber auch ein Grossteil der geforderten Produktionsstei-gerung umgesetzt werden

Bei der Stromproduktion ist ein Ausbau von uumlber 10 Pro-zent wohl nicht realistisch Wie sieht es bei der Speicher-leistung aus Hier muss man unterscheiden zwischen kurzfristiger und saisonaler Speicherung Fuumlr die saisonale Speicherung verfuumlgt die Schweiz mit 200 Speicherseen uumlber ein Vo-lumen von rund 9 000 Gigawattstunden (GWh) die jedes Jahr vom Sommer in den Winter umgelagert werden Dies

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Expertensicht

entspricht einem Viertel der jaumlhrlichen Produktion aus Wasserkraft Das Ausbaupotenzial durch die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren betraumlgt rund 2 000 GWh Falls der Ausbau aber nicht gelingt entsteht im Winter durch den Ausfall der Kernenergie eine immer groumlssere Luumlcke an Bandenergie die durch den Import von Atom- oder Kohlestrom gedeckt werden muss

Wie sieht es beim Ausbau der Pumpleistung zum kurzfris-tigen Ausgleich von Schwankungen im Netz ausGrundsaumltzlich ist das Potenzial fuumlr Pumpspeicherwerke in der Schweiz riesig Es braucht nur zwei Seen auf unter-schiedlicher Houmlhe Die Frage ist ob sich solche Investi-tionen rechnen Die Pumpspeicherwerke finanzieren sich

uumlber den Preisunterschied zwischen Band- und Spitzen-energie Wenn an einem schoumlnen Sommertag in Europa mittags die geballte Ladung an Sonnen- und Windener-gie eingespeist wird koumlnnen die Pumpspeicherkraftwerke sehr guumlnstig oder sogar zu Negativpreisen Strom bezie-hen Man darf aber nicht vergessen dass dieselbe Situa-tion fuumlr die Laufwasserkraftwerke die rund die Haumllfte der Wasserkraftproduktion in der Schweiz ausmachen den gegenteiligen Effekt hat Diese koumlnnen aus technischen konzessionsrechtlichen oder oumlkologischen Gruumlnden nicht vom Netz genommen werden und muumlssen fuumlr ihre Strom-produktion bezahlen Das kann gehoumlrig ins Geld gehen An Weihnachten 2012 lag der Strompreis zum Beispiel bei minus 30 Rappen pro Kilowattstunde

Roger Pfammatter laquoWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerbare Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichtenraquo

Bild Florian Wehrli

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cherseen zur Flexibilisierung Damit das gelingt muss der Wert der Wasserkraft staumlrker im Bewusstsein der Bevoumllke-rung verankert sein Und nicht zuletzt muss der Marktpreis so weit uumlber den Gestehungskosten liegen dass sich In-vestitionen in die Wasserwirtschaft rentieren

Versuchen das Bestehende zu erhalten Diese Vision klingt etwas resigniertDas ist eine Frage der Perspektive Die Wasserkraft hat als Technologie in der Schweiz seit Langem Bestand Sie befindet sich in einer anderen Situation als Fotovoltaik und Windenergie die sich in einem hochdynamischen Umfeld mit grossem Potenzial in Forschung und Wachstum be-finden Die Wasserkraft ist dagegen nicht mehr in der Auf-bruchsphase sondern in der Konsolidierungsphase Da-fuumlr kann man sich auf die Wasserkraftwerke verlassen Sie produzieren bei Tag und in der Nacht im Sommer wie im Winter bei Windstille oder im Nebel Auch der Erhalt und die Optimierung des Bestehenden sind grosse Heraus-forderungen und bedingen grosse Investitionen

Sehen Sie eine Moumlglichkeit wie die Schweizer Wasser-wirtschaft in Zukunft Geld mit Systemdienstleistungen wie Netzstabilitaumlt verdienen kannDie unregelmaumlssig einspeisenden Stromproduzenten neh-men keinerlei Systemverantwortung wahr Ich habe selbst ein Solarpanel auf dem Dach Wenn Produktion moumlglich ist speise ich Strom ins Netz ein wenn nicht beziehe ich Die Produzenten mehr in die Verantwortung zu nehmen faumlnde ich sinnvoll ndash zum Beispiel uumlber Zertifikate fuumlr Spei-cherleistungen Diese koumlnnten bei Pumpspeicherwerken bezogen werden

Welcher Ausbau der Pumpspeicherleistung ist dafuumlr noumltigDie installierte Leistung betraumlgt heute rund 14 Gigawatt (GW) Mit den im Bau befindlichen und den geplanten An-lagen kann die Kapazitaumlt maximal auf 51 GW ausgebaut werden ndash etwa die Haumllfte der Jahreshoumlchstlast im Netz Damit die Schweizer Wasserkraft aber einen Beitrag zur Stabilitaumlt des europaumlischen Stromnetzes leisten kann muumlssten auch das Stauvolumen und die Leitungskapazi-taumlt erhoumlht werden Hier sind die Einsprachen von Anwoh-nern und Umweltverbaumlnden noch gravierender als bei den Anlagen selbst

Braucht es neue rechtliche Instrumente um den geplan-ten Ausbau durchsetzen zu koumlnnenEs braucht vor allem die Einsicht dass die Wasserkraft das Ruumlckgrat unserer Versorgungssicherheit ist und die Aus-wirkungen eines Ausbaus immer auch mit den Alternativen verglichen werden muumlssen Wir befinden uns aber auch in einem intensiv genutzten Land mit vielen Partikularinteres-sen Diese muumlssen gewichtet und abgewogen werden In der Abwaumlgung zwischen Landschaftsschutz und Wasser-nutzung waumlre es hilfreich wenn Grosswasserkraftanlagen den Status von nationalem Interesse erhalten

Wie soll die Schweizer Wasserwirtschaft im Jahr 2035 aussehenIch wuumlnsche mir dass die bestehende Infrastruktur auf dem heutigen Stand erhalten optimiert oumlkologisiert und im Idealfall etwas ausgebaut wird Dazu gehoumlren etwa die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren sowie neue Spei-

Roger PfammatterSeit seinem Ingenieurstudium an der ETH Zuumlrich hat er sich in ver-schiedenen Rollen dem Wasser verschrieben Nach sieben Lehr- und Wanderjahren in der Forschung und in der Entwicklungszusammen-arbeit war er zehn Jahre beim Ingenieurunternehmen Ernst Basler + Partner engagiert Seit 2010 ist er Geschaumlftsfuumlhrer des Schweizeri-schen Wasserwirtschaftsverbandes (SWV) und Herausgeber der Zeit-schrift laquoWasser Energie Luftraquo In diesen Funktionen setzt er sich ein fuumlr den Fachaustausch und gute Rahmenbedingungen in den Bereichen Wasserkraft und Hochwasserschutz

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Die globalen Energiemaumlrkte sind seit einigen Jahren stark in Bewegung Volatile Erdoumllpreise die Foumlrderung von un-konventionellen Gasvorkommen in grossem Stil die mas-sive Subventionierung von neuen erneuerbaren Energien in Deutschland der laquoarabische Fruumlhlingraquo und der Konflikt in der Ukraine hinterlassen Spuren Die Folge sind starke Verwerfungen an den Maumlrkten und fehlende Investitionssi-cherheit In diesem dynamischen und unsicheren Kontext will der Bund die bisherige Energiepolitik neu ausrichten ndash wahrlich eine Herkulesaufgabe Die Schweizer Wirtschaft verlangt dass der Bund bei der Neuausrichtung der Ener-giepolitik seinem in der Verfassung verankerten Auftrag nachkommt und sich fuumlr eine ausreichende sichere breit gefaumlcherte wirtschaftliche und umweltvertraumlgliche Ener-gieversorgung einsetzt Somit ist klar Die Energiestrate-gie 2050 muss in erheblichen Teilen optimiert und justiert werden Nur wenn vernetzt gedacht wird ist eine sichere Versorgung zu wettbewerbsfaumlhigen Preisen moumlglich

Prognosen klaffen weit auseinanderSeit Jahrzehnten bietet der Strommix aus Wasserkraft (knapp 60 Prozent) und Kernenergie (40 Prozent) Gewaumlhr fuumlr eine sichere klimafreundliche und wirtschaftliche Ener-gieversorgung Im Rahmen der Energiestrategie 2050 muss die Kernenergie langfristig ersetzt werden Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen zumal die Ziele des Bundes

Lebenselixier der Wirtschaft

Die Schweizer Wirtschaft ist auch in Zukunft auf eine sichere und wirtschaftliche Stromver-sorgung angewiesen Die Ener-giestrategie 2050 setzt stark auf Subventionen Dadurch entstehen Fehlanreize welche die Versorgungssicherheit ge-faumlhrdenText Kurt Lanz

Expertensicht

in Bezug auf das Potenzial der neuen erneuerbaren Ener-gien von Wunschdenken geleitet sind Die neuen erneuer-baren Energien werden sich langsamer entwickeln als an-gestrebt Der Bund rechnet mit rund 12 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2035 die Schweizer Wirtschaft mit 44 TWh Die vorsichtigeren Prognosen der Wirtschaft scheinen re-alistischer Dies zeigen exemplarisch die gescheiterten Geothermieprojekte in Basel und St Gallen Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Nachfrageprognosen Der Bund rechnet in seinen Szenarien mit einem Ruumlckgang des Stromverbrauchs pro Kopf von 16 Prozent zwischen 2000 und 2035 Die Schweizer Wirtschaft orientiert sich in ihren Szenarien am Verband Schweizerischer Elektrizitaumlts-unternehmen (VSE) der weiter mit einer steigenden Nach-frage rechnet Die Wirtschaft fordert von der Politik eine vernuumlnftige Planung aufgrund realistischer Schaumltzungen Die Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energiestrategie nicht gefaumlhrdet werden

Subventionen fuumlhren zu FehlanreizenDie Schweiz hat seit vielen Jahrzehnten erfolgreich die Wasserkraft vorangetrieben Aus politischen Gruumlnden wird nun die ndash unregelmaumlssige ndash Stromproduktion durch Sonnen- und Windenergie forciert Unsere sogenann-te kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) entspricht dem deutschen Foumlrdermodell Beide haben das gleiche Ziel Sie sollen erneuerbare Energien ausbauen indem sie neue Formen der Stromproduktion zur Marktreife brin-gen Weil das KEV-System die Sonnen- und Windenergie massiv foumlrdert kommt ein weiterer Ausbau der bewaumlhrten Wasserkraft nicht infrage Diese Entwicklung gefaumlhrdet die Versorgungssicherheit der Schweiz Auf den ersten Blick sinken zwar die Produktionskosten fuumlr Solarstrom gleich-zeitig steigen aber die Kosten fuumlr Speicherung und Inte-gration ins Netz spuumlrbar Auch ist der Ausbau von Solar- und Windenergie nur von beschraumlnktem Nutzen solange keine ausreichenden Speicherkapazitaumlten vorhanden sind Nur Preissignale koumlnnen das Investitionsverhalten von Stromproduzenten Netzbetreibern und Konsumen-ten sinnvoll lenken Subventionen sind zu beseitigen denn sie fuumlhren zu Fehlanreizen

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Alle Optionen offenhaltenOffenheit und Neugier gehoumlren zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft Kategorisches Abwehrverhalten und Denkverbote verhindern konstruktive Loumlsungsansaumltze und Innovation Eine sichere und kostenguumlnstige Strom-versorgung kann auch in Zukunft nur mit der notwendi-gen Offenheit gegenuumlber allen Technologien und Energie-

systemen garantiert werden Die Schweiz ist dank einer erfolgreichen Hochschulland-schaft und vielen Technolo-gieunternehmen gut geruumlstet Die verschiedenen Energie-systeme muumlssen faktenba-siert und ohne ideologische

Scheuklappen verglichen werden Nur so koumlnnen effizi-ente und umweltvertraumlgliche Loumlsungen gefunden werden Das heutige System der Foumlrderung der neuen erneuer-baren Energien ist durch ein marktorientiertes System ab-zuloumlsen Produzenten die nachfragegerecht einspeisen sollen eine houmlhere Verguumltung erhalten als andere Auch soll der Vorrang der Netzeinspeisung fuumlr subventionierte Energietraumlger aufgehoben werden

laquoDie Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit

des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energie strategie nicht

gefaumlhrdet werdenraquo

Schnellere Verfahren anstrebenGrundvoraussetzung fuumlr eine Neuausrichtung der Ener-giepolitik sind funktionierende Stromnetze Diese muumls-sen zwingend parallel zum Umbau der Stromproduktion weiterentwickelt werden Allein der noumltige Ausbau der Uumlbertragungsnetze belaumluft sich auf rund 1 000 Kilometer bis ins Jahr 2020 Erforderlich sind zudem Investitionen in alle Verteilernetzebenen Al-lerdings verzoumlgern komplizier-te Verfahren auf Kantons- und Bundesebene den Ausbau Ausserdem erwaumlchst praktisch jedem Projekt Widerstand von privater Seite was zu weiteren Verzoumlgerungen fuumlhrt Die Wirt-schaft fordert deshalb Bei Bewilligungen von Stromnetzen ist der Gang vors Bundesgericht nur noch bei Grundsatz-fragen moumlglich Umbauten sowie Spannungs- und Kapa-zitaumltserweiterungen koumlnnen ohne Planungsgenehmigung realisiert werden Ausserdem sind die Verfahren bei einer einzigen Leitbehoumlrde anzusiedeln

Spielfeld erweiternDie Schweiz ist seit jeher ein wichtiges Stromtransitland Schon seit den 90er-Jahren treibt die EU die Vereinheitli-chung des Binnenmarkts fuumlr Strom hin zu einem eigent-lichen EU-Strommarkt voran In der Schweiz erweist sich die gesetzliche Trennung von Grundversorgung und Markt diesbezuumlglich zunehmend als Hindernis Aus Sicht der Wirtschaft ist die vollstaumlndige Liberalisierung des Strom-markts eine zwingende Voraussetzung fuumlr eine erfolgrei-che energiepolitische Neuausrichtung

Eine Marktoumlffnung wuumlrde insbesondere auch den erneuer-baren Energien neue Chancen eroumlffnen und Zugang zu neuen Kunden gewaumlhren Von hoher Wichtigkeit ist auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU Je groumlsser der Anteil erneuerbarer Energien umso wichtiger ist die Einbettung in Europa denn Investitionen in Netze und Produktion koumlnnen in Koordination mit der EU wirkungsvoller und wahrscheinlich kostenguumlnstiger getaumltigt werden

Kurt LanzKurt Lanz ist Leiter Infrastruktur Energie und Umwelt sowie Geschaumlftsleitungsmitglied von economiesuisse dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft

Gut vernetzt ndash Vorschlaumlge der Schweizer Wirtschaftzur EnergiepolitikDie Publikation basiert auf der Grundlagenarbeit der breit abgestuumltz-ten Energiekommission von economiesuisse und macht konstruk-tive Vorschlaumlge fuumlr einen erfolgreichen energiepolitischen Weg der Schweiz Download unter wwweconomiesuissech

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

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Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

53COMPETENCE | 2014

2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

wwwsmlzhawch

Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 6: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

6 COMPETENCE | 2014

CEO-Perspektive

laquoMit Schulterklopfen laumlsst sich kein Geld verdienenraquo

nuumltz herumstehen lassen sondern rasch zuruumlckbauen Bis 2019 haben wir dafuumlr nicht nur die noumltigen Mittel zuruumlck-gestellt sondern auch ausreichend Zeit um das Projekt sauber vorzubereiten und alle Bewilligungen einzuholen

Laut Energiestrategie 2050 des Bundes wird der Ausstieg aus der Kernenergie in der Schweiz ohne Gaskombikraft-werke kaum gelingen Auch die BKW hat entsprechen-de Projekte Wie beurteilen Sie allfaumlllige Risiken bezuumlglich VersorgungssicherheitKurzfristig ist das Risiko einer Stromluumlcke aumlusserst klein Mit dem Ausstieg aus der Kernenergie koumlnnte das Thema jedoch spaumlter aktuell werden Ich sehe ein anderes Pro-blem Wie koumlnnen wir das Stromnetz stabil halten wenn ein namhafter Teil der Produktion wetter- und tageszeitab-haumlngig anfaumlllt Gaskraftwerke koumlnnten eine Rolle spielen da sie kurzfristig an- und abgeschaltet werden koumlnnen Sie stehen dabei in Konkurrenz zu den Pumpspeicher-kraftwerken Im heutigen wirtschaftlichen Umfeld mit sin-kenden Preisen fuumlr Dienstleistungen zur Erhaltung der Systemstabilitaumlt bestehen aber keine Investitionsanreize weder fuumlr Pumpspeicher- noch fuumlr Gaskraftwerke

Die Konzernstrategie BKW 2030 erwaumlhnt grosse Investitio-nen Wo wird die BKW besonders stark investierenDie Investitionen fliessen in die Erhaltung der Produktions-infrastruktur und in die Netze Weiter investieren wir in neue erneuerbare Energien und nicht zuletzt in den Auf-bau neuer Geschaumlftsfelder

Investitionen in Kraftwerke und Netze Subventionen fuumlr erneuerbare Energien die den Marktpreis verzerren ndash kann man mit Strom noch Geld verdienenSuzanne Thoma In der subventionierten Stromproduk-tion ja Die marktabhaumlngige Produktion ist bei den aktuell sehr tiefen Strompreisen houmlchst anspruchsvoll

Erwarten Sie dass sich dies in naumlchster Zeit aumlndertWir befassen uns intensiv mit dieser Frage und simulie-ren die Strompreise anhand diverser Marktmodelle Diese zeigen dass der Strompreis in den naumlchsten Jahren tief bleiben sich dann aber signifikant erholen wird Aus der Finanzbranche ist bekannt dass Modellrechnungen leider nur so gut sind wie deren Input Es gibt durchaus Ten-denzen die dafuumlr sorgen koumlnnten dass der Strompreis laumlngerfristig tief bleibt

Die BKW wird das Kernkraftwerk Muumlhleberg 2019 vom Netz nehmen Eine Volksinitiative welche die sofortige Abschaltung forderte wurde im Mai 2014 vom Berner Stimmvolk deutlich abgelehnt Hat Sie das uumlberraschtIch war erfreut uumlberrascht war ich nicht Sachlich betrach-tet haben wir mit Muumlhleberg den vernuumlnftigen Weg einge-schlagen Da das Thema Kernenergie in der Gesellschaft emotional behaftet ist konnten wir aber nicht sicher sein dass die Initiative in dieser Deutlichkeit abgelehnt wird Die Problematik der Initiative war dass wir haumltten abschalten muumlssen ohne mit dem Ruumlckbau beginnen zu koumlnnen Geht ein Kernkraftwerk vom Netz sollte man es nicht un-

Die Energiewende stellt die Stromversorger vor grosse Heraus-forderungen Suzanne Thoma CEO der BKW AG gewaumlhrt Einblicke in die Strategie eines der bedeutendsten Schweizer Energieunternehmen Sie spricht uumlber den Wandel vom Ver-sorger zum Dienstleister sowie uumlber Rahmen bedingungen der StromproduktionInterview Adrian Sulzer

7COMPETENCE | 2014

Ein Fokus ist der Ausbau der Windenergie Hierzulande sind aber viele windreiche Gegenden Schutzgebiete Wird die BKW vornehmlich im Ausland investierenJa wie wir das bereits heute tun Die BKW besitzt zwar rund die Haumllfte der installierten einheimischen Windkapa-zitaumlt die grossen Projekte befinden sich aber in Deutsch-land Frankreich und Italien In der Schweiz gibt es kaum geeignete Standorte und die Durchfuumlhrung von Projekten ist aufgrund strenger Auflagen buumlrokratischer Aufwaumlnde und moumlglicher Einsprachen schwierig Wir erhoffen uns hierzulande mehr Potenzial von der Kleinwasserkraft

Welche erneuerbaren Energien haben das groumlsste Poten-zial in der Schweiz

Das groumlsste technische Potenzial haben Grosswasserkraft-werke Nur lohnen sich diese Investitionen wirtschaftlich zurzeit nicht Bezuumlglich neuer erneuerbarer Energien sehe ich signifikantes Potenzial bei der Fotovoltaik Der Bund rechnet langfristig mit einem Ausbau auf mehr als zehn Tera wattstunden pro Jahr was ich fuumlr realisierbar halte Ob dies wirklich umgesetzt wird haumlngt davon ab ob die Kos-ten der Fotovoltaik weiter gesenkt werden koumlnnen

Die BKW will sich von der Energieversorgerin zur umfas-senden Energiedienstleisterin wandeln Welche neuen An-gebote sind geplantZunaumlchst sind da die Infrastrukturdienstleistungen die wir vermehrt auch fuumlr Private anbieten werden Von grosser

Suzanne Thoma laquoVersorgungsunternehmen sollen sich mittels Positionierung Kommunikation und Aufklaumlrung fuumlr einen bewussten Energieverbrauch einsetzen Es kann aber nicht ihr Auftrag sein die Kunden zu bevormundenraquo

Bild Florian Wehrli

8 COMPETENCE | 2014

mehr Komfort Mobilitaumlt Ernaumlhrungs- oder andere Kon-sumgewohnheiten

Wie koumlnnen Energieversorger Anreize schaffen damit we-niger Energie verbraucht wirdIch bin dafuumlr dass sich Stromversorgungsunternehmen mittels Positionierung Kommunikation und Aufklaumlrungs-arbeit fuumlr einen bewussten Energieverbrauch einsetzen Es kann aber nicht ihr Auftrag sein die Kunden zu bevor-munden Neben einem veraumlnderten Bewusstsein im Be-reich Energie- und Ressourcenkonsum generell kommt der groumlsste Einfluss nach wie vor vom Preis Fuumlr Privat-konsumenten faumlllt die Stromrechnung nicht ins Gewicht und auch die anderen Energiekosten ndash jedenfalls die direkt spuumlrbaren ndash sind nicht wirklich hoch Glauben Sie mir uns waumlre es lieber der Strompreis waumlre houmlher

Energie ist also zu billigJa Die Welt benoumltigt viel Energie und Verschwendung laumlsst sich nur schwer bekaumlmpfen solange Energie so billig ist Die reiche Schweiz ist sicher staumlrker in der Pflicht als arme Laumlnder die unter anderem mit billiger Energie ver-suchen ihren Einwohnern etwas Wohlstand zu ermoumlgli-chen Allerdings duumlrfen wir unserer Industrie durch houmlhere Energiekosten keine zusaumltzlichen Lasten aufbuumlrden sonst verliert sie ihre Konkurrenzfaumlhigkeit

Prinzipiell befuumlrwortet die Bevoumllkerung die Energiewende gegen den Bau neuer Leitungskapazitaumlten oder Wind-turbinen wird aber haumlufig rekurriertNicht haumlufig immer

Sehen Sie einen Ausweg aus dem DilemmaIch sehe darin eine wesentliche Schwierigkeit fuumlr die Um-setzung der Energiestrategie In der Schweiz stehen fuumlr Einsprachen mehr rechtliche Mittel zur Verfuumlgung als im Ausland Ich befuumlrworte deshalb den Vorstoss des Bun-desrats bestimmte Gebiete fuumlr die Energieproduktion zu definieren wo nur noch uumlber eine Instanz rekurriert wer-den kann Das Grundproblem bleibt aber dass wir einen Lebensstil pflegen dessen Konsequenzen wir nicht bereit sind zu tragen

Bedeutung sind fuumlr uns auch die Netze Beim Thema Haumluser und Energieeffizienz sehen wir unsere Rolle als Integrator Dort kommen verschiedene Technologien zur Anwendung die nicht nur viele Hausbesitzer uumlberfordern sondern auch manche Spezialisten Die BKW kann auf jahrzehntelange Erfahrung und grosses Know-how in die-sem Bereich zuruumlckgreifen Wo noumltig werden wir mit Part-nern zusammenarbeiten

Eine Analyse des BFE kam im Mai 2014 zum Schluss dass die Mehrheit der untersuchten Unternehmen nicht bereit sei fuumlr die Energiewende Teilen Sie diese EinschaumltzungWas laquobereit fuumlr die Energiewenderaquo heisst ist schwer ein-zuordnen und ich moumlchte nicht fuumlr andere Unternehmen sprechen Die BKW ist ein wirtschaftlich gefuumlhrtes Unter-nehmen ohne politische Mission Unser Auftrag ist es zum Erhalt und zur Weiterentwicklung der Infrastruktur generell und zur Energieversorgung im Speziellen beizutragen Wir orientieren uns dabei an den Beduumlrfnissen unserer Kun-den und bewegen uns innerhalb der politischen und wirt-schaftlichen Rahmenbedingungen Dabei entwickeln wir unser Unternehmen weiter sodass es profitabel bleibt und weiter gestaumlrkt wird

Die BKW hat also an dieser Studie teilgenommenJa aber ich habe die Studie nicht gelesen Offenbar sind wir im oberen Drittel der Rangliste aber das steht nicht im Vordergrund Die Zeit in der Stromversorger punkto Ener-giewende um die Gunst des Bundes gewetteifert haben ist weitgehend vorbei Es ist den meisten klar geworden dass sich mit Schulterklopfen das Geld fuumlr die noumltigen Investitionen nicht verdienen laumlsst Entscheidend sind die konkreten Rahmenbedingungen das Marktumfeld und die Kundenbeduumlrfnisse

Gemaumlss der Energiestrategie soll der durchschnittliche Energieverbrauch pro Person in der Schweiz bis 2035 ge-genuumlber 2000 um 43 Prozent sinken Ist das realistischTechnisch halte ich das fuumlr absolut moumlglich Dabei geht es aber bei Weitem nicht nur um den Stromkonsum sondern auch um den Konsum fossiler Brennstoffe und Investitio-nen in Effizienzmassnahmen Im Kern geht es aber um viel

CEO-Perspektive

9COMPETENCE | 2014

Konzernleitung der BKW liegt der Frauenanteil aktuell bei 33 Prozent

Stichwort Unternehmensfuumlhrung Gibt es eine spezielle Philosophie die Sie verfolgenIch versuche immer Klarheit zu schaffen Ich moumlchte je-weils zum Kern der Dinge vordringen und erwarte dasselbe Bestreben von meinen Mitarbeitenden Wenn alle wissen worum es im Kern geht und was die Treiber des Geschaumlfts sind und wenn alle mit Freude ihre Arbeit verrichten dann leitet sich alles Weitere daraus ab Ich glaube an gemein-same Visionen und Ziele sowie eine delegierte Umsetzung

Welche Rolle wird die Schweiz in einem liberalisierten euro paumlischen Strommarkt spielenDie Frage ist ob die Schweiz in Zukunft denselben Zugang zum europaumlischen Markt haben wird wie bisher Davon gehe ich aus Unter dieser Voraussetzung muss man sich fragen wie der europaumlische Markt kuumlnftig ausgestaltet sein wird Ich erwarte eine fortschreitende Liberalisierung die tendenziell zu mehr Stromhandel und noch tieferen Preisen fuumlhren wird Gleichzeitig wird man aber Kapazi-taumltsmaumlrkte schaffen muumlssen damit Energieunternehmen Anreize haben in Versorgungssicherheit und System-stabilitaumlt zu investieren Beides wird heute kaum abgegol-ten Das muss sich aumlndern Die Frage ist ob Kapazitaumlts-maumlrkte nationale Maumlrkte sein werden

Welche Folgen haumltte das fuumlr die SchweizDas waumlre eine ungluumlckliche Konstellation Einerseits haumltten wir unter den tieferen Preisen zu leiden andererseits koumlnn-ten wir die Dienstleistungen die wir mit unseren Pump-speicherkraftwerken erbringen weniger gut verkaufen

Blicken wir in die Zukunft Strom wird dezentral produziert nach Bedarf verbraucht ins intelligente Netz eingespeist oder in Batterien gespeichert Braucht es dann noch Ener-gieversorger wie die BKWAuf jeden Fall Denn die grossen Energieversorger werden dann zu grossen Energiedienstleistern Deshalb stellen wir unsere Strategie jetzt um Viele der Kompetenzen die wir als Versorger uumlber Jahrzehnte aufgebaut haben sind auch in diesem Szenario absolut notwendig Moumlglich ist hingegen dass es kuumlnftig weniger zentrale Kraftwerks-kapazitaumlt braucht Als Unternehmen muumlssen wir uns so positionieren dass wir uns im Rahmen aller denkbaren Szenarien weiterentwickeln koumlnnen

Die Energiebranche gilt als Maumlnnerdomaumlne Mit Alpiq und BKW haben nun zwei der groumlssten Schweizer Energiever-sorger eine Frau als CEO Ist das ein Zeichen des Kultur-wandelsJa schon Das Geschlecht war aber gewiss kein Krite-rium fuumlr die Stellenbesetzung Alle Bewerber mussten sich demselben strengen Auswahlverfahren stellen In der

Suzanne ThomaDr Suzanne Thoma ist seit 1 Januar 2013 CEO der BKW AG Zu-vor verantwortete sie das Netz- und Netzdienstleistungsgeschaumlft der BKW als Mitglied der Konzernleitung Vor ihrem Eintritt in die BKW leitete sie das Automobilzuliefergeschaumlft der WICOR Group und fuumlhr-te zuvor als CEO das High-Tech-Unternehmen Rolic Technologies Ltd Im Weiteren war sie fuumlr die Ciba Spezialitaumltenchemie AG in ver-schiedenen Funktionen und Laumlndern taumltig Suzanne Thoma studierte Chemieingenieurtechnik an der ETH Zuumlrich

BKW Energie AGDie BKW ist ein bedeutendes Schweizer Energiedienstleistungs-unternehmen Sie beschaumlftigt mehr als 3 000 Mitarbeitende und ver-sorgt zusammen mit Partnern rund eine Million Menschen mit Strom Neben der reinen Energieversorgung entwickelt implementiert und betreibt die BKW Energiegesamtloumlsungen fuumlr Privat- und Geschaumlfts-kunden sowie fuumlr Energieversorgungsunternehmen und Gemeinden Zudem engagiert sie sich in Forschungsprogrammen zur Entwicklung innovativer Technologien fuumlr eine nachhaltige und sichere Energie-versorgung

10 COMPETENCE | 2014

Bundesrat und Parlament haben 2011 als Reaktion auf den Reaktorunfall in Fukushima entschieden mittelfristig aus der Kernenergie auszusteigen und sich gleichzeitig den zwei grossen Herausforderungen der kommenden Jahre zu stellen Zum einen wird die weltweite Nachfrage nach Energie nochmals stark ansteigen da die zuneh-mende Weltbevoumllkerung absolut gesehen und pro Kopf immer mehr Energie konsumiert Das fuumlhrt zu einer deut-lichen Verschaumlrfung des Wettbewerbs um Energie Eine Energiepolitik die staumlrker lokal verankert ist entschaumlrft das Problem Zum anderen birgt die Klimaerwaumlrmung grosse oumlkologische wirtschaftliche und gesellschaftliche Risiken denen mit klimapolitischen Entscheiden auf glo-baler Ebene begegnet werden muss Mit einer konzisen Energie- und Klimapolitik haumllt die Schweiz hierauf eine moumlgliche Antwort bereit

Energiewende im historischen KontextDer bekannte Energiehistoriker Vaclav Smil versteht un-ter Energie die Ausschoumlpfung der natuumlrlichen Ressour-cen durch den Menschen der sich damit das Uumlberleben sichert und seine Lebensqualitaumlt erhoumlht Mit der geplan-ten Energiewende wird das System Energie in seiner ge-sellschaftlichen Dimension umfassend transformiert Die gegenwaumlrtige Diskussion wird jedoch von technischen und oumlkonomischen Fragestellungen dominiert die gesell-schaftliche Dimension kommt dagegen zu kurz Bei der Energiewende geht es jedoch um mehr als lediglich da-rum eine Ressource durch eine andere zu ersetzen Es geht darum die bestehenden Strukturen fundamental

umzuformen Es geht um Stromnetze und Erdoumllpipelines um idyllische Landschaften und Staumldte um Politik und neue Technologien Diese und zahlreiche weitere Para-meter wurden alle aufgrund energiepolitischer Entschei-dungen im vergangenen Jahrhundert gestaltet Fuumlr die Zukunft sind radikale Eingriffe geplant welche die kom-menden Generationen praumlgen werden Es ist deshalb wesentlich das Thema langfristig zu betrachten und die heutige Situation und Diskussion auch historisch zu situ-ieren Wie wurden Energiesysteme ndash also die Verknuumlpfung von Menschen Ingenieurwesen industriellen Praktiken technologischen Artefakten politischen Programmen und institutionellen Ideologien ndash formiert Welche gesell-schaftlichen Voraussetzungen haben zur Entscheidung fuumlr den einen und gegen den anderen Energietraumlger gefuumlhrt Und letztlich auch Welchen internationalen Trends ist die kleine ressourcenarme Schweiz weshalb gefolgt und in welchen Momenten hat sie sich fuumlr den schweizerischen Sonderweg entschieden

Industrialisierung und EnergiewendeEnergiesysteme entwickeln sich kontinuierlich waren je-doch historisch gesehen uumlber lange Zeit relativ stabil Die Jahrzehnte seit dem Beginn der Industrialisierung in der zweiten Haumllfte des 18 bis Ende des 19 Jahrhunderts wa-ren die Aumlra des Holzes (und nicht der Kohle) die erste Haumllfte des 20 Jahrhunderts war die Zeit der Kohle (und nicht des Erdoumlls) die zweite diejenige des Erdoumlls und der Kernenergie Die Wasserkraft war eine wichtige Strom-lieferantin jedoch nie die Nummer eins unter den Energie-

Hintergrund

Fukushima gibt den Takt vor

Der Energiesektor hat sich in den letzten 150 Jahren drama-tisch schnell entwickelt Nicht nur haben sich Produktion und Verbrauch um ein Vielfaches erhoumlht auch die wirtschaftlichen rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich grundlegend gewandelt Ein kurzer historischer Ruumlckblick zeigt die grossen Entwicklungen und Trends aufText Monika Gisler

11COMPETENCE | 2014

Problem der Entsorgung radioaktiver Abfaumllle wurden an-fangs kaum thematisiert Erdoumll wurde erst in den 1970er-Jahren zum politischen Thema als mit den Erdoumll(preis)- krisen von 197374 und 197980 seine (geopolitisch be-dingte) Endlichkeit manifest wurde Gleichzeitig verstaumlrkte die Erdoumllkrise das Bewusstsein uumlber die Abhaumlngigkeit von importierten Energietraumlgern die mit der Industrialisierung eingesetzt hatte

Anfaumlnge des UmweltschutzesAufgrund dieser beiden Entwicklungen kamen Themen wie Energiesparen und die Forderung nach umweltfreund-licheren Energien in den 1970er-Jahren erstmals auf die politische Traktandenliste Der oumlffentliche Diskurs um die laquoGrenzen des Wachstumsraquo und damit einhergehend auch die ersten Debatten zum Umweltschutz entbrannten In-teressanterweise glaubte man dass Wind- und Solar-anlagen erst ab dem Jahr 2000 in signifikantem Umfang zur Verfuumlgung stehen wuumlrden was ja auch eintrat

Die Diskussion flaute so rasch ab wie sie gekommen war Alternativenergien bewahrten ihr Nischendasein bis zu dem Ereignis das mittlerweile den neuen Takt vorgibt die Nuklearkatastrophe von Fukushima Es wird sich weisen wie erfolgreich die Umsetzungsmassnahmen sein werden und wie rasch sie implementiert werden koumlnnen Sicher scheint jedoch dass das Unternehmen Energiewende nur verstanden und ndash so zumindest die Hoffnung ndash auch ak-zeptiert wird wenn man es in seiner ganzen Dimension erfasst

traumlgern Es wird sich weisen ob das 21 Jahrhundert das-jenige der (neuen) erneuerbaren Energien sein wird

Kohle war nach Holz der wichtigste und langfristigste Energie traumlger der Schweiz Ihre Bedeutung hielt mehr als acht Jahrzehnte an ihr Niedergang setzte 1940 ein 1955 wurde sie vom Erdoumll als wichtigster Energietraumlger abgeloumlst Der Klimahistoriker Christian Pfister erklaumlrt diese Transition mit den rasch fallenden Oumllpreisen die zu einer immer groumls ser werdenden Nachfrage nach dieser guumlns-tigen Energie fuumlhrten Ein weiterer Grund war die Domi-nanz des Verbrennungsmotors uumlber die Dampfmaschine auf dem Weg zu einer immer mobileren Gesellschaft Es ist nicht nur das Angebot sondern auch die Nachfrage welche die Bedeutung eines Energietraumlgers formt Die Entscheidung fuumlr Oumll (und spaumlter Gas) war gleichermassen beeinflusst von den technischen Veraumlnderungen wie von den Verschiebungen am Finanzmarkt

Schon fruumlh hatte auch die Wasserkraft eine grosse Be-deutung fuumlr die Schweiz 1918 war man uumlberzeugt dass laquo[hellip] fuumlr unser Land [hellip] die Frage der Energiequelle ein-wandfrei erledigt [sei] Der ganze Entwicklungsgang von Technik und Volkswirtschaft fuumlhrt endlich zur Erkenntnis dass die Natur uns mit den Wasserkraumlften fuumlr die Kohlen-armut entschaumldigtraquo (Parlamentarische Debatte zum Was-serrechtsgesetz 1918) Wasserkraft wurde im Energiemix immer ergaumlnzend zu anderen Ressourcen eingesetzt und nach 1970 entscheidend wenn auch nicht paritaumltisch mit Kernenergie zur Gewinnung von Elektrizitaumlt komplettiert

So war die zweite Haumllfte des 20 Jahrhunderts die Zeit des Erdoumlls und der Kernenergie Die beiden Energie traumlger entwickelten sich nach 1945 fast parallel und haben doch eine sehr unterschiedliche Geschichte Das hat mit ihrer jeweiligen Form und Verfuumlgbarkeit zu tun aber auch da-mit dass ihre politische Bedeutung sehr verschieden-artig war Die Kernkraft barg aufgrund ihrer Naumlhe zu ei-ner toumldlichen Waffe schon immer politischen Sprengstoff Gleichzeitig genoss sie anfaumlnglich auch den Ruf einer sauberen und nahezu unbegrenzt zur Verfuumlgung stehen-den Energiequelle Die Gefahr einer Verstrahlung und das

Monika GislerDr Monika Gisler hat an den Universitaumlten Zuumlrich Basel und Los Angeles (UCLA) Ge-schichte und Politische Philosophie studiert Sie war Forschungsverantwortliche an der ETH Zuumlrich und bietet seit 2008 mit laquoUnter-nehmen Geschichteraquo Forschung Lehre und Beratung zu den Themen Umwelt Energie und Innovation an (wwwunternehmenge-schichtech) Aktuell lehrt sie als Dozentin an der ETH zu Energiewenden in Geschichte und Gegenwart

Wie viele Fotovoltaikanlagen sind auf den Daumlchern Winterthurs zu finden

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13COMPETENCE | 2014

Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Energieversorgung

dem Parlament die Energiestrategie 2050 vor welche die Basis fuumlr diesen Umbau schafft Grundsaumltze der Energie-strategie sind die Energieeffizienz die Steigerung des An-teils aus erneuerbaren Energien und die Umsetzung des Verursacherprinzips Das bedeutet dass die Kosten der Energienutzung moumlglichst von den Verursachern getragen werden

Die Schweiz verfuumlgt zwar uumlber eine hohe Versorgungs-sicherheit allerdings sind unsere Energiequellen teilweise nicht nachhaltig Gegenwaumlrtig liegt der Anteil der fossilen Energietraumlger am Endenergieverbrauch bei rund 80 Pro-zent Damit traumlgt die Schweiz zu den negativen Folgen der Klimaerwaumlrmung bei Als rohstoffarmes Land importiert sie einen grossen Teil dieser Energie ndash insbesondere Roh-oumll und Gas Dementsprechend hoch ist die Abhaumlngigkeit vom Ausland Zudem steht die Schweiz energiepolitisch vor weiteren grossen Herausforderungen Aufgrund des Bevoumllkerungs- und Wirtschaftswachstums des steigen-den Wohlstands sowie der zunehmenden Mobilitaumlt nimmt die Nachfrage nach Energie zu Teilweise veraltete Infra-struktur wachsender Wettbewerb und die Integration in das europaumlische Energienetz stellen das Energiesystem zudem vor zusaumltzliche Herausforderungen die es zu be-waumlltigen gilt

Langfristige StrategieUm diese Herausforderungen anzugehen ist ein Umbau des Energiesystems in Richtung Nachhaltigkeit unabding-bar Im Nachgang zur Reaktorkatastrophe in Fukushima haben Bundesrat und Parlament im Jahr 2011 den Grund-satzentscheid fuumlr einen schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie gefaumlllt Der Bundesrat legte anschliessend

Mit der Energiestrategie 2050 des Bundes soll unter anderem der Energieverbrauch reduziert und der Anteil der erneuerbaren Energien erhoumlht werden Dazu gehoumlren eine Reduk tion der energiebedingten CO2-Emissionen und der schrittweise Ausstieg aus der Kernenergie ndash dies ohne die bisher hohe Versorgungs-sicherheit und die preiswerte Energieversorgung zu gefaumlhrden Die ambitioumlsen Ziele sind aber nur zu erreichen wenn ein Um-denken stattfindet und Politik Wirtschaft Wissenschaft und Gesellschaft enger zusammenarbeiten Text Walter Steinmann

Hintergrund

Stossrichtungen der Energiestrategie ndash Energieeffizienz erhoumlhen Energieverbrauch

senken Stromverbrauch stabilisieren ndash Anteil der erneuerbaren Energien erhoumlhen und

Restbedarf durch fossile Stromproduktion und Importe decken

ndash Zugang zu internationalen Energiemaumlrkten sicherstellen

ndash Um- und Ausbau der elektrischen Netze und der Energiespeicherung vorantreiben

ndash Energieforschung verstaumlrken ndash Vorbildfunktion der oumlffentlichen Hand wahrnehmen ndash Internationale Zusammenarbeit im Energiebereich

intensivieren

14 COMPETENCE | 2014

Hintergrund

Der Bundesrat hat dem Parlament im September 2013 ein erstes Massnahmenpaket zur Umsetzung der Energie-strategie 2050 vorgelegt Das Geschaumlft wird momentan von den vorberatenden parlamentarischen Kommissio-nen behandelt Es ist auf die Zielsetzungen fuumlr das Jahr 2020 ausgerichtet und soll langfristig wirken Konkret vorgesehen ist etwa eine Erhoumlhung der CO2-Abgabe auf Brennstoffe mit einer gleichzeitigen Verstaumlrkung des Ge-baumludesanierungsprogramms Weiter soll die bisherige kostendeckende Einspeiseverguumltung zu einem Verguuml-tungssystem mit Direktvermarktung umgebaut werden Dafuumlr sind eine Totalrevision des Energiegesetzes sowie Anpassungen in weiteren neun Bundesgesetzen noumltig Berechnungen zufolge soll der Energieverbrauch mit der Umsetzung des ersten Massnahmenpakets bis 2050 we-sentlich abnehmen Insbesondere bei den fossilen Ener-gietraumlgern wird mit grossen Ruumlckgaumlngen gerechnet

Volkswirtschaftlich werden sich die Kosten fuumlr die Um-setzung der Energiestrategie in Grenzen halten Den er-heblichen Investitionen in die Energieeffizienz stehen Ein-sparungen bei den Energieimporten gegenuumlber Es sind jedoch betraumlchtliche Investitionen insbesondere fuumlr den Zubau der Stromproduktion aus erneuerbaren Energietrauml-gern noumltig

Zusammensetzung des Endshyenergieverbrauchs (ohne Treibshystoffverbrauch des internationalen Flugverkehrs) bis 2050 auf der Basis des vorliegenden Massnahmen pakets des UVEK (Quelle Prognos)

Ein Markt mit ZukunftEine nachhaltige Energiepolitik ist nur moumlglich wenn die Schweiz staumlrker auf erneuerbare Energien setzt Heute stammen nur gerade 20 Prozent der verbrauchten Ener-gie aus erneuerbaren Quellen Die laufenden Arbeiten zur Energiestrategie 2050 zeigen dass Sonnen- und Wind-energie Wasserkraft und Geothermie in der Schweiz uumlber grosse Potenziale verfuumlgen deren optimale Er-schliessung jedoch durch verschiedene Faktoren behin-dert beziehungsweise verzoumlgert wird Dazu gehoumlren die

langwierigen Bewilligungsverfahren und die teils fehlende Akzeptanz in der Bevoumllkerung aber auch die begrenzten Foumlrdermittel zur Realisierung entsprechender Projekte Mit der Energiestrategie 2050 sollen guumlnstigere Rahmenbe-dingungen geschaffen werden

Die Sicherung des langfristigen Energieangebots wird zu einer der zentralen Herausforderungen und bietet gleichzeitig grosse Chancen fuumlr den Wirtschaftsstandort

laquoFortschritte bei der Ressourcen-effizienz und den erneuerbaren

Energien ermoumlglichen Wettbewerbs-vorteile auf den Exportmaumlrktenraquo

15COMPETENCE | 2014

Schweiz Bereits heute verfuumlgt die Schweiz uumlber ein gros-ses industrielles und technologisches Know-how gerade im Bereich Cleantech Fortschritte bei der Ressourcen-effizienz und den erneuerbaren Energien ermoumlglichen Wett bewerbsvorteile auf den Exportmaumlrkten sie schaffen neue Arbeitsplaumltze und erhoumlhen die Unabhaumlngigkeit in der Rohstoffversorgung Zusammen mit dem Masterplan Cleantech traumlgt die Energiestrategie 2050 dazu bei dass sich die Schweiz hier als Vorreiterin profilieren kann

Uumlbergang in ein LenkungssystemDamit sich der Markt in Richtung Nachhaltigkeit entwickelt werden kuumlnftig weitere Massnahmen noumltig sein Waumlhrend das erste Massnahmenpaket noch stark auf Foumlrderung zielt wird die Energiepolitik ab 2021 gemeinsam mit der Klimapolitik strategisch neu ausgerichtet Das bestehen-de Foumlrdersystem basiert auf einem Netzzuschlag fuumlr die Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Ener-gien und einer Teilzweckbindung der CO2-Abgabe fuumlr das Gebaumludeprogramm Es soll durch ein marktwirtschaftli-ches Lenkungssystem abgeloumlst werden mit dem sich die Energie -und Klimaziele effektiv und oumlkonomisch effizient erreichen lassen Konkret werden erneuerbare Energien und Gebaumludesanierungen zunaumlchst noch staatlich unter-stuumltzt ndash langfristig soll der Markt spielen Das Bundesamt fuumlr Energie ist daran in Zusammenarbeit mit dem Eidge-noumlssischen Finanzdepartement und dem Staatssekretariat fuumlr Wirtschaft zu konkretisieren wie das umzusetzen ist

Wissenstransfer staumlrken Gluumlcklicherweise herrscht an den Hochschulen und ihren Instituten im Energiebereich Aufbruchstimmung Fuumlr Un-ternehmen ist es jedoch oft schwierig das an Hochschu-len vorhandene Wissen abzuholen gerade wegen der grossen Diversitaumlt der Forschung und der Fragmentierung des Wissens auf zahlreiche Institute Gleichzeitig stossen mit Unternehmen der Informations- und Kommunikations-technologie neue Akteure mit grossem Know-how in den Energieversorgungsmarkt vor Energieversorgungsunter-nehmen in ganz Europa ruumlcken vom reinen Stromverkauf ab und positionieren sich vermehrt als Anbieter von umfas-senden Energiedienstleistungen Diesem Trend muss sich

Walter SteinmannDr Walter Steinmann ist seit 2001 Direktor des Bundesamts fuumlr Energie (BFE) Er hat an der Universitaumlt Zuumlrich Volkswirtschaft studiert und seine Studien 1988 mit einer Doktorarbeit an der Universitaumlt Konstanz ab geschlossen Von 1981 bis 1988 war er Delegierter fuumlr Wirtschaftsfoumlrderung des Kantons Basel-Landschaft und arbeitete an-schliessend als Beauftragter fuumlr Wirtschafts-foumlrderung des Kantons Solothurn Von 1994 bis 2001 war er Chef des Amts fuumlr Wirtschaft und Arbeit des Kantons Solothurn

auch die Schweiz stellen und ihre Kraumlfte vermehrt buumlndeln um Synergien zwischen Wirtschaft und Forschung zu schaffen Nur so kann der Technologiestandort Schweiz staumlrker werden Der Bund setzt bereits Massnahmen um damit der Transfer der Forschungsresultate in den Markt sichergestellt wird Dazu gehoumlrt der Aufbau vernetzter Forschungskompetenzzentren der Swiss Competence Centers for Energy Research Auch die ZHAW School of Management and Law beteiligt sich in diesem Rahmen massgeblich an den nationalen Forschungsaktivitaumlten zum Umbau des Schweizer Energiesystems

Mit der Energiestrategie 2050 hat die Schweiz die Chance sich aus ihrer Abhaumlngigkeit von den fossilen Energien zu loumlsen den Export fortschrittlicher Technologien zu staumlrken und mit dem ressourcen- und klimaschonenden Umgang mit Energie international eine Fuumlhrungsrolle zu uumlberneh-men Nutzen wir diese Chance

Weitere Informationen unter wwwenergiestrategie2050ch

laquoDie Schweiz muss ihre Kraumlfte vermehrt buumlndeln um

Synergien zwischen Wirtschaft und Forschung zu schaffenraquo

16 COMPETENCE | 2014

Eine der wichtigsten Zielsetzungen der Energiewende wie sie der Bundesrat formuliert hat ist der Ausbau der er-neuerbaren Energien Der Anteil von Wasser- Wind- und Sonnenkraft sowie Erdwaumlrme am Energiemix soll massiv erhoumlht werden Die durchschnittliche inlaumlndische Produk-tion ndash ohne Wasserkraft ndash soll im Jahr 2020 bei mindes-tens 4 400 Gigawattstunden (GWh) und im Jahr 2035 bei mindestens 14 500 GWh liegen Bei der Produktion von Elektrizitaumlt aus Wasserkraft wird bis im Jahr 2035 ein Aus-bau der Produktion auf 37 400 GWh angestrebt Zum Ver-gleich Die Jahresproduktion des AKW Muumlhleberg liegt bei rund 2 600 GWh Das sind houmlchst ambitioumlse Ziele

Der geplante Ausbau der Nutzung von erneuerbaren Energien bedarf zahlreicher Anlagen ndash Windparks Was-serkraftwerke oder groumlsserer Solaranlagen ndash mit entspre-chend hohem Raumbedarf Der Bundesrat sieht nicht vor die Umwelt- und Heimatschutzgesetze massgeblich zu lo-ckern obwohl es regelmaumlssig zu Konflikten zwischen den Schutzinteressen und Energienutzungsanlagen sowie zu entsprechenden Gerichtsverfahren kommt ndash wie juumlngst im Goms bei der Planung eines Wasserkraftwerks (BGE 140 II 262 ff) Das Bundesgericht nimmt jeweils eine im Resul-tat schwer voraussehbare Interessenabwaumlgung vor und stellt die Leistung der Anlage sowie die Faumlhigkeit zeitlich flexibel und marktorientiert zu produzieren den Schutz-interessen gegenuumlber

Ein weiteres Problem besteht darin dass groumlssere Anla-gen bei der Nachbarschaft oder in einer breiteren Bevoumll-kerung keine Akzeptanz finden So waumlre zwar im Kanton

Loumlsungen suchen bevor es zum Rechtsstreit kommt

Hochschulperspektive

Der Bundesrat sieht im Rahmen der Energiestrategie 2050 vor den Anteil der erneuerbaren Energien massiv zu erhoumlhen Die vermehrte Nutzung erneuerbarer Energietraumlger fuumlhrt jedoch zu einem Interessenkonflikt zwischen Wirtschaftlichkeit umwelt-rechtlichen Anforderungen und sozialer Akzeptanz Diesen gilt es mit klaren rechtlichen Grundlagen zu loumlsenText Reneacute Wiederkehr und Andreas Abegg

Zuumlrich Wind vorhanden doch dreht sich dort bis heute keine einzige grosse Windturbine Gegen die einzige bis-her geplante Versuchsanlage am Stuumlssel oberhalb Baumlrets-wil hat eine Interessengemeinschaft Rekurs erhoben und will die geplante Windmessanlage bis vor Bundesgericht bekaumlmpfen Diese Probleme ndash die Kollision mit Schutz-interessen und die Angst vor Nachbarrekursen ndash koumlnnen im Ergebnis dazu fuumlhren dass die Energieunternehmen auf den Bau von Anlagen verzichten obwohl ein erhebli-ches Potenzial vorhanden waumlre

Loumlsungsansatz des BundesratsIm Rahmen der Energiepolitik 2050 schlaumlgt der Bundesrat vor dass die Kantone mit Unterstuumltzung des Bundes ein Konzept fuumlr den Ausbau der erneuerbaren Energien er-arbeiten und Gebiete fuumlr die Nutzung durch erneuerbare Energien bestimmen Nach der Genehmigung durch den Bund dient das Konzept den Kantonen als Grundlage fuumlr ihre Richtplanung Dadurch wird fuumlr die kommunalen und kantonalen Behoumlrden verbindlich festgelegt in welchen Gebieten Bewilligungen fuumlr erneuerbare Energieproduktio-nen erteilt werden koumlnnen

Welche Gebiete sich tatsaumlchlich fuumlr den Ausbau der er-neuerbaren Energien eignen ist bisher allerdings kaum erforscht worden Bund Kantonen und Gemeinden fehlen die Grundlagen um die Eignung von Standorten und Ge-bieten aus rechtlicher Sicht zu beurteilen Es ist deshalb einfacher ungeeignete Gebiete von der Nutzung auszu-nehmen Vor allem Gebiete welche fuumlr Natur- und Hei-matschutz wertvoll sind koumlnnen zu einer sogenannten

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schen und rechtsstaatlichen Verfahren aus So wurde zum Beispiel im Kanton Zuumlrich der Heimatschutz gegenuumlber dem Interesse an neuen Solaranlagen bereits zuruumlck-gestuft und das entsprechende Bewilligungsverfahren gestrafft Es wird sich gerade bei der Wahl von Stand-orten fuumlr die Nutzung erneuerbarer Energien zeigen ob die Energiewende ndash wie zuweilen befuumlrchtet ndash auf Kosten von Demokratie und Rechtsstaat sowie auf Kosten von Natur- und Heimatschutz geht oder ob wir die gegenwaumlr-tigen Strukturen unter transparenter und angemessener Wahrung aller Interessen anpassen koumlnnen um die an-spruchsvollen Energieziele zu erreichen

Negativzone fuumlhren Auch andere Anliegen wie die Erhal-tung von landwirtschaftlichem Kulturland und Wald der Schutz des Vogelzugs oder die Beduumlrfnisse der Luftfahrt sind zu beruumlcksichtigen Zudem ist zu beachten dass der Bau neuer Anlagen einen Ausbau des Energienetzes nach sich ziehen kann was wiederum zu Konflikten mit anderen raumrelevanten Interessen fuumlhrt

InteressenabwaumlgungUm die erneuerbare Energie wie geplant massiv foumlrdern zu koumlnnen muumlssen die notwendigen Anlagen rasch rea-lisiert werden In den hierzu notwendigen Bewilligungs- und Rechtsmittelverfahren muumlssen die Zielkonflikte der verschiedenen Interessen transparent gemacht und unter gleichberechtigter Abwaumlgung geloumlst werden Das gilt so-wohl fuumlr das konkrete Rechtsmittelverfahren vor Behoumlrden und Gerichten wie auch fuumlr eine vorgezogene Mediations-phase

Hier setzen die vom Bund initiierten Forschungen zur Energiewende auf drei Ebenen an Zunaumlchst muumlssen die Details der komplizierten Bewilligungsverfahren im Aus-tausch mit der Gerichtspraxis ausgearbeitet werden Das sorgt fuumlr Rechtssicherheit Auf einer zweiten Ebene gilt es die bestehenden kantonal reglementierten Verfahren zu vereinheitlichen und wenn moumlglich zu vereinfachen Damit es zu rechtsstaatlich tragfaumlhigen und sozial akzep-tierten Loumlsungen kommt sind die Rechte aller Beteiligten zu wahren jene von Gemeinden Kantonen und Bund als Behoumlrden von Energieunternehmen als Gesuchsteller so-wie von Nachbarn und beschwerdeberechtigten Verbaumln-den als Gegner Schliesslich sind auf einer dritten Ebene neue Hilfsmittel zu suchen mit denen Gebiete und Stand-orte bezeichnet werden koumlnnen die sich fuumlr die Nutzung erneuerbarer Energien besonders eignen Das Bewilli-gungsverfahren wird hiermit transparenter berechenbarer und ndash so die Hoffnung ndash kuumlrzer Mit klaren Rechtsgrund-lagen koumlnnen die Beteiligten zudem Loumlsungen suchen bevor es uumlberhaupt zum Rechtsstreit kommt Die geplante Foumlrderung erneuerbarer Energien kommt nicht ohne Veraumlnderungen in bestehenden demokrati-

Andreas AbeggProf Dr Andreas Abegg ist Leiter des Zen-trums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht an der ZHAW School of Management and Law Privatdozent an der Universitaumlt Fribourg und praktizierender Rechtsanwalt Er beschaumlf-tigt sich mit den rechtlichen Schnittpunkten zwischen Staat und Privaten insbesondere in den Bereichen Regulierung Verwaltungs-organisation und Energie Andreas Abegg forscht im Rahmen des vom Bund mitfinan-zierten Competence Center for Research in Energy Society and Transition (CREST) in der Forschungsgruppe Energy Policy Analysis

Reneacute WiederkehrProf Dr Reneacute Wiederkehr ist stellvertre-tender Leiter des Zentrums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht an der ZHAW School of Management and Law und Titularprofessor der Universitaumlt Luzern Er forscht und lehrt in den Bereichen Verwaltungsrecht und oumlf-fentliches Prozessrecht sowie im Rahmen des vom Bund mitfinanzierten Competence Center for Research in Energy Society and Transition (CREST) in der Forschungsgruppe Energy Policy Analysis

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Negawatt statt Megawatt

Energieeffizienzmassnahmen finanziell lohnen Zudem ver-fuumlgen kleine und mittlere Unternehmen selten uumlber Ener-gieverantwortliche oder Umweltbeauftragte die im Akqui-sitionsprozess gezielt angesprochen werden koumlnnen

Schwaumlchen bisheriger ProgrammeEine Umfrage der ZHAW bei Programmverantwortlichen zeigt diverse Schwaumlchen laufender Effizienzprogramme auf Ein haumlufiges Problem sind falsche Anreize So wird vornehmlich vermittelt wie mit Energieeffizienz Geld ge-spart wird Offensichtlich geht man davon aus dass Un-ternehmen praktisch nur uumlber finanzielle Anreize zu moti-vieren sind Bei den angepeilten KMU fallen Energiekosten jedoch kaum ins Gewicht Beratungsaufwand und Ergeb-nis stehen umso mehr im Missverhaumlltnis je weniger Ener-gie verbraucht wird Weiter scheinen die Programmver-antwortlichen ihre Zielgruppen kaum zu segmentieren und als unterschiedliche Kundensegmente wahrzunehmen Entsprechend beinhalten die meisten Programme ein Standardangebot mit einem breiten Spektrum an Mass-nahmen die oft nicht branchenspezifisch zugeschnitten sind Auch die Kundenansprache erfolgt in der Regel un-differenziert und die Moumlglichkeiten der Neuen Medien wer-den kaum genutzt

Keine langfristige PerspektiveEin Grossteil der Programme ist nicht auf Kundenbindung ausgelegt Insbesondere werden kaum Informationen er-fasst welche die Planung einer weiterfuumlhrenden Bezie-

Schweizer Unternehmen koumlnnten auf wirtschaftliche Art und Weise bis zu 30 Prozent ihres Energieverbrauchs ein-sparen Speziell bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) die immerhin 10 Prozent des Schweizer Stromver-brauchs verantworten ist das Sparpotenzial aber ungenuuml-gend ausgeschoumlpft

Energieeffizienzprogramme wirken nichtBehoumlrden Energieversorger und private Organisatio-nen haben in den letzten Jahren wiederholt Programme lanciert um Energieeinsparungen gezielt zu foumlrdern Al-lerdings haben bislang weniger als 1 Prozent der rund 300 000 Schweizer KMU an einem solchen Programm teilgenommen und die Umsetzungsquoten sind ebenfalls gering Uumlber die Gruumlnde die Unternehmen daran hindern an Energieeffizienzprogrammen teilzunehmen und ent-sprechende Massnahmen umzusetzen sind sich die Pro-grammverantwortlichen uneinig Oft werden Zeitmangel Priorisierung anderer Investitionen fehlende Mittel und zu lange Amortisationszeiten als Hemmnisse genannt Ge-nerell scheint es dass bei Kleinunternehmen Zeit- und Geldmangel eine wichtige Rolle spielen waumlhrend bei Un-ternehmen mittlerer Groumlsse eher der Mangel an Motiva tion und Bewusstsein ausschlaggebend ist Energiekosten machen bei KMU einen verschwindend kleinen Anteil der Gesamtkosten aus sodass die Prioritaumlten fuumlr Investitionen haumlufig anders liegen Man investiert beispielsweise lieber in Betriebsmittel zur Erhoumlhung der Produktivitaumlt als in die Reduktion der (bereits tiefen) Energiekosten obwohl sich

Energieeffizienz ist ein zentraler Pfeiler der Energiestrategie 2050 Die Schweiz gehoumlrt zu den Spitzenreitern punkto Energie effizienz auch dank ihrem dominanten Tertiaumlrsektor Dennoch liegen auch bei hiesigen Unternehmen grosse Sparpotenziale brach Wie diese genutzt werden koumlnnen untersucht die ZHAW in einem interdisziplinaumlren ProjektText Rolf Rellstab

Hochschulperspektive

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brauch betrifft erhoumlhte Arbeitssicherheit weniger Laumlrm-belastung oder geringerer Rohstoffverbrauch Der Wert solcher laquoNon-Energy Benefitsraquo kann fuumlr Unternehmen bis zu 250 Prozent der energetischen Einsparungen betra-gen Es geht also darum KMU gezielter auf die Chancen der Energieeffizienz hinzuweisen Schliesslich gilt es auch Unternehmen wissen zu lassen dass sich ihre Kunden fuumlr dieses Thema interessieren sowie ihnen dabei zu helfen ihr Energie effizienzengagement sichtbar zu machen Waumlh-rend bereits heute viele Unternehmen bestaumltigen dass sich ihr Image bei den Kunden durch die Teilnahme an einem Energieeffizienzprogramm verbessert hat achten erst wenige Firmen auch bei der Kommunikation darauf dass entsprechende Massnahmen gebuumlhrend bekannt gemacht werden

hung zu den Programmteilnehmenden ermoumlglichen wuumlr-den Angaben zu Stromverbrauch Houmlhe und Anteil der Energiekosten Anzahl Mitarbeitende und Umsatz waumlren wertvolle Informationen im Hinblick auf allfaumlllige Folgepro-gramme Im Vordergrund stehen zudem bei den meisten Programmen technische Loumlsungen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz Eine nachhaltige Verhaltensaumlnderung bei Mitarbeitenden oder auf Managementebene wird hingegen kaum verfolgt Auch ein Monitoring der Wirkung von Ener-gieeffizienzprogrammen ist bislang nicht vorhanden oder

wird zu wenig systematisch betrieben So wird zum Bei-spiel die effektive Energieeinsparung vielfach nicht erfasst und gepruumlft Das tatsaumlchliche Kosten-Nutzen-Verhaumlltnis einzuschaumltzen ist somit schwierig Dass die bestehenden Energieeffizienzprogramme inhaltlich durchaus Anklang finden zeigen Ruumlckmeldungen von Unternehmen die in der Vergangenheit daran teilgenommen haben Die Befrag-ten beurteilen ihre Erfahrungen mehrheitlich positiv Aus Sicht der Unternehmen lagen die Energieeinspar effekte im Bereich der Erwartungen Viele wuumlrden nochmals an einem solchen Programm teilnehmen was die oben ge-nannten Versaumlumnisse umso bedauerlicher macht

Wirksamkeit verbessernWie koumlnnen KMU zum Energiesparen motiviert werden Aus Marketingsicht beinhaltet ein sinnvolles Programm eine segmentspezifische Kundenansprache die den laquoReifegradraquo (Wissen Einstellungen und Verhalten) eines Unternehmens in Bezug auf Energieeffizienz beruumlcksich-tigt Zweitens braucht es eine klare Kundenbeziehungs-strategie welche eine wiederholte Teilnahme zum Ziel hat Bei den Anreizen einzig die finanziellen Aspekte wie etwa erwartete Kostensenkungen oder Foumlrderbeitraumlge hervor-zuheben scheint wenig erfolgversprechend Der Fokus wird in Zukunft wohl vermehrt darauf liegen denjenigen Nutzen hervorzuheben der nicht direkt den Energiever-

Rolf RellstabRolf Rellstab ist wissenschaftlicher Mit-arbeiter und Projektleiter am Institut fuumlr Marketing Management der ZHAW School of Management and Law Seine Arbeits-schwerpunkte liegen im Bereich Kommuni-kation Kundenbeziehungsmanagement und B-to-B-Marketing

Projektziel und VorgehensweiseIm ZHAW-Projekt laquoNegawatt statt Megawattraquo werden optimierte Vorgehensweisen entwickelt um KMU mit einem jaumlhrlichen Strom-verbrauch zwischen 10 und 500 MWh zum Energiesparen zu moti-vieren Der Begriff laquoNegawattraquo bezeichnet die eingesparte Energie die zu virtuellen Negawatt-Kraftwerken kombiniert wird So wird anschaulich aufgezeigt wie viel Energie dank diesen Einsparungen weniger produziert werden muss Das Projekt beinhaltet eine interna-tionale Literaturstudie zu den Erfolgsfaktoren und Hemmnissen von Energieeffizienzprogrammen eine Umfrage bei Anbietern solcher Programme sowie eine Befragung von KMU Aus den Ergebnissen dieser drei Teilstudien werden Hypothesen im Hinblick auf ein idea-les Energieeffizienzprogramm abgeleitet In einem Folgeprojekt sol-len die Hypothesen im Rahmen eines Pilotprogramms uumlberpruumlft und weiterentwickelt werden Das Projekt wird durch den WWF Schweiz die Stiftung Pro Evolution das Bundesamt fuumlr Energie (BFE) und die Elektrizitaumltswerke des Kantons Zuumlrich (EKZ) unterstuumltzt Weitere In-formationen wwwzhawchnegawatt

laquoEine nachhaltige Verhaltens - aumlnderung bei Mitarbeitenden oder auf Managementebene

wird kaum verfolgtraquo

Wie viel Heizoumll wird jaumlhrlich in Winterthur verbraucht

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Klima im Wandel ndash Emissionsrechte im Handel

Der Klimawandel laumlsst sich anhand des Treibhauseffekts veranschaulichen Die Treibhausgase bewirken dass kurz-welliges Sonnenlicht zur Erdoberflaumlche gelangt verhindern jedoch dass langwellige Waumlrmestrahlung von der Erde nach aussen dringt Somit kann die Waumlrme nicht mehr entweichen und die Temperatur steigt Der Ausstoss von Treibhausgasen die vor allem bei der Verbrennung von fossilen Energietraumlgern wie Kohle Gas und Oumll entstehen hat seit der industriellen Revolution stark zugenommen und den natuumlrlichen Treibhauseffekt verstaumlrkt Eine Zunahme der Haumlufigkeit und Intensitaumlt meteorologischer und hydro-logischer Grossereignisse wie Stuumlrme und Uumlberschwem-mungen sind die Folge ndash mit gravierenden oumlkologischen oumlkonomischen und sozialen Konsequenzen

Der 2013 veroumlffentlichte Bericht der internationalen Exper-tengruppe Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zeigt auf dass die globale Durchschnittstempera-tur in den letzten 130 Jahren um 085deg Celsius gestiegen

Der Klimawandel findet nicht in ferner Zukunft sondern bereits jetzt statt Um ihn fuumlr Mensch und Umwelt auf einem ertraumlg-lichen Niveau zu stabilisieren muumlssen die Treibhausgas-emissionen reduziert werden Der Emissionshandel soll dazu beitragen sie dort zu mindern wo die geringsten Kosten an-fallen So kann das gesetzte Mengenziel oumlkonomisch effizient erreicht werdenText Regina Betz

ist Ohne Minderungsanstrengungen wird bis 2100 ein mehr als fuumlnffacher Anstieg prognostiziert Um die Treib-hausgaskonzentration in der Atmosphaumlre auf einem fuumlr Mensch und Umwelt akzeptablen Niveau zu stabilisieren muss die Erwaumlrmung bei unter 2deg Celsius stagnieren Da-fuumlr muumlssen laut dem 2014 veroumlffentlichten Bericht des IPCC die globalen Treibhausgasemissionen (THGE) bis 2050 gegenuumlber 2010 mindestens halbiert und bis 2100 um rund 100 Prozent reduziert werden 1997 hat sich die internationale Staatengemeinschaft im Kyoto-Protokoll fuumlr die Jahre 2008 bis 2012 erstmals auf voumllkerrechtlich ver-bindliche Ziele fuumlr den Ausstoss von THGE in den entwi-ckelten Laumlndern geeinigt aktuell finden Verhandlungen fuumlr die Festlegung neuer Ziele statt

Cap and TradeZur Zielerreichung sieht das Kyoto-Protokoll unter ande-rem den Emissionshandel auf Staatenebene vor Zahl-reiche Laumlnder wenden dieses Instrument aber haumlufiger auf Unternehmensebene an Das Grundprinzip ist einfach Die Houmlchstmenge (Cap) an erlaubten Gesamtemissionen wird festgelegt und an die regulierten Unternehmen im Emissions rechtehandelssystem (EHS) verteilt Die Unter-nehmen sind verpflichtet fuumlr jede emittierte Tonne Kohlen-dioxid ein Emissionsrecht einzureichen ansonsten sind Sanktionszahlungen faumlllig Will ein Unternehmen uumlber die ihm zugeteilte Menge hinaus emittieren muss es ein an-deres Unternehmen finden das ihm die benoumltigte Menge an Emissionsrechten verkauft (Trade) Unternehmen mit hohen Minderungskosten werden dabei Emissionsrechte hinzukaufen und Unternehmen mit niedrigen Kosten wer-den ihre Emissionen mindern indem sie etwa Biomasse statt Kohle verbrennen und uumlberschuumlssige Emissions-rechte verkaufen Durch den Handel koumlnnen die erforder-lichen Emissionsminderungen dort realisiert werden wo sie mit den geringsten Kosten verbunden sind Am Markt stellt sich ein Preis fuumlr die Emissionsrechte ein der Ange-bot und Nachfrage zum Ausgleich bringt

So einfach das Prinzip ist so schwierig ist seine Umset-zung Das System bedingt dass die Regierungen Rech-te fuumlr die Nutzung der Atmosphaumlre schaffen die zu einer

Hochschulperspektive

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Hochschulperspektive

Reduktion der Emissionen gegenuumlber einer Referenzent-wicklung fuumlhren dem sogenannten Business-as-usual-Szenario Doch die Abschaumltzung dieses Szenarios also der Entwicklung der Emissionen ohne Mengenbegren-zung ist schwierig wie die nachfolgenden Ausfuumlhrungen zum Emissionshandel in der EU zeigen

Der Emissionshandel in der EUDas EU-EHS ist der weltweit groumlsste Markt von Emissions-rechten Alle 28 EU-Staaten sowie Liechtenstein Island und Norwegen sind daran beteiligt Die Schweiz wuumlrde sich gerne anschliessen Das EU-EHS leidet seit seiner Einfuumlhrung im Jahr 2005 unter einem Uumlberangebot das sich mittlerweile auf rund 2 Milliarden Emissionsrechte be-laumluft Dies entspricht ungefaumlhr den vom System regulierten Emissionen eines Jahres Neben den unvorhergesehenen oumlkonomischen Entwicklungen durch die globale Finanz-krise traumlgt auch der starke Zubau an erneuer baren Ener-gien zu einem houmlheren Ruumlckgang der Emissio nen bei als geplant Der Hauptgrund fuumlr den derzeitigen Uumlberschuss liegt jedoch darin dass die regulierten Unternehmen ne-ben den Europaumlischen Emissionsrechten ndash European Union Allowances (EUAs) ndash auch auslaumlndische Emissions-minderungszertifikate ndash Certified Emission Reductions (CERs) ndash zu einem bestimmten Anteil anrechnen koumlnnen Mit dem sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) koumlnnen Industrienationen in Entwicklungslaumlndern emissionsmindernde Projekte finanzieren und sich die da-bei entstehenden THGE-Reduktionen mithilfe von CERs anrechnen lassen

Durch diese verschiedenen Faktoren hat sich ein Uumlberan-gebot entwickelt das den Preis der EUAs und CERs stark sinken liess Der Preis belaumluft sich derzeit auf rund fuumlnf Euro pro EUA Die bisherigen Reformanstrengungen wie etwa das sogenannte Backloading das Verschieben von Auktionen in spaumltere Jahre um die Menge zu verknappen haben bisher kaum zu einer Preiserhoumlhung gefuumlhrt

Die Schweiz als PreishochburgDer Schweizer Markt wuumlrde bei einem Zusammen-schluss nur rund 03 Prozent des EU-EHS ausmachen

Die Schweiz wuumlrde somit als Preisnehmerin agieren Das heisst der EU-Preis sollte auch in der Schweiz gelten Umso erstaunlicher ist es daher dass der Schweizer Preis pro Emissionsrecht derzeit bei rund 40 Franken liegt ob-wohl die Verbindung des Schweizer EHS mit dem EU-EHS geplant ist (sogenanntes Linking) Das auf der Basis des revidierten CO2-Gesetzes von 2012 und der CO2-Verord-nung verabschiedete System das den Emissionshandel am 1 Januar 2013 fuumlr 38 Unternehmen beziehungsweise 55 Anlagen in der Schweiz verbindlich eingefuumlhrt hat uumlber-nimmt weitestgehend die Regeln des EU-EHS Das neue System hat das bisherige freiwillige EHS in der Schweiz abgeloumlst Die im EHS erfassten Unternehmen sind von der CO2-Abgabe befreit Die hohe Kompatibilitaumlt des Schwei-zer EHS und des EU-EHS sollte ein schnelles Linking er-moumlglichen wobei die Verhandlungen durch die Annahme der Einwanderungsinitiative zum Stillstand gekommen sind Ein moumlglicher Erklaumlrungsansatz ist daher dass der hohe Preisunterschied die derzeitige Unsicherheit uumlber den Ausgang der Linking-Verhandlungen widerspiegelt Gehen die Schweizer Unternehmen davon aus dass kein Linking stattfindet sollte sich der Preis anhand der Minderungs-kosten und der Knappheit im Schweizer EHS bilden Fuumlr die Unternehmen ist es immer noch guumlnstiger den der-zeitigen Preis von 40 Franken fuumlr die Emissionsrechte zu bezahlen als eine Busse von 125 Franken pro fehlendes Emissionsrecht Zusaumltzlich zur Busse ist das Unternehmen verpflichtet die fehlenden Rechte im naumlchsten Jahr nach-zureichen Auch hier hat sich die Schweiz stark am EU-EHS orientiert bei dem die Busse bei 100 Euro pro EUA plus Wiedergutmachung liegt

Allokation beeinflusst den WettbewerbDie Gesamtmenge an Emissionsrechten (Cap) leitet sich aus den historischen Emissionen der teilnehmenden EHS-Unternehmen ab Fuumlr bestehende Anlagen die bereits vor 2013 am EHS in der Schweiz beteiligt waren setzt sie sich aus der Summe der durchschnittlich zugeteilten Emis-sionsrechte der ersten Verpflichtungsperiode (2008 bis 2012) zusammen fuumlr Anlagen die 2013 hinzukommen aus der Summe der durchschnittlichen Emissionen der

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fuumlr neue Anlagen in einer Reserve zuruumlckbehalten deren Uumlberschuumlsse zweimal jaumlhrlich versteigert werden Die Zu-teilung der Emissionsrechte hat etwas laumlnger gedauert so-dass sie in der Schweiz fuumlr die Jahre 2013 und 2014 erst im Februar 2014 erfolgte Das mag auch einer der Gruumlnde sein dass bisher kein Handel auf dem Sekundaumlrmarkt fuumlr den die Berner Kantonalbank eine eigene Emissions-handelsplattform bereitgestellt hat stattgefunden hat Das erste Preissignal war deshalb die Auktion der Uumlberschuumls-se aus der Neuemittentenreserve Diese fand vom 14 bis 21 Mai 2014 statt und erzielte fuumlr die 150 000 Emissions-rechte einen Preis von 4025 Franken pro Emissionsrecht

Wie sich die Liquiditaumlt im Schweizer Markt in Zukunft ent-wickeln wird und ob ein Linking mit dem EU-EHS und so-mit eine Angleichung der Schweizer Preise an die EU-EHS-Preise stattfinden wird bleibt abzuwarten Letzteres waumlre zwar aus oumlkonomischer Sicht zu begruumlssen da ein groumls-serer liquider Markt mit einheitlichem Preissignal als effizi-enter bewertet wird Aus oumlkologischer Sicht scheint jedoch ein Linking der Systeme ohne weitere Reformen des EU-EHS nicht wuumlnschenswert da es die Minderungsanreize in der Schweiz als Folge des Angebotsuumlberschusses an Emissionsrechten in der EU massiv reduzieren wuumlrde

Jahre 2009 bis 2011 Diese Summe wird jaumlhrlich um 174 Prozent reduziert analog der Regelung im EU-EHS

Neben der Festlegung der Obergrenze ist die Ausgestal-tung der Zuteilungsregeln politisch am schwierigsten da diese Verteilungswirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussen Bis 2012 wurden die Emissionsrechte in der EU daher groumlsstenteils kostenlos zugeteilt Seit 2013 werden rund 48 Prozent der Emissionsrechte versteigert wobei diese vor allem von Elektrizitaumltsfirmen gekauft wer-den muumlssen Da diese nicht im internationalen Wettbewerb

stehen konnten sie den Preis der gratis erhaltenen Emis-sionsrechte an die Elektrizitaumltskonsumenten weitergege-ben und hohe Gewinne erzielen Unternehmen aus Sek-toren die im internationalen Wettbewerb stehen koumlnnen hingegen die Kosten fuumlr die Emissionsrechte nicht an ihre Endkunden weitergeben ohne betraumlchtliche Nachteile in Kauf zu nehmen Es besteht daher das Risiko dass diese Firmen in Laumlnder ohne Klimapolitik abwandern Um dieses Risiko zu senken erhalten Unternehmen bei denen ein Risiko auf Abwanderung besteht auch in Zukunft weitest-gehend kostenlos Emissionsrechte zugeteilt Die Zuteilung basiert dabei auf sogenannten Benchmarks (Tonne Koh-lendioxid pro Tonne Produkt) die auf der Basis der effizi-entesten 10 Prozent der Unternehmen berechnet und mit historischen Produktionsdaten multipliziert werden

Noch kein Handel in der SchweizDie Schweiz hat die Benchmarks des EU-EHS uumlbernom-men Da in der Schweiz vor allem stark im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen aus den Sektoren Zement Papier Chemie Stahl und Raffinerien unter den Emissionshandel fallen werden fast alle Emissionsrechte kostenlos zugeteilt Ein kleiner Anteil von 5 Prozent wird

Regina BetzDr Regina Betz ist Dozentin fuumlr Energie- und Umweltoumlkonomie an der ZHAW School of Management and Law Seit 2014 leitet sie den volkswirtschaftlichen Teil der Ener-gy Policy Analysis Group des Zentrums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht das Mitglied des Schweizer Competence Centers for Research in Energy Society and Transition (CREST) ist Zuvor lehrte sie an der University of New South Wales Australia Umwelt- und Klimaoumlkonomie und leitete als Co-Direktorin das Centre for Energy and Environmental Markets (CEEM) 1998 bis 2004 arbeitete sie als Wissenschaftlerin am Fraunhofer-Institut fuumlr System- und Innovationsforschung ISI in Deutschland

laquoNeben der Festlegung der Ober grenze ist die Ausgestaltung der Zuteilungsregeln politisch am

schwierigsten da diese Verteilungs wirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussenraquo

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nicht vollstaumlndig genutzt werden kann In der Energiestra-tegie des Bundes ist gemaumlss einem Szenario bis 2050 ein Zubau auf knapp 12 TWh pro Jahr Stromproduktion aus Fotovoltaik angedacht Dies bedingt den Bau von Fotovol-taikanlagen mit einer installierten Spitzenleistung von etwa 12 Gigawattpeak (GWp) und einem Flaumlchenbedarf von rund 84 000 000 Quadratmetern Dieser Flaumlchenbedarf ist auf den bestehenden Daumlchern in der Schweiz verfuumlgbar

An einem schoumlnen Sommertag koumlnnen diese Anlagen dann also etwa 12 GW erzeugen die maximale Ver-brauchslast liegt im Sommer aber nur bei rund 8 GW Es entsteht ein Uumlberschuss von 4 GW die Speicherleistung der Schweizer Pumpspeicheranlagen betraumlgt heute aber nur 15 GW 25 GW Leistung koumlnnen in diesem Szenario also gar nicht genutzt werden An einem Wintertag mit Hochnebel erzeugen diese Anlagen uumlberhaupt keinen Strom die Verbrauchslast liegt aber mit 10 GW noch houml-her als im Sommer Hier entsteht eine Luumlcke die mit ande-ren Energieformen oder Importen gedeckt werden muss

Speichern uumlbertragen oder einsparenUm diesem Problem zu begegnen gibt es verschiedene Loumlsungsansaumltze Ein Ansatz ist die Energie lokal dort zu speichern wo sie erzeugt aber nicht sofort verbraucht werden kann In diesem Fall werden in erster Linie viele kleine Speichermodule benoumltigt die sowohl fuumlr kurz- als auch langfristigen Ausgleich sorgen muumlssen Eine andere Moumlglichkeit ist es die Energie an Orte zu uumlbertragen wo sie sofort verbraucht wird dann muss in erster Linie das Netz ausgebaut werden Schliesslich koumlnnte Energie auch zentral zu grossen Speichern transportiert werden was sowohl einen Netzausbau als auch neue Speichertechno-logien bedingen wuumlrde

Als die Gesellschaft noch aus Jaumlgern und Sammlern be-stand verbrauchte der Mensch seine Energie lokal dort wo er sie benoumltigte Er lebte von der Hand in den Mund Im Zuge der aufkommenden Landwirtschaft musste er Methoden entwickeln um Nahrung haltbar zu machen und sie zu transportieren Vor demselben Problem steht heute die Energiewirtschaft Ort und Zeit der erneuerbaren Energieerzeugung korrelieren je laumlnger je weniger mit dem Verbrauch Die Herausforderung der Energiewende ist deshalb nicht nur die Produktion selbst sondern auch die Uumlbertragung die Speicherung und das lokale Verbrauchs-last-Management

Saisonale Speicherung problematischMit dem Ausstieg aus der Kernenergie muumlssen in der Schweiz etwa 40 Prozent der produzierten elektrischen Energie ersetzt werden also rund 23 Terawattstunden (TWh) pro Jahr Im Gegensatz zur Kernenergie haben die neuen erneuerbaren Energien den Nachteil dass ihre Pro-duktion nicht steuerbar ist und unregelmaumlssig anfaumlllt Der Kapazitaumltsfaktor also das Verhaumlltnis von durchschnittlicher zu maximaler Leistung betraumlgt bei konventionellen Kraft-werken bis zu 100 Prozent bei Fotovoltaikanlagen dage-gen nur etwa 10 Prozent Hinzu kommen die starken saiso-nalen Schwankungen dieser stochastisch erzeugenden Energiequellen Im Winter liegt die Stromverbrauchsspitze mit circa 10 Gigawatt (GW) rund ein Drittel houmlher als im Sommer gleichzeitig liefern Fotovoltaikanlagen aufgrund des flacheren Einstrahlungswinkels und der kuumlrzeren Son-nenscheindauer wesentlich weniger Strom als im Sommer

Anhand eines Gedankenexperiments laumlsst sich veran-schaulichen dass das Potenzial der neuen erneuerbaren Energien ohne zusaumltzliche Speicher oder steuerbare Lasten

Energie haltbar machen

Der Ausbau von erneuerbaren Energiequellen geht so schnell voran dass Speicher- und Uumlbertragungstechnologien kaum mithalten koumlnnen Um Produktionsspitzen zu glaumltten braucht es Fortschritte in der EnergietechnikText Petr Korba

Hochschulperspektive

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Petr KorbaProf Dr Petr Korba ist Dozent und Fach-gruppenleiter fuumlr elektrische Energietechnik und Smart Grids an der ZHAW School of En-gineering Zuvor forschte er uumlber zehn Jahre bei ABB Schweiz in den Bereichen Automa-tion Energie- und Regelungstechnik

Scherrer Institut an der Power2Gas-Technologie Dabei wird Kohlendioxid mit Strom aus erneuerbaren Quellen durch Elektrolyse zu Wasserstoff oder weiter zu Methan verarbeitet Aumlhnlich wie bei der Nahrungsmittelproduktion wo Staumlrke schliesslich als raffinierter Zucker gespeichert wird gibt es auch bei der Stromspeicherung immer raffi-niertere Formen Bei jeder Umwandlung geht aber Energie verloren Man muss sich also gut uumlberlegen ob man uumlber-haupt speichern will und wenn ja uumlber welchen Zeitraum

Mit der wachsenden Integration von erneuerbaren Energi-en steigen auch die Anforderungen an die Energietechnik Unser kuumlnftiges Energiesystem wird staumlrker automatisiert und intelligenter sein Um erneuerbare Energiequellen zu integrieren werden Informations- und Kommunikations-technologien Automatisierungs- und Regelungstechnik Signalverarbeitung oder Wettervorhersagen immer wich-tiger In den intelligenten Stromnetzen der Zukunft wer-den alle beteiligten Komponenten Daten wie den aktuellen Verbrauch verfuumlgbare Strommengen oder lokale Aus-faumllle melden und gleichzeitig solche Daten aus anderen Netzkomponenten empfangen Das daraus resultierende Smart Grid ist ein Gefuumlge das selbststaumlndig auf diese Ein-fluumlsse reagiert und seine eigene Effizienz optimiert Es gilt Energie effizienter zu uumlbertragen um raumlumliche Distanzen zu uumlberwinden und neue Speichertechnologien zu entwi-ckeln um zeitliche Engpaumlsse zu uumlberbruumlcken Elektrische Energie kann auf verschiedene Arten erzeugt gespei-chert und uumlbertragen werden Jede Art hat ihre Vor- und Nachteile und ihren Preis Anreize aus der Politik werden schliesslich entscheiden welche Formen dies in der Zu-kunft sein werden

Auf der Verbraucherseite laumlsst sich die Nutzlast durch ge-eignetes Last-Management anpassen Diese Steuerung schaltet verbrauchsintensive Anlagen in Unternehmen gewerblichen Betrieben und Haushalten gezielt dann ein wenn die Stromtarife guumlnstig sind Es duumlrfte aber schwie-rig sein der Bevoumllkerung vorzuschreiben wann sie zum Beispiel fernsehen oder kochen darf Eine intelligente Re-gelung von grossen Kuumlhlhaumlusern stoumlrt dagegen nieman-den Trotz solchen Bestrebungen geht die International Energy Agency (IEA) davon aus dass der Stromverbrauch weltweit jaumlhrlich um rund 1 Prozent zunimmt Diese Ten-denz verstaumlrkt sich voraussichtlich noch falls sich der Bereich Mobilitaumlt von fossilen Energietraumlgern hin zur Elek-tromobilitaumlt verschieben wird Die Geschichte hat gezeigt dass der Energieverbrauch eigentlich nur in Krisenzeiten zuruumlckgeht

Klar ist jedenfalls dass der Ausbau von Speichern und Netzen Hand in Hand mit der zunehmenden Integration von erneuerbaren Energiequellen erfolgen muss Auf unter-schiedlichen Netzebenen kommen unterschiedliche Spei-chertechnologien zum Einsatz Waumlhrend fuumlr Haushalte mit kleinen Fotovoltaikanlagen und im Niederspannungsnetz bereits Batteriespeicher vorhanden sind stossen diese bei mehr als einer Windturbine oder groumlsseren Solarparks schnell an ihre Grenzen Das groumlsste Batterieenergie-speichersystem der Schweiz betreiben die Elektrizitaumlts-werke des Kantons Zuumlrich in Dietikon Es hat 1 Megawatt (MW) maximale Speicherleistung und kann diese waumlhrend ungefaumlhr 15 Minuten abgeben respektive speichern Die Spitzenlast im Schweizer Hochspannungsnetz liegt aber bei 8 GW im Sommer und 10 GW im Winter Die Schwei-zer Pumpspeicherkraftwerke koumlnnen unseren Strombe-darf nur etwa einen Monat lang decken Das europaumlische Hochspannungsnetz verfuumlgt uumlber eine Spitzenlast von circa 500 GW Um die Leistung von Grosskraftwerken wie Offshore-Windparks langfristig zu speichern braucht es neue Technologien

Raffinierte EnergiespeicherungDafuumlr forscht die ZHAW School of Engineering gemein-sam mit der ETH Zuumlrich der EPF Lausanne und dem Paul

26 COMPETENCE | 2014

Hochschulperspektive

Dissonanz an der Steckdose

Mit der Energiestrategie 2050 haben Bundesrat und Parla-ment eine Kehrtwende in der Schweizer Energiepolitik ein-gelaumlutet der die wichtigsten politischen Huumlrden erst noch bevorstehen Auf den ersten Blick scheint der Kurswechsel breit abgestuumltzt Seit dem Reaktorunfall in Fukushima fuumlh-ren Umfragen immer wieder zum gleichen Ergebnis Der langfristige Ausstieg aus der Kernenergie findet eine Mehr-heit Im Grundsatz stossen erneuerbare Energien sowie Massnahmen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz auf hohe Zustimmung Was fuumlr den Stimmzettel gilt beeinflusst aber nicht automatisch das Konsum- und Investitionsverhalten der Energiekunden Die Bereitschaft aus eigenem Antrieb mehr fuumlr ein oumlkologisch houmlherwertiges Produkt aus neuen erneuerbaren Energietraumlgern zu bezahlen ist beschraumlnkt Nur wenige Haushalte sind zudem bereit ihren Energie- und insbesondere ihren Stromkonsum zu reduzieren wenn dies mit nicht amortisierbaren Investitionskosten oder einem moumlglichen Komfortverlust verbunden ist

Mit anderen Worten Effizienz wird als teuer und Suffizienz als bevormundend empfunden Die private Zahlungsbereit-schaft laumlsst sich zwar mit regulatorischen Interventionen wie fixen Einspeiseverguumltungen oder Investitionssubven-tionen in Effizienzmassnahmen etwas erhoumlhen Doch die Erfahrungen in Deutschland und der Schweiz zeigen dass solche Massnahmen oumlkonomisch ineffizient sind und oft als ungerecht empfunden werden Sie koumlnnen damit zum Bumerang fuumlr die Akzeptanz der energiepolitischen Ziele werden Neben den politischen Huumlrden ist somit auch die kognitive Huumlrde der Konsumenten zu beruumlcksichtigen De-ren Uumlberwindung bedarf zuerst einer differenzierten Analyse der Ursachen und danach der Entwicklung innovativer Ver-triebsmodelle und Produkte auf Versorgerseite

Eine Mehrheit der Bevoumllkerung unterstuumltzt den Ausstieg aus der Kernenergie doch nur wenige beziehen ein oumlkologisches Stromprodukt Warum das so ist und wie sich diese Dissonanz aufloumlsen laumlsst beschaumlftigt derzeit viele EnergieversorgerText Claudio Cometta

Indifferenz uumlberwiegtFuumlr viele Konsumenten ist die Strom- Gas- oder Fern-waumlrmerechnung ein verhaumlltnismaumlssig kleiner Posten im Haushaltsbudget dem wenig Beachtung geschenkt wird Die Schweiz ist sogar einer der Spitzenreiter in Europa machen die Stromkosten im Durchschnitt doch nicht mehr als 2 Prozent der Haushaltsausgaben aus Wenig Beachtung bedeutet auch wenig Kenntnis des Preises und der Menge der bezogenen Energieleistung oder der Zusammensetzung des Tarifs aus Energiekosten Netz-kosten und Abgaben Entsprechend besteht nur ein ge-ringes Interesse Energie und damit Kosten zu sparen Konsumentenbefragungen zeigen zudem dass nur eine kleine Minderheit der Kunden die Zusammensetzung ihres Stromprodukts nach Energietraumlgern kennt Die geringen Kosten und Unkenntnis des Produkts verhindern also die Wahl anderer Stromprodukte Strom ist ein klassisches Commodity-Produkt Man kann ihn weder sehen noch riechen Er ist verhaumlltnismaumlssig guumlnstig immer verfuumlgbar und aumlndert in keinerlei Hinsicht seine Eigenschaften wenn dafuumlr mehr bezahlt wird Zudem ist meist nicht sichtbar wer wie viel von welchem Produkt bezieht Der Strom-konsum ist Privatsache

Uumlberwindung durch VertriebsmodelleDie Vorgaben der Energiestrategie 2050 beinhalten nicht nur einen massiven Zubau der Produktionskapazitaumlt aus erneuerbaren Energietraumlgern sondern auch die kon-tinuierliche Reduktion des Energie- und insbesondere des Stromkonsums pro Kopf Die direkte Finanzierung der dazu notwendigen Investitionsvorhaben scheint an-gesichts der Indifferenz auf Konsumentenseite jedoch schwierig Aus diesem Grund sind mehrere Schweizer

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rund um Haushaltstechnik Sicherheit Pflege oder Kom-munikation sowie ein geschicktes Marketing mit Elemen-ten der sozialen Kontrolle Denkbar sind auch Anreize die keinen direkten Zusammenhang mit dem Energiekonsum aufweisen aber fuumlr breite Bevoumllkerungsgruppen attrak-tiv sind So haben etwa einzelne skandinavische Versor-ger damit begonnen energiesparendes Verhalten ihrer Kunden mit Verguumlnstigungen fuumlr die Nutzung oumlffentlicher Transportmittel zu belohnen

Uumlberwindung durch PartizipationDie wohl wirkungsvollste Massnahme zur Uumlberwindung der Dissonanz an der Steckdose ist bereits inhaumlrent in der Transformation des Energiesystems hin zu einer staumlrker dezentralen Erzeugung angelegt Kunden entwi-ckeln sich von passiven Leistungsempfaumlngern zu aktiven Leistungserbringern sogenannten Prosumern Als Klein-produzenten von Strom mit einer hauseigenen Fotovol-taikanlage oder thermischer Speicherleistung mit Kraft-Waumlrme-Kopplungsanlagen im Mikroformat werden sie mittelfristig wesentlich zum Umbau des Energiesystems und zu den Zielen der Energiestrategie beitragen koumlnnen Eine nicht ganz unbedeutende Rolle koumlnnten in Zukunft sogenannte Buumlrgerbeteiligungsmodelle fuumlr die Finanzie-rung neuer In frastrukturprojekte spielen Diese wuumlrden gleichzeitig die Akzeptanz sichtbarer Produktionsanlagen von neuen erneuerbaren Energien erhoumlhen Doch erst wenn das Produkt Strom nicht mehr als reines Commodity-Produkt wahrgenommen wird werden politische Meinung und Konsumverhalten bei einer Mehrheit der Stimmbuumlrger uumlbereinstimmen

Energieversoger in letzter Zeit dazu uumlbergegangen soge-nannte Default-Modelle einzufuumlhren die Stromprodukte aus erneuerbaren Quellen zum neuen Standard erheben Dabei macht man sich die Traumlgheit der Kunden zunutze indem die Wahl eines Stromprodukts aus nicht erneuer-baren Energietraumlgern als Option definiert wird die aktiv bestellt werden muss

Nicht zuletzt aufgrund solcher Modelle ist die Zahl der Schweizer Haushalte die ein Stromprodukt aus aus-schliesslich erneuerbaren Energien beziehen auf uumlber 25 Prozent gestiegen Doch weitere Vertriebsinnovationen werden notwendig sein etwa um der Herausforderung der Einspeisung von Strom aus fluktuierend nutzbaren Quellen (Solar- und Windenergie) in die Verteilnetze gewachsen zu sein die immer staumlrker ins Gewicht faumlllt In der Folge gilt es Investitionen in Netz- und Speichersysteme zu finan-zieren In innovativen Vertriebsmodellen welche dieser Herausforderung gerecht werden erhaumllt das Konsumver-halten einen Wert Zeitliche Flexibilitaumlt wird belohnt durch Tarifreduktion Bonus oder Vermeidung einer Gebuumlhr Wie diese beiden Beispiele zeigen laumlsst sich der Mehrwert von vermeintlichen Commodity-Produkten durch neue Vertriebsmodelle abschoumlpfen und als marktwirtschaftlich vertraumlglicher Finanzierungsmechanismus fuumlr neue Infra-strukturvorhaben im Energiesektor nutzen

Uumlberwindung durch innovative ProdukteNoch groumlsseres Potenzial birgt die Weiterentwicklung von Stromprodukten zu Leistungssystemen die fuumlr Energie-kunden einen echten Mehrwert bieten Hierzu gehoumlrt die Verknuumlpfung des Kernprodukts Strom mit Dienstleistun-gen die den Kunden ein transparenteres Verbrauchsver-halten sowie Kostenoptimierung ermoumlglichen Intelligente Stromzaumlhler sogenannte Smart Meter kombiniert mit fle-xiblen Tarifen und einem einfachen Feedback- und Steuer-system sind die Voraussetzung um zumindest oumlkologisch sensibilisierten oder kostenbewussten Endkunden einen Effizienzeffekt zu ermoumlglichen Damit solche Leistungs-systeme aber fuumlr die grosse Gruppe der Indifferenten interessant werden braucht es weitere Mehrwerte Dazu gehoumlren die Verknuumlpfung mit intelligenten Anwendungen

Claudio ComettaDr Claudio Cometta ist Dozent fuumlr Innovation und Entrepreneurship an der ZHAW School of Management and Law Er koordiniert den Aufbau des nationalen Energie-Kompetenz-zentrums SCCER 5 an der ZHAW

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Die Energiewende stellt die Energieversorgungsunternehmen in der Schweiz vor grosse Herausforderungen Das Beispiel von Stadtwerk Winterthur zeigt wie die Branche auf den Paradig-menwechsel reagiertText Florian Wehrli

Von den Anfaumlngen als laquoWinterthurer Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtungraquo vor uumlber 150 Jahren bis zum modernen Querverbundunternehmen hat sich Stadtwerk Winterthur kontinuierlich weiterentwickelt Seine Aufgabe ist aber gemaumlss Direktor Markus Saumlgesser weitgehend dieselbe geblieben die Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung zu verbes-sern So bietet das staumldtische Versorgungsunternehmen neben klassischen Produkten wie Wasser Strom Gas oder Kehrichtentsorgung und Abwasserreinigung heute auch Fernwaumlrme Haustechnik Glasfasernetz und Ener-gie-Contracting an Die Ausdehnung auf neue Geschaumlfts-bereiche will der Direktor aber nicht als Reaktion auf die Liberalisierung des Energiemarkts verstanden wissen laquoWir begegnen der Marktoumlffnung proaktiv und wollen die sich bietenden Chancen aktiv nutzenraquo

Lokales Potenzial ausgeschoumlpftIm liberalisierten Markt hat das staumldtische Versorgungs-unternehmen mit dem Monopol auf sein Energieversor-gungsnetz von gesamthaft mehr als 2 500 Kilometern einen Vorteil Dessen Unterhalt ist nach wie vor eine der Hauptaufgaben Im Gegensatz zu anderen Energieversor-gern betreibt Stadtwerk Winterthur naumlmlich einen verhaumllt-nismaumlssig geringen Anteil an eigenen Produktionsanlagen Das Flaggschiff ist die wohl modernste Kehrichtverwer-tungsanlage der Schweiz laquoMit dem Umbau konnten wir 2013 den Wirkungsgrad der Anlage um einen Drittel stei-gern und die Abluft gehoumlrt zu den saubersten weltweitraquo sagt Markus Saumlgesser Heute deckt die KVA 20 Prozent des Winterthurer Strom- und 12 Prozent des Waumlrmebe-darfs ab Auf solchen Lorbeeren ausruhen will sich Stadt-werk Winterthur aber nicht laquoWir wollen mithelfen eine nachhaltige Energiewirtschaft aufzubauenraquo Mittelfristig soll

die Haumllfte des Stromangebots aus erneuerbaren Quellen stammen laquoDas ist ein ehrgeiziges Zielraquo sagt Saumlgesser laquowir sind aber auf gutem Weg dazuraquo

Rund die Haumllfte des Rahmenkredits von 90 Millionen Franken fuumlr erneuerbaren Strom den das Winterthurer Stimmvolk 2012 bewilligt hat ist bereits investiert Im Bereich Fotovoltaik ist die Planung der groumlssten Anlagen abgeschlossen etwa auf den Daumlchern der Eishalle oder des Busdepots Eine aktuelle Windpotenzialstudie zeigt fuumlr Winterthur nur wenige moumlgliche Standorte auf zumal die Bewilligung solcher Anlagen mit grossem buumlrokratischem Aufwand verbunden sei Mit diversen Nahwaumlrmever-buumlnden nutzt Stadtwerk Winterthur auch Holzabfaumllle bereits sehr effizient Aber auch dieser Energietraumlger ist in Winterthur beschraumlnkt vorhanden Das letzte Projekt das Holz aus dem Winterthurer Stadtwald einsetzen wird ist in der Aufbauphase Studien im Bereich Wasserkraft haben gezeigt dass abgesehen von einem Kleinwasser-kraftwerk an der Toumlss in der Region kaum Potenzial vor-handen ist

Investitionen im AuslandlaquoDiese aufwendige Aufbauarbeit soll nicht zur Regel wer-denraquo sagt Markus Saumlgesser laquoDas limitierte Energiepoten-zial in der Schweiz und die beschwerlichen Instanzenwe-ge fuumlr Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie lassen uns deshalb vermehrt im Ausland investierenraquo 2012 be-teiligte sich das Stadtwerk mit 12 Millionen Franken am Kleinkraftwerk Birseck AG das Kleinwasserkraftwerke und Foto voltaikanlagen in der Schweiz und in Frankreich be-treibt 2013 folgte eine Beteiligung in der Houmlhe von 25 Mil-lionen Franken an der Swisspower Renewables AG die in

Vom Versorger zum Dienstleister

Unternehmensperspektive

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sein glaubt er aber nicht daran dass der Stromverbrauch insgesamt zuruumlckgehen wird laquoDafuumlr ist der Marktpreis zu niedrig Aus serdem wird Strom im Bereich Waumlrme und Mobilitaumlt einen Grossteil der fossilen Energietraumlger ersetzen muumlssenraquo Damit der geplante Verbrauchsruumlck-gang dennoch gelingt will der Bund Anreize schaffen Mit sogenannten weissen Zertifikaten will er die Versor-ger be lohnen wenn sie ihre Kunden zu einem geringeren Energie verbrauch bewegen In Grossbritannien Italien und Frankreich sind solche Modelle bereits im Einsatz Markus Saumlgesser sieht dieser Entwicklung mit gemischten Gefuumlh-len entgegen laquoWir haben bereits vor der Reaktorkatastro-phe in Fukushima auf Energieeffizienz gesetzt und konn-ten uns dadurch profilieren Weil die Politik nun eingreift und den Markt uumlbersteuert bleibt uns als Unternehmen weniger Spielraum um uns zu positionierenraquo

Windkraftanlagen im angrenzenden Ausland investiert Fuumlr die Beschaffung von Strom am freien Markt ist das Stadtwerk eine Zusammenarbeit mit der Trianel GmbH in Aachen ndash einer der fuumlhrenden Stadtwerke-Kooperationen in Europa ndash eingegangen Damit sollen insbesondere der Zugang zum Grosshandelsmarkt sowie die Marktfor-schung sichergestellt werden Denn um Kunden nachhal-tige Energieprodukte verkaufen zu koumlnnen muss man ihre Beduumlrfnisse genau kennen

Anreize fuumlr geringeren VerbrauchDie Strategie scheint aufzugehen laquoSeit der Einfuumlhrung der neuen Stromprodukte Anfang 2013 haben wir den Absatz von erneuerbarer Energie in Winterthur verdop-pelt und denjenigen von Oumlkostrom sogar vervierfachtraquo so Saumlgesser Trotz dem steigenden oumlkologischen Bewusst-

Gemaumlss seinem Leitbild soll Stadtwerk Winterthur mit einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der soziashylen Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Bild Michael Lio

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Ausgliederung aus der StadtverwaltungAuch auf kommunaler Ebene ist Stadtwerk Winterthur von den politischen Rahmenbedingungen abhaumlngig ndash mit allen Vor- und Nachteilen Die politischen Kurswechsel in den vorgesetzten Gremien seien hinderlich bei der Umsetzung der Strategie des Unternehmens laquoWir taumltigen Investitio-nen mit einem Planungshorizont von mehreren Jahrzehn-tenraquo sagt Markus Saumlgesser laquoin der Politik wird dagegen in Amtsperioden von vier Jahren gedachtraquo Es gibt deshalb Bestrebungen das Stadtwerk aus der Stadtverwaltung auszugliedern und einem langfristig operierenden Steue-rungsgremium zu unterstellen Bei der Stimmbevoumllkerung geniesst Stadtwerk Winterthur grossen Ruumlckhalt Alleine in den letzten zwei Jahren wurden vier Abstimmungsvor-lagen mit grossem Mehr angenommen darunter Rah-menkredite fuumlr das Energie-Contracting oder erneuerbare Energien laquoEine bessere Legitimation koumlnnen wir uns gar nicht wuumlnschenraquo sagt Markus Saumlgesser

Neue BetriebskulturStrategisch und energiepolitisch werden Dienstleistungen wie das Energie-Contracting fuumlr Stadtwerk Winterthur immer wichtiger laquoWir wollen unserer Kundschaft Waumlr-me oder Kaumllte gleich komfortabel anbieten koumlnnen wie Stromraquo sagt Markus Saumlgesser laquoImmobilienbesitzerinnen und -besitzer sollen sich nicht mehr um den Fuumlllstand ih-res Oumlltanks oder den Termin fuumlr den Kaminfeger kuumlmmern muumlssenraquo Das Energie-Contracting waumlchst stark und macht heute bereits rund 5 Prozent des Umsatzes von Stadtwerk Winterthur aus

Die neuen Geschaumlftsfelder ziehen auch andere Arbeits-kraumlfte an als bisher Verschiedene Betriebskulturen seien in den vergangenen Jahren teilweise parallel gelaufen be-ginnen nun aber langsam zu verschmelzen Ein Beispiel dafuumlr ist die Verknuumlpfung von Smart Metering und dem traditionellen Verteilnetz Elektrizitaumlt Als Voraussetzung fuumlr das Change-Management in der Betriebskultur habe man alle Mitarbeitenden in die Erarbeitung des Unterneh-mensleitbildes involviert Entstanden ist ein Leitbild das Stadtwerk Winterthur dabei unterstuumltzt die Unterneh-mensstrategie umzusetzen Stadtwerk Winterthur soll mit

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

Markus SaumlgesserMarkus Saumlgesser (52) ist diplomierter Ma-schineningenieur ETH und hat ein Nachdi-plomstudium in technischen Betriebswissen-schaften absolviert Seit Anfang 2011 ist er Direktor von Stadtwerk Winterthur Seine bisherige berufliche Taumltigkeit fuumlhrte Markus Saumlgesser nach zwei Jahren Assistenz an der ETH zu einem Ingenieurbuumlro fuumlr Ener-gie- und Haustechnik Waumlhrend dieser rund sechsjaumlhrigen Zeit war er bei anspruchsvol-len Bauprojekten verantwortlich fuumlr die Konzeption und Koordination der technischen Gebaumludeausruumlstung Zudem war er waumlhrend vier Jahren Mitglied der Geschaumlftsleitung Nach zweijaumlhriger Taumltigkeit als Abteilungsleiter in einer groumlsseren Gemeinde wechselte er zum Elek-trizitaumltswerk der Stadt Zuumlrich (EWZ) bei dem er die Abteilung Vertrieb Grosskunden leitete Daneben war Markus Saumlgesser beim EWZ in verschiedene Innovationsprojekte involviert So zeichnete er fuumlr das Projekt laquoStromzukunft Stadt Zuumlrichraquo verantwortlich das wichtige Grundlagen fuumlr die Strategie des EWZ und die Volksabstimmung zur 2000-Watt-Gesellschaft in der Stadt Zuumlrich beisteuerte

Stadtwerk Winterthur in Zahlen (2013)Mitarbeitende 347Nettoinvestitionen 1198 Mio CHFDurchgeleitete Strommenge 5643 Mio kWhUmsatz Strom 93 Mio CHFDurchgeleitete Gasmenge 5295 Mio kWhUmsatz Gas 411 Mio CHFUnternehmensgewinn 109 Mio CHF

einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der sozia-len Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Wann wurden in Winterthur die ersten Strassenlampen mithilfe von Stein-kohle erleuchtet

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Unternehmensperspektive

ckelte Hochspannungsgleichstromschalter sollen zudem sicherstellen dass etwa ein Kurzschluss durch eine hy-perschnelle Abschaltung isoliert und das Netz somit nicht gefaumlhrdet wird Von 14 solchen Schaltsystemen welt-weit stammen 13 von ABB Die hohen Investitionen fuumlr die armdicken Gleichstromkabel rechnen sich da beim Transport viel weniger Strom verloren geht als bei der tradi tionellen Wechselstromtechnik Die Produktelinie ent-wickelt sich zum Renner Sie wird zur Anbindung von So-lar- und Windparks zur Versorgung von Inseln als Ersatz fuumlr Diesel generatoren auf Oumll- und Gasplattformen auf See eingesetzt Oder um Starkstrom vom Festland zu auf dem Meeresboden platzierten ferngesteuerten Foumlrderanlagen fuumlr Gas und Oumll zu leiten ndash wofuumlr ABB auch wartungsfreie Kompressoren liefert damit Kunden wie Statoil und Pet-robras teure Ausfaumllle erspart bleiben

Komplettloumlsungen aus einer HandDank hohem Innovationstempo sind die Divisionen Ener-gietechnik- und Niederspannungsprodukte gut ausgelas-tet Dies gilt ebenso fuumlr die Divisionen Industrie- und Pro-zessautomation Speziell energieintensive Industrien die unter hohem Kostendruck stehen muumlssen ihre Anlagen auf dem neusten Stand halten Dazu zaumlhlen Bergbau Oumll- und Gasindustrie Zellstoff- Papier- und Zementfabriken Chemie- und Pharmafirmen sowie Raffinerien Gefragt sind auch Industrieroboter und schwenkbare dank ABB-Leistungselektronik stufenlos regulierbare Schiffsantrie-be ABB liefert Grosskunden fertige Loumlsungen die hohe Produktivitaumlt und Energieeffizienz gewaumlhrleisten Alles ist aufeinander abgestimmt von der Elektrik uumlber Antriebe Generatoren Roboter Sensoren und Steuerungen bis hin

Zu Beginn des Jahrtausends stand ABB am Abgrund Doch eine neue Fuumlhrungscrew fuumlhrte das Unternehmen aus der Krise sodass die Schweiz inzwischen wieder stolz sein kann auf ihren Industriemulti mit Sitz in Zuumlrich Oerli-kon 2013 erzielte ABB mit rund 148 000 Mitarbeitenden in 100 Laumlndern 42 Milliarden Dollar Umsatz Die renom-mierte US-Universitaumlt MIT zaumlhlt ABB zu den 50 innova-tivsten Unternehmen weltweit Dank 8 000 Ingenieuren in Forschung und Entwicklung und einem Forschungsetat von 15 Milliarden Dollar kann ABB selbst mit Giganten wie Siemens und General Electric mithalten

Innovationen die Technikfans begeisternWas ABB alles macht wissen wohl nur Technikfans Denn der Konzern hat uumlber 70 000 Produkte im Angebot Die 300 ABB-Fabriken liefern taumlglich 15 Millionen Kompo-nenten aus die zu elektrischen Einrichtungen oder in Pro-duktionssteuerungen verbaut werden Aus Kanada etwa kam juumlngst ein Grossauftrag uumlber 400 Millionen Dollar Erneuerbare Energie die auf Neufundland und Labrador gewonnen wird soll ab 2017 via Hochspannungskabel 360 Kilometer nach Westen fliessen um dort 350 000 Haumluser zu versorgen Weltweit gibt es erst 90 solche Gleichstromkabelverbindungen die meist unter der Erde oder auf dem Meeresgrund verlaufen ABB ist mit rund 50 Prozent Anteil Marktfuumlhrer Die futuristisch anmuten-de Technik in den abgeschirmten Hallen wo der Strom vor dem Transport auf Hochspannung transformiert wird erinnert an den Maschinenraum von Raumschiff Enter-prise Ein wichtiges Steuerungselement bilden dabei in Baden Daumlttwil entwickelte und in Lenzburg produzierte Spezialchips die Houmlchstspannung aushalten Neu entwi-

Der schweizerisch-schwedische Technikkonzern treibt an vor-derster Front die Energiewende voran Dafuumlr forscht man bei ABB intensiv zu erneuerbaren Energien schlauen Stromnetzen sowie hocheffizienten Industrieanlagen Einzig die schwache Nachfrage nach Energieanlagen in Europa bremst die ExpansionText Andreas Fluumltsch

Innovativer Treiber der Energiewende

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uumlber weite Strecken in die Ballungsraumlume geleitet werden muss brummt das Geschaumlft In den USA treibt der Oumll- und Gasboom die Nachfrage Nur in Europa harzt das Geschaumlft mit Grossanlagen Weniger Nachfrage belastet die Margen bei Auftraumlgen fuumlr Wind- und Solarfarmen so-wie fuumlr Netzinfrastruktur Die Risiken der oft mehrjaumlhrigen Projekte sind so hoch dass ABB waumlhlerischer sein muss und etwa das Geschaumlft mit Solarloumlsungen zurzeit auf Sparflamme betreibt Dennoch ist ABB immer noch hoch-profitabel nicht zuletzt da die Kosten Jahr fuumlr Jahr um 3 bis 5 Prozent gesenkt werden Aber der erfolgsgewohnte Konzern musste sich 2013 mit 6 Prozent Umsatzplus zu-friedengeben Umso intensiver treibt der neue ABB-Chef Ulrich Spiesshofer die Integration der vorab in den USA fuumlr 10 Milliarden Dollar getaumltigten Zukaumlufe voran Und Spiess-hofer forciert die Zusammenarbeit der Divisionen damit ABB die Unternehmensvision laquoEnergie und Produktivitaumlt fuumlr eine bessere Weltraquo mit moumlglichst vielen eigenen Pro-dukten realisieren kann

zur Leittechnik samt angepasster Software Kleine und mittlere Kunden ordern Komponenten oder Teilsysteme Ein wichtiges Verkaufsargument ist das Sparpotenzial von stufenlos steuerbaren Elektromotoren Nur einer von fuumlnf Motoren hat laut einer Erhebung des Bundes einen Leis-tungsregler der Rest laumluft auf Hochtouren und wird ndash man glaubt es kaum ndash bei Bedarf mit Klappen oder Ventilen mechanisch abgebremst Eine gigantische Verschwen-dung da Industriemotoren laut einer Studie der Schwei-zerischen Agentur fuumlr Energieeffizienz 27 Prozent des Schweizer Stromverbrauchs ausmachen

Europaumlische ZuruumlckhaltungEigentlich muumlsste die Division Energietechniksysteme ebenfalls ausgelastet sein Denn auch die Stromwirtschaft muss ihre Effizienz steigern Schliesslich erfordert die Energiewende einen Totalumbau der auf Verteilung ausge-richteten Netze damit diese unter der Last von Solar- und Windenergie nicht instabil werden Arbeit in Huumllle und Fuumllle fuumlr ABB sollte man meinen Doch der erst zaghafte Auf-schwung in Europa daumlmpft die Nachfrage Erschwerend kommt hinzu dass subventionierte Wind- und Solarener-gie in Europas liberalisiertem Strommarkt den Strompreis in ungeahnte Tiefen druumlckte Die Konkurrenzfaumlhigkeit von Wasser- Gas- und Atomkraftwerken hat gelitten Pump-speicher sind keine Goldesel mehr seit die erneuerbaren Energien die Preisspitzen brechen Entsprechend schie-ben Stromkonzerne wie Alpiq oder RWE Investitionen auf Unsicherheiten rund um den Atomausstieg belasten zu-saumltzlich Die voraussichtlich noch auf Jahre hinaus tiefen Strompreise schmaumllern auch die Faumlhigkeit der Besitzer von Hochspannungs- und Verteilnetzen deren Umruumlstung zu finanzieren hoch verschuldete EU-Staaten fahren die Foumlrderung von Wind- und Solarenergie zuruumlck

Straffe KostenkontrolleABB bekommt den Investitionsstau empfindlich zu spuuml-ren Die Division Energietechniksysteme schreibt seit eini-ger Zeit rote Zahlen Zwar ordern Grosskunden aus Asien und Lateinamerika weiterhin kraumlftig Neben China inves-tiert vermehrt auch Indien in neue Stromnetze Uumlberall dort wo die Bevoumllkerung rasch waumlchst oder der Strom

Andreas FluumltschAndreas Fluumltsch war urspruumlnglich Jurist und arbeitete ab 1983 als Journalist fuumlr laquoBlickraquo laquoWeltwocheraquo laquoBilanzraquo und laquoCashraquo Zwischen 1989 und 1990 war er Mitglied der Geschaumlftsleitung von Greenpeace Schweiz anschliessend Hausmann Nach der Ruumlck-kehr in den Journalismus 1992 arbeitete er bei laquoBlickraquo laquoSonntagszeitungraquo und laquoTages- Anzeigerraquo und absolvierte eine Ausbildung zum Boumlrsenhaumlndler Nach der Fruumlhpensio-nierung Ende 2013 machte er sich als Publi-zist selbststaumlndig

ABB in Zahlen (2013)Betriebsertrag 41 848 Mio USDBetriebsergebnis 4 387 Mio USDndash Industrieautomation 1 458 Mio USDndash Niederspannung 1 092 Mio USDndash Prozessautomation 990 Mio USDndash Energietechnik 1 331 Mio USDndash Energiesysteme 171 Mio USD

Mitarbeitende 147 700ndash davon in der Schweiz 6 966

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Hohe Nachfrage nach MinergieDer Erfolg der bisherigen Sparbemuumlhungen bleibt nicht aus laquoTrotz zunehmender Pro-Kopf-Wohnflaumlche und stei-gendem Komfort sinkt der Energieverbrauch fuumlrs Heizen in den letzten Jahrzehnten stetigraquo verkuumlndet der Zuumlrcher Regierungsrat im Energieplanungsbericht 2014 Dazu tra-gen nicht nur die laufend verschaumlrften Gesetze bei Ebenso wichtig ist die Bereitschaft von Bautraumlgerschaften freiwillig Uumlberdurchschnittliches zu leisten Vor allem die Minergie-Regeln werden inzwischen gerne befolgt weshalb Haumluser mit halbiertem Energieverbrauch beinahe Standard sind Schweizweit traumlgt eines von zehn neuen Wohnhaumlusern ein Minergie-Zertifikat Der Anteil an Minergie-Haumlusern im Grossraum Zuumlrich liegt gemaumlss einer Marktanalyse der Universitaumlt Zuumlrich bereits nahe bei 20 Prozent Dies ist privaten Hauseigentuumlmern und institutionellen Investoren zu verdanken Wohn- und Geschaumlftshaumluser mit houmlchster Energieeffizienz gehoumlren inzwischen zum guten Ton Den juumlngsten Beweis liefert eine Immobilienstiftung der Credit Suisse die 70 Millionen Franken in die groumlsste Oumlkosied-lung der Schweiz investiert Im Aargauer Reusstal wohnen seit diesem Jahr rund 200 Familien Paare und Singles deren Wohnhaumluser sich weitgehend selbst mit Sonnen-energie versorgen So klimafreundlich die Energiewende-Architektur ist der Investor erwartet dennoch marktuumlb-liche Renditen Ist der Markt aber bereit oumlkologisches Engagement angemessen zu honorieren

Marktpotenzial fruumlhzeitig erkanntDie Zuumlrcher Kantonalbank (ZKB) beziffert den Mehrwert von Minergie-Haumlusern auf 7 Prozent Kaumlufer seien bereit diesen Aufpreis fuumlr mehr Energieeffizienz zu bezahlen Als weitere Nebeneffekte nennt der vor drei Jahren publizierte ZKB-Bericht eine hochwertige dauerhafte Bausubstanz sowie die Absicherung gegen steigende Oumll- und Energie-preise Fachleute des Immobilienberatungsunternehmens Wuumlest amp Partner (WampP) warnen indes dass sich zusaumltz-liche Investitionen in die Energieeffizienz nicht uumlberall loh-nen laquoRegional schwankt die Zahlungsbereitschaft des Immobilienmarktsraquo praumlzisiert WampP-Partner Ivan Anton Minergie-Haumluser koumlnnen aber nicht nur in abgelegenen Regionen ein Marktrisiko werden laquoMit Ausnahme der

Beim Autokauf wird bevorzugt auf Pferdestaumlrken Be-schleunigung und Innenausstattung geachtet Der CO2-Ausstoss interessiert hingegen kaum So kommt die Energieeffizienz im Strassenverkehr nur stockend voran 1995 schluckten alle neu immatrikulierten Personen-wagen durchschnittlich 9 Liter Benzin pro 100 Kilometer 20 Jahre spaumlter liegt der Durchschnittsverbrauch gemaumlss Bundesamt fuumlr Energie (BFE) immer noch uumlber 6 Litern Das viel gepriesene laquoDrei-Liter-Autoraquo haben alle Hersteller wieder aus der Modellpalette genommen

Demgegenuumlber gelingen dem oft traumlge genannten Ge-baumludebereich weitaus groumlssere Effizienzspruumlnge Ver-brauchen 40 Jahre alte Haumluser im Schnitt 220 Kilowatt-stunden (kWh) Heizenergie pro Quadratmeter Wohnflaumlche und Jahr sind die aktuellen Werte unter die 50er-Marke gesunken Zusaumltzliche Sparerfolge sind nur eine Frage der Zeit Im Fruumlhsommer haben die kantonalen Energie-direktoren uumlber ein Rahmenabkommen beraten das Null-energieneubauten demnaumlchst zum Standard machen soll Wie die nationale Energiewende zu erreichen ist erklaumlrt Christoph Gmuumlr von der Abteilung Energie des Kantons Zuumlrich laquoDer spezifische Verbrauchswert ist zudem auf 35 kWh pro Quadratmeter zu senkenraquo Gebaumlude die sich mit umweltfreundlicher Energie selbst versorgen wollen auch die EU-Staaten Ab 2020 wird ein Gebaumludestandard eingefuumlhrt der nur noch laquoNiedrigstenergiegebaumluderaquo mit sehr hoher Energieeffizienz als Neubauten vorsieht

Energiesparhaumluser waren vor 30 Jahren Exoten inzwischen nimmt der Bereich der energie-effizienten Gebaumlude eine Vor-bildrolle fuumlr die Energie wende ein Bauherren profitieren davon ebenso wie die Zuliefer-branche Text Paul Knuumlsel

Expertensicht

Haumluser in der ersten Reihe

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der Bau von Niedrigenergiehaumlusern und alternativen Hei-zungsanlagen sowie energetische Gebaumludesanierungen Investitionen im Umfang von rund 4 Milliarden Franken ausgeloumlst rechnet der Bund vor laquoEin Fuumlnftel insgesamt 860 Millionen Franken stammt aus den oumlffentlichen Kas-senraquo verweist die BFE-Stelle EnergieSchweiz auf die Im-pulse der kantonalen Foumlrderprogramme Einen Wermuts-tropfen besitzt diese Wirkungsbilanz Fruumlhere Analysen der Energiesparprogramme zeigen naumlmlich dass zwi-schen einem Drittel und der Haumllfte der energetisch vorbild-lichen Gebaumlude auch ohne staatliche Foumlrderung realisiert worden waumlren Dem Mitnahmeeffekt ist auch die Eidge-noumlssische Steuerverwaltung auf der Spur Sie schaumltzt dass Bund und Kantonen jaumlhrlich 14 Milliarden Franken entgehen weil energetische Gebaumludesanierungen bei der Liegenschaftssteuer abzugsberechtigt sind Die Energie-wende erfordert nicht nur mehr Effizienz bei den Anwen-dungen sondern auch einen effizienten Einsatz staatlicher Mittel Im Energieplanungsbericht 2013 hat der Zuumlrcher Regierungsrat erstmals uumlber alternative Anreizsysteme nachgedacht Demnach soll eine Lenkungsabgabe den Energiekonsum reduzieren und das bisherige Foumlrdersys-tem abloumlsen Aumlhnliche Plaumlne verfolgt der Bund Denn ein Lenkungssystem duumlrfte weitere Sparbemuumlhungen im Ge-baumludebereich aber auch im Strassenverkehr foumlrdern Ins-besondere dann wenn Heizoumll und Benzin im Gleichschritt teurer werden

begehrten Wohnlagen haben Hauseigentuumlmer an vielen Orten mit moumlglichen Verkaufsverlusten zu rechnenraquo so Anton Zwar sei die Nachfrage bei Eigentuumlmern und Mie-tern aumlhnlich gross Aber auch Mieter wuumlrden nicht uumlberall mehr fuumlr eine energieeffiziente Wohnung bezahlen Kaum uumlberraschen darf daher dass Immobilieninvestoren immer haumlufiger die steigenden Energieanforderungen kritisieren und kostenguumlnstigere Baustandards vorziehen Fuumlr WampP-Berater Urs Hausmann ist laquonachhaltiges Bauen trotzdem keine Frage von Luxus oder Wohlstand sondern eine wie man mit Ressourcen umgehen willraquo Dass ein hohes Um-weltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauen Der Run auf den oumlkologischen Baustoff Holz laumlsst zum Beispiel eine gesamte Wertschoumlpfungskette und viele

innovative Unternehmen profitieren Forstbetriebe Sauml-gereien Fensterbauer Daumlmmstoffhersteller und andere Bauzulieferer vergroumlssern ihre Produktionskapazitaumlten und stellen zusaumltzliches Personal ein laquoDie Umsaumltze im Schweizer Holzbau sind in den letzten Jahren um mehrere Hundert Millionen Franken gestiegen und die Trendkurve zeigt weiter nach obenraquo freut sich Christoph Starck Di-rektor des Holzbaudachverbands Lignum

Einheimische Zulieferer als GewinnerAuch im Verein Minergie ist man sich bewusst dass sich energieeffizientes Bauen wirtschaftlich positiv auswirkt In den letzten 15 Jahren sind 25 000 Wohnhaumluser Buumlro-komplexe Schulbauten Sport- und Industriehallen mit Niedrig energiezertifikat entstanden Gemeinsam sparen sie 15 Milliarden Kilowattstunden Energie laquoUumlber 2 Milliar-den Franken wurden zusaumltzlich investiertraquo rechnet Miner-gie-Sprecher Antonio Milelli vor Anstatt fossile Brennstoffe einzukaufen wird mehr Geld fuumlr Daumlmmstoffe Isolierfenster Luumlftungsanlagen und Sonnenkollektoren aus inlaumlndischer Fabrikation ausgegeben Zwischen 2001 und 2012 haben

Paul KnuumlselPaul Knuumlsel studierte Umweltnaturwissen-schaften an der ETH Zuumlrich Er ist unabhaumln-giger Wissenschaftsjournalist und schreibt seit Jahren in Publikums- und Fachmedien uumlber die vielfaumlltigen Aspekte des nachhalti-gen Bauens Zusaumltzlich betreut er in der Re-daktion des laquoTEC21raquo das Ressort laquoEnergie und Umweltraquo

laquoDass ein hohes Umweltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren

derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauenraquo

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Der Wasserkraft Sorge tragen

Welchen Beitrag kann die Wasserwirtschaft zur Energie-wende leisten Roger Pfammatter Die Wasserkraft ist der energie-politische Trumpf der Schweiz Wir befinden uns in der gluumlcklichen Lage uumlber grosse Mengen Wasser und das notwendige Gefaumllle zu verfuumlgen ndash das sind die beiden wichtigsten Voraussetzungen fuumlr die hydroelektrische Produktion Und wir haben in den vergangenen 100 Jah-ren gelernt dieses Potenzial effizient und moumlglichst um-weltschonend zu nutzen Die Wasserkraft ist der Schluumls-sel fuumlr eine nachhaltige Energieversorgung technisch ausgereift politisch erwuumlnscht einheimisch erneuerbar und CO2-frei

Wie viel mehr ist moumlglichHeute leistet die Wasserkraft nicht nur rund 60 Prozent der Stromproduktion in der Schweiz sondern bietet auch unverzichtbare Regel- und Systemdienstleistungen die markant an Bedeutung gewinnen werden Vor allem bei der Flexibilisierung der Wasserkraft durch mehr Leistung und Speichervolumen waumlre noch einiges moumlglich Um die Aufgaben weiterhin zu gewaumlhrleisten muumlssen wir aber primaumlr dem Bestehenden Sorge tragen

Die Energiestrategie des Bundes gibt aber klare Ausbau-ziele vor Bis 2035 soll die Stromproduktion aus Wasser-kraft um 10 Prozent steigenUnter den momentanen Rahmenbedingungen ist dieses Ausbauziel nicht realistisch Im Gegenteil Aufgrund der Restwasserbestimmungen wird die Produktion in den naumlchsten Jahren vermutlich sogar zuruumlckgehen

Die Wasserkraft ist der wichtigste Pfeiler der Schweizer Ener-giewirtschaft ihr Potenzial ist aber weitgehend ausgeschoumlpft Roger Pfammatter Geschaumlftsfuumlhrer des Wasserwirtschaftsver-bands gibt im Interview Auskunft uumlber die Lage der Branche und ihre Bedeutung fuumlr die EnergiezukunftInterview Florian Wehrli

Expertensicht

Was muss sich aumlndern damit die vorgegebenen Ziele um-gesetzt werden koumlnnenZum einen braucht es dafuumlr die Akzeptanz der Umweltver-baumlnde der Fischer und letztlich der gesamten Bevoumllkerung Zum anderen muumlssen laumlngerfristig die extremen Marktver-zerrungen abgebaut werden damit sich auch Investitionen in die nicht gefoumlrderte Wasserkraft wieder lohnen Heute wird nur noch in subventionierte Anlagen investiert

Wer ist hier in der PflichtHier ist die Politik gefordert die Rahmenbedingungen zu verbessern Denn ohne die Wasserkraft kann die Energie-wende nicht gelingen

Anfang Jahr wurde der Wasserwirtschaftsverband von den zustaumlndigen Kommissionen angehoumlrt Welche Forderun-gen hat die Branche an das ParlamentWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerba-re Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichten die bereits bis zur Haumllfte der Geste-hungskosten ausmachen Damit sind wir doppelt diskrimi-niert Die Wasserkraft ist extrem unter Preisdruck ndash und dies obwohl sie mit Gestehungskosten zwischen 3 und 10 Rappen pro Kilowattstunde die effizienteste Strompro-duktionstechnologie ist Nur zum Vergleich Fotovoltaik -anlagen werden heute mit rund 40 Rappen subventioniert

Bis 2011 liess sich mit der Grosswasserkraft noch viel Geld verdienen Wurden zu wenige Ruumlcklagen fuumlr schlechte Zei-ten gebildet

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Es kann nicht der Sinn sein Ruumlcklagen fuumlr Zeiten zu bil-den in denen die Marktpreise die Gestehungskosten nicht mehr decken Das waumlre wie wenn ein Baumlcker auf jedem Gipfeli einige Rappen zuruumlckbehalten muumlsste damit er sie am naumlchsten Tag gratis abgeben kann Mit dem durch Subventionen verzerrten Marktpreis von 4 bis 5 Rappen pro Kilowattstunde ist unter den konventionellen Energie-traumlgern praktisch nur Kohle konkurrenzfaumlhig Das ist be-stimmt nicht im Sinn der Energiewende

Drei Grosswasserkraftprojekte sind heute bereits im Bau Koumlnnen die enormen Kosten uumlberhaupt amortisiert wer-denPrognosen sind schwierig An der europaumlischen Strom-boumlrse (EEX) werden bis 2020 Strompreise zwischen 45 und 53 Rappen pro Kilowattstunde gehandelt Der Markt glaubt also nicht an eine baldige Erholung Dafuumlr muumlsste das Uumlberangebot in Europa zuruumlckgehen etwa uumlber die Anhebung des CO2-Preises von heute 5 auf mindestens 30 Euro pro Tonne Politisch ist das aber kaum durchsetz-bar Neue Pumpspeicherwerke werden sich deshalb wohl erst in mehreren Jahrzehnten lohnen

Was kann die Kleinwasserkraft leistenOhne die kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) wuumlr-de niemand Kleinwasserkraftanlagen bauen genauso we-nig wie Fotovoltaik- Wind- oder Biomasseanlagen Zurzeit gibt es aber allein bei der Kleinwasserkraft rund 1 000 An-meldungen fuumlr Foumlrderbeitraumlge mit einem bescheidenen Ge-samtpotenzial von 33 Terawattstunden pro Jahr Die oumlko-logischen Auswirkungen sind im Vergleich zum Ertrag zu gross Obwohl wir von marktverzerrenden Foumlrderprogram-men wegkommen sollten waumlre es in einer Uumlbergangs phase sinnvoll die KEV-Obergrenze von 10 Mega watt aufzuheben und dort zu foumlrdern wo es wirklich etwas bringt

Wie soll die Grosswasserkraft unterstuumltzt werdenDas Sinnvollste waumlre die Abkehr von der Subventions-maschinerie ndash und zwar auf europaumlischer Ebene Dann wuumlrde sich die Wasserkraft als effiziente erneuerbare Stromproduktionsform mit Sicherheit durchsetzen Min-destens als Uumlbergangsloumlsung waumlre aber die Entlastung

von Abgaben in erster Linie vom Wasserzins dringend Der maximale Wasserzins wurde in den letzten vier Jahren um 38 Prozent erhoumlht und wird naumlchstes Jahr um weite-re 10 Prozent angehoben Diese Erhoumlhung wurde 2008 beschlossen und steht heute in keinerlei Bezug mehr zur Ertrags lage Kurzfristig koumlnnten die Kantone auf einen Teil dieser Zinsen verzichten ndash das waumlre ein wichtiges politi-sches Zeichen Langfristig muss ein neuer Modus fuumlr die Zinsberechnung gefunden werden der die Ertragslage der Wasserkraft mitberuumlcksichtigt Das ist auch im Interesse von Bund Kantonen und Gemeinden schliesslich ist die Wasserkraft zu 85 Prozent in oumlffentlicher Hand Ebenfalls als Uumlbergangsloumlsung bis zu besseren Marktpreisen waumlren zinsguumlnstige Darlehen fuumlr die noumltigen Investitionen in die Grosswasserkraft denkbar Ohne mindestens eine dieser Massnahmen kann die Wasserwirtschaft das geforderte Ausbauziel nicht erreichen

Bis dahin gibt es noch eine weitere Huumlrde den Heimfall der Stauanlagen an die Standortgemeinden Welchen Ein-fluss hat dieser UmstandWenn die Konzessionen nach 80 oder 100 Jahren aus-laufen muss der Betreiber der Gemeinde eine Entschaumldi-gung fuumlr den Restwert der Anlagen entrichten Im Fall der Staumauer Barberine bezahlen die SBB und Alpiq 2017 an sechs Walliser Gemeinden 343 Millionen Franken Das 400-Seelen-Dorf Finhaut erhaumllt alleine 112 Millionen Fran-ken und weiss kaum wohin mit dem Geld Der gesamte Wert des Heimfalls der Anlagen bewegt sich schweizweit im Milliardenbereich Der Houmlhepunkt des Heimfalls wird um 2035 erreicht werden Bis zu diesem Zeitpunkt soll aber auch ein Grossteil der geforderten Produktionsstei-gerung umgesetzt werden

Bei der Stromproduktion ist ein Ausbau von uumlber 10 Pro-zent wohl nicht realistisch Wie sieht es bei der Speicher-leistung aus Hier muss man unterscheiden zwischen kurzfristiger und saisonaler Speicherung Fuumlr die saisonale Speicherung verfuumlgt die Schweiz mit 200 Speicherseen uumlber ein Vo-lumen von rund 9 000 Gigawattstunden (GWh) die jedes Jahr vom Sommer in den Winter umgelagert werden Dies

38 COMPETENCE | 2014

Expertensicht

entspricht einem Viertel der jaumlhrlichen Produktion aus Wasserkraft Das Ausbaupotenzial durch die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren betraumlgt rund 2 000 GWh Falls der Ausbau aber nicht gelingt entsteht im Winter durch den Ausfall der Kernenergie eine immer groumlssere Luumlcke an Bandenergie die durch den Import von Atom- oder Kohlestrom gedeckt werden muss

Wie sieht es beim Ausbau der Pumpleistung zum kurzfris-tigen Ausgleich von Schwankungen im Netz ausGrundsaumltzlich ist das Potenzial fuumlr Pumpspeicherwerke in der Schweiz riesig Es braucht nur zwei Seen auf unter-schiedlicher Houmlhe Die Frage ist ob sich solche Investi-tionen rechnen Die Pumpspeicherwerke finanzieren sich

uumlber den Preisunterschied zwischen Band- und Spitzen-energie Wenn an einem schoumlnen Sommertag in Europa mittags die geballte Ladung an Sonnen- und Windener-gie eingespeist wird koumlnnen die Pumpspeicherkraftwerke sehr guumlnstig oder sogar zu Negativpreisen Strom bezie-hen Man darf aber nicht vergessen dass dieselbe Situa-tion fuumlr die Laufwasserkraftwerke die rund die Haumllfte der Wasserkraftproduktion in der Schweiz ausmachen den gegenteiligen Effekt hat Diese koumlnnen aus technischen konzessionsrechtlichen oder oumlkologischen Gruumlnden nicht vom Netz genommen werden und muumlssen fuumlr ihre Strom-produktion bezahlen Das kann gehoumlrig ins Geld gehen An Weihnachten 2012 lag der Strompreis zum Beispiel bei minus 30 Rappen pro Kilowattstunde

Roger Pfammatter laquoWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerbare Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichtenraquo

Bild Florian Wehrli

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cherseen zur Flexibilisierung Damit das gelingt muss der Wert der Wasserkraft staumlrker im Bewusstsein der Bevoumllke-rung verankert sein Und nicht zuletzt muss der Marktpreis so weit uumlber den Gestehungskosten liegen dass sich In-vestitionen in die Wasserwirtschaft rentieren

Versuchen das Bestehende zu erhalten Diese Vision klingt etwas resigniertDas ist eine Frage der Perspektive Die Wasserkraft hat als Technologie in der Schweiz seit Langem Bestand Sie befindet sich in einer anderen Situation als Fotovoltaik und Windenergie die sich in einem hochdynamischen Umfeld mit grossem Potenzial in Forschung und Wachstum be-finden Die Wasserkraft ist dagegen nicht mehr in der Auf-bruchsphase sondern in der Konsolidierungsphase Da-fuumlr kann man sich auf die Wasserkraftwerke verlassen Sie produzieren bei Tag und in der Nacht im Sommer wie im Winter bei Windstille oder im Nebel Auch der Erhalt und die Optimierung des Bestehenden sind grosse Heraus-forderungen und bedingen grosse Investitionen

Sehen Sie eine Moumlglichkeit wie die Schweizer Wasser-wirtschaft in Zukunft Geld mit Systemdienstleistungen wie Netzstabilitaumlt verdienen kannDie unregelmaumlssig einspeisenden Stromproduzenten neh-men keinerlei Systemverantwortung wahr Ich habe selbst ein Solarpanel auf dem Dach Wenn Produktion moumlglich ist speise ich Strom ins Netz ein wenn nicht beziehe ich Die Produzenten mehr in die Verantwortung zu nehmen faumlnde ich sinnvoll ndash zum Beispiel uumlber Zertifikate fuumlr Spei-cherleistungen Diese koumlnnten bei Pumpspeicherwerken bezogen werden

Welcher Ausbau der Pumpspeicherleistung ist dafuumlr noumltigDie installierte Leistung betraumlgt heute rund 14 Gigawatt (GW) Mit den im Bau befindlichen und den geplanten An-lagen kann die Kapazitaumlt maximal auf 51 GW ausgebaut werden ndash etwa die Haumllfte der Jahreshoumlchstlast im Netz Damit die Schweizer Wasserkraft aber einen Beitrag zur Stabilitaumlt des europaumlischen Stromnetzes leisten kann muumlssten auch das Stauvolumen und die Leitungskapazi-taumlt erhoumlht werden Hier sind die Einsprachen von Anwoh-nern und Umweltverbaumlnden noch gravierender als bei den Anlagen selbst

Braucht es neue rechtliche Instrumente um den geplan-ten Ausbau durchsetzen zu koumlnnenEs braucht vor allem die Einsicht dass die Wasserkraft das Ruumlckgrat unserer Versorgungssicherheit ist und die Aus-wirkungen eines Ausbaus immer auch mit den Alternativen verglichen werden muumlssen Wir befinden uns aber auch in einem intensiv genutzten Land mit vielen Partikularinteres-sen Diese muumlssen gewichtet und abgewogen werden In der Abwaumlgung zwischen Landschaftsschutz und Wasser-nutzung waumlre es hilfreich wenn Grosswasserkraftanlagen den Status von nationalem Interesse erhalten

Wie soll die Schweizer Wasserwirtschaft im Jahr 2035 aussehenIch wuumlnsche mir dass die bestehende Infrastruktur auf dem heutigen Stand erhalten optimiert oumlkologisiert und im Idealfall etwas ausgebaut wird Dazu gehoumlren etwa die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren sowie neue Spei-

Roger PfammatterSeit seinem Ingenieurstudium an der ETH Zuumlrich hat er sich in ver-schiedenen Rollen dem Wasser verschrieben Nach sieben Lehr- und Wanderjahren in der Forschung und in der Entwicklungszusammen-arbeit war er zehn Jahre beim Ingenieurunternehmen Ernst Basler + Partner engagiert Seit 2010 ist er Geschaumlftsfuumlhrer des Schweizeri-schen Wasserwirtschaftsverbandes (SWV) und Herausgeber der Zeit-schrift laquoWasser Energie Luftraquo In diesen Funktionen setzt er sich ein fuumlr den Fachaustausch und gute Rahmenbedingungen in den Bereichen Wasserkraft und Hochwasserschutz

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Die globalen Energiemaumlrkte sind seit einigen Jahren stark in Bewegung Volatile Erdoumllpreise die Foumlrderung von un-konventionellen Gasvorkommen in grossem Stil die mas-sive Subventionierung von neuen erneuerbaren Energien in Deutschland der laquoarabische Fruumlhlingraquo und der Konflikt in der Ukraine hinterlassen Spuren Die Folge sind starke Verwerfungen an den Maumlrkten und fehlende Investitionssi-cherheit In diesem dynamischen und unsicheren Kontext will der Bund die bisherige Energiepolitik neu ausrichten ndash wahrlich eine Herkulesaufgabe Die Schweizer Wirtschaft verlangt dass der Bund bei der Neuausrichtung der Ener-giepolitik seinem in der Verfassung verankerten Auftrag nachkommt und sich fuumlr eine ausreichende sichere breit gefaumlcherte wirtschaftliche und umweltvertraumlgliche Ener-gieversorgung einsetzt Somit ist klar Die Energiestrate-gie 2050 muss in erheblichen Teilen optimiert und justiert werden Nur wenn vernetzt gedacht wird ist eine sichere Versorgung zu wettbewerbsfaumlhigen Preisen moumlglich

Prognosen klaffen weit auseinanderSeit Jahrzehnten bietet der Strommix aus Wasserkraft (knapp 60 Prozent) und Kernenergie (40 Prozent) Gewaumlhr fuumlr eine sichere klimafreundliche und wirtschaftliche Ener-gieversorgung Im Rahmen der Energiestrategie 2050 muss die Kernenergie langfristig ersetzt werden Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen zumal die Ziele des Bundes

Lebenselixier der Wirtschaft

Die Schweizer Wirtschaft ist auch in Zukunft auf eine sichere und wirtschaftliche Stromver-sorgung angewiesen Die Ener-giestrategie 2050 setzt stark auf Subventionen Dadurch entstehen Fehlanreize welche die Versorgungssicherheit ge-faumlhrdenText Kurt Lanz

Expertensicht

in Bezug auf das Potenzial der neuen erneuerbaren Ener-gien von Wunschdenken geleitet sind Die neuen erneuer-baren Energien werden sich langsamer entwickeln als an-gestrebt Der Bund rechnet mit rund 12 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2035 die Schweizer Wirtschaft mit 44 TWh Die vorsichtigeren Prognosen der Wirtschaft scheinen re-alistischer Dies zeigen exemplarisch die gescheiterten Geothermieprojekte in Basel und St Gallen Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Nachfrageprognosen Der Bund rechnet in seinen Szenarien mit einem Ruumlckgang des Stromverbrauchs pro Kopf von 16 Prozent zwischen 2000 und 2035 Die Schweizer Wirtschaft orientiert sich in ihren Szenarien am Verband Schweizerischer Elektrizitaumlts-unternehmen (VSE) der weiter mit einer steigenden Nach-frage rechnet Die Wirtschaft fordert von der Politik eine vernuumlnftige Planung aufgrund realistischer Schaumltzungen Die Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energiestrategie nicht gefaumlhrdet werden

Subventionen fuumlhren zu FehlanreizenDie Schweiz hat seit vielen Jahrzehnten erfolgreich die Wasserkraft vorangetrieben Aus politischen Gruumlnden wird nun die ndash unregelmaumlssige ndash Stromproduktion durch Sonnen- und Windenergie forciert Unsere sogenann-te kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) entspricht dem deutschen Foumlrdermodell Beide haben das gleiche Ziel Sie sollen erneuerbare Energien ausbauen indem sie neue Formen der Stromproduktion zur Marktreife brin-gen Weil das KEV-System die Sonnen- und Windenergie massiv foumlrdert kommt ein weiterer Ausbau der bewaumlhrten Wasserkraft nicht infrage Diese Entwicklung gefaumlhrdet die Versorgungssicherheit der Schweiz Auf den ersten Blick sinken zwar die Produktionskosten fuumlr Solarstrom gleich-zeitig steigen aber die Kosten fuumlr Speicherung und Inte-gration ins Netz spuumlrbar Auch ist der Ausbau von Solar- und Windenergie nur von beschraumlnktem Nutzen solange keine ausreichenden Speicherkapazitaumlten vorhanden sind Nur Preissignale koumlnnen das Investitionsverhalten von Stromproduzenten Netzbetreibern und Konsumen-ten sinnvoll lenken Subventionen sind zu beseitigen denn sie fuumlhren zu Fehlanreizen

41COMPETENCE | 2014

Alle Optionen offenhaltenOffenheit und Neugier gehoumlren zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft Kategorisches Abwehrverhalten und Denkverbote verhindern konstruktive Loumlsungsansaumltze und Innovation Eine sichere und kostenguumlnstige Strom-versorgung kann auch in Zukunft nur mit der notwendi-gen Offenheit gegenuumlber allen Technologien und Energie-

systemen garantiert werden Die Schweiz ist dank einer erfolgreichen Hochschulland-schaft und vielen Technolo-gieunternehmen gut geruumlstet Die verschiedenen Energie-systeme muumlssen faktenba-siert und ohne ideologische

Scheuklappen verglichen werden Nur so koumlnnen effizi-ente und umweltvertraumlgliche Loumlsungen gefunden werden Das heutige System der Foumlrderung der neuen erneuer-baren Energien ist durch ein marktorientiertes System ab-zuloumlsen Produzenten die nachfragegerecht einspeisen sollen eine houmlhere Verguumltung erhalten als andere Auch soll der Vorrang der Netzeinspeisung fuumlr subventionierte Energietraumlger aufgehoben werden

laquoDie Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit

des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energie strategie nicht

gefaumlhrdet werdenraquo

Schnellere Verfahren anstrebenGrundvoraussetzung fuumlr eine Neuausrichtung der Ener-giepolitik sind funktionierende Stromnetze Diese muumls-sen zwingend parallel zum Umbau der Stromproduktion weiterentwickelt werden Allein der noumltige Ausbau der Uumlbertragungsnetze belaumluft sich auf rund 1 000 Kilometer bis ins Jahr 2020 Erforderlich sind zudem Investitionen in alle Verteilernetzebenen Al-lerdings verzoumlgern komplizier-te Verfahren auf Kantons- und Bundesebene den Ausbau Ausserdem erwaumlchst praktisch jedem Projekt Widerstand von privater Seite was zu weiteren Verzoumlgerungen fuumlhrt Die Wirt-schaft fordert deshalb Bei Bewilligungen von Stromnetzen ist der Gang vors Bundesgericht nur noch bei Grundsatz-fragen moumlglich Umbauten sowie Spannungs- und Kapa-zitaumltserweiterungen koumlnnen ohne Planungsgenehmigung realisiert werden Ausserdem sind die Verfahren bei einer einzigen Leitbehoumlrde anzusiedeln

Spielfeld erweiternDie Schweiz ist seit jeher ein wichtiges Stromtransitland Schon seit den 90er-Jahren treibt die EU die Vereinheitli-chung des Binnenmarkts fuumlr Strom hin zu einem eigent-lichen EU-Strommarkt voran In der Schweiz erweist sich die gesetzliche Trennung von Grundversorgung und Markt diesbezuumlglich zunehmend als Hindernis Aus Sicht der Wirtschaft ist die vollstaumlndige Liberalisierung des Strom-markts eine zwingende Voraussetzung fuumlr eine erfolgrei-che energiepolitische Neuausrichtung

Eine Marktoumlffnung wuumlrde insbesondere auch den erneuer-baren Energien neue Chancen eroumlffnen und Zugang zu neuen Kunden gewaumlhren Von hoher Wichtigkeit ist auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU Je groumlsser der Anteil erneuerbarer Energien umso wichtiger ist die Einbettung in Europa denn Investitionen in Netze und Produktion koumlnnen in Koordination mit der EU wirkungsvoller und wahrscheinlich kostenguumlnstiger getaumltigt werden

Kurt LanzKurt Lanz ist Leiter Infrastruktur Energie und Umwelt sowie Geschaumlftsleitungsmitglied von economiesuisse dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft

Gut vernetzt ndash Vorschlaumlge der Schweizer Wirtschaftzur EnergiepolitikDie Publikation basiert auf der Grundlagenarbeit der breit abgestuumltz-ten Energiekommission von economiesuisse und macht konstruk-tive Vorschlaumlge fuumlr einen erfolgreichen energiepolitischen Weg der Schweiz Download unter wwweconomiesuissech

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

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Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

wwwsmlzhawch

Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 7: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

7COMPETENCE | 2014

Ein Fokus ist der Ausbau der Windenergie Hierzulande sind aber viele windreiche Gegenden Schutzgebiete Wird die BKW vornehmlich im Ausland investierenJa wie wir das bereits heute tun Die BKW besitzt zwar rund die Haumllfte der installierten einheimischen Windkapa-zitaumlt die grossen Projekte befinden sich aber in Deutsch-land Frankreich und Italien In der Schweiz gibt es kaum geeignete Standorte und die Durchfuumlhrung von Projekten ist aufgrund strenger Auflagen buumlrokratischer Aufwaumlnde und moumlglicher Einsprachen schwierig Wir erhoffen uns hierzulande mehr Potenzial von der Kleinwasserkraft

Welche erneuerbaren Energien haben das groumlsste Poten-zial in der Schweiz

Das groumlsste technische Potenzial haben Grosswasserkraft-werke Nur lohnen sich diese Investitionen wirtschaftlich zurzeit nicht Bezuumlglich neuer erneuerbarer Energien sehe ich signifikantes Potenzial bei der Fotovoltaik Der Bund rechnet langfristig mit einem Ausbau auf mehr als zehn Tera wattstunden pro Jahr was ich fuumlr realisierbar halte Ob dies wirklich umgesetzt wird haumlngt davon ab ob die Kos-ten der Fotovoltaik weiter gesenkt werden koumlnnen

Die BKW will sich von der Energieversorgerin zur umfas-senden Energiedienstleisterin wandeln Welche neuen An-gebote sind geplantZunaumlchst sind da die Infrastrukturdienstleistungen die wir vermehrt auch fuumlr Private anbieten werden Von grosser

Suzanne Thoma laquoVersorgungsunternehmen sollen sich mittels Positionierung Kommunikation und Aufklaumlrung fuumlr einen bewussten Energieverbrauch einsetzen Es kann aber nicht ihr Auftrag sein die Kunden zu bevormundenraquo

Bild Florian Wehrli

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mehr Komfort Mobilitaumlt Ernaumlhrungs- oder andere Kon-sumgewohnheiten

Wie koumlnnen Energieversorger Anreize schaffen damit we-niger Energie verbraucht wirdIch bin dafuumlr dass sich Stromversorgungsunternehmen mittels Positionierung Kommunikation und Aufklaumlrungs-arbeit fuumlr einen bewussten Energieverbrauch einsetzen Es kann aber nicht ihr Auftrag sein die Kunden zu bevor-munden Neben einem veraumlnderten Bewusstsein im Be-reich Energie- und Ressourcenkonsum generell kommt der groumlsste Einfluss nach wie vor vom Preis Fuumlr Privat-konsumenten faumlllt die Stromrechnung nicht ins Gewicht und auch die anderen Energiekosten ndash jedenfalls die direkt spuumlrbaren ndash sind nicht wirklich hoch Glauben Sie mir uns waumlre es lieber der Strompreis waumlre houmlher

Energie ist also zu billigJa Die Welt benoumltigt viel Energie und Verschwendung laumlsst sich nur schwer bekaumlmpfen solange Energie so billig ist Die reiche Schweiz ist sicher staumlrker in der Pflicht als arme Laumlnder die unter anderem mit billiger Energie ver-suchen ihren Einwohnern etwas Wohlstand zu ermoumlgli-chen Allerdings duumlrfen wir unserer Industrie durch houmlhere Energiekosten keine zusaumltzlichen Lasten aufbuumlrden sonst verliert sie ihre Konkurrenzfaumlhigkeit

Prinzipiell befuumlrwortet die Bevoumllkerung die Energiewende gegen den Bau neuer Leitungskapazitaumlten oder Wind-turbinen wird aber haumlufig rekurriertNicht haumlufig immer

Sehen Sie einen Ausweg aus dem DilemmaIch sehe darin eine wesentliche Schwierigkeit fuumlr die Um-setzung der Energiestrategie In der Schweiz stehen fuumlr Einsprachen mehr rechtliche Mittel zur Verfuumlgung als im Ausland Ich befuumlrworte deshalb den Vorstoss des Bun-desrats bestimmte Gebiete fuumlr die Energieproduktion zu definieren wo nur noch uumlber eine Instanz rekurriert wer-den kann Das Grundproblem bleibt aber dass wir einen Lebensstil pflegen dessen Konsequenzen wir nicht bereit sind zu tragen

Bedeutung sind fuumlr uns auch die Netze Beim Thema Haumluser und Energieeffizienz sehen wir unsere Rolle als Integrator Dort kommen verschiedene Technologien zur Anwendung die nicht nur viele Hausbesitzer uumlberfordern sondern auch manche Spezialisten Die BKW kann auf jahrzehntelange Erfahrung und grosses Know-how in die-sem Bereich zuruumlckgreifen Wo noumltig werden wir mit Part-nern zusammenarbeiten

Eine Analyse des BFE kam im Mai 2014 zum Schluss dass die Mehrheit der untersuchten Unternehmen nicht bereit sei fuumlr die Energiewende Teilen Sie diese EinschaumltzungWas laquobereit fuumlr die Energiewenderaquo heisst ist schwer ein-zuordnen und ich moumlchte nicht fuumlr andere Unternehmen sprechen Die BKW ist ein wirtschaftlich gefuumlhrtes Unter-nehmen ohne politische Mission Unser Auftrag ist es zum Erhalt und zur Weiterentwicklung der Infrastruktur generell und zur Energieversorgung im Speziellen beizutragen Wir orientieren uns dabei an den Beduumlrfnissen unserer Kun-den und bewegen uns innerhalb der politischen und wirt-schaftlichen Rahmenbedingungen Dabei entwickeln wir unser Unternehmen weiter sodass es profitabel bleibt und weiter gestaumlrkt wird

Die BKW hat also an dieser Studie teilgenommenJa aber ich habe die Studie nicht gelesen Offenbar sind wir im oberen Drittel der Rangliste aber das steht nicht im Vordergrund Die Zeit in der Stromversorger punkto Ener-giewende um die Gunst des Bundes gewetteifert haben ist weitgehend vorbei Es ist den meisten klar geworden dass sich mit Schulterklopfen das Geld fuumlr die noumltigen Investitionen nicht verdienen laumlsst Entscheidend sind die konkreten Rahmenbedingungen das Marktumfeld und die Kundenbeduumlrfnisse

Gemaumlss der Energiestrategie soll der durchschnittliche Energieverbrauch pro Person in der Schweiz bis 2035 ge-genuumlber 2000 um 43 Prozent sinken Ist das realistischTechnisch halte ich das fuumlr absolut moumlglich Dabei geht es aber bei Weitem nicht nur um den Stromkonsum sondern auch um den Konsum fossiler Brennstoffe und Investitio-nen in Effizienzmassnahmen Im Kern geht es aber um viel

CEO-Perspektive

9COMPETENCE | 2014

Konzernleitung der BKW liegt der Frauenanteil aktuell bei 33 Prozent

Stichwort Unternehmensfuumlhrung Gibt es eine spezielle Philosophie die Sie verfolgenIch versuche immer Klarheit zu schaffen Ich moumlchte je-weils zum Kern der Dinge vordringen und erwarte dasselbe Bestreben von meinen Mitarbeitenden Wenn alle wissen worum es im Kern geht und was die Treiber des Geschaumlfts sind und wenn alle mit Freude ihre Arbeit verrichten dann leitet sich alles Weitere daraus ab Ich glaube an gemein-same Visionen und Ziele sowie eine delegierte Umsetzung

Welche Rolle wird die Schweiz in einem liberalisierten euro paumlischen Strommarkt spielenDie Frage ist ob die Schweiz in Zukunft denselben Zugang zum europaumlischen Markt haben wird wie bisher Davon gehe ich aus Unter dieser Voraussetzung muss man sich fragen wie der europaumlische Markt kuumlnftig ausgestaltet sein wird Ich erwarte eine fortschreitende Liberalisierung die tendenziell zu mehr Stromhandel und noch tieferen Preisen fuumlhren wird Gleichzeitig wird man aber Kapazi-taumltsmaumlrkte schaffen muumlssen damit Energieunternehmen Anreize haben in Versorgungssicherheit und System-stabilitaumlt zu investieren Beides wird heute kaum abgegol-ten Das muss sich aumlndern Die Frage ist ob Kapazitaumlts-maumlrkte nationale Maumlrkte sein werden

Welche Folgen haumltte das fuumlr die SchweizDas waumlre eine ungluumlckliche Konstellation Einerseits haumltten wir unter den tieferen Preisen zu leiden andererseits koumlnn-ten wir die Dienstleistungen die wir mit unseren Pump-speicherkraftwerken erbringen weniger gut verkaufen

Blicken wir in die Zukunft Strom wird dezentral produziert nach Bedarf verbraucht ins intelligente Netz eingespeist oder in Batterien gespeichert Braucht es dann noch Ener-gieversorger wie die BKWAuf jeden Fall Denn die grossen Energieversorger werden dann zu grossen Energiedienstleistern Deshalb stellen wir unsere Strategie jetzt um Viele der Kompetenzen die wir als Versorger uumlber Jahrzehnte aufgebaut haben sind auch in diesem Szenario absolut notwendig Moumlglich ist hingegen dass es kuumlnftig weniger zentrale Kraftwerks-kapazitaumlt braucht Als Unternehmen muumlssen wir uns so positionieren dass wir uns im Rahmen aller denkbaren Szenarien weiterentwickeln koumlnnen

Die Energiebranche gilt als Maumlnnerdomaumlne Mit Alpiq und BKW haben nun zwei der groumlssten Schweizer Energiever-sorger eine Frau als CEO Ist das ein Zeichen des Kultur-wandelsJa schon Das Geschlecht war aber gewiss kein Krite-rium fuumlr die Stellenbesetzung Alle Bewerber mussten sich demselben strengen Auswahlverfahren stellen In der

Suzanne ThomaDr Suzanne Thoma ist seit 1 Januar 2013 CEO der BKW AG Zu-vor verantwortete sie das Netz- und Netzdienstleistungsgeschaumlft der BKW als Mitglied der Konzernleitung Vor ihrem Eintritt in die BKW leitete sie das Automobilzuliefergeschaumlft der WICOR Group und fuumlhr-te zuvor als CEO das High-Tech-Unternehmen Rolic Technologies Ltd Im Weiteren war sie fuumlr die Ciba Spezialitaumltenchemie AG in ver-schiedenen Funktionen und Laumlndern taumltig Suzanne Thoma studierte Chemieingenieurtechnik an der ETH Zuumlrich

BKW Energie AGDie BKW ist ein bedeutendes Schweizer Energiedienstleistungs-unternehmen Sie beschaumlftigt mehr als 3 000 Mitarbeitende und ver-sorgt zusammen mit Partnern rund eine Million Menschen mit Strom Neben der reinen Energieversorgung entwickelt implementiert und betreibt die BKW Energiegesamtloumlsungen fuumlr Privat- und Geschaumlfts-kunden sowie fuumlr Energieversorgungsunternehmen und Gemeinden Zudem engagiert sie sich in Forschungsprogrammen zur Entwicklung innovativer Technologien fuumlr eine nachhaltige und sichere Energie-versorgung

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Bundesrat und Parlament haben 2011 als Reaktion auf den Reaktorunfall in Fukushima entschieden mittelfristig aus der Kernenergie auszusteigen und sich gleichzeitig den zwei grossen Herausforderungen der kommenden Jahre zu stellen Zum einen wird die weltweite Nachfrage nach Energie nochmals stark ansteigen da die zuneh-mende Weltbevoumllkerung absolut gesehen und pro Kopf immer mehr Energie konsumiert Das fuumlhrt zu einer deut-lichen Verschaumlrfung des Wettbewerbs um Energie Eine Energiepolitik die staumlrker lokal verankert ist entschaumlrft das Problem Zum anderen birgt die Klimaerwaumlrmung grosse oumlkologische wirtschaftliche und gesellschaftliche Risiken denen mit klimapolitischen Entscheiden auf glo-baler Ebene begegnet werden muss Mit einer konzisen Energie- und Klimapolitik haumllt die Schweiz hierauf eine moumlgliche Antwort bereit

Energiewende im historischen KontextDer bekannte Energiehistoriker Vaclav Smil versteht un-ter Energie die Ausschoumlpfung der natuumlrlichen Ressour-cen durch den Menschen der sich damit das Uumlberleben sichert und seine Lebensqualitaumlt erhoumlht Mit der geplan-ten Energiewende wird das System Energie in seiner ge-sellschaftlichen Dimension umfassend transformiert Die gegenwaumlrtige Diskussion wird jedoch von technischen und oumlkonomischen Fragestellungen dominiert die gesell-schaftliche Dimension kommt dagegen zu kurz Bei der Energiewende geht es jedoch um mehr als lediglich da-rum eine Ressource durch eine andere zu ersetzen Es geht darum die bestehenden Strukturen fundamental

umzuformen Es geht um Stromnetze und Erdoumllpipelines um idyllische Landschaften und Staumldte um Politik und neue Technologien Diese und zahlreiche weitere Para-meter wurden alle aufgrund energiepolitischer Entschei-dungen im vergangenen Jahrhundert gestaltet Fuumlr die Zukunft sind radikale Eingriffe geplant welche die kom-menden Generationen praumlgen werden Es ist deshalb wesentlich das Thema langfristig zu betrachten und die heutige Situation und Diskussion auch historisch zu situ-ieren Wie wurden Energiesysteme ndash also die Verknuumlpfung von Menschen Ingenieurwesen industriellen Praktiken technologischen Artefakten politischen Programmen und institutionellen Ideologien ndash formiert Welche gesell-schaftlichen Voraussetzungen haben zur Entscheidung fuumlr den einen und gegen den anderen Energietraumlger gefuumlhrt Und letztlich auch Welchen internationalen Trends ist die kleine ressourcenarme Schweiz weshalb gefolgt und in welchen Momenten hat sie sich fuumlr den schweizerischen Sonderweg entschieden

Industrialisierung und EnergiewendeEnergiesysteme entwickeln sich kontinuierlich waren je-doch historisch gesehen uumlber lange Zeit relativ stabil Die Jahrzehnte seit dem Beginn der Industrialisierung in der zweiten Haumllfte des 18 bis Ende des 19 Jahrhunderts wa-ren die Aumlra des Holzes (und nicht der Kohle) die erste Haumllfte des 20 Jahrhunderts war die Zeit der Kohle (und nicht des Erdoumlls) die zweite diejenige des Erdoumlls und der Kernenergie Die Wasserkraft war eine wichtige Strom-lieferantin jedoch nie die Nummer eins unter den Energie-

Hintergrund

Fukushima gibt den Takt vor

Der Energiesektor hat sich in den letzten 150 Jahren drama-tisch schnell entwickelt Nicht nur haben sich Produktion und Verbrauch um ein Vielfaches erhoumlht auch die wirtschaftlichen rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich grundlegend gewandelt Ein kurzer historischer Ruumlckblick zeigt die grossen Entwicklungen und Trends aufText Monika Gisler

11COMPETENCE | 2014

Problem der Entsorgung radioaktiver Abfaumllle wurden an-fangs kaum thematisiert Erdoumll wurde erst in den 1970er-Jahren zum politischen Thema als mit den Erdoumll(preis)- krisen von 197374 und 197980 seine (geopolitisch be-dingte) Endlichkeit manifest wurde Gleichzeitig verstaumlrkte die Erdoumllkrise das Bewusstsein uumlber die Abhaumlngigkeit von importierten Energietraumlgern die mit der Industrialisierung eingesetzt hatte

Anfaumlnge des UmweltschutzesAufgrund dieser beiden Entwicklungen kamen Themen wie Energiesparen und die Forderung nach umweltfreund-licheren Energien in den 1970er-Jahren erstmals auf die politische Traktandenliste Der oumlffentliche Diskurs um die laquoGrenzen des Wachstumsraquo und damit einhergehend auch die ersten Debatten zum Umweltschutz entbrannten In-teressanterweise glaubte man dass Wind- und Solar-anlagen erst ab dem Jahr 2000 in signifikantem Umfang zur Verfuumlgung stehen wuumlrden was ja auch eintrat

Die Diskussion flaute so rasch ab wie sie gekommen war Alternativenergien bewahrten ihr Nischendasein bis zu dem Ereignis das mittlerweile den neuen Takt vorgibt die Nuklearkatastrophe von Fukushima Es wird sich weisen wie erfolgreich die Umsetzungsmassnahmen sein werden und wie rasch sie implementiert werden koumlnnen Sicher scheint jedoch dass das Unternehmen Energiewende nur verstanden und ndash so zumindest die Hoffnung ndash auch ak-zeptiert wird wenn man es in seiner ganzen Dimension erfasst

traumlgern Es wird sich weisen ob das 21 Jahrhundert das-jenige der (neuen) erneuerbaren Energien sein wird

Kohle war nach Holz der wichtigste und langfristigste Energie traumlger der Schweiz Ihre Bedeutung hielt mehr als acht Jahrzehnte an ihr Niedergang setzte 1940 ein 1955 wurde sie vom Erdoumll als wichtigster Energietraumlger abgeloumlst Der Klimahistoriker Christian Pfister erklaumlrt diese Transition mit den rasch fallenden Oumllpreisen die zu einer immer groumls ser werdenden Nachfrage nach dieser guumlns-tigen Energie fuumlhrten Ein weiterer Grund war die Domi-nanz des Verbrennungsmotors uumlber die Dampfmaschine auf dem Weg zu einer immer mobileren Gesellschaft Es ist nicht nur das Angebot sondern auch die Nachfrage welche die Bedeutung eines Energietraumlgers formt Die Entscheidung fuumlr Oumll (und spaumlter Gas) war gleichermassen beeinflusst von den technischen Veraumlnderungen wie von den Verschiebungen am Finanzmarkt

Schon fruumlh hatte auch die Wasserkraft eine grosse Be-deutung fuumlr die Schweiz 1918 war man uumlberzeugt dass laquo[hellip] fuumlr unser Land [hellip] die Frage der Energiequelle ein-wandfrei erledigt [sei] Der ganze Entwicklungsgang von Technik und Volkswirtschaft fuumlhrt endlich zur Erkenntnis dass die Natur uns mit den Wasserkraumlften fuumlr die Kohlen-armut entschaumldigtraquo (Parlamentarische Debatte zum Was-serrechtsgesetz 1918) Wasserkraft wurde im Energiemix immer ergaumlnzend zu anderen Ressourcen eingesetzt und nach 1970 entscheidend wenn auch nicht paritaumltisch mit Kernenergie zur Gewinnung von Elektrizitaumlt komplettiert

So war die zweite Haumllfte des 20 Jahrhunderts die Zeit des Erdoumlls und der Kernenergie Die beiden Energie traumlger entwickelten sich nach 1945 fast parallel und haben doch eine sehr unterschiedliche Geschichte Das hat mit ihrer jeweiligen Form und Verfuumlgbarkeit zu tun aber auch da-mit dass ihre politische Bedeutung sehr verschieden-artig war Die Kernkraft barg aufgrund ihrer Naumlhe zu ei-ner toumldlichen Waffe schon immer politischen Sprengstoff Gleichzeitig genoss sie anfaumlnglich auch den Ruf einer sauberen und nahezu unbegrenzt zur Verfuumlgung stehen-den Energiequelle Die Gefahr einer Verstrahlung und das

Monika GislerDr Monika Gisler hat an den Universitaumlten Zuumlrich Basel und Los Angeles (UCLA) Ge-schichte und Politische Philosophie studiert Sie war Forschungsverantwortliche an der ETH Zuumlrich und bietet seit 2008 mit laquoUnter-nehmen Geschichteraquo Forschung Lehre und Beratung zu den Themen Umwelt Energie und Innovation an (wwwunternehmenge-schichtech) Aktuell lehrt sie als Dozentin an der ETH zu Energiewenden in Geschichte und Gegenwart

Wie viele Fotovoltaikanlagen sind auf den Daumlchern Winterthurs zu finden

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13COMPETENCE | 2014

Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Energieversorgung

dem Parlament die Energiestrategie 2050 vor welche die Basis fuumlr diesen Umbau schafft Grundsaumltze der Energie-strategie sind die Energieeffizienz die Steigerung des An-teils aus erneuerbaren Energien und die Umsetzung des Verursacherprinzips Das bedeutet dass die Kosten der Energienutzung moumlglichst von den Verursachern getragen werden

Die Schweiz verfuumlgt zwar uumlber eine hohe Versorgungs-sicherheit allerdings sind unsere Energiequellen teilweise nicht nachhaltig Gegenwaumlrtig liegt der Anteil der fossilen Energietraumlger am Endenergieverbrauch bei rund 80 Pro-zent Damit traumlgt die Schweiz zu den negativen Folgen der Klimaerwaumlrmung bei Als rohstoffarmes Land importiert sie einen grossen Teil dieser Energie ndash insbesondere Roh-oumll und Gas Dementsprechend hoch ist die Abhaumlngigkeit vom Ausland Zudem steht die Schweiz energiepolitisch vor weiteren grossen Herausforderungen Aufgrund des Bevoumllkerungs- und Wirtschaftswachstums des steigen-den Wohlstands sowie der zunehmenden Mobilitaumlt nimmt die Nachfrage nach Energie zu Teilweise veraltete Infra-struktur wachsender Wettbewerb und die Integration in das europaumlische Energienetz stellen das Energiesystem zudem vor zusaumltzliche Herausforderungen die es zu be-waumlltigen gilt

Langfristige StrategieUm diese Herausforderungen anzugehen ist ein Umbau des Energiesystems in Richtung Nachhaltigkeit unabding-bar Im Nachgang zur Reaktorkatastrophe in Fukushima haben Bundesrat und Parlament im Jahr 2011 den Grund-satzentscheid fuumlr einen schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie gefaumlllt Der Bundesrat legte anschliessend

Mit der Energiestrategie 2050 des Bundes soll unter anderem der Energieverbrauch reduziert und der Anteil der erneuerbaren Energien erhoumlht werden Dazu gehoumlren eine Reduk tion der energiebedingten CO2-Emissionen und der schrittweise Ausstieg aus der Kernenergie ndash dies ohne die bisher hohe Versorgungs-sicherheit und die preiswerte Energieversorgung zu gefaumlhrden Die ambitioumlsen Ziele sind aber nur zu erreichen wenn ein Um-denken stattfindet und Politik Wirtschaft Wissenschaft und Gesellschaft enger zusammenarbeiten Text Walter Steinmann

Hintergrund

Stossrichtungen der Energiestrategie ndash Energieeffizienz erhoumlhen Energieverbrauch

senken Stromverbrauch stabilisieren ndash Anteil der erneuerbaren Energien erhoumlhen und

Restbedarf durch fossile Stromproduktion und Importe decken

ndash Zugang zu internationalen Energiemaumlrkten sicherstellen

ndash Um- und Ausbau der elektrischen Netze und der Energiespeicherung vorantreiben

ndash Energieforschung verstaumlrken ndash Vorbildfunktion der oumlffentlichen Hand wahrnehmen ndash Internationale Zusammenarbeit im Energiebereich

intensivieren

14 COMPETENCE | 2014

Hintergrund

Der Bundesrat hat dem Parlament im September 2013 ein erstes Massnahmenpaket zur Umsetzung der Energie-strategie 2050 vorgelegt Das Geschaumlft wird momentan von den vorberatenden parlamentarischen Kommissio-nen behandelt Es ist auf die Zielsetzungen fuumlr das Jahr 2020 ausgerichtet und soll langfristig wirken Konkret vorgesehen ist etwa eine Erhoumlhung der CO2-Abgabe auf Brennstoffe mit einer gleichzeitigen Verstaumlrkung des Ge-baumludesanierungsprogramms Weiter soll die bisherige kostendeckende Einspeiseverguumltung zu einem Verguuml-tungssystem mit Direktvermarktung umgebaut werden Dafuumlr sind eine Totalrevision des Energiegesetzes sowie Anpassungen in weiteren neun Bundesgesetzen noumltig Berechnungen zufolge soll der Energieverbrauch mit der Umsetzung des ersten Massnahmenpakets bis 2050 we-sentlich abnehmen Insbesondere bei den fossilen Ener-gietraumlgern wird mit grossen Ruumlckgaumlngen gerechnet

Volkswirtschaftlich werden sich die Kosten fuumlr die Um-setzung der Energiestrategie in Grenzen halten Den er-heblichen Investitionen in die Energieeffizienz stehen Ein-sparungen bei den Energieimporten gegenuumlber Es sind jedoch betraumlchtliche Investitionen insbesondere fuumlr den Zubau der Stromproduktion aus erneuerbaren Energietrauml-gern noumltig

Zusammensetzung des Endshyenergieverbrauchs (ohne Treibshystoffverbrauch des internationalen Flugverkehrs) bis 2050 auf der Basis des vorliegenden Massnahmen pakets des UVEK (Quelle Prognos)

Ein Markt mit ZukunftEine nachhaltige Energiepolitik ist nur moumlglich wenn die Schweiz staumlrker auf erneuerbare Energien setzt Heute stammen nur gerade 20 Prozent der verbrauchten Ener-gie aus erneuerbaren Quellen Die laufenden Arbeiten zur Energiestrategie 2050 zeigen dass Sonnen- und Wind-energie Wasserkraft und Geothermie in der Schweiz uumlber grosse Potenziale verfuumlgen deren optimale Er-schliessung jedoch durch verschiedene Faktoren behin-dert beziehungsweise verzoumlgert wird Dazu gehoumlren die

langwierigen Bewilligungsverfahren und die teils fehlende Akzeptanz in der Bevoumllkerung aber auch die begrenzten Foumlrdermittel zur Realisierung entsprechender Projekte Mit der Energiestrategie 2050 sollen guumlnstigere Rahmenbe-dingungen geschaffen werden

Die Sicherung des langfristigen Energieangebots wird zu einer der zentralen Herausforderungen und bietet gleichzeitig grosse Chancen fuumlr den Wirtschaftsstandort

laquoFortschritte bei der Ressourcen-effizienz und den erneuerbaren

Energien ermoumlglichen Wettbewerbs-vorteile auf den Exportmaumlrktenraquo

15COMPETENCE | 2014

Schweiz Bereits heute verfuumlgt die Schweiz uumlber ein gros-ses industrielles und technologisches Know-how gerade im Bereich Cleantech Fortschritte bei der Ressourcen-effizienz und den erneuerbaren Energien ermoumlglichen Wett bewerbsvorteile auf den Exportmaumlrkten sie schaffen neue Arbeitsplaumltze und erhoumlhen die Unabhaumlngigkeit in der Rohstoffversorgung Zusammen mit dem Masterplan Cleantech traumlgt die Energiestrategie 2050 dazu bei dass sich die Schweiz hier als Vorreiterin profilieren kann

Uumlbergang in ein LenkungssystemDamit sich der Markt in Richtung Nachhaltigkeit entwickelt werden kuumlnftig weitere Massnahmen noumltig sein Waumlhrend das erste Massnahmenpaket noch stark auf Foumlrderung zielt wird die Energiepolitik ab 2021 gemeinsam mit der Klimapolitik strategisch neu ausgerichtet Das bestehen-de Foumlrdersystem basiert auf einem Netzzuschlag fuumlr die Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Ener-gien und einer Teilzweckbindung der CO2-Abgabe fuumlr das Gebaumludeprogramm Es soll durch ein marktwirtschaftli-ches Lenkungssystem abgeloumlst werden mit dem sich die Energie -und Klimaziele effektiv und oumlkonomisch effizient erreichen lassen Konkret werden erneuerbare Energien und Gebaumludesanierungen zunaumlchst noch staatlich unter-stuumltzt ndash langfristig soll der Markt spielen Das Bundesamt fuumlr Energie ist daran in Zusammenarbeit mit dem Eidge-noumlssischen Finanzdepartement und dem Staatssekretariat fuumlr Wirtschaft zu konkretisieren wie das umzusetzen ist

Wissenstransfer staumlrken Gluumlcklicherweise herrscht an den Hochschulen und ihren Instituten im Energiebereich Aufbruchstimmung Fuumlr Un-ternehmen ist es jedoch oft schwierig das an Hochschu-len vorhandene Wissen abzuholen gerade wegen der grossen Diversitaumlt der Forschung und der Fragmentierung des Wissens auf zahlreiche Institute Gleichzeitig stossen mit Unternehmen der Informations- und Kommunikations-technologie neue Akteure mit grossem Know-how in den Energieversorgungsmarkt vor Energieversorgungsunter-nehmen in ganz Europa ruumlcken vom reinen Stromverkauf ab und positionieren sich vermehrt als Anbieter von umfas-senden Energiedienstleistungen Diesem Trend muss sich

Walter SteinmannDr Walter Steinmann ist seit 2001 Direktor des Bundesamts fuumlr Energie (BFE) Er hat an der Universitaumlt Zuumlrich Volkswirtschaft studiert und seine Studien 1988 mit einer Doktorarbeit an der Universitaumlt Konstanz ab geschlossen Von 1981 bis 1988 war er Delegierter fuumlr Wirtschaftsfoumlrderung des Kantons Basel-Landschaft und arbeitete an-schliessend als Beauftragter fuumlr Wirtschafts-foumlrderung des Kantons Solothurn Von 1994 bis 2001 war er Chef des Amts fuumlr Wirtschaft und Arbeit des Kantons Solothurn

auch die Schweiz stellen und ihre Kraumlfte vermehrt buumlndeln um Synergien zwischen Wirtschaft und Forschung zu schaffen Nur so kann der Technologiestandort Schweiz staumlrker werden Der Bund setzt bereits Massnahmen um damit der Transfer der Forschungsresultate in den Markt sichergestellt wird Dazu gehoumlrt der Aufbau vernetzter Forschungskompetenzzentren der Swiss Competence Centers for Energy Research Auch die ZHAW School of Management and Law beteiligt sich in diesem Rahmen massgeblich an den nationalen Forschungsaktivitaumlten zum Umbau des Schweizer Energiesystems

Mit der Energiestrategie 2050 hat die Schweiz die Chance sich aus ihrer Abhaumlngigkeit von den fossilen Energien zu loumlsen den Export fortschrittlicher Technologien zu staumlrken und mit dem ressourcen- und klimaschonenden Umgang mit Energie international eine Fuumlhrungsrolle zu uumlberneh-men Nutzen wir diese Chance

Weitere Informationen unter wwwenergiestrategie2050ch

laquoDie Schweiz muss ihre Kraumlfte vermehrt buumlndeln um

Synergien zwischen Wirtschaft und Forschung zu schaffenraquo

16 COMPETENCE | 2014

Eine der wichtigsten Zielsetzungen der Energiewende wie sie der Bundesrat formuliert hat ist der Ausbau der er-neuerbaren Energien Der Anteil von Wasser- Wind- und Sonnenkraft sowie Erdwaumlrme am Energiemix soll massiv erhoumlht werden Die durchschnittliche inlaumlndische Produk-tion ndash ohne Wasserkraft ndash soll im Jahr 2020 bei mindes-tens 4 400 Gigawattstunden (GWh) und im Jahr 2035 bei mindestens 14 500 GWh liegen Bei der Produktion von Elektrizitaumlt aus Wasserkraft wird bis im Jahr 2035 ein Aus-bau der Produktion auf 37 400 GWh angestrebt Zum Ver-gleich Die Jahresproduktion des AKW Muumlhleberg liegt bei rund 2 600 GWh Das sind houmlchst ambitioumlse Ziele

Der geplante Ausbau der Nutzung von erneuerbaren Energien bedarf zahlreicher Anlagen ndash Windparks Was-serkraftwerke oder groumlsserer Solaranlagen ndash mit entspre-chend hohem Raumbedarf Der Bundesrat sieht nicht vor die Umwelt- und Heimatschutzgesetze massgeblich zu lo-ckern obwohl es regelmaumlssig zu Konflikten zwischen den Schutzinteressen und Energienutzungsanlagen sowie zu entsprechenden Gerichtsverfahren kommt ndash wie juumlngst im Goms bei der Planung eines Wasserkraftwerks (BGE 140 II 262 ff) Das Bundesgericht nimmt jeweils eine im Resul-tat schwer voraussehbare Interessenabwaumlgung vor und stellt die Leistung der Anlage sowie die Faumlhigkeit zeitlich flexibel und marktorientiert zu produzieren den Schutz-interessen gegenuumlber

Ein weiteres Problem besteht darin dass groumlssere Anla-gen bei der Nachbarschaft oder in einer breiteren Bevoumll-kerung keine Akzeptanz finden So waumlre zwar im Kanton

Loumlsungen suchen bevor es zum Rechtsstreit kommt

Hochschulperspektive

Der Bundesrat sieht im Rahmen der Energiestrategie 2050 vor den Anteil der erneuerbaren Energien massiv zu erhoumlhen Die vermehrte Nutzung erneuerbarer Energietraumlger fuumlhrt jedoch zu einem Interessenkonflikt zwischen Wirtschaftlichkeit umwelt-rechtlichen Anforderungen und sozialer Akzeptanz Diesen gilt es mit klaren rechtlichen Grundlagen zu loumlsenText Reneacute Wiederkehr und Andreas Abegg

Zuumlrich Wind vorhanden doch dreht sich dort bis heute keine einzige grosse Windturbine Gegen die einzige bis-her geplante Versuchsanlage am Stuumlssel oberhalb Baumlrets-wil hat eine Interessengemeinschaft Rekurs erhoben und will die geplante Windmessanlage bis vor Bundesgericht bekaumlmpfen Diese Probleme ndash die Kollision mit Schutz-interessen und die Angst vor Nachbarrekursen ndash koumlnnen im Ergebnis dazu fuumlhren dass die Energieunternehmen auf den Bau von Anlagen verzichten obwohl ein erhebli-ches Potenzial vorhanden waumlre

Loumlsungsansatz des BundesratsIm Rahmen der Energiepolitik 2050 schlaumlgt der Bundesrat vor dass die Kantone mit Unterstuumltzung des Bundes ein Konzept fuumlr den Ausbau der erneuerbaren Energien er-arbeiten und Gebiete fuumlr die Nutzung durch erneuerbare Energien bestimmen Nach der Genehmigung durch den Bund dient das Konzept den Kantonen als Grundlage fuumlr ihre Richtplanung Dadurch wird fuumlr die kommunalen und kantonalen Behoumlrden verbindlich festgelegt in welchen Gebieten Bewilligungen fuumlr erneuerbare Energieproduktio-nen erteilt werden koumlnnen

Welche Gebiete sich tatsaumlchlich fuumlr den Ausbau der er-neuerbaren Energien eignen ist bisher allerdings kaum erforscht worden Bund Kantonen und Gemeinden fehlen die Grundlagen um die Eignung von Standorten und Ge-bieten aus rechtlicher Sicht zu beurteilen Es ist deshalb einfacher ungeeignete Gebiete von der Nutzung auszu-nehmen Vor allem Gebiete welche fuumlr Natur- und Hei-matschutz wertvoll sind koumlnnen zu einer sogenannten

17COMPETENCE | 2014

schen und rechtsstaatlichen Verfahren aus So wurde zum Beispiel im Kanton Zuumlrich der Heimatschutz gegenuumlber dem Interesse an neuen Solaranlagen bereits zuruumlck-gestuft und das entsprechende Bewilligungsverfahren gestrafft Es wird sich gerade bei der Wahl von Stand-orten fuumlr die Nutzung erneuerbarer Energien zeigen ob die Energiewende ndash wie zuweilen befuumlrchtet ndash auf Kosten von Demokratie und Rechtsstaat sowie auf Kosten von Natur- und Heimatschutz geht oder ob wir die gegenwaumlr-tigen Strukturen unter transparenter und angemessener Wahrung aller Interessen anpassen koumlnnen um die an-spruchsvollen Energieziele zu erreichen

Negativzone fuumlhren Auch andere Anliegen wie die Erhal-tung von landwirtschaftlichem Kulturland und Wald der Schutz des Vogelzugs oder die Beduumlrfnisse der Luftfahrt sind zu beruumlcksichtigen Zudem ist zu beachten dass der Bau neuer Anlagen einen Ausbau des Energienetzes nach sich ziehen kann was wiederum zu Konflikten mit anderen raumrelevanten Interessen fuumlhrt

InteressenabwaumlgungUm die erneuerbare Energie wie geplant massiv foumlrdern zu koumlnnen muumlssen die notwendigen Anlagen rasch rea-lisiert werden In den hierzu notwendigen Bewilligungs- und Rechtsmittelverfahren muumlssen die Zielkonflikte der verschiedenen Interessen transparent gemacht und unter gleichberechtigter Abwaumlgung geloumlst werden Das gilt so-wohl fuumlr das konkrete Rechtsmittelverfahren vor Behoumlrden und Gerichten wie auch fuumlr eine vorgezogene Mediations-phase

Hier setzen die vom Bund initiierten Forschungen zur Energiewende auf drei Ebenen an Zunaumlchst muumlssen die Details der komplizierten Bewilligungsverfahren im Aus-tausch mit der Gerichtspraxis ausgearbeitet werden Das sorgt fuumlr Rechtssicherheit Auf einer zweiten Ebene gilt es die bestehenden kantonal reglementierten Verfahren zu vereinheitlichen und wenn moumlglich zu vereinfachen Damit es zu rechtsstaatlich tragfaumlhigen und sozial akzep-tierten Loumlsungen kommt sind die Rechte aller Beteiligten zu wahren jene von Gemeinden Kantonen und Bund als Behoumlrden von Energieunternehmen als Gesuchsteller so-wie von Nachbarn und beschwerdeberechtigten Verbaumln-den als Gegner Schliesslich sind auf einer dritten Ebene neue Hilfsmittel zu suchen mit denen Gebiete und Stand-orte bezeichnet werden koumlnnen die sich fuumlr die Nutzung erneuerbarer Energien besonders eignen Das Bewilli-gungsverfahren wird hiermit transparenter berechenbarer und ndash so die Hoffnung ndash kuumlrzer Mit klaren Rechtsgrund-lagen koumlnnen die Beteiligten zudem Loumlsungen suchen bevor es uumlberhaupt zum Rechtsstreit kommt Die geplante Foumlrderung erneuerbarer Energien kommt nicht ohne Veraumlnderungen in bestehenden demokrati-

Andreas AbeggProf Dr Andreas Abegg ist Leiter des Zen-trums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht an der ZHAW School of Management and Law Privatdozent an der Universitaumlt Fribourg und praktizierender Rechtsanwalt Er beschaumlf-tigt sich mit den rechtlichen Schnittpunkten zwischen Staat und Privaten insbesondere in den Bereichen Regulierung Verwaltungs-organisation und Energie Andreas Abegg forscht im Rahmen des vom Bund mitfinan-zierten Competence Center for Research in Energy Society and Transition (CREST) in der Forschungsgruppe Energy Policy Analysis

Reneacute WiederkehrProf Dr Reneacute Wiederkehr ist stellvertre-tender Leiter des Zentrums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht an der ZHAW School of Management and Law und Titularprofessor der Universitaumlt Luzern Er forscht und lehrt in den Bereichen Verwaltungsrecht und oumlf-fentliches Prozessrecht sowie im Rahmen des vom Bund mitfinanzierten Competence Center for Research in Energy Society and Transition (CREST) in der Forschungsgruppe Energy Policy Analysis

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Negawatt statt Megawatt

Energieeffizienzmassnahmen finanziell lohnen Zudem ver-fuumlgen kleine und mittlere Unternehmen selten uumlber Ener-gieverantwortliche oder Umweltbeauftragte die im Akqui-sitionsprozess gezielt angesprochen werden koumlnnen

Schwaumlchen bisheriger ProgrammeEine Umfrage der ZHAW bei Programmverantwortlichen zeigt diverse Schwaumlchen laufender Effizienzprogramme auf Ein haumlufiges Problem sind falsche Anreize So wird vornehmlich vermittelt wie mit Energieeffizienz Geld ge-spart wird Offensichtlich geht man davon aus dass Un-ternehmen praktisch nur uumlber finanzielle Anreize zu moti-vieren sind Bei den angepeilten KMU fallen Energiekosten jedoch kaum ins Gewicht Beratungsaufwand und Ergeb-nis stehen umso mehr im Missverhaumlltnis je weniger Ener-gie verbraucht wird Weiter scheinen die Programmver-antwortlichen ihre Zielgruppen kaum zu segmentieren und als unterschiedliche Kundensegmente wahrzunehmen Entsprechend beinhalten die meisten Programme ein Standardangebot mit einem breiten Spektrum an Mass-nahmen die oft nicht branchenspezifisch zugeschnitten sind Auch die Kundenansprache erfolgt in der Regel un-differenziert und die Moumlglichkeiten der Neuen Medien wer-den kaum genutzt

Keine langfristige PerspektiveEin Grossteil der Programme ist nicht auf Kundenbindung ausgelegt Insbesondere werden kaum Informationen er-fasst welche die Planung einer weiterfuumlhrenden Bezie-

Schweizer Unternehmen koumlnnten auf wirtschaftliche Art und Weise bis zu 30 Prozent ihres Energieverbrauchs ein-sparen Speziell bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) die immerhin 10 Prozent des Schweizer Stromver-brauchs verantworten ist das Sparpotenzial aber ungenuuml-gend ausgeschoumlpft

Energieeffizienzprogramme wirken nichtBehoumlrden Energieversorger und private Organisatio-nen haben in den letzten Jahren wiederholt Programme lanciert um Energieeinsparungen gezielt zu foumlrdern Al-lerdings haben bislang weniger als 1 Prozent der rund 300 000 Schweizer KMU an einem solchen Programm teilgenommen und die Umsetzungsquoten sind ebenfalls gering Uumlber die Gruumlnde die Unternehmen daran hindern an Energieeffizienzprogrammen teilzunehmen und ent-sprechende Massnahmen umzusetzen sind sich die Pro-grammverantwortlichen uneinig Oft werden Zeitmangel Priorisierung anderer Investitionen fehlende Mittel und zu lange Amortisationszeiten als Hemmnisse genannt Ge-nerell scheint es dass bei Kleinunternehmen Zeit- und Geldmangel eine wichtige Rolle spielen waumlhrend bei Un-ternehmen mittlerer Groumlsse eher der Mangel an Motiva tion und Bewusstsein ausschlaggebend ist Energiekosten machen bei KMU einen verschwindend kleinen Anteil der Gesamtkosten aus sodass die Prioritaumlten fuumlr Investitionen haumlufig anders liegen Man investiert beispielsweise lieber in Betriebsmittel zur Erhoumlhung der Produktivitaumlt als in die Reduktion der (bereits tiefen) Energiekosten obwohl sich

Energieeffizienz ist ein zentraler Pfeiler der Energiestrategie 2050 Die Schweiz gehoumlrt zu den Spitzenreitern punkto Energie effizienz auch dank ihrem dominanten Tertiaumlrsektor Dennoch liegen auch bei hiesigen Unternehmen grosse Sparpotenziale brach Wie diese genutzt werden koumlnnen untersucht die ZHAW in einem interdisziplinaumlren ProjektText Rolf Rellstab

Hochschulperspektive

19COMPETENCE | 2014

brauch betrifft erhoumlhte Arbeitssicherheit weniger Laumlrm-belastung oder geringerer Rohstoffverbrauch Der Wert solcher laquoNon-Energy Benefitsraquo kann fuumlr Unternehmen bis zu 250 Prozent der energetischen Einsparungen betra-gen Es geht also darum KMU gezielter auf die Chancen der Energieeffizienz hinzuweisen Schliesslich gilt es auch Unternehmen wissen zu lassen dass sich ihre Kunden fuumlr dieses Thema interessieren sowie ihnen dabei zu helfen ihr Energie effizienzengagement sichtbar zu machen Waumlh-rend bereits heute viele Unternehmen bestaumltigen dass sich ihr Image bei den Kunden durch die Teilnahme an einem Energieeffizienzprogramm verbessert hat achten erst wenige Firmen auch bei der Kommunikation darauf dass entsprechende Massnahmen gebuumlhrend bekannt gemacht werden

hung zu den Programmteilnehmenden ermoumlglichen wuumlr-den Angaben zu Stromverbrauch Houmlhe und Anteil der Energiekosten Anzahl Mitarbeitende und Umsatz waumlren wertvolle Informationen im Hinblick auf allfaumlllige Folgepro-gramme Im Vordergrund stehen zudem bei den meisten Programmen technische Loumlsungen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz Eine nachhaltige Verhaltensaumlnderung bei Mitarbeitenden oder auf Managementebene wird hingegen kaum verfolgt Auch ein Monitoring der Wirkung von Ener-gieeffizienzprogrammen ist bislang nicht vorhanden oder

wird zu wenig systematisch betrieben So wird zum Bei-spiel die effektive Energieeinsparung vielfach nicht erfasst und gepruumlft Das tatsaumlchliche Kosten-Nutzen-Verhaumlltnis einzuschaumltzen ist somit schwierig Dass die bestehenden Energieeffizienzprogramme inhaltlich durchaus Anklang finden zeigen Ruumlckmeldungen von Unternehmen die in der Vergangenheit daran teilgenommen haben Die Befrag-ten beurteilen ihre Erfahrungen mehrheitlich positiv Aus Sicht der Unternehmen lagen die Energieeinspar effekte im Bereich der Erwartungen Viele wuumlrden nochmals an einem solchen Programm teilnehmen was die oben ge-nannten Versaumlumnisse umso bedauerlicher macht

Wirksamkeit verbessernWie koumlnnen KMU zum Energiesparen motiviert werden Aus Marketingsicht beinhaltet ein sinnvolles Programm eine segmentspezifische Kundenansprache die den laquoReifegradraquo (Wissen Einstellungen und Verhalten) eines Unternehmens in Bezug auf Energieeffizienz beruumlcksich-tigt Zweitens braucht es eine klare Kundenbeziehungs-strategie welche eine wiederholte Teilnahme zum Ziel hat Bei den Anreizen einzig die finanziellen Aspekte wie etwa erwartete Kostensenkungen oder Foumlrderbeitraumlge hervor-zuheben scheint wenig erfolgversprechend Der Fokus wird in Zukunft wohl vermehrt darauf liegen denjenigen Nutzen hervorzuheben der nicht direkt den Energiever-

Rolf RellstabRolf Rellstab ist wissenschaftlicher Mit-arbeiter und Projektleiter am Institut fuumlr Marketing Management der ZHAW School of Management and Law Seine Arbeits-schwerpunkte liegen im Bereich Kommuni-kation Kundenbeziehungsmanagement und B-to-B-Marketing

Projektziel und VorgehensweiseIm ZHAW-Projekt laquoNegawatt statt Megawattraquo werden optimierte Vorgehensweisen entwickelt um KMU mit einem jaumlhrlichen Strom-verbrauch zwischen 10 und 500 MWh zum Energiesparen zu moti-vieren Der Begriff laquoNegawattraquo bezeichnet die eingesparte Energie die zu virtuellen Negawatt-Kraftwerken kombiniert wird So wird anschaulich aufgezeigt wie viel Energie dank diesen Einsparungen weniger produziert werden muss Das Projekt beinhaltet eine interna-tionale Literaturstudie zu den Erfolgsfaktoren und Hemmnissen von Energieeffizienzprogrammen eine Umfrage bei Anbietern solcher Programme sowie eine Befragung von KMU Aus den Ergebnissen dieser drei Teilstudien werden Hypothesen im Hinblick auf ein idea-les Energieeffizienzprogramm abgeleitet In einem Folgeprojekt sol-len die Hypothesen im Rahmen eines Pilotprogramms uumlberpruumlft und weiterentwickelt werden Das Projekt wird durch den WWF Schweiz die Stiftung Pro Evolution das Bundesamt fuumlr Energie (BFE) und die Elektrizitaumltswerke des Kantons Zuumlrich (EKZ) unterstuumltzt Weitere In-formationen wwwzhawchnegawatt

laquoEine nachhaltige Verhaltens - aumlnderung bei Mitarbeitenden oder auf Managementebene

wird kaum verfolgtraquo

Wie viel Heizoumll wird jaumlhrlich in Winterthur verbraucht

21COMPETENCE | 2014

Klima im Wandel ndash Emissionsrechte im Handel

Der Klimawandel laumlsst sich anhand des Treibhauseffekts veranschaulichen Die Treibhausgase bewirken dass kurz-welliges Sonnenlicht zur Erdoberflaumlche gelangt verhindern jedoch dass langwellige Waumlrmestrahlung von der Erde nach aussen dringt Somit kann die Waumlrme nicht mehr entweichen und die Temperatur steigt Der Ausstoss von Treibhausgasen die vor allem bei der Verbrennung von fossilen Energietraumlgern wie Kohle Gas und Oumll entstehen hat seit der industriellen Revolution stark zugenommen und den natuumlrlichen Treibhauseffekt verstaumlrkt Eine Zunahme der Haumlufigkeit und Intensitaumlt meteorologischer und hydro-logischer Grossereignisse wie Stuumlrme und Uumlberschwem-mungen sind die Folge ndash mit gravierenden oumlkologischen oumlkonomischen und sozialen Konsequenzen

Der 2013 veroumlffentlichte Bericht der internationalen Exper-tengruppe Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zeigt auf dass die globale Durchschnittstempera-tur in den letzten 130 Jahren um 085deg Celsius gestiegen

Der Klimawandel findet nicht in ferner Zukunft sondern bereits jetzt statt Um ihn fuumlr Mensch und Umwelt auf einem ertraumlg-lichen Niveau zu stabilisieren muumlssen die Treibhausgas-emissionen reduziert werden Der Emissionshandel soll dazu beitragen sie dort zu mindern wo die geringsten Kosten an-fallen So kann das gesetzte Mengenziel oumlkonomisch effizient erreicht werdenText Regina Betz

ist Ohne Minderungsanstrengungen wird bis 2100 ein mehr als fuumlnffacher Anstieg prognostiziert Um die Treib-hausgaskonzentration in der Atmosphaumlre auf einem fuumlr Mensch und Umwelt akzeptablen Niveau zu stabilisieren muss die Erwaumlrmung bei unter 2deg Celsius stagnieren Da-fuumlr muumlssen laut dem 2014 veroumlffentlichten Bericht des IPCC die globalen Treibhausgasemissionen (THGE) bis 2050 gegenuumlber 2010 mindestens halbiert und bis 2100 um rund 100 Prozent reduziert werden 1997 hat sich die internationale Staatengemeinschaft im Kyoto-Protokoll fuumlr die Jahre 2008 bis 2012 erstmals auf voumllkerrechtlich ver-bindliche Ziele fuumlr den Ausstoss von THGE in den entwi-ckelten Laumlndern geeinigt aktuell finden Verhandlungen fuumlr die Festlegung neuer Ziele statt

Cap and TradeZur Zielerreichung sieht das Kyoto-Protokoll unter ande-rem den Emissionshandel auf Staatenebene vor Zahl-reiche Laumlnder wenden dieses Instrument aber haumlufiger auf Unternehmensebene an Das Grundprinzip ist einfach Die Houmlchstmenge (Cap) an erlaubten Gesamtemissionen wird festgelegt und an die regulierten Unternehmen im Emissions rechtehandelssystem (EHS) verteilt Die Unter-nehmen sind verpflichtet fuumlr jede emittierte Tonne Kohlen-dioxid ein Emissionsrecht einzureichen ansonsten sind Sanktionszahlungen faumlllig Will ein Unternehmen uumlber die ihm zugeteilte Menge hinaus emittieren muss es ein an-deres Unternehmen finden das ihm die benoumltigte Menge an Emissionsrechten verkauft (Trade) Unternehmen mit hohen Minderungskosten werden dabei Emissionsrechte hinzukaufen und Unternehmen mit niedrigen Kosten wer-den ihre Emissionen mindern indem sie etwa Biomasse statt Kohle verbrennen und uumlberschuumlssige Emissions-rechte verkaufen Durch den Handel koumlnnen die erforder-lichen Emissionsminderungen dort realisiert werden wo sie mit den geringsten Kosten verbunden sind Am Markt stellt sich ein Preis fuumlr die Emissionsrechte ein der Ange-bot und Nachfrage zum Ausgleich bringt

So einfach das Prinzip ist so schwierig ist seine Umset-zung Das System bedingt dass die Regierungen Rech-te fuumlr die Nutzung der Atmosphaumlre schaffen die zu einer

Hochschulperspektive

22 COMPETENCE | 2014

Hochschulperspektive

Reduktion der Emissionen gegenuumlber einer Referenzent-wicklung fuumlhren dem sogenannten Business-as-usual-Szenario Doch die Abschaumltzung dieses Szenarios also der Entwicklung der Emissionen ohne Mengenbegren-zung ist schwierig wie die nachfolgenden Ausfuumlhrungen zum Emissionshandel in der EU zeigen

Der Emissionshandel in der EUDas EU-EHS ist der weltweit groumlsste Markt von Emissions-rechten Alle 28 EU-Staaten sowie Liechtenstein Island und Norwegen sind daran beteiligt Die Schweiz wuumlrde sich gerne anschliessen Das EU-EHS leidet seit seiner Einfuumlhrung im Jahr 2005 unter einem Uumlberangebot das sich mittlerweile auf rund 2 Milliarden Emissionsrechte be-laumluft Dies entspricht ungefaumlhr den vom System regulierten Emissionen eines Jahres Neben den unvorhergesehenen oumlkonomischen Entwicklungen durch die globale Finanz-krise traumlgt auch der starke Zubau an erneuer baren Ener-gien zu einem houmlheren Ruumlckgang der Emissio nen bei als geplant Der Hauptgrund fuumlr den derzeitigen Uumlberschuss liegt jedoch darin dass die regulierten Unternehmen ne-ben den Europaumlischen Emissionsrechten ndash European Union Allowances (EUAs) ndash auch auslaumlndische Emissions-minderungszertifikate ndash Certified Emission Reductions (CERs) ndash zu einem bestimmten Anteil anrechnen koumlnnen Mit dem sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) koumlnnen Industrienationen in Entwicklungslaumlndern emissionsmindernde Projekte finanzieren und sich die da-bei entstehenden THGE-Reduktionen mithilfe von CERs anrechnen lassen

Durch diese verschiedenen Faktoren hat sich ein Uumlberan-gebot entwickelt das den Preis der EUAs und CERs stark sinken liess Der Preis belaumluft sich derzeit auf rund fuumlnf Euro pro EUA Die bisherigen Reformanstrengungen wie etwa das sogenannte Backloading das Verschieben von Auktionen in spaumltere Jahre um die Menge zu verknappen haben bisher kaum zu einer Preiserhoumlhung gefuumlhrt

Die Schweiz als PreishochburgDer Schweizer Markt wuumlrde bei einem Zusammen-schluss nur rund 03 Prozent des EU-EHS ausmachen

Die Schweiz wuumlrde somit als Preisnehmerin agieren Das heisst der EU-Preis sollte auch in der Schweiz gelten Umso erstaunlicher ist es daher dass der Schweizer Preis pro Emissionsrecht derzeit bei rund 40 Franken liegt ob-wohl die Verbindung des Schweizer EHS mit dem EU-EHS geplant ist (sogenanntes Linking) Das auf der Basis des revidierten CO2-Gesetzes von 2012 und der CO2-Verord-nung verabschiedete System das den Emissionshandel am 1 Januar 2013 fuumlr 38 Unternehmen beziehungsweise 55 Anlagen in der Schweiz verbindlich eingefuumlhrt hat uumlber-nimmt weitestgehend die Regeln des EU-EHS Das neue System hat das bisherige freiwillige EHS in der Schweiz abgeloumlst Die im EHS erfassten Unternehmen sind von der CO2-Abgabe befreit Die hohe Kompatibilitaumlt des Schwei-zer EHS und des EU-EHS sollte ein schnelles Linking er-moumlglichen wobei die Verhandlungen durch die Annahme der Einwanderungsinitiative zum Stillstand gekommen sind Ein moumlglicher Erklaumlrungsansatz ist daher dass der hohe Preisunterschied die derzeitige Unsicherheit uumlber den Ausgang der Linking-Verhandlungen widerspiegelt Gehen die Schweizer Unternehmen davon aus dass kein Linking stattfindet sollte sich der Preis anhand der Minderungs-kosten und der Knappheit im Schweizer EHS bilden Fuumlr die Unternehmen ist es immer noch guumlnstiger den der-zeitigen Preis von 40 Franken fuumlr die Emissionsrechte zu bezahlen als eine Busse von 125 Franken pro fehlendes Emissionsrecht Zusaumltzlich zur Busse ist das Unternehmen verpflichtet die fehlenden Rechte im naumlchsten Jahr nach-zureichen Auch hier hat sich die Schweiz stark am EU-EHS orientiert bei dem die Busse bei 100 Euro pro EUA plus Wiedergutmachung liegt

Allokation beeinflusst den WettbewerbDie Gesamtmenge an Emissionsrechten (Cap) leitet sich aus den historischen Emissionen der teilnehmenden EHS-Unternehmen ab Fuumlr bestehende Anlagen die bereits vor 2013 am EHS in der Schweiz beteiligt waren setzt sie sich aus der Summe der durchschnittlich zugeteilten Emis-sionsrechte der ersten Verpflichtungsperiode (2008 bis 2012) zusammen fuumlr Anlagen die 2013 hinzukommen aus der Summe der durchschnittlichen Emissionen der

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fuumlr neue Anlagen in einer Reserve zuruumlckbehalten deren Uumlberschuumlsse zweimal jaumlhrlich versteigert werden Die Zu-teilung der Emissionsrechte hat etwas laumlnger gedauert so-dass sie in der Schweiz fuumlr die Jahre 2013 und 2014 erst im Februar 2014 erfolgte Das mag auch einer der Gruumlnde sein dass bisher kein Handel auf dem Sekundaumlrmarkt fuumlr den die Berner Kantonalbank eine eigene Emissions-handelsplattform bereitgestellt hat stattgefunden hat Das erste Preissignal war deshalb die Auktion der Uumlberschuumls-se aus der Neuemittentenreserve Diese fand vom 14 bis 21 Mai 2014 statt und erzielte fuumlr die 150 000 Emissions-rechte einen Preis von 4025 Franken pro Emissionsrecht

Wie sich die Liquiditaumlt im Schweizer Markt in Zukunft ent-wickeln wird und ob ein Linking mit dem EU-EHS und so-mit eine Angleichung der Schweizer Preise an die EU-EHS-Preise stattfinden wird bleibt abzuwarten Letzteres waumlre zwar aus oumlkonomischer Sicht zu begruumlssen da ein groumls-serer liquider Markt mit einheitlichem Preissignal als effizi-enter bewertet wird Aus oumlkologischer Sicht scheint jedoch ein Linking der Systeme ohne weitere Reformen des EU-EHS nicht wuumlnschenswert da es die Minderungsanreize in der Schweiz als Folge des Angebotsuumlberschusses an Emissionsrechten in der EU massiv reduzieren wuumlrde

Jahre 2009 bis 2011 Diese Summe wird jaumlhrlich um 174 Prozent reduziert analog der Regelung im EU-EHS

Neben der Festlegung der Obergrenze ist die Ausgestal-tung der Zuteilungsregeln politisch am schwierigsten da diese Verteilungswirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussen Bis 2012 wurden die Emissionsrechte in der EU daher groumlsstenteils kostenlos zugeteilt Seit 2013 werden rund 48 Prozent der Emissionsrechte versteigert wobei diese vor allem von Elektrizitaumltsfirmen gekauft wer-den muumlssen Da diese nicht im internationalen Wettbewerb

stehen konnten sie den Preis der gratis erhaltenen Emis-sionsrechte an die Elektrizitaumltskonsumenten weitergege-ben und hohe Gewinne erzielen Unternehmen aus Sek-toren die im internationalen Wettbewerb stehen koumlnnen hingegen die Kosten fuumlr die Emissionsrechte nicht an ihre Endkunden weitergeben ohne betraumlchtliche Nachteile in Kauf zu nehmen Es besteht daher das Risiko dass diese Firmen in Laumlnder ohne Klimapolitik abwandern Um dieses Risiko zu senken erhalten Unternehmen bei denen ein Risiko auf Abwanderung besteht auch in Zukunft weitest-gehend kostenlos Emissionsrechte zugeteilt Die Zuteilung basiert dabei auf sogenannten Benchmarks (Tonne Koh-lendioxid pro Tonne Produkt) die auf der Basis der effizi-entesten 10 Prozent der Unternehmen berechnet und mit historischen Produktionsdaten multipliziert werden

Noch kein Handel in der SchweizDie Schweiz hat die Benchmarks des EU-EHS uumlbernom-men Da in der Schweiz vor allem stark im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen aus den Sektoren Zement Papier Chemie Stahl und Raffinerien unter den Emissionshandel fallen werden fast alle Emissionsrechte kostenlos zugeteilt Ein kleiner Anteil von 5 Prozent wird

Regina BetzDr Regina Betz ist Dozentin fuumlr Energie- und Umweltoumlkonomie an der ZHAW School of Management and Law Seit 2014 leitet sie den volkswirtschaftlichen Teil der Ener-gy Policy Analysis Group des Zentrums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht das Mitglied des Schweizer Competence Centers for Research in Energy Society and Transition (CREST) ist Zuvor lehrte sie an der University of New South Wales Australia Umwelt- und Klimaoumlkonomie und leitete als Co-Direktorin das Centre for Energy and Environmental Markets (CEEM) 1998 bis 2004 arbeitete sie als Wissenschaftlerin am Fraunhofer-Institut fuumlr System- und Innovationsforschung ISI in Deutschland

laquoNeben der Festlegung der Ober grenze ist die Ausgestaltung der Zuteilungsregeln politisch am

schwierigsten da diese Verteilungs wirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussenraquo

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nicht vollstaumlndig genutzt werden kann In der Energiestra-tegie des Bundes ist gemaumlss einem Szenario bis 2050 ein Zubau auf knapp 12 TWh pro Jahr Stromproduktion aus Fotovoltaik angedacht Dies bedingt den Bau von Fotovol-taikanlagen mit einer installierten Spitzenleistung von etwa 12 Gigawattpeak (GWp) und einem Flaumlchenbedarf von rund 84 000 000 Quadratmetern Dieser Flaumlchenbedarf ist auf den bestehenden Daumlchern in der Schweiz verfuumlgbar

An einem schoumlnen Sommertag koumlnnen diese Anlagen dann also etwa 12 GW erzeugen die maximale Ver-brauchslast liegt im Sommer aber nur bei rund 8 GW Es entsteht ein Uumlberschuss von 4 GW die Speicherleistung der Schweizer Pumpspeicheranlagen betraumlgt heute aber nur 15 GW 25 GW Leistung koumlnnen in diesem Szenario also gar nicht genutzt werden An einem Wintertag mit Hochnebel erzeugen diese Anlagen uumlberhaupt keinen Strom die Verbrauchslast liegt aber mit 10 GW noch houml-her als im Sommer Hier entsteht eine Luumlcke die mit ande-ren Energieformen oder Importen gedeckt werden muss

Speichern uumlbertragen oder einsparenUm diesem Problem zu begegnen gibt es verschiedene Loumlsungsansaumltze Ein Ansatz ist die Energie lokal dort zu speichern wo sie erzeugt aber nicht sofort verbraucht werden kann In diesem Fall werden in erster Linie viele kleine Speichermodule benoumltigt die sowohl fuumlr kurz- als auch langfristigen Ausgleich sorgen muumlssen Eine andere Moumlglichkeit ist es die Energie an Orte zu uumlbertragen wo sie sofort verbraucht wird dann muss in erster Linie das Netz ausgebaut werden Schliesslich koumlnnte Energie auch zentral zu grossen Speichern transportiert werden was sowohl einen Netzausbau als auch neue Speichertechno-logien bedingen wuumlrde

Als die Gesellschaft noch aus Jaumlgern und Sammlern be-stand verbrauchte der Mensch seine Energie lokal dort wo er sie benoumltigte Er lebte von der Hand in den Mund Im Zuge der aufkommenden Landwirtschaft musste er Methoden entwickeln um Nahrung haltbar zu machen und sie zu transportieren Vor demselben Problem steht heute die Energiewirtschaft Ort und Zeit der erneuerbaren Energieerzeugung korrelieren je laumlnger je weniger mit dem Verbrauch Die Herausforderung der Energiewende ist deshalb nicht nur die Produktion selbst sondern auch die Uumlbertragung die Speicherung und das lokale Verbrauchs-last-Management

Saisonale Speicherung problematischMit dem Ausstieg aus der Kernenergie muumlssen in der Schweiz etwa 40 Prozent der produzierten elektrischen Energie ersetzt werden also rund 23 Terawattstunden (TWh) pro Jahr Im Gegensatz zur Kernenergie haben die neuen erneuerbaren Energien den Nachteil dass ihre Pro-duktion nicht steuerbar ist und unregelmaumlssig anfaumlllt Der Kapazitaumltsfaktor also das Verhaumlltnis von durchschnittlicher zu maximaler Leistung betraumlgt bei konventionellen Kraft-werken bis zu 100 Prozent bei Fotovoltaikanlagen dage-gen nur etwa 10 Prozent Hinzu kommen die starken saiso-nalen Schwankungen dieser stochastisch erzeugenden Energiequellen Im Winter liegt die Stromverbrauchsspitze mit circa 10 Gigawatt (GW) rund ein Drittel houmlher als im Sommer gleichzeitig liefern Fotovoltaikanlagen aufgrund des flacheren Einstrahlungswinkels und der kuumlrzeren Son-nenscheindauer wesentlich weniger Strom als im Sommer

Anhand eines Gedankenexperiments laumlsst sich veran-schaulichen dass das Potenzial der neuen erneuerbaren Energien ohne zusaumltzliche Speicher oder steuerbare Lasten

Energie haltbar machen

Der Ausbau von erneuerbaren Energiequellen geht so schnell voran dass Speicher- und Uumlbertragungstechnologien kaum mithalten koumlnnen Um Produktionsspitzen zu glaumltten braucht es Fortschritte in der EnergietechnikText Petr Korba

Hochschulperspektive

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Petr KorbaProf Dr Petr Korba ist Dozent und Fach-gruppenleiter fuumlr elektrische Energietechnik und Smart Grids an der ZHAW School of En-gineering Zuvor forschte er uumlber zehn Jahre bei ABB Schweiz in den Bereichen Automa-tion Energie- und Regelungstechnik

Scherrer Institut an der Power2Gas-Technologie Dabei wird Kohlendioxid mit Strom aus erneuerbaren Quellen durch Elektrolyse zu Wasserstoff oder weiter zu Methan verarbeitet Aumlhnlich wie bei der Nahrungsmittelproduktion wo Staumlrke schliesslich als raffinierter Zucker gespeichert wird gibt es auch bei der Stromspeicherung immer raffi-niertere Formen Bei jeder Umwandlung geht aber Energie verloren Man muss sich also gut uumlberlegen ob man uumlber-haupt speichern will und wenn ja uumlber welchen Zeitraum

Mit der wachsenden Integration von erneuerbaren Energi-en steigen auch die Anforderungen an die Energietechnik Unser kuumlnftiges Energiesystem wird staumlrker automatisiert und intelligenter sein Um erneuerbare Energiequellen zu integrieren werden Informations- und Kommunikations-technologien Automatisierungs- und Regelungstechnik Signalverarbeitung oder Wettervorhersagen immer wich-tiger In den intelligenten Stromnetzen der Zukunft wer-den alle beteiligten Komponenten Daten wie den aktuellen Verbrauch verfuumlgbare Strommengen oder lokale Aus-faumllle melden und gleichzeitig solche Daten aus anderen Netzkomponenten empfangen Das daraus resultierende Smart Grid ist ein Gefuumlge das selbststaumlndig auf diese Ein-fluumlsse reagiert und seine eigene Effizienz optimiert Es gilt Energie effizienter zu uumlbertragen um raumlumliche Distanzen zu uumlberwinden und neue Speichertechnologien zu entwi-ckeln um zeitliche Engpaumlsse zu uumlberbruumlcken Elektrische Energie kann auf verschiedene Arten erzeugt gespei-chert und uumlbertragen werden Jede Art hat ihre Vor- und Nachteile und ihren Preis Anreize aus der Politik werden schliesslich entscheiden welche Formen dies in der Zu-kunft sein werden

Auf der Verbraucherseite laumlsst sich die Nutzlast durch ge-eignetes Last-Management anpassen Diese Steuerung schaltet verbrauchsintensive Anlagen in Unternehmen gewerblichen Betrieben und Haushalten gezielt dann ein wenn die Stromtarife guumlnstig sind Es duumlrfte aber schwie-rig sein der Bevoumllkerung vorzuschreiben wann sie zum Beispiel fernsehen oder kochen darf Eine intelligente Re-gelung von grossen Kuumlhlhaumlusern stoumlrt dagegen nieman-den Trotz solchen Bestrebungen geht die International Energy Agency (IEA) davon aus dass der Stromverbrauch weltweit jaumlhrlich um rund 1 Prozent zunimmt Diese Ten-denz verstaumlrkt sich voraussichtlich noch falls sich der Bereich Mobilitaumlt von fossilen Energietraumlgern hin zur Elek-tromobilitaumlt verschieben wird Die Geschichte hat gezeigt dass der Energieverbrauch eigentlich nur in Krisenzeiten zuruumlckgeht

Klar ist jedenfalls dass der Ausbau von Speichern und Netzen Hand in Hand mit der zunehmenden Integration von erneuerbaren Energiequellen erfolgen muss Auf unter-schiedlichen Netzebenen kommen unterschiedliche Spei-chertechnologien zum Einsatz Waumlhrend fuumlr Haushalte mit kleinen Fotovoltaikanlagen und im Niederspannungsnetz bereits Batteriespeicher vorhanden sind stossen diese bei mehr als einer Windturbine oder groumlsseren Solarparks schnell an ihre Grenzen Das groumlsste Batterieenergie-speichersystem der Schweiz betreiben die Elektrizitaumlts-werke des Kantons Zuumlrich in Dietikon Es hat 1 Megawatt (MW) maximale Speicherleistung und kann diese waumlhrend ungefaumlhr 15 Minuten abgeben respektive speichern Die Spitzenlast im Schweizer Hochspannungsnetz liegt aber bei 8 GW im Sommer und 10 GW im Winter Die Schwei-zer Pumpspeicherkraftwerke koumlnnen unseren Strombe-darf nur etwa einen Monat lang decken Das europaumlische Hochspannungsnetz verfuumlgt uumlber eine Spitzenlast von circa 500 GW Um die Leistung von Grosskraftwerken wie Offshore-Windparks langfristig zu speichern braucht es neue Technologien

Raffinierte EnergiespeicherungDafuumlr forscht die ZHAW School of Engineering gemein-sam mit der ETH Zuumlrich der EPF Lausanne und dem Paul

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Hochschulperspektive

Dissonanz an der Steckdose

Mit der Energiestrategie 2050 haben Bundesrat und Parla-ment eine Kehrtwende in der Schweizer Energiepolitik ein-gelaumlutet der die wichtigsten politischen Huumlrden erst noch bevorstehen Auf den ersten Blick scheint der Kurswechsel breit abgestuumltzt Seit dem Reaktorunfall in Fukushima fuumlh-ren Umfragen immer wieder zum gleichen Ergebnis Der langfristige Ausstieg aus der Kernenergie findet eine Mehr-heit Im Grundsatz stossen erneuerbare Energien sowie Massnahmen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz auf hohe Zustimmung Was fuumlr den Stimmzettel gilt beeinflusst aber nicht automatisch das Konsum- und Investitionsverhalten der Energiekunden Die Bereitschaft aus eigenem Antrieb mehr fuumlr ein oumlkologisch houmlherwertiges Produkt aus neuen erneuerbaren Energietraumlgern zu bezahlen ist beschraumlnkt Nur wenige Haushalte sind zudem bereit ihren Energie- und insbesondere ihren Stromkonsum zu reduzieren wenn dies mit nicht amortisierbaren Investitionskosten oder einem moumlglichen Komfortverlust verbunden ist

Mit anderen Worten Effizienz wird als teuer und Suffizienz als bevormundend empfunden Die private Zahlungsbereit-schaft laumlsst sich zwar mit regulatorischen Interventionen wie fixen Einspeiseverguumltungen oder Investitionssubven-tionen in Effizienzmassnahmen etwas erhoumlhen Doch die Erfahrungen in Deutschland und der Schweiz zeigen dass solche Massnahmen oumlkonomisch ineffizient sind und oft als ungerecht empfunden werden Sie koumlnnen damit zum Bumerang fuumlr die Akzeptanz der energiepolitischen Ziele werden Neben den politischen Huumlrden ist somit auch die kognitive Huumlrde der Konsumenten zu beruumlcksichtigen De-ren Uumlberwindung bedarf zuerst einer differenzierten Analyse der Ursachen und danach der Entwicklung innovativer Ver-triebsmodelle und Produkte auf Versorgerseite

Eine Mehrheit der Bevoumllkerung unterstuumltzt den Ausstieg aus der Kernenergie doch nur wenige beziehen ein oumlkologisches Stromprodukt Warum das so ist und wie sich diese Dissonanz aufloumlsen laumlsst beschaumlftigt derzeit viele EnergieversorgerText Claudio Cometta

Indifferenz uumlberwiegtFuumlr viele Konsumenten ist die Strom- Gas- oder Fern-waumlrmerechnung ein verhaumlltnismaumlssig kleiner Posten im Haushaltsbudget dem wenig Beachtung geschenkt wird Die Schweiz ist sogar einer der Spitzenreiter in Europa machen die Stromkosten im Durchschnitt doch nicht mehr als 2 Prozent der Haushaltsausgaben aus Wenig Beachtung bedeutet auch wenig Kenntnis des Preises und der Menge der bezogenen Energieleistung oder der Zusammensetzung des Tarifs aus Energiekosten Netz-kosten und Abgaben Entsprechend besteht nur ein ge-ringes Interesse Energie und damit Kosten zu sparen Konsumentenbefragungen zeigen zudem dass nur eine kleine Minderheit der Kunden die Zusammensetzung ihres Stromprodukts nach Energietraumlgern kennt Die geringen Kosten und Unkenntnis des Produkts verhindern also die Wahl anderer Stromprodukte Strom ist ein klassisches Commodity-Produkt Man kann ihn weder sehen noch riechen Er ist verhaumlltnismaumlssig guumlnstig immer verfuumlgbar und aumlndert in keinerlei Hinsicht seine Eigenschaften wenn dafuumlr mehr bezahlt wird Zudem ist meist nicht sichtbar wer wie viel von welchem Produkt bezieht Der Strom-konsum ist Privatsache

Uumlberwindung durch VertriebsmodelleDie Vorgaben der Energiestrategie 2050 beinhalten nicht nur einen massiven Zubau der Produktionskapazitaumlt aus erneuerbaren Energietraumlgern sondern auch die kon-tinuierliche Reduktion des Energie- und insbesondere des Stromkonsums pro Kopf Die direkte Finanzierung der dazu notwendigen Investitionsvorhaben scheint an-gesichts der Indifferenz auf Konsumentenseite jedoch schwierig Aus diesem Grund sind mehrere Schweizer

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rund um Haushaltstechnik Sicherheit Pflege oder Kom-munikation sowie ein geschicktes Marketing mit Elemen-ten der sozialen Kontrolle Denkbar sind auch Anreize die keinen direkten Zusammenhang mit dem Energiekonsum aufweisen aber fuumlr breite Bevoumllkerungsgruppen attrak-tiv sind So haben etwa einzelne skandinavische Versor-ger damit begonnen energiesparendes Verhalten ihrer Kunden mit Verguumlnstigungen fuumlr die Nutzung oumlffentlicher Transportmittel zu belohnen

Uumlberwindung durch PartizipationDie wohl wirkungsvollste Massnahme zur Uumlberwindung der Dissonanz an der Steckdose ist bereits inhaumlrent in der Transformation des Energiesystems hin zu einer staumlrker dezentralen Erzeugung angelegt Kunden entwi-ckeln sich von passiven Leistungsempfaumlngern zu aktiven Leistungserbringern sogenannten Prosumern Als Klein-produzenten von Strom mit einer hauseigenen Fotovol-taikanlage oder thermischer Speicherleistung mit Kraft-Waumlrme-Kopplungsanlagen im Mikroformat werden sie mittelfristig wesentlich zum Umbau des Energiesystems und zu den Zielen der Energiestrategie beitragen koumlnnen Eine nicht ganz unbedeutende Rolle koumlnnten in Zukunft sogenannte Buumlrgerbeteiligungsmodelle fuumlr die Finanzie-rung neuer In frastrukturprojekte spielen Diese wuumlrden gleichzeitig die Akzeptanz sichtbarer Produktionsanlagen von neuen erneuerbaren Energien erhoumlhen Doch erst wenn das Produkt Strom nicht mehr als reines Commodity-Produkt wahrgenommen wird werden politische Meinung und Konsumverhalten bei einer Mehrheit der Stimmbuumlrger uumlbereinstimmen

Energieversoger in letzter Zeit dazu uumlbergegangen soge-nannte Default-Modelle einzufuumlhren die Stromprodukte aus erneuerbaren Quellen zum neuen Standard erheben Dabei macht man sich die Traumlgheit der Kunden zunutze indem die Wahl eines Stromprodukts aus nicht erneuer-baren Energietraumlgern als Option definiert wird die aktiv bestellt werden muss

Nicht zuletzt aufgrund solcher Modelle ist die Zahl der Schweizer Haushalte die ein Stromprodukt aus aus-schliesslich erneuerbaren Energien beziehen auf uumlber 25 Prozent gestiegen Doch weitere Vertriebsinnovationen werden notwendig sein etwa um der Herausforderung der Einspeisung von Strom aus fluktuierend nutzbaren Quellen (Solar- und Windenergie) in die Verteilnetze gewachsen zu sein die immer staumlrker ins Gewicht faumlllt In der Folge gilt es Investitionen in Netz- und Speichersysteme zu finan-zieren In innovativen Vertriebsmodellen welche dieser Herausforderung gerecht werden erhaumllt das Konsumver-halten einen Wert Zeitliche Flexibilitaumlt wird belohnt durch Tarifreduktion Bonus oder Vermeidung einer Gebuumlhr Wie diese beiden Beispiele zeigen laumlsst sich der Mehrwert von vermeintlichen Commodity-Produkten durch neue Vertriebsmodelle abschoumlpfen und als marktwirtschaftlich vertraumlglicher Finanzierungsmechanismus fuumlr neue Infra-strukturvorhaben im Energiesektor nutzen

Uumlberwindung durch innovative ProdukteNoch groumlsseres Potenzial birgt die Weiterentwicklung von Stromprodukten zu Leistungssystemen die fuumlr Energie-kunden einen echten Mehrwert bieten Hierzu gehoumlrt die Verknuumlpfung des Kernprodukts Strom mit Dienstleistun-gen die den Kunden ein transparenteres Verbrauchsver-halten sowie Kostenoptimierung ermoumlglichen Intelligente Stromzaumlhler sogenannte Smart Meter kombiniert mit fle-xiblen Tarifen und einem einfachen Feedback- und Steuer-system sind die Voraussetzung um zumindest oumlkologisch sensibilisierten oder kostenbewussten Endkunden einen Effizienzeffekt zu ermoumlglichen Damit solche Leistungs-systeme aber fuumlr die grosse Gruppe der Indifferenten interessant werden braucht es weitere Mehrwerte Dazu gehoumlren die Verknuumlpfung mit intelligenten Anwendungen

Claudio ComettaDr Claudio Cometta ist Dozent fuumlr Innovation und Entrepreneurship an der ZHAW School of Management and Law Er koordiniert den Aufbau des nationalen Energie-Kompetenz-zentrums SCCER 5 an der ZHAW

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Die Energiewende stellt die Energieversorgungsunternehmen in der Schweiz vor grosse Herausforderungen Das Beispiel von Stadtwerk Winterthur zeigt wie die Branche auf den Paradig-menwechsel reagiertText Florian Wehrli

Von den Anfaumlngen als laquoWinterthurer Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtungraquo vor uumlber 150 Jahren bis zum modernen Querverbundunternehmen hat sich Stadtwerk Winterthur kontinuierlich weiterentwickelt Seine Aufgabe ist aber gemaumlss Direktor Markus Saumlgesser weitgehend dieselbe geblieben die Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung zu verbes-sern So bietet das staumldtische Versorgungsunternehmen neben klassischen Produkten wie Wasser Strom Gas oder Kehrichtentsorgung und Abwasserreinigung heute auch Fernwaumlrme Haustechnik Glasfasernetz und Ener-gie-Contracting an Die Ausdehnung auf neue Geschaumlfts-bereiche will der Direktor aber nicht als Reaktion auf die Liberalisierung des Energiemarkts verstanden wissen laquoWir begegnen der Marktoumlffnung proaktiv und wollen die sich bietenden Chancen aktiv nutzenraquo

Lokales Potenzial ausgeschoumlpftIm liberalisierten Markt hat das staumldtische Versorgungs-unternehmen mit dem Monopol auf sein Energieversor-gungsnetz von gesamthaft mehr als 2 500 Kilometern einen Vorteil Dessen Unterhalt ist nach wie vor eine der Hauptaufgaben Im Gegensatz zu anderen Energieversor-gern betreibt Stadtwerk Winterthur naumlmlich einen verhaumllt-nismaumlssig geringen Anteil an eigenen Produktionsanlagen Das Flaggschiff ist die wohl modernste Kehrichtverwer-tungsanlage der Schweiz laquoMit dem Umbau konnten wir 2013 den Wirkungsgrad der Anlage um einen Drittel stei-gern und die Abluft gehoumlrt zu den saubersten weltweitraquo sagt Markus Saumlgesser Heute deckt die KVA 20 Prozent des Winterthurer Strom- und 12 Prozent des Waumlrmebe-darfs ab Auf solchen Lorbeeren ausruhen will sich Stadt-werk Winterthur aber nicht laquoWir wollen mithelfen eine nachhaltige Energiewirtschaft aufzubauenraquo Mittelfristig soll

die Haumllfte des Stromangebots aus erneuerbaren Quellen stammen laquoDas ist ein ehrgeiziges Zielraquo sagt Saumlgesser laquowir sind aber auf gutem Weg dazuraquo

Rund die Haumllfte des Rahmenkredits von 90 Millionen Franken fuumlr erneuerbaren Strom den das Winterthurer Stimmvolk 2012 bewilligt hat ist bereits investiert Im Bereich Fotovoltaik ist die Planung der groumlssten Anlagen abgeschlossen etwa auf den Daumlchern der Eishalle oder des Busdepots Eine aktuelle Windpotenzialstudie zeigt fuumlr Winterthur nur wenige moumlgliche Standorte auf zumal die Bewilligung solcher Anlagen mit grossem buumlrokratischem Aufwand verbunden sei Mit diversen Nahwaumlrmever-buumlnden nutzt Stadtwerk Winterthur auch Holzabfaumllle bereits sehr effizient Aber auch dieser Energietraumlger ist in Winterthur beschraumlnkt vorhanden Das letzte Projekt das Holz aus dem Winterthurer Stadtwald einsetzen wird ist in der Aufbauphase Studien im Bereich Wasserkraft haben gezeigt dass abgesehen von einem Kleinwasser-kraftwerk an der Toumlss in der Region kaum Potenzial vor-handen ist

Investitionen im AuslandlaquoDiese aufwendige Aufbauarbeit soll nicht zur Regel wer-denraquo sagt Markus Saumlgesser laquoDas limitierte Energiepoten-zial in der Schweiz und die beschwerlichen Instanzenwe-ge fuumlr Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie lassen uns deshalb vermehrt im Ausland investierenraquo 2012 be-teiligte sich das Stadtwerk mit 12 Millionen Franken am Kleinkraftwerk Birseck AG das Kleinwasserkraftwerke und Foto voltaikanlagen in der Schweiz und in Frankreich be-treibt 2013 folgte eine Beteiligung in der Houmlhe von 25 Mil-lionen Franken an der Swisspower Renewables AG die in

Vom Versorger zum Dienstleister

Unternehmensperspektive

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sein glaubt er aber nicht daran dass der Stromverbrauch insgesamt zuruumlckgehen wird laquoDafuumlr ist der Marktpreis zu niedrig Aus serdem wird Strom im Bereich Waumlrme und Mobilitaumlt einen Grossteil der fossilen Energietraumlger ersetzen muumlssenraquo Damit der geplante Verbrauchsruumlck-gang dennoch gelingt will der Bund Anreize schaffen Mit sogenannten weissen Zertifikaten will er die Versor-ger be lohnen wenn sie ihre Kunden zu einem geringeren Energie verbrauch bewegen In Grossbritannien Italien und Frankreich sind solche Modelle bereits im Einsatz Markus Saumlgesser sieht dieser Entwicklung mit gemischten Gefuumlh-len entgegen laquoWir haben bereits vor der Reaktorkatastro-phe in Fukushima auf Energieeffizienz gesetzt und konn-ten uns dadurch profilieren Weil die Politik nun eingreift und den Markt uumlbersteuert bleibt uns als Unternehmen weniger Spielraum um uns zu positionierenraquo

Windkraftanlagen im angrenzenden Ausland investiert Fuumlr die Beschaffung von Strom am freien Markt ist das Stadtwerk eine Zusammenarbeit mit der Trianel GmbH in Aachen ndash einer der fuumlhrenden Stadtwerke-Kooperationen in Europa ndash eingegangen Damit sollen insbesondere der Zugang zum Grosshandelsmarkt sowie die Marktfor-schung sichergestellt werden Denn um Kunden nachhal-tige Energieprodukte verkaufen zu koumlnnen muss man ihre Beduumlrfnisse genau kennen

Anreize fuumlr geringeren VerbrauchDie Strategie scheint aufzugehen laquoSeit der Einfuumlhrung der neuen Stromprodukte Anfang 2013 haben wir den Absatz von erneuerbarer Energie in Winterthur verdop-pelt und denjenigen von Oumlkostrom sogar vervierfachtraquo so Saumlgesser Trotz dem steigenden oumlkologischen Bewusst-

Gemaumlss seinem Leitbild soll Stadtwerk Winterthur mit einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der soziashylen Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Bild Michael Lio

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Ausgliederung aus der StadtverwaltungAuch auf kommunaler Ebene ist Stadtwerk Winterthur von den politischen Rahmenbedingungen abhaumlngig ndash mit allen Vor- und Nachteilen Die politischen Kurswechsel in den vorgesetzten Gremien seien hinderlich bei der Umsetzung der Strategie des Unternehmens laquoWir taumltigen Investitio-nen mit einem Planungshorizont von mehreren Jahrzehn-tenraquo sagt Markus Saumlgesser laquoin der Politik wird dagegen in Amtsperioden von vier Jahren gedachtraquo Es gibt deshalb Bestrebungen das Stadtwerk aus der Stadtverwaltung auszugliedern und einem langfristig operierenden Steue-rungsgremium zu unterstellen Bei der Stimmbevoumllkerung geniesst Stadtwerk Winterthur grossen Ruumlckhalt Alleine in den letzten zwei Jahren wurden vier Abstimmungsvor-lagen mit grossem Mehr angenommen darunter Rah-menkredite fuumlr das Energie-Contracting oder erneuerbare Energien laquoEine bessere Legitimation koumlnnen wir uns gar nicht wuumlnschenraquo sagt Markus Saumlgesser

Neue BetriebskulturStrategisch und energiepolitisch werden Dienstleistungen wie das Energie-Contracting fuumlr Stadtwerk Winterthur immer wichtiger laquoWir wollen unserer Kundschaft Waumlr-me oder Kaumllte gleich komfortabel anbieten koumlnnen wie Stromraquo sagt Markus Saumlgesser laquoImmobilienbesitzerinnen und -besitzer sollen sich nicht mehr um den Fuumlllstand ih-res Oumlltanks oder den Termin fuumlr den Kaminfeger kuumlmmern muumlssenraquo Das Energie-Contracting waumlchst stark und macht heute bereits rund 5 Prozent des Umsatzes von Stadtwerk Winterthur aus

Die neuen Geschaumlftsfelder ziehen auch andere Arbeits-kraumlfte an als bisher Verschiedene Betriebskulturen seien in den vergangenen Jahren teilweise parallel gelaufen be-ginnen nun aber langsam zu verschmelzen Ein Beispiel dafuumlr ist die Verknuumlpfung von Smart Metering und dem traditionellen Verteilnetz Elektrizitaumlt Als Voraussetzung fuumlr das Change-Management in der Betriebskultur habe man alle Mitarbeitenden in die Erarbeitung des Unterneh-mensleitbildes involviert Entstanden ist ein Leitbild das Stadtwerk Winterthur dabei unterstuumltzt die Unterneh-mensstrategie umzusetzen Stadtwerk Winterthur soll mit

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

Markus SaumlgesserMarkus Saumlgesser (52) ist diplomierter Ma-schineningenieur ETH und hat ein Nachdi-plomstudium in technischen Betriebswissen-schaften absolviert Seit Anfang 2011 ist er Direktor von Stadtwerk Winterthur Seine bisherige berufliche Taumltigkeit fuumlhrte Markus Saumlgesser nach zwei Jahren Assistenz an der ETH zu einem Ingenieurbuumlro fuumlr Ener-gie- und Haustechnik Waumlhrend dieser rund sechsjaumlhrigen Zeit war er bei anspruchsvol-len Bauprojekten verantwortlich fuumlr die Konzeption und Koordination der technischen Gebaumludeausruumlstung Zudem war er waumlhrend vier Jahren Mitglied der Geschaumlftsleitung Nach zweijaumlhriger Taumltigkeit als Abteilungsleiter in einer groumlsseren Gemeinde wechselte er zum Elek-trizitaumltswerk der Stadt Zuumlrich (EWZ) bei dem er die Abteilung Vertrieb Grosskunden leitete Daneben war Markus Saumlgesser beim EWZ in verschiedene Innovationsprojekte involviert So zeichnete er fuumlr das Projekt laquoStromzukunft Stadt Zuumlrichraquo verantwortlich das wichtige Grundlagen fuumlr die Strategie des EWZ und die Volksabstimmung zur 2000-Watt-Gesellschaft in der Stadt Zuumlrich beisteuerte

Stadtwerk Winterthur in Zahlen (2013)Mitarbeitende 347Nettoinvestitionen 1198 Mio CHFDurchgeleitete Strommenge 5643 Mio kWhUmsatz Strom 93 Mio CHFDurchgeleitete Gasmenge 5295 Mio kWhUmsatz Gas 411 Mio CHFUnternehmensgewinn 109 Mio CHF

einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der sozia-len Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Wann wurden in Winterthur die ersten Strassenlampen mithilfe von Stein-kohle erleuchtet

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Unternehmensperspektive

ckelte Hochspannungsgleichstromschalter sollen zudem sicherstellen dass etwa ein Kurzschluss durch eine hy-perschnelle Abschaltung isoliert und das Netz somit nicht gefaumlhrdet wird Von 14 solchen Schaltsystemen welt-weit stammen 13 von ABB Die hohen Investitionen fuumlr die armdicken Gleichstromkabel rechnen sich da beim Transport viel weniger Strom verloren geht als bei der tradi tionellen Wechselstromtechnik Die Produktelinie ent-wickelt sich zum Renner Sie wird zur Anbindung von So-lar- und Windparks zur Versorgung von Inseln als Ersatz fuumlr Diesel generatoren auf Oumll- und Gasplattformen auf See eingesetzt Oder um Starkstrom vom Festland zu auf dem Meeresboden platzierten ferngesteuerten Foumlrderanlagen fuumlr Gas und Oumll zu leiten ndash wofuumlr ABB auch wartungsfreie Kompressoren liefert damit Kunden wie Statoil und Pet-robras teure Ausfaumllle erspart bleiben

Komplettloumlsungen aus einer HandDank hohem Innovationstempo sind die Divisionen Ener-gietechnik- und Niederspannungsprodukte gut ausgelas-tet Dies gilt ebenso fuumlr die Divisionen Industrie- und Pro-zessautomation Speziell energieintensive Industrien die unter hohem Kostendruck stehen muumlssen ihre Anlagen auf dem neusten Stand halten Dazu zaumlhlen Bergbau Oumll- und Gasindustrie Zellstoff- Papier- und Zementfabriken Chemie- und Pharmafirmen sowie Raffinerien Gefragt sind auch Industrieroboter und schwenkbare dank ABB-Leistungselektronik stufenlos regulierbare Schiffsantrie-be ABB liefert Grosskunden fertige Loumlsungen die hohe Produktivitaumlt und Energieeffizienz gewaumlhrleisten Alles ist aufeinander abgestimmt von der Elektrik uumlber Antriebe Generatoren Roboter Sensoren und Steuerungen bis hin

Zu Beginn des Jahrtausends stand ABB am Abgrund Doch eine neue Fuumlhrungscrew fuumlhrte das Unternehmen aus der Krise sodass die Schweiz inzwischen wieder stolz sein kann auf ihren Industriemulti mit Sitz in Zuumlrich Oerli-kon 2013 erzielte ABB mit rund 148 000 Mitarbeitenden in 100 Laumlndern 42 Milliarden Dollar Umsatz Die renom-mierte US-Universitaumlt MIT zaumlhlt ABB zu den 50 innova-tivsten Unternehmen weltweit Dank 8 000 Ingenieuren in Forschung und Entwicklung und einem Forschungsetat von 15 Milliarden Dollar kann ABB selbst mit Giganten wie Siemens und General Electric mithalten

Innovationen die Technikfans begeisternWas ABB alles macht wissen wohl nur Technikfans Denn der Konzern hat uumlber 70 000 Produkte im Angebot Die 300 ABB-Fabriken liefern taumlglich 15 Millionen Kompo-nenten aus die zu elektrischen Einrichtungen oder in Pro-duktionssteuerungen verbaut werden Aus Kanada etwa kam juumlngst ein Grossauftrag uumlber 400 Millionen Dollar Erneuerbare Energie die auf Neufundland und Labrador gewonnen wird soll ab 2017 via Hochspannungskabel 360 Kilometer nach Westen fliessen um dort 350 000 Haumluser zu versorgen Weltweit gibt es erst 90 solche Gleichstromkabelverbindungen die meist unter der Erde oder auf dem Meeresgrund verlaufen ABB ist mit rund 50 Prozent Anteil Marktfuumlhrer Die futuristisch anmuten-de Technik in den abgeschirmten Hallen wo der Strom vor dem Transport auf Hochspannung transformiert wird erinnert an den Maschinenraum von Raumschiff Enter-prise Ein wichtiges Steuerungselement bilden dabei in Baden Daumlttwil entwickelte und in Lenzburg produzierte Spezialchips die Houmlchstspannung aushalten Neu entwi-

Der schweizerisch-schwedische Technikkonzern treibt an vor-derster Front die Energiewende voran Dafuumlr forscht man bei ABB intensiv zu erneuerbaren Energien schlauen Stromnetzen sowie hocheffizienten Industrieanlagen Einzig die schwache Nachfrage nach Energieanlagen in Europa bremst die ExpansionText Andreas Fluumltsch

Innovativer Treiber der Energiewende

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uumlber weite Strecken in die Ballungsraumlume geleitet werden muss brummt das Geschaumlft In den USA treibt der Oumll- und Gasboom die Nachfrage Nur in Europa harzt das Geschaumlft mit Grossanlagen Weniger Nachfrage belastet die Margen bei Auftraumlgen fuumlr Wind- und Solarfarmen so-wie fuumlr Netzinfrastruktur Die Risiken der oft mehrjaumlhrigen Projekte sind so hoch dass ABB waumlhlerischer sein muss und etwa das Geschaumlft mit Solarloumlsungen zurzeit auf Sparflamme betreibt Dennoch ist ABB immer noch hoch-profitabel nicht zuletzt da die Kosten Jahr fuumlr Jahr um 3 bis 5 Prozent gesenkt werden Aber der erfolgsgewohnte Konzern musste sich 2013 mit 6 Prozent Umsatzplus zu-friedengeben Umso intensiver treibt der neue ABB-Chef Ulrich Spiesshofer die Integration der vorab in den USA fuumlr 10 Milliarden Dollar getaumltigten Zukaumlufe voran Und Spiess-hofer forciert die Zusammenarbeit der Divisionen damit ABB die Unternehmensvision laquoEnergie und Produktivitaumlt fuumlr eine bessere Weltraquo mit moumlglichst vielen eigenen Pro-dukten realisieren kann

zur Leittechnik samt angepasster Software Kleine und mittlere Kunden ordern Komponenten oder Teilsysteme Ein wichtiges Verkaufsargument ist das Sparpotenzial von stufenlos steuerbaren Elektromotoren Nur einer von fuumlnf Motoren hat laut einer Erhebung des Bundes einen Leis-tungsregler der Rest laumluft auf Hochtouren und wird ndash man glaubt es kaum ndash bei Bedarf mit Klappen oder Ventilen mechanisch abgebremst Eine gigantische Verschwen-dung da Industriemotoren laut einer Studie der Schwei-zerischen Agentur fuumlr Energieeffizienz 27 Prozent des Schweizer Stromverbrauchs ausmachen

Europaumlische ZuruumlckhaltungEigentlich muumlsste die Division Energietechniksysteme ebenfalls ausgelastet sein Denn auch die Stromwirtschaft muss ihre Effizienz steigern Schliesslich erfordert die Energiewende einen Totalumbau der auf Verteilung ausge-richteten Netze damit diese unter der Last von Solar- und Windenergie nicht instabil werden Arbeit in Huumllle und Fuumllle fuumlr ABB sollte man meinen Doch der erst zaghafte Auf-schwung in Europa daumlmpft die Nachfrage Erschwerend kommt hinzu dass subventionierte Wind- und Solarener-gie in Europas liberalisiertem Strommarkt den Strompreis in ungeahnte Tiefen druumlckte Die Konkurrenzfaumlhigkeit von Wasser- Gas- und Atomkraftwerken hat gelitten Pump-speicher sind keine Goldesel mehr seit die erneuerbaren Energien die Preisspitzen brechen Entsprechend schie-ben Stromkonzerne wie Alpiq oder RWE Investitionen auf Unsicherheiten rund um den Atomausstieg belasten zu-saumltzlich Die voraussichtlich noch auf Jahre hinaus tiefen Strompreise schmaumllern auch die Faumlhigkeit der Besitzer von Hochspannungs- und Verteilnetzen deren Umruumlstung zu finanzieren hoch verschuldete EU-Staaten fahren die Foumlrderung von Wind- und Solarenergie zuruumlck

Straffe KostenkontrolleABB bekommt den Investitionsstau empfindlich zu spuuml-ren Die Division Energietechniksysteme schreibt seit eini-ger Zeit rote Zahlen Zwar ordern Grosskunden aus Asien und Lateinamerika weiterhin kraumlftig Neben China inves-tiert vermehrt auch Indien in neue Stromnetze Uumlberall dort wo die Bevoumllkerung rasch waumlchst oder der Strom

Andreas FluumltschAndreas Fluumltsch war urspruumlnglich Jurist und arbeitete ab 1983 als Journalist fuumlr laquoBlickraquo laquoWeltwocheraquo laquoBilanzraquo und laquoCashraquo Zwischen 1989 und 1990 war er Mitglied der Geschaumlftsleitung von Greenpeace Schweiz anschliessend Hausmann Nach der Ruumlck-kehr in den Journalismus 1992 arbeitete er bei laquoBlickraquo laquoSonntagszeitungraquo und laquoTages- Anzeigerraquo und absolvierte eine Ausbildung zum Boumlrsenhaumlndler Nach der Fruumlhpensio-nierung Ende 2013 machte er sich als Publi-zist selbststaumlndig

ABB in Zahlen (2013)Betriebsertrag 41 848 Mio USDBetriebsergebnis 4 387 Mio USDndash Industrieautomation 1 458 Mio USDndash Niederspannung 1 092 Mio USDndash Prozessautomation 990 Mio USDndash Energietechnik 1 331 Mio USDndash Energiesysteme 171 Mio USD

Mitarbeitende 147 700ndash davon in der Schweiz 6 966

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Hohe Nachfrage nach MinergieDer Erfolg der bisherigen Sparbemuumlhungen bleibt nicht aus laquoTrotz zunehmender Pro-Kopf-Wohnflaumlche und stei-gendem Komfort sinkt der Energieverbrauch fuumlrs Heizen in den letzten Jahrzehnten stetigraquo verkuumlndet der Zuumlrcher Regierungsrat im Energieplanungsbericht 2014 Dazu tra-gen nicht nur die laufend verschaumlrften Gesetze bei Ebenso wichtig ist die Bereitschaft von Bautraumlgerschaften freiwillig Uumlberdurchschnittliches zu leisten Vor allem die Minergie-Regeln werden inzwischen gerne befolgt weshalb Haumluser mit halbiertem Energieverbrauch beinahe Standard sind Schweizweit traumlgt eines von zehn neuen Wohnhaumlusern ein Minergie-Zertifikat Der Anteil an Minergie-Haumlusern im Grossraum Zuumlrich liegt gemaumlss einer Marktanalyse der Universitaumlt Zuumlrich bereits nahe bei 20 Prozent Dies ist privaten Hauseigentuumlmern und institutionellen Investoren zu verdanken Wohn- und Geschaumlftshaumluser mit houmlchster Energieeffizienz gehoumlren inzwischen zum guten Ton Den juumlngsten Beweis liefert eine Immobilienstiftung der Credit Suisse die 70 Millionen Franken in die groumlsste Oumlkosied-lung der Schweiz investiert Im Aargauer Reusstal wohnen seit diesem Jahr rund 200 Familien Paare und Singles deren Wohnhaumluser sich weitgehend selbst mit Sonnen-energie versorgen So klimafreundlich die Energiewende-Architektur ist der Investor erwartet dennoch marktuumlb-liche Renditen Ist der Markt aber bereit oumlkologisches Engagement angemessen zu honorieren

Marktpotenzial fruumlhzeitig erkanntDie Zuumlrcher Kantonalbank (ZKB) beziffert den Mehrwert von Minergie-Haumlusern auf 7 Prozent Kaumlufer seien bereit diesen Aufpreis fuumlr mehr Energieeffizienz zu bezahlen Als weitere Nebeneffekte nennt der vor drei Jahren publizierte ZKB-Bericht eine hochwertige dauerhafte Bausubstanz sowie die Absicherung gegen steigende Oumll- und Energie-preise Fachleute des Immobilienberatungsunternehmens Wuumlest amp Partner (WampP) warnen indes dass sich zusaumltz-liche Investitionen in die Energieeffizienz nicht uumlberall loh-nen laquoRegional schwankt die Zahlungsbereitschaft des Immobilienmarktsraquo praumlzisiert WampP-Partner Ivan Anton Minergie-Haumluser koumlnnen aber nicht nur in abgelegenen Regionen ein Marktrisiko werden laquoMit Ausnahme der

Beim Autokauf wird bevorzugt auf Pferdestaumlrken Be-schleunigung und Innenausstattung geachtet Der CO2-Ausstoss interessiert hingegen kaum So kommt die Energieeffizienz im Strassenverkehr nur stockend voran 1995 schluckten alle neu immatrikulierten Personen-wagen durchschnittlich 9 Liter Benzin pro 100 Kilometer 20 Jahre spaumlter liegt der Durchschnittsverbrauch gemaumlss Bundesamt fuumlr Energie (BFE) immer noch uumlber 6 Litern Das viel gepriesene laquoDrei-Liter-Autoraquo haben alle Hersteller wieder aus der Modellpalette genommen

Demgegenuumlber gelingen dem oft traumlge genannten Ge-baumludebereich weitaus groumlssere Effizienzspruumlnge Ver-brauchen 40 Jahre alte Haumluser im Schnitt 220 Kilowatt-stunden (kWh) Heizenergie pro Quadratmeter Wohnflaumlche und Jahr sind die aktuellen Werte unter die 50er-Marke gesunken Zusaumltzliche Sparerfolge sind nur eine Frage der Zeit Im Fruumlhsommer haben die kantonalen Energie-direktoren uumlber ein Rahmenabkommen beraten das Null-energieneubauten demnaumlchst zum Standard machen soll Wie die nationale Energiewende zu erreichen ist erklaumlrt Christoph Gmuumlr von der Abteilung Energie des Kantons Zuumlrich laquoDer spezifische Verbrauchswert ist zudem auf 35 kWh pro Quadratmeter zu senkenraquo Gebaumlude die sich mit umweltfreundlicher Energie selbst versorgen wollen auch die EU-Staaten Ab 2020 wird ein Gebaumludestandard eingefuumlhrt der nur noch laquoNiedrigstenergiegebaumluderaquo mit sehr hoher Energieeffizienz als Neubauten vorsieht

Energiesparhaumluser waren vor 30 Jahren Exoten inzwischen nimmt der Bereich der energie-effizienten Gebaumlude eine Vor-bildrolle fuumlr die Energie wende ein Bauherren profitieren davon ebenso wie die Zuliefer-branche Text Paul Knuumlsel

Expertensicht

Haumluser in der ersten Reihe

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der Bau von Niedrigenergiehaumlusern und alternativen Hei-zungsanlagen sowie energetische Gebaumludesanierungen Investitionen im Umfang von rund 4 Milliarden Franken ausgeloumlst rechnet der Bund vor laquoEin Fuumlnftel insgesamt 860 Millionen Franken stammt aus den oumlffentlichen Kas-senraquo verweist die BFE-Stelle EnergieSchweiz auf die Im-pulse der kantonalen Foumlrderprogramme Einen Wermuts-tropfen besitzt diese Wirkungsbilanz Fruumlhere Analysen der Energiesparprogramme zeigen naumlmlich dass zwi-schen einem Drittel und der Haumllfte der energetisch vorbild-lichen Gebaumlude auch ohne staatliche Foumlrderung realisiert worden waumlren Dem Mitnahmeeffekt ist auch die Eidge-noumlssische Steuerverwaltung auf der Spur Sie schaumltzt dass Bund und Kantonen jaumlhrlich 14 Milliarden Franken entgehen weil energetische Gebaumludesanierungen bei der Liegenschaftssteuer abzugsberechtigt sind Die Energie-wende erfordert nicht nur mehr Effizienz bei den Anwen-dungen sondern auch einen effizienten Einsatz staatlicher Mittel Im Energieplanungsbericht 2013 hat der Zuumlrcher Regierungsrat erstmals uumlber alternative Anreizsysteme nachgedacht Demnach soll eine Lenkungsabgabe den Energiekonsum reduzieren und das bisherige Foumlrdersys-tem abloumlsen Aumlhnliche Plaumlne verfolgt der Bund Denn ein Lenkungssystem duumlrfte weitere Sparbemuumlhungen im Ge-baumludebereich aber auch im Strassenverkehr foumlrdern Ins-besondere dann wenn Heizoumll und Benzin im Gleichschritt teurer werden

begehrten Wohnlagen haben Hauseigentuumlmer an vielen Orten mit moumlglichen Verkaufsverlusten zu rechnenraquo so Anton Zwar sei die Nachfrage bei Eigentuumlmern und Mie-tern aumlhnlich gross Aber auch Mieter wuumlrden nicht uumlberall mehr fuumlr eine energieeffiziente Wohnung bezahlen Kaum uumlberraschen darf daher dass Immobilieninvestoren immer haumlufiger die steigenden Energieanforderungen kritisieren und kostenguumlnstigere Baustandards vorziehen Fuumlr WampP-Berater Urs Hausmann ist laquonachhaltiges Bauen trotzdem keine Frage von Luxus oder Wohlstand sondern eine wie man mit Ressourcen umgehen willraquo Dass ein hohes Um-weltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauen Der Run auf den oumlkologischen Baustoff Holz laumlsst zum Beispiel eine gesamte Wertschoumlpfungskette und viele

innovative Unternehmen profitieren Forstbetriebe Sauml-gereien Fensterbauer Daumlmmstoffhersteller und andere Bauzulieferer vergroumlssern ihre Produktionskapazitaumlten und stellen zusaumltzliches Personal ein laquoDie Umsaumltze im Schweizer Holzbau sind in den letzten Jahren um mehrere Hundert Millionen Franken gestiegen und die Trendkurve zeigt weiter nach obenraquo freut sich Christoph Starck Di-rektor des Holzbaudachverbands Lignum

Einheimische Zulieferer als GewinnerAuch im Verein Minergie ist man sich bewusst dass sich energieeffizientes Bauen wirtschaftlich positiv auswirkt In den letzten 15 Jahren sind 25 000 Wohnhaumluser Buumlro-komplexe Schulbauten Sport- und Industriehallen mit Niedrig energiezertifikat entstanden Gemeinsam sparen sie 15 Milliarden Kilowattstunden Energie laquoUumlber 2 Milliar-den Franken wurden zusaumltzlich investiertraquo rechnet Miner-gie-Sprecher Antonio Milelli vor Anstatt fossile Brennstoffe einzukaufen wird mehr Geld fuumlr Daumlmmstoffe Isolierfenster Luumlftungsanlagen und Sonnenkollektoren aus inlaumlndischer Fabrikation ausgegeben Zwischen 2001 und 2012 haben

Paul KnuumlselPaul Knuumlsel studierte Umweltnaturwissen-schaften an der ETH Zuumlrich Er ist unabhaumln-giger Wissenschaftsjournalist und schreibt seit Jahren in Publikums- und Fachmedien uumlber die vielfaumlltigen Aspekte des nachhalti-gen Bauens Zusaumltzlich betreut er in der Re-daktion des laquoTEC21raquo das Ressort laquoEnergie und Umweltraquo

laquoDass ein hohes Umweltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren

derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauenraquo

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Der Wasserkraft Sorge tragen

Welchen Beitrag kann die Wasserwirtschaft zur Energie-wende leisten Roger Pfammatter Die Wasserkraft ist der energie-politische Trumpf der Schweiz Wir befinden uns in der gluumlcklichen Lage uumlber grosse Mengen Wasser und das notwendige Gefaumllle zu verfuumlgen ndash das sind die beiden wichtigsten Voraussetzungen fuumlr die hydroelektrische Produktion Und wir haben in den vergangenen 100 Jah-ren gelernt dieses Potenzial effizient und moumlglichst um-weltschonend zu nutzen Die Wasserkraft ist der Schluumls-sel fuumlr eine nachhaltige Energieversorgung technisch ausgereift politisch erwuumlnscht einheimisch erneuerbar und CO2-frei

Wie viel mehr ist moumlglichHeute leistet die Wasserkraft nicht nur rund 60 Prozent der Stromproduktion in der Schweiz sondern bietet auch unverzichtbare Regel- und Systemdienstleistungen die markant an Bedeutung gewinnen werden Vor allem bei der Flexibilisierung der Wasserkraft durch mehr Leistung und Speichervolumen waumlre noch einiges moumlglich Um die Aufgaben weiterhin zu gewaumlhrleisten muumlssen wir aber primaumlr dem Bestehenden Sorge tragen

Die Energiestrategie des Bundes gibt aber klare Ausbau-ziele vor Bis 2035 soll die Stromproduktion aus Wasser-kraft um 10 Prozent steigenUnter den momentanen Rahmenbedingungen ist dieses Ausbauziel nicht realistisch Im Gegenteil Aufgrund der Restwasserbestimmungen wird die Produktion in den naumlchsten Jahren vermutlich sogar zuruumlckgehen

Die Wasserkraft ist der wichtigste Pfeiler der Schweizer Ener-giewirtschaft ihr Potenzial ist aber weitgehend ausgeschoumlpft Roger Pfammatter Geschaumlftsfuumlhrer des Wasserwirtschaftsver-bands gibt im Interview Auskunft uumlber die Lage der Branche und ihre Bedeutung fuumlr die EnergiezukunftInterview Florian Wehrli

Expertensicht

Was muss sich aumlndern damit die vorgegebenen Ziele um-gesetzt werden koumlnnenZum einen braucht es dafuumlr die Akzeptanz der Umweltver-baumlnde der Fischer und letztlich der gesamten Bevoumllkerung Zum anderen muumlssen laumlngerfristig die extremen Marktver-zerrungen abgebaut werden damit sich auch Investitionen in die nicht gefoumlrderte Wasserkraft wieder lohnen Heute wird nur noch in subventionierte Anlagen investiert

Wer ist hier in der PflichtHier ist die Politik gefordert die Rahmenbedingungen zu verbessern Denn ohne die Wasserkraft kann die Energie-wende nicht gelingen

Anfang Jahr wurde der Wasserwirtschaftsverband von den zustaumlndigen Kommissionen angehoumlrt Welche Forderun-gen hat die Branche an das ParlamentWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerba-re Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichten die bereits bis zur Haumllfte der Geste-hungskosten ausmachen Damit sind wir doppelt diskrimi-niert Die Wasserkraft ist extrem unter Preisdruck ndash und dies obwohl sie mit Gestehungskosten zwischen 3 und 10 Rappen pro Kilowattstunde die effizienteste Strompro-duktionstechnologie ist Nur zum Vergleich Fotovoltaik -anlagen werden heute mit rund 40 Rappen subventioniert

Bis 2011 liess sich mit der Grosswasserkraft noch viel Geld verdienen Wurden zu wenige Ruumlcklagen fuumlr schlechte Zei-ten gebildet

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Es kann nicht der Sinn sein Ruumlcklagen fuumlr Zeiten zu bil-den in denen die Marktpreise die Gestehungskosten nicht mehr decken Das waumlre wie wenn ein Baumlcker auf jedem Gipfeli einige Rappen zuruumlckbehalten muumlsste damit er sie am naumlchsten Tag gratis abgeben kann Mit dem durch Subventionen verzerrten Marktpreis von 4 bis 5 Rappen pro Kilowattstunde ist unter den konventionellen Energie-traumlgern praktisch nur Kohle konkurrenzfaumlhig Das ist be-stimmt nicht im Sinn der Energiewende

Drei Grosswasserkraftprojekte sind heute bereits im Bau Koumlnnen die enormen Kosten uumlberhaupt amortisiert wer-denPrognosen sind schwierig An der europaumlischen Strom-boumlrse (EEX) werden bis 2020 Strompreise zwischen 45 und 53 Rappen pro Kilowattstunde gehandelt Der Markt glaubt also nicht an eine baldige Erholung Dafuumlr muumlsste das Uumlberangebot in Europa zuruumlckgehen etwa uumlber die Anhebung des CO2-Preises von heute 5 auf mindestens 30 Euro pro Tonne Politisch ist das aber kaum durchsetz-bar Neue Pumpspeicherwerke werden sich deshalb wohl erst in mehreren Jahrzehnten lohnen

Was kann die Kleinwasserkraft leistenOhne die kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) wuumlr-de niemand Kleinwasserkraftanlagen bauen genauso we-nig wie Fotovoltaik- Wind- oder Biomasseanlagen Zurzeit gibt es aber allein bei der Kleinwasserkraft rund 1 000 An-meldungen fuumlr Foumlrderbeitraumlge mit einem bescheidenen Ge-samtpotenzial von 33 Terawattstunden pro Jahr Die oumlko-logischen Auswirkungen sind im Vergleich zum Ertrag zu gross Obwohl wir von marktverzerrenden Foumlrderprogram-men wegkommen sollten waumlre es in einer Uumlbergangs phase sinnvoll die KEV-Obergrenze von 10 Mega watt aufzuheben und dort zu foumlrdern wo es wirklich etwas bringt

Wie soll die Grosswasserkraft unterstuumltzt werdenDas Sinnvollste waumlre die Abkehr von der Subventions-maschinerie ndash und zwar auf europaumlischer Ebene Dann wuumlrde sich die Wasserkraft als effiziente erneuerbare Stromproduktionsform mit Sicherheit durchsetzen Min-destens als Uumlbergangsloumlsung waumlre aber die Entlastung

von Abgaben in erster Linie vom Wasserzins dringend Der maximale Wasserzins wurde in den letzten vier Jahren um 38 Prozent erhoumlht und wird naumlchstes Jahr um weite-re 10 Prozent angehoben Diese Erhoumlhung wurde 2008 beschlossen und steht heute in keinerlei Bezug mehr zur Ertrags lage Kurzfristig koumlnnten die Kantone auf einen Teil dieser Zinsen verzichten ndash das waumlre ein wichtiges politi-sches Zeichen Langfristig muss ein neuer Modus fuumlr die Zinsberechnung gefunden werden der die Ertragslage der Wasserkraft mitberuumlcksichtigt Das ist auch im Interesse von Bund Kantonen und Gemeinden schliesslich ist die Wasserkraft zu 85 Prozent in oumlffentlicher Hand Ebenfalls als Uumlbergangsloumlsung bis zu besseren Marktpreisen waumlren zinsguumlnstige Darlehen fuumlr die noumltigen Investitionen in die Grosswasserkraft denkbar Ohne mindestens eine dieser Massnahmen kann die Wasserwirtschaft das geforderte Ausbauziel nicht erreichen

Bis dahin gibt es noch eine weitere Huumlrde den Heimfall der Stauanlagen an die Standortgemeinden Welchen Ein-fluss hat dieser UmstandWenn die Konzessionen nach 80 oder 100 Jahren aus-laufen muss der Betreiber der Gemeinde eine Entschaumldi-gung fuumlr den Restwert der Anlagen entrichten Im Fall der Staumauer Barberine bezahlen die SBB und Alpiq 2017 an sechs Walliser Gemeinden 343 Millionen Franken Das 400-Seelen-Dorf Finhaut erhaumllt alleine 112 Millionen Fran-ken und weiss kaum wohin mit dem Geld Der gesamte Wert des Heimfalls der Anlagen bewegt sich schweizweit im Milliardenbereich Der Houmlhepunkt des Heimfalls wird um 2035 erreicht werden Bis zu diesem Zeitpunkt soll aber auch ein Grossteil der geforderten Produktionsstei-gerung umgesetzt werden

Bei der Stromproduktion ist ein Ausbau von uumlber 10 Pro-zent wohl nicht realistisch Wie sieht es bei der Speicher-leistung aus Hier muss man unterscheiden zwischen kurzfristiger und saisonaler Speicherung Fuumlr die saisonale Speicherung verfuumlgt die Schweiz mit 200 Speicherseen uumlber ein Vo-lumen von rund 9 000 Gigawattstunden (GWh) die jedes Jahr vom Sommer in den Winter umgelagert werden Dies

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Expertensicht

entspricht einem Viertel der jaumlhrlichen Produktion aus Wasserkraft Das Ausbaupotenzial durch die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren betraumlgt rund 2 000 GWh Falls der Ausbau aber nicht gelingt entsteht im Winter durch den Ausfall der Kernenergie eine immer groumlssere Luumlcke an Bandenergie die durch den Import von Atom- oder Kohlestrom gedeckt werden muss

Wie sieht es beim Ausbau der Pumpleistung zum kurzfris-tigen Ausgleich von Schwankungen im Netz ausGrundsaumltzlich ist das Potenzial fuumlr Pumpspeicherwerke in der Schweiz riesig Es braucht nur zwei Seen auf unter-schiedlicher Houmlhe Die Frage ist ob sich solche Investi-tionen rechnen Die Pumpspeicherwerke finanzieren sich

uumlber den Preisunterschied zwischen Band- und Spitzen-energie Wenn an einem schoumlnen Sommertag in Europa mittags die geballte Ladung an Sonnen- und Windener-gie eingespeist wird koumlnnen die Pumpspeicherkraftwerke sehr guumlnstig oder sogar zu Negativpreisen Strom bezie-hen Man darf aber nicht vergessen dass dieselbe Situa-tion fuumlr die Laufwasserkraftwerke die rund die Haumllfte der Wasserkraftproduktion in der Schweiz ausmachen den gegenteiligen Effekt hat Diese koumlnnen aus technischen konzessionsrechtlichen oder oumlkologischen Gruumlnden nicht vom Netz genommen werden und muumlssen fuumlr ihre Strom-produktion bezahlen Das kann gehoumlrig ins Geld gehen An Weihnachten 2012 lag der Strompreis zum Beispiel bei minus 30 Rappen pro Kilowattstunde

Roger Pfammatter laquoWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerbare Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichtenraquo

Bild Florian Wehrli

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cherseen zur Flexibilisierung Damit das gelingt muss der Wert der Wasserkraft staumlrker im Bewusstsein der Bevoumllke-rung verankert sein Und nicht zuletzt muss der Marktpreis so weit uumlber den Gestehungskosten liegen dass sich In-vestitionen in die Wasserwirtschaft rentieren

Versuchen das Bestehende zu erhalten Diese Vision klingt etwas resigniertDas ist eine Frage der Perspektive Die Wasserkraft hat als Technologie in der Schweiz seit Langem Bestand Sie befindet sich in einer anderen Situation als Fotovoltaik und Windenergie die sich in einem hochdynamischen Umfeld mit grossem Potenzial in Forschung und Wachstum be-finden Die Wasserkraft ist dagegen nicht mehr in der Auf-bruchsphase sondern in der Konsolidierungsphase Da-fuumlr kann man sich auf die Wasserkraftwerke verlassen Sie produzieren bei Tag und in der Nacht im Sommer wie im Winter bei Windstille oder im Nebel Auch der Erhalt und die Optimierung des Bestehenden sind grosse Heraus-forderungen und bedingen grosse Investitionen

Sehen Sie eine Moumlglichkeit wie die Schweizer Wasser-wirtschaft in Zukunft Geld mit Systemdienstleistungen wie Netzstabilitaumlt verdienen kannDie unregelmaumlssig einspeisenden Stromproduzenten neh-men keinerlei Systemverantwortung wahr Ich habe selbst ein Solarpanel auf dem Dach Wenn Produktion moumlglich ist speise ich Strom ins Netz ein wenn nicht beziehe ich Die Produzenten mehr in die Verantwortung zu nehmen faumlnde ich sinnvoll ndash zum Beispiel uumlber Zertifikate fuumlr Spei-cherleistungen Diese koumlnnten bei Pumpspeicherwerken bezogen werden

Welcher Ausbau der Pumpspeicherleistung ist dafuumlr noumltigDie installierte Leistung betraumlgt heute rund 14 Gigawatt (GW) Mit den im Bau befindlichen und den geplanten An-lagen kann die Kapazitaumlt maximal auf 51 GW ausgebaut werden ndash etwa die Haumllfte der Jahreshoumlchstlast im Netz Damit die Schweizer Wasserkraft aber einen Beitrag zur Stabilitaumlt des europaumlischen Stromnetzes leisten kann muumlssten auch das Stauvolumen und die Leitungskapazi-taumlt erhoumlht werden Hier sind die Einsprachen von Anwoh-nern und Umweltverbaumlnden noch gravierender als bei den Anlagen selbst

Braucht es neue rechtliche Instrumente um den geplan-ten Ausbau durchsetzen zu koumlnnenEs braucht vor allem die Einsicht dass die Wasserkraft das Ruumlckgrat unserer Versorgungssicherheit ist und die Aus-wirkungen eines Ausbaus immer auch mit den Alternativen verglichen werden muumlssen Wir befinden uns aber auch in einem intensiv genutzten Land mit vielen Partikularinteres-sen Diese muumlssen gewichtet und abgewogen werden In der Abwaumlgung zwischen Landschaftsschutz und Wasser-nutzung waumlre es hilfreich wenn Grosswasserkraftanlagen den Status von nationalem Interesse erhalten

Wie soll die Schweizer Wasserwirtschaft im Jahr 2035 aussehenIch wuumlnsche mir dass die bestehende Infrastruktur auf dem heutigen Stand erhalten optimiert oumlkologisiert und im Idealfall etwas ausgebaut wird Dazu gehoumlren etwa die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren sowie neue Spei-

Roger PfammatterSeit seinem Ingenieurstudium an der ETH Zuumlrich hat er sich in ver-schiedenen Rollen dem Wasser verschrieben Nach sieben Lehr- und Wanderjahren in der Forschung und in der Entwicklungszusammen-arbeit war er zehn Jahre beim Ingenieurunternehmen Ernst Basler + Partner engagiert Seit 2010 ist er Geschaumlftsfuumlhrer des Schweizeri-schen Wasserwirtschaftsverbandes (SWV) und Herausgeber der Zeit-schrift laquoWasser Energie Luftraquo In diesen Funktionen setzt er sich ein fuumlr den Fachaustausch und gute Rahmenbedingungen in den Bereichen Wasserkraft und Hochwasserschutz

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Die globalen Energiemaumlrkte sind seit einigen Jahren stark in Bewegung Volatile Erdoumllpreise die Foumlrderung von un-konventionellen Gasvorkommen in grossem Stil die mas-sive Subventionierung von neuen erneuerbaren Energien in Deutschland der laquoarabische Fruumlhlingraquo und der Konflikt in der Ukraine hinterlassen Spuren Die Folge sind starke Verwerfungen an den Maumlrkten und fehlende Investitionssi-cherheit In diesem dynamischen und unsicheren Kontext will der Bund die bisherige Energiepolitik neu ausrichten ndash wahrlich eine Herkulesaufgabe Die Schweizer Wirtschaft verlangt dass der Bund bei der Neuausrichtung der Ener-giepolitik seinem in der Verfassung verankerten Auftrag nachkommt und sich fuumlr eine ausreichende sichere breit gefaumlcherte wirtschaftliche und umweltvertraumlgliche Ener-gieversorgung einsetzt Somit ist klar Die Energiestrate-gie 2050 muss in erheblichen Teilen optimiert und justiert werden Nur wenn vernetzt gedacht wird ist eine sichere Versorgung zu wettbewerbsfaumlhigen Preisen moumlglich

Prognosen klaffen weit auseinanderSeit Jahrzehnten bietet der Strommix aus Wasserkraft (knapp 60 Prozent) und Kernenergie (40 Prozent) Gewaumlhr fuumlr eine sichere klimafreundliche und wirtschaftliche Ener-gieversorgung Im Rahmen der Energiestrategie 2050 muss die Kernenergie langfristig ersetzt werden Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen zumal die Ziele des Bundes

Lebenselixier der Wirtschaft

Die Schweizer Wirtschaft ist auch in Zukunft auf eine sichere und wirtschaftliche Stromver-sorgung angewiesen Die Ener-giestrategie 2050 setzt stark auf Subventionen Dadurch entstehen Fehlanreize welche die Versorgungssicherheit ge-faumlhrdenText Kurt Lanz

Expertensicht

in Bezug auf das Potenzial der neuen erneuerbaren Ener-gien von Wunschdenken geleitet sind Die neuen erneuer-baren Energien werden sich langsamer entwickeln als an-gestrebt Der Bund rechnet mit rund 12 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2035 die Schweizer Wirtschaft mit 44 TWh Die vorsichtigeren Prognosen der Wirtschaft scheinen re-alistischer Dies zeigen exemplarisch die gescheiterten Geothermieprojekte in Basel und St Gallen Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Nachfrageprognosen Der Bund rechnet in seinen Szenarien mit einem Ruumlckgang des Stromverbrauchs pro Kopf von 16 Prozent zwischen 2000 und 2035 Die Schweizer Wirtschaft orientiert sich in ihren Szenarien am Verband Schweizerischer Elektrizitaumlts-unternehmen (VSE) der weiter mit einer steigenden Nach-frage rechnet Die Wirtschaft fordert von der Politik eine vernuumlnftige Planung aufgrund realistischer Schaumltzungen Die Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energiestrategie nicht gefaumlhrdet werden

Subventionen fuumlhren zu FehlanreizenDie Schweiz hat seit vielen Jahrzehnten erfolgreich die Wasserkraft vorangetrieben Aus politischen Gruumlnden wird nun die ndash unregelmaumlssige ndash Stromproduktion durch Sonnen- und Windenergie forciert Unsere sogenann-te kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) entspricht dem deutschen Foumlrdermodell Beide haben das gleiche Ziel Sie sollen erneuerbare Energien ausbauen indem sie neue Formen der Stromproduktion zur Marktreife brin-gen Weil das KEV-System die Sonnen- und Windenergie massiv foumlrdert kommt ein weiterer Ausbau der bewaumlhrten Wasserkraft nicht infrage Diese Entwicklung gefaumlhrdet die Versorgungssicherheit der Schweiz Auf den ersten Blick sinken zwar die Produktionskosten fuumlr Solarstrom gleich-zeitig steigen aber die Kosten fuumlr Speicherung und Inte-gration ins Netz spuumlrbar Auch ist der Ausbau von Solar- und Windenergie nur von beschraumlnktem Nutzen solange keine ausreichenden Speicherkapazitaumlten vorhanden sind Nur Preissignale koumlnnen das Investitionsverhalten von Stromproduzenten Netzbetreibern und Konsumen-ten sinnvoll lenken Subventionen sind zu beseitigen denn sie fuumlhren zu Fehlanreizen

41COMPETENCE | 2014

Alle Optionen offenhaltenOffenheit und Neugier gehoumlren zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft Kategorisches Abwehrverhalten und Denkverbote verhindern konstruktive Loumlsungsansaumltze und Innovation Eine sichere und kostenguumlnstige Strom-versorgung kann auch in Zukunft nur mit der notwendi-gen Offenheit gegenuumlber allen Technologien und Energie-

systemen garantiert werden Die Schweiz ist dank einer erfolgreichen Hochschulland-schaft und vielen Technolo-gieunternehmen gut geruumlstet Die verschiedenen Energie-systeme muumlssen faktenba-siert und ohne ideologische

Scheuklappen verglichen werden Nur so koumlnnen effizi-ente und umweltvertraumlgliche Loumlsungen gefunden werden Das heutige System der Foumlrderung der neuen erneuer-baren Energien ist durch ein marktorientiertes System ab-zuloumlsen Produzenten die nachfragegerecht einspeisen sollen eine houmlhere Verguumltung erhalten als andere Auch soll der Vorrang der Netzeinspeisung fuumlr subventionierte Energietraumlger aufgehoben werden

laquoDie Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit

des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energie strategie nicht

gefaumlhrdet werdenraquo

Schnellere Verfahren anstrebenGrundvoraussetzung fuumlr eine Neuausrichtung der Ener-giepolitik sind funktionierende Stromnetze Diese muumls-sen zwingend parallel zum Umbau der Stromproduktion weiterentwickelt werden Allein der noumltige Ausbau der Uumlbertragungsnetze belaumluft sich auf rund 1 000 Kilometer bis ins Jahr 2020 Erforderlich sind zudem Investitionen in alle Verteilernetzebenen Al-lerdings verzoumlgern komplizier-te Verfahren auf Kantons- und Bundesebene den Ausbau Ausserdem erwaumlchst praktisch jedem Projekt Widerstand von privater Seite was zu weiteren Verzoumlgerungen fuumlhrt Die Wirt-schaft fordert deshalb Bei Bewilligungen von Stromnetzen ist der Gang vors Bundesgericht nur noch bei Grundsatz-fragen moumlglich Umbauten sowie Spannungs- und Kapa-zitaumltserweiterungen koumlnnen ohne Planungsgenehmigung realisiert werden Ausserdem sind die Verfahren bei einer einzigen Leitbehoumlrde anzusiedeln

Spielfeld erweiternDie Schweiz ist seit jeher ein wichtiges Stromtransitland Schon seit den 90er-Jahren treibt die EU die Vereinheitli-chung des Binnenmarkts fuumlr Strom hin zu einem eigent-lichen EU-Strommarkt voran In der Schweiz erweist sich die gesetzliche Trennung von Grundversorgung und Markt diesbezuumlglich zunehmend als Hindernis Aus Sicht der Wirtschaft ist die vollstaumlndige Liberalisierung des Strom-markts eine zwingende Voraussetzung fuumlr eine erfolgrei-che energiepolitische Neuausrichtung

Eine Marktoumlffnung wuumlrde insbesondere auch den erneuer-baren Energien neue Chancen eroumlffnen und Zugang zu neuen Kunden gewaumlhren Von hoher Wichtigkeit ist auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU Je groumlsser der Anteil erneuerbarer Energien umso wichtiger ist die Einbettung in Europa denn Investitionen in Netze und Produktion koumlnnen in Koordination mit der EU wirkungsvoller und wahrscheinlich kostenguumlnstiger getaumltigt werden

Kurt LanzKurt Lanz ist Leiter Infrastruktur Energie und Umwelt sowie Geschaumlftsleitungsmitglied von economiesuisse dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft

Gut vernetzt ndash Vorschlaumlge der Schweizer Wirtschaftzur EnergiepolitikDie Publikation basiert auf der Grundlagenarbeit der breit abgestuumltz-ten Energiekommission von economiesuisse und macht konstruk-tive Vorschlaumlge fuumlr einen erfolgreichen energiepolitischen Weg der Schweiz Download unter wwweconomiesuissech

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

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Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

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Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

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laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

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Building Competence Crossing Borders

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PERFORMANCE

Page 8: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

8 COMPETENCE | 2014

mehr Komfort Mobilitaumlt Ernaumlhrungs- oder andere Kon-sumgewohnheiten

Wie koumlnnen Energieversorger Anreize schaffen damit we-niger Energie verbraucht wirdIch bin dafuumlr dass sich Stromversorgungsunternehmen mittels Positionierung Kommunikation und Aufklaumlrungs-arbeit fuumlr einen bewussten Energieverbrauch einsetzen Es kann aber nicht ihr Auftrag sein die Kunden zu bevor-munden Neben einem veraumlnderten Bewusstsein im Be-reich Energie- und Ressourcenkonsum generell kommt der groumlsste Einfluss nach wie vor vom Preis Fuumlr Privat-konsumenten faumlllt die Stromrechnung nicht ins Gewicht und auch die anderen Energiekosten ndash jedenfalls die direkt spuumlrbaren ndash sind nicht wirklich hoch Glauben Sie mir uns waumlre es lieber der Strompreis waumlre houmlher

Energie ist also zu billigJa Die Welt benoumltigt viel Energie und Verschwendung laumlsst sich nur schwer bekaumlmpfen solange Energie so billig ist Die reiche Schweiz ist sicher staumlrker in der Pflicht als arme Laumlnder die unter anderem mit billiger Energie ver-suchen ihren Einwohnern etwas Wohlstand zu ermoumlgli-chen Allerdings duumlrfen wir unserer Industrie durch houmlhere Energiekosten keine zusaumltzlichen Lasten aufbuumlrden sonst verliert sie ihre Konkurrenzfaumlhigkeit

Prinzipiell befuumlrwortet die Bevoumllkerung die Energiewende gegen den Bau neuer Leitungskapazitaumlten oder Wind-turbinen wird aber haumlufig rekurriertNicht haumlufig immer

Sehen Sie einen Ausweg aus dem DilemmaIch sehe darin eine wesentliche Schwierigkeit fuumlr die Um-setzung der Energiestrategie In der Schweiz stehen fuumlr Einsprachen mehr rechtliche Mittel zur Verfuumlgung als im Ausland Ich befuumlrworte deshalb den Vorstoss des Bun-desrats bestimmte Gebiete fuumlr die Energieproduktion zu definieren wo nur noch uumlber eine Instanz rekurriert wer-den kann Das Grundproblem bleibt aber dass wir einen Lebensstil pflegen dessen Konsequenzen wir nicht bereit sind zu tragen

Bedeutung sind fuumlr uns auch die Netze Beim Thema Haumluser und Energieeffizienz sehen wir unsere Rolle als Integrator Dort kommen verschiedene Technologien zur Anwendung die nicht nur viele Hausbesitzer uumlberfordern sondern auch manche Spezialisten Die BKW kann auf jahrzehntelange Erfahrung und grosses Know-how in die-sem Bereich zuruumlckgreifen Wo noumltig werden wir mit Part-nern zusammenarbeiten

Eine Analyse des BFE kam im Mai 2014 zum Schluss dass die Mehrheit der untersuchten Unternehmen nicht bereit sei fuumlr die Energiewende Teilen Sie diese EinschaumltzungWas laquobereit fuumlr die Energiewenderaquo heisst ist schwer ein-zuordnen und ich moumlchte nicht fuumlr andere Unternehmen sprechen Die BKW ist ein wirtschaftlich gefuumlhrtes Unter-nehmen ohne politische Mission Unser Auftrag ist es zum Erhalt und zur Weiterentwicklung der Infrastruktur generell und zur Energieversorgung im Speziellen beizutragen Wir orientieren uns dabei an den Beduumlrfnissen unserer Kun-den und bewegen uns innerhalb der politischen und wirt-schaftlichen Rahmenbedingungen Dabei entwickeln wir unser Unternehmen weiter sodass es profitabel bleibt und weiter gestaumlrkt wird

Die BKW hat also an dieser Studie teilgenommenJa aber ich habe die Studie nicht gelesen Offenbar sind wir im oberen Drittel der Rangliste aber das steht nicht im Vordergrund Die Zeit in der Stromversorger punkto Ener-giewende um die Gunst des Bundes gewetteifert haben ist weitgehend vorbei Es ist den meisten klar geworden dass sich mit Schulterklopfen das Geld fuumlr die noumltigen Investitionen nicht verdienen laumlsst Entscheidend sind die konkreten Rahmenbedingungen das Marktumfeld und die Kundenbeduumlrfnisse

Gemaumlss der Energiestrategie soll der durchschnittliche Energieverbrauch pro Person in der Schweiz bis 2035 ge-genuumlber 2000 um 43 Prozent sinken Ist das realistischTechnisch halte ich das fuumlr absolut moumlglich Dabei geht es aber bei Weitem nicht nur um den Stromkonsum sondern auch um den Konsum fossiler Brennstoffe und Investitio-nen in Effizienzmassnahmen Im Kern geht es aber um viel

CEO-Perspektive

9COMPETENCE | 2014

Konzernleitung der BKW liegt der Frauenanteil aktuell bei 33 Prozent

Stichwort Unternehmensfuumlhrung Gibt es eine spezielle Philosophie die Sie verfolgenIch versuche immer Klarheit zu schaffen Ich moumlchte je-weils zum Kern der Dinge vordringen und erwarte dasselbe Bestreben von meinen Mitarbeitenden Wenn alle wissen worum es im Kern geht und was die Treiber des Geschaumlfts sind und wenn alle mit Freude ihre Arbeit verrichten dann leitet sich alles Weitere daraus ab Ich glaube an gemein-same Visionen und Ziele sowie eine delegierte Umsetzung

Welche Rolle wird die Schweiz in einem liberalisierten euro paumlischen Strommarkt spielenDie Frage ist ob die Schweiz in Zukunft denselben Zugang zum europaumlischen Markt haben wird wie bisher Davon gehe ich aus Unter dieser Voraussetzung muss man sich fragen wie der europaumlische Markt kuumlnftig ausgestaltet sein wird Ich erwarte eine fortschreitende Liberalisierung die tendenziell zu mehr Stromhandel und noch tieferen Preisen fuumlhren wird Gleichzeitig wird man aber Kapazi-taumltsmaumlrkte schaffen muumlssen damit Energieunternehmen Anreize haben in Versorgungssicherheit und System-stabilitaumlt zu investieren Beides wird heute kaum abgegol-ten Das muss sich aumlndern Die Frage ist ob Kapazitaumlts-maumlrkte nationale Maumlrkte sein werden

Welche Folgen haumltte das fuumlr die SchweizDas waumlre eine ungluumlckliche Konstellation Einerseits haumltten wir unter den tieferen Preisen zu leiden andererseits koumlnn-ten wir die Dienstleistungen die wir mit unseren Pump-speicherkraftwerken erbringen weniger gut verkaufen

Blicken wir in die Zukunft Strom wird dezentral produziert nach Bedarf verbraucht ins intelligente Netz eingespeist oder in Batterien gespeichert Braucht es dann noch Ener-gieversorger wie die BKWAuf jeden Fall Denn die grossen Energieversorger werden dann zu grossen Energiedienstleistern Deshalb stellen wir unsere Strategie jetzt um Viele der Kompetenzen die wir als Versorger uumlber Jahrzehnte aufgebaut haben sind auch in diesem Szenario absolut notwendig Moumlglich ist hingegen dass es kuumlnftig weniger zentrale Kraftwerks-kapazitaumlt braucht Als Unternehmen muumlssen wir uns so positionieren dass wir uns im Rahmen aller denkbaren Szenarien weiterentwickeln koumlnnen

Die Energiebranche gilt als Maumlnnerdomaumlne Mit Alpiq und BKW haben nun zwei der groumlssten Schweizer Energiever-sorger eine Frau als CEO Ist das ein Zeichen des Kultur-wandelsJa schon Das Geschlecht war aber gewiss kein Krite-rium fuumlr die Stellenbesetzung Alle Bewerber mussten sich demselben strengen Auswahlverfahren stellen In der

Suzanne ThomaDr Suzanne Thoma ist seit 1 Januar 2013 CEO der BKW AG Zu-vor verantwortete sie das Netz- und Netzdienstleistungsgeschaumlft der BKW als Mitglied der Konzernleitung Vor ihrem Eintritt in die BKW leitete sie das Automobilzuliefergeschaumlft der WICOR Group und fuumlhr-te zuvor als CEO das High-Tech-Unternehmen Rolic Technologies Ltd Im Weiteren war sie fuumlr die Ciba Spezialitaumltenchemie AG in ver-schiedenen Funktionen und Laumlndern taumltig Suzanne Thoma studierte Chemieingenieurtechnik an der ETH Zuumlrich

BKW Energie AGDie BKW ist ein bedeutendes Schweizer Energiedienstleistungs-unternehmen Sie beschaumlftigt mehr als 3 000 Mitarbeitende und ver-sorgt zusammen mit Partnern rund eine Million Menschen mit Strom Neben der reinen Energieversorgung entwickelt implementiert und betreibt die BKW Energiegesamtloumlsungen fuumlr Privat- und Geschaumlfts-kunden sowie fuumlr Energieversorgungsunternehmen und Gemeinden Zudem engagiert sie sich in Forschungsprogrammen zur Entwicklung innovativer Technologien fuumlr eine nachhaltige und sichere Energie-versorgung

10 COMPETENCE | 2014

Bundesrat und Parlament haben 2011 als Reaktion auf den Reaktorunfall in Fukushima entschieden mittelfristig aus der Kernenergie auszusteigen und sich gleichzeitig den zwei grossen Herausforderungen der kommenden Jahre zu stellen Zum einen wird die weltweite Nachfrage nach Energie nochmals stark ansteigen da die zuneh-mende Weltbevoumllkerung absolut gesehen und pro Kopf immer mehr Energie konsumiert Das fuumlhrt zu einer deut-lichen Verschaumlrfung des Wettbewerbs um Energie Eine Energiepolitik die staumlrker lokal verankert ist entschaumlrft das Problem Zum anderen birgt die Klimaerwaumlrmung grosse oumlkologische wirtschaftliche und gesellschaftliche Risiken denen mit klimapolitischen Entscheiden auf glo-baler Ebene begegnet werden muss Mit einer konzisen Energie- und Klimapolitik haumllt die Schweiz hierauf eine moumlgliche Antwort bereit

Energiewende im historischen KontextDer bekannte Energiehistoriker Vaclav Smil versteht un-ter Energie die Ausschoumlpfung der natuumlrlichen Ressour-cen durch den Menschen der sich damit das Uumlberleben sichert und seine Lebensqualitaumlt erhoumlht Mit der geplan-ten Energiewende wird das System Energie in seiner ge-sellschaftlichen Dimension umfassend transformiert Die gegenwaumlrtige Diskussion wird jedoch von technischen und oumlkonomischen Fragestellungen dominiert die gesell-schaftliche Dimension kommt dagegen zu kurz Bei der Energiewende geht es jedoch um mehr als lediglich da-rum eine Ressource durch eine andere zu ersetzen Es geht darum die bestehenden Strukturen fundamental

umzuformen Es geht um Stromnetze und Erdoumllpipelines um idyllische Landschaften und Staumldte um Politik und neue Technologien Diese und zahlreiche weitere Para-meter wurden alle aufgrund energiepolitischer Entschei-dungen im vergangenen Jahrhundert gestaltet Fuumlr die Zukunft sind radikale Eingriffe geplant welche die kom-menden Generationen praumlgen werden Es ist deshalb wesentlich das Thema langfristig zu betrachten und die heutige Situation und Diskussion auch historisch zu situ-ieren Wie wurden Energiesysteme ndash also die Verknuumlpfung von Menschen Ingenieurwesen industriellen Praktiken technologischen Artefakten politischen Programmen und institutionellen Ideologien ndash formiert Welche gesell-schaftlichen Voraussetzungen haben zur Entscheidung fuumlr den einen und gegen den anderen Energietraumlger gefuumlhrt Und letztlich auch Welchen internationalen Trends ist die kleine ressourcenarme Schweiz weshalb gefolgt und in welchen Momenten hat sie sich fuumlr den schweizerischen Sonderweg entschieden

Industrialisierung und EnergiewendeEnergiesysteme entwickeln sich kontinuierlich waren je-doch historisch gesehen uumlber lange Zeit relativ stabil Die Jahrzehnte seit dem Beginn der Industrialisierung in der zweiten Haumllfte des 18 bis Ende des 19 Jahrhunderts wa-ren die Aumlra des Holzes (und nicht der Kohle) die erste Haumllfte des 20 Jahrhunderts war die Zeit der Kohle (und nicht des Erdoumlls) die zweite diejenige des Erdoumlls und der Kernenergie Die Wasserkraft war eine wichtige Strom-lieferantin jedoch nie die Nummer eins unter den Energie-

Hintergrund

Fukushima gibt den Takt vor

Der Energiesektor hat sich in den letzten 150 Jahren drama-tisch schnell entwickelt Nicht nur haben sich Produktion und Verbrauch um ein Vielfaches erhoumlht auch die wirtschaftlichen rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich grundlegend gewandelt Ein kurzer historischer Ruumlckblick zeigt die grossen Entwicklungen und Trends aufText Monika Gisler

11COMPETENCE | 2014

Problem der Entsorgung radioaktiver Abfaumllle wurden an-fangs kaum thematisiert Erdoumll wurde erst in den 1970er-Jahren zum politischen Thema als mit den Erdoumll(preis)- krisen von 197374 und 197980 seine (geopolitisch be-dingte) Endlichkeit manifest wurde Gleichzeitig verstaumlrkte die Erdoumllkrise das Bewusstsein uumlber die Abhaumlngigkeit von importierten Energietraumlgern die mit der Industrialisierung eingesetzt hatte

Anfaumlnge des UmweltschutzesAufgrund dieser beiden Entwicklungen kamen Themen wie Energiesparen und die Forderung nach umweltfreund-licheren Energien in den 1970er-Jahren erstmals auf die politische Traktandenliste Der oumlffentliche Diskurs um die laquoGrenzen des Wachstumsraquo und damit einhergehend auch die ersten Debatten zum Umweltschutz entbrannten In-teressanterweise glaubte man dass Wind- und Solar-anlagen erst ab dem Jahr 2000 in signifikantem Umfang zur Verfuumlgung stehen wuumlrden was ja auch eintrat

Die Diskussion flaute so rasch ab wie sie gekommen war Alternativenergien bewahrten ihr Nischendasein bis zu dem Ereignis das mittlerweile den neuen Takt vorgibt die Nuklearkatastrophe von Fukushima Es wird sich weisen wie erfolgreich die Umsetzungsmassnahmen sein werden und wie rasch sie implementiert werden koumlnnen Sicher scheint jedoch dass das Unternehmen Energiewende nur verstanden und ndash so zumindest die Hoffnung ndash auch ak-zeptiert wird wenn man es in seiner ganzen Dimension erfasst

traumlgern Es wird sich weisen ob das 21 Jahrhundert das-jenige der (neuen) erneuerbaren Energien sein wird

Kohle war nach Holz der wichtigste und langfristigste Energie traumlger der Schweiz Ihre Bedeutung hielt mehr als acht Jahrzehnte an ihr Niedergang setzte 1940 ein 1955 wurde sie vom Erdoumll als wichtigster Energietraumlger abgeloumlst Der Klimahistoriker Christian Pfister erklaumlrt diese Transition mit den rasch fallenden Oumllpreisen die zu einer immer groumls ser werdenden Nachfrage nach dieser guumlns-tigen Energie fuumlhrten Ein weiterer Grund war die Domi-nanz des Verbrennungsmotors uumlber die Dampfmaschine auf dem Weg zu einer immer mobileren Gesellschaft Es ist nicht nur das Angebot sondern auch die Nachfrage welche die Bedeutung eines Energietraumlgers formt Die Entscheidung fuumlr Oumll (und spaumlter Gas) war gleichermassen beeinflusst von den technischen Veraumlnderungen wie von den Verschiebungen am Finanzmarkt

Schon fruumlh hatte auch die Wasserkraft eine grosse Be-deutung fuumlr die Schweiz 1918 war man uumlberzeugt dass laquo[hellip] fuumlr unser Land [hellip] die Frage der Energiequelle ein-wandfrei erledigt [sei] Der ganze Entwicklungsgang von Technik und Volkswirtschaft fuumlhrt endlich zur Erkenntnis dass die Natur uns mit den Wasserkraumlften fuumlr die Kohlen-armut entschaumldigtraquo (Parlamentarische Debatte zum Was-serrechtsgesetz 1918) Wasserkraft wurde im Energiemix immer ergaumlnzend zu anderen Ressourcen eingesetzt und nach 1970 entscheidend wenn auch nicht paritaumltisch mit Kernenergie zur Gewinnung von Elektrizitaumlt komplettiert

So war die zweite Haumllfte des 20 Jahrhunderts die Zeit des Erdoumlls und der Kernenergie Die beiden Energie traumlger entwickelten sich nach 1945 fast parallel und haben doch eine sehr unterschiedliche Geschichte Das hat mit ihrer jeweiligen Form und Verfuumlgbarkeit zu tun aber auch da-mit dass ihre politische Bedeutung sehr verschieden-artig war Die Kernkraft barg aufgrund ihrer Naumlhe zu ei-ner toumldlichen Waffe schon immer politischen Sprengstoff Gleichzeitig genoss sie anfaumlnglich auch den Ruf einer sauberen und nahezu unbegrenzt zur Verfuumlgung stehen-den Energiequelle Die Gefahr einer Verstrahlung und das

Monika GislerDr Monika Gisler hat an den Universitaumlten Zuumlrich Basel und Los Angeles (UCLA) Ge-schichte und Politische Philosophie studiert Sie war Forschungsverantwortliche an der ETH Zuumlrich und bietet seit 2008 mit laquoUnter-nehmen Geschichteraquo Forschung Lehre und Beratung zu den Themen Umwelt Energie und Innovation an (wwwunternehmenge-schichtech) Aktuell lehrt sie als Dozentin an der ETH zu Energiewenden in Geschichte und Gegenwart

Wie viele Fotovoltaikanlagen sind auf den Daumlchern Winterthurs zu finden

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Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Energieversorgung

dem Parlament die Energiestrategie 2050 vor welche die Basis fuumlr diesen Umbau schafft Grundsaumltze der Energie-strategie sind die Energieeffizienz die Steigerung des An-teils aus erneuerbaren Energien und die Umsetzung des Verursacherprinzips Das bedeutet dass die Kosten der Energienutzung moumlglichst von den Verursachern getragen werden

Die Schweiz verfuumlgt zwar uumlber eine hohe Versorgungs-sicherheit allerdings sind unsere Energiequellen teilweise nicht nachhaltig Gegenwaumlrtig liegt der Anteil der fossilen Energietraumlger am Endenergieverbrauch bei rund 80 Pro-zent Damit traumlgt die Schweiz zu den negativen Folgen der Klimaerwaumlrmung bei Als rohstoffarmes Land importiert sie einen grossen Teil dieser Energie ndash insbesondere Roh-oumll und Gas Dementsprechend hoch ist die Abhaumlngigkeit vom Ausland Zudem steht die Schweiz energiepolitisch vor weiteren grossen Herausforderungen Aufgrund des Bevoumllkerungs- und Wirtschaftswachstums des steigen-den Wohlstands sowie der zunehmenden Mobilitaumlt nimmt die Nachfrage nach Energie zu Teilweise veraltete Infra-struktur wachsender Wettbewerb und die Integration in das europaumlische Energienetz stellen das Energiesystem zudem vor zusaumltzliche Herausforderungen die es zu be-waumlltigen gilt

Langfristige StrategieUm diese Herausforderungen anzugehen ist ein Umbau des Energiesystems in Richtung Nachhaltigkeit unabding-bar Im Nachgang zur Reaktorkatastrophe in Fukushima haben Bundesrat und Parlament im Jahr 2011 den Grund-satzentscheid fuumlr einen schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie gefaumlllt Der Bundesrat legte anschliessend

Mit der Energiestrategie 2050 des Bundes soll unter anderem der Energieverbrauch reduziert und der Anteil der erneuerbaren Energien erhoumlht werden Dazu gehoumlren eine Reduk tion der energiebedingten CO2-Emissionen und der schrittweise Ausstieg aus der Kernenergie ndash dies ohne die bisher hohe Versorgungs-sicherheit und die preiswerte Energieversorgung zu gefaumlhrden Die ambitioumlsen Ziele sind aber nur zu erreichen wenn ein Um-denken stattfindet und Politik Wirtschaft Wissenschaft und Gesellschaft enger zusammenarbeiten Text Walter Steinmann

Hintergrund

Stossrichtungen der Energiestrategie ndash Energieeffizienz erhoumlhen Energieverbrauch

senken Stromverbrauch stabilisieren ndash Anteil der erneuerbaren Energien erhoumlhen und

Restbedarf durch fossile Stromproduktion und Importe decken

ndash Zugang zu internationalen Energiemaumlrkten sicherstellen

ndash Um- und Ausbau der elektrischen Netze und der Energiespeicherung vorantreiben

ndash Energieforschung verstaumlrken ndash Vorbildfunktion der oumlffentlichen Hand wahrnehmen ndash Internationale Zusammenarbeit im Energiebereich

intensivieren

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Hintergrund

Der Bundesrat hat dem Parlament im September 2013 ein erstes Massnahmenpaket zur Umsetzung der Energie-strategie 2050 vorgelegt Das Geschaumlft wird momentan von den vorberatenden parlamentarischen Kommissio-nen behandelt Es ist auf die Zielsetzungen fuumlr das Jahr 2020 ausgerichtet und soll langfristig wirken Konkret vorgesehen ist etwa eine Erhoumlhung der CO2-Abgabe auf Brennstoffe mit einer gleichzeitigen Verstaumlrkung des Ge-baumludesanierungsprogramms Weiter soll die bisherige kostendeckende Einspeiseverguumltung zu einem Verguuml-tungssystem mit Direktvermarktung umgebaut werden Dafuumlr sind eine Totalrevision des Energiegesetzes sowie Anpassungen in weiteren neun Bundesgesetzen noumltig Berechnungen zufolge soll der Energieverbrauch mit der Umsetzung des ersten Massnahmenpakets bis 2050 we-sentlich abnehmen Insbesondere bei den fossilen Ener-gietraumlgern wird mit grossen Ruumlckgaumlngen gerechnet

Volkswirtschaftlich werden sich die Kosten fuumlr die Um-setzung der Energiestrategie in Grenzen halten Den er-heblichen Investitionen in die Energieeffizienz stehen Ein-sparungen bei den Energieimporten gegenuumlber Es sind jedoch betraumlchtliche Investitionen insbesondere fuumlr den Zubau der Stromproduktion aus erneuerbaren Energietrauml-gern noumltig

Zusammensetzung des Endshyenergieverbrauchs (ohne Treibshystoffverbrauch des internationalen Flugverkehrs) bis 2050 auf der Basis des vorliegenden Massnahmen pakets des UVEK (Quelle Prognos)

Ein Markt mit ZukunftEine nachhaltige Energiepolitik ist nur moumlglich wenn die Schweiz staumlrker auf erneuerbare Energien setzt Heute stammen nur gerade 20 Prozent der verbrauchten Ener-gie aus erneuerbaren Quellen Die laufenden Arbeiten zur Energiestrategie 2050 zeigen dass Sonnen- und Wind-energie Wasserkraft und Geothermie in der Schweiz uumlber grosse Potenziale verfuumlgen deren optimale Er-schliessung jedoch durch verschiedene Faktoren behin-dert beziehungsweise verzoumlgert wird Dazu gehoumlren die

langwierigen Bewilligungsverfahren und die teils fehlende Akzeptanz in der Bevoumllkerung aber auch die begrenzten Foumlrdermittel zur Realisierung entsprechender Projekte Mit der Energiestrategie 2050 sollen guumlnstigere Rahmenbe-dingungen geschaffen werden

Die Sicherung des langfristigen Energieangebots wird zu einer der zentralen Herausforderungen und bietet gleichzeitig grosse Chancen fuumlr den Wirtschaftsstandort

laquoFortschritte bei der Ressourcen-effizienz und den erneuerbaren

Energien ermoumlglichen Wettbewerbs-vorteile auf den Exportmaumlrktenraquo

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Schweiz Bereits heute verfuumlgt die Schweiz uumlber ein gros-ses industrielles und technologisches Know-how gerade im Bereich Cleantech Fortschritte bei der Ressourcen-effizienz und den erneuerbaren Energien ermoumlglichen Wett bewerbsvorteile auf den Exportmaumlrkten sie schaffen neue Arbeitsplaumltze und erhoumlhen die Unabhaumlngigkeit in der Rohstoffversorgung Zusammen mit dem Masterplan Cleantech traumlgt die Energiestrategie 2050 dazu bei dass sich die Schweiz hier als Vorreiterin profilieren kann

Uumlbergang in ein LenkungssystemDamit sich der Markt in Richtung Nachhaltigkeit entwickelt werden kuumlnftig weitere Massnahmen noumltig sein Waumlhrend das erste Massnahmenpaket noch stark auf Foumlrderung zielt wird die Energiepolitik ab 2021 gemeinsam mit der Klimapolitik strategisch neu ausgerichtet Das bestehen-de Foumlrdersystem basiert auf einem Netzzuschlag fuumlr die Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Ener-gien und einer Teilzweckbindung der CO2-Abgabe fuumlr das Gebaumludeprogramm Es soll durch ein marktwirtschaftli-ches Lenkungssystem abgeloumlst werden mit dem sich die Energie -und Klimaziele effektiv und oumlkonomisch effizient erreichen lassen Konkret werden erneuerbare Energien und Gebaumludesanierungen zunaumlchst noch staatlich unter-stuumltzt ndash langfristig soll der Markt spielen Das Bundesamt fuumlr Energie ist daran in Zusammenarbeit mit dem Eidge-noumlssischen Finanzdepartement und dem Staatssekretariat fuumlr Wirtschaft zu konkretisieren wie das umzusetzen ist

Wissenstransfer staumlrken Gluumlcklicherweise herrscht an den Hochschulen und ihren Instituten im Energiebereich Aufbruchstimmung Fuumlr Un-ternehmen ist es jedoch oft schwierig das an Hochschu-len vorhandene Wissen abzuholen gerade wegen der grossen Diversitaumlt der Forschung und der Fragmentierung des Wissens auf zahlreiche Institute Gleichzeitig stossen mit Unternehmen der Informations- und Kommunikations-technologie neue Akteure mit grossem Know-how in den Energieversorgungsmarkt vor Energieversorgungsunter-nehmen in ganz Europa ruumlcken vom reinen Stromverkauf ab und positionieren sich vermehrt als Anbieter von umfas-senden Energiedienstleistungen Diesem Trend muss sich

Walter SteinmannDr Walter Steinmann ist seit 2001 Direktor des Bundesamts fuumlr Energie (BFE) Er hat an der Universitaumlt Zuumlrich Volkswirtschaft studiert und seine Studien 1988 mit einer Doktorarbeit an der Universitaumlt Konstanz ab geschlossen Von 1981 bis 1988 war er Delegierter fuumlr Wirtschaftsfoumlrderung des Kantons Basel-Landschaft und arbeitete an-schliessend als Beauftragter fuumlr Wirtschafts-foumlrderung des Kantons Solothurn Von 1994 bis 2001 war er Chef des Amts fuumlr Wirtschaft und Arbeit des Kantons Solothurn

auch die Schweiz stellen und ihre Kraumlfte vermehrt buumlndeln um Synergien zwischen Wirtschaft und Forschung zu schaffen Nur so kann der Technologiestandort Schweiz staumlrker werden Der Bund setzt bereits Massnahmen um damit der Transfer der Forschungsresultate in den Markt sichergestellt wird Dazu gehoumlrt der Aufbau vernetzter Forschungskompetenzzentren der Swiss Competence Centers for Energy Research Auch die ZHAW School of Management and Law beteiligt sich in diesem Rahmen massgeblich an den nationalen Forschungsaktivitaumlten zum Umbau des Schweizer Energiesystems

Mit der Energiestrategie 2050 hat die Schweiz die Chance sich aus ihrer Abhaumlngigkeit von den fossilen Energien zu loumlsen den Export fortschrittlicher Technologien zu staumlrken und mit dem ressourcen- und klimaschonenden Umgang mit Energie international eine Fuumlhrungsrolle zu uumlberneh-men Nutzen wir diese Chance

Weitere Informationen unter wwwenergiestrategie2050ch

laquoDie Schweiz muss ihre Kraumlfte vermehrt buumlndeln um

Synergien zwischen Wirtschaft und Forschung zu schaffenraquo

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Eine der wichtigsten Zielsetzungen der Energiewende wie sie der Bundesrat formuliert hat ist der Ausbau der er-neuerbaren Energien Der Anteil von Wasser- Wind- und Sonnenkraft sowie Erdwaumlrme am Energiemix soll massiv erhoumlht werden Die durchschnittliche inlaumlndische Produk-tion ndash ohne Wasserkraft ndash soll im Jahr 2020 bei mindes-tens 4 400 Gigawattstunden (GWh) und im Jahr 2035 bei mindestens 14 500 GWh liegen Bei der Produktion von Elektrizitaumlt aus Wasserkraft wird bis im Jahr 2035 ein Aus-bau der Produktion auf 37 400 GWh angestrebt Zum Ver-gleich Die Jahresproduktion des AKW Muumlhleberg liegt bei rund 2 600 GWh Das sind houmlchst ambitioumlse Ziele

Der geplante Ausbau der Nutzung von erneuerbaren Energien bedarf zahlreicher Anlagen ndash Windparks Was-serkraftwerke oder groumlsserer Solaranlagen ndash mit entspre-chend hohem Raumbedarf Der Bundesrat sieht nicht vor die Umwelt- und Heimatschutzgesetze massgeblich zu lo-ckern obwohl es regelmaumlssig zu Konflikten zwischen den Schutzinteressen und Energienutzungsanlagen sowie zu entsprechenden Gerichtsverfahren kommt ndash wie juumlngst im Goms bei der Planung eines Wasserkraftwerks (BGE 140 II 262 ff) Das Bundesgericht nimmt jeweils eine im Resul-tat schwer voraussehbare Interessenabwaumlgung vor und stellt die Leistung der Anlage sowie die Faumlhigkeit zeitlich flexibel und marktorientiert zu produzieren den Schutz-interessen gegenuumlber

Ein weiteres Problem besteht darin dass groumlssere Anla-gen bei der Nachbarschaft oder in einer breiteren Bevoumll-kerung keine Akzeptanz finden So waumlre zwar im Kanton

Loumlsungen suchen bevor es zum Rechtsstreit kommt

Hochschulperspektive

Der Bundesrat sieht im Rahmen der Energiestrategie 2050 vor den Anteil der erneuerbaren Energien massiv zu erhoumlhen Die vermehrte Nutzung erneuerbarer Energietraumlger fuumlhrt jedoch zu einem Interessenkonflikt zwischen Wirtschaftlichkeit umwelt-rechtlichen Anforderungen und sozialer Akzeptanz Diesen gilt es mit klaren rechtlichen Grundlagen zu loumlsenText Reneacute Wiederkehr und Andreas Abegg

Zuumlrich Wind vorhanden doch dreht sich dort bis heute keine einzige grosse Windturbine Gegen die einzige bis-her geplante Versuchsanlage am Stuumlssel oberhalb Baumlrets-wil hat eine Interessengemeinschaft Rekurs erhoben und will die geplante Windmessanlage bis vor Bundesgericht bekaumlmpfen Diese Probleme ndash die Kollision mit Schutz-interessen und die Angst vor Nachbarrekursen ndash koumlnnen im Ergebnis dazu fuumlhren dass die Energieunternehmen auf den Bau von Anlagen verzichten obwohl ein erhebli-ches Potenzial vorhanden waumlre

Loumlsungsansatz des BundesratsIm Rahmen der Energiepolitik 2050 schlaumlgt der Bundesrat vor dass die Kantone mit Unterstuumltzung des Bundes ein Konzept fuumlr den Ausbau der erneuerbaren Energien er-arbeiten und Gebiete fuumlr die Nutzung durch erneuerbare Energien bestimmen Nach der Genehmigung durch den Bund dient das Konzept den Kantonen als Grundlage fuumlr ihre Richtplanung Dadurch wird fuumlr die kommunalen und kantonalen Behoumlrden verbindlich festgelegt in welchen Gebieten Bewilligungen fuumlr erneuerbare Energieproduktio-nen erteilt werden koumlnnen

Welche Gebiete sich tatsaumlchlich fuumlr den Ausbau der er-neuerbaren Energien eignen ist bisher allerdings kaum erforscht worden Bund Kantonen und Gemeinden fehlen die Grundlagen um die Eignung von Standorten und Ge-bieten aus rechtlicher Sicht zu beurteilen Es ist deshalb einfacher ungeeignete Gebiete von der Nutzung auszu-nehmen Vor allem Gebiete welche fuumlr Natur- und Hei-matschutz wertvoll sind koumlnnen zu einer sogenannten

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schen und rechtsstaatlichen Verfahren aus So wurde zum Beispiel im Kanton Zuumlrich der Heimatschutz gegenuumlber dem Interesse an neuen Solaranlagen bereits zuruumlck-gestuft und das entsprechende Bewilligungsverfahren gestrafft Es wird sich gerade bei der Wahl von Stand-orten fuumlr die Nutzung erneuerbarer Energien zeigen ob die Energiewende ndash wie zuweilen befuumlrchtet ndash auf Kosten von Demokratie und Rechtsstaat sowie auf Kosten von Natur- und Heimatschutz geht oder ob wir die gegenwaumlr-tigen Strukturen unter transparenter und angemessener Wahrung aller Interessen anpassen koumlnnen um die an-spruchsvollen Energieziele zu erreichen

Negativzone fuumlhren Auch andere Anliegen wie die Erhal-tung von landwirtschaftlichem Kulturland und Wald der Schutz des Vogelzugs oder die Beduumlrfnisse der Luftfahrt sind zu beruumlcksichtigen Zudem ist zu beachten dass der Bau neuer Anlagen einen Ausbau des Energienetzes nach sich ziehen kann was wiederum zu Konflikten mit anderen raumrelevanten Interessen fuumlhrt

InteressenabwaumlgungUm die erneuerbare Energie wie geplant massiv foumlrdern zu koumlnnen muumlssen die notwendigen Anlagen rasch rea-lisiert werden In den hierzu notwendigen Bewilligungs- und Rechtsmittelverfahren muumlssen die Zielkonflikte der verschiedenen Interessen transparent gemacht und unter gleichberechtigter Abwaumlgung geloumlst werden Das gilt so-wohl fuumlr das konkrete Rechtsmittelverfahren vor Behoumlrden und Gerichten wie auch fuumlr eine vorgezogene Mediations-phase

Hier setzen die vom Bund initiierten Forschungen zur Energiewende auf drei Ebenen an Zunaumlchst muumlssen die Details der komplizierten Bewilligungsverfahren im Aus-tausch mit der Gerichtspraxis ausgearbeitet werden Das sorgt fuumlr Rechtssicherheit Auf einer zweiten Ebene gilt es die bestehenden kantonal reglementierten Verfahren zu vereinheitlichen und wenn moumlglich zu vereinfachen Damit es zu rechtsstaatlich tragfaumlhigen und sozial akzep-tierten Loumlsungen kommt sind die Rechte aller Beteiligten zu wahren jene von Gemeinden Kantonen und Bund als Behoumlrden von Energieunternehmen als Gesuchsteller so-wie von Nachbarn und beschwerdeberechtigten Verbaumln-den als Gegner Schliesslich sind auf einer dritten Ebene neue Hilfsmittel zu suchen mit denen Gebiete und Stand-orte bezeichnet werden koumlnnen die sich fuumlr die Nutzung erneuerbarer Energien besonders eignen Das Bewilli-gungsverfahren wird hiermit transparenter berechenbarer und ndash so die Hoffnung ndash kuumlrzer Mit klaren Rechtsgrund-lagen koumlnnen die Beteiligten zudem Loumlsungen suchen bevor es uumlberhaupt zum Rechtsstreit kommt Die geplante Foumlrderung erneuerbarer Energien kommt nicht ohne Veraumlnderungen in bestehenden demokrati-

Andreas AbeggProf Dr Andreas Abegg ist Leiter des Zen-trums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht an der ZHAW School of Management and Law Privatdozent an der Universitaumlt Fribourg und praktizierender Rechtsanwalt Er beschaumlf-tigt sich mit den rechtlichen Schnittpunkten zwischen Staat und Privaten insbesondere in den Bereichen Regulierung Verwaltungs-organisation und Energie Andreas Abegg forscht im Rahmen des vom Bund mitfinan-zierten Competence Center for Research in Energy Society and Transition (CREST) in der Forschungsgruppe Energy Policy Analysis

Reneacute WiederkehrProf Dr Reneacute Wiederkehr ist stellvertre-tender Leiter des Zentrums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht an der ZHAW School of Management and Law und Titularprofessor der Universitaumlt Luzern Er forscht und lehrt in den Bereichen Verwaltungsrecht und oumlf-fentliches Prozessrecht sowie im Rahmen des vom Bund mitfinanzierten Competence Center for Research in Energy Society and Transition (CREST) in der Forschungsgruppe Energy Policy Analysis

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Negawatt statt Megawatt

Energieeffizienzmassnahmen finanziell lohnen Zudem ver-fuumlgen kleine und mittlere Unternehmen selten uumlber Ener-gieverantwortliche oder Umweltbeauftragte die im Akqui-sitionsprozess gezielt angesprochen werden koumlnnen

Schwaumlchen bisheriger ProgrammeEine Umfrage der ZHAW bei Programmverantwortlichen zeigt diverse Schwaumlchen laufender Effizienzprogramme auf Ein haumlufiges Problem sind falsche Anreize So wird vornehmlich vermittelt wie mit Energieeffizienz Geld ge-spart wird Offensichtlich geht man davon aus dass Un-ternehmen praktisch nur uumlber finanzielle Anreize zu moti-vieren sind Bei den angepeilten KMU fallen Energiekosten jedoch kaum ins Gewicht Beratungsaufwand und Ergeb-nis stehen umso mehr im Missverhaumlltnis je weniger Ener-gie verbraucht wird Weiter scheinen die Programmver-antwortlichen ihre Zielgruppen kaum zu segmentieren und als unterschiedliche Kundensegmente wahrzunehmen Entsprechend beinhalten die meisten Programme ein Standardangebot mit einem breiten Spektrum an Mass-nahmen die oft nicht branchenspezifisch zugeschnitten sind Auch die Kundenansprache erfolgt in der Regel un-differenziert und die Moumlglichkeiten der Neuen Medien wer-den kaum genutzt

Keine langfristige PerspektiveEin Grossteil der Programme ist nicht auf Kundenbindung ausgelegt Insbesondere werden kaum Informationen er-fasst welche die Planung einer weiterfuumlhrenden Bezie-

Schweizer Unternehmen koumlnnten auf wirtschaftliche Art und Weise bis zu 30 Prozent ihres Energieverbrauchs ein-sparen Speziell bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) die immerhin 10 Prozent des Schweizer Stromver-brauchs verantworten ist das Sparpotenzial aber ungenuuml-gend ausgeschoumlpft

Energieeffizienzprogramme wirken nichtBehoumlrden Energieversorger und private Organisatio-nen haben in den letzten Jahren wiederholt Programme lanciert um Energieeinsparungen gezielt zu foumlrdern Al-lerdings haben bislang weniger als 1 Prozent der rund 300 000 Schweizer KMU an einem solchen Programm teilgenommen und die Umsetzungsquoten sind ebenfalls gering Uumlber die Gruumlnde die Unternehmen daran hindern an Energieeffizienzprogrammen teilzunehmen und ent-sprechende Massnahmen umzusetzen sind sich die Pro-grammverantwortlichen uneinig Oft werden Zeitmangel Priorisierung anderer Investitionen fehlende Mittel und zu lange Amortisationszeiten als Hemmnisse genannt Ge-nerell scheint es dass bei Kleinunternehmen Zeit- und Geldmangel eine wichtige Rolle spielen waumlhrend bei Un-ternehmen mittlerer Groumlsse eher der Mangel an Motiva tion und Bewusstsein ausschlaggebend ist Energiekosten machen bei KMU einen verschwindend kleinen Anteil der Gesamtkosten aus sodass die Prioritaumlten fuumlr Investitionen haumlufig anders liegen Man investiert beispielsweise lieber in Betriebsmittel zur Erhoumlhung der Produktivitaumlt als in die Reduktion der (bereits tiefen) Energiekosten obwohl sich

Energieeffizienz ist ein zentraler Pfeiler der Energiestrategie 2050 Die Schweiz gehoumlrt zu den Spitzenreitern punkto Energie effizienz auch dank ihrem dominanten Tertiaumlrsektor Dennoch liegen auch bei hiesigen Unternehmen grosse Sparpotenziale brach Wie diese genutzt werden koumlnnen untersucht die ZHAW in einem interdisziplinaumlren ProjektText Rolf Rellstab

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brauch betrifft erhoumlhte Arbeitssicherheit weniger Laumlrm-belastung oder geringerer Rohstoffverbrauch Der Wert solcher laquoNon-Energy Benefitsraquo kann fuumlr Unternehmen bis zu 250 Prozent der energetischen Einsparungen betra-gen Es geht also darum KMU gezielter auf die Chancen der Energieeffizienz hinzuweisen Schliesslich gilt es auch Unternehmen wissen zu lassen dass sich ihre Kunden fuumlr dieses Thema interessieren sowie ihnen dabei zu helfen ihr Energie effizienzengagement sichtbar zu machen Waumlh-rend bereits heute viele Unternehmen bestaumltigen dass sich ihr Image bei den Kunden durch die Teilnahme an einem Energieeffizienzprogramm verbessert hat achten erst wenige Firmen auch bei der Kommunikation darauf dass entsprechende Massnahmen gebuumlhrend bekannt gemacht werden

hung zu den Programmteilnehmenden ermoumlglichen wuumlr-den Angaben zu Stromverbrauch Houmlhe und Anteil der Energiekosten Anzahl Mitarbeitende und Umsatz waumlren wertvolle Informationen im Hinblick auf allfaumlllige Folgepro-gramme Im Vordergrund stehen zudem bei den meisten Programmen technische Loumlsungen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz Eine nachhaltige Verhaltensaumlnderung bei Mitarbeitenden oder auf Managementebene wird hingegen kaum verfolgt Auch ein Monitoring der Wirkung von Ener-gieeffizienzprogrammen ist bislang nicht vorhanden oder

wird zu wenig systematisch betrieben So wird zum Bei-spiel die effektive Energieeinsparung vielfach nicht erfasst und gepruumlft Das tatsaumlchliche Kosten-Nutzen-Verhaumlltnis einzuschaumltzen ist somit schwierig Dass die bestehenden Energieeffizienzprogramme inhaltlich durchaus Anklang finden zeigen Ruumlckmeldungen von Unternehmen die in der Vergangenheit daran teilgenommen haben Die Befrag-ten beurteilen ihre Erfahrungen mehrheitlich positiv Aus Sicht der Unternehmen lagen die Energieeinspar effekte im Bereich der Erwartungen Viele wuumlrden nochmals an einem solchen Programm teilnehmen was die oben ge-nannten Versaumlumnisse umso bedauerlicher macht

Wirksamkeit verbessernWie koumlnnen KMU zum Energiesparen motiviert werden Aus Marketingsicht beinhaltet ein sinnvolles Programm eine segmentspezifische Kundenansprache die den laquoReifegradraquo (Wissen Einstellungen und Verhalten) eines Unternehmens in Bezug auf Energieeffizienz beruumlcksich-tigt Zweitens braucht es eine klare Kundenbeziehungs-strategie welche eine wiederholte Teilnahme zum Ziel hat Bei den Anreizen einzig die finanziellen Aspekte wie etwa erwartete Kostensenkungen oder Foumlrderbeitraumlge hervor-zuheben scheint wenig erfolgversprechend Der Fokus wird in Zukunft wohl vermehrt darauf liegen denjenigen Nutzen hervorzuheben der nicht direkt den Energiever-

Rolf RellstabRolf Rellstab ist wissenschaftlicher Mit-arbeiter und Projektleiter am Institut fuumlr Marketing Management der ZHAW School of Management and Law Seine Arbeits-schwerpunkte liegen im Bereich Kommuni-kation Kundenbeziehungsmanagement und B-to-B-Marketing

Projektziel und VorgehensweiseIm ZHAW-Projekt laquoNegawatt statt Megawattraquo werden optimierte Vorgehensweisen entwickelt um KMU mit einem jaumlhrlichen Strom-verbrauch zwischen 10 und 500 MWh zum Energiesparen zu moti-vieren Der Begriff laquoNegawattraquo bezeichnet die eingesparte Energie die zu virtuellen Negawatt-Kraftwerken kombiniert wird So wird anschaulich aufgezeigt wie viel Energie dank diesen Einsparungen weniger produziert werden muss Das Projekt beinhaltet eine interna-tionale Literaturstudie zu den Erfolgsfaktoren und Hemmnissen von Energieeffizienzprogrammen eine Umfrage bei Anbietern solcher Programme sowie eine Befragung von KMU Aus den Ergebnissen dieser drei Teilstudien werden Hypothesen im Hinblick auf ein idea-les Energieeffizienzprogramm abgeleitet In einem Folgeprojekt sol-len die Hypothesen im Rahmen eines Pilotprogramms uumlberpruumlft und weiterentwickelt werden Das Projekt wird durch den WWF Schweiz die Stiftung Pro Evolution das Bundesamt fuumlr Energie (BFE) und die Elektrizitaumltswerke des Kantons Zuumlrich (EKZ) unterstuumltzt Weitere In-formationen wwwzhawchnegawatt

laquoEine nachhaltige Verhaltens - aumlnderung bei Mitarbeitenden oder auf Managementebene

wird kaum verfolgtraquo

Wie viel Heizoumll wird jaumlhrlich in Winterthur verbraucht

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Klima im Wandel ndash Emissionsrechte im Handel

Der Klimawandel laumlsst sich anhand des Treibhauseffekts veranschaulichen Die Treibhausgase bewirken dass kurz-welliges Sonnenlicht zur Erdoberflaumlche gelangt verhindern jedoch dass langwellige Waumlrmestrahlung von der Erde nach aussen dringt Somit kann die Waumlrme nicht mehr entweichen und die Temperatur steigt Der Ausstoss von Treibhausgasen die vor allem bei der Verbrennung von fossilen Energietraumlgern wie Kohle Gas und Oumll entstehen hat seit der industriellen Revolution stark zugenommen und den natuumlrlichen Treibhauseffekt verstaumlrkt Eine Zunahme der Haumlufigkeit und Intensitaumlt meteorologischer und hydro-logischer Grossereignisse wie Stuumlrme und Uumlberschwem-mungen sind die Folge ndash mit gravierenden oumlkologischen oumlkonomischen und sozialen Konsequenzen

Der 2013 veroumlffentlichte Bericht der internationalen Exper-tengruppe Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zeigt auf dass die globale Durchschnittstempera-tur in den letzten 130 Jahren um 085deg Celsius gestiegen

Der Klimawandel findet nicht in ferner Zukunft sondern bereits jetzt statt Um ihn fuumlr Mensch und Umwelt auf einem ertraumlg-lichen Niveau zu stabilisieren muumlssen die Treibhausgas-emissionen reduziert werden Der Emissionshandel soll dazu beitragen sie dort zu mindern wo die geringsten Kosten an-fallen So kann das gesetzte Mengenziel oumlkonomisch effizient erreicht werdenText Regina Betz

ist Ohne Minderungsanstrengungen wird bis 2100 ein mehr als fuumlnffacher Anstieg prognostiziert Um die Treib-hausgaskonzentration in der Atmosphaumlre auf einem fuumlr Mensch und Umwelt akzeptablen Niveau zu stabilisieren muss die Erwaumlrmung bei unter 2deg Celsius stagnieren Da-fuumlr muumlssen laut dem 2014 veroumlffentlichten Bericht des IPCC die globalen Treibhausgasemissionen (THGE) bis 2050 gegenuumlber 2010 mindestens halbiert und bis 2100 um rund 100 Prozent reduziert werden 1997 hat sich die internationale Staatengemeinschaft im Kyoto-Protokoll fuumlr die Jahre 2008 bis 2012 erstmals auf voumllkerrechtlich ver-bindliche Ziele fuumlr den Ausstoss von THGE in den entwi-ckelten Laumlndern geeinigt aktuell finden Verhandlungen fuumlr die Festlegung neuer Ziele statt

Cap and TradeZur Zielerreichung sieht das Kyoto-Protokoll unter ande-rem den Emissionshandel auf Staatenebene vor Zahl-reiche Laumlnder wenden dieses Instrument aber haumlufiger auf Unternehmensebene an Das Grundprinzip ist einfach Die Houmlchstmenge (Cap) an erlaubten Gesamtemissionen wird festgelegt und an die regulierten Unternehmen im Emissions rechtehandelssystem (EHS) verteilt Die Unter-nehmen sind verpflichtet fuumlr jede emittierte Tonne Kohlen-dioxid ein Emissionsrecht einzureichen ansonsten sind Sanktionszahlungen faumlllig Will ein Unternehmen uumlber die ihm zugeteilte Menge hinaus emittieren muss es ein an-deres Unternehmen finden das ihm die benoumltigte Menge an Emissionsrechten verkauft (Trade) Unternehmen mit hohen Minderungskosten werden dabei Emissionsrechte hinzukaufen und Unternehmen mit niedrigen Kosten wer-den ihre Emissionen mindern indem sie etwa Biomasse statt Kohle verbrennen und uumlberschuumlssige Emissions-rechte verkaufen Durch den Handel koumlnnen die erforder-lichen Emissionsminderungen dort realisiert werden wo sie mit den geringsten Kosten verbunden sind Am Markt stellt sich ein Preis fuumlr die Emissionsrechte ein der Ange-bot und Nachfrage zum Ausgleich bringt

So einfach das Prinzip ist so schwierig ist seine Umset-zung Das System bedingt dass die Regierungen Rech-te fuumlr die Nutzung der Atmosphaumlre schaffen die zu einer

Hochschulperspektive

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Hochschulperspektive

Reduktion der Emissionen gegenuumlber einer Referenzent-wicklung fuumlhren dem sogenannten Business-as-usual-Szenario Doch die Abschaumltzung dieses Szenarios also der Entwicklung der Emissionen ohne Mengenbegren-zung ist schwierig wie die nachfolgenden Ausfuumlhrungen zum Emissionshandel in der EU zeigen

Der Emissionshandel in der EUDas EU-EHS ist der weltweit groumlsste Markt von Emissions-rechten Alle 28 EU-Staaten sowie Liechtenstein Island und Norwegen sind daran beteiligt Die Schweiz wuumlrde sich gerne anschliessen Das EU-EHS leidet seit seiner Einfuumlhrung im Jahr 2005 unter einem Uumlberangebot das sich mittlerweile auf rund 2 Milliarden Emissionsrechte be-laumluft Dies entspricht ungefaumlhr den vom System regulierten Emissionen eines Jahres Neben den unvorhergesehenen oumlkonomischen Entwicklungen durch die globale Finanz-krise traumlgt auch der starke Zubau an erneuer baren Ener-gien zu einem houmlheren Ruumlckgang der Emissio nen bei als geplant Der Hauptgrund fuumlr den derzeitigen Uumlberschuss liegt jedoch darin dass die regulierten Unternehmen ne-ben den Europaumlischen Emissionsrechten ndash European Union Allowances (EUAs) ndash auch auslaumlndische Emissions-minderungszertifikate ndash Certified Emission Reductions (CERs) ndash zu einem bestimmten Anteil anrechnen koumlnnen Mit dem sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) koumlnnen Industrienationen in Entwicklungslaumlndern emissionsmindernde Projekte finanzieren und sich die da-bei entstehenden THGE-Reduktionen mithilfe von CERs anrechnen lassen

Durch diese verschiedenen Faktoren hat sich ein Uumlberan-gebot entwickelt das den Preis der EUAs und CERs stark sinken liess Der Preis belaumluft sich derzeit auf rund fuumlnf Euro pro EUA Die bisherigen Reformanstrengungen wie etwa das sogenannte Backloading das Verschieben von Auktionen in spaumltere Jahre um die Menge zu verknappen haben bisher kaum zu einer Preiserhoumlhung gefuumlhrt

Die Schweiz als PreishochburgDer Schweizer Markt wuumlrde bei einem Zusammen-schluss nur rund 03 Prozent des EU-EHS ausmachen

Die Schweiz wuumlrde somit als Preisnehmerin agieren Das heisst der EU-Preis sollte auch in der Schweiz gelten Umso erstaunlicher ist es daher dass der Schweizer Preis pro Emissionsrecht derzeit bei rund 40 Franken liegt ob-wohl die Verbindung des Schweizer EHS mit dem EU-EHS geplant ist (sogenanntes Linking) Das auf der Basis des revidierten CO2-Gesetzes von 2012 und der CO2-Verord-nung verabschiedete System das den Emissionshandel am 1 Januar 2013 fuumlr 38 Unternehmen beziehungsweise 55 Anlagen in der Schweiz verbindlich eingefuumlhrt hat uumlber-nimmt weitestgehend die Regeln des EU-EHS Das neue System hat das bisherige freiwillige EHS in der Schweiz abgeloumlst Die im EHS erfassten Unternehmen sind von der CO2-Abgabe befreit Die hohe Kompatibilitaumlt des Schwei-zer EHS und des EU-EHS sollte ein schnelles Linking er-moumlglichen wobei die Verhandlungen durch die Annahme der Einwanderungsinitiative zum Stillstand gekommen sind Ein moumlglicher Erklaumlrungsansatz ist daher dass der hohe Preisunterschied die derzeitige Unsicherheit uumlber den Ausgang der Linking-Verhandlungen widerspiegelt Gehen die Schweizer Unternehmen davon aus dass kein Linking stattfindet sollte sich der Preis anhand der Minderungs-kosten und der Knappheit im Schweizer EHS bilden Fuumlr die Unternehmen ist es immer noch guumlnstiger den der-zeitigen Preis von 40 Franken fuumlr die Emissionsrechte zu bezahlen als eine Busse von 125 Franken pro fehlendes Emissionsrecht Zusaumltzlich zur Busse ist das Unternehmen verpflichtet die fehlenden Rechte im naumlchsten Jahr nach-zureichen Auch hier hat sich die Schweiz stark am EU-EHS orientiert bei dem die Busse bei 100 Euro pro EUA plus Wiedergutmachung liegt

Allokation beeinflusst den WettbewerbDie Gesamtmenge an Emissionsrechten (Cap) leitet sich aus den historischen Emissionen der teilnehmenden EHS-Unternehmen ab Fuumlr bestehende Anlagen die bereits vor 2013 am EHS in der Schweiz beteiligt waren setzt sie sich aus der Summe der durchschnittlich zugeteilten Emis-sionsrechte der ersten Verpflichtungsperiode (2008 bis 2012) zusammen fuumlr Anlagen die 2013 hinzukommen aus der Summe der durchschnittlichen Emissionen der

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fuumlr neue Anlagen in einer Reserve zuruumlckbehalten deren Uumlberschuumlsse zweimal jaumlhrlich versteigert werden Die Zu-teilung der Emissionsrechte hat etwas laumlnger gedauert so-dass sie in der Schweiz fuumlr die Jahre 2013 und 2014 erst im Februar 2014 erfolgte Das mag auch einer der Gruumlnde sein dass bisher kein Handel auf dem Sekundaumlrmarkt fuumlr den die Berner Kantonalbank eine eigene Emissions-handelsplattform bereitgestellt hat stattgefunden hat Das erste Preissignal war deshalb die Auktion der Uumlberschuumls-se aus der Neuemittentenreserve Diese fand vom 14 bis 21 Mai 2014 statt und erzielte fuumlr die 150 000 Emissions-rechte einen Preis von 4025 Franken pro Emissionsrecht

Wie sich die Liquiditaumlt im Schweizer Markt in Zukunft ent-wickeln wird und ob ein Linking mit dem EU-EHS und so-mit eine Angleichung der Schweizer Preise an die EU-EHS-Preise stattfinden wird bleibt abzuwarten Letzteres waumlre zwar aus oumlkonomischer Sicht zu begruumlssen da ein groumls-serer liquider Markt mit einheitlichem Preissignal als effizi-enter bewertet wird Aus oumlkologischer Sicht scheint jedoch ein Linking der Systeme ohne weitere Reformen des EU-EHS nicht wuumlnschenswert da es die Minderungsanreize in der Schweiz als Folge des Angebotsuumlberschusses an Emissionsrechten in der EU massiv reduzieren wuumlrde

Jahre 2009 bis 2011 Diese Summe wird jaumlhrlich um 174 Prozent reduziert analog der Regelung im EU-EHS

Neben der Festlegung der Obergrenze ist die Ausgestal-tung der Zuteilungsregeln politisch am schwierigsten da diese Verteilungswirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussen Bis 2012 wurden die Emissionsrechte in der EU daher groumlsstenteils kostenlos zugeteilt Seit 2013 werden rund 48 Prozent der Emissionsrechte versteigert wobei diese vor allem von Elektrizitaumltsfirmen gekauft wer-den muumlssen Da diese nicht im internationalen Wettbewerb

stehen konnten sie den Preis der gratis erhaltenen Emis-sionsrechte an die Elektrizitaumltskonsumenten weitergege-ben und hohe Gewinne erzielen Unternehmen aus Sek-toren die im internationalen Wettbewerb stehen koumlnnen hingegen die Kosten fuumlr die Emissionsrechte nicht an ihre Endkunden weitergeben ohne betraumlchtliche Nachteile in Kauf zu nehmen Es besteht daher das Risiko dass diese Firmen in Laumlnder ohne Klimapolitik abwandern Um dieses Risiko zu senken erhalten Unternehmen bei denen ein Risiko auf Abwanderung besteht auch in Zukunft weitest-gehend kostenlos Emissionsrechte zugeteilt Die Zuteilung basiert dabei auf sogenannten Benchmarks (Tonne Koh-lendioxid pro Tonne Produkt) die auf der Basis der effizi-entesten 10 Prozent der Unternehmen berechnet und mit historischen Produktionsdaten multipliziert werden

Noch kein Handel in der SchweizDie Schweiz hat die Benchmarks des EU-EHS uumlbernom-men Da in der Schweiz vor allem stark im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen aus den Sektoren Zement Papier Chemie Stahl und Raffinerien unter den Emissionshandel fallen werden fast alle Emissionsrechte kostenlos zugeteilt Ein kleiner Anteil von 5 Prozent wird

Regina BetzDr Regina Betz ist Dozentin fuumlr Energie- und Umweltoumlkonomie an der ZHAW School of Management and Law Seit 2014 leitet sie den volkswirtschaftlichen Teil der Ener-gy Policy Analysis Group des Zentrums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht das Mitglied des Schweizer Competence Centers for Research in Energy Society and Transition (CREST) ist Zuvor lehrte sie an der University of New South Wales Australia Umwelt- und Klimaoumlkonomie und leitete als Co-Direktorin das Centre for Energy and Environmental Markets (CEEM) 1998 bis 2004 arbeitete sie als Wissenschaftlerin am Fraunhofer-Institut fuumlr System- und Innovationsforschung ISI in Deutschland

laquoNeben der Festlegung der Ober grenze ist die Ausgestaltung der Zuteilungsregeln politisch am

schwierigsten da diese Verteilungs wirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussenraquo

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nicht vollstaumlndig genutzt werden kann In der Energiestra-tegie des Bundes ist gemaumlss einem Szenario bis 2050 ein Zubau auf knapp 12 TWh pro Jahr Stromproduktion aus Fotovoltaik angedacht Dies bedingt den Bau von Fotovol-taikanlagen mit einer installierten Spitzenleistung von etwa 12 Gigawattpeak (GWp) und einem Flaumlchenbedarf von rund 84 000 000 Quadratmetern Dieser Flaumlchenbedarf ist auf den bestehenden Daumlchern in der Schweiz verfuumlgbar

An einem schoumlnen Sommertag koumlnnen diese Anlagen dann also etwa 12 GW erzeugen die maximale Ver-brauchslast liegt im Sommer aber nur bei rund 8 GW Es entsteht ein Uumlberschuss von 4 GW die Speicherleistung der Schweizer Pumpspeicheranlagen betraumlgt heute aber nur 15 GW 25 GW Leistung koumlnnen in diesem Szenario also gar nicht genutzt werden An einem Wintertag mit Hochnebel erzeugen diese Anlagen uumlberhaupt keinen Strom die Verbrauchslast liegt aber mit 10 GW noch houml-her als im Sommer Hier entsteht eine Luumlcke die mit ande-ren Energieformen oder Importen gedeckt werden muss

Speichern uumlbertragen oder einsparenUm diesem Problem zu begegnen gibt es verschiedene Loumlsungsansaumltze Ein Ansatz ist die Energie lokal dort zu speichern wo sie erzeugt aber nicht sofort verbraucht werden kann In diesem Fall werden in erster Linie viele kleine Speichermodule benoumltigt die sowohl fuumlr kurz- als auch langfristigen Ausgleich sorgen muumlssen Eine andere Moumlglichkeit ist es die Energie an Orte zu uumlbertragen wo sie sofort verbraucht wird dann muss in erster Linie das Netz ausgebaut werden Schliesslich koumlnnte Energie auch zentral zu grossen Speichern transportiert werden was sowohl einen Netzausbau als auch neue Speichertechno-logien bedingen wuumlrde

Als die Gesellschaft noch aus Jaumlgern und Sammlern be-stand verbrauchte der Mensch seine Energie lokal dort wo er sie benoumltigte Er lebte von der Hand in den Mund Im Zuge der aufkommenden Landwirtschaft musste er Methoden entwickeln um Nahrung haltbar zu machen und sie zu transportieren Vor demselben Problem steht heute die Energiewirtschaft Ort und Zeit der erneuerbaren Energieerzeugung korrelieren je laumlnger je weniger mit dem Verbrauch Die Herausforderung der Energiewende ist deshalb nicht nur die Produktion selbst sondern auch die Uumlbertragung die Speicherung und das lokale Verbrauchs-last-Management

Saisonale Speicherung problematischMit dem Ausstieg aus der Kernenergie muumlssen in der Schweiz etwa 40 Prozent der produzierten elektrischen Energie ersetzt werden also rund 23 Terawattstunden (TWh) pro Jahr Im Gegensatz zur Kernenergie haben die neuen erneuerbaren Energien den Nachteil dass ihre Pro-duktion nicht steuerbar ist und unregelmaumlssig anfaumlllt Der Kapazitaumltsfaktor also das Verhaumlltnis von durchschnittlicher zu maximaler Leistung betraumlgt bei konventionellen Kraft-werken bis zu 100 Prozent bei Fotovoltaikanlagen dage-gen nur etwa 10 Prozent Hinzu kommen die starken saiso-nalen Schwankungen dieser stochastisch erzeugenden Energiequellen Im Winter liegt die Stromverbrauchsspitze mit circa 10 Gigawatt (GW) rund ein Drittel houmlher als im Sommer gleichzeitig liefern Fotovoltaikanlagen aufgrund des flacheren Einstrahlungswinkels und der kuumlrzeren Son-nenscheindauer wesentlich weniger Strom als im Sommer

Anhand eines Gedankenexperiments laumlsst sich veran-schaulichen dass das Potenzial der neuen erneuerbaren Energien ohne zusaumltzliche Speicher oder steuerbare Lasten

Energie haltbar machen

Der Ausbau von erneuerbaren Energiequellen geht so schnell voran dass Speicher- und Uumlbertragungstechnologien kaum mithalten koumlnnen Um Produktionsspitzen zu glaumltten braucht es Fortschritte in der EnergietechnikText Petr Korba

Hochschulperspektive

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Petr KorbaProf Dr Petr Korba ist Dozent und Fach-gruppenleiter fuumlr elektrische Energietechnik und Smart Grids an der ZHAW School of En-gineering Zuvor forschte er uumlber zehn Jahre bei ABB Schweiz in den Bereichen Automa-tion Energie- und Regelungstechnik

Scherrer Institut an der Power2Gas-Technologie Dabei wird Kohlendioxid mit Strom aus erneuerbaren Quellen durch Elektrolyse zu Wasserstoff oder weiter zu Methan verarbeitet Aumlhnlich wie bei der Nahrungsmittelproduktion wo Staumlrke schliesslich als raffinierter Zucker gespeichert wird gibt es auch bei der Stromspeicherung immer raffi-niertere Formen Bei jeder Umwandlung geht aber Energie verloren Man muss sich also gut uumlberlegen ob man uumlber-haupt speichern will und wenn ja uumlber welchen Zeitraum

Mit der wachsenden Integration von erneuerbaren Energi-en steigen auch die Anforderungen an die Energietechnik Unser kuumlnftiges Energiesystem wird staumlrker automatisiert und intelligenter sein Um erneuerbare Energiequellen zu integrieren werden Informations- und Kommunikations-technologien Automatisierungs- und Regelungstechnik Signalverarbeitung oder Wettervorhersagen immer wich-tiger In den intelligenten Stromnetzen der Zukunft wer-den alle beteiligten Komponenten Daten wie den aktuellen Verbrauch verfuumlgbare Strommengen oder lokale Aus-faumllle melden und gleichzeitig solche Daten aus anderen Netzkomponenten empfangen Das daraus resultierende Smart Grid ist ein Gefuumlge das selbststaumlndig auf diese Ein-fluumlsse reagiert und seine eigene Effizienz optimiert Es gilt Energie effizienter zu uumlbertragen um raumlumliche Distanzen zu uumlberwinden und neue Speichertechnologien zu entwi-ckeln um zeitliche Engpaumlsse zu uumlberbruumlcken Elektrische Energie kann auf verschiedene Arten erzeugt gespei-chert und uumlbertragen werden Jede Art hat ihre Vor- und Nachteile und ihren Preis Anreize aus der Politik werden schliesslich entscheiden welche Formen dies in der Zu-kunft sein werden

Auf der Verbraucherseite laumlsst sich die Nutzlast durch ge-eignetes Last-Management anpassen Diese Steuerung schaltet verbrauchsintensive Anlagen in Unternehmen gewerblichen Betrieben und Haushalten gezielt dann ein wenn die Stromtarife guumlnstig sind Es duumlrfte aber schwie-rig sein der Bevoumllkerung vorzuschreiben wann sie zum Beispiel fernsehen oder kochen darf Eine intelligente Re-gelung von grossen Kuumlhlhaumlusern stoumlrt dagegen nieman-den Trotz solchen Bestrebungen geht die International Energy Agency (IEA) davon aus dass der Stromverbrauch weltweit jaumlhrlich um rund 1 Prozent zunimmt Diese Ten-denz verstaumlrkt sich voraussichtlich noch falls sich der Bereich Mobilitaumlt von fossilen Energietraumlgern hin zur Elek-tromobilitaumlt verschieben wird Die Geschichte hat gezeigt dass der Energieverbrauch eigentlich nur in Krisenzeiten zuruumlckgeht

Klar ist jedenfalls dass der Ausbau von Speichern und Netzen Hand in Hand mit der zunehmenden Integration von erneuerbaren Energiequellen erfolgen muss Auf unter-schiedlichen Netzebenen kommen unterschiedliche Spei-chertechnologien zum Einsatz Waumlhrend fuumlr Haushalte mit kleinen Fotovoltaikanlagen und im Niederspannungsnetz bereits Batteriespeicher vorhanden sind stossen diese bei mehr als einer Windturbine oder groumlsseren Solarparks schnell an ihre Grenzen Das groumlsste Batterieenergie-speichersystem der Schweiz betreiben die Elektrizitaumlts-werke des Kantons Zuumlrich in Dietikon Es hat 1 Megawatt (MW) maximale Speicherleistung und kann diese waumlhrend ungefaumlhr 15 Minuten abgeben respektive speichern Die Spitzenlast im Schweizer Hochspannungsnetz liegt aber bei 8 GW im Sommer und 10 GW im Winter Die Schwei-zer Pumpspeicherkraftwerke koumlnnen unseren Strombe-darf nur etwa einen Monat lang decken Das europaumlische Hochspannungsnetz verfuumlgt uumlber eine Spitzenlast von circa 500 GW Um die Leistung von Grosskraftwerken wie Offshore-Windparks langfristig zu speichern braucht es neue Technologien

Raffinierte EnergiespeicherungDafuumlr forscht die ZHAW School of Engineering gemein-sam mit der ETH Zuumlrich der EPF Lausanne und dem Paul

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Hochschulperspektive

Dissonanz an der Steckdose

Mit der Energiestrategie 2050 haben Bundesrat und Parla-ment eine Kehrtwende in der Schweizer Energiepolitik ein-gelaumlutet der die wichtigsten politischen Huumlrden erst noch bevorstehen Auf den ersten Blick scheint der Kurswechsel breit abgestuumltzt Seit dem Reaktorunfall in Fukushima fuumlh-ren Umfragen immer wieder zum gleichen Ergebnis Der langfristige Ausstieg aus der Kernenergie findet eine Mehr-heit Im Grundsatz stossen erneuerbare Energien sowie Massnahmen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz auf hohe Zustimmung Was fuumlr den Stimmzettel gilt beeinflusst aber nicht automatisch das Konsum- und Investitionsverhalten der Energiekunden Die Bereitschaft aus eigenem Antrieb mehr fuumlr ein oumlkologisch houmlherwertiges Produkt aus neuen erneuerbaren Energietraumlgern zu bezahlen ist beschraumlnkt Nur wenige Haushalte sind zudem bereit ihren Energie- und insbesondere ihren Stromkonsum zu reduzieren wenn dies mit nicht amortisierbaren Investitionskosten oder einem moumlglichen Komfortverlust verbunden ist

Mit anderen Worten Effizienz wird als teuer und Suffizienz als bevormundend empfunden Die private Zahlungsbereit-schaft laumlsst sich zwar mit regulatorischen Interventionen wie fixen Einspeiseverguumltungen oder Investitionssubven-tionen in Effizienzmassnahmen etwas erhoumlhen Doch die Erfahrungen in Deutschland und der Schweiz zeigen dass solche Massnahmen oumlkonomisch ineffizient sind und oft als ungerecht empfunden werden Sie koumlnnen damit zum Bumerang fuumlr die Akzeptanz der energiepolitischen Ziele werden Neben den politischen Huumlrden ist somit auch die kognitive Huumlrde der Konsumenten zu beruumlcksichtigen De-ren Uumlberwindung bedarf zuerst einer differenzierten Analyse der Ursachen und danach der Entwicklung innovativer Ver-triebsmodelle und Produkte auf Versorgerseite

Eine Mehrheit der Bevoumllkerung unterstuumltzt den Ausstieg aus der Kernenergie doch nur wenige beziehen ein oumlkologisches Stromprodukt Warum das so ist und wie sich diese Dissonanz aufloumlsen laumlsst beschaumlftigt derzeit viele EnergieversorgerText Claudio Cometta

Indifferenz uumlberwiegtFuumlr viele Konsumenten ist die Strom- Gas- oder Fern-waumlrmerechnung ein verhaumlltnismaumlssig kleiner Posten im Haushaltsbudget dem wenig Beachtung geschenkt wird Die Schweiz ist sogar einer der Spitzenreiter in Europa machen die Stromkosten im Durchschnitt doch nicht mehr als 2 Prozent der Haushaltsausgaben aus Wenig Beachtung bedeutet auch wenig Kenntnis des Preises und der Menge der bezogenen Energieleistung oder der Zusammensetzung des Tarifs aus Energiekosten Netz-kosten und Abgaben Entsprechend besteht nur ein ge-ringes Interesse Energie und damit Kosten zu sparen Konsumentenbefragungen zeigen zudem dass nur eine kleine Minderheit der Kunden die Zusammensetzung ihres Stromprodukts nach Energietraumlgern kennt Die geringen Kosten und Unkenntnis des Produkts verhindern also die Wahl anderer Stromprodukte Strom ist ein klassisches Commodity-Produkt Man kann ihn weder sehen noch riechen Er ist verhaumlltnismaumlssig guumlnstig immer verfuumlgbar und aumlndert in keinerlei Hinsicht seine Eigenschaften wenn dafuumlr mehr bezahlt wird Zudem ist meist nicht sichtbar wer wie viel von welchem Produkt bezieht Der Strom-konsum ist Privatsache

Uumlberwindung durch VertriebsmodelleDie Vorgaben der Energiestrategie 2050 beinhalten nicht nur einen massiven Zubau der Produktionskapazitaumlt aus erneuerbaren Energietraumlgern sondern auch die kon-tinuierliche Reduktion des Energie- und insbesondere des Stromkonsums pro Kopf Die direkte Finanzierung der dazu notwendigen Investitionsvorhaben scheint an-gesichts der Indifferenz auf Konsumentenseite jedoch schwierig Aus diesem Grund sind mehrere Schweizer

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rund um Haushaltstechnik Sicherheit Pflege oder Kom-munikation sowie ein geschicktes Marketing mit Elemen-ten der sozialen Kontrolle Denkbar sind auch Anreize die keinen direkten Zusammenhang mit dem Energiekonsum aufweisen aber fuumlr breite Bevoumllkerungsgruppen attrak-tiv sind So haben etwa einzelne skandinavische Versor-ger damit begonnen energiesparendes Verhalten ihrer Kunden mit Verguumlnstigungen fuumlr die Nutzung oumlffentlicher Transportmittel zu belohnen

Uumlberwindung durch PartizipationDie wohl wirkungsvollste Massnahme zur Uumlberwindung der Dissonanz an der Steckdose ist bereits inhaumlrent in der Transformation des Energiesystems hin zu einer staumlrker dezentralen Erzeugung angelegt Kunden entwi-ckeln sich von passiven Leistungsempfaumlngern zu aktiven Leistungserbringern sogenannten Prosumern Als Klein-produzenten von Strom mit einer hauseigenen Fotovol-taikanlage oder thermischer Speicherleistung mit Kraft-Waumlrme-Kopplungsanlagen im Mikroformat werden sie mittelfristig wesentlich zum Umbau des Energiesystems und zu den Zielen der Energiestrategie beitragen koumlnnen Eine nicht ganz unbedeutende Rolle koumlnnten in Zukunft sogenannte Buumlrgerbeteiligungsmodelle fuumlr die Finanzie-rung neuer In frastrukturprojekte spielen Diese wuumlrden gleichzeitig die Akzeptanz sichtbarer Produktionsanlagen von neuen erneuerbaren Energien erhoumlhen Doch erst wenn das Produkt Strom nicht mehr als reines Commodity-Produkt wahrgenommen wird werden politische Meinung und Konsumverhalten bei einer Mehrheit der Stimmbuumlrger uumlbereinstimmen

Energieversoger in letzter Zeit dazu uumlbergegangen soge-nannte Default-Modelle einzufuumlhren die Stromprodukte aus erneuerbaren Quellen zum neuen Standard erheben Dabei macht man sich die Traumlgheit der Kunden zunutze indem die Wahl eines Stromprodukts aus nicht erneuer-baren Energietraumlgern als Option definiert wird die aktiv bestellt werden muss

Nicht zuletzt aufgrund solcher Modelle ist die Zahl der Schweizer Haushalte die ein Stromprodukt aus aus-schliesslich erneuerbaren Energien beziehen auf uumlber 25 Prozent gestiegen Doch weitere Vertriebsinnovationen werden notwendig sein etwa um der Herausforderung der Einspeisung von Strom aus fluktuierend nutzbaren Quellen (Solar- und Windenergie) in die Verteilnetze gewachsen zu sein die immer staumlrker ins Gewicht faumlllt In der Folge gilt es Investitionen in Netz- und Speichersysteme zu finan-zieren In innovativen Vertriebsmodellen welche dieser Herausforderung gerecht werden erhaumllt das Konsumver-halten einen Wert Zeitliche Flexibilitaumlt wird belohnt durch Tarifreduktion Bonus oder Vermeidung einer Gebuumlhr Wie diese beiden Beispiele zeigen laumlsst sich der Mehrwert von vermeintlichen Commodity-Produkten durch neue Vertriebsmodelle abschoumlpfen und als marktwirtschaftlich vertraumlglicher Finanzierungsmechanismus fuumlr neue Infra-strukturvorhaben im Energiesektor nutzen

Uumlberwindung durch innovative ProdukteNoch groumlsseres Potenzial birgt die Weiterentwicklung von Stromprodukten zu Leistungssystemen die fuumlr Energie-kunden einen echten Mehrwert bieten Hierzu gehoumlrt die Verknuumlpfung des Kernprodukts Strom mit Dienstleistun-gen die den Kunden ein transparenteres Verbrauchsver-halten sowie Kostenoptimierung ermoumlglichen Intelligente Stromzaumlhler sogenannte Smart Meter kombiniert mit fle-xiblen Tarifen und einem einfachen Feedback- und Steuer-system sind die Voraussetzung um zumindest oumlkologisch sensibilisierten oder kostenbewussten Endkunden einen Effizienzeffekt zu ermoumlglichen Damit solche Leistungs-systeme aber fuumlr die grosse Gruppe der Indifferenten interessant werden braucht es weitere Mehrwerte Dazu gehoumlren die Verknuumlpfung mit intelligenten Anwendungen

Claudio ComettaDr Claudio Cometta ist Dozent fuumlr Innovation und Entrepreneurship an der ZHAW School of Management and Law Er koordiniert den Aufbau des nationalen Energie-Kompetenz-zentrums SCCER 5 an der ZHAW

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Die Energiewende stellt die Energieversorgungsunternehmen in der Schweiz vor grosse Herausforderungen Das Beispiel von Stadtwerk Winterthur zeigt wie die Branche auf den Paradig-menwechsel reagiertText Florian Wehrli

Von den Anfaumlngen als laquoWinterthurer Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtungraquo vor uumlber 150 Jahren bis zum modernen Querverbundunternehmen hat sich Stadtwerk Winterthur kontinuierlich weiterentwickelt Seine Aufgabe ist aber gemaumlss Direktor Markus Saumlgesser weitgehend dieselbe geblieben die Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung zu verbes-sern So bietet das staumldtische Versorgungsunternehmen neben klassischen Produkten wie Wasser Strom Gas oder Kehrichtentsorgung und Abwasserreinigung heute auch Fernwaumlrme Haustechnik Glasfasernetz und Ener-gie-Contracting an Die Ausdehnung auf neue Geschaumlfts-bereiche will der Direktor aber nicht als Reaktion auf die Liberalisierung des Energiemarkts verstanden wissen laquoWir begegnen der Marktoumlffnung proaktiv und wollen die sich bietenden Chancen aktiv nutzenraquo

Lokales Potenzial ausgeschoumlpftIm liberalisierten Markt hat das staumldtische Versorgungs-unternehmen mit dem Monopol auf sein Energieversor-gungsnetz von gesamthaft mehr als 2 500 Kilometern einen Vorteil Dessen Unterhalt ist nach wie vor eine der Hauptaufgaben Im Gegensatz zu anderen Energieversor-gern betreibt Stadtwerk Winterthur naumlmlich einen verhaumllt-nismaumlssig geringen Anteil an eigenen Produktionsanlagen Das Flaggschiff ist die wohl modernste Kehrichtverwer-tungsanlage der Schweiz laquoMit dem Umbau konnten wir 2013 den Wirkungsgrad der Anlage um einen Drittel stei-gern und die Abluft gehoumlrt zu den saubersten weltweitraquo sagt Markus Saumlgesser Heute deckt die KVA 20 Prozent des Winterthurer Strom- und 12 Prozent des Waumlrmebe-darfs ab Auf solchen Lorbeeren ausruhen will sich Stadt-werk Winterthur aber nicht laquoWir wollen mithelfen eine nachhaltige Energiewirtschaft aufzubauenraquo Mittelfristig soll

die Haumllfte des Stromangebots aus erneuerbaren Quellen stammen laquoDas ist ein ehrgeiziges Zielraquo sagt Saumlgesser laquowir sind aber auf gutem Weg dazuraquo

Rund die Haumllfte des Rahmenkredits von 90 Millionen Franken fuumlr erneuerbaren Strom den das Winterthurer Stimmvolk 2012 bewilligt hat ist bereits investiert Im Bereich Fotovoltaik ist die Planung der groumlssten Anlagen abgeschlossen etwa auf den Daumlchern der Eishalle oder des Busdepots Eine aktuelle Windpotenzialstudie zeigt fuumlr Winterthur nur wenige moumlgliche Standorte auf zumal die Bewilligung solcher Anlagen mit grossem buumlrokratischem Aufwand verbunden sei Mit diversen Nahwaumlrmever-buumlnden nutzt Stadtwerk Winterthur auch Holzabfaumllle bereits sehr effizient Aber auch dieser Energietraumlger ist in Winterthur beschraumlnkt vorhanden Das letzte Projekt das Holz aus dem Winterthurer Stadtwald einsetzen wird ist in der Aufbauphase Studien im Bereich Wasserkraft haben gezeigt dass abgesehen von einem Kleinwasser-kraftwerk an der Toumlss in der Region kaum Potenzial vor-handen ist

Investitionen im AuslandlaquoDiese aufwendige Aufbauarbeit soll nicht zur Regel wer-denraquo sagt Markus Saumlgesser laquoDas limitierte Energiepoten-zial in der Schweiz und die beschwerlichen Instanzenwe-ge fuumlr Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie lassen uns deshalb vermehrt im Ausland investierenraquo 2012 be-teiligte sich das Stadtwerk mit 12 Millionen Franken am Kleinkraftwerk Birseck AG das Kleinwasserkraftwerke und Foto voltaikanlagen in der Schweiz und in Frankreich be-treibt 2013 folgte eine Beteiligung in der Houmlhe von 25 Mil-lionen Franken an der Swisspower Renewables AG die in

Vom Versorger zum Dienstleister

Unternehmensperspektive

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sein glaubt er aber nicht daran dass der Stromverbrauch insgesamt zuruumlckgehen wird laquoDafuumlr ist der Marktpreis zu niedrig Aus serdem wird Strom im Bereich Waumlrme und Mobilitaumlt einen Grossteil der fossilen Energietraumlger ersetzen muumlssenraquo Damit der geplante Verbrauchsruumlck-gang dennoch gelingt will der Bund Anreize schaffen Mit sogenannten weissen Zertifikaten will er die Versor-ger be lohnen wenn sie ihre Kunden zu einem geringeren Energie verbrauch bewegen In Grossbritannien Italien und Frankreich sind solche Modelle bereits im Einsatz Markus Saumlgesser sieht dieser Entwicklung mit gemischten Gefuumlh-len entgegen laquoWir haben bereits vor der Reaktorkatastro-phe in Fukushima auf Energieeffizienz gesetzt und konn-ten uns dadurch profilieren Weil die Politik nun eingreift und den Markt uumlbersteuert bleibt uns als Unternehmen weniger Spielraum um uns zu positionierenraquo

Windkraftanlagen im angrenzenden Ausland investiert Fuumlr die Beschaffung von Strom am freien Markt ist das Stadtwerk eine Zusammenarbeit mit der Trianel GmbH in Aachen ndash einer der fuumlhrenden Stadtwerke-Kooperationen in Europa ndash eingegangen Damit sollen insbesondere der Zugang zum Grosshandelsmarkt sowie die Marktfor-schung sichergestellt werden Denn um Kunden nachhal-tige Energieprodukte verkaufen zu koumlnnen muss man ihre Beduumlrfnisse genau kennen

Anreize fuumlr geringeren VerbrauchDie Strategie scheint aufzugehen laquoSeit der Einfuumlhrung der neuen Stromprodukte Anfang 2013 haben wir den Absatz von erneuerbarer Energie in Winterthur verdop-pelt und denjenigen von Oumlkostrom sogar vervierfachtraquo so Saumlgesser Trotz dem steigenden oumlkologischen Bewusst-

Gemaumlss seinem Leitbild soll Stadtwerk Winterthur mit einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der soziashylen Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Bild Michael Lio

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Ausgliederung aus der StadtverwaltungAuch auf kommunaler Ebene ist Stadtwerk Winterthur von den politischen Rahmenbedingungen abhaumlngig ndash mit allen Vor- und Nachteilen Die politischen Kurswechsel in den vorgesetzten Gremien seien hinderlich bei der Umsetzung der Strategie des Unternehmens laquoWir taumltigen Investitio-nen mit einem Planungshorizont von mehreren Jahrzehn-tenraquo sagt Markus Saumlgesser laquoin der Politik wird dagegen in Amtsperioden von vier Jahren gedachtraquo Es gibt deshalb Bestrebungen das Stadtwerk aus der Stadtverwaltung auszugliedern und einem langfristig operierenden Steue-rungsgremium zu unterstellen Bei der Stimmbevoumllkerung geniesst Stadtwerk Winterthur grossen Ruumlckhalt Alleine in den letzten zwei Jahren wurden vier Abstimmungsvor-lagen mit grossem Mehr angenommen darunter Rah-menkredite fuumlr das Energie-Contracting oder erneuerbare Energien laquoEine bessere Legitimation koumlnnen wir uns gar nicht wuumlnschenraquo sagt Markus Saumlgesser

Neue BetriebskulturStrategisch und energiepolitisch werden Dienstleistungen wie das Energie-Contracting fuumlr Stadtwerk Winterthur immer wichtiger laquoWir wollen unserer Kundschaft Waumlr-me oder Kaumllte gleich komfortabel anbieten koumlnnen wie Stromraquo sagt Markus Saumlgesser laquoImmobilienbesitzerinnen und -besitzer sollen sich nicht mehr um den Fuumlllstand ih-res Oumlltanks oder den Termin fuumlr den Kaminfeger kuumlmmern muumlssenraquo Das Energie-Contracting waumlchst stark und macht heute bereits rund 5 Prozent des Umsatzes von Stadtwerk Winterthur aus

Die neuen Geschaumlftsfelder ziehen auch andere Arbeits-kraumlfte an als bisher Verschiedene Betriebskulturen seien in den vergangenen Jahren teilweise parallel gelaufen be-ginnen nun aber langsam zu verschmelzen Ein Beispiel dafuumlr ist die Verknuumlpfung von Smart Metering und dem traditionellen Verteilnetz Elektrizitaumlt Als Voraussetzung fuumlr das Change-Management in der Betriebskultur habe man alle Mitarbeitenden in die Erarbeitung des Unterneh-mensleitbildes involviert Entstanden ist ein Leitbild das Stadtwerk Winterthur dabei unterstuumltzt die Unterneh-mensstrategie umzusetzen Stadtwerk Winterthur soll mit

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

Markus SaumlgesserMarkus Saumlgesser (52) ist diplomierter Ma-schineningenieur ETH und hat ein Nachdi-plomstudium in technischen Betriebswissen-schaften absolviert Seit Anfang 2011 ist er Direktor von Stadtwerk Winterthur Seine bisherige berufliche Taumltigkeit fuumlhrte Markus Saumlgesser nach zwei Jahren Assistenz an der ETH zu einem Ingenieurbuumlro fuumlr Ener-gie- und Haustechnik Waumlhrend dieser rund sechsjaumlhrigen Zeit war er bei anspruchsvol-len Bauprojekten verantwortlich fuumlr die Konzeption und Koordination der technischen Gebaumludeausruumlstung Zudem war er waumlhrend vier Jahren Mitglied der Geschaumlftsleitung Nach zweijaumlhriger Taumltigkeit als Abteilungsleiter in einer groumlsseren Gemeinde wechselte er zum Elek-trizitaumltswerk der Stadt Zuumlrich (EWZ) bei dem er die Abteilung Vertrieb Grosskunden leitete Daneben war Markus Saumlgesser beim EWZ in verschiedene Innovationsprojekte involviert So zeichnete er fuumlr das Projekt laquoStromzukunft Stadt Zuumlrichraquo verantwortlich das wichtige Grundlagen fuumlr die Strategie des EWZ und die Volksabstimmung zur 2000-Watt-Gesellschaft in der Stadt Zuumlrich beisteuerte

Stadtwerk Winterthur in Zahlen (2013)Mitarbeitende 347Nettoinvestitionen 1198 Mio CHFDurchgeleitete Strommenge 5643 Mio kWhUmsatz Strom 93 Mio CHFDurchgeleitete Gasmenge 5295 Mio kWhUmsatz Gas 411 Mio CHFUnternehmensgewinn 109 Mio CHF

einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der sozia-len Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Wann wurden in Winterthur die ersten Strassenlampen mithilfe von Stein-kohle erleuchtet

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Unternehmensperspektive

ckelte Hochspannungsgleichstromschalter sollen zudem sicherstellen dass etwa ein Kurzschluss durch eine hy-perschnelle Abschaltung isoliert und das Netz somit nicht gefaumlhrdet wird Von 14 solchen Schaltsystemen welt-weit stammen 13 von ABB Die hohen Investitionen fuumlr die armdicken Gleichstromkabel rechnen sich da beim Transport viel weniger Strom verloren geht als bei der tradi tionellen Wechselstromtechnik Die Produktelinie ent-wickelt sich zum Renner Sie wird zur Anbindung von So-lar- und Windparks zur Versorgung von Inseln als Ersatz fuumlr Diesel generatoren auf Oumll- und Gasplattformen auf See eingesetzt Oder um Starkstrom vom Festland zu auf dem Meeresboden platzierten ferngesteuerten Foumlrderanlagen fuumlr Gas und Oumll zu leiten ndash wofuumlr ABB auch wartungsfreie Kompressoren liefert damit Kunden wie Statoil und Pet-robras teure Ausfaumllle erspart bleiben

Komplettloumlsungen aus einer HandDank hohem Innovationstempo sind die Divisionen Ener-gietechnik- und Niederspannungsprodukte gut ausgelas-tet Dies gilt ebenso fuumlr die Divisionen Industrie- und Pro-zessautomation Speziell energieintensive Industrien die unter hohem Kostendruck stehen muumlssen ihre Anlagen auf dem neusten Stand halten Dazu zaumlhlen Bergbau Oumll- und Gasindustrie Zellstoff- Papier- und Zementfabriken Chemie- und Pharmafirmen sowie Raffinerien Gefragt sind auch Industrieroboter und schwenkbare dank ABB-Leistungselektronik stufenlos regulierbare Schiffsantrie-be ABB liefert Grosskunden fertige Loumlsungen die hohe Produktivitaumlt und Energieeffizienz gewaumlhrleisten Alles ist aufeinander abgestimmt von der Elektrik uumlber Antriebe Generatoren Roboter Sensoren und Steuerungen bis hin

Zu Beginn des Jahrtausends stand ABB am Abgrund Doch eine neue Fuumlhrungscrew fuumlhrte das Unternehmen aus der Krise sodass die Schweiz inzwischen wieder stolz sein kann auf ihren Industriemulti mit Sitz in Zuumlrich Oerli-kon 2013 erzielte ABB mit rund 148 000 Mitarbeitenden in 100 Laumlndern 42 Milliarden Dollar Umsatz Die renom-mierte US-Universitaumlt MIT zaumlhlt ABB zu den 50 innova-tivsten Unternehmen weltweit Dank 8 000 Ingenieuren in Forschung und Entwicklung und einem Forschungsetat von 15 Milliarden Dollar kann ABB selbst mit Giganten wie Siemens und General Electric mithalten

Innovationen die Technikfans begeisternWas ABB alles macht wissen wohl nur Technikfans Denn der Konzern hat uumlber 70 000 Produkte im Angebot Die 300 ABB-Fabriken liefern taumlglich 15 Millionen Kompo-nenten aus die zu elektrischen Einrichtungen oder in Pro-duktionssteuerungen verbaut werden Aus Kanada etwa kam juumlngst ein Grossauftrag uumlber 400 Millionen Dollar Erneuerbare Energie die auf Neufundland und Labrador gewonnen wird soll ab 2017 via Hochspannungskabel 360 Kilometer nach Westen fliessen um dort 350 000 Haumluser zu versorgen Weltweit gibt es erst 90 solche Gleichstromkabelverbindungen die meist unter der Erde oder auf dem Meeresgrund verlaufen ABB ist mit rund 50 Prozent Anteil Marktfuumlhrer Die futuristisch anmuten-de Technik in den abgeschirmten Hallen wo der Strom vor dem Transport auf Hochspannung transformiert wird erinnert an den Maschinenraum von Raumschiff Enter-prise Ein wichtiges Steuerungselement bilden dabei in Baden Daumlttwil entwickelte und in Lenzburg produzierte Spezialchips die Houmlchstspannung aushalten Neu entwi-

Der schweizerisch-schwedische Technikkonzern treibt an vor-derster Front die Energiewende voran Dafuumlr forscht man bei ABB intensiv zu erneuerbaren Energien schlauen Stromnetzen sowie hocheffizienten Industrieanlagen Einzig die schwache Nachfrage nach Energieanlagen in Europa bremst die ExpansionText Andreas Fluumltsch

Innovativer Treiber der Energiewende

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uumlber weite Strecken in die Ballungsraumlume geleitet werden muss brummt das Geschaumlft In den USA treibt der Oumll- und Gasboom die Nachfrage Nur in Europa harzt das Geschaumlft mit Grossanlagen Weniger Nachfrage belastet die Margen bei Auftraumlgen fuumlr Wind- und Solarfarmen so-wie fuumlr Netzinfrastruktur Die Risiken der oft mehrjaumlhrigen Projekte sind so hoch dass ABB waumlhlerischer sein muss und etwa das Geschaumlft mit Solarloumlsungen zurzeit auf Sparflamme betreibt Dennoch ist ABB immer noch hoch-profitabel nicht zuletzt da die Kosten Jahr fuumlr Jahr um 3 bis 5 Prozent gesenkt werden Aber der erfolgsgewohnte Konzern musste sich 2013 mit 6 Prozent Umsatzplus zu-friedengeben Umso intensiver treibt der neue ABB-Chef Ulrich Spiesshofer die Integration der vorab in den USA fuumlr 10 Milliarden Dollar getaumltigten Zukaumlufe voran Und Spiess-hofer forciert die Zusammenarbeit der Divisionen damit ABB die Unternehmensvision laquoEnergie und Produktivitaumlt fuumlr eine bessere Weltraquo mit moumlglichst vielen eigenen Pro-dukten realisieren kann

zur Leittechnik samt angepasster Software Kleine und mittlere Kunden ordern Komponenten oder Teilsysteme Ein wichtiges Verkaufsargument ist das Sparpotenzial von stufenlos steuerbaren Elektromotoren Nur einer von fuumlnf Motoren hat laut einer Erhebung des Bundes einen Leis-tungsregler der Rest laumluft auf Hochtouren und wird ndash man glaubt es kaum ndash bei Bedarf mit Klappen oder Ventilen mechanisch abgebremst Eine gigantische Verschwen-dung da Industriemotoren laut einer Studie der Schwei-zerischen Agentur fuumlr Energieeffizienz 27 Prozent des Schweizer Stromverbrauchs ausmachen

Europaumlische ZuruumlckhaltungEigentlich muumlsste die Division Energietechniksysteme ebenfalls ausgelastet sein Denn auch die Stromwirtschaft muss ihre Effizienz steigern Schliesslich erfordert die Energiewende einen Totalumbau der auf Verteilung ausge-richteten Netze damit diese unter der Last von Solar- und Windenergie nicht instabil werden Arbeit in Huumllle und Fuumllle fuumlr ABB sollte man meinen Doch der erst zaghafte Auf-schwung in Europa daumlmpft die Nachfrage Erschwerend kommt hinzu dass subventionierte Wind- und Solarener-gie in Europas liberalisiertem Strommarkt den Strompreis in ungeahnte Tiefen druumlckte Die Konkurrenzfaumlhigkeit von Wasser- Gas- und Atomkraftwerken hat gelitten Pump-speicher sind keine Goldesel mehr seit die erneuerbaren Energien die Preisspitzen brechen Entsprechend schie-ben Stromkonzerne wie Alpiq oder RWE Investitionen auf Unsicherheiten rund um den Atomausstieg belasten zu-saumltzlich Die voraussichtlich noch auf Jahre hinaus tiefen Strompreise schmaumllern auch die Faumlhigkeit der Besitzer von Hochspannungs- und Verteilnetzen deren Umruumlstung zu finanzieren hoch verschuldete EU-Staaten fahren die Foumlrderung von Wind- und Solarenergie zuruumlck

Straffe KostenkontrolleABB bekommt den Investitionsstau empfindlich zu spuuml-ren Die Division Energietechniksysteme schreibt seit eini-ger Zeit rote Zahlen Zwar ordern Grosskunden aus Asien und Lateinamerika weiterhin kraumlftig Neben China inves-tiert vermehrt auch Indien in neue Stromnetze Uumlberall dort wo die Bevoumllkerung rasch waumlchst oder der Strom

Andreas FluumltschAndreas Fluumltsch war urspruumlnglich Jurist und arbeitete ab 1983 als Journalist fuumlr laquoBlickraquo laquoWeltwocheraquo laquoBilanzraquo und laquoCashraquo Zwischen 1989 und 1990 war er Mitglied der Geschaumlftsleitung von Greenpeace Schweiz anschliessend Hausmann Nach der Ruumlck-kehr in den Journalismus 1992 arbeitete er bei laquoBlickraquo laquoSonntagszeitungraquo und laquoTages- Anzeigerraquo und absolvierte eine Ausbildung zum Boumlrsenhaumlndler Nach der Fruumlhpensio-nierung Ende 2013 machte er sich als Publi-zist selbststaumlndig

ABB in Zahlen (2013)Betriebsertrag 41 848 Mio USDBetriebsergebnis 4 387 Mio USDndash Industrieautomation 1 458 Mio USDndash Niederspannung 1 092 Mio USDndash Prozessautomation 990 Mio USDndash Energietechnik 1 331 Mio USDndash Energiesysteme 171 Mio USD

Mitarbeitende 147 700ndash davon in der Schweiz 6 966

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Hohe Nachfrage nach MinergieDer Erfolg der bisherigen Sparbemuumlhungen bleibt nicht aus laquoTrotz zunehmender Pro-Kopf-Wohnflaumlche und stei-gendem Komfort sinkt der Energieverbrauch fuumlrs Heizen in den letzten Jahrzehnten stetigraquo verkuumlndet der Zuumlrcher Regierungsrat im Energieplanungsbericht 2014 Dazu tra-gen nicht nur die laufend verschaumlrften Gesetze bei Ebenso wichtig ist die Bereitschaft von Bautraumlgerschaften freiwillig Uumlberdurchschnittliches zu leisten Vor allem die Minergie-Regeln werden inzwischen gerne befolgt weshalb Haumluser mit halbiertem Energieverbrauch beinahe Standard sind Schweizweit traumlgt eines von zehn neuen Wohnhaumlusern ein Minergie-Zertifikat Der Anteil an Minergie-Haumlusern im Grossraum Zuumlrich liegt gemaumlss einer Marktanalyse der Universitaumlt Zuumlrich bereits nahe bei 20 Prozent Dies ist privaten Hauseigentuumlmern und institutionellen Investoren zu verdanken Wohn- und Geschaumlftshaumluser mit houmlchster Energieeffizienz gehoumlren inzwischen zum guten Ton Den juumlngsten Beweis liefert eine Immobilienstiftung der Credit Suisse die 70 Millionen Franken in die groumlsste Oumlkosied-lung der Schweiz investiert Im Aargauer Reusstal wohnen seit diesem Jahr rund 200 Familien Paare und Singles deren Wohnhaumluser sich weitgehend selbst mit Sonnen-energie versorgen So klimafreundlich die Energiewende-Architektur ist der Investor erwartet dennoch marktuumlb-liche Renditen Ist der Markt aber bereit oumlkologisches Engagement angemessen zu honorieren

Marktpotenzial fruumlhzeitig erkanntDie Zuumlrcher Kantonalbank (ZKB) beziffert den Mehrwert von Minergie-Haumlusern auf 7 Prozent Kaumlufer seien bereit diesen Aufpreis fuumlr mehr Energieeffizienz zu bezahlen Als weitere Nebeneffekte nennt der vor drei Jahren publizierte ZKB-Bericht eine hochwertige dauerhafte Bausubstanz sowie die Absicherung gegen steigende Oumll- und Energie-preise Fachleute des Immobilienberatungsunternehmens Wuumlest amp Partner (WampP) warnen indes dass sich zusaumltz-liche Investitionen in die Energieeffizienz nicht uumlberall loh-nen laquoRegional schwankt die Zahlungsbereitschaft des Immobilienmarktsraquo praumlzisiert WampP-Partner Ivan Anton Minergie-Haumluser koumlnnen aber nicht nur in abgelegenen Regionen ein Marktrisiko werden laquoMit Ausnahme der

Beim Autokauf wird bevorzugt auf Pferdestaumlrken Be-schleunigung und Innenausstattung geachtet Der CO2-Ausstoss interessiert hingegen kaum So kommt die Energieeffizienz im Strassenverkehr nur stockend voran 1995 schluckten alle neu immatrikulierten Personen-wagen durchschnittlich 9 Liter Benzin pro 100 Kilometer 20 Jahre spaumlter liegt der Durchschnittsverbrauch gemaumlss Bundesamt fuumlr Energie (BFE) immer noch uumlber 6 Litern Das viel gepriesene laquoDrei-Liter-Autoraquo haben alle Hersteller wieder aus der Modellpalette genommen

Demgegenuumlber gelingen dem oft traumlge genannten Ge-baumludebereich weitaus groumlssere Effizienzspruumlnge Ver-brauchen 40 Jahre alte Haumluser im Schnitt 220 Kilowatt-stunden (kWh) Heizenergie pro Quadratmeter Wohnflaumlche und Jahr sind die aktuellen Werte unter die 50er-Marke gesunken Zusaumltzliche Sparerfolge sind nur eine Frage der Zeit Im Fruumlhsommer haben die kantonalen Energie-direktoren uumlber ein Rahmenabkommen beraten das Null-energieneubauten demnaumlchst zum Standard machen soll Wie die nationale Energiewende zu erreichen ist erklaumlrt Christoph Gmuumlr von der Abteilung Energie des Kantons Zuumlrich laquoDer spezifische Verbrauchswert ist zudem auf 35 kWh pro Quadratmeter zu senkenraquo Gebaumlude die sich mit umweltfreundlicher Energie selbst versorgen wollen auch die EU-Staaten Ab 2020 wird ein Gebaumludestandard eingefuumlhrt der nur noch laquoNiedrigstenergiegebaumluderaquo mit sehr hoher Energieeffizienz als Neubauten vorsieht

Energiesparhaumluser waren vor 30 Jahren Exoten inzwischen nimmt der Bereich der energie-effizienten Gebaumlude eine Vor-bildrolle fuumlr die Energie wende ein Bauherren profitieren davon ebenso wie die Zuliefer-branche Text Paul Knuumlsel

Expertensicht

Haumluser in der ersten Reihe

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der Bau von Niedrigenergiehaumlusern und alternativen Hei-zungsanlagen sowie energetische Gebaumludesanierungen Investitionen im Umfang von rund 4 Milliarden Franken ausgeloumlst rechnet der Bund vor laquoEin Fuumlnftel insgesamt 860 Millionen Franken stammt aus den oumlffentlichen Kas-senraquo verweist die BFE-Stelle EnergieSchweiz auf die Im-pulse der kantonalen Foumlrderprogramme Einen Wermuts-tropfen besitzt diese Wirkungsbilanz Fruumlhere Analysen der Energiesparprogramme zeigen naumlmlich dass zwi-schen einem Drittel und der Haumllfte der energetisch vorbild-lichen Gebaumlude auch ohne staatliche Foumlrderung realisiert worden waumlren Dem Mitnahmeeffekt ist auch die Eidge-noumlssische Steuerverwaltung auf der Spur Sie schaumltzt dass Bund und Kantonen jaumlhrlich 14 Milliarden Franken entgehen weil energetische Gebaumludesanierungen bei der Liegenschaftssteuer abzugsberechtigt sind Die Energie-wende erfordert nicht nur mehr Effizienz bei den Anwen-dungen sondern auch einen effizienten Einsatz staatlicher Mittel Im Energieplanungsbericht 2013 hat der Zuumlrcher Regierungsrat erstmals uumlber alternative Anreizsysteme nachgedacht Demnach soll eine Lenkungsabgabe den Energiekonsum reduzieren und das bisherige Foumlrdersys-tem abloumlsen Aumlhnliche Plaumlne verfolgt der Bund Denn ein Lenkungssystem duumlrfte weitere Sparbemuumlhungen im Ge-baumludebereich aber auch im Strassenverkehr foumlrdern Ins-besondere dann wenn Heizoumll und Benzin im Gleichschritt teurer werden

begehrten Wohnlagen haben Hauseigentuumlmer an vielen Orten mit moumlglichen Verkaufsverlusten zu rechnenraquo so Anton Zwar sei die Nachfrage bei Eigentuumlmern und Mie-tern aumlhnlich gross Aber auch Mieter wuumlrden nicht uumlberall mehr fuumlr eine energieeffiziente Wohnung bezahlen Kaum uumlberraschen darf daher dass Immobilieninvestoren immer haumlufiger die steigenden Energieanforderungen kritisieren und kostenguumlnstigere Baustandards vorziehen Fuumlr WampP-Berater Urs Hausmann ist laquonachhaltiges Bauen trotzdem keine Frage von Luxus oder Wohlstand sondern eine wie man mit Ressourcen umgehen willraquo Dass ein hohes Um-weltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauen Der Run auf den oumlkologischen Baustoff Holz laumlsst zum Beispiel eine gesamte Wertschoumlpfungskette und viele

innovative Unternehmen profitieren Forstbetriebe Sauml-gereien Fensterbauer Daumlmmstoffhersteller und andere Bauzulieferer vergroumlssern ihre Produktionskapazitaumlten und stellen zusaumltzliches Personal ein laquoDie Umsaumltze im Schweizer Holzbau sind in den letzten Jahren um mehrere Hundert Millionen Franken gestiegen und die Trendkurve zeigt weiter nach obenraquo freut sich Christoph Starck Di-rektor des Holzbaudachverbands Lignum

Einheimische Zulieferer als GewinnerAuch im Verein Minergie ist man sich bewusst dass sich energieeffizientes Bauen wirtschaftlich positiv auswirkt In den letzten 15 Jahren sind 25 000 Wohnhaumluser Buumlro-komplexe Schulbauten Sport- und Industriehallen mit Niedrig energiezertifikat entstanden Gemeinsam sparen sie 15 Milliarden Kilowattstunden Energie laquoUumlber 2 Milliar-den Franken wurden zusaumltzlich investiertraquo rechnet Miner-gie-Sprecher Antonio Milelli vor Anstatt fossile Brennstoffe einzukaufen wird mehr Geld fuumlr Daumlmmstoffe Isolierfenster Luumlftungsanlagen und Sonnenkollektoren aus inlaumlndischer Fabrikation ausgegeben Zwischen 2001 und 2012 haben

Paul KnuumlselPaul Knuumlsel studierte Umweltnaturwissen-schaften an der ETH Zuumlrich Er ist unabhaumln-giger Wissenschaftsjournalist und schreibt seit Jahren in Publikums- und Fachmedien uumlber die vielfaumlltigen Aspekte des nachhalti-gen Bauens Zusaumltzlich betreut er in der Re-daktion des laquoTEC21raquo das Ressort laquoEnergie und Umweltraquo

laquoDass ein hohes Umweltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren

derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauenraquo

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Der Wasserkraft Sorge tragen

Welchen Beitrag kann die Wasserwirtschaft zur Energie-wende leisten Roger Pfammatter Die Wasserkraft ist der energie-politische Trumpf der Schweiz Wir befinden uns in der gluumlcklichen Lage uumlber grosse Mengen Wasser und das notwendige Gefaumllle zu verfuumlgen ndash das sind die beiden wichtigsten Voraussetzungen fuumlr die hydroelektrische Produktion Und wir haben in den vergangenen 100 Jah-ren gelernt dieses Potenzial effizient und moumlglichst um-weltschonend zu nutzen Die Wasserkraft ist der Schluumls-sel fuumlr eine nachhaltige Energieversorgung technisch ausgereift politisch erwuumlnscht einheimisch erneuerbar und CO2-frei

Wie viel mehr ist moumlglichHeute leistet die Wasserkraft nicht nur rund 60 Prozent der Stromproduktion in der Schweiz sondern bietet auch unverzichtbare Regel- und Systemdienstleistungen die markant an Bedeutung gewinnen werden Vor allem bei der Flexibilisierung der Wasserkraft durch mehr Leistung und Speichervolumen waumlre noch einiges moumlglich Um die Aufgaben weiterhin zu gewaumlhrleisten muumlssen wir aber primaumlr dem Bestehenden Sorge tragen

Die Energiestrategie des Bundes gibt aber klare Ausbau-ziele vor Bis 2035 soll die Stromproduktion aus Wasser-kraft um 10 Prozent steigenUnter den momentanen Rahmenbedingungen ist dieses Ausbauziel nicht realistisch Im Gegenteil Aufgrund der Restwasserbestimmungen wird die Produktion in den naumlchsten Jahren vermutlich sogar zuruumlckgehen

Die Wasserkraft ist der wichtigste Pfeiler der Schweizer Ener-giewirtschaft ihr Potenzial ist aber weitgehend ausgeschoumlpft Roger Pfammatter Geschaumlftsfuumlhrer des Wasserwirtschaftsver-bands gibt im Interview Auskunft uumlber die Lage der Branche und ihre Bedeutung fuumlr die EnergiezukunftInterview Florian Wehrli

Expertensicht

Was muss sich aumlndern damit die vorgegebenen Ziele um-gesetzt werden koumlnnenZum einen braucht es dafuumlr die Akzeptanz der Umweltver-baumlnde der Fischer und letztlich der gesamten Bevoumllkerung Zum anderen muumlssen laumlngerfristig die extremen Marktver-zerrungen abgebaut werden damit sich auch Investitionen in die nicht gefoumlrderte Wasserkraft wieder lohnen Heute wird nur noch in subventionierte Anlagen investiert

Wer ist hier in der PflichtHier ist die Politik gefordert die Rahmenbedingungen zu verbessern Denn ohne die Wasserkraft kann die Energie-wende nicht gelingen

Anfang Jahr wurde der Wasserwirtschaftsverband von den zustaumlndigen Kommissionen angehoumlrt Welche Forderun-gen hat die Branche an das ParlamentWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerba-re Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichten die bereits bis zur Haumllfte der Geste-hungskosten ausmachen Damit sind wir doppelt diskrimi-niert Die Wasserkraft ist extrem unter Preisdruck ndash und dies obwohl sie mit Gestehungskosten zwischen 3 und 10 Rappen pro Kilowattstunde die effizienteste Strompro-duktionstechnologie ist Nur zum Vergleich Fotovoltaik -anlagen werden heute mit rund 40 Rappen subventioniert

Bis 2011 liess sich mit der Grosswasserkraft noch viel Geld verdienen Wurden zu wenige Ruumlcklagen fuumlr schlechte Zei-ten gebildet

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Es kann nicht der Sinn sein Ruumlcklagen fuumlr Zeiten zu bil-den in denen die Marktpreise die Gestehungskosten nicht mehr decken Das waumlre wie wenn ein Baumlcker auf jedem Gipfeli einige Rappen zuruumlckbehalten muumlsste damit er sie am naumlchsten Tag gratis abgeben kann Mit dem durch Subventionen verzerrten Marktpreis von 4 bis 5 Rappen pro Kilowattstunde ist unter den konventionellen Energie-traumlgern praktisch nur Kohle konkurrenzfaumlhig Das ist be-stimmt nicht im Sinn der Energiewende

Drei Grosswasserkraftprojekte sind heute bereits im Bau Koumlnnen die enormen Kosten uumlberhaupt amortisiert wer-denPrognosen sind schwierig An der europaumlischen Strom-boumlrse (EEX) werden bis 2020 Strompreise zwischen 45 und 53 Rappen pro Kilowattstunde gehandelt Der Markt glaubt also nicht an eine baldige Erholung Dafuumlr muumlsste das Uumlberangebot in Europa zuruumlckgehen etwa uumlber die Anhebung des CO2-Preises von heute 5 auf mindestens 30 Euro pro Tonne Politisch ist das aber kaum durchsetz-bar Neue Pumpspeicherwerke werden sich deshalb wohl erst in mehreren Jahrzehnten lohnen

Was kann die Kleinwasserkraft leistenOhne die kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) wuumlr-de niemand Kleinwasserkraftanlagen bauen genauso we-nig wie Fotovoltaik- Wind- oder Biomasseanlagen Zurzeit gibt es aber allein bei der Kleinwasserkraft rund 1 000 An-meldungen fuumlr Foumlrderbeitraumlge mit einem bescheidenen Ge-samtpotenzial von 33 Terawattstunden pro Jahr Die oumlko-logischen Auswirkungen sind im Vergleich zum Ertrag zu gross Obwohl wir von marktverzerrenden Foumlrderprogram-men wegkommen sollten waumlre es in einer Uumlbergangs phase sinnvoll die KEV-Obergrenze von 10 Mega watt aufzuheben und dort zu foumlrdern wo es wirklich etwas bringt

Wie soll die Grosswasserkraft unterstuumltzt werdenDas Sinnvollste waumlre die Abkehr von der Subventions-maschinerie ndash und zwar auf europaumlischer Ebene Dann wuumlrde sich die Wasserkraft als effiziente erneuerbare Stromproduktionsform mit Sicherheit durchsetzen Min-destens als Uumlbergangsloumlsung waumlre aber die Entlastung

von Abgaben in erster Linie vom Wasserzins dringend Der maximale Wasserzins wurde in den letzten vier Jahren um 38 Prozent erhoumlht und wird naumlchstes Jahr um weite-re 10 Prozent angehoben Diese Erhoumlhung wurde 2008 beschlossen und steht heute in keinerlei Bezug mehr zur Ertrags lage Kurzfristig koumlnnten die Kantone auf einen Teil dieser Zinsen verzichten ndash das waumlre ein wichtiges politi-sches Zeichen Langfristig muss ein neuer Modus fuumlr die Zinsberechnung gefunden werden der die Ertragslage der Wasserkraft mitberuumlcksichtigt Das ist auch im Interesse von Bund Kantonen und Gemeinden schliesslich ist die Wasserkraft zu 85 Prozent in oumlffentlicher Hand Ebenfalls als Uumlbergangsloumlsung bis zu besseren Marktpreisen waumlren zinsguumlnstige Darlehen fuumlr die noumltigen Investitionen in die Grosswasserkraft denkbar Ohne mindestens eine dieser Massnahmen kann die Wasserwirtschaft das geforderte Ausbauziel nicht erreichen

Bis dahin gibt es noch eine weitere Huumlrde den Heimfall der Stauanlagen an die Standortgemeinden Welchen Ein-fluss hat dieser UmstandWenn die Konzessionen nach 80 oder 100 Jahren aus-laufen muss der Betreiber der Gemeinde eine Entschaumldi-gung fuumlr den Restwert der Anlagen entrichten Im Fall der Staumauer Barberine bezahlen die SBB und Alpiq 2017 an sechs Walliser Gemeinden 343 Millionen Franken Das 400-Seelen-Dorf Finhaut erhaumllt alleine 112 Millionen Fran-ken und weiss kaum wohin mit dem Geld Der gesamte Wert des Heimfalls der Anlagen bewegt sich schweizweit im Milliardenbereich Der Houmlhepunkt des Heimfalls wird um 2035 erreicht werden Bis zu diesem Zeitpunkt soll aber auch ein Grossteil der geforderten Produktionsstei-gerung umgesetzt werden

Bei der Stromproduktion ist ein Ausbau von uumlber 10 Pro-zent wohl nicht realistisch Wie sieht es bei der Speicher-leistung aus Hier muss man unterscheiden zwischen kurzfristiger und saisonaler Speicherung Fuumlr die saisonale Speicherung verfuumlgt die Schweiz mit 200 Speicherseen uumlber ein Vo-lumen von rund 9 000 Gigawattstunden (GWh) die jedes Jahr vom Sommer in den Winter umgelagert werden Dies

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Expertensicht

entspricht einem Viertel der jaumlhrlichen Produktion aus Wasserkraft Das Ausbaupotenzial durch die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren betraumlgt rund 2 000 GWh Falls der Ausbau aber nicht gelingt entsteht im Winter durch den Ausfall der Kernenergie eine immer groumlssere Luumlcke an Bandenergie die durch den Import von Atom- oder Kohlestrom gedeckt werden muss

Wie sieht es beim Ausbau der Pumpleistung zum kurzfris-tigen Ausgleich von Schwankungen im Netz ausGrundsaumltzlich ist das Potenzial fuumlr Pumpspeicherwerke in der Schweiz riesig Es braucht nur zwei Seen auf unter-schiedlicher Houmlhe Die Frage ist ob sich solche Investi-tionen rechnen Die Pumpspeicherwerke finanzieren sich

uumlber den Preisunterschied zwischen Band- und Spitzen-energie Wenn an einem schoumlnen Sommertag in Europa mittags die geballte Ladung an Sonnen- und Windener-gie eingespeist wird koumlnnen die Pumpspeicherkraftwerke sehr guumlnstig oder sogar zu Negativpreisen Strom bezie-hen Man darf aber nicht vergessen dass dieselbe Situa-tion fuumlr die Laufwasserkraftwerke die rund die Haumllfte der Wasserkraftproduktion in der Schweiz ausmachen den gegenteiligen Effekt hat Diese koumlnnen aus technischen konzessionsrechtlichen oder oumlkologischen Gruumlnden nicht vom Netz genommen werden und muumlssen fuumlr ihre Strom-produktion bezahlen Das kann gehoumlrig ins Geld gehen An Weihnachten 2012 lag der Strompreis zum Beispiel bei minus 30 Rappen pro Kilowattstunde

Roger Pfammatter laquoWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerbare Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichtenraquo

Bild Florian Wehrli

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cherseen zur Flexibilisierung Damit das gelingt muss der Wert der Wasserkraft staumlrker im Bewusstsein der Bevoumllke-rung verankert sein Und nicht zuletzt muss der Marktpreis so weit uumlber den Gestehungskosten liegen dass sich In-vestitionen in die Wasserwirtschaft rentieren

Versuchen das Bestehende zu erhalten Diese Vision klingt etwas resigniertDas ist eine Frage der Perspektive Die Wasserkraft hat als Technologie in der Schweiz seit Langem Bestand Sie befindet sich in einer anderen Situation als Fotovoltaik und Windenergie die sich in einem hochdynamischen Umfeld mit grossem Potenzial in Forschung und Wachstum be-finden Die Wasserkraft ist dagegen nicht mehr in der Auf-bruchsphase sondern in der Konsolidierungsphase Da-fuumlr kann man sich auf die Wasserkraftwerke verlassen Sie produzieren bei Tag und in der Nacht im Sommer wie im Winter bei Windstille oder im Nebel Auch der Erhalt und die Optimierung des Bestehenden sind grosse Heraus-forderungen und bedingen grosse Investitionen

Sehen Sie eine Moumlglichkeit wie die Schweizer Wasser-wirtschaft in Zukunft Geld mit Systemdienstleistungen wie Netzstabilitaumlt verdienen kannDie unregelmaumlssig einspeisenden Stromproduzenten neh-men keinerlei Systemverantwortung wahr Ich habe selbst ein Solarpanel auf dem Dach Wenn Produktion moumlglich ist speise ich Strom ins Netz ein wenn nicht beziehe ich Die Produzenten mehr in die Verantwortung zu nehmen faumlnde ich sinnvoll ndash zum Beispiel uumlber Zertifikate fuumlr Spei-cherleistungen Diese koumlnnten bei Pumpspeicherwerken bezogen werden

Welcher Ausbau der Pumpspeicherleistung ist dafuumlr noumltigDie installierte Leistung betraumlgt heute rund 14 Gigawatt (GW) Mit den im Bau befindlichen und den geplanten An-lagen kann die Kapazitaumlt maximal auf 51 GW ausgebaut werden ndash etwa die Haumllfte der Jahreshoumlchstlast im Netz Damit die Schweizer Wasserkraft aber einen Beitrag zur Stabilitaumlt des europaumlischen Stromnetzes leisten kann muumlssten auch das Stauvolumen und die Leitungskapazi-taumlt erhoumlht werden Hier sind die Einsprachen von Anwoh-nern und Umweltverbaumlnden noch gravierender als bei den Anlagen selbst

Braucht es neue rechtliche Instrumente um den geplan-ten Ausbau durchsetzen zu koumlnnenEs braucht vor allem die Einsicht dass die Wasserkraft das Ruumlckgrat unserer Versorgungssicherheit ist und die Aus-wirkungen eines Ausbaus immer auch mit den Alternativen verglichen werden muumlssen Wir befinden uns aber auch in einem intensiv genutzten Land mit vielen Partikularinteres-sen Diese muumlssen gewichtet und abgewogen werden In der Abwaumlgung zwischen Landschaftsschutz und Wasser-nutzung waumlre es hilfreich wenn Grosswasserkraftanlagen den Status von nationalem Interesse erhalten

Wie soll die Schweizer Wasserwirtschaft im Jahr 2035 aussehenIch wuumlnsche mir dass die bestehende Infrastruktur auf dem heutigen Stand erhalten optimiert oumlkologisiert und im Idealfall etwas ausgebaut wird Dazu gehoumlren etwa die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren sowie neue Spei-

Roger PfammatterSeit seinem Ingenieurstudium an der ETH Zuumlrich hat er sich in ver-schiedenen Rollen dem Wasser verschrieben Nach sieben Lehr- und Wanderjahren in der Forschung und in der Entwicklungszusammen-arbeit war er zehn Jahre beim Ingenieurunternehmen Ernst Basler + Partner engagiert Seit 2010 ist er Geschaumlftsfuumlhrer des Schweizeri-schen Wasserwirtschaftsverbandes (SWV) und Herausgeber der Zeit-schrift laquoWasser Energie Luftraquo In diesen Funktionen setzt er sich ein fuumlr den Fachaustausch und gute Rahmenbedingungen in den Bereichen Wasserkraft und Hochwasserschutz

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Die globalen Energiemaumlrkte sind seit einigen Jahren stark in Bewegung Volatile Erdoumllpreise die Foumlrderung von un-konventionellen Gasvorkommen in grossem Stil die mas-sive Subventionierung von neuen erneuerbaren Energien in Deutschland der laquoarabische Fruumlhlingraquo und der Konflikt in der Ukraine hinterlassen Spuren Die Folge sind starke Verwerfungen an den Maumlrkten und fehlende Investitionssi-cherheit In diesem dynamischen und unsicheren Kontext will der Bund die bisherige Energiepolitik neu ausrichten ndash wahrlich eine Herkulesaufgabe Die Schweizer Wirtschaft verlangt dass der Bund bei der Neuausrichtung der Ener-giepolitik seinem in der Verfassung verankerten Auftrag nachkommt und sich fuumlr eine ausreichende sichere breit gefaumlcherte wirtschaftliche und umweltvertraumlgliche Ener-gieversorgung einsetzt Somit ist klar Die Energiestrate-gie 2050 muss in erheblichen Teilen optimiert und justiert werden Nur wenn vernetzt gedacht wird ist eine sichere Versorgung zu wettbewerbsfaumlhigen Preisen moumlglich

Prognosen klaffen weit auseinanderSeit Jahrzehnten bietet der Strommix aus Wasserkraft (knapp 60 Prozent) und Kernenergie (40 Prozent) Gewaumlhr fuumlr eine sichere klimafreundliche und wirtschaftliche Ener-gieversorgung Im Rahmen der Energiestrategie 2050 muss die Kernenergie langfristig ersetzt werden Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen zumal die Ziele des Bundes

Lebenselixier der Wirtschaft

Die Schweizer Wirtschaft ist auch in Zukunft auf eine sichere und wirtschaftliche Stromver-sorgung angewiesen Die Ener-giestrategie 2050 setzt stark auf Subventionen Dadurch entstehen Fehlanreize welche die Versorgungssicherheit ge-faumlhrdenText Kurt Lanz

Expertensicht

in Bezug auf das Potenzial der neuen erneuerbaren Ener-gien von Wunschdenken geleitet sind Die neuen erneuer-baren Energien werden sich langsamer entwickeln als an-gestrebt Der Bund rechnet mit rund 12 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2035 die Schweizer Wirtschaft mit 44 TWh Die vorsichtigeren Prognosen der Wirtschaft scheinen re-alistischer Dies zeigen exemplarisch die gescheiterten Geothermieprojekte in Basel und St Gallen Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Nachfrageprognosen Der Bund rechnet in seinen Szenarien mit einem Ruumlckgang des Stromverbrauchs pro Kopf von 16 Prozent zwischen 2000 und 2035 Die Schweizer Wirtschaft orientiert sich in ihren Szenarien am Verband Schweizerischer Elektrizitaumlts-unternehmen (VSE) der weiter mit einer steigenden Nach-frage rechnet Die Wirtschaft fordert von der Politik eine vernuumlnftige Planung aufgrund realistischer Schaumltzungen Die Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energiestrategie nicht gefaumlhrdet werden

Subventionen fuumlhren zu FehlanreizenDie Schweiz hat seit vielen Jahrzehnten erfolgreich die Wasserkraft vorangetrieben Aus politischen Gruumlnden wird nun die ndash unregelmaumlssige ndash Stromproduktion durch Sonnen- und Windenergie forciert Unsere sogenann-te kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) entspricht dem deutschen Foumlrdermodell Beide haben das gleiche Ziel Sie sollen erneuerbare Energien ausbauen indem sie neue Formen der Stromproduktion zur Marktreife brin-gen Weil das KEV-System die Sonnen- und Windenergie massiv foumlrdert kommt ein weiterer Ausbau der bewaumlhrten Wasserkraft nicht infrage Diese Entwicklung gefaumlhrdet die Versorgungssicherheit der Schweiz Auf den ersten Blick sinken zwar die Produktionskosten fuumlr Solarstrom gleich-zeitig steigen aber die Kosten fuumlr Speicherung und Inte-gration ins Netz spuumlrbar Auch ist der Ausbau von Solar- und Windenergie nur von beschraumlnktem Nutzen solange keine ausreichenden Speicherkapazitaumlten vorhanden sind Nur Preissignale koumlnnen das Investitionsverhalten von Stromproduzenten Netzbetreibern und Konsumen-ten sinnvoll lenken Subventionen sind zu beseitigen denn sie fuumlhren zu Fehlanreizen

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Alle Optionen offenhaltenOffenheit und Neugier gehoumlren zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft Kategorisches Abwehrverhalten und Denkverbote verhindern konstruktive Loumlsungsansaumltze und Innovation Eine sichere und kostenguumlnstige Strom-versorgung kann auch in Zukunft nur mit der notwendi-gen Offenheit gegenuumlber allen Technologien und Energie-

systemen garantiert werden Die Schweiz ist dank einer erfolgreichen Hochschulland-schaft und vielen Technolo-gieunternehmen gut geruumlstet Die verschiedenen Energie-systeme muumlssen faktenba-siert und ohne ideologische

Scheuklappen verglichen werden Nur so koumlnnen effizi-ente und umweltvertraumlgliche Loumlsungen gefunden werden Das heutige System der Foumlrderung der neuen erneuer-baren Energien ist durch ein marktorientiertes System ab-zuloumlsen Produzenten die nachfragegerecht einspeisen sollen eine houmlhere Verguumltung erhalten als andere Auch soll der Vorrang der Netzeinspeisung fuumlr subventionierte Energietraumlger aufgehoben werden

laquoDie Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit

des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energie strategie nicht

gefaumlhrdet werdenraquo

Schnellere Verfahren anstrebenGrundvoraussetzung fuumlr eine Neuausrichtung der Ener-giepolitik sind funktionierende Stromnetze Diese muumls-sen zwingend parallel zum Umbau der Stromproduktion weiterentwickelt werden Allein der noumltige Ausbau der Uumlbertragungsnetze belaumluft sich auf rund 1 000 Kilometer bis ins Jahr 2020 Erforderlich sind zudem Investitionen in alle Verteilernetzebenen Al-lerdings verzoumlgern komplizier-te Verfahren auf Kantons- und Bundesebene den Ausbau Ausserdem erwaumlchst praktisch jedem Projekt Widerstand von privater Seite was zu weiteren Verzoumlgerungen fuumlhrt Die Wirt-schaft fordert deshalb Bei Bewilligungen von Stromnetzen ist der Gang vors Bundesgericht nur noch bei Grundsatz-fragen moumlglich Umbauten sowie Spannungs- und Kapa-zitaumltserweiterungen koumlnnen ohne Planungsgenehmigung realisiert werden Ausserdem sind die Verfahren bei einer einzigen Leitbehoumlrde anzusiedeln

Spielfeld erweiternDie Schweiz ist seit jeher ein wichtiges Stromtransitland Schon seit den 90er-Jahren treibt die EU die Vereinheitli-chung des Binnenmarkts fuumlr Strom hin zu einem eigent-lichen EU-Strommarkt voran In der Schweiz erweist sich die gesetzliche Trennung von Grundversorgung und Markt diesbezuumlglich zunehmend als Hindernis Aus Sicht der Wirtschaft ist die vollstaumlndige Liberalisierung des Strom-markts eine zwingende Voraussetzung fuumlr eine erfolgrei-che energiepolitische Neuausrichtung

Eine Marktoumlffnung wuumlrde insbesondere auch den erneuer-baren Energien neue Chancen eroumlffnen und Zugang zu neuen Kunden gewaumlhren Von hoher Wichtigkeit ist auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU Je groumlsser der Anteil erneuerbarer Energien umso wichtiger ist die Einbettung in Europa denn Investitionen in Netze und Produktion koumlnnen in Koordination mit der EU wirkungsvoller und wahrscheinlich kostenguumlnstiger getaumltigt werden

Kurt LanzKurt Lanz ist Leiter Infrastruktur Energie und Umwelt sowie Geschaumlftsleitungsmitglied von economiesuisse dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft

Gut vernetzt ndash Vorschlaumlge der Schweizer Wirtschaftzur EnergiepolitikDie Publikation basiert auf der Grundlagenarbeit der breit abgestuumltz-ten Energiekommission von economiesuisse und macht konstruk-tive Vorschlaumlge fuumlr einen erfolgreichen energiepolitischen Weg der Schweiz Download unter wwweconomiesuissech

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

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Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

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Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 9: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

9COMPETENCE | 2014

Konzernleitung der BKW liegt der Frauenanteil aktuell bei 33 Prozent

Stichwort Unternehmensfuumlhrung Gibt es eine spezielle Philosophie die Sie verfolgenIch versuche immer Klarheit zu schaffen Ich moumlchte je-weils zum Kern der Dinge vordringen und erwarte dasselbe Bestreben von meinen Mitarbeitenden Wenn alle wissen worum es im Kern geht und was die Treiber des Geschaumlfts sind und wenn alle mit Freude ihre Arbeit verrichten dann leitet sich alles Weitere daraus ab Ich glaube an gemein-same Visionen und Ziele sowie eine delegierte Umsetzung

Welche Rolle wird die Schweiz in einem liberalisierten euro paumlischen Strommarkt spielenDie Frage ist ob die Schweiz in Zukunft denselben Zugang zum europaumlischen Markt haben wird wie bisher Davon gehe ich aus Unter dieser Voraussetzung muss man sich fragen wie der europaumlische Markt kuumlnftig ausgestaltet sein wird Ich erwarte eine fortschreitende Liberalisierung die tendenziell zu mehr Stromhandel und noch tieferen Preisen fuumlhren wird Gleichzeitig wird man aber Kapazi-taumltsmaumlrkte schaffen muumlssen damit Energieunternehmen Anreize haben in Versorgungssicherheit und System-stabilitaumlt zu investieren Beides wird heute kaum abgegol-ten Das muss sich aumlndern Die Frage ist ob Kapazitaumlts-maumlrkte nationale Maumlrkte sein werden

Welche Folgen haumltte das fuumlr die SchweizDas waumlre eine ungluumlckliche Konstellation Einerseits haumltten wir unter den tieferen Preisen zu leiden andererseits koumlnn-ten wir die Dienstleistungen die wir mit unseren Pump-speicherkraftwerken erbringen weniger gut verkaufen

Blicken wir in die Zukunft Strom wird dezentral produziert nach Bedarf verbraucht ins intelligente Netz eingespeist oder in Batterien gespeichert Braucht es dann noch Ener-gieversorger wie die BKWAuf jeden Fall Denn die grossen Energieversorger werden dann zu grossen Energiedienstleistern Deshalb stellen wir unsere Strategie jetzt um Viele der Kompetenzen die wir als Versorger uumlber Jahrzehnte aufgebaut haben sind auch in diesem Szenario absolut notwendig Moumlglich ist hingegen dass es kuumlnftig weniger zentrale Kraftwerks-kapazitaumlt braucht Als Unternehmen muumlssen wir uns so positionieren dass wir uns im Rahmen aller denkbaren Szenarien weiterentwickeln koumlnnen

Die Energiebranche gilt als Maumlnnerdomaumlne Mit Alpiq und BKW haben nun zwei der groumlssten Schweizer Energiever-sorger eine Frau als CEO Ist das ein Zeichen des Kultur-wandelsJa schon Das Geschlecht war aber gewiss kein Krite-rium fuumlr die Stellenbesetzung Alle Bewerber mussten sich demselben strengen Auswahlverfahren stellen In der

Suzanne ThomaDr Suzanne Thoma ist seit 1 Januar 2013 CEO der BKW AG Zu-vor verantwortete sie das Netz- und Netzdienstleistungsgeschaumlft der BKW als Mitglied der Konzernleitung Vor ihrem Eintritt in die BKW leitete sie das Automobilzuliefergeschaumlft der WICOR Group und fuumlhr-te zuvor als CEO das High-Tech-Unternehmen Rolic Technologies Ltd Im Weiteren war sie fuumlr die Ciba Spezialitaumltenchemie AG in ver-schiedenen Funktionen und Laumlndern taumltig Suzanne Thoma studierte Chemieingenieurtechnik an der ETH Zuumlrich

BKW Energie AGDie BKW ist ein bedeutendes Schweizer Energiedienstleistungs-unternehmen Sie beschaumlftigt mehr als 3 000 Mitarbeitende und ver-sorgt zusammen mit Partnern rund eine Million Menschen mit Strom Neben der reinen Energieversorgung entwickelt implementiert und betreibt die BKW Energiegesamtloumlsungen fuumlr Privat- und Geschaumlfts-kunden sowie fuumlr Energieversorgungsunternehmen und Gemeinden Zudem engagiert sie sich in Forschungsprogrammen zur Entwicklung innovativer Technologien fuumlr eine nachhaltige und sichere Energie-versorgung

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Bundesrat und Parlament haben 2011 als Reaktion auf den Reaktorunfall in Fukushima entschieden mittelfristig aus der Kernenergie auszusteigen und sich gleichzeitig den zwei grossen Herausforderungen der kommenden Jahre zu stellen Zum einen wird die weltweite Nachfrage nach Energie nochmals stark ansteigen da die zuneh-mende Weltbevoumllkerung absolut gesehen und pro Kopf immer mehr Energie konsumiert Das fuumlhrt zu einer deut-lichen Verschaumlrfung des Wettbewerbs um Energie Eine Energiepolitik die staumlrker lokal verankert ist entschaumlrft das Problem Zum anderen birgt die Klimaerwaumlrmung grosse oumlkologische wirtschaftliche und gesellschaftliche Risiken denen mit klimapolitischen Entscheiden auf glo-baler Ebene begegnet werden muss Mit einer konzisen Energie- und Klimapolitik haumllt die Schweiz hierauf eine moumlgliche Antwort bereit

Energiewende im historischen KontextDer bekannte Energiehistoriker Vaclav Smil versteht un-ter Energie die Ausschoumlpfung der natuumlrlichen Ressour-cen durch den Menschen der sich damit das Uumlberleben sichert und seine Lebensqualitaumlt erhoumlht Mit der geplan-ten Energiewende wird das System Energie in seiner ge-sellschaftlichen Dimension umfassend transformiert Die gegenwaumlrtige Diskussion wird jedoch von technischen und oumlkonomischen Fragestellungen dominiert die gesell-schaftliche Dimension kommt dagegen zu kurz Bei der Energiewende geht es jedoch um mehr als lediglich da-rum eine Ressource durch eine andere zu ersetzen Es geht darum die bestehenden Strukturen fundamental

umzuformen Es geht um Stromnetze und Erdoumllpipelines um idyllische Landschaften und Staumldte um Politik und neue Technologien Diese und zahlreiche weitere Para-meter wurden alle aufgrund energiepolitischer Entschei-dungen im vergangenen Jahrhundert gestaltet Fuumlr die Zukunft sind radikale Eingriffe geplant welche die kom-menden Generationen praumlgen werden Es ist deshalb wesentlich das Thema langfristig zu betrachten und die heutige Situation und Diskussion auch historisch zu situ-ieren Wie wurden Energiesysteme ndash also die Verknuumlpfung von Menschen Ingenieurwesen industriellen Praktiken technologischen Artefakten politischen Programmen und institutionellen Ideologien ndash formiert Welche gesell-schaftlichen Voraussetzungen haben zur Entscheidung fuumlr den einen und gegen den anderen Energietraumlger gefuumlhrt Und letztlich auch Welchen internationalen Trends ist die kleine ressourcenarme Schweiz weshalb gefolgt und in welchen Momenten hat sie sich fuumlr den schweizerischen Sonderweg entschieden

Industrialisierung und EnergiewendeEnergiesysteme entwickeln sich kontinuierlich waren je-doch historisch gesehen uumlber lange Zeit relativ stabil Die Jahrzehnte seit dem Beginn der Industrialisierung in der zweiten Haumllfte des 18 bis Ende des 19 Jahrhunderts wa-ren die Aumlra des Holzes (und nicht der Kohle) die erste Haumllfte des 20 Jahrhunderts war die Zeit der Kohle (und nicht des Erdoumlls) die zweite diejenige des Erdoumlls und der Kernenergie Die Wasserkraft war eine wichtige Strom-lieferantin jedoch nie die Nummer eins unter den Energie-

Hintergrund

Fukushima gibt den Takt vor

Der Energiesektor hat sich in den letzten 150 Jahren drama-tisch schnell entwickelt Nicht nur haben sich Produktion und Verbrauch um ein Vielfaches erhoumlht auch die wirtschaftlichen rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich grundlegend gewandelt Ein kurzer historischer Ruumlckblick zeigt die grossen Entwicklungen und Trends aufText Monika Gisler

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Problem der Entsorgung radioaktiver Abfaumllle wurden an-fangs kaum thematisiert Erdoumll wurde erst in den 1970er-Jahren zum politischen Thema als mit den Erdoumll(preis)- krisen von 197374 und 197980 seine (geopolitisch be-dingte) Endlichkeit manifest wurde Gleichzeitig verstaumlrkte die Erdoumllkrise das Bewusstsein uumlber die Abhaumlngigkeit von importierten Energietraumlgern die mit der Industrialisierung eingesetzt hatte

Anfaumlnge des UmweltschutzesAufgrund dieser beiden Entwicklungen kamen Themen wie Energiesparen und die Forderung nach umweltfreund-licheren Energien in den 1970er-Jahren erstmals auf die politische Traktandenliste Der oumlffentliche Diskurs um die laquoGrenzen des Wachstumsraquo und damit einhergehend auch die ersten Debatten zum Umweltschutz entbrannten In-teressanterweise glaubte man dass Wind- und Solar-anlagen erst ab dem Jahr 2000 in signifikantem Umfang zur Verfuumlgung stehen wuumlrden was ja auch eintrat

Die Diskussion flaute so rasch ab wie sie gekommen war Alternativenergien bewahrten ihr Nischendasein bis zu dem Ereignis das mittlerweile den neuen Takt vorgibt die Nuklearkatastrophe von Fukushima Es wird sich weisen wie erfolgreich die Umsetzungsmassnahmen sein werden und wie rasch sie implementiert werden koumlnnen Sicher scheint jedoch dass das Unternehmen Energiewende nur verstanden und ndash so zumindest die Hoffnung ndash auch ak-zeptiert wird wenn man es in seiner ganzen Dimension erfasst

traumlgern Es wird sich weisen ob das 21 Jahrhundert das-jenige der (neuen) erneuerbaren Energien sein wird

Kohle war nach Holz der wichtigste und langfristigste Energie traumlger der Schweiz Ihre Bedeutung hielt mehr als acht Jahrzehnte an ihr Niedergang setzte 1940 ein 1955 wurde sie vom Erdoumll als wichtigster Energietraumlger abgeloumlst Der Klimahistoriker Christian Pfister erklaumlrt diese Transition mit den rasch fallenden Oumllpreisen die zu einer immer groumls ser werdenden Nachfrage nach dieser guumlns-tigen Energie fuumlhrten Ein weiterer Grund war die Domi-nanz des Verbrennungsmotors uumlber die Dampfmaschine auf dem Weg zu einer immer mobileren Gesellschaft Es ist nicht nur das Angebot sondern auch die Nachfrage welche die Bedeutung eines Energietraumlgers formt Die Entscheidung fuumlr Oumll (und spaumlter Gas) war gleichermassen beeinflusst von den technischen Veraumlnderungen wie von den Verschiebungen am Finanzmarkt

Schon fruumlh hatte auch die Wasserkraft eine grosse Be-deutung fuumlr die Schweiz 1918 war man uumlberzeugt dass laquo[hellip] fuumlr unser Land [hellip] die Frage der Energiequelle ein-wandfrei erledigt [sei] Der ganze Entwicklungsgang von Technik und Volkswirtschaft fuumlhrt endlich zur Erkenntnis dass die Natur uns mit den Wasserkraumlften fuumlr die Kohlen-armut entschaumldigtraquo (Parlamentarische Debatte zum Was-serrechtsgesetz 1918) Wasserkraft wurde im Energiemix immer ergaumlnzend zu anderen Ressourcen eingesetzt und nach 1970 entscheidend wenn auch nicht paritaumltisch mit Kernenergie zur Gewinnung von Elektrizitaumlt komplettiert

So war die zweite Haumllfte des 20 Jahrhunderts die Zeit des Erdoumlls und der Kernenergie Die beiden Energie traumlger entwickelten sich nach 1945 fast parallel und haben doch eine sehr unterschiedliche Geschichte Das hat mit ihrer jeweiligen Form und Verfuumlgbarkeit zu tun aber auch da-mit dass ihre politische Bedeutung sehr verschieden-artig war Die Kernkraft barg aufgrund ihrer Naumlhe zu ei-ner toumldlichen Waffe schon immer politischen Sprengstoff Gleichzeitig genoss sie anfaumlnglich auch den Ruf einer sauberen und nahezu unbegrenzt zur Verfuumlgung stehen-den Energiequelle Die Gefahr einer Verstrahlung und das

Monika GislerDr Monika Gisler hat an den Universitaumlten Zuumlrich Basel und Los Angeles (UCLA) Ge-schichte und Politische Philosophie studiert Sie war Forschungsverantwortliche an der ETH Zuumlrich und bietet seit 2008 mit laquoUnter-nehmen Geschichteraquo Forschung Lehre und Beratung zu den Themen Umwelt Energie und Innovation an (wwwunternehmenge-schichtech) Aktuell lehrt sie als Dozentin an der ETH zu Energiewenden in Geschichte und Gegenwart

Wie viele Fotovoltaikanlagen sind auf den Daumlchern Winterthurs zu finden

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13COMPETENCE | 2014

Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Energieversorgung

dem Parlament die Energiestrategie 2050 vor welche die Basis fuumlr diesen Umbau schafft Grundsaumltze der Energie-strategie sind die Energieeffizienz die Steigerung des An-teils aus erneuerbaren Energien und die Umsetzung des Verursacherprinzips Das bedeutet dass die Kosten der Energienutzung moumlglichst von den Verursachern getragen werden

Die Schweiz verfuumlgt zwar uumlber eine hohe Versorgungs-sicherheit allerdings sind unsere Energiequellen teilweise nicht nachhaltig Gegenwaumlrtig liegt der Anteil der fossilen Energietraumlger am Endenergieverbrauch bei rund 80 Pro-zent Damit traumlgt die Schweiz zu den negativen Folgen der Klimaerwaumlrmung bei Als rohstoffarmes Land importiert sie einen grossen Teil dieser Energie ndash insbesondere Roh-oumll und Gas Dementsprechend hoch ist die Abhaumlngigkeit vom Ausland Zudem steht die Schweiz energiepolitisch vor weiteren grossen Herausforderungen Aufgrund des Bevoumllkerungs- und Wirtschaftswachstums des steigen-den Wohlstands sowie der zunehmenden Mobilitaumlt nimmt die Nachfrage nach Energie zu Teilweise veraltete Infra-struktur wachsender Wettbewerb und die Integration in das europaumlische Energienetz stellen das Energiesystem zudem vor zusaumltzliche Herausforderungen die es zu be-waumlltigen gilt

Langfristige StrategieUm diese Herausforderungen anzugehen ist ein Umbau des Energiesystems in Richtung Nachhaltigkeit unabding-bar Im Nachgang zur Reaktorkatastrophe in Fukushima haben Bundesrat und Parlament im Jahr 2011 den Grund-satzentscheid fuumlr einen schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie gefaumlllt Der Bundesrat legte anschliessend

Mit der Energiestrategie 2050 des Bundes soll unter anderem der Energieverbrauch reduziert und der Anteil der erneuerbaren Energien erhoumlht werden Dazu gehoumlren eine Reduk tion der energiebedingten CO2-Emissionen und der schrittweise Ausstieg aus der Kernenergie ndash dies ohne die bisher hohe Versorgungs-sicherheit und die preiswerte Energieversorgung zu gefaumlhrden Die ambitioumlsen Ziele sind aber nur zu erreichen wenn ein Um-denken stattfindet und Politik Wirtschaft Wissenschaft und Gesellschaft enger zusammenarbeiten Text Walter Steinmann

Hintergrund

Stossrichtungen der Energiestrategie ndash Energieeffizienz erhoumlhen Energieverbrauch

senken Stromverbrauch stabilisieren ndash Anteil der erneuerbaren Energien erhoumlhen und

Restbedarf durch fossile Stromproduktion und Importe decken

ndash Zugang zu internationalen Energiemaumlrkten sicherstellen

ndash Um- und Ausbau der elektrischen Netze und der Energiespeicherung vorantreiben

ndash Energieforschung verstaumlrken ndash Vorbildfunktion der oumlffentlichen Hand wahrnehmen ndash Internationale Zusammenarbeit im Energiebereich

intensivieren

14 COMPETENCE | 2014

Hintergrund

Der Bundesrat hat dem Parlament im September 2013 ein erstes Massnahmenpaket zur Umsetzung der Energie-strategie 2050 vorgelegt Das Geschaumlft wird momentan von den vorberatenden parlamentarischen Kommissio-nen behandelt Es ist auf die Zielsetzungen fuumlr das Jahr 2020 ausgerichtet und soll langfristig wirken Konkret vorgesehen ist etwa eine Erhoumlhung der CO2-Abgabe auf Brennstoffe mit einer gleichzeitigen Verstaumlrkung des Ge-baumludesanierungsprogramms Weiter soll die bisherige kostendeckende Einspeiseverguumltung zu einem Verguuml-tungssystem mit Direktvermarktung umgebaut werden Dafuumlr sind eine Totalrevision des Energiegesetzes sowie Anpassungen in weiteren neun Bundesgesetzen noumltig Berechnungen zufolge soll der Energieverbrauch mit der Umsetzung des ersten Massnahmenpakets bis 2050 we-sentlich abnehmen Insbesondere bei den fossilen Ener-gietraumlgern wird mit grossen Ruumlckgaumlngen gerechnet

Volkswirtschaftlich werden sich die Kosten fuumlr die Um-setzung der Energiestrategie in Grenzen halten Den er-heblichen Investitionen in die Energieeffizienz stehen Ein-sparungen bei den Energieimporten gegenuumlber Es sind jedoch betraumlchtliche Investitionen insbesondere fuumlr den Zubau der Stromproduktion aus erneuerbaren Energietrauml-gern noumltig

Zusammensetzung des Endshyenergieverbrauchs (ohne Treibshystoffverbrauch des internationalen Flugverkehrs) bis 2050 auf der Basis des vorliegenden Massnahmen pakets des UVEK (Quelle Prognos)

Ein Markt mit ZukunftEine nachhaltige Energiepolitik ist nur moumlglich wenn die Schweiz staumlrker auf erneuerbare Energien setzt Heute stammen nur gerade 20 Prozent der verbrauchten Ener-gie aus erneuerbaren Quellen Die laufenden Arbeiten zur Energiestrategie 2050 zeigen dass Sonnen- und Wind-energie Wasserkraft und Geothermie in der Schweiz uumlber grosse Potenziale verfuumlgen deren optimale Er-schliessung jedoch durch verschiedene Faktoren behin-dert beziehungsweise verzoumlgert wird Dazu gehoumlren die

langwierigen Bewilligungsverfahren und die teils fehlende Akzeptanz in der Bevoumllkerung aber auch die begrenzten Foumlrdermittel zur Realisierung entsprechender Projekte Mit der Energiestrategie 2050 sollen guumlnstigere Rahmenbe-dingungen geschaffen werden

Die Sicherung des langfristigen Energieangebots wird zu einer der zentralen Herausforderungen und bietet gleichzeitig grosse Chancen fuumlr den Wirtschaftsstandort

laquoFortschritte bei der Ressourcen-effizienz und den erneuerbaren

Energien ermoumlglichen Wettbewerbs-vorteile auf den Exportmaumlrktenraquo

15COMPETENCE | 2014

Schweiz Bereits heute verfuumlgt die Schweiz uumlber ein gros-ses industrielles und technologisches Know-how gerade im Bereich Cleantech Fortschritte bei der Ressourcen-effizienz und den erneuerbaren Energien ermoumlglichen Wett bewerbsvorteile auf den Exportmaumlrkten sie schaffen neue Arbeitsplaumltze und erhoumlhen die Unabhaumlngigkeit in der Rohstoffversorgung Zusammen mit dem Masterplan Cleantech traumlgt die Energiestrategie 2050 dazu bei dass sich die Schweiz hier als Vorreiterin profilieren kann

Uumlbergang in ein LenkungssystemDamit sich der Markt in Richtung Nachhaltigkeit entwickelt werden kuumlnftig weitere Massnahmen noumltig sein Waumlhrend das erste Massnahmenpaket noch stark auf Foumlrderung zielt wird die Energiepolitik ab 2021 gemeinsam mit der Klimapolitik strategisch neu ausgerichtet Das bestehen-de Foumlrdersystem basiert auf einem Netzzuschlag fuumlr die Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Ener-gien und einer Teilzweckbindung der CO2-Abgabe fuumlr das Gebaumludeprogramm Es soll durch ein marktwirtschaftli-ches Lenkungssystem abgeloumlst werden mit dem sich die Energie -und Klimaziele effektiv und oumlkonomisch effizient erreichen lassen Konkret werden erneuerbare Energien und Gebaumludesanierungen zunaumlchst noch staatlich unter-stuumltzt ndash langfristig soll der Markt spielen Das Bundesamt fuumlr Energie ist daran in Zusammenarbeit mit dem Eidge-noumlssischen Finanzdepartement und dem Staatssekretariat fuumlr Wirtschaft zu konkretisieren wie das umzusetzen ist

Wissenstransfer staumlrken Gluumlcklicherweise herrscht an den Hochschulen und ihren Instituten im Energiebereich Aufbruchstimmung Fuumlr Un-ternehmen ist es jedoch oft schwierig das an Hochschu-len vorhandene Wissen abzuholen gerade wegen der grossen Diversitaumlt der Forschung und der Fragmentierung des Wissens auf zahlreiche Institute Gleichzeitig stossen mit Unternehmen der Informations- und Kommunikations-technologie neue Akteure mit grossem Know-how in den Energieversorgungsmarkt vor Energieversorgungsunter-nehmen in ganz Europa ruumlcken vom reinen Stromverkauf ab und positionieren sich vermehrt als Anbieter von umfas-senden Energiedienstleistungen Diesem Trend muss sich

Walter SteinmannDr Walter Steinmann ist seit 2001 Direktor des Bundesamts fuumlr Energie (BFE) Er hat an der Universitaumlt Zuumlrich Volkswirtschaft studiert und seine Studien 1988 mit einer Doktorarbeit an der Universitaumlt Konstanz ab geschlossen Von 1981 bis 1988 war er Delegierter fuumlr Wirtschaftsfoumlrderung des Kantons Basel-Landschaft und arbeitete an-schliessend als Beauftragter fuumlr Wirtschafts-foumlrderung des Kantons Solothurn Von 1994 bis 2001 war er Chef des Amts fuumlr Wirtschaft und Arbeit des Kantons Solothurn

auch die Schweiz stellen und ihre Kraumlfte vermehrt buumlndeln um Synergien zwischen Wirtschaft und Forschung zu schaffen Nur so kann der Technologiestandort Schweiz staumlrker werden Der Bund setzt bereits Massnahmen um damit der Transfer der Forschungsresultate in den Markt sichergestellt wird Dazu gehoumlrt der Aufbau vernetzter Forschungskompetenzzentren der Swiss Competence Centers for Energy Research Auch die ZHAW School of Management and Law beteiligt sich in diesem Rahmen massgeblich an den nationalen Forschungsaktivitaumlten zum Umbau des Schweizer Energiesystems

Mit der Energiestrategie 2050 hat die Schweiz die Chance sich aus ihrer Abhaumlngigkeit von den fossilen Energien zu loumlsen den Export fortschrittlicher Technologien zu staumlrken und mit dem ressourcen- und klimaschonenden Umgang mit Energie international eine Fuumlhrungsrolle zu uumlberneh-men Nutzen wir diese Chance

Weitere Informationen unter wwwenergiestrategie2050ch

laquoDie Schweiz muss ihre Kraumlfte vermehrt buumlndeln um

Synergien zwischen Wirtschaft und Forschung zu schaffenraquo

16 COMPETENCE | 2014

Eine der wichtigsten Zielsetzungen der Energiewende wie sie der Bundesrat formuliert hat ist der Ausbau der er-neuerbaren Energien Der Anteil von Wasser- Wind- und Sonnenkraft sowie Erdwaumlrme am Energiemix soll massiv erhoumlht werden Die durchschnittliche inlaumlndische Produk-tion ndash ohne Wasserkraft ndash soll im Jahr 2020 bei mindes-tens 4 400 Gigawattstunden (GWh) und im Jahr 2035 bei mindestens 14 500 GWh liegen Bei der Produktion von Elektrizitaumlt aus Wasserkraft wird bis im Jahr 2035 ein Aus-bau der Produktion auf 37 400 GWh angestrebt Zum Ver-gleich Die Jahresproduktion des AKW Muumlhleberg liegt bei rund 2 600 GWh Das sind houmlchst ambitioumlse Ziele

Der geplante Ausbau der Nutzung von erneuerbaren Energien bedarf zahlreicher Anlagen ndash Windparks Was-serkraftwerke oder groumlsserer Solaranlagen ndash mit entspre-chend hohem Raumbedarf Der Bundesrat sieht nicht vor die Umwelt- und Heimatschutzgesetze massgeblich zu lo-ckern obwohl es regelmaumlssig zu Konflikten zwischen den Schutzinteressen und Energienutzungsanlagen sowie zu entsprechenden Gerichtsverfahren kommt ndash wie juumlngst im Goms bei der Planung eines Wasserkraftwerks (BGE 140 II 262 ff) Das Bundesgericht nimmt jeweils eine im Resul-tat schwer voraussehbare Interessenabwaumlgung vor und stellt die Leistung der Anlage sowie die Faumlhigkeit zeitlich flexibel und marktorientiert zu produzieren den Schutz-interessen gegenuumlber

Ein weiteres Problem besteht darin dass groumlssere Anla-gen bei der Nachbarschaft oder in einer breiteren Bevoumll-kerung keine Akzeptanz finden So waumlre zwar im Kanton

Loumlsungen suchen bevor es zum Rechtsstreit kommt

Hochschulperspektive

Der Bundesrat sieht im Rahmen der Energiestrategie 2050 vor den Anteil der erneuerbaren Energien massiv zu erhoumlhen Die vermehrte Nutzung erneuerbarer Energietraumlger fuumlhrt jedoch zu einem Interessenkonflikt zwischen Wirtschaftlichkeit umwelt-rechtlichen Anforderungen und sozialer Akzeptanz Diesen gilt es mit klaren rechtlichen Grundlagen zu loumlsenText Reneacute Wiederkehr und Andreas Abegg

Zuumlrich Wind vorhanden doch dreht sich dort bis heute keine einzige grosse Windturbine Gegen die einzige bis-her geplante Versuchsanlage am Stuumlssel oberhalb Baumlrets-wil hat eine Interessengemeinschaft Rekurs erhoben und will die geplante Windmessanlage bis vor Bundesgericht bekaumlmpfen Diese Probleme ndash die Kollision mit Schutz-interessen und die Angst vor Nachbarrekursen ndash koumlnnen im Ergebnis dazu fuumlhren dass die Energieunternehmen auf den Bau von Anlagen verzichten obwohl ein erhebli-ches Potenzial vorhanden waumlre

Loumlsungsansatz des BundesratsIm Rahmen der Energiepolitik 2050 schlaumlgt der Bundesrat vor dass die Kantone mit Unterstuumltzung des Bundes ein Konzept fuumlr den Ausbau der erneuerbaren Energien er-arbeiten und Gebiete fuumlr die Nutzung durch erneuerbare Energien bestimmen Nach der Genehmigung durch den Bund dient das Konzept den Kantonen als Grundlage fuumlr ihre Richtplanung Dadurch wird fuumlr die kommunalen und kantonalen Behoumlrden verbindlich festgelegt in welchen Gebieten Bewilligungen fuumlr erneuerbare Energieproduktio-nen erteilt werden koumlnnen

Welche Gebiete sich tatsaumlchlich fuumlr den Ausbau der er-neuerbaren Energien eignen ist bisher allerdings kaum erforscht worden Bund Kantonen und Gemeinden fehlen die Grundlagen um die Eignung von Standorten und Ge-bieten aus rechtlicher Sicht zu beurteilen Es ist deshalb einfacher ungeeignete Gebiete von der Nutzung auszu-nehmen Vor allem Gebiete welche fuumlr Natur- und Hei-matschutz wertvoll sind koumlnnen zu einer sogenannten

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schen und rechtsstaatlichen Verfahren aus So wurde zum Beispiel im Kanton Zuumlrich der Heimatschutz gegenuumlber dem Interesse an neuen Solaranlagen bereits zuruumlck-gestuft und das entsprechende Bewilligungsverfahren gestrafft Es wird sich gerade bei der Wahl von Stand-orten fuumlr die Nutzung erneuerbarer Energien zeigen ob die Energiewende ndash wie zuweilen befuumlrchtet ndash auf Kosten von Demokratie und Rechtsstaat sowie auf Kosten von Natur- und Heimatschutz geht oder ob wir die gegenwaumlr-tigen Strukturen unter transparenter und angemessener Wahrung aller Interessen anpassen koumlnnen um die an-spruchsvollen Energieziele zu erreichen

Negativzone fuumlhren Auch andere Anliegen wie die Erhal-tung von landwirtschaftlichem Kulturland und Wald der Schutz des Vogelzugs oder die Beduumlrfnisse der Luftfahrt sind zu beruumlcksichtigen Zudem ist zu beachten dass der Bau neuer Anlagen einen Ausbau des Energienetzes nach sich ziehen kann was wiederum zu Konflikten mit anderen raumrelevanten Interessen fuumlhrt

InteressenabwaumlgungUm die erneuerbare Energie wie geplant massiv foumlrdern zu koumlnnen muumlssen die notwendigen Anlagen rasch rea-lisiert werden In den hierzu notwendigen Bewilligungs- und Rechtsmittelverfahren muumlssen die Zielkonflikte der verschiedenen Interessen transparent gemacht und unter gleichberechtigter Abwaumlgung geloumlst werden Das gilt so-wohl fuumlr das konkrete Rechtsmittelverfahren vor Behoumlrden und Gerichten wie auch fuumlr eine vorgezogene Mediations-phase

Hier setzen die vom Bund initiierten Forschungen zur Energiewende auf drei Ebenen an Zunaumlchst muumlssen die Details der komplizierten Bewilligungsverfahren im Aus-tausch mit der Gerichtspraxis ausgearbeitet werden Das sorgt fuumlr Rechtssicherheit Auf einer zweiten Ebene gilt es die bestehenden kantonal reglementierten Verfahren zu vereinheitlichen und wenn moumlglich zu vereinfachen Damit es zu rechtsstaatlich tragfaumlhigen und sozial akzep-tierten Loumlsungen kommt sind die Rechte aller Beteiligten zu wahren jene von Gemeinden Kantonen und Bund als Behoumlrden von Energieunternehmen als Gesuchsteller so-wie von Nachbarn und beschwerdeberechtigten Verbaumln-den als Gegner Schliesslich sind auf einer dritten Ebene neue Hilfsmittel zu suchen mit denen Gebiete und Stand-orte bezeichnet werden koumlnnen die sich fuumlr die Nutzung erneuerbarer Energien besonders eignen Das Bewilli-gungsverfahren wird hiermit transparenter berechenbarer und ndash so die Hoffnung ndash kuumlrzer Mit klaren Rechtsgrund-lagen koumlnnen die Beteiligten zudem Loumlsungen suchen bevor es uumlberhaupt zum Rechtsstreit kommt Die geplante Foumlrderung erneuerbarer Energien kommt nicht ohne Veraumlnderungen in bestehenden demokrati-

Andreas AbeggProf Dr Andreas Abegg ist Leiter des Zen-trums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht an der ZHAW School of Management and Law Privatdozent an der Universitaumlt Fribourg und praktizierender Rechtsanwalt Er beschaumlf-tigt sich mit den rechtlichen Schnittpunkten zwischen Staat und Privaten insbesondere in den Bereichen Regulierung Verwaltungs-organisation und Energie Andreas Abegg forscht im Rahmen des vom Bund mitfinan-zierten Competence Center for Research in Energy Society and Transition (CREST) in der Forschungsgruppe Energy Policy Analysis

Reneacute WiederkehrProf Dr Reneacute Wiederkehr ist stellvertre-tender Leiter des Zentrums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht an der ZHAW School of Management and Law und Titularprofessor der Universitaumlt Luzern Er forscht und lehrt in den Bereichen Verwaltungsrecht und oumlf-fentliches Prozessrecht sowie im Rahmen des vom Bund mitfinanzierten Competence Center for Research in Energy Society and Transition (CREST) in der Forschungsgruppe Energy Policy Analysis

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Negawatt statt Megawatt

Energieeffizienzmassnahmen finanziell lohnen Zudem ver-fuumlgen kleine und mittlere Unternehmen selten uumlber Ener-gieverantwortliche oder Umweltbeauftragte die im Akqui-sitionsprozess gezielt angesprochen werden koumlnnen

Schwaumlchen bisheriger ProgrammeEine Umfrage der ZHAW bei Programmverantwortlichen zeigt diverse Schwaumlchen laufender Effizienzprogramme auf Ein haumlufiges Problem sind falsche Anreize So wird vornehmlich vermittelt wie mit Energieeffizienz Geld ge-spart wird Offensichtlich geht man davon aus dass Un-ternehmen praktisch nur uumlber finanzielle Anreize zu moti-vieren sind Bei den angepeilten KMU fallen Energiekosten jedoch kaum ins Gewicht Beratungsaufwand und Ergeb-nis stehen umso mehr im Missverhaumlltnis je weniger Ener-gie verbraucht wird Weiter scheinen die Programmver-antwortlichen ihre Zielgruppen kaum zu segmentieren und als unterschiedliche Kundensegmente wahrzunehmen Entsprechend beinhalten die meisten Programme ein Standardangebot mit einem breiten Spektrum an Mass-nahmen die oft nicht branchenspezifisch zugeschnitten sind Auch die Kundenansprache erfolgt in der Regel un-differenziert und die Moumlglichkeiten der Neuen Medien wer-den kaum genutzt

Keine langfristige PerspektiveEin Grossteil der Programme ist nicht auf Kundenbindung ausgelegt Insbesondere werden kaum Informationen er-fasst welche die Planung einer weiterfuumlhrenden Bezie-

Schweizer Unternehmen koumlnnten auf wirtschaftliche Art und Weise bis zu 30 Prozent ihres Energieverbrauchs ein-sparen Speziell bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) die immerhin 10 Prozent des Schweizer Stromver-brauchs verantworten ist das Sparpotenzial aber ungenuuml-gend ausgeschoumlpft

Energieeffizienzprogramme wirken nichtBehoumlrden Energieversorger und private Organisatio-nen haben in den letzten Jahren wiederholt Programme lanciert um Energieeinsparungen gezielt zu foumlrdern Al-lerdings haben bislang weniger als 1 Prozent der rund 300 000 Schweizer KMU an einem solchen Programm teilgenommen und die Umsetzungsquoten sind ebenfalls gering Uumlber die Gruumlnde die Unternehmen daran hindern an Energieeffizienzprogrammen teilzunehmen und ent-sprechende Massnahmen umzusetzen sind sich die Pro-grammverantwortlichen uneinig Oft werden Zeitmangel Priorisierung anderer Investitionen fehlende Mittel und zu lange Amortisationszeiten als Hemmnisse genannt Ge-nerell scheint es dass bei Kleinunternehmen Zeit- und Geldmangel eine wichtige Rolle spielen waumlhrend bei Un-ternehmen mittlerer Groumlsse eher der Mangel an Motiva tion und Bewusstsein ausschlaggebend ist Energiekosten machen bei KMU einen verschwindend kleinen Anteil der Gesamtkosten aus sodass die Prioritaumlten fuumlr Investitionen haumlufig anders liegen Man investiert beispielsweise lieber in Betriebsmittel zur Erhoumlhung der Produktivitaumlt als in die Reduktion der (bereits tiefen) Energiekosten obwohl sich

Energieeffizienz ist ein zentraler Pfeiler der Energiestrategie 2050 Die Schweiz gehoumlrt zu den Spitzenreitern punkto Energie effizienz auch dank ihrem dominanten Tertiaumlrsektor Dennoch liegen auch bei hiesigen Unternehmen grosse Sparpotenziale brach Wie diese genutzt werden koumlnnen untersucht die ZHAW in einem interdisziplinaumlren ProjektText Rolf Rellstab

Hochschulperspektive

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brauch betrifft erhoumlhte Arbeitssicherheit weniger Laumlrm-belastung oder geringerer Rohstoffverbrauch Der Wert solcher laquoNon-Energy Benefitsraquo kann fuumlr Unternehmen bis zu 250 Prozent der energetischen Einsparungen betra-gen Es geht also darum KMU gezielter auf die Chancen der Energieeffizienz hinzuweisen Schliesslich gilt es auch Unternehmen wissen zu lassen dass sich ihre Kunden fuumlr dieses Thema interessieren sowie ihnen dabei zu helfen ihr Energie effizienzengagement sichtbar zu machen Waumlh-rend bereits heute viele Unternehmen bestaumltigen dass sich ihr Image bei den Kunden durch die Teilnahme an einem Energieeffizienzprogramm verbessert hat achten erst wenige Firmen auch bei der Kommunikation darauf dass entsprechende Massnahmen gebuumlhrend bekannt gemacht werden

hung zu den Programmteilnehmenden ermoumlglichen wuumlr-den Angaben zu Stromverbrauch Houmlhe und Anteil der Energiekosten Anzahl Mitarbeitende und Umsatz waumlren wertvolle Informationen im Hinblick auf allfaumlllige Folgepro-gramme Im Vordergrund stehen zudem bei den meisten Programmen technische Loumlsungen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz Eine nachhaltige Verhaltensaumlnderung bei Mitarbeitenden oder auf Managementebene wird hingegen kaum verfolgt Auch ein Monitoring der Wirkung von Ener-gieeffizienzprogrammen ist bislang nicht vorhanden oder

wird zu wenig systematisch betrieben So wird zum Bei-spiel die effektive Energieeinsparung vielfach nicht erfasst und gepruumlft Das tatsaumlchliche Kosten-Nutzen-Verhaumlltnis einzuschaumltzen ist somit schwierig Dass die bestehenden Energieeffizienzprogramme inhaltlich durchaus Anklang finden zeigen Ruumlckmeldungen von Unternehmen die in der Vergangenheit daran teilgenommen haben Die Befrag-ten beurteilen ihre Erfahrungen mehrheitlich positiv Aus Sicht der Unternehmen lagen die Energieeinspar effekte im Bereich der Erwartungen Viele wuumlrden nochmals an einem solchen Programm teilnehmen was die oben ge-nannten Versaumlumnisse umso bedauerlicher macht

Wirksamkeit verbessernWie koumlnnen KMU zum Energiesparen motiviert werden Aus Marketingsicht beinhaltet ein sinnvolles Programm eine segmentspezifische Kundenansprache die den laquoReifegradraquo (Wissen Einstellungen und Verhalten) eines Unternehmens in Bezug auf Energieeffizienz beruumlcksich-tigt Zweitens braucht es eine klare Kundenbeziehungs-strategie welche eine wiederholte Teilnahme zum Ziel hat Bei den Anreizen einzig die finanziellen Aspekte wie etwa erwartete Kostensenkungen oder Foumlrderbeitraumlge hervor-zuheben scheint wenig erfolgversprechend Der Fokus wird in Zukunft wohl vermehrt darauf liegen denjenigen Nutzen hervorzuheben der nicht direkt den Energiever-

Rolf RellstabRolf Rellstab ist wissenschaftlicher Mit-arbeiter und Projektleiter am Institut fuumlr Marketing Management der ZHAW School of Management and Law Seine Arbeits-schwerpunkte liegen im Bereich Kommuni-kation Kundenbeziehungsmanagement und B-to-B-Marketing

Projektziel und VorgehensweiseIm ZHAW-Projekt laquoNegawatt statt Megawattraquo werden optimierte Vorgehensweisen entwickelt um KMU mit einem jaumlhrlichen Strom-verbrauch zwischen 10 und 500 MWh zum Energiesparen zu moti-vieren Der Begriff laquoNegawattraquo bezeichnet die eingesparte Energie die zu virtuellen Negawatt-Kraftwerken kombiniert wird So wird anschaulich aufgezeigt wie viel Energie dank diesen Einsparungen weniger produziert werden muss Das Projekt beinhaltet eine interna-tionale Literaturstudie zu den Erfolgsfaktoren und Hemmnissen von Energieeffizienzprogrammen eine Umfrage bei Anbietern solcher Programme sowie eine Befragung von KMU Aus den Ergebnissen dieser drei Teilstudien werden Hypothesen im Hinblick auf ein idea-les Energieeffizienzprogramm abgeleitet In einem Folgeprojekt sol-len die Hypothesen im Rahmen eines Pilotprogramms uumlberpruumlft und weiterentwickelt werden Das Projekt wird durch den WWF Schweiz die Stiftung Pro Evolution das Bundesamt fuumlr Energie (BFE) und die Elektrizitaumltswerke des Kantons Zuumlrich (EKZ) unterstuumltzt Weitere In-formationen wwwzhawchnegawatt

laquoEine nachhaltige Verhaltens - aumlnderung bei Mitarbeitenden oder auf Managementebene

wird kaum verfolgtraquo

Wie viel Heizoumll wird jaumlhrlich in Winterthur verbraucht

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Klima im Wandel ndash Emissionsrechte im Handel

Der Klimawandel laumlsst sich anhand des Treibhauseffekts veranschaulichen Die Treibhausgase bewirken dass kurz-welliges Sonnenlicht zur Erdoberflaumlche gelangt verhindern jedoch dass langwellige Waumlrmestrahlung von der Erde nach aussen dringt Somit kann die Waumlrme nicht mehr entweichen und die Temperatur steigt Der Ausstoss von Treibhausgasen die vor allem bei der Verbrennung von fossilen Energietraumlgern wie Kohle Gas und Oumll entstehen hat seit der industriellen Revolution stark zugenommen und den natuumlrlichen Treibhauseffekt verstaumlrkt Eine Zunahme der Haumlufigkeit und Intensitaumlt meteorologischer und hydro-logischer Grossereignisse wie Stuumlrme und Uumlberschwem-mungen sind die Folge ndash mit gravierenden oumlkologischen oumlkonomischen und sozialen Konsequenzen

Der 2013 veroumlffentlichte Bericht der internationalen Exper-tengruppe Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zeigt auf dass die globale Durchschnittstempera-tur in den letzten 130 Jahren um 085deg Celsius gestiegen

Der Klimawandel findet nicht in ferner Zukunft sondern bereits jetzt statt Um ihn fuumlr Mensch und Umwelt auf einem ertraumlg-lichen Niveau zu stabilisieren muumlssen die Treibhausgas-emissionen reduziert werden Der Emissionshandel soll dazu beitragen sie dort zu mindern wo die geringsten Kosten an-fallen So kann das gesetzte Mengenziel oumlkonomisch effizient erreicht werdenText Regina Betz

ist Ohne Minderungsanstrengungen wird bis 2100 ein mehr als fuumlnffacher Anstieg prognostiziert Um die Treib-hausgaskonzentration in der Atmosphaumlre auf einem fuumlr Mensch und Umwelt akzeptablen Niveau zu stabilisieren muss die Erwaumlrmung bei unter 2deg Celsius stagnieren Da-fuumlr muumlssen laut dem 2014 veroumlffentlichten Bericht des IPCC die globalen Treibhausgasemissionen (THGE) bis 2050 gegenuumlber 2010 mindestens halbiert und bis 2100 um rund 100 Prozent reduziert werden 1997 hat sich die internationale Staatengemeinschaft im Kyoto-Protokoll fuumlr die Jahre 2008 bis 2012 erstmals auf voumllkerrechtlich ver-bindliche Ziele fuumlr den Ausstoss von THGE in den entwi-ckelten Laumlndern geeinigt aktuell finden Verhandlungen fuumlr die Festlegung neuer Ziele statt

Cap and TradeZur Zielerreichung sieht das Kyoto-Protokoll unter ande-rem den Emissionshandel auf Staatenebene vor Zahl-reiche Laumlnder wenden dieses Instrument aber haumlufiger auf Unternehmensebene an Das Grundprinzip ist einfach Die Houmlchstmenge (Cap) an erlaubten Gesamtemissionen wird festgelegt und an die regulierten Unternehmen im Emissions rechtehandelssystem (EHS) verteilt Die Unter-nehmen sind verpflichtet fuumlr jede emittierte Tonne Kohlen-dioxid ein Emissionsrecht einzureichen ansonsten sind Sanktionszahlungen faumlllig Will ein Unternehmen uumlber die ihm zugeteilte Menge hinaus emittieren muss es ein an-deres Unternehmen finden das ihm die benoumltigte Menge an Emissionsrechten verkauft (Trade) Unternehmen mit hohen Minderungskosten werden dabei Emissionsrechte hinzukaufen und Unternehmen mit niedrigen Kosten wer-den ihre Emissionen mindern indem sie etwa Biomasse statt Kohle verbrennen und uumlberschuumlssige Emissions-rechte verkaufen Durch den Handel koumlnnen die erforder-lichen Emissionsminderungen dort realisiert werden wo sie mit den geringsten Kosten verbunden sind Am Markt stellt sich ein Preis fuumlr die Emissionsrechte ein der Ange-bot und Nachfrage zum Ausgleich bringt

So einfach das Prinzip ist so schwierig ist seine Umset-zung Das System bedingt dass die Regierungen Rech-te fuumlr die Nutzung der Atmosphaumlre schaffen die zu einer

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Hochschulperspektive

Reduktion der Emissionen gegenuumlber einer Referenzent-wicklung fuumlhren dem sogenannten Business-as-usual-Szenario Doch die Abschaumltzung dieses Szenarios also der Entwicklung der Emissionen ohne Mengenbegren-zung ist schwierig wie die nachfolgenden Ausfuumlhrungen zum Emissionshandel in der EU zeigen

Der Emissionshandel in der EUDas EU-EHS ist der weltweit groumlsste Markt von Emissions-rechten Alle 28 EU-Staaten sowie Liechtenstein Island und Norwegen sind daran beteiligt Die Schweiz wuumlrde sich gerne anschliessen Das EU-EHS leidet seit seiner Einfuumlhrung im Jahr 2005 unter einem Uumlberangebot das sich mittlerweile auf rund 2 Milliarden Emissionsrechte be-laumluft Dies entspricht ungefaumlhr den vom System regulierten Emissionen eines Jahres Neben den unvorhergesehenen oumlkonomischen Entwicklungen durch die globale Finanz-krise traumlgt auch der starke Zubau an erneuer baren Ener-gien zu einem houmlheren Ruumlckgang der Emissio nen bei als geplant Der Hauptgrund fuumlr den derzeitigen Uumlberschuss liegt jedoch darin dass die regulierten Unternehmen ne-ben den Europaumlischen Emissionsrechten ndash European Union Allowances (EUAs) ndash auch auslaumlndische Emissions-minderungszertifikate ndash Certified Emission Reductions (CERs) ndash zu einem bestimmten Anteil anrechnen koumlnnen Mit dem sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) koumlnnen Industrienationen in Entwicklungslaumlndern emissionsmindernde Projekte finanzieren und sich die da-bei entstehenden THGE-Reduktionen mithilfe von CERs anrechnen lassen

Durch diese verschiedenen Faktoren hat sich ein Uumlberan-gebot entwickelt das den Preis der EUAs und CERs stark sinken liess Der Preis belaumluft sich derzeit auf rund fuumlnf Euro pro EUA Die bisherigen Reformanstrengungen wie etwa das sogenannte Backloading das Verschieben von Auktionen in spaumltere Jahre um die Menge zu verknappen haben bisher kaum zu einer Preiserhoumlhung gefuumlhrt

Die Schweiz als PreishochburgDer Schweizer Markt wuumlrde bei einem Zusammen-schluss nur rund 03 Prozent des EU-EHS ausmachen

Die Schweiz wuumlrde somit als Preisnehmerin agieren Das heisst der EU-Preis sollte auch in der Schweiz gelten Umso erstaunlicher ist es daher dass der Schweizer Preis pro Emissionsrecht derzeit bei rund 40 Franken liegt ob-wohl die Verbindung des Schweizer EHS mit dem EU-EHS geplant ist (sogenanntes Linking) Das auf der Basis des revidierten CO2-Gesetzes von 2012 und der CO2-Verord-nung verabschiedete System das den Emissionshandel am 1 Januar 2013 fuumlr 38 Unternehmen beziehungsweise 55 Anlagen in der Schweiz verbindlich eingefuumlhrt hat uumlber-nimmt weitestgehend die Regeln des EU-EHS Das neue System hat das bisherige freiwillige EHS in der Schweiz abgeloumlst Die im EHS erfassten Unternehmen sind von der CO2-Abgabe befreit Die hohe Kompatibilitaumlt des Schwei-zer EHS und des EU-EHS sollte ein schnelles Linking er-moumlglichen wobei die Verhandlungen durch die Annahme der Einwanderungsinitiative zum Stillstand gekommen sind Ein moumlglicher Erklaumlrungsansatz ist daher dass der hohe Preisunterschied die derzeitige Unsicherheit uumlber den Ausgang der Linking-Verhandlungen widerspiegelt Gehen die Schweizer Unternehmen davon aus dass kein Linking stattfindet sollte sich der Preis anhand der Minderungs-kosten und der Knappheit im Schweizer EHS bilden Fuumlr die Unternehmen ist es immer noch guumlnstiger den der-zeitigen Preis von 40 Franken fuumlr die Emissionsrechte zu bezahlen als eine Busse von 125 Franken pro fehlendes Emissionsrecht Zusaumltzlich zur Busse ist das Unternehmen verpflichtet die fehlenden Rechte im naumlchsten Jahr nach-zureichen Auch hier hat sich die Schweiz stark am EU-EHS orientiert bei dem die Busse bei 100 Euro pro EUA plus Wiedergutmachung liegt

Allokation beeinflusst den WettbewerbDie Gesamtmenge an Emissionsrechten (Cap) leitet sich aus den historischen Emissionen der teilnehmenden EHS-Unternehmen ab Fuumlr bestehende Anlagen die bereits vor 2013 am EHS in der Schweiz beteiligt waren setzt sie sich aus der Summe der durchschnittlich zugeteilten Emis-sionsrechte der ersten Verpflichtungsperiode (2008 bis 2012) zusammen fuumlr Anlagen die 2013 hinzukommen aus der Summe der durchschnittlichen Emissionen der

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fuumlr neue Anlagen in einer Reserve zuruumlckbehalten deren Uumlberschuumlsse zweimal jaumlhrlich versteigert werden Die Zu-teilung der Emissionsrechte hat etwas laumlnger gedauert so-dass sie in der Schweiz fuumlr die Jahre 2013 und 2014 erst im Februar 2014 erfolgte Das mag auch einer der Gruumlnde sein dass bisher kein Handel auf dem Sekundaumlrmarkt fuumlr den die Berner Kantonalbank eine eigene Emissions-handelsplattform bereitgestellt hat stattgefunden hat Das erste Preissignal war deshalb die Auktion der Uumlberschuumls-se aus der Neuemittentenreserve Diese fand vom 14 bis 21 Mai 2014 statt und erzielte fuumlr die 150 000 Emissions-rechte einen Preis von 4025 Franken pro Emissionsrecht

Wie sich die Liquiditaumlt im Schweizer Markt in Zukunft ent-wickeln wird und ob ein Linking mit dem EU-EHS und so-mit eine Angleichung der Schweizer Preise an die EU-EHS-Preise stattfinden wird bleibt abzuwarten Letzteres waumlre zwar aus oumlkonomischer Sicht zu begruumlssen da ein groumls-serer liquider Markt mit einheitlichem Preissignal als effizi-enter bewertet wird Aus oumlkologischer Sicht scheint jedoch ein Linking der Systeme ohne weitere Reformen des EU-EHS nicht wuumlnschenswert da es die Minderungsanreize in der Schweiz als Folge des Angebotsuumlberschusses an Emissionsrechten in der EU massiv reduzieren wuumlrde

Jahre 2009 bis 2011 Diese Summe wird jaumlhrlich um 174 Prozent reduziert analog der Regelung im EU-EHS

Neben der Festlegung der Obergrenze ist die Ausgestal-tung der Zuteilungsregeln politisch am schwierigsten da diese Verteilungswirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussen Bis 2012 wurden die Emissionsrechte in der EU daher groumlsstenteils kostenlos zugeteilt Seit 2013 werden rund 48 Prozent der Emissionsrechte versteigert wobei diese vor allem von Elektrizitaumltsfirmen gekauft wer-den muumlssen Da diese nicht im internationalen Wettbewerb

stehen konnten sie den Preis der gratis erhaltenen Emis-sionsrechte an die Elektrizitaumltskonsumenten weitergege-ben und hohe Gewinne erzielen Unternehmen aus Sek-toren die im internationalen Wettbewerb stehen koumlnnen hingegen die Kosten fuumlr die Emissionsrechte nicht an ihre Endkunden weitergeben ohne betraumlchtliche Nachteile in Kauf zu nehmen Es besteht daher das Risiko dass diese Firmen in Laumlnder ohne Klimapolitik abwandern Um dieses Risiko zu senken erhalten Unternehmen bei denen ein Risiko auf Abwanderung besteht auch in Zukunft weitest-gehend kostenlos Emissionsrechte zugeteilt Die Zuteilung basiert dabei auf sogenannten Benchmarks (Tonne Koh-lendioxid pro Tonne Produkt) die auf der Basis der effizi-entesten 10 Prozent der Unternehmen berechnet und mit historischen Produktionsdaten multipliziert werden

Noch kein Handel in der SchweizDie Schweiz hat die Benchmarks des EU-EHS uumlbernom-men Da in der Schweiz vor allem stark im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen aus den Sektoren Zement Papier Chemie Stahl und Raffinerien unter den Emissionshandel fallen werden fast alle Emissionsrechte kostenlos zugeteilt Ein kleiner Anteil von 5 Prozent wird

Regina BetzDr Regina Betz ist Dozentin fuumlr Energie- und Umweltoumlkonomie an der ZHAW School of Management and Law Seit 2014 leitet sie den volkswirtschaftlichen Teil der Ener-gy Policy Analysis Group des Zentrums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht das Mitglied des Schweizer Competence Centers for Research in Energy Society and Transition (CREST) ist Zuvor lehrte sie an der University of New South Wales Australia Umwelt- und Klimaoumlkonomie und leitete als Co-Direktorin das Centre for Energy and Environmental Markets (CEEM) 1998 bis 2004 arbeitete sie als Wissenschaftlerin am Fraunhofer-Institut fuumlr System- und Innovationsforschung ISI in Deutschland

laquoNeben der Festlegung der Ober grenze ist die Ausgestaltung der Zuteilungsregeln politisch am

schwierigsten da diese Verteilungs wirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussenraquo

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nicht vollstaumlndig genutzt werden kann In der Energiestra-tegie des Bundes ist gemaumlss einem Szenario bis 2050 ein Zubau auf knapp 12 TWh pro Jahr Stromproduktion aus Fotovoltaik angedacht Dies bedingt den Bau von Fotovol-taikanlagen mit einer installierten Spitzenleistung von etwa 12 Gigawattpeak (GWp) und einem Flaumlchenbedarf von rund 84 000 000 Quadratmetern Dieser Flaumlchenbedarf ist auf den bestehenden Daumlchern in der Schweiz verfuumlgbar

An einem schoumlnen Sommertag koumlnnen diese Anlagen dann also etwa 12 GW erzeugen die maximale Ver-brauchslast liegt im Sommer aber nur bei rund 8 GW Es entsteht ein Uumlberschuss von 4 GW die Speicherleistung der Schweizer Pumpspeicheranlagen betraumlgt heute aber nur 15 GW 25 GW Leistung koumlnnen in diesem Szenario also gar nicht genutzt werden An einem Wintertag mit Hochnebel erzeugen diese Anlagen uumlberhaupt keinen Strom die Verbrauchslast liegt aber mit 10 GW noch houml-her als im Sommer Hier entsteht eine Luumlcke die mit ande-ren Energieformen oder Importen gedeckt werden muss

Speichern uumlbertragen oder einsparenUm diesem Problem zu begegnen gibt es verschiedene Loumlsungsansaumltze Ein Ansatz ist die Energie lokal dort zu speichern wo sie erzeugt aber nicht sofort verbraucht werden kann In diesem Fall werden in erster Linie viele kleine Speichermodule benoumltigt die sowohl fuumlr kurz- als auch langfristigen Ausgleich sorgen muumlssen Eine andere Moumlglichkeit ist es die Energie an Orte zu uumlbertragen wo sie sofort verbraucht wird dann muss in erster Linie das Netz ausgebaut werden Schliesslich koumlnnte Energie auch zentral zu grossen Speichern transportiert werden was sowohl einen Netzausbau als auch neue Speichertechno-logien bedingen wuumlrde

Als die Gesellschaft noch aus Jaumlgern und Sammlern be-stand verbrauchte der Mensch seine Energie lokal dort wo er sie benoumltigte Er lebte von der Hand in den Mund Im Zuge der aufkommenden Landwirtschaft musste er Methoden entwickeln um Nahrung haltbar zu machen und sie zu transportieren Vor demselben Problem steht heute die Energiewirtschaft Ort und Zeit der erneuerbaren Energieerzeugung korrelieren je laumlnger je weniger mit dem Verbrauch Die Herausforderung der Energiewende ist deshalb nicht nur die Produktion selbst sondern auch die Uumlbertragung die Speicherung und das lokale Verbrauchs-last-Management

Saisonale Speicherung problematischMit dem Ausstieg aus der Kernenergie muumlssen in der Schweiz etwa 40 Prozent der produzierten elektrischen Energie ersetzt werden also rund 23 Terawattstunden (TWh) pro Jahr Im Gegensatz zur Kernenergie haben die neuen erneuerbaren Energien den Nachteil dass ihre Pro-duktion nicht steuerbar ist und unregelmaumlssig anfaumlllt Der Kapazitaumltsfaktor also das Verhaumlltnis von durchschnittlicher zu maximaler Leistung betraumlgt bei konventionellen Kraft-werken bis zu 100 Prozent bei Fotovoltaikanlagen dage-gen nur etwa 10 Prozent Hinzu kommen die starken saiso-nalen Schwankungen dieser stochastisch erzeugenden Energiequellen Im Winter liegt die Stromverbrauchsspitze mit circa 10 Gigawatt (GW) rund ein Drittel houmlher als im Sommer gleichzeitig liefern Fotovoltaikanlagen aufgrund des flacheren Einstrahlungswinkels und der kuumlrzeren Son-nenscheindauer wesentlich weniger Strom als im Sommer

Anhand eines Gedankenexperiments laumlsst sich veran-schaulichen dass das Potenzial der neuen erneuerbaren Energien ohne zusaumltzliche Speicher oder steuerbare Lasten

Energie haltbar machen

Der Ausbau von erneuerbaren Energiequellen geht so schnell voran dass Speicher- und Uumlbertragungstechnologien kaum mithalten koumlnnen Um Produktionsspitzen zu glaumltten braucht es Fortschritte in der EnergietechnikText Petr Korba

Hochschulperspektive

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Petr KorbaProf Dr Petr Korba ist Dozent und Fach-gruppenleiter fuumlr elektrische Energietechnik und Smart Grids an der ZHAW School of En-gineering Zuvor forschte er uumlber zehn Jahre bei ABB Schweiz in den Bereichen Automa-tion Energie- und Regelungstechnik

Scherrer Institut an der Power2Gas-Technologie Dabei wird Kohlendioxid mit Strom aus erneuerbaren Quellen durch Elektrolyse zu Wasserstoff oder weiter zu Methan verarbeitet Aumlhnlich wie bei der Nahrungsmittelproduktion wo Staumlrke schliesslich als raffinierter Zucker gespeichert wird gibt es auch bei der Stromspeicherung immer raffi-niertere Formen Bei jeder Umwandlung geht aber Energie verloren Man muss sich also gut uumlberlegen ob man uumlber-haupt speichern will und wenn ja uumlber welchen Zeitraum

Mit der wachsenden Integration von erneuerbaren Energi-en steigen auch die Anforderungen an die Energietechnik Unser kuumlnftiges Energiesystem wird staumlrker automatisiert und intelligenter sein Um erneuerbare Energiequellen zu integrieren werden Informations- und Kommunikations-technologien Automatisierungs- und Regelungstechnik Signalverarbeitung oder Wettervorhersagen immer wich-tiger In den intelligenten Stromnetzen der Zukunft wer-den alle beteiligten Komponenten Daten wie den aktuellen Verbrauch verfuumlgbare Strommengen oder lokale Aus-faumllle melden und gleichzeitig solche Daten aus anderen Netzkomponenten empfangen Das daraus resultierende Smart Grid ist ein Gefuumlge das selbststaumlndig auf diese Ein-fluumlsse reagiert und seine eigene Effizienz optimiert Es gilt Energie effizienter zu uumlbertragen um raumlumliche Distanzen zu uumlberwinden und neue Speichertechnologien zu entwi-ckeln um zeitliche Engpaumlsse zu uumlberbruumlcken Elektrische Energie kann auf verschiedene Arten erzeugt gespei-chert und uumlbertragen werden Jede Art hat ihre Vor- und Nachteile und ihren Preis Anreize aus der Politik werden schliesslich entscheiden welche Formen dies in der Zu-kunft sein werden

Auf der Verbraucherseite laumlsst sich die Nutzlast durch ge-eignetes Last-Management anpassen Diese Steuerung schaltet verbrauchsintensive Anlagen in Unternehmen gewerblichen Betrieben und Haushalten gezielt dann ein wenn die Stromtarife guumlnstig sind Es duumlrfte aber schwie-rig sein der Bevoumllkerung vorzuschreiben wann sie zum Beispiel fernsehen oder kochen darf Eine intelligente Re-gelung von grossen Kuumlhlhaumlusern stoumlrt dagegen nieman-den Trotz solchen Bestrebungen geht die International Energy Agency (IEA) davon aus dass der Stromverbrauch weltweit jaumlhrlich um rund 1 Prozent zunimmt Diese Ten-denz verstaumlrkt sich voraussichtlich noch falls sich der Bereich Mobilitaumlt von fossilen Energietraumlgern hin zur Elek-tromobilitaumlt verschieben wird Die Geschichte hat gezeigt dass der Energieverbrauch eigentlich nur in Krisenzeiten zuruumlckgeht

Klar ist jedenfalls dass der Ausbau von Speichern und Netzen Hand in Hand mit der zunehmenden Integration von erneuerbaren Energiequellen erfolgen muss Auf unter-schiedlichen Netzebenen kommen unterschiedliche Spei-chertechnologien zum Einsatz Waumlhrend fuumlr Haushalte mit kleinen Fotovoltaikanlagen und im Niederspannungsnetz bereits Batteriespeicher vorhanden sind stossen diese bei mehr als einer Windturbine oder groumlsseren Solarparks schnell an ihre Grenzen Das groumlsste Batterieenergie-speichersystem der Schweiz betreiben die Elektrizitaumlts-werke des Kantons Zuumlrich in Dietikon Es hat 1 Megawatt (MW) maximale Speicherleistung und kann diese waumlhrend ungefaumlhr 15 Minuten abgeben respektive speichern Die Spitzenlast im Schweizer Hochspannungsnetz liegt aber bei 8 GW im Sommer und 10 GW im Winter Die Schwei-zer Pumpspeicherkraftwerke koumlnnen unseren Strombe-darf nur etwa einen Monat lang decken Das europaumlische Hochspannungsnetz verfuumlgt uumlber eine Spitzenlast von circa 500 GW Um die Leistung von Grosskraftwerken wie Offshore-Windparks langfristig zu speichern braucht es neue Technologien

Raffinierte EnergiespeicherungDafuumlr forscht die ZHAW School of Engineering gemein-sam mit der ETH Zuumlrich der EPF Lausanne und dem Paul

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Hochschulperspektive

Dissonanz an der Steckdose

Mit der Energiestrategie 2050 haben Bundesrat und Parla-ment eine Kehrtwende in der Schweizer Energiepolitik ein-gelaumlutet der die wichtigsten politischen Huumlrden erst noch bevorstehen Auf den ersten Blick scheint der Kurswechsel breit abgestuumltzt Seit dem Reaktorunfall in Fukushima fuumlh-ren Umfragen immer wieder zum gleichen Ergebnis Der langfristige Ausstieg aus der Kernenergie findet eine Mehr-heit Im Grundsatz stossen erneuerbare Energien sowie Massnahmen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz auf hohe Zustimmung Was fuumlr den Stimmzettel gilt beeinflusst aber nicht automatisch das Konsum- und Investitionsverhalten der Energiekunden Die Bereitschaft aus eigenem Antrieb mehr fuumlr ein oumlkologisch houmlherwertiges Produkt aus neuen erneuerbaren Energietraumlgern zu bezahlen ist beschraumlnkt Nur wenige Haushalte sind zudem bereit ihren Energie- und insbesondere ihren Stromkonsum zu reduzieren wenn dies mit nicht amortisierbaren Investitionskosten oder einem moumlglichen Komfortverlust verbunden ist

Mit anderen Worten Effizienz wird als teuer und Suffizienz als bevormundend empfunden Die private Zahlungsbereit-schaft laumlsst sich zwar mit regulatorischen Interventionen wie fixen Einspeiseverguumltungen oder Investitionssubven-tionen in Effizienzmassnahmen etwas erhoumlhen Doch die Erfahrungen in Deutschland und der Schweiz zeigen dass solche Massnahmen oumlkonomisch ineffizient sind und oft als ungerecht empfunden werden Sie koumlnnen damit zum Bumerang fuumlr die Akzeptanz der energiepolitischen Ziele werden Neben den politischen Huumlrden ist somit auch die kognitive Huumlrde der Konsumenten zu beruumlcksichtigen De-ren Uumlberwindung bedarf zuerst einer differenzierten Analyse der Ursachen und danach der Entwicklung innovativer Ver-triebsmodelle und Produkte auf Versorgerseite

Eine Mehrheit der Bevoumllkerung unterstuumltzt den Ausstieg aus der Kernenergie doch nur wenige beziehen ein oumlkologisches Stromprodukt Warum das so ist und wie sich diese Dissonanz aufloumlsen laumlsst beschaumlftigt derzeit viele EnergieversorgerText Claudio Cometta

Indifferenz uumlberwiegtFuumlr viele Konsumenten ist die Strom- Gas- oder Fern-waumlrmerechnung ein verhaumlltnismaumlssig kleiner Posten im Haushaltsbudget dem wenig Beachtung geschenkt wird Die Schweiz ist sogar einer der Spitzenreiter in Europa machen die Stromkosten im Durchschnitt doch nicht mehr als 2 Prozent der Haushaltsausgaben aus Wenig Beachtung bedeutet auch wenig Kenntnis des Preises und der Menge der bezogenen Energieleistung oder der Zusammensetzung des Tarifs aus Energiekosten Netz-kosten und Abgaben Entsprechend besteht nur ein ge-ringes Interesse Energie und damit Kosten zu sparen Konsumentenbefragungen zeigen zudem dass nur eine kleine Minderheit der Kunden die Zusammensetzung ihres Stromprodukts nach Energietraumlgern kennt Die geringen Kosten und Unkenntnis des Produkts verhindern also die Wahl anderer Stromprodukte Strom ist ein klassisches Commodity-Produkt Man kann ihn weder sehen noch riechen Er ist verhaumlltnismaumlssig guumlnstig immer verfuumlgbar und aumlndert in keinerlei Hinsicht seine Eigenschaften wenn dafuumlr mehr bezahlt wird Zudem ist meist nicht sichtbar wer wie viel von welchem Produkt bezieht Der Strom-konsum ist Privatsache

Uumlberwindung durch VertriebsmodelleDie Vorgaben der Energiestrategie 2050 beinhalten nicht nur einen massiven Zubau der Produktionskapazitaumlt aus erneuerbaren Energietraumlgern sondern auch die kon-tinuierliche Reduktion des Energie- und insbesondere des Stromkonsums pro Kopf Die direkte Finanzierung der dazu notwendigen Investitionsvorhaben scheint an-gesichts der Indifferenz auf Konsumentenseite jedoch schwierig Aus diesem Grund sind mehrere Schweizer

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rund um Haushaltstechnik Sicherheit Pflege oder Kom-munikation sowie ein geschicktes Marketing mit Elemen-ten der sozialen Kontrolle Denkbar sind auch Anreize die keinen direkten Zusammenhang mit dem Energiekonsum aufweisen aber fuumlr breite Bevoumllkerungsgruppen attrak-tiv sind So haben etwa einzelne skandinavische Versor-ger damit begonnen energiesparendes Verhalten ihrer Kunden mit Verguumlnstigungen fuumlr die Nutzung oumlffentlicher Transportmittel zu belohnen

Uumlberwindung durch PartizipationDie wohl wirkungsvollste Massnahme zur Uumlberwindung der Dissonanz an der Steckdose ist bereits inhaumlrent in der Transformation des Energiesystems hin zu einer staumlrker dezentralen Erzeugung angelegt Kunden entwi-ckeln sich von passiven Leistungsempfaumlngern zu aktiven Leistungserbringern sogenannten Prosumern Als Klein-produzenten von Strom mit einer hauseigenen Fotovol-taikanlage oder thermischer Speicherleistung mit Kraft-Waumlrme-Kopplungsanlagen im Mikroformat werden sie mittelfristig wesentlich zum Umbau des Energiesystems und zu den Zielen der Energiestrategie beitragen koumlnnen Eine nicht ganz unbedeutende Rolle koumlnnten in Zukunft sogenannte Buumlrgerbeteiligungsmodelle fuumlr die Finanzie-rung neuer In frastrukturprojekte spielen Diese wuumlrden gleichzeitig die Akzeptanz sichtbarer Produktionsanlagen von neuen erneuerbaren Energien erhoumlhen Doch erst wenn das Produkt Strom nicht mehr als reines Commodity-Produkt wahrgenommen wird werden politische Meinung und Konsumverhalten bei einer Mehrheit der Stimmbuumlrger uumlbereinstimmen

Energieversoger in letzter Zeit dazu uumlbergegangen soge-nannte Default-Modelle einzufuumlhren die Stromprodukte aus erneuerbaren Quellen zum neuen Standard erheben Dabei macht man sich die Traumlgheit der Kunden zunutze indem die Wahl eines Stromprodukts aus nicht erneuer-baren Energietraumlgern als Option definiert wird die aktiv bestellt werden muss

Nicht zuletzt aufgrund solcher Modelle ist die Zahl der Schweizer Haushalte die ein Stromprodukt aus aus-schliesslich erneuerbaren Energien beziehen auf uumlber 25 Prozent gestiegen Doch weitere Vertriebsinnovationen werden notwendig sein etwa um der Herausforderung der Einspeisung von Strom aus fluktuierend nutzbaren Quellen (Solar- und Windenergie) in die Verteilnetze gewachsen zu sein die immer staumlrker ins Gewicht faumlllt In der Folge gilt es Investitionen in Netz- und Speichersysteme zu finan-zieren In innovativen Vertriebsmodellen welche dieser Herausforderung gerecht werden erhaumllt das Konsumver-halten einen Wert Zeitliche Flexibilitaumlt wird belohnt durch Tarifreduktion Bonus oder Vermeidung einer Gebuumlhr Wie diese beiden Beispiele zeigen laumlsst sich der Mehrwert von vermeintlichen Commodity-Produkten durch neue Vertriebsmodelle abschoumlpfen und als marktwirtschaftlich vertraumlglicher Finanzierungsmechanismus fuumlr neue Infra-strukturvorhaben im Energiesektor nutzen

Uumlberwindung durch innovative ProdukteNoch groumlsseres Potenzial birgt die Weiterentwicklung von Stromprodukten zu Leistungssystemen die fuumlr Energie-kunden einen echten Mehrwert bieten Hierzu gehoumlrt die Verknuumlpfung des Kernprodukts Strom mit Dienstleistun-gen die den Kunden ein transparenteres Verbrauchsver-halten sowie Kostenoptimierung ermoumlglichen Intelligente Stromzaumlhler sogenannte Smart Meter kombiniert mit fle-xiblen Tarifen und einem einfachen Feedback- und Steuer-system sind die Voraussetzung um zumindest oumlkologisch sensibilisierten oder kostenbewussten Endkunden einen Effizienzeffekt zu ermoumlglichen Damit solche Leistungs-systeme aber fuumlr die grosse Gruppe der Indifferenten interessant werden braucht es weitere Mehrwerte Dazu gehoumlren die Verknuumlpfung mit intelligenten Anwendungen

Claudio ComettaDr Claudio Cometta ist Dozent fuumlr Innovation und Entrepreneurship an der ZHAW School of Management and Law Er koordiniert den Aufbau des nationalen Energie-Kompetenz-zentrums SCCER 5 an der ZHAW

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Die Energiewende stellt die Energieversorgungsunternehmen in der Schweiz vor grosse Herausforderungen Das Beispiel von Stadtwerk Winterthur zeigt wie die Branche auf den Paradig-menwechsel reagiertText Florian Wehrli

Von den Anfaumlngen als laquoWinterthurer Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtungraquo vor uumlber 150 Jahren bis zum modernen Querverbundunternehmen hat sich Stadtwerk Winterthur kontinuierlich weiterentwickelt Seine Aufgabe ist aber gemaumlss Direktor Markus Saumlgesser weitgehend dieselbe geblieben die Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung zu verbes-sern So bietet das staumldtische Versorgungsunternehmen neben klassischen Produkten wie Wasser Strom Gas oder Kehrichtentsorgung und Abwasserreinigung heute auch Fernwaumlrme Haustechnik Glasfasernetz und Ener-gie-Contracting an Die Ausdehnung auf neue Geschaumlfts-bereiche will der Direktor aber nicht als Reaktion auf die Liberalisierung des Energiemarkts verstanden wissen laquoWir begegnen der Marktoumlffnung proaktiv und wollen die sich bietenden Chancen aktiv nutzenraquo

Lokales Potenzial ausgeschoumlpftIm liberalisierten Markt hat das staumldtische Versorgungs-unternehmen mit dem Monopol auf sein Energieversor-gungsnetz von gesamthaft mehr als 2 500 Kilometern einen Vorteil Dessen Unterhalt ist nach wie vor eine der Hauptaufgaben Im Gegensatz zu anderen Energieversor-gern betreibt Stadtwerk Winterthur naumlmlich einen verhaumllt-nismaumlssig geringen Anteil an eigenen Produktionsanlagen Das Flaggschiff ist die wohl modernste Kehrichtverwer-tungsanlage der Schweiz laquoMit dem Umbau konnten wir 2013 den Wirkungsgrad der Anlage um einen Drittel stei-gern und die Abluft gehoumlrt zu den saubersten weltweitraquo sagt Markus Saumlgesser Heute deckt die KVA 20 Prozent des Winterthurer Strom- und 12 Prozent des Waumlrmebe-darfs ab Auf solchen Lorbeeren ausruhen will sich Stadt-werk Winterthur aber nicht laquoWir wollen mithelfen eine nachhaltige Energiewirtschaft aufzubauenraquo Mittelfristig soll

die Haumllfte des Stromangebots aus erneuerbaren Quellen stammen laquoDas ist ein ehrgeiziges Zielraquo sagt Saumlgesser laquowir sind aber auf gutem Weg dazuraquo

Rund die Haumllfte des Rahmenkredits von 90 Millionen Franken fuumlr erneuerbaren Strom den das Winterthurer Stimmvolk 2012 bewilligt hat ist bereits investiert Im Bereich Fotovoltaik ist die Planung der groumlssten Anlagen abgeschlossen etwa auf den Daumlchern der Eishalle oder des Busdepots Eine aktuelle Windpotenzialstudie zeigt fuumlr Winterthur nur wenige moumlgliche Standorte auf zumal die Bewilligung solcher Anlagen mit grossem buumlrokratischem Aufwand verbunden sei Mit diversen Nahwaumlrmever-buumlnden nutzt Stadtwerk Winterthur auch Holzabfaumllle bereits sehr effizient Aber auch dieser Energietraumlger ist in Winterthur beschraumlnkt vorhanden Das letzte Projekt das Holz aus dem Winterthurer Stadtwald einsetzen wird ist in der Aufbauphase Studien im Bereich Wasserkraft haben gezeigt dass abgesehen von einem Kleinwasser-kraftwerk an der Toumlss in der Region kaum Potenzial vor-handen ist

Investitionen im AuslandlaquoDiese aufwendige Aufbauarbeit soll nicht zur Regel wer-denraquo sagt Markus Saumlgesser laquoDas limitierte Energiepoten-zial in der Schweiz und die beschwerlichen Instanzenwe-ge fuumlr Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie lassen uns deshalb vermehrt im Ausland investierenraquo 2012 be-teiligte sich das Stadtwerk mit 12 Millionen Franken am Kleinkraftwerk Birseck AG das Kleinwasserkraftwerke und Foto voltaikanlagen in der Schweiz und in Frankreich be-treibt 2013 folgte eine Beteiligung in der Houmlhe von 25 Mil-lionen Franken an der Swisspower Renewables AG die in

Vom Versorger zum Dienstleister

Unternehmensperspektive

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sein glaubt er aber nicht daran dass der Stromverbrauch insgesamt zuruumlckgehen wird laquoDafuumlr ist der Marktpreis zu niedrig Aus serdem wird Strom im Bereich Waumlrme und Mobilitaumlt einen Grossteil der fossilen Energietraumlger ersetzen muumlssenraquo Damit der geplante Verbrauchsruumlck-gang dennoch gelingt will der Bund Anreize schaffen Mit sogenannten weissen Zertifikaten will er die Versor-ger be lohnen wenn sie ihre Kunden zu einem geringeren Energie verbrauch bewegen In Grossbritannien Italien und Frankreich sind solche Modelle bereits im Einsatz Markus Saumlgesser sieht dieser Entwicklung mit gemischten Gefuumlh-len entgegen laquoWir haben bereits vor der Reaktorkatastro-phe in Fukushima auf Energieeffizienz gesetzt und konn-ten uns dadurch profilieren Weil die Politik nun eingreift und den Markt uumlbersteuert bleibt uns als Unternehmen weniger Spielraum um uns zu positionierenraquo

Windkraftanlagen im angrenzenden Ausland investiert Fuumlr die Beschaffung von Strom am freien Markt ist das Stadtwerk eine Zusammenarbeit mit der Trianel GmbH in Aachen ndash einer der fuumlhrenden Stadtwerke-Kooperationen in Europa ndash eingegangen Damit sollen insbesondere der Zugang zum Grosshandelsmarkt sowie die Marktfor-schung sichergestellt werden Denn um Kunden nachhal-tige Energieprodukte verkaufen zu koumlnnen muss man ihre Beduumlrfnisse genau kennen

Anreize fuumlr geringeren VerbrauchDie Strategie scheint aufzugehen laquoSeit der Einfuumlhrung der neuen Stromprodukte Anfang 2013 haben wir den Absatz von erneuerbarer Energie in Winterthur verdop-pelt und denjenigen von Oumlkostrom sogar vervierfachtraquo so Saumlgesser Trotz dem steigenden oumlkologischen Bewusst-

Gemaumlss seinem Leitbild soll Stadtwerk Winterthur mit einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der soziashylen Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Bild Michael Lio

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Ausgliederung aus der StadtverwaltungAuch auf kommunaler Ebene ist Stadtwerk Winterthur von den politischen Rahmenbedingungen abhaumlngig ndash mit allen Vor- und Nachteilen Die politischen Kurswechsel in den vorgesetzten Gremien seien hinderlich bei der Umsetzung der Strategie des Unternehmens laquoWir taumltigen Investitio-nen mit einem Planungshorizont von mehreren Jahrzehn-tenraquo sagt Markus Saumlgesser laquoin der Politik wird dagegen in Amtsperioden von vier Jahren gedachtraquo Es gibt deshalb Bestrebungen das Stadtwerk aus der Stadtverwaltung auszugliedern und einem langfristig operierenden Steue-rungsgremium zu unterstellen Bei der Stimmbevoumllkerung geniesst Stadtwerk Winterthur grossen Ruumlckhalt Alleine in den letzten zwei Jahren wurden vier Abstimmungsvor-lagen mit grossem Mehr angenommen darunter Rah-menkredite fuumlr das Energie-Contracting oder erneuerbare Energien laquoEine bessere Legitimation koumlnnen wir uns gar nicht wuumlnschenraquo sagt Markus Saumlgesser

Neue BetriebskulturStrategisch und energiepolitisch werden Dienstleistungen wie das Energie-Contracting fuumlr Stadtwerk Winterthur immer wichtiger laquoWir wollen unserer Kundschaft Waumlr-me oder Kaumllte gleich komfortabel anbieten koumlnnen wie Stromraquo sagt Markus Saumlgesser laquoImmobilienbesitzerinnen und -besitzer sollen sich nicht mehr um den Fuumlllstand ih-res Oumlltanks oder den Termin fuumlr den Kaminfeger kuumlmmern muumlssenraquo Das Energie-Contracting waumlchst stark und macht heute bereits rund 5 Prozent des Umsatzes von Stadtwerk Winterthur aus

Die neuen Geschaumlftsfelder ziehen auch andere Arbeits-kraumlfte an als bisher Verschiedene Betriebskulturen seien in den vergangenen Jahren teilweise parallel gelaufen be-ginnen nun aber langsam zu verschmelzen Ein Beispiel dafuumlr ist die Verknuumlpfung von Smart Metering und dem traditionellen Verteilnetz Elektrizitaumlt Als Voraussetzung fuumlr das Change-Management in der Betriebskultur habe man alle Mitarbeitenden in die Erarbeitung des Unterneh-mensleitbildes involviert Entstanden ist ein Leitbild das Stadtwerk Winterthur dabei unterstuumltzt die Unterneh-mensstrategie umzusetzen Stadtwerk Winterthur soll mit

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

Markus SaumlgesserMarkus Saumlgesser (52) ist diplomierter Ma-schineningenieur ETH und hat ein Nachdi-plomstudium in technischen Betriebswissen-schaften absolviert Seit Anfang 2011 ist er Direktor von Stadtwerk Winterthur Seine bisherige berufliche Taumltigkeit fuumlhrte Markus Saumlgesser nach zwei Jahren Assistenz an der ETH zu einem Ingenieurbuumlro fuumlr Ener-gie- und Haustechnik Waumlhrend dieser rund sechsjaumlhrigen Zeit war er bei anspruchsvol-len Bauprojekten verantwortlich fuumlr die Konzeption und Koordination der technischen Gebaumludeausruumlstung Zudem war er waumlhrend vier Jahren Mitglied der Geschaumlftsleitung Nach zweijaumlhriger Taumltigkeit als Abteilungsleiter in einer groumlsseren Gemeinde wechselte er zum Elek-trizitaumltswerk der Stadt Zuumlrich (EWZ) bei dem er die Abteilung Vertrieb Grosskunden leitete Daneben war Markus Saumlgesser beim EWZ in verschiedene Innovationsprojekte involviert So zeichnete er fuumlr das Projekt laquoStromzukunft Stadt Zuumlrichraquo verantwortlich das wichtige Grundlagen fuumlr die Strategie des EWZ und die Volksabstimmung zur 2000-Watt-Gesellschaft in der Stadt Zuumlrich beisteuerte

Stadtwerk Winterthur in Zahlen (2013)Mitarbeitende 347Nettoinvestitionen 1198 Mio CHFDurchgeleitete Strommenge 5643 Mio kWhUmsatz Strom 93 Mio CHFDurchgeleitete Gasmenge 5295 Mio kWhUmsatz Gas 411 Mio CHFUnternehmensgewinn 109 Mio CHF

einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der sozia-len Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Wann wurden in Winterthur die ersten Strassenlampen mithilfe von Stein-kohle erleuchtet

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Unternehmensperspektive

ckelte Hochspannungsgleichstromschalter sollen zudem sicherstellen dass etwa ein Kurzschluss durch eine hy-perschnelle Abschaltung isoliert und das Netz somit nicht gefaumlhrdet wird Von 14 solchen Schaltsystemen welt-weit stammen 13 von ABB Die hohen Investitionen fuumlr die armdicken Gleichstromkabel rechnen sich da beim Transport viel weniger Strom verloren geht als bei der tradi tionellen Wechselstromtechnik Die Produktelinie ent-wickelt sich zum Renner Sie wird zur Anbindung von So-lar- und Windparks zur Versorgung von Inseln als Ersatz fuumlr Diesel generatoren auf Oumll- und Gasplattformen auf See eingesetzt Oder um Starkstrom vom Festland zu auf dem Meeresboden platzierten ferngesteuerten Foumlrderanlagen fuumlr Gas und Oumll zu leiten ndash wofuumlr ABB auch wartungsfreie Kompressoren liefert damit Kunden wie Statoil und Pet-robras teure Ausfaumllle erspart bleiben

Komplettloumlsungen aus einer HandDank hohem Innovationstempo sind die Divisionen Ener-gietechnik- und Niederspannungsprodukte gut ausgelas-tet Dies gilt ebenso fuumlr die Divisionen Industrie- und Pro-zessautomation Speziell energieintensive Industrien die unter hohem Kostendruck stehen muumlssen ihre Anlagen auf dem neusten Stand halten Dazu zaumlhlen Bergbau Oumll- und Gasindustrie Zellstoff- Papier- und Zementfabriken Chemie- und Pharmafirmen sowie Raffinerien Gefragt sind auch Industrieroboter und schwenkbare dank ABB-Leistungselektronik stufenlos regulierbare Schiffsantrie-be ABB liefert Grosskunden fertige Loumlsungen die hohe Produktivitaumlt und Energieeffizienz gewaumlhrleisten Alles ist aufeinander abgestimmt von der Elektrik uumlber Antriebe Generatoren Roboter Sensoren und Steuerungen bis hin

Zu Beginn des Jahrtausends stand ABB am Abgrund Doch eine neue Fuumlhrungscrew fuumlhrte das Unternehmen aus der Krise sodass die Schweiz inzwischen wieder stolz sein kann auf ihren Industriemulti mit Sitz in Zuumlrich Oerli-kon 2013 erzielte ABB mit rund 148 000 Mitarbeitenden in 100 Laumlndern 42 Milliarden Dollar Umsatz Die renom-mierte US-Universitaumlt MIT zaumlhlt ABB zu den 50 innova-tivsten Unternehmen weltweit Dank 8 000 Ingenieuren in Forschung und Entwicklung und einem Forschungsetat von 15 Milliarden Dollar kann ABB selbst mit Giganten wie Siemens und General Electric mithalten

Innovationen die Technikfans begeisternWas ABB alles macht wissen wohl nur Technikfans Denn der Konzern hat uumlber 70 000 Produkte im Angebot Die 300 ABB-Fabriken liefern taumlglich 15 Millionen Kompo-nenten aus die zu elektrischen Einrichtungen oder in Pro-duktionssteuerungen verbaut werden Aus Kanada etwa kam juumlngst ein Grossauftrag uumlber 400 Millionen Dollar Erneuerbare Energie die auf Neufundland und Labrador gewonnen wird soll ab 2017 via Hochspannungskabel 360 Kilometer nach Westen fliessen um dort 350 000 Haumluser zu versorgen Weltweit gibt es erst 90 solche Gleichstromkabelverbindungen die meist unter der Erde oder auf dem Meeresgrund verlaufen ABB ist mit rund 50 Prozent Anteil Marktfuumlhrer Die futuristisch anmuten-de Technik in den abgeschirmten Hallen wo der Strom vor dem Transport auf Hochspannung transformiert wird erinnert an den Maschinenraum von Raumschiff Enter-prise Ein wichtiges Steuerungselement bilden dabei in Baden Daumlttwil entwickelte und in Lenzburg produzierte Spezialchips die Houmlchstspannung aushalten Neu entwi-

Der schweizerisch-schwedische Technikkonzern treibt an vor-derster Front die Energiewende voran Dafuumlr forscht man bei ABB intensiv zu erneuerbaren Energien schlauen Stromnetzen sowie hocheffizienten Industrieanlagen Einzig die schwache Nachfrage nach Energieanlagen in Europa bremst die ExpansionText Andreas Fluumltsch

Innovativer Treiber der Energiewende

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uumlber weite Strecken in die Ballungsraumlume geleitet werden muss brummt das Geschaumlft In den USA treibt der Oumll- und Gasboom die Nachfrage Nur in Europa harzt das Geschaumlft mit Grossanlagen Weniger Nachfrage belastet die Margen bei Auftraumlgen fuumlr Wind- und Solarfarmen so-wie fuumlr Netzinfrastruktur Die Risiken der oft mehrjaumlhrigen Projekte sind so hoch dass ABB waumlhlerischer sein muss und etwa das Geschaumlft mit Solarloumlsungen zurzeit auf Sparflamme betreibt Dennoch ist ABB immer noch hoch-profitabel nicht zuletzt da die Kosten Jahr fuumlr Jahr um 3 bis 5 Prozent gesenkt werden Aber der erfolgsgewohnte Konzern musste sich 2013 mit 6 Prozent Umsatzplus zu-friedengeben Umso intensiver treibt der neue ABB-Chef Ulrich Spiesshofer die Integration der vorab in den USA fuumlr 10 Milliarden Dollar getaumltigten Zukaumlufe voran Und Spiess-hofer forciert die Zusammenarbeit der Divisionen damit ABB die Unternehmensvision laquoEnergie und Produktivitaumlt fuumlr eine bessere Weltraquo mit moumlglichst vielen eigenen Pro-dukten realisieren kann

zur Leittechnik samt angepasster Software Kleine und mittlere Kunden ordern Komponenten oder Teilsysteme Ein wichtiges Verkaufsargument ist das Sparpotenzial von stufenlos steuerbaren Elektromotoren Nur einer von fuumlnf Motoren hat laut einer Erhebung des Bundes einen Leis-tungsregler der Rest laumluft auf Hochtouren und wird ndash man glaubt es kaum ndash bei Bedarf mit Klappen oder Ventilen mechanisch abgebremst Eine gigantische Verschwen-dung da Industriemotoren laut einer Studie der Schwei-zerischen Agentur fuumlr Energieeffizienz 27 Prozent des Schweizer Stromverbrauchs ausmachen

Europaumlische ZuruumlckhaltungEigentlich muumlsste die Division Energietechniksysteme ebenfalls ausgelastet sein Denn auch die Stromwirtschaft muss ihre Effizienz steigern Schliesslich erfordert die Energiewende einen Totalumbau der auf Verteilung ausge-richteten Netze damit diese unter der Last von Solar- und Windenergie nicht instabil werden Arbeit in Huumllle und Fuumllle fuumlr ABB sollte man meinen Doch der erst zaghafte Auf-schwung in Europa daumlmpft die Nachfrage Erschwerend kommt hinzu dass subventionierte Wind- und Solarener-gie in Europas liberalisiertem Strommarkt den Strompreis in ungeahnte Tiefen druumlckte Die Konkurrenzfaumlhigkeit von Wasser- Gas- und Atomkraftwerken hat gelitten Pump-speicher sind keine Goldesel mehr seit die erneuerbaren Energien die Preisspitzen brechen Entsprechend schie-ben Stromkonzerne wie Alpiq oder RWE Investitionen auf Unsicherheiten rund um den Atomausstieg belasten zu-saumltzlich Die voraussichtlich noch auf Jahre hinaus tiefen Strompreise schmaumllern auch die Faumlhigkeit der Besitzer von Hochspannungs- und Verteilnetzen deren Umruumlstung zu finanzieren hoch verschuldete EU-Staaten fahren die Foumlrderung von Wind- und Solarenergie zuruumlck

Straffe KostenkontrolleABB bekommt den Investitionsstau empfindlich zu spuuml-ren Die Division Energietechniksysteme schreibt seit eini-ger Zeit rote Zahlen Zwar ordern Grosskunden aus Asien und Lateinamerika weiterhin kraumlftig Neben China inves-tiert vermehrt auch Indien in neue Stromnetze Uumlberall dort wo die Bevoumllkerung rasch waumlchst oder der Strom

Andreas FluumltschAndreas Fluumltsch war urspruumlnglich Jurist und arbeitete ab 1983 als Journalist fuumlr laquoBlickraquo laquoWeltwocheraquo laquoBilanzraquo und laquoCashraquo Zwischen 1989 und 1990 war er Mitglied der Geschaumlftsleitung von Greenpeace Schweiz anschliessend Hausmann Nach der Ruumlck-kehr in den Journalismus 1992 arbeitete er bei laquoBlickraquo laquoSonntagszeitungraquo und laquoTages- Anzeigerraquo und absolvierte eine Ausbildung zum Boumlrsenhaumlndler Nach der Fruumlhpensio-nierung Ende 2013 machte er sich als Publi-zist selbststaumlndig

ABB in Zahlen (2013)Betriebsertrag 41 848 Mio USDBetriebsergebnis 4 387 Mio USDndash Industrieautomation 1 458 Mio USDndash Niederspannung 1 092 Mio USDndash Prozessautomation 990 Mio USDndash Energietechnik 1 331 Mio USDndash Energiesysteme 171 Mio USD

Mitarbeitende 147 700ndash davon in der Schweiz 6 966

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Hohe Nachfrage nach MinergieDer Erfolg der bisherigen Sparbemuumlhungen bleibt nicht aus laquoTrotz zunehmender Pro-Kopf-Wohnflaumlche und stei-gendem Komfort sinkt der Energieverbrauch fuumlrs Heizen in den letzten Jahrzehnten stetigraquo verkuumlndet der Zuumlrcher Regierungsrat im Energieplanungsbericht 2014 Dazu tra-gen nicht nur die laufend verschaumlrften Gesetze bei Ebenso wichtig ist die Bereitschaft von Bautraumlgerschaften freiwillig Uumlberdurchschnittliches zu leisten Vor allem die Minergie-Regeln werden inzwischen gerne befolgt weshalb Haumluser mit halbiertem Energieverbrauch beinahe Standard sind Schweizweit traumlgt eines von zehn neuen Wohnhaumlusern ein Minergie-Zertifikat Der Anteil an Minergie-Haumlusern im Grossraum Zuumlrich liegt gemaumlss einer Marktanalyse der Universitaumlt Zuumlrich bereits nahe bei 20 Prozent Dies ist privaten Hauseigentuumlmern und institutionellen Investoren zu verdanken Wohn- und Geschaumlftshaumluser mit houmlchster Energieeffizienz gehoumlren inzwischen zum guten Ton Den juumlngsten Beweis liefert eine Immobilienstiftung der Credit Suisse die 70 Millionen Franken in die groumlsste Oumlkosied-lung der Schweiz investiert Im Aargauer Reusstal wohnen seit diesem Jahr rund 200 Familien Paare und Singles deren Wohnhaumluser sich weitgehend selbst mit Sonnen-energie versorgen So klimafreundlich die Energiewende-Architektur ist der Investor erwartet dennoch marktuumlb-liche Renditen Ist der Markt aber bereit oumlkologisches Engagement angemessen zu honorieren

Marktpotenzial fruumlhzeitig erkanntDie Zuumlrcher Kantonalbank (ZKB) beziffert den Mehrwert von Minergie-Haumlusern auf 7 Prozent Kaumlufer seien bereit diesen Aufpreis fuumlr mehr Energieeffizienz zu bezahlen Als weitere Nebeneffekte nennt der vor drei Jahren publizierte ZKB-Bericht eine hochwertige dauerhafte Bausubstanz sowie die Absicherung gegen steigende Oumll- und Energie-preise Fachleute des Immobilienberatungsunternehmens Wuumlest amp Partner (WampP) warnen indes dass sich zusaumltz-liche Investitionen in die Energieeffizienz nicht uumlberall loh-nen laquoRegional schwankt die Zahlungsbereitschaft des Immobilienmarktsraquo praumlzisiert WampP-Partner Ivan Anton Minergie-Haumluser koumlnnen aber nicht nur in abgelegenen Regionen ein Marktrisiko werden laquoMit Ausnahme der

Beim Autokauf wird bevorzugt auf Pferdestaumlrken Be-schleunigung und Innenausstattung geachtet Der CO2-Ausstoss interessiert hingegen kaum So kommt die Energieeffizienz im Strassenverkehr nur stockend voran 1995 schluckten alle neu immatrikulierten Personen-wagen durchschnittlich 9 Liter Benzin pro 100 Kilometer 20 Jahre spaumlter liegt der Durchschnittsverbrauch gemaumlss Bundesamt fuumlr Energie (BFE) immer noch uumlber 6 Litern Das viel gepriesene laquoDrei-Liter-Autoraquo haben alle Hersteller wieder aus der Modellpalette genommen

Demgegenuumlber gelingen dem oft traumlge genannten Ge-baumludebereich weitaus groumlssere Effizienzspruumlnge Ver-brauchen 40 Jahre alte Haumluser im Schnitt 220 Kilowatt-stunden (kWh) Heizenergie pro Quadratmeter Wohnflaumlche und Jahr sind die aktuellen Werte unter die 50er-Marke gesunken Zusaumltzliche Sparerfolge sind nur eine Frage der Zeit Im Fruumlhsommer haben die kantonalen Energie-direktoren uumlber ein Rahmenabkommen beraten das Null-energieneubauten demnaumlchst zum Standard machen soll Wie die nationale Energiewende zu erreichen ist erklaumlrt Christoph Gmuumlr von der Abteilung Energie des Kantons Zuumlrich laquoDer spezifische Verbrauchswert ist zudem auf 35 kWh pro Quadratmeter zu senkenraquo Gebaumlude die sich mit umweltfreundlicher Energie selbst versorgen wollen auch die EU-Staaten Ab 2020 wird ein Gebaumludestandard eingefuumlhrt der nur noch laquoNiedrigstenergiegebaumluderaquo mit sehr hoher Energieeffizienz als Neubauten vorsieht

Energiesparhaumluser waren vor 30 Jahren Exoten inzwischen nimmt der Bereich der energie-effizienten Gebaumlude eine Vor-bildrolle fuumlr die Energie wende ein Bauherren profitieren davon ebenso wie die Zuliefer-branche Text Paul Knuumlsel

Expertensicht

Haumluser in der ersten Reihe

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der Bau von Niedrigenergiehaumlusern und alternativen Hei-zungsanlagen sowie energetische Gebaumludesanierungen Investitionen im Umfang von rund 4 Milliarden Franken ausgeloumlst rechnet der Bund vor laquoEin Fuumlnftel insgesamt 860 Millionen Franken stammt aus den oumlffentlichen Kas-senraquo verweist die BFE-Stelle EnergieSchweiz auf die Im-pulse der kantonalen Foumlrderprogramme Einen Wermuts-tropfen besitzt diese Wirkungsbilanz Fruumlhere Analysen der Energiesparprogramme zeigen naumlmlich dass zwi-schen einem Drittel und der Haumllfte der energetisch vorbild-lichen Gebaumlude auch ohne staatliche Foumlrderung realisiert worden waumlren Dem Mitnahmeeffekt ist auch die Eidge-noumlssische Steuerverwaltung auf der Spur Sie schaumltzt dass Bund und Kantonen jaumlhrlich 14 Milliarden Franken entgehen weil energetische Gebaumludesanierungen bei der Liegenschaftssteuer abzugsberechtigt sind Die Energie-wende erfordert nicht nur mehr Effizienz bei den Anwen-dungen sondern auch einen effizienten Einsatz staatlicher Mittel Im Energieplanungsbericht 2013 hat der Zuumlrcher Regierungsrat erstmals uumlber alternative Anreizsysteme nachgedacht Demnach soll eine Lenkungsabgabe den Energiekonsum reduzieren und das bisherige Foumlrdersys-tem abloumlsen Aumlhnliche Plaumlne verfolgt der Bund Denn ein Lenkungssystem duumlrfte weitere Sparbemuumlhungen im Ge-baumludebereich aber auch im Strassenverkehr foumlrdern Ins-besondere dann wenn Heizoumll und Benzin im Gleichschritt teurer werden

begehrten Wohnlagen haben Hauseigentuumlmer an vielen Orten mit moumlglichen Verkaufsverlusten zu rechnenraquo so Anton Zwar sei die Nachfrage bei Eigentuumlmern und Mie-tern aumlhnlich gross Aber auch Mieter wuumlrden nicht uumlberall mehr fuumlr eine energieeffiziente Wohnung bezahlen Kaum uumlberraschen darf daher dass Immobilieninvestoren immer haumlufiger die steigenden Energieanforderungen kritisieren und kostenguumlnstigere Baustandards vorziehen Fuumlr WampP-Berater Urs Hausmann ist laquonachhaltiges Bauen trotzdem keine Frage von Luxus oder Wohlstand sondern eine wie man mit Ressourcen umgehen willraquo Dass ein hohes Um-weltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauen Der Run auf den oumlkologischen Baustoff Holz laumlsst zum Beispiel eine gesamte Wertschoumlpfungskette und viele

innovative Unternehmen profitieren Forstbetriebe Sauml-gereien Fensterbauer Daumlmmstoffhersteller und andere Bauzulieferer vergroumlssern ihre Produktionskapazitaumlten und stellen zusaumltzliches Personal ein laquoDie Umsaumltze im Schweizer Holzbau sind in den letzten Jahren um mehrere Hundert Millionen Franken gestiegen und die Trendkurve zeigt weiter nach obenraquo freut sich Christoph Starck Di-rektor des Holzbaudachverbands Lignum

Einheimische Zulieferer als GewinnerAuch im Verein Minergie ist man sich bewusst dass sich energieeffizientes Bauen wirtschaftlich positiv auswirkt In den letzten 15 Jahren sind 25 000 Wohnhaumluser Buumlro-komplexe Schulbauten Sport- und Industriehallen mit Niedrig energiezertifikat entstanden Gemeinsam sparen sie 15 Milliarden Kilowattstunden Energie laquoUumlber 2 Milliar-den Franken wurden zusaumltzlich investiertraquo rechnet Miner-gie-Sprecher Antonio Milelli vor Anstatt fossile Brennstoffe einzukaufen wird mehr Geld fuumlr Daumlmmstoffe Isolierfenster Luumlftungsanlagen und Sonnenkollektoren aus inlaumlndischer Fabrikation ausgegeben Zwischen 2001 und 2012 haben

Paul KnuumlselPaul Knuumlsel studierte Umweltnaturwissen-schaften an der ETH Zuumlrich Er ist unabhaumln-giger Wissenschaftsjournalist und schreibt seit Jahren in Publikums- und Fachmedien uumlber die vielfaumlltigen Aspekte des nachhalti-gen Bauens Zusaumltzlich betreut er in der Re-daktion des laquoTEC21raquo das Ressort laquoEnergie und Umweltraquo

laquoDass ein hohes Umweltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren

derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauenraquo

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Der Wasserkraft Sorge tragen

Welchen Beitrag kann die Wasserwirtschaft zur Energie-wende leisten Roger Pfammatter Die Wasserkraft ist der energie-politische Trumpf der Schweiz Wir befinden uns in der gluumlcklichen Lage uumlber grosse Mengen Wasser und das notwendige Gefaumllle zu verfuumlgen ndash das sind die beiden wichtigsten Voraussetzungen fuumlr die hydroelektrische Produktion Und wir haben in den vergangenen 100 Jah-ren gelernt dieses Potenzial effizient und moumlglichst um-weltschonend zu nutzen Die Wasserkraft ist der Schluumls-sel fuumlr eine nachhaltige Energieversorgung technisch ausgereift politisch erwuumlnscht einheimisch erneuerbar und CO2-frei

Wie viel mehr ist moumlglichHeute leistet die Wasserkraft nicht nur rund 60 Prozent der Stromproduktion in der Schweiz sondern bietet auch unverzichtbare Regel- und Systemdienstleistungen die markant an Bedeutung gewinnen werden Vor allem bei der Flexibilisierung der Wasserkraft durch mehr Leistung und Speichervolumen waumlre noch einiges moumlglich Um die Aufgaben weiterhin zu gewaumlhrleisten muumlssen wir aber primaumlr dem Bestehenden Sorge tragen

Die Energiestrategie des Bundes gibt aber klare Ausbau-ziele vor Bis 2035 soll die Stromproduktion aus Wasser-kraft um 10 Prozent steigenUnter den momentanen Rahmenbedingungen ist dieses Ausbauziel nicht realistisch Im Gegenteil Aufgrund der Restwasserbestimmungen wird die Produktion in den naumlchsten Jahren vermutlich sogar zuruumlckgehen

Die Wasserkraft ist der wichtigste Pfeiler der Schweizer Ener-giewirtschaft ihr Potenzial ist aber weitgehend ausgeschoumlpft Roger Pfammatter Geschaumlftsfuumlhrer des Wasserwirtschaftsver-bands gibt im Interview Auskunft uumlber die Lage der Branche und ihre Bedeutung fuumlr die EnergiezukunftInterview Florian Wehrli

Expertensicht

Was muss sich aumlndern damit die vorgegebenen Ziele um-gesetzt werden koumlnnenZum einen braucht es dafuumlr die Akzeptanz der Umweltver-baumlnde der Fischer und letztlich der gesamten Bevoumllkerung Zum anderen muumlssen laumlngerfristig die extremen Marktver-zerrungen abgebaut werden damit sich auch Investitionen in die nicht gefoumlrderte Wasserkraft wieder lohnen Heute wird nur noch in subventionierte Anlagen investiert

Wer ist hier in der PflichtHier ist die Politik gefordert die Rahmenbedingungen zu verbessern Denn ohne die Wasserkraft kann die Energie-wende nicht gelingen

Anfang Jahr wurde der Wasserwirtschaftsverband von den zustaumlndigen Kommissionen angehoumlrt Welche Forderun-gen hat die Branche an das ParlamentWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerba-re Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichten die bereits bis zur Haumllfte der Geste-hungskosten ausmachen Damit sind wir doppelt diskrimi-niert Die Wasserkraft ist extrem unter Preisdruck ndash und dies obwohl sie mit Gestehungskosten zwischen 3 und 10 Rappen pro Kilowattstunde die effizienteste Strompro-duktionstechnologie ist Nur zum Vergleich Fotovoltaik -anlagen werden heute mit rund 40 Rappen subventioniert

Bis 2011 liess sich mit der Grosswasserkraft noch viel Geld verdienen Wurden zu wenige Ruumlcklagen fuumlr schlechte Zei-ten gebildet

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Es kann nicht der Sinn sein Ruumlcklagen fuumlr Zeiten zu bil-den in denen die Marktpreise die Gestehungskosten nicht mehr decken Das waumlre wie wenn ein Baumlcker auf jedem Gipfeli einige Rappen zuruumlckbehalten muumlsste damit er sie am naumlchsten Tag gratis abgeben kann Mit dem durch Subventionen verzerrten Marktpreis von 4 bis 5 Rappen pro Kilowattstunde ist unter den konventionellen Energie-traumlgern praktisch nur Kohle konkurrenzfaumlhig Das ist be-stimmt nicht im Sinn der Energiewende

Drei Grosswasserkraftprojekte sind heute bereits im Bau Koumlnnen die enormen Kosten uumlberhaupt amortisiert wer-denPrognosen sind schwierig An der europaumlischen Strom-boumlrse (EEX) werden bis 2020 Strompreise zwischen 45 und 53 Rappen pro Kilowattstunde gehandelt Der Markt glaubt also nicht an eine baldige Erholung Dafuumlr muumlsste das Uumlberangebot in Europa zuruumlckgehen etwa uumlber die Anhebung des CO2-Preises von heute 5 auf mindestens 30 Euro pro Tonne Politisch ist das aber kaum durchsetz-bar Neue Pumpspeicherwerke werden sich deshalb wohl erst in mehreren Jahrzehnten lohnen

Was kann die Kleinwasserkraft leistenOhne die kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) wuumlr-de niemand Kleinwasserkraftanlagen bauen genauso we-nig wie Fotovoltaik- Wind- oder Biomasseanlagen Zurzeit gibt es aber allein bei der Kleinwasserkraft rund 1 000 An-meldungen fuumlr Foumlrderbeitraumlge mit einem bescheidenen Ge-samtpotenzial von 33 Terawattstunden pro Jahr Die oumlko-logischen Auswirkungen sind im Vergleich zum Ertrag zu gross Obwohl wir von marktverzerrenden Foumlrderprogram-men wegkommen sollten waumlre es in einer Uumlbergangs phase sinnvoll die KEV-Obergrenze von 10 Mega watt aufzuheben und dort zu foumlrdern wo es wirklich etwas bringt

Wie soll die Grosswasserkraft unterstuumltzt werdenDas Sinnvollste waumlre die Abkehr von der Subventions-maschinerie ndash und zwar auf europaumlischer Ebene Dann wuumlrde sich die Wasserkraft als effiziente erneuerbare Stromproduktionsform mit Sicherheit durchsetzen Min-destens als Uumlbergangsloumlsung waumlre aber die Entlastung

von Abgaben in erster Linie vom Wasserzins dringend Der maximale Wasserzins wurde in den letzten vier Jahren um 38 Prozent erhoumlht und wird naumlchstes Jahr um weite-re 10 Prozent angehoben Diese Erhoumlhung wurde 2008 beschlossen und steht heute in keinerlei Bezug mehr zur Ertrags lage Kurzfristig koumlnnten die Kantone auf einen Teil dieser Zinsen verzichten ndash das waumlre ein wichtiges politi-sches Zeichen Langfristig muss ein neuer Modus fuumlr die Zinsberechnung gefunden werden der die Ertragslage der Wasserkraft mitberuumlcksichtigt Das ist auch im Interesse von Bund Kantonen und Gemeinden schliesslich ist die Wasserkraft zu 85 Prozent in oumlffentlicher Hand Ebenfalls als Uumlbergangsloumlsung bis zu besseren Marktpreisen waumlren zinsguumlnstige Darlehen fuumlr die noumltigen Investitionen in die Grosswasserkraft denkbar Ohne mindestens eine dieser Massnahmen kann die Wasserwirtschaft das geforderte Ausbauziel nicht erreichen

Bis dahin gibt es noch eine weitere Huumlrde den Heimfall der Stauanlagen an die Standortgemeinden Welchen Ein-fluss hat dieser UmstandWenn die Konzessionen nach 80 oder 100 Jahren aus-laufen muss der Betreiber der Gemeinde eine Entschaumldi-gung fuumlr den Restwert der Anlagen entrichten Im Fall der Staumauer Barberine bezahlen die SBB und Alpiq 2017 an sechs Walliser Gemeinden 343 Millionen Franken Das 400-Seelen-Dorf Finhaut erhaumllt alleine 112 Millionen Fran-ken und weiss kaum wohin mit dem Geld Der gesamte Wert des Heimfalls der Anlagen bewegt sich schweizweit im Milliardenbereich Der Houmlhepunkt des Heimfalls wird um 2035 erreicht werden Bis zu diesem Zeitpunkt soll aber auch ein Grossteil der geforderten Produktionsstei-gerung umgesetzt werden

Bei der Stromproduktion ist ein Ausbau von uumlber 10 Pro-zent wohl nicht realistisch Wie sieht es bei der Speicher-leistung aus Hier muss man unterscheiden zwischen kurzfristiger und saisonaler Speicherung Fuumlr die saisonale Speicherung verfuumlgt die Schweiz mit 200 Speicherseen uumlber ein Vo-lumen von rund 9 000 Gigawattstunden (GWh) die jedes Jahr vom Sommer in den Winter umgelagert werden Dies

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Expertensicht

entspricht einem Viertel der jaumlhrlichen Produktion aus Wasserkraft Das Ausbaupotenzial durch die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren betraumlgt rund 2 000 GWh Falls der Ausbau aber nicht gelingt entsteht im Winter durch den Ausfall der Kernenergie eine immer groumlssere Luumlcke an Bandenergie die durch den Import von Atom- oder Kohlestrom gedeckt werden muss

Wie sieht es beim Ausbau der Pumpleistung zum kurzfris-tigen Ausgleich von Schwankungen im Netz ausGrundsaumltzlich ist das Potenzial fuumlr Pumpspeicherwerke in der Schweiz riesig Es braucht nur zwei Seen auf unter-schiedlicher Houmlhe Die Frage ist ob sich solche Investi-tionen rechnen Die Pumpspeicherwerke finanzieren sich

uumlber den Preisunterschied zwischen Band- und Spitzen-energie Wenn an einem schoumlnen Sommertag in Europa mittags die geballte Ladung an Sonnen- und Windener-gie eingespeist wird koumlnnen die Pumpspeicherkraftwerke sehr guumlnstig oder sogar zu Negativpreisen Strom bezie-hen Man darf aber nicht vergessen dass dieselbe Situa-tion fuumlr die Laufwasserkraftwerke die rund die Haumllfte der Wasserkraftproduktion in der Schweiz ausmachen den gegenteiligen Effekt hat Diese koumlnnen aus technischen konzessionsrechtlichen oder oumlkologischen Gruumlnden nicht vom Netz genommen werden und muumlssen fuumlr ihre Strom-produktion bezahlen Das kann gehoumlrig ins Geld gehen An Weihnachten 2012 lag der Strompreis zum Beispiel bei minus 30 Rappen pro Kilowattstunde

Roger Pfammatter laquoWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerbare Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichtenraquo

Bild Florian Wehrli

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cherseen zur Flexibilisierung Damit das gelingt muss der Wert der Wasserkraft staumlrker im Bewusstsein der Bevoumllke-rung verankert sein Und nicht zuletzt muss der Marktpreis so weit uumlber den Gestehungskosten liegen dass sich In-vestitionen in die Wasserwirtschaft rentieren

Versuchen das Bestehende zu erhalten Diese Vision klingt etwas resigniertDas ist eine Frage der Perspektive Die Wasserkraft hat als Technologie in der Schweiz seit Langem Bestand Sie befindet sich in einer anderen Situation als Fotovoltaik und Windenergie die sich in einem hochdynamischen Umfeld mit grossem Potenzial in Forschung und Wachstum be-finden Die Wasserkraft ist dagegen nicht mehr in der Auf-bruchsphase sondern in der Konsolidierungsphase Da-fuumlr kann man sich auf die Wasserkraftwerke verlassen Sie produzieren bei Tag und in der Nacht im Sommer wie im Winter bei Windstille oder im Nebel Auch der Erhalt und die Optimierung des Bestehenden sind grosse Heraus-forderungen und bedingen grosse Investitionen

Sehen Sie eine Moumlglichkeit wie die Schweizer Wasser-wirtschaft in Zukunft Geld mit Systemdienstleistungen wie Netzstabilitaumlt verdienen kannDie unregelmaumlssig einspeisenden Stromproduzenten neh-men keinerlei Systemverantwortung wahr Ich habe selbst ein Solarpanel auf dem Dach Wenn Produktion moumlglich ist speise ich Strom ins Netz ein wenn nicht beziehe ich Die Produzenten mehr in die Verantwortung zu nehmen faumlnde ich sinnvoll ndash zum Beispiel uumlber Zertifikate fuumlr Spei-cherleistungen Diese koumlnnten bei Pumpspeicherwerken bezogen werden

Welcher Ausbau der Pumpspeicherleistung ist dafuumlr noumltigDie installierte Leistung betraumlgt heute rund 14 Gigawatt (GW) Mit den im Bau befindlichen und den geplanten An-lagen kann die Kapazitaumlt maximal auf 51 GW ausgebaut werden ndash etwa die Haumllfte der Jahreshoumlchstlast im Netz Damit die Schweizer Wasserkraft aber einen Beitrag zur Stabilitaumlt des europaumlischen Stromnetzes leisten kann muumlssten auch das Stauvolumen und die Leitungskapazi-taumlt erhoumlht werden Hier sind die Einsprachen von Anwoh-nern und Umweltverbaumlnden noch gravierender als bei den Anlagen selbst

Braucht es neue rechtliche Instrumente um den geplan-ten Ausbau durchsetzen zu koumlnnenEs braucht vor allem die Einsicht dass die Wasserkraft das Ruumlckgrat unserer Versorgungssicherheit ist und die Aus-wirkungen eines Ausbaus immer auch mit den Alternativen verglichen werden muumlssen Wir befinden uns aber auch in einem intensiv genutzten Land mit vielen Partikularinteres-sen Diese muumlssen gewichtet und abgewogen werden In der Abwaumlgung zwischen Landschaftsschutz und Wasser-nutzung waumlre es hilfreich wenn Grosswasserkraftanlagen den Status von nationalem Interesse erhalten

Wie soll die Schweizer Wasserwirtschaft im Jahr 2035 aussehenIch wuumlnsche mir dass die bestehende Infrastruktur auf dem heutigen Stand erhalten optimiert oumlkologisiert und im Idealfall etwas ausgebaut wird Dazu gehoumlren etwa die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren sowie neue Spei-

Roger PfammatterSeit seinem Ingenieurstudium an der ETH Zuumlrich hat er sich in ver-schiedenen Rollen dem Wasser verschrieben Nach sieben Lehr- und Wanderjahren in der Forschung und in der Entwicklungszusammen-arbeit war er zehn Jahre beim Ingenieurunternehmen Ernst Basler + Partner engagiert Seit 2010 ist er Geschaumlftsfuumlhrer des Schweizeri-schen Wasserwirtschaftsverbandes (SWV) und Herausgeber der Zeit-schrift laquoWasser Energie Luftraquo In diesen Funktionen setzt er sich ein fuumlr den Fachaustausch und gute Rahmenbedingungen in den Bereichen Wasserkraft und Hochwasserschutz

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Die globalen Energiemaumlrkte sind seit einigen Jahren stark in Bewegung Volatile Erdoumllpreise die Foumlrderung von un-konventionellen Gasvorkommen in grossem Stil die mas-sive Subventionierung von neuen erneuerbaren Energien in Deutschland der laquoarabische Fruumlhlingraquo und der Konflikt in der Ukraine hinterlassen Spuren Die Folge sind starke Verwerfungen an den Maumlrkten und fehlende Investitionssi-cherheit In diesem dynamischen und unsicheren Kontext will der Bund die bisherige Energiepolitik neu ausrichten ndash wahrlich eine Herkulesaufgabe Die Schweizer Wirtschaft verlangt dass der Bund bei der Neuausrichtung der Ener-giepolitik seinem in der Verfassung verankerten Auftrag nachkommt und sich fuumlr eine ausreichende sichere breit gefaumlcherte wirtschaftliche und umweltvertraumlgliche Ener-gieversorgung einsetzt Somit ist klar Die Energiestrate-gie 2050 muss in erheblichen Teilen optimiert und justiert werden Nur wenn vernetzt gedacht wird ist eine sichere Versorgung zu wettbewerbsfaumlhigen Preisen moumlglich

Prognosen klaffen weit auseinanderSeit Jahrzehnten bietet der Strommix aus Wasserkraft (knapp 60 Prozent) und Kernenergie (40 Prozent) Gewaumlhr fuumlr eine sichere klimafreundliche und wirtschaftliche Ener-gieversorgung Im Rahmen der Energiestrategie 2050 muss die Kernenergie langfristig ersetzt werden Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen zumal die Ziele des Bundes

Lebenselixier der Wirtschaft

Die Schweizer Wirtschaft ist auch in Zukunft auf eine sichere und wirtschaftliche Stromver-sorgung angewiesen Die Ener-giestrategie 2050 setzt stark auf Subventionen Dadurch entstehen Fehlanreize welche die Versorgungssicherheit ge-faumlhrdenText Kurt Lanz

Expertensicht

in Bezug auf das Potenzial der neuen erneuerbaren Ener-gien von Wunschdenken geleitet sind Die neuen erneuer-baren Energien werden sich langsamer entwickeln als an-gestrebt Der Bund rechnet mit rund 12 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2035 die Schweizer Wirtschaft mit 44 TWh Die vorsichtigeren Prognosen der Wirtschaft scheinen re-alistischer Dies zeigen exemplarisch die gescheiterten Geothermieprojekte in Basel und St Gallen Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Nachfrageprognosen Der Bund rechnet in seinen Szenarien mit einem Ruumlckgang des Stromverbrauchs pro Kopf von 16 Prozent zwischen 2000 und 2035 Die Schweizer Wirtschaft orientiert sich in ihren Szenarien am Verband Schweizerischer Elektrizitaumlts-unternehmen (VSE) der weiter mit einer steigenden Nach-frage rechnet Die Wirtschaft fordert von der Politik eine vernuumlnftige Planung aufgrund realistischer Schaumltzungen Die Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energiestrategie nicht gefaumlhrdet werden

Subventionen fuumlhren zu FehlanreizenDie Schweiz hat seit vielen Jahrzehnten erfolgreich die Wasserkraft vorangetrieben Aus politischen Gruumlnden wird nun die ndash unregelmaumlssige ndash Stromproduktion durch Sonnen- und Windenergie forciert Unsere sogenann-te kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) entspricht dem deutschen Foumlrdermodell Beide haben das gleiche Ziel Sie sollen erneuerbare Energien ausbauen indem sie neue Formen der Stromproduktion zur Marktreife brin-gen Weil das KEV-System die Sonnen- und Windenergie massiv foumlrdert kommt ein weiterer Ausbau der bewaumlhrten Wasserkraft nicht infrage Diese Entwicklung gefaumlhrdet die Versorgungssicherheit der Schweiz Auf den ersten Blick sinken zwar die Produktionskosten fuumlr Solarstrom gleich-zeitig steigen aber die Kosten fuumlr Speicherung und Inte-gration ins Netz spuumlrbar Auch ist der Ausbau von Solar- und Windenergie nur von beschraumlnktem Nutzen solange keine ausreichenden Speicherkapazitaumlten vorhanden sind Nur Preissignale koumlnnen das Investitionsverhalten von Stromproduzenten Netzbetreibern und Konsumen-ten sinnvoll lenken Subventionen sind zu beseitigen denn sie fuumlhren zu Fehlanreizen

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Alle Optionen offenhaltenOffenheit und Neugier gehoumlren zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft Kategorisches Abwehrverhalten und Denkverbote verhindern konstruktive Loumlsungsansaumltze und Innovation Eine sichere und kostenguumlnstige Strom-versorgung kann auch in Zukunft nur mit der notwendi-gen Offenheit gegenuumlber allen Technologien und Energie-

systemen garantiert werden Die Schweiz ist dank einer erfolgreichen Hochschulland-schaft und vielen Technolo-gieunternehmen gut geruumlstet Die verschiedenen Energie-systeme muumlssen faktenba-siert und ohne ideologische

Scheuklappen verglichen werden Nur so koumlnnen effizi-ente und umweltvertraumlgliche Loumlsungen gefunden werden Das heutige System der Foumlrderung der neuen erneuer-baren Energien ist durch ein marktorientiertes System ab-zuloumlsen Produzenten die nachfragegerecht einspeisen sollen eine houmlhere Verguumltung erhalten als andere Auch soll der Vorrang der Netzeinspeisung fuumlr subventionierte Energietraumlger aufgehoben werden

laquoDie Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit

des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energie strategie nicht

gefaumlhrdet werdenraquo

Schnellere Verfahren anstrebenGrundvoraussetzung fuumlr eine Neuausrichtung der Ener-giepolitik sind funktionierende Stromnetze Diese muumls-sen zwingend parallel zum Umbau der Stromproduktion weiterentwickelt werden Allein der noumltige Ausbau der Uumlbertragungsnetze belaumluft sich auf rund 1 000 Kilometer bis ins Jahr 2020 Erforderlich sind zudem Investitionen in alle Verteilernetzebenen Al-lerdings verzoumlgern komplizier-te Verfahren auf Kantons- und Bundesebene den Ausbau Ausserdem erwaumlchst praktisch jedem Projekt Widerstand von privater Seite was zu weiteren Verzoumlgerungen fuumlhrt Die Wirt-schaft fordert deshalb Bei Bewilligungen von Stromnetzen ist der Gang vors Bundesgericht nur noch bei Grundsatz-fragen moumlglich Umbauten sowie Spannungs- und Kapa-zitaumltserweiterungen koumlnnen ohne Planungsgenehmigung realisiert werden Ausserdem sind die Verfahren bei einer einzigen Leitbehoumlrde anzusiedeln

Spielfeld erweiternDie Schweiz ist seit jeher ein wichtiges Stromtransitland Schon seit den 90er-Jahren treibt die EU die Vereinheitli-chung des Binnenmarkts fuumlr Strom hin zu einem eigent-lichen EU-Strommarkt voran In der Schweiz erweist sich die gesetzliche Trennung von Grundversorgung und Markt diesbezuumlglich zunehmend als Hindernis Aus Sicht der Wirtschaft ist die vollstaumlndige Liberalisierung des Strom-markts eine zwingende Voraussetzung fuumlr eine erfolgrei-che energiepolitische Neuausrichtung

Eine Marktoumlffnung wuumlrde insbesondere auch den erneuer-baren Energien neue Chancen eroumlffnen und Zugang zu neuen Kunden gewaumlhren Von hoher Wichtigkeit ist auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU Je groumlsser der Anteil erneuerbarer Energien umso wichtiger ist die Einbettung in Europa denn Investitionen in Netze und Produktion koumlnnen in Koordination mit der EU wirkungsvoller und wahrscheinlich kostenguumlnstiger getaumltigt werden

Kurt LanzKurt Lanz ist Leiter Infrastruktur Energie und Umwelt sowie Geschaumlftsleitungsmitglied von economiesuisse dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft

Gut vernetzt ndash Vorschlaumlge der Schweizer Wirtschaftzur EnergiepolitikDie Publikation basiert auf der Grundlagenarbeit der breit abgestuumltz-ten Energiekommission von economiesuisse und macht konstruk-tive Vorschlaumlge fuumlr einen erfolgreichen energiepolitischen Weg der Schweiz Download unter wwweconomiesuissech

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

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Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

wwwsmlzhawch

Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 10: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

10 COMPETENCE | 2014

Bundesrat und Parlament haben 2011 als Reaktion auf den Reaktorunfall in Fukushima entschieden mittelfristig aus der Kernenergie auszusteigen und sich gleichzeitig den zwei grossen Herausforderungen der kommenden Jahre zu stellen Zum einen wird die weltweite Nachfrage nach Energie nochmals stark ansteigen da die zuneh-mende Weltbevoumllkerung absolut gesehen und pro Kopf immer mehr Energie konsumiert Das fuumlhrt zu einer deut-lichen Verschaumlrfung des Wettbewerbs um Energie Eine Energiepolitik die staumlrker lokal verankert ist entschaumlrft das Problem Zum anderen birgt die Klimaerwaumlrmung grosse oumlkologische wirtschaftliche und gesellschaftliche Risiken denen mit klimapolitischen Entscheiden auf glo-baler Ebene begegnet werden muss Mit einer konzisen Energie- und Klimapolitik haumllt die Schweiz hierauf eine moumlgliche Antwort bereit

Energiewende im historischen KontextDer bekannte Energiehistoriker Vaclav Smil versteht un-ter Energie die Ausschoumlpfung der natuumlrlichen Ressour-cen durch den Menschen der sich damit das Uumlberleben sichert und seine Lebensqualitaumlt erhoumlht Mit der geplan-ten Energiewende wird das System Energie in seiner ge-sellschaftlichen Dimension umfassend transformiert Die gegenwaumlrtige Diskussion wird jedoch von technischen und oumlkonomischen Fragestellungen dominiert die gesell-schaftliche Dimension kommt dagegen zu kurz Bei der Energiewende geht es jedoch um mehr als lediglich da-rum eine Ressource durch eine andere zu ersetzen Es geht darum die bestehenden Strukturen fundamental

umzuformen Es geht um Stromnetze und Erdoumllpipelines um idyllische Landschaften und Staumldte um Politik und neue Technologien Diese und zahlreiche weitere Para-meter wurden alle aufgrund energiepolitischer Entschei-dungen im vergangenen Jahrhundert gestaltet Fuumlr die Zukunft sind radikale Eingriffe geplant welche die kom-menden Generationen praumlgen werden Es ist deshalb wesentlich das Thema langfristig zu betrachten und die heutige Situation und Diskussion auch historisch zu situ-ieren Wie wurden Energiesysteme ndash also die Verknuumlpfung von Menschen Ingenieurwesen industriellen Praktiken technologischen Artefakten politischen Programmen und institutionellen Ideologien ndash formiert Welche gesell-schaftlichen Voraussetzungen haben zur Entscheidung fuumlr den einen und gegen den anderen Energietraumlger gefuumlhrt Und letztlich auch Welchen internationalen Trends ist die kleine ressourcenarme Schweiz weshalb gefolgt und in welchen Momenten hat sie sich fuumlr den schweizerischen Sonderweg entschieden

Industrialisierung und EnergiewendeEnergiesysteme entwickeln sich kontinuierlich waren je-doch historisch gesehen uumlber lange Zeit relativ stabil Die Jahrzehnte seit dem Beginn der Industrialisierung in der zweiten Haumllfte des 18 bis Ende des 19 Jahrhunderts wa-ren die Aumlra des Holzes (und nicht der Kohle) die erste Haumllfte des 20 Jahrhunderts war die Zeit der Kohle (und nicht des Erdoumlls) die zweite diejenige des Erdoumlls und der Kernenergie Die Wasserkraft war eine wichtige Strom-lieferantin jedoch nie die Nummer eins unter den Energie-

Hintergrund

Fukushima gibt den Takt vor

Der Energiesektor hat sich in den letzten 150 Jahren drama-tisch schnell entwickelt Nicht nur haben sich Produktion und Verbrauch um ein Vielfaches erhoumlht auch die wirtschaftlichen rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich grundlegend gewandelt Ein kurzer historischer Ruumlckblick zeigt die grossen Entwicklungen und Trends aufText Monika Gisler

11COMPETENCE | 2014

Problem der Entsorgung radioaktiver Abfaumllle wurden an-fangs kaum thematisiert Erdoumll wurde erst in den 1970er-Jahren zum politischen Thema als mit den Erdoumll(preis)- krisen von 197374 und 197980 seine (geopolitisch be-dingte) Endlichkeit manifest wurde Gleichzeitig verstaumlrkte die Erdoumllkrise das Bewusstsein uumlber die Abhaumlngigkeit von importierten Energietraumlgern die mit der Industrialisierung eingesetzt hatte

Anfaumlnge des UmweltschutzesAufgrund dieser beiden Entwicklungen kamen Themen wie Energiesparen und die Forderung nach umweltfreund-licheren Energien in den 1970er-Jahren erstmals auf die politische Traktandenliste Der oumlffentliche Diskurs um die laquoGrenzen des Wachstumsraquo und damit einhergehend auch die ersten Debatten zum Umweltschutz entbrannten In-teressanterweise glaubte man dass Wind- und Solar-anlagen erst ab dem Jahr 2000 in signifikantem Umfang zur Verfuumlgung stehen wuumlrden was ja auch eintrat

Die Diskussion flaute so rasch ab wie sie gekommen war Alternativenergien bewahrten ihr Nischendasein bis zu dem Ereignis das mittlerweile den neuen Takt vorgibt die Nuklearkatastrophe von Fukushima Es wird sich weisen wie erfolgreich die Umsetzungsmassnahmen sein werden und wie rasch sie implementiert werden koumlnnen Sicher scheint jedoch dass das Unternehmen Energiewende nur verstanden und ndash so zumindest die Hoffnung ndash auch ak-zeptiert wird wenn man es in seiner ganzen Dimension erfasst

traumlgern Es wird sich weisen ob das 21 Jahrhundert das-jenige der (neuen) erneuerbaren Energien sein wird

Kohle war nach Holz der wichtigste und langfristigste Energie traumlger der Schweiz Ihre Bedeutung hielt mehr als acht Jahrzehnte an ihr Niedergang setzte 1940 ein 1955 wurde sie vom Erdoumll als wichtigster Energietraumlger abgeloumlst Der Klimahistoriker Christian Pfister erklaumlrt diese Transition mit den rasch fallenden Oumllpreisen die zu einer immer groumls ser werdenden Nachfrage nach dieser guumlns-tigen Energie fuumlhrten Ein weiterer Grund war die Domi-nanz des Verbrennungsmotors uumlber die Dampfmaschine auf dem Weg zu einer immer mobileren Gesellschaft Es ist nicht nur das Angebot sondern auch die Nachfrage welche die Bedeutung eines Energietraumlgers formt Die Entscheidung fuumlr Oumll (und spaumlter Gas) war gleichermassen beeinflusst von den technischen Veraumlnderungen wie von den Verschiebungen am Finanzmarkt

Schon fruumlh hatte auch die Wasserkraft eine grosse Be-deutung fuumlr die Schweiz 1918 war man uumlberzeugt dass laquo[hellip] fuumlr unser Land [hellip] die Frage der Energiequelle ein-wandfrei erledigt [sei] Der ganze Entwicklungsgang von Technik und Volkswirtschaft fuumlhrt endlich zur Erkenntnis dass die Natur uns mit den Wasserkraumlften fuumlr die Kohlen-armut entschaumldigtraquo (Parlamentarische Debatte zum Was-serrechtsgesetz 1918) Wasserkraft wurde im Energiemix immer ergaumlnzend zu anderen Ressourcen eingesetzt und nach 1970 entscheidend wenn auch nicht paritaumltisch mit Kernenergie zur Gewinnung von Elektrizitaumlt komplettiert

So war die zweite Haumllfte des 20 Jahrhunderts die Zeit des Erdoumlls und der Kernenergie Die beiden Energie traumlger entwickelten sich nach 1945 fast parallel und haben doch eine sehr unterschiedliche Geschichte Das hat mit ihrer jeweiligen Form und Verfuumlgbarkeit zu tun aber auch da-mit dass ihre politische Bedeutung sehr verschieden-artig war Die Kernkraft barg aufgrund ihrer Naumlhe zu ei-ner toumldlichen Waffe schon immer politischen Sprengstoff Gleichzeitig genoss sie anfaumlnglich auch den Ruf einer sauberen und nahezu unbegrenzt zur Verfuumlgung stehen-den Energiequelle Die Gefahr einer Verstrahlung und das

Monika GislerDr Monika Gisler hat an den Universitaumlten Zuumlrich Basel und Los Angeles (UCLA) Ge-schichte und Politische Philosophie studiert Sie war Forschungsverantwortliche an der ETH Zuumlrich und bietet seit 2008 mit laquoUnter-nehmen Geschichteraquo Forschung Lehre und Beratung zu den Themen Umwelt Energie und Innovation an (wwwunternehmenge-schichtech) Aktuell lehrt sie als Dozentin an der ETH zu Energiewenden in Geschichte und Gegenwart

Wie viele Fotovoltaikanlagen sind auf den Daumlchern Winterthurs zu finden

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13COMPETENCE | 2014

Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Energieversorgung

dem Parlament die Energiestrategie 2050 vor welche die Basis fuumlr diesen Umbau schafft Grundsaumltze der Energie-strategie sind die Energieeffizienz die Steigerung des An-teils aus erneuerbaren Energien und die Umsetzung des Verursacherprinzips Das bedeutet dass die Kosten der Energienutzung moumlglichst von den Verursachern getragen werden

Die Schweiz verfuumlgt zwar uumlber eine hohe Versorgungs-sicherheit allerdings sind unsere Energiequellen teilweise nicht nachhaltig Gegenwaumlrtig liegt der Anteil der fossilen Energietraumlger am Endenergieverbrauch bei rund 80 Pro-zent Damit traumlgt die Schweiz zu den negativen Folgen der Klimaerwaumlrmung bei Als rohstoffarmes Land importiert sie einen grossen Teil dieser Energie ndash insbesondere Roh-oumll und Gas Dementsprechend hoch ist die Abhaumlngigkeit vom Ausland Zudem steht die Schweiz energiepolitisch vor weiteren grossen Herausforderungen Aufgrund des Bevoumllkerungs- und Wirtschaftswachstums des steigen-den Wohlstands sowie der zunehmenden Mobilitaumlt nimmt die Nachfrage nach Energie zu Teilweise veraltete Infra-struktur wachsender Wettbewerb und die Integration in das europaumlische Energienetz stellen das Energiesystem zudem vor zusaumltzliche Herausforderungen die es zu be-waumlltigen gilt

Langfristige StrategieUm diese Herausforderungen anzugehen ist ein Umbau des Energiesystems in Richtung Nachhaltigkeit unabding-bar Im Nachgang zur Reaktorkatastrophe in Fukushima haben Bundesrat und Parlament im Jahr 2011 den Grund-satzentscheid fuumlr einen schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie gefaumlllt Der Bundesrat legte anschliessend

Mit der Energiestrategie 2050 des Bundes soll unter anderem der Energieverbrauch reduziert und der Anteil der erneuerbaren Energien erhoumlht werden Dazu gehoumlren eine Reduk tion der energiebedingten CO2-Emissionen und der schrittweise Ausstieg aus der Kernenergie ndash dies ohne die bisher hohe Versorgungs-sicherheit und die preiswerte Energieversorgung zu gefaumlhrden Die ambitioumlsen Ziele sind aber nur zu erreichen wenn ein Um-denken stattfindet und Politik Wirtschaft Wissenschaft und Gesellschaft enger zusammenarbeiten Text Walter Steinmann

Hintergrund

Stossrichtungen der Energiestrategie ndash Energieeffizienz erhoumlhen Energieverbrauch

senken Stromverbrauch stabilisieren ndash Anteil der erneuerbaren Energien erhoumlhen und

Restbedarf durch fossile Stromproduktion und Importe decken

ndash Zugang zu internationalen Energiemaumlrkten sicherstellen

ndash Um- und Ausbau der elektrischen Netze und der Energiespeicherung vorantreiben

ndash Energieforschung verstaumlrken ndash Vorbildfunktion der oumlffentlichen Hand wahrnehmen ndash Internationale Zusammenarbeit im Energiebereich

intensivieren

14 COMPETENCE | 2014

Hintergrund

Der Bundesrat hat dem Parlament im September 2013 ein erstes Massnahmenpaket zur Umsetzung der Energie-strategie 2050 vorgelegt Das Geschaumlft wird momentan von den vorberatenden parlamentarischen Kommissio-nen behandelt Es ist auf die Zielsetzungen fuumlr das Jahr 2020 ausgerichtet und soll langfristig wirken Konkret vorgesehen ist etwa eine Erhoumlhung der CO2-Abgabe auf Brennstoffe mit einer gleichzeitigen Verstaumlrkung des Ge-baumludesanierungsprogramms Weiter soll die bisherige kostendeckende Einspeiseverguumltung zu einem Verguuml-tungssystem mit Direktvermarktung umgebaut werden Dafuumlr sind eine Totalrevision des Energiegesetzes sowie Anpassungen in weiteren neun Bundesgesetzen noumltig Berechnungen zufolge soll der Energieverbrauch mit der Umsetzung des ersten Massnahmenpakets bis 2050 we-sentlich abnehmen Insbesondere bei den fossilen Ener-gietraumlgern wird mit grossen Ruumlckgaumlngen gerechnet

Volkswirtschaftlich werden sich die Kosten fuumlr die Um-setzung der Energiestrategie in Grenzen halten Den er-heblichen Investitionen in die Energieeffizienz stehen Ein-sparungen bei den Energieimporten gegenuumlber Es sind jedoch betraumlchtliche Investitionen insbesondere fuumlr den Zubau der Stromproduktion aus erneuerbaren Energietrauml-gern noumltig

Zusammensetzung des Endshyenergieverbrauchs (ohne Treibshystoffverbrauch des internationalen Flugverkehrs) bis 2050 auf der Basis des vorliegenden Massnahmen pakets des UVEK (Quelle Prognos)

Ein Markt mit ZukunftEine nachhaltige Energiepolitik ist nur moumlglich wenn die Schweiz staumlrker auf erneuerbare Energien setzt Heute stammen nur gerade 20 Prozent der verbrauchten Ener-gie aus erneuerbaren Quellen Die laufenden Arbeiten zur Energiestrategie 2050 zeigen dass Sonnen- und Wind-energie Wasserkraft und Geothermie in der Schweiz uumlber grosse Potenziale verfuumlgen deren optimale Er-schliessung jedoch durch verschiedene Faktoren behin-dert beziehungsweise verzoumlgert wird Dazu gehoumlren die

langwierigen Bewilligungsverfahren und die teils fehlende Akzeptanz in der Bevoumllkerung aber auch die begrenzten Foumlrdermittel zur Realisierung entsprechender Projekte Mit der Energiestrategie 2050 sollen guumlnstigere Rahmenbe-dingungen geschaffen werden

Die Sicherung des langfristigen Energieangebots wird zu einer der zentralen Herausforderungen und bietet gleichzeitig grosse Chancen fuumlr den Wirtschaftsstandort

laquoFortschritte bei der Ressourcen-effizienz und den erneuerbaren

Energien ermoumlglichen Wettbewerbs-vorteile auf den Exportmaumlrktenraquo

15COMPETENCE | 2014

Schweiz Bereits heute verfuumlgt die Schweiz uumlber ein gros-ses industrielles und technologisches Know-how gerade im Bereich Cleantech Fortschritte bei der Ressourcen-effizienz und den erneuerbaren Energien ermoumlglichen Wett bewerbsvorteile auf den Exportmaumlrkten sie schaffen neue Arbeitsplaumltze und erhoumlhen die Unabhaumlngigkeit in der Rohstoffversorgung Zusammen mit dem Masterplan Cleantech traumlgt die Energiestrategie 2050 dazu bei dass sich die Schweiz hier als Vorreiterin profilieren kann

Uumlbergang in ein LenkungssystemDamit sich der Markt in Richtung Nachhaltigkeit entwickelt werden kuumlnftig weitere Massnahmen noumltig sein Waumlhrend das erste Massnahmenpaket noch stark auf Foumlrderung zielt wird die Energiepolitik ab 2021 gemeinsam mit der Klimapolitik strategisch neu ausgerichtet Das bestehen-de Foumlrdersystem basiert auf einem Netzzuschlag fuumlr die Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Ener-gien und einer Teilzweckbindung der CO2-Abgabe fuumlr das Gebaumludeprogramm Es soll durch ein marktwirtschaftli-ches Lenkungssystem abgeloumlst werden mit dem sich die Energie -und Klimaziele effektiv und oumlkonomisch effizient erreichen lassen Konkret werden erneuerbare Energien und Gebaumludesanierungen zunaumlchst noch staatlich unter-stuumltzt ndash langfristig soll der Markt spielen Das Bundesamt fuumlr Energie ist daran in Zusammenarbeit mit dem Eidge-noumlssischen Finanzdepartement und dem Staatssekretariat fuumlr Wirtschaft zu konkretisieren wie das umzusetzen ist

Wissenstransfer staumlrken Gluumlcklicherweise herrscht an den Hochschulen und ihren Instituten im Energiebereich Aufbruchstimmung Fuumlr Un-ternehmen ist es jedoch oft schwierig das an Hochschu-len vorhandene Wissen abzuholen gerade wegen der grossen Diversitaumlt der Forschung und der Fragmentierung des Wissens auf zahlreiche Institute Gleichzeitig stossen mit Unternehmen der Informations- und Kommunikations-technologie neue Akteure mit grossem Know-how in den Energieversorgungsmarkt vor Energieversorgungsunter-nehmen in ganz Europa ruumlcken vom reinen Stromverkauf ab und positionieren sich vermehrt als Anbieter von umfas-senden Energiedienstleistungen Diesem Trend muss sich

Walter SteinmannDr Walter Steinmann ist seit 2001 Direktor des Bundesamts fuumlr Energie (BFE) Er hat an der Universitaumlt Zuumlrich Volkswirtschaft studiert und seine Studien 1988 mit einer Doktorarbeit an der Universitaumlt Konstanz ab geschlossen Von 1981 bis 1988 war er Delegierter fuumlr Wirtschaftsfoumlrderung des Kantons Basel-Landschaft und arbeitete an-schliessend als Beauftragter fuumlr Wirtschafts-foumlrderung des Kantons Solothurn Von 1994 bis 2001 war er Chef des Amts fuumlr Wirtschaft und Arbeit des Kantons Solothurn

auch die Schweiz stellen und ihre Kraumlfte vermehrt buumlndeln um Synergien zwischen Wirtschaft und Forschung zu schaffen Nur so kann der Technologiestandort Schweiz staumlrker werden Der Bund setzt bereits Massnahmen um damit der Transfer der Forschungsresultate in den Markt sichergestellt wird Dazu gehoumlrt der Aufbau vernetzter Forschungskompetenzzentren der Swiss Competence Centers for Energy Research Auch die ZHAW School of Management and Law beteiligt sich in diesem Rahmen massgeblich an den nationalen Forschungsaktivitaumlten zum Umbau des Schweizer Energiesystems

Mit der Energiestrategie 2050 hat die Schweiz die Chance sich aus ihrer Abhaumlngigkeit von den fossilen Energien zu loumlsen den Export fortschrittlicher Technologien zu staumlrken und mit dem ressourcen- und klimaschonenden Umgang mit Energie international eine Fuumlhrungsrolle zu uumlberneh-men Nutzen wir diese Chance

Weitere Informationen unter wwwenergiestrategie2050ch

laquoDie Schweiz muss ihre Kraumlfte vermehrt buumlndeln um

Synergien zwischen Wirtschaft und Forschung zu schaffenraquo

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Eine der wichtigsten Zielsetzungen der Energiewende wie sie der Bundesrat formuliert hat ist der Ausbau der er-neuerbaren Energien Der Anteil von Wasser- Wind- und Sonnenkraft sowie Erdwaumlrme am Energiemix soll massiv erhoumlht werden Die durchschnittliche inlaumlndische Produk-tion ndash ohne Wasserkraft ndash soll im Jahr 2020 bei mindes-tens 4 400 Gigawattstunden (GWh) und im Jahr 2035 bei mindestens 14 500 GWh liegen Bei der Produktion von Elektrizitaumlt aus Wasserkraft wird bis im Jahr 2035 ein Aus-bau der Produktion auf 37 400 GWh angestrebt Zum Ver-gleich Die Jahresproduktion des AKW Muumlhleberg liegt bei rund 2 600 GWh Das sind houmlchst ambitioumlse Ziele

Der geplante Ausbau der Nutzung von erneuerbaren Energien bedarf zahlreicher Anlagen ndash Windparks Was-serkraftwerke oder groumlsserer Solaranlagen ndash mit entspre-chend hohem Raumbedarf Der Bundesrat sieht nicht vor die Umwelt- und Heimatschutzgesetze massgeblich zu lo-ckern obwohl es regelmaumlssig zu Konflikten zwischen den Schutzinteressen und Energienutzungsanlagen sowie zu entsprechenden Gerichtsverfahren kommt ndash wie juumlngst im Goms bei der Planung eines Wasserkraftwerks (BGE 140 II 262 ff) Das Bundesgericht nimmt jeweils eine im Resul-tat schwer voraussehbare Interessenabwaumlgung vor und stellt die Leistung der Anlage sowie die Faumlhigkeit zeitlich flexibel und marktorientiert zu produzieren den Schutz-interessen gegenuumlber

Ein weiteres Problem besteht darin dass groumlssere Anla-gen bei der Nachbarschaft oder in einer breiteren Bevoumll-kerung keine Akzeptanz finden So waumlre zwar im Kanton

Loumlsungen suchen bevor es zum Rechtsstreit kommt

Hochschulperspektive

Der Bundesrat sieht im Rahmen der Energiestrategie 2050 vor den Anteil der erneuerbaren Energien massiv zu erhoumlhen Die vermehrte Nutzung erneuerbarer Energietraumlger fuumlhrt jedoch zu einem Interessenkonflikt zwischen Wirtschaftlichkeit umwelt-rechtlichen Anforderungen und sozialer Akzeptanz Diesen gilt es mit klaren rechtlichen Grundlagen zu loumlsenText Reneacute Wiederkehr und Andreas Abegg

Zuumlrich Wind vorhanden doch dreht sich dort bis heute keine einzige grosse Windturbine Gegen die einzige bis-her geplante Versuchsanlage am Stuumlssel oberhalb Baumlrets-wil hat eine Interessengemeinschaft Rekurs erhoben und will die geplante Windmessanlage bis vor Bundesgericht bekaumlmpfen Diese Probleme ndash die Kollision mit Schutz-interessen und die Angst vor Nachbarrekursen ndash koumlnnen im Ergebnis dazu fuumlhren dass die Energieunternehmen auf den Bau von Anlagen verzichten obwohl ein erhebli-ches Potenzial vorhanden waumlre

Loumlsungsansatz des BundesratsIm Rahmen der Energiepolitik 2050 schlaumlgt der Bundesrat vor dass die Kantone mit Unterstuumltzung des Bundes ein Konzept fuumlr den Ausbau der erneuerbaren Energien er-arbeiten und Gebiete fuumlr die Nutzung durch erneuerbare Energien bestimmen Nach der Genehmigung durch den Bund dient das Konzept den Kantonen als Grundlage fuumlr ihre Richtplanung Dadurch wird fuumlr die kommunalen und kantonalen Behoumlrden verbindlich festgelegt in welchen Gebieten Bewilligungen fuumlr erneuerbare Energieproduktio-nen erteilt werden koumlnnen

Welche Gebiete sich tatsaumlchlich fuumlr den Ausbau der er-neuerbaren Energien eignen ist bisher allerdings kaum erforscht worden Bund Kantonen und Gemeinden fehlen die Grundlagen um die Eignung von Standorten und Ge-bieten aus rechtlicher Sicht zu beurteilen Es ist deshalb einfacher ungeeignete Gebiete von der Nutzung auszu-nehmen Vor allem Gebiete welche fuumlr Natur- und Hei-matschutz wertvoll sind koumlnnen zu einer sogenannten

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schen und rechtsstaatlichen Verfahren aus So wurde zum Beispiel im Kanton Zuumlrich der Heimatschutz gegenuumlber dem Interesse an neuen Solaranlagen bereits zuruumlck-gestuft und das entsprechende Bewilligungsverfahren gestrafft Es wird sich gerade bei der Wahl von Stand-orten fuumlr die Nutzung erneuerbarer Energien zeigen ob die Energiewende ndash wie zuweilen befuumlrchtet ndash auf Kosten von Demokratie und Rechtsstaat sowie auf Kosten von Natur- und Heimatschutz geht oder ob wir die gegenwaumlr-tigen Strukturen unter transparenter und angemessener Wahrung aller Interessen anpassen koumlnnen um die an-spruchsvollen Energieziele zu erreichen

Negativzone fuumlhren Auch andere Anliegen wie die Erhal-tung von landwirtschaftlichem Kulturland und Wald der Schutz des Vogelzugs oder die Beduumlrfnisse der Luftfahrt sind zu beruumlcksichtigen Zudem ist zu beachten dass der Bau neuer Anlagen einen Ausbau des Energienetzes nach sich ziehen kann was wiederum zu Konflikten mit anderen raumrelevanten Interessen fuumlhrt

InteressenabwaumlgungUm die erneuerbare Energie wie geplant massiv foumlrdern zu koumlnnen muumlssen die notwendigen Anlagen rasch rea-lisiert werden In den hierzu notwendigen Bewilligungs- und Rechtsmittelverfahren muumlssen die Zielkonflikte der verschiedenen Interessen transparent gemacht und unter gleichberechtigter Abwaumlgung geloumlst werden Das gilt so-wohl fuumlr das konkrete Rechtsmittelverfahren vor Behoumlrden und Gerichten wie auch fuumlr eine vorgezogene Mediations-phase

Hier setzen die vom Bund initiierten Forschungen zur Energiewende auf drei Ebenen an Zunaumlchst muumlssen die Details der komplizierten Bewilligungsverfahren im Aus-tausch mit der Gerichtspraxis ausgearbeitet werden Das sorgt fuumlr Rechtssicherheit Auf einer zweiten Ebene gilt es die bestehenden kantonal reglementierten Verfahren zu vereinheitlichen und wenn moumlglich zu vereinfachen Damit es zu rechtsstaatlich tragfaumlhigen und sozial akzep-tierten Loumlsungen kommt sind die Rechte aller Beteiligten zu wahren jene von Gemeinden Kantonen und Bund als Behoumlrden von Energieunternehmen als Gesuchsteller so-wie von Nachbarn und beschwerdeberechtigten Verbaumln-den als Gegner Schliesslich sind auf einer dritten Ebene neue Hilfsmittel zu suchen mit denen Gebiete und Stand-orte bezeichnet werden koumlnnen die sich fuumlr die Nutzung erneuerbarer Energien besonders eignen Das Bewilli-gungsverfahren wird hiermit transparenter berechenbarer und ndash so die Hoffnung ndash kuumlrzer Mit klaren Rechtsgrund-lagen koumlnnen die Beteiligten zudem Loumlsungen suchen bevor es uumlberhaupt zum Rechtsstreit kommt Die geplante Foumlrderung erneuerbarer Energien kommt nicht ohne Veraumlnderungen in bestehenden demokrati-

Andreas AbeggProf Dr Andreas Abegg ist Leiter des Zen-trums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht an der ZHAW School of Management and Law Privatdozent an der Universitaumlt Fribourg und praktizierender Rechtsanwalt Er beschaumlf-tigt sich mit den rechtlichen Schnittpunkten zwischen Staat und Privaten insbesondere in den Bereichen Regulierung Verwaltungs-organisation und Energie Andreas Abegg forscht im Rahmen des vom Bund mitfinan-zierten Competence Center for Research in Energy Society and Transition (CREST) in der Forschungsgruppe Energy Policy Analysis

Reneacute WiederkehrProf Dr Reneacute Wiederkehr ist stellvertre-tender Leiter des Zentrums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht an der ZHAW School of Management and Law und Titularprofessor der Universitaumlt Luzern Er forscht und lehrt in den Bereichen Verwaltungsrecht und oumlf-fentliches Prozessrecht sowie im Rahmen des vom Bund mitfinanzierten Competence Center for Research in Energy Society and Transition (CREST) in der Forschungsgruppe Energy Policy Analysis

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Negawatt statt Megawatt

Energieeffizienzmassnahmen finanziell lohnen Zudem ver-fuumlgen kleine und mittlere Unternehmen selten uumlber Ener-gieverantwortliche oder Umweltbeauftragte die im Akqui-sitionsprozess gezielt angesprochen werden koumlnnen

Schwaumlchen bisheriger ProgrammeEine Umfrage der ZHAW bei Programmverantwortlichen zeigt diverse Schwaumlchen laufender Effizienzprogramme auf Ein haumlufiges Problem sind falsche Anreize So wird vornehmlich vermittelt wie mit Energieeffizienz Geld ge-spart wird Offensichtlich geht man davon aus dass Un-ternehmen praktisch nur uumlber finanzielle Anreize zu moti-vieren sind Bei den angepeilten KMU fallen Energiekosten jedoch kaum ins Gewicht Beratungsaufwand und Ergeb-nis stehen umso mehr im Missverhaumlltnis je weniger Ener-gie verbraucht wird Weiter scheinen die Programmver-antwortlichen ihre Zielgruppen kaum zu segmentieren und als unterschiedliche Kundensegmente wahrzunehmen Entsprechend beinhalten die meisten Programme ein Standardangebot mit einem breiten Spektrum an Mass-nahmen die oft nicht branchenspezifisch zugeschnitten sind Auch die Kundenansprache erfolgt in der Regel un-differenziert und die Moumlglichkeiten der Neuen Medien wer-den kaum genutzt

Keine langfristige PerspektiveEin Grossteil der Programme ist nicht auf Kundenbindung ausgelegt Insbesondere werden kaum Informationen er-fasst welche die Planung einer weiterfuumlhrenden Bezie-

Schweizer Unternehmen koumlnnten auf wirtschaftliche Art und Weise bis zu 30 Prozent ihres Energieverbrauchs ein-sparen Speziell bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) die immerhin 10 Prozent des Schweizer Stromver-brauchs verantworten ist das Sparpotenzial aber ungenuuml-gend ausgeschoumlpft

Energieeffizienzprogramme wirken nichtBehoumlrden Energieversorger und private Organisatio-nen haben in den letzten Jahren wiederholt Programme lanciert um Energieeinsparungen gezielt zu foumlrdern Al-lerdings haben bislang weniger als 1 Prozent der rund 300 000 Schweizer KMU an einem solchen Programm teilgenommen und die Umsetzungsquoten sind ebenfalls gering Uumlber die Gruumlnde die Unternehmen daran hindern an Energieeffizienzprogrammen teilzunehmen und ent-sprechende Massnahmen umzusetzen sind sich die Pro-grammverantwortlichen uneinig Oft werden Zeitmangel Priorisierung anderer Investitionen fehlende Mittel und zu lange Amortisationszeiten als Hemmnisse genannt Ge-nerell scheint es dass bei Kleinunternehmen Zeit- und Geldmangel eine wichtige Rolle spielen waumlhrend bei Un-ternehmen mittlerer Groumlsse eher der Mangel an Motiva tion und Bewusstsein ausschlaggebend ist Energiekosten machen bei KMU einen verschwindend kleinen Anteil der Gesamtkosten aus sodass die Prioritaumlten fuumlr Investitionen haumlufig anders liegen Man investiert beispielsweise lieber in Betriebsmittel zur Erhoumlhung der Produktivitaumlt als in die Reduktion der (bereits tiefen) Energiekosten obwohl sich

Energieeffizienz ist ein zentraler Pfeiler der Energiestrategie 2050 Die Schweiz gehoumlrt zu den Spitzenreitern punkto Energie effizienz auch dank ihrem dominanten Tertiaumlrsektor Dennoch liegen auch bei hiesigen Unternehmen grosse Sparpotenziale brach Wie diese genutzt werden koumlnnen untersucht die ZHAW in einem interdisziplinaumlren ProjektText Rolf Rellstab

Hochschulperspektive

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brauch betrifft erhoumlhte Arbeitssicherheit weniger Laumlrm-belastung oder geringerer Rohstoffverbrauch Der Wert solcher laquoNon-Energy Benefitsraquo kann fuumlr Unternehmen bis zu 250 Prozent der energetischen Einsparungen betra-gen Es geht also darum KMU gezielter auf die Chancen der Energieeffizienz hinzuweisen Schliesslich gilt es auch Unternehmen wissen zu lassen dass sich ihre Kunden fuumlr dieses Thema interessieren sowie ihnen dabei zu helfen ihr Energie effizienzengagement sichtbar zu machen Waumlh-rend bereits heute viele Unternehmen bestaumltigen dass sich ihr Image bei den Kunden durch die Teilnahme an einem Energieeffizienzprogramm verbessert hat achten erst wenige Firmen auch bei der Kommunikation darauf dass entsprechende Massnahmen gebuumlhrend bekannt gemacht werden

hung zu den Programmteilnehmenden ermoumlglichen wuumlr-den Angaben zu Stromverbrauch Houmlhe und Anteil der Energiekosten Anzahl Mitarbeitende und Umsatz waumlren wertvolle Informationen im Hinblick auf allfaumlllige Folgepro-gramme Im Vordergrund stehen zudem bei den meisten Programmen technische Loumlsungen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz Eine nachhaltige Verhaltensaumlnderung bei Mitarbeitenden oder auf Managementebene wird hingegen kaum verfolgt Auch ein Monitoring der Wirkung von Ener-gieeffizienzprogrammen ist bislang nicht vorhanden oder

wird zu wenig systematisch betrieben So wird zum Bei-spiel die effektive Energieeinsparung vielfach nicht erfasst und gepruumlft Das tatsaumlchliche Kosten-Nutzen-Verhaumlltnis einzuschaumltzen ist somit schwierig Dass die bestehenden Energieeffizienzprogramme inhaltlich durchaus Anklang finden zeigen Ruumlckmeldungen von Unternehmen die in der Vergangenheit daran teilgenommen haben Die Befrag-ten beurteilen ihre Erfahrungen mehrheitlich positiv Aus Sicht der Unternehmen lagen die Energieeinspar effekte im Bereich der Erwartungen Viele wuumlrden nochmals an einem solchen Programm teilnehmen was die oben ge-nannten Versaumlumnisse umso bedauerlicher macht

Wirksamkeit verbessernWie koumlnnen KMU zum Energiesparen motiviert werden Aus Marketingsicht beinhaltet ein sinnvolles Programm eine segmentspezifische Kundenansprache die den laquoReifegradraquo (Wissen Einstellungen und Verhalten) eines Unternehmens in Bezug auf Energieeffizienz beruumlcksich-tigt Zweitens braucht es eine klare Kundenbeziehungs-strategie welche eine wiederholte Teilnahme zum Ziel hat Bei den Anreizen einzig die finanziellen Aspekte wie etwa erwartete Kostensenkungen oder Foumlrderbeitraumlge hervor-zuheben scheint wenig erfolgversprechend Der Fokus wird in Zukunft wohl vermehrt darauf liegen denjenigen Nutzen hervorzuheben der nicht direkt den Energiever-

Rolf RellstabRolf Rellstab ist wissenschaftlicher Mit-arbeiter und Projektleiter am Institut fuumlr Marketing Management der ZHAW School of Management and Law Seine Arbeits-schwerpunkte liegen im Bereich Kommuni-kation Kundenbeziehungsmanagement und B-to-B-Marketing

Projektziel und VorgehensweiseIm ZHAW-Projekt laquoNegawatt statt Megawattraquo werden optimierte Vorgehensweisen entwickelt um KMU mit einem jaumlhrlichen Strom-verbrauch zwischen 10 und 500 MWh zum Energiesparen zu moti-vieren Der Begriff laquoNegawattraquo bezeichnet die eingesparte Energie die zu virtuellen Negawatt-Kraftwerken kombiniert wird So wird anschaulich aufgezeigt wie viel Energie dank diesen Einsparungen weniger produziert werden muss Das Projekt beinhaltet eine interna-tionale Literaturstudie zu den Erfolgsfaktoren und Hemmnissen von Energieeffizienzprogrammen eine Umfrage bei Anbietern solcher Programme sowie eine Befragung von KMU Aus den Ergebnissen dieser drei Teilstudien werden Hypothesen im Hinblick auf ein idea-les Energieeffizienzprogramm abgeleitet In einem Folgeprojekt sol-len die Hypothesen im Rahmen eines Pilotprogramms uumlberpruumlft und weiterentwickelt werden Das Projekt wird durch den WWF Schweiz die Stiftung Pro Evolution das Bundesamt fuumlr Energie (BFE) und die Elektrizitaumltswerke des Kantons Zuumlrich (EKZ) unterstuumltzt Weitere In-formationen wwwzhawchnegawatt

laquoEine nachhaltige Verhaltens - aumlnderung bei Mitarbeitenden oder auf Managementebene

wird kaum verfolgtraquo

Wie viel Heizoumll wird jaumlhrlich in Winterthur verbraucht

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Klima im Wandel ndash Emissionsrechte im Handel

Der Klimawandel laumlsst sich anhand des Treibhauseffekts veranschaulichen Die Treibhausgase bewirken dass kurz-welliges Sonnenlicht zur Erdoberflaumlche gelangt verhindern jedoch dass langwellige Waumlrmestrahlung von der Erde nach aussen dringt Somit kann die Waumlrme nicht mehr entweichen und die Temperatur steigt Der Ausstoss von Treibhausgasen die vor allem bei der Verbrennung von fossilen Energietraumlgern wie Kohle Gas und Oumll entstehen hat seit der industriellen Revolution stark zugenommen und den natuumlrlichen Treibhauseffekt verstaumlrkt Eine Zunahme der Haumlufigkeit und Intensitaumlt meteorologischer und hydro-logischer Grossereignisse wie Stuumlrme und Uumlberschwem-mungen sind die Folge ndash mit gravierenden oumlkologischen oumlkonomischen und sozialen Konsequenzen

Der 2013 veroumlffentlichte Bericht der internationalen Exper-tengruppe Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zeigt auf dass die globale Durchschnittstempera-tur in den letzten 130 Jahren um 085deg Celsius gestiegen

Der Klimawandel findet nicht in ferner Zukunft sondern bereits jetzt statt Um ihn fuumlr Mensch und Umwelt auf einem ertraumlg-lichen Niveau zu stabilisieren muumlssen die Treibhausgas-emissionen reduziert werden Der Emissionshandel soll dazu beitragen sie dort zu mindern wo die geringsten Kosten an-fallen So kann das gesetzte Mengenziel oumlkonomisch effizient erreicht werdenText Regina Betz

ist Ohne Minderungsanstrengungen wird bis 2100 ein mehr als fuumlnffacher Anstieg prognostiziert Um die Treib-hausgaskonzentration in der Atmosphaumlre auf einem fuumlr Mensch und Umwelt akzeptablen Niveau zu stabilisieren muss die Erwaumlrmung bei unter 2deg Celsius stagnieren Da-fuumlr muumlssen laut dem 2014 veroumlffentlichten Bericht des IPCC die globalen Treibhausgasemissionen (THGE) bis 2050 gegenuumlber 2010 mindestens halbiert und bis 2100 um rund 100 Prozent reduziert werden 1997 hat sich die internationale Staatengemeinschaft im Kyoto-Protokoll fuumlr die Jahre 2008 bis 2012 erstmals auf voumllkerrechtlich ver-bindliche Ziele fuumlr den Ausstoss von THGE in den entwi-ckelten Laumlndern geeinigt aktuell finden Verhandlungen fuumlr die Festlegung neuer Ziele statt

Cap and TradeZur Zielerreichung sieht das Kyoto-Protokoll unter ande-rem den Emissionshandel auf Staatenebene vor Zahl-reiche Laumlnder wenden dieses Instrument aber haumlufiger auf Unternehmensebene an Das Grundprinzip ist einfach Die Houmlchstmenge (Cap) an erlaubten Gesamtemissionen wird festgelegt und an die regulierten Unternehmen im Emissions rechtehandelssystem (EHS) verteilt Die Unter-nehmen sind verpflichtet fuumlr jede emittierte Tonne Kohlen-dioxid ein Emissionsrecht einzureichen ansonsten sind Sanktionszahlungen faumlllig Will ein Unternehmen uumlber die ihm zugeteilte Menge hinaus emittieren muss es ein an-deres Unternehmen finden das ihm die benoumltigte Menge an Emissionsrechten verkauft (Trade) Unternehmen mit hohen Minderungskosten werden dabei Emissionsrechte hinzukaufen und Unternehmen mit niedrigen Kosten wer-den ihre Emissionen mindern indem sie etwa Biomasse statt Kohle verbrennen und uumlberschuumlssige Emissions-rechte verkaufen Durch den Handel koumlnnen die erforder-lichen Emissionsminderungen dort realisiert werden wo sie mit den geringsten Kosten verbunden sind Am Markt stellt sich ein Preis fuumlr die Emissionsrechte ein der Ange-bot und Nachfrage zum Ausgleich bringt

So einfach das Prinzip ist so schwierig ist seine Umset-zung Das System bedingt dass die Regierungen Rech-te fuumlr die Nutzung der Atmosphaumlre schaffen die zu einer

Hochschulperspektive

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Hochschulperspektive

Reduktion der Emissionen gegenuumlber einer Referenzent-wicklung fuumlhren dem sogenannten Business-as-usual-Szenario Doch die Abschaumltzung dieses Szenarios also der Entwicklung der Emissionen ohne Mengenbegren-zung ist schwierig wie die nachfolgenden Ausfuumlhrungen zum Emissionshandel in der EU zeigen

Der Emissionshandel in der EUDas EU-EHS ist der weltweit groumlsste Markt von Emissions-rechten Alle 28 EU-Staaten sowie Liechtenstein Island und Norwegen sind daran beteiligt Die Schweiz wuumlrde sich gerne anschliessen Das EU-EHS leidet seit seiner Einfuumlhrung im Jahr 2005 unter einem Uumlberangebot das sich mittlerweile auf rund 2 Milliarden Emissionsrechte be-laumluft Dies entspricht ungefaumlhr den vom System regulierten Emissionen eines Jahres Neben den unvorhergesehenen oumlkonomischen Entwicklungen durch die globale Finanz-krise traumlgt auch der starke Zubau an erneuer baren Ener-gien zu einem houmlheren Ruumlckgang der Emissio nen bei als geplant Der Hauptgrund fuumlr den derzeitigen Uumlberschuss liegt jedoch darin dass die regulierten Unternehmen ne-ben den Europaumlischen Emissionsrechten ndash European Union Allowances (EUAs) ndash auch auslaumlndische Emissions-minderungszertifikate ndash Certified Emission Reductions (CERs) ndash zu einem bestimmten Anteil anrechnen koumlnnen Mit dem sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) koumlnnen Industrienationen in Entwicklungslaumlndern emissionsmindernde Projekte finanzieren und sich die da-bei entstehenden THGE-Reduktionen mithilfe von CERs anrechnen lassen

Durch diese verschiedenen Faktoren hat sich ein Uumlberan-gebot entwickelt das den Preis der EUAs und CERs stark sinken liess Der Preis belaumluft sich derzeit auf rund fuumlnf Euro pro EUA Die bisherigen Reformanstrengungen wie etwa das sogenannte Backloading das Verschieben von Auktionen in spaumltere Jahre um die Menge zu verknappen haben bisher kaum zu einer Preiserhoumlhung gefuumlhrt

Die Schweiz als PreishochburgDer Schweizer Markt wuumlrde bei einem Zusammen-schluss nur rund 03 Prozent des EU-EHS ausmachen

Die Schweiz wuumlrde somit als Preisnehmerin agieren Das heisst der EU-Preis sollte auch in der Schweiz gelten Umso erstaunlicher ist es daher dass der Schweizer Preis pro Emissionsrecht derzeit bei rund 40 Franken liegt ob-wohl die Verbindung des Schweizer EHS mit dem EU-EHS geplant ist (sogenanntes Linking) Das auf der Basis des revidierten CO2-Gesetzes von 2012 und der CO2-Verord-nung verabschiedete System das den Emissionshandel am 1 Januar 2013 fuumlr 38 Unternehmen beziehungsweise 55 Anlagen in der Schweiz verbindlich eingefuumlhrt hat uumlber-nimmt weitestgehend die Regeln des EU-EHS Das neue System hat das bisherige freiwillige EHS in der Schweiz abgeloumlst Die im EHS erfassten Unternehmen sind von der CO2-Abgabe befreit Die hohe Kompatibilitaumlt des Schwei-zer EHS und des EU-EHS sollte ein schnelles Linking er-moumlglichen wobei die Verhandlungen durch die Annahme der Einwanderungsinitiative zum Stillstand gekommen sind Ein moumlglicher Erklaumlrungsansatz ist daher dass der hohe Preisunterschied die derzeitige Unsicherheit uumlber den Ausgang der Linking-Verhandlungen widerspiegelt Gehen die Schweizer Unternehmen davon aus dass kein Linking stattfindet sollte sich der Preis anhand der Minderungs-kosten und der Knappheit im Schweizer EHS bilden Fuumlr die Unternehmen ist es immer noch guumlnstiger den der-zeitigen Preis von 40 Franken fuumlr die Emissionsrechte zu bezahlen als eine Busse von 125 Franken pro fehlendes Emissionsrecht Zusaumltzlich zur Busse ist das Unternehmen verpflichtet die fehlenden Rechte im naumlchsten Jahr nach-zureichen Auch hier hat sich die Schweiz stark am EU-EHS orientiert bei dem die Busse bei 100 Euro pro EUA plus Wiedergutmachung liegt

Allokation beeinflusst den WettbewerbDie Gesamtmenge an Emissionsrechten (Cap) leitet sich aus den historischen Emissionen der teilnehmenden EHS-Unternehmen ab Fuumlr bestehende Anlagen die bereits vor 2013 am EHS in der Schweiz beteiligt waren setzt sie sich aus der Summe der durchschnittlich zugeteilten Emis-sionsrechte der ersten Verpflichtungsperiode (2008 bis 2012) zusammen fuumlr Anlagen die 2013 hinzukommen aus der Summe der durchschnittlichen Emissionen der

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fuumlr neue Anlagen in einer Reserve zuruumlckbehalten deren Uumlberschuumlsse zweimal jaumlhrlich versteigert werden Die Zu-teilung der Emissionsrechte hat etwas laumlnger gedauert so-dass sie in der Schweiz fuumlr die Jahre 2013 und 2014 erst im Februar 2014 erfolgte Das mag auch einer der Gruumlnde sein dass bisher kein Handel auf dem Sekundaumlrmarkt fuumlr den die Berner Kantonalbank eine eigene Emissions-handelsplattform bereitgestellt hat stattgefunden hat Das erste Preissignal war deshalb die Auktion der Uumlberschuumls-se aus der Neuemittentenreserve Diese fand vom 14 bis 21 Mai 2014 statt und erzielte fuumlr die 150 000 Emissions-rechte einen Preis von 4025 Franken pro Emissionsrecht

Wie sich die Liquiditaumlt im Schweizer Markt in Zukunft ent-wickeln wird und ob ein Linking mit dem EU-EHS und so-mit eine Angleichung der Schweizer Preise an die EU-EHS-Preise stattfinden wird bleibt abzuwarten Letzteres waumlre zwar aus oumlkonomischer Sicht zu begruumlssen da ein groumls-serer liquider Markt mit einheitlichem Preissignal als effizi-enter bewertet wird Aus oumlkologischer Sicht scheint jedoch ein Linking der Systeme ohne weitere Reformen des EU-EHS nicht wuumlnschenswert da es die Minderungsanreize in der Schweiz als Folge des Angebotsuumlberschusses an Emissionsrechten in der EU massiv reduzieren wuumlrde

Jahre 2009 bis 2011 Diese Summe wird jaumlhrlich um 174 Prozent reduziert analog der Regelung im EU-EHS

Neben der Festlegung der Obergrenze ist die Ausgestal-tung der Zuteilungsregeln politisch am schwierigsten da diese Verteilungswirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussen Bis 2012 wurden die Emissionsrechte in der EU daher groumlsstenteils kostenlos zugeteilt Seit 2013 werden rund 48 Prozent der Emissionsrechte versteigert wobei diese vor allem von Elektrizitaumltsfirmen gekauft wer-den muumlssen Da diese nicht im internationalen Wettbewerb

stehen konnten sie den Preis der gratis erhaltenen Emis-sionsrechte an die Elektrizitaumltskonsumenten weitergege-ben und hohe Gewinne erzielen Unternehmen aus Sek-toren die im internationalen Wettbewerb stehen koumlnnen hingegen die Kosten fuumlr die Emissionsrechte nicht an ihre Endkunden weitergeben ohne betraumlchtliche Nachteile in Kauf zu nehmen Es besteht daher das Risiko dass diese Firmen in Laumlnder ohne Klimapolitik abwandern Um dieses Risiko zu senken erhalten Unternehmen bei denen ein Risiko auf Abwanderung besteht auch in Zukunft weitest-gehend kostenlos Emissionsrechte zugeteilt Die Zuteilung basiert dabei auf sogenannten Benchmarks (Tonne Koh-lendioxid pro Tonne Produkt) die auf der Basis der effizi-entesten 10 Prozent der Unternehmen berechnet und mit historischen Produktionsdaten multipliziert werden

Noch kein Handel in der SchweizDie Schweiz hat die Benchmarks des EU-EHS uumlbernom-men Da in der Schweiz vor allem stark im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen aus den Sektoren Zement Papier Chemie Stahl und Raffinerien unter den Emissionshandel fallen werden fast alle Emissionsrechte kostenlos zugeteilt Ein kleiner Anteil von 5 Prozent wird

Regina BetzDr Regina Betz ist Dozentin fuumlr Energie- und Umweltoumlkonomie an der ZHAW School of Management and Law Seit 2014 leitet sie den volkswirtschaftlichen Teil der Ener-gy Policy Analysis Group des Zentrums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht das Mitglied des Schweizer Competence Centers for Research in Energy Society and Transition (CREST) ist Zuvor lehrte sie an der University of New South Wales Australia Umwelt- und Klimaoumlkonomie und leitete als Co-Direktorin das Centre for Energy and Environmental Markets (CEEM) 1998 bis 2004 arbeitete sie als Wissenschaftlerin am Fraunhofer-Institut fuumlr System- und Innovationsforschung ISI in Deutschland

laquoNeben der Festlegung der Ober grenze ist die Ausgestaltung der Zuteilungsregeln politisch am

schwierigsten da diese Verteilungs wirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussenraquo

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nicht vollstaumlndig genutzt werden kann In der Energiestra-tegie des Bundes ist gemaumlss einem Szenario bis 2050 ein Zubau auf knapp 12 TWh pro Jahr Stromproduktion aus Fotovoltaik angedacht Dies bedingt den Bau von Fotovol-taikanlagen mit einer installierten Spitzenleistung von etwa 12 Gigawattpeak (GWp) und einem Flaumlchenbedarf von rund 84 000 000 Quadratmetern Dieser Flaumlchenbedarf ist auf den bestehenden Daumlchern in der Schweiz verfuumlgbar

An einem schoumlnen Sommertag koumlnnen diese Anlagen dann also etwa 12 GW erzeugen die maximale Ver-brauchslast liegt im Sommer aber nur bei rund 8 GW Es entsteht ein Uumlberschuss von 4 GW die Speicherleistung der Schweizer Pumpspeicheranlagen betraumlgt heute aber nur 15 GW 25 GW Leistung koumlnnen in diesem Szenario also gar nicht genutzt werden An einem Wintertag mit Hochnebel erzeugen diese Anlagen uumlberhaupt keinen Strom die Verbrauchslast liegt aber mit 10 GW noch houml-her als im Sommer Hier entsteht eine Luumlcke die mit ande-ren Energieformen oder Importen gedeckt werden muss

Speichern uumlbertragen oder einsparenUm diesem Problem zu begegnen gibt es verschiedene Loumlsungsansaumltze Ein Ansatz ist die Energie lokal dort zu speichern wo sie erzeugt aber nicht sofort verbraucht werden kann In diesem Fall werden in erster Linie viele kleine Speichermodule benoumltigt die sowohl fuumlr kurz- als auch langfristigen Ausgleich sorgen muumlssen Eine andere Moumlglichkeit ist es die Energie an Orte zu uumlbertragen wo sie sofort verbraucht wird dann muss in erster Linie das Netz ausgebaut werden Schliesslich koumlnnte Energie auch zentral zu grossen Speichern transportiert werden was sowohl einen Netzausbau als auch neue Speichertechno-logien bedingen wuumlrde

Als die Gesellschaft noch aus Jaumlgern und Sammlern be-stand verbrauchte der Mensch seine Energie lokal dort wo er sie benoumltigte Er lebte von der Hand in den Mund Im Zuge der aufkommenden Landwirtschaft musste er Methoden entwickeln um Nahrung haltbar zu machen und sie zu transportieren Vor demselben Problem steht heute die Energiewirtschaft Ort und Zeit der erneuerbaren Energieerzeugung korrelieren je laumlnger je weniger mit dem Verbrauch Die Herausforderung der Energiewende ist deshalb nicht nur die Produktion selbst sondern auch die Uumlbertragung die Speicherung und das lokale Verbrauchs-last-Management

Saisonale Speicherung problematischMit dem Ausstieg aus der Kernenergie muumlssen in der Schweiz etwa 40 Prozent der produzierten elektrischen Energie ersetzt werden also rund 23 Terawattstunden (TWh) pro Jahr Im Gegensatz zur Kernenergie haben die neuen erneuerbaren Energien den Nachteil dass ihre Pro-duktion nicht steuerbar ist und unregelmaumlssig anfaumlllt Der Kapazitaumltsfaktor also das Verhaumlltnis von durchschnittlicher zu maximaler Leistung betraumlgt bei konventionellen Kraft-werken bis zu 100 Prozent bei Fotovoltaikanlagen dage-gen nur etwa 10 Prozent Hinzu kommen die starken saiso-nalen Schwankungen dieser stochastisch erzeugenden Energiequellen Im Winter liegt die Stromverbrauchsspitze mit circa 10 Gigawatt (GW) rund ein Drittel houmlher als im Sommer gleichzeitig liefern Fotovoltaikanlagen aufgrund des flacheren Einstrahlungswinkels und der kuumlrzeren Son-nenscheindauer wesentlich weniger Strom als im Sommer

Anhand eines Gedankenexperiments laumlsst sich veran-schaulichen dass das Potenzial der neuen erneuerbaren Energien ohne zusaumltzliche Speicher oder steuerbare Lasten

Energie haltbar machen

Der Ausbau von erneuerbaren Energiequellen geht so schnell voran dass Speicher- und Uumlbertragungstechnologien kaum mithalten koumlnnen Um Produktionsspitzen zu glaumltten braucht es Fortschritte in der EnergietechnikText Petr Korba

Hochschulperspektive

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Petr KorbaProf Dr Petr Korba ist Dozent und Fach-gruppenleiter fuumlr elektrische Energietechnik und Smart Grids an der ZHAW School of En-gineering Zuvor forschte er uumlber zehn Jahre bei ABB Schweiz in den Bereichen Automa-tion Energie- und Regelungstechnik

Scherrer Institut an der Power2Gas-Technologie Dabei wird Kohlendioxid mit Strom aus erneuerbaren Quellen durch Elektrolyse zu Wasserstoff oder weiter zu Methan verarbeitet Aumlhnlich wie bei der Nahrungsmittelproduktion wo Staumlrke schliesslich als raffinierter Zucker gespeichert wird gibt es auch bei der Stromspeicherung immer raffi-niertere Formen Bei jeder Umwandlung geht aber Energie verloren Man muss sich also gut uumlberlegen ob man uumlber-haupt speichern will und wenn ja uumlber welchen Zeitraum

Mit der wachsenden Integration von erneuerbaren Energi-en steigen auch die Anforderungen an die Energietechnik Unser kuumlnftiges Energiesystem wird staumlrker automatisiert und intelligenter sein Um erneuerbare Energiequellen zu integrieren werden Informations- und Kommunikations-technologien Automatisierungs- und Regelungstechnik Signalverarbeitung oder Wettervorhersagen immer wich-tiger In den intelligenten Stromnetzen der Zukunft wer-den alle beteiligten Komponenten Daten wie den aktuellen Verbrauch verfuumlgbare Strommengen oder lokale Aus-faumllle melden und gleichzeitig solche Daten aus anderen Netzkomponenten empfangen Das daraus resultierende Smart Grid ist ein Gefuumlge das selbststaumlndig auf diese Ein-fluumlsse reagiert und seine eigene Effizienz optimiert Es gilt Energie effizienter zu uumlbertragen um raumlumliche Distanzen zu uumlberwinden und neue Speichertechnologien zu entwi-ckeln um zeitliche Engpaumlsse zu uumlberbruumlcken Elektrische Energie kann auf verschiedene Arten erzeugt gespei-chert und uumlbertragen werden Jede Art hat ihre Vor- und Nachteile und ihren Preis Anreize aus der Politik werden schliesslich entscheiden welche Formen dies in der Zu-kunft sein werden

Auf der Verbraucherseite laumlsst sich die Nutzlast durch ge-eignetes Last-Management anpassen Diese Steuerung schaltet verbrauchsintensive Anlagen in Unternehmen gewerblichen Betrieben und Haushalten gezielt dann ein wenn die Stromtarife guumlnstig sind Es duumlrfte aber schwie-rig sein der Bevoumllkerung vorzuschreiben wann sie zum Beispiel fernsehen oder kochen darf Eine intelligente Re-gelung von grossen Kuumlhlhaumlusern stoumlrt dagegen nieman-den Trotz solchen Bestrebungen geht die International Energy Agency (IEA) davon aus dass der Stromverbrauch weltweit jaumlhrlich um rund 1 Prozent zunimmt Diese Ten-denz verstaumlrkt sich voraussichtlich noch falls sich der Bereich Mobilitaumlt von fossilen Energietraumlgern hin zur Elek-tromobilitaumlt verschieben wird Die Geschichte hat gezeigt dass der Energieverbrauch eigentlich nur in Krisenzeiten zuruumlckgeht

Klar ist jedenfalls dass der Ausbau von Speichern und Netzen Hand in Hand mit der zunehmenden Integration von erneuerbaren Energiequellen erfolgen muss Auf unter-schiedlichen Netzebenen kommen unterschiedliche Spei-chertechnologien zum Einsatz Waumlhrend fuumlr Haushalte mit kleinen Fotovoltaikanlagen und im Niederspannungsnetz bereits Batteriespeicher vorhanden sind stossen diese bei mehr als einer Windturbine oder groumlsseren Solarparks schnell an ihre Grenzen Das groumlsste Batterieenergie-speichersystem der Schweiz betreiben die Elektrizitaumlts-werke des Kantons Zuumlrich in Dietikon Es hat 1 Megawatt (MW) maximale Speicherleistung und kann diese waumlhrend ungefaumlhr 15 Minuten abgeben respektive speichern Die Spitzenlast im Schweizer Hochspannungsnetz liegt aber bei 8 GW im Sommer und 10 GW im Winter Die Schwei-zer Pumpspeicherkraftwerke koumlnnen unseren Strombe-darf nur etwa einen Monat lang decken Das europaumlische Hochspannungsnetz verfuumlgt uumlber eine Spitzenlast von circa 500 GW Um die Leistung von Grosskraftwerken wie Offshore-Windparks langfristig zu speichern braucht es neue Technologien

Raffinierte EnergiespeicherungDafuumlr forscht die ZHAW School of Engineering gemein-sam mit der ETH Zuumlrich der EPF Lausanne und dem Paul

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Hochschulperspektive

Dissonanz an der Steckdose

Mit der Energiestrategie 2050 haben Bundesrat und Parla-ment eine Kehrtwende in der Schweizer Energiepolitik ein-gelaumlutet der die wichtigsten politischen Huumlrden erst noch bevorstehen Auf den ersten Blick scheint der Kurswechsel breit abgestuumltzt Seit dem Reaktorunfall in Fukushima fuumlh-ren Umfragen immer wieder zum gleichen Ergebnis Der langfristige Ausstieg aus der Kernenergie findet eine Mehr-heit Im Grundsatz stossen erneuerbare Energien sowie Massnahmen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz auf hohe Zustimmung Was fuumlr den Stimmzettel gilt beeinflusst aber nicht automatisch das Konsum- und Investitionsverhalten der Energiekunden Die Bereitschaft aus eigenem Antrieb mehr fuumlr ein oumlkologisch houmlherwertiges Produkt aus neuen erneuerbaren Energietraumlgern zu bezahlen ist beschraumlnkt Nur wenige Haushalte sind zudem bereit ihren Energie- und insbesondere ihren Stromkonsum zu reduzieren wenn dies mit nicht amortisierbaren Investitionskosten oder einem moumlglichen Komfortverlust verbunden ist

Mit anderen Worten Effizienz wird als teuer und Suffizienz als bevormundend empfunden Die private Zahlungsbereit-schaft laumlsst sich zwar mit regulatorischen Interventionen wie fixen Einspeiseverguumltungen oder Investitionssubven-tionen in Effizienzmassnahmen etwas erhoumlhen Doch die Erfahrungen in Deutschland und der Schweiz zeigen dass solche Massnahmen oumlkonomisch ineffizient sind und oft als ungerecht empfunden werden Sie koumlnnen damit zum Bumerang fuumlr die Akzeptanz der energiepolitischen Ziele werden Neben den politischen Huumlrden ist somit auch die kognitive Huumlrde der Konsumenten zu beruumlcksichtigen De-ren Uumlberwindung bedarf zuerst einer differenzierten Analyse der Ursachen und danach der Entwicklung innovativer Ver-triebsmodelle und Produkte auf Versorgerseite

Eine Mehrheit der Bevoumllkerung unterstuumltzt den Ausstieg aus der Kernenergie doch nur wenige beziehen ein oumlkologisches Stromprodukt Warum das so ist und wie sich diese Dissonanz aufloumlsen laumlsst beschaumlftigt derzeit viele EnergieversorgerText Claudio Cometta

Indifferenz uumlberwiegtFuumlr viele Konsumenten ist die Strom- Gas- oder Fern-waumlrmerechnung ein verhaumlltnismaumlssig kleiner Posten im Haushaltsbudget dem wenig Beachtung geschenkt wird Die Schweiz ist sogar einer der Spitzenreiter in Europa machen die Stromkosten im Durchschnitt doch nicht mehr als 2 Prozent der Haushaltsausgaben aus Wenig Beachtung bedeutet auch wenig Kenntnis des Preises und der Menge der bezogenen Energieleistung oder der Zusammensetzung des Tarifs aus Energiekosten Netz-kosten und Abgaben Entsprechend besteht nur ein ge-ringes Interesse Energie und damit Kosten zu sparen Konsumentenbefragungen zeigen zudem dass nur eine kleine Minderheit der Kunden die Zusammensetzung ihres Stromprodukts nach Energietraumlgern kennt Die geringen Kosten und Unkenntnis des Produkts verhindern also die Wahl anderer Stromprodukte Strom ist ein klassisches Commodity-Produkt Man kann ihn weder sehen noch riechen Er ist verhaumlltnismaumlssig guumlnstig immer verfuumlgbar und aumlndert in keinerlei Hinsicht seine Eigenschaften wenn dafuumlr mehr bezahlt wird Zudem ist meist nicht sichtbar wer wie viel von welchem Produkt bezieht Der Strom-konsum ist Privatsache

Uumlberwindung durch VertriebsmodelleDie Vorgaben der Energiestrategie 2050 beinhalten nicht nur einen massiven Zubau der Produktionskapazitaumlt aus erneuerbaren Energietraumlgern sondern auch die kon-tinuierliche Reduktion des Energie- und insbesondere des Stromkonsums pro Kopf Die direkte Finanzierung der dazu notwendigen Investitionsvorhaben scheint an-gesichts der Indifferenz auf Konsumentenseite jedoch schwierig Aus diesem Grund sind mehrere Schweizer

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rund um Haushaltstechnik Sicherheit Pflege oder Kom-munikation sowie ein geschicktes Marketing mit Elemen-ten der sozialen Kontrolle Denkbar sind auch Anreize die keinen direkten Zusammenhang mit dem Energiekonsum aufweisen aber fuumlr breite Bevoumllkerungsgruppen attrak-tiv sind So haben etwa einzelne skandinavische Versor-ger damit begonnen energiesparendes Verhalten ihrer Kunden mit Verguumlnstigungen fuumlr die Nutzung oumlffentlicher Transportmittel zu belohnen

Uumlberwindung durch PartizipationDie wohl wirkungsvollste Massnahme zur Uumlberwindung der Dissonanz an der Steckdose ist bereits inhaumlrent in der Transformation des Energiesystems hin zu einer staumlrker dezentralen Erzeugung angelegt Kunden entwi-ckeln sich von passiven Leistungsempfaumlngern zu aktiven Leistungserbringern sogenannten Prosumern Als Klein-produzenten von Strom mit einer hauseigenen Fotovol-taikanlage oder thermischer Speicherleistung mit Kraft-Waumlrme-Kopplungsanlagen im Mikroformat werden sie mittelfristig wesentlich zum Umbau des Energiesystems und zu den Zielen der Energiestrategie beitragen koumlnnen Eine nicht ganz unbedeutende Rolle koumlnnten in Zukunft sogenannte Buumlrgerbeteiligungsmodelle fuumlr die Finanzie-rung neuer In frastrukturprojekte spielen Diese wuumlrden gleichzeitig die Akzeptanz sichtbarer Produktionsanlagen von neuen erneuerbaren Energien erhoumlhen Doch erst wenn das Produkt Strom nicht mehr als reines Commodity-Produkt wahrgenommen wird werden politische Meinung und Konsumverhalten bei einer Mehrheit der Stimmbuumlrger uumlbereinstimmen

Energieversoger in letzter Zeit dazu uumlbergegangen soge-nannte Default-Modelle einzufuumlhren die Stromprodukte aus erneuerbaren Quellen zum neuen Standard erheben Dabei macht man sich die Traumlgheit der Kunden zunutze indem die Wahl eines Stromprodukts aus nicht erneuer-baren Energietraumlgern als Option definiert wird die aktiv bestellt werden muss

Nicht zuletzt aufgrund solcher Modelle ist die Zahl der Schweizer Haushalte die ein Stromprodukt aus aus-schliesslich erneuerbaren Energien beziehen auf uumlber 25 Prozent gestiegen Doch weitere Vertriebsinnovationen werden notwendig sein etwa um der Herausforderung der Einspeisung von Strom aus fluktuierend nutzbaren Quellen (Solar- und Windenergie) in die Verteilnetze gewachsen zu sein die immer staumlrker ins Gewicht faumlllt In der Folge gilt es Investitionen in Netz- und Speichersysteme zu finan-zieren In innovativen Vertriebsmodellen welche dieser Herausforderung gerecht werden erhaumllt das Konsumver-halten einen Wert Zeitliche Flexibilitaumlt wird belohnt durch Tarifreduktion Bonus oder Vermeidung einer Gebuumlhr Wie diese beiden Beispiele zeigen laumlsst sich der Mehrwert von vermeintlichen Commodity-Produkten durch neue Vertriebsmodelle abschoumlpfen und als marktwirtschaftlich vertraumlglicher Finanzierungsmechanismus fuumlr neue Infra-strukturvorhaben im Energiesektor nutzen

Uumlberwindung durch innovative ProdukteNoch groumlsseres Potenzial birgt die Weiterentwicklung von Stromprodukten zu Leistungssystemen die fuumlr Energie-kunden einen echten Mehrwert bieten Hierzu gehoumlrt die Verknuumlpfung des Kernprodukts Strom mit Dienstleistun-gen die den Kunden ein transparenteres Verbrauchsver-halten sowie Kostenoptimierung ermoumlglichen Intelligente Stromzaumlhler sogenannte Smart Meter kombiniert mit fle-xiblen Tarifen und einem einfachen Feedback- und Steuer-system sind die Voraussetzung um zumindest oumlkologisch sensibilisierten oder kostenbewussten Endkunden einen Effizienzeffekt zu ermoumlglichen Damit solche Leistungs-systeme aber fuumlr die grosse Gruppe der Indifferenten interessant werden braucht es weitere Mehrwerte Dazu gehoumlren die Verknuumlpfung mit intelligenten Anwendungen

Claudio ComettaDr Claudio Cometta ist Dozent fuumlr Innovation und Entrepreneurship an der ZHAW School of Management and Law Er koordiniert den Aufbau des nationalen Energie-Kompetenz-zentrums SCCER 5 an der ZHAW

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Die Energiewende stellt die Energieversorgungsunternehmen in der Schweiz vor grosse Herausforderungen Das Beispiel von Stadtwerk Winterthur zeigt wie die Branche auf den Paradig-menwechsel reagiertText Florian Wehrli

Von den Anfaumlngen als laquoWinterthurer Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtungraquo vor uumlber 150 Jahren bis zum modernen Querverbundunternehmen hat sich Stadtwerk Winterthur kontinuierlich weiterentwickelt Seine Aufgabe ist aber gemaumlss Direktor Markus Saumlgesser weitgehend dieselbe geblieben die Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung zu verbes-sern So bietet das staumldtische Versorgungsunternehmen neben klassischen Produkten wie Wasser Strom Gas oder Kehrichtentsorgung und Abwasserreinigung heute auch Fernwaumlrme Haustechnik Glasfasernetz und Ener-gie-Contracting an Die Ausdehnung auf neue Geschaumlfts-bereiche will der Direktor aber nicht als Reaktion auf die Liberalisierung des Energiemarkts verstanden wissen laquoWir begegnen der Marktoumlffnung proaktiv und wollen die sich bietenden Chancen aktiv nutzenraquo

Lokales Potenzial ausgeschoumlpftIm liberalisierten Markt hat das staumldtische Versorgungs-unternehmen mit dem Monopol auf sein Energieversor-gungsnetz von gesamthaft mehr als 2 500 Kilometern einen Vorteil Dessen Unterhalt ist nach wie vor eine der Hauptaufgaben Im Gegensatz zu anderen Energieversor-gern betreibt Stadtwerk Winterthur naumlmlich einen verhaumllt-nismaumlssig geringen Anteil an eigenen Produktionsanlagen Das Flaggschiff ist die wohl modernste Kehrichtverwer-tungsanlage der Schweiz laquoMit dem Umbau konnten wir 2013 den Wirkungsgrad der Anlage um einen Drittel stei-gern und die Abluft gehoumlrt zu den saubersten weltweitraquo sagt Markus Saumlgesser Heute deckt die KVA 20 Prozent des Winterthurer Strom- und 12 Prozent des Waumlrmebe-darfs ab Auf solchen Lorbeeren ausruhen will sich Stadt-werk Winterthur aber nicht laquoWir wollen mithelfen eine nachhaltige Energiewirtschaft aufzubauenraquo Mittelfristig soll

die Haumllfte des Stromangebots aus erneuerbaren Quellen stammen laquoDas ist ein ehrgeiziges Zielraquo sagt Saumlgesser laquowir sind aber auf gutem Weg dazuraquo

Rund die Haumllfte des Rahmenkredits von 90 Millionen Franken fuumlr erneuerbaren Strom den das Winterthurer Stimmvolk 2012 bewilligt hat ist bereits investiert Im Bereich Fotovoltaik ist die Planung der groumlssten Anlagen abgeschlossen etwa auf den Daumlchern der Eishalle oder des Busdepots Eine aktuelle Windpotenzialstudie zeigt fuumlr Winterthur nur wenige moumlgliche Standorte auf zumal die Bewilligung solcher Anlagen mit grossem buumlrokratischem Aufwand verbunden sei Mit diversen Nahwaumlrmever-buumlnden nutzt Stadtwerk Winterthur auch Holzabfaumllle bereits sehr effizient Aber auch dieser Energietraumlger ist in Winterthur beschraumlnkt vorhanden Das letzte Projekt das Holz aus dem Winterthurer Stadtwald einsetzen wird ist in der Aufbauphase Studien im Bereich Wasserkraft haben gezeigt dass abgesehen von einem Kleinwasser-kraftwerk an der Toumlss in der Region kaum Potenzial vor-handen ist

Investitionen im AuslandlaquoDiese aufwendige Aufbauarbeit soll nicht zur Regel wer-denraquo sagt Markus Saumlgesser laquoDas limitierte Energiepoten-zial in der Schweiz und die beschwerlichen Instanzenwe-ge fuumlr Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie lassen uns deshalb vermehrt im Ausland investierenraquo 2012 be-teiligte sich das Stadtwerk mit 12 Millionen Franken am Kleinkraftwerk Birseck AG das Kleinwasserkraftwerke und Foto voltaikanlagen in der Schweiz und in Frankreich be-treibt 2013 folgte eine Beteiligung in der Houmlhe von 25 Mil-lionen Franken an der Swisspower Renewables AG die in

Vom Versorger zum Dienstleister

Unternehmensperspektive

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sein glaubt er aber nicht daran dass der Stromverbrauch insgesamt zuruumlckgehen wird laquoDafuumlr ist der Marktpreis zu niedrig Aus serdem wird Strom im Bereich Waumlrme und Mobilitaumlt einen Grossteil der fossilen Energietraumlger ersetzen muumlssenraquo Damit der geplante Verbrauchsruumlck-gang dennoch gelingt will der Bund Anreize schaffen Mit sogenannten weissen Zertifikaten will er die Versor-ger be lohnen wenn sie ihre Kunden zu einem geringeren Energie verbrauch bewegen In Grossbritannien Italien und Frankreich sind solche Modelle bereits im Einsatz Markus Saumlgesser sieht dieser Entwicklung mit gemischten Gefuumlh-len entgegen laquoWir haben bereits vor der Reaktorkatastro-phe in Fukushima auf Energieeffizienz gesetzt und konn-ten uns dadurch profilieren Weil die Politik nun eingreift und den Markt uumlbersteuert bleibt uns als Unternehmen weniger Spielraum um uns zu positionierenraquo

Windkraftanlagen im angrenzenden Ausland investiert Fuumlr die Beschaffung von Strom am freien Markt ist das Stadtwerk eine Zusammenarbeit mit der Trianel GmbH in Aachen ndash einer der fuumlhrenden Stadtwerke-Kooperationen in Europa ndash eingegangen Damit sollen insbesondere der Zugang zum Grosshandelsmarkt sowie die Marktfor-schung sichergestellt werden Denn um Kunden nachhal-tige Energieprodukte verkaufen zu koumlnnen muss man ihre Beduumlrfnisse genau kennen

Anreize fuumlr geringeren VerbrauchDie Strategie scheint aufzugehen laquoSeit der Einfuumlhrung der neuen Stromprodukte Anfang 2013 haben wir den Absatz von erneuerbarer Energie in Winterthur verdop-pelt und denjenigen von Oumlkostrom sogar vervierfachtraquo so Saumlgesser Trotz dem steigenden oumlkologischen Bewusst-

Gemaumlss seinem Leitbild soll Stadtwerk Winterthur mit einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der soziashylen Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Bild Michael Lio

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Ausgliederung aus der StadtverwaltungAuch auf kommunaler Ebene ist Stadtwerk Winterthur von den politischen Rahmenbedingungen abhaumlngig ndash mit allen Vor- und Nachteilen Die politischen Kurswechsel in den vorgesetzten Gremien seien hinderlich bei der Umsetzung der Strategie des Unternehmens laquoWir taumltigen Investitio-nen mit einem Planungshorizont von mehreren Jahrzehn-tenraquo sagt Markus Saumlgesser laquoin der Politik wird dagegen in Amtsperioden von vier Jahren gedachtraquo Es gibt deshalb Bestrebungen das Stadtwerk aus der Stadtverwaltung auszugliedern und einem langfristig operierenden Steue-rungsgremium zu unterstellen Bei der Stimmbevoumllkerung geniesst Stadtwerk Winterthur grossen Ruumlckhalt Alleine in den letzten zwei Jahren wurden vier Abstimmungsvor-lagen mit grossem Mehr angenommen darunter Rah-menkredite fuumlr das Energie-Contracting oder erneuerbare Energien laquoEine bessere Legitimation koumlnnen wir uns gar nicht wuumlnschenraquo sagt Markus Saumlgesser

Neue BetriebskulturStrategisch und energiepolitisch werden Dienstleistungen wie das Energie-Contracting fuumlr Stadtwerk Winterthur immer wichtiger laquoWir wollen unserer Kundschaft Waumlr-me oder Kaumllte gleich komfortabel anbieten koumlnnen wie Stromraquo sagt Markus Saumlgesser laquoImmobilienbesitzerinnen und -besitzer sollen sich nicht mehr um den Fuumlllstand ih-res Oumlltanks oder den Termin fuumlr den Kaminfeger kuumlmmern muumlssenraquo Das Energie-Contracting waumlchst stark und macht heute bereits rund 5 Prozent des Umsatzes von Stadtwerk Winterthur aus

Die neuen Geschaumlftsfelder ziehen auch andere Arbeits-kraumlfte an als bisher Verschiedene Betriebskulturen seien in den vergangenen Jahren teilweise parallel gelaufen be-ginnen nun aber langsam zu verschmelzen Ein Beispiel dafuumlr ist die Verknuumlpfung von Smart Metering und dem traditionellen Verteilnetz Elektrizitaumlt Als Voraussetzung fuumlr das Change-Management in der Betriebskultur habe man alle Mitarbeitenden in die Erarbeitung des Unterneh-mensleitbildes involviert Entstanden ist ein Leitbild das Stadtwerk Winterthur dabei unterstuumltzt die Unterneh-mensstrategie umzusetzen Stadtwerk Winterthur soll mit

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

Markus SaumlgesserMarkus Saumlgesser (52) ist diplomierter Ma-schineningenieur ETH und hat ein Nachdi-plomstudium in technischen Betriebswissen-schaften absolviert Seit Anfang 2011 ist er Direktor von Stadtwerk Winterthur Seine bisherige berufliche Taumltigkeit fuumlhrte Markus Saumlgesser nach zwei Jahren Assistenz an der ETH zu einem Ingenieurbuumlro fuumlr Ener-gie- und Haustechnik Waumlhrend dieser rund sechsjaumlhrigen Zeit war er bei anspruchsvol-len Bauprojekten verantwortlich fuumlr die Konzeption und Koordination der technischen Gebaumludeausruumlstung Zudem war er waumlhrend vier Jahren Mitglied der Geschaumlftsleitung Nach zweijaumlhriger Taumltigkeit als Abteilungsleiter in einer groumlsseren Gemeinde wechselte er zum Elek-trizitaumltswerk der Stadt Zuumlrich (EWZ) bei dem er die Abteilung Vertrieb Grosskunden leitete Daneben war Markus Saumlgesser beim EWZ in verschiedene Innovationsprojekte involviert So zeichnete er fuumlr das Projekt laquoStromzukunft Stadt Zuumlrichraquo verantwortlich das wichtige Grundlagen fuumlr die Strategie des EWZ und die Volksabstimmung zur 2000-Watt-Gesellschaft in der Stadt Zuumlrich beisteuerte

Stadtwerk Winterthur in Zahlen (2013)Mitarbeitende 347Nettoinvestitionen 1198 Mio CHFDurchgeleitete Strommenge 5643 Mio kWhUmsatz Strom 93 Mio CHFDurchgeleitete Gasmenge 5295 Mio kWhUmsatz Gas 411 Mio CHFUnternehmensgewinn 109 Mio CHF

einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der sozia-len Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Wann wurden in Winterthur die ersten Strassenlampen mithilfe von Stein-kohle erleuchtet

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Unternehmensperspektive

ckelte Hochspannungsgleichstromschalter sollen zudem sicherstellen dass etwa ein Kurzschluss durch eine hy-perschnelle Abschaltung isoliert und das Netz somit nicht gefaumlhrdet wird Von 14 solchen Schaltsystemen welt-weit stammen 13 von ABB Die hohen Investitionen fuumlr die armdicken Gleichstromkabel rechnen sich da beim Transport viel weniger Strom verloren geht als bei der tradi tionellen Wechselstromtechnik Die Produktelinie ent-wickelt sich zum Renner Sie wird zur Anbindung von So-lar- und Windparks zur Versorgung von Inseln als Ersatz fuumlr Diesel generatoren auf Oumll- und Gasplattformen auf See eingesetzt Oder um Starkstrom vom Festland zu auf dem Meeresboden platzierten ferngesteuerten Foumlrderanlagen fuumlr Gas und Oumll zu leiten ndash wofuumlr ABB auch wartungsfreie Kompressoren liefert damit Kunden wie Statoil und Pet-robras teure Ausfaumllle erspart bleiben

Komplettloumlsungen aus einer HandDank hohem Innovationstempo sind die Divisionen Ener-gietechnik- und Niederspannungsprodukte gut ausgelas-tet Dies gilt ebenso fuumlr die Divisionen Industrie- und Pro-zessautomation Speziell energieintensive Industrien die unter hohem Kostendruck stehen muumlssen ihre Anlagen auf dem neusten Stand halten Dazu zaumlhlen Bergbau Oumll- und Gasindustrie Zellstoff- Papier- und Zementfabriken Chemie- und Pharmafirmen sowie Raffinerien Gefragt sind auch Industrieroboter und schwenkbare dank ABB-Leistungselektronik stufenlos regulierbare Schiffsantrie-be ABB liefert Grosskunden fertige Loumlsungen die hohe Produktivitaumlt und Energieeffizienz gewaumlhrleisten Alles ist aufeinander abgestimmt von der Elektrik uumlber Antriebe Generatoren Roboter Sensoren und Steuerungen bis hin

Zu Beginn des Jahrtausends stand ABB am Abgrund Doch eine neue Fuumlhrungscrew fuumlhrte das Unternehmen aus der Krise sodass die Schweiz inzwischen wieder stolz sein kann auf ihren Industriemulti mit Sitz in Zuumlrich Oerli-kon 2013 erzielte ABB mit rund 148 000 Mitarbeitenden in 100 Laumlndern 42 Milliarden Dollar Umsatz Die renom-mierte US-Universitaumlt MIT zaumlhlt ABB zu den 50 innova-tivsten Unternehmen weltweit Dank 8 000 Ingenieuren in Forschung und Entwicklung und einem Forschungsetat von 15 Milliarden Dollar kann ABB selbst mit Giganten wie Siemens und General Electric mithalten

Innovationen die Technikfans begeisternWas ABB alles macht wissen wohl nur Technikfans Denn der Konzern hat uumlber 70 000 Produkte im Angebot Die 300 ABB-Fabriken liefern taumlglich 15 Millionen Kompo-nenten aus die zu elektrischen Einrichtungen oder in Pro-duktionssteuerungen verbaut werden Aus Kanada etwa kam juumlngst ein Grossauftrag uumlber 400 Millionen Dollar Erneuerbare Energie die auf Neufundland und Labrador gewonnen wird soll ab 2017 via Hochspannungskabel 360 Kilometer nach Westen fliessen um dort 350 000 Haumluser zu versorgen Weltweit gibt es erst 90 solche Gleichstromkabelverbindungen die meist unter der Erde oder auf dem Meeresgrund verlaufen ABB ist mit rund 50 Prozent Anteil Marktfuumlhrer Die futuristisch anmuten-de Technik in den abgeschirmten Hallen wo der Strom vor dem Transport auf Hochspannung transformiert wird erinnert an den Maschinenraum von Raumschiff Enter-prise Ein wichtiges Steuerungselement bilden dabei in Baden Daumlttwil entwickelte und in Lenzburg produzierte Spezialchips die Houmlchstspannung aushalten Neu entwi-

Der schweizerisch-schwedische Technikkonzern treibt an vor-derster Front die Energiewende voran Dafuumlr forscht man bei ABB intensiv zu erneuerbaren Energien schlauen Stromnetzen sowie hocheffizienten Industrieanlagen Einzig die schwache Nachfrage nach Energieanlagen in Europa bremst die ExpansionText Andreas Fluumltsch

Innovativer Treiber der Energiewende

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uumlber weite Strecken in die Ballungsraumlume geleitet werden muss brummt das Geschaumlft In den USA treibt der Oumll- und Gasboom die Nachfrage Nur in Europa harzt das Geschaumlft mit Grossanlagen Weniger Nachfrage belastet die Margen bei Auftraumlgen fuumlr Wind- und Solarfarmen so-wie fuumlr Netzinfrastruktur Die Risiken der oft mehrjaumlhrigen Projekte sind so hoch dass ABB waumlhlerischer sein muss und etwa das Geschaumlft mit Solarloumlsungen zurzeit auf Sparflamme betreibt Dennoch ist ABB immer noch hoch-profitabel nicht zuletzt da die Kosten Jahr fuumlr Jahr um 3 bis 5 Prozent gesenkt werden Aber der erfolgsgewohnte Konzern musste sich 2013 mit 6 Prozent Umsatzplus zu-friedengeben Umso intensiver treibt der neue ABB-Chef Ulrich Spiesshofer die Integration der vorab in den USA fuumlr 10 Milliarden Dollar getaumltigten Zukaumlufe voran Und Spiess-hofer forciert die Zusammenarbeit der Divisionen damit ABB die Unternehmensvision laquoEnergie und Produktivitaumlt fuumlr eine bessere Weltraquo mit moumlglichst vielen eigenen Pro-dukten realisieren kann

zur Leittechnik samt angepasster Software Kleine und mittlere Kunden ordern Komponenten oder Teilsysteme Ein wichtiges Verkaufsargument ist das Sparpotenzial von stufenlos steuerbaren Elektromotoren Nur einer von fuumlnf Motoren hat laut einer Erhebung des Bundes einen Leis-tungsregler der Rest laumluft auf Hochtouren und wird ndash man glaubt es kaum ndash bei Bedarf mit Klappen oder Ventilen mechanisch abgebremst Eine gigantische Verschwen-dung da Industriemotoren laut einer Studie der Schwei-zerischen Agentur fuumlr Energieeffizienz 27 Prozent des Schweizer Stromverbrauchs ausmachen

Europaumlische ZuruumlckhaltungEigentlich muumlsste die Division Energietechniksysteme ebenfalls ausgelastet sein Denn auch die Stromwirtschaft muss ihre Effizienz steigern Schliesslich erfordert die Energiewende einen Totalumbau der auf Verteilung ausge-richteten Netze damit diese unter der Last von Solar- und Windenergie nicht instabil werden Arbeit in Huumllle und Fuumllle fuumlr ABB sollte man meinen Doch der erst zaghafte Auf-schwung in Europa daumlmpft die Nachfrage Erschwerend kommt hinzu dass subventionierte Wind- und Solarener-gie in Europas liberalisiertem Strommarkt den Strompreis in ungeahnte Tiefen druumlckte Die Konkurrenzfaumlhigkeit von Wasser- Gas- und Atomkraftwerken hat gelitten Pump-speicher sind keine Goldesel mehr seit die erneuerbaren Energien die Preisspitzen brechen Entsprechend schie-ben Stromkonzerne wie Alpiq oder RWE Investitionen auf Unsicherheiten rund um den Atomausstieg belasten zu-saumltzlich Die voraussichtlich noch auf Jahre hinaus tiefen Strompreise schmaumllern auch die Faumlhigkeit der Besitzer von Hochspannungs- und Verteilnetzen deren Umruumlstung zu finanzieren hoch verschuldete EU-Staaten fahren die Foumlrderung von Wind- und Solarenergie zuruumlck

Straffe KostenkontrolleABB bekommt den Investitionsstau empfindlich zu spuuml-ren Die Division Energietechniksysteme schreibt seit eini-ger Zeit rote Zahlen Zwar ordern Grosskunden aus Asien und Lateinamerika weiterhin kraumlftig Neben China inves-tiert vermehrt auch Indien in neue Stromnetze Uumlberall dort wo die Bevoumllkerung rasch waumlchst oder der Strom

Andreas FluumltschAndreas Fluumltsch war urspruumlnglich Jurist und arbeitete ab 1983 als Journalist fuumlr laquoBlickraquo laquoWeltwocheraquo laquoBilanzraquo und laquoCashraquo Zwischen 1989 und 1990 war er Mitglied der Geschaumlftsleitung von Greenpeace Schweiz anschliessend Hausmann Nach der Ruumlck-kehr in den Journalismus 1992 arbeitete er bei laquoBlickraquo laquoSonntagszeitungraquo und laquoTages- Anzeigerraquo und absolvierte eine Ausbildung zum Boumlrsenhaumlndler Nach der Fruumlhpensio-nierung Ende 2013 machte er sich als Publi-zist selbststaumlndig

ABB in Zahlen (2013)Betriebsertrag 41 848 Mio USDBetriebsergebnis 4 387 Mio USDndash Industrieautomation 1 458 Mio USDndash Niederspannung 1 092 Mio USDndash Prozessautomation 990 Mio USDndash Energietechnik 1 331 Mio USDndash Energiesysteme 171 Mio USD

Mitarbeitende 147 700ndash davon in der Schweiz 6 966

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Hohe Nachfrage nach MinergieDer Erfolg der bisherigen Sparbemuumlhungen bleibt nicht aus laquoTrotz zunehmender Pro-Kopf-Wohnflaumlche und stei-gendem Komfort sinkt der Energieverbrauch fuumlrs Heizen in den letzten Jahrzehnten stetigraquo verkuumlndet der Zuumlrcher Regierungsrat im Energieplanungsbericht 2014 Dazu tra-gen nicht nur die laufend verschaumlrften Gesetze bei Ebenso wichtig ist die Bereitschaft von Bautraumlgerschaften freiwillig Uumlberdurchschnittliches zu leisten Vor allem die Minergie-Regeln werden inzwischen gerne befolgt weshalb Haumluser mit halbiertem Energieverbrauch beinahe Standard sind Schweizweit traumlgt eines von zehn neuen Wohnhaumlusern ein Minergie-Zertifikat Der Anteil an Minergie-Haumlusern im Grossraum Zuumlrich liegt gemaumlss einer Marktanalyse der Universitaumlt Zuumlrich bereits nahe bei 20 Prozent Dies ist privaten Hauseigentuumlmern und institutionellen Investoren zu verdanken Wohn- und Geschaumlftshaumluser mit houmlchster Energieeffizienz gehoumlren inzwischen zum guten Ton Den juumlngsten Beweis liefert eine Immobilienstiftung der Credit Suisse die 70 Millionen Franken in die groumlsste Oumlkosied-lung der Schweiz investiert Im Aargauer Reusstal wohnen seit diesem Jahr rund 200 Familien Paare und Singles deren Wohnhaumluser sich weitgehend selbst mit Sonnen-energie versorgen So klimafreundlich die Energiewende-Architektur ist der Investor erwartet dennoch marktuumlb-liche Renditen Ist der Markt aber bereit oumlkologisches Engagement angemessen zu honorieren

Marktpotenzial fruumlhzeitig erkanntDie Zuumlrcher Kantonalbank (ZKB) beziffert den Mehrwert von Minergie-Haumlusern auf 7 Prozent Kaumlufer seien bereit diesen Aufpreis fuumlr mehr Energieeffizienz zu bezahlen Als weitere Nebeneffekte nennt der vor drei Jahren publizierte ZKB-Bericht eine hochwertige dauerhafte Bausubstanz sowie die Absicherung gegen steigende Oumll- und Energie-preise Fachleute des Immobilienberatungsunternehmens Wuumlest amp Partner (WampP) warnen indes dass sich zusaumltz-liche Investitionen in die Energieeffizienz nicht uumlberall loh-nen laquoRegional schwankt die Zahlungsbereitschaft des Immobilienmarktsraquo praumlzisiert WampP-Partner Ivan Anton Minergie-Haumluser koumlnnen aber nicht nur in abgelegenen Regionen ein Marktrisiko werden laquoMit Ausnahme der

Beim Autokauf wird bevorzugt auf Pferdestaumlrken Be-schleunigung und Innenausstattung geachtet Der CO2-Ausstoss interessiert hingegen kaum So kommt die Energieeffizienz im Strassenverkehr nur stockend voran 1995 schluckten alle neu immatrikulierten Personen-wagen durchschnittlich 9 Liter Benzin pro 100 Kilometer 20 Jahre spaumlter liegt der Durchschnittsverbrauch gemaumlss Bundesamt fuumlr Energie (BFE) immer noch uumlber 6 Litern Das viel gepriesene laquoDrei-Liter-Autoraquo haben alle Hersteller wieder aus der Modellpalette genommen

Demgegenuumlber gelingen dem oft traumlge genannten Ge-baumludebereich weitaus groumlssere Effizienzspruumlnge Ver-brauchen 40 Jahre alte Haumluser im Schnitt 220 Kilowatt-stunden (kWh) Heizenergie pro Quadratmeter Wohnflaumlche und Jahr sind die aktuellen Werte unter die 50er-Marke gesunken Zusaumltzliche Sparerfolge sind nur eine Frage der Zeit Im Fruumlhsommer haben die kantonalen Energie-direktoren uumlber ein Rahmenabkommen beraten das Null-energieneubauten demnaumlchst zum Standard machen soll Wie die nationale Energiewende zu erreichen ist erklaumlrt Christoph Gmuumlr von der Abteilung Energie des Kantons Zuumlrich laquoDer spezifische Verbrauchswert ist zudem auf 35 kWh pro Quadratmeter zu senkenraquo Gebaumlude die sich mit umweltfreundlicher Energie selbst versorgen wollen auch die EU-Staaten Ab 2020 wird ein Gebaumludestandard eingefuumlhrt der nur noch laquoNiedrigstenergiegebaumluderaquo mit sehr hoher Energieeffizienz als Neubauten vorsieht

Energiesparhaumluser waren vor 30 Jahren Exoten inzwischen nimmt der Bereich der energie-effizienten Gebaumlude eine Vor-bildrolle fuumlr die Energie wende ein Bauherren profitieren davon ebenso wie die Zuliefer-branche Text Paul Knuumlsel

Expertensicht

Haumluser in der ersten Reihe

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der Bau von Niedrigenergiehaumlusern und alternativen Hei-zungsanlagen sowie energetische Gebaumludesanierungen Investitionen im Umfang von rund 4 Milliarden Franken ausgeloumlst rechnet der Bund vor laquoEin Fuumlnftel insgesamt 860 Millionen Franken stammt aus den oumlffentlichen Kas-senraquo verweist die BFE-Stelle EnergieSchweiz auf die Im-pulse der kantonalen Foumlrderprogramme Einen Wermuts-tropfen besitzt diese Wirkungsbilanz Fruumlhere Analysen der Energiesparprogramme zeigen naumlmlich dass zwi-schen einem Drittel und der Haumllfte der energetisch vorbild-lichen Gebaumlude auch ohne staatliche Foumlrderung realisiert worden waumlren Dem Mitnahmeeffekt ist auch die Eidge-noumlssische Steuerverwaltung auf der Spur Sie schaumltzt dass Bund und Kantonen jaumlhrlich 14 Milliarden Franken entgehen weil energetische Gebaumludesanierungen bei der Liegenschaftssteuer abzugsberechtigt sind Die Energie-wende erfordert nicht nur mehr Effizienz bei den Anwen-dungen sondern auch einen effizienten Einsatz staatlicher Mittel Im Energieplanungsbericht 2013 hat der Zuumlrcher Regierungsrat erstmals uumlber alternative Anreizsysteme nachgedacht Demnach soll eine Lenkungsabgabe den Energiekonsum reduzieren und das bisherige Foumlrdersys-tem abloumlsen Aumlhnliche Plaumlne verfolgt der Bund Denn ein Lenkungssystem duumlrfte weitere Sparbemuumlhungen im Ge-baumludebereich aber auch im Strassenverkehr foumlrdern Ins-besondere dann wenn Heizoumll und Benzin im Gleichschritt teurer werden

begehrten Wohnlagen haben Hauseigentuumlmer an vielen Orten mit moumlglichen Verkaufsverlusten zu rechnenraquo so Anton Zwar sei die Nachfrage bei Eigentuumlmern und Mie-tern aumlhnlich gross Aber auch Mieter wuumlrden nicht uumlberall mehr fuumlr eine energieeffiziente Wohnung bezahlen Kaum uumlberraschen darf daher dass Immobilieninvestoren immer haumlufiger die steigenden Energieanforderungen kritisieren und kostenguumlnstigere Baustandards vorziehen Fuumlr WampP-Berater Urs Hausmann ist laquonachhaltiges Bauen trotzdem keine Frage von Luxus oder Wohlstand sondern eine wie man mit Ressourcen umgehen willraquo Dass ein hohes Um-weltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauen Der Run auf den oumlkologischen Baustoff Holz laumlsst zum Beispiel eine gesamte Wertschoumlpfungskette und viele

innovative Unternehmen profitieren Forstbetriebe Sauml-gereien Fensterbauer Daumlmmstoffhersteller und andere Bauzulieferer vergroumlssern ihre Produktionskapazitaumlten und stellen zusaumltzliches Personal ein laquoDie Umsaumltze im Schweizer Holzbau sind in den letzten Jahren um mehrere Hundert Millionen Franken gestiegen und die Trendkurve zeigt weiter nach obenraquo freut sich Christoph Starck Di-rektor des Holzbaudachverbands Lignum

Einheimische Zulieferer als GewinnerAuch im Verein Minergie ist man sich bewusst dass sich energieeffizientes Bauen wirtschaftlich positiv auswirkt In den letzten 15 Jahren sind 25 000 Wohnhaumluser Buumlro-komplexe Schulbauten Sport- und Industriehallen mit Niedrig energiezertifikat entstanden Gemeinsam sparen sie 15 Milliarden Kilowattstunden Energie laquoUumlber 2 Milliar-den Franken wurden zusaumltzlich investiertraquo rechnet Miner-gie-Sprecher Antonio Milelli vor Anstatt fossile Brennstoffe einzukaufen wird mehr Geld fuumlr Daumlmmstoffe Isolierfenster Luumlftungsanlagen und Sonnenkollektoren aus inlaumlndischer Fabrikation ausgegeben Zwischen 2001 und 2012 haben

Paul KnuumlselPaul Knuumlsel studierte Umweltnaturwissen-schaften an der ETH Zuumlrich Er ist unabhaumln-giger Wissenschaftsjournalist und schreibt seit Jahren in Publikums- und Fachmedien uumlber die vielfaumlltigen Aspekte des nachhalti-gen Bauens Zusaumltzlich betreut er in der Re-daktion des laquoTEC21raquo das Ressort laquoEnergie und Umweltraquo

laquoDass ein hohes Umweltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren

derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauenraquo

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Der Wasserkraft Sorge tragen

Welchen Beitrag kann die Wasserwirtschaft zur Energie-wende leisten Roger Pfammatter Die Wasserkraft ist der energie-politische Trumpf der Schweiz Wir befinden uns in der gluumlcklichen Lage uumlber grosse Mengen Wasser und das notwendige Gefaumllle zu verfuumlgen ndash das sind die beiden wichtigsten Voraussetzungen fuumlr die hydroelektrische Produktion Und wir haben in den vergangenen 100 Jah-ren gelernt dieses Potenzial effizient und moumlglichst um-weltschonend zu nutzen Die Wasserkraft ist der Schluumls-sel fuumlr eine nachhaltige Energieversorgung technisch ausgereift politisch erwuumlnscht einheimisch erneuerbar und CO2-frei

Wie viel mehr ist moumlglichHeute leistet die Wasserkraft nicht nur rund 60 Prozent der Stromproduktion in der Schweiz sondern bietet auch unverzichtbare Regel- und Systemdienstleistungen die markant an Bedeutung gewinnen werden Vor allem bei der Flexibilisierung der Wasserkraft durch mehr Leistung und Speichervolumen waumlre noch einiges moumlglich Um die Aufgaben weiterhin zu gewaumlhrleisten muumlssen wir aber primaumlr dem Bestehenden Sorge tragen

Die Energiestrategie des Bundes gibt aber klare Ausbau-ziele vor Bis 2035 soll die Stromproduktion aus Wasser-kraft um 10 Prozent steigenUnter den momentanen Rahmenbedingungen ist dieses Ausbauziel nicht realistisch Im Gegenteil Aufgrund der Restwasserbestimmungen wird die Produktion in den naumlchsten Jahren vermutlich sogar zuruumlckgehen

Die Wasserkraft ist der wichtigste Pfeiler der Schweizer Ener-giewirtschaft ihr Potenzial ist aber weitgehend ausgeschoumlpft Roger Pfammatter Geschaumlftsfuumlhrer des Wasserwirtschaftsver-bands gibt im Interview Auskunft uumlber die Lage der Branche und ihre Bedeutung fuumlr die EnergiezukunftInterview Florian Wehrli

Expertensicht

Was muss sich aumlndern damit die vorgegebenen Ziele um-gesetzt werden koumlnnenZum einen braucht es dafuumlr die Akzeptanz der Umweltver-baumlnde der Fischer und letztlich der gesamten Bevoumllkerung Zum anderen muumlssen laumlngerfristig die extremen Marktver-zerrungen abgebaut werden damit sich auch Investitionen in die nicht gefoumlrderte Wasserkraft wieder lohnen Heute wird nur noch in subventionierte Anlagen investiert

Wer ist hier in der PflichtHier ist die Politik gefordert die Rahmenbedingungen zu verbessern Denn ohne die Wasserkraft kann die Energie-wende nicht gelingen

Anfang Jahr wurde der Wasserwirtschaftsverband von den zustaumlndigen Kommissionen angehoumlrt Welche Forderun-gen hat die Branche an das ParlamentWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerba-re Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichten die bereits bis zur Haumllfte der Geste-hungskosten ausmachen Damit sind wir doppelt diskrimi-niert Die Wasserkraft ist extrem unter Preisdruck ndash und dies obwohl sie mit Gestehungskosten zwischen 3 und 10 Rappen pro Kilowattstunde die effizienteste Strompro-duktionstechnologie ist Nur zum Vergleich Fotovoltaik -anlagen werden heute mit rund 40 Rappen subventioniert

Bis 2011 liess sich mit der Grosswasserkraft noch viel Geld verdienen Wurden zu wenige Ruumlcklagen fuumlr schlechte Zei-ten gebildet

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Es kann nicht der Sinn sein Ruumlcklagen fuumlr Zeiten zu bil-den in denen die Marktpreise die Gestehungskosten nicht mehr decken Das waumlre wie wenn ein Baumlcker auf jedem Gipfeli einige Rappen zuruumlckbehalten muumlsste damit er sie am naumlchsten Tag gratis abgeben kann Mit dem durch Subventionen verzerrten Marktpreis von 4 bis 5 Rappen pro Kilowattstunde ist unter den konventionellen Energie-traumlgern praktisch nur Kohle konkurrenzfaumlhig Das ist be-stimmt nicht im Sinn der Energiewende

Drei Grosswasserkraftprojekte sind heute bereits im Bau Koumlnnen die enormen Kosten uumlberhaupt amortisiert wer-denPrognosen sind schwierig An der europaumlischen Strom-boumlrse (EEX) werden bis 2020 Strompreise zwischen 45 und 53 Rappen pro Kilowattstunde gehandelt Der Markt glaubt also nicht an eine baldige Erholung Dafuumlr muumlsste das Uumlberangebot in Europa zuruumlckgehen etwa uumlber die Anhebung des CO2-Preises von heute 5 auf mindestens 30 Euro pro Tonne Politisch ist das aber kaum durchsetz-bar Neue Pumpspeicherwerke werden sich deshalb wohl erst in mehreren Jahrzehnten lohnen

Was kann die Kleinwasserkraft leistenOhne die kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) wuumlr-de niemand Kleinwasserkraftanlagen bauen genauso we-nig wie Fotovoltaik- Wind- oder Biomasseanlagen Zurzeit gibt es aber allein bei der Kleinwasserkraft rund 1 000 An-meldungen fuumlr Foumlrderbeitraumlge mit einem bescheidenen Ge-samtpotenzial von 33 Terawattstunden pro Jahr Die oumlko-logischen Auswirkungen sind im Vergleich zum Ertrag zu gross Obwohl wir von marktverzerrenden Foumlrderprogram-men wegkommen sollten waumlre es in einer Uumlbergangs phase sinnvoll die KEV-Obergrenze von 10 Mega watt aufzuheben und dort zu foumlrdern wo es wirklich etwas bringt

Wie soll die Grosswasserkraft unterstuumltzt werdenDas Sinnvollste waumlre die Abkehr von der Subventions-maschinerie ndash und zwar auf europaumlischer Ebene Dann wuumlrde sich die Wasserkraft als effiziente erneuerbare Stromproduktionsform mit Sicherheit durchsetzen Min-destens als Uumlbergangsloumlsung waumlre aber die Entlastung

von Abgaben in erster Linie vom Wasserzins dringend Der maximale Wasserzins wurde in den letzten vier Jahren um 38 Prozent erhoumlht und wird naumlchstes Jahr um weite-re 10 Prozent angehoben Diese Erhoumlhung wurde 2008 beschlossen und steht heute in keinerlei Bezug mehr zur Ertrags lage Kurzfristig koumlnnten die Kantone auf einen Teil dieser Zinsen verzichten ndash das waumlre ein wichtiges politi-sches Zeichen Langfristig muss ein neuer Modus fuumlr die Zinsberechnung gefunden werden der die Ertragslage der Wasserkraft mitberuumlcksichtigt Das ist auch im Interesse von Bund Kantonen und Gemeinden schliesslich ist die Wasserkraft zu 85 Prozent in oumlffentlicher Hand Ebenfalls als Uumlbergangsloumlsung bis zu besseren Marktpreisen waumlren zinsguumlnstige Darlehen fuumlr die noumltigen Investitionen in die Grosswasserkraft denkbar Ohne mindestens eine dieser Massnahmen kann die Wasserwirtschaft das geforderte Ausbauziel nicht erreichen

Bis dahin gibt es noch eine weitere Huumlrde den Heimfall der Stauanlagen an die Standortgemeinden Welchen Ein-fluss hat dieser UmstandWenn die Konzessionen nach 80 oder 100 Jahren aus-laufen muss der Betreiber der Gemeinde eine Entschaumldi-gung fuumlr den Restwert der Anlagen entrichten Im Fall der Staumauer Barberine bezahlen die SBB und Alpiq 2017 an sechs Walliser Gemeinden 343 Millionen Franken Das 400-Seelen-Dorf Finhaut erhaumllt alleine 112 Millionen Fran-ken und weiss kaum wohin mit dem Geld Der gesamte Wert des Heimfalls der Anlagen bewegt sich schweizweit im Milliardenbereich Der Houmlhepunkt des Heimfalls wird um 2035 erreicht werden Bis zu diesem Zeitpunkt soll aber auch ein Grossteil der geforderten Produktionsstei-gerung umgesetzt werden

Bei der Stromproduktion ist ein Ausbau von uumlber 10 Pro-zent wohl nicht realistisch Wie sieht es bei der Speicher-leistung aus Hier muss man unterscheiden zwischen kurzfristiger und saisonaler Speicherung Fuumlr die saisonale Speicherung verfuumlgt die Schweiz mit 200 Speicherseen uumlber ein Vo-lumen von rund 9 000 Gigawattstunden (GWh) die jedes Jahr vom Sommer in den Winter umgelagert werden Dies

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Expertensicht

entspricht einem Viertel der jaumlhrlichen Produktion aus Wasserkraft Das Ausbaupotenzial durch die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren betraumlgt rund 2 000 GWh Falls der Ausbau aber nicht gelingt entsteht im Winter durch den Ausfall der Kernenergie eine immer groumlssere Luumlcke an Bandenergie die durch den Import von Atom- oder Kohlestrom gedeckt werden muss

Wie sieht es beim Ausbau der Pumpleistung zum kurzfris-tigen Ausgleich von Schwankungen im Netz ausGrundsaumltzlich ist das Potenzial fuumlr Pumpspeicherwerke in der Schweiz riesig Es braucht nur zwei Seen auf unter-schiedlicher Houmlhe Die Frage ist ob sich solche Investi-tionen rechnen Die Pumpspeicherwerke finanzieren sich

uumlber den Preisunterschied zwischen Band- und Spitzen-energie Wenn an einem schoumlnen Sommertag in Europa mittags die geballte Ladung an Sonnen- und Windener-gie eingespeist wird koumlnnen die Pumpspeicherkraftwerke sehr guumlnstig oder sogar zu Negativpreisen Strom bezie-hen Man darf aber nicht vergessen dass dieselbe Situa-tion fuumlr die Laufwasserkraftwerke die rund die Haumllfte der Wasserkraftproduktion in der Schweiz ausmachen den gegenteiligen Effekt hat Diese koumlnnen aus technischen konzessionsrechtlichen oder oumlkologischen Gruumlnden nicht vom Netz genommen werden und muumlssen fuumlr ihre Strom-produktion bezahlen Das kann gehoumlrig ins Geld gehen An Weihnachten 2012 lag der Strompreis zum Beispiel bei minus 30 Rappen pro Kilowattstunde

Roger Pfammatter laquoWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerbare Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichtenraquo

Bild Florian Wehrli

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cherseen zur Flexibilisierung Damit das gelingt muss der Wert der Wasserkraft staumlrker im Bewusstsein der Bevoumllke-rung verankert sein Und nicht zuletzt muss der Marktpreis so weit uumlber den Gestehungskosten liegen dass sich In-vestitionen in die Wasserwirtschaft rentieren

Versuchen das Bestehende zu erhalten Diese Vision klingt etwas resigniertDas ist eine Frage der Perspektive Die Wasserkraft hat als Technologie in der Schweiz seit Langem Bestand Sie befindet sich in einer anderen Situation als Fotovoltaik und Windenergie die sich in einem hochdynamischen Umfeld mit grossem Potenzial in Forschung und Wachstum be-finden Die Wasserkraft ist dagegen nicht mehr in der Auf-bruchsphase sondern in der Konsolidierungsphase Da-fuumlr kann man sich auf die Wasserkraftwerke verlassen Sie produzieren bei Tag und in der Nacht im Sommer wie im Winter bei Windstille oder im Nebel Auch der Erhalt und die Optimierung des Bestehenden sind grosse Heraus-forderungen und bedingen grosse Investitionen

Sehen Sie eine Moumlglichkeit wie die Schweizer Wasser-wirtschaft in Zukunft Geld mit Systemdienstleistungen wie Netzstabilitaumlt verdienen kannDie unregelmaumlssig einspeisenden Stromproduzenten neh-men keinerlei Systemverantwortung wahr Ich habe selbst ein Solarpanel auf dem Dach Wenn Produktion moumlglich ist speise ich Strom ins Netz ein wenn nicht beziehe ich Die Produzenten mehr in die Verantwortung zu nehmen faumlnde ich sinnvoll ndash zum Beispiel uumlber Zertifikate fuumlr Spei-cherleistungen Diese koumlnnten bei Pumpspeicherwerken bezogen werden

Welcher Ausbau der Pumpspeicherleistung ist dafuumlr noumltigDie installierte Leistung betraumlgt heute rund 14 Gigawatt (GW) Mit den im Bau befindlichen und den geplanten An-lagen kann die Kapazitaumlt maximal auf 51 GW ausgebaut werden ndash etwa die Haumllfte der Jahreshoumlchstlast im Netz Damit die Schweizer Wasserkraft aber einen Beitrag zur Stabilitaumlt des europaumlischen Stromnetzes leisten kann muumlssten auch das Stauvolumen und die Leitungskapazi-taumlt erhoumlht werden Hier sind die Einsprachen von Anwoh-nern und Umweltverbaumlnden noch gravierender als bei den Anlagen selbst

Braucht es neue rechtliche Instrumente um den geplan-ten Ausbau durchsetzen zu koumlnnenEs braucht vor allem die Einsicht dass die Wasserkraft das Ruumlckgrat unserer Versorgungssicherheit ist und die Aus-wirkungen eines Ausbaus immer auch mit den Alternativen verglichen werden muumlssen Wir befinden uns aber auch in einem intensiv genutzten Land mit vielen Partikularinteres-sen Diese muumlssen gewichtet und abgewogen werden In der Abwaumlgung zwischen Landschaftsschutz und Wasser-nutzung waumlre es hilfreich wenn Grosswasserkraftanlagen den Status von nationalem Interesse erhalten

Wie soll die Schweizer Wasserwirtschaft im Jahr 2035 aussehenIch wuumlnsche mir dass die bestehende Infrastruktur auf dem heutigen Stand erhalten optimiert oumlkologisiert und im Idealfall etwas ausgebaut wird Dazu gehoumlren etwa die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren sowie neue Spei-

Roger PfammatterSeit seinem Ingenieurstudium an der ETH Zuumlrich hat er sich in ver-schiedenen Rollen dem Wasser verschrieben Nach sieben Lehr- und Wanderjahren in der Forschung und in der Entwicklungszusammen-arbeit war er zehn Jahre beim Ingenieurunternehmen Ernst Basler + Partner engagiert Seit 2010 ist er Geschaumlftsfuumlhrer des Schweizeri-schen Wasserwirtschaftsverbandes (SWV) und Herausgeber der Zeit-schrift laquoWasser Energie Luftraquo In diesen Funktionen setzt er sich ein fuumlr den Fachaustausch und gute Rahmenbedingungen in den Bereichen Wasserkraft und Hochwasserschutz

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Die globalen Energiemaumlrkte sind seit einigen Jahren stark in Bewegung Volatile Erdoumllpreise die Foumlrderung von un-konventionellen Gasvorkommen in grossem Stil die mas-sive Subventionierung von neuen erneuerbaren Energien in Deutschland der laquoarabische Fruumlhlingraquo und der Konflikt in der Ukraine hinterlassen Spuren Die Folge sind starke Verwerfungen an den Maumlrkten und fehlende Investitionssi-cherheit In diesem dynamischen und unsicheren Kontext will der Bund die bisherige Energiepolitik neu ausrichten ndash wahrlich eine Herkulesaufgabe Die Schweizer Wirtschaft verlangt dass der Bund bei der Neuausrichtung der Ener-giepolitik seinem in der Verfassung verankerten Auftrag nachkommt und sich fuumlr eine ausreichende sichere breit gefaumlcherte wirtschaftliche und umweltvertraumlgliche Ener-gieversorgung einsetzt Somit ist klar Die Energiestrate-gie 2050 muss in erheblichen Teilen optimiert und justiert werden Nur wenn vernetzt gedacht wird ist eine sichere Versorgung zu wettbewerbsfaumlhigen Preisen moumlglich

Prognosen klaffen weit auseinanderSeit Jahrzehnten bietet der Strommix aus Wasserkraft (knapp 60 Prozent) und Kernenergie (40 Prozent) Gewaumlhr fuumlr eine sichere klimafreundliche und wirtschaftliche Ener-gieversorgung Im Rahmen der Energiestrategie 2050 muss die Kernenergie langfristig ersetzt werden Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen zumal die Ziele des Bundes

Lebenselixier der Wirtschaft

Die Schweizer Wirtschaft ist auch in Zukunft auf eine sichere und wirtschaftliche Stromver-sorgung angewiesen Die Ener-giestrategie 2050 setzt stark auf Subventionen Dadurch entstehen Fehlanreize welche die Versorgungssicherheit ge-faumlhrdenText Kurt Lanz

Expertensicht

in Bezug auf das Potenzial der neuen erneuerbaren Ener-gien von Wunschdenken geleitet sind Die neuen erneuer-baren Energien werden sich langsamer entwickeln als an-gestrebt Der Bund rechnet mit rund 12 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2035 die Schweizer Wirtschaft mit 44 TWh Die vorsichtigeren Prognosen der Wirtschaft scheinen re-alistischer Dies zeigen exemplarisch die gescheiterten Geothermieprojekte in Basel und St Gallen Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Nachfrageprognosen Der Bund rechnet in seinen Szenarien mit einem Ruumlckgang des Stromverbrauchs pro Kopf von 16 Prozent zwischen 2000 und 2035 Die Schweizer Wirtschaft orientiert sich in ihren Szenarien am Verband Schweizerischer Elektrizitaumlts-unternehmen (VSE) der weiter mit einer steigenden Nach-frage rechnet Die Wirtschaft fordert von der Politik eine vernuumlnftige Planung aufgrund realistischer Schaumltzungen Die Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energiestrategie nicht gefaumlhrdet werden

Subventionen fuumlhren zu FehlanreizenDie Schweiz hat seit vielen Jahrzehnten erfolgreich die Wasserkraft vorangetrieben Aus politischen Gruumlnden wird nun die ndash unregelmaumlssige ndash Stromproduktion durch Sonnen- und Windenergie forciert Unsere sogenann-te kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) entspricht dem deutschen Foumlrdermodell Beide haben das gleiche Ziel Sie sollen erneuerbare Energien ausbauen indem sie neue Formen der Stromproduktion zur Marktreife brin-gen Weil das KEV-System die Sonnen- und Windenergie massiv foumlrdert kommt ein weiterer Ausbau der bewaumlhrten Wasserkraft nicht infrage Diese Entwicklung gefaumlhrdet die Versorgungssicherheit der Schweiz Auf den ersten Blick sinken zwar die Produktionskosten fuumlr Solarstrom gleich-zeitig steigen aber die Kosten fuumlr Speicherung und Inte-gration ins Netz spuumlrbar Auch ist der Ausbau von Solar- und Windenergie nur von beschraumlnktem Nutzen solange keine ausreichenden Speicherkapazitaumlten vorhanden sind Nur Preissignale koumlnnen das Investitionsverhalten von Stromproduzenten Netzbetreibern und Konsumen-ten sinnvoll lenken Subventionen sind zu beseitigen denn sie fuumlhren zu Fehlanreizen

41COMPETENCE | 2014

Alle Optionen offenhaltenOffenheit und Neugier gehoumlren zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft Kategorisches Abwehrverhalten und Denkverbote verhindern konstruktive Loumlsungsansaumltze und Innovation Eine sichere und kostenguumlnstige Strom-versorgung kann auch in Zukunft nur mit der notwendi-gen Offenheit gegenuumlber allen Technologien und Energie-

systemen garantiert werden Die Schweiz ist dank einer erfolgreichen Hochschulland-schaft und vielen Technolo-gieunternehmen gut geruumlstet Die verschiedenen Energie-systeme muumlssen faktenba-siert und ohne ideologische

Scheuklappen verglichen werden Nur so koumlnnen effizi-ente und umweltvertraumlgliche Loumlsungen gefunden werden Das heutige System der Foumlrderung der neuen erneuer-baren Energien ist durch ein marktorientiertes System ab-zuloumlsen Produzenten die nachfragegerecht einspeisen sollen eine houmlhere Verguumltung erhalten als andere Auch soll der Vorrang der Netzeinspeisung fuumlr subventionierte Energietraumlger aufgehoben werden

laquoDie Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit

des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energie strategie nicht

gefaumlhrdet werdenraquo

Schnellere Verfahren anstrebenGrundvoraussetzung fuumlr eine Neuausrichtung der Ener-giepolitik sind funktionierende Stromnetze Diese muumls-sen zwingend parallel zum Umbau der Stromproduktion weiterentwickelt werden Allein der noumltige Ausbau der Uumlbertragungsnetze belaumluft sich auf rund 1 000 Kilometer bis ins Jahr 2020 Erforderlich sind zudem Investitionen in alle Verteilernetzebenen Al-lerdings verzoumlgern komplizier-te Verfahren auf Kantons- und Bundesebene den Ausbau Ausserdem erwaumlchst praktisch jedem Projekt Widerstand von privater Seite was zu weiteren Verzoumlgerungen fuumlhrt Die Wirt-schaft fordert deshalb Bei Bewilligungen von Stromnetzen ist der Gang vors Bundesgericht nur noch bei Grundsatz-fragen moumlglich Umbauten sowie Spannungs- und Kapa-zitaumltserweiterungen koumlnnen ohne Planungsgenehmigung realisiert werden Ausserdem sind die Verfahren bei einer einzigen Leitbehoumlrde anzusiedeln

Spielfeld erweiternDie Schweiz ist seit jeher ein wichtiges Stromtransitland Schon seit den 90er-Jahren treibt die EU die Vereinheitli-chung des Binnenmarkts fuumlr Strom hin zu einem eigent-lichen EU-Strommarkt voran In der Schweiz erweist sich die gesetzliche Trennung von Grundversorgung und Markt diesbezuumlglich zunehmend als Hindernis Aus Sicht der Wirtschaft ist die vollstaumlndige Liberalisierung des Strom-markts eine zwingende Voraussetzung fuumlr eine erfolgrei-che energiepolitische Neuausrichtung

Eine Marktoumlffnung wuumlrde insbesondere auch den erneuer-baren Energien neue Chancen eroumlffnen und Zugang zu neuen Kunden gewaumlhren Von hoher Wichtigkeit ist auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU Je groumlsser der Anteil erneuerbarer Energien umso wichtiger ist die Einbettung in Europa denn Investitionen in Netze und Produktion koumlnnen in Koordination mit der EU wirkungsvoller und wahrscheinlich kostenguumlnstiger getaumltigt werden

Kurt LanzKurt Lanz ist Leiter Infrastruktur Energie und Umwelt sowie Geschaumlftsleitungsmitglied von economiesuisse dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft

Gut vernetzt ndash Vorschlaumlge der Schweizer Wirtschaftzur EnergiepolitikDie Publikation basiert auf der Grundlagenarbeit der breit abgestuumltz-ten Energiekommission von economiesuisse und macht konstruk-tive Vorschlaumlge fuumlr einen erfolgreichen energiepolitischen Weg der Schweiz Download unter wwweconomiesuissech

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

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Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

wwwsmlzhawch

Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 11: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

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Problem der Entsorgung radioaktiver Abfaumllle wurden an-fangs kaum thematisiert Erdoumll wurde erst in den 1970er-Jahren zum politischen Thema als mit den Erdoumll(preis)- krisen von 197374 und 197980 seine (geopolitisch be-dingte) Endlichkeit manifest wurde Gleichzeitig verstaumlrkte die Erdoumllkrise das Bewusstsein uumlber die Abhaumlngigkeit von importierten Energietraumlgern die mit der Industrialisierung eingesetzt hatte

Anfaumlnge des UmweltschutzesAufgrund dieser beiden Entwicklungen kamen Themen wie Energiesparen und die Forderung nach umweltfreund-licheren Energien in den 1970er-Jahren erstmals auf die politische Traktandenliste Der oumlffentliche Diskurs um die laquoGrenzen des Wachstumsraquo und damit einhergehend auch die ersten Debatten zum Umweltschutz entbrannten In-teressanterweise glaubte man dass Wind- und Solar-anlagen erst ab dem Jahr 2000 in signifikantem Umfang zur Verfuumlgung stehen wuumlrden was ja auch eintrat

Die Diskussion flaute so rasch ab wie sie gekommen war Alternativenergien bewahrten ihr Nischendasein bis zu dem Ereignis das mittlerweile den neuen Takt vorgibt die Nuklearkatastrophe von Fukushima Es wird sich weisen wie erfolgreich die Umsetzungsmassnahmen sein werden und wie rasch sie implementiert werden koumlnnen Sicher scheint jedoch dass das Unternehmen Energiewende nur verstanden und ndash so zumindest die Hoffnung ndash auch ak-zeptiert wird wenn man es in seiner ganzen Dimension erfasst

traumlgern Es wird sich weisen ob das 21 Jahrhundert das-jenige der (neuen) erneuerbaren Energien sein wird

Kohle war nach Holz der wichtigste und langfristigste Energie traumlger der Schweiz Ihre Bedeutung hielt mehr als acht Jahrzehnte an ihr Niedergang setzte 1940 ein 1955 wurde sie vom Erdoumll als wichtigster Energietraumlger abgeloumlst Der Klimahistoriker Christian Pfister erklaumlrt diese Transition mit den rasch fallenden Oumllpreisen die zu einer immer groumls ser werdenden Nachfrage nach dieser guumlns-tigen Energie fuumlhrten Ein weiterer Grund war die Domi-nanz des Verbrennungsmotors uumlber die Dampfmaschine auf dem Weg zu einer immer mobileren Gesellschaft Es ist nicht nur das Angebot sondern auch die Nachfrage welche die Bedeutung eines Energietraumlgers formt Die Entscheidung fuumlr Oumll (und spaumlter Gas) war gleichermassen beeinflusst von den technischen Veraumlnderungen wie von den Verschiebungen am Finanzmarkt

Schon fruumlh hatte auch die Wasserkraft eine grosse Be-deutung fuumlr die Schweiz 1918 war man uumlberzeugt dass laquo[hellip] fuumlr unser Land [hellip] die Frage der Energiequelle ein-wandfrei erledigt [sei] Der ganze Entwicklungsgang von Technik und Volkswirtschaft fuumlhrt endlich zur Erkenntnis dass die Natur uns mit den Wasserkraumlften fuumlr die Kohlen-armut entschaumldigtraquo (Parlamentarische Debatte zum Was-serrechtsgesetz 1918) Wasserkraft wurde im Energiemix immer ergaumlnzend zu anderen Ressourcen eingesetzt und nach 1970 entscheidend wenn auch nicht paritaumltisch mit Kernenergie zur Gewinnung von Elektrizitaumlt komplettiert

So war die zweite Haumllfte des 20 Jahrhunderts die Zeit des Erdoumlls und der Kernenergie Die beiden Energie traumlger entwickelten sich nach 1945 fast parallel und haben doch eine sehr unterschiedliche Geschichte Das hat mit ihrer jeweiligen Form und Verfuumlgbarkeit zu tun aber auch da-mit dass ihre politische Bedeutung sehr verschieden-artig war Die Kernkraft barg aufgrund ihrer Naumlhe zu ei-ner toumldlichen Waffe schon immer politischen Sprengstoff Gleichzeitig genoss sie anfaumlnglich auch den Ruf einer sauberen und nahezu unbegrenzt zur Verfuumlgung stehen-den Energiequelle Die Gefahr einer Verstrahlung und das

Monika GislerDr Monika Gisler hat an den Universitaumlten Zuumlrich Basel und Los Angeles (UCLA) Ge-schichte und Politische Philosophie studiert Sie war Forschungsverantwortliche an der ETH Zuumlrich und bietet seit 2008 mit laquoUnter-nehmen Geschichteraquo Forschung Lehre und Beratung zu den Themen Umwelt Energie und Innovation an (wwwunternehmenge-schichtech) Aktuell lehrt sie als Dozentin an der ETH zu Energiewenden in Geschichte und Gegenwart

Wie viele Fotovoltaikanlagen sind auf den Daumlchern Winterthurs zu finden

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Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Energieversorgung

dem Parlament die Energiestrategie 2050 vor welche die Basis fuumlr diesen Umbau schafft Grundsaumltze der Energie-strategie sind die Energieeffizienz die Steigerung des An-teils aus erneuerbaren Energien und die Umsetzung des Verursacherprinzips Das bedeutet dass die Kosten der Energienutzung moumlglichst von den Verursachern getragen werden

Die Schweiz verfuumlgt zwar uumlber eine hohe Versorgungs-sicherheit allerdings sind unsere Energiequellen teilweise nicht nachhaltig Gegenwaumlrtig liegt der Anteil der fossilen Energietraumlger am Endenergieverbrauch bei rund 80 Pro-zent Damit traumlgt die Schweiz zu den negativen Folgen der Klimaerwaumlrmung bei Als rohstoffarmes Land importiert sie einen grossen Teil dieser Energie ndash insbesondere Roh-oumll und Gas Dementsprechend hoch ist die Abhaumlngigkeit vom Ausland Zudem steht die Schweiz energiepolitisch vor weiteren grossen Herausforderungen Aufgrund des Bevoumllkerungs- und Wirtschaftswachstums des steigen-den Wohlstands sowie der zunehmenden Mobilitaumlt nimmt die Nachfrage nach Energie zu Teilweise veraltete Infra-struktur wachsender Wettbewerb und die Integration in das europaumlische Energienetz stellen das Energiesystem zudem vor zusaumltzliche Herausforderungen die es zu be-waumlltigen gilt

Langfristige StrategieUm diese Herausforderungen anzugehen ist ein Umbau des Energiesystems in Richtung Nachhaltigkeit unabding-bar Im Nachgang zur Reaktorkatastrophe in Fukushima haben Bundesrat und Parlament im Jahr 2011 den Grund-satzentscheid fuumlr einen schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie gefaumlllt Der Bundesrat legte anschliessend

Mit der Energiestrategie 2050 des Bundes soll unter anderem der Energieverbrauch reduziert und der Anteil der erneuerbaren Energien erhoumlht werden Dazu gehoumlren eine Reduk tion der energiebedingten CO2-Emissionen und der schrittweise Ausstieg aus der Kernenergie ndash dies ohne die bisher hohe Versorgungs-sicherheit und die preiswerte Energieversorgung zu gefaumlhrden Die ambitioumlsen Ziele sind aber nur zu erreichen wenn ein Um-denken stattfindet und Politik Wirtschaft Wissenschaft und Gesellschaft enger zusammenarbeiten Text Walter Steinmann

Hintergrund

Stossrichtungen der Energiestrategie ndash Energieeffizienz erhoumlhen Energieverbrauch

senken Stromverbrauch stabilisieren ndash Anteil der erneuerbaren Energien erhoumlhen und

Restbedarf durch fossile Stromproduktion und Importe decken

ndash Zugang zu internationalen Energiemaumlrkten sicherstellen

ndash Um- und Ausbau der elektrischen Netze und der Energiespeicherung vorantreiben

ndash Energieforschung verstaumlrken ndash Vorbildfunktion der oumlffentlichen Hand wahrnehmen ndash Internationale Zusammenarbeit im Energiebereich

intensivieren

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Hintergrund

Der Bundesrat hat dem Parlament im September 2013 ein erstes Massnahmenpaket zur Umsetzung der Energie-strategie 2050 vorgelegt Das Geschaumlft wird momentan von den vorberatenden parlamentarischen Kommissio-nen behandelt Es ist auf die Zielsetzungen fuumlr das Jahr 2020 ausgerichtet und soll langfristig wirken Konkret vorgesehen ist etwa eine Erhoumlhung der CO2-Abgabe auf Brennstoffe mit einer gleichzeitigen Verstaumlrkung des Ge-baumludesanierungsprogramms Weiter soll die bisherige kostendeckende Einspeiseverguumltung zu einem Verguuml-tungssystem mit Direktvermarktung umgebaut werden Dafuumlr sind eine Totalrevision des Energiegesetzes sowie Anpassungen in weiteren neun Bundesgesetzen noumltig Berechnungen zufolge soll der Energieverbrauch mit der Umsetzung des ersten Massnahmenpakets bis 2050 we-sentlich abnehmen Insbesondere bei den fossilen Ener-gietraumlgern wird mit grossen Ruumlckgaumlngen gerechnet

Volkswirtschaftlich werden sich die Kosten fuumlr die Um-setzung der Energiestrategie in Grenzen halten Den er-heblichen Investitionen in die Energieeffizienz stehen Ein-sparungen bei den Energieimporten gegenuumlber Es sind jedoch betraumlchtliche Investitionen insbesondere fuumlr den Zubau der Stromproduktion aus erneuerbaren Energietrauml-gern noumltig

Zusammensetzung des Endshyenergieverbrauchs (ohne Treibshystoffverbrauch des internationalen Flugverkehrs) bis 2050 auf der Basis des vorliegenden Massnahmen pakets des UVEK (Quelle Prognos)

Ein Markt mit ZukunftEine nachhaltige Energiepolitik ist nur moumlglich wenn die Schweiz staumlrker auf erneuerbare Energien setzt Heute stammen nur gerade 20 Prozent der verbrauchten Ener-gie aus erneuerbaren Quellen Die laufenden Arbeiten zur Energiestrategie 2050 zeigen dass Sonnen- und Wind-energie Wasserkraft und Geothermie in der Schweiz uumlber grosse Potenziale verfuumlgen deren optimale Er-schliessung jedoch durch verschiedene Faktoren behin-dert beziehungsweise verzoumlgert wird Dazu gehoumlren die

langwierigen Bewilligungsverfahren und die teils fehlende Akzeptanz in der Bevoumllkerung aber auch die begrenzten Foumlrdermittel zur Realisierung entsprechender Projekte Mit der Energiestrategie 2050 sollen guumlnstigere Rahmenbe-dingungen geschaffen werden

Die Sicherung des langfristigen Energieangebots wird zu einer der zentralen Herausforderungen und bietet gleichzeitig grosse Chancen fuumlr den Wirtschaftsstandort

laquoFortschritte bei der Ressourcen-effizienz und den erneuerbaren

Energien ermoumlglichen Wettbewerbs-vorteile auf den Exportmaumlrktenraquo

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Schweiz Bereits heute verfuumlgt die Schweiz uumlber ein gros-ses industrielles und technologisches Know-how gerade im Bereich Cleantech Fortschritte bei der Ressourcen-effizienz und den erneuerbaren Energien ermoumlglichen Wett bewerbsvorteile auf den Exportmaumlrkten sie schaffen neue Arbeitsplaumltze und erhoumlhen die Unabhaumlngigkeit in der Rohstoffversorgung Zusammen mit dem Masterplan Cleantech traumlgt die Energiestrategie 2050 dazu bei dass sich die Schweiz hier als Vorreiterin profilieren kann

Uumlbergang in ein LenkungssystemDamit sich der Markt in Richtung Nachhaltigkeit entwickelt werden kuumlnftig weitere Massnahmen noumltig sein Waumlhrend das erste Massnahmenpaket noch stark auf Foumlrderung zielt wird die Energiepolitik ab 2021 gemeinsam mit der Klimapolitik strategisch neu ausgerichtet Das bestehen-de Foumlrdersystem basiert auf einem Netzzuschlag fuumlr die Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Ener-gien und einer Teilzweckbindung der CO2-Abgabe fuumlr das Gebaumludeprogramm Es soll durch ein marktwirtschaftli-ches Lenkungssystem abgeloumlst werden mit dem sich die Energie -und Klimaziele effektiv und oumlkonomisch effizient erreichen lassen Konkret werden erneuerbare Energien und Gebaumludesanierungen zunaumlchst noch staatlich unter-stuumltzt ndash langfristig soll der Markt spielen Das Bundesamt fuumlr Energie ist daran in Zusammenarbeit mit dem Eidge-noumlssischen Finanzdepartement und dem Staatssekretariat fuumlr Wirtschaft zu konkretisieren wie das umzusetzen ist

Wissenstransfer staumlrken Gluumlcklicherweise herrscht an den Hochschulen und ihren Instituten im Energiebereich Aufbruchstimmung Fuumlr Un-ternehmen ist es jedoch oft schwierig das an Hochschu-len vorhandene Wissen abzuholen gerade wegen der grossen Diversitaumlt der Forschung und der Fragmentierung des Wissens auf zahlreiche Institute Gleichzeitig stossen mit Unternehmen der Informations- und Kommunikations-technologie neue Akteure mit grossem Know-how in den Energieversorgungsmarkt vor Energieversorgungsunter-nehmen in ganz Europa ruumlcken vom reinen Stromverkauf ab und positionieren sich vermehrt als Anbieter von umfas-senden Energiedienstleistungen Diesem Trend muss sich

Walter SteinmannDr Walter Steinmann ist seit 2001 Direktor des Bundesamts fuumlr Energie (BFE) Er hat an der Universitaumlt Zuumlrich Volkswirtschaft studiert und seine Studien 1988 mit einer Doktorarbeit an der Universitaumlt Konstanz ab geschlossen Von 1981 bis 1988 war er Delegierter fuumlr Wirtschaftsfoumlrderung des Kantons Basel-Landschaft und arbeitete an-schliessend als Beauftragter fuumlr Wirtschafts-foumlrderung des Kantons Solothurn Von 1994 bis 2001 war er Chef des Amts fuumlr Wirtschaft und Arbeit des Kantons Solothurn

auch die Schweiz stellen und ihre Kraumlfte vermehrt buumlndeln um Synergien zwischen Wirtschaft und Forschung zu schaffen Nur so kann der Technologiestandort Schweiz staumlrker werden Der Bund setzt bereits Massnahmen um damit der Transfer der Forschungsresultate in den Markt sichergestellt wird Dazu gehoumlrt der Aufbau vernetzter Forschungskompetenzzentren der Swiss Competence Centers for Energy Research Auch die ZHAW School of Management and Law beteiligt sich in diesem Rahmen massgeblich an den nationalen Forschungsaktivitaumlten zum Umbau des Schweizer Energiesystems

Mit der Energiestrategie 2050 hat die Schweiz die Chance sich aus ihrer Abhaumlngigkeit von den fossilen Energien zu loumlsen den Export fortschrittlicher Technologien zu staumlrken und mit dem ressourcen- und klimaschonenden Umgang mit Energie international eine Fuumlhrungsrolle zu uumlberneh-men Nutzen wir diese Chance

Weitere Informationen unter wwwenergiestrategie2050ch

laquoDie Schweiz muss ihre Kraumlfte vermehrt buumlndeln um

Synergien zwischen Wirtschaft und Forschung zu schaffenraquo

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Eine der wichtigsten Zielsetzungen der Energiewende wie sie der Bundesrat formuliert hat ist der Ausbau der er-neuerbaren Energien Der Anteil von Wasser- Wind- und Sonnenkraft sowie Erdwaumlrme am Energiemix soll massiv erhoumlht werden Die durchschnittliche inlaumlndische Produk-tion ndash ohne Wasserkraft ndash soll im Jahr 2020 bei mindes-tens 4 400 Gigawattstunden (GWh) und im Jahr 2035 bei mindestens 14 500 GWh liegen Bei der Produktion von Elektrizitaumlt aus Wasserkraft wird bis im Jahr 2035 ein Aus-bau der Produktion auf 37 400 GWh angestrebt Zum Ver-gleich Die Jahresproduktion des AKW Muumlhleberg liegt bei rund 2 600 GWh Das sind houmlchst ambitioumlse Ziele

Der geplante Ausbau der Nutzung von erneuerbaren Energien bedarf zahlreicher Anlagen ndash Windparks Was-serkraftwerke oder groumlsserer Solaranlagen ndash mit entspre-chend hohem Raumbedarf Der Bundesrat sieht nicht vor die Umwelt- und Heimatschutzgesetze massgeblich zu lo-ckern obwohl es regelmaumlssig zu Konflikten zwischen den Schutzinteressen und Energienutzungsanlagen sowie zu entsprechenden Gerichtsverfahren kommt ndash wie juumlngst im Goms bei der Planung eines Wasserkraftwerks (BGE 140 II 262 ff) Das Bundesgericht nimmt jeweils eine im Resul-tat schwer voraussehbare Interessenabwaumlgung vor und stellt die Leistung der Anlage sowie die Faumlhigkeit zeitlich flexibel und marktorientiert zu produzieren den Schutz-interessen gegenuumlber

Ein weiteres Problem besteht darin dass groumlssere Anla-gen bei der Nachbarschaft oder in einer breiteren Bevoumll-kerung keine Akzeptanz finden So waumlre zwar im Kanton

Loumlsungen suchen bevor es zum Rechtsstreit kommt

Hochschulperspektive

Der Bundesrat sieht im Rahmen der Energiestrategie 2050 vor den Anteil der erneuerbaren Energien massiv zu erhoumlhen Die vermehrte Nutzung erneuerbarer Energietraumlger fuumlhrt jedoch zu einem Interessenkonflikt zwischen Wirtschaftlichkeit umwelt-rechtlichen Anforderungen und sozialer Akzeptanz Diesen gilt es mit klaren rechtlichen Grundlagen zu loumlsenText Reneacute Wiederkehr und Andreas Abegg

Zuumlrich Wind vorhanden doch dreht sich dort bis heute keine einzige grosse Windturbine Gegen die einzige bis-her geplante Versuchsanlage am Stuumlssel oberhalb Baumlrets-wil hat eine Interessengemeinschaft Rekurs erhoben und will die geplante Windmessanlage bis vor Bundesgericht bekaumlmpfen Diese Probleme ndash die Kollision mit Schutz-interessen und die Angst vor Nachbarrekursen ndash koumlnnen im Ergebnis dazu fuumlhren dass die Energieunternehmen auf den Bau von Anlagen verzichten obwohl ein erhebli-ches Potenzial vorhanden waumlre

Loumlsungsansatz des BundesratsIm Rahmen der Energiepolitik 2050 schlaumlgt der Bundesrat vor dass die Kantone mit Unterstuumltzung des Bundes ein Konzept fuumlr den Ausbau der erneuerbaren Energien er-arbeiten und Gebiete fuumlr die Nutzung durch erneuerbare Energien bestimmen Nach der Genehmigung durch den Bund dient das Konzept den Kantonen als Grundlage fuumlr ihre Richtplanung Dadurch wird fuumlr die kommunalen und kantonalen Behoumlrden verbindlich festgelegt in welchen Gebieten Bewilligungen fuumlr erneuerbare Energieproduktio-nen erteilt werden koumlnnen

Welche Gebiete sich tatsaumlchlich fuumlr den Ausbau der er-neuerbaren Energien eignen ist bisher allerdings kaum erforscht worden Bund Kantonen und Gemeinden fehlen die Grundlagen um die Eignung von Standorten und Ge-bieten aus rechtlicher Sicht zu beurteilen Es ist deshalb einfacher ungeeignete Gebiete von der Nutzung auszu-nehmen Vor allem Gebiete welche fuumlr Natur- und Hei-matschutz wertvoll sind koumlnnen zu einer sogenannten

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schen und rechtsstaatlichen Verfahren aus So wurde zum Beispiel im Kanton Zuumlrich der Heimatschutz gegenuumlber dem Interesse an neuen Solaranlagen bereits zuruumlck-gestuft und das entsprechende Bewilligungsverfahren gestrafft Es wird sich gerade bei der Wahl von Stand-orten fuumlr die Nutzung erneuerbarer Energien zeigen ob die Energiewende ndash wie zuweilen befuumlrchtet ndash auf Kosten von Demokratie und Rechtsstaat sowie auf Kosten von Natur- und Heimatschutz geht oder ob wir die gegenwaumlr-tigen Strukturen unter transparenter und angemessener Wahrung aller Interessen anpassen koumlnnen um die an-spruchsvollen Energieziele zu erreichen

Negativzone fuumlhren Auch andere Anliegen wie die Erhal-tung von landwirtschaftlichem Kulturland und Wald der Schutz des Vogelzugs oder die Beduumlrfnisse der Luftfahrt sind zu beruumlcksichtigen Zudem ist zu beachten dass der Bau neuer Anlagen einen Ausbau des Energienetzes nach sich ziehen kann was wiederum zu Konflikten mit anderen raumrelevanten Interessen fuumlhrt

InteressenabwaumlgungUm die erneuerbare Energie wie geplant massiv foumlrdern zu koumlnnen muumlssen die notwendigen Anlagen rasch rea-lisiert werden In den hierzu notwendigen Bewilligungs- und Rechtsmittelverfahren muumlssen die Zielkonflikte der verschiedenen Interessen transparent gemacht und unter gleichberechtigter Abwaumlgung geloumlst werden Das gilt so-wohl fuumlr das konkrete Rechtsmittelverfahren vor Behoumlrden und Gerichten wie auch fuumlr eine vorgezogene Mediations-phase

Hier setzen die vom Bund initiierten Forschungen zur Energiewende auf drei Ebenen an Zunaumlchst muumlssen die Details der komplizierten Bewilligungsverfahren im Aus-tausch mit der Gerichtspraxis ausgearbeitet werden Das sorgt fuumlr Rechtssicherheit Auf einer zweiten Ebene gilt es die bestehenden kantonal reglementierten Verfahren zu vereinheitlichen und wenn moumlglich zu vereinfachen Damit es zu rechtsstaatlich tragfaumlhigen und sozial akzep-tierten Loumlsungen kommt sind die Rechte aller Beteiligten zu wahren jene von Gemeinden Kantonen und Bund als Behoumlrden von Energieunternehmen als Gesuchsteller so-wie von Nachbarn und beschwerdeberechtigten Verbaumln-den als Gegner Schliesslich sind auf einer dritten Ebene neue Hilfsmittel zu suchen mit denen Gebiete und Stand-orte bezeichnet werden koumlnnen die sich fuumlr die Nutzung erneuerbarer Energien besonders eignen Das Bewilli-gungsverfahren wird hiermit transparenter berechenbarer und ndash so die Hoffnung ndash kuumlrzer Mit klaren Rechtsgrund-lagen koumlnnen die Beteiligten zudem Loumlsungen suchen bevor es uumlberhaupt zum Rechtsstreit kommt Die geplante Foumlrderung erneuerbarer Energien kommt nicht ohne Veraumlnderungen in bestehenden demokrati-

Andreas AbeggProf Dr Andreas Abegg ist Leiter des Zen-trums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht an der ZHAW School of Management and Law Privatdozent an der Universitaumlt Fribourg und praktizierender Rechtsanwalt Er beschaumlf-tigt sich mit den rechtlichen Schnittpunkten zwischen Staat und Privaten insbesondere in den Bereichen Regulierung Verwaltungs-organisation und Energie Andreas Abegg forscht im Rahmen des vom Bund mitfinan-zierten Competence Center for Research in Energy Society and Transition (CREST) in der Forschungsgruppe Energy Policy Analysis

Reneacute WiederkehrProf Dr Reneacute Wiederkehr ist stellvertre-tender Leiter des Zentrums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht an der ZHAW School of Management and Law und Titularprofessor der Universitaumlt Luzern Er forscht und lehrt in den Bereichen Verwaltungsrecht und oumlf-fentliches Prozessrecht sowie im Rahmen des vom Bund mitfinanzierten Competence Center for Research in Energy Society and Transition (CREST) in der Forschungsgruppe Energy Policy Analysis

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Negawatt statt Megawatt

Energieeffizienzmassnahmen finanziell lohnen Zudem ver-fuumlgen kleine und mittlere Unternehmen selten uumlber Ener-gieverantwortliche oder Umweltbeauftragte die im Akqui-sitionsprozess gezielt angesprochen werden koumlnnen

Schwaumlchen bisheriger ProgrammeEine Umfrage der ZHAW bei Programmverantwortlichen zeigt diverse Schwaumlchen laufender Effizienzprogramme auf Ein haumlufiges Problem sind falsche Anreize So wird vornehmlich vermittelt wie mit Energieeffizienz Geld ge-spart wird Offensichtlich geht man davon aus dass Un-ternehmen praktisch nur uumlber finanzielle Anreize zu moti-vieren sind Bei den angepeilten KMU fallen Energiekosten jedoch kaum ins Gewicht Beratungsaufwand und Ergeb-nis stehen umso mehr im Missverhaumlltnis je weniger Ener-gie verbraucht wird Weiter scheinen die Programmver-antwortlichen ihre Zielgruppen kaum zu segmentieren und als unterschiedliche Kundensegmente wahrzunehmen Entsprechend beinhalten die meisten Programme ein Standardangebot mit einem breiten Spektrum an Mass-nahmen die oft nicht branchenspezifisch zugeschnitten sind Auch die Kundenansprache erfolgt in der Regel un-differenziert und die Moumlglichkeiten der Neuen Medien wer-den kaum genutzt

Keine langfristige PerspektiveEin Grossteil der Programme ist nicht auf Kundenbindung ausgelegt Insbesondere werden kaum Informationen er-fasst welche die Planung einer weiterfuumlhrenden Bezie-

Schweizer Unternehmen koumlnnten auf wirtschaftliche Art und Weise bis zu 30 Prozent ihres Energieverbrauchs ein-sparen Speziell bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) die immerhin 10 Prozent des Schweizer Stromver-brauchs verantworten ist das Sparpotenzial aber ungenuuml-gend ausgeschoumlpft

Energieeffizienzprogramme wirken nichtBehoumlrden Energieversorger und private Organisatio-nen haben in den letzten Jahren wiederholt Programme lanciert um Energieeinsparungen gezielt zu foumlrdern Al-lerdings haben bislang weniger als 1 Prozent der rund 300 000 Schweizer KMU an einem solchen Programm teilgenommen und die Umsetzungsquoten sind ebenfalls gering Uumlber die Gruumlnde die Unternehmen daran hindern an Energieeffizienzprogrammen teilzunehmen und ent-sprechende Massnahmen umzusetzen sind sich die Pro-grammverantwortlichen uneinig Oft werden Zeitmangel Priorisierung anderer Investitionen fehlende Mittel und zu lange Amortisationszeiten als Hemmnisse genannt Ge-nerell scheint es dass bei Kleinunternehmen Zeit- und Geldmangel eine wichtige Rolle spielen waumlhrend bei Un-ternehmen mittlerer Groumlsse eher der Mangel an Motiva tion und Bewusstsein ausschlaggebend ist Energiekosten machen bei KMU einen verschwindend kleinen Anteil der Gesamtkosten aus sodass die Prioritaumlten fuumlr Investitionen haumlufig anders liegen Man investiert beispielsweise lieber in Betriebsmittel zur Erhoumlhung der Produktivitaumlt als in die Reduktion der (bereits tiefen) Energiekosten obwohl sich

Energieeffizienz ist ein zentraler Pfeiler der Energiestrategie 2050 Die Schweiz gehoumlrt zu den Spitzenreitern punkto Energie effizienz auch dank ihrem dominanten Tertiaumlrsektor Dennoch liegen auch bei hiesigen Unternehmen grosse Sparpotenziale brach Wie diese genutzt werden koumlnnen untersucht die ZHAW in einem interdisziplinaumlren ProjektText Rolf Rellstab

Hochschulperspektive

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brauch betrifft erhoumlhte Arbeitssicherheit weniger Laumlrm-belastung oder geringerer Rohstoffverbrauch Der Wert solcher laquoNon-Energy Benefitsraquo kann fuumlr Unternehmen bis zu 250 Prozent der energetischen Einsparungen betra-gen Es geht also darum KMU gezielter auf die Chancen der Energieeffizienz hinzuweisen Schliesslich gilt es auch Unternehmen wissen zu lassen dass sich ihre Kunden fuumlr dieses Thema interessieren sowie ihnen dabei zu helfen ihr Energie effizienzengagement sichtbar zu machen Waumlh-rend bereits heute viele Unternehmen bestaumltigen dass sich ihr Image bei den Kunden durch die Teilnahme an einem Energieeffizienzprogramm verbessert hat achten erst wenige Firmen auch bei der Kommunikation darauf dass entsprechende Massnahmen gebuumlhrend bekannt gemacht werden

hung zu den Programmteilnehmenden ermoumlglichen wuumlr-den Angaben zu Stromverbrauch Houmlhe und Anteil der Energiekosten Anzahl Mitarbeitende und Umsatz waumlren wertvolle Informationen im Hinblick auf allfaumlllige Folgepro-gramme Im Vordergrund stehen zudem bei den meisten Programmen technische Loumlsungen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz Eine nachhaltige Verhaltensaumlnderung bei Mitarbeitenden oder auf Managementebene wird hingegen kaum verfolgt Auch ein Monitoring der Wirkung von Ener-gieeffizienzprogrammen ist bislang nicht vorhanden oder

wird zu wenig systematisch betrieben So wird zum Bei-spiel die effektive Energieeinsparung vielfach nicht erfasst und gepruumlft Das tatsaumlchliche Kosten-Nutzen-Verhaumlltnis einzuschaumltzen ist somit schwierig Dass die bestehenden Energieeffizienzprogramme inhaltlich durchaus Anklang finden zeigen Ruumlckmeldungen von Unternehmen die in der Vergangenheit daran teilgenommen haben Die Befrag-ten beurteilen ihre Erfahrungen mehrheitlich positiv Aus Sicht der Unternehmen lagen die Energieeinspar effekte im Bereich der Erwartungen Viele wuumlrden nochmals an einem solchen Programm teilnehmen was die oben ge-nannten Versaumlumnisse umso bedauerlicher macht

Wirksamkeit verbessernWie koumlnnen KMU zum Energiesparen motiviert werden Aus Marketingsicht beinhaltet ein sinnvolles Programm eine segmentspezifische Kundenansprache die den laquoReifegradraquo (Wissen Einstellungen und Verhalten) eines Unternehmens in Bezug auf Energieeffizienz beruumlcksich-tigt Zweitens braucht es eine klare Kundenbeziehungs-strategie welche eine wiederholte Teilnahme zum Ziel hat Bei den Anreizen einzig die finanziellen Aspekte wie etwa erwartete Kostensenkungen oder Foumlrderbeitraumlge hervor-zuheben scheint wenig erfolgversprechend Der Fokus wird in Zukunft wohl vermehrt darauf liegen denjenigen Nutzen hervorzuheben der nicht direkt den Energiever-

Rolf RellstabRolf Rellstab ist wissenschaftlicher Mit-arbeiter und Projektleiter am Institut fuumlr Marketing Management der ZHAW School of Management and Law Seine Arbeits-schwerpunkte liegen im Bereich Kommuni-kation Kundenbeziehungsmanagement und B-to-B-Marketing

Projektziel und VorgehensweiseIm ZHAW-Projekt laquoNegawatt statt Megawattraquo werden optimierte Vorgehensweisen entwickelt um KMU mit einem jaumlhrlichen Strom-verbrauch zwischen 10 und 500 MWh zum Energiesparen zu moti-vieren Der Begriff laquoNegawattraquo bezeichnet die eingesparte Energie die zu virtuellen Negawatt-Kraftwerken kombiniert wird So wird anschaulich aufgezeigt wie viel Energie dank diesen Einsparungen weniger produziert werden muss Das Projekt beinhaltet eine interna-tionale Literaturstudie zu den Erfolgsfaktoren und Hemmnissen von Energieeffizienzprogrammen eine Umfrage bei Anbietern solcher Programme sowie eine Befragung von KMU Aus den Ergebnissen dieser drei Teilstudien werden Hypothesen im Hinblick auf ein idea-les Energieeffizienzprogramm abgeleitet In einem Folgeprojekt sol-len die Hypothesen im Rahmen eines Pilotprogramms uumlberpruumlft und weiterentwickelt werden Das Projekt wird durch den WWF Schweiz die Stiftung Pro Evolution das Bundesamt fuumlr Energie (BFE) und die Elektrizitaumltswerke des Kantons Zuumlrich (EKZ) unterstuumltzt Weitere In-formationen wwwzhawchnegawatt

laquoEine nachhaltige Verhaltens - aumlnderung bei Mitarbeitenden oder auf Managementebene

wird kaum verfolgtraquo

Wie viel Heizoumll wird jaumlhrlich in Winterthur verbraucht

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Klima im Wandel ndash Emissionsrechte im Handel

Der Klimawandel laumlsst sich anhand des Treibhauseffekts veranschaulichen Die Treibhausgase bewirken dass kurz-welliges Sonnenlicht zur Erdoberflaumlche gelangt verhindern jedoch dass langwellige Waumlrmestrahlung von der Erde nach aussen dringt Somit kann die Waumlrme nicht mehr entweichen und die Temperatur steigt Der Ausstoss von Treibhausgasen die vor allem bei der Verbrennung von fossilen Energietraumlgern wie Kohle Gas und Oumll entstehen hat seit der industriellen Revolution stark zugenommen und den natuumlrlichen Treibhauseffekt verstaumlrkt Eine Zunahme der Haumlufigkeit und Intensitaumlt meteorologischer und hydro-logischer Grossereignisse wie Stuumlrme und Uumlberschwem-mungen sind die Folge ndash mit gravierenden oumlkologischen oumlkonomischen und sozialen Konsequenzen

Der 2013 veroumlffentlichte Bericht der internationalen Exper-tengruppe Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zeigt auf dass die globale Durchschnittstempera-tur in den letzten 130 Jahren um 085deg Celsius gestiegen

Der Klimawandel findet nicht in ferner Zukunft sondern bereits jetzt statt Um ihn fuumlr Mensch und Umwelt auf einem ertraumlg-lichen Niveau zu stabilisieren muumlssen die Treibhausgas-emissionen reduziert werden Der Emissionshandel soll dazu beitragen sie dort zu mindern wo die geringsten Kosten an-fallen So kann das gesetzte Mengenziel oumlkonomisch effizient erreicht werdenText Regina Betz

ist Ohne Minderungsanstrengungen wird bis 2100 ein mehr als fuumlnffacher Anstieg prognostiziert Um die Treib-hausgaskonzentration in der Atmosphaumlre auf einem fuumlr Mensch und Umwelt akzeptablen Niveau zu stabilisieren muss die Erwaumlrmung bei unter 2deg Celsius stagnieren Da-fuumlr muumlssen laut dem 2014 veroumlffentlichten Bericht des IPCC die globalen Treibhausgasemissionen (THGE) bis 2050 gegenuumlber 2010 mindestens halbiert und bis 2100 um rund 100 Prozent reduziert werden 1997 hat sich die internationale Staatengemeinschaft im Kyoto-Protokoll fuumlr die Jahre 2008 bis 2012 erstmals auf voumllkerrechtlich ver-bindliche Ziele fuumlr den Ausstoss von THGE in den entwi-ckelten Laumlndern geeinigt aktuell finden Verhandlungen fuumlr die Festlegung neuer Ziele statt

Cap and TradeZur Zielerreichung sieht das Kyoto-Protokoll unter ande-rem den Emissionshandel auf Staatenebene vor Zahl-reiche Laumlnder wenden dieses Instrument aber haumlufiger auf Unternehmensebene an Das Grundprinzip ist einfach Die Houmlchstmenge (Cap) an erlaubten Gesamtemissionen wird festgelegt und an die regulierten Unternehmen im Emissions rechtehandelssystem (EHS) verteilt Die Unter-nehmen sind verpflichtet fuumlr jede emittierte Tonne Kohlen-dioxid ein Emissionsrecht einzureichen ansonsten sind Sanktionszahlungen faumlllig Will ein Unternehmen uumlber die ihm zugeteilte Menge hinaus emittieren muss es ein an-deres Unternehmen finden das ihm die benoumltigte Menge an Emissionsrechten verkauft (Trade) Unternehmen mit hohen Minderungskosten werden dabei Emissionsrechte hinzukaufen und Unternehmen mit niedrigen Kosten wer-den ihre Emissionen mindern indem sie etwa Biomasse statt Kohle verbrennen und uumlberschuumlssige Emissions-rechte verkaufen Durch den Handel koumlnnen die erforder-lichen Emissionsminderungen dort realisiert werden wo sie mit den geringsten Kosten verbunden sind Am Markt stellt sich ein Preis fuumlr die Emissionsrechte ein der Ange-bot und Nachfrage zum Ausgleich bringt

So einfach das Prinzip ist so schwierig ist seine Umset-zung Das System bedingt dass die Regierungen Rech-te fuumlr die Nutzung der Atmosphaumlre schaffen die zu einer

Hochschulperspektive

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Hochschulperspektive

Reduktion der Emissionen gegenuumlber einer Referenzent-wicklung fuumlhren dem sogenannten Business-as-usual-Szenario Doch die Abschaumltzung dieses Szenarios also der Entwicklung der Emissionen ohne Mengenbegren-zung ist schwierig wie die nachfolgenden Ausfuumlhrungen zum Emissionshandel in der EU zeigen

Der Emissionshandel in der EUDas EU-EHS ist der weltweit groumlsste Markt von Emissions-rechten Alle 28 EU-Staaten sowie Liechtenstein Island und Norwegen sind daran beteiligt Die Schweiz wuumlrde sich gerne anschliessen Das EU-EHS leidet seit seiner Einfuumlhrung im Jahr 2005 unter einem Uumlberangebot das sich mittlerweile auf rund 2 Milliarden Emissionsrechte be-laumluft Dies entspricht ungefaumlhr den vom System regulierten Emissionen eines Jahres Neben den unvorhergesehenen oumlkonomischen Entwicklungen durch die globale Finanz-krise traumlgt auch der starke Zubau an erneuer baren Ener-gien zu einem houmlheren Ruumlckgang der Emissio nen bei als geplant Der Hauptgrund fuumlr den derzeitigen Uumlberschuss liegt jedoch darin dass die regulierten Unternehmen ne-ben den Europaumlischen Emissionsrechten ndash European Union Allowances (EUAs) ndash auch auslaumlndische Emissions-minderungszertifikate ndash Certified Emission Reductions (CERs) ndash zu einem bestimmten Anteil anrechnen koumlnnen Mit dem sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) koumlnnen Industrienationen in Entwicklungslaumlndern emissionsmindernde Projekte finanzieren und sich die da-bei entstehenden THGE-Reduktionen mithilfe von CERs anrechnen lassen

Durch diese verschiedenen Faktoren hat sich ein Uumlberan-gebot entwickelt das den Preis der EUAs und CERs stark sinken liess Der Preis belaumluft sich derzeit auf rund fuumlnf Euro pro EUA Die bisherigen Reformanstrengungen wie etwa das sogenannte Backloading das Verschieben von Auktionen in spaumltere Jahre um die Menge zu verknappen haben bisher kaum zu einer Preiserhoumlhung gefuumlhrt

Die Schweiz als PreishochburgDer Schweizer Markt wuumlrde bei einem Zusammen-schluss nur rund 03 Prozent des EU-EHS ausmachen

Die Schweiz wuumlrde somit als Preisnehmerin agieren Das heisst der EU-Preis sollte auch in der Schweiz gelten Umso erstaunlicher ist es daher dass der Schweizer Preis pro Emissionsrecht derzeit bei rund 40 Franken liegt ob-wohl die Verbindung des Schweizer EHS mit dem EU-EHS geplant ist (sogenanntes Linking) Das auf der Basis des revidierten CO2-Gesetzes von 2012 und der CO2-Verord-nung verabschiedete System das den Emissionshandel am 1 Januar 2013 fuumlr 38 Unternehmen beziehungsweise 55 Anlagen in der Schweiz verbindlich eingefuumlhrt hat uumlber-nimmt weitestgehend die Regeln des EU-EHS Das neue System hat das bisherige freiwillige EHS in der Schweiz abgeloumlst Die im EHS erfassten Unternehmen sind von der CO2-Abgabe befreit Die hohe Kompatibilitaumlt des Schwei-zer EHS und des EU-EHS sollte ein schnelles Linking er-moumlglichen wobei die Verhandlungen durch die Annahme der Einwanderungsinitiative zum Stillstand gekommen sind Ein moumlglicher Erklaumlrungsansatz ist daher dass der hohe Preisunterschied die derzeitige Unsicherheit uumlber den Ausgang der Linking-Verhandlungen widerspiegelt Gehen die Schweizer Unternehmen davon aus dass kein Linking stattfindet sollte sich der Preis anhand der Minderungs-kosten und der Knappheit im Schweizer EHS bilden Fuumlr die Unternehmen ist es immer noch guumlnstiger den der-zeitigen Preis von 40 Franken fuumlr die Emissionsrechte zu bezahlen als eine Busse von 125 Franken pro fehlendes Emissionsrecht Zusaumltzlich zur Busse ist das Unternehmen verpflichtet die fehlenden Rechte im naumlchsten Jahr nach-zureichen Auch hier hat sich die Schweiz stark am EU-EHS orientiert bei dem die Busse bei 100 Euro pro EUA plus Wiedergutmachung liegt

Allokation beeinflusst den WettbewerbDie Gesamtmenge an Emissionsrechten (Cap) leitet sich aus den historischen Emissionen der teilnehmenden EHS-Unternehmen ab Fuumlr bestehende Anlagen die bereits vor 2013 am EHS in der Schweiz beteiligt waren setzt sie sich aus der Summe der durchschnittlich zugeteilten Emis-sionsrechte der ersten Verpflichtungsperiode (2008 bis 2012) zusammen fuumlr Anlagen die 2013 hinzukommen aus der Summe der durchschnittlichen Emissionen der

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fuumlr neue Anlagen in einer Reserve zuruumlckbehalten deren Uumlberschuumlsse zweimal jaumlhrlich versteigert werden Die Zu-teilung der Emissionsrechte hat etwas laumlnger gedauert so-dass sie in der Schweiz fuumlr die Jahre 2013 und 2014 erst im Februar 2014 erfolgte Das mag auch einer der Gruumlnde sein dass bisher kein Handel auf dem Sekundaumlrmarkt fuumlr den die Berner Kantonalbank eine eigene Emissions-handelsplattform bereitgestellt hat stattgefunden hat Das erste Preissignal war deshalb die Auktion der Uumlberschuumls-se aus der Neuemittentenreserve Diese fand vom 14 bis 21 Mai 2014 statt und erzielte fuumlr die 150 000 Emissions-rechte einen Preis von 4025 Franken pro Emissionsrecht

Wie sich die Liquiditaumlt im Schweizer Markt in Zukunft ent-wickeln wird und ob ein Linking mit dem EU-EHS und so-mit eine Angleichung der Schweizer Preise an die EU-EHS-Preise stattfinden wird bleibt abzuwarten Letzteres waumlre zwar aus oumlkonomischer Sicht zu begruumlssen da ein groumls-serer liquider Markt mit einheitlichem Preissignal als effizi-enter bewertet wird Aus oumlkologischer Sicht scheint jedoch ein Linking der Systeme ohne weitere Reformen des EU-EHS nicht wuumlnschenswert da es die Minderungsanreize in der Schweiz als Folge des Angebotsuumlberschusses an Emissionsrechten in der EU massiv reduzieren wuumlrde

Jahre 2009 bis 2011 Diese Summe wird jaumlhrlich um 174 Prozent reduziert analog der Regelung im EU-EHS

Neben der Festlegung der Obergrenze ist die Ausgestal-tung der Zuteilungsregeln politisch am schwierigsten da diese Verteilungswirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussen Bis 2012 wurden die Emissionsrechte in der EU daher groumlsstenteils kostenlos zugeteilt Seit 2013 werden rund 48 Prozent der Emissionsrechte versteigert wobei diese vor allem von Elektrizitaumltsfirmen gekauft wer-den muumlssen Da diese nicht im internationalen Wettbewerb

stehen konnten sie den Preis der gratis erhaltenen Emis-sionsrechte an die Elektrizitaumltskonsumenten weitergege-ben und hohe Gewinne erzielen Unternehmen aus Sek-toren die im internationalen Wettbewerb stehen koumlnnen hingegen die Kosten fuumlr die Emissionsrechte nicht an ihre Endkunden weitergeben ohne betraumlchtliche Nachteile in Kauf zu nehmen Es besteht daher das Risiko dass diese Firmen in Laumlnder ohne Klimapolitik abwandern Um dieses Risiko zu senken erhalten Unternehmen bei denen ein Risiko auf Abwanderung besteht auch in Zukunft weitest-gehend kostenlos Emissionsrechte zugeteilt Die Zuteilung basiert dabei auf sogenannten Benchmarks (Tonne Koh-lendioxid pro Tonne Produkt) die auf der Basis der effizi-entesten 10 Prozent der Unternehmen berechnet und mit historischen Produktionsdaten multipliziert werden

Noch kein Handel in der SchweizDie Schweiz hat die Benchmarks des EU-EHS uumlbernom-men Da in der Schweiz vor allem stark im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen aus den Sektoren Zement Papier Chemie Stahl und Raffinerien unter den Emissionshandel fallen werden fast alle Emissionsrechte kostenlos zugeteilt Ein kleiner Anteil von 5 Prozent wird

Regina BetzDr Regina Betz ist Dozentin fuumlr Energie- und Umweltoumlkonomie an der ZHAW School of Management and Law Seit 2014 leitet sie den volkswirtschaftlichen Teil der Ener-gy Policy Analysis Group des Zentrums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht das Mitglied des Schweizer Competence Centers for Research in Energy Society and Transition (CREST) ist Zuvor lehrte sie an der University of New South Wales Australia Umwelt- und Klimaoumlkonomie und leitete als Co-Direktorin das Centre for Energy and Environmental Markets (CEEM) 1998 bis 2004 arbeitete sie als Wissenschaftlerin am Fraunhofer-Institut fuumlr System- und Innovationsforschung ISI in Deutschland

laquoNeben der Festlegung der Ober grenze ist die Ausgestaltung der Zuteilungsregeln politisch am

schwierigsten da diese Verteilungs wirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussenraquo

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nicht vollstaumlndig genutzt werden kann In der Energiestra-tegie des Bundes ist gemaumlss einem Szenario bis 2050 ein Zubau auf knapp 12 TWh pro Jahr Stromproduktion aus Fotovoltaik angedacht Dies bedingt den Bau von Fotovol-taikanlagen mit einer installierten Spitzenleistung von etwa 12 Gigawattpeak (GWp) und einem Flaumlchenbedarf von rund 84 000 000 Quadratmetern Dieser Flaumlchenbedarf ist auf den bestehenden Daumlchern in der Schweiz verfuumlgbar

An einem schoumlnen Sommertag koumlnnen diese Anlagen dann also etwa 12 GW erzeugen die maximale Ver-brauchslast liegt im Sommer aber nur bei rund 8 GW Es entsteht ein Uumlberschuss von 4 GW die Speicherleistung der Schweizer Pumpspeicheranlagen betraumlgt heute aber nur 15 GW 25 GW Leistung koumlnnen in diesem Szenario also gar nicht genutzt werden An einem Wintertag mit Hochnebel erzeugen diese Anlagen uumlberhaupt keinen Strom die Verbrauchslast liegt aber mit 10 GW noch houml-her als im Sommer Hier entsteht eine Luumlcke die mit ande-ren Energieformen oder Importen gedeckt werden muss

Speichern uumlbertragen oder einsparenUm diesem Problem zu begegnen gibt es verschiedene Loumlsungsansaumltze Ein Ansatz ist die Energie lokal dort zu speichern wo sie erzeugt aber nicht sofort verbraucht werden kann In diesem Fall werden in erster Linie viele kleine Speichermodule benoumltigt die sowohl fuumlr kurz- als auch langfristigen Ausgleich sorgen muumlssen Eine andere Moumlglichkeit ist es die Energie an Orte zu uumlbertragen wo sie sofort verbraucht wird dann muss in erster Linie das Netz ausgebaut werden Schliesslich koumlnnte Energie auch zentral zu grossen Speichern transportiert werden was sowohl einen Netzausbau als auch neue Speichertechno-logien bedingen wuumlrde

Als die Gesellschaft noch aus Jaumlgern und Sammlern be-stand verbrauchte der Mensch seine Energie lokal dort wo er sie benoumltigte Er lebte von der Hand in den Mund Im Zuge der aufkommenden Landwirtschaft musste er Methoden entwickeln um Nahrung haltbar zu machen und sie zu transportieren Vor demselben Problem steht heute die Energiewirtschaft Ort und Zeit der erneuerbaren Energieerzeugung korrelieren je laumlnger je weniger mit dem Verbrauch Die Herausforderung der Energiewende ist deshalb nicht nur die Produktion selbst sondern auch die Uumlbertragung die Speicherung und das lokale Verbrauchs-last-Management

Saisonale Speicherung problematischMit dem Ausstieg aus der Kernenergie muumlssen in der Schweiz etwa 40 Prozent der produzierten elektrischen Energie ersetzt werden also rund 23 Terawattstunden (TWh) pro Jahr Im Gegensatz zur Kernenergie haben die neuen erneuerbaren Energien den Nachteil dass ihre Pro-duktion nicht steuerbar ist und unregelmaumlssig anfaumlllt Der Kapazitaumltsfaktor also das Verhaumlltnis von durchschnittlicher zu maximaler Leistung betraumlgt bei konventionellen Kraft-werken bis zu 100 Prozent bei Fotovoltaikanlagen dage-gen nur etwa 10 Prozent Hinzu kommen die starken saiso-nalen Schwankungen dieser stochastisch erzeugenden Energiequellen Im Winter liegt die Stromverbrauchsspitze mit circa 10 Gigawatt (GW) rund ein Drittel houmlher als im Sommer gleichzeitig liefern Fotovoltaikanlagen aufgrund des flacheren Einstrahlungswinkels und der kuumlrzeren Son-nenscheindauer wesentlich weniger Strom als im Sommer

Anhand eines Gedankenexperiments laumlsst sich veran-schaulichen dass das Potenzial der neuen erneuerbaren Energien ohne zusaumltzliche Speicher oder steuerbare Lasten

Energie haltbar machen

Der Ausbau von erneuerbaren Energiequellen geht so schnell voran dass Speicher- und Uumlbertragungstechnologien kaum mithalten koumlnnen Um Produktionsspitzen zu glaumltten braucht es Fortschritte in der EnergietechnikText Petr Korba

Hochschulperspektive

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Petr KorbaProf Dr Petr Korba ist Dozent und Fach-gruppenleiter fuumlr elektrische Energietechnik und Smart Grids an der ZHAW School of En-gineering Zuvor forschte er uumlber zehn Jahre bei ABB Schweiz in den Bereichen Automa-tion Energie- und Regelungstechnik

Scherrer Institut an der Power2Gas-Technologie Dabei wird Kohlendioxid mit Strom aus erneuerbaren Quellen durch Elektrolyse zu Wasserstoff oder weiter zu Methan verarbeitet Aumlhnlich wie bei der Nahrungsmittelproduktion wo Staumlrke schliesslich als raffinierter Zucker gespeichert wird gibt es auch bei der Stromspeicherung immer raffi-niertere Formen Bei jeder Umwandlung geht aber Energie verloren Man muss sich also gut uumlberlegen ob man uumlber-haupt speichern will und wenn ja uumlber welchen Zeitraum

Mit der wachsenden Integration von erneuerbaren Energi-en steigen auch die Anforderungen an die Energietechnik Unser kuumlnftiges Energiesystem wird staumlrker automatisiert und intelligenter sein Um erneuerbare Energiequellen zu integrieren werden Informations- und Kommunikations-technologien Automatisierungs- und Regelungstechnik Signalverarbeitung oder Wettervorhersagen immer wich-tiger In den intelligenten Stromnetzen der Zukunft wer-den alle beteiligten Komponenten Daten wie den aktuellen Verbrauch verfuumlgbare Strommengen oder lokale Aus-faumllle melden und gleichzeitig solche Daten aus anderen Netzkomponenten empfangen Das daraus resultierende Smart Grid ist ein Gefuumlge das selbststaumlndig auf diese Ein-fluumlsse reagiert und seine eigene Effizienz optimiert Es gilt Energie effizienter zu uumlbertragen um raumlumliche Distanzen zu uumlberwinden und neue Speichertechnologien zu entwi-ckeln um zeitliche Engpaumlsse zu uumlberbruumlcken Elektrische Energie kann auf verschiedene Arten erzeugt gespei-chert und uumlbertragen werden Jede Art hat ihre Vor- und Nachteile und ihren Preis Anreize aus der Politik werden schliesslich entscheiden welche Formen dies in der Zu-kunft sein werden

Auf der Verbraucherseite laumlsst sich die Nutzlast durch ge-eignetes Last-Management anpassen Diese Steuerung schaltet verbrauchsintensive Anlagen in Unternehmen gewerblichen Betrieben und Haushalten gezielt dann ein wenn die Stromtarife guumlnstig sind Es duumlrfte aber schwie-rig sein der Bevoumllkerung vorzuschreiben wann sie zum Beispiel fernsehen oder kochen darf Eine intelligente Re-gelung von grossen Kuumlhlhaumlusern stoumlrt dagegen nieman-den Trotz solchen Bestrebungen geht die International Energy Agency (IEA) davon aus dass der Stromverbrauch weltweit jaumlhrlich um rund 1 Prozent zunimmt Diese Ten-denz verstaumlrkt sich voraussichtlich noch falls sich der Bereich Mobilitaumlt von fossilen Energietraumlgern hin zur Elek-tromobilitaumlt verschieben wird Die Geschichte hat gezeigt dass der Energieverbrauch eigentlich nur in Krisenzeiten zuruumlckgeht

Klar ist jedenfalls dass der Ausbau von Speichern und Netzen Hand in Hand mit der zunehmenden Integration von erneuerbaren Energiequellen erfolgen muss Auf unter-schiedlichen Netzebenen kommen unterschiedliche Spei-chertechnologien zum Einsatz Waumlhrend fuumlr Haushalte mit kleinen Fotovoltaikanlagen und im Niederspannungsnetz bereits Batteriespeicher vorhanden sind stossen diese bei mehr als einer Windturbine oder groumlsseren Solarparks schnell an ihre Grenzen Das groumlsste Batterieenergie-speichersystem der Schweiz betreiben die Elektrizitaumlts-werke des Kantons Zuumlrich in Dietikon Es hat 1 Megawatt (MW) maximale Speicherleistung und kann diese waumlhrend ungefaumlhr 15 Minuten abgeben respektive speichern Die Spitzenlast im Schweizer Hochspannungsnetz liegt aber bei 8 GW im Sommer und 10 GW im Winter Die Schwei-zer Pumpspeicherkraftwerke koumlnnen unseren Strombe-darf nur etwa einen Monat lang decken Das europaumlische Hochspannungsnetz verfuumlgt uumlber eine Spitzenlast von circa 500 GW Um die Leistung von Grosskraftwerken wie Offshore-Windparks langfristig zu speichern braucht es neue Technologien

Raffinierte EnergiespeicherungDafuumlr forscht die ZHAW School of Engineering gemein-sam mit der ETH Zuumlrich der EPF Lausanne und dem Paul

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Hochschulperspektive

Dissonanz an der Steckdose

Mit der Energiestrategie 2050 haben Bundesrat und Parla-ment eine Kehrtwende in der Schweizer Energiepolitik ein-gelaumlutet der die wichtigsten politischen Huumlrden erst noch bevorstehen Auf den ersten Blick scheint der Kurswechsel breit abgestuumltzt Seit dem Reaktorunfall in Fukushima fuumlh-ren Umfragen immer wieder zum gleichen Ergebnis Der langfristige Ausstieg aus der Kernenergie findet eine Mehr-heit Im Grundsatz stossen erneuerbare Energien sowie Massnahmen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz auf hohe Zustimmung Was fuumlr den Stimmzettel gilt beeinflusst aber nicht automatisch das Konsum- und Investitionsverhalten der Energiekunden Die Bereitschaft aus eigenem Antrieb mehr fuumlr ein oumlkologisch houmlherwertiges Produkt aus neuen erneuerbaren Energietraumlgern zu bezahlen ist beschraumlnkt Nur wenige Haushalte sind zudem bereit ihren Energie- und insbesondere ihren Stromkonsum zu reduzieren wenn dies mit nicht amortisierbaren Investitionskosten oder einem moumlglichen Komfortverlust verbunden ist

Mit anderen Worten Effizienz wird als teuer und Suffizienz als bevormundend empfunden Die private Zahlungsbereit-schaft laumlsst sich zwar mit regulatorischen Interventionen wie fixen Einspeiseverguumltungen oder Investitionssubven-tionen in Effizienzmassnahmen etwas erhoumlhen Doch die Erfahrungen in Deutschland und der Schweiz zeigen dass solche Massnahmen oumlkonomisch ineffizient sind und oft als ungerecht empfunden werden Sie koumlnnen damit zum Bumerang fuumlr die Akzeptanz der energiepolitischen Ziele werden Neben den politischen Huumlrden ist somit auch die kognitive Huumlrde der Konsumenten zu beruumlcksichtigen De-ren Uumlberwindung bedarf zuerst einer differenzierten Analyse der Ursachen und danach der Entwicklung innovativer Ver-triebsmodelle und Produkte auf Versorgerseite

Eine Mehrheit der Bevoumllkerung unterstuumltzt den Ausstieg aus der Kernenergie doch nur wenige beziehen ein oumlkologisches Stromprodukt Warum das so ist und wie sich diese Dissonanz aufloumlsen laumlsst beschaumlftigt derzeit viele EnergieversorgerText Claudio Cometta

Indifferenz uumlberwiegtFuumlr viele Konsumenten ist die Strom- Gas- oder Fern-waumlrmerechnung ein verhaumlltnismaumlssig kleiner Posten im Haushaltsbudget dem wenig Beachtung geschenkt wird Die Schweiz ist sogar einer der Spitzenreiter in Europa machen die Stromkosten im Durchschnitt doch nicht mehr als 2 Prozent der Haushaltsausgaben aus Wenig Beachtung bedeutet auch wenig Kenntnis des Preises und der Menge der bezogenen Energieleistung oder der Zusammensetzung des Tarifs aus Energiekosten Netz-kosten und Abgaben Entsprechend besteht nur ein ge-ringes Interesse Energie und damit Kosten zu sparen Konsumentenbefragungen zeigen zudem dass nur eine kleine Minderheit der Kunden die Zusammensetzung ihres Stromprodukts nach Energietraumlgern kennt Die geringen Kosten und Unkenntnis des Produkts verhindern also die Wahl anderer Stromprodukte Strom ist ein klassisches Commodity-Produkt Man kann ihn weder sehen noch riechen Er ist verhaumlltnismaumlssig guumlnstig immer verfuumlgbar und aumlndert in keinerlei Hinsicht seine Eigenschaften wenn dafuumlr mehr bezahlt wird Zudem ist meist nicht sichtbar wer wie viel von welchem Produkt bezieht Der Strom-konsum ist Privatsache

Uumlberwindung durch VertriebsmodelleDie Vorgaben der Energiestrategie 2050 beinhalten nicht nur einen massiven Zubau der Produktionskapazitaumlt aus erneuerbaren Energietraumlgern sondern auch die kon-tinuierliche Reduktion des Energie- und insbesondere des Stromkonsums pro Kopf Die direkte Finanzierung der dazu notwendigen Investitionsvorhaben scheint an-gesichts der Indifferenz auf Konsumentenseite jedoch schwierig Aus diesem Grund sind mehrere Schweizer

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rund um Haushaltstechnik Sicherheit Pflege oder Kom-munikation sowie ein geschicktes Marketing mit Elemen-ten der sozialen Kontrolle Denkbar sind auch Anreize die keinen direkten Zusammenhang mit dem Energiekonsum aufweisen aber fuumlr breite Bevoumllkerungsgruppen attrak-tiv sind So haben etwa einzelne skandinavische Versor-ger damit begonnen energiesparendes Verhalten ihrer Kunden mit Verguumlnstigungen fuumlr die Nutzung oumlffentlicher Transportmittel zu belohnen

Uumlberwindung durch PartizipationDie wohl wirkungsvollste Massnahme zur Uumlberwindung der Dissonanz an der Steckdose ist bereits inhaumlrent in der Transformation des Energiesystems hin zu einer staumlrker dezentralen Erzeugung angelegt Kunden entwi-ckeln sich von passiven Leistungsempfaumlngern zu aktiven Leistungserbringern sogenannten Prosumern Als Klein-produzenten von Strom mit einer hauseigenen Fotovol-taikanlage oder thermischer Speicherleistung mit Kraft-Waumlrme-Kopplungsanlagen im Mikroformat werden sie mittelfristig wesentlich zum Umbau des Energiesystems und zu den Zielen der Energiestrategie beitragen koumlnnen Eine nicht ganz unbedeutende Rolle koumlnnten in Zukunft sogenannte Buumlrgerbeteiligungsmodelle fuumlr die Finanzie-rung neuer In frastrukturprojekte spielen Diese wuumlrden gleichzeitig die Akzeptanz sichtbarer Produktionsanlagen von neuen erneuerbaren Energien erhoumlhen Doch erst wenn das Produkt Strom nicht mehr als reines Commodity-Produkt wahrgenommen wird werden politische Meinung und Konsumverhalten bei einer Mehrheit der Stimmbuumlrger uumlbereinstimmen

Energieversoger in letzter Zeit dazu uumlbergegangen soge-nannte Default-Modelle einzufuumlhren die Stromprodukte aus erneuerbaren Quellen zum neuen Standard erheben Dabei macht man sich die Traumlgheit der Kunden zunutze indem die Wahl eines Stromprodukts aus nicht erneuer-baren Energietraumlgern als Option definiert wird die aktiv bestellt werden muss

Nicht zuletzt aufgrund solcher Modelle ist die Zahl der Schweizer Haushalte die ein Stromprodukt aus aus-schliesslich erneuerbaren Energien beziehen auf uumlber 25 Prozent gestiegen Doch weitere Vertriebsinnovationen werden notwendig sein etwa um der Herausforderung der Einspeisung von Strom aus fluktuierend nutzbaren Quellen (Solar- und Windenergie) in die Verteilnetze gewachsen zu sein die immer staumlrker ins Gewicht faumlllt In der Folge gilt es Investitionen in Netz- und Speichersysteme zu finan-zieren In innovativen Vertriebsmodellen welche dieser Herausforderung gerecht werden erhaumllt das Konsumver-halten einen Wert Zeitliche Flexibilitaumlt wird belohnt durch Tarifreduktion Bonus oder Vermeidung einer Gebuumlhr Wie diese beiden Beispiele zeigen laumlsst sich der Mehrwert von vermeintlichen Commodity-Produkten durch neue Vertriebsmodelle abschoumlpfen und als marktwirtschaftlich vertraumlglicher Finanzierungsmechanismus fuumlr neue Infra-strukturvorhaben im Energiesektor nutzen

Uumlberwindung durch innovative ProdukteNoch groumlsseres Potenzial birgt die Weiterentwicklung von Stromprodukten zu Leistungssystemen die fuumlr Energie-kunden einen echten Mehrwert bieten Hierzu gehoumlrt die Verknuumlpfung des Kernprodukts Strom mit Dienstleistun-gen die den Kunden ein transparenteres Verbrauchsver-halten sowie Kostenoptimierung ermoumlglichen Intelligente Stromzaumlhler sogenannte Smart Meter kombiniert mit fle-xiblen Tarifen und einem einfachen Feedback- und Steuer-system sind die Voraussetzung um zumindest oumlkologisch sensibilisierten oder kostenbewussten Endkunden einen Effizienzeffekt zu ermoumlglichen Damit solche Leistungs-systeme aber fuumlr die grosse Gruppe der Indifferenten interessant werden braucht es weitere Mehrwerte Dazu gehoumlren die Verknuumlpfung mit intelligenten Anwendungen

Claudio ComettaDr Claudio Cometta ist Dozent fuumlr Innovation und Entrepreneurship an der ZHAW School of Management and Law Er koordiniert den Aufbau des nationalen Energie-Kompetenz-zentrums SCCER 5 an der ZHAW

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Die Energiewende stellt die Energieversorgungsunternehmen in der Schweiz vor grosse Herausforderungen Das Beispiel von Stadtwerk Winterthur zeigt wie die Branche auf den Paradig-menwechsel reagiertText Florian Wehrli

Von den Anfaumlngen als laquoWinterthurer Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtungraquo vor uumlber 150 Jahren bis zum modernen Querverbundunternehmen hat sich Stadtwerk Winterthur kontinuierlich weiterentwickelt Seine Aufgabe ist aber gemaumlss Direktor Markus Saumlgesser weitgehend dieselbe geblieben die Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung zu verbes-sern So bietet das staumldtische Versorgungsunternehmen neben klassischen Produkten wie Wasser Strom Gas oder Kehrichtentsorgung und Abwasserreinigung heute auch Fernwaumlrme Haustechnik Glasfasernetz und Ener-gie-Contracting an Die Ausdehnung auf neue Geschaumlfts-bereiche will der Direktor aber nicht als Reaktion auf die Liberalisierung des Energiemarkts verstanden wissen laquoWir begegnen der Marktoumlffnung proaktiv und wollen die sich bietenden Chancen aktiv nutzenraquo

Lokales Potenzial ausgeschoumlpftIm liberalisierten Markt hat das staumldtische Versorgungs-unternehmen mit dem Monopol auf sein Energieversor-gungsnetz von gesamthaft mehr als 2 500 Kilometern einen Vorteil Dessen Unterhalt ist nach wie vor eine der Hauptaufgaben Im Gegensatz zu anderen Energieversor-gern betreibt Stadtwerk Winterthur naumlmlich einen verhaumllt-nismaumlssig geringen Anteil an eigenen Produktionsanlagen Das Flaggschiff ist die wohl modernste Kehrichtverwer-tungsanlage der Schweiz laquoMit dem Umbau konnten wir 2013 den Wirkungsgrad der Anlage um einen Drittel stei-gern und die Abluft gehoumlrt zu den saubersten weltweitraquo sagt Markus Saumlgesser Heute deckt die KVA 20 Prozent des Winterthurer Strom- und 12 Prozent des Waumlrmebe-darfs ab Auf solchen Lorbeeren ausruhen will sich Stadt-werk Winterthur aber nicht laquoWir wollen mithelfen eine nachhaltige Energiewirtschaft aufzubauenraquo Mittelfristig soll

die Haumllfte des Stromangebots aus erneuerbaren Quellen stammen laquoDas ist ein ehrgeiziges Zielraquo sagt Saumlgesser laquowir sind aber auf gutem Weg dazuraquo

Rund die Haumllfte des Rahmenkredits von 90 Millionen Franken fuumlr erneuerbaren Strom den das Winterthurer Stimmvolk 2012 bewilligt hat ist bereits investiert Im Bereich Fotovoltaik ist die Planung der groumlssten Anlagen abgeschlossen etwa auf den Daumlchern der Eishalle oder des Busdepots Eine aktuelle Windpotenzialstudie zeigt fuumlr Winterthur nur wenige moumlgliche Standorte auf zumal die Bewilligung solcher Anlagen mit grossem buumlrokratischem Aufwand verbunden sei Mit diversen Nahwaumlrmever-buumlnden nutzt Stadtwerk Winterthur auch Holzabfaumllle bereits sehr effizient Aber auch dieser Energietraumlger ist in Winterthur beschraumlnkt vorhanden Das letzte Projekt das Holz aus dem Winterthurer Stadtwald einsetzen wird ist in der Aufbauphase Studien im Bereich Wasserkraft haben gezeigt dass abgesehen von einem Kleinwasser-kraftwerk an der Toumlss in der Region kaum Potenzial vor-handen ist

Investitionen im AuslandlaquoDiese aufwendige Aufbauarbeit soll nicht zur Regel wer-denraquo sagt Markus Saumlgesser laquoDas limitierte Energiepoten-zial in der Schweiz und die beschwerlichen Instanzenwe-ge fuumlr Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie lassen uns deshalb vermehrt im Ausland investierenraquo 2012 be-teiligte sich das Stadtwerk mit 12 Millionen Franken am Kleinkraftwerk Birseck AG das Kleinwasserkraftwerke und Foto voltaikanlagen in der Schweiz und in Frankreich be-treibt 2013 folgte eine Beteiligung in der Houmlhe von 25 Mil-lionen Franken an der Swisspower Renewables AG die in

Vom Versorger zum Dienstleister

Unternehmensperspektive

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sein glaubt er aber nicht daran dass der Stromverbrauch insgesamt zuruumlckgehen wird laquoDafuumlr ist der Marktpreis zu niedrig Aus serdem wird Strom im Bereich Waumlrme und Mobilitaumlt einen Grossteil der fossilen Energietraumlger ersetzen muumlssenraquo Damit der geplante Verbrauchsruumlck-gang dennoch gelingt will der Bund Anreize schaffen Mit sogenannten weissen Zertifikaten will er die Versor-ger be lohnen wenn sie ihre Kunden zu einem geringeren Energie verbrauch bewegen In Grossbritannien Italien und Frankreich sind solche Modelle bereits im Einsatz Markus Saumlgesser sieht dieser Entwicklung mit gemischten Gefuumlh-len entgegen laquoWir haben bereits vor der Reaktorkatastro-phe in Fukushima auf Energieeffizienz gesetzt und konn-ten uns dadurch profilieren Weil die Politik nun eingreift und den Markt uumlbersteuert bleibt uns als Unternehmen weniger Spielraum um uns zu positionierenraquo

Windkraftanlagen im angrenzenden Ausland investiert Fuumlr die Beschaffung von Strom am freien Markt ist das Stadtwerk eine Zusammenarbeit mit der Trianel GmbH in Aachen ndash einer der fuumlhrenden Stadtwerke-Kooperationen in Europa ndash eingegangen Damit sollen insbesondere der Zugang zum Grosshandelsmarkt sowie die Marktfor-schung sichergestellt werden Denn um Kunden nachhal-tige Energieprodukte verkaufen zu koumlnnen muss man ihre Beduumlrfnisse genau kennen

Anreize fuumlr geringeren VerbrauchDie Strategie scheint aufzugehen laquoSeit der Einfuumlhrung der neuen Stromprodukte Anfang 2013 haben wir den Absatz von erneuerbarer Energie in Winterthur verdop-pelt und denjenigen von Oumlkostrom sogar vervierfachtraquo so Saumlgesser Trotz dem steigenden oumlkologischen Bewusst-

Gemaumlss seinem Leitbild soll Stadtwerk Winterthur mit einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der soziashylen Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Bild Michael Lio

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Ausgliederung aus der StadtverwaltungAuch auf kommunaler Ebene ist Stadtwerk Winterthur von den politischen Rahmenbedingungen abhaumlngig ndash mit allen Vor- und Nachteilen Die politischen Kurswechsel in den vorgesetzten Gremien seien hinderlich bei der Umsetzung der Strategie des Unternehmens laquoWir taumltigen Investitio-nen mit einem Planungshorizont von mehreren Jahrzehn-tenraquo sagt Markus Saumlgesser laquoin der Politik wird dagegen in Amtsperioden von vier Jahren gedachtraquo Es gibt deshalb Bestrebungen das Stadtwerk aus der Stadtverwaltung auszugliedern und einem langfristig operierenden Steue-rungsgremium zu unterstellen Bei der Stimmbevoumllkerung geniesst Stadtwerk Winterthur grossen Ruumlckhalt Alleine in den letzten zwei Jahren wurden vier Abstimmungsvor-lagen mit grossem Mehr angenommen darunter Rah-menkredite fuumlr das Energie-Contracting oder erneuerbare Energien laquoEine bessere Legitimation koumlnnen wir uns gar nicht wuumlnschenraquo sagt Markus Saumlgesser

Neue BetriebskulturStrategisch und energiepolitisch werden Dienstleistungen wie das Energie-Contracting fuumlr Stadtwerk Winterthur immer wichtiger laquoWir wollen unserer Kundschaft Waumlr-me oder Kaumllte gleich komfortabel anbieten koumlnnen wie Stromraquo sagt Markus Saumlgesser laquoImmobilienbesitzerinnen und -besitzer sollen sich nicht mehr um den Fuumlllstand ih-res Oumlltanks oder den Termin fuumlr den Kaminfeger kuumlmmern muumlssenraquo Das Energie-Contracting waumlchst stark und macht heute bereits rund 5 Prozent des Umsatzes von Stadtwerk Winterthur aus

Die neuen Geschaumlftsfelder ziehen auch andere Arbeits-kraumlfte an als bisher Verschiedene Betriebskulturen seien in den vergangenen Jahren teilweise parallel gelaufen be-ginnen nun aber langsam zu verschmelzen Ein Beispiel dafuumlr ist die Verknuumlpfung von Smart Metering und dem traditionellen Verteilnetz Elektrizitaumlt Als Voraussetzung fuumlr das Change-Management in der Betriebskultur habe man alle Mitarbeitenden in die Erarbeitung des Unterneh-mensleitbildes involviert Entstanden ist ein Leitbild das Stadtwerk Winterthur dabei unterstuumltzt die Unterneh-mensstrategie umzusetzen Stadtwerk Winterthur soll mit

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

Markus SaumlgesserMarkus Saumlgesser (52) ist diplomierter Ma-schineningenieur ETH und hat ein Nachdi-plomstudium in technischen Betriebswissen-schaften absolviert Seit Anfang 2011 ist er Direktor von Stadtwerk Winterthur Seine bisherige berufliche Taumltigkeit fuumlhrte Markus Saumlgesser nach zwei Jahren Assistenz an der ETH zu einem Ingenieurbuumlro fuumlr Ener-gie- und Haustechnik Waumlhrend dieser rund sechsjaumlhrigen Zeit war er bei anspruchsvol-len Bauprojekten verantwortlich fuumlr die Konzeption und Koordination der technischen Gebaumludeausruumlstung Zudem war er waumlhrend vier Jahren Mitglied der Geschaumlftsleitung Nach zweijaumlhriger Taumltigkeit als Abteilungsleiter in einer groumlsseren Gemeinde wechselte er zum Elek-trizitaumltswerk der Stadt Zuumlrich (EWZ) bei dem er die Abteilung Vertrieb Grosskunden leitete Daneben war Markus Saumlgesser beim EWZ in verschiedene Innovationsprojekte involviert So zeichnete er fuumlr das Projekt laquoStromzukunft Stadt Zuumlrichraquo verantwortlich das wichtige Grundlagen fuumlr die Strategie des EWZ und die Volksabstimmung zur 2000-Watt-Gesellschaft in der Stadt Zuumlrich beisteuerte

Stadtwerk Winterthur in Zahlen (2013)Mitarbeitende 347Nettoinvestitionen 1198 Mio CHFDurchgeleitete Strommenge 5643 Mio kWhUmsatz Strom 93 Mio CHFDurchgeleitete Gasmenge 5295 Mio kWhUmsatz Gas 411 Mio CHFUnternehmensgewinn 109 Mio CHF

einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der sozia-len Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Wann wurden in Winterthur die ersten Strassenlampen mithilfe von Stein-kohle erleuchtet

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Unternehmensperspektive

ckelte Hochspannungsgleichstromschalter sollen zudem sicherstellen dass etwa ein Kurzschluss durch eine hy-perschnelle Abschaltung isoliert und das Netz somit nicht gefaumlhrdet wird Von 14 solchen Schaltsystemen welt-weit stammen 13 von ABB Die hohen Investitionen fuumlr die armdicken Gleichstromkabel rechnen sich da beim Transport viel weniger Strom verloren geht als bei der tradi tionellen Wechselstromtechnik Die Produktelinie ent-wickelt sich zum Renner Sie wird zur Anbindung von So-lar- und Windparks zur Versorgung von Inseln als Ersatz fuumlr Diesel generatoren auf Oumll- und Gasplattformen auf See eingesetzt Oder um Starkstrom vom Festland zu auf dem Meeresboden platzierten ferngesteuerten Foumlrderanlagen fuumlr Gas und Oumll zu leiten ndash wofuumlr ABB auch wartungsfreie Kompressoren liefert damit Kunden wie Statoil und Pet-robras teure Ausfaumllle erspart bleiben

Komplettloumlsungen aus einer HandDank hohem Innovationstempo sind die Divisionen Ener-gietechnik- und Niederspannungsprodukte gut ausgelas-tet Dies gilt ebenso fuumlr die Divisionen Industrie- und Pro-zessautomation Speziell energieintensive Industrien die unter hohem Kostendruck stehen muumlssen ihre Anlagen auf dem neusten Stand halten Dazu zaumlhlen Bergbau Oumll- und Gasindustrie Zellstoff- Papier- und Zementfabriken Chemie- und Pharmafirmen sowie Raffinerien Gefragt sind auch Industrieroboter und schwenkbare dank ABB-Leistungselektronik stufenlos regulierbare Schiffsantrie-be ABB liefert Grosskunden fertige Loumlsungen die hohe Produktivitaumlt und Energieeffizienz gewaumlhrleisten Alles ist aufeinander abgestimmt von der Elektrik uumlber Antriebe Generatoren Roboter Sensoren und Steuerungen bis hin

Zu Beginn des Jahrtausends stand ABB am Abgrund Doch eine neue Fuumlhrungscrew fuumlhrte das Unternehmen aus der Krise sodass die Schweiz inzwischen wieder stolz sein kann auf ihren Industriemulti mit Sitz in Zuumlrich Oerli-kon 2013 erzielte ABB mit rund 148 000 Mitarbeitenden in 100 Laumlndern 42 Milliarden Dollar Umsatz Die renom-mierte US-Universitaumlt MIT zaumlhlt ABB zu den 50 innova-tivsten Unternehmen weltweit Dank 8 000 Ingenieuren in Forschung und Entwicklung und einem Forschungsetat von 15 Milliarden Dollar kann ABB selbst mit Giganten wie Siemens und General Electric mithalten

Innovationen die Technikfans begeisternWas ABB alles macht wissen wohl nur Technikfans Denn der Konzern hat uumlber 70 000 Produkte im Angebot Die 300 ABB-Fabriken liefern taumlglich 15 Millionen Kompo-nenten aus die zu elektrischen Einrichtungen oder in Pro-duktionssteuerungen verbaut werden Aus Kanada etwa kam juumlngst ein Grossauftrag uumlber 400 Millionen Dollar Erneuerbare Energie die auf Neufundland und Labrador gewonnen wird soll ab 2017 via Hochspannungskabel 360 Kilometer nach Westen fliessen um dort 350 000 Haumluser zu versorgen Weltweit gibt es erst 90 solche Gleichstromkabelverbindungen die meist unter der Erde oder auf dem Meeresgrund verlaufen ABB ist mit rund 50 Prozent Anteil Marktfuumlhrer Die futuristisch anmuten-de Technik in den abgeschirmten Hallen wo der Strom vor dem Transport auf Hochspannung transformiert wird erinnert an den Maschinenraum von Raumschiff Enter-prise Ein wichtiges Steuerungselement bilden dabei in Baden Daumlttwil entwickelte und in Lenzburg produzierte Spezialchips die Houmlchstspannung aushalten Neu entwi-

Der schweizerisch-schwedische Technikkonzern treibt an vor-derster Front die Energiewende voran Dafuumlr forscht man bei ABB intensiv zu erneuerbaren Energien schlauen Stromnetzen sowie hocheffizienten Industrieanlagen Einzig die schwache Nachfrage nach Energieanlagen in Europa bremst die ExpansionText Andreas Fluumltsch

Innovativer Treiber der Energiewende

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uumlber weite Strecken in die Ballungsraumlume geleitet werden muss brummt das Geschaumlft In den USA treibt der Oumll- und Gasboom die Nachfrage Nur in Europa harzt das Geschaumlft mit Grossanlagen Weniger Nachfrage belastet die Margen bei Auftraumlgen fuumlr Wind- und Solarfarmen so-wie fuumlr Netzinfrastruktur Die Risiken der oft mehrjaumlhrigen Projekte sind so hoch dass ABB waumlhlerischer sein muss und etwa das Geschaumlft mit Solarloumlsungen zurzeit auf Sparflamme betreibt Dennoch ist ABB immer noch hoch-profitabel nicht zuletzt da die Kosten Jahr fuumlr Jahr um 3 bis 5 Prozent gesenkt werden Aber der erfolgsgewohnte Konzern musste sich 2013 mit 6 Prozent Umsatzplus zu-friedengeben Umso intensiver treibt der neue ABB-Chef Ulrich Spiesshofer die Integration der vorab in den USA fuumlr 10 Milliarden Dollar getaumltigten Zukaumlufe voran Und Spiess-hofer forciert die Zusammenarbeit der Divisionen damit ABB die Unternehmensvision laquoEnergie und Produktivitaumlt fuumlr eine bessere Weltraquo mit moumlglichst vielen eigenen Pro-dukten realisieren kann

zur Leittechnik samt angepasster Software Kleine und mittlere Kunden ordern Komponenten oder Teilsysteme Ein wichtiges Verkaufsargument ist das Sparpotenzial von stufenlos steuerbaren Elektromotoren Nur einer von fuumlnf Motoren hat laut einer Erhebung des Bundes einen Leis-tungsregler der Rest laumluft auf Hochtouren und wird ndash man glaubt es kaum ndash bei Bedarf mit Klappen oder Ventilen mechanisch abgebremst Eine gigantische Verschwen-dung da Industriemotoren laut einer Studie der Schwei-zerischen Agentur fuumlr Energieeffizienz 27 Prozent des Schweizer Stromverbrauchs ausmachen

Europaumlische ZuruumlckhaltungEigentlich muumlsste die Division Energietechniksysteme ebenfalls ausgelastet sein Denn auch die Stromwirtschaft muss ihre Effizienz steigern Schliesslich erfordert die Energiewende einen Totalumbau der auf Verteilung ausge-richteten Netze damit diese unter der Last von Solar- und Windenergie nicht instabil werden Arbeit in Huumllle und Fuumllle fuumlr ABB sollte man meinen Doch der erst zaghafte Auf-schwung in Europa daumlmpft die Nachfrage Erschwerend kommt hinzu dass subventionierte Wind- und Solarener-gie in Europas liberalisiertem Strommarkt den Strompreis in ungeahnte Tiefen druumlckte Die Konkurrenzfaumlhigkeit von Wasser- Gas- und Atomkraftwerken hat gelitten Pump-speicher sind keine Goldesel mehr seit die erneuerbaren Energien die Preisspitzen brechen Entsprechend schie-ben Stromkonzerne wie Alpiq oder RWE Investitionen auf Unsicherheiten rund um den Atomausstieg belasten zu-saumltzlich Die voraussichtlich noch auf Jahre hinaus tiefen Strompreise schmaumllern auch die Faumlhigkeit der Besitzer von Hochspannungs- und Verteilnetzen deren Umruumlstung zu finanzieren hoch verschuldete EU-Staaten fahren die Foumlrderung von Wind- und Solarenergie zuruumlck

Straffe KostenkontrolleABB bekommt den Investitionsstau empfindlich zu spuuml-ren Die Division Energietechniksysteme schreibt seit eini-ger Zeit rote Zahlen Zwar ordern Grosskunden aus Asien und Lateinamerika weiterhin kraumlftig Neben China inves-tiert vermehrt auch Indien in neue Stromnetze Uumlberall dort wo die Bevoumllkerung rasch waumlchst oder der Strom

Andreas FluumltschAndreas Fluumltsch war urspruumlnglich Jurist und arbeitete ab 1983 als Journalist fuumlr laquoBlickraquo laquoWeltwocheraquo laquoBilanzraquo und laquoCashraquo Zwischen 1989 und 1990 war er Mitglied der Geschaumlftsleitung von Greenpeace Schweiz anschliessend Hausmann Nach der Ruumlck-kehr in den Journalismus 1992 arbeitete er bei laquoBlickraquo laquoSonntagszeitungraquo und laquoTages- Anzeigerraquo und absolvierte eine Ausbildung zum Boumlrsenhaumlndler Nach der Fruumlhpensio-nierung Ende 2013 machte er sich als Publi-zist selbststaumlndig

ABB in Zahlen (2013)Betriebsertrag 41 848 Mio USDBetriebsergebnis 4 387 Mio USDndash Industrieautomation 1 458 Mio USDndash Niederspannung 1 092 Mio USDndash Prozessautomation 990 Mio USDndash Energietechnik 1 331 Mio USDndash Energiesysteme 171 Mio USD

Mitarbeitende 147 700ndash davon in der Schweiz 6 966

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Hohe Nachfrage nach MinergieDer Erfolg der bisherigen Sparbemuumlhungen bleibt nicht aus laquoTrotz zunehmender Pro-Kopf-Wohnflaumlche und stei-gendem Komfort sinkt der Energieverbrauch fuumlrs Heizen in den letzten Jahrzehnten stetigraquo verkuumlndet der Zuumlrcher Regierungsrat im Energieplanungsbericht 2014 Dazu tra-gen nicht nur die laufend verschaumlrften Gesetze bei Ebenso wichtig ist die Bereitschaft von Bautraumlgerschaften freiwillig Uumlberdurchschnittliches zu leisten Vor allem die Minergie-Regeln werden inzwischen gerne befolgt weshalb Haumluser mit halbiertem Energieverbrauch beinahe Standard sind Schweizweit traumlgt eines von zehn neuen Wohnhaumlusern ein Minergie-Zertifikat Der Anteil an Minergie-Haumlusern im Grossraum Zuumlrich liegt gemaumlss einer Marktanalyse der Universitaumlt Zuumlrich bereits nahe bei 20 Prozent Dies ist privaten Hauseigentuumlmern und institutionellen Investoren zu verdanken Wohn- und Geschaumlftshaumluser mit houmlchster Energieeffizienz gehoumlren inzwischen zum guten Ton Den juumlngsten Beweis liefert eine Immobilienstiftung der Credit Suisse die 70 Millionen Franken in die groumlsste Oumlkosied-lung der Schweiz investiert Im Aargauer Reusstal wohnen seit diesem Jahr rund 200 Familien Paare und Singles deren Wohnhaumluser sich weitgehend selbst mit Sonnen-energie versorgen So klimafreundlich die Energiewende-Architektur ist der Investor erwartet dennoch marktuumlb-liche Renditen Ist der Markt aber bereit oumlkologisches Engagement angemessen zu honorieren

Marktpotenzial fruumlhzeitig erkanntDie Zuumlrcher Kantonalbank (ZKB) beziffert den Mehrwert von Minergie-Haumlusern auf 7 Prozent Kaumlufer seien bereit diesen Aufpreis fuumlr mehr Energieeffizienz zu bezahlen Als weitere Nebeneffekte nennt der vor drei Jahren publizierte ZKB-Bericht eine hochwertige dauerhafte Bausubstanz sowie die Absicherung gegen steigende Oumll- und Energie-preise Fachleute des Immobilienberatungsunternehmens Wuumlest amp Partner (WampP) warnen indes dass sich zusaumltz-liche Investitionen in die Energieeffizienz nicht uumlberall loh-nen laquoRegional schwankt die Zahlungsbereitschaft des Immobilienmarktsraquo praumlzisiert WampP-Partner Ivan Anton Minergie-Haumluser koumlnnen aber nicht nur in abgelegenen Regionen ein Marktrisiko werden laquoMit Ausnahme der

Beim Autokauf wird bevorzugt auf Pferdestaumlrken Be-schleunigung und Innenausstattung geachtet Der CO2-Ausstoss interessiert hingegen kaum So kommt die Energieeffizienz im Strassenverkehr nur stockend voran 1995 schluckten alle neu immatrikulierten Personen-wagen durchschnittlich 9 Liter Benzin pro 100 Kilometer 20 Jahre spaumlter liegt der Durchschnittsverbrauch gemaumlss Bundesamt fuumlr Energie (BFE) immer noch uumlber 6 Litern Das viel gepriesene laquoDrei-Liter-Autoraquo haben alle Hersteller wieder aus der Modellpalette genommen

Demgegenuumlber gelingen dem oft traumlge genannten Ge-baumludebereich weitaus groumlssere Effizienzspruumlnge Ver-brauchen 40 Jahre alte Haumluser im Schnitt 220 Kilowatt-stunden (kWh) Heizenergie pro Quadratmeter Wohnflaumlche und Jahr sind die aktuellen Werte unter die 50er-Marke gesunken Zusaumltzliche Sparerfolge sind nur eine Frage der Zeit Im Fruumlhsommer haben die kantonalen Energie-direktoren uumlber ein Rahmenabkommen beraten das Null-energieneubauten demnaumlchst zum Standard machen soll Wie die nationale Energiewende zu erreichen ist erklaumlrt Christoph Gmuumlr von der Abteilung Energie des Kantons Zuumlrich laquoDer spezifische Verbrauchswert ist zudem auf 35 kWh pro Quadratmeter zu senkenraquo Gebaumlude die sich mit umweltfreundlicher Energie selbst versorgen wollen auch die EU-Staaten Ab 2020 wird ein Gebaumludestandard eingefuumlhrt der nur noch laquoNiedrigstenergiegebaumluderaquo mit sehr hoher Energieeffizienz als Neubauten vorsieht

Energiesparhaumluser waren vor 30 Jahren Exoten inzwischen nimmt der Bereich der energie-effizienten Gebaumlude eine Vor-bildrolle fuumlr die Energie wende ein Bauherren profitieren davon ebenso wie die Zuliefer-branche Text Paul Knuumlsel

Expertensicht

Haumluser in der ersten Reihe

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der Bau von Niedrigenergiehaumlusern und alternativen Hei-zungsanlagen sowie energetische Gebaumludesanierungen Investitionen im Umfang von rund 4 Milliarden Franken ausgeloumlst rechnet der Bund vor laquoEin Fuumlnftel insgesamt 860 Millionen Franken stammt aus den oumlffentlichen Kas-senraquo verweist die BFE-Stelle EnergieSchweiz auf die Im-pulse der kantonalen Foumlrderprogramme Einen Wermuts-tropfen besitzt diese Wirkungsbilanz Fruumlhere Analysen der Energiesparprogramme zeigen naumlmlich dass zwi-schen einem Drittel und der Haumllfte der energetisch vorbild-lichen Gebaumlude auch ohne staatliche Foumlrderung realisiert worden waumlren Dem Mitnahmeeffekt ist auch die Eidge-noumlssische Steuerverwaltung auf der Spur Sie schaumltzt dass Bund und Kantonen jaumlhrlich 14 Milliarden Franken entgehen weil energetische Gebaumludesanierungen bei der Liegenschaftssteuer abzugsberechtigt sind Die Energie-wende erfordert nicht nur mehr Effizienz bei den Anwen-dungen sondern auch einen effizienten Einsatz staatlicher Mittel Im Energieplanungsbericht 2013 hat der Zuumlrcher Regierungsrat erstmals uumlber alternative Anreizsysteme nachgedacht Demnach soll eine Lenkungsabgabe den Energiekonsum reduzieren und das bisherige Foumlrdersys-tem abloumlsen Aumlhnliche Plaumlne verfolgt der Bund Denn ein Lenkungssystem duumlrfte weitere Sparbemuumlhungen im Ge-baumludebereich aber auch im Strassenverkehr foumlrdern Ins-besondere dann wenn Heizoumll und Benzin im Gleichschritt teurer werden

begehrten Wohnlagen haben Hauseigentuumlmer an vielen Orten mit moumlglichen Verkaufsverlusten zu rechnenraquo so Anton Zwar sei die Nachfrage bei Eigentuumlmern und Mie-tern aumlhnlich gross Aber auch Mieter wuumlrden nicht uumlberall mehr fuumlr eine energieeffiziente Wohnung bezahlen Kaum uumlberraschen darf daher dass Immobilieninvestoren immer haumlufiger die steigenden Energieanforderungen kritisieren und kostenguumlnstigere Baustandards vorziehen Fuumlr WampP-Berater Urs Hausmann ist laquonachhaltiges Bauen trotzdem keine Frage von Luxus oder Wohlstand sondern eine wie man mit Ressourcen umgehen willraquo Dass ein hohes Um-weltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauen Der Run auf den oumlkologischen Baustoff Holz laumlsst zum Beispiel eine gesamte Wertschoumlpfungskette und viele

innovative Unternehmen profitieren Forstbetriebe Sauml-gereien Fensterbauer Daumlmmstoffhersteller und andere Bauzulieferer vergroumlssern ihre Produktionskapazitaumlten und stellen zusaumltzliches Personal ein laquoDie Umsaumltze im Schweizer Holzbau sind in den letzten Jahren um mehrere Hundert Millionen Franken gestiegen und die Trendkurve zeigt weiter nach obenraquo freut sich Christoph Starck Di-rektor des Holzbaudachverbands Lignum

Einheimische Zulieferer als GewinnerAuch im Verein Minergie ist man sich bewusst dass sich energieeffizientes Bauen wirtschaftlich positiv auswirkt In den letzten 15 Jahren sind 25 000 Wohnhaumluser Buumlro-komplexe Schulbauten Sport- und Industriehallen mit Niedrig energiezertifikat entstanden Gemeinsam sparen sie 15 Milliarden Kilowattstunden Energie laquoUumlber 2 Milliar-den Franken wurden zusaumltzlich investiertraquo rechnet Miner-gie-Sprecher Antonio Milelli vor Anstatt fossile Brennstoffe einzukaufen wird mehr Geld fuumlr Daumlmmstoffe Isolierfenster Luumlftungsanlagen und Sonnenkollektoren aus inlaumlndischer Fabrikation ausgegeben Zwischen 2001 und 2012 haben

Paul KnuumlselPaul Knuumlsel studierte Umweltnaturwissen-schaften an der ETH Zuumlrich Er ist unabhaumln-giger Wissenschaftsjournalist und schreibt seit Jahren in Publikums- und Fachmedien uumlber die vielfaumlltigen Aspekte des nachhalti-gen Bauens Zusaumltzlich betreut er in der Re-daktion des laquoTEC21raquo das Ressort laquoEnergie und Umweltraquo

laquoDass ein hohes Umweltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren

derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauenraquo

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Der Wasserkraft Sorge tragen

Welchen Beitrag kann die Wasserwirtschaft zur Energie-wende leisten Roger Pfammatter Die Wasserkraft ist der energie-politische Trumpf der Schweiz Wir befinden uns in der gluumlcklichen Lage uumlber grosse Mengen Wasser und das notwendige Gefaumllle zu verfuumlgen ndash das sind die beiden wichtigsten Voraussetzungen fuumlr die hydroelektrische Produktion Und wir haben in den vergangenen 100 Jah-ren gelernt dieses Potenzial effizient und moumlglichst um-weltschonend zu nutzen Die Wasserkraft ist der Schluumls-sel fuumlr eine nachhaltige Energieversorgung technisch ausgereift politisch erwuumlnscht einheimisch erneuerbar und CO2-frei

Wie viel mehr ist moumlglichHeute leistet die Wasserkraft nicht nur rund 60 Prozent der Stromproduktion in der Schweiz sondern bietet auch unverzichtbare Regel- und Systemdienstleistungen die markant an Bedeutung gewinnen werden Vor allem bei der Flexibilisierung der Wasserkraft durch mehr Leistung und Speichervolumen waumlre noch einiges moumlglich Um die Aufgaben weiterhin zu gewaumlhrleisten muumlssen wir aber primaumlr dem Bestehenden Sorge tragen

Die Energiestrategie des Bundes gibt aber klare Ausbau-ziele vor Bis 2035 soll die Stromproduktion aus Wasser-kraft um 10 Prozent steigenUnter den momentanen Rahmenbedingungen ist dieses Ausbauziel nicht realistisch Im Gegenteil Aufgrund der Restwasserbestimmungen wird die Produktion in den naumlchsten Jahren vermutlich sogar zuruumlckgehen

Die Wasserkraft ist der wichtigste Pfeiler der Schweizer Ener-giewirtschaft ihr Potenzial ist aber weitgehend ausgeschoumlpft Roger Pfammatter Geschaumlftsfuumlhrer des Wasserwirtschaftsver-bands gibt im Interview Auskunft uumlber die Lage der Branche und ihre Bedeutung fuumlr die EnergiezukunftInterview Florian Wehrli

Expertensicht

Was muss sich aumlndern damit die vorgegebenen Ziele um-gesetzt werden koumlnnenZum einen braucht es dafuumlr die Akzeptanz der Umweltver-baumlnde der Fischer und letztlich der gesamten Bevoumllkerung Zum anderen muumlssen laumlngerfristig die extremen Marktver-zerrungen abgebaut werden damit sich auch Investitionen in die nicht gefoumlrderte Wasserkraft wieder lohnen Heute wird nur noch in subventionierte Anlagen investiert

Wer ist hier in der PflichtHier ist die Politik gefordert die Rahmenbedingungen zu verbessern Denn ohne die Wasserkraft kann die Energie-wende nicht gelingen

Anfang Jahr wurde der Wasserwirtschaftsverband von den zustaumlndigen Kommissionen angehoumlrt Welche Forderun-gen hat die Branche an das ParlamentWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerba-re Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichten die bereits bis zur Haumllfte der Geste-hungskosten ausmachen Damit sind wir doppelt diskrimi-niert Die Wasserkraft ist extrem unter Preisdruck ndash und dies obwohl sie mit Gestehungskosten zwischen 3 und 10 Rappen pro Kilowattstunde die effizienteste Strompro-duktionstechnologie ist Nur zum Vergleich Fotovoltaik -anlagen werden heute mit rund 40 Rappen subventioniert

Bis 2011 liess sich mit der Grosswasserkraft noch viel Geld verdienen Wurden zu wenige Ruumlcklagen fuumlr schlechte Zei-ten gebildet

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Es kann nicht der Sinn sein Ruumlcklagen fuumlr Zeiten zu bil-den in denen die Marktpreise die Gestehungskosten nicht mehr decken Das waumlre wie wenn ein Baumlcker auf jedem Gipfeli einige Rappen zuruumlckbehalten muumlsste damit er sie am naumlchsten Tag gratis abgeben kann Mit dem durch Subventionen verzerrten Marktpreis von 4 bis 5 Rappen pro Kilowattstunde ist unter den konventionellen Energie-traumlgern praktisch nur Kohle konkurrenzfaumlhig Das ist be-stimmt nicht im Sinn der Energiewende

Drei Grosswasserkraftprojekte sind heute bereits im Bau Koumlnnen die enormen Kosten uumlberhaupt amortisiert wer-denPrognosen sind schwierig An der europaumlischen Strom-boumlrse (EEX) werden bis 2020 Strompreise zwischen 45 und 53 Rappen pro Kilowattstunde gehandelt Der Markt glaubt also nicht an eine baldige Erholung Dafuumlr muumlsste das Uumlberangebot in Europa zuruumlckgehen etwa uumlber die Anhebung des CO2-Preises von heute 5 auf mindestens 30 Euro pro Tonne Politisch ist das aber kaum durchsetz-bar Neue Pumpspeicherwerke werden sich deshalb wohl erst in mehreren Jahrzehnten lohnen

Was kann die Kleinwasserkraft leistenOhne die kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) wuumlr-de niemand Kleinwasserkraftanlagen bauen genauso we-nig wie Fotovoltaik- Wind- oder Biomasseanlagen Zurzeit gibt es aber allein bei der Kleinwasserkraft rund 1 000 An-meldungen fuumlr Foumlrderbeitraumlge mit einem bescheidenen Ge-samtpotenzial von 33 Terawattstunden pro Jahr Die oumlko-logischen Auswirkungen sind im Vergleich zum Ertrag zu gross Obwohl wir von marktverzerrenden Foumlrderprogram-men wegkommen sollten waumlre es in einer Uumlbergangs phase sinnvoll die KEV-Obergrenze von 10 Mega watt aufzuheben und dort zu foumlrdern wo es wirklich etwas bringt

Wie soll die Grosswasserkraft unterstuumltzt werdenDas Sinnvollste waumlre die Abkehr von der Subventions-maschinerie ndash und zwar auf europaumlischer Ebene Dann wuumlrde sich die Wasserkraft als effiziente erneuerbare Stromproduktionsform mit Sicherheit durchsetzen Min-destens als Uumlbergangsloumlsung waumlre aber die Entlastung

von Abgaben in erster Linie vom Wasserzins dringend Der maximale Wasserzins wurde in den letzten vier Jahren um 38 Prozent erhoumlht und wird naumlchstes Jahr um weite-re 10 Prozent angehoben Diese Erhoumlhung wurde 2008 beschlossen und steht heute in keinerlei Bezug mehr zur Ertrags lage Kurzfristig koumlnnten die Kantone auf einen Teil dieser Zinsen verzichten ndash das waumlre ein wichtiges politi-sches Zeichen Langfristig muss ein neuer Modus fuumlr die Zinsberechnung gefunden werden der die Ertragslage der Wasserkraft mitberuumlcksichtigt Das ist auch im Interesse von Bund Kantonen und Gemeinden schliesslich ist die Wasserkraft zu 85 Prozent in oumlffentlicher Hand Ebenfalls als Uumlbergangsloumlsung bis zu besseren Marktpreisen waumlren zinsguumlnstige Darlehen fuumlr die noumltigen Investitionen in die Grosswasserkraft denkbar Ohne mindestens eine dieser Massnahmen kann die Wasserwirtschaft das geforderte Ausbauziel nicht erreichen

Bis dahin gibt es noch eine weitere Huumlrde den Heimfall der Stauanlagen an die Standortgemeinden Welchen Ein-fluss hat dieser UmstandWenn die Konzessionen nach 80 oder 100 Jahren aus-laufen muss der Betreiber der Gemeinde eine Entschaumldi-gung fuumlr den Restwert der Anlagen entrichten Im Fall der Staumauer Barberine bezahlen die SBB und Alpiq 2017 an sechs Walliser Gemeinden 343 Millionen Franken Das 400-Seelen-Dorf Finhaut erhaumllt alleine 112 Millionen Fran-ken und weiss kaum wohin mit dem Geld Der gesamte Wert des Heimfalls der Anlagen bewegt sich schweizweit im Milliardenbereich Der Houmlhepunkt des Heimfalls wird um 2035 erreicht werden Bis zu diesem Zeitpunkt soll aber auch ein Grossteil der geforderten Produktionsstei-gerung umgesetzt werden

Bei der Stromproduktion ist ein Ausbau von uumlber 10 Pro-zent wohl nicht realistisch Wie sieht es bei der Speicher-leistung aus Hier muss man unterscheiden zwischen kurzfristiger und saisonaler Speicherung Fuumlr die saisonale Speicherung verfuumlgt die Schweiz mit 200 Speicherseen uumlber ein Vo-lumen von rund 9 000 Gigawattstunden (GWh) die jedes Jahr vom Sommer in den Winter umgelagert werden Dies

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Expertensicht

entspricht einem Viertel der jaumlhrlichen Produktion aus Wasserkraft Das Ausbaupotenzial durch die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren betraumlgt rund 2 000 GWh Falls der Ausbau aber nicht gelingt entsteht im Winter durch den Ausfall der Kernenergie eine immer groumlssere Luumlcke an Bandenergie die durch den Import von Atom- oder Kohlestrom gedeckt werden muss

Wie sieht es beim Ausbau der Pumpleistung zum kurzfris-tigen Ausgleich von Schwankungen im Netz ausGrundsaumltzlich ist das Potenzial fuumlr Pumpspeicherwerke in der Schweiz riesig Es braucht nur zwei Seen auf unter-schiedlicher Houmlhe Die Frage ist ob sich solche Investi-tionen rechnen Die Pumpspeicherwerke finanzieren sich

uumlber den Preisunterschied zwischen Band- und Spitzen-energie Wenn an einem schoumlnen Sommertag in Europa mittags die geballte Ladung an Sonnen- und Windener-gie eingespeist wird koumlnnen die Pumpspeicherkraftwerke sehr guumlnstig oder sogar zu Negativpreisen Strom bezie-hen Man darf aber nicht vergessen dass dieselbe Situa-tion fuumlr die Laufwasserkraftwerke die rund die Haumllfte der Wasserkraftproduktion in der Schweiz ausmachen den gegenteiligen Effekt hat Diese koumlnnen aus technischen konzessionsrechtlichen oder oumlkologischen Gruumlnden nicht vom Netz genommen werden und muumlssen fuumlr ihre Strom-produktion bezahlen Das kann gehoumlrig ins Geld gehen An Weihnachten 2012 lag der Strompreis zum Beispiel bei minus 30 Rappen pro Kilowattstunde

Roger Pfammatter laquoWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerbare Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichtenraquo

Bild Florian Wehrli

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cherseen zur Flexibilisierung Damit das gelingt muss der Wert der Wasserkraft staumlrker im Bewusstsein der Bevoumllke-rung verankert sein Und nicht zuletzt muss der Marktpreis so weit uumlber den Gestehungskosten liegen dass sich In-vestitionen in die Wasserwirtschaft rentieren

Versuchen das Bestehende zu erhalten Diese Vision klingt etwas resigniertDas ist eine Frage der Perspektive Die Wasserkraft hat als Technologie in der Schweiz seit Langem Bestand Sie befindet sich in einer anderen Situation als Fotovoltaik und Windenergie die sich in einem hochdynamischen Umfeld mit grossem Potenzial in Forschung und Wachstum be-finden Die Wasserkraft ist dagegen nicht mehr in der Auf-bruchsphase sondern in der Konsolidierungsphase Da-fuumlr kann man sich auf die Wasserkraftwerke verlassen Sie produzieren bei Tag und in der Nacht im Sommer wie im Winter bei Windstille oder im Nebel Auch der Erhalt und die Optimierung des Bestehenden sind grosse Heraus-forderungen und bedingen grosse Investitionen

Sehen Sie eine Moumlglichkeit wie die Schweizer Wasser-wirtschaft in Zukunft Geld mit Systemdienstleistungen wie Netzstabilitaumlt verdienen kannDie unregelmaumlssig einspeisenden Stromproduzenten neh-men keinerlei Systemverantwortung wahr Ich habe selbst ein Solarpanel auf dem Dach Wenn Produktion moumlglich ist speise ich Strom ins Netz ein wenn nicht beziehe ich Die Produzenten mehr in die Verantwortung zu nehmen faumlnde ich sinnvoll ndash zum Beispiel uumlber Zertifikate fuumlr Spei-cherleistungen Diese koumlnnten bei Pumpspeicherwerken bezogen werden

Welcher Ausbau der Pumpspeicherleistung ist dafuumlr noumltigDie installierte Leistung betraumlgt heute rund 14 Gigawatt (GW) Mit den im Bau befindlichen und den geplanten An-lagen kann die Kapazitaumlt maximal auf 51 GW ausgebaut werden ndash etwa die Haumllfte der Jahreshoumlchstlast im Netz Damit die Schweizer Wasserkraft aber einen Beitrag zur Stabilitaumlt des europaumlischen Stromnetzes leisten kann muumlssten auch das Stauvolumen und die Leitungskapazi-taumlt erhoumlht werden Hier sind die Einsprachen von Anwoh-nern und Umweltverbaumlnden noch gravierender als bei den Anlagen selbst

Braucht es neue rechtliche Instrumente um den geplan-ten Ausbau durchsetzen zu koumlnnenEs braucht vor allem die Einsicht dass die Wasserkraft das Ruumlckgrat unserer Versorgungssicherheit ist und die Aus-wirkungen eines Ausbaus immer auch mit den Alternativen verglichen werden muumlssen Wir befinden uns aber auch in einem intensiv genutzten Land mit vielen Partikularinteres-sen Diese muumlssen gewichtet und abgewogen werden In der Abwaumlgung zwischen Landschaftsschutz und Wasser-nutzung waumlre es hilfreich wenn Grosswasserkraftanlagen den Status von nationalem Interesse erhalten

Wie soll die Schweizer Wasserwirtschaft im Jahr 2035 aussehenIch wuumlnsche mir dass die bestehende Infrastruktur auf dem heutigen Stand erhalten optimiert oumlkologisiert und im Idealfall etwas ausgebaut wird Dazu gehoumlren etwa die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren sowie neue Spei-

Roger PfammatterSeit seinem Ingenieurstudium an der ETH Zuumlrich hat er sich in ver-schiedenen Rollen dem Wasser verschrieben Nach sieben Lehr- und Wanderjahren in der Forschung und in der Entwicklungszusammen-arbeit war er zehn Jahre beim Ingenieurunternehmen Ernst Basler + Partner engagiert Seit 2010 ist er Geschaumlftsfuumlhrer des Schweizeri-schen Wasserwirtschaftsverbandes (SWV) und Herausgeber der Zeit-schrift laquoWasser Energie Luftraquo In diesen Funktionen setzt er sich ein fuumlr den Fachaustausch und gute Rahmenbedingungen in den Bereichen Wasserkraft und Hochwasserschutz

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Die globalen Energiemaumlrkte sind seit einigen Jahren stark in Bewegung Volatile Erdoumllpreise die Foumlrderung von un-konventionellen Gasvorkommen in grossem Stil die mas-sive Subventionierung von neuen erneuerbaren Energien in Deutschland der laquoarabische Fruumlhlingraquo und der Konflikt in der Ukraine hinterlassen Spuren Die Folge sind starke Verwerfungen an den Maumlrkten und fehlende Investitionssi-cherheit In diesem dynamischen und unsicheren Kontext will der Bund die bisherige Energiepolitik neu ausrichten ndash wahrlich eine Herkulesaufgabe Die Schweizer Wirtschaft verlangt dass der Bund bei der Neuausrichtung der Ener-giepolitik seinem in der Verfassung verankerten Auftrag nachkommt und sich fuumlr eine ausreichende sichere breit gefaumlcherte wirtschaftliche und umweltvertraumlgliche Ener-gieversorgung einsetzt Somit ist klar Die Energiestrate-gie 2050 muss in erheblichen Teilen optimiert und justiert werden Nur wenn vernetzt gedacht wird ist eine sichere Versorgung zu wettbewerbsfaumlhigen Preisen moumlglich

Prognosen klaffen weit auseinanderSeit Jahrzehnten bietet der Strommix aus Wasserkraft (knapp 60 Prozent) und Kernenergie (40 Prozent) Gewaumlhr fuumlr eine sichere klimafreundliche und wirtschaftliche Ener-gieversorgung Im Rahmen der Energiestrategie 2050 muss die Kernenergie langfristig ersetzt werden Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen zumal die Ziele des Bundes

Lebenselixier der Wirtschaft

Die Schweizer Wirtschaft ist auch in Zukunft auf eine sichere und wirtschaftliche Stromver-sorgung angewiesen Die Ener-giestrategie 2050 setzt stark auf Subventionen Dadurch entstehen Fehlanreize welche die Versorgungssicherheit ge-faumlhrdenText Kurt Lanz

Expertensicht

in Bezug auf das Potenzial der neuen erneuerbaren Ener-gien von Wunschdenken geleitet sind Die neuen erneuer-baren Energien werden sich langsamer entwickeln als an-gestrebt Der Bund rechnet mit rund 12 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2035 die Schweizer Wirtschaft mit 44 TWh Die vorsichtigeren Prognosen der Wirtschaft scheinen re-alistischer Dies zeigen exemplarisch die gescheiterten Geothermieprojekte in Basel und St Gallen Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Nachfrageprognosen Der Bund rechnet in seinen Szenarien mit einem Ruumlckgang des Stromverbrauchs pro Kopf von 16 Prozent zwischen 2000 und 2035 Die Schweizer Wirtschaft orientiert sich in ihren Szenarien am Verband Schweizerischer Elektrizitaumlts-unternehmen (VSE) der weiter mit einer steigenden Nach-frage rechnet Die Wirtschaft fordert von der Politik eine vernuumlnftige Planung aufgrund realistischer Schaumltzungen Die Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energiestrategie nicht gefaumlhrdet werden

Subventionen fuumlhren zu FehlanreizenDie Schweiz hat seit vielen Jahrzehnten erfolgreich die Wasserkraft vorangetrieben Aus politischen Gruumlnden wird nun die ndash unregelmaumlssige ndash Stromproduktion durch Sonnen- und Windenergie forciert Unsere sogenann-te kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) entspricht dem deutschen Foumlrdermodell Beide haben das gleiche Ziel Sie sollen erneuerbare Energien ausbauen indem sie neue Formen der Stromproduktion zur Marktreife brin-gen Weil das KEV-System die Sonnen- und Windenergie massiv foumlrdert kommt ein weiterer Ausbau der bewaumlhrten Wasserkraft nicht infrage Diese Entwicklung gefaumlhrdet die Versorgungssicherheit der Schweiz Auf den ersten Blick sinken zwar die Produktionskosten fuumlr Solarstrom gleich-zeitig steigen aber die Kosten fuumlr Speicherung und Inte-gration ins Netz spuumlrbar Auch ist der Ausbau von Solar- und Windenergie nur von beschraumlnktem Nutzen solange keine ausreichenden Speicherkapazitaumlten vorhanden sind Nur Preissignale koumlnnen das Investitionsverhalten von Stromproduzenten Netzbetreibern und Konsumen-ten sinnvoll lenken Subventionen sind zu beseitigen denn sie fuumlhren zu Fehlanreizen

41COMPETENCE | 2014

Alle Optionen offenhaltenOffenheit und Neugier gehoumlren zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft Kategorisches Abwehrverhalten und Denkverbote verhindern konstruktive Loumlsungsansaumltze und Innovation Eine sichere und kostenguumlnstige Strom-versorgung kann auch in Zukunft nur mit der notwendi-gen Offenheit gegenuumlber allen Technologien und Energie-

systemen garantiert werden Die Schweiz ist dank einer erfolgreichen Hochschulland-schaft und vielen Technolo-gieunternehmen gut geruumlstet Die verschiedenen Energie-systeme muumlssen faktenba-siert und ohne ideologische

Scheuklappen verglichen werden Nur so koumlnnen effizi-ente und umweltvertraumlgliche Loumlsungen gefunden werden Das heutige System der Foumlrderung der neuen erneuer-baren Energien ist durch ein marktorientiertes System ab-zuloumlsen Produzenten die nachfragegerecht einspeisen sollen eine houmlhere Verguumltung erhalten als andere Auch soll der Vorrang der Netzeinspeisung fuumlr subventionierte Energietraumlger aufgehoben werden

laquoDie Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit

des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energie strategie nicht

gefaumlhrdet werdenraquo

Schnellere Verfahren anstrebenGrundvoraussetzung fuumlr eine Neuausrichtung der Ener-giepolitik sind funktionierende Stromnetze Diese muumls-sen zwingend parallel zum Umbau der Stromproduktion weiterentwickelt werden Allein der noumltige Ausbau der Uumlbertragungsnetze belaumluft sich auf rund 1 000 Kilometer bis ins Jahr 2020 Erforderlich sind zudem Investitionen in alle Verteilernetzebenen Al-lerdings verzoumlgern komplizier-te Verfahren auf Kantons- und Bundesebene den Ausbau Ausserdem erwaumlchst praktisch jedem Projekt Widerstand von privater Seite was zu weiteren Verzoumlgerungen fuumlhrt Die Wirt-schaft fordert deshalb Bei Bewilligungen von Stromnetzen ist der Gang vors Bundesgericht nur noch bei Grundsatz-fragen moumlglich Umbauten sowie Spannungs- und Kapa-zitaumltserweiterungen koumlnnen ohne Planungsgenehmigung realisiert werden Ausserdem sind die Verfahren bei einer einzigen Leitbehoumlrde anzusiedeln

Spielfeld erweiternDie Schweiz ist seit jeher ein wichtiges Stromtransitland Schon seit den 90er-Jahren treibt die EU die Vereinheitli-chung des Binnenmarkts fuumlr Strom hin zu einem eigent-lichen EU-Strommarkt voran In der Schweiz erweist sich die gesetzliche Trennung von Grundversorgung und Markt diesbezuumlglich zunehmend als Hindernis Aus Sicht der Wirtschaft ist die vollstaumlndige Liberalisierung des Strom-markts eine zwingende Voraussetzung fuumlr eine erfolgrei-che energiepolitische Neuausrichtung

Eine Marktoumlffnung wuumlrde insbesondere auch den erneuer-baren Energien neue Chancen eroumlffnen und Zugang zu neuen Kunden gewaumlhren Von hoher Wichtigkeit ist auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU Je groumlsser der Anteil erneuerbarer Energien umso wichtiger ist die Einbettung in Europa denn Investitionen in Netze und Produktion koumlnnen in Koordination mit der EU wirkungsvoller und wahrscheinlich kostenguumlnstiger getaumltigt werden

Kurt LanzKurt Lanz ist Leiter Infrastruktur Energie und Umwelt sowie Geschaumlftsleitungsmitglied von economiesuisse dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft

Gut vernetzt ndash Vorschlaumlge der Schweizer Wirtschaftzur EnergiepolitikDie Publikation basiert auf der Grundlagenarbeit der breit abgestuumltz-ten Energiekommission von economiesuisse und macht konstruk-tive Vorschlaumlge fuumlr einen erfolgreichen energiepolitischen Weg der Schweiz Download unter wwweconomiesuissech

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

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Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

wwwsmlzhawch

Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 12: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

Wie viele Fotovoltaikanlagen sind auf den Daumlchern Winterthurs zu finden

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Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Energieversorgung

dem Parlament die Energiestrategie 2050 vor welche die Basis fuumlr diesen Umbau schafft Grundsaumltze der Energie-strategie sind die Energieeffizienz die Steigerung des An-teils aus erneuerbaren Energien und die Umsetzung des Verursacherprinzips Das bedeutet dass die Kosten der Energienutzung moumlglichst von den Verursachern getragen werden

Die Schweiz verfuumlgt zwar uumlber eine hohe Versorgungs-sicherheit allerdings sind unsere Energiequellen teilweise nicht nachhaltig Gegenwaumlrtig liegt der Anteil der fossilen Energietraumlger am Endenergieverbrauch bei rund 80 Pro-zent Damit traumlgt die Schweiz zu den negativen Folgen der Klimaerwaumlrmung bei Als rohstoffarmes Land importiert sie einen grossen Teil dieser Energie ndash insbesondere Roh-oumll und Gas Dementsprechend hoch ist die Abhaumlngigkeit vom Ausland Zudem steht die Schweiz energiepolitisch vor weiteren grossen Herausforderungen Aufgrund des Bevoumllkerungs- und Wirtschaftswachstums des steigen-den Wohlstands sowie der zunehmenden Mobilitaumlt nimmt die Nachfrage nach Energie zu Teilweise veraltete Infra-struktur wachsender Wettbewerb und die Integration in das europaumlische Energienetz stellen das Energiesystem zudem vor zusaumltzliche Herausforderungen die es zu be-waumlltigen gilt

Langfristige StrategieUm diese Herausforderungen anzugehen ist ein Umbau des Energiesystems in Richtung Nachhaltigkeit unabding-bar Im Nachgang zur Reaktorkatastrophe in Fukushima haben Bundesrat und Parlament im Jahr 2011 den Grund-satzentscheid fuumlr einen schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie gefaumlllt Der Bundesrat legte anschliessend

Mit der Energiestrategie 2050 des Bundes soll unter anderem der Energieverbrauch reduziert und der Anteil der erneuerbaren Energien erhoumlht werden Dazu gehoumlren eine Reduk tion der energiebedingten CO2-Emissionen und der schrittweise Ausstieg aus der Kernenergie ndash dies ohne die bisher hohe Versorgungs-sicherheit und die preiswerte Energieversorgung zu gefaumlhrden Die ambitioumlsen Ziele sind aber nur zu erreichen wenn ein Um-denken stattfindet und Politik Wirtschaft Wissenschaft und Gesellschaft enger zusammenarbeiten Text Walter Steinmann

Hintergrund

Stossrichtungen der Energiestrategie ndash Energieeffizienz erhoumlhen Energieverbrauch

senken Stromverbrauch stabilisieren ndash Anteil der erneuerbaren Energien erhoumlhen und

Restbedarf durch fossile Stromproduktion und Importe decken

ndash Zugang zu internationalen Energiemaumlrkten sicherstellen

ndash Um- und Ausbau der elektrischen Netze und der Energiespeicherung vorantreiben

ndash Energieforschung verstaumlrken ndash Vorbildfunktion der oumlffentlichen Hand wahrnehmen ndash Internationale Zusammenarbeit im Energiebereich

intensivieren

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Hintergrund

Der Bundesrat hat dem Parlament im September 2013 ein erstes Massnahmenpaket zur Umsetzung der Energie-strategie 2050 vorgelegt Das Geschaumlft wird momentan von den vorberatenden parlamentarischen Kommissio-nen behandelt Es ist auf die Zielsetzungen fuumlr das Jahr 2020 ausgerichtet und soll langfristig wirken Konkret vorgesehen ist etwa eine Erhoumlhung der CO2-Abgabe auf Brennstoffe mit einer gleichzeitigen Verstaumlrkung des Ge-baumludesanierungsprogramms Weiter soll die bisherige kostendeckende Einspeiseverguumltung zu einem Verguuml-tungssystem mit Direktvermarktung umgebaut werden Dafuumlr sind eine Totalrevision des Energiegesetzes sowie Anpassungen in weiteren neun Bundesgesetzen noumltig Berechnungen zufolge soll der Energieverbrauch mit der Umsetzung des ersten Massnahmenpakets bis 2050 we-sentlich abnehmen Insbesondere bei den fossilen Ener-gietraumlgern wird mit grossen Ruumlckgaumlngen gerechnet

Volkswirtschaftlich werden sich die Kosten fuumlr die Um-setzung der Energiestrategie in Grenzen halten Den er-heblichen Investitionen in die Energieeffizienz stehen Ein-sparungen bei den Energieimporten gegenuumlber Es sind jedoch betraumlchtliche Investitionen insbesondere fuumlr den Zubau der Stromproduktion aus erneuerbaren Energietrauml-gern noumltig

Zusammensetzung des Endshyenergieverbrauchs (ohne Treibshystoffverbrauch des internationalen Flugverkehrs) bis 2050 auf der Basis des vorliegenden Massnahmen pakets des UVEK (Quelle Prognos)

Ein Markt mit ZukunftEine nachhaltige Energiepolitik ist nur moumlglich wenn die Schweiz staumlrker auf erneuerbare Energien setzt Heute stammen nur gerade 20 Prozent der verbrauchten Ener-gie aus erneuerbaren Quellen Die laufenden Arbeiten zur Energiestrategie 2050 zeigen dass Sonnen- und Wind-energie Wasserkraft und Geothermie in der Schweiz uumlber grosse Potenziale verfuumlgen deren optimale Er-schliessung jedoch durch verschiedene Faktoren behin-dert beziehungsweise verzoumlgert wird Dazu gehoumlren die

langwierigen Bewilligungsverfahren und die teils fehlende Akzeptanz in der Bevoumllkerung aber auch die begrenzten Foumlrdermittel zur Realisierung entsprechender Projekte Mit der Energiestrategie 2050 sollen guumlnstigere Rahmenbe-dingungen geschaffen werden

Die Sicherung des langfristigen Energieangebots wird zu einer der zentralen Herausforderungen und bietet gleichzeitig grosse Chancen fuumlr den Wirtschaftsstandort

laquoFortschritte bei der Ressourcen-effizienz und den erneuerbaren

Energien ermoumlglichen Wettbewerbs-vorteile auf den Exportmaumlrktenraquo

15COMPETENCE | 2014

Schweiz Bereits heute verfuumlgt die Schweiz uumlber ein gros-ses industrielles und technologisches Know-how gerade im Bereich Cleantech Fortschritte bei der Ressourcen-effizienz und den erneuerbaren Energien ermoumlglichen Wett bewerbsvorteile auf den Exportmaumlrkten sie schaffen neue Arbeitsplaumltze und erhoumlhen die Unabhaumlngigkeit in der Rohstoffversorgung Zusammen mit dem Masterplan Cleantech traumlgt die Energiestrategie 2050 dazu bei dass sich die Schweiz hier als Vorreiterin profilieren kann

Uumlbergang in ein LenkungssystemDamit sich der Markt in Richtung Nachhaltigkeit entwickelt werden kuumlnftig weitere Massnahmen noumltig sein Waumlhrend das erste Massnahmenpaket noch stark auf Foumlrderung zielt wird die Energiepolitik ab 2021 gemeinsam mit der Klimapolitik strategisch neu ausgerichtet Das bestehen-de Foumlrdersystem basiert auf einem Netzzuschlag fuumlr die Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Ener-gien und einer Teilzweckbindung der CO2-Abgabe fuumlr das Gebaumludeprogramm Es soll durch ein marktwirtschaftli-ches Lenkungssystem abgeloumlst werden mit dem sich die Energie -und Klimaziele effektiv und oumlkonomisch effizient erreichen lassen Konkret werden erneuerbare Energien und Gebaumludesanierungen zunaumlchst noch staatlich unter-stuumltzt ndash langfristig soll der Markt spielen Das Bundesamt fuumlr Energie ist daran in Zusammenarbeit mit dem Eidge-noumlssischen Finanzdepartement und dem Staatssekretariat fuumlr Wirtschaft zu konkretisieren wie das umzusetzen ist

Wissenstransfer staumlrken Gluumlcklicherweise herrscht an den Hochschulen und ihren Instituten im Energiebereich Aufbruchstimmung Fuumlr Un-ternehmen ist es jedoch oft schwierig das an Hochschu-len vorhandene Wissen abzuholen gerade wegen der grossen Diversitaumlt der Forschung und der Fragmentierung des Wissens auf zahlreiche Institute Gleichzeitig stossen mit Unternehmen der Informations- und Kommunikations-technologie neue Akteure mit grossem Know-how in den Energieversorgungsmarkt vor Energieversorgungsunter-nehmen in ganz Europa ruumlcken vom reinen Stromverkauf ab und positionieren sich vermehrt als Anbieter von umfas-senden Energiedienstleistungen Diesem Trend muss sich

Walter SteinmannDr Walter Steinmann ist seit 2001 Direktor des Bundesamts fuumlr Energie (BFE) Er hat an der Universitaumlt Zuumlrich Volkswirtschaft studiert und seine Studien 1988 mit einer Doktorarbeit an der Universitaumlt Konstanz ab geschlossen Von 1981 bis 1988 war er Delegierter fuumlr Wirtschaftsfoumlrderung des Kantons Basel-Landschaft und arbeitete an-schliessend als Beauftragter fuumlr Wirtschafts-foumlrderung des Kantons Solothurn Von 1994 bis 2001 war er Chef des Amts fuumlr Wirtschaft und Arbeit des Kantons Solothurn

auch die Schweiz stellen und ihre Kraumlfte vermehrt buumlndeln um Synergien zwischen Wirtschaft und Forschung zu schaffen Nur so kann der Technologiestandort Schweiz staumlrker werden Der Bund setzt bereits Massnahmen um damit der Transfer der Forschungsresultate in den Markt sichergestellt wird Dazu gehoumlrt der Aufbau vernetzter Forschungskompetenzzentren der Swiss Competence Centers for Energy Research Auch die ZHAW School of Management and Law beteiligt sich in diesem Rahmen massgeblich an den nationalen Forschungsaktivitaumlten zum Umbau des Schweizer Energiesystems

Mit der Energiestrategie 2050 hat die Schweiz die Chance sich aus ihrer Abhaumlngigkeit von den fossilen Energien zu loumlsen den Export fortschrittlicher Technologien zu staumlrken und mit dem ressourcen- und klimaschonenden Umgang mit Energie international eine Fuumlhrungsrolle zu uumlberneh-men Nutzen wir diese Chance

Weitere Informationen unter wwwenergiestrategie2050ch

laquoDie Schweiz muss ihre Kraumlfte vermehrt buumlndeln um

Synergien zwischen Wirtschaft und Forschung zu schaffenraquo

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Eine der wichtigsten Zielsetzungen der Energiewende wie sie der Bundesrat formuliert hat ist der Ausbau der er-neuerbaren Energien Der Anteil von Wasser- Wind- und Sonnenkraft sowie Erdwaumlrme am Energiemix soll massiv erhoumlht werden Die durchschnittliche inlaumlndische Produk-tion ndash ohne Wasserkraft ndash soll im Jahr 2020 bei mindes-tens 4 400 Gigawattstunden (GWh) und im Jahr 2035 bei mindestens 14 500 GWh liegen Bei der Produktion von Elektrizitaumlt aus Wasserkraft wird bis im Jahr 2035 ein Aus-bau der Produktion auf 37 400 GWh angestrebt Zum Ver-gleich Die Jahresproduktion des AKW Muumlhleberg liegt bei rund 2 600 GWh Das sind houmlchst ambitioumlse Ziele

Der geplante Ausbau der Nutzung von erneuerbaren Energien bedarf zahlreicher Anlagen ndash Windparks Was-serkraftwerke oder groumlsserer Solaranlagen ndash mit entspre-chend hohem Raumbedarf Der Bundesrat sieht nicht vor die Umwelt- und Heimatschutzgesetze massgeblich zu lo-ckern obwohl es regelmaumlssig zu Konflikten zwischen den Schutzinteressen und Energienutzungsanlagen sowie zu entsprechenden Gerichtsverfahren kommt ndash wie juumlngst im Goms bei der Planung eines Wasserkraftwerks (BGE 140 II 262 ff) Das Bundesgericht nimmt jeweils eine im Resul-tat schwer voraussehbare Interessenabwaumlgung vor und stellt die Leistung der Anlage sowie die Faumlhigkeit zeitlich flexibel und marktorientiert zu produzieren den Schutz-interessen gegenuumlber

Ein weiteres Problem besteht darin dass groumlssere Anla-gen bei der Nachbarschaft oder in einer breiteren Bevoumll-kerung keine Akzeptanz finden So waumlre zwar im Kanton

Loumlsungen suchen bevor es zum Rechtsstreit kommt

Hochschulperspektive

Der Bundesrat sieht im Rahmen der Energiestrategie 2050 vor den Anteil der erneuerbaren Energien massiv zu erhoumlhen Die vermehrte Nutzung erneuerbarer Energietraumlger fuumlhrt jedoch zu einem Interessenkonflikt zwischen Wirtschaftlichkeit umwelt-rechtlichen Anforderungen und sozialer Akzeptanz Diesen gilt es mit klaren rechtlichen Grundlagen zu loumlsenText Reneacute Wiederkehr und Andreas Abegg

Zuumlrich Wind vorhanden doch dreht sich dort bis heute keine einzige grosse Windturbine Gegen die einzige bis-her geplante Versuchsanlage am Stuumlssel oberhalb Baumlrets-wil hat eine Interessengemeinschaft Rekurs erhoben und will die geplante Windmessanlage bis vor Bundesgericht bekaumlmpfen Diese Probleme ndash die Kollision mit Schutz-interessen und die Angst vor Nachbarrekursen ndash koumlnnen im Ergebnis dazu fuumlhren dass die Energieunternehmen auf den Bau von Anlagen verzichten obwohl ein erhebli-ches Potenzial vorhanden waumlre

Loumlsungsansatz des BundesratsIm Rahmen der Energiepolitik 2050 schlaumlgt der Bundesrat vor dass die Kantone mit Unterstuumltzung des Bundes ein Konzept fuumlr den Ausbau der erneuerbaren Energien er-arbeiten und Gebiete fuumlr die Nutzung durch erneuerbare Energien bestimmen Nach der Genehmigung durch den Bund dient das Konzept den Kantonen als Grundlage fuumlr ihre Richtplanung Dadurch wird fuumlr die kommunalen und kantonalen Behoumlrden verbindlich festgelegt in welchen Gebieten Bewilligungen fuumlr erneuerbare Energieproduktio-nen erteilt werden koumlnnen

Welche Gebiete sich tatsaumlchlich fuumlr den Ausbau der er-neuerbaren Energien eignen ist bisher allerdings kaum erforscht worden Bund Kantonen und Gemeinden fehlen die Grundlagen um die Eignung von Standorten und Ge-bieten aus rechtlicher Sicht zu beurteilen Es ist deshalb einfacher ungeeignete Gebiete von der Nutzung auszu-nehmen Vor allem Gebiete welche fuumlr Natur- und Hei-matschutz wertvoll sind koumlnnen zu einer sogenannten

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schen und rechtsstaatlichen Verfahren aus So wurde zum Beispiel im Kanton Zuumlrich der Heimatschutz gegenuumlber dem Interesse an neuen Solaranlagen bereits zuruumlck-gestuft und das entsprechende Bewilligungsverfahren gestrafft Es wird sich gerade bei der Wahl von Stand-orten fuumlr die Nutzung erneuerbarer Energien zeigen ob die Energiewende ndash wie zuweilen befuumlrchtet ndash auf Kosten von Demokratie und Rechtsstaat sowie auf Kosten von Natur- und Heimatschutz geht oder ob wir die gegenwaumlr-tigen Strukturen unter transparenter und angemessener Wahrung aller Interessen anpassen koumlnnen um die an-spruchsvollen Energieziele zu erreichen

Negativzone fuumlhren Auch andere Anliegen wie die Erhal-tung von landwirtschaftlichem Kulturland und Wald der Schutz des Vogelzugs oder die Beduumlrfnisse der Luftfahrt sind zu beruumlcksichtigen Zudem ist zu beachten dass der Bau neuer Anlagen einen Ausbau des Energienetzes nach sich ziehen kann was wiederum zu Konflikten mit anderen raumrelevanten Interessen fuumlhrt

InteressenabwaumlgungUm die erneuerbare Energie wie geplant massiv foumlrdern zu koumlnnen muumlssen die notwendigen Anlagen rasch rea-lisiert werden In den hierzu notwendigen Bewilligungs- und Rechtsmittelverfahren muumlssen die Zielkonflikte der verschiedenen Interessen transparent gemacht und unter gleichberechtigter Abwaumlgung geloumlst werden Das gilt so-wohl fuumlr das konkrete Rechtsmittelverfahren vor Behoumlrden und Gerichten wie auch fuumlr eine vorgezogene Mediations-phase

Hier setzen die vom Bund initiierten Forschungen zur Energiewende auf drei Ebenen an Zunaumlchst muumlssen die Details der komplizierten Bewilligungsverfahren im Aus-tausch mit der Gerichtspraxis ausgearbeitet werden Das sorgt fuumlr Rechtssicherheit Auf einer zweiten Ebene gilt es die bestehenden kantonal reglementierten Verfahren zu vereinheitlichen und wenn moumlglich zu vereinfachen Damit es zu rechtsstaatlich tragfaumlhigen und sozial akzep-tierten Loumlsungen kommt sind die Rechte aller Beteiligten zu wahren jene von Gemeinden Kantonen und Bund als Behoumlrden von Energieunternehmen als Gesuchsteller so-wie von Nachbarn und beschwerdeberechtigten Verbaumln-den als Gegner Schliesslich sind auf einer dritten Ebene neue Hilfsmittel zu suchen mit denen Gebiete und Stand-orte bezeichnet werden koumlnnen die sich fuumlr die Nutzung erneuerbarer Energien besonders eignen Das Bewilli-gungsverfahren wird hiermit transparenter berechenbarer und ndash so die Hoffnung ndash kuumlrzer Mit klaren Rechtsgrund-lagen koumlnnen die Beteiligten zudem Loumlsungen suchen bevor es uumlberhaupt zum Rechtsstreit kommt Die geplante Foumlrderung erneuerbarer Energien kommt nicht ohne Veraumlnderungen in bestehenden demokrati-

Andreas AbeggProf Dr Andreas Abegg ist Leiter des Zen-trums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht an der ZHAW School of Management and Law Privatdozent an der Universitaumlt Fribourg und praktizierender Rechtsanwalt Er beschaumlf-tigt sich mit den rechtlichen Schnittpunkten zwischen Staat und Privaten insbesondere in den Bereichen Regulierung Verwaltungs-organisation und Energie Andreas Abegg forscht im Rahmen des vom Bund mitfinan-zierten Competence Center for Research in Energy Society and Transition (CREST) in der Forschungsgruppe Energy Policy Analysis

Reneacute WiederkehrProf Dr Reneacute Wiederkehr ist stellvertre-tender Leiter des Zentrums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht an der ZHAW School of Management and Law und Titularprofessor der Universitaumlt Luzern Er forscht und lehrt in den Bereichen Verwaltungsrecht und oumlf-fentliches Prozessrecht sowie im Rahmen des vom Bund mitfinanzierten Competence Center for Research in Energy Society and Transition (CREST) in der Forschungsgruppe Energy Policy Analysis

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Negawatt statt Megawatt

Energieeffizienzmassnahmen finanziell lohnen Zudem ver-fuumlgen kleine und mittlere Unternehmen selten uumlber Ener-gieverantwortliche oder Umweltbeauftragte die im Akqui-sitionsprozess gezielt angesprochen werden koumlnnen

Schwaumlchen bisheriger ProgrammeEine Umfrage der ZHAW bei Programmverantwortlichen zeigt diverse Schwaumlchen laufender Effizienzprogramme auf Ein haumlufiges Problem sind falsche Anreize So wird vornehmlich vermittelt wie mit Energieeffizienz Geld ge-spart wird Offensichtlich geht man davon aus dass Un-ternehmen praktisch nur uumlber finanzielle Anreize zu moti-vieren sind Bei den angepeilten KMU fallen Energiekosten jedoch kaum ins Gewicht Beratungsaufwand und Ergeb-nis stehen umso mehr im Missverhaumlltnis je weniger Ener-gie verbraucht wird Weiter scheinen die Programmver-antwortlichen ihre Zielgruppen kaum zu segmentieren und als unterschiedliche Kundensegmente wahrzunehmen Entsprechend beinhalten die meisten Programme ein Standardangebot mit einem breiten Spektrum an Mass-nahmen die oft nicht branchenspezifisch zugeschnitten sind Auch die Kundenansprache erfolgt in der Regel un-differenziert und die Moumlglichkeiten der Neuen Medien wer-den kaum genutzt

Keine langfristige PerspektiveEin Grossteil der Programme ist nicht auf Kundenbindung ausgelegt Insbesondere werden kaum Informationen er-fasst welche die Planung einer weiterfuumlhrenden Bezie-

Schweizer Unternehmen koumlnnten auf wirtschaftliche Art und Weise bis zu 30 Prozent ihres Energieverbrauchs ein-sparen Speziell bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) die immerhin 10 Prozent des Schweizer Stromver-brauchs verantworten ist das Sparpotenzial aber ungenuuml-gend ausgeschoumlpft

Energieeffizienzprogramme wirken nichtBehoumlrden Energieversorger und private Organisatio-nen haben in den letzten Jahren wiederholt Programme lanciert um Energieeinsparungen gezielt zu foumlrdern Al-lerdings haben bislang weniger als 1 Prozent der rund 300 000 Schweizer KMU an einem solchen Programm teilgenommen und die Umsetzungsquoten sind ebenfalls gering Uumlber die Gruumlnde die Unternehmen daran hindern an Energieeffizienzprogrammen teilzunehmen und ent-sprechende Massnahmen umzusetzen sind sich die Pro-grammverantwortlichen uneinig Oft werden Zeitmangel Priorisierung anderer Investitionen fehlende Mittel und zu lange Amortisationszeiten als Hemmnisse genannt Ge-nerell scheint es dass bei Kleinunternehmen Zeit- und Geldmangel eine wichtige Rolle spielen waumlhrend bei Un-ternehmen mittlerer Groumlsse eher der Mangel an Motiva tion und Bewusstsein ausschlaggebend ist Energiekosten machen bei KMU einen verschwindend kleinen Anteil der Gesamtkosten aus sodass die Prioritaumlten fuumlr Investitionen haumlufig anders liegen Man investiert beispielsweise lieber in Betriebsmittel zur Erhoumlhung der Produktivitaumlt als in die Reduktion der (bereits tiefen) Energiekosten obwohl sich

Energieeffizienz ist ein zentraler Pfeiler der Energiestrategie 2050 Die Schweiz gehoumlrt zu den Spitzenreitern punkto Energie effizienz auch dank ihrem dominanten Tertiaumlrsektor Dennoch liegen auch bei hiesigen Unternehmen grosse Sparpotenziale brach Wie diese genutzt werden koumlnnen untersucht die ZHAW in einem interdisziplinaumlren ProjektText Rolf Rellstab

Hochschulperspektive

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brauch betrifft erhoumlhte Arbeitssicherheit weniger Laumlrm-belastung oder geringerer Rohstoffverbrauch Der Wert solcher laquoNon-Energy Benefitsraquo kann fuumlr Unternehmen bis zu 250 Prozent der energetischen Einsparungen betra-gen Es geht also darum KMU gezielter auf die Chancen der Energieeffizienz hinzuweisen Schliesslich gilt es auch Unternehmen wissen zu lassen dass sich ihre Kunden fuumlr dieses Thema interessieren sowie ihnen dabei zu helfen ihr Energie effizienzengagement sichtbar zu machen Waumlh-rend bereits heute viele Unternehmen bestaumltigen dass sich ihr Image bei den Kunden durch die Teilnahme an einem Energieeffizienzprogramm verbessert hat achten erst wenige Firmen auch bei der Kommunikation darauf dass entsprechende Massnahmen gebuumlhrend bekannt gemacht werden

hung zu den Programmteilnehmenden ermoumlglichen wuumlr-den Angaben zu Stromverbrauch Houmlhe und Anteil der Energiekosten Anzahl Mitarbeitende und Umsatz waumlren wertvolle Informationen im Hinblick auf allfaumlllige Folgepro-gramme Im Vordergrund stehen zudem bei den meisten Programmen technische Loumlsungen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz Eine nachhaltige Verhaltensaumlnderung bei Mitarbeitenden oder auf Managementebene wird hingegen kaum verfolgt Auch ein Monitoring der Wirkung von Ener-gieeffizienzprogrammen ist bislang nicht vorhanden oder

wird zu wenig systematisch betrieben So wird zum Bei-spiel die effektive Energieeinsparung vielfach nicht erfasst und gepruumlft Das tatsaumlchliche Kosten-Nutzen-Verhaumlltnis einzuschaumltzen ist somit schwierig Dass die bestehenden Energieeffizienzprogramme inhaltlich durchaus Anklang finden zeigen Ruumlckmeldungen von Unternehmen die in der Vergangenheit daran teilgenommen haben Die Befrag-ten beurteilen ihre Erfahrungen mehrheitlich positiv Aus Sicht der Unternehmen lagen die Energieeinspar effekte im Bereich der Erwartungen Viele wuumlrden nochmals an einem solchen Programm teilnehmen was die oben ge-nannten Versaumlumnisse umso bedauerlicher macht

Wirksamkeit verbessernWie koumlnnen KMU zum Energiesparen motiviert werden Aus Marketingsicht beinhaltet ein sinnvolles Programm eine segmentspezifische Kundenansprache die den laquoReifegradraquo (Wissen Einstellungen und Verhalten) eines Unternehmens in Bezug auf Energieeffizienz beruumlcksich-tigt Zweitens braucht es eine klare Kundenbeziehungs-strategie welche eine wiederholte Teilnahme zum Ziel hat Bei den Anreizen einzig die finanziellen Aspekte wie etwa erwartete Kostensenkungen oder Foumlrderbeitraumlge hervor-zuheben scheint wenig erfolgversprechend Der Fokus wird in Zukunft wohl vermehrt darauf liegen denjenigen Nutzen hervorzuheben der nicht direkt den Energiever-

Rolf RellstabRolf Rellstab ist wissenschaftlicher Mit-arbeiter und Projektleiter am Institut fuumlr Marketing Management der ZHAW School of Management and Law Seine Arbeits-schwerpunkte liegen im Bereich Kommuni-kation Kundenbeziehungsmanagement und B-to-B-Marketing

Projektziel und VorgehensweiseIm ZHAW-Projekt laquoNegawatt statt Megawattraquo werden optimierte Vorgehensweisen entwickelt um KMU mit einem jaumlhrlichen Strom-verbrauch zwischen 10 und 500 MWh zum Energiesparen zu moti-vieren Der Begriff laquoNegawattraquo bezeichnet die eingesparte Energie die zu virtuellen Negawatt-Kraftwerken kombiniert wird So wird anschaulich aufgezeigt wie viel Energie dank diesen Einsparungen weniger produziert werden muss Das Projekt beinhaltet eine interna-tionale Literaturstudie zu den Erfolgsfaktoren und Hemmnissen von Energieeffizienzprogrammen eine Umfrage bei Anbietern solcher Programme sowie eine Befragung von KMU Aus den Ergebnissen dieser drei Teilstudien werden Hypothesen im Hinblick auf ein idea-les Energieeffizienzprogramm abgeleitet In einem Folgeprojekt sol-len die Hypothesen im Rahmen eines Pilotprogramms uumlberpruumlft und weiterentwickelt werden Das Projekt wird durch den WWF Schweiz die Stiftung Pro Evolution das Bundesamt fuumlr Energie (BFE) und die Elektrizitaumltswerke des Kantons Zuumlrich (EKZ) unterstuumltzt Weitere In-formationen wwwzhawchnegawatt

laquoEine nachhaltige Verhaltens - aumlnderung bei Mitarbeitenden oder auf Managementebene

wird kaum verfolgtraquo

Wie viel Heizoumll wird jaumlhrlich in Winterthur verbraucht

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Klima im Wandel ndash Emissionsrechte im Handel

Der Klimawandel laumlsst sich anhand des Treibhauseffekts veranschaulichen Die Treibhausgase bewirken dass kurz-welliges Sonnenlicht zur Erdoberflaumlche gelangt verhindern jedoch dass langwellige Waumlrmestrahlung von der Erde nach aussen dringt Somit kann die Waumlrme nicht mehr entweichen und die Temperatur steigt Der Ausstoss von Treibhausgasen die vor allem bei der Verbrennung von fossilen Energietraumlgern wie Kohle Gas und Oumll entstehen hat seit der industriellen Revolution stark zugenommen und den natuumlrlichen Treibhauseffekt verstaumlrkt Eine Zunahme der Haumlufigkeit und Intensitaumlt meteorologischer und hydro-logischer Grossereignisse wie Stuumlrme und Uumlberschwem-mungen sind die Folge ndash mit gravierenden oumlkologischen oumlkonomischen und sozialen Konsequenzen

Der 2013 veroumlffentlichte Bericht der internationalen Exper-tengruppe Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zeigt auf dass die globale Durchschnittstempera-tur in den letzten 130 Jahren um 085deg Celsius gestiegen

Der Klimawandel findet nicht in ferner Zukunft sondern bereits jetzt statt Um ihn fuumlr Mensch und Umwelt auf einem ertraumlg-lichen Niveau zu stabilisieren muumlssen die Treibhausgas-emissionen reduziert werden Der Emissionshandel soll dazu beitragen sie dort zu mindern wo die geringsten Kosten an-fallen So kann das gesetzte Mengenziel oumlkonomisch effizient erreicht werdenText Regina Betz

ist Ohne Minderungsanstrengungen wird bis 2100 ein mehr als fuumlnffacher Anstieg prognostiziert Um die Treib-hausgaskonzentration in der Atmosphaumlre auf einem fuumlr Mensch und Umwelt akzeptablen Niveau zu stabilisieren muss die Erwaumlrmung bei unter 2deg Celsius stagnieren Da-fuumlr muumlssen laut dem 2014 veroumlffentlichten Bericht des IPCC die globalen Treibhausgasemissionen (THGE) bis 2050 gegenuumlber 2010 mindestens halbiert und bis 2100 um rund 100 Prozent reduziert werden 1997 hat sich die internationale Staatengemeinschaft im Kyoto-Protokoll fuumlr die Jahre 2008 bis 2012 erstmals auf voumllkerrechtlich ver-bindliche Ziele fuumlr den Ausstoss von THGE in den entwi-ckelten Laumlndern geeinigt aktuell finden Verhandlungen fuumlr die Festlegung neuer Ziele statt

Cap and TradeZur Zielerreichung sieht das Kyoto-Protokoll unter ande-rem den Emissionshandel auf Staatenebene vor Zahl-reiche Laumlnder wenden dieses Instrument aber haumlufiger auf Unternehmensebene an Das Grundprinzip ist einfach Die Houmlchstmenge (Cap) an erlaubten Gesamtemissionen wird festgelegt und an die regulierten Unternehmen im Emissions rechtehandelssystem (EHS) verteilt Die Unter-nehmen sind verpflichtet fuumlr jede emittierte Tonne Kohlen-dioxid ein Emissionsrecht einzureichen ansonsten sind Sanktionszahlungen faumlllig Will ein Unternehmen uumlber die ihm zugeteilte Menge hinaus emittieren muss es ein an-deres Unternehmen finden das ihm die benoumltigte Menge an Emissionsrechten verkauft (Trade) Unternehmen mit hohen Minderungskosten werden dabei Emissionsrechte hinzukaufen und Unternehmen mit niedrigen Kosten wer-den ihre Emissionen mindern indem sie etwa Biomasse statt Kohle verbrennen und uumlberschuumlssige Emissions-rechte verkaufen Durch den Handel koumlnnen die erforder-lichen Emissionsminderungen dort realisiert werden wo sie mit den geringsten Kosten verbunden sind Am Markt stellt sich ein Preis fuumlr die Emissionsrechte ein der Ange-bot und Nachfrage zum Ausgleich bringt

So einfach das Prinzip ist so schwierig ist seine Umset-zung Das System bedingt dass die Regierungen Rech-te fuumlr die Nutzung der Atmosphaumlre schaffen die zu einer

Hochschulperspektive

22 COMPETENCE | 2014

Hochschulperspektive

Reduktion der Emissionen gegenuumlber einer Referenzent-wicklung fuumlhren dem sogenannten Business-as-usual-Szenario Doch die Abschaumltzung dieses Szenarios also der Entwicklung der Emissionen ohne Mengenbegren-zung ist schwierig wie die nachfolgenden Ausfuumlhrungen zum Emissionshandel in der EU zeigen

Der Emissionshandel in der EUDas EU-EHS ist der weltweit groumlsste Markt von Emissions-rechten Alle 28 EU-Staaten sowie Liechtenstein Island und Norwegen sind daran beteiligt Die Schweiz wuumlrde sich gerne anschliessen Das EU-EHS leidet seit seiner Einfuumlhrung im Jahr 2005 unter einem Uumlberangebot das sich mittlerweile auf rund 2 Milliarden Emissionsrechte be-laumluft Dies entspricht ungefaumlhr den vom System regulierten Emissionen eines Jahres Neben den unvorhergesehenen oumlkonomischen Entwicklungen durch die globale Finanz-krise traumlgt auch der starke Zubau an erneuer baren Ener-gien zu einem houmlheren Ruumlckgang der Emissio nen bei als geplant Der Hauptgrund fuumlr den derzeitigen Uumlberschuss liegt jedoch darin dass die regulierten Unternehmen ne-ben den Europaumlischen Emissionsrechten ndash European Union Allowances (EUAs) ndash auch auslaumlndische Emissions-minderungszertifikate ndash Certified Emission Reductions (CERs) ndash zu einem bestimmten Anteil anrechnen koumlnnen Mit dem sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) koumlnnen Industrienationen in Entwicklungslaumlndern emissionsmindernde Projekte finanzieren und sich die da-bei entstehenden THGE-Reduktionen mithilfe von CERs anrechnen lassen

Durch diese verschiedenen Faktoren hat sich ein Uumlberan-gebot entwickelt das den Preis der EUAs und CERs stark sinken liess Der Preis belaumluft sich derzeit auf rund fuumlnf Euro pro EUA Die bisherigen Reformanstrengungen wie etwa das sogenannte Backloading das Verschieben von Auktionen in spaumltere Jahre um die Menge zu verknappen haben bisher kaum zu einer Preiserhoumlhung gefuumlhrt

Die Schweiz als PreishochburgDer Schweizer Markt wuumlrde bei einem Zusammen-schluss nur rund 03 Prozent des EU-EHS ausmachen

Die Schweiz wuumlrde somit als Preisnehmerin agieren Das heisst der EU-Preis sollte auch in der Schweiz gelten Umso erstaunlicher ist es daher dass der Schweizer Preis pro Emissionsrecht derzeit bei rund 40 Franken liegt ob-wohl die Verbindung des Schweizer EHS mit dem EU-EHS geplant ist (sogenanntes Linking) Das auf der Basis des revidierten CO2-Gesetzes von 2012 und der CO2-Verord-nung verabschiedete System das den Emissionshandel am 1 Januar 2013 fuumlr 38 Unternehmen beziehungsweise 55 Anlagen in der Schweiz verbindlich eingefuumlhrt hat uumlber-nimmt weitestgehend die Regeln des EU-EHS Das neue System hat das bisherige freiwillige EHS in der Schweiz abgeloumlst Die im EHS erfassten Unternehmen sind von der CO2-Abgabe befreit Die hohe Kompatibilitaumlt des Schwei-zer EHS und des EU-EHS sollte ein schnelles Linking er-moumlglichen wobei die Verhandlungen durch die Annahme der Einwanderungsinitiative zum Stillstand gekommen sind Ein moumlglicher Erklaumlrungsansatz ist daher dass der hohe Preisunterschied die derzeitige Unsicherheit uumlber den Ausgang der Linking-Verhandlungen widerspiegelt Gehen die Schweizer Unternehmen davon aus dass kein Linking stattfindet sollte sich der Preis anhand der Minderungs-kosten und der Knappheit im Schweizer EHS bilden Fuumlr die Unternehmen ist es immer noch guumlnstiger den der-zeitigen Preis von 40 Franken fuumlr die Emissionsrechte zu bezahlen als eine Busse von 125 Franken pro fehlendes Emissionsrecht Zusaumltzlich zur Busse ist das Unternehmen verpflichtet die fehlenden Rechte im naumlchsten Jahr nach-zureichen Auch hier hat sich die Schweiz stark am EU-EHS orientiert bei dem die Busse bei 100 Euro pro EUA plus Wiedergutmachung liegt

Allokation beeinflusst den WettbewerbDie Gesamtmenge an Emissionsrechten (Cap) leitet sich aus den historischen Emissionen der teilnehmenden EHS-Unternehmen ab Fuumlr bestehende Anlagen die bereits vor 2013 am EHS in der Schweiz beteiligt waren setzt sie sich aus der Summe der durchschnittlich zugeteilten Emis-sionsrechte der ersten Verpflichtungsperiode (2008 bis 2012) zusammen fuumlr Anlagen die 2013 hinzukommen aus der Summe der durchschnittlichen Emissionen der

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fuumlr neue Anlagen in einer Reserve zuruumlckbehalten deren Uumlberschuumlsse zweimal jaumlhrlich versteigert werden Die Zu-teilung der Emissionsrechte hat etwas laumlnger gedauert so-dass sie in der Schweiz fuumlr die Jahre 2013 und 2014 erst im Februar 2014 erfolgte Das mag auch einer der Gruumlnde sein dass bisher kein Handel auf dem Sekundaumlrmarkt fuumlr den die Berner Kantonalbank eine eigene Emissions-handelsplattform bereitgestellt hat stattgefunden hat Das erste Preissignal war deshalb die Auktion der Uumlberschuumls-se aus der Neuemittentenreserve Diese fand vom 14 bis 21 Mai 2014 statt und erzielte fuumlr die 150 000 Emissions-rechte einen Preis von 4025 Franken pro Emissionsrecht

Wie sich die Liquiditaumlt im Schweizer Markt in Zukunft ent-wickeln wird und ob ein Linking mit dem EU-EHS und so-mit eine Angleichung der Schweizer Preise an die EU-EHS-Preise stattfinden wird bleibt abzuwarten Letzteres waumlre zwar aus oumlkonomischer Sicht zu begruumlssen da ein groumls-serer liquider Markt mit einheitlichem Preissignal als effizi-enter bewertet wird Aus oumlkologischer Sicht scheint jedoch ein Linking der Systeme ohne weitere Reformen des EU-EHS nicht wuumlnschenswert da es die Minderungsanreize in der Schweiz als Folge des Angebotsuumlberschusses an Emissionsrechten in der EU massiv reduzieren wuumlrde

Jahre 2009 bis 2011 Diese Summe wird jaumlhrlich um 174 Prozent reduziert analog der Regelung im EU-EHS

Neben der Festlegung der Obergrenze ist die Ausgestal-tung der Zuteilungsregeln politisch am schwierigsten da diese Verteilungswirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussen Bis 2012 wurden die Emissionsrechte in der EU daher groumlsstenteils kostenlos zugeteilt Seit 2013 werden rund 48 Prozent der Emissionsrechte versteigert wobei diese vor allem von Elektrizitaumltsfirmen gekauft wer-den muumlssen Da diese nicht im internationalen Wettbewerb

stehen konnten sie den Preis der gratis erhaltenen Emis-sionsrechte an die Elektrizitaumltskonsumenten weitergege-ben und hohe Gewinne erzielen Unternehmen aus Sek-toren die im internationalen Wettbewerb stehen koumlnnen hingegen die Kosten fuumlr die Emissionsrechte nicht an ihre Endkunden weitergeben ohne betraumlchtliche Nachteile in Kauf zu nehmen Es besteht daher das Risiko dass diese Firmen in Laumlnder ohne Klimapolitik abwandern Um dieses Risiko zu senken erhalten Unternehmen bei denen ein Risiko auf Abwanderung besteht auch in Zukunft weitest-gehend kostenlos Emissionsrechte zugeteilt Die Zuteilung basiert dabei auf sogenannten Benchmarks (Tonne Koh-lendioxid pro Tonne Produkt) die auf der Basis der effizi-entesten 10 Prozent der Unternehmen berechnet und mit historischen Produktionsdaten multipliziert werden

Noch kein Handel in der SchweizDie Schweiz hat die Benchmarks des EU-EHS uumlbernom-men Da in der Schweiz vor allem stark im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen aus den Sektoren Zement Papier Chemie Stahl und Raffinerien unter den Emissionshandel fallen werden fast alle Emissionsrechte kostenlos zugeteilt Ein kleiner Anteil von 5 Prozent wird

Regina BetzDr Regina Betz ist Dozentin fuumlr Energie- und Umweltoumlkonomie an der ZHAW School of Management and Law Seit 2014 leitet sie den volkswirtschaftlichen Teil der Ener-gy Policy Analysis Group des Zentrums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht das Mitglied des Schweizer Competence Centers for Research in Energy Society and Transition (CREST) ist Zuvor lehrte sie an der University of New South Wales Australia Umwelt- und Klimaoumlkonomie und leitete als Co-Direktorin das Centre for Energy and Environmental Markets (CEEM) 1998 bis 2004 arbeitete sie als Wissenschaftlerin am Fraunhofer-Institut fuumlr System- und Innovationsforschung ISI in Deutschland

laquoNeben der Festlegung der Ober grenze ist die Ausgestaltung der Zuteilungsregeln politisch am

schwierigsten da diese Verteilungs wirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussenraquo

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nicht vollstaumlndig genutzt werden kann In der Energiestra-tegie des Bundes ist gemaumlss einem Szenario bis 2050 ein Zubau auf knapp 12 TWh pro Jahr Stromproduktion aus Fotovoltaik angedacht Dies bedingt den Bau von Fotovol-taikanlagen mit einer installierten Spitzenleistung von etwa 12 Gigawattpeak (GWp) und einem Flaumlchenbedarf von rund 84 000 000 Quadratmetern Dieser Flaumlchenbedarf ist auf den bestehenden Daumlchern in der Schweiz verfuumlgbar

An einem schoumlnen Sommertag koumlnnen diese Anlagen dann also etwa 12 GW erzeugen die maximale Ver-brauchslast liegt im Sommer aber nur bei rund 8 GW Es entsteht ein Uumlberschuss von 4 GW die Speicherleistung der Schweizer Pumpspeicheranlagen betraumlgt heute aber nur 15 GW 25 GW Leistung koumlnnen in diesem Szenario also gar nicht genutzt werden An einem Wintertag mit Hochnebel erzeugen diese Anlagen uumlberhaupt keinen Strom die Verbrauchslast liegt aber mit 10 GW noch houml-her als im Sommer Hier entsteht eine Luumlcke die mit ande-ren Energieformen oder Importen gedeckt werden muss

Speichern uumlbertragen oder einsparenUm diesem Problem zu begegnen gibt es verschiedene Loumlsungsansaumltze Ein Ansatz ist die Energie lokal dort zu speichern wo sie erzeugt aber nicht sofort verbraucht werden kann In diesem Fall werden in erster Linie viele kleine Speichermodule benoumltigt die sowohl fuumlr kurz- als auch langfristigen Ausgleich sorgen muumlssen Eine andere Moumlglichkeit ist es die Energie an Orte zu uumlbertragen wo sie sofort verbraucht wird dann muss in erster Linie das Netz ausgebaut werden Schliesslich koumlnnte Energie auch zentral zu grossen Speichern transportiert werden was sowohl einen Netzausbau als auch neue Speichertechno-logien bedingen wuumlrde

Als die Gesellschaft noch aus Jaumlgern und Sammlern be-stand verbrauchte der Mensch seine Energie lokal dort wo er sie benoumltigte Er lebte von der Hand in den Mund Im Zuge der aufkommenden Landwirtschaft musste er Methoden entwickeln um Nahrung haltbar zu machen und sie zu transportieren Vor demselben Problem steht heute die Energiewirtschaft Ort und Zeit der erneuerbaren Energieerzeugung korrelieren je laumlnger je weniger mit dem Verbrauch Die Herausforderung der Energiewende ist deshalb nicht nur die Produktion selbst sondern auch die Uumlbertragung die Speicherung und das lokale Verbrauchs-last-Management

Saisonale Speicherung problematischMit dem Ausstieg aus der Kernenergie muumlssen in der Schweiz etwa 40 Prozent der produzierten elektrischen Energie ersetzt werden also rund 23 Terawattstunden (TWh) pro Jahr Im Gegensatz zur Kernenergie haben die neuen erneuerbaren Energien den Nachteil dass ihre Pro-duktion nicht steuerbar ist und unregelmaumlssig anfaumlllt Der Kapazitaumltsfaktor also das Verhaumlltnis von durchschnittlicher zu maximaler Leistung betraumlgt bei konventionellen Kraft-werken bis zu 100 Prozent bei Fotovoltaikanlagen dage-gen nur etwa 10 Prozent Hinzu kommen die starken saiso-nalen Schwankungen dieser stochastisch erzeugenden Energiequellen Im Winter liegt die Stromverbrauchsspitze mit circa 10 Gigawatt (GW) rund ein Drittel houmlher als im Sommer gleichzeitig liefern Fotovoltaikanlagen aufgrund des flacheren Einstrahlungswinkels und der kuumlrzeren Son-nenscheindauer wesentlich weniger Strom als im Sommer

Anhand eines Gedankenexperiments laumlsst sich veran-schaulichen dass das Potenzial der neuen erneuerbaren Energien ohne zusaumltzliche Speicher oder steuerbare Lasten

Energie haltbar machen

Der Ausbau von erneuerbaren Energiequellen geht so schnell voran dass Speicher- und Uumlbertragungstechnologien kaum mithalten koumlnnen Um Produktionsspitzen zu glaumltten braucht es Fortschritte in der EnergietechnikText Petr Korba

Hochschulperspektive

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Petr KorbaProf Dr Petr Korba ist Dozent und Fach-gruppenleiter fuumlr elektrische Energietechnik und Smart Grids an der ZHAW School of En-gineering Zuvor forschte er uumlber zehn Jahre bei ABB Schweiz in den Bereichen Automa-tion Energie- und Regelungstechnik

Scherrer Institut an der Power2Gas-Technologie Dabei wird Kohlendioxid mit Strom aus erneuerbaren Quellen durch Elektrolyse zu Wasserstoff oder weiter zu Methan verarbeitet Aumlhnlich wie bei der Nahrungsmittelproduktion wo Staumlrke schliesslich als raffinierter Zucker gespeichert wird gibt es auch bei der Stromspeicherung immer raffi-niertere Formen Bei jeder Umwandlung geht aber Energie verloren Man muss sich also gut uumlberlegen ob man uumlber-haupt speichern will und wenn ja uumlber welchen Zeitraum

Mit der wachsenden Integration von erneuerbaren Energi-en steigen auch die Anforderungen an die Energietechnik Unser kuumlnftiges Energiesystem wird staumlrker automatisiert und intelligenter sein Um erneuerbare Energiequellen zu integrieren werden Informations- und Kommunikations-technologien Automatisierungs- und Regelungstechnik Signalverarbeitung oder Wettervorhersagen immer wich-tiger In den intelligenten Stromnetzen der Zukunft wer-den alle beteiligten Komponenten Daten wie den aktuellen Verbrauch verfuumlgbare Strommengen oder lokale Aus-faumllle melden und gleichzeitig solche Daten aus anderen Netzkomponenten empfangen Das daraus resultierende Smart Grid ist ein Gefuumlge das selbststaumlndig auf diese Ein-fluumlsse reagiert und seine eigene Effizienz optimiert Es gilt Energie effizienter zu uumlbertragen um raumlumliche Distanzen zu uumlberwinden und neue Speichertechnologien zu entwi-ckeln um zeitliche Engpaumlsse zu uumlberbruumlcken Elektrische Energie kann auf verschiedene Arten erzeugt gespei-chert und uumlbertragen werden Jede Art hat ihre Vor- und Nachteile und ihren Preis Anreize aus der Politik werden schliesslich entscheiden welche Formen dies in der Zu-kunft sein werden

Auf der Verbraucherseite laumlsst sich die Nutzlast durch ge-eignetes Last-Management anpassen Diese Steuerung schaltet verbrauchsintensive Anlagen in Unternehmen gewerblichen Betrieben und Haushalten gezielt dann ein wenn die Stromtarife guumlnstig sind Es duumlrfte aber schwie-rig sein der Bevoumllkerung vorzuschreiben wann sie zum Beispiel fernsehen oder kochen darf Eine intelligente Re-gelung von grossen Kuumlhlhaumlusern stoumlrt dagegen nieman-den Trotz solchen Bestrebungen geht die International Energy Agency (IEA) davon aus dass der Stromverbrauch weltweit jaumlhrlich um rund 1 Prozent zunimmt Diese Ten-denz verstaumlrkt sich voraussichtlich noch falls sich der Bereich Mobilitaumlt von fossilen Energietraumlgern hin zur Elek-tromobilitaumlt verschieben wird Die Geschichte hat gezeigt dass der Energieverbrauch eigentlich nur in Krisenzeiten zuruumlckgeht

Klar ist jedenfalls dass der Ausbau von Speichern und Netzen Hand in Hand mit der zunehmenden Integration von erneuerbaren Energiequellen erfolgen muss Auf unter-schiedlichen Netzebenen kommen unterschiedliche Spei-chertechnologien zum Einsatz Waumlhrend fuumlr Haushalte mit kleinen Fotovoltaikanlagen und im Niederspannungsnetz bereits Batteriespeicher vorhanden sind stossen diese bei mehr als einer Windturbine oder groumlsseren Solarparks schnell an ihre Grenzen Das groumlsste Batterieenergie-speichersystem der Schweiz betreiben die Elektrizitaumlts-werke des Kantons Zuumlrich in Dietikon Es hat 1 Megawatt (MW) maximale Speicherleistung und kann diese waumlhrend ungefaumlhr 15 Minuten abgeben respektive speichern Die Spitzenlast im Schweizer Hochspannungsnetz liegt aber bei 8 GW im Sommer und 10 GW im Winter Die Schwei-zer Pumpspeicherkraftwerke koumlnnen unseren Strombe-darf nur etwa einen Monat lang decken Das europaumlische Hochspannungsnetz verfuumlgt uumlber eine Spitzenlast von circa 500 GW Um die Leistung von Grosskraftwerken wie Offshore-Windparks langfristig zu speichern braucht es neue Technologien

Raffinierte EnergiespeicherungDafuumlr forscht die ZHAW School of Engineering gemein-sam mit der ETH Zuumlrich der EPF Lausanne und dem Paul

26 COMPETENCE | 2014

Hochschulperspektive

Dissonanz an der Steckdose

Mit der Energiestrategie 2050 haben Bundesrat und Parla-ment eine Kehrtwende in der Schweizer Energiepolitik ein-gelaumlutet der die wichtigsten politischen Huumlrden erst noch bevorstehen Auf den ersten Blick scheint der Kurswechsel breit abgestuumltzt Seit dem Reaktorunfall in Fukushima fuumlh-ren Umfragen immer wieder zum gleichen Ergebnis Der langfristige Ausstieg aus der Kernenergie findet eine Mehr-heit Im Grundsatz stossen erneuerbare Energien sowie Massnahmen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz auf hohe Zustimmung Was fuumlr den Stimmzettel gilt beeinflusst aber nicht automatisch das Konsum- und Investitionsverhalten der Energiekunden Die Bereitschaft aus eigenem Antrieb mehr fuumlr ein oumlkologisch houmlherwertiges Produkt aus neuen erneuerbaren Energietraumlgern zu bezahlen ist beschraumlnkt Nur wenige Haushalte sind zudem bereit ihren Energie- und insbesondere ihren Stromkonsum zu reduzieren wenn dies mit nicht amortisierbaren Investitionskosten oder einem moumlglichen Komfortverlust verbunden ist

Mit anderen Worten Effizienz wird als teuer und Suffizienz als bevormundend empfunden Die private Zahlungsbereit-schaft laumlsst sich zwar mit regulatorischen Interventionen wie fixen Einspeiseverguumltungen oder Investitionssubven-tionen in Effizienzmassnahmen etwas erhoumlhen Doch die Erfahrungen in Deutschland und der Schweiz zeigen dass solche Massnahmen oumlkonomisch ineffizient sind und oft als ungerecht empfunden werden Sie koumlnnen damit zum Bumerang fuumlr die Akzeptanz der energiepolitischen Ziele werden Neben den politischen Huumlrden ist somit auch die kognitive Huumlrde der Konsumenten zu beruumlcksichtigen De-ren Uumlberwindung bedarf zuerst einer differenzierten Analyse der Ursachen und danach der Entwicklung innovativer Ver-triebsmodelle und Produkte auf Versorgerseite

Eine Mehrheit der Bevoumllkerung unterstuumltzt den Ausstieg aus der Kernenergie doch nur wenige beziehen ein oumlkologisches Stromprodukt Warum das so ist und wie sich diese Dissonanz aufloumlsen laumlsst beschaumlftigt derzeit viele EnergieversorgerText Claudio Cometta

Indifferenz uumlberwiegtFuumlr viele Konsumenten ist die Strom- Gas- oder Fern-waumlrmerechnung ein verhaumlltnismaumlssig kleiner Posten im Haushaltsbudget dem wenig Beachtung geschenkt wird Die Schweiz ist sogar einer der Spitzenreiter in Europa machen die Stromkosten im Durchschnitt doch nicht mehr als 2 Prozent der Haushaltsausgaben aus Wenig Beachtung bedeutet auch wenig Kenntnis des Preises und der Menge der bezogenen Energieleistung oder der Zusammensetzung des Tarifs aus Energiekosten Netz-kosten und Abgaben Entsprechend besteht nur ein ge-ringes Interesse Energie und damit Kosten zu sparen Konsumentenbefragungen zeigen zudem dass nur eine kleine Minderheit der Kunden die Zusammensetzung ihres Stromprodukts nach Energietraumlgern kennt Die geringen Kosten und Unkenntnis des Produkts verhindern also die Wahl anderer Stromprodukte Strom ist ein klassisches Commodity-Produkt Man kann ihn weder sehen noch riechen Er ist verhaumlltnismaumlssig guumlnstig immer verfuumlgbar und aumlndert in keinerlei Hinsicht seine Eigenschaften wenn dafuumlr mehr bezahlt wird Zudem ist meist nicht sichtbar wer wie viel von welchem Produkt bezieht Der Strom-konsum ist Privatsache

Uumlberwindung durch VertriebsmodelleDie Vorgaben der Energiestrategie 2050 beinhalten nicht nur einen massiven Zubau der Produktionskapazitaumlt aus erneuerbaren Energietraumlgern sondern auch die kon-tinuierliche Reduktion des Energie- und insbesondere des Stromkonsums pro Kopf Die direkte Finanzierung der dazu notwendigen Investitionsvorhaben scheint an-gesichts der Indifferenz auf Konsumentenseite jedoch schwierig Aus diesem Grund sind mehrere Schweizer

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rund um Haushaltstechnik Sicherheit Pflege oder Kom-munikation sowie ein geschicktes Marketing mit Elemen-ten der sozialen Kontrolle Denkbar sind auch Anreize die keinen direkten Zusammenhang mit dem Energiekonsum aufweisen aber fuumlr breite Bevoumllkerungsgruppen attrak-tiv sind So haben etwa einzelne skandinavische Versor-ger damit begonnen energiesparendes Verhalten ihrer Kunden mit Verguumlnstigungen fuumlr die Nutzung oumlffentlicher Transportmittel zu belohnen

Uumlberwindung durch PartizipationDie wohl wirkungsvollste Massnahme zur Uumlberwindung der Dissonanz an der Steckdose ist bereits inhaumlrent in der Transformation des Energiesystems hin zu einer staumlrker dezentralen Erzeugung angelegt Kunden entwi-ckeln sich von passiven Leistungsempfaumlngern zu aktiven Leistungserbringern sogenannten Prosumern Als Klein-produzenten von Strom mit einer hauseigenen Fotovol-taikanlage oder thermischer Speicherleistung mit Kraft-Waumlrme-Kopplungsanlagen im Mikroformat werden sie mittelfristig wesentlich zum Umbau des Energiesystems und zu den Zielen der Energiestrategie beitragen koumlnnen Eine nicht ganz unbedeutende Rolle koumlnnten in Zukunft sogenannte Buumlrgerbeteiligungsmodelle fuumlr die Finanzie-rung neuer In frastrukturprojekte spielen Diese wuumlrden gleichzeitig die Akzeptanz sichtbarer Produktionsanlagen von neuen erneuerbaren Energien erhoumlhen Doch erst wenn das Produkt Strom nicht mehr als reines Commodity-Produkt wahrgenommen wird werden politische Meinung und Konsumverhalten bei einer Mehrheit der Stimmbuumlrger uumlbereinstimmen

Energieversoger in letzter Zeit dazu uumlbergegangen soge-nannte Default-Modelle einzufuumlhren die Stromprodukte aus erneuerbaren Quellen zum neuen Standard erheben Dabei macht man sich die Traumlgheit der Kunden zunutze indem die Wahl eines Stromprodukts aus nicht erneuer-baren Energietraumlgern als Option definiert wird die aktiv bestellt werden muss

Nicht zuletzt aufgrund solcher Modelle ist die Zahl der Schweizer Haushalte die ein Stromprodukt aus aus-schliesslich erneuerbaren Energien beziehen auf uumlber 25 Prozent gestiegen Doch weitere Vertriebsinnovationen werden notwendig sein etwa um der Herausforderung der Einspeisung von Strom aus fluktuierend nutzbaren Quellen (Solar- und Windenergie) in die Verteilnetze gewachsen zu sein die immer staumlrker ins Gewicht faumlllt In der Folge gilt es Investitionen in Netz- und Speichersysteme zu finan-zieren In innovativen Vertriebsmodellen welche dieser Herausforderung gerecht werden erhaumllt das Konsumver-halten einen Wert Zeitliche Flexibilitaumlt wird belohnt durch Tarifreduktion Bonus oder Vermeidung einer Gebuumlhr Wie diese beiden Beispiele zeigen laumlsst sich der Mehrwert von vermeintlichen Commodity-Produkten durch neue Vertriebsmodelle abschoumlpfen und als marktwirtschaftlich vertraumlglicher Finanzierungsmechanismus fuumlr neue Infra-strukturvorhaben im Energiesektor nutzen

Uumlberwindung durch innovative ProdukteNoch groumlsseres Potenzial birgt die Weiterentwicklung von Stromprodukten zu Leistungssystemen die fuumlr Energie-kunden einen echten Mehrwert bieten Hierzu gehoumlrt die Verknuumlpfung des Kernprodukts Strom mit Dienstleistun-gen die den Kunden ein transparenteres Verbrauchsver-halten sowie Kostenoptimierung ermoumlglichen Intelligente Stromzaumlhler sogenannte Smart Meter kombiniert mit fle-xiblen Tarifen und einem einfachen Feedback- und Steuer-system sind die Voraussetzung um zumindest oumlkologisch sensibilisierten oder kostenbewussten Endkunden einen Effizienzeffekt zu ermoumlglichen Damit solche Leistungs-systeme aber fuumlr die grosse Gruppe der Indifferenten interessant werden braucht es weitere Mehrwerte Dazu gehoumlren die Verknuumlpfung mit intelligenten Anwendungen

Claudio ComettaDr Claudio Cometta ist Dozent fuumlr Innovation und Entrepreneurship an der ZHAW School of Management and Law Er koordiniert den Aufbau des nationalen Energie-Kompetenz-zentrums SCCER 5 an der ZHAW

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Die Energiewende stellt die Energieversorgungsunternehmen in der Schweiz vor grosse Herausforderungen Das Beispiel von Stadtwerk Winterthur zeigt wie die Branche auf den Paradig-menwechsel reagiertText Florian Wehrli

Von den Anfaumlngen als laquoWinterthurer Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtungraquo vor uumlber 150 Jahren bis zum modernen Querverbundunternehmen hat sich Stadtwerk Winterthur kontinuierlich weiterentwickelt Seine Aufgabe ist aber gemaumlss Direktor Markus Saumlgesser weitgehend dieselbe geblieben die Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung zu verbes-sern So bietet das staumldtische Versorgungsunternehmen neben klassischen Produkten wie Wasser Strom Gas oder Kehrichtentsorgung und Abwasserreinigung heute auch Fernwaumlrme Haustechnik Glasfasernetz und Ener-gie-Contracting an Die Ausdehnung auf neue Geschaumlfts-bereiche will der Direktor aber nicht als Reaktion auf die Liberalisierung des Energiemarkts verstanden wissen laquoWir begegnen der Marktoumlffnung proaktiv und wollen die sich bietenden Chancen aktiv nutzenraquo

Lokales Potenzial ausgeschoumlpftIm liberalisierten Markt hat das staumldtische Versorgungs-unternehmen mit dem Monopol auf sein Energieversor-gungsnetz von gesamthaft mehr als 2 500 Kilometern einen Vorteil Dessen Unterhalt ist nach wie vor eine der Hauptaufgaben Im Gegensatz zu anderen Energieversor-gern betreibt Stadtwerk Winterthur naumlmlich einen verhaumllt-nismaumlssig geringen Anteil an eigenen Produktionsanlagen Das Flaggschiff ist die wohl modernste Kehrichtverwer-tungsanlage der Schweiz laquoMit dem Umbau konnten wir 2013 den Wirkungsgrad der Anlage um einen Drittel stei-gern und die Abluft gehoumlrt zu den saubersten weltweitraquo sagt Markus Saumlgesser Heute deckt die KVA 20 Prozent des Winterthurer Strom- und 12 Prozent des Waumlrmebe-darfs ab Auf solchen Lorbeeren ausruhen will sich Stadt-werk Winterthur aber nicht laquoWir wollen mithelfen eine nachhaltige Energiewirtschaft aufzubauenraquo Mittelfristig soll

die Haumllfte des Stromangebots aus erneuerbaren Quellen stammen laquoDas ist ein ehrgeiziges Zielraquo sagt Saumlgesser laquowir sind aber auf gutem Weg dazuraquo

Rund die Haumllfte des Rahmenkredits von 90 Millionen Franken fuumlr erneuerbaren Strom den das Winterthurer Stimmvolk 2012 bewilligt hat ist bereits investiert Im Bereich Fotovoltaik ist die Planung der groumlssten Anlagen abgeschlossen etwa auf den Daumlchern der Eishalle oder des Busdepots Eine aktuelle Windpotenzialstudie zeigt fuumlr Winterthur nur wenige moumlgliche Standorte auf zumal die Bewilligung solcher Anlagen mit grossem buumlrokratischem Aufwand verbunden sei Mit diversen Nahwaumlrmever-buumlnden nutzt Stadtwerk Winterthur auch Holzabfaumllle bereits sehr effizient Aber auch dieser Energietraumlger ist in Winterthur beschraumlnkt vorhanden Das letzte Projekt das Holz aus dem Winterthurer Stadtwald einsetzen wird ist in der Aufbauphase Studien im Bereich Wasserkraft haben gezeigt dass abgesehen von einem Kleinwasser-kraftwerk an der Toumlss in der Region kaum Potenzial vor-handen ist

Investitionen im AuslandlaquoDiese aufwendige Aufbauarbeit soll nicht zur Regel wer-denraquo sagt Markus Saumlgesser laquoDas limitierte Energiepoten-zial in der Schweiz und die beschwerlichen Instanzenwe-ge fuumlr Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie lassen uns deshalb vermehrt im Ausland investierenraquo 2012 be-teiligte sich das Stadtwerk mit 12 Millionen Franken am Kleinkraftwerk Birseck AG das Kleinwasserkraftwerke und Foto voltaikanlagen in der Schweiz und in Frankreich be-treibt 2013 folgte eine Beteiligung in der Houmlhe von 25 Mil-lionen Franken an der Swisspower Renewables AG die in

Vom Versorger zum Dienstleister

Unternehmensperspektive

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sein glaubt er aber nicht daran dass der Stromverbrauch insgesamt zuruumlckgehen wird laquoDafuumlr ist der Marktpreis zu niedrig Aus serdem wird Strom im Bereich Waumlrme und Mobilitaumlt einen Grossteil der fossilen Energietraumlger ersetzen muumlssenraquo Damit der geplante Verbrauchsruumlck-gang dennoch gelingt will der Bund Anreize schaffen Mit sogenannten weissen Zertifikaten will er die Versor-ger be lohnen wenn sie ihre Kunden zu einem geringeren Energie verbrauch bewegen In Grossbritannien Italien und Frankreich sind solche Modelle bereits im Einsatz Markus Saumlgesser sieht dieser Entwicklung mit gemischten Gefuumlh-len entgegen laquoWir haben bereits vor der Reaktorkatastro-phe in Fukushima auf Energieeffizienz gesetzt und konn-ten uns dadurch profilieren Weil die Politik nun eingreift und den Markt uumlbersteuert bleibt uns als Unternehmen weniger Spielraum um uns zu positionierenraquo

Windkraftanlagen im angrenzenden Ausland investiert Fuumlr die Beschaffung von Strom am freien Markt ist das Stadtwerk eine Zusammenarbeit mit der Trianel GmbH in Aachen ndash einer der fuumlhrenden Stadtwerke-Kooperationen in Europa ndash eingegangen Damit sollen insbesondere der Zugang zum Grosshandelsmarkt sowie die Marktfor-schung sichergestellt werden Denn um Kunden nachhal-tige Energieprodukte verkaufen zu koumlnnen muss man ihre Beduumlrfnisse genau kennen

Anreize fuumlr geringeren VerbrauchDie Strategie scheint aufzugehen laquoSeit der Einfuumlhrung der neuen Stromprodukte Anfang 2013 haben wir den Absatz von erneuerbarer Energie in Winterthur verdop-pelt und denjenigen von Oumlkostrom sogar vervierfachtraquo so Saumlgesser Trotz dem steigenden oumlkologischen Bewusst-

Gemaumlss seinem Leitbild soll Stadtwerk Winterthur mit einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der soziashylen Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Bild Michael Lio

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Ausgliederung aus der StadtverwaltungAuch auf kommunaler Ebene ist Stadtwerk Winterthur von den politischen Rahmenbedingungen abhaumlngig ndash mit allen Vor- und Nachteilen Die politischen Kurswechsel in den vorgesetzten Gremien seien hinderlich bei der Umsetzung der Strategie des Unternehmens laquoWir taumltigen Investitio-nen mit einem Planungshorizont von mehreren Jahrzehn-tenraquo sagt Markus Saumlgesser laquoin der Politik wird dagegen in Amtsperioden von vier Jahren gedachtraquo Es gibt deshalb Bestrebungen das Stadtwerk aus der Stadtverwaltung auszugliedern und einem langfristig operierenden Steue-rungsgremium zu unterstellen Bei der Stimmbevoumllkerung geniesst Stadtwerk Winterthur grossen Ruumlckhalt Alleine in den letzten zwei Jahren wurden vier Abstimmungsvor-lagen mit grossem Mehr angenommen darunter Rah-menkredite fuumlr das Energie-Contracting oder erneuerbare Energien laquoEine bessere Legitimation koumlnnen wir uns gar nicht wuumlnschenraquo sagt Markus Saumlgesser

Neue BetriebskulturStrategisch und energiepolitisch werden Dienstleistungen wie das Energie-Contracting fuumlr Stadtwerk Winterthur immer wichtiger laquoWir wollen unserer Kundschaft Waumlr-me oder Kaumllte gleich komfortabel anbieten koumlnnen wie Stromraquo sagt Markus Saumlgesser laquoImmobilienbesitzerinnen und -besitzer sollen sich nicht mehr um den Fuumlllstand ih-res Oumlltanks oder den Termin fuumlr den Kaminfeger kuumlmmern muumlssenraquo Das Energie-Contracting waumlchst stark und macht heute bereits rund 5 Prozent des Umsatzes von Stadtwerk Winterthur aus

Die neuen Geschaumlftsfelder ziehen auch andere Arbeits-kraumlfte an als bisher Verschiedene Betriebskulturen seien in den vergangenen Jahren teilweise parallel gelaufen be-ginnen nun aber langsam zu verschmelzen Ein Beispiel dafuumlr ist die Verknuumlpfung von Smart Metering und dem traditionellen Verteilnetz Elektrizitaumlt Als Voraussetzung fuumlr das Change-Management in der Betriebskultur habe man alle Mitarbeitenden in die Erarbeitung des Unterneh-mensleitbildes involviert Entstanden ist ein Leitbild das Stadtwerk Winterthur dabei unterstuumltzt die Unterneh-mensstrategie umzusetzen Stadtwerk Winterthur soll mit

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

Markus SaumlgesserMarkus Saumlgesser (52) ist diplomierter Ma-schineningenieur ETH und hat ein Nachdi-plomstudium in technischen Betriebswissen-schaften absolviert Seit Anfang 2011 ist er Direktor von Stadtwerk Winterthur Seine bisherige berufliche Taumltigkeit fuumlhrte Markus Saumlgesser nach zwei Jahren Assistenz an der ETH zu einem Ingenieurbuumlro fuumlr Ener-gie- und Haustechnik Waumlhrend dieser rund sechsjaumlhrigen Zeit war er bei anspruchsvol-len Bauprojekten verantwortlich fuumlr die Konzeption und Koordination der technischen Gebaumludeausruumlstung Zudem war er waumlhrend vier Jahren Mitglied der Geschaumlftsleitung Nach zweijaumlhriger Taumltigkeit als Abteilungsleiter in einer groumlsseren Gemeinde wechselte er zum Elek-trizitaumltswerk der Stadt Zuumlrich (EWZ) bei dem er die Abteilung Vertrieb Grosskunden leitete Daneben war Markus Saumlgesser beim EWZ in verschiedene Innovationsprojekte involviert So zeichnete er fuumlr das Projekt laquoStromzukunft Stadt Zuumlrichraquo verantwortlich das wichtige Grundlagen fuumlr die Strategie des EWZ und die Volksabstimmung zur 2000-Watt-Gesellschaft in der Stadt Zuumlrich beisteuerte

Stadtwerk Winterthur in Zahlen (2013)Mitarbeitende 347Nettoinvestitionen 1198 Mio CHFDurchgeleitete Strommenge 5643 Mio kWhUmsatz Strom 93 Mio CHFDurchgeleitete Gasmenge 5295 Mio kWhUmsatz Gas 411 Mio CHFUnternehmensgewinn 109 Mio CHF

einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der sozia-len Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Wann wurden in Winterthur die ersten Strassenlampen mithilfe von Stein-kohle erleuchtet

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Unternehmensperspektive

ckelte Hochspannungsgleichstromschalter sollen zudem sicherstellen dass etwa ein Kurzschluss durch eine hy-perschnelle Abschaltung isoliert und das Netz somit nicht gefaumlhrdet wird Von 14 solchen Schaltsystemen welt-weit stammen 13 von ABB Die hohen Investitionen fuumlr die armdicken Gleichstromkabel rechnen sich da beim Transport viel weniger Strom verloren geht als bei der tradi tionellen Wechselstromtechnik Die Produktelinie ent-wickelt sich zum Renner Sie wird zur Anbindung von So-lar- und Windparks zur Versorgung von Inseln als Ersatz fuumlr Diesel generatoren auf Oumll- und Gasplattformen auf See eingesetzt Oder um Starkstrom vom Festland zu auf dem Meeresboden platzierten ferngesteuerten Foumlrderanlagen fuumlr Gas und Oumll zu leiten ndash wofuumlr ABB auch wartungsfreie Kompressoren liefert damit Kunden wie Statoil und Pet-robras teure Ausfaumllle erspart bleiben

Komplettloumlsungen aus einer HandDank hohem Innovationstempo sind die Divisionen Ener-gietechnik- und Niederspannungsprodukte gut ausgelas-tet Dies gilt ebenso fuumlr die Divisionen Industrie- und Pro-zessautomation Speziell energieintensive Industrien die unter hohem Kostendruck stehen muumlssen ihre Anlagen auf dem neusten Stand halten Dazu zaumlhlen Bergbau Oumll- und Gasindustrie Zellstoff- Papier- und Zementfabriken Chemie- und Pharmafirmen sowie Raffinerien Gefragt sind auch Industrieroboter und schwenkbare dank ABB-Leistungselektronik stufenlos regulierbare Schiffsantrie-be ABB liefert Grosskunden fertige Loumlsungen die hohe Produktivitaumlt und Energieeffizienz gewaumlhrleisten Alles ist aufeinander abgestimmt von der Elektrik uumlber Antriebe Generatoren Roboter Sensoren und Steuerungen bis hin

Zu Beginn des Jahrtausends stand ABB am Abgrund Doch eine neue Fuumlhrungscrew fuumlhrte das Unternehmen aus der Krise sodass die Schweiz inzwischen wieder stolz sein kann auf ihren Industriemulti mit Sitz in Zuumlrich Oerli-kon 2013 erzielte ABB mit rund 148 000 Mitarbeitenden in 100 Laumlndern 42 Milliarden Dollar Umsatz Die renom-mierte US-Universitaumlt MIT zaumlhlt ABB zu den 50 innova-tivsten Unternehmen weltweit Dank 8 000 Ingenieuren in Forschung und Entwicklung und einem Forschungsetat von 15 Milliarden Dollar kann ABB selbst mit Giganten wie Siemens und General Electric mithalten

Innovationen die Technikfans begeisternWas ABB alles macht wissen wohl nur Technikfans Denn der Konzern hat uumlber 70 000 Produkte im Angebot Die 300 ABB-Fabriken liefern taumlglich 15 Millionen Kompo-nenten aus die zu elektrischen Einrichtungen oder in Pro-duktionssteuerungen verbaut werden Aus Kanada etwa kam juumlngst ein Grossauftrag uumlber 400 Millionen Dollar Erneuerbare Energie die auf Neufundland und Labrador gewonnen wird soll ab 2017 via Hochspannungskabel 360 Kilometer nach Westen fliessen um dort 350 000 Haumluser zu versorgen Weltweit gibt es erst 90 solche Gleichstromkabelverbindungen die meist unter der Erde oder auf dem Meeresgrund verlaufen ABB ist mit rund 50 Prozent Anteil Marktfuumlhrer Die futuristisch anmuten-de Technik in den abgeschirmten Hallen wo der Strom vor dem Transport auf Hochspannung transformiert wird erinnert an den Maschinenraum von Raumschiff Enter-prise Ein wichtiges Steuerungselement bilden dabei in Baden Daumlttwil entwickelte und in Lenzburg produzierte Spezialchips die Houmlchstspannung aushalten Neu entwi-

Der schweizerisch-schwedische Technikkonzern treibt an vor-derster Front die Energiewende voran Dafuumlr forscht man bei ABB intensiv zu erneuerbaren Energien schlauen Stromnetzen sowie hocheffizienten Industrieanlagen Einzig die schwache Nachfrage nach Energieanlagen in Europa bremst die ExpansionText Andreas Fluumltsch

Innovativer Treiber der Energiewende

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uumlber weite Strecken in die Ballungsraumlume geleitet werden muss brummt das Geschaumlft In den USA treibt der Oumll- und Gasboom die Nachfrage Nur in Europa harzt das Geschaumlft mit Grossanlagen Weniger Nachfrage belastet die Margen bei Auftraumlgen fuumlr Wind- und Solarfarmen so-wie fuumlr Netzinfrastruktur Die Risiken der oft mehrjaumlhrigen Projekte sind so hoch dass ABB waumlhlerischer sein muss und etwa das Geschaumlft mit Solarloumlsungen zurzeit auf Sparflamme betreibt Dennoch ist ABB immer noch hoch-profitabel nicht zuletzt da die Kosten Jahr fuumlr Jahr um 3 bis 5 Prozent gesenkt werden Aber der erfolgsgewohnte Konzern musste sich 2013 mit 6 Prozent Umsatzplus zu-friedengeben Umso intensiver treibt der neue ABB-Chef Ulrich Spiesshofer die Integration der vorab in den USA fuumlr 10 Milliarden Dollar getaumltigten Zukaumlufe voran Und Spiess-hofer forciert die Zusammenarbeit der Divisionen damit ABB die Unternehmensvision laquoEnergie und Produktivitaumlt fuumlr eine bessere Weltraquo mit moumlglichst vielen eigenen Pro-dukten realisieren kann

zur Leittechnik samt angepasster Software Kleine und mittlere Kunden ordern Komponenten oder Teilsysteme Ein wichtiges Verkaufsargument ist das Sparpotenzial von stufenlos steuerbaren Elektromotoren Nur einer von fuumlnf Motoren hat laut einer Erhebung des Bundes einen Leis-tungsregler der Rest laumluft auf Hochtouren und wird ndash man glaubt es kaum ndash bei Bedarf mit Klappen oder Ventilen mechanisch abgebremst Eine gigantische Verschwen-dung da Industriemotoren laut einer Studie der Schwei-zerischen Agentur fuumlr Energieeffizienz 27 Prozent des Schweizer Stromverbrauchs ausmachen

Europaumlische ZuruumlckhaltungEigentlich muumlsste die Division Energietechniksysteme ebenfalls ausgelastet sein Denn auch die Stromwirtschaft muss ihre Effizienz steigern Schliesslich erfordert die Energiewende einen Totalumbau der auf Verteilung ausge-richteten Netze damit diese unter der Last von Solar- und Windenergie nicht instabil werden Arbeit in Huumllle und Fuumllle fuumlr ABB sollte man meinen Doch der erst zaghafte Auf-schwung in Europa daumlmpft die Nachfrage Erschwerend kommt hinzu dass subventionierte Wind- und Solarener-gie in Europas liberalisiertem Strommarkt den Strompreis in ungeahnte Tiefen druumlckte Die Konkurrenzfaumlhigkeit von Wasser- Gas- und Atomkraftwerken hat gelitten Pump-speicher sind keine Goldesel mehr seit die erneuerbaren Energien die Preisspitzen brechen Entsprechend schie-ben Stromkonzerne wie Alpiq oder RWE Investitionen auf Unsicherheiten rund um den Atomausstieg belasten zu-saumltzlich Die voraussichtlich noch auf Jahre hinaus tiefen Strompreise schmaumllern auch die Faumlhigkeit der Besitzer von Hochspannungs- und Verteilnetzen deren Umruumlstung zu finanzieren hoch verschuldete EU-Staaten fahren die Foumlrderung von Wind- und Solarenergie zuruumlck

Straffe KostenkontrolleABB bekommt den Investitionsstau empfindlich zu spuuml-ren Die Division Energietechniksysteme schreibt seit eini-ger Zeit rote Zahlen Zwar ordern Grosskunden aus Asien und Lateinamerika weiterhin kraumlftig Neben China inves-tiert vermehrt auch Indien in neue Stromnetze Uumlberall dort wo die Bevoumllkerung rasch waumlchst oder der Strom

Andreas FluumltschAndreas Fluumltsch war urspruumlnglich Jurist und arbeitete ab 1983 als Journalist fuumlr laquoBlickraquo laquoWeltwocheraquo laquoBilanzraquo und laquoCashraquo Zwischen 1989 und 1990 war er Mitglied der Geschaumlftsleitung von Greenpeace Schweiz anschliessend Hausmann Nach der Ruumlck-kehr in den Journalismus 1992 arbeitete er bei laquoBlickraquo laquoSonntagszeitungraquo und laquoTages- Anzeigerraquo und absolvierte eine Ausbildung zum Boumlrsenhaumlndler Nach der Fruumlhpensio-nierung Ende 2013 machte er sich als Publi-zist selbststaumlndig

ABB in Zahlen (2013)Betriebsertrag 41 848 Mio USDBetriebsergebnis 4 387 Mio USDndash Industrieautomation 1 458 Mio USDndash Niederspannung 1 092 Mio USDndash Prozessautomation 990 Mio USDndash Energietechnik 1 331 Mio USDndash Energiesysteme 171 Mio USD

Mitarbeitende 147 700ndash davon in der Schweiz 6 966

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Hohe Nachfrage nach MinergieDer Erfolg der bisherigen Sparbemuumlhungen bleibt nicht aus laquoTrotz zunehmender Pro-Kopf-Wohnflaumlche und stei-gendem Komfort sinkt der Energieverbrauch fuumlrs Heizen in den letzten Jahrzehnten stetigraquo verkuumlndet der Zuumlrcher Regierungsrat im Energieplanungsbericht 2014 Dazu tra-gen nicht nur die laufend verschaumlrften Gesetze bei Ebenso wichtig ist die Bereitschaft von Bautraumlgerschaften freiwillig Uumlberdurchschnittliches zu leisten Vor allem die Minergie-Regeln werden inzwischen gerne befolgt weshalb Haumluser mit halbiertem Energieverbrauch beinahe Standard sind Schweizweit traumlgt eines von zehn neuen Wohnhaumlusern ein Minergie-Zertifikat Der Anteil an Minergie-Haumlusern im Grossraum Zuumlrich liegt gemaumlss einer Marktanalyse der Universitaumlt Zuumlrich bereits nahe bei 20 Prozent Dies ist privaten Hauseigentuumlmern und institutionellen Investoren zu verdanken Wohn- und Geschaumlftshaumluser mit houmlchster Energieeffizienz gehoumlren inzwischen zum guten Ton Den juumlngsten Beweis liefert eine Immobilienstiftung der Credit Suisse die 70 Millionen Franken in die groumlsste Oumlkosied-lung der Schweiz investiert Im Aargauer Reusstal wohnen seit diesem Jahr rund 200 Familien Paare und Singles deren Wohnhaumluser sich weitgehend selbst mit Sonnen-energie versorgen So klimafreundlich die Energiewende-Architektur ist der Investor erwartet dennoch marktuumlb-liche Renditen Ist der Markt aber bereit oumlkologisches Engagement angemessen zu honorieren

Marktpotenzial fruumlhzeitig erkanntDie Zuumlrcher Kantonalbank (ZKB) beziffert den Mehrwert von Minergie-Haumlusern auf 7 Prozent Kaumlufer seien bereit diesen Aufpreis fuumlr mehr Energieeffizienz zu bezahlen Als weitere Nebeneffekte nennt der vor drei Jahren publizierte ZKB-Bericht eine hochwertige dauerhafte Bausubstanz sowie die Absicherung gegen steigende Oumll- und Energie-preise Fachleute des Immobilienberatungsunternehmens Wuumlest amp Partner (WampP) warnen indes dass sich zusaumltz-liche Investitionen in die Energieeffizienz nicht uumlberall loh-nen laquoRegional schwankt die Zahlungsbereitschaft des Immobilienmarktsraquo praumlzisiert WampP-Partner Ivan Anton Minergie-Haumluser koumlnnen aber nicht nur in abgelegenen Regionen ein Marktrisiko werden laquoMit Ausnahme der

Beim Autokauf wird bevorzugt auf Pferdestaumlrken Be-schleunigung und Innenausstattung geachtet Der CO2-Ausstoss interessiert hingegen kaum So kommt die Energieeffizienz im Strassenverkehr nur stockend voran 1995 schluckten alle neu immatrikulierten Personen-wagen durchschnittlich 9 Liter Benzin pro 100 Kilometer 20 Jahre spaumlter liegt der Durchschnittsverbrauch gemaumlss Bundesamt fuumlr Energie (BFE) immer noch uumlber 6 Litern Das viel gepriesene laquoDrei-Liter-Autoraquo haben alle Hersteller wieder aus der Modellpalette genommen

Demgegenuumlber gelingen dem oft traumlge genannten Ge-baumludebereich weitaus groumlssere Effizienzspruumlnge Ver-brauchen 40 Jahre alte Haumluser im Schnitt 220 Kilowatt-stunden (kWh) Heizenergie pro Quadratmeter Wohnflaumlche und Jahr sind die aktuellen Werte unter die 50er-Marke gesunken Zusaumltzliche Sparerfolge sind nur eine Frage der Zeit Im Fruumlhsommer haben die kantonalen Energie-direktoren uumlber ein Rahmenabkommen beraten das Null-energieneubauten demnaumlchst zum Standard machen soll Wie die nationale Energiewende zu erreichen ist erklaumlrt Christoph Gmuumlr von der Abteilung Energie des Kantons Zuumlrich laquoDer spezifische Verbrauchswert ist zudem auf 35 kWh pro Quadratmeter zu senkenraquo Gebaumlude die sich mit umweltfreundlicher Energie selbst versorgen wollen auch die EU-Staaten Ab 2020 wird ein Gebaumludestandard eingefuumlhrt der nur noch laquoNiedrigstenergiegebaumluderaquo mit sehr hoher Energieeffizienz als Neubauten vorsieht

Energiesparhaumluser waren vor 30 Jahren Exoten inzwischen nimmt der Bereich der energie-effizienten Gebaumlude eine Vor-bildrolle fuumlr die Energie wende ein Bauherren profitieren davon ebenso wie die Zuliefer-branche Text Paul Knuumlsel

Expertensicht

Haumluser in der ersten Reihe

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der Bau von Niedrigenergiehaumlusern und alternativen Hei-zungsanlagen sowie energetische Gebaumludesanierungen Investitionen im Umfang von rund 4 Milliarden Franken ausgeloumlst rechnet der Bund vor laquoEin Fuumlnftel insgesamt 860 Millionen Franken stammt aus den oumlffentlichen Kas-senraquo verweist die BFE-Stelle EnergieSchweiz auf die Im-pulse der kantonalen Foumlrderprogramme Einen Wermuts-tropfen besitzt diese Wirkungsbilanz Fruumlhere Analysen der Energiesparprogramme zeigen naumlmlich dass zwi-schen einem Drittel und der Haumllfte der energetisch vorbild-lichen Gebaumlude auch ohne staatliche Foumlrderung realisiert worden waumlren Dem Mitnahmeeffekt ist auch die Eidge-noumlssische Steuerverwaltung auf der Spur Sie schaumltzt dass Bund und Kantonen jaumlhrlich 14 Milliarden Franken entgehen weil energetische Gebaumludesanierungen bei der Liegenschaftssteuer abzugsberechtigt sind Die Energie-wende erfordert nicht nur mehr Effizienz bei den Anwen-dungen sondern auch einen effizienten Einsatz staatlicher Mittel Im Energieplanungsbericht 2013 hat der Zuumlrcher Regierungsrat erstmals uumlber alternative Anreizsysteme nachgedacht Demnach soll eine Lenkungsabgabe den Energiekonsum reduzieren und das bisherige Foumlrdersys-tem abloumlsen Aumlhnliche Plaumlne verfolgt der Bund Denn ein Lenkungssystem duumlrfte weitere Sparbemuumlhungen im Ge-baumludebereich aber auch im Strassenverkehr foumlrdern Ins-besondere dann wenn Heizoumll und Benzin im Gleichschritt teurer werden

begehrten Wohnlagen haben Hauseigentuumlmer an vielen Orten mit moumlglichen Verkaufsverlusten zu rechnenraquo so Anton Zwar sei die Nachfrage bei Eigentuumlmern und Mie-tern aumlhnlich gross Aber auch Mieter wuumlrden nicht uumlberall mehr fuumlr eine energieeffiziente Wohnung bezahlen Kaum uumlberraschen darf daher dass Immobilieninvestoren immer haumlufiger die steigenden Energieanforderungen kritisieren und kostenguumlnstigere Baustandards vorziehen Fuumlr WampP-Berater Urs Hausmann ist laquonachhaltiges Bauen trotzdem keine Frage von Luxus oder Wohlstand sondern eine wie man mit Ressourcen umgehen willraquo Dass ein hohes Um-weltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauen Der Run auf den oumlkologischen Baustoff Holz laumlsst zum Beispiel eine gesamte Wertschoumlpfungskette und viele

innovative Unternehmen profitieren Forstbetriebe Sauml-gereien Fensterbauer Daumlmmstoffhersteller und andere Bauzulieferer vergroumlssern ihre Produktionskapazitaumlten und stellen zusaumltzliches Personal ein laquoDie Umsaumltze im Schweizer Holzbau sind in den letzten Jahren um mehrere Hundert Millionen Franken gestiegen und die Trendkurve zeigt weiter nach obenraquo freut sich Christoph Starck Di-rektor des Holzbaudachverbands Lignum

Einheimische Zulieferer als GewinnerAuch im Verein Minergie ist man sich bewusst dass sich energieeffizientes Bauen wirtschaftlich positiv auswirkt In den letzten 15 Jahren sind 25 000 Wohnhaumluser Buumlro-komplexe Schulbauten Sport- und Industriehallen mit Niedrig energiezertifikat entstanden Gemeinsam sparen sie 15 Milliarden Kilowattstunden Energie laquoUumlber 2 Milliar-den Franken wurden zusaumltzlich investiertraquo rechnet Miner-gie-Sprecher Antonio Milelli vor Anstatt fossile Brennstoffe einzukaufen wird mehr Geld fuumlr Daumlmmstoffe Isolierfenster Luumlftungsanlagen und Sonnenkollektoren aus inlaumlndischer Fabrikation ausgegeben Zwischen 2001 und 2012 haben

Paul KnuumlselPaul Knuumlsel studierte Umweltnaturwissen-schaften an der ETH Zuumlrich Er ist unabhaumln-giger Wissenschaftsjournalist und schreibt seit Jahren in Publikums- und Fachmedien uumlber die vielfaumlltigen Aspekte des nachhalti-gen Bauens Zusaumltzlich betreut er in der Re-daktion des laquoTEC21raquo das Ressort laquoEnergie und Umweltraquo

laquoDass ein hohes Umweltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren

derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauenraquo

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Der Wasserkraft Sorge tragen

Welchen Beitrag kann die Wasserwirtschaft zur Energie-wende leisten Roger Pfammatter Die Wasserkraft ist der energie-politische Trumpf der Schweiz Wir befinden uns in der gluumlcklichen Lage uumlber grosse Mengen Wasser und das notwendige Gefaumllle zu verfuumlgen ndash das sind die beiden wichtigsten Voraussetzungen fuumlr die hydroelektrische Produktion Und wir haben in den vergangenen 100 Jah-ren gelernt dieses Potenzial effizient und moumlglichst um-weltschonend zu nutzen Die Wasserkraft ist der Schluumls-sel fuumlr eine nachhaltige Energieversorgung technisch ausgereift politisch erwuumlnscht einheimisch erneuerbar und CO2-frei

Wie viel mehr ist moumlglichHeute leistet die Wasserkraft nicht nur rund 60 Prozent der Stromproduktion in der Schweiz sondern bietet auch unverzichtbare Regel- und Systemdienstleistungen die markant an Bedeutung gewinnen werden Vor allem bei der Flexibilisierung der Wasserkraft durch mehr Leistung und Speichervolumen waumlre noch einiges moumlglich Um die Aufgaben weiterhin zu gewaumlhrleisten muumlssen wir aber primaumlr dem Bestehenden Sorge tragen

Die Energiestrategie des Bundes gibt aber klare Ausbau-ziele vor Bis 2035 soll die Stromproduktion aus Wasser-kraft um 10 Prozent steigenUnter den momentanen Rahmenbedingungen ist dieses Ausbauziel nicht realistisch Im Gegenteil Aufgrund der Restwasserbestimmungen wird die Produktion in den naumlchsten Jahren vermutlich sogar zuruumlckgehen

Die Wasserkraft ist der wichtigste Pfeiler der Schweizer Ener-giewirtschaft ihr Potenzial ist aber weitgehend ausgeschoumlpft Roger Pfammatter Geschaumlftsfuumlhrer des Wasserwirtschaftsver-bands gibt im Interview Auskunft uumlber die Lage der Branche und ihre Bedeutung fuumlr die EnergiezukunftInterview Florian Wehrli

Expertensicht

Was muss sich aumlndern damit die vorgegebenen Ziele um-gesetzt werden koumlnnenZum einen braucht es dafuumlr die Akzeptanz der Umweltver-baumlnde der Fischer und letztlich der gesamten Bevoumllkerung Zum anderen muumlssen laumlngerfristig die extremen Marktver-zerrungen abgebaut werden damit sich auch Investitionen in die nicht gefoumlrderte Wasserkraft wieder lohnen Heute wird nur noch in subventionierte Anlagen investiert

Wer ist hier in der PflichtHier ist die Politik gefordert die Rahmenbedingungen zu verbessern Denn ohne die Wasserkraft kann die Energie-wende nicht gelingen

Anfang Jahr wurde der Wasserwirtschaftsverband von den zustaumlndigen Kommissionen angehoumlrt Welche Forderun-gen hat die Branche an das ParlamentWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerba-re Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichten die bereits bis zur Haumllfte der Geste-hungskosten ausmachen Damit sind wir doppelt diskrimi-niert Die Wasserkraft ist extrem unter Preisdruck ndash und dies obwohl sie mit Gestehungskosten zwischen 3 und 10 Rappen pro Kilowattstunde die effizienteste Strompro-duktionstechnologie ist Nur zum Vergleich Fotovoltaik -anlagen werden heute mit rund 40 Rappen subventioniert

Bis 2011 liess sich mit der Grosswasserkraft noch viel Geld verdienen Wurden zu wenige Ruumlcklagen fuumlr schlechte Zei-ten gebildet

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Es kann nicht der Sinn sein Ruumlcklagen fuumlr Zeiten zu bil-den in denen die Marktpreise die Gestehungskosten nicht mehr decken Das waumlre wie wenn ein Baumlcker auf jedem Gipfeli einige Rappen zuruumlckbehalten muumlsste damit er sie am naumlchsten Tag gratis abgeben kann Mit dem durch Subventionen verzerrten Marktpreis von 4 bis 5 Rappen pro Kilowattstunde ist unter den konventionellen Energie-traumlgern praktisch nur Kohle konkurrenzfaumlhig Das ist be-stimmt nicht im Sinn der Energiewende

Drei Grosswasserkraftprojekte sind heute bereits im Bau Koumlnnen die enormen Kosten uumlberhaupt amortisiert wer-denPrognosen sind schwierig An der europaumlischen Strom-boumlrse (EEX) werden bis 2020 Strompreise zwischen 45 und 53 Rappen pro Kilowattstunde gehandelt Der Markt glaubt also nicht an eine baldige Erholung Dafuumlr muumlsste das Uumlberangebot in Europa zuruumlckgehen etwa uumlber die Anhebung des CO2-Preises von heute 5 auf mindestens 30 Euro pro Tonne Politisch ist das aber kaum durchsetz-bar Neue Pumpspeicherwerke werden sich deshalb wohl erst in mehreren Jahrzehnten lohnen

Was kann die Kleinwasserkraft leistenOhne die kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) wuumlr-de niemand Kleinwasserkraftanlagen bauen genauso we-nig wie Fotovoltaik- Wind- oder Biomasseanlagen Zurzeit gibt es aber allein bei der Kleinwasserkraft rund 1 000 An-meldungen fuumlr Foumlrderbeitraumlge mit einem bescheidenen Ge-samtpotenzial von 33 Terawattstunden pro Jahr Die oumlko-logischen Auswirkungen sind im Vergleich zum Ertrag zu gross Obwohl wir von marktverzerrenden Foumlrderprogram-men wegkommen sollten waumlre es in einer Uumlbergangs phase sinnvoll die KEV-Obergrenze von 10 Mega watt aufzuheben und dort zu foumlrdern wo es wirklich etwas bringt

Wie soll die Grosswasserkraft unterstuumltzt werdenDas Sinnvollste waumlre die Abkehr von der Subventions-maschinerie ndash und zwar auf europaumlischer Ebene Dann wuumlrde sich die Wasserkraft als effiziente erneuerbare Stromproduktionsform mit Sicherheit durchsetzen Min-destens als Uumlbergangsloumlsung waumlre aber die Entlastung

von Abgaben in erster Linie vom Wasserzins dringend Der maximale Wasserzins wurde in den letzten vier Jahren um 38 Prozent erhoumlht und wird naumlchstes Jahr um weite-re 10 Prozent angehoben Diese Erhoumlhung wurde 2008 beschlossen und steht heute in keinerlei Bezug mehr zur Ertrags lage Kurzfristig koumlnnten die Kantone auf einen Teil dieser Zinsen verzichten ndash das waumlre ein wichtiges politi-sches Zeichen Langfristig muss ein neuer Modus fuumlr die Zinsberechnung gefunden werden der die Ertragslage der Wasserkraft mitberuumlcksichtigt Das ist auch im Interesse von Bund Kantonen und Gemeinden schliesslich ist die Wasserkraft zu 85 Prozent in oumlffentlicher Hand Ebenfalls als Uumlbergangsloumlsung bis zu besseren Marktpreisen waumlren zinsguumlnstige Darlehen fuumlr die noumltigen Investitionen in die Grosswasserkraft denkbar Ohne mindestens eine dieser Massnahmen kann die Wasserwirtschaft das geforderte Ausbauziel nicht erreichen

Bis dahin gibt es noch eine weitere Huumlrde den Heimfall der Stauanlagen an die Standortgemeinden Welchen Ein-fluss hat dieser UmstandWenn die Konzessionen nach 80 oder 100 Jahren aus-laufen muss der Betreiber der Gemeinde eine Entschaumldi-gung fuumlr den Restwert der Anlagen entrichten Im Fall der Staumauer Barberine bezahlen die SBB und Alpiq 2017 an sechs Walliser Gemeinden 343 Millionen Franken Das 400-Seelen-Dorf Finhaut erhaumllt alleine 112 Millionen Fran-ken und weiss kaum wohin mit dem Geld Der gesamte Wert des Heimfalls der Anlagen bewegt sich schweizweit im Milliardenbereich Der Houmlhepunkt des Heimfalls wird um 2035 erreicht werden Bis zu diesem Zeitpunkt soll aber auch ein Grossteil der geforderten Produktionsstei-gerung umgesetzt werden

Bei der Stromproduktion ist ein Ausbau von uumlber 10 Pro-zent wohl nicht realistisch Wie sieht es bei der Speicher-leistung aus Hier muss man unterscheiden zwischen kurzfristiger und saisonaler Speicherung Fuumlr die saisonale Speicherung verfuumlgt die Schweiz mit 200 Speicherseen uumlber ein Vo-lumen von rund 9 000 Gigawattstunden (GWh) die jedes Jahr vom Sommer in den Winter umgelagert werden Dies

38 COMPETENCE | 2014

Expertensicht

entspricht einem Viertel der jaumlhrlichen Produktion aus Wasserkraft Das Ausbaupotenzial durch die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren betraumlgt rund 2 000 GWh Falls der Ausbau aber nicht gelingt entsteht im Winter durch den Ausfall der Kernenergie eine immer groumlssere Luumlcke an Bandenergie die durch den Import von Atom- oder Kohlestrom gedeckt werden muss

Wie sieht es beim Ausbau der Pumpleistung zum kurzfris-tigen Ausgleich von Schwankungen im Netz ausGrundsaumltzlich ist das Potenzial fuumlr Pumpspeicherwerke in der Schweiz riesig Es braucht nur zwei Seen auf unter-schiedlicher Houmlhe Die Frage ist ob sich solche Investi-tionen rechnen Die Pumpspeicherwerke finanzieren sich

uumlber den Preisunterschied zwischen Band- und Spitzen-energie Wenn an einem schoumlnen Sommertag in Europa mittags die geballte Ladung an Sonnen- und Windener-gie eingespeist wird koumlnnen die Pumpspeicherkraftwerke sehr guumlnstig oder sogar zu Negativpreisen Strom bezie-hen Man darf aber nicht vergessen dass dieselbe Situa-tion fuumlr die Laufwasserkraftwerke die rund die Haumllfte der Wasserkraftproduktion in der Schweiz ausmachen den gegenteiligen Effekt hat Diese koumlnnen aus technischen konzessionsrechtlichen oder oumlkologischen Gruumlnden nicht vom Netz genommen werden und muumlssen fuumlr ihre Strom-produktion bezahlen Das kann gehoumlrig ins Geld gehen An Weihnachten 2012 lag der Strompreis zum Beispiel bei minus 30 Rappen pro Kilowattstunde

Roger Pfammatter laquoWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerbare Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichtenraquo

Bild Florian Wehrli

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cherseen zur Flexibilisierung Damit das gelingt muss der Wert der Wasserkraft staumlrker im Bewusstsein der Bevoumllke-rung verankert sein Und nicht zuletzt muss der Marktpreis so weit uumlber den Gestehungskosten liegen dass sich In-vestitionen in die Wasserwirtschaft rentieren

Versuchen das Bestehende zu erhalten Diese Vision klingt etwas resigniertDas ist eine Frage der Perspektive Die Wasserkraft hat als Technologie in der Schweiz seit Langem Bestand Sie befindet sich in einer anderen Situation als Fotovoltaik und Windenergie die sich in einem hochdynamischen Umfeld mit grossem Potenzial in Forschung und Wachstum be-finden Die Wasserkraft ist dagegen nicht mehr in der Auf-bruchsphase sondern in der Konsolidierungsphase Da-fuumlr kann man sich auf die Wasserkraftwerke verlassen Sie produzieren bei Tag und in der Nacht im Sommer wie im Winter bei Windstille oder im Nebel Auch der Erhalt und die Optimierung des Bestehenden sind grosse Heraus-forderungen und bedingen grosse Investitionen

Sehen Sie eine Moumlglichkeit wie die Schweizer Wasser-wirtschaft in Zukunft Geld mit Systemdienstleistungen wie Netzstabilitaumlt verdienen kannDie unregelmaumlssig einspeisenden Stromproduzenten neh-men keinerlei Systemverantwortung wahr Ich habe selbst ein Solarpanel auf dem Dach Wenn Produktion moumlglich ist speise ich Strom ins Netz ein wenn nicht beziehe ich Die Produzenten mehr in die Verantwortung zu nehmen faumlnde ich sinnvoll ndash zum Beispiel uumlber Zertifikate fuumlr Spei-cherleistungen Diese koumlnnten bei Pumpspeicherwerken bezogen werden

Welcher Ausbau der Pumpspeicherleistung ist dafuumlr noumltigDie installierte Leistung betraumlgt heute rund 14 Gigawatt (GW) Mit den im Bau befindlichen und den geplanten An-lagen kann die Kapazitaumlt maximal auf 51 GW ausgebaut werden ndash etwa die Haumllfte der Jahreshoumlchstlast im Netz Damit die Schweizer Wasserkraft aber einen Beitrag zur Stabilitaumlt des europaumlischen Stromnetzes leisten kann muumlssten auch das Stauvolumen und die Leitungskapazi-taumlt erhoumlht werden Hier sind die Einsprachen von Anwoh-nern und Umweltverbaumlnden noch gravierender als bei den Anlagen selbst

Braucht es neue rechtliche Instrumente um den geplan-ten Ausbau durchsetzen zu koumlnnenEs braucht vor allem die Einsicht dass die Wasserkraft das Ruumlckgrat unserer Versorgungssicherheit ist und die Aus-wirkungen eines Ausbaus immer auch mit den Alternativen verglichen werden muumlssen Wir befinden uns aber auch in einem intensiv genutzten Land mit vielen Partikularinteres-sen Diese muumlssen gewichtet und abgewogen werden In der Abwaumlgung zwischen Landschaftsschutz und Wasser-nutzung waumlre es hilfreich wenn Grosswasserkraftanlagen den Status von nationalem Interesse erhalten

Wie soll die Schweizer Wasserwirtschaft im Jahr 2035 aussehenIch wuumlnsche mir dass die bestehende Infrastruktur auf dem heutigen Stand erhalten optimiert oumlkologisiert und im Idealfall etwas ausgebaut wird Dazu gehoumlren etwa die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren sowie neue Spei-

Roger PfammatterSeit seinem Ingenieurstudium an der ETH Zuumlrich hat er sich in ver-schiedenen Rollen dem Wasser verschrieben Nach sieben Lehr- und Wanderjahren in der Forschung und in der Entwicklungszusammen-arbeit war er zehn Jahre beim Ingenieurunternehmen Ernst Basler + Partner engagiert Seit 2010 ist er Geschaumlftsfuumlhrer des Schweizeri-schen Wasserwirtschaftsverbandes (SWV) und Herausgeber der Zeit-schrift laquoWasser Energie Luftraquo In diesen Funktionen setzt er sich ein fuumlr den Fachaustausch und gute Rahmenbedingungen in den Bereichen Wasserkraft und Hochwasserschutz

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Die globalen Energiemaumlrkte sind seit einigen Jahren stark in Bewegung Volatile Erdoumllpreise die Foumlrderung von un-konventionellen Gasvorkommen in grossem Stil die mas-sive Subventionierung von neuen erneuerbaren Energien in Deutschland der laquoarabische Fruumlhlingraquo und der Konflikt in der Ukraine hinterlassen Spuren Die Folge sind starke Verwerfungen an den Maumlrkten und fehlende Investitionssi-cherheit In diesem dynamischen und unsicheren Kontext will der Bund die bisherige Energiepolitik neu ausrichten ndash wahrlich eine Herkulesaufgabe Die Schweizer Wirtschaft verlangt dass der Bund bei der Neuausrichtung der Ener-giepolitik seinem in der Verfassung verankerten Auftrag nachkommt und sich fuumlr eine ausreichende sichere breit gefaumlcherte wirtschaftliche und umweltvertraumlgliche Ener-gieversorgung einsetzt Somit ist klar Die Energiestrate-gie 2050 muss in erheblichen Teilen optimiert und justiert werden Nur wenn vernetzt gedacht wird ist eine sichere Versorgung zu wettbewerbsfaumlhigen Preisen moumlglich

Prognosen klaffen weit auseinanderSeit Jahrzehnten bietet der Strommix aus Wasserkraft (knapp 60 Prozent) und Kernenergie (40 Prozent) Gewaumlhr fuumlr eine sichere klimafreundliche und wirtschaftliche Ener-gieversorgung Im Rahmen der Energiestrategie 2050 muss die Kernenergie langfristig ersetzt werden Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen zumal die Ziele des Bundes

Lebenselixier der Wirtschaft

Die Schweizer Wirtschaft ist auch in Zukunft auf eine sichere und wirtschaftliche Stromver-sorgung angewiesen Die Ener-giestrategie 2050 setzt stark auf Subventionen Dadurch entstehen Fehlanreize welche die Versorgungssicherheit ge-faumlhrdenText Kurt Lanz

Expertensicht

in Bezug auf das Potenzial der neuen erneuerbaren Ener-gien von Wunschdenken geleitet sind Die neuen erneuer-baren Energien werden sich langsamer entwickeln als an-gestrebt Der Bund rechnet mit rund 12 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2035 die Schweizer Wirtschaft mit 44 TWh Die vorsichtigeren Prognosen der Wirtschaft scheinen re-alistischer Dies zeigen exemplarisch die gescheiterten Geothermieprojekte in Basel und St Gallen Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Nachfrageprognosen Der Bund rechnet in seinen Szenarien mit einem Ruumlckgang des Stromverbrauchs pro Kopf von 16 Prozent zwischen 2000 und 2035 Die Schweizer Wirtschaft orientiert sich in ihren Szenarien am Verband Schweizerischer Elektrizitaumlts-unternehmen (VSE) der weiter mit einer steigenden Nach-frage rechnet Die Wirtschaft fordert von der Politik eine vernuumlnftige Planung aufgrund realistischer Schaumltzungen Die Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energiestrategie nicht gefaumlhrdet werden

Subventionen fuumlhren zu FehlanreizenDie Schweiz hat seit vielen Jahrzehnten erfolgreich die Wasserkraft vorangetrieben Aus politischen Gruumlnden wird nun die ndash unregelmaumlssige ndash Stromproduktion durch Sonnen- und Windenergie forciert Unsere sogenann-te kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) entspricht dem deutschen Foumlrdermodell Beide haben das gleiche Ziel Sie sollen erneuerbare Energien ausbauen indem sie neue Formen der Stromproduktion zur Marktreife brin-gen Weil das KEV-System die Sonnen- und Windenergie massiv foumlrdert kommt ein weiterer Ausbau der bewaumlhrten Wasserkraft nicht infrage Diese Entwicklung gefaumlhrdet die Versorgungssicherheit der Schweiz Auf den ersten Blick sinken zwar die Produktionskosten fuumlr Solarstrom gleich-zeitig steigen aber die Kosten fuumlr Speicherung und Inte-gration ins Netz spuumlrbar Auch ist der Ausbau von Solar- und Windenergie nur von beschraumlnktem Nutzen solange keine ausreichenden Speicherkapazitaumlten vorhanden sind Nur Preissignale koumlnnen das Investitionsverhalten von Stromproduzenten Netzbetreibern und Konsumen-ten sinnvoll lenken Subventionen sind zu beseitigen denn sie fuumlhren zu Fehlanreizen

41COMPETENCE | 2014

Alle Optionen offenhaltenOffenheit und Neugier gehoumlren zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft Kategorisches Abwehrverhalten und Denkverbote verhindern konstruktive Loumlsungsansaumltze und Innovation Eine sichere und kostenguumlnstige Strom-versorgung kann auch in Zukunft nur mit der notwendi-gen Offenheit gegenuumlber allen Technologien und Energie-

systemen garantiert werden Die Schweiz ist dank einer erfolgreichen Hochschulland-schaft und vielen Technolo-gieunternehmen gut geruumlstet Die verschiedenen Energie-systeme muumlssen faktenba-siert und ohne ideologische

Scheuklappen verglichen werden Nur so koumlnnen effizi-ente und umweltvertraumlgliche Loumlsungen gefunden werden Das heutige System der Foumlrderung der neuen erneuer-baren Energien ist durch ein marktorientiertes System ab-zuloumlsen Produzenten die nachfragegerecht einspeisen sollen eine houmlhere Verguumltung erhalten als andere Auch soll der Vorrang der Netzeinspeisung fuumlr subventionierte Energietraumlger aufgehoben werden

laquoDie Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit

des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energie strategie nicht

gefaumlhrdet werdenraquo

Schnellere Verfahren anstrebenGrundvoraussetzung fuumlr eine Neuausrichtung der Ener-giepolitik sind funktionierende Stromnetze Diese muumls-sen zwingend parallel zum Umbau der Stromproduktion weiterentwickelt werden Allein der noumltige Ausbau der Uumlbertragungsnetze belaumluft sich auf rund 1 000 Kilometer bis ins Jahr 2020 Erforderlich sind zudem Investitionen in alle Verteilernetzebenen Al-lerdings verzoumlgern komplizier-te Verfahren auf Kantons- und Bundesebene den Ausbau Ausserdem erwaumlchst praktisch jedem Projekt Widerstand von privater Seite was zu weiteren Verzoumlgerungen fuumlhrt Die Wirt-schaft fordert deshalb Bei Bewilligungen von Stromnetzen ist der Gang vors Bundesgericht nur noch bei Grundsatz-fragen moumlglich Umbauten sowie Spannungs- und Kapa-zitaumltserweiterungen koumlnnen ohne Planungsgenehmigung realisiert werden Ausserdem sind die Verfahren bei einer einzigen Leitbehoumlrde anzusiedeln

Spielfeld erweiternDie Schweiz ist seit jeher ein wichtiges Stromtransitland Schon seit den 90er-Jahren treibt die EU die Vereinheitli-chung des Binnenmarkts fuumlr Strom hin zu einem eigent-lichen EU-Strommarkt voran In der Schweiz erweist sich die gesetzliche Trennung von Grundversorgung und Markt diesbezuumlglich zunehmend als Hindernis Aus Sicht der Wirtschaft ist die vollstaumlndige Liberalisierung des Strom-markts eine zwingende Voraussetzung fuumlr eine erfolgrei-che energiepolitische Neuausrichtung

Eine Marktoumlffnung wuumlrde insbesondere auch den erneuer-baren Energien neue Chancen eroumlffnen und Zugang zu neuen Kunden gewaumlhren Von hoher Wichtigkeit ist auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU Je groumlsser der Anteil erneuerbarer Energien umso wichtiger ist die Einbettung in Europa denn Investitionen in Netze und Produktion koumlnnen in Koordination mit der EU wirkungsvoller und wahrscheinlich kostenguumlnstiger getaumltigt werden

Kurt LanzKurt Lanz ist Leiter Infrastruktur Energie und Umwelt sowie Geschaumlftsleitungsmitglied von economiesuisse dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft

Gut vernetzt ndash Vorschlaumlge der Schweizer Wirtschaftzur EnergiepolitikDie Publikation basiert auf der Grundlagenarbeit der breit abgestuumltz-ten Energiekommission von economiesuisse und macht konstruk-tive Vorschlaumlge fuumlr einen erfolgreichen energiepolitischen Weg der Schweiz Download unter wwweconomiesuissech

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

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Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

wwwsmlzhawch

Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 13: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

13COMPETENCE | 2014

Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Energieversorgung

dem Parlament die Energiestrategie 2050 vor welche die Basis fuumlr diesen Umbau schafft Grundsaumltze der Energie-strategie sind die Energieeffizienz die Steigerung des An-teils aus erneuerbaren Energien und die Umsetzung des Verursacherprinzips Das bedeutet dass die Kosten der Energienutzung moumlglichst von den Verursachern getragen werden

Die Schweiz verfuumlgt zwar uumlber eine hohe Versorgungs-sicherheit allerdings sind unsere Energiequellen teilweise nicht nachhaltig Gegenwaumlrtig liegt der Anteil der fossilen Energietraumlger am Endenergieverbrauch bei rund 80 Pro-zent Damit traumlgt die Schweiz zu den negativen Folgen der Klimaerwaumlrmung bei Als rohstoffarmes Land importiert sie einen grossen Teil dieser Energie ndash insbesondere Roh-oumll und Gas Dementsprechend hoch ist die Abhaumlngigkeit vom Ausland Zudem steht die Schweiz energiepolitisch vor weiteren grossen Herausforderungen Aufgrund des Bevoumllkerungs- und Wirtschaftswachstums des steigen-den Wohlstands sowie der zunehmenden Mobilitaumlt nimmt die Nachfrage nach Energie zu Teilweise veraltete Infra-struktur wachsender Wettbewerb und die Integration in das europaumlische Energienetz stellen das Energiesystem zudem vor zusaumltzliche Herausforderungen die es zu be-waumlltigen gilt

Langfristige StrategieUm diese Herausforderungen anzugehen ist ein Umbau des Energiesystems in Richtung Nachhaltigkeit unabding-bar Im Nachgang zur Reaktorkatastrophe in Fukushima haben Bundesrat und Parlament im Jahr 2011 den Grund-satzentscheid fuumlr einen schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie gefaumlllt Der Bundesrat legte anschliessend

Mit der Energiestrategie 2050 des Bundes soll unter anderem der Energieverbrauch reduziert und der Anteil der erneuerbaren Energien erhoumlht werden Dazu gehoumlren eine Reduk tion der energiebedingten CO2-Emissionen und der schrittweise Ausstieg aus der Kernenergie ndash dies ohne die bisher hohe Versorgungs-sicherheit und die preiswerte Energieversorgung zu gefaumlhrden Die ambitioumlsen Ziele sind aber nur zu erreichen wenn ein Um-denken stattfindet und Politik Wirtschaft Wissenschaft und Gesellschaft enger zusammenarbeiten Text Walter Steinmann

Hintergrund

Stossrichtungen der Energiestrategie ndash Energieeffizienz erhoumlhen Energieverbrauch

senken Stromverbrauch stabilisieren ndash Anteil der erneuerbaren Energien erhoumlhen und

Restbedarf durch fossile Stromproduktion und Importe decken

ndash Zugang zu internationalen Energiemaumlrkten sicherstellen

ndash Um- und Ausbau der elektrischen Netze und der Energiespeicherung vorantreiben

ndash Energieforschung verstaumlrken ndash Vorbildfunktion der oumlffentlichen Hand wahrnehmen ndash Internationale Zusammenarbeit im Energiebereich

intensivieren

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Hintergrund

Der Bundesrat hat dem Parlament im September 2013 ein erstes Massnahmenpaket zur Umsetzung der Energie-strategie 2050 vorgelegt Das Geschaumlft wird momentan von den vorberatenden parlamentarischen Kommissio-nen behandelt Es ist auf die Zielsetzungen fuumlr das Jahr 2020 ausgerichtet und soll langfristig wirken Konkret vorgesehen ist etwa eine Erhoumlhung der CO2-Abgabe auf Brennstoffe mit einer gleichzeitigen Verstaumlrkung des Ge-baumludesanierungsprogramms Weiter soll die bisherige kostendeckende Einspeiseverguumltung zu einem Verguuml-tungssystem mit Direktvermarktung umgebaut werden Dafuumlr sind eine Totalrevision des Energiegesetzes sowie Anpassungen in weiteren neun Bundesgesetzen noumltig Berechnungen zufolge soll der Energieverbrauch mit der Umsetzung des ersten Massnahmenpakets bis 2050 we-sentlich abnehmen Insbesondere bei den fossilen Ener-gietraumlgern wird mit grossen Ruumlckgaumlngen gerechnet

Volkswirtschaftlich werden sich die Kosten fuumlr die Um-setzung der Energiestrategie in Grenzen halten Den er-heblichen Investitionen in die Energieeffizienz stehen Ein-sparungen bei den Energieimporten gegenuumlber Es sind jedoch betraumlchtliche Investitionen insbesondere fuumlr den Zubau der Stromproduktion aus erneuerbaren Energietrauml-gern noumltig

Zusammensetzung des Endshyenergieverbrauchs (ohne Treibshystoffverbrauch des internationalen Flugverkehrs) bis 2050 auf der Basis des vorliegenden Massnahmen pakets des UVEK (Quelle Prognos)

Ein Markt mit ZukunftEine nachhaltige Energiepolitik ist nur moumlglich wenn die Schweiz staumlrker auf erneuerbare Energien setzt Heute stammen nur gerade 20 Prozent der verbrauchten Ener-gie aus erneuerbaren Quellen Die laufenden Arbeiten zur Energiestrategie 2050 zeigen dass Sonnen- und Wind-energie Wasserkraft und Geothermie in der Schweiz uumlber grosse Potenziale verfuumlgen deren optimale Er-schliessung jedoch durch verschiedene Faktoren behin-dert beziehungsweise verzoumlgert wird Dazu gehoumlren die

langwierigen Bewilligungsverfahren und die teils fehlende Akzeptanz in der Bevoumllkerung aber auch die begrenzten Foumlrdermittel zur Realisierung entsprechender Projekte Mit der Energiestrategie 2050 sollen guumlnstigere Rahmenbe-dingungen geschaffen werden

Die Sicherung des langfristigen Energieangebots wird zu einer der zentralen Herausforderungen und bietet gleichzeitig grosse Chancen fuumlr den Wirtschaftsstandort

laquoFortschritte bei der Ressourcen-effizienz und den erneuerbaren

Energien ermoumlglichen Wettbewerbs-vorteile auf den Exportmaumlrktenraquo

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Schweiz Bereits heute verfuumlgt die Schweiz uumlber ein gros-ses industrielles und technologisches Know-how gerade im Bereich Cleantech Fortschritte bei der Ressourcen-effizienz und den erneuerbaren Energien ermoumlglichen Wett bewerbsvorteile auf den Exportmaumlrkten sie schaffen neue Arbeitsplaumltze und erhoumlhen die Unabhaumlngigkeit in der Rohstoffversorgung Zusammen mit dem Masterplan Cleantech traumlgt die Energiestrategie 2050 dazu bei dass sich die Schweiz hier als Vorreiterin profilieren kann

Uumlbergang in ein LenkungssystemDamit sich der Markt in Richtung Nachhaltigkeit entwickelt werden kuumlnftig weitere Massnahmen noumltig sein Waumlhrend das erste Massnahmenpaket noch stark auf Foumlrderung zielt wird die Energiepolitik ab 2021 gemeinsam mit der Klimapolitik strategisch neu ausgerichtet Das bestehen-de Foumlrdersystem basiert auf einem Netzzuschlag fuumlr die Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Ener-gien und einer Teilzweckbindung der CO2-Abgabe fuumlr das Gebaumludeprogramm Es soll durch ein marktwirtschaftli-ches Lenkungssystem abgeloumlst werden mit dem sich die Energie -und Klimaziele effektiv und oumlkonomisch effizient erreichen lassen Konkret werden erneuerbare Energien und Gebaumludesanierungen zunaumlchst noch staatlich unter-stuumltzt ndash langfristig soll der Markt spielen Das Bundesamt fuumlr Energie ist daran in Zusammenarbeit mit dem Eidge-noumlssischen Finanzdepartement und dem Staatssekretariat fuumlr Wirtschaft zu konkretisieren wie das umzusetzen ist

Wissenstransfer staumlrken Gluumlcklicherweise herrscht an den Hochschulen und ihren Instituten im Energiebereich Aufbruchstimmung Fuumlr Un-ternehmen ist es jedoch oft schwierig das an Hochschu-len vorhandene Wissen abzuholen gerade wegen der grossen Diversitaumlt der Forschung und der Fragmentierung des Wissens auf zahlreiche Institute Gleichzeitig stossen mit Unternehmen der Informations- und Kommunikations-technologie neue Akteure mit grossem Know-how in den Energieversorgungsmarkt vor Energieversorgungsunter-nehmen in ganz Europa ruumlcken vom reinen Stromverkauf ab und positionieren sich vermehrt als Anbieter von umfas-senden Energiedienstleistungen Diesem Trend muss sich

Walter SteinmannDr Walter Steinmann ist seit 2001 Direktor des Bundesamts fuumlr Energie (BFE) Er hat an der Universitaumlt Zuumlrich Volkswirtschaft studiert und seine Studien 1988 mit einer Doktorarbeit an der Universitaumlt Konstanz ab geschlossen Von 1981 bis 1988 war er Delegierter fuumlr Wirtschaftsfoumlrderung des Kantons Basel-Landschaft und arbeitete an-schliessend als Beauftragter fuumlr Wirtschafts-foumlrderung des Kantons Solothurn Von 1994 bis 2001 war er Chef des Amts fuumlr Wirtschaft und Arbeit des Kantons Solothurn

auch die Schweiz stellen und ihre Kraumlfte vermehrt buumlndeln um Synergien zwischen Wirtschaft und Forschung zu schaffen Nur so kann der Technologiestandort Schweiz staumlrker werden Der Bund setzt bereits Massnahmen um damit der Transfer der Forschungsresultate in den Markt sichergestellt wird Dazu gehoumlrt der Aufbau vernetzter Forschungskompetenzzentren der Swiss Competence Centers for Energy Research Auch die ZHAW School of Management and Law beteiligt sich in diesem Rahmen massgeblich an den nationalen Forschungsaktivitaumlten zum Umbau des Schweizer Energiesystems

Mit der Energiestrategie 2050 hat die Schweiz die Chance sich aus ihrer Abhaumlngigkeit von den fossilen Energien zu loumlsen den Export fortschrittlicher Technologien zu staumlrken und mit dem ressourcen- und klimaschonenden Umgang mit Energie international eine Fuumlhrungsrolle zu uumlberneh-men Nutzen wir diese Chance

Weitere Informationen unter wwwenergiestrategie2050ch

laquoDie Schweiz muss ihre Kraumlfte vermehrt buumlndeln um

Synergien zwischen Wirtschaft und Forschung zu schaffenraquo

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Eine der wichtigsten Zielsetzungen der Energiewende wie sie der Bundesrat formuliert hat ist der Ausbau der er-neuerbaren Energien Der Anteil von Wasser- Wind- und Sonnenkraft sowie Erdwaumlrme am Energiemix soll massiv erhoumlht werden Die durchschnittliche inlaumlndische Produk-tion ndash ohne Wasserkraft ndash soll im Jahr 2020 bei mindes-tens 4 400 Gigawattstunden (GWh) und im Jahr 2035 bei mindestens 14 500 GWh liegen Bei der Produktion von Elektrizitaumlt aus Wasserkraft wird bis im Jahr 2035 ein Aus-bau der Produktion auf 37 400 GWh angestrebt Zum Ver-gleich Die Jahresproduktion des AKW Muumlhleberg liegt bei rund 2 600 GWh Das sind houmlchst ambitioumlse Ziele

Der geplante Ausbau der Nutzung von erneuerbaren Energien bedarf zahlreicher Anlagen ndash Windparks Was-serkraftwerke oder groumlsserer Solaranlagen ndash mit entspre-chend hohem Raumbedarf Der Bundesrat sieht nicht vor die Umwelt- und Heimatschutzgesetze massgeblich zu lo-ckern obwohl es regelmaumlssig zu Konflikten zwischen den Schutzinteressen und Energienutzungsanlagen sowie zu entsprechenden Gerichtsverfahren kommt ndash wie juumlngst im Goms bei der Planung eines Wasserkraftwerks (BGE 140 II 262 ff) Das Bundesgericht nimmt jeweils eine im Resul-tat schwer voraussehbare Interessenabwaumlgung vor und stellt die Leistung der Anlage sowie die Faumlhigkeit zeitlich flexibel und marktorientiert zu produzieren den Schutz-interessen gegenuumlber

Ein weiteres Problem besteht darin dass groumlssere Anla-gen bei der Nachbarschaft oder in einer breiteren Bevoumll-kerung keine Akzeptanz finden So waumlre zwar im Kanton

Loumlsungen suchen bevor es zum Rechtsstreit kommt

Hochschulperspektive

Der Bundesrat sieht im Rahmen der Energiestrategie 2050 vor den Anteil der erneuerbaren Energien massiv zu erhoumlhen Die vermehrte Nutzung erneuerbarer Energietraumlger fuumlhrt jedoch zu einem Interessenkonflikt zwischen Wirtschaftlichkeit umwelt-rechtlichen Anforderungen und sozialer Akzeptanz Diesen gilt es mit klaren rechtlichen Grundlagen zu loumlsenText Reneacute Wiederkehr und Andreas Abegg

Zuumlrich Wind vorhanden doch dreht sich dort bis heute keine einzige grosse Windturbine Gegen die einzige bis-her geplante Versuchsanlage am Stuumlssel oberhalb Baumlrets-wil hat eine Interessengemeinschaft Rekurs erhoben und will die geplante Windmessanlage bis vor Bundesgericht bekaumlmpfen Diese Probleme ndash die Kollision mit Schutz-interessen und die Angst vor Nachbarrekursen ndash koumlnnen im Ergebnis dazu fuumlhren dass die Energieunternehmen auf den Bau von Anlagen verzichten obwohl ein erhebli-ches Potenzial vorhanden waumlre

Loumlsungsansatz des BundesratsIm Rahmen der Energiepolitik 2050 schlaumlgt der Bundesrat vor dass die Kantone mit Unterstuumltzung des Bundes ein Konzept fuumlr den Ausbau der erneuerbaren Energien er-arbeiten und Gebiete fuumlr die Nutzung durch erneuerbare Energien bestimmen Nach der Genehmigung durch den Bund dient das Konzept den Kantonen als Grundlage fuumlr ihre Richtplanung Dadurch wird fuumlr die kommunalen und kantonalen Behoumlrden verbindlich festgelegt in welchen Gebieten Bewilligungen fuumlr erneuerbare Energieproduktio-nen erteilt werden koumlnnen

Welche Gebiete sich tatsaumlchlich fuumlr den Ausbau der er-neuerbaren Energien eignen ist bisher allerdings kaum erforscht worden Bund Kantonen und Gemeinden fehlen die Grundlagen um die Eignung von Standorten und Ge-bieten aus rechtlicher Sicht zu beurteilen Es ist deshalb einfacher ungeeignete Gebiete von der Nutzung auszu-nehmen Vor allem Gebiete welche fuumlr Natur- und Hei-matschutz wertvoll sind koumlnnen zu einer sogenannten

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schen und rechtsstaatlichen Verfahren aus So wurde zum Beispiel im Kanton Zuumlrich der Heimatschutz gegenuumlber dem Interesse an neuen Solaranlagen bereits zuruumlck-gestuft und das entsprechende Bewilligungsverfahren gestrafft Es wird sich gerade bei der Wahl von Stand-orten fuumlr die Nutzung erneuerbarer Energien zeigen ob die Energiewende ndash wie zuweilen befuumlrchtet ndash auf Kosten von Demokratie und Rechtsstaat sowie auf Kosten von Natur- und Heimatschutz geht oder ob wir die gegenwaumlr-tigen Strukturen unter transparenter und angemessener Wahrung aller Interessen anpassen koumlnnen um die an-spruchsvollen Energieziele zu erreichen

Negativzone fuumlhren Auch andere Anliegen wie die Erhal-tung von landwirtschaftlichem Kulturland und Wald der Schutz des Vogelzugs oder die Beduumlrfnisse der Luftfahrt sind zu beruumlcksichtigen Zudem ist zu beachten dass der Bau neuer Anlagen einen Ausbau des Energienetzes nach sich ziehen kann was wiederum zu Konflikten mit anderen raumrelevanten Interessen fuumlhrt

InteressenabwaumlgungUm die erneuerbare Energie wie geplant massiv foumlrdern zu koumlnnen muumlssen die notwendigen Anlagen rasch rea-lisiert werden In den hierzu notwendigen Bewilligungs- und Rechtsmittelverfahren muumlssen die Zielkonflikte der verschiedenen Interessen transparent gemacht und unter gleichberechtigter Abwaumlgung geloumlst werden Das gilt so-wohl fuumlr das konkrete Rechtsmittelverfahren vor Behoumlrden und Gerichten wie auch fuumlr eine vorgezogene Mediations-phase

Hier setzen die vom Bund initiierten Forschungen zur Energiewende auf drei Ebenen an Zunaumlchst muumlssen die Details der komplizierten Bewilligungsverfahren im Aus-tausch mit der Gerichtspraxis ausgearbeitet werden Das sorgt fuumlr Rechtssicherheit Auf einer zweiten Ebene gilt es die bestehenden kantonal reglementierten Verfahren zu vereinheitlichen und wenn moumlglich zu vereinfachen Damit es zu rechtsstaatlich tragfaumlhigen und sozial akzep-tierten Loumlsungen kommt sind die Rechte aller Beteiligten zu wahren jene von Gemeinden Kantonen und Bund als Behoumlrden von Energieunternehmen als Gesuchsteller so-wie von Nachbarn und beschwerdeberechtigten Verbaumln-den als Gegner Schliesslich sind auf einer dritten Ebene neue Hilfsmittel zu suchen mit denen Gebiete und Stand-orte bezeichnet werden koumlnnen die sich fuumlr die Nutzung erneuerbarer Energien besonders eignen Das Bewilli-gungsverfahren wird hiermit transparenter berechenbarer und ndash so die Hoffnung ndash kuumlrzer Mit klaren Rechtsgrund-lagen koumlnnen die Beteiligten zudem Loumlsungen suchen bevor es uumlberhaupt zum Rechtsstreit kommt Die geplante Foumlrderung erneuerbarer Energien kommt nicht ohne Veraumlnderungen in bestehenden demokrati-

Andreas AbeggProf Dr Andreas Abegg ist Leiter des Zen-trums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht an der ZHAW School of Management and Law Privatdozent an der Universitaumlt Fribourg und praktizierender Rechtsanwalt Er beschaumlf-tigt sich mit den rechtlichen Schnittpunkten zwischen Staat und Privaten insbesondere in den Bereichen Regulierung Verwaltungs-organisation und Energie Andreas Abegg forscht im Rahmen des vom Bund mitfinan-zierten Competence Center for Research in Energy Society and Transition (CREST) in der Forschungsgruppe Energy Policy Analysis

Reneacute WiederkehrProf Dr Reneacute Wiederkehr ist stellvertre-tender Leiter des Zentrums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht an der ZHAW School of Management and Law und Titularprofessor der Universitaumlt Luzern Er forscht und lehrt in den Bereichen Verwaltungsrecht und oumlf-fentliches Prozessrecht sowie im Rahmen des vom Bund mitfinanzierten Competence Center for Research in Energy Society and Transition (CREST) in der Forschungsgruppe Energy Policy Analysis

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Negawatt statt Megawatt

Energieeffizienzmassnahmen finanziell lohnen Zudem ver-fuumlgen kleine und mittlere Unternehmen selten uumlber Ener-gieverantwortliche oder Umweltbeauftragte die im Akqui-sitionsprozess gezielt angesprochen werden koumlnnen

Schwaumlchen bisheriger ProgrammeEine Umfrage der ZHAW bei Programmverantwortlichen zeigt diverse Schwaumlchen laufender Effizienzprogramme auf Ein haumlufiges Problem sind falsche Anreize So wird vornehmlich vermittelt wie mit Energieeffizienz Geld ge-spart wird Offensichtlich geht man davon aus dass Un-ternehmen praktisch nur uumlber finanzielle Anreize zu moti-vieren sind Bei den angepeilten KMU fallen Energiekosten jedoch kaum ins Gewicht Beratungsaufwand und Ergeb-nis stehen umso mehr im Missverhaumlltnis je weniger Ener-gie verbraucht wird Weiter scheinen die Programmver-antwortlichen ihre Zielgruppen kaum zu segmentieren und als unterschiedliche Kundensegmente wahrzunehmen Entsprechend beinhalten die meisten Programme ein Standardangebot mit einem breiten Spektrum an Mass-nahmen die oft nicht branchenspezifisch zugeschnitten sind Auch die Kundenansprache erfolgt in der Regel un-differenziert und die Moumlglichkeiten der Neuen Medien wer-den kaum genutzt

Keine langfristige PerspektiveEin Grossteil der Programme ist nicht auf Kundenbindung ausgelegt Insbesondere werden kaum Informationen er-fasst welche die Planung einer weiterfuumlhrenden Bezie-

Schweizer Unternehmen koumlnnten auf wirtschaftliche Art und Weise bis zu 30 Prozent ihres Energieverbrauchs ein-sparen Speziell bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) die immerhin 10 Prozent des Schweizer Stromver-brauchs verantworten ist das Sparpotenzial aber ungenuuml-gend ausgeschoumlpft

Energieeffizienzprogramme wirken nichtBehoumlrden Energieversorger und private Organisatio-nen haben in den letzten Jahren wiederholt Programme lanciert um Energieeinsparungen gezielt zu foumlrdern Al-lerdings haben bislang weniger als 1 Prozent der rund 300 000 Schweizer KMU an einem solchen Programm teilgenommen und die Umsetzungsquoten sind ebenfalls gering Uumlber die Gruumlnde die Unternehmen daran hindern an Energieeffizienzprogrammen teilzunehmen und ent-sprechende Massnahmen umzusetzen sind sich die Pro-grammverantwortlichen uneinig Oft werden Zeitmangel Priorisierung anderer Investitionen fehlende Mittel und zu lange Amortisationszeiten als Hemmnisse genannt Ge-nerell scheint es dass bei Kleinunternehmen Zeit- und Geldmangel eine wichtige Rolle spielen waumlhrend bei Un-ternehmen mittlerer Groumlsse eher der Mangel an Motiva tion und Bewusstsein ausschlaggebend ist Energiekosten machen bei KMU einen verschwindend kleinen Anteil der Gesamtkosten aus sodass die Prioritaumlten fuumlr Investitionen haumlufig anders liegen Man investiert beispielsweise lieber in Betriebsmittel zur Erhoumlhung der Produktivitaumlt als in die Reduktion der (bereits tiefen) Energiekosten obwohl sich

Energieeffizienz ist ein zentraler Pfeiler der Energiestrategie 2050 Die Schweiz gehoumlrt zu den Spitzenreitern punkto Energie effizienz auch dank ihrem dominanten Tertiaumlrsektor Dennoch liegen auch bei hiesigen Unternehmen grosse Sparpotenziale brach Wie diese genutzt werden koumlnnen untersucht die ZHAW in einem interdisziplinaumlren ProjektText Rolf Rellstab

Hochschulperspektive

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brauch betrifft erhoumlhte Arbeitssicherheit weniger Laumlrm-belastung oder geringerer Rohstoffverbrauch Der Wert solcher laquoNon-Energy Benefitsraquo kann fuumlr Unternehmen bis zu 250 Prozent der energetischen Einsparungen betra-gen Es geht also darum KMU gezielter auf die Chancen der Energieeffizienz hinzuweisen Schliesslich gilt es auch Unternehmen wissen zu lassen dass sich ihre Kunden fuumlr dieses Thema interessieren sowie ihnen dabei zu helfen ihr Energie effizienzengagement sichtbar zu machen Waumlh-rend bereits heute viele Unternehmen bestaumltigen dass sich ihr Image bei den Kunden durch die Teilnahme an einem Energieeffizienzprogramm verbessert hat achten erst wenige Firmen auch bei der Kommunikation darauf dass entsprechende Massnahmen gebuumlhrend bekannt gemacht werden

hung zu den Programmteilnehmenden ermoumlglichen wuumlr-den Angaben zu Stromverbrauch Houmlhe und Anteil der Energiekosten Anzahl Mitarbeitende und Umsatz waumlren wertvolle Informationen im Hinblick auf allfaumlllige Folgepro-gramme Im Vordergrund stehen zudem bei den meisten Programmen technische Loumlsungen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz Eine nachhaltige Verhaltensaumlnderung bei Mitarbeitenden oder auf Managementebene wird hingegen kaum verfolgt Auch ein Monitoring der Wirkung von Ener-gieeffizienzprogrammen ist bislang nicht vorhanden oder

wird zu wenig systematisch betrieben So wird zum Bei-spiel die effektive Energieeinsparung vielfach nicht erfasst und gepruumlft Das tatsaumlchliche Kosten-Nutzen-Verhaumlltnis einzuschaumltzen ist somit schwierig Dass die bestehenden Energieeffizienzprogramme inhaltlich durchaus Anklang finden zeigen Ruumlckmeldungen von Unternehmen die in der Vergangenheit daran teilgenommen haben Die Befrag-ten beurteilen ihre Erfahrungen mehrheitlich positiv Aus Sicht der Unternehmen lagen die Energieeinspar effekte im Bereich der Erwartungen Viele wuumlrden nochmals an einem solchen Programm teilnehmen was die oben ge-nannten Versaumlumnisse umso bedauerlicher macht

Wirksamkeit verbessernWie koumlnnen KMU zum Energiesparen motiviert werden Aus Marketingsicht beinhaltet ein sinnvolles Programm eine segmentspezifische Kundenansprache die den laquoReifegradraquo (Wissen Einstellungen und Verhalten) eines Unternehmens in Bezug auf Energieeffizienz beruumlcksich-tigt Zweitens braucht es eine klare Kundenbeziehungs-strategie welche eine wiederholte Teilnahme zum Ziel hat Bei den Anreizen einzig die finanziellen Aspekte wie etwa erwartete Kostensenkungen oder Foumlrderbeitraumlge hervor-zuheben scheint wenig erfolgversprechend Der Fokus wird in Zukunft wohl vermehrt darauf liegen denjenigen Nutzen hervorzuheben der nicht direkt den Energiever-

Rolf RellstabRolf Rellstab ist wissenschaftlicher Mit-arbeiter und Projektleiter am Institut fuumlr Marketing Management der ZHAW School of Management and Law Seine Arbeits-schwerpunkte liegen im Bereich Kommuni-kation Kundenbeziehungsmanagement und B-to-B-Marketing

Projektziel und VorgehensweiseIm ZHAW-Projekt laquoNegawatt statt Megawattraquo werden optimierte Vorgehensweisen entwickelt um KMU mit einem jaumlhrlichen Strom-verbrauch zwischen 10 und 500 MWh zum Energiesparen zu moti-vieren Der Begriff laquoNegawattraquo bezeichnet die eingesparte Energie die zu virtuellen Negawatt-Kraftwerken kombiniert wird So wird anschaulich aufgezeigt wie viel Energie dank diesen Einsparungen weniger produziert werden muss Das Projekt beinhaltet eine interna-tionale Literaturstudie zu den Erfolgsfaktoren und Hemmnissen von Energieeffizienzprogrammen eine Umfrage bei Anbietern solcher Programme sowie eine Befragung von KMU Aus den Ergebnissen dieser drei Teilstudien werden Hypothesen im Hinblick auf ein idea-les Energieeffizienzprogramm abgeleitet In einem Folgeprojekt sol-len die Hypothesen im Rahmen eines Pilotprogramms uumlberpruumlft und weiterentwickelt werden Das Projekt wird durch den WWF Schweiz die Stiftung Pro Evolution das Bundesamt fuumlr Energie (BFE) und die Elektrizitaumltswerke des Kantons Zuumlrich (EKZ) unterstuumltzt Weitere In-formationen wwwzhawchnegawatt

laquoEine nachhaltige Verhaltens - aumlnderung bei Mitarbeitenden oder auf Managementebene

wird kaum verfolgtraquo

Wie viel Heizoumll wird jaumlhrlich in Winterthur verbraucht

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Klima im Wandel ndash Emissionsrechte im Handel

Der Klimawandel laumlsst sich anhand des Treibhauseffekts veranschaulichen Die Treibhausgase bewirken dass kurz-welliges Sonnenlicht zur Erdoberflaumlche gelangt verhindern jedoch dass langwellige Waumlrmestrahlung von der Erde nach aussen dringt Somit kann die Waumlrme nicht mehr entweichen und die Temperatur steigt Der Ausstoss von Treibhausgasen die vor allem bei der Verbrennung von fossilen Energietraumlgern wie Kohle Gas und Oumll entstehen hat seit der industriellen Revolution stark zugenommen und den natuumlrlichen Treibhauseffekt verstaumlrkt Eine Zunahme der Haumlufigkeit und Intensitaumlt meteorologischer und hydro-logischer Grossereignisse wie Stuumlrme und Uumlberschwem-mungen sind die Folge ndash mit gravierenden oumlkologischen oumlkonomischen und sozialen Konsequenzen

Der 2013 veroumlffentlichte Bericht der internationalen Exper-tengruppe Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zeigt auf dass die globale Durchschnittstempera-tur in den letzten 130 Jahren um 085deg Celsius gestiegen

Der Klimawandel findet nicht in ferner Zukunft sondern bereits jetzt statt Um ihn fuumlr Mensch und Umwelt auf einem ertraumlg-lichen Niveau zu stabilisieren muumlssen die Treibhausgas-emissionen reduziert werden Der Emissionshandel soll dazu beitragen sie dort zu mindern wo die geringsten Kosten an-fallen So kann das gesetzte Mengenziel oumlkonomisch effizient erreicht werdenText Regina Betz

ist Ohne Minderungsanstrengungen wird bis 2100 ein mehr als fuumlnffacher Anstieg prognostiziert Um die Treib-hausgaskonzentration in der Atmosphaumlre auf einem fuumlr Mensch und Umwelt akzeptablen Niveau zu stabilisieren muss die Erwaumlrmung bei unter 2deg Celsius stagnieren Da-fuumlr muumlssen laut dem 2014 veroumlffentlichten Bericht des IPCC die globalen Treibhausgasemissionen (THGE) bis 2050 gegenuumlber 2010 mindestens halbiert und bis 2100 um rund 100 Prozent reduziert werden 1997 hat sich die internationale Staatengemeinschaft im Kyoto-Protokoll fuumlr die Jahre 2008 bis 2012 erstmals auf voumllkerrechtlich ver-bindliche Ziele fuumlr den Ausstoss von THGE in den entwi-ckelten Laumlndern geeinigt aktuell finden Verhandlungen fuumlr die Festlegung neuer Ziele statt

Cap and TradeZur Zielerreichung sieht das Kyoto-Protokoll unter ande-rem den Emissionshandel auf Staatenebene vor Zahl-reiche Laumlnder wenden dieses Instrument aber haumlufiger auf Unternehmensebene an Das Grundprinzip ist einfach Die Houmlchstmenge (Cap) an erlaubten Gesamtemissionen wird festgelegt und an die regulierten Unternehmen im Emissions rechtehandelssystem (EHS) verteilt Die Unter-nehmen sind verpflichtet fuumlr jede emittierte Tonne Kohlen-dioxid ein Emissionsrecht einzureichen ansonsten sind Sanktionszahlungen faumlllig Will ein Unternehmen uumlber die ihm zugeteilte Menge hinaus emittieren muss es ein an-deres Unternehmen finden das ihm die benoumltigte Menge an Emissionsrechten verkauft (Trade) Unternehmen mit hohen Minderungskosten werden dabei Emissionsrechte hinzukaufen und Unternehmen mit niedrigen Kosten wer-den ihre Emissionen mindern indem sie etwa Biomasse statt Kohle verbrennen und uumlberschuumlssige Emissions-rechte verkaufen Durch den Handel koumlnnen die erforder-lichen Emissionsminderungen dort realisiert werden wo sie mit den geringsten Kosten verbunden sind Am Markt stellt sich ein Preis fuumlr die Emissionsrechte ein der Ange-bot und Nachfrage zum Ausgleich bringt

So einfach das Prinzip ist so schwierig ist seine Umset-zung Das System bedingt dass die Regierungen Rech-te fuumlr die Nutzung der Atmosphaumlre schaffen die zu einer

Hochschulperspektive

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Hochschulperspektive

Reduktion der Emissionen gegenuumlber einer Referenzent-wicklung fuumlhren dem sogenannten Business-as-usual-Szenario Doch die Abschaumltzung dieses Szenarios also der Entwicklung der Emissionen ohne Mengenbegren-zung ist schwierig wie die nachfolgenden Ausfuumlhrungen zum Emissionshandel in der EU zeigen

Der Emissionshandel in der EUDas EU-EHS ist der weltweit groumlsste Markt von Emissions-rechten Alle 28 EU-Staaten sowie Liechtenstein Island und Norwegen sind daran beteiligt Die Schweiz wuumlrde sich gerne anschliessen Das EU-EHS leidet seit seiner Einfuumlhrung im Jahr 2005 unter einem Uumlberangebot das sich mittlerweile auf rund 2 Milliarden Emissionsrechte be-laumluft Dies entspricht ungefaumlhr den vom System regulierten Emissionen eines Jahres Neben den unvorhergesehenen oumlkonomischen Entwicklungen durch die globale Finanz-krise traumlgt auch der starke Zubau an erneuer baren Ener-gien zu einem houmlheren Ruumlckgang der Emissio nen bei als geplant Der Hauptgrund fuumlr den derzeitigen Uumlberschuss liegt jedoch darin dass die regulierten Unternehmen ne-ben den Europaumlischen Emissionsrechten ndash European Union Allowances (EUAs) ndash auch auslaumlndische Emissions-minderungszertifikate ndash Certified Emission Reductions (CERs) ndash zu einem bestimmten Anteil anrechnen koumlnnen Mit dem sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) koumlnnen Industrienationen in Entwicklungslaumlndern emissionsmindernde Projekte finanzieren und sich die da-bei entstehenden THGE-Reduktionen mithilfe von CERs anrechnen lassen

Durch diese verschiedenen Faktoren hat sich ein Uumlberan-gebot entwickelt das den Preis der EUAs und CERs stark sinken liess Der Preis belaumluft sich derzeit auf rund fuumlnf Euro pro EUA Die bisherigen Reformanstrengungen wie etwa das sogenannte Backloading das Verschieben von Auktionen in spaumltere Jahre um die Menge zu verknappen haben bisher kaum zu einer Preiserhoumlhung gefuumlhrt

Die Schweiz als PreishochburgDer Schweizer Markt wuumlrde bei einem Zusammen-schluss nur rund 03 Prozent des EU-EHS ausmachen

Die Schweiz wuumlrde somit als Preisnehmerin agieren Das heisst der EU-Preis sollte auch in der Schweiz gelten Umso erstaunlicher ist es daher dass der Schweizer Preis pro Emissionsrecht derzeit bei rund 40 Franken liegt ob-wohl die Verbindung des Schweizer EHS mit dem EU-EHS geplant ist (sogenanntes Linking) Das auf der Basis des revidierten CO2-Gesetzes von 2012 und der CO2-Verord-nung verabschiedete System das den Emissionshandel am 1 Januar 2013 fuumlr 38 Unternehmen beziehungsweise 55 Anlagen in der Schweiz verbindlich eingefuumlhrt hat uumlber-nimmt weitestgehend die Regeln des EU-EHS Das neue System hat das bisherige freiwillige EHS in der Schweiz abgeloumlst Die im EHS erfassten Unternehmen sind von der CO2-Abgabe befreit Die hohe Kompatibilitaumlt des Schwei-zer EHS und des EU-EHS sollte ein schnelles Linking er-moumlglichen wobei die Verhandlungen durch die Annahme der Einwanderungsinitiative zum Stillstand gekommen sind Ein moumlglicher Erklaumlrungsansatz ist daher dass der hohe Preisunterschied die derzeitige Unsicherheit uumlber den Ausgang der Linking-Verhandlungen widerspiegelt Gehen die Schweizer Unternehmen davon aus dass kein Linking stattfindet sollte sich der Preis anhand der Minderungs-kosten und der Knappheit im Schweizer EHS bilden Fuumlr die Unternehmen ist es immer noch guumlnstiger den der-zeitigen Preis von 40 Franken fuumlr die Emissionsrechte zu bezahlen als eine Busse von 125 Franken pro fehlendes Emissionsrecht Zusaumltzlich zur Busse ist das Unternehmen verpflichtet die fehlenden Rechte im naumlchsten Jahr nach-zureichen Auch hier hat sich die Schweiz stark am EU-EHS orientiert bei dem die Busse bei 100 Euro pro EUA plus Wiedergutmachung liegt

Allokation beeinflusst den WettbewerbDie Gesamtmenge an Emissionsrechten (Cap) leitet sich aus den historischen Emissionen der teilnehmenden EHS-Unternehmen ab Fuumlr bestehende Anlagen die bereits vor 2013 am EHS in der Schweiz beteiligt waren setzt sie sich aus der Summe der durchschnittlich zugeteilten Emis-sionsrechte der ersten Verpflichtungsperiode (2008 bis 2012) zusammen fuumlr Anlagen die 2013 hinzukommen aus der Summe der durchschnittlichen Emissionen der

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fuumlr neue Anlagen in einer Reserve zuruumlckbehalten deren Uumlberschuumlsse zweimal jaumlhrlich versteigert werden Die Zu-teilung der Emissionsrechte hat etwas laumlnger gedauert so-dass sie in der Schweiz fuumlr die Jahre 2013 und 2014 erst im Februar 2014 erfolgte Das mag auch einer der Gruumlnde sein dass bisher kein Handel auf dem Sekundaumlrmarkt fuumlr den die Berner Kantonalbank eine eigene Emissions-handelsplattform bereitgestellt hat stattgefunden hat Das erste Preissignal war deshalb die Auktion der Uumlberschuumls-se aus der Neuemittentenreserve Diese fand vom 14 bis 21 Mai 2014 statt und erzielte fuumlr die 150 000 Emissions-rechte einen Preis von 4025 Franken pro Emissionsrecht

Wie sich die Liquiditaumlt im Schweizer Markt in Zukunft ent-wickeln wird und ob ein Linking mit dem EU-EHS und so-mit eine Angleichung der Schweizer Preise an die EU-EHS-Preise stattfinden wird bleibt abzuwarten Letzteres waumlre zwar aus oumlkonomischer Sicht zu begruumlssen da ein groumls-serer liquider Markt mit einheitlichem Preissignal als effizi-enter bewertet wird Aus oumlkologischer Sicht scheint jedoch ein Linking der Systeme ohne weitere Reformen des EU-EHS nicht wuumlnschenswert da es die Minderungsanreize in der Schweiz als Folge des Angebotsuumlberschusses an Emissionsrechten in der EU massiv reduzieren wuumlrde

Jahre 2009 bis 2011 Diese Summe wird jaumlhrlich um 174 Prozent reduziert analog der Regelung im EU-EHS

Neben der Festlegung der Obergrenze ist die Ausgestal-tung der Zuteilungsregeln politisch am schwierigsten da diese Verteilungswirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussen Bis 2012 wurden die Emissionsrechte in der EU daher groumlsstenteils kostenlos zugeteilt Seit 2013 werden rund 48 Prozent der Emissionsrechte versteigert wobei diese vor allem von Elektrizitaumltsfirmen gekauft wer-den muumlssen Da diese nicht im internationalen Wettbewerb

stehen konnten sie den Preis der gratis erhaltenen Emis-sionsrechte an die Elektrizitaumltskonsumenten weitergege-ben und hohe Gewinne erzielen Unternehmen aus Sek-toren die im internationalen Wettbewerb stehen koumlnnen hingegen die Kosten fuumlr die Emissionsrechte nicht an ihre Endkunden weitergeben ohne betraumlchtliche Nachteile in Kauf zu nehmen Es besteht daher das Risiko dass diese Firmen in Laumlnder ohne Klimapolitik abwandern Um dieses Risiko zu senken erhalten Unternehmen bei denen ein Risiko auf Abwanderung besteht auch in Zukunft weitest-gehend kostenlos Emissionsrechte zugeteilt Die Zuteilung basiert dabei auf sogenannten Benchmarks (Tonne Koh-lendioxid pro Tonne Produkt) die auf der Basis der effizi-entesten 10 Prozent der Unternehmen berechnet und mit historischen Produktionsdaten multipliziert werden

Noch kein Handel in der SchweizDie Schweiz hat die Benchmarks des EU-EHS uumlbernom-men Da in der Schweiz vor allem stark im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen aus den Sektoren Zement Papier Chemie Stahl und Raffinerien unter den Emissionshandel fallen werden fast alle Emissionsrechte kostenlos zugeteilt Ein kleiner Anteil von 5 Prozent wird

Regina BetzDr Regina Betz ist Dozentin fuumlr Energie- und Umweltoumlkonomie an der ZHAW School of Management and Law Seit 2014 leitet sie den volkswirtschaftlichen Teil der Ener-gy Policy Analysis Group des Zentrums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht das Mitglied des Schweizer Competence Centers for Research in Energy Society and Transition (CREST) ist Zuvor lehrte sie an der University of New South Wales Australia Umwelt- und Klimaoumlkonomie und leitete als Co-Direktorin das Centre for Energy and Environmental Markets (CEEM) 1998 bis 2004 arbeitete sie als Wissenschaftlerin am Fraunhofer-Institut fuumlr System- und Innovationsforschung ISI in Deutschland

laquoNeben der Festlegung der Ober grenze ist die Ausgestaltung der Zuteilungsregeln politisch am

schwierigsten da diese Verteilungs wirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussenraquo

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nicht vollstaumlndig genutzt werden kann In der Energiestra-tegie des Bundes ist gemaumlss einem Szenario bis 2050 ein Zubau auf knapp 12 TWh pro Jahr Stromproduktion aus Fotovoltaik angedacht Dies bedingt den Bau von Fotovol-taikanlagen mit einer installierten Spitzenleistung von etwa 12 Gigawattpeak (GWp) und einem Flaumlchenbedarf von rund 84 000 000 Quadratmetern Dieser Flaumlchenbedarf ist auf den bestehenden Daumlchern in der Schweiz verfuumlgbar

An einem schoumlnen Sommertag koumlnnen diese Anlagen dann also etwa 12 GW erzeugen die maximale Ver-brauchslast liegt im Sommer aber nur bei rund 8 GW Es entsteht ein Uumlberschuss von 4 GW die Speicherleistung der Schweizer Pumpspeicheranlagen betraumlgt heute aber nur 15 GW 25 GW Leistung koumlnnen in diesem Szenario also gar nicht genutzt werden An einem Wintertag mit Hochnebel erzeugen diese Anlagen uumlberhaupt keinen Strom die Verbrauchslast liegt aber mit 10 GW noch houml-her als im Sommer Hier entsteht eine Luumlcke die mit ande-ren Energieformen oder Importen gedeckt werden muss

Speichern uumlbertragen oder einsparenUm diesem Problem zu begegnen gibt es verschiedene Loumlsungsansaumltze Ein Ansatz ist die Energie lokal dort zu speichern wo sie erzeugt aber nicht sofort verbraucht werden kann In diesem Fall werden in erster Linie viele kleine Speichermodule benoumltigt die sowohl fuumlr kurz- als auch langfristigen Ausgleich sorgen muumlssen Eine andere Moumlglichkeit ist es die Energie an Orte zu uumlbertragen wo sie sofort verbraucht wird dann muss in erster Linie das Netz ausgebaut werden Schliesslich koumlnnte Energie auch zentral zu grossen Speichern transportiert werden was sowohl einen Netzausbau als auch neue Speichertechno-logien bedingen wuumlrde

Als die Gesellschaft noch aus Jaumlgern und Sammlern be-stand verbrauchte der Mensch seine Energie lokal dort wo er sie benoumltigte Er lebte von der Hand in den Mund Im Zuge der aufkommenden Landwirtschaft musste er Methoden entwickeln um Nahrung haltbar zu machen und sie zu transportieren Vor demselben Problem steht heute die Energiewirtschaft Ort und Zeit der erneuerbaren Energieerzeugung korrelieren je laumlnger je weniger mit dem Verbrauch Die Herausforderung der Energiewende ist deshalb nicht nur die Produktion selbst sondern auch die Uumlbertragung die Speicherung und das lokale Verbrauchs-last-Management

Saisonale Speicherung problematischMit dem Ausstieg aus der Kernenergie muumlssen in der Schweiz etwa 40 Prozent der produzierten elektrischen Energie ersetzt werden also rund 23 Terawattstunden (TWh) pro Jahr Im Gegensatz zur Kernenergie haben die neuen erneuerbaren Energien den Nachteil dass ihre Pro-duktion nicht steuerbar ist und unregelmaumlssig anfaumlllt Der Kapazitaumltsfaktor also das Verhaumlltnis von durchschnittlicher zu maximaler Leistung betraumlgt bei konventionellen Kraft-werken bis zu 100 Prozent bei Fotovoltaikanlagen dage-gen nur etwa 10 Prozent Hinzu kommen die starken saiso-nalen Schwankungen dieser stochastisch erzeugenden Energiequellen Im Winter liegt die Stromverbrauchsspitze mit circa 10 Gigawatt (GW) rund ein Drittel houmlher als im Sommer gleichzeitig liefern Fotovoltaikanlagen aufgrund des flacheren Einstrahlungswinkels und der kuumlrzeren Son-nenscheindauer wesentlich weniger Strom als im Sommer

Anhand eines Gedankenexperiments laumlsst sich veran-schaulichen dass das Potenzial der neuen erneuerbaren Energien ohne zusaumltzliche Speicher oder steuerbare Lasten

Energie haltbar machen

Der Ausbau von erneuerbaren Energiequellen geht so schnell voran dass Speicher- und Uumlbertragungstechnologien kaum mithalten koumlnnen Um Produktionsspitzen zu glaumltten braucht es Fortschritte in der EnergietechnikText Petr Korba

Hochschulperspektive

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Petr KorbaProf Dr Petr Korba ist Dozent und Fach-gruppenleiter fuumlr elektrische Energietechnik und Smart Grids an der ZHAW School of En-gineering Zuvor forschte er uumlber zehn Jahre bei ABB Schweiz in den Bereichen Automa-tion Energie- und Regelungstechnik

Scherrer Institut an der Power2Gas-Technologie Dabei wird Kohlendioxid mit Strom aus erneuerbaren Quellen durch Elektrolyse zu Wasserstoff oder weiter zu Methan verarbeitet Aumlhnlich wie bei der Nahrungsmittelproduktion wo Staumlrke schliesslich als raffinierter Zucker gespeichert wird gibt es auch bei der Stromspeicherung immer raffi-niertere Formen Bei jeder Umwandlung geht aber Energie verloren Man muss sich also gut uumlberlegen ob man uumlber-haupt speichern will und wenn ja uumlber welchen Zeitraum

Mit der wachsenden Integration von erneuerbaren Energi-en steigen auch die Anforderungen an die Energietechnik Unser kuumlnftiges Energiesystem wird staumlrker automatisiert und intelligenter sein Um erneuerbare Energiequellen zu integrieren werden Informations- und Kommunikations-technologien Automatisierungs- und Regelungstechnik Signalverarbeitung oder Wettervorhersagen immer wich-tiger In den intelligenten Stromnetzen der Zukunft wer-den alle beteiligten Komponenten Daten wie den aktuellen Verbrauch verfuumlgbare Strommengen oder lokale Aus-faumllle melden und gleichzeitig solche Daten aus anderen Netzkomponenten empfangen Das daraus resultierende Smart Grid ist ein Gefuumlge das selbststaumlndig auf diese Ein-fluumlsse reagiert und seine eigene Effizienz optimiert Es gilt Energie effizienter zu uumlbertragen um raumlumliche Distanzen zu uumlberwinden und neue Speichertechnologien zu entwi-ckeln um zeitliche Engpaumlsse zu uumlberbruumlcken Elektrische Energie kann auf verschiedene Arten erzeugt gespei-chert und uumlbertragen werden Jede Art hat ihre Vor- und Nachteile und ihren Preis Anreize aus der Politik werden schliesslich entscheiden welche Formen dies in der Zu-kunft sein werden

Auf der Verbraucherseite laumlsst sich die Nutzlast durch ge-eignetes Last-Management anpassen Diese Steuerung schaltet verbrauchsintensive Anlagen in Unternehmen gewerblichen Betrieben und Haushalten gezielt dann ein wenn die Stromtarife guumlnstig sind Es duumlrfte aber schwie-rig sein der Bevoumllkerung vorzuschreiben wann sie zum Beispiel fernsehen oder kochen darf Eine intelligente Re-gelung von grossen Kuumlhlhaumlusern stoumlrt dagegen nieman-den Trotz solchen Bestrebungen geht die International Energy Agency (IEA) davon aus dass der Stromverbrauch weltweit jaumlhrlich um rund 1 Prozent zunimmt Diese Ten-denz verstaumlrkt sich voraussichtlich noch falls sich der Bereich Mobilitaumlt von fossilen Energietraumlgern hin zur Elek-tromobilitaumlt verschieben wird Die Geschichte hat gezeigt dass der Energieverbrauch eigentlich nur in Krisenzeiten zuruumlckgeht

Klar ist jedenfalls dass der Ausbau von Speichern und Netzen Hand in Hand mit der zunehmenden Integration von erneuerbaren Energiequellen erfolgen muss Auf unter-schiedlichen Netzebenen kommen unterschiedliche Spei-chertechnologien zum Einsatz Waumlhrend fuumlr Haushalte mit kleinen Fotovoltaikanlagen und im Niederspannungsnetz bereits Batteriespeicher vorhanden sind stossen diese bei mehr als einer Windturbine oder groumlsseren Solarparks schnell an ihre Grenzen Das groumlsste Batterieenergie-speichersystem der Schweiz betreiben die Elektrizitaumlts-werke des Kantons Zuumlrich in Dietikon Es hat 1 Megawatt (MW) maximale Speicherleistung und kann diese waumlhrend ungefaumlhr 15 Minuten abgeben respektive speichern Die Spitzenlast im Schweizer Hochspannungsnetz liegt aber bei 8 GW im Sommer und 10 GW im Winter Die Schwei-zer Pumpspeicherkraftwerke koumlnnen unseren Strombe-darf nur etwa einen Monat lang decken Das europaumlische Hochspannungsnetz verfuumlgt uumlber eine Spitzenlast von circa 500 GW Um die Leistung von Grosskraftwerken wie Offshore-Windparks langfristig zu speichern braucht es neue Technologien

Raffinierte EnergiespeicherungDafuumlr forscht die ZHAW School of Engineering gemein-sam mit der ETH Zuumlrich der EPF Lausanne und dem Paul

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Hochschulperspektive

Dissonanz an der Steckdose

Mit der Energiestrategie 2050 haben Bundesrat und Parla-ment eine Kehrtwende in der Schweizer Energiepolitik ein-gelaumlutet der die wichtigsten politischen Huumlrden erst noch bevorstehen Auf den ersten Blick scheint der Kurswechsel breit abgestuumltzt Seit dem Reaktorunfall in Fukushima fuumlh-ren Umfragen immer wieder zum gleichen Ergebnis Der langfristige Ausstieg aus der Kernenergie findet eine Mehr-heit Im Grundsatz stossen erneuerbare Energien sowie Massnahmen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz auf hohe Zustimmung Was fuumlr den Stimmzettel gilt beeinflusst aber nicht automatisch das Konsum- und Investitionsverhalten der Energiekunden Die Bereitschaft aus eigenem Antrieb mehr fuumlr ein oumlkologisch houmlherwertiges Produkt aus neuen erneuerbaren Energietraumlgern zu bezahlen ist beschraumlnkt Nur wenige Haushalte sind zudem bereit ihren Energie- und insbesondere ihren Stromkonsum zu reduzieren wenn dies mit nicht amortisierbaren Investitionskosten oder einem moumlglichen Komfortverlust verbunden ist

Mit anderen Worten Effizienz wird als teuer und Suffizienz als bevormundend empfunden Die private Zahlungsbereit-schaft laumlsst sich zwar mit regulatorischen Interventionen wie fixen Einspeiseverguumltungen oder Investitionssubven-tionen in Effizienzmassnahmen etwas erhoumlhen Doch die Erfahrungen in Deutschland und der Schweiz zeigen dass solche Massnahmen oumlkonomisch ineffizient sind und oft als ungerecht empfunden werden Sie koumlnnen damit zum Bumerang fuumlr die Akzeptanz der energiepolitischen Ziele werden Neben den politischen Huumlrden ist somit auch die kognitive Huumlrde der Konsumenten zu beruumlcksichtigen De-ren Uumlberwindung bedarf zuerst einer differenzierten Analyse der Ursachen und danach der Entwicklung innovativer Ver-triebsmodelle und Produkte auf Versorgerseite

Eine Mehrheit der Bevoumllkerung unterstuumltzt den Ausstieg aus der Kernenergie doch nur wenige beziehen ein oumlkologisches Stromprodukt Warum das so ist und wie sich diese Dissonanz aufloumlsen laumlsst beschaumlftigt derzeit viele EnergieversorgerText Claudio Cometta

Indifferenz uumlberwiegtFuumlr viele Konsumenten ist die Strom- Gas- oder Fern-waumlrmerechnung ein verhaumlltnismaumlssig kleiner Posten im Haushaltsbudget dem wenig Beachtung geschenkt wird Die Schweiz ist sogar einer der Spitzenreiter in Europa machen die Stromkosten im Durchschnitt doch nicht mehr als 2 Prozent der Haushaltsausgaben aus Wenig Beachtung bedeutet auch wenig Kenntnis des Preises und der Menge der bezogenen Energieleistung oder der Zusammensetzung des Tarifs aus Energiekosten Netz-kosten und Abgaben Entsprechend besteht nur ein ge-ringes Interesse Energie und damit Kosten zu sparen Konsumentenbefragungen zeigen zudem dass nur eine kleine Minderheit der Kunden die Zusammensetzung ihres Stromprodukts nach Energietraumlgern kennt Die geringen Kosten und Unkenntnis des Produkts verhindern also die Wahl anderer Stromprodukte Strom ist ein klassisches Commodity-Produkt Man kann ihn weder sehen noch riechen Er ist verhaumlltnismaumlssig guumlnstig immer verfuumlgbar und aumlndert in keinerlei Hinsicht seine Eigenschaften wenn dafuumlr mehr bezahlt wird Zudem ist meist nicht sichtbar wer wie viel von welchem Produkt bezieht Der Strom-konsum ist Privatsache

Uumlberwindung durch VertriebsmodelleDie Vorgaben der Energiestrategie 2050 beinhalten nicht nur einen massiven Zubau der Produktionskapazitaumlt aus erneuerbaren Energietraumlgern sondern auch die kon-tinuierliche Reduktion des Energie- und insbesondere des Stromkonsums pro Kopf Die direkte Finanzierung der dazu notwendigen Investitionsvorhaben scheint an-gesichts der Indifferenz auf Konsumentenseite jedoch schwierig Aus diesem Grund sind mehrere Schweizer

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rund um Haushaltstechnik Sicherheit Pflege oder Kom-munikation sowie ein geschicktes Marketing mit Elemen-ten der sozialen Kontrolle Denkbar sind auch Anreize die keinen direkten Zusammenhang mit dem Energiekonsum aufweisen aber fuumlr breite Bevoumllkerungsgruppen attrak-tiv sind So haben etwa einzelne skandinavische Versor-ger damit begonnen energiesparendes Verhalten ihrer Kunden mit Verguumlnstigungen fuumlr die Nutzung oumlffentlicher Transportmittel zu belohnen

Uumlberwindung durch PartizipationDie wohl wirkungsvollste Massnahme zur Uumlberwindung der Dissonanz an der Steckdose ist bereits inhaumlrent in der Transformation des Energiesystems hin zu einer staumlrker dezentralen Erzeugung angelegt Kunden entwi-ckeln sich von passiven Leistungsempfaumlngern zu aktiven Leistungserbringern sogenannten Prosumern Als Klein-produzenten von Strom mit einer hauseigenen Fotovol-taikanlage oder thermischer Speicherleistung mit Kraft-Waumlrme-Kopplungsanlagen im Mikroformat werden sie mittelfristig wesentlich zum Umbau des Energiesystems und zu den Zielen der Energiestrategie beitragen koumlnnen Eine nicht ganz unbedeutende Rolle koumlnnten in Zukunft sogenannte Buumlrgerbeteiligungsmodelle fuumlr die Finanzie-rung neuer In frastrukturprojekte spielen Diese wuumlrden gleichzeitig die Akzeptanz sichtbarer Produktionsanlagen von neuen erneuerbaren Energien erhoumlhen Doch erst wenn das Produkt Strom nicht mehr als reines Commodity-Produkt wahrgenommen wird werden politische Meinung und Konsumverhalten bei einer Mehrheit der Stimmbuumlrger uumlbereinstimmen

Energieversoger in letzter Zeit dazu uumlbergegangen soge-nannte Default-Modelle einzufuumlhren die Stromprodukte aus erneuerbaren Quellen zum neuen Standard erheben Dabei macht man sich die Traumlgheit der Kunden zunutze indem die Wahl eines Stromprodukts aus nicht erneuer-baren Energietraumlgern als Option definiert wird die aktiv bestellt werden muss

Nicht zuletzt aufgrund solcher Modelle ist die Zahl der Schweizer Haushalte die ein Stromprodukt aus aus-schliesslich erneuerbaren Energien beziehen auf uumlber 25 Prozent gestiegen Doch weitere Vertriebsinnovationen werden notwendig sein etwa um der Herausforderung der Einspeisung von Strom aus fluktuierend nutzbaren Quellen (Solar- und Windenergie) in die Verteilnetze gewachsen zu sein die immer staumlrker ins Gewicht faumlllt In der Folge gilt es Investitionen in Netz- und Speichersysteme zu finan-zieren In innovativen Vertriebsmodellen welche dieser Herausforderung gerecht werden erhaumllt das Konsumver-halten einen Wert Zeitliche Flexibilitaumlt wird belohnt durch Tarifreduktion Bonus oder Vermeidung einer Gebuumlhr Wie diese beiden Beispiele zeigen laumlsst sich der Mehrwert von vermeintlichen Commodity-Produkten durch neue Vertriebsmodelle abschoumlpfen und als marktwirtschaftlich vertraumlglicher Finanzierungsmechanismus fuumlr neue Infra-strukturvorhaben im Energiesektor nutzen

Uumlberwindung durch innovative ProdukteNoch groumlsseres Potenzial birgt die Weiterentwicklung von Stromprodukten zu Leistungssystemen die fuumlr Energie-kunden einen echten Mehrwert bieten Hierzu gehoumlrt die Verknuumlpfung des Kernprodukts Strom mit Dienstleistun-gen die den Kunden ein transparenteres Verbrauchsver-halten sowie Kostenoptimierung ermoumlglichen Intelligente Stromzaumlhler sogenannte Smart Meter kombiniert mit fle-xiblen Tarifen und einem einfachen Feedback- und Steuer-system sind die Voraussetzung um zumindest oumlkologisch sensibilisierten oder kostenbewussten Endkunden einen Effizienzeffekt zu ermoumlglichen Damit solche Leistungs-systeme aber fuumlr die grosse Gruppe der Indifferenten interessant werden braucht es weitere Mehrwerte Dazu gehoumlren die Verknuumlpfung mit intelligenten Anwendungen

Claudio ComettaDr Claudio Cometta ist Dozent fuumlr Innovation und Entrepreneurship an der ZHAW School of Management and Law Er koordiniert den Aufbau des nationalen Energie-Kompetenz-zentrums SCCER 5 an der ZHAW

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Die Energiewende stellt die Energieversorgungsunternehmen in der Schweiz vor grosse Herausforderungen Das Beispiel von Stadtwerk Winterthur zeigt wie die Branche auf den Paradig-menwechsel reagiertText Florian Wehrli

Von den Anfaumlngen als laquoWinterthurer Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtungraquo vor uumlber 150 Jahren bis zum modernen Querverbundunternehmen hat sich Stadtwerk Winterthur kontinuierlich weiterentwickelt Seine Aufgabe ist aber gemaumlss Direktor Markus Saumlgesser weitgehend dieselbe geblieben die Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung zu verbes-sern So bietet das staumldtische Versorgungsunternehmen neben klassischen Produkten wie Wasser Strom Gas oder Kehrichtentsorgung und Abwasserreinigung heute auch Fernwaumlrme Haustechnik Glasfasernetz und Ener-gie-Contracting an Die Ausdehnung auf neue Geschaumlfts-bereiche will der Direktor aber nicht als Reaktion auf die Liberalisierung des Energiemarkts verstanden wissen laquoWir begegnen der Marktoumlffnung proaktiv und wollen die sich bietenden Chancen aktiv nutzenraquo

Lokales Potenzial ausgeschoumlpftIm liberalisierten Markt hat das staumldtische Versorgungs-unternehmen mit dem Monopol auf sein Energieversor-gungsnetz von gesamthaft mehr als 2 500 Kilometern einen Vorteil Dessen Unterhalt ist nach wie vor eine der Hauptaufgaben Im Gegensatz zu anderen Energieversor-gern betreibt Stadtwerk Winterthur naumlmlich einen verhaumllt-nismaumlssig geringen Anteil an eigenen Produktionsanlagen Das Flaggschiff ist die wohl modernste Kehrichtverwer-tungsanlage der Schweiz laquoMit dem Umbau konnten wir 2013 den Wirkungsgrad der Anlage um einen Drittel stei-gern und die Abluft gehoumlrt zu den saubersten weltweitraquo sagt Markus Saumlgesser Heute deckt die KVA 20 Prozent des Winterthurer Strom- und 12 Prozent des Waumlrmebe-darfs ab Auf solchen Lorbeeren ausruhen will sich Stadt-werk Winterthur aber nicht laquoWir wollen mithelfen eine nachhaltige Energiewirtschaft aufzubauenraquo Mittelfristig soll

die Haumllfte des Stromangebots aus erneuerbaren Quellen stammen laquoDas ist ein ehrgeiziges Zielraquo sagt Saumlgesser laquowir sind aber auf gutem Weg dazuraquo

Rund die Haumllfte des Rahmenkredits von 90 Millionen Franken fuumlr erneuerbaren Strom den das Winterthurer Stimmvolk 2012 bewilligt hat ist bereits investiert Im Bereich Fotovoltaik ist die Planung der groumlssten Anlagen abgeschlossen etwa auf den Daumlchern der Eishalle oder des Busdepots Eine aktuelle Windpotenzialstudie zeigt fuumlr Winterthur nur wenige moumlgliche Standorte auf zumal die Bewilligung solcher Anlagen mit grossem buumlrokratischem Aufwand verbunden sei Mit diversen Nahwaumlrmever-buumlnden nutzt Stadtwerk Winterthur auch Holzabfaumllle bereits sehr effizient Aber auch dieser Energietraumlger ist in Winterthur beschraumlnkt vorhanden Das letzte Projekt das Holz aus dem Winterthurer Stadtwald einsetzen wird ist in der Aufbauphase Studien im Bereich Wasserkraft haben gezeigt dass abgesehen von einem Kleinwasser-kraftwerk an der Toumlss in der Region kaum Potenzial vor-handen ist

Investitionen im AuslandlaquoDiese aufwendige Aufbauarbeit soll nicht zur Regel wer-denraquo sagt Markus Saumlgesser laquoDas limitierte Energiepoten-zial in der Schweiz und die beschwerlichen Instanzenwe-ge fuumlr Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie lassen uns deshalb vermehrt im Ausland investierenraquo 2012 be-teiligte sich das Stadtwerk mit 12 Millionen Franken am Kleinkraftwerk Birseck AG das Kleinwasserkraftwerke und Foto voltaikanlagen in der Schweiz und in Frankreich be-treibt 2013 folgte eine Beteiligung in der Houmlhe von 25 Mil-lionen Franken an der Swisspower Renewables AG die in

Vom Versorger zum Dienstleister

Unternehmensperspektive

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sein glaubt er aber nicht daran dass der Stromverbrauch insgesamt zuruumlckgehen wird laquoDafuumlr ist der Marktpreis zu niedrig Aus serdem wird Strom im Bereich Waumlrme und Mobilitaumlt einen Grossteil der fossilen Energietraumlger ersetzen muumlssenraquo Damit der geplante Verbrauchsruumlck-gang dennoch gelingt will der Bund Anreize schaffen Mit sogenannten weissen Zertifikaten will er die Versor-ger be lohnen wenn sie ihre Kunden zu einem geringeren Energie verbrauch bewegen In Grossbritannien Italien und Frankreich sind solche Modelle bereits im Einsatz Markus Saumlgesser sieht dieser Entwicklung mit gemischten Gefuumlh-len entgegen laquoWir haben bereits vor der Reaktorkatastro-phe in Fukushima auf Energieeffizienz gesetzt und konn-ten uns dadurch profilieren Weil die Politik nun eingreift und den Markt uumlbersteuert bleibt uns als Unternehmen weniger Spielraum um uns zu positionierenraquo

Windkraftanlagen im angrenzenden Ausland investiert Fuumlr die Beschaffung von Strom am freien Markt ist das Stadtwerk eine Zusammenarbeit mit der Trianel GmbH in Aachen ndash einer der fuumlhrenden Stadtwerke-Kooperationen in Europa ndash eingegangen Damit sollen insbesondere der Zugang zum Grosshandelsmarkt sowie die Marktfor-schung sichergestellt werden Denn um Kunden nachhal-tige Energieprodukte verkaufen zu koumlnnen muss man ihre Beduumlrfnisse genau kennen

Anreize fuumlr geringeren VerbrauchDie Strategie scheint aufzugehen laquoSeit der Einfuumlhrung der neuen Stromprodukte Anfang 2013 haben wir den Absatz von erneuerbarer Energie in Winterthur verdop-pelt und denjenigen von Oumlkostrom sogar vervierfachtraquo so Saumlgesser Trotz dem steigenden oumlkologischen Bewusst-

Gemaumlss seinem Leitbild soll Stadtwerk Winterthur mit einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der soziashylen Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Bild Michael Lio

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Ausgliederung aus der StadtverwaltungAuch auf kommunaler Ebene ist Stadtwerk Winterthur von den politischen Rahmenbedingungen abhaumlngig ndash mit allen Vor- und Nachteilen Die politischen Kurswechsel in den vorgesetzten Gremien seien hinderlich bei der Umsetzung der Strategie des Unternehmens laquoWir taumltigen Investitio-nen mit einem Planungshorizont von mehreren Jahrzehn-tenraquo sagt Markus Saumlgesser laquoin der Politik wird dagegen in Amtsperioden von vier Jahren gedachtraquo Es gibt deshalb Bestrebungen das Stadtwerk aus der Stadtverwaltung auszugliedern und einem langfristig operierenden Steue-rungsgremium zu unterstellen Bei der Stimmbevoumllkerung geniesst Stadtwerk Winterthur grossen Ruumlckhalt Alleine in den letzten zwei Jahren wurden vier Abstimmungsvor-lagen mit grossem Mehr angenommen darunter Rah-menkredite fuumlr das Energie-Contracting oder erneuerbare Energien laquoEine bessere Legitimation koumlnnen wir uns gar nicht wuumlnschenraquo sagt Markus Saumlgesser

Neue BetriebskulturStrategisch und energiepolitisch werden Dienstleistungen wie das Energie-Contracting fuumlr Stadtwerk Winterthur immer wichtiger laquoWir wollen unserer Kundschaft Waumlr-me oder Kaumllte gleich komfortabel anbieten koumlnnen wie Stromraquo sagt Markus Saumlgesser laquoImmobilienbesitzerinnen und -besitzer sollen sich nicht mehr um den Fuumlllstand ih-res Oumlltanks oder den Termin fuumlr den Kaminfeger kuumlmmern muumlssenraquo Das Energie-Contracting waumlchst stark und macht heute bereits rund 5 Prozent des Umsatzes von Stadtwerk Winterthur aus

Die neuen Geschaumlftsfelder ziehen auch andere Arbeits-kraumlfte an als bisher Verschiedene Betriebskulturen seien in den vergangenen Jahren teilweise parallel gelaufen be-ginnen nun aber langsam zu verschmelzen Ein Beispiel dafuumlr ist die Verknuumlpfung von Smart Metering und dem traditionellen Verteilnetz Elektrizitaumlt Als Voraussetzung fuumlr das Change-Management in der Betriebskultur habe man alle Mitarbeitenden in die Erarbeitung des Unterneh-mensleitbildes involviert Entstanden ist ein Leitbild das Stadtwerk Winterthur dabei unterstuumltzt die Unterneh-mensstrategie umzusetzen Stadtwerk Winterthur soll mit

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

Markus SaumlgesserMarkus Saumlgesser (52) ist diplomierter Ma-schineningenieur ETH und hat ein Nachdi-plomstudium in technischen Betriebswissen-schaften absolviert Seit Anfang 2011 ist er Direktor von Stadtwerk Winterthur Seine bisherige berufliche Taumltigkeit fuumlhrte Markus Saumlgesser nach zwei Jahren Assistenz an der ETH zu einem Ingenieurbuumlro fuumlr Ener-gie- und Haustechnik Waumlhrend dieser rund sechsjaumlhrigen Zeit war er bei anspruchsvol-len Bauprojekten verantwortlich fuumlr die Konzeption und Koordination der technischen Gebaumludeausruumlstung Zudem war er waumlhrend vier Jahren Mitglied der Geschaumlftsleitung Nach zweijaumlhriger Taumltigkeit als Abteilungsleiter in einer groumlsseren Gemeinde wechselte er zum Elek-trizitaumltswerk der Stadt Zuumlrich (EWZ) bei dem er die Abteilung Vertrieb Grosskunden leitete Daneben war Markus Saumlgesser beim EWZ in verschiedene Innovationsprojekte involviert So zeichnete er fuumlr das Projekt laquoStromzukunft Stadt Zuumlrichraquo verantwortlich das wichtige Grundlagen fuumlr die Strategie des EWZ und die Volksabstimmung zur 2000-Watt-Gesellschaft in der Stadt Zuumlrich beisteuerte

Stadtwerk Winterthur in Zahlen (2013)Mitarbeitende 347Nettoinvestitionen 1198 Mio CHFDurchgeleitete Strommenge 5643 Mio kWhUmsatz Strom 93 Mio CHFDurchgeleitete Gasmenge 5295 Mio kWhUmsatz Gas 411 Mio CHFUnternehmensgewinn 109 Mio CHF

einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der sozia-len Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Wann wurden in Winterthur die ersten Strassenlampen mithilfe von Stein-kohle erleuchtet

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Unternehmensperspektive

ckelte Hochspannungsgleichstromschalter sollen zudem sicherstellen dass etwa ein Kurzschluss durch eine hy-perschnelle Abschaltung isoliert und das Netz somit nicht gefaumlhrdet wird Von 14 solchen Schaltsystemen welt-weit stammen 13 von ABB Die hohen Investitionen fuumlr die armdicken Gleichstromkabel rechnen sich da beim Transport viel weniger Strom verloren geht als bei der tradi tionellen Wechselstromtechnik Die Produktelinie ent-wickelt sich zum Renner Sie wird zur Anbindung von So-lar- und Windparks zur Versorgung von Inseln als Ersatz fuumlr Diesel generatoren auf Oumll- und Gasplattformen auf See eingesetzt Oder um Starkstrom vom Festland zu auf dem Meeresboden platzierten ferngesteuerten Foumlrderanlagen fuumlr Gas und Oumll zu leiten ndash wofuumlr ABB auch wartungsfreie Kompressoren liefert damit Kunden wie Statoil und Pet-robras teure Ausfaumllle erspart bleiben

Komplettloumlsungen aus einer HandDank hohem Innovationstempo sind die Divisionen Ener-gietechnik- und Niederspannungsprodukte gut ausgelas-tet Dies gilt ebenso fuumlr die Divisionen Industrie- und Pro-zessautomation Speziell energieintensive Industrien die unter hohem Kostendruck stehen muumlssen ihre Anlagen auf dem neusten Stand halten Dazu zaumlhlen Bergbau Oumll- und Gasindustrie Zellstoff- Papier- und Zementfabriken Chemie- und Pharmafirmen sowie Raffinerien Gefragt sind auch Industrieroboter und schwenkbare dank ABB-Leistungselektronik stufenlos regulierbare Schiffsantrie-be ABB liefert Grosskunden fertige Loumlsungen die hohe Produktivitaumlt und Energieeffizienz gewaumlhrleisten Alles ist aufeinander abgestimmt von der Elektrik uumlber Antriebe Generatoren Roboter Sensoren und Steuerungen bis hin

Zu Beginn des Jahrtausends stand ABB am Abgrund Doch eine neue Fuumlhrungscrew fuumlhrte das Unternehmen aus der Krise sodass die Schweiz inzwischen wieder stolz sein kann auf ihren Industriemulti mit Sitz in Zuumlrich Oerli-kon 2013 erzielte ABB mit rund 148 000 Mitarbeitenden in 100 Laumlndern 42 Milliarden Dollar Umsatz Die renom-mierte US-Universitaumlt MIT zaumlhlt ABB zu den 50 innova-tivsten Unternehmen weltweit Dank 8 000 Ingenieuren in Forschung und Entwicklung und einem Forschungsetat von 15 Milliarden Dollar kann ABB selbst mit Giganten wie Siemens und General Electric mithalten

Innovationen die Technikfans begeisternWas ABB alles macht wissen wohl nur Technikfans Denn der Konzern hat uumlber 70 000 Produkte im Angebot Die 300 ABB-Fabriken liefern taumlglich 15 Millionen Kompo-nenten aus die zu elektrischen Einrichtungen oder in Pro-duktionssteuerungen verbaut werden Aus Kanada etwa kam juumlngst ein Grossauftrag uumlber 400 Millionen Dollar Erneuerbare Energie die auf Neufundland und Labrador gewonnen wird soll ab 2017 via Hochspannungskabel 360 Kilometer nach Westen fliessen um dort 350 000 Haumluser zu versorgen Weltweit gibt es erst 90 solche Gleichstromkabelverbindungen die meist unter der Erde oder auf dem Meeresgrund verlaufen ABB ist mit rund 50 Prozent Anteil Marktfuumlhrer Die futuristisch anmuten-de Technik in den abgeschirmten Hallen wo der Strom vor dem Transport auf Hochspannung transformiert wird erinnert an den Maschinenraum von Raumschiff Enter-prise Ein wichtiges Steuerungselement bilden dabei in Baden Daumlttwil entwickelte und in Lenzburg produzierte Spezialchips die Houmlchstspannung aushalten Neu entwi-

Der schweizerisch-schwedische Technikkonzern treibt an vor-derster Front die Energiewende voran Dafuumlr forscht man bei ABB intensiv zu erneuerbaren Energien schlauen Stromnetzen sowie hocheffizienten Industrieanlagen Einzig die schwache Nachfrage nach Energieanlagen in Europa bremst die ExpansionText Andreas Fluumltsch

Innovativer Treiber der Energiewende

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uumlber weite Strecken in die Ballungsraumlume geleitet werden muss brummt das Geschaumlft In den USA treibt der Oumll- und Gasboom die Nachfrage Nur in Europa harzt das Geschaumlft mit Grossanlagen Weniger Nachfrage belastet die Margen bei Auftraumlgen fuumlr Wind- und Solarfarmen so-wie fuumlr Netzinfrastruktur Die Risiken der oft mehrjaumlhrigen Projekte sind so hoch dass ABB waumlhlerischer sein muss und etwa das Geschaumlft mit Solarloumlsungen zurzeit auf Sparflamme betreibt Dennoch ist ABB immer noch hoch-profitabel nicht zuletzt da die Kosten Jahr fuumlr Jahr um 3 bis 5 Prozent gesenkt werden Aber der erfolgsgewohnte Konzern musste sich 2013 mit 6 Prozent Umsatzplus zu-friedengeben Umso intensiver treibt der neue ABB-Chef Ulrich Spiesshofer die Integration der vorab in den USA fuumlr 10 Milliarden Dollar getaumltigten Zukaumlufe voran Und Spiess-hofer forciert die Zusammenarbeit der Divisionen damit ABB die Unternehmensvision laquoEnergie und Produktivitaumlt fuumlr eine bessere Weltraquo mit moumlglichst vielen eigenen Pro-dukten realisieren kann

zur Leittechnik samt angepasster Software Kleine und mittlere Kunden ordern Komponenten oder Teilsysteme Ein wichtiges Verkaufsargument ist das Sparpotenzial von stufenlos steuerbaren Elektromotoren Nur einer von fuumlnf Motoren hat laut einer Erhebung des Bundes einen Leis-tungsregler der Rest laumluft auf Hochtouren und wird ndash man glaubt es kaum ndash bei Bedarf mit Klappen oder Ventilen mechanisch abgebremst Eine gigantische Verschwen-dung da Industriemotoren laut einer Studie der Schwei-zerischen Agentur fuumlr Energieeffizienz 27 Prozent des Schweizer Stromverbrauchs ausmachen

Europaumlische ZuruumlckhaltungEigentlich muumlsste die Division Energietechniksysteme ebenfalls ausgelastet sein Denn auch die Stromwirtschaft muss ihre Effizienz steigern Schliesslich erfordert die Energiewende einen Totalumbau der auf Verteilung ausge-richteten Netze damit diese unter der Last von Solar- und Windenergie nicht instabil werden Arbeit in Huumllle und Fuumllle fuumlr ABB sollte man meinen Doch der erst zaghafte Auf-schwung in Europa daumlmpft die Nachfrage Erschwerend kommt hinzu dass subventionierte Wind- und Solarener-gie in Europas liberalisiertem Strommarkt den Strompreis in ungeahnte Tiefen druumlckte Die Konkurrenzfaumlhigkeit von Wasser- Gas- und Atomkraftwerken hat gelitten Pump-speicher sind keine Goldesel mehr seit die erneuerbaren Energien die Preisspitzen brechen Entsprechend schie-ben Stromkonzerne wie Alpiq oder RWE Investitionen auf Unsicherheiten rund um den Atomausstieg belasten zu-saumltzlich Die voraussichtlich noch auf Jahre hinaus tiefen Strompreise schmaumllern auch die Faumlhigkeit der Besitzer von Hochspannungs- und Verteilnetzen deren Umruumlstung zu finanzieren hoch verschuldete EU-Staaten fahren die Foumlrderung von Wind- und Solarenergie zuruumlck

Straffe KostenkontrolleABB bekommt den Investitionsstau empfindlich zu spuuml-ren Die Division Energietechniksysteme schreibt seit eini-ger Zeit rote Zahlen Zwar ordern Grosskunden aus Asien und Lateinamerika weiterhin kraumlftig Neben China inves-tiert vermehrt auch Indien in neue Stromnetze Uumlberall dort wo die Bevoumllkerung rasch waumlchst oder der Strom

Andreas FluumltschAndreas Fluumltsch war urspruumlnglich Jurist und arbeitete ab 1983 als Journalist fuumlr laquoBlickraquo laquoWeltwocheraquo laquoBilanzraquo und laquoCashraquo Zwischen 1989 und 1990 war er Mitglied der Geschaumlftsleitung von Greenpeace Schweiz anschliessend Hausmann Nach der Ruumlck-kehr in den Journalismus 1992 arbeitete er bei laquoBlickraquo laquoSonntagszeitungraquo und laquoTages- Anzeigerraquo und absolvierte eine Ausbildung zum Boumlrsenhaumlndler Nach der Fruumlhpensio-nierung Ende 2013 machte er sich als Publi-zist selbststaumlndig

ABB in Zahlen (2013)Betriebsertrag 41 848 Mio USDBetriebsergebnis 4 387 Mio USDndash Industrieautomation 1 458 Mio USDndash Niederspannung 1 092 Mio USDndash Prozessautomation 990 Mio USDndash Energietechnik 1 331 Mio USDndash Energiesysteme 171 Mio USD

Mitarbeitende 147 700ndash davon in der Schweiz 6 966

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Hohe Nachfrage nach MinergieDer Erfolg der bisherigen Sparbemuumlhungen bleibt nicht aus laquoTrotz zunehmender Pro-Kopf-Wohnflaumlche und stei-gendem Komfort sinkt der Energieverbrauch fuumlrs Heizen in den letzten Jahrzehnten stetigraquo verkuumlndet der Zuumlrcher Regierungsrat im Energieplanungsbericht 2014 Dazu tra-gen nicht nur die laufend verschaumlrften Gesetze bei Ebenso wichtig ist die Bereitschaft von Bautraumlgerschaften freiwillig Uumlberdurchschnittliches zu leisten Vor allem die Minergie-Regeln werden inzwischen gerne befolgt weshalb Haumluser mit halbiertem Energieverbrauch beinahe Standard sind Schweizweit traumlgt eines von zehn neuen Wohnhaumlusern ein Minergie-Zertifikat Der Anteil an Minergie-Haumlusern im Grossraum Zuumlrich liegt gemaumlss einer Marktanalyse der Universitaumlt Zuumlrich bereits nahe bei 20 Prozent Dies ist privaten Hauseigentuumlmern und institutionellen Investoren zu verdanken Wohn- und Geschaumlftshaumluser mit houmlchster Energieeffizienz gehoumlren inzwischen zum guten Ton Den juumlngsten Beweis liefert eine Immobilienstiftung der Credit Suisse die 70 Millionen Franken in die groumlsste Oumlkosied-lung der Schweiz investiert Im Aargauer Reusstal wohnen seit diesem Jahr rund 200 Familien Paare und Singles deren Wohnhaumluser sich weitgehend selbst mit Sonnen-energie versorgen So klimafreundlich die Energiewende-Architektur ist der Investor erwartet dennoch marktuumlb-liche Renditen Ist der Markt aber bereit oumlkologisches Engagement angemessen zu honorieren

Marktpotenzial fruumlhzeitig erkanntDie Zuumlrcher Kantonalbank (ZKB) beziffert den Mehrwert von Minergie-Haumlusern auf 7 Prozent Kaumlufer seien bereit diesen Aufpreis fuumlr mehr Energieeffizienz zu bezahlen Als weitere Nebeneffekte nennt der vor drei Jahren publizierte ZKB-Bericht eine hochwertige dauerhafte Bausubstanz sowie die Absicherung gegen steigende Oumll- und Energie-preise Fachleute des Immobilienberatungsunternehmens Wuumlest amp Partner (WampP) warnen indes dass sich zusaumltz-liche Investitionen in die Energieeffizienz nicht uumlberall loh-nen laquoRegional schwankt die Zahlungsbereitschaft des Immobilienmarktsraquo praumlzisiert WampP-Partner Ivan Anton Minergie-Haumluser koumlnnen aber nicht nur in abgelegenen Regionen ein Marktrisiko werden laquoMit Ausnahme der

Beim Autokauf wird bevorzugt auf Pferdestaumlrken Be-schleunigung und Innenausstattung geachtet Der CO2-Ausstoss interessiert hingegen kaum So kommt die Energieeffizienz im Strassenverkehr nur stockend voran 1995 schluckten alle neu immatrikulierten Personen-wagen durchschnittlich 9 Liter Benzin pro 100 Kilometer 20 Jahre spaumlter liegt der Durchschnittsverbrauch gemaumlss Bundesamt fuumlr Energie (BFE) immer noch uumlber 6 Litern Das viel gepriesene laquoDrei-Liter-Autoraquo haben alle Hersteller wieder aus der Modellpalette genommen

Demgegenuumlber gelingen dem oft traumlge genannten Ge-baumludebereich weitaus groumlssere Effizienzspruumlnge Ver-brauchen 40 Jahre alte Haumluser im Schnitt 220 Kilowatt-stunden (kWh) Heizenergie pro Quadratmeter Wohnflaumlche und Jahr sind die aktuellen Werte unter die 50er-Marke gesunken Zusaumltzliche Sparerfolge sind nur eine Frage der Zeit Im Fruumlhsommer haben die kantonalen Energie-direktoren uumlber ein Rahmenabkommen beraten das Null-energieneubauten demnaumlchst zum Standard machen soll Wie die nationale Energiewende zu erreichen ist erklaumlrt Christoph Gmuumlr von der Abteilung Energie des Kantons Zuumlrich laquoDer spezifische Verbrauchswert ist zudem auf 35 kWh pro Quadratmeter zu senkenraquo Gebaumlude die sich mit umweltfreundlicher Energie selbst versorgen wollen auch die EU-Staaten Ab 2020 wird ein Gebaumludestandard eingefuumlhrt der nur noch laquoNiedrigstenergiegebaumluderaquo mit sehr hoher Energieeffizienz als Neubauten vorsieht

Energiesparhaumluser waren vor 30 Jahren Exoten inzwischen nimmt der Bereich der energie-effizienten Gebaumlude eine Vor-bildrolle fuumlr die Energie wende ein Bauherren profitieren davon ebenso wie die Zuliefer-branche Text Paul Knuumlsel

Expertensicht

Haumluser in der ersten Reihe

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der Bau von Niedrigenergiehaumlusern und alternativen Hei-zungsanlagen sowie energetische Gebaumludesanierungen Investitionen im Umfang von rund 4 Milliarden Franken ausgeloumlst rechnet der Bund vor laquoEin Fuumlnftel insgesamt 860 Millionen Franken stammt aus den oumlffentlichen Kas-senraquo verweist die BFE-Stelle EnergieSchweiz auf die Im-pulse der kantonalen Foumlrderprogramme Einen Wermuts-tropfen besitzt diese Wirkungsbilanz Fruumlhere Analysen der Energiesparprogramme zeigen naumlmlich dass zwi-schen einem Drittel und der Haumllfte der energetisch vorbild-lichen Gebaumlude auch ohne staatliche Foumlrderung realisiert worden waumlren Dem Mitnahmeeffekt ist auch die Eidge-noumlssische Steuerverwaltung auf der Spur Sie schaumltzt dass Bund und Kantonen jaumlhrlich 14 Milliarden Franken entgehen weil energetische Gebaumludesanierungen bei der Liegenschaftssteuer abzugsberechtigt sind Die Energie-wende erfordert nicht nur mehr Effizienz bei den Anwen-dungen sondern auch einen effizienten Einsatz staatlicher Mittel Im Energieplanungsbericht 2013 hat der Zuumlrcher Regierungsrat erstmals uumlber alternative Anreizsysteme nachgedacht Demnach soll eine Lenkungsabgabe den Energiekonsum reduzieren und das bisherige Foumlrdersys-tem abloumlsen Aumlhnliche Plaumlne verfolgt der Bund Denn ein Lenkungssystem duumlrfte weitere Sparbemuumlhungen im Ge-baumludebereich aber auch im Strassenverkehr foumlrdern Ins-besondere dann wenn Heizoumll und Benzin im Gleichschritt teurer werden

begehrten Wohnlagen haben Hauseigentuumlmer an vielen Orten mit moumlglichen Verkaufsverlusten zu rechnenraquo so Anton Zwar sei die Nachfrage bei Eigentuumlmern und Mie-tern aumlhnlich gross Aber auch Mieter wuumlrden nicht uumlberall mehr fuumlr eine energieeffiziente Wohnung bezahlen Kaum uumlberraschen darf daher dass Immobilieninvestoren immer haumlufiger die steigenden Energieanforderungen kritisieren und kostenguumlnstigere Baustandards vorziehen Fuumlr WampP-Berater Urs Hausmann ist laquonachhaltiges Bauen trotzdem keine Frage von Luxus oder Wohlstand sondern eine wie man mit Ressourcen umgehen willraquo Dass ein hohes Um-weltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauen Der Run auf den oumlkologischen Baustoff Holz laumlsst zum Beispiel eine gesamte Wertschoumlpfungskette und viele

innovative Unternehmen profitieren Forstbetriebe Sauml-gereien Fensterbauer Daumlmmstoffhersteller und andere Bauzulieferer vergroumlssern ihre Produktionskapazitaumlten und stellen zusaumltzliches Personal ein laquoDie Umsaumltze im Schweizer Holzbau sind in den letzten Jahren um mehrere Hundert Millionen Franken gestiegen und die Trendkurve zeigt weiter nach obenraquo freut sich Christoph Starck Di-rektor des Holzbaudachverbands Lignum

Einheimische Zulieferer als GewinnerAuch im Verein Minergie ist man sich bewusst dass sich energieeffizientes Bauen wirtschaftlich positiv auswirkt In den letzten 15 Jahren sind 25 000 Wohnhaumluser Buumlro-komplexe Schulbauten Sport- und Industriehallen mit Niedrig energiezertifikat entstanden Gemeinsam sparen sie 15 Milliarden Kilowattstunden Energie laquoUumlber 2 Milliar-den Franken wurden zusaumltzlich investiertraquo rechnet Miner-gie-Sprecher Antonio Milelli vor Anstatt fossile Brennstoffe einzukaufen wird mehr Geld fuumlr Daumlmmstoffe Isolierfenster Luumlftungsanlagen und Sonnenkollektoren aus inlaumlndischer Fabrikation ausgegeben Zwischen 2001 und 2012 haben

Paul KnuumlselPaul Knuumlsel studierte Umweltnaturwissen-schaften an der ETH Zuumlrich Er ist unabhaumln-giger Wissenschaftsjournalist und schreibt seit Jahren in Publikums- und Fachmedien uumlber die vielfaumlltigen Aspekte des nachhalti-gen Bauens Zusaumltzlich betreut er in der Re-daktion des laquoTEC21raquo das Ressort laquoEnergie und Umweltraquo

laquoDass ein hohes Umweltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren

derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauenraquo

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Der Wasserkraft Sorge tragen

Welchen Beitrag kann die Wasserwirtschaft zur Energie-wende leisten Roger Pfammatter Die Wasserkraft ist der energie-politische Trumpf der Schweiz Wir befinden uns in der gluumlcklichen Lage uumlber grosse Mengen Wasser und das notwendige Gefaumllle zu verfuumlgen ndash das sind die beiden wichtigsten Voraussetzungen fuumlr die hydroelektrische Produktion Und wir haben in den vergangenen 100 Jah-ren gelernt dieses Potenzial effizient und moumlglichst um-weltschonend zu nutzen Die Wasserkraft ist der Schluumls-sel fuumlr eine nachhaltige Energieversorgung technisch ausgereift politisch erwuumlnscht einheimisch erneuerbar und CO2-frei

Wie viel mehr ist moumlglichHeute leistet die Wasserkraft nicht nur rund 60 Prozent der Stromproduktion in der Schweiz sondern bietet auch unverzichtbare Regel- und Systemdienstleistungen die markant an Bedeutung gewinnen werden Vor allem bei der Flexibilisierung der Wasserkraft durch mehr Leistung und Speichervolumen waumlre noch einiges moumlglich Um die Aufgaben weiterhin zu gewaumlhrleisten muumlssen wir aber primaumlr dem Bestehenden Sorge tragen

Die Energiestrategie des Bundes gibt aber klare Ausbau-ziele vor Bis 2035 soll die Stromproduktion aus Wasser-kraft um 10 Prozent steigenUnter den momentanen Rahmenbedingungen ist dieses Ausbauziel nicht realistisch Im Gegenteil Aufgrund der Restwasserbestimmungen wird die Produktion in den naumlchsten Jahren vermutlich sogar zuruumlckgehen

Die Wasserkraft ist der wichtigste Pfeiler der Schweizer Ener-giewirtschaft ihr Potenzial ist aber weitgehend ausgeschoumlpft Roger Pfammatter Geschaumlftsfuumlhrer des Wasserwirtschaftsver-bands gibt im Interview Auskunft uumlber die Lage der Branche und ihre Bedeutung fuumlr die EnergiezukunftInterview Florian Wehrli

Expertensicht

Was muss sich aumlndern damit die vorgegebenen Ziele um-gesetzt werden koumlnnenZum einen braucht es dafuumlr die Akzeptanz der Umweltver-baumlnde der Fischer und letztlich der gesamten Bevoumllkerung Zum anderen muumlssen laumlngerfristig die extremen Marktver-zerrungen abgebaut werden damit sich auch Investitionen in die nicht gefoumlrderte Wasserkraft wieder lohnen Heute wird nur noch in subventionierte Anlagen investiert

Wer ist hier in der PflichtHier ist die Politik gefordert die Rahmenbedingungen zu verbessern Denn ohne die Wasserkraft kann die Energie-wende nicht gelingen

Anfang Jahr wurde der Wasserwirtschaftsverband von den zustaumlndigen Kommissionen angehoumlrt Welche Forderun-gen hat die Branche an das ParlamentWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerba-re Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichten die bereits bis zur Haumllfte der Geste-hungskosten ausmachen Damit sind wir doppelt diskrimi-niert Die Wasserkraft ist extrem unter Preisdruck ndash und dies obwohl sie mit Gestehungskosten zwischen 3 und 10 Rappen pro Kilowattstunde die effizienteste Strompro-duktionstechnologie ist Nur zum Vergleich Fotovoltaik -anlagen werden heute mit rund 40 Rappen subventioniert

Bis 2011 liess sich mit der Grosswasserkraft noch viel Geld verdienen Wurden zu wenige Ruumlcklagen fuumlr schlechte Zei-ten gebildet

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Es kann nicht der Sinn sein Ruumlcklagen fuumlr Zeiten zu bil-den in denen die Marktpreise die Gestehungskosten nicht mehr decken Das waumlre wie wenn ein Baumlcker auf jedem Gipfeli einige Rappen zuruumlckbehalten muumlsste damit er sie am naumlchsten Tag gratis abgeben kann Mit dem durch Subventionen verzerrten Marktpreis von 4 bis 5 Rappen pro Kilowattstunde ist unter den konventionellen Energie-traumlgern praktisch nur Kohle konkurrenzfaumlhig Das ist be-stimmt nicht im Sinn der Energiewende

Drei Grosswasserkraftprojekte sind heute bereits im Bau Koumlnnen die enormen Kosten uumlberhaupt amortisiert wer-denPrognosen sind schwierig An der europaumlischen Strom-boumlrse (EEX) werden bis 2020 Strompreise zwischen 45 und 53 Rappen pro Kilowattstunde gehandelt Der Markt glaubt also nicht an eine baldige Erholung Dafuumlr muumlsste das Uumlberangebot in Europa zuruumlckgehen etwa uumlber die Anhebung des CO2-Preises von heute 5 auf mindestens 30 Euro pro Tonne Politisch ist das aber kaum durchsetz-bar Neue Pumpspeicherwerke werden sich deshalb wohl erst in mehreren Jahrzehnten lohnen

Was kann die Kleinwasserkraft leistenOhne die kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) wuumlr-de niemand Kleinwasserkraftanlagen bauen genauso we-nig wie Fotovoltaik- Wind- oder Biomasseanlagen Zurzeit gibt es aber allein bei der Kleinwasserkraft rund 1 000 An-meldungen fuumlr Foumlrderbeitraumlge mit einem bescheidenen Ge-samtpotenzial von 33 Terawattstunden pro Jahr Die oumlko-logischen Auswirkungen sind im Vergleich zum Ertrag zu gross Obwohl wir von marktverzerrenden Foumlrderprogram-men wegkommen sollten waumlre es in einer Uumlbergangs phase sinnvoll die KEV-Obergrenze von 10 Mega watt aufzuheben und dort zu foumlrdern wo es wirklich etwas bringt

Wie soll die Grosswasserkraft unterstuumltzt werdenDas Sinnvollste waumlre die Abkehr von der Subventions-maschinerie ndash und zwar auf europaumlischer Ebene Dann wuumlrde sich die Wasserkraft als effiziente erneuerbare Stromproduktionsform mit Sicherheit durchsetzen Min-destens als Uumlbergangsloumlsung waumlre aber die Entlastung

von Abgaben in erster Linie vom Wasserzins dringend Der maximale Wasserzins wurde in den letzten vier Jahren um 38 Prozent erhoumlht und wird naumlchstes Jahr um weite-re 10 Prozent angehoben Diese Erhoumlhung wurde 2008 beschlossen und steht heute in keinerlei Bezug mehr zur Ertrags lage Kurzfristig koumlnnten die Kantone auf einen Teil dieser Zinsen verzichten ndash das waumlre ein wichtiges politi-sches Zeichen Langfristig muss ein neuer Modus fuumlr die Zinsberechnung gefunden werden der die Ertragslage der Wasserkraft mitberuumlcksichtigt Das ist auch im Interesse von Bund Kantonen und Gemeinden schliesslich ist die Wasserkraft zu 85 Prozent in oumlffentlicher Hand Ebenfalls als Uumlbergangsloumlsung bis zu besseren Marktpreisen waumlren zinsguumlnstige Darlehen fuumlr die noumltigen Investitionen in die Grosswasserkraft denkbar Ohne mindestens eine dieser Massnahmen kann die Wasserwirtschaft das geforderte Ausbauziel nicht erreichen

Bis dahin gibt es noch eine weitere Huumlrde den Heimfall der Stauanlagen an die Standortgemeinden Welchen Ein-fluss hat dieser UmstandWenn die Konzessionen nach 80 oder 100 Jahren aus-laufen muss der Betreiber der Gemeinde eine Entschaumldi-gung fuumlr den Restwert der Anlagen entrichten Im Fall der Staumauer Barberine bezahlen die SBB und Alpiq 2017 an sechs Walliser Gemeinden 343 Millionen Franken Das 400-Seelen-Dorf Finhaut erhaumllt alleine 112 Millionen Fran-ken und weiss kaum wohin mit dem Geld Der gesamte Wert des Heimfalls der Anlagen bewegt sich schweizweit im Milliardenbereich Der Houmlhepunkt des Heimfalls wird um 2035 erreicht werden Bis zu diesem Zeitpunkt soll aber auch ein Grossteil der geforderten Produktionsstei-gerung umgesetzt werden

Bei der Stromproduktion ist ein Ausbau von uumlber 10 Pro-zent wohl nicht realistisch Wie sieht es bei der Speicher-leistung aus Hier muss man unterscheiden zwischen kurzfristiger und saisonaler Speicherung Fuumlr die saisonale Speicherung verfuumlgt die Schweiz mit 200 Speicherseen uumlber ein Vo-lumen von rund 9 000 Gigawattstunden (GWh) die jedes Jahr vom Sommer in den Winter umgelagert werden Dies

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Expertensicht

entspricht einem Viertel der jaumlhrlichen Produktion aus Wasserkraft Das Ausbaupotenzial durch die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren betraumlgt rund 2 000 GWh Falls der Ausbau aber nicht gelingt entsteht im Winter durch den Ausfall der Kernenergie eine immer groumlssere Luumlcke an Bandenergie die durch den Import von Atom- oder Kohlestrom gedeckt werden muss

Wie sieht es beim Ausbau der Pumpleistung zum kurzfris-tigen Ausgleich von Schwankungen im Netz ausGrundsaumltzlich ist das Potenzial fuumlr Pumpspeicherwerke in der Schweiz riesig Es braucht nur zwei Seen auf unter-schiedlicher Houmlhe Die Frage ist ob sich solche Investi-tionen rechnen Die Pumpspeicherwerke finanzieren sich

uumlber den Preisunterschied zwischen Band- und Spitzen-energie Wenn an einem schoumlnen Sommertag in Europa mittags die geballte Ladung an Sonnen- und Windener-gie eingespeist wird koumlnnen die Pumpspeicherkraftwerke sehr guumlnstig oder sogar zu Negativpreisen Strom bezie-hen Man darf aber nicht vergessen dass dieselbe Situa-tion fuumlr die Laufwasserkraftwerke die rund die Haumllfte der Wasserkraftproduktion in der Schweiz ausmachen den gegenteiligen Effekt hat Diese koumlnnen aus technischen konzessionsrechtlichen oder oumlkologischen Gruumlnden nicht vom Netz genommen werden und muumlssen fuumlr ihre Strom-produktion bezahlen Das kann gehoumlrig ins Geld gehen An Weihnachten 2012 lag der Strompreis zum Beispiel bei minus 30 Rappen pro Kilowattstunde

Roger Pfammatter laquoWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerbare Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichtenraquo

Bild Florian Wehrli

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cherseen zur Flexibilisierung Damit das gelingt muss der Wert der Wasserkraft staumlrker im Bewusstsein der Bevoumllke-rung verankert sein Und nicht zuletzt muss der Marktpreis so weit uumlber den Gestehungskosten liegen dass sich In-vestitionen in die Wasserwirtschaft rentieren

Versuchen das Bestehende zu erhalten Diese Vision klingt etwas resigniertDas ist eine Frage der Perspektive Die Wasserkraft hat als Technologie in der Schweiz seit Langem Bestand Sie befindet sich in einer anderen Situation als Fotovoltaik und Windenergie die sich in einem hochdynamischen Umfeld mit grossem Potenzial in Forschung und Wachstum be-finden Die Wasserkraft ist dagegen nicht mehr in der Auf-bruchsphase sondern in der Konsolidierungsphase Da-fuumlr kann man sich auf die Wasserkraftwerke verlassen Sie produzieren bei Tag und in der Nacht im Sommer wie im Winter bei Windstille oder im Nebel Auch der Erhalt und die Optimierung des Bestehenden sind grosse Heraus-forderungen und bedingen grosse Investitionen

Sehen Sie eine Moumlglichkeit wie die Schweizer Wasser-wirtschaft in Zukunft Geld mit Systemdienstleistungen wie Netzstabilitaumlt verdienen kannDie unregelmaumlssig einspeisenden Stromproduzenten neh-men keinerlei Systemverantwortung wahr Ich habe selbst ein Solarpanel auf dem Dach Wenn Produktion moumlglich ist speise ich Strom ins Netz ein wenn nicht beziehe ich Die Produzenten mehr in die Verantwortung zu nehmen faumlnde ich sinnvoll ndash zum Beispiel uumlber Zertifikate fuumlr Spei-cherleistungen Diese koumlnnten bei Pumpspeicherwerken bezogen werden

Welcher Ausbau der Pumpspeicherleistung ist dafuumlr noumltigDie installierte Leistung betraumlgt heute rund 14 Gigawatt (GW) Mit den im Bau befindlichen und den geplanten An-lagen kann die Kapazitaumlt maximal auf 51 GW ausgebaut werden ndash etwa die Haumllfte der Jahreshoumlchstlast im Netz Damit die Schweizer Wasserkraft aber einen Beitrag zur Stabilitaumlt des europaumlischen Stromnetzes leisten kann muumlssten auch das Stauvolumen und die Leitungskapazi-taumlt erhoumlht werden Hier sind die Einsprachen von Anwoh-nern und Umweltverbaumlnden noch gravierender als bei den Anlagen selbst

Braucht es neue rechtliche Instrumente um den geplan-ten Ausbau durchsetzen zu koumlnnenEs braucht vor allem die Einsicht dass die Wasserkraft das Ruumlckgrat unserer Versorgungssicherheit ist und die Aus-wirkungen eines Ausbaus immer auch mit den Alternativen verglichen werden muumlssen Wir befinden uns aber auch in einem intensiv genutzten Land mit vielen Partikularinteres-sen Diese muumlssen gewichtet und abgewogen werden In der Abwaumlgung zwischen Landschaftsschutz und Wasser-nutzung waumlre es hilfreich wenn Grosswasserkraftanlagen den Status von nationalem Interesse erhalten

Wie soll die Schweizer Wasserwirtschaft im Jahr 2035 aussehenIch wuumlnsche mir dass die bestehende Infrastruktur auf dem heutigen Stand erhalten optimiert oumlkologisiert und im Idealfall etwas ausgebaut wird Dazu gehoumlren etwa die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren sowie neue Spei-

Roger PfammatterSeit seinem Ingenieurstudium an der ETH Zuumlrich hat er sich in ver-schiedenen Rollen dem Wasser verschrieben Nach sieben Lehr- und Wanderjahren in der Forschung und in der Entwicklungszusammen-arbeit war er zehn Jahre beim Ingenieurunternehmen Ernst Basler + Partner engagiert Seit 2010 ist er Geschaumlftsfuumlhrer des Schweizeri-schen Wasserwirtschaftsverbandes (SWV) und Herausgeber der Zeit-schrift laquoWasser Energie Luftraquo In diesen Funktionen setzt er sich ein fuumlr den Fachaustausch und gute Rahmenbedingungen in den Bereichen Wasserkraft und Hochwasserschutz

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Die globalen Energiemaumlrkte sind seit einigen Jahren stark in Bewegung Volatile Erdoumllpreise die Foumlrderung von un-konventionellen Gasvorkommen in grossem Stil die mas-sive Subventionierung von neuen erneuerbaren Energien in Deutschland der laquoarabische Fruumlhlingraquo und der Konflikt in der Ukraine hinterlassen Spuren Die Folge sind starke Verwerfungen an den Maumlrkten und fehlende Investitionssi-cherheit In diesem dynamischen und unsicheren Kontext will der Bund die bisherige Energiepolitik neu ausrichten ndash wahrlich eine Herkulesaufgabe Die Schweizer Wirtschaft verlangt dass der Bund bei der Neuausrichtung der Ener-giepolitik seinem in der Verfassung verankerten Auftrag nachkommt und sich fuumlr eine ausreichende sichere breit gefaumlcherte wirtschaftliche und umweltvertraumlgliche Ener-gieversorgung einsetzt Somit ist klar Die Energiestrate-gie 2050 muss in erheblichen Teilen optimiert und justiert werden Nur wenn vernetzt gedacht wird ist eine sichere Versorgung zu wettbewerbsfaumlhigen Preisen moumlglich

Prognosen klaffen weit auseinanderSeit Jahrzehnten bietet der Strommix aus Wasserkraft (knapp 60 Prozent) und Kernenergie (40 Prozent) Gewaumlhr fuumlr eine sichere klimafreundliche und wirtschaftliche Ener-gieversorgung Im Rahmen der Energiestrategie 2050 muss die Kernenergie langfristig ersetzt werden Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen zumal die Ziele des Bundes

Lebenselixier der Wirtschaft

Die Schweizer Wirtschaft ist auch in Zukunft auf eine sichere und wirtschaftliche Stromver-sorgung angewiesen Die Ener-giestrategie 2050 setzt stark auf Subventionen Dadurch entstehen Fehlanreize welche die Versorgungssicherheit ge-faumlhrdenText Kurt Lanz

Expertensicht

in Bezug auf das Potenzial der neuen erneuerbaren Ener-gien von Wunschdenken geleitet sind Die neuen erneuer-baren Energien werden sich langsamer entwickeln als an-gestrebt Der Bund rechnet mit rund 12 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2035 die Schweizer Wirtschaft mit 44 TWh Die vorsichtigeren Prognosen der Wirtschaft scheinen re-alistischer Dies zeigen exemplarisch die gescheiterten Geothermieprojekte in Basel und St Gallen Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Nachfrageprognosen Der Bund rechnet in seinen Szenarien mit einem Ruumlckgang des Stromverbrauchs pro Kopf von 16 Prozent zwischen 2000 und 2035 Die Schweizer Wirtschaft orientiert sich in ihren Szenarien am Verband Schweizerischer Elektrizitaumlts-unternehmen (VSE) der weiter mit einer steigenden Nach-frage rechnet Die Wirtschaft fordert von der Politik eine vernuumlnftige Planung aufgrund realistischer Schaumltzungen Die Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energiestrategie nicht gefaumlhrdet werden

Subventionen fuumlhren zu FehlanreizenDie Schweiz hat seit vielen Jahrzehnten erfolgreich die Wasserkraft vorangetrieben Aus politischen Gruumlnden wird nun die ndash unregelmaumlssige ndash Stromproduktion durch Sonnen- und Windenergie forciert Unsere sogenann-te kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) entspricht dem deutschen Foumlrdermodell Beide haben das gleiche Ziel Sie sollen erneuerbare Energien ausbauen indem sie neue Formen der Stromproduktion zur Marktreife brin-gen Weil das KEV-System die Sonnen- und Windenergie massiv foumlrdert kommt ein weiterer Ausbau der bewaumlhrten Wasserkraft nicht infrage Diese Entwicklung gefaumlhrdet die Versorgungssicherheit der Schweiz Auf den ersten Blick sinken zwar die Produktionskosten fuumlr Solarstrom gleich-zeitig steigen aber die Kosten fuumlr Speicherung und Inte-gration ins Netz spuumlrbar Auch ist der Ausbau von Solar- und Windenergie nur von beschraumlnktem Nutzen solange keine ausreichenden Speicherkapazitaumlten vorhanden sind Nur Preissignale koumlnnen das Investitionsverhalten von Stromproduzenten Netzbetreibern und Konsumen-ten sinnvoll lenken Subventionen sind zu beseitigen denn sie fuumlhren zu Fehlanreizen

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Alle Optionen offenhaltenOffenheit und Neugier gehoumlren zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft Kategorisches Abwehrverhalten und Denkverbote verhindern konstruktive Loumlsungsansaumltze und Innovation Eine sichere und kostenguumlnstige Strom-versorgung kann auch in Zukunft nur mit der notwendi-gen Offenheit gegenuumlber allen Technologien und Energie-

systemen garantiert werden Die Schweiz ist dank einer erfolgreichen Hochschulland-schaft und vielen Technolo-gieunternehmen gut geruumlstet Die verschiedenen Energie-systeme muumlssen faktenba-siert und ohne ideologische

Scheuklappen verglichen werden Nur so koumlnnen effizi-ente und umweltvertraumlgliche Loumlsungen gefunden werden Das heutige System der Foumlrderung der neuen erneuer-baren Energien ist durch ein marktorientiertes System ab-zuloumlsen Produzenten die nachfragegerecht einspeisen sollen eine houmlhere Verguumltung erhalten als andere Auch soll der Vorrang der Netzeinspeisung fuumlr subventionierte Energietraumlger aufgehoben werden

laquoDie Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit

des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energie strategie nicht

gefaumlhrdet werdenraquo

Schnellere Verfahren anstrebenGrundvoraussetzung fuumlr eine Neuausrichtung der Ener-giepolitik sind funktionierende Stromnetze Diese muumls-sen zwingend parallel zum Umbau der Stromproduktion weiterentwickelt werden Allein der noumltige Ausbau der Uumlbertragungsnetze belaumluft sich auf rund 1 000 Kilometer bis ins Jahr 2020 Erforderlich sind zudem Investitionen in alle Verteilernetzebenen Al-lerdings verzoumlgern komplizier-te Verfahren auf Kantons- und Bundesebene den Ausbau Ausserdem erwaumlchst praktisch jedem Projekt Widerstand von privater Seite was zu weiteren Verzoumlgerungen fuumlhrt Die Wirt-schaft fordert deshalb Bei Bewilligungen von Stromnetzen ist der Gang vors Bundesgericht nur noch bei Grundsatz-fragen moumlglich Umbauten sowie Spannungs- und Kapa-zitaumltserweiterungen koumlnnen ohne Planungsgenehmigung realisiert werden Ausserdem sind die Verfahren bei einer einzigen Leitbehoumlrde anzusiedeln

Spielfeld erweiternDie Schweiz ist seit jeher ein wichtiges Stromtransitland Schon seit den 90er-Jahren treibt die EU die Vereinheitli-chung des Binnenmarkts fuumlr Strom hin zu einem eigent-lichen EU-Strommarkt voran In der Schweiz erweist sich die gesetzliche Trennung von Grundversorgung und Markt diesbezuumlglich zunehmend als Hindernis Aus Sicht der Wirtschaft ist die vollstaumlndige Liberalisierung des Strom-markts eine zwingende Voraussetzung fuumlr eine erfolgrei-che energiepolitische Neuausrichtung

Eine Marktoumlffnung wuumlrde insbesondere auch den erneuer-baren Energien neue Chancen eroumlffnen und Zugang zu neuen Kunden gewaumlhren Von hoher Wichtigkeit ist auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU Je groumlsser der Anteil erneuerbarer Energien umso wichtiger ist die Einbettung in Europa denn Investitionen in Netze und Produktion koumlnnen in Koordination mit der EU wirkungsvoller und wahrscheinlich kostenguumlnstiger getaumltigt werden

Kurt LanzKurt Lanz ist Leiter Infrastruktur Energie und Umwelt sowie Geschaumlftsleitungsmitglied von economiesuisse dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft

Gut vernetzt ndash Vorschlaumlge der Schweizer Wirtschaftzur EnergiepolitikDie Publikation basiert auf der Grundlagenarbeit der breit abgestuumltz-ten Energiekommission von economiesuisse und macht konstruk-tive Vorschlaumlge fuumlr einen erfolgreichen energiepolitischen Weg der Schweiz Download unter wwweconomiesuissech

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

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Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

wwwsmlzhawch

Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 14: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

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Hintergrund

Der Bundesrat hat dem Parlament im September 2013 ein erstes Massnahmenpaket zur Umsetzung der Energie-strategie 2050 vorgelegt Das Geschaumlft wird momentan von den vorberatenden parlamentarischen Kommissio-nen behandelt Es ist auf die Zielsetzungen fuumlr das Jahr 2020 ausgerichtet und soll langfristig wirken Konkret vorgesehen ist etwa eine Erhoumlhung der CO2-Abgabe auf Brennstoffe mit einer gleichzeitigen Verstaumlrkung des Ge-baumludesanierungsprogramms Weiter soll die bisherige kostendeckende Einspeiseverguumltung zu einem Verguuml-tungssystem mit Direktvermarktung umgebaut werden Dafuumlr sind eine Totalrevision des Energiegesetzes sowie Anpassungen in weiteren neun Bundesgesetzen noumltig Berechnungen zufolge soll der Energieverbrauch mit der Umsetzung des ersten Massnahmenpakets bis 2050 we-sentlich abnehmen Insbesondere bei den fossilen Ener-gietraumlgern wird mit grossen Ruumlckgaumlngen gerechnet

Volkswirtschaftlich werden sich die Kosten fuumlr die Um-setzung der Energiestrategie in Grenzen halten Den er-heblichen Investitionen in die Energieeffizienz stehen Ein-sparungen bei den Energieimporten gegenuumlber Es sind jedoch betraumlchtliche Investitionen insbesondere fuumlr den Zubau der Stromproduktion aus erneuerbaren Energietrauml-gern noumltig

Zusammensetzung des Endshyenergieverbrauchs (ohne Treibshystoffverbrauch des internationalen Flugverkehrs) bis 2050 auf der Basis des vorliegenden Massnahmen pakets des UVEK (Quelle Prognos)

Ein Markt mit ZukunftEine nachhaltige Energiepolitik ist nur moumlglich wenn die Schweiz staumlrker auf erneuerbare Energien setzt Heute stammen nur gerade 20 Prozent der verbrauchten Ener-gie aus erneuerbaren Quellen Die laufenden Arbeiten zur Energiestrategie 2050 zeigen dass Sonnen- und Wind-energie Wasserkraft und Geothermie in der Schweiz uumlber grosse Potenziale verfuumlgen deren optimale Er-schliessung jedoch durch verschiedene Faktoren behin-dert beziehungsweise verzoumlgert wird Dazu gehoumlren die

langwierigen Bewilligungsverfahren und die teils fehlende Akzeptanz in der Bevoumllkerung aber auch die begrenzten Foumlrdermittel zur Realisierung entsprechender Projekte Mit der Energiestrategie 2050 sollen guumlnstigere Rahmenbe-dingungen geschaffen werden

Die Sicherung des langfristigen Energieangebots wird zu einer der zentralen Herausforderungen und bietet gleichzeitig grosse Chancen fuumlr den Wirtschaftsstandort

laquoFortschritte bei der Ressourcen-effizienz und den erneuerbaren

Energien ermoumlglichen Wettbewerbs-vorteile auf den Exportmaumlrktenraquo

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Schweiz Bereits heute verfuumlgt die Schweiz uumlber ein gros-ses industrielles und technologisches Know-how gerade im Bereich Cleantech Fortschritte bei der Ressourcen-effizienz und den erneuerbaren Energien ermoumlglichen Wett bewerbsvorteile auf den Exportmaumlrkten sie schaffen neue Arbeitsplaumltze und erhoumlhen die Unabhaumlngigkeit in der Rohstoffversorgung Zusammen mit dem Masterplan Cleantech traumlgt die Energiestrategie 2050 dazu bei dass sich die Schweiz hier als Vorreiterin profilieren kann

Uumlbergang in ein LenkungssystemDamit sich der Markt in Richtung Nachhaltigkeit entwickelt werden kuumlnftig weitere Massnahmen noumltig sein Waumlhrend das erste Massnahmenpaket noch stark auf Foumlrderung zielt wird die Energiepolitik ab 2021 gemeinsam mit der Klimapolitik strategisch neu ausgerichtet Das bestehen-de Foumlrdersystem basiert auf einem Netzzuschlag fuumlr die Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Ener-gien und einer Teilzweckbindung der CO2-Abgabe fuumlr das Gebaumludeprogramm Es soll durch ein marktwirtschaftli-ches Lenkungssystem abgeloumlst werden mit dem sich die Energie -und Klimaziele effektiv und oumlkonomisch effizient erreichen lassen Konkret werden erneuerbare Energien und Gebaumludesanierungen zunaumlchst noch staatlich unter-stuumltzt ndash langfristig soll der Markt spielen Das Bundesamt fuumlr Energie ist daran in Zusammenarbeit mit dem Eidge-noumlssischen Finanzdepartement und dem Staatssekretariat fuumlr Wirtschaft zu konkretisieren wie das umzusetzen ist

Wissenstransfer staumlrken Gluumlcklicherweise herrscht an den Hochschulen und ihren Instituten im Energiebereich Aufbruchstimmung Fuumlr Un-ternehmen ist es jedoch oft schwierig das an Hochschu-len vorhandene Wissen abzuholen gerade wegen der grossen Diversitaumlt der Forschung und der Fragmentierung des Wissens auf zahlreiche Institute Gleichzeitig stossen mit Unternehmen der Informations- und Kommunikations-technologie neue Akteure mit grossem Know-how in den Energieversorgungsmarkt vor Energieversorgungsunter-nehmen in ganz Europa ruumlcken vom reinen Stromverkauf ab und positionieren sich vermehrt als Anbieter von umfas-senden Energiedienstleistungen Diesem Trend muss sich

Walter SteinmannDr Walter Steinmann ist seit 2001 Direktor des Bundesamts fuumlr Energie (BFE) Er hat an der Universitaumlt Zuumlrich Volkswirtschaft studiert und seine Studien 1988 mit einer Doktorarbeit an der Universitaumlt Konstanz ab geschlossen Von 1981 bis 1988 war er Delegierter fuumlr Wirtschaftsfoumlrderung des Kantons Basel-Landschaft und arbeitete an-schliessend als Beauftragter fuumlr Wirtschafts-foumlrderung des Kantons Solothurn Von 1994 bis 2001 war er Chef des Amts fuumlr Wirtschaft und Arbeit des Kantons Solothurn

auch die Schweiz stellen und ihre Kraumlfte vermehrt buumlndeln um Synergien zwischen Wirtschaft und Forschung zu schaffen Nur so kann der Technologiestandort Schweiz staumlrker werden Der Bund setzt bereits Massnahmen um damit der Transfer der Forschungsresultate in den Markt sichergestellt wird Dazu gehoumlrt der Aufbau vernetzter Forschungskompetenzzentren der Swiss Competence Centers for Energy Research Auch die ZHAW School of Management and Law beteiligt sich in diesem Rahmen massgeblich an den nationalen Forschungsaktivitaumlten zum Umbau des Schweizer Energiesystems

Mit der Energiestrategie 2050 hat die Schweiz die Chance sich aus ihrer Abhaumlngigkeit von den fossilen Energien zu loumlsen den Export fortschrittlicher Technologien zu staumlrken und mit dem ressourcen- und klimaschonenden Umgang mit Energie international eine Fuumlhrungsrolle zu uumlberneh-men Nutzen wir diese Chance

Weitere Informationen unter wwwenergiestrategie2050ch

laquoDie Schweiz muss ihre Kraumlfte vermehrt buumlndeln um

Synergien zwischen Wirtschaft und Forschung zu schaffenraquo

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Eine der wichtigsten Zielsetzungen der Energiewende wie sie der Bundesrat formuliert hat ist der Ausbau der er-neuerbaren Energien Der Anteil von Wasser- Wind- und Sonnenkraft sowie Erdwaumlrme am Energiemix soll massiv erhoumlht werden Die durchschnittliche inlaumlndische Produk-tion ndash ohne Wasserkraft ndash soll im Jahr 2020 bei mindes-tens 4 400 Gigawattstunden (GWh) und im Jahr 2035 bei mindestens 14 500 GWh liegen Bei der Produktion von Elektrizitaumlt aus Wasserkraft wird bis im Jahr 2035 ein Aus-bau der Produktion auf 37 400 GWh angestrebt Zum Ver-gleich Die Jahresproduktion des AKW Muumlhleberg liegt bei rund 2 600 GWh Das sind houmlchst ambitioumlse Ziele

Der geplante Ausbau der Nutzung von erneuerbaren Energien bedarf zahlreicher Anlagen ndash Windparks Was-serkraftwerke oder groumlsserer Solaranlagen ndash mit entspre-chend hohem Raumbedarf Der Bundesrat sieht nicht vor die Umwelt- und Heimatschutzgesetze massgeblich zu lo-ckern obwohl es regelmaumlssig zu Konflikten zwischen den Schutzinteressen und Energienutzungsanlagen sowie zu entsprechenden Gerichtsverfahren kommt ndash wie juumlngst im Goms bei der Planung eines Wasserkraftwerks (BGE 140 II 262 ff) Das Bundesgericht nimmt jeweils eine im Resul-tat schwer voraussehbare Interessenabwaumlgung vor und stellt die Leistung der Anlage sowie die Faumlhigkeit zeitlich flexibel und marktorientiert zu produzieren den Schutz-interessen gegenuumlber

Ein weiteres Problem besteht darin dass groumlssere Anla-gen bei der Nachbarschaft oder in einer breiteren Bevoumll-kerung keine Akzeptanz finden So waumlre zwar im Kanton

Loumlsungen suchen bevor es zum Rechtsstreit kommt

Hochschulperspektive

Der Bundesrat sieht im Rahmen der Energiestrategie 2050 vor den Anteil der erneuerbaren Energien massiv zu erhoumlhen Die vermehrte Nutzung erneuerbarer Energietraumlger fuumlhrt jedoch zu einem Interessenkonflikt zwischen Wirtschaftlichkeit umwelt-rechtlichen Anforderungen und sozialer Akzeptanz Diesen gilt es mit klaren rechtlichen Grundlagen zu loumlsenText Reneacute Wiederkehr und Andreas Abegg

Zuumlrich Wind vorhanden doch dreht sich dort bis heute keine einzige grosse Windturbine Gegen die einzige bis-her geplante Versuchsanlage am Stuumlssel oberhalb Baumlrets-wil hat eine Interessengemeinschaft Rekurs erhoben und will die geplante Windmessanlage bis vor Bundesgericht bekaumlmpfen Diese Probleme ndash die Kollision mit Schutz-interessen und die Angst vor Nachbarrekursen ndash koumlnnen im Ergebnis dazu fuumlhren dass die Energieunternehmen auf den Bau von Anlagen verzichten obwohl ein erhebli-ches Potenzial vorhanden waumlre

Loumlsungsansatz des BundesratsIm Rahmen der Energiepolitik 2050 schlaumlgt der Bundesrat vor dass die Kantone mit Unterstuumltzung des Bundes ein Konzept fuumlr den Ausbau der erneuerbaren Energien er-arbeiten und Gebiete fuumlr die Nutzung durch erneuerbare Energien bestimmen Nach der Genehmigung durch den Bund dient das Konzept den Kantonen als Grundlage fuumlr ihre Richtplanung Dadurch wird fuumlr die kommunalen und kantonalen Behoumlrden verbindlich festgelegt in welchen Gebieten Bewilligungen fuumlr erneuerbare Energieproduktio-nen erteilt werden koumlnnen

Welche Gebiete sich tatsaumlchlich fuumlr den Ausbau der er-neuerbaren Energien eignen ist bisher allerdings kaum erforscht worden Bund Kantonen und Gemeinden fehlen die Grundlagen um die Eignung von Standorten und Ge-bieten aus rechtlicher Sicht zu beurteilen Es ist deshalb einfacher ungeeignete Gebiete von der Nutzung auszu-nehmen Vor allem Gebiete welche fuumlr Natur- und Hei-matschutz wertvoll sind koumlnnen zu einer sogenannten

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schen und rechtsstaatlichen Verfahren aus So wurde zum Beispiel im Kanton Zuumlrich der Heimatschutz gegenuumlber dem Interesse an neuen Solaranlagen bereits zuruumlck-gestuft und das entsprechende Bewilligungsverfahren gestrafft Es wird sich gerade bei der Wahl von Stand-orten fuumlr die Nutzung erneuerbarer Energien zeigen ob die Energiewende ndash wie zuweilen befuumlrchtet ndash auf Kosten von Demokratie und Rechtsstaat sowie auf Kosten von Natur- und Heimatschutz geht oder ob wir die gegenwaumlr-tigen Strukturen unter transparenter und angemessener Wahrung aller Interessen anpassen koumlnnen um die an-spruchsvollen Energieziele zu erreichen

Negativzone fuumlhren Auch andere Anliegen wie die Erhal-tung von landwirtschaftlichem Kulturland und Wald der Schutz des Vogelzugs oder die Beduumlrfnisse der Luftfahrt sind zu beruumlcksichtigen Zudem ist zu beachten dass der Bau neuer Anlagen einen Ausbau des Energienetzes nach sich ziehen kann was wiederum zu Konflikten mit anderen raumrelevanten Interessen fuumlhrt

InteressenabwaumlgungUm die erneuerbare Energie wie geplant massiv foumlrdern zu koumlnnen muumlssen die notwendigen Anlagen rasch rea-lisiert werden In den hierzu notwendigen Bewilligungs- und Rechtsmittelverfahren muumlssen die Zielkonflikte der verschiedenen Interessen transparent gemacht und unter gleichberechtigter Abwaumlgung geloumlst werden Das gilt so-wohl fuumlr das konkrete Rechtsmittelverfahren vor Behoumlrden und Gerichten wie auch fuumlr eine vorgezogene Mediations-phase

Hier setzen die vom Bund initiierten Forschungen zur Energiewende auf drei Ebenen an Zunaumlchst muumlssen die Details der komplizierten Bewilligungsverfahren im Aus-tausch mit der Gerichtspraxis ausgearbeitet werden Das sorgt fuumlr Rechtssicherheit Auf einer zweiten Ebene gilt es die bestehenden kantonal reglementierten Verfahren zu vereinheitlichen und wenn moumlglich zu vereinfachen Damit es zu rechtsstaatlich tragfaumlhigen und sozial akzep-tierten Loumlsungen kommt sind die Rechte aller Beteiligten zu wahren jene von Gemeinden Kantonen und Bund als Behoumlrden von Energieunternehmen als Gesuchsteller so-wie von Nachbarn und beschwerdeberechtigten Verbaumln-den als Gegner Schliesslich sind auf einer dritten Ebene neue Hilfsmittel zu suchen mit denen Gebiete und Stand-orte bezeichnet werden koumlnnen die sich fuumlr die Nutzung erneuerbarer Energien besonders eignen Das Bewilli-gungsverfahren wird hiermit transparenter berechenbarer und ndash so die Hoffnung ndash kuumlrzer Mit klaren Rechtsgrund-lagen koumlnnen die Beteiligten zudem Loumlsungen suchen bevor es uumlberhaupt zum Rechtsstreit kommt Die geplante Foumlrderung erneuerbarer Energien kommt nicht ohne Veraumlnderungen in bestehenden demokrati-

Andreas AbeggProf Dr Andreas Abegg ist Leiter des Zen-trums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht an der ZHAW School of Management and Law Privatdozent an der Universitaumlt Fribourg und praktizierender Rechtsanwalt Er beschaumlf-tigt sich mit den rechtlichen Schnittpunkten zwischen Staat und Privaten insbesondere in den Bereichen Regulierung Verwaltungs-organisation und Energie Andreas Abegg forscht im Rahmen des vom Bund mitfinan-zierten Competence Center for Research in Energy Society and Transition (CREST) in der Forschungsgruppe Energy Policy Analysis

Reneacute WiederkehrProf Dr Reneacute Wiederkehr ist stellvertre-tender Leiter des Zentrums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht an der ZHAW School of Management and Law und Titularprofessor der Universitaumlt Luzern Er forscht und lehrt in den Bereichen Verwaltungsrecht und oumlf-fentliches Prozessrecht sowie im Rahmen des vom Bund mitfinanzierten Competence Center for Research in Energy Society and Transition (CREST) in der Forschungsgruppe Energy Policy Analysis

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Negawatt statt Megawatt

Energieeffizienzmassnahmen finanziell lohnen Zudem ver-fuumlgen kleine und mittlere Unternehmen selten uumlber Ener-gieverantwortliche oder Umweltbeauftragte die im Akqui-sitionsprozess gezielt angesprochen werden koumlnnen

Schwaumlchen bisheriger ProgrammeEine Umfrage der ZHAW bei Programmverantwortlichen zeigt diverse Schwaumlchen laufender Effizienzprogramme auf Ein haumlufiges Problem sind falsche Anreize So wird vornehmlich vermittelt wie mit Energieeffizienz Geld ge-spart wird Offensichtlich geht man davon aus dass Un-ternehmen praktisch nur uumlber finanzielle Anreize zu moti-vieren sind Bei den angepeilten KMU fallen Energiekosten jedoch kaum ins Gewicht Beratungsaufwand und Ergeb-nis stehen umso mehr im Missverhaumlltnis je weniger Ener-gie verbraucht wird Weiter scheinen die Programmver-antwortlichen ihre Zielgruppen kaum zu segmentieren und als unterschiedliche Kundensegmente wahrzunehmen Entsprechend beinhalten die meisten Programme ein Standardangebot mit einem breiten Spektrum an Mass-nahmen die oft nicht branchenspezifisch zugeschnitten sind Auch die Kundenansprache erfolgt in der Regel un-differenziert und die Moumlglichkeiten der Neuen Medien wer-den kaum genutzt

Keine langfristige PerspektiveEin Grossteil der Programme ist nicht auf Kundenbindung ausgelegt Insbesondere werden kaum Informationen er-fasst welche die Planung einer weiterfuumlhrenden Bezie-

Schweizer Unternehmen koumlnnten auf wirtschaftliche Art und Weise bis zu 30 Prozent ihres Energieverbrauchs ein-sparen Speziell bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) die immerhin 10 Prozent des Schweizer Stromver-brauchs verantworten ist das Sparpotenzial aber ungenuuml-gend ausgeschoumlpft

Energieeffizienzprogramme wirken nichtBehoumlrden Energieversorger und private Organisatio-nen haben in den letzten Jahren wiederholt Programme lanciert um Energieeinsparungen gezielt zu foumlrdern Al-lerdings haben bislang weniger als 1 Prozent der rund 300 000 Schweizer KMU an einem solchen Programm teilgenommen und die Umsetzungsquoten sind ebenfalls gering Uumlber die Gruumlnde die Unternehmen daran hindern an Energieeffizienzprogrammen teilzunehmen und ent-sprechende Massnahmen umzusetzen sind sich die Pro-grammverantwortlichen uneinig Oft werden Zeitmangel Priorisierung anderer Investitionen fehlende Mittel und zu lange Amortisationszeiten als Hemmnisse genannt Ge-nerell scheint es dass bei Kleinunternehmen Zeit- und Geldmangel eine wichtige Rolle spielen waumlhrend bei Un-ternehmen mittlerer Groumlsse eher der Mangel an Motiva tion und Bewusstsein ausschlaggebend ist Energiekosten machen bei KMU einen verschwindend kleinen Anteil der Gesamtkosten aus sodass die Prioritaumlten fuumlr Investitionen haumlufig anders liegen Man investiert beispielsweise lieber in Betriebsmittel zur Erhoumlhung der Produktivitaumlt als in die Reduktion der (bereits tiefen) Energiekosten obwohl sich

Energieeffizienz ist ein zentraler Pfeiler der Energiestrategie 2050 Die Schweiz gehoumlrt zu den Spitzenreitern punkto Energie effizienz auch dank ihrem dominanten Tertiaumlrsektor Dennoch liegen auch bei hiesigen Unternehmen grosse Sparpotenziale brach Wie diese genutzt werden koumlnnen untersucht die ZHAW in einem interdisziplinaumlren ProjektText Rolf Rellstab

Hochschulperspektive

19COMPETENCE | 2014

brauch betrifft erhoumlhte Arbeitssicherheit weniger Laumlrm-belastung oder geringerer Rohstoffverbrauch Der Wert solcher laquoNon-Energy Benefitsraquo kann fuumlr Unternehmen bis zu 250 Prozent der energetischen Einsparungen betra-gen Es geht also darum KMU gezielter auf die Chancen der Energieeffizienz hinzuweisen Schliesslich gilt es auch Unternehmen wissen zu lassen dass sich ihre Kunden fuumlr dieses Thema interessieren sowie ihnen dabei zu helfen ihr Energie effizienzengagement sichtbar zu machen Waumlh-rend bereits heute viele Unternehmen bestaumltigen dass sich ihr Image bei den Kunden durch die Teilnahme an einem Energieeffizienzprogramm verbessert hat achten erst wenige Firmen auch bei der Kommunikation darauf dass entsprechende Massnahmen gebuumlhrend bekannt gemacht werden

hung zu den Programmteilnehmenden ermoumlglichen wuumlr-den Angaben zu Stromverbrauch Houmlhe und Anteil der Energiekosten Anzahl Mitarbeitende und Umsatz waumlren wertvolle Informationen im Hinblick auf allfaumlllige Folgepro-gramme Im Vordergrund stehen zudem bei den meisten Programmen technische Loumlsungen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz Eine nachhaltige Verhaltensaumlnderung bei Mitarbeitenden oder auf Managementebene wird hingegen kaum verfolgt Auch ein Monitoring der Wirkung von Ener-gieeffizienzprogrammen ist bislang nicht vorhanden oder

wird zu wenig systematisch betrieben So wird zum Bei-spiel die effektive Energieeinsparung vielfach nicht erfasst und gepruumlft Das tatsaumlchliche Kosten-Nutzen-Verhaumlltnis einzuschaumltzen ist somit schwierig Dass die bestehenden Energieeffizienzprogramme inhaltlich durchaus Anklang finden zeigen Ruumlckmeldungen von Unternehmen die in der Vergangenheit daran teilgenommen haben Die Befrag-ten beurteilen ihre Erfahrungen mehrheitlich positiv Aus Sicht der Unternehmen lagen die Energieeinspar effekte im Bereich der Erwartungen Viele wuumlrden nochmals an einem solchen Programm teilnehmen was die oben ge-nannten Versaumlumnisse umso bedauerlicher macht

Wirksamkeit verbessernWie koumlnnen KMU zum Energiesparen motiviert werden Aus Marketingsicht beinhaltet ein sinnvolles Programm eine segmentspezifische Kundenansprache die den laquoReifegradraquo (Wissen Einstellungen und Verhalten) eines Unternehmens in Bezug auf Energieeffizienz beruumlcksich-tigt Zweitens braucht es eine klare Kundenbeziehungs-strategie welche eine wiederholte Teilnahme zum Ziel hat Bei den Anreizen einzig die finanziellen Aspekte wie etwa erwartete Kostensenkungen oder Foumlrderbeitraumlge hervor-zuheben scheint wenig erfolgversprechend Der Fokus wird in Zukunft wohl vermehrt darauf liegen denjenigen Nutzen hervorzuheben der nicht direkt den Energiever-

Rolf RellstabRolf Rellstab ist wissenschaftlicher Mit-arbeiter und Projektleiter am Institut fuumlr Marketing Management der ZHAW School of Management and Law Seine Arbeits-schwerpunkte liegen im Bereich Kommuni-kation Kundenbeziehungsmanagement und B-to-B-Marketing

Projektziel und VorgehensweiseIm ZHAW-Projekt laquoNegawatt statt Megawattraquo werden optimierte Vorgehensweisen entwickelt um KMU mit einem jaumlhrlichen Strom-verbrauch zwischen 10 und 500 MWh zum Energiesparen zu moti-vieren Der Begriff laquoNegawattraquo bezeichnet die eingesparte Energie die zu virtuellen Negawatt-Kraftwerken kombiniert wird So wird anschaulich aufgezeigt wie viel Energie dank diesen Einsparungen weniger produziert werden muss Das Projekt beinhaltet eine interna-tionale Literaturstudie zu den Erfolgsfaktoren und Hemmnissen von Energieeffizienzprogrammen eine Umfrage bei Anbietern solcher Programme sowie eine Befragung von KMU Aus den Ergebnissen dieser drei Teilstudien werden Hypothesen im Hinblick auf ein idea-les Energieeffizienzprogramm abgeleitet In einem Folgeprojekt sol-len die Hypothesen im Rahmen eines Pilotprogramms uumlberpruumlft und weiterentwickelt werden Das Projekt wird durch den WWF Schweiz die Stiftung Pro Evolution das Bundesamt fuumlr Energie (BFE) und die Elektrizitaumltswerke des Kantons Zuumlrich (EKZ) unterstuumltzt Weitere In-formationen wwwzhawchnegawatt

laquoEine nachhaltige Verhaltens - aumlnderung bei Mitarbeitenden oder auf Managementebene

wird kaum verfolgtraquo

Wie viel Heizoumll wird jaumlhrlich in Winterthur verbraucht

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Klima im Wandel ndash Emissionsrechte im Handel

Der Klimawandel laumlsst sich anhand des Treibhauseffekts veranschaulichen Die Treibhausgase bewirken dass kurz-welliges Sonnenlicht zur Erdoberflaumlche gelangt verhindern jedoch dass langwellige Waumlrmestrahlung von der Erde nach aussen dringt Somit kann die Waumlrme nicht mehr entweichen und die Temperatur steigt Der Ausstoss von Treibhausgasen die vor allem bei der Verbrennung von fossilen Energietraumlgern wie Kohle Gas und Oumll entstehen hat seit der industriellen Revolution stark zugenommen und den natuumlrlichen Treibhauseffekt verstaumlrkt Eine Zunahme der Haumlufigkeit und Intensitaumlt meteorologischer und hydro-logischer Grossereignisse wie Stuumlrme und Uumlberschwem-mungen sind die Folge ndash mit gravierenden oumlkologischen oumlkonomischen und sozialen Konsequenzen

Der 2013 veroumlffentlichte Bericht der internationalen Exper-tengruppe Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zeigt auf dass die globale Durchschnittstempera-tur in den letzten 130 Jahren um 085deg Celsius gestiegen

Der Klimawandel findet nicht in ferner Zukunft sondern bereits jetzt statt Um ihn fuumlr Mensch und Umwelt auf einem ertraumlg-lichen Niveau zu stabilisieren muumlssen die Treibhausgas-emissionen reduziert werden Der Emissionshandel soll dazu beitragen sie dort zu mindern wo die geringsten Kosten an-fallen So kann das gesetzte Mengenziel oumlkonomisch effizient erreicht werdenText Regina Betz

ist Ohne Minderungsanstrengungen wird bis 2100 ein mehr als fuumlnffacher Anstieg prognostiziert Um die Treib-hausgaskonzentration in der Atmosphaumlre auf einem fuumlr Mensch und Umwelt akzeptablen Niveau zu stabilisieren muss die Erwaumlrmung bei unter 2deg Celsius stagnieren Da-fuumlr muumlssen laut dem 2014 veroumlffentlichten Bericht des IPCC die globalen Treibhausgasemissionen (THGE) bis 2050 gegenuumlber 2010 mindestens halbiert und bis 2100 um rund 100 Prozent reduziert werden 1997 hat sich die internationale Staatengemeinschaft im Kyoto-Protokoll fuumlr die Jahre 2008 bis 2012 erstmals auf voumllkerrechtlich ver-bindliche Ziele fuumlr den Ausstoss von THGE in den entwi-ckelten Laumlndern geeinigt aktuell finden Verhandlungen fuumlr die Festlegung neuer Ziele statt

Cap and TradeZur Zielerreichung sieht das Kyoto-Protokoll unter ande-rem den Emissionshandel auf Staatenebene vor Zahl-reiche Laumlnder wenden dieses Instrument aber haumlufiger auf Unternehmensebene an Das Grundprinzip ist einfach Die Houmlchstmenge (Cap) an erlaubten Gesamtemissionen wird festgelegt und an die regulierten Unternehmen im Emissions rechtehandelssystem (EHS) verteilt Die Unter-nehmen sind verpflichtet fuumlr jede emittierte Tonne Kohlen-dioxid ein Emissionsrecht einzureichen ansonsten sind Sanktionszahlungen faumlllig Will ein Unternehmen uumlber die ihm zugeteilte Menge hinaus emittieren muss es ein an-deres Unternehmen finden das ihm die benoumltigte Menge an Emissionsrechten verkauft (Trade) Unternehmen mit hohen Minderungskosten werden dabei Emissionsrechte hinzukaufen und Unternehmen mit niedrigen Kosten wer-den ihre Emissionen mindern indem sie etwa Biomasse statt Kohle verbrennen und uumlberschuumlssige Emissions-rechte verkaufen Durch den Handel koumlnnen die erforder-lichen Emissionsminderungen dort realisiert werden wo sie mit den geringsten Kosten verbunden sind Am Markt stellt sich ein Preis fuumlr die Emissionsrechte ein der Ange-bot und Nachfrage zum Ausgleich bringt

So einfach das Prinzip ist so schwierig ist seine Umset-zung Das System bedingt dass die Regierungen Rech-te fuumlr die Nutzung der Atmosphaumlre schaffen die zu einer

Hochschulperspektive

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Hochschulperspektive

Reduktion der Emissionen gegenuumlber einer Referenzent-wicklung fuumlhren dem sogenannten Business-as-usual-Szenario Doch die Abschaumltzung dieses Szenarios also der Entwicklung der Emissionen ohne Mengenbegren-zung ist schwierig wie die nachfolgenden Ausfuumlhrungen zum Emissionshandel in der EU zeigen

Der Emissionshandel in der EUDas EU-EHS ist der weltweit groumlsste Markt von Emissions-rechten Alle 28 EU-Staaten sowie Liechtenstein Island und Norwegen sind daran beteiligt Die Schweiz wuumlrde sich gerne anschliessen Das EU-EHS leidet seit seiner Einfuumlhrung im Jahr 2005 unter einem Uumlberangebot das sich mittlerweile auf rund 2 Milliarden Emissionsrechte be-laumluft Dies entspricht ungefaumlhr den vom System regulierten Emissionen eines Jahres Neben den unvorhergesehenen oumlkonomischen Entwicklungen durch die globale Finanz-krise traumlgt auch der starke Zubau an erneuer baren Ener-gien zu einem houmlheren Ruumlckgang der Emissio nen bei als geplant Der Hauptgrund fuumlr den derzeitigen Uumlberschuss liegt jedoch darin dass die regulierten Unternehmen ne-ben den Europaumlischen Emissionsrechten ndash European Union Allowances (EUAs) ndash auch auslaumlndische Emissions-minderungszertifikate ndash Certified Emission Reductions (CERs) ndash zu einem bestimmten Anteil anrechnen koumlnnen Mit dem sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) koumlnnen Industrienationen in Entwicklungslaumlndern emissionsmindernde Projekte finanzieren und sich die da-bei entstehenden THGE-Reduktionen mithilfe von CERs anrechnen lassen

Durch diese verschiedenen Faktoren hat sich ein Uumlberan-gebot entwickelt das den Preis der EUAs und CERs stark sinken liess Der Preis belaumluft sich derzeit auf rund fuumlnf Euro pro EUA Die bisherigen Reformanstrengungen wie etwa das sogenannte Backloading das Verschieben von Auktionen in spaumltere Jahre um die Menge zu verknappen haben bisher kaum zu einer Preiserhoumlhung gefuumlhrt

Die Schweiz als PreishochburgDer Schweizer Markt wuumlrde bei einem Zusammen-schluss nur rund 03 Prozent des EU-EHS ausmachen

Die Schweiz wuumlrde somit als Preisnehmerin agieren Das heisst der EU-Preis sollte auch in der Schweiz gelten Umso erstaunlicher ist es daher dass der Schweizer Preis pro Emissionsrecht derzeit bei rund 40 Franken liegt ob-wohl die Verbindung des Schweizer EHS mit dem EU-EHS geplant ist (sogenanntes Linking) Das auf der Basis des revidierten CO2-Gesetzes von 2012 und der CO2-Verord-nung verabschiedete System das den Emissionshandel am 1 Januar 2013 fuumlr 38 Unternehmen beziehungsweise 55 Anlagen in der Schweiz verbindlich eingefuumlhrt hat uumlber-nimmt weitestgehend die Regeln des EU-EHS Das neue System hat das bisherige freiwillige EHS in der Schweiz abgeloumlst Die im EHS erfassten Unternehmen sind von der CO2-Abgabe befreit Die hohe Kompatibilitaumlt des Schwei-zer EHS und des EU-EHS sollte ein schnelles Linking er-moumlglichen wobei die Verhandlungen durch die Annahme der Einwanderungsinitiative zum Stillstand gekommen sind Ein moumlglicher Erklaumlrungsansatz ist daher dass der hohe Preisunterschied die derzeitige Unsicherheit uumlber den Ausgang der Linking-Verhandlungen widerspiegelt Gehen die Schweizer Unternehmen davon aus dass kein Linking stattfindet sollte sich der Preis anhand der Minderungs-kosten und der Knappheit im Schweizer EHS bilden Fuumlr die Unternehmen ist es immer noch guumlnstiger den der-zeitigen Preis von 40 Franken fuumlr die Emissionsrechte zu bezahlen als eine Busse von 125 Franken pro fehlendes Emissionsrecht Zusaumltzlich zur Busse ist das Unternehmen verpflichtet die fehlenden Rechte im naumlchsten Jahr nach-zureichen Auch hier hat sich die Schweiz stark am EU-EHS orientiert bei dem die Busse bei 100 Euro pro EUA plus Wiedergutmachung liegt

Allokation beeinflusst den WettbewerbDie Gesamtmenge an Emissionsrechten (Cap) leitet sich aus den historischen Emissionen der teilnehmenden EHS-Unternehmen ab Fuumlr bestehende Anlagen die bereits vor 2013 am EHS in der Schweiz beteiligt waren setzt sie sich aus der Summe der durchschnittlich zugeteilten Emis-sionsrechte der ersten Verpflichtungsperiode (2008 bis 2012) zusammen fuumlr Anlagen die 2013 hinzukommen aus der Summe der durchschnittlichen Emissionen der

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fuumlr neue Anlagen in einer Reserve zuruumlckbehalten deren Uumlberschuumlsse zweimal jaumlhrlich versteigert werden Die Zu-teilung der Emissionsrechte hat etwas laumlnger gedauert so-dass sie in der Schweiz fuumlr die Jahre 2013 und 2014 erst im Februar 2014 erfolgte Das mag auch einer der Gruumlnde sein dass bisher kein Handel auf dem Sekundaumlrmarkt fuumlr den die Berner Kantonalbank eine eigene Emissions-handelsplattform bereitgestellt hat stattgefunden hat Das erste Preissignal war deshalb die Auktion der Uumlberschuumls-se aus der Neuemittentenreserve Diese fand vom 14 bis 21 Mai 2014 statt und erzielte fuumlr die 150 000 Emissions-rechte einen Preis von 4025 Franken pro Emissionsrecht

Wie sich die Liquiditaumlt im Schweizer Markt in Zukunft ent-wickeln wird und ob ein Linking mit dem EU-EHS und so-mit eine Angleichung der Schweizer Preise an die EU-EHS-Preise stattfinden wird bleibt abzuwarten Letzteres waumlre zwar aus oumlkonomischer Sicht zu begruumlssen da ein groumls-serer liquider Markt mit einheitlichem Preissignal als effizi-enter bewertet wird Aus oumlkologischer Sicht scheint jedoch ein Linking der Systeme ohne weitere Reformen des EU-EHS nicht wuumlnschenswert da es die Minderungsanreize in der Schweiz als Folge des Angebotsuumlberschusses an Emissionsrechten in der EU massiv reduzieren wuumlrde

Jahre 2009 bis 2011 Diese Summe wird jaumlhrlich um 174 Prozent reduziert analog der Regelung im EU-EHS

Neben der Festlegung der Obergrenze ist die Ausgestal-tung der Zuteilungsregeln politisch am schwierigsten da diese Verteilungswirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussen Bis 2012 wurden die Emissionsrechte in der EU daher groumlsstenteils kostenlos zugeteilt Seit 2013 werden rund 48 Prozent der Emissionsrechte versteigert wobei diese vor allem von Elektrizitaumltsfirmen gekauft wer-den muumlssen Da diese nicht im internationalen Wettbewerb

stehen konnten sie den Preis der gratis erhaltenen Emis-sionsrechte an die Elektrizitaumltskonsumenten weitergege-ben und hohe Gewinne erzielen Unternehmen aus Sek-toren die im internationalen Wettbewerb stehen koumlnnen hingegen die Kosten fuumlr die Emissionsrechte nicht an ihre Endkunden weitergeben ohne betraumlchtliche Nachteile in Kauf zu nehmen Es besteht daher das Risiko dass diese Firmen in Laumlnder ohne Klimapolitik abwandern Um dieses Risiko zu senken erhalten Unternehmen bei denen ein Risiko auf Abwanderung besteht auch in Zukunft weitest-gehend kostenlos Emissionsrechte zugeteilt Die Zuteilung basiert dabei auf sogenannten Benchmarks (Tonne Koh-lendioxid pro Tonne Produkt) die auf der Basis der effizi-entesten 10 Prozent der Unternehmen berechnet und mit historischen Produktionsdaten multipliziert werden

Noch kein Handel in der SchweizDie Schweiz hat die Benchmarks des EU-EHS uumlbernom-men Da in der Schweiz vor allem stark im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen aus den Sektoren Zement Papier Chemie Stahl und Raffinerien unter den Emissionshandel fallen werden fast alle Emissionsrechte kostenlos zugeteilt Ein kleiner Anteil von 5 Prozent wird

Regina BetzDr Regina Betz ist Dozentin fuumlr Energie- und Umweltoumlkonomie an der ZHAW School of Management and Law Seit 2014 leitet sie den volkswirtschaftlichen Teil der Ener-gy Policy Analysis Group des Zentrums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht das Mitglied des Schweizer Competence Centers for Research in Energy Society and Transition (CREST) ist Zuvor lehrte sie an der University of New South Wales Australia Umwelt- und Klimaoumlkonomie und leitete als Co-Direktorin das Centre for Energy and Environmental Markets (CEEM) 1998 bis 2004 arbeitete sie als Wissenschaftlerin am Fraunhofer-Institut fuumlr System- und Innovationsforschung ISI in Deutschland

laquoNeben der Festlegung der Ober grenze ist die Ausgestaltung der Zuteilungsregeln politisch am

schwierigsten da diese Verteilungs wirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussenraquo

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nicht vollstaumlndig genutzt werden kann In der Energiestra-tegie des Bundes ist gemaumlss einem Szenario bis 2050 ein Zubau auf knapp 12 TWh pro Jahr Stromproduktion aus Fotovoltaik angedacht Dies bedingt den Bau von Fotovol-taikanlagen mit einer installierten Spitzenleistung von etwa 12 Gigawattpeak (GWp) und einem Flaumlchenbedarf von rund 84 000 000 Quadratmetern Dieser Flaumlchenbedarf ist auf den bestehenden Daumlchern in der Schweiz verfuumlgbar

An einem schoumlnen Sommertag koumlnnen diese Anlagen dann also etwa 12 GW erzeugen die maximale Ver-brauchslast liegt im Sommer aber nur bei rund 8 GW Es entsteht ein Uumlberschuss von 4 GW die Speicherleistung der Schweizer Pumpspeicheranlagen betraumlgt heute aber nur 15 GW 25 GW Leistung koumlnnen in diesem Szenario also gar nicht genutzt werden An einem Wintertag mit Hochnebel erzeugen diese Anlagen uumlberhaupt keinen Strom die Verbrauchslast liegt aber mit 10 GW noch houml-her als im Sommer Hier entsteht eine Luumlcke die mit ande-ren Energieformen oder Importen gedeckt werden muss

Speichern uumlbertragen oder einsparenUm diesem Problem zu begegnen gibt es verschiedene Loumlsungsansaumltze Ein Ansatz ist die Energie lokal dort zu speichern wo sie erzeugt aber nicht sofort verbraucht werden kann In diesem Fall werden in erster Linie viele kleine Speichermodule benoumltigt die sowohl fuumlr kurz- als auch langfristigen Ausgleich sorgen muumlssen Eine andere Moumlglichkeit ist es die Energie an Orte zu uumlbertragen wo sie sofort verbraucht wird dann muss in erster Linie das Netz ausgebaut werden Schliesslich koumlnnte Energie auch zentral zu grossen Speichern transportiert werden was sowohl einen Netzausbau als auch neue Speichertechno-logien bedingen wuumlrde

Als die Gesellschaft noch aus Jaumlgern und Sammlern be-stand verbrauchte der Mensch seine Energie lokal dort wo er sie benoumltigte Er lebte von der Hand in den Mund Im Zuge der aufkommenden Landwirtschaft musste er Methoden entwickeln um Nahrung haltbar zu machen und sie zu transportieren Vor demselben Problem steht heute die Energiewirtschaft Ort und Zeit der erneuerbaren Energieerzeugung korrelieren je laumlnger je weniger mit dem Verbrauch Die Herausforderung der Energiewende ist deshalb nicht nur die Produktion selbst sondern auch die Uumlbertragung die Speicherung und das lokale Verbrauchs-last-Management

Saisonale Speicherung problematischMit dem Ausstieg aus der Kernenergie muumlssen in der Schweiz etwa 40 Prozent der produzierten elektrischen Energie ersetzt werden also rund 23 Terawattstunden (TWh) pro Jahr Im Gegensatz zur Kernenergie haben die neuen erneuerbaren Energien den Nachteil dass ihre Pro-duktion nicht steuerbar ist und unregelmaumlssig anfaumlllt Der Kapazitaumltsfaktor also das Verhaumlltnis von durchschnittlicher zu maximaler Leistung betraumlgt bei konventionellen Kraft-werken bis zu 100 Prozent bei Fotovoltaikanlagen dage-gen nur etwa 10 Prozent Hinzu kommen die starken saiso-nalen Schwankungen dieser stochastisch erzeugenden Energiequellen Im Winter liegt die Stromverbrauchsspitze mit circa 10 Gigawatt (GW) rund ein Drittel houmlher als im Sommer gleichzeitig liefern Fotovoltaikanlagen aufgrund des flacheren Einstrahlungswinkels und der kuumlrzeren Son-nenscheindauer wesentlich weniger Strom als im Sommer

Anhand eines Gedankenexperiments laumlsst sich veran-schaulichen dass das Potenzial der neuen erneuerbaren Energien ohne zusaumltzliche Speicher oder steuerbare Lasten

Energie haltbar machen

Der Ausbau von erneuerbaren Energiequellen geht so schnell voran dass Speicher- und Uumlbertragungstechnologien kaum mithalten koumlnnen Um Produktionsspitzen zu glaumltten braucht es Fortschritte in der EnergietechnikText Petr Korba

Hochschulperspektive

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Petr KorbaProf Dr Petr Korba ist Dozent und Fach-gruppenleiter fuumlr elektrische Energietechnik und Smart Grids an der ZHAW School of En-gineering Zuvor forschte er uumlber zehn Jahre bei ABB Schweiz in den Bereichen Automa-tion Energie- und Regelungstechnik

Scherrer Institut an der Power2Gas-Technologie Dabei wird Kohlendioxid mit Strom aus erneuerbaren Quellen durch Elektrolyse zu Wasserstoff oder weiter zu Methan verarbeitet Aumlhnlich wie bei der Nahrungsmittelproduktion wo Staumlrke schliesslich als raffinierter Zucker gespeichert wird gibt es auch bei der Stromspeicherung immer raffi-niertere Formen Bei jeder Umwandlung geht aber Energie verloren Man muss sich also gut uumlberlegen ob man uumlber-haupt speichern will und wenn ja uumlber welchen Zeitraum

Mit der wachsenden Integration von erneuerbaren Energi-en steigen auch die Anforderungen an die Energietechnik Unser kuumlnftiges Energiesystem wird staumlrker automatisiert und intelligenter sein Um erneuerbare Energiequellen zu integrieren werden Informations- und Kommunikations-technologien Automatisierungs- und Regelungstechnik Signalverarbeitung oder Wettervorhersagen immer wich-tiger In den intelligenten Stromnetzen der Zukunft wer-den alle beteiligten Komponenten Daten wie den aktuellen Verbrauch verfuumlgbare Strommengen oder lokale Aus-faumllle melden und gleichzeitig solche Daten aus anderen Netzkomponenten empfangen Das daraus resultierende Smart Grid ist ein Gefuumlge das selbststaumlndig auf diese Ein-fluumlsse reagiert und seine eigene Effizienz optimiert Es gilt Energie effizienter zu uumlbertragen um raumlumliche Distanzen zu uumlberwinden und neue Speichertechnologien zu entwi-ckeln um zeitliche Engpaumlsse zu uumlberbruumlcken Elektrische Energie kann auf verschiedene Arten erzeugt gespei-chert und uumlbertragen werden Jede Art hat ihre Vor- und Nachteile und ihren Preis Anreize aus der Politik werden schliesslich entscheiden welche Formen dies in der Zu-kunft sein werden

Auf der Verbraucherseite laumlsst sich die Nutzlast durch ge-eignetes Last-Management anpassen Diese Steuerung schaltet verbrauchsintensive Anlagen in Unternehmen gewerblichen Betrieben und Haushalten gezielt dann ein wenn die Stromtarife guumlnstig sind Es duumlrfte aber schwie-rig sein der Bevoumllkerung vorzuschreiben wann sie zum Beispiel fernsehen oder kochen darf Eine intelligente Re-gelung von grossen Kuumlhlhaumlusern stoumlrt dagegen nieman-den Trotz solchen Bestrebungen geht die International Energy Agency (IEA) davon aus dass der Stromverbrauch weltweit jaumlhrlich um rund 1 Prozent zunimmt Diese Ten-denz verstaumlrkt sich voraussichtlich noch falls sich der Bereich Mobilitaumlt von fossilen Energietraumlgern hin zur Elek-tromobilitaumlt verschieben wird Die Geschichte hat gezeigt dass der Energieverbrauch eigentlich nur in Krisenzeiten zuruumlckgeht

Klar ist jedenfalls dass der Ausbau von Speichern und Netzen Hand in Hand mit der zunehmenden Integration von erneuerbaren Energiequellen erfolgen muss Auf unter-schiedlichen Netzebenen kommen unterschiedliche Spei-chertechnologien zum Einsatz Waumlhrend fuumlr Haushalte mit kleinen Fotovoltaikanlagen und im Niederspannungsnetz bereits Batteriespeicher vorhanden sind stossen diese bei mehr als einer Windturbine oder groumlsseren Solarparks schnell an ihre Grenzen Das groumlsste Batterieenergie-speichersystem der Schweiz betreiben die Elektrizitaumlts-werke des Kantons Zuumlrich in Dietikon Es hat 1 Megawatt (MW) maximale Speicherleistung und kann diese waumlhrend ungefaumlhr 15 Minuten abgeben respektive speichern Die Spitzenlast im Schweizer Hochspannungsnetz liegt aber bei 8 GW im Sommer und 10 GW im Winter Die Schwei-zer Pumpspeicherkraftwerke koumlnnen unseren Strombe-darf nur etwa einen Monat lang decken Das europaumlische Hochspannungsnetz verfuumlgt uumlber eine Spitzenlast von circa 500 GW Um die Leistung von Grosskraftwerken wie Offshore-Windparks langfristig zu speichern braucht es neue Technologien

Raffinierte EnergiespeicherungDafuumlr forscht die ZHAW School of Engineering gemein-sam mit der ETH Zuumlrich der EPF Lausanne und dem Paul

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Hochschulperspektive

Dissonanz an der Steckdose

Mit der Energiestrategie 2050 haben Bundesrat und Parla-ment eine Kehrtwende in der Schweizer Energiepolitik ein-gelaumlutet der die wichtigsten politischen Huumlrden erst noch bevorstehen Auf den ersten Blick scheint der Kurswechsel breit abgestuumltzt Seit dem Reaktorunfall in Fukushima fuumlh-ren Umfragen immer wieder zum gleichen Ergebnis Der langfristige Ausstieg aus der Kernenergie findet eine Mehr-heit Im Grundsatz stossen erneuerbare Energien sowie Massnahmen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz auf hohe Zustimmung Was fuumlr den Stimmzettel gilt beeinflusst aber nicht automatisch das Konsum- und Investitionsverhalten der Energiekunden Die Bereitschaft aus eigenem Antrieb mehr fuumlr ein oumlkologisch houmlherwertiges Produkt aus neuen erneuerbaren Energietraumlgern zu bezahlen ist beschraumlnkt Nur wenige Haushalte sind zudem bereit ihren Energie- und insbesondere ihren Stromkonsum zu reduzieren wenn dies mit nicht amortisierbaren Investitionskosten oder einem moumlglichen Komfortverlust verbunden ist

Mit anderen Worten Effizienz wird als teuer und Suffizienz als bevormundend empfunden Die private Zahlungsbereit-schaft laumlsst sich zwar mit regulatorischen Interventionen wie fixen Einspeiseverguumltungen oder Investitionssubven-tionen in Effizienzmassnahmen etwas erhoumlhen Doch die Erfahrungen in Deutschland und der Schweiz zeigen dass solche Massnahmen oumlkonomisch ineffizient sind und oft als ungerecht empfunden werden Sie koumlnnen damit zum Bumerang fuumlr die Akzeptanz der energiepolitischen Ziele werden Neben den politischen Huumlrden ist somit auch die kognitive Huumlrde der Konsumenten zu beruumlcksichtigen De-ren Uumlberwindung bedarf zuerst einer differenzierten Analyse der Ursachen und danach der Entwicklung innovativer Ver-triebsmodelle und Produkte auf Versorgerseite

Eine Mehrheit der Bevoumllkerung unterstuumltzt den Ausstieg aus der Kernenergie doch nur wenige beziehen ein oumlkologisches Stromprodukt Warum das so ist und wie sich diese Dissonanz aufloumlsen laumlsst beschaumlftigt derzeit viele EnergieversorgerText Claudio Cometta

Indifferenz uumlberwiegtFuumlr viele Konsumenten ist die Strom- Gas- oder Fern-waumlrmerechnung ein verhaumlltnismaumlssig kleiner Posten im Haushaltsbudget dem wenig Beachtung geschenkt wird Die Schweiz ist sogar einer der Spitzenreiter in Europa machen die Stromkosten im Durchschnitt doch nicht mehr als 2 Prozent der Haushaltsausgaben aus Wenig Beachtung bedeutet auch wenig Kenntnis des Preises und der Menge der bezogenen Energieleistung oder der Zusammensetzung des Tarifs aus Energiekosten Netz-kosten und Abgaben Entsprechend besteht nur ein ge-ringes Interesse Energie und damit Kosten zu sparen Konsumentenbefragungen zeigen zudem dass nur eine kleine Minderheit der Kunden die Zusammensetzung ihres Stromprodukts nach Energietraumlgern kennt Die geringen Kosten und Unkenntnis des Produkts verhindern also die Wahl anderer Stromprodukte Strom ist ein klassisches Commodity-Produkt Man kann ihn weder sehen noch riechen Er ist verhaumlltnismaumlssig guumlnstig immer verfuumlgbar und aumlndert in keinerlei Hinsicht seine Eigenschaften wenn dafuumlr mehr bezahlt wird Zudem ist meist nicht sichtbar wer wie viel von welchem Produkt bezieht Der Strom-konsum ist Privatsache

Uumlberwindung durch VertriebsmodelleDie Vorgaben der Energiestrategie 2050 beinhalten nicht nur einen massiven Zubau der Produktionskapazitaumlt aus erneuerbaren Energietraumlgern sondern auch die kon-tinuierliche Reduktion des Energie- und insbesondere des Stromkonsums pro Kopf Die direkte Finanzierung der dazu notwendigen Investitionsvorhaben scheint an-gesichts der Indifferenz auf Konsumentenseite jedoch schwierig Aus diesem Grund sind mehrere Schweizer

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rund um Haushaltstechnik Sicherheit Pflege oder Kom-munikation sowie ein geschicktes Marketing mit Elemen-ten der sozialen Kontrolle Denkbar sind auch Anreize die keinen direkten Zusammenhang mit dem Energiekonsum aufweisen aber fuumlr breite Bevoumllkerungsgruppen attrak-tiv sind So haben etwa einzelne skandinavische Versor-ger damit begonnen energiesparendes Verhalten ihrer Kunden mit Verguumlnstigungen fuumlr die Nutzung oumlffentlicher Transportmittel zu belohnen

Uumlberwindung durch PartizipationDie wohl wirkungsvollste Massnahme zur Uumlberwindung der Dissonanz an der Steckdose ist bereits inhaumlrent in der Transformation des Energiesystems hin zu einer staumlrker dezentralen Erzeugung angelegt Kunden entwi-ckeln sich von passiven Leistungsempfaumlngern zu aktiven Leistungserbringern sogenannten Prosumern Als Klein-produzenten von Strom mit einer hauseigenen Fotovol-taikanlage oder thermischer Speicherleistung mit Kraft-Waumlrme-Kopplungsanlagen im Mikroformat werden sie mittelfristig wesentlich zum Umbau des Energiesystems und zu den Zielen der Energiestrategie beitragen koumlnnen Eine nicht ganz unbedeutende Rolle koumlnnten in Zukunft sogenannte Buumlrgerbeteiligungsmodelle fuumlr die Finanzie-rung neuer In frastrukturprojekte spielen Diese wuumlrden gleichzeitig die Akzeptanz sichtbarer Produktionsanlagen von neuen erneuerbaren Energien erhoumlhen Doch erst wenn das Produkt Strom nicht mehr als reines Commodity-Produkt wahrgenommen wird werden politische Meinung und Konsumverhalten bei einer Mehrheit der Stimmbuumlrger uumlbereinstimmen

Energieversoger in letzter Zeit dazu uumlbergegangen soge-nannte Default-Modelle einzufuumlhren die Stromprodukte aus erneuerbaren Quellen zum neuen Standard erheben Dabei macht man sich die Traumlgheit der Kunden zunutze indem die Wahl eines Stromprodukts aus nicht erneuer-baren Energietraumlgern als Option definiert wird die aktiv bestellt werden muss

Nicht zuletzt aufgrund solcher Modelle ist die Zahl der Schweizer Haushalte die ein Stromprodukt aus aus-schliesslich erneuerbaren Energien beziehen auf uumlber 25 Prozent gestiegen Doch weitere Vertriebsinnovationen werden notwendig sein etwa um der Herausforderung der Einspeisung von Strom aus fluktuierend nutzbaren Quellen (Solar- und Windenergie) in die Verteilnetze gewachsen zu sein die immer staumlrker ins Gewicht faumlllt In der Folge gilt es Investitionen in Netz- und Speichersysteme zu finan-zieren In innovativen Vertriebsmodellen welche dieser Herausforderung gerecht werden erhaumllt das Konsumver-halten einen Wert Zeitliche Flexibilitaumlt wird belohnt durch Tarifreduktion Bonus oder Vermeidung einer Gebuumlhr Wie diese beiden Beispiele zeigen laumlsst sich der Mehrwert von vermeintlichen Commodity-Produkten durch neue Vertriebsmodelle abschoumlpfen und als marktwirtschaftlich vertraumlglicher Finanzierungsmechanismus fuumlr neue Infra-strukturvorhaben im Energiesektor nutzen

Uumlberwindung durch innovative ProdukteNoch groumlsseres Potenzial birgt die Weiterentwicklung von Stromprodukten zu Leistungssystemen die fuumlr Energie-kunden einen echten Mehrwert bieten Hierzu gehoumlrt die Verknuumlpfung des Kernprodukts Strom mit Dienstleistun-gen die den Kunden ein transparenteres Verbrauchsver-halten sowie Kostenoptimierung ermoumlglichen Intelligente Stromzaumlhler sogenannte Smart Meter kombiniert mit fle-xiblen Tarifen und einem einfachen Feedback- und Steuer-system sind die Voraussetzung um zumindest oumlkologisch sensibilisierten oder kostenbewussten Endkunden einen Effizienzeffekt zu ermoumlglichen Damit solche Leistungs-systeme aber fuumlr die grosse Gruppe der Indifferenten interessant werden braucht es weitere Mehrwerte Dazu gehoumlren die Verknuumlpfung mit intelligenten Anwendungen

Claudio ComettaDr Claudio Cometta ist Dozent fuumlr Innovation und Entrepreneurship an der ZHAW School of Management and Law Er koordiniert den Aufbau des nationalen Energie-Kompetenz-zentrums SCCER 5 an der ZHAW

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Die Energiewende stellt die Energieversorgungsunternehmen in der Schweiz vor grosse Herausforderungen Das Beispiel von Stadtwerk Winterthur zeigt wie die Branche auf den Paradig-menwechsel reagiertText Florian Wehrli

Von den Anfaumlngen als laquoWinterthurer Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtungraquo vor uumlber 150 Jahren bis zum modernen Querverbundunternehmen hat sich Stadtwerk Winterthur kontinuierlich weiterentwickelt Seine Aufgabe ist aber gemaumlss Direktor Markus Saumlgesser weitgehend dieselbe geblieben die Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung zu verbes-sern So bietet das staumldtische Versorgungsunternehmen neben klassischen Produkten wie Wasser Strom Gas oder Kehrichtentsorgung und Abwasserreinigung heute auch Fernwaumlrme Haustechnik Glasfasernetz und Ener-gie-Contracting an Die Ausdehnung auf neue Geschaumlfts-bereiche will der Direktor aber nicht als Reaktion auf die Liberalisierung des Energiemarkts verstanden wissen laquoWir begegnen der Marktoumlffnung proaktiv und wollen die sich bietenden Chancen aktiv nutzenraquo

Lokales Potenzial ausgeschoumlpftIm liberalisierten Markt hat das staumldtische Versorgungs-unternehmen mit dem Monopol auf sein Energieversor-gungsnetz von gesamthaft mehr als 2 500 Kilometern einen Vorteil Dessen Unterhalt ist nach wie vor eine der Hauptaufgaben Im Gegensatz zu anderen Energieversor-gern betreibt Stadtwerk Winterthur naumlmlich einen verhaumllt-nismaumlssig geringen Anteil an eigenen Produktionsanlagen Das Flaggschiff ist die wohl modernste Kehrichtverwer-tungsanlage der Schweiz laquoMit dem Umbau konnten wir 2013 den Wirkungsgrad der Anlage um einen Drittel stei-gern und die Abluft gehoumlrt zu den saubersten weltweitraquo sagt Markus Saumlgesser Heute deckt die KVA 20 Prozent des Winterthurer Strom- und 12 Prozent des Waumlrmebe-darfs ab Auf solchen Lorbeeren ausruhen will sich Stadt-werk Winterthur aber nicht laquoWir wollen mithelfen eine nachhaltige Energiewirtschaft aufzubauenraquo Mittelfristig soll

die Haumllfte des Stromangebots aus erneuerbaren Quellen stammen laquoDas ist ein ehrgeiziges Zielraquo sagt Saumlgesser laquowir sind aber auf gutem Weg dazuraquo

Rund die Haumllfte des Rahmenkredits von 90 Millionen Franken fuumlr erneuerbaren Strom den das Winterthurer Stimmvolk 2012 bewilligt hat ist bereits investiert Im Bereich Fotovoltaik ist die Planung der groumlssten Anlagen abgeschlossen etwa auf den Daumlchern der Eishalle oder des Busdepots Eine aktuelle Windpotenzialstudie zeigt fuumlr Winterthur nur wenige moumlgliche Standorte auf zumal die Bewilligung solcher Anlagen mit grossem buumlrokratischem Aufwand verbunden sei Mit diversen Nahwaumlrmever-buumlnden nutzt Stadtwerk Winterthur auch Holzabfaumllle bereits sehr effizient Aber auch dieser Energietraumlger ist in Winterthur beschraumlnkt vorhanden Das letzte Projekt das Holz aus dem Winterthurer Stadtwald einsetzen wird ist in der Aufbauphase Studien im Bereich Wasserkraft haben gezeigt dass abgesehen von einem Kleinwasser-kraftwerk an der Toumlss in der Region kaum Potenzial vor-handen ist

Investitionen im AuslandlaquoDiese aufwendige Aufbauarbeit soll nicht zur Regel wer-denraquo sagt Markus Saumlgesser laquoDas limitierte Energiepoten-zial in der Schweiz und die beschwerlichen Instanzenwe-ge fuumlr Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie lassen uns deshalb vermehrt im Ausland investierenraquo 2012 be-teiligte sich das Stadtwerk mit 12 Millionen Franken am Kleinkraftwerk Birseck AG das Kleinwasserkraftwerke und Foto voltaikanlagen in der Schweiz und in Frankreich be-treibt 2013 folgte eine Beteiligung in der Houmlhe von 25 Mil-lionen Franken an der Swisspower Renewables AG die in

Vom Versorger zum Dienstleister

Unternehmensperspektive

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sein glaubt er aber nicht daran dass der Stromverbrauch insgesamt zuruumlckgehen wird laquoDafuumlr ist der Marktpreis zu niedrig Aus serdem wird Strom im Bereich Waumlrme und Mobilitaumlt einen Grossteil der fossilen Energietraumlger ersetzen muumlssenraquo Damit der geplante Verbrauchsruumlck-gang dennoch gelingt will der Bund Anreize schaffen Mit sogenannten weissen Zertifikaten will er die Versor-ger be lohnen wenn sie ihre Kunden zu einem geringeren Energie verbrauch bewegen In Grossbritannien Italien und Frankreich sind solche Modelle bereits im Einsatz Markus Saumlgesser sieht dieser Entwicklung mit gemischten Gefuumlh-len entgegen laquoWir haben bereits vor der Reaktorkatastro-phe in Fukushima auf Energieeffizienz gesetzt und konn-ten uns dadurch profilieren Weil die Politik nun eingreift und den Markt uumlbersteuert bleibt uns als Unternehmen weniger Spielraum um uns zu positionierenraquo

Windkraftanlagen im angrenzenden Ausland investiert Fuumlr die Beschaffung von Strom am freien Markt ist das Stadtwerk eine Zusammenarbeit mit der Trianel GmbH in Aachen ndash einer der fuumlhrenden Stadtwerke-Kooperationen in Europa ndash eingegangen Damit sollen insbesondere der Zugang zum Grosshandelsmarkt sowie die Marktfor-schung sichergestellt werden Denn um Kunden nachhal-tige Energieprodukte verkaufen zu koumlnnen muss man ihre Beduumlrfnisse genau kennen

Anreize fuumlr geringeren VerbrauchDie Strategie scheint aufzugehen laquoSeit der Einfuumlhrung der neuen Stromprodukte Anfang 2013 haben wir den Absatz von erneuerbarer Energie in Winterthur verdop-pelt und denjenigen von Oumlkostrom sogar vervierfachtraquo so Saumlgesser Trotz dem steigenden oumlkologischen Bewusst-

Gemaumlss seinem Leitbild soll Stadtwerk Winterthur mit einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der soziashylen Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Bild Michael Lio

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Ausgliederung aus der StadtverwaltungAuch auf kommunaler Ebene ist Stadtwerk Winterthur von den politischen Rahmenbedingungen abhaumlngig ndash mit allen Vor- und Nachteilen Die politischen Kurswechsel in den vorgesetzten Gremien seien hinderlich bei der Umsetzung der Strategie des Unternehmens laquoWir taumltigen Investitio-nen mit einem Planungshorizont von mehreren Jahrzehn-tenraquo sagt Markus Saumlgesser laquoin der Politik wird dagegen in Amtsperioden von vier Jahren gedachtraquo Es gibt deshalb Bestrebungen das Stadtwerk aus der Stadtverwaltung auszugliedern und einem langfristig operierenden Steue-rungsgremium zu unterstellen Bei der Stimmbevoumllkerung geniesst Stadtwerk Winterthur grossen Ruumlckhalt Alleine in den letzten zwei Jahren wurden vier Abstimmungsvor-lagen mit grossem Mehr angenommen darunter Rah-menkredite fuumlr das Energie-Contracting oder erneuerbare Energien laquoEine bessere Legitimation koumlnnen wir uns gar nicht wuumlnschenraquo sagt Markus Saumlgesser

Neue BetriebskulturStrategisch und energiepolitisch werden Dienstleistungen wie das Energie-Contracting fuumlr Stadtwerk Winterthur immer wichtiger laquoWir wollen unserer Kundschaft Waumlr-me oder Kaumllte gleich komfortabel anbieten koumlnnen wie Stromraquo sagt Markus Saumlgesser laquoImmobilienbesitzerinnen und -besitzer sollen sich nicht mehr um den Fuumlllstand ih-res Oumlltanks oder den Termin fuumlr den Kaminfeger kuumlmmern muumlssenraquo Das Energie-Contracting waumlchst stark und macht heute bereits rund 5 Prozent des Umsatzes von Stadtwerk Winterthur aus

Die neuen Geschaumlftsfelder ziehen auch andere Arbeits-kraumlfte an als bisher Verschiedene Betriebskulturen seien in den vergangenen Jahren teilweise parallel gelaufen be-ginnen nun aber langsam zu verschmelzen Ein Beispiel dafuumlr ist die Verknuumlpfung von Smart Metering und dem traditionellen Verteilnetz Elektrizitaumlt Als Voraussetzung fuumlr das Change-Management in der Betriebskultur habe man alle Mitarbeitenden in die Erarbeitung des Unterneh-mensleitbildes involviert Entstanden ist ein Leitbild das Stadtwerk Winterthur dabei unterstuumltzt die Unterneh-mensstrategie umzusetzen Stadtwerk Winterthur soll mit

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

Markus SaumlgesserMarkus Saumlgesser (52) ist diplomierter Ma-schineningenieur ETH und hat ein Nachdi-plomstudium in technischen Betriebswissen-schaften absolviert Seit Anfang 2011 ist er Direktor von Stadtwerk Winterthur Seine bisherige berufliche Taumltigkeit fuumlhrte Markus Saumlgesser nach zwei Jahren Assistenz an der ETH zu einem Ingenieurbuumlro fuumlr Ener-gie- und Haustechnik Waumlhrend dieser rund sechsjaumlhrigen Zeit war er bei anspruchsvol-len Bauprojekten verantwortlich fuumlr die Konzeption und Koordination der technischen Gebaumludeausruumlstung Zudem war er waumlhrend vier Jahren Mitglied der Geschaumlftsleitung Nach zweijaumlhriger Taumltigkeit als Abteilungsleiter in einer groumlsseren Gemeinde wechselte er zum Elek-trizitaumltswerk der Stadt Zuumlrich (EWZ) bei dem er die Abteilung Vertrieb Grosskunden leitete Daneben war Markus Saumlgesser beim EWZ in verschiedene Innovationsprojekte involviert So zeichnete er fuumlr das Projekt laquoStromzukunft Stadt Zuumlrichraquo verantwortlich das wichtige Grundlagen fuumlr die Strategie des EWZ und die Volksabstimmung zur 2000-Watt-Gesellschaft in der Stadt Zuumlrich beisteuerte

Stadtwerk Winterthur in Zahlen (2013)Mitarbeitende 347Nettoinvestitionen 1198 Mio CHFDurchgeleitete Strommenge 5643 Mio kWhUmsatz Strom 93 Mio CHFDurchgeleitete Gasmenge 5295 Mio kWhUmsatz Gas 411 Mio CHFUnternehmensgewinn 109 Mio CHF

einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der sozia-len Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Wann wurden in Winterthur die ersten Strassenlampen mithilfe von Stein-kohle erleuchtet

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Unternehmensperspektive

ckelte Hochspannungsgleichstromschalter sollen zudem sicherstellen dass etwa ein Kurzschluss durch eine hy-perschnelle Abschaltung isoliert und das Netz somit nicht gefaumlhrdet wird Von 14 solchen Schaltsystemen welt-weit stammen 13 von ABB Die hohen Investitionen fuumlr die armdicken Gleichstromkabel rechnen sich da beim Transport viel weniger Strom verloren geht als bei der tradi tionellen Wechselstromtechnik Die Produktelinie ent-wickelt sich zum Renner Sie wird zur Anbindung von So-lar- und Windparks zur Versorgung von Inseln als Ersatz fuumlr Diesel generatoren auf Oumll- und Gasplattformen auf See eingesetzt Oder um Starkstrom vom Festland zu auf dem Meeresboden platzierten ferngesteuerten Foumlrderanlagen fuumlr Gas und Oumll zu leiten ndash wofuumlr ABB auch wartungsfreie Kompressoren liefert damit Kunden wie Statoil und Pet-robras teure Ausfaumllle erspart bleiben

Komplettloumlsungen aus einer HandDank hohem Innovationstempo sind die Divisionen Ener-gietechnik- und Niederspannungsprodukte gut ausgelas-tet Dies gilt ebenso fuumlr die Divisionen Industrie- und Pro-zessautomation Speziell energieintensive Industrien die unter hohem Kostendruck stehen muumlssen ihre Anlagen auf dem neusten Stand halten Dazu zaumlhlen Bergbau Oumll- und Gasindustrie Zellstoff- Papier- und Zementfabriken Chemie- und Pharmafirmen sowie Raffinerien Gefragt sind auch Industrieroboter und schwenkbare dank ABB-Leistungselektronik stufenlos regulierbare Schiffsantrie-be ABB liefert Grosskunden fertige Loumlsungen die hohe Produktivitaumlt und Energieeffizienz gewaumlhrleisten Alles ist aufeinander abgestimmt von der Elektrik uumlber Antriebe Generatoren Roboter Sensoren und Steuerungen bis hin

Zu Beginn des Jahrtausends stand ABB am Abgrund Doch eine neue Fuumlhrungscrew fuumlhrte das Unternehmen aus der Krise sodass die Schweiz inzwischen wieder stolz sein kann auf ihren Industriemulti mit Sitz in Zuumlrich Oerli-kon 2013 erzielte ABB mit rund 148 000 Mitarbeitenden in 100 Laumlndern 42 Milliarden Dollar Umsatz Die renom-mierte US-Universitaumlt MIT zaumlhlt ABB zu den 50 innova-tivsten Unternehmen weltweit Dank 8 000 Ingenieuren in Forschung und Entwicklung und einem Forschungsetat von 15 Milliarden Dollar kann ABB selbst mit Giganten wie Siemens und General Electric mithalten

Innovationen die Technikfans begeisternWas ABB alles macht wissen wohl nur Technikfans Denn der Konzern hat uumlber 70 000 Produkte im Angebot Die 300 ABB-Fabriken liefern taumlglich 15 Millionen Kompo-nenten aus die zu elektrischen Einrichtungen oder in Pro-duktionssteuerungen verbaut werden Aus Kanada etwa kam juumlngst ein Grossauftrag uumlber 400 Millionen Dollar Erneuerbare Energie die auf Neufundland und Labrador gewonnen wird soll ab 2017 via Hochspannungskabel 360 Kilometer nach Westen fliessen um dort 350 000 Haumluser zu versorgen Weltweit gibt es erst 90 solche Gleichstromkabelverbindungen die meist unter der Erde oder auf dem Meeresgrund verlaufen ABB ist mit rund 50 Prozent Anteil Marktfuumlhrer Die futuristisch anmuten-de Technik in den abgeschirmten Hallen wo der Strom vor dem Transport auf Hochspannung transformiert wird erinnert an den Maschinenraum von Raumschiff Enter-prise Ein wichtiges Steuerungselement bilden dabei in Baden Daumlttwil entwickelte und in Lenzburg produzierte Spezialchips die Houmlchstspannung aushalten Neu entwi-

Der schweizerisch-schwedische Technikkonzern treibt an vor-derster Front die Energiewende voran Dafuumlr forscht man bei ABB intensiv zu erneuerbaren Energien schlauen Stromnetzen sowie hocheffizienten Industrieanlagen Einzig die schwache Nachfrage nach Energieanlagen in Europa bremst die ExpansionText Andreas Fluumltsch

Innovativer Treiber der Energiewende

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uumlber weite Strecken in die Ballungsraumlume geleitet werden muss brummt das Geschaumlft In den USA treibt der Oumll- und Gasboom die Nachfrage Nur in Europa harzt das Geschaumlft mit Grossanlagen Weniger Nachfrage belastet die Margen bei Auftraumlgen fuumlr Wind- und Solarfarmen so-wie fuumlr Netzinfrastruktur Die Risiken der oft mehrjaumlhrigen Projekte sind so hoch dass ABB waumlhlerischer sein muss und etwa das Geschaumlft mit Solarloumlsungen zurzeit auf Sparflamme betreibt Dennoch ist ABB immer noch hoch-profitabel nicht zuletzt da die Kosten Jahr fuumlr Jahr um 3 bis 5 Prozent gesenkt werden Aber der erfolgsgewohnte Konzern musste sich 2013 mit 6 Prozent Umsatzplus zu-friedengeben Umso intensiver treibt der neue ABB-Chef Ulrich Spiesshofer die Integration der vorab in den USA fuumlr 10 Milliarden Dollar getaumltigten Zukaumlufe voran Und Spiess-hofer forciert die Zusammenarbeit der Divisionen damit ABB die Unternehmensvision laquoEnergie und Produktivitaumlt fuumlr eine bessere Weltraquo mit moumlglichst vielen eigenen Pro-dukten realisieren kann

zur Leittechnik samt angepasster Software Kleine und mittlere Kunden ordern Komponenten oder Teilsysteme Ein wichtiges Verkaufsargument ist das Sparpotenzial von stufenlos steuerbaren Elektromotoren Nur einer von fuumlnf Motoren hat laut einer Erhebung des Bundes einen Leis-tungsregler der Rest laumluft auf Hochtouren und wird ndash man glaubt es kaum ndash bei Bedarf mit Klappen oder Ventilen mechanisch abgebremst Eine gigantische Verschwen-dung da Industriemotoren laut einer Studie der Schwei-zerischen Agentur fuumlr Energieeffizienz 27 Prozent des Schweizer Stromverbrauchs ausmachen

Europaumlische ZuruumlckhaltungEigentlich muumlsste die Division Energietechniksysteme ebenfalls ausgelastet sein Denn auch die Stromwirtschaft muss ihre Effizienz steigern Schliesslich erfordert die Energiewende einen Totalumbau der auf Verteilung ausge-richteten Netze damit diese unter der Last von Solar- und Windenergie nicht instabil werden Arbeit in Huumllle und Fuumllle fuumlr ABB sollte man meinen Doch der erst zaghafte Auf-schwung in Europa daumlmpft die Nachfrage Erschwerend kommt hinzu dass subventionierte Wind- und Solarener-gie in Europas liberalisiertem Strommarkt den Strompreis in ungeahnte Tiefen druumlckte Die Konkurrenzfaumlhigkeit von Wasser- Gas- und Atomkraftwerken hat gelitten Pump-speicher sind keine Goldesel mehr seit die erneuerbaren Energien die Preisspitzen brechen Entsprechend schie-ben Stromkonzerne wie Alpiq oder RWE Investitionen auf Unsicherheiten rund um den Atomausstieg belasten zu-saumltzlich Die voraussichtlich noch auf Jahre hinaus tiefen Strompreise schmaumllern auch die Faumlhigkeit der Besitzer von Hochspannungs- und Verteilnetzen deren Umruumlstung zu finanzieren hoch verschuldete EU-Staaten fahren die Foumlrderung von Wind- und Solarenergie zuruumlck

Straffe KostenkontrolleABB bekommt den Investitionsstau empfindlich zu spuuml-ren Die Division Energietechniksysteme schreibt seit eini-ger Zeit rote Zahlen Zwar ordern Grosskunden aus Asien und Lateinamerika weiterhin kraumlftig Neben China inves-tiert vermehrt auch Indien in neue Stromnetze Uumlberall dort wo die Bevoumllkerung rasch waumlchst oder der Strom

Andreas FluumltschAndreas Fluumltsch war urspruumlnglich Jurist und arbeitete ab 1983 als Journalist fuumlr laquoBlickraquo laquoWeltwocheraquo laquoBilanzraquo und laquoCashraquo Zwischen 1989 und 1990 war er Mitglied der Geschaumlftsleitung von Greenpeace Schweiz anschliessend Hausmann Nach der Ruumlck-kehr in den Journalismus 1992 arbeitete er bei laquoBlickraquo laquoSonntagszeitungraquo und laquoTages- Anzeigerraquo und absolvierte eine Ausbildung zum Boumlrsenhaumlndler Nach der Fruumlhpensio-nierung Ende 2013 machte er sich als Publi-zist selbststaumlndig

ABB in Zahlen (2013)Betriebsertrag 41 848 Mio USDBetriebsergebnis 4 387 Mio USDndash Industrieautomation 1 458 Mio USDndash Niederspannung 1 092 Mio USDndash Prozessautomation 990 Mio USDndash Energietechnik 1 331 Mio USDndash Energiesysteme 171 Mio USD

Mitarbeitende 147 700ndash davon in der Schweiz 6 966

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Hohe Nachfrage nach MinergieDer Erfolg der bisherigen Sparbemuumlhungen bleibt nicht aus laquoTrotz zunehmender Pro-Kopf-Wohnflaumlche und stei-gendem Komfort sinkt der Energieverbrauch fuumlrs Heizen in den letzten Jahrzehnten stetigraquo verkuumlndet der Zuumlrcher Regierungsrat im Energieplanungsbericht 2014 Dazu tra-gen nicht nur die laufend verschaumlrften Gesetze bei Ebenso wichtig ist die Bereitschaft von Bautraumlgerschaften freiwillig Uumlberdurchschnittliches zu leisten Vor allem die Minergie-Regeln werden inzwischen gerne befolgt weshalb Haumluser mit halbiertem Energieverbrauch beinahe Standard sind Schweizweit traumlgt eines von zehn neuen Wohnhaumlusern ein Minergie-Zertifikat Der Anteil an Minergie-Haumlusern im Grossraum Zuumlrich liegt gemaumlss einer Marktanalyse der Universitaumlt Zuumlrich bereits nahe bei 20 Prozent Dies ist privaten Hauseigentuumlmern und institutionellen Investoren zu verdanken Wohn- und Geschaumlftshaumluser mit houmlchster Energieeffizienz gehoumlren inzwischen zum guten Ton Den juumlngsten Beweis liefert eine Immobilienstiftung der Credit Suisse die 70 Millionen Franken in die groumlsste Oumlkosied-lung der Schweiz investiert Im Aargauer Reusstal wohnen seit diesem Jahr rund 200 Familien Paare und Singles deren Wohnhaumluser sich weitgehend selbst mit Sonnen-energie versorgen So klimafreundlich die Energiewende-Architektur ist der Investor erwartet dennoch marktuumlb-liche Renditen Ist der Markt aber bereit oumlkologisches Engagement angemessen zu honorieren

Marktpotenzial fruumlhzeitig erkanntDie Zuumlrcher Kantonalbank (ZKB) beziffert den Mehrwert von Minergie-Haumlusern auf 7 Prozent Kaumlufer seien bereit diesen Aufpreis fuumlr mehr Energieeffizienz zu bezahlen Als weitere Nebeneffekte nennt der vor drei Jahren publizierte ZKB-Bericht eine hochwertige dauerhafte Bausubstanz sowie die Absicherung gegen steigende Oumll- und Energie-preise Fachleute des Immobilienberatungsunternehmens Wuumlest amp Partner (WampP) warnen indes dass sich zusaumltz-liche Investitionen in die Energieeffizienz nicht uumlberall loh-nen laquoRegional schwankt die Zahlungsbereitschaft des Immobilienmarktsraquo praumlzisiert WampP-Partner Ivan Anton Minergie-Haumluser koumlnnen aber nicht nur in abgelegenen Regionen ein Marktrisiko werden laquoMit Ausnahme der

Beim Autokauf wird bevorzugt auf Pferdestaumlrken Be-schleunigung und Innenausstattung geachtet Der CO2-Ausstoss interessiert hingegen kaum So kommt die Energieeffizienz im Strassenverkehr nur stockend voran 1995 schluckten alle neu immatrikulierten Personen-wagen durchschnittlich 9 Liter Benzin pro 100 Kilometer 20 Jahre spaumlter liegt der Durchschnittsverbrauch gemaumlss Bundesamt fuumlr Energie (BFE) immer noch uumlber 6 Litern Das viel gepriesene laquoDrei-Liter-Autoraquo haben alle Hersteller wieder aus der Modellpalette genommen

Demgegenuumlber gelingen dem oft traumlge genannten Ge-baumludebereich weitaus groumlssere Effizienzspruumlnge Ver-brauchen 40 Jahre alte Haumluser im Schnitt 220 Kilowatt-stunden (kWh) Heizenergie pro Quadratmeter Wohnflaumlche und Jahr sind die aktuellen Werte unter die 50er-Marke gesunken Zusaumltzliche Sparerfolge sind nur eine Frage der Zeit Im Fruumlhsommer haben die kantonalen Energie-direktoren uumlber ein Rahmenabkommen beraten das Null-energieneubauten demnaumlchst zum Standard machen soll Wie die nationale Energiewende zu erreichen ist erklaumlrt Christoph Gmuumlr von der Abteilung Energie des Kantons Zuumlrich laquoDer spezifische Verbrauchswert ist zudem auf 35 kWh pro Quadratmeter zu senkenraquo Gebaumlude die sich mit umweltfreundlicher Energie selbst versorgen wollen auch die EU-Staaten Ab 2020 wird ein Gebaumludestandard eingefuumlhrt der nur noch laquoNiedrigstenergiegebaumluderaquo mit sehr hoher Energieeffizienz als Neubauten vorsieht

Energiesparhaumluser waren vor 30 Jahren Exoten inzwischen nimmt der Bereich der energie-effizienten Gebaumlude eine Vor-bildrolle fuumlr die Energie wende ein Bauherren profitieren davon ebenso wie die Zuliefer-branche Text Paul Knuumlsel

Expertensicht

Haumluser in der ersten Reihe

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der Bau von Niedrigenergiehaumlusern und alternativen Hei-zungsanlagen sowie energetische Gebaumludesanierungen Investitionen im Umfang von rund 4 Milliarden Franken ausgeloumlst rechnet der Bund vor laquoEin Fuumlnftel insgesamt 860 Millionen Franken stammt aus den oumlffentlichen Kas-senraquo verweist die BFE-Stelle EnergieSchweiz auf die Im-pulse der kantonalen Foumlrderprogramme Einen Wermuts-tropfen besitzt diese Wirkungsbilanz Fruumlhere Analysen der Energiesparprogramme zeigen naumlmlich dass zwi-schen einem Drittel und der Haumllfte der energetisch vorbild-lichen Gebaumlude auch ohne staatliche Foumlrderung realisiert worden waumlren Dem Mitnahmeeffekt ist auch die Eidge-noumlssische Steuerverwaltung auf der Spur Sie schaumltzt dass Bund und Kantonen jaumlhrlich 14 Milliarden Franken entgehen weil energetische Gebaumludesanierungen bei der Liegenschaftssteuer abzugsberechtigt sind Die Energie-wende erfordert nicht nur mehr Effizienz bei den Anwen-dungen sondern auch einen effizienten Einsatz staatlicher Mittel Im Energieplanungsbericht 2013 hat der Zuumlrcher Regierungsrat erstmals uumlber alternative Anreizsysteme nachgedacht Demnach soll eine Lenkungsabgabe den Energiekonsum reduzieren und das bisherige Foumlrdersys-tem abloumlsen Aumlhnliche Plaumlne verfolgt der Bund Denn ein Lenkungssystem duumlrfte weitere Sparbemuumlhungen im Ge-baumludebereich aber auch im Strassenverkehr foumlrdern Ins-besondere dann wenn Heizoumll und Benzin im Gleichschritt teurer werden

begehrten Wohnlagen haben Hauseigentuumlmer an vielen Orten mit moumlglichen Verkaufsverlusten zu rechnenraquo so Anton Zwar sei die Nachfrage bei Eigentuumlmern und Mie-tern aumlhnlich gross Aber auch Mieter wuumlrden nicht uumlberall mehr fuumlr eine energieeffiziente Wohnung bezahlen Kaum uumlberraschen darf daher dass Immobilieninvestoren immer haumlufiger die steigenden Energieanforderungen kritisieren und kostenguumlnstigere Baustandards vorziehen Fuumlr WampP-Berater Urs Hausmann ist laquonachhaltiges Bauen trotzdem keine Frage von Luxus oder Wohlstand sondern eine wie man mit Ressourcen umgehen willraquo Dass ein hohes Um-weltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauen Der Run auf den oumlkologischen Baustoff Holz laumlsst zum Beispiel eine gesamte Wertschoumlpfungskette und viele

innovative Unternehmen profitieren Forstbetriebe Sauml-gereien Fensterbauer Daumlmmstoffhersteller und andere Bauzulieferer vergroumlssern ihre Produktionskapazitaumlten und stellen zusaumltzliches Personal ein laquoDie Umsaumltze im Schweizer Holzbau sind in den letzten Jahren um mehrere Hundert Millionen Franken gestiegen und die Trendkurve zeigt weiter nach obenraquo freut sich Christoph Starck Di-rektor des Holzbaudachverbands Lignum

Einheimische Zulieferer als GewinnerAuch im Verein Minergie ist man sich bewusst dass sich energieeffizientes Bauen wirtschaftlich positiv auswirkt In den letzten 15 Jahren sind 25 000 Wohnhaumluser Buumlro-komplexe Schulbauten Sport- und Industriehallen mit Niedrig energiezertifikat entstanden Gemeinsam sparen sie 15 Milliarden Kilowattstunden Energie laquoUumlber 2 Milliar-den Franken wurden zusaumltzlich investiertraquo rechnet Miner-gie-Sprecher Antonio Milelli vor Anstatt fossile Brennstoffe einzukaufen wird mehr Geld fuumlr Daumlmmstoffe Isolierfenster Luumlftungsanlagen und Sonnenkollektoren aus inlaumlndischer Fabrikation ausgegeben Zwischen 2001 und 2012 haben

Paul KnuumlselPaul Knuumlsel studierte Umweltnaturwissen-schaften an der ETH Zuumlrich Er ist unabhaumln-giger Wissenschaftsjournalist und schreibt seit Jahren in Publikums- und Fachmedien uumlber die vielfaumlltigen Aspekte des nachhalti-gen Bauens Zusaumltzlich betreut er in der Re-daktion des laquoTEC21raquo das Ressort laquoEnergie und Umweltraquo

laquoDass ein hohes Umweltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren

derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauenraquo

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Der Wasserkraft Sorge tragen

Welchen Beitrag kann die Wasserwirtschaft zur Energie-wende leisten Roger Pfammatter Die Wasserkraft ist der energie-politische Trumpf der Schweiz Wir befinden uns in der gluumlcklichen Lage uumlber grosse Mengen Wasser und das notwendige Gefaumllle zu verfuumlgen ndash das sind die beiden wichtigsten Voraussetzungen fuumlr die hydroelektrische Produktion Und wir haben in den vergangenen 100 Jah-ren gelernt dieses Potenzial effizient und moumlglichst um-weltschonend zu nutzen Die Wasserkraft ist der Schluumls-sel fuumlr eine nachhaltige Energieversorgung technisch ausgereift politisch erwuumlnscht einheimisch erneuerbar und CO2-frei

Wie viel mehr ist moumlglichHeute leistet die Wasserkraft nicht nur rund 60 Prozent der Stromproduktion in der Schweiz sondern bietet auch unverzichtbare Regel- und Systemdienstleistungen die markant an Bedeutung gewinnen werden Vor allem bei der Flexibilisierung der Wasserkraft durch mehr Leistung und Speichervolumen waumlre noch einiges moumlglich Um die Aufgaben weiterhin zu gewaumlhrleisten muumlssen wir aber primaumlr dem Bestehenden Sorge tragen

Die Energiestrategie des Bundes gibt aber klare Ausbau-ziele vor Bis 2035 soll die Stromproduktion aus Wasser-kraft um 10 Prozent steigenUnter den momentanen Rahmenbedingungen ist dieses Ausbauziel nicht realistisch Im Gegenteil Aufgrund der Restwasserbestimmungen wird die Produktion in den naumlchsten Jahren vermutlich sogar zuruumlckgehen

Die Wasserkraft ist der wichtigste Pfeiler der Schweizer Ener-giewirtschaft ihr Potenzial ist aber weitgehend ausgeschoumlpft Roger Pfammatter Geschaumlftsfuumlhrer des Wasserwirtschaftsver-bands gibt im Interview Auskunft uumlber die Lage der Branche und ihre Bedeutung fuumlr die EnergiezukunftInterview Florian Wehrli

Expertensicht

Was muss sich aumlndern damit die vorgegebenen Ziele um-gesetzt werden koumlnnenZum einen braucht es dafuumlr die Akzeptanz der Umweltver-baumlnde der Fischer und letztlich der gesamten Bevoumllkerung Zum anderen muumlssen laumlngerfristig die extremen Marktver-zerrungen abgebaut werden damit sich auch Investitionen in die nicht gefoumlrderte Wasserkraft wieder lohnen Heute wird nur noch in subventionierte Anlagen investiert

Wer ist hier in der PflichtHier ist die Politik gefordert die Rahmenbedingungen zu verbessern Denn ohne die Wasserkraft kann die Energie-wende nicht gelingen

Anfang Jahr wurde der Wasserwirtschaftsverband von den zustaumlndigen Kommissionen angehoumlrt Welche Forderun-gen hat die Branche an das ParlamentWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerba-re Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichten die bereits bis zur Haumllfte der Geste-hungskosten ausmachen Damit sind wir doppelt diskrimi-niert Die Wasserkraft ist extrem unter Preisdruck ndash und dies obwohl sie mit Gestehungskosten zwischen 3 und 10 Rappen pro Kilowattstunde die effizienteste Strompro-duktionstechnologie ist Nur zum Vergleich Fotovoltaik -anlagen werden heute mit rund 40 Rappen subventioniert

Bis 2011 liess sich mit der Grosswasserkraft noch viel Geld verdienen Wurden zu wenige Ruumlcklagen fuumlr schlechte Zei-ten gebildet

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Es kann nicht der Sinn sein Ruumlcklagen fuumlr Zeiten zu bil-den in denen die Marktpreise die Gestehungskosten nicht mehr decken Das waumlre wie wenn ein Baumlcker auf jedem Gipfeli einige Rappen zuruumlckbehalten muumlsste damit er sie am naumlchsten Tag gratis abgeben kann Mit dem durch Subventionen verzerrten Marktpreis von 4 bis 5 Rappen pro Kilowattstunde ist unter den konventionellen Energie-traumlgern praktisch nur Kohle konkurrenzfaumlhig Das ist be-stimmt nicht im Sinn der Energiewende

Drei Grosswasserkraftprojekte sind heute bereits im Bau Koumlnnen die enormen Kosten uumlberhaupt amortisiert wer-denPrognosen sind schwierig An der europaumlischen Strom-boumlrse (EEX) werden bis 2020 Strompreise zwischen 45 und 53 Rappen pro Kilowattstunde gehandelt Der Markt glaubt also nicht an eine baldige Erholung Dafuumlr muumlsste das Uumlberangebot in Europa zuruumlckgehen etwa uumlber die Anhebung des CO2-Preises von heute 5 auf mindestens 30 Euro pro Tonne Politisch ist das aber kaum durchsetz-bar Neue Pumpspeicherwerke werden sich deshalb wohl erst in mehreren Jahrzehnten lohnen

Was kann die Kleinwasserkraft leistenOhne die kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) wuumlr-de niemand Kleinwasserkraftanlagen bauen genauso we-nig wie Fotovoltaik- Wind- oder Biomasseanlagen Zurzeit gibt es aber allein bei der Kleinwasserkraft rund 1 000 An-meldungen fuumlr Foumlrderbeitraumlge mit einem bescheidenen Ge-samtpotenzial von 33 Terawattstunden pro Jahr Die oumlko-logischen Auswirkungen sind im Vergleich zum Ertrag zu gross Obwohl wir von marktverzerrenden Foumlrderprogram-men wegkommen sollten waumlre es in einer Uumlbergangs phase sinnvoll die KEV-Obergrenze von 10 Mega watt aufzuheben und dort zu foumlrdern wo es wirklich etwas bringt

Wie soll die Grosswasserkraft unterstuumltzt werdenDas Sinnvollste waumlre die Abkehr von der Subventions-maschinerie ndash und zwar auf europaumlischer Ebene Dann wuumlrde sich die Wasserkraft als effiziente erneuerbare Stromproduktionsform mit Sicherheit durchsetzen Min-destens als Uumlbergangsloumlsung waumlre aber die Entlastung

von Abgaben in erster Linie vom Wasserzins dringend Der maximale Wasserzins wurde in den letzten vier Jahren um 38 Prozent erhoumlht und wird naumlchstes Jahr um weite-re 10 Prozent angehoben Diese Erhoumlhung wurde 2008 beschlossen und steht heute in keinerlei Bezug mehr zur Ertrags lage Kurzfristig koumlnnten die Kantone auf einen Teil dieser Zinsen verzichten ndash das waumlre ein wichtiges politi-sches Zeichen Langfristig muss ein neuer Modus fuumlr die Zinsberechnung gefunden werden der die Ertragslage der Wasserkraft mitberuumlcksichtigt Das ist auch im Interesse von Bund Kantonen und Gemeinden schliesslich ist die Wasserkraft zu 85 Prozent in oumlffentlicher Hand Ebenfalls als Uumlbergangsloumlsung bis zu besseren Marktpreisen waumlren zinsguumlnstige Darlehen fuumlr die noumltigen Investitionen in die Grosswasserkraft denkbar Ohne mindestens eine dieser Massnahmen kann die Wasserwirtschaft das geforderte Ausbauziel nicht erreichen

Bis dahin gibt es noch eine weitere Huumlrde den Heimfall der Stauanlagen an die Standortgemeinden Welchen Ein-fluss hat dieser UmstandWenn die Konzessionen nach 80 oder 100 Jahren aus-laufen muss der Betreiber der Gemeinde eine Entschaumldi-gung fuumlr den Restwert der Anlagen entrichten Im Fall der Staumauer Barberine bezahlen die SBB und Alpiq 2017 an sechs Walliser Gemeinden 343 Millionen Franken Das 400-Seelen-Dorf Finhaut erhaumllt alleine 112 Millionen Fran-ken und weiss kaum wohin mit dem Geld Der gesamte Wert des Heimfalls der Anlagen bewegt sich schweizweit im Milliardenbereich Der Houmlhepunkt des Heimfalls wird um 2035 erreicht werden Bis zu diesem Zeitpunkt soll aber auch ein Grossteil der geforderten Produktionsstei-gerung umgesetzt werden

Bei der Stromproduktion ist ein Ausbau von uumlber 10 Pro-zent wohl nicht realistisch Wie sieht es bei der Speicher-leistung aus Hier muss man unterscheiden zwischen kurzfristiger und saisonaler Speicherung Fuumlr die saisonale Speicherung verfuumlgt die Schweiz mit 200 Speicherseen uumlber ein Vo-lumen von rund 9 000 Gigawattstunden (GWh) die jedes Jahr vom Sommer in den Winter umgelagert werden Dies

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Expertensicht

entspricht einem Viertel der jaumlhrlichen Produktion aus Wasserkraft Das Ausbaupotenzial durch die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren betraumlgt rund 2 000 GWh Falls der Ausbau aber nicht gelingt entsteht im Winter durch den Ausfall der Kernenergie eine immer groumlssere Luumlcke an Bandenergie die durch den Import von Atom- oder Kohlestrom gedeckt werden muss

Wie sieht es beim Ausbau der Pumpleistung zum kurzfris-tigen Ausgleich von Schwankungen im Netz ausGrundsaumltzlich ist das Potenzial fuumlr Pumpspeicherwerke in der Schweiz riesig Es braucht nur zwei Seen auf unter-schiedlicher Houmlhe Die Frage ist ob sich solche Investi-tionen rechnen Die Pumpspeicherwerke finanzieren sich

uumlber den Preisunterschied zwischen Band- und Spitzen-energie Wenn an einem schoumlnen Sommertag in Europa mittags die geballte Ladung an Sonnen- und Windener-gie eingespeist wird koumlnnen die Pumpspeicherkraftwerke sehr guumlnstig oder sogar zu Negativpreisen Strom bezie-hen Man darf aber nicht vergessen dass dieselbe Situa-tion fuumlr die Laufwasserkraftwerke die rund die Haumllfte der Wasserkraftproduktion in der Schweiz ausmachen den gegenteiligen Effekt hat Diese koumlnnen aus technischen konzessionsrechtlichen oder oumlkologischen Gruumlnden nicht vom Netz genommen werden und muumlssen fuumlr ihre Strom-produktion bezahlen Das kann gehoumlrig ins Geld gehen An Weihnachten 2012 lag der Strompreis zum Beispiel bei minus 30 Rappen pro Kilowattstunde

Roger Pfammatter laquoWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerbare Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichtenraquo

Bild Florian Wehrli

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cherseen zur Flexibilisierung Damit das gelingt muss der Wert der Wasserkraft staumlrker im Bewusstsein der Bevoumllke-rung verankert sein Und nicht zuletzt muss der Marktpreis so weit uumlber den Gestehungskosten liegen dass sich In-vestitionen in die Wasserwirtschaft rentieren

Versuchen das Bestehende zu erhalten Diese Vision klingt etwas resigniertDas ist eine Frage der Perspektive Die Wasserkraft hat als Technologie in der Schweiz seit Langem Bestand Sie befindet sich in einer anderen Situation als Fotovoltaik und Windenergie die sich in einem hochdynamischen Umfeld mit grossem Potenzial in Forschung und Wachstum be-finden Die Wasserkraft ist dagegen nicht mehr in der Auf-bruchsphase sondern in der Konsolidierungsphase Da-fuumlr kann man sich auf die Wasserkraftwerke verlassen Sie produzieren bei Tag und in der Nacht im Sommer wie im Winter bei Windstille oder im Nebel Auch der Erhalt und die Optimierung des Bestehenden sind grosse Heraus-forderungen und bedingen grosse Investitionen

Sehen Sie eine Moumlglichkeit wie die Schweizer Wasser-wirtschaft in Zukunft Geld mit Systemdienstleistungen wie Netzstabilitaumlt verdienen kannDie unregelmaumlssig einspeisenden Stromproduzenten neh-men keinerlei Systemverantwortung wahr Ich habe selbst ein Solarpanel auf dem Dach Wenn Produktion moumlglich ist speise ich Strom ins Netz ein wenn nicht beziehe ich Die Produzenten mehr in die Verantwortung zu nehmen faumlnde ich sinnvoll ndash zum Beispiel uumlber Zertifikate fuumlr Spei-cherleistungen Diese koumlnnten bei Pumpspeicherwerken bezogen werden

Welcher Ausbau der Pumpspeicherleistung ist dafuumlr noumltigDie installierte Leistung betraumlgt heute rund 14 Gigawatt (GW) Mit den im Bau befindlichen und den geplanten An-lagen kann die Kapazitaumlt maximal auf 51 GW ausgebaut werden ndash etwa die Haumllfte der Jahreshoumlchstlast im Netz Damit die Schweizer Wasserkraft aber einen Beitrag zur Stabilitaumlt des europaumlischen Stromnetzes leisten kann muumlssten auch das Stauvolumen und die Leitungskapazi-taumlt erhoumlht werden Hier sind die Einsprachen von Anwoh-nern und Umweltverbaumlnden noch gravierender als bei den Anlagen selbst

Braucht es neue rechtliche Instrumente um den geplan-ten Ausbau durchsetzen zu koumlnnenEs braucht vor allem die Einsicht dass die Wasserkraft das Ruumlckgrat unserer Versorgungssicherheit ist und die Aus-wirkungen eines Ausbaus immer auch mit den Alternativen verglichen werden muumlssen Wir befinden uns aber auch in einem intensiv genutzten Land mit vielen Partikularinteres-sen Diese muumlssen gewichtet und abgewogen werden In der Abwaumlgung zwischen Landschaftsschutz und Wasser-nutzung waumlre es hilfreich wenn Grosswasserkraftanlagen den Status von nationalem Interesse erhalten

Wie soll die Schweizer Wasserwirtschaft im Jahr 2035 aussehenIch wuumlnsche mir dass die bestehende Infrastruktur auf dem heutigen Stand erhalten optimiert oumlkologisiert und im Idealfall etwas ausgebaut wird Dazu gehoumlren etwa die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren sowie neue Spei-

Roger PfammatterSeit seinem Ingenieurstudium an der ETH Zuumlrich hat er sich in ver-schiedenen Rollen dem Wasser verschrieben Nach sieben Lehr- und Wanderjahren in der Forschung und in der Entwicklungszusammen-arbeit war er zehn Jahre beim Ingenieurunternehmen Ernst Basler + Partner engagiert Seit 2010 ist er Geschaumlftsfuumlhrer des Schweizeri-schen Wasserwirtschaftsverbandes (SWV) und Herausgeber der Zeit-schrift laquoWasser Energie Luftraquo In diesen Funktionen setzt er sich ein fuumlr den Fachaustausch und gute Rahmenbedingungen in den Bereichen Wasserkraft und Hochwasserschutz

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Die globalen Energiemaumlrkte sind seit einigen Jahren stark in Bewegung Volatile Erdoumllpreise die Foumlrderung von un-konventionellen Gasvorkommen in grossem Stil die mas-sive Subventionierung von neuen erneuerbaren Energien in Deutschland der laquoarabische Fruumlhlingraquo und der Konflikt in der Ukraine hinterlassen Spuren Die Folge sind starke Verwerfungen an den Maumlrkten und fehlende Investitionssi-cherheit In diesem dynamischen und unsicheren Kontext will der Bund die bisherige Energiepolitik neu ausrichten ndash wahrlich eine Herkulesaufgabe Die Schweizer Wirtschaft verlangt dass der Bund bei der Neuausrichtung der Ener-giepolitik seinem in der Verfassung verankerten Auftrag nachkommt und sich fuumlr eine ausreichende sichere breit gefaumlcherte wirtschaftliche und umweltvertraumlgliche Ener-gieversorgung einsetzt Somit ist klar Die Energiestrate-gie 2050 muss in erheblichen Teilen optimiert und justiert werden Nur wenn vernetzt gedacht wird ist eine sichere Versorgung zu wettbewerbsfaumlhigen Preisen moumlglich

Prognosen klaffen weit auseinanderSeit Jahrzehnten bietet der Strommix aus Wasserkraft (knapp 60 Prozent) und Kernenergie (40 Prozent) Gewaumlhr fuumlr eine sichere klimafreundliche und wirtschaftliche Ener-gieversorgung Im Rahmen der Energiestrategie 2050 muss die Kernenergie langfristig ersetzt werden Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen zumal die Ziele des Bundes

Lebenselixier der Wirtschaft

Die Schweizer Wirtschaft ist auch in Zukunft auf eine sichere und wirtschaftliche Stromver-sorgung angewiesen Die Ener-giestrategie 2050 setzt stark auf Subventionen Dadurch entstehen Fehlanreize welche die Versorgungssicherheit ge-faumlhrdenText Kurt Lanz

Expertensicht

in Bezug auf das Potenzial der neuen erneuerbaren Ener-gien von Wunschdenken geleitet sind Die neuen erneuer-baren Energien werden sich langsamer entwickeln als an-gestrebt Der Bund rechnet mit rund 12 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2035 die Schweizer Wirtschaft mit 44 TWh Die vorsichtigeren Prognosen der Wirtschaft scheinen re-alistischer Dies zeigen exemplarisch die gescheiterten Geothermieprojekte in Basel und St Gallen Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Nachfrageprognosen Der Bund rechnet in seinen Szenarien mit einem Ruumlckgang des Stromverbrauchs pro Kopf von 16 Prozent zwischen 2000 und 2035 Die Schweizer Wirtschaft orientiert sich in ihren Szenarien am Verband Schweizerischer Elektrizitaumlts-unternehmen (VSE) der weiter mit einer steigenden Nach-frage rechnet Die Wirtschaft fordert von der Politik eine vernuumlnftige Planung aufgrund realistischer Schaumltzungen Die Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energiestrategie nicht gefaumlhrdet werden

Subventionen fuumlhren zu FehlanreizenDie Schweiz hat seit vielen Jahrzehnten erfolgreich die Wasserkraft vorangetrieben Aus politischen Gruumlnden wird nun die ndash unregelmaumlssige ndash Stromproduktion durch Sonnen- und Windenergie forciert Unsere sogenann-te kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) entspricht dem deutschen Foumlrdermodell Beide haben das gleiche Ziel Sie sollen erneuerbare Energien ausbauen indem sie neue Formen der Stromproduktion zur Marktreife brin-gen Weil das KEV-System die Sonnen- und Windenergie massiv foumlrdert kommt ein weiterer Ausbau der bewaumlhrten Wasserkraft nicht infrage Diese Entwicklung gefaumlhrdet die Versorgungssicherheit der Schweiz Auf den ersten Blick sinken zwar die Produktionskosten fuumlr Solarstrom gleich-zeitig steigen aber die Kosten fuumlr Speicherung und Inte-gration ins Netz spuumlrbar Auch ist der Ausbau von Solar- und Windenergie nur von beschraumlnktem Nutzen solange keine ausreichenden Speicherkapazitaumlten vorhanden sind Nur Preissignale koumlnnen das Investitionsverhalten von Stromproduzenten Netzbetreibern und Konsumen-ten sinnvoll lenken Subventionen sind zu beseitigen denn sie fuumlhren zu Fehlanreizen

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Alle Optionen offenhaltenOffenheit und Neugier gehoumlren zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft Kategorisches Abwehrverhalten und Denkverbote verhindern konstruktive Loumlsungsansaumltze und Innovation Eine sichere und kostenguumlnstige Strom-versorgung kann auch in Zukunft nur mit der notwendi-gen Offenheit gegenuumlber allen Technologien und Energie-

systemen garantiert werden Die Schweiz ist dank einer erfolgreichen Hochschulland-schaft und vielen Technolo-gieunternehmen gut geruumlstet Die verschiedenen Energie-systeme muumlssen faktenba-siert und ohne ideologische

Scheuklappen verglichen werden Nur so koumlnnen effizi-ente und umweltvertraumlgliche Loumlsungen gefunden werden Das heutige System der Foumlrderung der neuen erneuer-baren Energien ist durch ein marktorientiertes System ab-zuloumlsen Produzenten die nachfragegerecht einspeisen sollen eine houmlhere Verguumltung erhalten als andere Auch soll der Vorrang der Netzeinspeisung fuumlr subventionierte Energietraumlger aufgehoben werden

laquoDie Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit

des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energie strategie nicht

gefaumlhrdet werdenraquo

Schnellere Verfahren anstrebenGrundvoraussetzung fuumlr eine Neuausrichtung der Ener-giepolitik sind funktionierende Stromnetze Diese muumls-sen zwingend parallel zum Umbau der Stromproduktion weiterentwickelt werden Allein der noumltige Ausbau der Uumlbertragungsnetze belaumluft sich auf rund 1 000 Kilometer bis ins Jahr 2020 Erforderlich sind zudem Investitionen in alle Verteilernetzebenen Al-lerdings verzoumlgern komplizier-te Verfahren auf Kantons- und Bundesebene den Ausbau Ausserdem erwaumlchst praktisch jedem Projekt Widerstand von privater Seite was zu weiteren Verzoumlgerungen fuumlhrt Die Wirt-schaft fordert deshalb Bei Bewilligungen von Stromnetzen ist der Gang vors Bundesgericht nur noch bei Grundsatz-fragen moumlglich Umbauten sowie Spannungs- und Kapa-zitaumltserweiterungen koumlnnen ohne Planungsgenehmigung realisiert werden Ausserdem sind die Verfahren bei einer einzigen Leitbehoumlrde anzusiedeln

Spielfeld erweiternDie Schweiz ist seit jeher ein wichtiges Stromtransitland Schon seit den 90er-Jahren treibt die EU die Vereinheitli-chung des Binnenmarkts fuumlr Strom hin zu einem eigent-lichen EU-Strommarkt voran In der Schweiz erweist sich die gesetzliche Trennung von Grundversorgung und Markt diesbezuumlglich zunehmend als Hindernis Aus Sicht der Wirtschaft ist die vollstaumlndige Liberalisierung des Strom-markts eine zwingende Voraussetzung fuumlr eine erfolgrei-che energiepolitische Neuausrichtung

Eine Marktoumlffnung wuumlrde insbesondere auch den erneuer-baren Energien neue Chancen eroumlffnen und Zugang zu neuen Kunden gewaumlhren Von hoher Wichtigkeit ist auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU Je groumlsser der Anteil erneuerbarer Energien umso wichtiger ist die Einbettung in Europa denn Investitionen in Netze und Produktion koumlnnen in Koordination mit der EU wirkungsvoller und wahrscheinlich kostenguumlnstiger getaumltigt werden

Kurt LanzKurt Lanz ist Leiter Infrastruktur Energie und Umwelt sowie Geschaumlftsleitungsmitglied von economiesuisse dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft

Gut vernetzt ndash Vorschlaumlge der Schweizer Wirtschaftzur EnergiepolitikDie Publikation basiert auf der Grundlagenarbeit der breit abgestuumltz-ten Energiekommission von economiesuisse und macht konstruk-tive Vorschlaumlge fuumlr einen erfolgreichen energiepolitischen Weg der Schweiz Download unter wwweconomiesuissech

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

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Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

wwwsmlzhawch

Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 15: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

15COMPETENCE | 2014

Schweiz Bereits heute verfuumlgt die Schweiz uumlber ein gros-ses industrielles und technologisches Know-how gerade im Bereich Cleantech Fortschritte bei der Ressourcen-effizienz und den erneuerbaren Energien ermoumlglichen Wett bewerbsvorteile auf den Exportmaumlrkten sie schaffen neue Arbeitsplaumltze und erhoumlhen die Unabhaumlngigkeit in der Rohstoffversorgung Zusammen mit dem Masterplan Cleantech traumlgt die Energiestrategie 2050 dazu bei dass sich die Schweiz hier als Vorreiterin profilieren kann

Uumlbergang in ein LenkungssystemDamit sich der Markt in Richtung Nachhaltigkeit entwickelt werden kuumlnftig weitere Massnahmen noumltig sein Waumlhrend das erste Massnahmenpaket noch stark auf Foumlrderung zielt wird die Energiepolitik ab 2021 gemeinsam mit der Klimapolitik strategisch neu ausgerichtet Das bestehen-de Foumlrdersystem basiert auf einem Netzzuschlag fuumlr die Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Ener-gien und einer Teilzweckbindung der CO2-Abgabe fuumlr das Gebaumludeprogramm Es soll durch ein marktwirtschaftli-ches Lenkungssystem abgeloumlst werden mit dem sich die Energie -und Klimaziele effektiv und oumlkonomisch effizient erreichen lassen Konkret werden erneuerbare Energien und Gebaumludesanierungen zunaumlchst noch staatlich unter-stuumltzt ndash langfristig soll der Markt spielen Das Bundesamt fuumlr Energie ist daran in Zusammenarbeit mit dem Eidge-noumlssischen Finanzdepartement und dem Staatssekretariat fuumlr Wirtschaft zu konkretisieren wie das umzusetzen ist

Wissenstransfer staumlrken Gluumlcklicherweise herrscht an den Hochschulen und ihren Instituten im Energiebereich Aufbruchstimmung Fuumlr Un-ternehmen ist es jedoch oft schwierig das an Hochschu-len vorhandene Wissen abzuholen gerade wegen der grossen Diversitaumlt der Forschung und der Fragmentierung des Wissens auf zahlreiche Institute Gleichzeitig stossen mit Unternehmen der Informations- und Kommunikations-technologie neue Akteure mit grossem Know-how in den Energieversorgungsmarkt vor Energieversorgungsunter-nehmen in ganz Europa ruumlcken vom reinen Stromverkauf ab und positionieren sich vermehrt als Anbieter von umfas-senden Energiedienstleistungen Diesem Trend muss sich

Walter SteinmannDr Walter Steinmann ist seit 2001 Direktor des Bundesamts fuumlr Energie (BFE) Er hat an der Universitaumlt Zuumlrich Volkswirtschaft studiert und seine Studien 1988 mit einer Doktorarbeit an der Universitaumlt Konstanz ab geschlossen Von 1981 bis 1988 war er Delegierter fuumlr Wirtschaftsfoumlrderung des Kantons Basel-Landschaft und arbeitete an-schliessend als Beauftragter fuumlr Wirtschafts-foumlrderung des Kantons Solothurn Von 1994 bis 2001 war er Chef des Amts fuumlr Wirtschaft und Arbeit des Kantons Solothurn

auch die Schweiz stellen und ihre Kraumlfte vermehrt buumlndeln um Synergien zwischen Wirtschaft und Forschung zu schaffen Nur so kann der Technologiestandort Schweiz staumlrker werden Der Bund setzt bereits Massnahmen um damit der Transfer der Forschungsresultate in den Markt sichergestellt wird Dazu gehoumlrt der Aufbau vernetzter Forschungskompetenzzentren der Swiss Competence Centers for Energy Research Auch die ZHAW School of Management and Law beteiligt sich in diesem Rahmen massgeblich an den nationalen Forschungsaktivitaumlten zum Umbau des Schweizer Energiesystems

Mit der Energiestrategie 2050 hat die Schweiz die Chance sich aus ihrer Abhaumlngigkeit von den fossilen Energien zu loumlsen den Export fortschrittlicher Technologien zu staumlrken und mit dem ressourcen- und klimaschonenden Umgang mit Energie international eine Fuumlhrungsrolle zu uumlberneh-men Nutzen wir diese Chance

Weitere Informationen unter wwwenergiestrategie2050ch

laquoDie Schweiz muss ihre Kraumlfte vermehrt buumlndeln um

Synergien zwischen Wirtschaft und Forschung zu schaffenraquo

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Eine der wichtigsten Zielsetzungen der Energiewende wie sie der Bundesrat formuliert hat ist der Ausbau der er-neuerbaren Energien Der Anteil von Wasser- Wind- und Sonnenkraft sowie Erdwaumlrme am Energiemix soll massiv erhoumlht werden Die durchschnittliche inlaumlndische Produk-tion ndash ohne Wasserkraft ndash soll im Jahr 2020 bei mindes-tens 4 400 Gigawattstunden (GWh) und im Jahr 2035 bei mindestens 14 500 GWh liegen Bei der Produktion von Elektrizitaumlt aus Wasserkraft wird bis im Jahr 2035 ein Aus-bau der Produktion auf 37 400 GWh angestrebt Zum Ver-gleich Die Jahresproduktion des AKW Muumlhleberg liegt bei rund 2 600 GWh Das sind houmlchst ambitioumlse Ziele

Der geplante Ausbau der Nutzung von erneuerbaren Energien bedarf zahlreicher Anlagen ndash Windparks Was-serkraftwerke oder groumlsserer Solaranlagen ndash mit entspre-chend hohem Raumbedarf Der Bundesrat sieht nicht vor die Umwelt- und Heimatschutzgesetze massgeblich zu lo-ckern obwohl es regelmaumlssig zu Konflikten zwischen den Schutzinteressen und Energienutzungsanlagen sowie zu entsprechenden Gerichtsverfahren kommt ndash wie juumlngst im Goms bei der Planung eines Wasserkraftwerks (BGE 140 II 262 ff) Das Bundesgericht nimmt jeweils eine im Resul-tat schwer voraussehbare Interessenabwaumlgung vor und stellt die Leistung der Anlage sowie die Faumlhigkeit zeitlich flexibel und marktorientiert zu produzieren den Schutz-interessen gegenuumlber

Ein weiteres Problem besteht darin dass groumlssere Anla-gen bei der Nachbarschaft oder in einer breiteren Bevoumll-kerung keine Akzeptanz finden So waumlre zwar im Kanton

Loumlsungen suchen bevor es zum Rechtsstreit kommt

Hochschulperspektive

Der Bundesrat sieht im Rahmen der Energiestrategie 2050 vor den Anteil der erneuerbaren Energien massiv zu erhoumlhen Die vermehrte Nutzung erneuerbarer Energietraumlger fuumlhrt jedoch zu einem Interessenkonflikt zwischen Wirtschaftlichkeit umwelt-rechtlichen Anforderungen und sozialer Akzeptanz Diesen gilt es mit klaren rechtlichen Grundlagen zu loumlsenText Reneacute Wiederkehr und Andreas Abegg

Zuumlrich Wind vorhanden doch dreht sich dort bis heute keine einzige grosse Windturbine Gegen die einzige bis-her geplante Versuchsanlage am Stuumlssel oberhalb Baumlrets-wil hat eine Interessengemeinschaft Rekurs erhoben und will die geplante Windmessanlage bis vor Bundesgericht bekaumlmpfen Diese Probleme ndash die Kollision mit Schutz-interessen und die Angst vor Nachbarrekursen ndash koumlnnen im Ergebnis dazu fuumlhren dass die Energieunternehmen auf den Bau von Anlagen verzichten obwohl ein erhebli-ches Potenzial vorhanden waumlre

Loumlsungsansatz des BundesratsIm Rahmen der Energiepolitik 2050 schlaumlgt der Bundesrat vor dass die Kantone mit Unterstuumltzung des Bundes ein Konzept fuumlr den Ausbau der erneuerbaren Energien er-arbeiten und Gebiete fuumlr die Nutzung durch erneuerbare Energien bestimmen Nach der Genehmigung durch den Bund dient das Konzept den Kantonen als Grundlage fuumlr ihre Richtplanung Dadurch wird fuumlr die kommunalen und kantonalen Behoumlrden verbindlich festgelegt in welchen Gebieten Bewilligungen fuumlr erneuerbare Energieproduktio-nen erteilt werden koumlnnen

Welche Gebiete sich tatsaumlchlich fuumlr den Ausbau der er-neuerbaren Energien eignen ist bisher allerdings kaum erforscht worden Bund Kantonen und Gemeinden fehlen die Grundlagen um die Eignung von Standorten und Ge-bieten aus rechtlicher Sicht zu beurteilen Es ist deshalb einfacher ungeeignete Gebiete von der Nutzung auszu-nehmen Vor allem Gebiete welche fuumlr Natur- und Hei-matschutz wertvoll sind koumlnnen zu einer sogenannten

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schen und rechtsstaatlichen Verfahren aus So wurde zum Beispiel im Kanton Zuumlrich der Heimatschutz gegenuumlber dem Interesse an neuen Solaranlagen bereits zuruumlck-gestuft und das entsprechende Bewilligungsverfahren gestrafft Es wird sich gerade bei der Wahl von Stand-orten fuumlr die Nutzung erneuerbarer Energien zeigen ob die Energiewende ndash wie zuweilen befuumlrchtet ndash auf Kosten von Demokratie und Rechtsstaat sowie auf Kosten von Natur- und Heimatschutz geht oder ob wir die gegenwaumlr-tigen Strukturen unter transparenter und angemessener Wahrung aller Interessen anpassen koumlnnen um die an-spruchsvollen Energieziele zu erreichen

Negativzone fuumlhren Auch andere Anliegen wie die Erhal-tung von landwirtschaftlichem Kulturland und Wald der Schutz des Vogelzugs oder die Beduumlrfnisse der Luftfahrt sind zu beruumlcksichtigen Zudem ist zu beachten dass der Bau neuer Anlagen einen Ausbau des Energienetzes nach sich ziehen kann was wiederum zu Konflikten mit anderen raumrelevanten Interessen fuumlhrt

InteressenabwaumlgungUm die erneuerbare Energie wie geplant massiv foumlrdern zu koumlnnen muumlssen die notwendigen Anlagen rasch rea-lisiert werden In den hierzu notwendigen Bewilligungs- und Rechtsmittelverfahren muumlssen die Zielkonflikte der verschiedenen Interessen transparent gemacht und unter gleichberechtigter Abwaumlgung geloumlst werden Das gilt so-wohl fuumlr das konkrete Rechtsmittelverfahren vor Behoumlrden und Gerichten wie auch fuumlr eine vorgezogene Mediations-phase

Hier setzen die vom Bund initiierten Forschungen zur Energiewende auf drei Ebenen an Zunaumlchst muumlssen die Details der komplizierten Bewilligungsverfahren im Aus-tausch mit der Gerichtspraxis ausgearbeitet werden Das sorgt fuumlr Rechtssicherheit Auf einer zweiten Ebene gilt es die bestehenden kantonal reglementierten Verfahren zu vereinheitlichen und wenn moumlglich zu vereinfachen Damit es zu rechtsstaatlich tragfaumlhigen und sozial akzep-tierten Loumlsungen kommt sind die Rechte aller Beteiligten zu wahren jene von Gemeinden Kantonen und Bund als Behoumlrden von Energieunternehmen als Gesuchsteller so-wie von Nachbarn und beschwerdeberechtigten Verbaumln-den als Gegner Schliesslich sind auf einer dritten Ebene neue Hilfsmittel zu suchen mit denen Gebiete und Stand-orte bezeichnet werden koumlnnen die sich fuumlr die Nutzung erneuerbarer Energien besonders eignen Das Bewilli-gungsverfahren wird hiermit transparenter berechenbarer und ndash so die Hoffnung ndash kuumlrzer Mit klaren Rechtsgrund-lagen koumlnnen die Beteiligten zudem Loumlsungen suchen bevor es uumlberhaupt zum Rechtsstreit kommt Die geplante Foumlrderung erneuerbarer Energien kommt nicht ohne Veraumlnderungen in bestehenden demokrati-

Andreas AbeggProf Dr Andreas Abegg ist Leiter des Zen-trums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht an der ZHAW School of Management and Law Privatdozent an der Universitaumlt Fribourg und praktizierender Rechtsanwalt Er beschaumlf-tigt sich mit den rechtlichen Schnittpunkten zwischen Staat und Privaten insbesondere in den Bereichen Regulierung Verwaltungs-organisation und Energie Andreas Abegg forscht im Rahmen des vom Bund mitfinan-zierten Competence Center for Research in Energy Society and Transition (CREST) in der Forschungsgruppe Energy Policy Analysis

Reneacute WiederkehrProf Dr Reneacute Wiederkehr ist stellvertre-tender Leiter des Zentrums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht an der ZHAW School of Management and Law und Titularprofessor der Universitaumlt Luzern Er forscht und lehrt in den Bereichen Verwaltungsrecht und oumlf-fentliches Prozessrecht sowie im Rahmen des vom Bund mitfinanzierten Competence Center for Research in Energy Society and Transition (CREST) in der Forschungsgruppe Energy Policy Analysis

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Negawatt statt Megawatt

Energieeffizienzmassnahmen finanziell lohnen Zudem ver-fuumlgen kleine und mittlere Unternehmen selten uumlber Ener-gieverantwortliche oder Umweltbeauftragte die im Akqui-sitionsprozess gezielt angesprochen werden koumlnnen

Schwaumlchen bisheriger ProgrammeEine Umfrage der ZHAW bei Programmverantwortlichen zeigt diverse Schwaumlchen laufender Effizienzprogramme auf Ein haumlufiges Problem sind falsche Anreize So wird vornehmlich vermittelt wie mit Energieeffizienz Geld ge-spart wird Offensichtlich geht man davon aus dass Un-ternehmen praktisch nur uumlber finanzielle Anreize zu moti-vieren sind Bei den angepeilten KMU fallen Energiekosten jedoch kaum ins Gewicht Beratungsaufwand und Ergeb-nis stehen umso mehr im Missverhaumlltnis je weniger Ener-gie verbraucht wird Weiter scheinen die Programmver-antwortlichen ihre Zielgruppen kaum zu segmentieren und als unterschiedliche Kundensegmente wahrzunehmen Entsprechend beinhalten die meisten Programme ein Standardangebot mit einem breiten Spektrum an Mass-nahmen die oft nicht branchenspezifisch zugeschnitten sind Auch die Kundenansprache erfolgt in der Regel un-differenziert und die Moumlglichkeiten der Neuen Medien wer-den kaum genutzt

Keine langfristige PerspektiveEin Grossteil der Programme ist nicht auf Kundenbindung ausgelegt Insbesondere werden kaum Informationen er-fasst welche die Planung einer weiterfuumlhrenden Bezie-

Schweizer Unternehmen koumlnnten auf wirtschaftliche Art und Weise bis zu 30 Prozent ihres Energieverbrauchs ein-sparen Speziell bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) die immerhin 10 Prozent des Schweizer Stromver-brauchs verantworten ist das Sparpotenzial aber ungenuuml-gend ausgeschoumlpft

Energieeffizienzprogramme wirken nichtBehoumlrden Energieversorger und private Organisatio-nen haben in den letzten Jahren wiederholt Programme lanciert um Energieeinsparungen gezielt zu foumlrdern Al-lerdings haben bislang weniger als 1 Prozent der rund 300 000 Schweizer KMU an einem solchen Programm teilgenommen und die Umsetzungsquoten sind ebenfalls gering Uumlber die Gruumlnde die Unternehmen daran hindern an Energieeffizienzprogrammen teilzunehmen und ent-sprechende Massnahmen umzusetzen sind sich die Pro-grammverantwortlichen uneinig Oft werden Zeitmangel Priorisierung anderer Investitionen fehlende Mittel und zu lange Amortisationszeiten als Hemmnisse genannt Ge-nerell scheint es dass bei Kleinunternehmen Zeit- und Geldmangel eine wichtige Rolle spielen waumlhrend bei Un-ternehmen mittlerer Groumlsse eher der Mangel an Motiva tion und Bewusstsein ausschlaggebend ist Energiekosten machen bei KMU einen verschwindend kleinen Anteil der Gesamtkosten aus sodass die Prioritaumlten fuumlr Investitionen haumlufig anders liegen Man investiert beispielsweise lieber in Betriebsmittel zur Erhoumlhung der Produktivitaumlt als in die Reduktion der (bereits tiefen) Energiekosten obwohl sich

Energieeffizienz ist ein zentraler Pfeiler der Energiestrategie 2050 Die Schweiz gehoumlrt zu den Spitzenreitern punkto Energie effizienz auch dank ihrem dominanten Tertiaumlrsektor Dennoch liegen auch bei hiesigen Unternehmen grosse Sparpotenziale brach Wie diese genutzt werden koumlnnen untersucht die ZHAW in einem interdisziplinaumlren ProjektText Rolf Rellstab

Hochschulperspektive

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brauch betrifft erhoumlhte Arbeitssicherheit weniger Laumlrm-belastung oder geringerer Rohstoffverbrauch Der Wert solcher laquoNon-Energy Benefitsraquo kann fuumlr Unternehmen bis zu 250 Prozent der energetischen Einsparungen betra-gen Es geht also darum KMU gezielter auf die Chancen der Energieeffizienz hinzuweisen Schliesslich gilt es auch Unternehmen wissen zu lassen dass sich ihre Kunden fuumlr dieses Thema interessieren sowie ihnen dabei zu helfen ihr Energie effizienzengagement sichtbar zu machen Waumlh-rend bereits heute viele Unternehmen bestaumltigen dass sich ihr Image bei den Kunden durch die Teilnahme an einem Energieeffizienzprogramm verbessert hat achten erst wenige Firmen auch bei der Kommunikation darauf dass entsprechende Massnahmen gebuumlhrend bekannt gemacht werden

hung zu den Programmteilnehmenden ermoumlglichen wuumlr-den Angaben zu Stromverbrauch Houmlhe und Anteil der Energiekosten Anzahl Mitarbeitende und Umsatz waumlren wertvolle Informationen im Hinblick auf allfaumlllige Folgepro-gramme Im Vordergrund stehen zudem bei den meisten Programmen technische Loumlsungen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz Eine nachhaltige Verhaltensaumlnderung bei Mitarbeitenden oder auf Managementebene wird hingegen kaum verfolgt Auch ein Monitoring der Wirkung von Ener-gieeffizienzprogrammen ist bislang nicht vorhanden oder

wird zu wenig systematisch betrieben So wird zum Bei-spiel die effektive Energieeinsparung vielfach nicht erfasst und gepruumlft Das tatsaumlchliche Kosten-Nutzen-Verhaumlltnis einzuschaumltzen ist somit schwierig Dass die bestehenden Energieeffizienzprogramme inhaltlich durchaus Anklang finden zeigen Ruumlckmeldungen von Unternehmen die in der Vergangenheit daran teilgenommen haben Die Befrag-ten beurteilen ihre Erfahrungen mehrheitlich positiv Aus Sicht der Unternehmen lagen die Energieeinspar effekte im Bereich der Erwartungen Viele wuumlrden nochmals an einem solchen Programm teilnehmen was die oben ge-nannten Versaumlumnisse umso bedauerlicher macht

Wirksamkeit verbessernWie koumlnnen KMU zum Energiesparen motiviert werden Aus Marketingsicht beinhaltet ein sinnvolles Programm eine segmentspezifische Kundenansprache die den laquoReifegradraquo (Wissen Einstellungen und Verhalten) eines Unternehmens in Bezug auf Energieeffizienz beruumlcksich-tigt Zweitens braucht es eine klare Kundenbeziehungs-strategie welche eine wiederholte Teilnahme zum Ziel hat Bei den Anreizen einzig die finanziellen Aspekte wie etwa erwartete Kostensenkungen oder Foumlrderbeitraumlge hervor-zuheben scheint wenig erfolgversprechend Der Fokus wird in Zukunft wohl vermehrt darauf liegen denjenigen Nutzen hervorzuheben der nicht direkt den Energiever-

Rolf RellstabRolf Rellstab ist wissenschaftlicher Mit-arbeiter und Projektleiter am Institut fuumlr Marketing Management der ZHAW School of Management and Law Seine Arbeits-schwerpunkte liegen im Bereich Kommuni-kation Kundenbeziehungsmanagement und B-to-B-Marketing

Projektziel und VorgehensweiseIm ZHAW-Projekt laquoNegawatt statt Megawattraquo werden optimierte Vorgehensweisen entwickelt um KMU mit einem jaumlhrlichen Strom-verbrauch zwischen 10 und 500 MWh zum Energiesparen zu moti-vieren Der Begriff laquoNegawattraquo bezeichnet die eingesparte Energie die zu virtuellen Negawatt-Kraftwerken kombiniert wird So wird anschaulich aufgezeigt wie viel Energie dank diesen Einsparungen weniger produziert werden muss Das Projekt beinhaltet eine interna-tionale Literaturstudie zu den Erfolgsfaktoren und Hemmnissen von Energieeffizienzprogrammen eine Umfrage bei Anbietern solcher Programme sowie eine Befragung von KMU Aus den Ergebnissen dieser drei Teilstudien werden Hypothesen im Hinblick auf ein idea-les Energieeffizienzprogramm abgeleitet In einem Folgeprojekt sol-len die Hypothesen im Rahmen eines Pilotprogramms uumlberpruumlft und weiterentwickelt werden Das Projekt wird durch den WWF Schweiz die Stiftung Pro Evolution das Bundesamt fuumlr Energie (BFE) und die Elektrizitaumltswerke des Kantons Zuumlrich (EKZ) unterstuumltzt Weitere In-formationen wwwzhawchnegawatt

laquoEine nachhaltige Verhaltens - aumlnderung bei Mitarbeitenden oder auf Managementebene

wird kaum verfolgtraquo

Wie viel Heizoumll wird jaumlhrlich in Winterthur verbraucht

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Klima im Wandel ndash Emissionsrechte im Handel

Der Klimawandel laumlsst sich anhand des Treibhauseffekts veranschaulichen Die Treibhausgase bewirken dass kurz-welliges Sonnenlicht zur Erdoberflaumlche gelangt verhindern jedoch dass langwellige Waumlrmestrahlung von der Erde nach aussen dringt Somit kann die Waumlrme nicht mehr entweichen und die Temperatur steigt Der Ausstoss von Treibhausgasen die vor allem bei der Verbrennung von fossilen Energietraumlgern wie Kohle Gas und Oumll entstehen hat seit der industriellen Revolution stark zugenommen und den natuumlrlichen Treibhauseffekt verstaumlrkt Eine Zunahme der Haumlufigkeit und Intensitaumlt meteorologischer und hydro-logischer Grossereignisse wie Stuumlrme und Uumlberschwem-mungen sind die Folge ndash mit gravierenden oumlkologischen oumlkonomischen und sozialen Konsequenzen

Der 2013 veroumlffentlichte Bericht der internationalen Exper-tengruppe Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zeigt auf dass die globale Durchschnittstempera-tur in den letzten 130 Jahren um 085deg Celsius gestiegen

Der Klimawandel findet nicht in ferner Zukunft sondern bereits jetzt statt Um ihn fuumlr Mensch und Umwelt auf einem ertraumlg-lichen Niveau zu stabilisieren muumlssen die Treibhausgas-emissionen reduziert werden Der Emissionshandel soll dazu beitragen sie dort zu mindern wo die geringsten Kosten an-fallen So kann das gesetzte Mengenziel oumlkonomisch effizient erreicht werdenText Regina Betz

ist Ohne Minderungsanstrengungen wird bis 2100 ein mehr als fuumlnffacher Anstieg prognostiziert Um die Treib-hausgaskonzentration in der Atmosphaumlre auf einem fuumlr Mensch und Umwelt akzeptablen Niveau zu stabilisieren muss die Erwaumlrmung bei unter 2deg Celsius stagnieren Da-fuumlr muumlssen laut dem 2014 veroumlffentlichten Bericht des IPCC die globalen Treibhausgasemissionen (THGE) bis 2050 gegenuumlber 2010 mindestens halbiert und bis 2100 um rund 100 Prozent reduziert werden 1997 hat sich die internationale Staatengemeinschaft im Kyoto-Protokoll fuumlr die Jahre 2008 bis 2012 erstmals auf voumllkerrechtlich ver-bindliche Ziele fuumlr den Ausstoss von THGE in den entwi-ckelten Laumlndern geeinigt aktuell finden Verhandlungen fuumlr die Festlegung neuer Ziele statt

Cap and TradeZur Zielerreichung sieht das Kyoto-Protokoll unter ande-rem den Emissionshandel auf Staatenebene vor Zahl-reiche Laumlnder wenden dieses Instrument aber haumlufiger auf Unternehmensebene an Das Grundprinzip ist einfach Die Houmlchstmenge (Cap) an erlaubten Gesamtemissionen wird festgelegt und an die regulierten Unternehmen im Emissions rechtehandelssystem (EHS) verteilt Die Unter-nehmen sind verpflichtet fuumlr jede emittierte Tonne Kohlen-dioxid ein Emissionsrecht einzureichen ansonsten sind Sanktionszahlungen faumlllig Will ein Unternehmen uumlber die ihm zugeteilte Menge hinaus emittieren muss es ein an-deres Unternehmen finden das ihm die benoumltigte Menge an Emissionsrechten verkauft (Trade) Unternehmen mit hohen Minderungskosten werden dabei Emissionsrechte hinzukaufen und Unternehmen mit niedrigen Kosten wer-den ihre Emissionen mindern indem sie etwa Biomasse statt Kohle verbrennen und uumlberschuumlssige Emissions-rechte verkaufen Durch den Handel koumlnnen die erforder-lichen Emissionsminderungen dort realisiert werden wo sie mit den geringsten Kosten verbunden sind Am Markt stellt sich ein Preis fuumlr die Emissionsrechte ein der Ange-bot und Nachfrage zum Ausgleich bringt

So einfach das Prinzip ist so schwierig ist seine Umset-zung Das System bedingt dass die Regierungen Rech-te fuumlr die Nutzung der Atmosphaumlre schaffen die zu einer

Hochschulperspektive

22 COMPETENCE | 2014

Hochschulperspektive

Reduktion der Emissionen gegenuumlber einer Referenzent-wicklung fuumlhren dem sogenannten Business-as-usual-Szenario Doch die Abschaumltzung dieses Szenarios also der Entwicklung der Emissionen ohne Mengenbegren-zung ist schwierig wie die nachfolgenden Ausfuumlhrungen zum Emissionshandel in der EU zeigen

Der Emissionshandel in der EUDas EU-EHS ist der weltweit groumlsste Markt von Emissions-rechten Alle 28 EU-Staaten sowie Liechtenstein Island und Norwegen sind daran beteiligt Die Schweiz wuumlrde sich gerne anschliessen Das EU-EHS leidet seit seiner Einfuumlhrung im Jahr 2005 unter einem Uumlberangebot das sich mittlerweile auf rund 2 Milliarden Emissionsrechte be-laumluft Dies entspricht ungefaumlhr den vom System regulierten Emissionen eines Jahres Neben den unvorhergesehenen oumlkonomischen Entwicklungen durch die globale Finanz-krise traumlgt auch der starke Zubau an erneuer baren Ener-gien zu einem houmlheren Ruumlckgang der Emissio nen bei als geplant Der Hauptgrund fuumlr den derzeitigen Uumlberschuss liegt jedoch darin dass die regulierten Unternehmen ne-ben den Europaumlischen Emissionsrechten ndash European Union Allowances (EUAs) ndash auch auslaumlndische Emissions-minderungszertifikate ndash Certified Emission Reductions (CERs) ndash zu einem bestimmten Anteil anrechnen koumlnnen Mit dem sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) koumlnnen Industrienationen in Entwicklungslaumlndern emissionsmindernde Projekte finanzieren und sich die da-bei entstehenden THGE-Reduktionen mithilfe von CERs anrechnen lassen

Durch diese verschiedenen Faktoren hat sich ein Uumlberan-gebot entwickelt das den Preis der EUAs und CERs stark sinken liess Der Preis belaumluft sich derzeit auf rund fuumlnf Euro pro EUA Die bisherigen Reformanstrengungen wie etwa das sogenannte Backloading das Verschieben von Auktionen in spaumltere Jahre um die Menge zu verknappen haben bisher kaum zu einer Preiserhoumlhung gefuumlhrt

Die Schweiz als PreishochburgDer Schweizer Markt wuumlrde bei einem Zusammen-schluss nur rund 03 Prozent des EU-EHS ausmachen

Die Schweiz wuumlrde somit als Preisnehmerin agieren Das heisst der EU-Preis sollte auch in der Schweiz gelten Umso erstaunlicher ist es daher dass der Schweizer Preis pro Emissionsrecht derzeit bei rund 40 Franken liegt ob-wohl die Verbindung des Schweizer EHS mit dem EU-EHS geplant ist (sogenanntes Linking) Das auf der Basis des revidierten CO2-Gesetzes von 2012 und der CO2-Verord-nung verabschiedete System das den Emissionshandel am 1 Januar 2013 fuumlr 38 Unternehmen beziehungsweise 55 Anlagen in der Schweiz verbindlich eingefuumlhrt hat uumlber-nimmt weitestgehend die Regeln des EU-EHS Das neue System hat das bisherige freiwillige EHS in der Schweiz abgeloumlst Die im EHS erfassten Unternehmen sind von der CO2-Abgabe befreit Die hohe Kompatibilitaumlt des Schwei-zer EHS und des EU-EHS sollte ein schnelles Linking er-moumlglichen wobei die Verhandlungen durch die Annahme der Einwanderungsinitiative zum Stillstand gekommen sind Ein moumlglicher Erklaumlrungsansatz ist daher dass der hohe Preisunterschied die derzeitige Unsicherheit uumlber den Ausgang der Linking-Verhandlungen widerspiegelt Gehen die Schweizer Unternehmen davon aus dass kein Linking stattfindet sollte sich der Preis anhand der Minderungs-kosten und der Knappheit im Schweizer EHS bilden Fuumlr die Unternehmen ist es immer noch guumlnstiger den der-zeitigen Preis von 40 Franken fuumlr die Emissionsrechte zu bezahlen als eine Busse von 125 Franken pro fehlendes Emissionsrecht Zusaumltzlich zur Busse ist das Unternehmen verpflichtet die fehlenden Rechte im naumlchsten Jahr nach-zureichen Auch hier hat sich die Schweiz stark am EU-EHS orientiert bei dem die Busse bei 100 Euro pro EUA plus Wiedergutmachung liegt

Allokation beeinflusst den WettbewerbDie Gesamtmenge an Emissionsrechten (Cap) leitet sich aus den historischen Emissionen der teilnehmenden EHS-Unternehmen ab Fuumlr bestehende Anlagen die bereits vor 2013 am EHS in der Schweiz beteiligt waren setzt sie sich aus der Summe der durchschnittlich zugeteilten Emis-sionsrechte der ersten Verpflichtungsperiode (2008 bis 2012) zusammen fuumlr Anlagen die 2013 hinzukommen aus der Summe der durchschnittlichen Emissionen der

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fuumlr neue Anlagen in einer Reserve zuruumlckbehalten deren Uumlberschuumlsse zweimal jaumlhrlich versteigert werden Die Zu-teilung der Emissionsrechte hat etwas laumlnger gedauert so-dass sie in der Schweiz fuumlr die Jahre 2013 und 2014 erst im Februar 2014 erfolgte Das mag auch einer der Gruumlnde sein dass bisher kein Handel auf dem Sekundaumlrmarkt fuumlr den die Berner Kantonalbank eine eigene Emissions-handelsplattform bereitgestellt hat stattgefunden hat Das erste Preissignal war deshalb die Auktion der Uumlberschuumls-se aus der Neuemittentenreserve Diese fand vom 14 bis 21 Mai 2014 statt und erzielte fuumlr die 150 000 Emissions-rechte einen Preis von 4025 Franken pro Emissionsrecht

Wie sich die Liquiditaumlt im Schweizer Markt in Zukunft ent-wickeln wird und ob ein Linking mit dem EU-EHS und so-mit eine Angleichung der Schweizer Preise an die EU-EHS-Preise stattfinden wird bleibt abzuwarten Letzteres waumlre zwar aus oumlkonomischer Sicht zu begruumlssen da ein groumls-serer liquider Markt mit einheitlichem Preissignal als effizi-enter bewertet wird Aus oumlkologischer Sicht scheint jedoch ein Linking der Systeme ohne weitere Reformen des EU-EHS nicht wuumlnschenswert da es die Minderungsanreize in der Schweiz als Folge des Angebotsuumlberschusses an Emissionsrechten in der EU massiv reduzieren wuumlrde

Jahre 2009 bis 2011 Diese Summe wird jaumlhrlich um 174 Prozent reduziert analog der Regelung im EU-EHS

Neben der Festlegung der Obergrenze ist die Ausgestal-tung der Zuteilungsregeln politisch am schwierigsten da diese Verteilungswirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussen Bis 2012 wurden die Emissionsrechte in der EU daher groumlsstenteils kostenlos zugeteilt Seit 2013 werden rund 48 Prozent der Emissionsrechte versteigert wobei diese vor allem von Elektrizitaumltsfirmen gekauft wer-den muumlssen Da diese nicht im internationalen Wettbewerb

stehen konnten sie den Preis der gratis erhaltenen Emis-sionsrechte an die Elektrizitaumltskonsumenten weitergege-ben und hohe Gewinne erzielen Unternehmen aus Sek-toren die im internationalen Wettbewerb stehen koumlnnen hingegen die Kosten fuumlr die Emissionsrechte nicht an ihre Endkunden weitergeben ohne betraumlchtliche Nachteile in Kauf zu nehmen Es besteht daher das Risiko dass diese Firmen in Laumlnder ohne Klimapolitik abwandern Um dieses Risiko zu senken erhalten Unternehmen bei denen ein Risiko auf Abwanderung besteht auch in Zukunft weitest-gehend kostenlos Emissionsrechte zugeteilt Die Zuteilung basiert dabei auf sogenannten Benchmarks (Tonne Koh-lendioxid pro Tonne Produkt) die auf der Basis der effizi-entesten 10 Prozent der Unternehmen berechnet und mit historischen Produktionsdaten multipliziert werden

Noch kein Handel in der SchweizDie Schweiz hat die Benchmarks des EU-EHS uumlbernom-men Da in der Schweiz vor allem stark im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen aus den Sektoren Zement Papier Chemie Stahl und Raffinerien unter den Emissionshandel fallen werden fast alle Emissionsrechte kostenlos zugeteilt Ein kleiner Anteil von 5 Prozent wird

Regina BetzDr Regina Betz ist Dozentin fuumlr Energie- und Umweltoumlkonomie an der ZHAW School of Management and Law Seit 2014 leitet sie den volkswirtschaftlichen Teil der Ener-gy Policy Analysis Group des Zentrums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht das Mitglied des Schweizer Competence Centers for Research in Energy Society and Transition (CREST) ist Zuvor lehrte sie an der University of New South Wales Australia Umwelt- und Klimaoumlkonomie und leitete als Co-Direktorin das Centre for Energy and Environmental Markets (CEEM) 1998 bis 2004 arbeitete sie als Wissenschaftlerin am Fraunhofer-Institut fuumlr System- und Innovationsforschung ISI in Deutschland

laquoNeben der Festlegung der Ober grenze ist die Ausgestaltung der Zuteilungsregeln politisch am

schwierigsten da diese Verteilungs wirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussenraquo

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nicht vollstaumlndig genutzt werden kann In der Energiestra-tegie des Bundes ist gemaumlss einem Szenario bis 2050 ein Zubau auf knapp 12 TWh pro Jahr Stromproduktion aus Fotovoltaik angedacht Dies bedingt den Bau von Fotovol-taikanlagen mit einer installierten Spitzenleistung von etwa 12 Gigawattpeak (GWp) und einem Flaumlchenbedarf von rund 84 000 000 Quadratmetern Dieser Flaumlchenbedarf ist auf den bestehenden Daumlchern in der Schweiz verfuumlgbar

An einem schoumlnen Sommertag koumlnnen diese Anlagen dann also etwa 12 GW erzeugen die maximale Ver-brauchslast liegt im Sommer aber nur bei rund 8 GW Es entsteht ein Uumlberschuss von 4 GW die Speicherleistung der Schweizer Pumpspeicheranlagen betraumlgt heute aber nur 15 GW 25 GW Leistung koumlnnen in diesem Szenario also gar nicht genutzt werden An einem Wintertag mit Hochnebel erzeugen diese Anlagen uumlberhaupt keinen Strom die Verbrauchslast liegt aber mit 10 GW noch houml-her als im Sommer Hier entsteht eine Luumlcke die mit ande-ren Energieformen oder Importen gedeckt werden muss

Speichern uumlbertragen oder einsparenUm diesem Problem zu begegnen gibt es verschiedene Loumlsungsansaumltze Ein Ansatz ist die Energie lokal dort zu speichern wo sie erzeugt aber nicht sofort verbraucht werden kann In diesem Fall werden in erster Linie viele kleine Speichermodule benoumltigt die sowohl fuumlr kurz- als auch langfristigen Ausgleich sorgen muumlssen Eine andere Moumlglichkeit ist es die Energie an Orte zu uumlbertragen wo sie sofort verbraucht wird dann muss in erster Linie das Netz ausgebaut werden Schliesslich koumlnnte Energie auch zentral zu grossen Speichern transportiert werden was sowohl einen Netzausbau als auch neue Speichertechno-logien bedingen wuumlrde

Als die Gesellschaft noch aus Jaumlgern und Sammlern be-stand verbrauchte der Mensch seine Energie lokal dort wo er sie benoumltigte Er lebte von der Hand in den Mund Im Zuge der aufkommenden Landwirtschaft musste er Methoden entwickeln um Nahrung haltbar zu machen und sie zu transportieren Vor demselben Problem steht heute die Energiewirtschaft Ort und Zeit der erneuerbaren Energieerzeugung korrelieren je laumlnger je weniger mit dem Verbrauch Die Herausforderung der Energiewende ist deshalb nicht nur die Produktion selbst sondern auch die Uumlbertragung die Speicherung und das lokale Verbrauchs-last-Management

Saisonale Speicherung problematischMit dem Ausstieg aus der Kernenergie muumlssen in der Schweiz etwa 40 Prozent der produzierten elektrischen Energie ersetzt werden also rund 23 Terawattstunden (TWh) pro Jahr Im Gegensatz zur Kernenergie haben die neuen erneuerbaren Energien den Nachteil dass ihre Pro-duktion nicht steuerbar ist und unregelmaumlssig anfaumlllt Der Kapazitaumltsfaktor also das Verhaumlltnis von durchschnittlicher zu maximaler Leistung betraumlgt bei konventionellen Kraft-werken bis zu 100 Prozent bei Fotovoltaikanlagen dage-gen nur etwa 10 Prozent Hinzu kommen die starken saiso-nalen Schwankungen dieser stochastisch erzeugenden Energiequellen Im Winter liegt die Stromverbrauchsspitze mit circa 10 Gigawatt (GW) rund ein Drittel houmlher als im Sommer gleichzeitig liefern Fotovoltaikanlagen aufgrund des flacheren Einstrahlungswinkels und der kuumlrzeren Son-nenscheindauer wesentlich weniger Strom als im Sommer

Anhand eines Gedankenexperiments laumlsst sich veran-schaulichen dass das Potenzial der neuen erneuerbaren Energien ohne zusaumltzliche Speicher oder steuerbare Lasten

Energie haltbar machen

Der Ausbau von erneuerbaren Energiequellen geht so schnell voran dass Speicher- und Uumlbertragungstechnologien kaum mithalten koumlnnen Um Produktionsspitzen zu glaumltten braucht es Fortschritte in der EnergietechnikText Petr Korba

Hochschulperspektive

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Petr KorbaProf Dr Petr Korba ist Dozent und Fach-gruppenleiter fuumlr elektrische Energietechnik und Smart Grids an der ZHAW School of En-gineering Zuvor forschte er uumlber zehn Jahre bei ABB Schweiz in den Bereichen Automa-tion Energie- und Regelungstechnik

Scherrer Institut an der Power2Gas-Technologie Dabei wird Kohlendioxid mit Strom aus erneuerbaren Quellen durch Elektrolyse zu Wasserstoff oder weiter zu Methan verarbeitet Aumlhnlich wie bei der Nahrungsmittelproduktion wo Staumlrke schliesslich als raffinierter Zucker gespeichert wird gibt es auch bei der Stromspeicherung immer raffi-niertere Formen Bei jeder Umwandlung geht aber Energie verloren Man muss sich also gut uumlberlegen ob man uumlber-haupt speichern will und wenn ja uumlber welchen Zeitraum

Mit der wachsenden Integration von erneuerbaren Energi-en steigen auch die Anforderungen an die Energietechnik Unser kuumlnftiges Energiesystem wird staumlrker automatisiert und intelligenter sein Um erneuerbare Energiequellen zu integrieren werden Informations- und Kommunikations-technologien Automatisierungs- und Regelungstechnik Signalverarbeitung oder Wettervorhersagen immer wich-tiger In den intelligenten Stromnetzen der Zukunft wer-den alle beteiligten Komponenten Daten wie den aktuellen Verbrauch verfuumlgbare Strommengen oder lokale Aus-faumllle melden und gleichzeitig solche Daten aus anderen Netzkomponenten empfangen Das daraus resultierende Smart Grid ist ein Gefuumlge das selbststaumlndig auf diese Ein-fluumlsse reagiert und seine eigene Effizienz optimiert Es gilt Energie effizienter zu uumlbertragen um raumlumliche Distanzen zu uumlberwinden und neue Speichertechnologien zu entwi-ckeln um zeitliche Engpaumlsse zu uumlberbruumlcken Elektrische Energie kann auf verschiedene Arten erzeugt gespei-chert und uumlbertragen werden Jede Art hat ihre Vor- und Nachteile und ihren Preis Anreize aus der Politik werden schliesslich entscheiden welche Formen dies in der Zu-kunft sein werden

Auf der Verbraucherseite laumlsst sich die Nutzlast durch ge-eignetes Last-Management anpassen Diese Steuerung schaltet verbrauchsintensive Anlagen in Unternehmen gewerblichen Betrieben und Haushalten gezielt dann ein wenn die Stromtarife guumlnstig sind Es duumlrfte aber schwie-rig sein der Bevoumllkerung vorzuschreiben wann sie zum Beispiel fernsehen oder kochen darf Eine intelligente Re-gelung von grossen Kuumlhlhaumlusern stoumlrt dagegen nieman-den Trotz solchen Bestrebungen geht die International Energy Agency (IEA) davon aus dass der Stromverbrauch weltweit jaumlhrlich um rund 1 Prozent zunimmt Diese Ten-denz verstaumlrkt sich voraussichtlich noch falls sich der Bereich Mobilitaumlt von fossilen Energietraumlgern hin zur Elek-tromobilitaumlt verschieben wird Die Geschichte hat gezeigt dass der Energieverbrauch eigentlich nur in Krisenzeiten zuruumlckgeht

Klar ist jedenfalls dass der Ausbau von Speichern und Netzen Hand in Hand mit der zunehmenden Integration von erneuerbaren Energiequellen erfolgen muss Auf unter-schiedlichen Netzebenen kommen unterschiedliche Spei-chertechnologien zum Einsatz Waumlhrend fuumlr Haushalte mit kleinen Fotovoltaikanlagen und im Niederspannungsnetz bereits Batteriespeicher vorhanden sind stossen diese bei mehr als einer Windturbine oder groumlsseren Solarparks schnell an ihre Grenzen Das groumlsste Batterieenergie-speichersystem der Schweiz betreiben die Elektrizitaumlts-werke des Kantons Zuumlrich in Dietikon Es hat 1 Megawatt (MW) maximale Speicherleistung und kann diese waumlhrend ungefaumlhr 15 Minuten abgeben respektive speichern Die Spitzenlast im Schweizer Hochspannungsnetz liegt aber bei 8 GW im Sommer und 10 GW im Winter Die Schwei-zer Pumpspeicherkraftwerke koumlnnen unseren Strombe-darf nur etwa einen Monat lang decken Das europaumlische Hochspannungsnetz verfuumlgt uumlber eine Spitzenlast von circa 500 GW Um die Leistung von Grosskraftwerken wie Offshore-Windparks langfristig zu speichern braucht es neue Technologien

Raffinierte EnergiespeicherungDafuumlr forscht die ZHAW School of Engineering gemein-sam mit der ETH Zuumlrich der EPF Lausanne und dem Paul

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Hochschulperspektive

Dissonanz an der Steckdose

Mit der Energiestrategie 2050 haben Bundesrat und Parla-ment eine Kehrtwende in der Schweizer Energiepolitik ein-gelaumlutet der die wichtigsten politischen Huumlrden erst noch bevorstehen Auf den ersten Blick scheint der Kurswechsel breit abgestuumltzt Seit dem Reaktorunfall in Fukushima fuumlh-ren Umfragen immer wieder zum gleichen Ergebnis Der langfristige Ausstieg aus der Kernenergie findet eine Mehr-heit Im Grundsatz stossen erneuerbare Energien sowie Massnahmen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz auf hohe Zustimmung Was fuumlr den Stimmzettel gilt beeinflusst aber nicht automatisch das Konsum- und Investitionsverhalten der Energiekunden Die Bereitschaft aus eigenem Antrieb mehr fuumlr ein oumlkologisch houmlherwertiges Produkt aus neuen erneuerbaren Energietraumlgern zu bezahlen ist beschraumlnkt Nur wenige Haushalte sind zudem bereit ihren Energie- und insbesondere ihren Stromkonsum zu reduzieren wenn dies mit nicht amortisierbaren Investitionskosten oder einem moumlglichen Komfortverlust verbunden ist

Mit anderen Worten Effizienz wird als teuer und Suffizienz als bevormundend empfunden Die private Zahlungsbereit-schaft laumlsst sich zwar mit regulatorischen Interventionen wie fixen Einspeiseverguumltungen oder Investitionssubven-tionen in Effizienzmassnahmen etwas erhoumlhen Doch die Erfahrungen in Deutschland und der Schweiz zeigen dass solche Massnahmen oumlkonomisch ineffizient sind und oft als ungerecht empfunden werden Sie koumlnnen damit zum Bumerang fuumlr die Akzeptanz der energiepolitischen Ziele werden Neben den politischen Huumlrden ist somit auch die kognitive Huumlrde der Konsumenten zu beruumlcksichtigen De-ren Uumlberwindung bedarf zuerst einer differenzierten Analyse der Ursachen und danach der Entwicklung innovativer Ver-triebsmodelle und Produkte auf Versorgerseite

Eine Mehrheit der Bevoumllkerung unterstuumltzt den Ausstieg aus der Kernenergie doch nur wenige beziehen ein oumlkologisches Stromprodukt Warum das so ist und wie sich diese Dissonanz aufloumlsen laumlsst beschaumlftigt derzeit viele EnergieversorgerText Claudio Cometta

Indifferenz uumlberwiegtFuumlr viele Konsumenten ist die Strom- Gas- oder Fern-waumlrmerechnung ein verhaumlltnismaumlssig kleiner Posten im Haushaltsbudget dem wenig Beachtung geschenkt wird Die Schweiz ist sogar einer der Spitzenreiter in Europa machen die Stromkosten im Durchschnitt doch nicht mehr als 2 Prozent der Haushaltsausgaben aus Wenig Beachtung bedeutet auch wenig Kenntnis des Preises und der Menge der bezogenen Energieleistung oder der Zusammensetzung des Tarifs aus Energiekosten Netz-kosten und Abgaben Entsprechend besteht nur ein ge-ringes Interesse Energie und damit Kosten zu sparen Konsumentenbefragungen zeigen zudem dass nur eine kleine Minderheit der Kunden die Zusammensetzung ihres Stromprodukts nach Energietraumlgern kennt Die geringen Kosten und Unkenntnis des Produkts verhindern also die Wahl anderer Stromprodukte Strom ist ein klassisches Commodity-Produkt Man kann ihn weder sehen noch riechen Er ist verhaumlltnismaumlssig guumlnstig immer verfuumlgbar und aumlndert in keinerlei Hinsicht seine Eigenschaften wenn dafuumlr mehr bezahlt wird Zudem ist meist nicht sichtbar wer wie viel von welchem Produkt bezieht Der Strom-konsum ist Privatsache

Uumlberwindung durch VertriebsmodelleDie Vorgaben der Energiestrategie 2050 beinhalten nicht nur einen massiven Zubau der Produktionskapazitaumlt aus erneuerbaren Energietraumlgern sondern auch die kon-tinuierliche Reduktion des Energie- und insbesondere des Stromkonsums pro Kopf Die direkte Finanzierung der dazu notwendigen Investitionsvorhaben scheint an-gesichts der Indifferenz auf Konsumentenseite jedoch schwierig Aus diesem Grund sind mehrere Schweizer

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rund um Haushaltstechnik Sicherheit Pflege oder Kom-munikation sowie ein geschicktes Marketing mit Elemen-ten der sozialen Kontrolle Denkbar sind auch Anreize die keinen direkten Zusammenhang mit dem Energiekonsum aufweisen aber fuumlr breite Bevoumllkerungsgruppen attrak-tiv sind So haben etwa einzelne skandinavische Versor-ger damit begonnen energiesparendes Verhalten ihrer Kunden mit Verguumlnstigungen fuumlr die Nutzung oumlffentlicher Transportmittel zu belohnen

Uumlberwindung durch PartizipationDie wohl wirkungsvollste Massnahme zur Uumlberwindung der Dissonanz an der Steckdose ist bereits inhaumlrent in der Transformation des Energiesystems hin zu einer staumlrker dezentralen Erzeugung angelegt Kunden entwi-ckeln sich von passiven Leistungsempfaumlngern zu aktiven Leistungserbringern sogenannten Prosumern Als Klein-produzenten von Strom mit einer hauseigenen Fotovol-taikanlage oder thermischer Speicherleistung mit Kraft-Waumlrme-Kopplungsanlagen im Mikroformat werden sie mittelfristig wesentlich zum Umbau des Energiesystems und zu den Zielen der Energiestrategie beitragen koumlnnen Eine nicht ganz unbedeutende Rolle koumlnnten in Zukunft sogenannte Buumlrgerbeteiligungsmodelle fuumlr die Finanzie-rung neuer In frastrukturprojekte spielen Diese wuumlrden gleichzeitig die Akzeptanz sichtbarer Produktionsanlagen von neuen erneuerbaren Energien erhoumlhen Doch erst wenn das Produkt Strom nicht mehr als reines Commodity-Produkt wahrgenommen wird werden politische Meinung und Konsumverhalten bei einer Mehrheit der Stimmbuumlrger uumlbereinstimmen

Energieversoger in letzter Zeit dazu uumlbergegangen soge-nannte Default-Modelle einzufuumlhren die Stromprodukte aus erneuerbaren Quellen zum neuen Standard erheben Dabei macht man sich die Traumlgheit der Kunden zunutze indem die Wahl eines Stromprodukts aus nicht erneuer-baren Energietraumlgern als Option definiert wird die aktiv bestellt werden muss

Nicht zuletzt aufgrund solcher Modelle ist die Zahl der Schweizer Haushalte die ein Stromprodukt aus aus-schliesslich erneuerbaren Energien beziehen auf uumlber 25 Prozent gestiegen Doch weitere Vertriebsinnovationen werden notwendig sein etwa um der Herausforderung der Einspeisung von Strom aus fluktuierend nutzbaren Quellen (Solar- und Windenergie) in die Verteilnetze gewachsen zu sein die immer staumlrker ins Gewicht faumlllt In der Folge gilt es Investitionen in Netz- und Speichersysteme zu finan-zieren In innovativen Vertriebsmodellen welche dieser Herausforderung gerecht werden erhaumllt das Konsumver-halten einen Wert Zeitliche Flexibilitaumlt wird belohnt durch Tarifreduktion Bonus oder Vermeidung einer Gebuumlhr Wie diese beiden Beispiele zeigen laumlsst sich der Mehrwert von vermeintlichen Commodity-Produkten durch neue Vertriebsmodelle abschoumlpfen und als marktwirtschaftlich vertraumlglicher Finanzierungsmechanismus fuumlr neue Infra-strukturvorhaben im Energiesektor nutzen

Uumlberwindung durch innovative ProdukteNoch groumlsseres Potenzial birgt die Weiterentwicklung von Stromprodukten zu Leistungssystemen die fuumlr Energie-kunden einen echten Mehrwert bieten Hierzu gehoumlrt die Verknuumlpfung des Kernprodukts Strom mit Dienstleistun-gen die den Kunden ein transparenteres Verbrauchsver-halten sowie Kostenoptimierung ermoumlglichen Intelligente Stromzaumlhler sogenannte Smart Meter kombiniert mit fle-xiblen Tarifen und einem einfachen Feedback- und Steuer-system sind die Voraussetzung um zumindest oumlkologisch sensibilisierten oder kostenbewussten Endkunden einen Effizienzeffekt zu ermoumlglichen Damit solche Leistungs-systeme aber fuumlr die grosse Gruppe der Indifferenten interessant werden braucht es weitere Mehrwerte Dazu gehoumlren die Verknuumlpfung mit intelligenten Anwendungen

Claudio ComettaDr Claudio Cometta ist Dozent fuumlr Innovation und Entrepreneurship an der ZHAW School of Management and Law Er koordiniert den Aufbau des nationalen Energie-Kompetenz-zentrums SCCER 5 an der ZHAW

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Die Energiewende stellt die Energieversorgungsunternehmen in der Schweiz vor grosse Herausforderungen Das Beispiel von Stadtwerk Winterthur zeigt wie die Branche auf den Paradig-menwechsel reagiertText Florian Wehrli

Von den Anfaumlngen als laquoWinterthurer Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtungraquo vor uumlber 150 Jahren bis zum modernen Querverbundunternehmen hat sich Stadtwerk Winterthur kontinuierlich weiterentwickelt Seine Aufgabe ist aber gemaumlss Direktor Markus Saumlgesser weitgehend dieselbe geblieben die Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung zu verbes-sern So bietet das staumldtische Versorgungsunternehmen neben klassischen Produkten wie Wasser Strom Gas oder Kehrichtentsorgung und Abwasserreinigung heute auch Fernwaumlrme Haustechnik Glasfasernetz und Ener-gie-Contracting an Die Ausdehnung auf neue Geschaumlfts-bereiche will der Direktor aber nicht als Reaktion auf die Liberalisierung des Energiemarkts verstanden wissen laquoWir begegnen der Marktoumlffnung proaktiv und wollen die sich bietenden Chancen aktiv nutzenraquo

Lokales Potenzial ausgeschoumlpftIm liberalisierten Markt hat das staumldtische Versorgungs-unternehmen mit dem Monopol auf sein Energieversor-gungsnetz von gesamthaft mehr als 2 500 Kilometern einen Vorteil Dessen Unterhalt ist nach wie vor eine der Hauptaufgaben Im Gegensatz zu anderen Energieversor-gern betreibt Stadtwerk Winterthur naumlmlich einen verhaumllt-nismaumlssig geringen Anteil an eigenen Produktionsanlagen Das Flaggschiff ist die wohl modernste Kehrichtverwer-tungsanlage der Schweiz laquoMit dem Umbau konnten wir 2013 den Wirkungsgrad der Anlage um einen Drittel stei-gern und die Abluft gehoumlrt zu den saubersten weltweitraquo sagt Markus Saumlgesser Heute deckt die KVA 20 Prozent des Winterthurer Strom- und 12 Prozent des Waumlrmebe-darfs ab Auf solchen Lorbeeren ausruhen will sich Stadt-werk Winterthur aber nicht laquoWir wollen mithelfen eine nachhaltige Energiewirtschaft aufzubauenraquo Mittelfristig soll

die Haumllfte des Stromangebots aus erneuerbaren Quellen stammen laquoDas ist ein ehrgeiziges Zielraquo sagt Saumlgesser laquowir sind aber auf gutem Weg dazuraquo

Rund die Haumllfte des Rahmenkredits von 90 Millionen Franken fuumlr erneuerbaren Strom den das Winterthurer Stimmvolk 2012 bewilligt hat ist bereits investiert Im Bereich Fotovoltaik ist die Planung der groumlssten Anlagen abgeschlossen etwa auf den Daumlchern der Eishalle oder des Busdepots Eine aktuelle Windpotenzialstudie zeigt fuumlr Winterthur nur wenige moumlgliche Standorte auf zumal die Bewilligung solcher Anlagen mit grossem buumlrokratischem Aufwand verbunden sei Mit diversen Nahwaumlrmever-buumlnden nutzt Stadtwerk Winterthur auch Holzabfaumllle bereits sehr effizient Aber auch dieser Energietraumlger ist in Winterthur beschraumlnkt vorhanden Das letzte Projekt das Holz aus dem Winterthurer Stadtwald einsetzen wird ist in der Aufbauphase Studien im Bereich Wasserkraft haben gezeigt dass abgesehen von einem Kleinwasser-kraftwerk an der Toumlss in der Region kaum Potenzial vor-handen ist

Investitionen im AuslandlaquoDiese aufwendige Aufbauarbeit soll nicht zur Regel wer-denraquo sagt Markus Saumlgesser laquoDas limitierte Energiepoten-zial in der Schweiz und die beschwerlichen Instanzenwe-ge fuumlr Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie lassen uns deshalb vermehrt im Ausland investierenraquo 2012 be-teiligte sich das Stadtwerk mit 12 Millionen Franken am Kleinkraftwerk Birseck AG das Kleinwasserkraftwerke und Foto voltaikanlagen in der Schweiz und in Frankreich be-treibt 2013 folgte eine Beteiligung in der Houmlhe von 25 Mil-lionen Franken an der Swisspower Renewables AG die in

Vom Versorger zum Dienstleister

Unternehmensperspektive

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sein glaubt er aber nicht daran dass der Stromverbrauch insgesamt zuruumlckgehen wird laquoDafuumlr ist der Marktpreis zu niedrig Aus serdem wird Strom im Bereich Waumlrme und Mobilitaumlt einen Grossteil der fossilen Energietraumlger ersetzen muumlssenraquo Damit der geplante Verbrauchsruumlck-gang dennoch gelingt will der Bund Anreize schaffen Mit sogenannten weissen Zertifikaten will er die Versor-ger be lohnen wenn sie ihre Kunden zu einem geringeren Energie verbrauch bewegen In Grossbritannien Italien und Frankreich sind solche Modelle bereits im Einsatz Markus Saumlgesser sieht dieser Entwicklung mit gemischten Gefuumlh-len entgegen laquoWir haben bereits vor der Reaktorkatastro-phe in Fukushima auf Energieeffizienz gesetzt und konn-ten uns dadurch profilieren Weil die Politik nun eingreift und den Markt uumlbersteuert bleibt uns als Unternehmen weniger Spielraum um uns zu positionierenraquo

Windkraftanlagen im angrenzenden Ausland investiert Fuumlr die Beschaffung von Strom am freien Markt ist das Stadtwerk eine Zusammenarbeit mit der Trianel GmbH in Aachen ndash einer der fuumlhrenden Stadtwerke-Kooperationen in Europa ndash eingegangen Damit sollen insbesondere der Zugang zum Grosshandelsmarkt sowie die Marktfor-schung sichergestellt werden Denn um Kunden nachhal-tige Energieprodukte verkaufen zu koumlnnen muss man ihre Beduumlrfnisse genau kennen

Anreize fuumlr geringeren VerbrauchDie Strategie scheint aufzugehen laquoSeit der Einfuumlhrung der neuen Stromprodukte Anfang 2013 haben wir den Absatz von erneuerbarer Energie in Winterthur verdop-pelt und denjenigen von Oumlkostrom sogar vervierfachtraquo so Saumlgesser Trotz dem steigenden oumlkologischen Bewusst-

Gemaumlss seinem Leitbild soll Stadtwerk Winterthur mit einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der soziashylen Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Bild Michael Lio

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Ausgliederung aus der StadtverwaltungAuch auf kommunaler Ebene ist Stadtwerk Winterthur von den politischen Rahmenbedingungen abhaumlngig ndash mit allen Vor- und Nachteilen Die politischen Kurswechsel in den vorgesetzten Gremien seien hinderlich bei der Umsetzung der Strategie des Unternehmens laquoWir taumltigen Investitio-nen mit einem Planungshorizont von mehreren Jahrzehn-tenraquo sagt Markus Saumlgesser laquoin der Politik wird dagegen in Amtsperioden von vier Jahren gedachtraquo Es gibt deshalb Bestrebungen das Stadtwerk aus der Stadtverwaltung auszugliedern und einem langfristig operierenden Steue-rungsgremium zu unterstellen Bei der Stimmbevoumllkerung geniesst Stadtwerk Winterthur grossen Ruumlckhalt Alleine in den letzten zwei Jahren wurden vier Abstimmungsvor-lagen mit grossem Mehr angenommen darunter Rah-menkredite fuumlr das Energie-Contracting oder erneuerbare Energien laquoEine bessere Legitimation koumlnnen wir uns gar nicht wuumlnschenraquo sagt Markus Saumlgesser

Neue BetriebskulturStrategisch und energiepolitisch werden Dienstleistungen wie das Energie-Contracting fuumlr Stadtwerk Winterthur immer wichtiger laquoWir wollen unserer Kundschaft Waumlr-me oder Kaumllte gleich komfortabel anbieten koumlnnen wie Stromraquo sagt Markus Saumlgesser laquoImmobilienbesitzerinnen und -besitzer sollen sich nicht mehr um den Fuumlllstand ih-res Oumlltanks oder den Termin fuumlr den Kaminfeger kuumlmmern muumlssenraquo Das Energie-Contracting waumlchst stark und macht heute bereits rund 5 Prozent des Umsatzes von Stadtwerk Winterthur aus

Die neuen Geschaumlftsfelder ziehen auch andere Arbeits-kraumlfte an als bisher Verschiedene Betriebskulturen seien in den vergangenen Jahren teilweise parallel gelaufen be-ginnen nun aber langsam zu verschmelzen Ein Beispiel dafuumlr ist die Verknuumlpfung von Smart Metering und dem traditionellen Verteilnetz Elektrizitaumlt Als Voraussetzung fuumlr das Change-Management in der Betriebskultur habe man alle Mitarbeitenden in die Erarbeitung des Unterneh-mensleitbildes involviert Entstanden ist ein Leitbild das Stadtwerk Winterthur dabei unterstuumltzt die Unterneh-mensstrategie umzusetzen Stadtwerk Winterthur soll mit

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

Markus SaumlgesserMarkus Saumlgesser (52) ist diplomierter Ma-schineningenieur ETH und hat ein Nachdi-plomstudium in technischen Betriebswissen-schaften absolviert Seit Anfang 2011 ist er Direktor von Stadtwerk Winterthur Seine bisherige berufliche Taumltigkeit fuumlhrte Markus Saumlgesser nach zwei Jahren Assistenz an der ETH zu einem Ingenieurbuumlro fuumlr Ener-gie- und Haustechnik Waumlhrend dieser rund sechsjaumlhrigen Zeit war er bei anspruchsvol-len Bauprojekten verantwortlich fuumlr die Konzeption und Koordination der technischen Gebaumludeausruumlstung Zudem war er waumlhrend vier Jahren Mitglied der Geschaumlftsleitung Nach zweijaumlhriger Taumltigkeit als Abteilungsleiter in einer groumlsseren Gemeinde wechselte er zum Elek-trizitaumltswerk der Stadt Zuumlrich (EWZ) bei dem er die Abteilung Vertrieb Grosskunden leitete Daneben war Markus Saumlgesser beim EWZ in verschiedene Innovationsprojekte involviert So zeichnete er fuumlr das Projekt laquoStromzukunft Stadt Zuumlrichraquo verantwortlich das wichtige Grundlagen fuumlr die Strategie des EWZ und die Volksabstimmung zur 2000-Watt-Gesellschaft in der Stadt Zuumlrich beisteuerte

Stadtwerk Winterthur in Zahlen (2013)Mitarbeitende 347Nettoinvestitionen 1198 Mio CHFDurchgeleitete Strommenge 5643 Mio kWhUmsatz Strom 93 Mio CHFDurchgeleitete Gasmenge 5295 Mio kWhUmsatz Gas 411 Mio CHFUnternehmensgewinn 109 Mio CHF

einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der sozia-len Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Wann wurden in Winterthur die ersten Strassenlampen mithilfe von Stein-kohle erleuchtet

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Unternehmensperspektive

ckelte Hochspannungsgleichstromschalter sollen zudem sicherstellen dass etwa ein Kurzschluss durch eine hy-perschnelle Abschaltung isoliert und das Netz somit nicht gefaumlhrdet wird Von 14 solchen Schaltsystemen welt-weit stammen 13 von ABB Die hohen Investitionen fuumlr die armdicken Gleichstromkabel rechnen sich da beim Transport viel weniger Strom verloren geht als bei der tradi tionellen Wechselstromtechnik Die Produktelinie ent-wickelt sich zum Renner Sie wird zur Anbindung von So-lar- und Windparks zur Versorgung von Inseln als Ersatz fuumlr Diesel generatoren auf Oumll- und Gasplattformen auf See eingesetzt Oder um Starkstrom vom Festland zu auf dem Meeresboden platzierten ferngesteuerten Foumlrderanlagen fuumlr Gas und Oumll zu leiten ndash wofuumlr ABB auch wartungsfreie Kompressoren liefert damit Kunden wie Statoil und Pet-robras teure Ausfaumllle erspart bleiben

Komplettloumlsungen aus einer HandDank hohem Innovationstempo sind die Divisionen Ener-gietechnik- und Niederspannungsprodukte gut ausgelas-tet Dies gilt ebenso fuumlr die Divisionen Industrie- und Pro-zessautomation Speziell energieintensive Industrien die unter hohem Kostendruck stehen muumlssen ihre Anlagen auf dem neusten Stand halten Dazu zaumlhlen Bergbau Oumll- und Gasindustrie Zellstoff- Papier- und Zementfabriken Chemie- und Pharmafirmen sowie Raffinerien Gefragt sind auch Industrieroboter und schwenkbare dank ABB-Leistungselektronik stufenlos regulierbare Schiffsantrie-be ABB liefert Grosskunden fertige Loumlsungen die hohe Produktivitaumlt und Energieeffizienz gewaumlhrleisten Alles ist aufeinander abgestimmt von der Elektrik uumlber Antriebe Generatoren Roboter Sensoren und Steuerungen bis hin

Zu Beginn des Jahrtausends stand ABB am Abgrund Doch eine neue Fuumlhrungscrew fuumlhrte das Unternehmen aus der Krise sodass die Schweiz inzwischen wieder stolz sein kann auf ihren Industriemulti mit Sitz in Zuumlrich Oerli-kon 2013 erzielte ABB mit rund 148 000 Mitarbeitenden in 100 Laumlndern 42 Milliarden Dollar Umsatz Die renom-mierte US-Universitaumlt MIT zaumlhlt ABB zu den 50 innova-tivsten Unternehmen weltweit Dank 8 000 Ingenieuren in Forschung und Entwicklung und einem Forschungsetat von 15 Milliarden Dollar kann ABB selbst mit Giganten wie Siemens und General Electric mithalten

Innovationen die Technikfans begeisternWas ABB alles macht wissen wohl nur Technikfans Denn der Konzern hat uumlber 70 000 Produkte im Angebot Die 300 ABB-Fabriken liefern taumlglich 15 Millionen Kompo-nenten aus die zu elektrischen Einrichtungen oder in Pro-duktionssteuerungen verbaut werden Aus Kanada etwa kam juumlngst ein Grossauftrag uumlber 400 Millionen Dollar Erneuerbare Energie die auf Neufundland und Labrador gewonnen wird soll ab 2017 via Hochspannungskabel 360 Kilometer nach Westen fliessen um dort 350 000 Haumluser zu versorgen Weltweit gibt es erst 90 solche Gleichstromkabelverbindungen die meist unter der Erde oder auf dem Meeresgrund verlaufen ABB ist mit rund 50 Prozent Anteil Marktfuumlhrer Die futuristisch anmuten-de Technik in den abgeschirmten Hallen wo der Strom vor dem Transport auf Hochspannung transformiert wird erinnert an den Maschinenraum von Raumschiff Enter-prise Ein wichtiges Steuerungselement bilden dabei in Baden Daumlttwil entwickelte und in Lenzburg produzierte Spezialchips die Houmlchstspannung aushalten Neu entwi-

Der schweizerisch-schwedische Technikkonzern treibt an vor-derster Front die Energiewende voran Dafuumlr forscht man bei ABB intensiv zu erneuerbaren Energien schlauen Stromnetzen sowie hocheffizienten Industrieanlagen Einzig die schwache Nachfrage nach Energieanlagen in Europa bremst die ExpansionText Andreas Fluumltsch

Innovativer Treiber der Energiewende

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uumlber weite Strecken in die Ballungsraumlume geleitet werden muss brummt das Geschaumlft In den USA treibt der Oumll- und Gasboom die Nachfrage Nur in Europa harzt das Geschaumlft mit Grossanlagen Weniger Nachfrage belastet die Margen bei Auftraumlgen fuumlr Wind- und Solarfarmen so-wie fuumlr Netzinfrastruktur Die Risiken der oft mehrjaumlhrigen Projekte sind so hoch dass ABB waumlhlerischer sein muss und etwa das Geschaumlft mit Solarloumlsungen zurzeit auf Sparflamme betreibt Dennoch ist ABB immer noch hoch-profitabel nicht zuletzt da die Kosten Jahr fuumlr Jahr um 3 bis 5 Prozent gesenkt werden Aber der erfolgsgewohnte Konzern musste sich 2013 mit 6 Prozent Umsatzplus zu-friedengeben Umso intensiver treibt der neue ABB-Chef Ulrich Spiesshofer die Integration der vorab in den USA fuumlr 10 Milliarden Dollar getaumltigten Zukaumlufe voran Und Spiess-hofer forciert die Zusammenarbeit der Divisionen damit ABB die Unternehmensvision laquoEnergie und Produktivitaumlt fuumlr eine bessere Weltraquo mit moumlglichst vielen eigenen Pro-dukten realisieren kann

zur Leittechnik samt angepasster Software Kleine und mittlere Kunden ordern Komponenten oder Teilsysteme Ein wichtiges Verkaufsargument ist das Sparpotenzial von stufenlos steuerbaren Elektromotoren Nur einer von fuumlnf Motoren hat laut einer Erhebung des Bundes einen Leis-tungsregler der Rest laumluft auf Hochtouren und wird ndash man glaubt es kaum ndash bei Bedarf mit Klappen oder Ventilen mechanisch abgebremst Eine gigantische Verschwen-dung da Industriemotoren laut einer Studie der Schwei-zerischen Agentur fuumlr Energieeffizienz 27 Prozent des Schweizer Stromverbrauchs ausmachen

Europaumlische ZuruumlckhaltungEigentlich muumlsste die Division Energietechniksysteme ebenfalls ausgelastet sein Denn auch die Stromwirtschaft muss ihre Effizienz steigern Schliesslich erfordert die Energiewende einen Totalumbau der auf Verteilung ausge-richteten Netze damit diese unter der Last von Solar- und Windenergie nicht instabil werden Arbeit in Huumllle und Fuumllle fuumlr ABB sollte man meinen Doch der erst zaghafte Auf-schwung in Europa daumlmpft die Nachfrage Erschwerend kommt hinzu dass subventionierte Wind- und Solarener-gie in Europas liberalisiertem Strommarkt den Strompreis in ungeahnte Tiefen druumlckte Die Konkurrenzfaumlhigkeit von Wasser- Gas- und Atomkraftwerken hat gelitten Pump-speicher sind keine Goldesel mehr seit die erneuerbaren Energien die Preisspitzen brechen Entsprechend schie-ben Stromkonzerne wie Alpiq oder RWE Investitionen auf Unsicherheiten rund um den Atomausstieg belasten zu-saumltzlich Die voraussichtlich noch auf Jahre hinaus tiefen Strompreise schmaumllern auch die Faumlhigkeit der Besitzer von Hochspannungs- und Verteilnetzen deren Umruumlstung zu finanzieren hoch verschuldete EU-Staaten fahren die Foumlrderung von Wind- und Solarenergie zuruumlck

Straffe KostenkontrolleABB bekommt den Investitionsstau empfindlich zu spuuml-ren Die Division Energietechniksysteme schreibt seit eini-ger Zeit rote Zahlen Zwar ordern Grosskunden aus Asien und Lateinamerika weiterhin kraumlftig Neben China inves-tiert vermehrt auch Indien in neue Stromnetze Uumlberall dort wo die Bevoumllkerung rasch waumlchst oder der Strom

Andreas FluumltschAndreas Fluumltsch war urspruumlnglich Jurist und arbeitete ab 1983 als Journalist fuumlr laquoBlickraquo laquoWeltwocheraquo laquoBilanzraquo und laquoCashraquo Zwischen 1989 und 1990 war er Mitglied der Geschaumlftsleitung von Greenpeace Schweiz anschliessend Hausmann Nach der Ruumlck-kehr in den Journalismus 1992 arbeitete er bei laquoBlickraquo laquoSonntagszeitungraquo und laquoTages- Anzeigerraquo und absolvierte eine Ausbildung zum Boumlrsenhaumlndler Nach der Fruumlhpensio-nierung Ende 2013 machte er sich als Publi-zist selbststaumlndig

ABB in Zahlen (2013)Betriebsertrag 41 848 Mio USDBetriebsergebnis 4 387 Mio USDndash Industrieautomation 1 458 Mio USDndash Niederspannung 1 092 Mio USDndash Prozessautomation 990 Mio USDndash Energietechnik 1 331 Mio USDndash Energiesysteme 171 Mio USD

Mitarbeitende 147 700ndash davon in der Schweiz 6 966

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Hohe Nachfrage nach MinergieDer Erfolg der bisherigen Sparbemuumlhungen bleibt nicht aus laquoTrotz zunehmender Pro-Kopf-Wohnflaumlche und stei-gendem Komfort sinkt der Energieverbrauch fuumlrs Heizen in den letzten Jahrzehnten stetigraquo verkuumlndet der Zuumlrcher Regierungsrat im Energieplanungsbericht 2014 Dazu tra-gen nicht nur die laufend verschaumlrften Gesetze bei Ebenso wichtig ist die Bereitschaft von Bautraumlgerschaften freiwillig Uumlberdurchschnittliches zu leisten Vor allem die Minergie-Regeln werden inzwischen gerne befolgt weshalb Haumluser mit halbiertem Energieverbrauch beinahe Standard sind Schweizweit traumlgt eines von zehn neuen Wohnhaumlusern ein Minergie-Zertifikat Der Anteil an Minergie-Haumlusern im Grossraum Zuumlrich liegt gemaumlss einer Marktanalyse der Universitaumlt Zuumlrich bereits nahe bei 20 Prozent Dies ist privaten Hauseigentuumlmern und institutionellen Investoren zu verdanken Wohn- und Geschaumlftshaumluser mit houmlchster Energieeffizienz gehoumlren inzwischen zum guten Ton Den juumlngsten Beweis liefert eine Immobilienstiftung der Credit Suisse die 70 Millionen Franken in die groumlsste Oumlkosied-lung der Schweiz investiert Im Aargauer Reusstal wohnen seit diesem Jahr rund 200 Familien Paare und Singles deren Wohnhaumluser sich weitgehend selbst mit Sonnen-energie versorgen So klimafreundlich die Energiewende-Architektur ist der Investor erwartet dennoch marktuumlb-liche Renditen Ist der Markt aber bereit oumlkologisches Engagement angemessen zu honorieren

Marktpotenzial fruumlhzeitig erkanntDie Zuumlrcher Kantonalbank (ZKB) beziffert den Mehrwert von Minergie-Haumlusern auf 7 Prozent Kaumlufer seien bereit diesen Aufpreis fuumlr mehr Energieeffizienz zu bezahlen Als weitere Nebeneffekte nennt der vor drei Jahren publizierte ZKB-Bericht eine hochwertige dauerhafte Bausubstanz sowie die Absicherung gegen steigende Oumll- und Energie-preise Fachleute des Immobilienberatungsunternehmens Wuumlest amp Partner (WampP) warnen indes dass sich zusaumltz-liche Investitionen in die Energieeffizienz nicht uumlberall loh-nen laquoRegional schwankt die Zahlungsbereitschaft des Immobilienmarktsraquo praumlzisiert WampP-Partner Ivan Anton Minergie-Haumluser koumlnnen aber nicht nur in abgelegenen Regionen ein Marktrisiko werden laquoMit Ausnahme der

Beim Autokauf wird bevorzugt auf Pferdestaumlrken Be-schleunigung und Innenausstattung geachtet Der CO2-Ausstoss interessiert hingegen kaum So kommt die Energieeffizienz im Strassenverkehr nur stockend voran 1995 schluckten alle neu immatrikulierten Personen-wagen durchschnittlich 9 Liter Benzin pro 100 Kilometer 20 Jahre spaumlter liegt der Durchschnittsverbrauch gemaumlss Bundesamt fuumlr Energie (BFE) immer noch uumlber 6 Litern Das viel gepriesene laquoDrei-Liter-Autoraquo haben alle Hersteller wieder aus der Modellpalette genommen

Demgegenuumlber gelingen dem oft traumlge genannten Ge-baumludebereich weitaus groumlssere Effizienzspruumlnge Ver-brauchen 40 Jahre alte Haumluser im Schnitt 220 Kilowatt-stunden (kWh) Heizenergie pro Quadratmeter Wohnflaumlche und Jahr sind die aktuellen Werte unter die 50er-Marke gesunken Zusaumltzliche Sparerfolge sind nur eine Frage der Zeit Im Fruumlhsommer haben die kantonalen Energie-direktoren uumlber ein Rahmenabkommen beraten das Null-energieneubauten demnaumlchst zum Standard machen soll Wie die nationale Energiewende zu erreichen ist erklaumlrt Christoph Gmuumlr von der Abteilung Energie des Kantons Zuumlrich laquoDer spezifische Verbrauchswert ist zudem auf 35 kWh pro Quadratmeter zu senkenraquo Gebaumlude die sich mit umweltfreundlicher Energie selbst versorgen wollen auch die EU-Staaten Ab 2020 wird ein Gebaumludestandard eingefuumlhrt der nur noch laquoNiedrigstenergiegebaumluderaquo mit sehr hoher Energieeffizienz als Neubauten vorsieht

Energiesparhaumluser waren vor 30 Jahren Exoten inzwischen nimmt der Bereich der energie-effizienten Gebaumlude eine Vor-bildrolle fuumlr die Energie wende ein Bauherren profitieren davon ebenso wie die Zuliefer-branche Text Paul Knuumlsel

Expertensicht

Haumluser in der ersten Reihe

35COMPETENCE | 2014

der Bau von Niedrigenergiehaumlusern und alternativen Hei-zungsanlagen sowie energetische Gebaumludesanierungen Investitionen im Umfang von rund 4 Milliarden Franken ausgeloumlst rechnet der Bund vor laquoEin Fuumlnftel insgesamt 860 Millionen Franken stammt aus den oumlffentlichen Kas-senraquo verweist die BFE-Stelle EnergieSchweiz auf die Im-pulse der kantonalen Foumlrderprogramme Einen Wermuts-tropfen besitzt diese Wirkungsbilanz Fruumlhere Analysen der Energiesparprogramme zeigen naumlmlich dass zwi-schen einem Drittel und der Haumllfte der energetisch vorbild-lichen Gebaumlude auch ohne staatliche Foumlrderung realisiert worden waumlren Dem Mitnahmeeffekt ist auch die Eidge-noumlssische Steuerverwaltung auf der Spur Sie schaumltzt dass Bund und Kantonen jaumlhrlich 14 Milliarden Franken entgehen weil energetische Gebaumludesanierungen bei der Liegenschaftssteuer abzugsberechtigt sind Die Energie-wende erfordert nicht nur mehr Effizienz bei den Anwen-dungen sondern auch einen effizienten Einsatz staatlicher Mittel Im Energieplanungsbericht 2013 hat der Zuumlrcher Regierungsrat erstmals uumlber alternative Anreizsysteme nachgedacht Demnach soll eine Lenkungsabgabe den Energiekonsum reduzieren und das bisherige Foumlrdersys-tem abloumlsen Aumlhnliche Plaumlne verfolgt der Bund Denn ein Lenkungssystem duumlrfte weitere Sparbemuumlhungen im Ge-baumludebereich aber auch im Strassenverkehr foumlrdern Ins-besondere dann wenn Heizoumll und Benzin im Gleichschritt teurer werden

begehrten Wohnlagen haben Hauseigentuumlmer an vielen Orten mit moumlglichen Verkaufsverlusten zu rechnenraquo so Anton Zwar sei die Nachfrage bei Eigentuumlmern und Mie-tern aumlhnlich gross Aber auch Mieter wuumlrden nicht uumlberall mehr fuumlr eine energieeffiziente Wohnung bezahlen Kaum uumlberraschen darf daher dass Immobilieninvestoren immer haumlufiger die steigenden Energieanforderungen kritisieren und kostenguumlnstigere Baustandards vorziehen Fuumlr WampP-Berater Urs Hausmann ist laquonachhaltiges Bauen trotzdem keine Frage von Luxus oder Wohlstand sondern eine wie man mit Ressourcen umgehen willraquo Dass ein hohes Um-weltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauen Der Run auf den oumlkologischen Baustoff Holz laumlsst zum Beispiel eine gesamte Wertschoumlpfungskette und viele

innovative Unternehmen profitieren Forstbetriebe Sauml-gereien Fensterbauer Daumlmmstoffhersteller und andere Bauzulieferer vergroumlssern ihre Produktionskapazitaumlten und stellen zusaumltzliches Personal ein laquoDie Umsaumltze im Schweizer Holzbau sind in den letzten Jahren um mehrere Hundert Millionen Franken gestiegen und die Trendkurve zeigt weiter nach obenraquo freut sich Christoph Starck Di-rektor des Holzbaudachverbands Lignum

Einheimische Zulieferer als GewinnerAuch im Verein Minergie ist man sich bewusst dass sich energieeffizientes Bauen wirtschaftlich positiv auswirkt In den letzten 15 Jahren sind 25 000 Wohnhaumluser Buumlro-komplexe Schulbauten Sport- und Industriehallen mit Niedrig energiezertifikat entstanden Gemeinsam sparen sie 15 Milliarden Kilowattstunden Energie laquoUumlber 2 Milliar-den Franken wurden zusaumltzlich investiertraquo rechnet Miner-gie-Sprecher Antonio Milelli vor Anstatt fossile Brennstoffe einzukaufen wird mehr Geld fuumlr Daumlmmstoffe Isolierfenster Luumlftungsanlagen und Sonnenkollektoren aus inlaumlndischer Fabrikation ausgegeben Zwischen 2001 und 2012 haben

Paul KnuumlselPaul Knuumlsel studierte Umweltnaturwissen-schaften an der ETH Zuumlrich Er ist unabhaumln-giger Wissenschaftsjournalist und schreibt seit Jahren in Publikums- und Fachmedien uumlber die vielfaumlltigen Aspekte des nachhalti-gen Bauens Zusaumltzlich betreut er in der Re-daktion des laquoTEC21raquo das Ressort laquoEnergie und Umweltraquo

laquoDass ein hohes Umweltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren

derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauenraquo

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Der Wasserkraft Sorge tragen

Welchen Beitrag kann die Wasserwirtschaft zur Energie-wende leisten Roger Pfammatter Die Wasserkraft ist der energie-politische Trumpf der Schweiz Wir befinden uns in der gluumlcklichen Lage uumlber grosse Mengen Wasser und das notwendige Gefaumllle zu verfuumlgen ndash das sind die beiden wichtigsten Voraussetzungen fuumlr die hydroelektrische Produktion Und wir haben in den vergangenen 100 Jah-ren gelernt dieses Potenzial effizient und moumlglichst um-weltschonend zu nutzen Die Wasserkraft ist der Schluumls-sel fuumlr eine nachhaltige Energieversorgung technisch ausgereift politisch erwuumlnscht einheimisch erneuerbar und CO2-frei

Wie viel mehr ist moumlglichHeute leistet die Wasserkraft nicht nur rund 60 Prozent der Stromproduktion in der Schweiz sondern bietet auch unverzichtbare Regel- und Systemdienstleistungen die markant an Bedeutung gewinnen werden Vor allem bei der Flexibilisierung der Wasserkraft durch mehr Leistung und Speichervolumen waumlre noch einiges moumlglich Um die Aufgaben weiterhin zu gewaumlhrleisten muumlssen wir aber primaumlr dem Bestehenden Sorge tragen

Die Energiestrategie des Bundes gibt aber klare Ausbau-ziele vor Bis 2035 soll die Stromproduktion aus Wasser-kraft um 10 Prozent steigenUnter den momentanen Rahmenbedingungen ist dieses Ausbauziel nicht realistisch Im Gegenteil Aufgrund der Restwasserbestimmungen wird die Produktion in den naumlchsten Jahren vermutlich sogar zuruumlckgehen

Die Wasserkraft ist der wichtigste Pfeiler der Schweizer Ener-giewirtschaft ihr Potenzial ist aber weitgehend ausgeschoumlpft Roger Pfammatter Geschaumlftsfuumlhrer des Wasserwirtschaftsver-bands gibt im Interview Auskunft uumlber die Lage der Branche und ihre Bedeutung fuumlr die EnergiezukunftInterview Florian Wehrli

Expertensicht

Was muss sich aumlndern damit die vorgegebenen Ziele um-gesetzt werden koumlnnenZum einen braucht es dafuumlr die Akzeptanz der Umweltver-baumlnde der Fischer und letztlich der gesamten Bevoumllkerung Zum anderen muumlssen laumlngerfristig die extremen Marktver-zerrungen abgebaut werden damit sich auch Investitionen in die nicht gefoumlrderte Wasserkraft wieder lohnen Heute wird nur noch in subventionierte Anlagen investiert

Wer ist hier in der PflichtHier ist die Politik gefordert die Rahmenbedingungen zu verbessern Denn ohne die Wasserkraft kann die Energie-wende nicht gelingen

Anfang Jahr wurde der Wasserwirtschaftsverband von den zustaumlndigen Kommissionen angehoumlrt Welche Forderun-gen hat die Branche an das ParlamentWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerba-re Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichten die bereits bis zur Haumllfte der Geste-hungskosten ausmachen Damit sind wir doppelt diskrimi-niert Die Wasserkraft ist extrem unter Preisdruck ndash und dies obwohl sie mit Gestehungskosten zwischen 3 und 10 Rappen pro Kilowattstunde die effizienteste Strompro-duktionstechnologie ist Nur zum Vergleich Fotovoltaik -anlagen werden heute mit rund 40 Rappen subventioniert

Bis 2011 liess sich mit der Grosswasserkraft noch viel Geld verdienen Wurden zu wenige Ruumlcklagen fuumlr schlechte Zei-ten gebildet

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Es kann nicht der Sinn sein Ruumlcklagen fuumlr Zeiten zu bil-den in denen die Marktpreise die Gestehungskosten nicht mehr decken Das waumlre wie wenn ein Baumlcker auf jedem Gipfeli einige Rappen zuruumlckbehalten muumlsste damit er sie am naumlchsten Tag gratis abgeben kann Mit dem durch Subventionen verzerrten Marktpreis von 4 bis 5 Rappen pro Kilowattstunde ist unter den konventionellen Energie-traumlgern praktisch nur Kohle konkurrenzfaumlhig Das ist be-stimmt nicht im Sinn der Energiewende

Drei Grosswasserkraftprojekte sind heute bereits im Bau Koumlnnen die enormen Kosten uumlberhaupt amortisiert wer-denPrognosen sind schwierig An der europaumlischen Strom-boumlrse (EEX) werden bis 2020 Strompreise zwischen 45 und 53 Rappen pro Kilowattstunde gehandelt Der Markt glaubt also nicht an eine baldige Erholung Dafuumlr muumlsste das Uumlberangebot in Europa zuruumlckgehen etwa uumlber die Anhebung des CO2-Preises von heute 5 auf mindestens 30 Euro pro Tonne Politisch ist das aber kaum durchsetz-bar Neue Pumpspeicherwerke werden sich deshalb wohl erst in mehreren Jahrzehnten lohnen

Was kann die Kleinwasserkraft leistenOhne die kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) wuumlr-de niemand Kleinwasserkraftanlagen bauen genauso we-nig wie Fotovoltaik- Wind- oder Biomasseanlagen Zurzeit gibt es aber allein bei der Kleinwasserkraft rund 1 000 An-meldungen fuumlr Foumlrderbeitraumlge mit einem bescheidenen Ge-samtpotenzial von 33 Terawattstunden pro Jahr Die oumlko-logischen Auswirkungen sind im Vergleich zum Ertrag zu gross Obwohl wir von marktverzerrenden Foumlrderprogram-men wegkommen sollten waumlre es in einer Uumlbergangs phase sinnvoll die KEV-Obergrenze von 10 Mega watt aufzuheben und dort zu foumlrdern wo es wirklich etwas bringt

Wie soll die Grosswasserkraft unterstuumltzt werdenDas Sinnvollste waumlre die Abkehr von der Subventions-maschinerie ndash und zwar auf europaumlischer Ebene Dann wuumlrde sich die Wasserkraft als effiziente erneuerbare Stromproduktionsform mit Sicherheit durchsetzen Min-destens als Uumlbergangsloumlsung waumlre aber die Entlastung

von Abgaben in erster Linie vom Wasserzins dringend Der maximale Wasserzins wurde in den letzten vier Jahren um 38 Prozent erhoumlht und wird naumlchstes Jahr um weite-re 10 Prozent angehoben Diese Erhoumlhung wurde 2008 beschlossen und steht heute in keinerlei Bezug mehr zur Ertrags lage Kurzfristig koumlnnten die Kantone auf einen Teil dieser Zinsen verzichten ndash das waumlre ein wichtiges politi-sches Zeichen Langfristig muss ein neuer Modus fuumlr die Zinsberechnung gefunden werden der die Ertragslage der Wasserkraft mitberuumlcksichtigt Das ist auch im Interesse von Bund Kantonen und Gemeinden schliesslich ist die Wasserkraft zu 85 Prozent in oumlffentlicher Hand Ebenfalls als Uumlbergangsloumlsung bis zu besseren Marktpreisen waumlren zinsguumlnstige Darlehen fuumlr die noumltigen Investitionen in die Grosswasserkraft denkbar Ohne mindestens eine dieser Massnahmen kann die Wasserwirtschaft das geforderte Ausbauziel nicht erreichen

Bis dahin gibt es noch eine weitere Huumlrde den Heimfall der Stauanlagen an die Standortgemeinden Welchen Ein-fluss hat dieser UmstandWenn die Konzessionen nach 80 oder 100 Jahren aus-laufen muss der Betreiber der Gemeinde eine Entschaumldi-gung fuumlr den Restwert der Anlagen entrichten Im Fall der Staumauer Barberine bezahlen die SBB und Alpiq 2017 an sechs Walliser Gemeinden 343 Millionen Franken Das 400-Seelen-Dorf Finhaut erhaumllt alleine 112 Millionen Fran-ken und weiss kaum wohin mit dem Geld Der gesamte Wert des Heimfalls der Anlagen bewegt sich schweizweit im Milliardenbereich Der Houmlhepunkt des Heimfalls wird um 2035 erreicht werden Bis zu diesem Zeitpunkt soll aber auch ein Grossteil der geforderten Produktionsstei-gerung umgesetzt werden

Bei der Stromproduktion ist ein Ausbau von uumlber 10 Pro-zent wohl nicht realistisch Wie sieht es bei der Speicher-leistung aus Hier muss man unterscheiden zwischen kurzfristiger und saisonaler Speicherung Fuumlr die saisonale Speicherung verfuumlgt die Schweiz mit 200 Speicherseen uumlber ein Vo-lumen von rund 9 000 Gigawattstunden (GWh) die jedes Jahr vom Sommer in den Winter umgelagert werden Dies

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Expertensicht

entspricht einem Viertel der jaumlhrlichen Produktion aus Wasserkraft Das Ausbaupotenzial durch die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren betraumlgt rund 2 000 GWh Falls der Ausbau aber nicht gelingt entsteht im Winter durch den Ausfall der Kernenergie eine immer groumlssere Luumlcke an Bandenergie die durch den Import von Atom- oder Kohlestrom gedeckt werden muss

Wie sieht es beim Ausbau der Pumpleistung zum kurzfris-tigen Ausgleich von Schwankungen im Netz ausGrundsaumltzlich ist das Potenzial fuumlr Pumpspeicherwerke in der Schweiz riesig Es braucht nur zwei Seen auf unter-schiedlicher Houmlhe Die Frage ist ob sich solche Investi-tionen rechnen Die Pumpspeicherwerke finanzieren sich

uumlber den Preisunterschied zwischen Band- und Spitzen-energie Wenn an einem schoumlnen Sommertag in Europa mittags die geballte Ladung an Sonnen- und Windener-gie eingespeist wird koumlnnen die Pumpspeicherkraftwerke sehr guumlnstig oder sogar zu Negativpreisen Strom bezie-hen Man darf aber nicht vergessen dass dieselbe Situa-tion fuumlr die Laufwasserkraftwerke die rund die Haumllfte der Wasserkraftproduktion in der Schweiz ausmachen den gegenteiligen Effekt hat Diese koumlnnen aus technischen konzessionsrechtlichen oder oumlkologischen Gruumlnden nicht vom Netz genommen werden und muumlssen fuumlr ihre Strom-produktion bezahlen Das kann gehoumlrig ins Geld gehen An Weihnachten 2012 lag der Strompreis zum Beispiel bei minus 30 Rappen pro Kilowattstunde

Roger Pfammatter laquoWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerbare Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichtenraquo

Bild Florian Wehrli

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cherseen zur Flexibilisierung Damit das gelingt muss der Wert der Wasserkraft staumlrker im Bewusstsein der Bevoumllke-rung verankert sein Und nicht zuletzt muss der Marktpreis so weit uumlber den Gestehungskosten liegen dass sich In-vestitionen in die Wasserwirtschaft rentieren

Versuchen das Bestehende zu erhalten Diese Vision klingt etwas resigniertDas ist eine Frage der Perspektive Die Wasserkraft hat als Technologie in der Schweiz seit Langem Bestand Sie befindet sich in einer anderen Situation als Fotovoltaik und Windenergie die sich in einem hochdynamischen Umfeld mit grossem Potenzial in Forschung und Wachstum be-finden Die Wasserkraft ist dagegen nicht mehr in der Auf-bruchsphase sondern in der Konsolidierungsphase Da-fuumlr kann man sich auf die Wasserkraftwerke verlassen Sie produzieren bei Tag und in der Nacht im Sommer wie im Winter bei Windstille oder im Nebel Auch der Erhalt und die Optimierung des Bestehenden sind grosse Heraus-forderungen und bedingen grosse Investitionen

Sehen Sie eine Moumlglichkeit wie die Schweizer Wasser-wirtschaft in Zukunft Geld mit Systemdienstleistungen wie Netzstabilitaumlt verdienen kannDie unregelmaumlssig einspeisenden Stromproduzenten neh-men keinerlei Systemverantwortung wahr Ich habe selbst ein Solarpanel auf dem Dach Wenn Produktion moumlglich ist speise ich Strom ins Netz ein wenn nicht beziehe ich Die Produzenten mehr in die Verantwortung zu nehmen faumlnde ich sinnvoll ndash zum Beispiel uumlber Zertifikate fuumlr Spei-cherleistungen Diese koumlnnten bei Pumpspeicherwerken bezogen werden

Welcher Ausbau der Pumpspeicherleistung ist dafuumlr noumltigDie installierte Leistung betraumlgt heute rund 14 Gigawatt (GW) Mit den im Bau befindlichen und den geplanten An-lagen kann die Kapazitaumlt maximal auf 51 GW ausgebaut werden ndash etwa die Haumllfte der Jahreshoumlchstlast im Netz Damit die Schweizer Wasserkraft aber einen Beitrag zur Stabilitaumlt des europaumlischen Stromnetzes leisten kann muumlssten auch das Stauvolumen und die Leitungskapazi-taumlt erhoumlht werden Hier sind die Einsprachen von Anwoh-nern und Umweltverbaumlnden noch gravierender als bei den Anlagen selbst

Braucht es neue rechtliche Instrumente um den geplan-ten Ausbau durchsetzen zu koumlnnenEs braucht vor allem die Einsicht dass die Wasserkraft das Ruumlckgrat unserer Versorgungssicherheit ist und die Aus-wirkungen eines Ausbaus immer auch mit den Alternativen verglichen werden muumlssen Wir befinden uns aber auch in einem intensiv genutzten Land mit vielen Partikularinteres-sen Diese muumlssen gewichtet und abgewogen werden In der Abwaumlgung zwischen Landschaftsschutz und Wasser-nutzung waumlre es hilfreich wenn Grosswasserkraftanlagen den Status von nationalem Interesse erhalten

Wie soll die Schweizer Wasserwirtschaft im Jahr 2035 aussehenIch wuumlnsche mir dass die bestehende Infrastruktur auf dem heutigen Stand erhalten optimiert oumlkologisiert und im Idealfall etwas ausgebaut wird Dazu gehoumlren etwa die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren sowie neue Spei-

Roger PfammatterSeit seinem Ingenieurstudium an der ETH Zuumlrich hat er sich in ver-schiedenen Rollen dem Wasser verschrieben Nach sieben Lehr- und Wanderjahren in der Forschung und in der Entwicklungszusammen-arbeit war er zehn Jahre beim Ingenieurunternehmen Ernst Basler + Partner engagiert Seit 2010 ist er Geschaumlftsfuumlhrer des Schweizeri-schen Wasserwirtschaftsverbandes (SWV) und Herausgeber der Zeit-schrift laquoWasser Energie Luftraquo In diesen Funktionen setzt er sich ein fuumlr den Fachaustausch und gute Rahmenbedingungen in den Bereichen Wasserkraft und Hochwasserschutz

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Die globalen Energiemaumlrkte sind seit einigen Jahren stark in Bewegung Volatile Erdoumllpreise die Foumlrderung von un-konventionellen Gasvorkommen in grossem Stil die mas-sive Subventionierung von neuen erneuerbaren Energien in Deutschland der laquoarabische Fruumlhlingraquo und der Konflikt in der Ukraine hinterlassen Spuren Die Folge sind starke Verwerfungen an den Maumlrkten und fehlende Investitionssi-cherheit In diesem dynamischen und unsicheren Kontext will der Bund die bisherige Energiepolitik neu ausrichten ndash wahrlich eine Herkulesaufgabe Die Schweizer Wirtschaft verlangt dass der Bund bei der Neuausrichtung der Ener-giepolitik seinem in der Verfassung verankerten Auftrag nachkommt und sich fuumlr eine ausreichende sichere breit gefaumlcherte wirtschaftliche und umweltvertraumlgliche Ener-gieversorgung einsetzt Somit ist klar Die Energiestrate-gie 2050 muss in erheblichen Teilen optimiert und justiert werden Nur wenn vernetzt gedacht wird ist eine sichere Versorgung zu wettbewerbsfaumlhigen Preisen moumlglich

Prognosen klaffen weit auseinanderSeit Jahrzehnten bietet der Strommix aus Wasserkraft (knapp 60 Prozent) und Kernenergie (40 Prozent) Gewaumlhr fuumlr eine sichere klimafreundliche und wirtschaftliche Ener-gieversorgung Im Rahmen der Energiestrategie 2050 muss die Kernenergie langfristig ersetzt werden Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen zumal die Ziele des Bundes

Lebenselixier der Wirtschaft

Die Schweizer Wirtschaft ist auch in Zukunft auf eine sichere und wirtschaftliche Stromver-sorgung angewiesen Die Ener-giestrategie 2050 setzt stark auf Subventionen Dadurch entstehen Fehlanreize welche die Versorgungssicherheit ge-faumlhrdenText Kurt Lanz

Expertensicht

in Bezug auf das Potenzial der neuen erneuerbaren Ener-gien von Wunschdenken geleitet sind Die neuen erneuer-baren Energien werden sich langsamer entwickeln als an-gestrebt Der Bund rechnet mit rund 12 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2035 die Schweizer Wirtschaft mit 44 TWh Die vorsichtigeren Prognosen der Wirtschaft scheinen re-alistischer Dies zeigen exemplarisch die gescheiterten Geothermieprojekte in Basel und St Gallen Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Nachfrageprognosen Der Bund rechnet in seinen Szenarien mit einem Ruumlckgang des Stromverbrauchs pro Kopf von 16 Prozent zwischen 2000 und 2035 Die Schweizer Wirtschaft orientiert sich in ihren Szenarien am Verband Schweizerischer Elektrizitaumlts-unternehmen (VSE) der weiter mit einer steigenden Nach-frage rechnet Die Wirtschaft fordert von der Politik eine vernuumlnftige Planung aufgrund realistischer Schaumltzungen Die Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energiestrategie nicht gefaumlhrdet werden

Subventionen fuumlhren zu FehlanreizenDie Schweiz hat seit vielen Jahrzehnten erfolgreich die Wasserkraft vorangetrieben Aus politischen Gruumlnden wird nun die ndash unregelmaumlssige ndash Stromproduktion durch Sonnen- und Windenergie forciert Unsere sogenann-te kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) entspricht dem deutschen Foumlrdermodell Beide haben das gleiche Ziel Sie sollen erneuerbare Energien ausbauen indem sie neue Formen der Stromproduktion zur Marktreife brin-gen Weil das KEV-System die Sonnen- und Windenergie massiv foumlrdert kommt ein weiterer Ausbau der bewaumlhrten Wasserkraft nicht infrage Diese Entwicklung gefaumlhrdet die Versorgungssicherheit der Schweiz Auf den ersten Blick sinken zwar die Produktionskosten fuumlr Solarstrom gleich-zeitig steigen aber die Kosten fuumlr Speicherung und Inte-gration ins Netz spuumlrbar Auch ist der Ausbau von Solar- und Windenergie nur von beschraumlnktem Nutzen solange keine ausreichenden Speicherkapazitaumlten vorhanden sind Nur Preissignale koumlnnen das Investitionsverhalten von Stromproduzenten Netzbetreibern und Konsumen-ten sinnvoll lenken Subventionen sind zu beseitigen denn sie fuumlhren zu Fehlanreizen

41COMPETENCE | 2014

Alle Optionen offenhaltenOffenheit und Neugier gehoumlren zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft Kategorisches Abwehrverhalten und Denkverbote verhindern konstruktive Loumlsungsansaumltze und Innovation Eine sichere und kostenguumlnstige Strom-versorgung kann auch in Zukunft nur mit der notwendi-gen Offenheit gegenuumlber allen Technologien und Energie-

systemen garantiert werden Die Schweiz ist dank einer erfolgreichen Hochschulland-schaft und vielen Technolo-gieunternehmen gut geruumlstet Die verschiedenen Energie-systeme muumlssen faktenba-siert und ohne ideologische

Scheuklappen verglichen werden Nur so koumlnnen effizi-ente und umweltvertraumlgliche Loumlsungen gefunden werden Das heutige System der Foumlrderung der neuen erneuer-baren Energien ist durch ein marktorientiertes System ab-zuloumlsen Produzenten die nachfragegerecht einspeisen sollen eine houmlhere Verguumltung erhalten als andere Auch soll der Vorrang der Netzeinspeisung fuumlr subventionierte Energietraumlger aufgehoben werden

laquoDie Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit

des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energie strategie nicht

gefaumlhrdet werdenraquo

Schnellere Verfahren anstrebenGrundvoraussetzung fuumlr eine Neuausrichtung der Ener-giepolitik sind funktionierende Stromnetze Diese muumls-sen zwingend parallel zum Umbau der Stromproduktion weiterentwickelt werden Allein der noumltige Ausbau der Uumlbertragungsnetze belaumluft sich auf rund 1 000 Kilometer bis ins Jahr 2020 Erforderlich sind zudem Investitionen in alle Verteilernetzebenen Al-lerdings verzoumlgern komplizier-te Verfahren auf Kantons- und Bundesebene den Ausbau Ausserdem erwaumlchst praktisch jedem Projekt Widerstand von privater Seite was zu weiteren Verzoumlgerungen fuumlhrt Die Wirt-schaft fordert deshalb Bei Bewilligungen von Stromnetzen ist der Gang vors Bundesgericht nur noch bei Grundsatz-fragen moumlglich Umbauten sowie Spannungs- und Kapa-zitaumltserweiterungen koumlnnen ohne Planungsgenehmigung realisiert werden Ausserdem sind die Verfahren bei einer einzigen Leitbehoumlrde anzusiedeln

Spielfeld erweiternDie Schweiz ist seit jeher ein wichtiges Stromtransitland Schon seit den 90er-Jahren treibt die EU die Vereinheitli-chung des Binnenmarkts fuumlr Strom hin zu einem eigent-lichen EU-Strommarkt voran In der Schweiz erweist sich die gesetzliche Trennung von Grundversorgung und Markt diesbezuumlglich zunehmend als Hindernis Aus Sicht der Wirtschaft ist die vollstaumlndige Liberalisierung des Strom-markts eine zwingende Voraussetzung fuumlr eine erfolgrei-che energiepolitische Neuausrichtung

Eine Marktoumlffnung wuumlrde insbesondere auch den erneuer-baren Energien neue Chancen eroumlffnen und Zugang zu neuen Kunden gewaumlhren Von hoher Wichtigkeit ist auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU Je groumlsser der Anteil erneuerbarer Energien umso wichtiger ist die Einbettung in Europa denn Investitionen in Netze und Produktion koumlnnen in Koordination mit der EU wirkungsvoller und wahrscheinlich kostenguumlnstiger getaumltigt werden

Kurt LanzKurt Lanz ist Leiter Infrastruktur Energie und Umwelt sowie Geschaumlftsleitungsmitglied von economiesuisse dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft

Gut vernetzt ndash Vorschlaumlge der Schweizer Wirtschaftzur EnergiepolitikDie Publikation basiert auf der Grundlagenarbeit der breit abgestuumltz-ten Energiekommission von economiesuisse und macht konstruk-tive Vorschlaumlge fuumlr einen erfolgreichen energiepolitischen Weg der Schweiz Download unter wwweconomiesuissech

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

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Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

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Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

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Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 16: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

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Eine der wichtigsten Zielsetzungen der Energiewende wie sie der Bundesrat formuliert hat ist der Ausbau der er-neuerbaren Energien Der Anteil von Wasser- Wind- und Sonnenkraft sowie Erdwaumlrme am Energiemix soll massiv erhoumlht werden Die durchschnittliche inlaumlndische Produk-tion ndash ohne Wasserkraft ndash soll im Jahr 2020 bei mindes-tens 4 400 Gigawattstunden (GWh) und im Jahr 2035 bei mindestens 14 500 GWh liegen Bei der Produktion von Elektrizitaumlt aus Wasserkraft wird bis im Jahr 2035 ein Aus-bau der Produktion auf 37 400 GWh angestrebt Zum Ver-gleich Die Jahresproduktion des AKW Muumlhleberg liegt bei rund 2 600 GWh Das sind houmlchst ambitioumlse Ziele

Der geplante Ausbau der Nutzung von erneuerbaren Energien bedarf zahlreicher Anlagen ndash Windparks Was-serkraftwerke oder groumlsserer Solaranlagen ndash mit entspre-chend hohem Raumbedarf Der Bundesrat sieht nicht vor die Umwelt- und Heimatschutzgesetze massgeblich zu lo-ckern obwohl es regelmaumlssig zu Konflikten zwischen den Schutzinteressen und Energienutzungsanlagen sowie zu entsprechenden Gerichtsverfahren kommt ndash wie juumlngst im Goms bei der Planung eines Wasserkraftwerks (BGE 140 II 262 ff) Das Bundesgericht nimmt jeweils eine im Resul-tat schwer voraussehbare Interessenabwaumlgung vor und stellt die Leistung der Anlage sowie die Faumlhigkeit zeitlich flexibel und marktorientiert zu produzieren den Schutz-interessen gegenuumlber

Ein weiteres Problem besteht darin dass groumlssere Anla-gen bei der Nachbarschaft oder in einer breiteren Bevoumll-kerung keine Akzeptanz finden So waumlre zwar im Kanton

Loumlsungen suchen bevor es zum Rechtsstreit kommt

Hochschulperspektive

Der Bundesrat sieht im Rahmen der Energiestrategie 2050 vor den Anteil der erneuerbaren Energien massiv zu erhoumlhen Die vermehrte Nutzung erneuerbarer Energietraumlger fuumlhrt jedoch zu einem Interessenkonflikt zwischen Wirtschaftlichkeit umwelt-rechtlichen Anforderungen und sozialer Akzeptanz Diesen gilt es mit klaren rechtlichen Grundlagen zu loumlsenText Reneacute Wiederkehr und Andreas Abegg

Zuumlrich Wind vorhanden doch dreht sich dort bis heute keine einzige grosse Windturbine Gegen die einzige bis-her geplante Versuchsanlage am Stuumlssel oberhalb Baumlrets-wil hat eine Interessengemeinschaft Rekurs erhoben und will die geplante Windmessanlage bis vor Bundesgericht bekaumlmpfen Diese Probleme ndash die Kollision mit Schutz-interessen und die Angst vor Nachbarrekursen ndash koumlnnen im Ergebnis dazu fuumlhren dass die Energieunternehmen auf den Bau von Anlagen verzichten obwohl ein erhebli-ches Potenzial vorhanden waumlre

Loumlsungsansatz des BundesratsIm Rahmen der Energiepolitik 2050 schlaumlgt der Bundesrat vor dass die Kantone mit Unterstuumltzung des Bundes ein Konzept fuumlr den Ausbau der erneuerbaren Energien er-arbeiten und Gebiete fuumlr die Nutzung durch erneuerbare Energien bestimmen Nach der Genehmigung durch den Bund dient das Konzept den Kantonen als Grundlage fuumlr ihre Richtplanung Dadurch wird fuumlr die kommunalen und kantonalen Behoumlrden verbindlich festgelegt in welchen Gebieten Bewilligungen fuumlr erneuerbare Energieproduktio-nen erteilt werden koumlnnen

Welche Gebiete sich tatsaumlchlich fuumlr den Ausbau der er-neuerbaren Energien eignen ist bisher allerdings kaum erforscht worden Bund Kantonen und Gemeinden fehlen die Grundlagen um die Eignung von Standorten und Ge-bieten aus rechtlicher Sicht zu beurteilen Es ist deshalb einfacher ungeeignete Gebiete von der Nutzung auszu-nehmen Vor allem Gebiete welche fuumlr Natur- und Hei-matschutz wertvoll sind koumlnnen zu einer sogenannten

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schen und rechtsstaatlichen Verfahren aus So wurde zum Beispiel im Kanton Zuumlrich der Heimatschutz gegenuumlber dem Interesse an neuen Solaranlagen bereits zuruumlck-gestuft und das entsprechende Bewilligungsverfahren gestrafft Es wird sich gerade bei der Wahl von Stand-orten fuumlr die Nutzung erneuerbarer Energien zeigen ob die Energiewende ndash wie zuweilen befuumlrchtet ndash auf Kosten von Demokratie und Rechtsstaat sowie auf Kosten von Natur- und Heimatschutz geht oder ob wir die gegenwaumlr-tigen Strukturen unter transparenter und angemessener Wahrung aller Interessen anpassen koumlnnen um die an-spruchsvollen Energieziele zu erreichen

Negativzone fuumlhren Auch andere Anliegen wie die Erhal-tung von landwirtschaftlichem Kulturland und Wald der Schutz des Vogelzugs oder die Beduumlrfnisse der Luftfahrt sind zu beruumlcksichtigen Zudem ist zu beachten dass der Bau neuer Anlagen einen Ausbau des Energienetzes nach sich ziehen kann was wiederum zu Konflikten mit anderen raumrelevanten Interessen fuumlhrt

InteressenabwaumlgungUm die erneuerbare Energie wie geplant massiv foumlrdern zu koumlnnen muumlssen die notwendigen Anlagen rasch rea-lisiert werden In den hierzu notwendigen Bewilligungs- und Rechtsmittelverfahren muumlssen die Zielkonflikte der verschiedenen Interessen transparent gemacht und unter gleichberechtigter Abwaumlgung geloumlst werden Das gilt so-wohl fuumlr das konkrete Rechtsmittelverfahren vor Behoumlrden und Gerichten wie auch fuumlr eine vorgezogene Mediations-phase

Hier setzen die vom Bund initiierten Forschungen zur Energiewende auf drei Ebenen an Zunaumlchst muumlssen die Details der komplizierten Bewilligungsverfahren im Aus-tausch mit der Gerichtspraxis ausgearbeitet werden Das sorgt fuumlr Rechtssicherheit Auf einer zweiten Ebene gilt es die bestehenden kantonal reglementierten Verfahren zu vereinheitlichen und wenn moumlglich zu vereinfachen Damit es zu rechtsstaatlich tragfaumlhigen und sozial akzep-tierten Loumlsungen kommt sind die Rechte aller Beteiligten zu wahren jene von Gemeinden Kantonen und Bund als Behoumlrden von Energieunternehmen als Gesuchsteller so-wie von Nachbarn und beschwerdeberechtigten Verbaumln-den als Gegner Schliesslich sind auf einer dritten Ebene neue Hilfsmittel zu suchen mit denen Gebiete und Stand-orte bezeichnet werden koumlnnen die sich fuumlr die Nutzung erneuerbarer Energien besonders eignen Das Bewilli-gungsverfahren wird hiermit transparenter berechenbarer und ndash so die Hoffnung ndash kuumlrzer Mit klaren Rechtsgrund-lagen koumlnnen die Beteiligten zudem Loumlsungen suchen bevor es uumlberhaupt zum Rechtsstreit kommt Die geplante Foumlrderung erneuerbarer Energien kommt nicht ohne Veraumlnderungen in bestehenden demokrati-

Andreas AbeggProf Dr Andreas Abegg ist Leiter des Zen-trums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht an der ZHAW School of Management and Law Privatdozent an der Universitaumlt Fribourg und praktizierender Rechtsanwalt Er beschaumlf-tigt sich mit den rechtlichen Schnittpunkten zwischen Staat und Privaten insbesondere in den Bereichen Regulierung Verwaltungs-organisation und Energie Andreas Abegg forscht im Rahmen des vom Bund mitfinan-zierten Competence Center for Research in Energy Society and Transition (CREST) in der Forschungsgruppe Energy Policy Analysis

Reneacute WiederkehrProf Dr Reneacute Wiederkehr ist stellvertre-tender Leiter des Zentrums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht an der ZHAW School of Management and Law und Titularprofessor der Universitaumlt Luzern Er forscht und lehrt in den Bereichen Verwaltungsrecht und oumlf-fentliches Prozessrecht sowie im Rahmen des vom Bund mitfinanzierten Competence Center for Research in Energy Society and Transition (CREST) in der Forschungsgruppe Energy Policy Analysis

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Negawatt statt Megawatt

Energieeffizienzmassnahmen finanziell lohnen Zudem ver-fuumlgen kleine und mittlere Unternehmen selten uumlber Ener-gieverantwortliche oder Umweltbeauftragte die im Akqui-sitionsprozess gezielt angesprochen werden koumlnnen

Schwaumlchen bisheriger ProgrammeEine Umfrage der ZHAW bei Programmverantwortlichen zeigt diverse Schwaumlchen laufender Effizienzprogramme auf Ein haumlufiges Problem sind falsche Anreize So wird vornehmlich vermittelt wie mit Energieeffizienz Geld ge-spart wird Offensichtlich geht man davon aus dass Un-ternehmen praktisch nur uumlber finanzielle Anreize zu moti-vieren sind Bei den angepeilten KMU fallen Energiekosten jedoch kaum ins Gewicht Beratungsaufwand und Ergeb-nis stehen umso mehr im Missverhaumlltnis je weniger Ener-gie verbraucht wird Weiter scheinen die Programmver-antwortlichen ihre Zielgruppen kaum zu segmentieren und als unterschiedliche Kundensegmente wahrzunehmen Entsprechend beinhalten die meisten Programme ein Standardangebot mit einem breiten Spektrum an Mass-nahmen die oft nicht branchenspezifisch zugeschnitten sind Auch die Kundenansprache erfolgt in der Regel un-differenziert und die Moumlglichkeiten der Neuen Medien wer-den kaum genutzt

Keine langfristige PerspektiveEin Grossteil der Programme ist nicht auf Kundenbindung ausgelegt Insbesondere werden kaum Informationen er-fasst welche die Planung einer weiterfuumlhrenden Bezie-

Schweizer Unternehmen koumlnnten auf wirtschaftliche Art und Weise bis zu 30 Prozent ihres Energieverbrauchs ein-sparen Speziell bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) die immerhin 10 Prozent des Schweizer Stromver-brauchs verantworten ist das Sparpotenzial aber ungenuuml-gend ausgeschoumlpft

Energieeffizienzprogramme wirken nichtBehoumlrden Energieversorger und private Organisatio-nen haben in den letzten Jahren wiederholt Programme lanciert um Energieeinsparungen gezielt zu foumlrdern Al-lerdings haben bislang weniger als 1 Prozent der rund 300 000 Schweizer KMU an einem solchen Programm teilgenommen und die Umsetzungsquoten sind ebenfalls gering Uumlber die Gruumlnde die Unternehmen daran hindern an Energieeffizienzprogrammen teilzunehmen und ent-sprechende Massnahmen umzusetzen sind sich die Pro-grammverantwortlichen uneinig Oft werden Zeitmangel Priorisierung anderer Investitionen fehlende Mittel und zu lange Amortisationszeiten als Hemmnisse genannt Ge-nerell scheint es dass bei Kleinunternehmen Zeit- und Geldmangel eine wichtige Rolle spielen waumlhrend bei Un-ternehmen mittlerer Groumlsse eher der Mangel an Motiva tion und Bewusstsein ausschlaggebend ist Energiekosten machen bei KMU einen verschwindend kleinen Anteil der Gesamtkosten aus sodass die Prioritaumlten fuumlr Investitionen haumlufig anders liegen Man investiert beispielsweise lieber in Betriebsmittel zur Erhoumlhung der Produktivitaumlt als in die Reduktion der (bereits tiefen) Energiekosten obwohl sich

Energieeffizienz ist ein zentraler Pfeiler der Energiestrategie 2050 Die Schweiz gehoumlrt zu den Spitzenreitern punkto Energie effizienz auch dank ihrem dominanten Tertiaumlrsektor Dennoch liegen auch bei hiesigen Unternehmen grosse Sparpotenziale brach Wie diese genutzt werden koumlnnen untersucht die ZHAW in einem interdisziplinaumlren ProjektText Rolf Rellstab

Hochschulperspektive

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brauch betrifft erhoumlhte Arbeitssicherheit weniger Laumlrm-belastung oder geringerer Rohstoffverbrauch Der Wert solcher laquoNon-Energy Benefitsraquo kann fuumlr Unternehmen bis zu 250 Prozent der energetischen Einsparungen betra-gen Es geht also darum KMU gezielter auf die Chancen der Energieeffizienz hinzuweisen Schliesslich gilt es auch Unternehmen wissen zu lassen dass sich ihre Kunden fuumlr dieses Thema interessieren sowie ihnen dabei zu helfen ihr Energie effizienzengagement sichtbar zu machen Waumlh-rend bereits heute viele Unternehmen bestaumltigen dass sich ihr Image bei den Kunden durch die Teilnahme an einem Energieeffizienzprogramm verbessert hat achten erst wenige Firmen auch bei der Kommunikation darauf dass entsprechende Massnahmen gebuumlhrend bekannt gemacht werden

hung zu den Programmteilnehmenden ermoumlglichen wuumlr-den Angaben zu Stromverbrauch Houmlhe und Anteil der Energiekosten Anzahl Mitarbeitende und Umsatz waumlren wertvolle Informationen im Hinblick auf allfaumlllige Folgepro-gramme Im Vordergrund stehen zudem bei den meisten Programmen technische Loumlsungen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz Eine nachhaltige Verhaltensaumlnderung bei Mitarbeitenden oder auf Managementebene wird hingegen kaum verfolgt Auch ein Monitoring der Wirkung von Ener-gieeffizienzprogrammen ist bislang nicht vorhanden oder

wird zu wenig systematisch betrieben So wird zum Bei-spiel die effektive Energieeinsparung vielfach nicht erfasst und gepruumlft Das tatsaumlchliche Kosten-Nutzen-Verhaumlltnis einzuschaumltzen ist somit schwierig Dass die bestehenden Energieeffizienzprogramme inhaltlich durchaus Anklang finden zeigen Ruumlckmeldungen von Unternehmen die in der Vergangenheit daran teilgenommen haben Die Befrag-ten beurteilen ihre Erfahrungen mehrheitlich positiv Aus Sicht der Unternehmen lagen die Energieeinspar effekte im Bereich der Erwartungen Viele wuumlrden nochmals an einem solchen Programm teilnehmen was die oben ge-nannten Versaumlumnisse umso bedauerlicher macht

Wirksamkeit verbessernWie koumlnnen KMU zum Energiesparen motiviert werden Aus Marketingsicht beinhaltet ein sinnvolles Programm eine segmentspezifische Kundenansprache die den laquoReifegradraquo (Wissen Einstellungen und Verhalten) eines Unternehmens in Bezug auf Energieeffizienz beruumlcksich-tigt Zweitens braucht es eine klare Kundenbeziehungs-strategie welche eine wiederholte Teilnahme zum Ziel hat Bei den Anreizen einzig die finanziellen Aspekte wie etwa erwartete Kostensenkungen oder Foumlrderbeitraumlge hervor-zuheben scheint wenig erfolgversprechend Der Fokus wird in Zukunft wohl vermehrt darauf liegen denjenigen Nutzen hervorzuheben der nicht direkt den Energiever-

Rolf RellstabRolf Rellstab ist wissenschaftlicher Mit-arbeiter und Projektleiter am Institut fuumlr Marketing Management der ZHAW School of Management and Law Seine Arbeits-schwerpunkte liegen im Bereich Kommuni-kation Kundenbeziehungsmanagement und B-to-B-Marketing

Projektziel und VorgehensweiseIm ZHAW-Projekt laquoNegawatt statt Megawattraquo werden optimierte Vorgehensweisen entwickelt um KMU mit einem jaumlhrlichen Strom-verbrauch zwischen 10 und 500 MWh zum Energiesparen zu moti-vieren Der Begriff laquoNegawattraquo bezeichnet die eingesparte Energie die zu virtuellen Negawatt-Kraftwerken kombiniert wird So wird anschaulich aufgezeigt wie viel Energie dank diesen Einsparungen weniger produziert werden muss Das Projekt beinhaltet eine interna-tionale Literaturstudie zu den Erfolgsfaktoren und Hemmnissen von Energieeffizienzprogrammen eine Umfrage bei Anbietern solcher Programme sowie eine Befragung von KMU Aus den Ergebnissen dieser drei Teilstudien werden Hypothesen im Hinblick auf ein idea-les Energieeffizienzprogramm abgeleitet In einem Folgeprojekt sol-len die Hypothesen im Rahmen eines Pilotprogramms uumlberpruumlft und weiterentwickelt werden Das Projekt wird durch den WWF Schweiz die Stiftung Pro Evolution das Bundesamt fuumlr Energie (BFE) und die Elektrizitaumltswerke des Kantons Zuumlrich (EKZ) unterstuumltzt Weitere In-formationen wwwzhawchnegawatt

laquoEine nachhaltige Verhaltens - aumlnderung bei Mitarbeitenden oder auf Managementebene

wird kaum verfolgtraquo

Wie viel Heizoumll wird jaumlhrlich in Winterthur verbraucht

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Klima im Wandel ndash Emissionsrechte im Handel

Der Klimawandel laumlsst sich anhand des Treibhauseffekts veranschaulichen Die Treibhausgase bewirken dass kurz-welliges Sonnenlicht zur Erdoberflaumlche gelangt verhindern jedoch dass langwellige Waumlrmestrahlung von der Erde nach aussen dringt Somit kann die Waumlrme nicht mehr entweichen und die Temperatur steigt Der Ausstoss von Treibhausgasen die vor allem bei der Verbrennung von fossilen Energietraumlgern wie Kohle Gas und Oumll entstehen hat seit der industriellen Revolution stark zugenommen und den natuumlrlichen Treibhauseffekt verstaumlrkt Eine Zunahme der Haumlufigkeit und Intensitaumlt meteorologischer und hydro-logischer Grossereignisse wie Stuumlrme und Uumlberschwem-mungen sind die Folge ndash mit gravierenden oumlkologischen oumlkonomischen und sozialen Konsequenzen

Der 2013 veroumlffentlichte Bericht der internationalen Exper-tengruppe Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zeigt auf dass die globale Durchschnittstempera-tur in den letzten 130 Jahren um 085deg Celsius gestiegen

Der Klimawandel findet nicht in ferner Zukunft sondern bereits jetzt statt Um ihn fuumlr Mensch und Umwelt auf einem ertraumlg-lichen Niveau zu stabilisieren muumlssen die Treibhausgas-emissionen reduziert werden Der Emissionshandel soll dazu beitragen sie dort zu mindern wo die geringsten Kosten an-fallen So kann das gesetzte Mengenziel oumlkonomisch effizient erreicht werdenText Regina Betz

ist Ohne Minderungsanstrengungen wird bis 2100 ein mehr als fuumlnffacher Anstieg prognostiziert Um die Treib-hausgaskonzentration in der Atmosphaumlre auf einem fuumlr Mensch und Umwelt akzeptablen Niveau zu stabilisieren muss die Erwaumlrmung bei unter 2deg Celsius stagnieren Da-fuumlr muumlssen laut dem 2014 veroumlffentlichten Bericht des IPCC die globalen Treibhausgasemissionen (THGE) bis 2050 gegenuumlber 2010 mindestens halbiert und bis 2100 um rund 100 Prozent reduziert werden 1997 hat sich die internationale Staatengemeinschaft im Kyoto-Protokoll fuumlr die Jahre 2008 bis 2012 erstmals auf voumllkerrechtlich ver-bindliche Ziele fuumlr den Ausstoss von THGE in den entwi-ckelten Laumlndern geeinigt aktuell finden Verhandlungen fuumlr die Festlegung neuer Ziele statt

Cap and TradeZur Zielerreichung sieht das Kyoto-Protokoll unter ande-rem den Emissionshandel auf Staatenebene vor Zahl-reiche Laumlnder wenden dieses Instrument aber haumlufiger auf Unternehmensebene an Das Grundprinzip ist einfach Die Houmlchstmenge (Cap) an erlaubten Gesamtemissionen wird festgelegt und an die regulierten Unternehmen im Emissions rechtehandelssystem (EHS) verteilt Die Unter-nehmen sind verpflichtet fuumlr jede emittierte Tonne Kohlen-dioxid ein Emissionsrecht einzureichen ansonsten sind Sanktionszahlungen faumlllig Will ein Unternehmen uumlber die ihm zugeteilte Menge hinaus emittieren muss es ein an-deres Unternehmen finden das ihm die benoumltigte Menge an Emissionsrechten verkauft (Trade) Unternehmen mit hohen Minderungskosten werden dabei Emissionsrechte hinzukaufen und Unternehmen mit niedrigen Kosten wer-den ihre Emissionen mindern indem sie etwa Biomasse statt Kohle verbrennen und uumlberschuumlssige Emissions-rechte verkaufen Durch den Handel koumlnnen die erforder-lichen Emissionsminderungen dort realisiert werden wo sie mit den geringsten Kosten verbunden sind Am Markt stellt sich ein Preis fuumlr die Emissionsrechte ein der Ange-bot und Nachfrage zum Ausgleich bringt

So einfach das Prinzip ist so schwierig ist seine Umset-zung Das System bedingt dass die Regierungen Rech-te fuumlr die Nutzung der Atmosphaumlre schaffen die zu einer

Hochschulperspektive

22 COMPETENCE | 2014

Hochschulperspektive

Reduktion der Emissionen gegenuumlber einer Referenzent-wicklung fuumlhren dem sogenannten Business-as-usual-Szenario Doch die Abschaumltzung dieses Szenarios also der Entwicklung der Emissionen ohne Mengenbegren-zung ist schwierig wie die nachfolgenden Ausfuumlhrungen zum Emissionshandel in der EU zeigen

Der Emissionshandel in der EUDas EU-EHS ist der weltweit groumlsste Markt von Emissions-rechten Alle 28 EU-Staaten sowie Liechtenstein Island und Norwegen sind daran beteiligt Die Schweiz wuumlrde sich gerne anschliessen Das EU-EHS leidet seit seiner Einfuumlhrung im Jahr 2005 unter einem Uumlberangebot das sich mittlerweile auf rund 2 Milliarden Emissionsrechte be-laumluft Dies entspricht ungefaumlhr den vom System regulierten Emissionen eines Jahres Neben den unvorhergesehenen oumlkonomischen Entwicklungen durch die globale Finanz-krise traumlgt auch der starke Zubau an erneuer baren Ener-gien zu einem houmlheren Ruumlckgang der Emissio nen bei als geplant Der Hauptgrund fuumlr den derzeitigen Uumlberschuss liegt jedoch darin dass die regulierten Unternehmen ne-ben den Europaumlischen Emissionsrechten ndash European Union Allowances (EUAs) ndash auch auslaumlndische Emissions-minderungszertifikate ndash Certified Emission Reductions (CERs) ndash zu einem bestimmten Anteil anrechnen koumlnnen Mit dem sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) koumlnnen Industrienationen in Entwicklungslaumlndern emissionsmindernde Projekte finanzieren und sich die da-bei entstehenden THGE-Reduktionen mithilfe von CERs anrechnen lassen

Durch diese verschiedenen Faktoren hat sich ein Uumlberan-gebot entwickelt das den Preis der EUAs und CERs stark sinken liess Der Preis belaumluft sich derzeit auf rund fuumlnf Euro pro EUA Die bisherigen Reformanstrengungen wie etwa das sogenannte Backloading das Verschieben von Auktionen in spaumltere Jahre um die Menge zu verknappen haben bisher kaum zu einer Preiserhoumlhung gefuumlhrt

Die Schweiz als PreishochburgDer Schweizer Markt wuumlrde bei einem Zusammen-schluss nur rund 03 Prozent des EU-EHS ausmachen

Die Schweiz wuumlrde somit als Preisnehmerin agieren Das heisst der EU-Preis sollte auch in der Schweiz gelten Umso erstaunlicher ist es daher dass der Schweizer Preis pro Emissionsrecht derzeit bei rund 40 Franken liegt ob-wohl die Verbindung des Schweizer EHS mit dem EU-EHS geplant ist (sogenanntes Linking) Das auf der Basis des revidierten CO2-Gesetzes von 2012 und der CO2-Verord-nung verabschiedete System das den Emissionshandel am 1 Januar 2013 fuumlr 38 Unternehmen beziehungsweise 55 Anlagen in der Schweiz verbindlich eingefuumlhrt hat uumlber-nimmt weitestgehend die Regeln des EU-EHS Das neue System hat das bisherige freiwillige EHS in der Schweiz abgeloumlst Die im EHS erfassten Unternehmen sind von der CO2-Abgabe befreit Die hohe Kompatibilitaumlt des Schwei-zer EHS und des EU-EHS sollte ein schnelles Linking er-moumlglichen wobei die Verhandlungen durch die Annahme der Einwanderungsinitiative zum Stillstand gekommen sind Ein moumlglicher Erklaumlrungsansatz ist daher dass der hohe Preisunterschied die derzeitige Unsicherheit uumlber den Ausgang der Linking-Verhandlungen widerspiegelt Gehen die Schweizer Unternehmen davon aus dass kein Linking stattfindet sollte sich der Preis anhand der Minderungs-kosten und der Knappheit im Schweizer EHS bilden Fuumlr die Unternehmen ist es immer noch guumlnstiger den der-zeitigen Preis von 40 Franken fuumlr die Emissionsrechte zu bezahlen als eine Busse von 125 Franken pro fehlendes Emissionsrecht Zusaumltzlich zur Busse ist das Unternehmen verpflichtet die fehlenden Rechte im naumlchsten Jahr nach-zureichen Auch hier hat sich die Schweiz stark am EU-EHS orientiert bei dem die Busse bei 100 Euro pro EUA plus Wiedergutmachung liegt

Allokation beeinflusst den WettbewerbDie Gesamtmenge an Emissionsrechten (Cap) leitet sich aus den historischen Emissionen der teilnehmenden EHS-Unternehmen ab Fuumlr bestehende Anlagen die bereits vor 2013 am EHS in der Schweiz beteiligt waren setzt sie sich aus der Summe der durchschnittlich zugeteilten Emis-sionsrechte der ersten Verpflichtungsperiode (2008 bis 2012) zusammen fuumlr Anlagen die 2013 hinzukommen aus der Summe der durchschnittlichen Emissionen der

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fuumlr neue Anlagen in einer Reserve zuruumlckbehalten deren Uumlberschuumlsse zweimal jaumlhrlich versteigert werden Die Zu-teilung der Emissionsrechte hat etwas laumlnger gedauert so-dass sie in der Schweiz fuumlr die Jahre 2013 und 2014 erst im Februar 2014 erfolgte Das mag auch einer der Gruumlnde sein dass bisher kein Handel auf dem Sekundaumlrmarkt fuumlr den die Berner Kantonalbank eine eigene Emissions-handelsplattform bereitgestellt hat stattgefunden hat Das erste Preissignal war deshalb die Auktion der Uumlberschuumls-se aus der Neuemittentenreserve Diese fand vom 14 bis 21 Mai 2014 statt und erzielte fuumlr die 150 000 Emissions-rechte einen Preis von 4025 Franken pro Emissionsrecht

Wie sich die Liquiditaumlt im Schweizer Markt in Zukunft ent-wickeln wird und ob ein Linking mit dem EU-EHS und so-mit eine Angleichung der Schweizer Preise an die EU-EHS-Preise stattfinden wird bleibt abzuwarten Letzteres waumlre zwar aus oumlkonomischer Sicht zu begruumlssen da ein groumls-serer liquider Markt mit einheitlichem Preissignal als effizi-enter bewertet wird Aus oumlkologischer Sicht scheint jedoch ein Linking der Systeme ohne weitere Reformen des EU-EHS nicht wuumlnschenswert da es die Minderungsanreize in der Schweiz als Folge des Angebotsuumlberschusses an Emissionsrechten in der EU massiv reduzieren wuumlrde

Jahre 2009 bis 2011 Diese Summe wird jaumlhrlich um 174 Prozent reduziert analog der Regelung im EU-EHS

Neben der Festlegung der Obergrenze ist die Ausgestal-tung der Zuteilungsregeln politisch am schwierigsten da diese Verteilungswirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussen Bis 2012 wurden die Emissionsrechte in der EU daher groumlsstenteils kostenlos zugeteilt Seit 2013 werden rund 48 Prozent der Emissionsrechte versteigert wobei diese vor allem von Elektrizitaumltsfirmen gekauft wer-den muumlssen Da diese nicht im internationalen Wettbewerb

stehen konnten sie den Preis der gratis erhaltenen Emis-sionsrechte an die Elektrizitaumltskonsumenten weitergege-ben und hohe Gewinne erzielen Unternehmen aus Sek-toren die im internationalen Wettbewerb stehen koumlnnen hingegen die Kosten fuumlr die Emissionsrechte nicht an ihre Endkunden weitergeben ohne betraumlchtliche Nachteile in Kauf zu nehmen Es besteht daher das Risiko dass diese Firmen in Laumlnder ohne Klimapolitik abwandern Um dieses Risiko zu senken erhalten Unternehmen bei denen ein Risiko auf Abwanderung besteht auch in Zukunft weitest-gehend kostenlos Emissionsrechte zugeteilt Die Zuteilung basiert dabei auf sogenannten Benchmarks (Tonne Koh-lendioxid pro Tonne Produkt) die auf der Basis der effizi-entesten 10 Prozent der Unternehmen berechnet und mit historischen Produktionsdaten multipliziert werden

Noch kein Handel in der SchweizDie Schweiz hat die Benchmarks des EU-EHS uumlbernom-men Da in der Schweiz vor allem stark im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen aus den Sektoren Zement Papier Chemie Stahl und Raffinerien unter den Emissionshandel fallen werden fast alle Emissionsrechte kostenlos zugeteilt Ein kleiner Anteil von 5 Prozent wird

Regina BetzDr Regina Betz ist Dozentin fuumlr Energie- und Umweltoumlkonomie an der ZHAW School of Management and Law Seit 2014 leitet sie den volkswirtschaftlichen Teil der Ener-gy Policy Analysis Group des Zentrums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht das Mitglied des Schweizer Competence Centers for Research in Energy Society and Transition (CREST) ist Zuvor lehrte sie an der University of New South Wales Australia Umwelt- und Klimaoumlkonomie und leitete als Co-Direktorin das Centre for Energy and Environmental Markets (CEEM) 1998 bis 2004 arbeitete sie als Wissenschaftlerin am Fraunhofer-Institut fuumlr System- und Innovationsforschung ISI in Deutschland

laquoNeben der Festlegung der Ober grenze ist die Ausgestaltung der Zuteilungsregeln politisch am

schwierigsten da diese Verteilungs wirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussenraquo

24 COMPETENCE | 2014

nicht vollstaumlndig genutzt werden kann In der Energiestra-tegie des Bundes ist gemaumlss einem Szenario bis 2050 ein Zubau auf knapp 12 TWh pro Jahr Stromproduktion aus Fotovoltaik angedacht Dies bedingt den Bau von Fotovol-taikanlagen mit einer installierten Spitzenleistung von etwa 12 Gigawattpeak (GWp) und einem Flaumlchenbedarf von rund 84 000 000 Quadratmetern Dieser Flaumlchenbedarf ist auf den bestehenden Daumlchern in der Schweiz verfuumlgbar

An einem schoumlnen Sommertag koumlnnen diese Anlagen dann also etwa 12 GW erzeugen die maximale Ver-brauchslast liegt im Sommer aber nur bei rund 8 GW Es entsteht ein Uumlberschuss von 4 GW die Speicherleistung der Schweizer Pumpspeicheranlagen betraumlgt heute aber nur 15 GW 25 GW Leistung koumlnnen in diesem Szenario also gar nicht genutzt werden An einem Wintertag mit Hochnebel erzeugen diese Anlagen uumlberhaupt keinen Strom die Verbrauchslast liegt aber mit 10 GW noch houml-her als im Sommer Hier entsteht eine Luumlcke die mit ande-ren Energieformen oder Importen gedeckt werden muss

Speichern uumlbertragen oder einsparenUm diesem Problem zu begegnen gibt es verschiedene Loumlsungsansaumltze Ein Ansatz ist die Energie lokal dort zu speichern wo sie erzeugt aber nicht sofort verbraucht werden kann In diesem Fall werden in erster Linie viele kleine Speichermodule benoumltigt die sowohl fuumlr kurz- als auch langfristigen Ausgleich sorgen muumlssen Eine andere Moumlglichkeit ist es die Energie an Orte zu uumlbertragen wo sie sofort verbraucht wird dann muss in erster Linie das Netz ausgebaut werden Schliesslich koumlnnte Energie auch zentral zu grossen Speichern transportiert werden was sowohl einen Netzausbau als auch neue Speichertechno-logien bedingen wuumlrde

Als die Gesellschaft noch aus Jaumlgern und Sammlern be-stand verbrauchte der Mensch seine Energie lokal dort wo er sie benoumltigte Er lebte von der Hand in den Mund Im Zuge der aufkommenden Landwirtschaft musste er Methoden entwickeln um Nahrung haltbar zu machen und sie zu transportieren Vor demselben Problem steht heute die Energiewirtschaft Ort und Zeit der erneuerbaren Energieerzeugung korrelieren je laumlnger je weniger mit dem Verbrauch Die Herausforderung der Energiewende ist deshalb nicht nur die Produktion selbst sondern auch die Uumlbertragung die Speicherung und das lokale Verbrauchs-last-Management

Saisonale Speicherung problematischMit dem Ausstieg aus der Kernenergie muumlssen in der Schweiz etwa 40 Prozent der produzierten elektrischen Energie ersetzt werden also rund 23 Terawattstunden (TWh) pro Jahr Im Gegensatz zur Kernenergie haben die neuen erneuerbaren Energien den Nachteil dass ihre Pro-duktion nicht steuerbar ist und unregelmaumlssig anfaumlllt Der Kapazitaumltsfaktor also das Verhaumlltnis von durchschnittlicher zu maximaler Leistung betraumlgt bei konventionellen Kraft-werken bis zu 100 Prozent bei Fotovoltaikanlagen dage-gen nur etwa 10 Prozent Hinzu kommen die starken saiso-nalen Schwankungen dieser stochastisch erzeugenden Energiequellen Im Winter liegt die Stromverbrauchsspitze mit circa 10 Gigawatt (GW) rund ein Drittel houmlher als im Sommer gleichzeitig liefern Fotovoltaikanlagen aufgrund des flacheren Einstrahlungswinkels und der kuumlrzeren Son-nenscheindauer wesentlich weniger Strom als im Sommer

Anhand eines Gedankenexperiments laumlsst sich veran-schaulichen dass das Potenzial der neuen erneuerbaren Energien ohne zusaumltzliche Speicher oder steuerbare Lasten

Energie haltbar machen

Der Ausbau von erneuerbaren Energiequellen geht so schnell voran dass Speicher- und Uumlbertragungstechnologien kaum mithalten koumlnnen Um Produktionsspitzen zu glaumltten braucht es Fortschritte in der EnergietechnikText Petr Korba

Hochschulperspektive

25COMPETENCE | 2014

Petr KorbaProf Dr Petr Korba ist Dozent und Fach-gruppenleiter fuumlr elektrische Energietechnik und Smart Grids an der ZHAW School of En-gineering Zuvor forschte er uumlber zehn Jahre bei ABB Schweiz in den Bereichen Automa-tion Energie- und Regelungstechnik

Scherrer Institut an der Power2Gas-Technologie Dabei wird Kohlendioxid mit Strom aus erneuerbaren Quellen durch Elektrolyse zu Wasserstoff oder weiter zu Methan verarbeitet Aumlhnlich wie bei der Nahrungsmittelproduktion wo Staumlrke schliesslich als raffinierter Zucker gespeichert wird gibt es auch bei der Stromspeicherung immer raffi-niertere Formen Bei jeder Umwandlung geht aber Energie verloren Man muss sich also gut uumlberlegen ob man uumlber-haupt speichern will und wenn ja uumlber welchen Zeitraum

Mit der wachsenden Integration von erneuerbaren Energi-en steigen auch die Anforderungen an die Energietechnik Unser kuumlnftiges Energiesystem wird staumlrker automatisiert und intelligenter sein Um erneuerbare Energiequellen zu integrieren werden Informations- und Kommunikations-technologien Automatisierungs- und Regelungstechnik Signalverarbeitung oder Wettervorhersagen immer wich-tiger In den intelligenten Stromnetzen der Zukunft wer-den alle beteiligten Komponenten Daten wie den aktuellen Verbrauch verfuumlgbare Strommengen oder lokale Aus-faumllle melden und gleichzeitig solche Daten aus anderen Netzkomponenten empfangen Das daraus resultierende Smart Grid ist ein Gefuumlge das selbststaumlndig auf diese Ein-fluumlsse reagiert und seine eigene Effizienz optimiert Es gilt Energie effizienter zu uumlbertragen um raumlumliche Distanzen zu uumlberwinden und neue Speichertechnologien zu entwi-ckeln um zeitliche Engpaumlsse zu uumlberbruumlcken Elektrische Energie kann auf verschiedene Arten erzeugt gespei-chert und uumlbertragen werden Jede Art hat ihre Vor- und Nachteile und ihren Preis Anreize aus der Politik werden schliesslich entscheiden welche Formen dies in der Zu-kunft sein werden

Auf der Verbraucherseite laumlsst sich die Nutzlast durch ge-eignetes Last-Management anpassen Diese Steuerung schaltet verbrauchsintensive Anlagen in Unternehmen gewerblichen Betrieben und Haushalten gezielt dann ein wenn die Stromtarife guumlnstig sind Es duumlrfte aber schwie-rig sein der Bevoumllkerung vorzuschreiben wann sie zum Beispiel fernsehen oder kochen darf Eine intelligente Re-gelung von grossen Kuumlhlhaumlusern stoumlrt dagegen nieman-den Trotz solchen Bestrebungen geht die International Energy Agency (IEA) davon aus dass der Stromverbrauch weltweit jaumlhrlich um rund 1 Prozent zunimmt Diese Ten-denz verstaumlrkt sich voraussichtlich noch falls sich der Bereich Mobilitaumlt von fossilen Energietraumlgern hin zur Elek-tromobilitaumlt verschieben wird Die Geschichte hat gezeigt dass der Energieverbrauch eigentlich nur in Krisenzeiten zuruumlckgeht

Klar ist jedenfalls dass der Ausbau von Speichern und Netzen Hand in Hand mit der zunehmenden Integration von erneuerbaren Energiequellen erfolgen muss Auf unter-schiedlichen Netzebenen kommen unterschiedliche Spei-chertechnologien zum Einsatz Waumlhrend fuumlr Haushalte mit kleinen Fotovoltaikanlagen und im Niederspannungsnetz bereits Batteriespeicher vorhanden sind stossen diese bei mehr als einer Windturbine oder groumlsseren Solarparks schnell an ihre Grenzen Das groumlsste Batterieenergie-speichersystem der Schweiz betreiben die Elektrizitaumlts-werke des Kantons Zuumlrich in Dietikon Es hat 1 Megawatt (MW) maximale Speicherleistung und kann diese waumlhrend ungefaumlhr 15 Minuten abgeben respektive speichern Die Spitzenlast im Schweizer Hochspannungsnetz liegt aber bei 8 GW im Sommer und 10 GW im Winter Die Schwei-zer Pumpspeicherkraftwerke koumlnnen unseren Strombe-darf nur etwa einen Monat lang decken Das europaumlische Hochspannungsnetz verfuumlgt uumlber eine Spitzenlast von circa 500 GW Um die Leistung von Grosskraftwerken wie Offshore-Windparks langfristig zu speichern braucht es neue Technologien

Raffinierte EnergiespeicherungDafuumlr forscht die ZHAW School of Engineering gemein-sam mit der ETH Zuumlrich der EPF Lausanne und dem Paul

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Hochschulperspektive

Dissonanz an der Steckdose

Mit der Energiestrategie 2050 haben Bundesrat und Parla-ment eine Kehrtwende in der Schweizer Energiepolitik ein-gelaumlutet der die wichtigsten politischen Huumlrden erst noch bevorstehen Auf den ersten Blick scheint der Kurswechsel breit abgestuumltzt Seit dem Reaktorunfall in Fukushima fuumlh-ren Umfragen immer wieder zum gleichen Ergebnis Der langfristige Ausstieg aus der Kernenergie findet eine Mehr-heit Im Grundsatz stossen erneuerbare Energien sowie Massnahmen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz auf hohe Zustimmung Was fuumlr den Stimmzettel gilt beeinflusst aber nicht automatisch das Konsum- und Investitionsverhalten der Energiekunden Die Bereitschaft aus eigenem Antrieb mehr fuumlr ein oumlkologisch houmlherwertiges Produkt aus neuen erneuerbaren Energietraumlgern zu bezahlen ist beschraumlnkt Nur wenige Haushalte sind zudem bereit ihren Energie- und insbesondere ihren Stromkonsum zu reduzieren wenn dies mit nicht amortisierbaren Investitionskosten oder einem moumlglichen Komfortverlust verbunden ist

Mit anderen Worten Effizienz wird als teuer und Suffizienz als bevormundend empfunden Die private Zahlungsbereit-schaft laumlsst sich zwar mit regulatorischen Interventionen wie fixen Einspeiseverguumltungen oder Investitionssubven-tionen in Effizienzmassnahmen etwas erhoumlhen Doch die Erfahrungen in Deutschland und der Schweiz zeigen dass solche Massnahmen oumlkonomisch ineffizient sind und oft als ungerecht empfunden werden Sie koumlnnen damit zum Bumerang fuumlr die Akzeptanz der energiepolitischen Ziele werden Neben den politischen Huumlrden ist somit auch die kognitive Huumlrde der Konsumenten zu beruumlcksichtigen De-ren Uumlberwindung bedarf zuerst einer differenzierten Analyse der Ursachen und danach der Entwicklung innovativer Ver-triebsmodelle und Produkte auf Versorgerseite

Eine Mehrheit der Bevoumllkerung unterstuumltzt den Ausstieg aus der Kernenergie doch nur wenige beziehen ein oumlkologisches Stromprodukt Warum das so ist und wie sich diese Dissonanz aufloumlsen laumlsst beschaumlftigt derzeit viele EnergieversorgerText Claudio Cometta

Indifferenz uumlberwiegtFuumlr viele Konsumenten ist die Strom- Gas- oder Fern-waumlrmerechnung ein verhaumlltnismaumlssig kleiner Posten im Haushaltsbudget dem wenig Beachtung geschenkt wird Die Schweiz ist sogar einer der Spitzenreiter in Europa machen die Stromkosten im Durchschnitt doch nicht mehr als 2 Prozent der Haushaltsausgaben aus Wenig Beachtung bedeutet auch wenig Kenntnis des Preises und der Menge der bezogenen Energieleistung oder der Zusammensetzung des Tarifs aus Energiekosten Netz-kosten und Abgaben Entsprechend besteht nur ein ge-ringes Interesse Energie und damit Kosten zu sparen Konsumentenbefragungen zeigen zudem dass nur eine kleine Minderheit der Kunden die Zusammensetzung ihres Stromprodukts nach Energietraumlgern kennt Die geringen Kosten und Unkenntnis des Produkts verhindern also die Wahl anderer Stromprodukte Strom ist ein klassisches Commodity-Produkt Man kann ihn weder sehen noch riechen Er ist verhaumlltnismaumlssig guumlnstig immer verfuumlgbar und aumlndert in keinerlei Hinsicht seine Eigenschaften wenn dafuumlr mehr bezahlt wird Zudem ist meist nicht sichtbar wer wie viel von welchem Produkt bezieht Der Strom-konsum ist Privatsache

Uumlberwindung durch VertriebsmodelleDie Vorgaben der Energiestrategie 2050 beinhalten nicht nur einen massiven Zubau der Produktionskapazitaumlt aus erneuerbaren Energietraumlgern sondern auch die kon-tinuierliche Reduktion des Energie- und insbesondere des Stromkonsums pro Kopf Die direkte Finanzierung der dazu notwendigen Investitionsvorhaben scheint an-gesichts der Indifferenz auf Konsumentenseite jedoch schwierig Aus diesem Grund sind mehrere Schweizer

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rund um Haushaltstechnik Sicherheit Pflege oder Kom-munikation sowie ein geschicktes Marketing mit Elemen-ten der sozialen Kontrolle Denkbar sind auch Anreize die keinen direkten Zusammenhang mit dem Energiekonsum aufweisen aber fuumlr breite Bevoumllkerungsgruppen attrak-tiv sind So haben etwa einzelne skandinavische Versor-ger damit begonnen energiesparendes Verhalten ihrer Kunden mit Verguumlnstigungen fuumlr die Nutzung oumlffentlicher Transportmittel zu belohnen

Uumlberwindung durch PartizipationDie wohl wirkungsvollste Massnahme zur Uumlberwindung der Dissonanz an der Steckdose ist bereits inhaumlrent in der Transformation des Energiesystems hin zu einer staumlrker dezentralen Erzeugung angelegt Kunden entwi-ckeln sich von passiven Leistungsempfaumlngern zu aktiven Leistungserbringern sogenannten Prosumern Als Klein-produzenten von Strom mit einer hauseigenen Fotovol-taikanlage oder thermischer Speicherleistung mit Kraft-Waumlrme-Kopplungsanlagen im Mikroformat werden sie mittelfristig wesentlich zum Umbau des Energiesystems und zu den Zielen der Energiestrategie beitragen koumlnnen Eine nicht ganz unbedeutende Rolle koumlnnten in Zukunft sogenannte Buumlrgerbeteiligungsmodelle fuumlr die Finanzie-rung neuer In frastrukturprojekte spielen Diese wuumlrden gleichzeitig die Akzeptanz sichtbarer Produktionsanlagen von neuen erneuerbaren Energien erhoumlhen Doch erst wenn das Produkt Strom nicht mehr als reines Commodity-Produkt wahrgenommen wird werden politische Meinung und Konsumverhalten bei einer Mehrheit der Stimmbuumlrger uumlbereinstimmen

Energieversoger in letzter Zeit dazu uumlbergegangen soge-nannte Default-Modelle einzufuumlhren die Stromprodukte aus erneuerbaren Quellen zum neuen Standard erheben Dabei macht man sich die Traumlgheit der Kunden zunutze indem die Wahl eines Stromprodukts aus nicht erneuer-baren Energietraumlgern als Option definiert wird die aktiv bestellt werden muss

Nicht zuletzt aufgrund solcher Modelle ist die Zahl der Schweizer Haushalte die ein Stromprodukt aus aus-schliesslich erneuerbaren Energien beziehen auf uumlber 25 Prozent gestiegen Doch weitere Vertriebsinnovationen werden notwendig sein etwa um der Herausforderung der Einspeisung von Strom aus fluktuierend nutzbaren Quellen (Solar- und Windenergie) in die Verteilnetze gewachsen zu sein die immer staumlrker ins Gewicht faumlllt In der Folge gilt es Investitionen in Netz- und Speichersysteme zu finan-zieren In innovativen Vertriebsmodellen welche dieser Herausforderung gerecht werden erhaumllt das Konsumver-halten einen Wert Zeitliche Flexibilitaumlt wird belohnt durch Tarifreduktion Bonus oder Vermeidung einer Gebuumlhr Wie diese beiden Beispiele zeigen laumlsst sich der Mehrwert von vermeintlichen Commodity-Produkten durch neue Vertriebsmodelle abschoumlpfen und als marktwirtschaftlich vertraumlglicher Finanzierungsmechanismus fuumlr neue Infra-strukturvorhaben im Energiesektor nutzen

Uumlberwindung durch innovative ProdukteNoch groumlsseres Potenzial birgt die Weiterentwicklung von Stromprodukten zu Leistungssystemen die fuumlr Energie-kunden einen echten Mehrwert bieten Hierzu gehoumlrt die Verknuumlpfung des Kernprodukts Strom mit Dienstleistun-gen die den Kunden ein transparenteres Verbrauchsver-halten sowie Kostenoptimierung ermoumlglichen Intelligente Stromzaumlhler sogenannte Smart Meter kombiniert mit fle-xiblen Tarifen und einem einfachen Feedback- und Steuer-system sind die Voraussetzung um zumindest oumlkologisch sensibilisierten oder kostenbewussten Endkunden einen Effizienzeffekt zu ermoumlglichen Damit solche Leistungs-systeme aber fuumlr die grosse Gruppe der Indifferenten interessant werden braucht es weitere Mehrwerte Dazu gehoumlren die Verknuumlpfung mit intelligenten Anwendungen

Claudio ComettaDr Claudio Cometta ist Dozent fuumlr Innovation und Entrepreneurship an der ZHAW School of Management and Law Er koordiniert den Aufbau des nationalen Energie-Kompetenz-zentrums SCCER 5 an der ZHAW

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Die Energiewende stellt die Energieversorgungsunternehmen in der Schweiz vor grosse Herausforderungen Das Beispiel von Stadtwerk Winterthur zeigt wie die Branche auf den Paradig-menwechsel reagiertText Florian Wehrli

Von den Anfaumlngen als laquoWinterthurer Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtungraquo vor uumlber 150 Jahren bis zum modernen Querverbundunternehmen hat sich Stadtwerk Winterthur kontinuierlich weiterentwickelt Seine Aufgabe ist aber gemaumlss Direktor Markus Saumlgesser weitgehend dieselbe geblieben die Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung zu verbes-sern So bietet das staumldtische Versorgungsunternehmen neben klassischen Produkten wie Wasser Strom Gas oder Kehrichtentsorgung und Abwasserreinigung heute auch Fernwaumlrme Haustechnik Glasfasernetz und Ener-gie-Contracting an Die Ausdehnung auf neue Geschaumlfts-bereiche will der Direktor aber nicht als Reaktion auf die Liberalisierung des Energiemarkts verstanden wissen laquoWir begegnen der Marktoumlffnung proaktiv und wollen die sich bietenden Chancen aktiv nutzenraquo

Lokales Potenzial ausgeschoumlpftIm liberalisierten Markt hat das staumldtische Versorgungs-unternehmen mit dem Monopol auf sein Energieversor-gungsnetz von gesamthaft mehr als 2 500 Kilometern einen Vorteil Dessen Unterhalt ist nach wie vor eine der Hauptaufgaben Im Gegensatz zu anderen Energieversor-gern betreibt Stadtwerk Winterthur naumlmlich einen verhaumllt-nismaumlssig geringen Anteil an eigenen Produktionsanlagen Das Flaggschiff ist die wohl modernste Kehrichtverwer-tungsanlage der Schweiz laquoMit dem Umbau konnten wir 2013 den Wirkungsgrad der Anlage um einen Drittel stei-gern und die Abluft gehoumlrt zu den saubersten weltweitraquo sagt Markus Saumlgesser Heute deckt die KVA 20 Prozent des Winterthurer Strom- und 12 Prozent des Waumlrmebe-darfs ab Auf solchen Lorbeeren ausruhen will sich Stadt-werk Winterthur aber nicht laquoWir wollen mithelfen eine nachhaltige Energiewirtschaft aufzubauenraquo Mittelfristig soll

die Haumllfte des Stromangebots aus erneuerbaren Quellen stammen laquoDas ist ein ehrgeiziges Zielraquo sagt Saumlgesser laquowir sind aber auf gutem Weg dazuraquo

Rund die Haumllfte des Rahmenkredits von 90 Millionen Franken fuumlr erneuerbaren Strom den das Winterthurer Stimmvolk 2012 bewilligt hat ist bereits investiert Im Bereich Fotovoltaik ist die Planung der groumlssten Anlagen abgeschlossen etwa auf den Daumlchern der Eishalle oder des Busdepots Eine aktuelle Windpotenzialstudie zeigt fuumlr Winterthur nur wenige moumlgliche Standorte auf zumal die Bewilligung solcher Anlagen mit grossem buumlrokratischem Aufwand verbunden sei Mit diversen Nahwaumlrmever-buumlnden nutzt Stadtwerk Winterthur auch Holzabfaumllle bereits sehr effizient Aber auch dieser Energietraumlger ist in Winterthur beschraumlnkt vorhanden Das letzte Projekt das Holz aus dem Winterthurer Stadtwald einsetzen wird ist in der Aufbauphase Studien im Bereich Wasserkraft haben gezeigt dass abgesehen von einem Kleinwasser-kraftwerk an der Toumlss in der Region kaum Potenzial vor-handen ist

Investitionen im AuslandlaquoDiese aufwendige Aufbauarbeit soll nicht zur Regel wer-denraquo sagt Markus Saumlgesser laquoDas limitierte Energiepoten-zial in der Schweiz und die beschwerlichen Instanzenwe-ge fuumlr Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie lassen uns deshalb vermehrt im Ausland investierenraquo 2012 be-teiligte sich das Stadtwerk mit 12 Millionen Franken am Kleinkraftwerk Birseck AG das Kleinwasserkraftwerke und Foto voltaikanlagen in der Schweiz und in Frankreich be-treibt 2013 folgte eine Beteiligung in der Houmlhe von 25 Mil-lionen Franken an der Swisspower Renewables AG die in

Vom Versorger zum Dienstleister

Unternehmensperspektive

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sein glaubt er aber nicht daran dass der Stromverbrauch insgesamt zuruumlckgehen wird laquoDafuumlr ist der Marktpreis zu niedrig Aus serdem wird Strom im Bereich Waumlrme und Mobilitaumlt einen Grossteil der fossilen Energietraumlger ersetzen muumlssenraquo Damit der geplante Verbrauchsruumlck-gang dennoch gelingt will der Bund Anreize schaffen Mit sogenannten weissen Zertifikaten will er die Versor-ger be lohnen wenn sie ihre Kunden zu einem geringeren Energie verbrauch bewegen In Grossbritannien Italien und Frankreich sind solche Modelle bereits im Einsatz Markus Saumlgesser sieht dieser Entwicklung mit gemischten Gefuumlh-len entgegen laquoWir haben bereits vor der Reaktorkatastro-phe in Fukushima auf Energieeffizienz gesetzt und konn-ten uns dadurch profilieren Weil die Politik nun eingreift und den Markt uumlbersteuert bleibt uns als Unternehmen weniger Spielraum um uns zu positionierenraquo

Windkraftanlagen im angrenzenden Ausland investiert Fuumlr die Beschaffung von Strom am freien Markt ist das Stadtwerk eine Zusammenarbeit mit der Trianel GmbH in Aachen ndash einer der fuumlhrenden Stadtwerke-Kooperationen in Europa ndash eingegangen Damit sollen insbesondere der Zugang zum Grosshandelsmarkt sowie die Marktfor-schung sichergestellt werden Denn um Kunden nachhal-tige Energieprodukte verkaufen zu koumlnnen muss man ihre Beduumlrfnisse genau kennen

Anreize fuumlr geringeren VerbrauchDie Strategie scheint aufzugehen laquoSeit der Einfuumlhrung der neuen Stromprodukte Anfang 2013 haben wir den Absatz von erneuerbarer Energie in Winterthur verdop-pelt und denjenigen von Oumlkostrom sogar vervierfachtraquo so Saumlgesser Trotz dem steigenden oumlkologischen Bewusst-

Gemaumlss seinem Leitbild soll Stadtwerk Winterthur mit einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der soziashylen Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Bild Michael Lio

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Ausgliederung aus der StadtverwaltungAuch auf kommunaler Ebene ist Stadtwerk Winterthur von den politischen Rahmenbedingungen abhaumlngig ndash mit allen Vor- und Nachteilen Die politischen Kurswechsel in den vorgesetzten Gremien seien hinderlich bei der Umsetzung der Strategie des Unternehmens laquoWir taumltigen Investitio-nen mit einem Planungshorizont von mehreren Jahrzehn-tenraquo sagt Markus Saumlgesser laquoin der Politik wird dagegen in Amtsperioden von vier Jahren gedachtraquo Es gibt deshalb Bestrebungen das Stadtwerk aus der Stadtverwaltung auszugliedern und einem langfristig operierenden Steue-rungsgremium zu unterstellen Bei der Stimmbevoumllkerung geniesst Stadtwerk Winterthur grossen Ruumlckhalt Alleine in den letzten zwei Jahren wurden vier Abstimmungsvor-lagen mit grossem Mehr angenommen darunter Rah-menkredite fuumlr das Energie-Contracting oder erneuerbare Energien laquoEine bessere Legitimation koumlnnen wir uns gar nicht wuumlnschenraquo sagt Markus Saumlgesser

Neue BetriebskulturStrategisch und energiepolitisch werden Dienstleistungen wie das Energie-Contracting fuumlr Stadtwerk Winterthur immer wichtiger laquoWir wollen unserer Kundschaft Waumlr-me oder Kaumllte gleich komfortabel anbieten koumlnnen wie Stromraquo sagt Markus Saumlgesser laquoImmobilienbesitzerinnen und -besitzer sollen sich nicht mehr um den Fuumlllstand ih-res Oumlltanks oder den Termin fuumlr den Kaminfeger kuumlmmern muumlssenraquo Das Energie-Contracting waumlchst stark und macht heute bereits rund 5 Prozent des Umsatzes von Stadtwerk Winterthur aus

Die neuen Geschaumlftsfelder ziehen auch andere Arbeits-kraumlfte an als bisher Verschiedene Betriebskulturen seien in den vergangenen Jahren teilweise parallel gelaufen be-ginnen nun aber langsam zu verschmelzen Ein Beispiel dafuumlr ist die Verknuumlpfung von Smart Metering und dem traditionellen Verteilnetz Elektrizitaumlt Als Voraussetzung fuumlr das Change-Management in der Betriebskultur habe man alle Mitarbeitenden in die Erarbeitung des Unterneh-mensleitbildes involviert Entstanden ist ein Leitbild das Stadtwerk Winterthur dabei unterstuumltzt die Unterneh-mensstrategie umzusetzen Stadtwerk Winterthur soll mit

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

Markus SaumlgesserMarkus Saumlgesser (52) ist diplomierter Ma-schineningenieur ETH und hat ein Nachdi-plomstudium in technischen Betriebswissen-schaften absolviert Seit Anfang 2011 ist er Direktor von Stadtwerk Winterthur Seine bisherige berufliche Taumltigkeit fuumlhrte Markus Saumlgesser nach zwei Jahren Assistenz an der ETH zu einem Ingenieurbuumlro fuumlr Ener-gie- und Haustechnik Waumlhrend dieser rund sechsjaumlhrigen Zeit war er bei anspruchsvol-len Bauprojekten verantwortlich fuumlr die Konzeption und Koordination der technischen Gebaumludeausruumlstung Zudem war er waumlhrend vier Jahren Mitglied der Geschaumlftsleitung Nach zweijaumlhriger Taumltigkeit als Abteilungsleiter in einer groumlsseren Gemeinde wechselte er zum Elek-trizitaumltswerk der Stadt Zuumlrich (EWZ) bei dem er die Abteilung Vertrieb Grosskunden leitete Daneben war Markus Saumlgesser beim EWZ in verschiedene Innovationsprojekte involviert So zeichnete er fuumlr das Projekt laquoStromzukunft Stadt Zuumlrichraquo verantwortlich das wichtige Grundlagen fuumlr die Strategie des EWZ und die Volksabstimmung zur 2000-Watt-Gesellschaft in der Stadt Zuumlrich beisteuerte

Stadtwerk Winterthur in Zahlen (2013)Mitarbeitende 347Nettoinvestitionen 1198 Mio CHFDurchgeleitete Strommenge 5643 Mio kWhUmsatz Strom 93 Mio CHFDurchgeleitete Gasmenge 5295 Mio kWhUmsatz Gas 411 Mio CHFUnternehmensgewinn 109 Mio CHF

einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der sozia-len Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Wann wurden in Winterthur die ersten Strassenlampen mithilfe von Stein-kohle erleuchtet

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Unternehmensperspektive

ckelte Hochspannungsgleichstromschalter sollen zudem sicherstellen dass etwa ein Kurzschluss durch eine hy-perschnelle Abschaltung isoliert und das Netz somit nicht gefaumlhrdet wird Von 14 solchen Schaltsystemen welt-weit stammen 13 von ABB Die hohen Investitionen fuumlr die armdicken Gleichstromkabel rechnen sich da beim Transport viel weniger Strom verloren geht als bei der tradi tionellen Wechselstromtechnik Die Produktelinie ent-wickelt sich zum Renner Sie wird zur Anbindung von So-lar- und Windparks zur Versorgung von Inseln als Ersatz fuumlr Diesel generatoren auf Oumll- und Gasplattformen auf See eingesetzt Oder um Starkstrom vom Festland zu auf dem Meeresboden platzierten ferngesteuerten Foumlrderanlagen fuumlr Gas und Oumll zu leiten ndash wofuumlr ABB auch wartungsfreie Kompressoren liefert damit Kunden wie Statoil und Pet-robras teure Ausfaumllle erspart bleiben

Komplettloumlsungen aus einer HandDank hohem Innovationstempo sind die Divisionen Ener-gietechnik- und Niederspannungsprodukte gut ausgelas-tet Dies gilt ebenso fuumlr die Divisionen Industrie- und Pro-zessautomation Speziell energieintensive Industrien die unter hohem Kostendruck stehen muumlssen ihre Anlagen auf dem neusten Stand halten Dazu zaumlhlen Bergbau Oumll- und Gasindustrie Zellstoff- Papier- und Zementfabriken Chemie- und Pharmafirmen sowie Raffinerien Gefragt sind auch Industrieroboter und schwenkbare dank ABB-Leistungselektronik stufenlos regulierbare Schiffsantrie-be ABB liefert Grosskunden fertige Loumlsungen die hohe Produktivitaumlt und Energieeffizienz gewaumlhrleisten Alles ist aufeinander abgestimmt von der Elektrik uumlber Antriebe Generatoren Roboter Sensoren und Steuerungen bis hin

Zu Beginn des Jahrtausends stand ABB am Abgrund Doch eine neue Fuumlhrungscrew fuumlhrte das Unternehmen aus der Krise sodass die Schweiz inzwischen wieder stolz sein kann auf ihren Industriemulti mit Sitz in Zuumlrich Oerli-kon 2013 erzielte ABB mit rund 148 000 Mitarbeitenden in 100 Laumlndern 42 Milliarden Dollar Umsatz Die renom-mierte US-Universitaumlt MIT zaumlhlt ABB zu den 50 innova-tivsten Unternehmen weltweit Dank 8 000 Ingenieuren in Forschung und Entwicklung und einem Forschungsetat von 15 Milliarden Dollar kann ABB selbst mit Giganten wie Siemens und General Electric mithalten

Innovationen die Technikfans begeisternWas ABB alles macht wissen wohl nur Technikfans Denn der Konzern hat uumlber 70 000 Produkte im Angebot Die 300 ABB-Fabriken liefern taumlglich 15 Millionen Kompo-nenten aus die zu elektrischen Einrichtungen oder in Pro-duktionssteuerungen verbaut werden Aus Kanada etwa kam juumlngst ein Grossauftrag uumlber 400 Millionen Dollar Erneuerbare Energie die auf Neufundland und Labrador gewonnen wird soll ab 2017 via Hochspannungskabel 360 Kilometer nach Westen fliessen um dort 350 000 Haumluser zu versorgen Weltweit gibt es erst 90 solche Gleichstromkabelverbindungen die meist unter der Erde oder auf dem Meeresgrund verlaufen ABB ist mit rund 50 Prozent Anteil Marktfuumlhrer Die futuristisch anmuten-de Technik in den abgeschirmten Hallen wo der Strom vor dem Transport auf Hochspannung transformiert wird erinnert an den Maschinenraum von Raumschiff Enter-prise Ein wichtiges Steuerungselement bilden dabei in Baden Daumlttwil entwickelte und in Lenzburg produzierte Spezialchips die Houmlchstspannung aushalten Neu entwi-

Der schweizerisch-schwedische Technikkonzern treibt an vor-derster Front die Energiewende voran Dafuumlr forscht man bei ABB intensiv zu erneuerbaren Energien schlauen Stromnetzen sowie hocheffizienten Industrieanlagen Einzig die schwache Nachfrage nach Energieanlagen in Europa bremst die ExpansionText Andreas Fluumltsch

Innovativer Treiber der Energiewende

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uumlber weite Strecken in die Ballungsraumlume geleitet werden muss brummt das Geschaumlft In den USA treibt der Oumll- und Gasboom die Nachfrage Nur in Europa harzt das Geschaumlft mit Grossanlagen Weniger Nachfrage belastet die Margen bei Auftraumlgen fuumlr Wind- und Solarfarmen so-wie fuumlr Netzinfrastruktur Die Risiken der oft mehrjaumlhrigen Projekte sind so hoch dass ABB waumlhlerischer sein muss und etwa das Geschaumlft mit Solarloumlsungen zurzeit auf Sparflamme betreibt Dennoch ist ABB immer noch hoch-profitabel nicht zuletzt da die Kosten Jahr fuumlr Jahr um 3 bis 5 Prozent gesenkt werden Aber der erfolgsgewohnte Konzern musste sich 2013 mit 6 Prozent Umsatzplus zu-friedengeben Umso intensiver treibt der neue ABB-Chef Ulrich Spiesshofer die Integration der vorab in den USA fuumlr 10 Milliarden Dollar getaumltigten Zukaumlufe voran Und Spiess-hofer forciert die Zusammenarbeit der Divisionen damit ABB die Unternehmensvision laquoEnergie und Produktivitaumlt fuumlr eine bessere Weltraquo mit moumlglichst vielen eigenen Pro-dukten realisieren kann

zur Leittechnik samt angepasster Software Kleine und mittlere Kunden ordern Komponenten oder Teilsysteme Ein wichtiges Verkaufsargument ist das Sparpotenzial von stufenlos steuerbaren Elektromotoren Nur einer von fuumlnf Motoren hat laut einer Erhebung des Bundes einen Leis-tungsregler der Rest laumluft auf Hochtouren und wird ndash man glaubt es kaum ndash bei Bedarf mit Klappen oder Ventilen mechanisch abgebremst Eine gigantische Verschwen-dung da Industriemotoren laut einer Studie der Schwei-zerischen Agentur fuumlr Energieeffizienz 27 Prozent des Schweizer Stromverbrauchs ausmachen

Europaumlische ZuruumlckhaltungEigentlich muumlsste die Division Energietechniksysteme ebenfalls ausgelastet sein Denn auch die Stromwirtschaft muss ihre Effizienz steigern Schliesslich erfordert die Energiewende einen Totalumbau der auf Verteilung ausge-richteten Netze damit diese unter der Last von Solar- und Windenergie nicht instabil werden Arbeit in Huumllle und Fuumllle fuumlr ABB sollte man meinen Doch der erst zaghafte Auf-schwung in Europa daumlmpft die Nachfrage Erschwerend kommt hinzu dass subventionierte Wind- und Solarener-gie in Europas liberalisiertem Strommarkt den Strompreis in ungeahnte Tiefen druumlckte Die Konkurrenzfaumlhigkeit von Wasser- Gas- und Atomkraftwerken hat gelitten Pump-speicher sind keine Goldesel mehr seit die erneuerbaren Energien die Preisspitzen brechen Entsprechend schie-ben Stromkonzerne wie Alpiq oder RWE Investitionen auf Unsicherheiten rund um den Atomausstieg belasten zu-saumltzlich Die voraussichtlich noch auf Jahre hinaus tiefen Strompreise schmaumllern auch die Faumlhigkeit der Besitzer von Hochspannungs- und Verteilnetzen deren Umruumlstung zu finanzieren hoch verschuldete EU-Staaten fahren die Foumlrderung von Wind- und Solarenergie zuruumlck

Straffe KostenkontrolleABB bekommt den Investitionsstau empfindlich zu spuuml-ren Die Division Energietechniksysteme schreibt seit eini-ger Zeit rote Zahlen Zwar ordern Grosskunden aus Asien und Lateinamerika weiterhin kraumlftig Neben China inves-tiert vermehrt auch Indien in neue Stromnetze Uumlberall dort wo die Bevoumllkerung rasch waumlchst oder der Strom

Andreas FluumltschAndreas Fluumltsch war urspruumlnglich Jurist und arbeitete ab 1983 als Journalist fuumlr laquoBlickraquo laquoWeltwocheraquo laquoBilanzraquo und laquoCashraquo Zwischen 1989 und 1990 war er Mitglied der Geschaumlftsleitung von Greenpeace Schweiz anschliessend Hausmann Nach der Ruumlck-kehr in den Journalismus 1992 arbeitete er bei laquoBlickraquo laquoSonntagszeitungraquo und laquoTages- Anzeigerraquo und absolvierte eine Ausbildung zum Boumlrsenhaumlndler Nach der Fruumlhpensio-nierung Ende 2013 machte er sich als Publi-zist selbststaumlndig

ABB in Zahlen (2013)Betriebsertrag 41 848 Mio USDBetriebsergebnis 4 387 Mio USDndash Industrieautomation 1 458 Mio USDndash Niederspannung 1 092 Mio USDndash Prozessautomation 990 Mio USDndash Energietechnik 1 331 Mio USDndash Energiesysteme 171 Mio USD

Mitarbeitende 147 700ndash davon in der Schweiz 6 966

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Hohe Nachfrage nach MinergieDer Erfolg der bisherigen Sparbemuumlhungen bleibt nicht aus laquoTrotz zunehmender Pro-Kopf-Wohnflaumlche und stei-gendem Komfort sinkt der Energieverbrauch fuumlrs Heizen in den letzten Jahrzehnten stetigraquo verkuumlndet der Zuumlrcher Regierungsrat im Energieplanungsbericht 2014 Dazu tra-gen nicht nur die laufend verschaumlrften Gesetze bei Ebenso wichtig ist die Bereitschaft von Bautraumlgerschaften freiwillig Uumlberdurchschnittliches zu leisten Vor allem die Minergie-Regeln werden inzwischen gerne befolgt weshalb Haumluser mit halbiertem Energieverbrauch beinahe Standard sind Schweizweit traumlgt eines von zehn neuen Wohnhaumlusern ein Minergie-Zertifikat Der Anteil an Minergie-Haumlusern im Grossraum Zuumlrich liegt gemaumlss einer Marktanalyse der Universitaumlt Zuumlrich bereits nahe bei 20 Prozent Dies ist privaten Hauseigentuumlmern und institutionellen Investoren zu verdanken Wohn- und Geschaumlftshaumluser mit houmlchster Energieeffizienz gehoumlren inzwischen zum guten Ton Den juumlngsten Beweis liefert eine Immobilienstiftung der Credit Suisse die 70 Millionen Franken in die groumlsste Oumlkosied-lung der Schweiz investiert Im Aargauer Reusstal wohnen seit diesem Jahr rund 200 Familien Paare und Singles deren Wohnhaumluser sich weitgehend selbst mit Sonnen-energie versorgen So klimafreundlich die Energiewende-Architektur ist der Investor erwartet dennoch marktuumlb-liche Renditen Ist der Markt aber bereit oumlkologisches Engagement angemessen zu honorieren

Marktpotenzial fruumlhzeitig erkanntDie Zuumlrcher Kantonalbank (ZKB) beziffert den Mehrwert von Minergie-Haumlusern auf 7 Prozent Kaumlufer seien bereit diesen Aufpreis fuumlr mehr Energieeffizienz zu bezahlen Als weitere Nebeneffekte nennt der vor drei Jahren publizierte ZKB-Bericht eine hochwertige dauerhafte Bausubstanz sowie die Absicherung gegen steigende Oumll- und Energie-preise Fachleute des Immobilienberatungsunternehmens Wuumlest amp Partner (WampP) warnen indes dass sich zusaumltz-liche Investitionen in die Energieeffizienz nicht uumlberall loh-nen laquoRegional schwankt die Zahlungsbereitschaft des Immobilienmarktsraquo praumlzisiert WampP-Partner Ivan Anton Minergie-Haumluser koumlnnen aber nicht nur in abgelegenen Regionen ein Marktrisiko werden laquoMit Ausnahme der

Beim Autokauf wird bevorzugt auf Pferdestaumlrken Be-schleunigung und Innenausstattung geachtet Der CO2-Ausstoss interessiert hingegen kaum So kommt die Energieeffizienz im Strassenverkehr nur stockend voran 1995 schluckten alle neu immatrikulierten Personen-wagen durchschnittlich 9 Liter Benzin pro 100 Kilometer 20 Jahre spaumlter liegt der Durchschnittsverbrauch gemaumlss Bundesamt fuumlr Energie (BFE) immer noch uumlber 6 Litern Das viel gepriesene laquoDrei-Liter-Autoraquo haben alle Hersteller wieder aus der Modellpalette genommen

Demgegenuumlber gelingen dem oft traumlge genannten Ge-baumludebereich weitaus groumlssere Effizienzspruumlnge Ver-brauchen 40 Jahre alte Haumluser im Schnitt 220 Kilowatt-stunden (kWh) Heizenergie pro Quadratmeter Wohnflaumlche und Jahr sind die aktuellen Werte unter die 50er-Marke gesunken Zusaumltzliche Sparerfolge sind nur eine Frage der Zeit Im Fruumlhsommer haben die kantonalen Energie-direktoren uumlber ein Rahmenabkommen beraten das Null-energieneubauten demnaumlchst zum Standard machen soll Wie die nationale Energiewende zu erreichen ist erklaumlrt Christoph Gmuumlr von der Abteilung Energie des Kantons Zuumlrich laquoDer spezifische Verbrauchswert ist zudem auf 35 kWh pro Quadratmeter zu senkenraquo Gebaumlude die sich mit umweltfreundlicher Energie selbst versorgen wollen auch die EU-Staaten Ab 2020 wird ein Gebaumludestandard eingefuumlhrt der nur noch laquoNiedrigstenergiegebaumluderaquo mit sehr hoher Energieeffizienz als Neubauten vorsieht

Energiesparhaumluser waren vor 30 Jahren Exoten inzwischen nimmt der Bereich der energie-effizienten Gebaumlude eine Vor-bildrolle fuumlr die Energie wende ein Bauherren profitieren davon ebenso wie die Zuliefer-branche Text Paul Knuumlsel

Expertensicht

Haumluser in der ersten Reihe

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der Bau von Niedrigenergiehaumlusern und alternativen Hei-zungsanlagen sowie energetische Gebaumludesanierungen Investitionen im Umfang von rund 4 Milliarden Franken ausgeloumlst rechnet der Bund vor laquoEin Fuumlnftel insgesamt 860 Millionen Franken stammt aus den oumlffentlichen Kas-senraquo verweist die BFE-Stelle EnergieSchweiz auf die Im-pulse der kantonalen Foumlrderprogramme Einen Wermuts-tropfen besitzt diese Wirkungsbilanz Fruumlhere Analysen der Energiesparprogramme zeigen naumlmlich dass zwi-schen einem Drittel und der Haumllfte der energetisch vorbild-lichen Gebaumlude auch ohne staatliche Foumlrderung realisiert worden waumlren Dem Mitnahmeeffekt ist auch die Eidge-noumlssische Steuerverwaltung auf der Spur Sie schaumltzt dass Bund und Kantonen jaumlhrlich 14 Milliarden Franken entgehen weil energetische Gebaumludesanierungen bei der Liegenschaftssteuer abzugsberechtigt sind Die Energie-wende erfordert nicht nur mehr Effizienz bei den Anwen-dungen sondern auch einen effizienten Einsatz staatlicher Mittel Im Energieplanungsbericht 2013 hat der Zuumlrcher Regierungsrat erstmals uumlber alternative Anreizsysteme nachgedacht Demnach soll eine Lenkungsabgabe den Energiekonsum reduzieren und das bisherige Foumlrdersys-tem abloumlsen Aumlhnliche Plaumlne verfolgt der Bund Denn ein Lenkungssystem duumlrfte weitere Sparbemuumlhungen im Ge-baumludebereich aber auch im Strassenverkehr foumlrdern Ins-besondere dann wenn Heizoumll und Benzin im Gleichschritt teurer werden

begehrten Wohnlagen haben Hauseigentuumlmer an vielen Orten mit moumlglichen Verkaufsverlusten zu rechnenraquo so Anton Zwar sei die Nachfrage bei Eigentuumlmern und Mie-tern aumlhnlich gross Aber auch Mieter wuumlrden nicht uumlberall mehr fuumlr eine energieeffiziente Wohnung bezahlen Kaum uumlberraschen darf daher dass Immobilieninvestoren immer haumlufiger die steigenden Energieanforderungen kritisieren und kostenguumlnstigere Baustandards vorziehen Fuumlr WampP-Berater Urs Hausmann ist laquonachhaltiges Bauen trotzdem keine Frage von Luxus oder Wohlstand sondern eine wie man mit Ressourcen umgehen willraquo Dass ein hohes Um-weltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauen Der Run auf den oumlkologischen Baustoff Holz laumlsst zum Beispiel eine gesamte Wertschoumlpfungskette und viele

innovative Unternehmen profitieren Forstbetriebe Sauml-gereien Fensterbauer Daumlmmstoffhersteller und andere Bauzulieferer vergroumlssern ihre Produktionskapazitaumlten und stellen zusaumltzliches Personal ein laquoDie Umsaumltze im Schweizer Holzbau sind in den letzten Jahren um mehrere Hundert Millionen Franken gestiegen und die Trendkurve zeigt weiter nach obenraquo freut sich Christoph Starck Di-rektor des Holzbaudachverbands Lignum

Einheimische Zulieferer als GewinnerAuch im Verein Minergie ist man sich bewusst dass sich energieeffizientes Bauen wirtschaftlich positiv auswirkt In den letzten 15 Jahren sind 25 000 Wohnhaumluser Buumlro-komplexe Schulbauten Sport- und Industriehallen mit Niedrig energiezertifikat entstanden Gemeinsam sparen sie 15 Milliarden Kilowattstunden Energie laquoUumlber 2 Milliar-den Franken wurden zusaumltzlich investiertraquo rechnet Miner-gie-Sprecher Antonio Milelli vor Anstatt fossile Brennstoffe einzukaufen wird mehr Geld fuumlr Daumlmmstoffe Isolierfenster Luumlftungsanlagen und Sonnenkollektoren aus inlaumlndischer Fabrikation ausgegeben Zwischen 2001 und 2012 haben

Paul KnuumlselPaul Knuumlsel studierte Umweltnaturwissen-schaften an der ETH Zuumlrich Er ist unabhaumln-giger Wissenschaftsjournalist und schreibt seit Jahren in Publikums- und Fachmedien uumlber die vielfaumlltigen Aspekte des nachhalti-gen Bauens Zusaumltzlich betreut er in der Re-daktion des laquoTEC21raquo das Ressort laquoEnergie und Umweltraquo

laquoDass ein hohes Umweltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren

derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauenraquo

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Der Wasserkraft Sorge tragen

Welchen Beitrag kann die Wasserwirtschaft zur Energie-wende leisten Roger Pfammatter Die Wasserkraft ist der energie-politische Trumpf der Schweiz Wir befinden uns in der gluumlcklichen Lage uumlber grosse Mengen Wasser und das notwendige Gefaumllle zu verfuumlgen ndash das sind die beiden wichtigsten Voraussetzungen fuumlr die hydroelektrische Produktion Und wir haben in den vergangenen 100 Jah-ren gelernt dieses Potenzial effizient und moumlglichst um-weltschonend zu nutzen Die Wasserkraft ist der Schluumls-sel fuumlr eine nachhaltige Energieversorgung technisch ausgereift politisch erwuumlnscht einheimisch erneuerbar und CO2-frei

Wie viel mehr ist moumlglichHeute leistet die Wasserkraft nicht nur rund 60 Prozent der Stromproduktion in der Schweiz sondern bietet auch unverzichtbare Regel- und Systemdienstleistungen die markant an Bedeutung gewinnen werden Vor allem bei der Flexibilisierung der Wasserkraft durch mehr Leistung und Speichervolumen waumlre noch einiges moumlglich Um die Aufgaben weiterhin zu gewaumlhrleisten muumlssen wir aber primaumlr dem Bestehenden Sorge tragen

Die Energiestrategie des Bundes gibt aber klare Ausbau-ziele vor Bis 2035 soll die Stromproduktion aus Wasser-kraft um 10 Prozent steigenUnter den momentanen Rahmenbedingungen ist dieses Ausbauziel nicht realistisch Im Gegenteil Aufgrund der Restwasserbestimmungen wird die Produktion in den naumlchsten Jahren vermutlich sogar zuruumlckgehen

Die Wasserkraft ist der wichtigste Pfeiler der Schweizer Ener-giewirtschaft ihr Potenzial ist aber weitgehend ausgeschoumlpft Roger Pfammatter Geschaumlftsfuumlhrer des Wasserwirtschaftsver-bands gibt im Interview Auskunft uumlber die Lage der Branche und ihre Bedeutung fuumlr die EnergiezukunftInterview Florian Wehrli

Expertensicht

Was muss sich aumlndern damit die vorgegebenen Ziele um-gesetzt werden koumlnnenZum einen braucht es dafuumlr die Akzeptanz der Umweltver-baumlnde der Fischer und letztlich der gesamten Bevoumllkerung Zum anderen muumlssen laumlngerfristig die extremen Marktver-zerrungen abgebaut werden damit sich auch Investitionen in die nicht gefoumlrderte Wasserkraft wieder lohnen Heute wird nur noch in subventionierte Anlagen investiert

Wer ist hier in der PflichtHier ist die Politik gefordert die Rahmenbedingungen zu verbessern Denn ohne die Wasserkraft kann die Energie-wende nicht gelingen

Anfang Jahr wurde der Wasserwirtschaftsverband von den zustaumlndigen Kommissionen angehoumlrt Welche Forderun-gen hat die Branche an das ParlamentWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerba-re Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichten die bereits bis zur Haumllfte der Geste-hungskosten ausmachen Damit sind wir doppelt diskrimi-niert Die Wasserkraft ist extrem unter Preisdruck ndash und dies obwohl sie mit Gestehungskosten zwischen 3 und 10 Rappen pro Kilowattstunde die effizienteste Strompro-duktionstechnologie ist Nur zum Vergleich Fotovoltaik -anlagen werden heute mit rund 40 Rappen subventioniert

Bis 2011 liess sich mit der Grosswasserkraft noch viel Geld verdienen Wurden zu wenige Ruumlcklagen fuumlr schlechte Zei-ten gebildet

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Es kann nicht der Sinn sein Ruumlcklagen fuumlr Zeiten zu bil-den in denen die Marktpreise die Gestehungskosten nicht mehr decken Das waumlre wie wenn ein Baumlcker auf jedem Gipfeli einige Rappen zuruumlckbehalten muumlsste damit er sie am naumlchsten Tag gratis abgeben kann Mit dem durch Subventionen verzerrten Marktpreis von 4 bis 5 Rappen pro Kilowattstunde ist unter den konventionellen Energie-traumlgern praktisch nur Kohle konkurrenzfaumlhig Das ist be-stimmt nicht im Sinn der Energiewende

Drei Grosswasserkraftprojekte sind heute bereits im Bau Koumlnnen die enormen Kosten uumlberhaupt amortisiert wer-denPrognosen sind schwierig An der europaumlischen Strom-boumlrse (EEX) werden bis 2020 Strompreise zwischen 45 und 53 Rappen pro Kilowattstunde gehandelt Der Markt glaubt also nicht an eine baldige Erholung Dafuumlr muumlsste das Uumlberangebot in Europa zuruumlckgehen etwa uumlber die Anhebung des CO2-Preises von heute 5 auf mindestens 30 Euro pro Tonne Politisch ist das aber kaum durchsetz-bar Neue Pumpspeicherwerke werden sich deshalb wohl erst in mehreren Jahrzehnten lohnen

Was kann die Kleinwasserkraft leistenOhne die kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) wuumlr-de niemand Kleinwasserkraftanlagen bauen genauso we-nig wie Fotovoltaik- Wind- oder Biomasseanlagen Zurzeit gibt es aber allein bei der Kleinwasserkraft rund 1 000 An-meldungen fuumlr Foumlrderbeitraumlge mit einem bescheidenen Ge-samtpotenzial von 33 Terawattstunden pro Jahr Die oumlko-logischen Auswirkungen sind im Vergleich zum Ertrag zu gross Obwohl wir von marktverzerrenden Foumlrderprogram-men wegkommen sollten waumlre es in einer Uumlbergangs phase sinnvoll die KEV-Obergrenze von 10 Mega watt aufzuheben und dort zu foumlrdern wo es wirklich etwas bringt

Wie soll die Grosswasserkraft unterstuumltzt werdenDas Sinnvollste waumlre die Abkehr von der Subventions-maschinerie ndash und zwar auf europaumlischer Ebene Dann wuumlrde sich die Wasserkraft als effiziente erneuerbare Stromproduktionsform mit Sicherheit durchsetzen Min-destens als Uumlbergangsloumlsung waumlre aber die Entlastung

von Abgaben in erster Linie vom Wasserzins dringend Der maximale Wasserzins wurde in den letzten vier Jahren um 38 Prozent erhoumlht und wird naumlchstes Jahr um weite-re 10 Prozent angehoben Diese Erhoumlhung wurde 2008 beschlossen und steht heute in keinerlei Bezug mehr zur Ertrags lage Kurzfristig koumlnnten die Kantone auf einen Teil dieser Zinsen verzichten ndash das waumlre ein wichtiges politi-sches Zeichen Langfristig muss ein neuer Modus fuumlr die Zinsberechnung gefunden werden der die Ertragslage der Wasserkraft mitberuumlcksichtigt Das ist auch im Interesse von Bund Kantonen und Gemeinden schliesslich ist die Wasserkraft zu 85 Prozent in oumlffentlicher Hand Ebenfalls als Uumlbergangsloumlsung bis zu besseren Marktpreisen waumlren zinsguumlnstige Darlehen fuumlr die noumltigen Investitionen in die Grosswasserkraft denkbar Ohne mindestens eine dieser Massnahmen kann die Wasserwirtschaft das geforderte Ausbauziel nicht erreichen

Bis dahin gibt es noch eine weitere Huumlrde den Heimfall der Stauanlagen an die Standortgemeinden Welchen Ein-fluss hat dieser UmstandWenn die Konzessionen nach 80 oder 100 Jahren aus-laufen muss der Betreiber der Gemeinde eine Entschaumldi-gung fuumlr den Restwert der Anlagen entrichten Im Fall der Staumauer Barberine bezahlen die SBB und Alpiq 2017 an sechs Walliser Gemeinden 343 Millionen Franken Das 400-Seelen-Dorf Finhaut erhaumllt alleine 112 Millionen Fran-ken und weiss kaum wohin mit dem Geld Der gesamte Wert des Heimfalls der Anlagen bewegt sich schweizweit im Milliardenbereich Der Houmlhepunkt des Heimfalls wird um 2035 erreicht werden Bis zu diesem Zeitpunkt soll aber auch ein Grossteil der geforderten Produktionsstei-gerung umgesetzt werden

Bei der Stromproduktion ist ein Ausbau von uumlber 10 Pro-zent wohl nicht realistisch Wie sieht es bei der Speicher-leistung aus Hier muss man unterscheiden zwischen kurzfristiger und saisonaler Speicherung Fuumlr die saisonale Speicherung verfuumlgt die Schweiz mit 200 Speicherseen uumlber ein Vo-lumen von rund 9 000 Gigawattstunden (GWh) die jedes Jahr vom Sommer in den Winter umgelagert werden Dies

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Expertensicht

entspricht einem Viertel der jaumlhrlichen Produktion aus Wasserkraft Das Ausbaupotenzial durch die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren betraumlgt rund 2 000 GWh Falls der Ausbau aber nicht gelingt entsteht im Winter durch den Ausfall der Kernenergie eine immer groumlssere Luumlcke an Bandenergie die durch den Import von Atom- oder Kohlestrom gedeckt werden muss

Wie sieht es beim Ausbau der Pumpleistung zum kurzfris-tigen Ausgleich von Schwankungen im Netz ausGrundsaumltzlich ist das Potenzial fuumlr Pumpspeicherwerke in der Schweiz riesig Es braucht nur zwei Seen auf unter-schiedlicher Houmlhe Die Frage ist ob sich solche Investi-tionen rechnen Die Pumpspeicherwerke finanzieren sich

uumlber den Preisunterschied zwischen Band- und Spitzen-energie Wenn an einem schoumlnen Sommertag in Europa mittags die geballte Ladung an Sonnen- und Windener-gie eingespeist wird koumlnnen die Pumpspeicherkraftwerke sehr guumlnstig oder sogar zu Negativpreisen Strom bezie-hen Man darf aber nicht vergessen dass dieselbe Situa-tion fuumlr die Laufwasserkraftwerke die rund die Haumllfte der Wasserkraftproduktion in der Schweiz ausmachen den gegenteiligen Effekt hat Diese koumlnnen aus technischen konzessionsrechtlichen oder oumlkologischen Gruumlnden nicht vom Netz genommen werden und muumlssen fuumlr ihre Strom-produktion bezahlen Das kann gehoumlrig ins Geld gehen An Weihnachten 2012 lag der Strompreis zum Beispiel bei minus 30 Rappen pro Kilowattstunde

Roger Pfammatter laquoWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerbare Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichtenraquo

Bild Florian Wehrli

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cherseen zur Flexibilisierung Damit das gelingt muss der Wert der Wasserkraft staumlrker im Bewusstsein der Bevoumllke-rung verankert sein Und nicht zuletzt muss der Marktpreis so weit uumlber den Gestehungskosten liegen dass sich In-vestitionen in die Wasserwirtschaft rentieren

Versuchen das Bestehende zu erhalten Diese Vision klingt etwas resigniertDas ist eine Frage der Perspektive Die Wasserkraft hat als Technologie in der Schweiz seit Langem Bestand Sie befindet sich in einer anderen Situation als Fotovoltaik und Windenergie die sich in einem hochdynamischen Umfeld mit grossem Potenzial in Forschung und Wachstum be-finden Die Wasserkraft ist dagegen nicht mehr in der Auf-bruchsphase sondern in der Konsolidierungsphase Da-fuumlr kann man sich auf die Wasserkraftwerke verlassen Sie produzieren bei Tag und in der Nacht im Sommer wie im Winter bei Windstille oder im Nebel Auch der Erhalt und die Optimierung des Bestehenden sind grosse Heraus-forderungen und bedingen grosse Investitionen

Sehen Sie eine Moumlglichkeit wie die Schweizer Wasser-wirtschaft in Zukunft Geld mit Systemdienstleistungen wie Netzstabilitaumlt verdienen kannDie unregelmaumlssig einspeisenden Stromproduzenten neh-men keinerlei Systemverantwortung wahr Ich habe selbst ein Solarpanel auf dem Dach Wenn Produktion moumlglich ist speise ich Strom ins Netz ein wenn nicht beziehe ich Die Produzenten mehr in die Verantwortung zu nehmen faumlnde ich sinnvoll ndash zum Beispiel uumlber Zertifikate fuumlr Spei-cherleistungen Diese koumlnnten bei Pumpspeicherwerken bezogen werden

Welcher Ausbau der Pumpspeicherleistung ist dafuumlr noumltigDie installierte Leistung betraumlgt heute rund 14 Gigawatt (GW) Mit den im Bau befindlichen und den geplanten An-lagen kann die Kapazitaumlt maximal auf 51 GW ausgebaut werden ndash etwa die Haumllfte der Jahreshoumlchstlast im Netz Damit die Schweizer Wasserkraft aber einen Beitrag zur Stabilitaumlt des europaumlischen Stromnetzes leisten kann muumlssten auch das Stauvolumen und die Leitungskapazi-taumlt erhoumlht werden Hier sind die Einsprachen von Anwoh-nern und Umweltverbaumlnden noch gravierender als bei den Anlagen selbst

Braucht es neue rechtliche Instrumente um den geplan-ten Ausbau durchsetzen zu koumlnnenEs braucht vor allem die Einsicht dass die Wasserkraft das Ruumlckgrat unserer Versorgungssicherheit ist und die Aus-wirkungen eines Ausbaus immer auch mit den Alternativen verglichen werden muumlssen Wir befinden uns aber auch in einem intensiv genutzten Land mit vielen Partikularinteres-sen Diese muumlssen gewichtet und abgewogen werden In der Abwaumlgung zwischen Landschaftsschutz und Wasser-nutzung waumlre es hilfreich wenn Grosswasserkraftanlagen den Status von nationalem Interesse erhalten

Wie soll die Schweizer Wasserwirtschaft im Jahr 2035 aussehenIch wuumlnsche mir dass die bestehende Infrastruktur auf dem heutigen Stand erhalten optimiert oumlkologisiert und im Idealfall etwas ausgebaut wird Dazu gehoumlren etwa die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren sowie neue Spei-

Roger PfammatterSeit seinem Ingenieurstudium an der ETH Zuumlrich hat er sich in ver-schiedenen Rollen dem Wasser verschrieben Nach sieben Lehr- und Wanderjahren in der Forschung und in der Entwicklungszusammen-arbeit war er zehn Jahre beim Ingenieurunternehmen Ernst Basler + Partner engagiert Seit 2010 ist er Geschaumlftsfuumlhrer des Schweizeri-schen Wasserwirtschaftsverbandes (SWV) und Herausgeber der Zeit-schrift laquoWasser Energie Luftraquo In diesen Funktionen setzt er sich ein fuumlr den Fachaustausch und gute Rahmenbedingungen in den Bereichen Wasserkraft und Hochwasserschutz

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Die globalen Energiemaumlrkte sind seit einigen Jahren stark in Bewegung Volatile Erdoumllpreise die Foumlrderung von un-konventionellen Gasvorkommen in grossem Stil die mas-sive Subventionierung von neuen erneuerbaren Energien in Deutschland der laquoarabische Fruumlhlingraquo und der Konflikt in der Ukraine hinterlassen Spuren Die Folge sind starke Verwerfungen an den Maumlrkten und fehlende Investitionssi-cherheit In diesem dynamischen und unsicheren Kontext will der Bund die bisherige Energiepolitik neu ausrichten ndash wahrlich eine Herkulesaufgabe Die Schweizer Wirtschaft verlangt dass der Bund bei der Neuausrichtung der Ener-giepolitik seinem in der Verfassung verankerten Auftrag nachkommt und sich fuumlr eine ausreichende sichere breit gefaumlcherte wirtschaftliche und umweltvertraumlgliche Ener-gieversorgung einsetzt Somit ist klar Die Energiestrate-gie 2050 muss in erheblichen Teilen optimiert und justiert werden Nur wenn vernetzt gedacht wird ist eine sichere Versorgung zu wettbewerbsfaumlhigen Preisen moumlglich

Prognosen klaffen weit auseinanderSeit Jahrzehnten bietet der Strommix aus Wasserkraft (knapp 60 Prozent) und Kernenergie (40 Prozent) Gewaumlhr fuumlr eine sichere klimafreundliche und wirtschaftliche Ener-gieversorgung Im Rahmen der Energiestrategie 2050 muss die Kernenergie langfristig ersetzt werden Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen zumal die Ziele des Bundes

Lebenselixier der Wirtschaft

Die Schweizer Wirtschaft ist auch in Zukunft auf eine sichere und wirtschaftliche Stromver-sorgung angewiesen Die Ener-giestrategie 2050 setzt stark auf Subventionen Dadurch entstehen Fehlanreize welche die Versorgungssicherheit ge-faumlhrdenText Kurt Lanz

Expertensicht

in Bezug auf das Potenzial der neuen erneuerbaren Ener-gien von Wunschdenken geleitet sind Die neuen erneuer-baren Energien werden sich langsamer entwickeln als an-gestrebt Der Bund rechnet mit rund 12 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2035 die Schweizer Wirtschaft mit 44 TWh Die vorsichtigeren Prognosen der Wirtschaft scheinen re-alistischer Dies zeigen exemplarisch die gescheiterten Geothermieprojekte in Basel und St Gallen Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Nachfrageprognosen Der Bund rechnet in seinen Szenarien mit einem Ruumlckgang des Stromverbrauchs pro Kopf von 16 Prozent zwischen 2000 und 2035 Die Schweizer Wirtschaft orientiert sich in ihren Szenarien am Verband Schweizerischer Elektrizitaumlts-unternehmen (VSE) der weiter mit einer steigenden Nach-frage rechnet Die Wirtschaft fordert von der Politik eine vernuumlnftige Planung aufgrund realistischer Schaumltzungen Die Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energiestrategie nicht gefaumlhrdet werden

Subventionen fuumlhren zu FehlanreizenDie Schweiz hat seit vielen Jahrzehnten erfolgreich die Wasserkraft vorangetrieben Aus politischen Gruumlnden wird nun die ndash unregelmaumlssige ndash Stromproduktion durch Sonnen- und Windenergie forciert Unsere sogenann-te kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) entspricht dem deutschen Foumlrdermodell Beide haben das gleiche Ziel Sie sollen erneuerbare Energien ausbauen indem sie neue Formen der Stromproduktion zur Marktreife brin-gen Weil das KEV-System die Sonnen- und Windenergie massiv foumlrdert kommt ein weiterer Ausbau der bewaumlhrten Wasserkraft nicht infrage Diese Entwicklung gefaumlhrdet die Versorgungssicherheit der Schweiz Auf den ersten Blick sinken zwar die Produktionskosten fuumlr Solarstrom gleich-zeitig steigen aber die Kosten fuumlr Speicherung und Inte-gration ins Netz spuumlrbar Auch ist der Ausbau von Solar- und Windenergie nur von beschraumlnktem Nutzen solange keine ausreichenden Speicherkapazitaumlten vorhanden sind Nur Preissignale koumlnnen das Investitionsverhalten von Stromproduzenten Netzbetreibern und Konsumen-ten sinnvoll lenken Subventionen sind zu beseitigen denn sie fuumlhren zu Fehlanreizen

41COMPETENCE | 2014

Alle Optionen offenhaltenOffenheit und Neugier gehoumlren zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft Kategorisches Abwehrverhalten und Denkverbote verhindern konstruktive Loumlsungsansaumltze und Innovation Eine sichere und kostenguumlnstige Strom-versorgung kann auch in Zukunft nur mit der notwendi-gen Offenheit gegenuumlber allen Technologien und Energie-

systemen garantiert werden Die Schweiz ist dank einer erfolgreichen Hochschulland-schaft und vielen Technolo-gieunternehmen gut geruumlstet Die verschiedenen Energie-systeme muumlssen faktenba-siert und ohne ideologische

Scheuklappen verglichen werden Nur so koumlnnen effizi-ente und umweltvertraumlgliche Loumlsungen gefunden werden Das heutige System der Foumlrderung der neuen erneuer-baren Energien ist durch ein marktorientiertes System ab-zuloumlsen Produzenten die nachfragegerecht einspeisen sollen eine houmlhere Verguumltung erhalten als andere Auch soll der Vorrang der Netzeinspeisung fuumlr subventionierte Energietraumlger aufgehoben werden

laquoDie Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit

des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energie strategie nicht

gefaumlhrdet werdenraquo

Schnellere Verfahren anstrebenGrundvoraussetzung fuumlr eine Neuausrichtung der Ener-giepolitik sind funktionierende Stromnetze Diese muumls-sen zwingend parallel zum Umbau der Stromproduktion weiterentwickelt werden Allein der noumltige Ausbau der Uumlbertragungsnetze belaumluft sich auf rund 1 000 Kilometer bis ins Jahr 2020 Erforderlich sind zudem Investitionen in alle Verteilernetzebenen Al-lerdings verzoumlgern komplizier-te Verfahren auf Kantons- und Bundesebene den Ausbau Ausserdem erwaumlchst praktisch jedem Projekt Widerstand von privater Seite was zu weiteren Verzoumlgerungen fuumlhrt Die Wirt-schaft fordert deshalb Bei Bewilligungen von Stromnetzen ist der Gang vors Bundesgericht nur noch bei Grundsatz-fragen moumlglich Umbauten sowie Spannungs- und Kapa-zitaumltserweiterungen koumlnnen ohne Planungsgenehmigung realisiert werden Ausserdem sind die Verfahren bei einer einzigen Leitbehoumlrde anzusiedeln

Spielfeld erweiternDie Schweiz ist seit jeher ein wichtiges Stromtransitland Schon seit den 90er-Jahren treibt die EU die Vereinheitli-chung des Binnenmarkts fuumlr Strom hin zu einem eigent-lichen EU-Strommarkt voran In der Schweiz erweist sich die gesetzliche Trennung von Grundversorgung und Markt diesbezuumlglich zunehmend als Hindernis Aus Sicht der Wirtschaft ist die vollstaumlndige Liberalisierung des Strom-markts eine zwingende Voraussetzung fuumlr eine erfolgrei-che energiepolitische Neuausrichtung

Eine Marktoumlffnung wuumlrde insbesondere auch den erneuer-baren Energien neue Chancen eroumlffnen und Zugang zu neuen Kunden gewaumlhren Von hoher Wichtigkeit ist auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU Je groumlsser der Anteil erneuerbarer Energien umso wichtiger ist die Einbettung in Europa denn Investitionen in Netze und Produktion koumlnnen in Koordination mit der EU wirkungsvoller und wahrscheinlich kostenguumlnstiger getaumltigt werden

Kurt LanzKurt Lanz ist Leiter Infrastruktur Energie und Umwelt sowie Geschaumlftsleitungsmitglied von economiesuisse dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft

Gut vernetzt ndash Vorschlaumlge der Schweizer Wirtschaftzur EnergiepolitikDie Publikation basiert auf der Grundlagenarbeit der breit abgestuumltz-ten Energiekommission von economiesuisse und macht konstruk-tive Vorschlaumlge fuumlr einen erfolgreichen energiepolitischen Weg der Schweiz Download unter wwweconomiesuissech

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

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Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

wwwsmlzhawch

Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 17: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

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schen und rechtsstaatlichen Verfahren aus So wurde zum Beispiel im Kanton Zuumlrich der Heimatschutz gegenuumlber dem Interesse an neuen Solaranlagen bereits zuruumlck-gestuft und das entsprechende Bewilligungsverfahren gestrafft Es wird sich gerade bei der Wahl von Stand-orten fuumlr die Nutzung erneuerbarer Energien zeigen ob die Energiewende ndash wie zuweilen befuumlrchtet ndash auf Kosten von Demokratie und Rechtsstaat sowie auf Kosten von Natur- und Heimatschutz geht oder ob wir die gegenwaumlr-tigen Strukturen unter transparenter und angemessener Wahrung aller Interessen anpassen koumlnnen um die an-spruchsvollen Energieziele zu erreichen

Negativzone fuumlhren Auch andere Anliegen wie die Erhal-tung von landwirtschaftlichem Kulturland und Wald der Schutz des Vogelzugs oder die Beduumlrfnisse der Luftfahrt sind zu beruumlcksichtigen Zudem ist zu beachten dass der Bau neuer Anlagen einen Ausbau des Energienetzes nach sich ziehen kann was wiederum zu Konflikten mit anderen raumrelevanten Interessen fuumlhrt

InteressenabwaumlgungUm die erneuerbare Energie wie geplant massiv foumlrdern zu koumlnnen muumlssen die notwendigen Anlagen rasch rea-lisiert werden In den hierzu notwendigen Bewilligungs- und Rechtsmittelverfahren muumlssen die Zielkonflikte der verschiedenen Interessen transparent gemacht und unter gleichberechtigter Abwaumlgung geloumlst werden Das gilt so-wohl fuumlr das konkrete Rechtsmittelverfahren vor Behoumlrden und Gerichten wie auch fuumlr eine vorgezogene Mediations-phase

Hier setzen die vom Bund initiierten Forschungen zur Energiewende auf drei Ebenen an Zunaumlchst muumlssen die Details der komplizierten Bewilligungsverfahren im Aus-tausch mit der Gerichtspraxis ausgearbeitet werden Das sorgt fuumlr Rechtssicherheit Auf einer zweiten Ebene gilt es die bestehenden kantonal reglementierten Verfahren zu vereinheitlichen und wenn moumlglich zu vereinfachen Damit es zu rechtsstaatlich tragfaumlhigen und sozial akzep-tierten Loumlsungen kommt sind die Rechte aller Beteiligten zu wahren jene von Gemeinden Kantonen und Bund als Behoumlrden von Energieunternehmen als Gesuchsteller so-wie von Nachbarn und beschwerdeberechtigten Verbaumln-den als Gegner Schliesslich sind auf einer dritten Ebene neue Hilfsmittel zu suchen mit denen Gebiete und Stand-orte bezeichnet werden koumlnnen die sich fuumlr die Nutzung erneuerbarer Energien besonders eignen Das Bewilli-gungsverfahren wird hiermit transparenter berechenbarer und ndash so die Hoffnung ndash kuumlrzer Mit klaren Rechtsgrund-lagen koumlnnen die Beteiligten zudem Loumlsungen suchen bevor es uumlberhaupt zum Rechtsstreit kommt Die geplante Foumlrderung erneuerbarer Energien kommt nicht ohne Veraumlnderungen in bestehenden demokrati-

Andreas AbeggProf Dr Andreas Abegg ist Leiter des Zen-trums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht an der ZHAW School of Management and Law Privatdozent an der Universitaumlt Fribourg und praktizierender Rechtsanwalt Er beschaumlf-tigt sich mit den rechtlichen Schnittpunkten zwischen Staat und Privaten insbesondere in den Bereichen Regulierung Verwaltungs-organisation und Energie Andreas Abegg forscht im Rahmen des vom Bund mitfinan-zierten Competence Center for Research in Energy Society and Transition (CREST) in der Forschungsgruppe Energy Policy Analysis

Reneacute WiederkehrProf Dr Reneacute Wiederkehr ist stellvertre-tender Leiter des Zentrums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht an der ZHAW School of Management and Law und Titularprofessor der Universitaumlt Luzern Er forscht und lehrt in den Bereichen Verwaltungsrecht und oumlf-fentliches Prozessrecht sowie im Rahmen des vom Bund mitfinanzierten Competence Center for Research in Energy Society and Transition (CREST) in der Forschungsgruppe Energy Policy Analysis

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Negawatt statt Megawatt

Energieeffizienzmassnahmen finanziell lohnen Zudem ver-fuumlgen kleine und mittlere Unternehmen selten uumlber Ener-gieverantwortliche oder Umweltbeauftragte die im Akqui-sitionsprozess gezielt angesprochen werden koumlnnen

Schwaumlchen bisheriger ProgrammeEine Umfrage der ZHAW bei Programmverantwortlichen zeigt diverse Schwaumlchen laufender Effizienzprogramme auf Ein haumlufiges Problem sind falsche Anreize So wird vornehmlich vermittelt wie mit Energieeffizienz Geld ge-spart wird Offensichtlich geht man davon aus dass Un-ternehmen praktisch nur uumlber finanzielle Anreize zu moti-vieren sind Bei den angepeilten KMU fallen Energiekosten jedoch kaum ins Gewicht Beratungsaufwand und Ergeb-nis stehen umso mehr im Missverhaumlltnis je weniger Ener-gie verbraucht wird Weiter scheinen die Programmver-antwortlichen ihre Zielgruppen kaum zu segmentieren und als unterschiedliche Kundensegmente wahrzunehmen Entsprechend beinhalten die meisten Programme ein Standardangebot mit einem breiten Spektrum an Mass-nahmen die oft nicht branchenspezifisch zugeschnitten sind Auch die Kundenansprache erfolgt in der Regel un-differenziert und die Moumlglichkeiten der Neuen Medien wer-den kaum genutzt

Keine langfristige PerspektiveEin Grossteil der Programme ist nicht auf Kundenbindung ausgelegt Insbesondere werden kaum Informationen er-fasst welche die Planung einer weiterfuumlhrenden Bezie-

Schweizer Unternehmen koumlnnten auf wirtschaftliche Art und Weise bis zu 30 Prozent ihres Energieverbrauchs ein-sparen Speziell bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) die immerhin 10 Prozent des Schweizer Stromver-brauchs verantworten ist das Sparpotenzial aber ungenuuml-gend ausgeschoumlpft

Energieeffizienzprogramme wirken nichtBehoumlrden Energieversorger und private Organisatio-nen haben in den letzten Jahren wiederholt Programme lanciert um Energieeinsparungen gezielt zu foumlrdern Al-lerdings haben bislang weniger als 1 Prozent der rund 300 000 Schweizer KMU an einem solchen Programm teilgenommen und die Umsetzungsquoten sind ebenfalls gering Uumlber die Gruumlnde die Unternehmen daran hindern an Energieeffizienzprogrammen teilzunehmen und ent-sprechende Massnahmen umzusetzen sind sich die Pro-grammverantwortlichen uneinig Oft werden Zeitmangel Priorisierung anderer Investitionen fehlende Mittel und zu lange Amortisationszeiten als Hemmnisse genannt Ge-nerell scheint es dass bei Kleinunternehmen Zeit- und Geldmangel eine wichtige Rolle spielen waumlhrend bei Un-ternehmen mittlerer Groumlsse eher der Mangel an Motiva tion und Bewusstsein ausschlaggebend ist Energiekosten machen bei KMU einen verschwindend kleinen Anteil der Gesamtkosten aus sodass die Prioritaumlten fuumlr Investitionen haumlufig anders liegen Man investiert beispielsweise lieber in Betriebsmittel zur Erhoumlhung der Produktivitaumlt als in die Reduktion der (bereits tiefen) Energiekosten obwohl sich

Energieeffizienz ist ein zentraler Pfeiler der Energiestrategie 2050 Die Schweiz gehoumlrt zu den Spitzenreitern punkto Energie effizienz auch dank ihrem dominanten Tertiaumlrsektor Dennoch liegen auch bei hiesigen Unternehmen grosse Sparpotenziale brach Wie diese genutzt werden koumlnnen untersucht die ZHAW in einem interdisziplinaumlren ProjektText Rolf Rellstab

Hochschulperspektive

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brauch betrifft erhoumlhte Arbeitssicherheit weniger Laumlrm-belastung oder geringerer Rohstoffverbrauch Der Wert solcher laquoNon-Energy Benefitsraquo kann fuumlr Unternehmen bis zu 250 Prozent der energetischen Einsparungen betra-gen Es geht also darum KMU gezielter auf die Chancen der Energieeffizienz hinzuweisen Schliesslich gilt es auch Unternehmen wissen zu lassen dass sich ihre Kunden fuumlr dieses Thema interessieren sowie ihnen dabei zu helfen ihr Energie effizienzengagement sichtbar zu machen Waumlh-rend bereits heute viele Unternehmen bestaumltigen dass sich ihr Image bei den Kunden durch die Teilnahme an einem Energieeffizienzprogramm verbessert hat achten erst wenige Firmen auch bei der Kommunikation darauf dass entsprechende Massnahmen gebuumlhrend bekannt gemacht werden

hung zu den Programmteilnehmenden ermoumlglichen wuumlr-den Angaben zu Stromverbrauch Houmlhe und Anteil der Energiekosten Anzahl Mitarbeitende und Umsatz waumlren wertvolle Informationen im Hinblick auf allfaumlllige Folgepro-gramme Im Vordergrund stehen zudem bei den meisten Programmen technische Loumlsungen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz Eine nachhaltige Verhaltensaumlnderung bei Mitarbeitenden oder auf Managementebene wird hingegen kaum verfolgt Auch ein Monitoring der Wirkung von Ener-gieeffizienzprogrammen ist bislang nicht vorhanden oder

wird zu wenig systematisch betrieben So wird zum Bei-spiel die effektive Energieeinsparung vielfach nicht erfasst und gepruumlft Das tatsaumlchliche Kosten-Nutzen-Verhaumlltnis einzuschaumltzen ist somit schwierig Dass die bestehenden Energieeffizienzprogramme inhaltlich durchaus Anklang finden zeigen Ruumlckmeldungen von Unternehmen die in der Vergangenheit daran teilgenommen haben Die Befrag-ten beurteilen ihre Erfahrungen mehrheitlich positiv Aus Sicht der Unternehmen lagen die Energieeinspar effekte im Bereich der Erwartungen Viele wuumlrden nochmals an einem solchen Programm teilnehmen was die oben ge-nannten Versaumlumnisse umso bedauerlicher macht

Wirksamkeit verbessernWie koumlnnen KMU zum Energiesparen motiviert werden Aus Marketingsicht beinhaltet ein sinnvolles Programm eine segmentspezifische Kundenansprache die den laquoReifegradraquo (Wissen Einstellungen und Verhalten) eines Unternehmens in Bezug auf Energieeffizienz beruumlcksich-tigt Zweitens braucht es eine klare Kundenbeziehungs-strategie welche eine wiederholte Teilnahme zum Ziel hat Bei den Anreizen einzig die finanziellen Aspekte wie etwa erwartete Kostensenkungen oder Foumlrderbeitraumlge hervor-zuheben scheint wenig erfolgversprechend Der Fokus wird in Zukunft wohl vermehrt darauf liegen denjenigen Nutzen hervorzuheben der nicht direkt den Energiever-

Rolf RellstabRolf Rellstab ist wissenschaftlicher Mit-arbeiter und Projektleiter am Institut fuumlr Marketing Management der ZHAW School of Management and Law Seine Arbeits-schwerpunkte liegen im Bereich Kommuni-kation Kundenbeziehungsmanagement und B-to-B-Marketing

Projektziel und VorgehensweiseIm ZHAW-Projekt laquoNegawatt statt Megawattraquo werden optimierte Vorgehensweisen entwickelt um KMU mit einem jaumlhrlichen Strom-verbrauch zwischen 10 und 500 MWh zum Energiesparen zu moti-vieren Der Begriff laquoNegawattraquo bezeichnet die eingesparte Energie die zu virtuellen Negawatt-Kraftwerken kombiniert wird So wird anschaulich aufgezeigt wie viel Energie dank diesen Einsparungen weniger produziert werden muss Das Projekt beinhaltet eine interna-tionale Literaturstudie zu den Erfolgsfaktoren und Hemmnissen von Energieeffizienzprogrammen eine Umfrage bei Anbietern solcher Programme sowie eine Befragung von KMU Aus den Ergebnissen dieser drei Teilstudien werden Hypothesen im Hinblick auf ein idea-les Energieeffizienzprogramm abgeleitet In einem Folgeprojekt sol-len die Hypothesen im Rahmen eines Pilotprogramms uumlberpruumlft und weiterentwickelt werden Das Projekt wird durch den WWF Schweiz die Stiftung Pro Evolution das Bundesamt fuumlr Energie (BFE) und die Elektrizitaumltswerke des Kantons Zuumlrich (EKZ) unterstuumltzt Weitere In-formationen wwwzhawchnegawatt

laquoEine nachhaltige Verhaltens - aumlnderung bei Mitarbeitenden oder auf Managementebene

wird kaum verfolgtraquo

Wie viel Heizoumll wird jaumlhrlich in Winterthur verbraucht

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Klima im Wandel ndash Emissionsrechte im Handel

Der Klimawandel laumlsst sich anhand des Treibhauseffekts veranschaulichen Die Treibhausgase bewirken dass kurz-welliges Sonnenlicht zur Erdoberflaumlche gelangt verhindern jedoch dass langwellige Waumlrmestrahlung von der Erde nach aussen dringt Somit kann die Waumlrme nicht mehr entweichen und die Temperatur steigt Der Ausstoss von Treibhausgasen die vor allem bei der Verbrennung von fossilen Energietraumlgern wie Kohle Gas und Oumll entstehen hat seit der industriellen Revolution stark zugenommen und den natuumlrlichen Treibhauseffekt verstaumlrkt Eine Zunahme der Haumlufigkeit und Intensitaumlt meteorologischer und hydro-logischer Grossereignisse wie Stuumlrme und Uumlberschwem-mungen sind die Folge ndash mit gravierenden oumlkologischen oumlkonomischen und sozialen Konsequenzen

Der 2013 veroumlffentlichte Bericht der internationalen Exper-tengruppe Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zeigt auf dass die globale Durchschnittstempera-tur in den letzten 130 Jahren um 085deg Celsius gestiegen

Der Klimawandel findet nicht in ferner Zukunft sondern bereits jetzt statt Um ihn fuumlr Mensch und Umwelt auf einem ertraumlg-lichen Niveau zu stabilisieren muumlssen die Treibhausgas-emissionen reduziert werden Der Emissionshandel soll dazu beitragen sie dort zu mindern wo die geringsten Kosten an-fallen So kann das gesetzte Mengenziel oumlkonomisch effizient erreicht werdenText Regina Betz

ist Ohne Minderungsanstrengungen wird bis 2100 ein mehr als fuumlnffacher Anstieg prognostiziert Um die Treib-hausgaskonzentration in der Atmosphaumlre auf einem fuumlr Mensch und Umwelt akzeptablen Niveau zu stabilisieren muss die Erwaumlrmung bei unter 2deg Celsius stagnieren Da-fuumlr muumlssen laut dem 2014 veroumlffentlichten Bericht des IPCC die globalen Treibhausgasemissionen (THGE) bis 2050 gegenuumlber 2010 mindestens halbiert und bis 2100 um rund 100 Prozent reduziert werden 1997 hat sich die internationale Staatengemeinschaft im Kyoto-Protokoll fuumlr die Jahre 2008 bis 2012 erstmals auf voumllkerrechtlich ver-bindliche Ziele fuumlr den Ausstoss von THGE in den entwi-ckelten Laumlndern geeinigt aktuell finden Verhandlungen fuumlr die Festlegung neuer Ziele statt

Cap and TradeZur Zielerreichung sieht das Kyoto-Protokoll unter ande-rem den Emissionshandel auf Staatenebene vor Zahl-reiche Laumlnder wenden dieses Instrument aber haumlufiger auf Unternehmensebene an Das Grundprinzip ist einfach Die Houmlchstmenge (Cap) an erlaubten Gesamtemissionen wird festgelegt und an die regulierten Unternehmen im Emissions rechtehandelssystem (EHS) verteilt Die Unter-nehmen sind verpflichtet fuumlr jede emittierte Tonne Kohlen-dioxid ein Emissionsrecht einzureichen ansonsten sind Sanktionszahlungen faumlllig Will ein Unternehmen uumlber die ihm zugeteilte Menge hinaus emittieren muss es ein an-deres Unternehmen finden das ihm die benoumltigte Menge an Emissionsrechten verkauft (Trade) Unternehmen mit hohen Minderungskosten werden dabei Emissionsrechte hinzukaufen und Unternehmen mit niedrigen Kosten wer-den ihre Emissionen mindern indem sie etwa Biomasse statt Kohle verbrennen und uumlberschuumlssige Emissions-rechte verkaufen Durch den Handel koumlnnen die erforder-lichen Emissionsminderungen dort realisiert werden wo sie mit den geringsten Kosten verbunden sind Am Markt stellt sich ein Preis fuumlr die Emissionsrechte ein der Ange-bot und Nachfrage zum Ausgleich bringt

So einfach das Prinzip ist so schwierig ist seine Umset-zung Das System bedingt dass die Regierungen Rech-te fuumlr die Nutzung der Atmosphaumlre schaffen die zu einer

Hochschulperspektive

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Hochschulperspektive

Reduktion der Emissionen gegenuumlber einer Referenzent-wicklung fuumlhren dem sogenannten Business-as-usual-Szenario Doch die Abschaumltzung dieses Szenarios also der Entwicklung der Emissionen ohne Mengenbegren-zung ist schwierig wie die nachfolgenden Ausfuumlhrungen zum Emissionshandel in der EU zeigen

Der Emissionshandel in der EUDas EU-EHS ist der weltweit groumlsste Markt von Emissions-rechten Alle 28 EU-Staaten sowie Liechtenstein Island und Norwegen sind daran beteiligt Die Schweiz wuumlrde sich gerne anschliessen Das EU-EHS leidet seit seiner Einfuumlhrung im Jahr 2005 unter einem Uumlberangebot das sich mittlerweile auf rund 2 Milliarden Emissionsrechte be-laumluft Dies entspricht ungefaumlhr den vom System regulierten Emissionen eines Jahres Neben den unvorhergesehenen oumlkonomischen Entwicklungen durch die globale Finanz-krise traumlgt auch der starke Zubau an erneuer baren Ener-gien zu einem houmlheren Ruumlckgang der Emissio nen bei als geplant Der Hauptgrund fuumlr den derzeitigen Uumlberschuss liegt jedoch darin dass die regulierten Unternehmen ne-ben den Europaumlischen Emissionsrechten ndash European Union Allowances (EUAs) ndash auch auslaumlndische Emissions-minderungszertifikate ndash Certified Emission Reductions (CERs) ndash zu einem bestimmten Anteil anrechnen koumlnnen Mit dem sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) koumlnnen Industrienationen in Entwicklungslaumlndern emissionsmindernde Projekte finanzieren und sich die da-bei entstehenden THGE-Reduktionen mithilfe von CERs anrechnen lassen

Durch diese verschiedenen Faktoren hat sich ein Uumlberan-gebot entwickelt das den Preis der EUAs und CERs stark sinken liess Der Preis belaumluft sich derzeit auf rund fuumlnf Euro pro EUA Die bisherigen Reformanstrengungen wie etwa das sogenannte Backloading das Verschieben von Auktionen in spaumltere Jahre um die Menge zu verknappen haben bisher kaum zu einer Preiserhoumlhung gefuumlhrt

Die Schweiz als PreishochburgDer Schweizer Markt wuumlrde bei einem Zusammen-schluss nur rund 03 Prozent des EU-EHS ausmachen

Die Schweiz wuumlrde somit als Preisnehmerin agieren Das heisst der EU-Preis sollte auch in der Schweiz gelten Umso erstaunlicher ist es daher dass der Schweizer Preis pro Emissionsrecht derzeit bei rund 40 Franken liegt ob-wohl die Verbindung des Schweizer EHS mit dem EU-EHS geplant ist (sogenanntes Linking) Das auf der Basis des revidierten CO2-Gesetzes von 2012 und der CO2-Verord-nung verabschiedete System das den Emissionshandel am 1 Januar 2013 fuumlr 38 Unternehmen beziehungsweise 55 Anlagen in der Schweiz verbindlich eingefuumlhrt hat uumlber-nimmt weitestgehend die Regeln des EU-EHS Das neue System hat das bisherige freiwillige EHS in der Schweiz abgeloumlst Die im EHS erfassten Unternehmen sind von der CO2-Abgabe befreit Die hohe Kompatibilitaumlt des Schwei-zer EHS und des EU-EHS sollte ein schnelles Linking er-moumlglichen wobei die Verhandlungen durch die Annahme der Einwanderungsinitiative zum Stillstand gekommen sind Ein moumlglicher Erklaumlrungsansatz ist daher dass der hohe Preisunterschied die derzeitige Unsicherheit uumlber den Ausgang der Linking-Verhandlungen widerspiegelt Gehen die Schweizer Unternehmen davon aus dass kein Linking stattfindet sollte sich der Preis anhand der Minderungs-kosten und der Knappheit im Schweizer EHS bilden Fuumlr die Unternehmen ist es immer noch guumlnstiger den der-zeitigen Preis von 40 Franken fuumlr die Emissionsrechte zu bezahlen als eine Busse von 125 Franken pro fehlendes Emissionsrecht Zusaumltzlich zur Busse ist das Unternehmen verpflichtet die fehlenden Rechte im naumlchsten Jahr nach-zureichen Auch hier hat sich die Schweiz stark am EU-EHS orientiert bei dem die Busse bei 100 Euro pro EUA plus Wiedergutmachung liegt

Allokation beeinflusst den WettbewerbDie Gesamtmenge an Emissionsrechten (Cap) leitet sich aus den historischen Emissionen der teilnehmenden EHS-Unternehmen ab Fuumlr bestehende Anlagen die bereits vor 2013 am EHS in der Schweiz beteiligt waren setzt sie sich aus der Summe der durchschnittlich zugeteilten Emis-sionsrechte der ersten Verpflichtungsperiode (2008 bis 2012) zusammen fuumlr Anlagen die 2013 hinzukommen aus der Summe der durchschnittlichen Emissionen der

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fuumlr neue Anlagen in einer Reserve zuruumlckbehalten deren Uumlberschuumlsse zweimal jaumlhrlich versteigert werden Die Zu-teilung der Emissionsrechte hat etwas laumlnger gedauert so-dass sie in der Schweiz fuumlr die Jahre 2013 und 2014 erst im Februar 2014 erfolgte Das mag auch einer der Gruumlnde sein dass bisher kein Handel auf dem Sekundaumlrmarkt fuumlr den die Berner Kantonalbank eine eigene Emissions-handelsplattform bereitgestellt hat stattgefunden hat Das erste Preissignal war deshalb die Auktion der Uumlberschuumls-se aus der Neuemittentenreserve Diese fand vom 14 bis 21 Mai 2014 statt und erzielte fuumlr die 150 000 Emissions-rechte einen Preis von 4025 Franken pro Emissionsrecht

Wie sich die Liquiditaumlt im Schweizer Markt in Zukunft ent-wickeln wird und ob ein Linking mit dem EU-EHS und so-mit eine Angleichung der Schweizer Preise an die EU-EHS-Preise stattfinden wird bleibt abzuwarten Letzteres waumlre zwar aus oumlkonomischer Sicht zu begruumlssen da ein groumls-serer liquider Markt mit einheitlichem Preissignal als effizi-enter bewertet wird Aus oumlkologischer Sicht scheint jedoch ein Linking der Systeme ohne weitere Reformen des EU-EHS nicht wuumlnschenswert da es die Minderungsanreize in der Schweiz als Folge des Angebotsuumlberschusses an Emissionsrechten in der EU massiv reduzieren wuumlrde

Jahre 2009 bis 2011 Diese Summe wird jaumlhrlich um 174 Prozent reduziert analog der Regelung im EU-EHS

Neben der Festlegung der Obergrenze ist die Ausgestal-tung der Zuteilungsregeln politisch am schwierigsten da diese Verteilungswirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussen Bis 2012 wurden die Emissionsrechte in der EU daher groumlsstenteils kostenlos zugeteilt Seit 2013 werden rund 48 Prozent der Emissionsrechte versteigert wobei diese vor allem von Elektrizitaumltsfirmen gekauft wer-den muumlssen Da diese nicht im internationalen Wettbewerb

stehen konnten sie den Preis der gratis erhaltenen Emis-sionsrechte an die Elektrizitaumltskonsumenten weitergege-ben und hohe Gewinne erzielen Unternehmen aus Sek-toren die im internationalen Wettbewerb stehen koumlnnen hingegen die Kosten fuumlr die Emissionsrechte nicht an ihre Endkunden weitergeben ohne betraumlchtliche Nachteile in Kauf zu nehmen Es besteht daher das Risiko dass diese Firmen in Laumlnder ohne Klimapolitik abwandern Um dieses Risiko zu senken erhalten Unternehmen bei denen ein Risiko auf Abwanderung besteht auch in Zukunft weitest-gehend kostenlos Emissionsrechte zugeteilt Die Zuteilung basiert dabei auf sogenannten Benchmarks (Tonne Koh-lendioxid pro Tonne Produkt) die auf der Basis der effizi-entesten 10 Prozent der Unternehmen berechnet und mit historischen Produktionsdaten multipliziert werden

Noch kein Handel in der SchweizDie Schweiz hat die Benchmarks des EU-EHS uumlbernom-men Da in der Schweiz vor allem stark im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen aus den Sektoren Zement Papier Chemie Stahl und Raffinerien unter den Emissionshandel fallen werden fast alle Emissionsrechte kostenlos zugeteilt Ein kleiner Anteil von 5 Prozent wird

Regina BetzDr Regina Betz ist Dozentin fuumlr Energie- und Umweltoumlkonomie an der ZHAW School of Management and Law Seit 2014 leitet sie den volkswirtschaftlichen Teil der Ener-gy Policy Analysis Group des Zentrums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht das Mitglied des Schweizer Competence Centers for Research in Energy Society and Transition (CREST) ist Zuvor lehrte sie an der University of New South Wales Australia Umwelt- und Klimaoumlkonomie und leitete als Co-Direktorin das Centre for Energy and Environmental Markets (CEEM) 1998 bis 2004 arbeitete sie als Wissenschaftlerin am Fraunhofer-Institut fuumlr System- und Innovationsforschung ISI in Deutschland

laquoNeben der Festlegung der Ober grenze ist die Ausgestaltung der Zuteilungsregeln politisch am

schwierigsten da diese Verteilungs wirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussenraquo

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nicht vollstaumlndig genutzt werden kann In der Energiestra-tegie des Bundes ist gemaumlss einem Szenario bis 2050 ein Zubau auf knapp 12 TWh pro Jahr Stromproduktion aus Fotovoltaik angedacht Dies bedingt den Bau von Fotovol-taikanlagen mit einer installierten Spitzenleistung von etwa 12 Gigawattpeak (GWp) und einem Flaumlchenbedarf von rund 84 000 000 Quadratmetern Dieser Flaumlchenbedarf ist auf den bestehenden Daumlchern in der Schweiz verfuumlgbar

An einem schoumlnen Sommertag koumlnnen diese Anlagen dann also etwa 12 GW erzeugen die maximale Ver-brauchslast liegt im Sommer aber nur bei rund 8 GW Es entsteht ein Uumlberschuss von 4 GW die Speicherleistung der Schweizer Pumpspeicheranlagen betraumlgt heute aber nur 15 GW 25 GW Leistung koumlnnen in diesem Szenario also gar nicht genutzt werden An einem Wintertag mit Hochnebel erzeugen diese Anlagen uumlberhaupt keinen Strom die Verbrauchslast liegt aber mit 10 GW noch houml-her als im Sommer Hier entsteht eine Luumlcke die mit ande-ren Energieformen oder Importen gedeckt werden muss

Speichern uumlbertragen oder einsparenUm diesem Problem zu begegnen gibt es verschiedene Loumlsungsansaumltze Ein Ansatz ist die Energie lokal dort zu speichern wo sie erzeugt aber nicht sofort verbraucht werden kann In diesem Fall werden in erster Linie viele kleine Speichermodule benoumltigt die sowohl fuumlr kurz- als auch langfristigen Ausgleich sorgen muumlssen Eine andere Moumlglichkeit ist es die Energie an Orte zu uumlbertragen wo sie sofort verbraucht wird dann muss in erster Linie das Netz ausgebaut werden Schliesslich koumlnnte Energie auch zentral zu grossen Speichern transportiert werden was sowohl einen Netzausbau als auch neue Speichertechno-logien bedingen wuumlrde

Als die Gesellschaft noch aus Jaumlgern und Sammlern be-stand verbrauchte der Mensch seine Energie lokal dort wo er sie benoumltigte Er lebte von der Hand in den Mund Im Zuge der aufkommenden Landwirtschaft musste er Methoden entwickeln um Nahrung haltbar zu machen und sie zu transportieren Vor demselben Problem steht heute die Energiewirtschaft Ort und Zeit der erneuerbaren Energieerzeugung korrelieren je laumlnger je weniger mit dem Verbrauch Die Herausforderung der Energiewende ist deshalb nicht nur die Produktion selbst sondern auch die Uumlbertragung die Speicherung und das lokale Verbrauchs-last-Management

Saisonale Speicherung problematischMit dem Ausstieg aus der Kernenergie muumlssen in der Schweiz etwa 40 Prozent der produzierten elektrischen Energie ersetzt werden also rund 23 Terawattstunden (TWh) pro Jahr Im Gegensatz zur Kernenergie haben die neuen erneuerbaren Energien den Nachteil dass ihre Pro-duktion nicht steuerbar ist und unregelmaumlssig anfaumlllt Der Kapazitaumltsfaktor also das Verhaumlltnis von durchschnittlicher zu maximaler Leistung betraumlgt bei konventionellen Kraft-werken bis zu 100 Prozent bei Fotovoltaikanlagen dage-gen nur etwa 10 Prozent Hinzu kommen die starken saiso-nalen Schwankungen dieser stochastisch erzeugenden Energiequellen Im Winter liegt die Stromverbrauchsspitze mit circa 10 Gigawatt (GW) rund ein Drittel houmlher als im Sommer gleichzeitig liefern Fotovoltaikanlagen aufgrund des flacheren Einstrahlungswinkels und der kuumlrzeren Son-nenscheindauer wesentlich weniger Strom als im Sommer

Anhand eines Gedankenexperiments laumlsst sich veran-schaulichen dass das Potenzial der neuen erneuerbaren Energien ohne zusaumltzliche Speicher oder steuerbare Lasten

Energie haltbar machen

Der Ausbau von erneuerbaren Energiequellen geht so schnell voran dass Speicher- und Uumlbertragungstechnologien kaum mithalten koumlnnen Um Produktionsspitzen zu glaumltten braucht es Fortschritte in der EnergietechnikText Petr Korba

Hochschulperspektive

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Petr KorbaProf Dr Petr Korba ist Dozent und Fach-gruppenleiter fuumlr elektrische Energietechnik und Smart Grids an der ZHAW School of En-gineering Zuvor forschte er uumlber zehn Jahre bei ABB Schweiz in den Bereichen Automa-tion Energie- und Regelungstechnik

Scherrer Institut an der Power2Gas-Technologie Dabei wird Kohlendioxid mit Strom aus erneuerbaren Quellen durch Elektrolyse zu Wasserstoff oder weiter zu Methan verarbeitet Aumlhnlich wie bei der Nahrungsmittelproduktion wo Staumlrke schliesslich als raffinierter Zucker gespeichert wird gibt es auch bei der Stromspeicherung immer raffi-niertere Formen Bei jeder Umwandlung geht aber Energie verloren Man muss sich also gut uumlberlegen ob man uumlber-haupt speichern will und wenn ja uumlber welchen Zeitraum

Mit der wachsenden Integration von erneuerbaren Energi-en steigen auch die Anforderungen an die Energietechnik Unser kuumlnftiges Energiesystem wird staumlrker automatisiert und intelligenter sein Um erneuerbare Energiequellen zu integrieren werden Informations- und Kommunikations-technologien Automatisierungs- und Regelungstechnik Signalverarbeitung oder Wettervorhersagen immer wich-tiger In den intelligenten Stromnetzen der Zukunft wer-den alle beteiligten Komponenten Daten wie den aktuellen Verbrauch verfuumlgbare Strommengen oder lokale Aus-faumllle melden und gleichzeitig solche Daten aus anderen Netzkomponenten empfangen Das daraus resultierende Smart Grid ist ein Gefuumlge das selbststaumlndig auf diese Ein-fluumlsse reagiert und seine eigene Effizienz optimiert Es gilt Energie effizienter zu uumlbertragen um raumlumliche Distanzen zu uumlberwinden und neue Speichertechnologien zu entwi-ckeln um zeitliche Engpaumlsse zu uumlberbruumlcken Elektrische Energie kann auf verschiedene Arten erzeugt gespei-chert und uumlbertragen werden Jede Art hat ihre Vor- und Nachteile und ihren Preis Anreize aus der Politik werden schliesslich entscheiden welche Formen dies in der Zu-kunft sein werden

Auf der Verbraucherseite laumlsst sich die Nutzlast durch ge-eignetes Last-Management anpassen Diese Steuerung schaltet verbrauchsintensive Anlagen in Unternehmen gewerblichen Betrieben und Haushalten gezielt dann ein wenn die Stromtarife guumlnstig sind Es duumlrfte aber schwie-rig sein der Bevoumllkerung vorzuschreiben wann sie zum Beispiel fernsehen oder kochen darf Eine intelligente Re-gelung von grossen Kuumlhlhaumlusern stoumlrt dagegen nieman-den Trotz solchen Bestrebungen geht die International Energy Agency (IEA) davon aus dass der Stromverbrauch weltweit jaumlhrlich um rund 1 Prozent zunimmt Diese Ten-denz verstaumlrkt sich voraussichtlich noch falls sich der Bereich Mobilitaumlt von fossilen Energietraumlgern hin zur Elek-tromobilitaumlt verschieben wird Die Geschichte hat gezeigt dass der Energieverbrauch eigentlich nur in Krisenzeiten zuruumlckgeht

Klar ist jedenfalls dass der Ausbau von Speichern und Netzen Hand in Hand mit der zunehmenden Integration von erneuerbaren Energiequellen erfolgen muss Auf unter-schiedlichen Netzebenen kommen unterschiedliche Spei-chertechnologien zum Einsatz Waumlhrend fuumlr Haushalte mit kleinen Fotovoltaikanlagen und im Niederspannungsnetz bereits Batteriespeicher vorhanden sind stossen diese bei mehr als einer Windturbine oder groumlsseren Solarparks schnell an ihre Grenzen Das groumlsste Batterieenergie-speichersystem der Schweiz betreiben die Elektrizitaumlts-werke des Kantons Zuumlrich in Dietikon Es hat 1 Megawatt (MW) maximale Speicherleistung und kann diese waumlhrend ungefaumlhr 15 Minuten abgeben respektive speichern Die Spitzenlast im Schweizer Hochspannungsnetz liegt aber bei 8 GW im Sommer und 10 GW im Winter Die Schwei-zer Pumpspeicherkraftwerke koumlnnen unseren Strombe-darf nur etwa einen Monat lang decken Das europaumlische Hochspannungsnetz verfuumlgt uumlber eine Spitzenlast von circa 500 GW Um die Leistung von Grosskraftwerken wie Offshore-Windparks langfristig zu speichern braucht es neue Technologien

Raffinierte EnergiespeicherungDafuumlr forscht die ZHAW School of Engineering gemein-sam mit der ETH Zuumlrich der EPF Lausanne und dem Paul

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Hochschulperspektive

Dissonanz an der Steckdose

Mit der Energiestrategie 2050 haben Bundesrat und Parla-ment eine Kehrtwende in der Schweizer Energiepolitik ein-gelaumlutet der die wichtigsten politischen Huumlrden erst noch bevorstehen Auf den ersten Blick scheint der Kurswechsel breit abgestuumltzt Seit dem Reaktorunfall in Fukushima fuumlh-ren Umfragen immer wieder zum gleichen Ergebnis Der langfristige Ausstieg aus der Kernenergie findet eine Mehr-heit Im Grundsatz stossen erneuerbare Energien sowie Massnahmen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz auf hohe Zustimmung Was fuumlr den Stimmzettel gilt beeinflusst aber nicht automatisch das Konsum- und Investitionsverhalten der Energiekunden Die Bereitschaft aus eigenem Antrieb mehr fuumlr ein oumlkologisch houmlherwertiges Produkt aus neuen erneuerbaren Energietraumlgern zu bezahlen ist beschraumlnkt Nur wenige Haushalte sind zudem bereit ihren Energie- und insbesondere ihren Stromkonsum zu reduzieren wenn dies mit nicht amortisierbaren Investitionskosten oder einem moumlglichen Komfortverlust verbunden ist

Mit anderen Worten Effizienz wird als teuer und Suffizienz als bevormundend empfunden Die private Zahlungsbereit-schaft laumlsst sich zwar mit regulatorischen Interventionen wie fixen Einspeiseverguumltungen oder Investitionssubven-tionen in Effizienzmassnahmen etwas erhoumlhen Doch die Erfahrungen in Deutschland und der Schweiz zeigen dass solche Massnahmen oumlkonomisch ineffizient sind und oft als ungerecht empfunden werden Sie koumlnnen damit zum Bumerang fuumlr die Akzeptanz der energiepolitischen Ziele werden Neben den politischen Huumlrden ist somit auch die kognitive Huumlrde der Konsumenten zu beruumlcksichtigen De-ren Uumlberwindung bedarf zuerst einer differenzierten Analyse der Ursachen und danach der Entwicklung innovativer Ver-triebsmodelle und Produkte auf Versorgerseite

Eine Mehrheit der Bevoumllkerung unterstuumltzt den Ausstieg aus der Kernenergie doch nur wenige beziehen ein oumlkologisches Stromprodukt Warum das so ist und wie sich diese Dissonanz aufloumlsen laumlsst beschaumlftigt derzeit viele EnergieversorgerText Claudio Cometta

Indifferenz uumlberwiegtFuumlr viele Konsumenten ist die Strom- Gas- oder Fern-waumlrmerechnung ein verhaumlltnismaumlssig kleiner Posten im Haushaltsbudget dem wenig Beachtung geschenkt wird Die Schweiz ist sogar einer der Spitzenreiter in Europa machen die Stromkosten im Durchschnitt doch nicht mehr als 2 Prozent der Haushaltsausgaben aus Wenig Beachtung bedeutet auch wenig Kenntnis des Preises und der Menge der bezogenen Energieleistung oder der Zusammensetzung des Tarifs aus Energiekosten Netz-kosten und Abgaben Entsprechend besteht nur ein ge-ringes Interesse Energie und damit Kosten zu sparen Konsumentenbefragungen zeigen zudem dass nur eine kleine Minderheit der Kunden die Zusammensetzung ihres Stromprodukts nach Energietraumlgern kennt Die geringen Kosten und Unkenntnis des Produkts verhindern also die Wahl anderer Stromprodukte Strom ist ein klassisches Commodity-Produkt Man kann ihn weder sehen noch riechen Er ist verhaumlltnismaumlssig guumlnstig immer verfuumlgbar und aumlndert in keinerlei Hinsicht seine Eigenschaften wenn dafuumlr mehr bezahlt wird Zudem ist meist nicht sichtbar wer wie viel von welchem Produkt bezieht Der Strom-konsum ist Privatsache

Uumlberwindung durch VertriebsmodelleDie Vorgaben der Energiestrategie 2050 beinhalten nicht nur einen massiven Zubau der Produktionskapazitaumlt aus erneuerbaren Energietraumlgern sondern auch die kon-tinuierliche Reduktion des Energie- und insbesondere des Stromkonsums pro Kopf Die direkte Finanzierung der dazu notwendigen Investitionsvorhaben scheint an-gesichts der Indifferenz auf Konsumentenseite jedoch schwierig Aus diesem Grund sind mehrere Schweizer

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rund um Haushaltstechnik Sicherheit Pflege oder Kom-munikation sowie ein geschicktes Marketing mit Elemen-ten der sozialen Kontrolle Denkbar sind auch Anreize die keinen direkten Zusammenhang mit dem Energiekonsum aufweisen aber fuumlr breite Bevoumllkerungsgruppen attrak-tiv sind So haben etwa einzelne skandinavische Versor-ger damit begonnen energiesparendes Verhalten ihrer Kunden mit Verguumlnstigungen fuumlr die Nutzung oumlffentlicher Transportmittel zu belohnen

Uumlberwindung durch PartizipationDie wohl wirkungsvollste Massnahme zur Uumlberwindung der Dissonanz an der Steckdose ist bereits inhaumlrent in der Transformation des Energiesystems hin zu einer staumlrker dezentralen Erzeugung angelegt Kunden entwi-ckeln sich von passiven Leistungsempfaumlngern zu aktiven Leistungserbringern sogenannten Prosumern Als Klein-produzenten von Strom mit einer hauseigenen Fotovol-taikanlage oder thermischer Speicherleistung mit Kraft-Waumlrme-Kopplungsanlagen im Mikroformat werden sie mittelfristig wesentlich zum Umbau des Energiesystems und zu den Zielen der Energiestrategie beitragen koumlnnen Eine nicht ganz unbedeutende Rolle koumlnnten in Zukunft sogenannte Buumlrgerbeteiligungsmodelle fuumlr die Finanzie-rung neuer In frastrukturprojekte spielen Diese wuumlrden gleichzeitig die Akzeptanz sichtbarer Produktionsanlagen von neuen erneuerbaren Energien erhoumlhen Doch erst wenn das Produkt Strom nicht mehr als reines Commodity-Produkt wahrgenommen wird werden politische Meinung und Konsumverhalten bei einer Mehrheit der Stimmbuumlrger uumlbereinstimmen

Energieversoger in letzter Zeit dazu uumlbergegangen soge-nannte Default-Modelle einzufuumlhren die Stromprodukte aus erneuerbaren Quellen zum neuen Standard erheben Dabei macht man sich die Traumlgheit der Kunden zunutze indem die Wahl eines Stromprodukts aus nicht erneuer-baren Energietraumlgern als Option definiert wird die aktiv bestellt werden muss

Nicht zuletzt aufgrund solcher Modelle ist die Zahl der Schweizer Haushalte die ein Stromprodukt aus aus-schliesslich erneuerbaren Energien beziehen auf uumlber 25 Prozent gestiegen Doch weitere Vertriebsinnovationen werden notwendig sein etwa um der Herausforderung der Einspeisung von Strom aus fluktuierend nutzbaren Quellen (Solar- und Windenergie) in die Verteilnetze gewachsen zu sein die immer staumlrker ins Gewicht faumlllt In der Folge gilt es Investitionen in Netz- und Speichersysteme zu finan-zieren In innovativen Vertriebsmodellen welche dieser Herausforderung gerecht werden erhaumllt das Konsumver-halten einen Wert Zeitliche Flexibilitaumlt wird belohnt durch Tarifreduktion Bonus oder Vermeidung einer Gebuumlhr Wie diese beiden Beispiele zeigen laumlsst sich der Mehrwert von vermeintlichen Commodity-Produkten durch neue Vertriebsmodelle abschoumlpfen und als marktwirtschaftlich vertraumlglicher Finanzierungsmechanismus fuumlr neue Infra-strukturvorhaben im Energiesektor nutzen

Uumlberwindung durch innovative ProdukteNoch groumlsseres Potenzial birgt die Weiterentwicklung von Stromprodukten zu Leistungssystemen die fuumlr Energie-kunden einen echten Mehrwert bieten Hierzu gehoumlrt die Verknuumlpfung des Kernprodukts Strom mit Dienstleistun-gen die den Kunden ein transparenteres Verbrauchsver-halten sowie Kostenoptimierung ermoumlglichen Intelligente Stromzaumlhler sogenannte Smart Meter kombiniert mit fle-xiblen Tarifen und einem einfachen Feedback- und Steuer-system sind die Voraussetzung um zumindest oumlkologisch sensibilisierten oder kostenbewussten Endkunden einen Effizienzeffekt zu ermoumlglichen Damit solche Leistungs-systeme aber fuumlr die grosse Gruppe der Indifferenten interessant werden braucht es weitere Mehrwerte Dazu gehoumlren die Verknuumlpfung mit intelligenten Anwendungen

Claudio ComettaDr Claudio Cometta ist Dozent fuumlr Innovation und Entrepreneurship an der ZHAW School of Management and Law Er koordiniert den Aufbau des nationalen Energie-Kompetenz-zentrums SCCER 5 an der ZHAW

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Die Energiewende stellt die Energieversorgungsunternehmen in der Schweiz vor grosse Herausforderungen Das Beispiel von Stadtwerk Winterthur zeigt wie die Branche auf den Paradig-menwechsel reagiertText Florian Wehrli

Von den Anfaumlngen als laquoWinterthurer Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtungraquo vor uumlber 150 Jahren bis zum modernen Querverbundunternehmen hat sich Stadtwerk Winterthur kontinuierlich weiterentwickelt Seine Aufgabe ist aber gemaumlss Direktor Markus Saumlgesser weitgehend dieselbe geblieben die Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung zu verbes-sern So bietet das staumldtische Versorgungsunternehmen neben klassischen Produkten wie Wasser Strom Gas oder Kehrichtentsorgung und Abwasserreinigung heute auch Fernwaumlrme Haustechnik Glasfasernetz und Ener-gie-Contracting an Die Ausdehnung auf neue Geschaumlfts-bereiche will der Direktor aber nicht als Reaktion auf die Liberalisierung des Energiemarkts verstanden wissen laquoWir begegnen der Marktoumlffnung proaktiv und wollen die sich bietenden Chancen aktiv nutzenraquo

Lokales Potenzial ausgeschoumlpftIm liberalisierten Markt hat das staumldtische Versorgungs-unternehmen mit dem Monopol auf sein Energieversor-gungsnetz von gesamthaft mehr als 2 500 Kilometern einen Vorteil Dessen Unterhalt ist nach wie vor eine der Hauptaufgaben Im Gegensatz zu anderen Energieversor-gern betreibt Stadtwerk Winterthur naumlmlich einen verhaumllt-nismaumlssig geringen Anteil an eigenen Produktionsanlagen Das Flaggschiff ist die wohl modernste Kehrichtverwer-tungsanlage der Schweiz laquoMit dem Umbau konnten wir 2013 den Wirkungsgrad der Anlage um einen Drittel stei-gern und die Abluft gehoumlrt zu den saubersten weltweitraquo sagt Markus Saumlgesser Heute deckt die KVA 20 Prozent des Winterthurer Strom- und 12 Prozent des Waumlrmebe-darfs ab Auf solchen Lorbeeren ausruhen will sich Stadt-werk Winterthur aber nicht laquoWir wollen mithelfen eine nachhaltige Energiewirtschaft aufzubauenraquo Mittelfristig soll

die Haumllfte des Stromangebots aus erneuerbaren Quellen stammen laquoDas ist ein ehrgeiziges Zielraquo sagt Saumlgesser laquowir sind aber auf gutem Weg dazuraquo

Rund die Haumllfte des Rahmenkredits von 90 Millionen Franken fuumlr erneuerbaren Strom den das Winterthurer Stimmvolk 2012 bewilligt hat ist bereits investiert Im Bereich Fotovoltaik ist die Planung der groumlssten Anlagen abgeschlossen etwa auf den Daumlchern der Eishalle oder des Busdepots Eine aktuelle Windpotenzialstudie zeigt fuumlr Winterthur nur wenige moumlgliche Standorte auf zumal die Bewilligung solcher Anlagen mit grossem buumlrokratischem Aufwand verbunden sei Mit diversen Nahwaumlrmever-buumlnden nutzt Stadtwerk Winterthur auch Holzabfaumllle bereits sehr effizient Aber auch dieser Energietraumlger ist in Winterthur beschraumlnkt vorhanden Das letzte Projekt das Holz aus dem Winterthurer Stadtwald einsetzen wird ist in der Aufbauphase Studien im Bereich Wasserkraft haben gezeigt dass abgesehen von einem Kleinwasser-kraftwerk an der Toumlss in der Region kaum Potenzial vor-handen ist

Investitionen im AuslandlaquoDiese aufwendige Aufbauarbeit soll nicht zur Regel wer-denraquo sagt Markus Saumlgesser laquoDas limitierte Energiepoten-zial in der Schweiz und die beschwerlichen Instanzenwe-ge fuumlr Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie lassen uns deshalb vermehrt im Ausland investierenraquo 2012 be-teiligte sich das Stadtwerk mit 12 Millionen Franken am Kleinkraftwerk Birseck AG das Kleinwasserkraftwerke und Foto voltaikanlagen in der Schweiz und in Frankreich be-treibt 2013 folgte eine Beteiligung in der Houmlhe von 25 Mil-lionen Franken an der Swisspower Renewables AG die in

Vom Versorger zum Dienstleister

Unternehmensperspektive

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sein glaubt er aber nicht daran dass der Stromverbrauch insgesamt zuruumlckgehen wird laquoDafuumlr ist der Marktpreis zu niedrig Aus serdem wird Strom im Bereich Waumlrme und Mobilitaumlt einen Grossteil der fossilen Energietraumlger ersetzen muumlssenraquo Damit der geplante Verbrauchsruumlck-gang dennoch gelingt will der Bund Anreize schaffen Mit sogenannten weissen Zertifikaten will er die Versor-ger be lohnen wenn sie ihre Kunden zu einem geringeren Energie verbrauch bewegen In Grossbritannien Italien und Frankreich sind solche Modelle bereits im Einsatz Markus Saumlgesser sieht dieser Entwicklung mit gemischten Gefuumlh-len entgegen laquoWir haben bereits vor der Reaktorkatastro-phe in Fukushima auf Energieeffizienz gesetzt und konn-ten uns dadurch profilieren Weil die Politik nun eingreift und den Markt uumlbersteuert bleibt uns als Unternehmen weniger Spielraum um uns zu positionierenraquo

Windkraftanlagen im angrenzenden Ausland investiert Fuumlr die Beschaffung von Strom am freien Markt ist das Stadtwerk eine Zusammenarbeit mit der Trianel GmbH in Aachen ndash einer der fuumlhrenden Stadtwerke-Kooperationen in Europa ndash eingegangen Damit sollen insbesondere der Zugang zum Grosshandelsmarkt sowie die Marktfor-schung sichergestellt werden Denn um Kunden nachhal-tige Energieprodukte verkaufen zu koumlnnen muss man ihre Beduumlrfnisse genau kennen

Anreize fuumlr geringeren VerbrauchDie Strategie scheint aufzugehen laquoSeit der Einfuumlhrung der neuen Stromprodukte Anfang 2013 haben wir den Absatz von erneuerbarer Energie in Winterthur verdop-pelt und denjenigen von Oumlkostrom sogar vervierfachtraquo so Saumlgesser Trotz dem steigenden oumlkologischen Bewusst-

Gemaumlss seinem Leitbild soll Stadtwerk Winterthur mit einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der soziashylen Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Bild Michael Lio

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Ausgliederung aus der StadtverwaltungAuch auf kommunaler Ebene ist Stadtwerk Winterthur von den politischen Rahmenbedingungen abhaumlngig ndash mit allen Vor- und Nachteilen Die politischen Kurswechsel in den vorgesetzten Gremien seien hinderlich bei der Umsetzung der Strategie des Unternehmens laquoWir taumltigen Investitio-nen mit einem Planungshorizont von mehreren Jahrzehn-tenraquo sagt Markus Saumlgesser laquoin der Politik wird dagegen in Amtsperioden von vier Jahren gedachtraquo Es gibt deshalb Bestrebungen das Stadtwerk aus der Stadtverwaltung auszugliedern und einem langfristig operierenden Steue-rungsgremium zu unterstellen Bei der Stimmbevoumllkerung geniesst Stadtwerk Winterthur grossen Ruumlckhalt Alleine in den letzten zwei Jahren wurden vier Abstimmungsvor-lagen mit grossem Mehr angenommen darunter Rah-menkredite fuumlr das Energie-Contracting oder erneuerbare Energien laquoEine bessere Legitimation koumlnnen wir uns gar nicht wuumlnschenraquo sagt Markus Saumlgesser

Neue BetriebskulturStrategisch und energiepolitisch werden Dienstleistungen wie das Energie-Contracting fuumlr Stadtwerk Winterthur immer wichtiger laquoWir wollen unserer Kundschaft Waumlr-me oder Kaumllte gleich komfortabel anbieten koumlnnen wie Stromraquo sagt Markus Saumlgesser laquoImmobilienbesitzerinnen und -besitzer sollen sich nicht mehr um den Fuumlllstand ih-res Oumlltanks oder den Termin fuumlr den Kaminfeger kuumlmmern muumlssenraquo Das Energie-Contracting waumlchst stark und macht heute bereits rund 5 Prozent des Umsatzes von Stadtwerk Winterthur aus

Die neuen Geschaumlftsfelder ziehen auch andere Arbeits-kraumlfte an als bisher Verschiedene Betriebskulturen seien in den vergangenen Jahren teilweise parallel gelaufen be-ginnen nun aber langsam zu verschmelzen Ein Beispiel dafuumlr ist die Verknuumlpfung von Smart Metering und dem traditionellen Verteilnetz Elektrizitaumlt Als Voraussetzung fuumlr das Change-Management in der Betriebskultur habe man alle Mitarbeitenden in die Erarbeitung des Unterneh-mensleitbildes involviert Entstanden ist ein Leitbild das Stadtwerk Winterthur dabei unterstuumltzt die Unterneh-mensstrategie umzusetzen Stadtwerk Winterthur soll mit

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

Markus SaumlgesserMarkus Saumlgesser (52) ist diplomierter Ma-schineningenieur ETH und hat ein Nachdi-plomstudium in technischen Betriebswissen-schaften absolviert Seit Anfang 2011 ist er Direktor von Stadtwerk Winterthur Seine bisherige berufliche Taumltigkeit fuumlhrte Markus Saumlgesser nach zwei Jahren Assistenz an der ETH zu einem Ingenieurbuumlro fuumlr Ener-gie- und Haustechnik Waumlhrend dieser rund sechsjaumlhrigen Zeit war er bei anspruchsvol-len Bauprojekten verantwortlich fuumlr die Konzeption und Koordination der technischen Gebaumludeausruumlstung Zudem war er waumlhrend vier Jahren Mitglied der Geschaumlftsleitung Nach zweijaumlhriger Taumltigkeit als Abteilungsleiter in einer groumlsseren Gemeinde wechselte er zum Elek-trizitaumltswerk der Stadt Zuumlrich (EWZ) bei dem er die Abteilung Vertrieb Grosskunden leitete Daneben war Markus Saumlgesser beim EWZ in verschiedene Innovationsprojekte involviert So zeichnete er fuumlr das Projekt laquoStromzukunft Stadt Zuumlrichraquo verantwortlich das wichtige Grundlagen fuumlr die Strategie des EWZ und die Volksabstimmung zur 2000-Watt-Gesellschaft in der Stadt Zuumlrich beisteuerte

Stadtwerk Winterthur in Zahlen (2013)Mitarbeitende 347Nettoinvestitionen 1198 Mio CHFDurchgeleitete Strommenge 5643 Mio kWhUmsatz Strom 93 Mio CHFDurchgeleitete Gasmenge 5295 Mio kWhUmsatz Gas 411 Mio CHFUnternehmensgewinn 109 Mio CHF

einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der sozia-len Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Wann wurden in Winterthur die ersten Strassenlampen mithilfe von Stein-kohle erleuchtet

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Unternehmensperspektive

ckelte Hochspannungsgleichstromschalter sollen zudem sicherstellen dass etwa ein Kurzschluss durch eine hy-perschnelle Abschaltung isoliert und das Netz somit nicht gefaumlhrdet wird Von 14 solchen Schaltsystemen welt-weit stammen 13 von ABB Die hohen Investitionen fuumlr die armdicken Gleichstromkabel rechnen sich da beim Transport viel weniger Strom verloren geht als bei der tradi tionellen Wechselstromtechnik Die Produktelinie ent-wickelt sich zum Renner Sie wird zur Anbindung von So-lar- und Windparks zur Versorgung von Inseln als Ersatz fuumlr Diesel generatoren auf Oumll- und Gasplattformen auf See eingesetzt Oder um Starkstrom vom Festland zu auf dem Meeresboden platzierten ferngesteuerten Foumlrderanlagen fuumlr Gas und Oumll zu leiten ndash wofuumlr ABB auch wartungsfreie Kompressoren liefert damit Kunden wie Statoil und Pet-robras teure Ausfaumllle erspart bleiben

Komplettloumlsungen aus einer HandDank hohem Innovationstempo sind die Divisionen Ener-gietechnik- und Niederspannungsprodukte gut ausgelas-tet Dies gilt ebenso fuumlr die Divisionen Industrie- und Pro-zessautomation Speziell energieintensive Industrien die unter hohem Kostendruck stehen muumlssen ihre Anlagen auf dem neusten Stand halten Dazu zaumlhlen Bergbau Oumll- und Gasindustrie Zellstoff- Papier- und Zementfabriken Chemie- und Pharmafirmen sowie Raffinerien Gefragt sind auch Industrieroboter und schwenkbare dank ABB-Leistungselektronik stufenlos regulierbare Schiffsantrie-be ABB liefert Grosskunden fertige Loumlsungen die hohe Produktivitaumlt und Energieeffizienz gewaumlhrleisten Alles ist aufeinander abgestimmt von der Elektrik uumlber Antriebe Generatoren Roboter Sensoren und Steuerungen bis hin

Zu Beginn des Jahrtausends stand ABB am Abgrund Doch eine neue Fuumlhrungscrew fuumlhrte das Unternehmen aus der Krise sodass die Schweiz inzwischen wieder stolz sein kann auf ihren Industriemulti mit Sitz in Zuumlrich Oerli-kon 2013 erzielte ABB mit rund 148 000 Mitarbeitenden in 100 Laumlndern 42 Milliarden Dollar Umsatz Die renom-mierte US-Universitaumlt MIT zaumlhlt ABB zu den 50 innova-tivsten Unternehmen weltweit Dank 8 000 Ingenieuren in Forschung und Entwicklung und einem Forschungsetat von 15 Milliarden Dollar kann ABB selbst mit Giganten wie Siemens und General Electric mithalten

Innovationen die Technikfans begeisternWas ABB alles macht wissen wohl nur Technikfans Denn der Konzern hat uumlber 70 000 Produkte im Angebot Die 300 ABB-Fabriken liefern taumlglich 15 Millionen Kompo-nenten aus die zu elektrischen Einrichtungen oder in Pro-duktionssteuerungen verbaut werden Aus Kanada etwa kam juumlngst ein Grossauftrag uumlber 400 Millionen Dollar Erneuerbare Energie die auf Neufundland und Labrador gewonnen wird soll ab 2017 via Hochspannungskabel 360 Kilometer nach Westen fliessen um dort 350 000 Haumluser zu versorgen Weltweit gibt es erst 90 solche Gleichstromkabelverbindungen die meist unter der Erde oder auf dem Meeresgrund verlaufen ABB ist mit rund 50 Prozent Anteil Marktfuumlhrer Die futuristisch anmuten-de Technik in den abgeschirmten Hallen wo der Strom vor dem Transport auf Hochspannung transformiert wird erinnert an den Maschinenraum von Raumschiff Enter-prise Ein wichtiges Steuerungselement bilden dabei in Baden Daumlttwil entwickelte und in Lenzburg produzierte Spezialchips die Houmlchstspannung aushalten Neu entwi-

Der schweizerisch-schwedische Technikkonzern treibt an vor-derster Front die Energiewende voran Dafuumlr forscht man bei ABB intensiv zu erneuerbaren Energien schlauen Stromnetzen sowie hocheffizienten Industrieanlagen Einzig die schwache Nachfrage nach Energieanlagen in Europa bremst die ExpansionText Andreas Fluumltsch

Innovativer Treiber der Energiewende

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uumlber weite Strecken in die Ballungsraumlume geleitet werden muss brummt das Geschaumlft In den USA treibt der Oumll- und Gasboom die Nachfrage Nur in Europa harzt das Geschaumlft mit Grossanlagen Weniger Nachfrage belastet die Margen bei Auftraumlgen fuumlr Wind- und Solarfarmen so-wie fuumlr Netzinfrastruktur Die Risiken der oft mehrjaumlhrigen Projekte sind so hoch dass ABB waumlhlerischer sein muss und etwa das Geschaumlft mit Solarloumlsungen zurzeit auf Sparflamme betreibt Dennoch ist ABB immer noch hoch-profitabel nicht zuletzt da die Kosten Jahr fuumlr Jahr um 3 bis 5 Prozent gesenkt werden Aber der erfolgsgewohnte Konzern musste sich 2013 mit 6 Prozent Umsatzplus zu-friedengeben Umso intensiver treibt der neue ABB-Chef Ulrich Spiesshofer die Integration der vorab in den USA fuumlr 10 Milliarden Dollar getaumltigten Zukaumlufe voran Und Spiess-hofer forciert die Zusammenarbeit der Divisionen damit ABB die Unternehmensvision laquoEnergie und Produktivitaumlt fuumlr eine bessere Weltraquo mit moumlglichst vielen eigenen Pro-dukten realisieren kann

zur Leittechnik samt angepasster Software Kleine und mittlere Kunden ordern Komponenten oder Teilsysteme Ein wichtiges Verkaufsargument ist das Sparpotenzial von stufenlos steuerbaren Elektromotoren Nur einer von fuumlnf Motoren hat laut einer Erhebung des Bundes einen Leis-tungsregler der Rest laumluft auf Hochtouren und wird ndash man glaubt es kaum ndash bei Bedarf mit Klappen oder Ventilen mechanisch abgebremst Eine gigantische Verschwen-dung da Industriemotoren laut einer Studie der Schwei-zerischen Agentur fuumlr Energieeffizienz 27 Prozent des Schweizer Stromverbrauchs ausmachen

Europaumlische ZuruumlckhaltungEigentlich muumlsste die Division Energietechniksysteme ebenfalls ausgelastet sein Denn auch die Stromwirtschaft muss ihre Effizienz steigern Schliesslich erfordert die Energiewende einen Totalumbau der auf Verteilung ausge-richteten Netze damit diese unter der Last von Solar- und Windenergie nicht instabil werden Arbeit in Huumllle und Fuumllle fuumlr ABB sollte man meinen Doch der erst zaghafte Auf-schwung in Europa daumlmpft die Nachfrage Erschwerend kommt hinzu dass subventionierte Wind- und Solarener-gie in Europas liberalisiertem Strommarkt den Strompreis in ungeahnte Tiefen druumlckte Die Konkurrenzfaumlhigkeit von Wasser- Gas- und Atomkraftwerken hat gelitten Pump-speicher sind keine Goldesel mehr seit die erneuerbaren Energien die Preisspitzen brechen Entsprechend schie-ben Stromkonzerne wie Alpiq oder RWE Investitionen auf Unsicherheiten rund um den Atomausstieg belasten zu-saumltzlich Die voraussichtlich noch auf Jahre hinaus tiefen Strompreise schmaumllern auch die Faumlhigkeit der Besitzer von Hochspannungs- und Verteilnetzen deren Umruumlstung zu finanzieren hoch verschuldete EU-Staaten fahren die Foumlrderung von Wind- und Solarenergie zuruumlck

Straffe KostenkontrolleABB bekommt den Investitionsstau empfindlich zu spuuml-ren Die Division Energietechniksysteme schreibt seit eini-ger Zeit rote Zahlen Zwar ordern Grosskunden aus Asien und Lateinamerika weiterhin kraumlftig Neben China inves-tiert vermehrt auch Indien in neue Stromnetze Uumlberall dort wo die Bevoumllkerung rasch waumlchst oder der Strom

Andreas FluumltschAndreas Fluumltsch war urspruumlnglich Jurist und arbeitete ab 1983 als Journalist fuumlr laquoBlickraquo laquoWeltwocheraquo laquoBilanzraquo und laquoCashraquo Zwischen 1989 und 1990 war er Mitglied der Geschaumlftsleitung von Greenpeace Schweiz anschliessend Hausmann Nach der Ruumlck-kehr in den Journalismus 1992 arbeitete er bei laquoBlickraquo laquoSonntagszeitungraquo und laquoTages- Anzeigerraquo und absolvierte eine Ausbildung zum Boumlrsenhaumlndler Nach der Fruumlhpensio-nierung Ende 2013 machte er sich als Publi-zist selbststaumlndig

ABB in Zahlen (2013)Betriebsertrag 41 848 Mio USDBetriebsergebnis 4 387 Mio USDndash Industrieautomation 1 458 Mio USDndash Niederspannung 1 092 Mio USDndash Prozessautomation 990 Mio USDndash Energietechnik 1 331 Mio USDndash Energiesysteme 171 Mio USD

Mitarbeitende 147 700ndash davon in der Schweiz 6 966

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Hohe Nachfrage nach MinergieDer Erfolg der bisherigen Sparbemuumlhungen bleibt nicht aus laquoTrotz zunehmender Pro-Kopf-Wohnflaumlche und stei-gendem Komfort sinkt der Energieverbrauch fuumlrs Heizen in den letzten Jahrzehnten stetigraquo verkuumlndet der Zuumlrcher Regierungsrat im Energieplanungsbericht 2014 Dazu tra-gen nicht nur die laufend verschaumlrften Gesetze bei Ebenso wichtig ist die Bereitschaft von Bautraumlgerschaften freiwillig Uumlberdurchschnittliches zu leisten Vor allem die Minergie-Regeln werden inzwischen gerne befolgt weshalb Haumluser mit halbiertem Energieverbrauch beinahe Standard sind Schweizweit traumlgt eines von zehn neuen Wohnhaumlusern ein Minergie-Zertifikat Der Anteil an Minergie-Haumlusern im Grossraum Zuumlrich liegt gemaumlss einer Marktanalyse der Universitaumlt Zuumlrich bereits nahe bei 20 Prozent Dies ist privaten Hauseigentuumlmern und institutionellen Investoren zu verdanken Wohn- und Geschaumlftshaumluser mit houmlchster Energieeffizienz gehoumlren inzwischen zum guten Ton Den juumlngsten Beweis liefert eine Immobilienstiftung der Credit Suisse die 70 Millionen Franken in die groumlsste Oumlkosied-lung der Schweiz investiert Im Aargauer Reusstal wohnen seit diesem Jahr rund 200 Familien Paare und Singles deren Wohnhaumluser sich weitgehend selbst mit Sonnen-energie versorgen So klimafreundlich die Energiewende-Architektur ist der Investor erwartet dennoch marktuumlb-liche Renditen Ist der Markt aber bereit oumlkologisches Engagement angemessen zu honorieren

Marktpotenzial fruumlhzeitig erkanntDie Zuumlrcher Kantonalbank (ZKB) beziffert den Mehrwert von Minergie-Haumlusern auf 7 Prozent Kaumlufer seien bereit diesen Aufpreis fuumlr mehr Energieeffizienz zu bezahlen Als weitere Nebeneffekte nennt der vor drei Jahren publizierte ZKB-Bericht eine hochwertige dauerhafte Bausubstanz sowie die Absicherung gegen steigende Oumll- und Energie-preise Fachleute des Immobilienberatungsunternehmens Wuumlest amp Partner (WampP) warnen indes dass sich zusaumltz-liche Investitionen in die Energieeffizienz nicht uumlberall loh-nen laquoRegional schwankt die Zahlungsbereitschaft des Immobilienmarktsraquo praumlzisiert WampP-Partner Ivan Anton Minergie-Haumluser koumlnnen aber nicht nur in abgelegenen Regionen ein Marktrisiko werden laquoMit Ausnahme der

Beim Autokauf wird bevorzugt auf Pferdestaumlrken Be-schleunigung und Innenausstattung geachtet Der CO2-Ausstoss interessiert hingegen kaum So kommt die Energieeffizienz im Strassenverkehr nur stockend voran 1995 schluckten alle neu immatrikulierten Personen-wagen durchschnittlich 9 Liter Benzin pro 100 Kilometer 20 Jahre spaumlter liegt der Durchschnittsverbrauch gemaumlss Bundesamt fuumlr Energie (BFE) immer noch uumlber 6 Litern Das viel gepriesene laquoDrei-Liter-Autoraquo haben alle Hersteller wieder aus der Modellpalette genommen

Demgegenuumlber gelingen dem oft traumlge genannten Ge-baumludebereich weitaus groumlssere Effizienzspruumlnge Ver-brauchen 40 Jahre alte Haumluser im Schnitt 220 Kilowatt-stunden (kWh) Heizenergie pro Quadratmeter Wohnflaumlche und Jahr sind die aktuellen Werte unter die 50er-Marke gesunken Zusaumltzliche Sparerfolge sind nur eine Frage der Zeit Im Fruumlhsommer haben die kantonalen Energie-direktoren uumlber ein Rahmenabkommen beraten das Null-energieneubauten demnaumlchst zum Standard machen soll Wie die nationale Energiewende zu erreichen ist erklaumlrt Christoph Gmuumlr von der Abteilung Energie des Kantons Zuumlrich laquoDer spezifische Verbrauchswert ist zudem auf 35 kWh pro Quadratmeter zu senkenraquo Gebaumlude die sich mit umweltfreundlicher Energie selbst versorgen wollen auch die EU-Staaten Ab 2020 wird ein Gebaumludestandard eingefuumlhrt der nur noch laquoNiedrigstenergiegebaumluderaquo mit sehr hoher Energieeffizienz als Neubauten vorsieht

Energiesparhaumluser waren vor 30 Jahren Exoten inzwischen nimmt der Bereich der energie-effizienten Gebaumlude eine Vor-bildrolle fuumlr die Energie wende ein Bauherren profitieren davon ebenso wie die Zuliefer-branche Text Paul Knuumlsel

Expertensicht

Haumluser in der ersten Reihe

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der Bau von Niedrigenergiehaumlusern und alternativen Hei-zungsanlagen sowie energetische Gebaumludesanierungen Investitionen im Umfang von rund 4 Milliarden Franken ausgeloumlst rechnet der Bund vor laquoEin Fuumlnftel insgesamt 860 Millionen Franken stammt aus den oumlffentlichen Kas-senraquo verweist die BFE-Stelle EnergieSchweiz auf die Im-pulse der kantonalen Foumlrderprogramme Einen Wermuts-tropfen besitzt diese Wirkungsbilanz Fruumlhere Analysen der Energiesparprogramme zeigen naumlmlich dass zwi-schen einem Drittel und der Haumllfte der energetisch vorbild-lichen Gebaumlude auch ohne staatliche Foumlrderung realisiert worden waumlren Dem Mitnahmeeffekt ist auch die Eidge-noumlssische Steuerverwaltung auf der Spur Sie schaumltzt dass Bund und Kantonen jaumlhrlich 14 Milliarden Franken entgehen weil energetische Gebaumludesanierungen bei der Liegenschaftssteuer abzugsberechtigt sind Die Energie-wende erfordert nicht nur mehr Effizienz bei den Anwen-dungen sondern auch einen effizienten Einsatz staatlicher Mittel Im Energieplanungsbericht 2013 hat der Zuumlrcher Regierungsrat erstmals uumlber alternative Anreizsysteme nachgedacht Demnach soll eine Lenkungsabgabe den Energiekonsum reduzieren und das bisherige Foumlrdersys-tem abloumlsen Aumlhnliche Plaumlne verfolgt der Bund Denn ein Lenkungssystem duumlrfte weitere Sparbemuumlhungen im Ge-baumludebereich aber auch im Strassenverkehr foumlrdern Ins-besondere dann wenn Heizoumll und Benzin im Gleichschritt teurer werden

begehrten Wohnlagen haben Hauseigentuumlmer an vielen Orten mit moumlglichen Verkaufsverlusten zu rechnenraquo so Anton Zwar sei die Nachfrage bei Eigentuumlmern und Mie-tern aumlhnlich gross Aber auch Mieter wuumlrden nicht uumlberall mehr fuumlr eine energieeffiziente Wohnung bezahlen Kaum uumlberraschen darf daher dass Immobilieninvestoren immer haumlufiger die steigenden Energieanforderungen kritisieren und kostenguumlnstigere Baustandards vorziehen Fuumlr WampP-Berater Urs Hausmann ist laquonachhaltiges Bauen trotzdem keine Frage von Luxus oder Wohlstand sondern eine wie man mit Ressourcen umgehen willraquo Dass ein hohes Um-weltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauen Der Run auf den oumlkologischen Baustoff Holz laumlsst zum Beispiel eine gesamte Wertschoumlpfungskette und viele

innovative Unternehmen profitieren Forstbetriebe Sauml-gereien Fensterbauer Daumlmmstoffhersteller und andere Bauzulieferer vergroumlssern ihre Produktionskapazitaumlten und stellen zusaumltzliches Personal ein laquoDie Umsaumltze im Schweizer Holzbau sind in den letzten Jahren um mehrere Hundert Millionen Franken gestiegen und die Trendkurve zeigt weiter nach obenraquo freut sich Christoph Starck Di-rektor des Holzbaudachverbands Lignum

Einheimische Zulieferer als GewinnerAuch im Verein Minergie ist man sich bewusst dass sich energieeffizientes Bauen wirtschaftlich positiv auswirkt In den letzten 15 Jahren sind 25 000 Wohnhaumluser Buumlro-komplexe Schulbauten Sport- und Industriehallen mit Niedrig energiezertifikat entstanden Gemeinsam sparen sie 15 Milliarden Kilowattstunden Energie laquoUumlber 2 Milliar-den Franken wurden zusaumltzlich investiertraquo rechnet Miner-gie-Sprecher Antonio Milelli vor Anstatt fossile Brennstoffe einzukaufen wird mehr Geld fuumlr Daumlmmstoffe Isolierfenster Luumlftungsanlagen und Sonnenkollektoren aus inlaumlndischer Fabrikation ausgegeben Zwischen 2001 und 2012 haben

Paul KnuumlselPaul Knuumlsel studierte Umweltnaturwissen-schaften an der ETH Zuumlrich Er ist unabhaumln-giger Wissenschaftsjournalist und schreibt seit Jahren in Publikums- und Fachmedien uumlber die vielfaumlltigen Aspekte des nachhalti-gen Bauens Zusaumltzlich betreut er in der Re-daktion des laquoTEC21raquo das Ressort laquoEnergie und Umweltraquo

laquoDass ein hohes Umweltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren

derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauenraquo

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Der Wasserkraft Sorge tragen

Welchen Beitrag kann die Wasserwirtschaft zur Energie-wende leisten Roger Pfammatter Die Wasserkraft ist der energie-politische Trumpf der Schweiz Wir befinden uns in der gluumlcklichen Lage uumlber grosse Mengen Wasser und das notwendige Gefaumllle zu verfuumlgen ndash das sind die beiden wichtigsten Voraussetzungen fuumlr die hydroelektrische Produktion Und wir haben in den vergangenen 100 Jah-ren gelernt dieses Potenzial effizient und moumlglichst um-weltschonend zu nutzen Die Wasserkraft ist der Schluumls-sel fuumlr eine nachhaltige Energieversorgung technisch ausgereift politisch erwuumlnscht einheimisch erneuerbar und CO2-frei

Wie viel mehr ist moumlglichHeute leistet die Wasserkraft nicht nur rund 60 Prozent der Stromproduktion in der Schweiz sondern bietet auch unverzichtbare Regel- und Systemdienstleistungen die markant an Bedeutung gewinnen werden Vor allem bei der Flexibilisierung der Wasserkraft durch mehr Leistung und Speichervolumen waumlre noch einiges moumlglich Um die Aufgaben weiterhin zu gewaumlhrleisten muumlssen wir aber primaumlr dem Bestehenden Sorge tragen

Die Energiestrategie des Bundes gibt aber klare Ausbau-ziele vor Bis 2035 soll die Stromproduktion aus Wasser-kraft um 10 Prozent steigenUnter den momentanen Rahmenbedingungen ist dieses Ausbauziel nicht realistisch Im Gegenteil Aufgrund der Restwasserbestimmungen wird die Produktion in den naumlchsten Jahren vermutlich sogar zuruumlckgehen

Die Wasserkraft ist der wichtigste Pfeiler der Schweizer Ener-giewirtschaft ihr Potenzial ist aber weitgehend ausgeschoumlpft Roger Pfammatter Geschaumlftsfuumlhrer des Wasserwirtschaftsver-bands gibt im Interview Auskunft uumlber die Lage der Branche und ihre Bedeutung fuumlr die EnergiezukunftInterview Florian Wehrli

Expertensicht

Was muss sich aumlndern damit die vorgegebenen Ziele um-gesetzt werden koumlnnenZum einen braucht es dafuumlr die Akzeptanz der Umweltver-baumlnde der Fischer und letztlich der gesamten Bevoumllkerung Zum anderen muumlssen laumlngerfristig die extremen Marktver-zerrungen abgebaut werden damit sich auch Investitionen in die nicht gefoumlrderte Wasserkraft wieder lohnen Heute wird nur noch in subventionierte Anlagen investiert

Wer ist hier in der PflichtHier ist die Politik gefordert die Rahmenbedingungen zu verbessern Denn ohne die Wasserkraft kann die Energie-wende nicht gelingen

Anfang Jahr wurde der Wasserwirtschaftsverband von den zustaumlndigen Kommissionen angehoumlrt Welche Forderun-gen hat die Branche an das ParlamentWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerba-re Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichten die bereits bis zur Haumllfte der Geste-hungskosten ausmachen Damit sind wir doppelt diskrimi-niert Die Wasserkraft ist extrem unter Preisdruck ndash und dies obwohl sie mit Gestehungskosten zwischen 3 und 10 Rappen pro Kilowattstunde die effizienteste Strompro-duktionstechnologie ist Nur zum Vergleich Fotovoltaik -anlagen werden heute mit rund 40 Rappen subventioniert

Bis 2011 liess sich mit der Grosswasserkraft noch viel Geld verdienen Wurden zu wenige Ruumlcklagen fuumlr schlechte Zei-ten gebildet

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Es kann nicht der Sinn sein Ruumlcklagen fuumlr Zeiten zu bil-den in denen die Marktpreise die Gestehungskosten nicht mehr decken Das waumlre wie wenn ein Baumlcker auf jedem Gipfeli einige Rappen zuruumlckbehalten muumlsste damit er sie am naumlchsten Tag gratis abgeben kann Mit dem durch Subventionen verzerrten Marktpreis von 4 bis 5 Rappen pro Kilowattstunde ist unter den konventionellen Energie-traumlgern praktisch nur Kohle konkurrenzfaumlhig Das ist be-stimmt nicht im Sinn der Energiewende

Drei Grosswasserkraftprojekte sind heute bereits im Bau Koumlnnen die enormen Kosten uumlberhaupt amortisiert wer-denPrognosen sind schwierig An der europaumlischen Strom-boumlrse (EEX) werden bis 2020 Strompreise zwischen 45 und 53 Rappen pro Kilowattstunde gehandelt Der Markt glaubt also nicht an eine baldige Erholung Dafuumlr muumlsste das Uumlberangebot in Europa zuruumlckgehen etwa uumlber die Anhebung des CO2-Preises von heute 5 auf mindestens 30 Euro pro Tonne Politisch ist das aber kaum durchsetz-bar Neue Pumpspeicherwerke werden sich deshalb wohl erst in mehreren Jahrzehnten lohnen

Was kann die Kleinwasserkraft leistenOhne die kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) wuumlr-de niemand Kleinwasserkraftanlagen bauen genauso we-nig wie Fotovoltaik- Wind- oder Biomasseanlagen Zurzeit gibt es aber allein bei der Kleinwasserkraft rund 1 000 An-meldungen fuumlr Foumlrderbeitraumlge mit einem bescheidenen Ge-samtpotenzial von 33 Terawattstunden pro Jahr Die oumlko-logischen Auswirkungen sind im Vergleich zum Ertrag zu gross Obwohl wir von marktverzerrenden Foumlrderprogram-men wegkommen sollten waumlre es in einer Uumlbergangs phase sinnvoll die KEV-Obergrenze von 10 Mega watt aufzuheben und dort zu foumlrdern wo es wirklich etwas bringt

Wie soll die Grosswasserkraft unterstuumltzt werdenDas Sinnvollste waumlre die Abkehr von der Subventions-maschinerie ndash und zwar auf europaumlischer Ebene Dann wuumlrde sich die Wasserkraft als effiziente erneuerbare Stromproduktionsform mit Sicherheit durchsetzen Min-destens als Uumlbergangsloumlsung waumlre aber die Entlastung

von Abgaben in erster Linie vom Wasserzins dringend Der maximale Wasserzins wurde in den letzten vier Jahren um 38 Prozent erhoumlht und wird naumlchstes Jahr um weite-re 10 Prozent angehoben Diese Erhoumlhung wurde 2008 beschlossen und steht heute in keinerlei Bezug mehr zur Ertrags lage Kurzfristig koumlnnten die Kantone auf einen Teil dieser Zinsen verzichten ndash das waumlre ein wichtiges politi-sches Zeichen Langfristig muss ein neuer Modus fuumlr die Zinsberechnung gefunden werden der die Ertragslage der Wasserkraft mitberuumlcksichtigt Das ist auch im Interesse von Bund Kantonen und Gemeinden schliesslich ist die Wasserkraft zu 85 Prozent in oumlffentlicher Hand Ebenfalls als Uumlbergangsloumlsung bis zu besseren Marktpreisen waumlren zinsguumlnstige Darlehen fuumlr die noumltigen Investitionen in die Grosswasserkraft denkbar Ohne mindestens eine dieser Massnahmen kann die Wasserwirtschaft das geforderte Ausbauziel nicht erreichen

Bis dahin gibt es noch eine weitere Huumlrde den Heimfall der Stauanlagen an die Standortgemeinden Welchen Ein-fluss hat dieser UmstandWenn die Konzessionen nach 80 oder 100 Jahren aus-laufen muss der Betreiber der Gemeinde eine Entschaumldi-gung fuumlr den Restwert der Anlagen entrichten Im Fall der Staumauer Barberine bezahlen die SBB und Alpiq 2017 an sechs Walliser Gemeinden 343 Millionen Franken Das 400-Seelen-Dorf Finhaut erhaumllt alleine 112 Millionen Fran-ken und weiss kaum wohin mit dem Geld Der gesamte Wert des Heimfalls der Anlagen bewegt sich schweizweit im Milliardenbereich Der Houmlhepunkt des Heimfalls wird um 2035 erreicht werden Bis zu diesem Zeitpunkt soll aber auch ein Grossteil der geforderten Produktionsstei-gerung umgesetzt werden

Bei der Stromproduktion ist ein Ausbau von uumlber 10 Pro-zent wohl nicht realistisch Wie sieht es bei der Speicher-leistung aus Hier muss man unterscheiden zwischen kurzfristiger und saisonaler Speicherung Fuumlr die saisonale Speicherung verfuumlgt die Schweiz mit 200 Speicherseen uumlber ein Vo-lumen von rund 9 000 Gigawattstunden (GWh) die jedes Jahr vom Sommer in den Winter umgelagert werden Dies

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Expertensicht

entspricht einem Viertel der jaumlhrlichen Produktion aus Wasserkraft Das Ausbaupotenzial durch die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren betraumlgt rund 2 000 GWh Falls der Ausbau aber nicht gelingt entsteht im Winter durch den Ausfall der Kernenergie eine immer groumlssere Luumlcke an Bandenergie die durch den Import von Atom- oder Kohlestrom gedeckt werden muss

Wie sieht es beim Ausbau der Pumpleistung zum kurzfris-tigen Ausgleich von Schwankungen im Netz ausGrundsaumltzlich ist das Potenzial fuumlr Pumpspeicherwerke in der Schweiz riesig Es braucht nur zwei Seen auf unter-schiedlicher Houmlhe Die Frage ist ob sich solche Investi-tionen rechnen Die Pumpspeicherwerke finanzieren sich

uumlber den Preisunterschied zwischen Band- und Spitzen-energie Wenn an einem schoumlnen Sommertag in Europa mittags die geballte Ladung an Sonnen- und Windener-gie eingespeist wird koumlnnen die Pumpspeicherkraftwerke sehr guumlnstig oder sogar zu Negativpreisen Strom bezie-hen Man darf aber nicht vergessen dass dieselbe Situa-tion fuumlr die Laufwasserkraftwerke die rund die Haumllfte der Wasserkraftproduktion in der Schweiz ausmachen den gegenteiligen Effekt hat Diese koumlnnen aus technischen konzessionsrechtlichen oder oumlkologischen Gruumlnden nicht vom Netz genommen werden und muumlssen fuumlr ihre Strom-produktion bezahlen Das kann gehoumlrig ins Geld gehen An Weihnachten 2012 lag der Strompreis zum Beispiel bei minus 30 Rappen pro Kilowattstunde

Roger Pfammatter laquoWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerbare Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichtenraquo

Bild Florian Wehrli

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cherseen zur Flexibilisierung Damit das gelingt muss der Wert der Wasserkraft staumlrker im Bewusstsein der Bevoumllke-rung verankert sein Und nicht zuletzt muss der Marktpreis so weit uumlber den Gestehungskosten liegen dass sich In-vestitionen in die Wasserwirtschaft rentieren

Versuchen das Bestehende zu erhalten Diese Vision klingt etwas resigniertDas ist eine Frage der Perspektive Die Wasserkraft hat als Technologie in der Schweiz seit Langem Bestand Sie befindet sich in einer anderen Situation als Fotovoltaik und Windenergie die sich in einem hochdynamischen Umfeld mit grossem Potenzial in Forschung und Wachstum be-finden Die Wasserkraft ist dagegen nicht mehr in der Auf-bruchsphase sondern in der Konsolidierungsphase Da-fuumlr kann man sich auf die Wasserkraftwerke verlassen Sie produzieren bei Tag und in der Nacht im Sommer wie im Winter bei Windstille oder im Nebel Auch der Erhalt und die Optimierung des Bestehenden sind grosse Heraus-forderungen und bedingen grosse Investitionen

Sehen Sie eine Moumlglichkeit wie die Schweizer Wasser-wirtschaft in Zukunft Geld mit Systemdienstleistungen wie Netzstabilitaumlt verdienen kannDie unregelmaumlssig einspeisenden Stromproduzenten neh-men keinerlei Systemverantwortung wahr Ich habe selbst ein Solarpanel auf dem Dach Wenn Produktion moumlglich ist speise ich Strom ins Netz ein wenn nicht beziehe ich Die Produzenten mehr in die Verantwortung zu nehmen faumlnde ich sinnvoll ndash zum Beispiel uumlber Zertifikate fuumlr Spei-cherleistungen Diese koumlnnten bei Pumpspeicherwerken bezogen werden

Welcher Ausbau der Pumpspeicherleistung ist dafuumlr noumltigDie installierte Leistung betraumlgt heute rund 14 Gigawatt (GW) Mit den im Bau befindlichen und den geplanten An-lagen kann die Kapazitaumlt maximal auf 51 GW ausgebaut werden ndash etwa die Haumllfte der Jahreshoumlchstlast im Netz Damit die Schweizer Wasserkraft aber einen Beitrag zur Stabilitaumlt des europaumlischen Stromnetzes leisten kann muumlssten auch das Stauvolumen und die Leitungskapazi-taumlt erhoumlht werden Hier sind die Einsprachen von Anwoh-nern und Umweltverbaumlnden noch gravierender als bei den Anlagen selbst

Braucht es neue rechtliche Instrumente um den geplan-ten Ausbau durchsetzen zu koumlnnenEs braucht vor allem die Einsicht dass die Wasserkraft das Ruumlckgrat unserer Versorgungssicherheit ist und die Aus-wirkungen eines Ausbaus immer auch mit den Alternativen verglichen werden muumlssen Wir befinden uns aber auch in einem intensiv genutzten Land mit vielen Partikularinteres-sen Diese muumlssen gewichtet und abgewogen werden In der Abwaumlgung zwischen Landschaftsschutz und Wasser-nutzung waumlre es hilfreich wenn Grosswasserkraftanlagen den Status von nationalem Interesse erhalten

Wie soll die Schweizer Wasserwirtschaft im Jahr 2035 aussehenIch wuumlnsche mir dass die bestehende Infrastruktur auf dem heutigen Stand erhalten optimiert oumlkologisiert und im Idealfall etwas ausgebaut wird Dazu gehoumlren etwa die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren sowie neue Spei-

Roger PfammatterSeit seinem Ingenieurstudium an der ETH Zuumlrich hat er sich in ver-schiedenen Rollen dem Wasser verschrieben Nach sieben Lehr- und Wanderjahren in der Forschung und in der Entwicklungszusammen-arbeit war er zehn Jahre beim Ingenieurunternehmen Ernst Basler + Partner engagiert Seit 2010 ist er Geschaumlftsfuumlhrer des Schweizeri-schen Wasserwirtschaftsverbandes (SWV) und Herausgeber der Zeit-schrift laquoWasser Energie Luftraquo In diesen Funktionen setzt er sich ein fuumlr den Fachaustausch und gute Rahmenbedingungen in den Bereichen Wasserkraft und Hochwasserschutz

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Die globalen Energiemaumlrkte sind seit einigen Jahren stark in Bewegung Volatile Erdoumllpreise die Foumlrderung von un-konventionellen Gasvorkommen in grossem Stil die mas-sive Subventionierung von neuen erneuerbaren Energien in Deutschland der laquoarabische Fruumlhlingraquo und der Konflikt in der Ukraine hinterlassen Spuren Die Folge sind starke Verwerfungen an den Maumlrkten und fehlende Investitionssi-cherheit In diesem dynamischen und unsicheren Kontext will der Bund die bisherige Energiepolitik neu ausrichten ndash wahrlich eine Herkulesaufgabe Die Schweizer Wirtschaft verlangt dass der Bund bei der Neuausrichtung der Ener-giepolitik seinem in der Verfassung verankerten Auftrag nachkommt und sich fuumlr eine ausreichende sichere breit gefaumlcherte wirtschaftliche und umweltvertraumlgliche Ener-gieversorgung einsetzt Somit ist klar Die Energiestrate-gie 2050 muss in erheblichen Teilen optimiert und justiert werden Nur wenn vernetzt gedacht wird ist eine sichere Versorgung zu wettbewerbsfaumlhigen Preisen moumlglich

Prognosen klaffen weit auseinanderSeit Jahrzehnten bietet der Strommix aus Wasserkraft (knapp 60 Prozent) und Kernenergie (40 Prozent) Gewaumlhr fuumlr eine sichere klimafreundliche und wirtschaftliche Ener-gieversorgung Im Rahmen der Energiestrategie 2050 muss die Kernenergie langfristig ersetzt werden Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen zumal die Ziele des Bundes

Lebenselixier der Wirtschaft

Die Schweizer Wirtschaft ist auch in Zukunft auf eine sichere und wirtschaftliche Stromver-sorgung angewiesen Die Ener-giestrategie 2050 setzt stark auf Subventionen Dadurch entstehen Fehlanreize welche die Versorgungssicherheit ge-faumlhrdenText Kurt Lanz

Expertensicht

in Bezug auf das Potenzial der neuen erneuerbaren Ener-gien von Wunschdenken geleitet sind Die neuen erneuer-baren Energien werden sich langsamer entwickeln als an-gestrebt Der Bund rechnet mit rund 12 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2035 die Schweizer Wirtschaft mit 44 TWh Die vorsichtigeren Prognosen der Wirtschaft scheinen re-alistischer Dies zeigen exemplarisch die gescheiterten Geothermieprojekte in Basel und St Gallen Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Nachfrageprognosen Der Bund rechnet in seinen Szenarien mit einem Ruumlckgang des Stromverbrauchs pro Kopf von 16 Prozent zwischen 2000 und 2035 Die Schweizer Wirtschaft orientiert sich in ihren Szenarien am Verband Schweizerischer Elektrizitaumlts-unternehmen (VSE) der weiter mit einer steigenden Nach-frage rechnet Die Wirtschaft fordert von der Politik eine vernuumlnftige Planung aufgrund realistischer Schaumltzungen Die Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energiestrategie nicht gefaumlhrdet werden

Subventionen fuumlhren zu FehlanreizenDie Schweiz hat seit vielen Jahrzehnten erfolgreich die Wasserkraft vorangetrieben Aus politischen Gruumlnden wird nun die ndash unregelmaumlssige ndash Stromproduktion durch Sonnen- und Windenergie forciert Unsere sogenann-te kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) entspricht dem deutschen Foumlrdermodell Beide haben das gleiche Ziel Sie sollen erneuerbare Energien ausbauen indem sie neue Formen der Stromproduktion zur Marktreife brin-gen Weil das KEV-System die Sonnen- und Windenergie massiv foumlrdert kommt ein weiterer Ausbau der bewaumlhrten Wasserkraft nicht infrage Diese Entwicklung gefaumlhrdet die Versorgungssicherheit der Schweiz Auf den ersten Blick sinken zwar die Produktionskosten fuumlr Solarstrom gleich-zeitig steigen aber die Kosten fuumlr Speicherung und Inte-gration ins Netz spuumlrbar Auch ist der Ausbau von Solar- und Windenergie nur von beschraumlnktem Nutzen solange keine ausreichenden Speicherkapazitaumlten vorhanden sind Nur Preissignale koumlnnen das Investitionsverhalten von Stromproduzenten Netzbetreibern und Konsumen-ten sinnvoll lenken Subventionen sind zu beseitigen denn sie fuumlhren zu Fehlanreizen

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Alle Optionen offenhaltenOffenheit und Neugier gehoumlren zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft Kategorisches Abwehrverhalten und Denkverbote verhindern konstruktive Loumlsungsansaumltze und Innovation Eine sichere und kostenguumlnstige Strom-versorgung kann auch in Zukunft nur mit der notwendi-gen Offenheit gegenuumlber allen Technologien und Energie-

systemen garantiert werden Die Schweiz ist dank einer erfolgreichen Hochschulland-schaft und vielen Technolo-gieunternehmen gut geruumlstet Die verschiedenen Energie-systeme muumlssen faktenba-siert und ohne ideologische

Scheuklappen verglichen werden Nur so koumlnnen effizi-ente und umweltvertraumlgliche Loumlsungen gefunden werden Das heutige System der Foumlrderung der neuen erneuer-baren Energien ist durch ein marktorientiertes System ab-zuloumlsen Produzenten die nachfragegerecht einspeisen sollen eine houmlhere Verguumltung erhalten als andere Auch soll der Vorrang der Netzeinspeisung fuumlr subventionierte Energietraumlger aufgehoben werden

laquoDie Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit

des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energie strategie nicht

gefaumlhrdet werdenraquo

Schnellere Verfahren anstrebenGrundvoraussetzung fuumlr eine Neuausrichtung der Ener-giepolitik sind funktionierende Stromnetze Diese muumls-sen zwingend parallel zum Umbau der Stromproduktion weiterentwickelt werden Allein der noumltige Ausbau der Uumlbertragungsnetze belaumluft sich auf rund 1 000 Kilometer bis ins Jahr 2020 Erforderlich sind zudem Investitionen in alle Verteilernetzebenen Al-lerdings verzoumlgern komplizier-te Verfahren auf Kantons- und Bundesebene den Ausbau Ausserdem erwaumlchst praktisch jedem Projekt Widerstand von privater Seite was zu weiteren Verzoumlgerungen fuumlhrt Die Wirt-schaft fordert deshalb Bei Bewilligungen von Stromnetzen ist der Gang vors Bundesgericht nur noch bei Grundsatz-fragen moumlglich Umbauten sowie Spannungs- und Kapa-zitaumltserweiterungen koumlnnen ohne Planungsgenehmigung realisiert werden Ausserdem sind die Verfahren bei einer einzigen Leitbehoumlrde anzusiedeln

Spielfeld erweiternDie Schweiz ist seit jeher ein wichtiges Stromtransitland Schon seit den 90er-Jahren treibt die EU die Vereinheitli-chung des Binnenmarkts fuumlr Strom hin zu einem eigent-lichen EU-Strommarkt voran In der Schweiz erweist sich die gesetzliche Trennung von Grundversorgung und Markt diesbezuumlglich zunehmend als Hindernis Aus Sicht der Wirtschaft ist die vollstaumlndige Liberalisierung des Strom-markts eine zwingende Voraussetzung fuumlr eine erfolgrei-che energiepolitische Neuausrichtung

Eine Marktoumlffnung wuumlrde insbesondere auch den erneuer-baren Energien neue Chancen eroumlffnen und Zugang zu neuen Kunden gewaumlhren Von hoher Wichtigkeit ist auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU Je groumlsser der Anteil erneuerbarer Energien umso wichtiger ist die Einbettung in Europa denn Investitionen in Netze und Produktion koumlnnen in Koordination mit der EU wirkungsvoller und wahrscheinlich kostenguumlnstiger getaumltigt werden

Kurt LanzKurt Lanz ist Leiter Infrastruktur Energie und Umwelt sowie Geschaumlftsleitungsmitglied von economiesuisse dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft

Gut vernetzt ndash Vorschlaumlge der Schweizer Wirtschaftzur EnergiepolitikDie Publikation basiert auf der Grundlagenarbeit der breit abgestuumltz-ten Energiekommission von economiesuisse und macht konstruk-tive Vorschlaumlge fuumlr einen erfolgreichen energiepolitischen Weg der Schweiz Download unter wwweconomiesuissech

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

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Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

wwwsmlzhawch

Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 18: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

18 COMPETENCE | 2014

Negawatt statt Megawatt

Energieeffizienzmassnahmen finanziell lohnen Zudem ver-fuumlgen kleine und mittlere Unternehmen selten uumlber Ener-gieverantwortliche oder Umweltbeauftragte die im Akqui-sitionsprozess gezielt angesprochen werden koumlnnen

Schwaumlchen bisheriger ProgrammeEine Umfrage der ZHAW bei Programmverantwortlichen zeigt diverse Schwaumlchen laufender Effizienzprogramme auf Ein haumlufiges Problem sind falsche Anreize So wird vornehmlich vermittelt wie mit Energieeffizienz Geld ge-spart wird Offensichtlich geht man davon aus dass Un-ternehmen praktisch nur uumlber finanzielle Anreize zu moti-vieren sind Bei den angepeilten KMU fallen Energiekosten jedoch kaum ins Gewicht Beratungsaufwand und Ergeb-nis stehen umso mehr im Missverhaumlltnis je weniger Ener-gie verbraucht wird Weiter scheinen die Programmver-antwortlichen ihre Zielgruppen kaum zu segmentieren und als unterschiedliche Kundensegmente wahrzunehmen Entsprechend beinhalten die meisten Programme ein Standardangebot mit einem breiten Spektrum an Mass-nahmen die oft nicht branchenspezifisch zugeschnitten sind Auch die Kundenansprache erfolgt in der Regel un-differenziert und die Moumlglichkeiten der Neuen Medien wer-den kaum genutzt

Keine langfristige PerspektiveEin Grossteil der Programme ist nicht auf Kundenbindung ausgelegt Insbesondere werden kaum Informationen er-fasst welche die Planung einer weiterfuumlhrenden Bezie-

Schweizer Unternehmen koumlnnten auf wirtschaftliche Art und Weise bis zu 30 Prozent ihres Energieverbrauchs ein-sparen Speziell bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) die immerhin 10 Prozent des Schweizer Stromver-brauchs verantworten ist das Sparpotenzial aber ungenuuml-gend ausgeschoumlpft

Energieeffizienzprogramme wirken nichtBehoumlrden Energieversorger und private Organisatio-nen haben in den letzten Jahren wiederholt Programme lanciert um Energieeinsparungen gezielt zu foumlrdern Al-lerdings haben bislang weniger als 1 Prozent der rund 300 000 Schweizer KMU an einem solchen Programm teilgenommen und die Umsetzungsquoten sind ebenfalls gering Uumlber die Gruumlnde die Unternehmen daran hindern an Energieeffizienzprogrammen teilzunehmen und ent-sprechende Massnahmen umzusetzen sind sich die Pro-grammverantwortlichen uneinig Oft werden Zeitmangel Priorisierung anderer Investitionen fehlende Mittel und zu lange Amortisationszeiten als Hemmnisse genannt Ge-nerell scheint es dass bei Kleinunternehmen Zeit- und Geldmangel eine wichtige Rolle spielen waumlhrend bei Un-ternehmen mittlerer Groumlsse eher der Mangel an Motiva tion und Bewusstsein ausschlaggebend ist Energiekosten machen bei KMU einen verschwindend kleinen Anteil der Gesamtkosten aus sodass die Prioritaumlten fuumlr Investitionen haumlufig anders liegen Man investiert beispielsweise lieber in Betriebsmittel zur Erhoumlhung der Produktivitaumlt als in die Reduktion der (bereits tiefen) Energiekosten obwohl sich

Energieeffizienz ist ein zentraler Pfeiler der Energiestrategie 2050 Die Schweiz gehoumlrt zu den Spitzenreitern punkto Energie effizienz auch dank ihrem dominanten Tertiaumlrsektor Dennoch liegen auch bei hiesigen Unternehmen grosse Sparpotenziale brach Wie diese genutzt werden koumlnnen untersucht die ZHAW in einem interdisziplinaumlren ProjektText Rolf Rellstab

Hochschulperspektive

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brauch betrifft erhoumlhte Arbeitssicherheit weniger Laumlrm-belastung oder geringerer Rohstoffverbrauch Der Wert solcher laquoNon-Energy Benefitsraquo kann fuumlr Unternehmen bis zu 250 Prozent der energetischen Einsparungen betra-gen Es geht also darum KMU gezielter auf die Chancen der Energieeffizienz hinzuweisen Schliesslich gilt es auch Unternehmen wissen zu lassen dass sich ihre Kunden fuumlr dieses Thema interessieren sowie ihnen dabei zu helfen ihr Energie effizienzengagement sichtbar zu machen Waumlh-rend bereits heute viele Unternehmen bestaumltigen dass sich ihr Image bei den Kunden durch die Teilnahme an einem Energieeffizienzprogramm verbessert hat achten erst wenige Firmen auch bei der Kommunikation darauf dass entsprechende Massnahmen gebuumlhrend bekannt gemacht werden

hung zu den Programmteilnehmenden ermoumlglichen wuumlr-den Angaben zu Stromverbrauch Houmlhe und Anteil der Energiekosten Anzahl Mitarbeitende und Umsatz waumlren wertvolle Informationen im Hinblick auf allfaumlllige Folgepro-gramme Im Vordergrund stehen zudem bei den meisten Programmen technische Loumlsungen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz Eine nachhaltige Verhaltensaumlnderung bei Mitarbeitenden oder auf Managementebene wird hingegen kaum verfolgt Auch ein Monitoring der Wirkung von Ener-gieeffizienzprogrammen ist bislang nicht vorhanden oder

wird zu wenig systematisch betrieben So wird zum Bei-spiel die effektive Energieeinsparung vielfach nicht erfasst und gepruumlft Das tatsaumlchliche Kosten-Nutzen-Verhaumlltnis einzuschaumltzen ist somit schwierig Dass die bestehenden Energieeffizienzprogramme inhaltlich durchaus Anklang finden zeigen Ruumlckmeldungen von Unternehmen die in der Vergangenheit daran teilgenommen haben Die Befrag-ten beurteilen ihre Erfahrungen mehrheitlich positiv Aus Sicht der Unternehmen lagen die Energieeinspar effekte im Bereich der Erwartungen Viele wuumlrden nochmals an einem solchen Programm teilnehmen was die oben ge-nannten Versaumlumnisse umso bedauerlicher macht

Wirksamkeit verbessernWie koumlnnen KMU zum Energiesparen motiviert werden Aus Marketingsicht beinhaltet ein sinnvolles Programm eine segmentspezifische Kundenansprache die den laquoReifegradraquo (Wissen Einstellungen und Verhalten) eines Unternehmens in Bezug auf Energieeffizienz beruumlcksich-tigt Zweitens braucht es eine klare Kundenbeziehungs-strategie welche eine wiederholte Teilnahme zum Ziel hat Bei den Anreizen einzig die finanziellen Aspekte wie etwa erwartete Kostensenkungen oder Foumlrderbeitraumlge hervor-zuheben scheint wenig erfolgversprechend Der Fokus wird in Zukunft wohl vermehrt darauf liegen denjenigen Nutzen hervorzuheben der nicht direkt den Energiever-

Rolf RellstabRolf Rellstab ist wissenschaftlicher Mit-arbeiter und Projektleiter am Institut fuumlr Marketing Management der ZHAW School of Management and Law Seine Arbeits-schwerpunkte liegen im Bereich Kommuni-kation Kundenbeziehungsmanagement und B-to-B-Marketing

Projektziel und VorgehensweiseIm ZHAW-Projekt laquoNegawatt statt Megawattraquo werden optimierte Vorgehensweisen entwickelt um KMU mit einem jaumlhrlichen Strom-verbrauch zwischen 10 und 500 MWh zum Energiesparen zu moti-vieren Der Begriff laquoNegawattraquo bezeichnet die eingesparte Energie die zu virtuellen Negawatt-Kraftwerken kombiniert wird So wird anschaulich aufgezeigt wie viel Energie dank diesen Einsparungen weniger produziert werden muss Das Projekt beinhaltet eine interna-tionale Literaturstudie zu den Erfolgsfaktoren und Hemmnissen von Energieeffizienzprogrammen eine Umfrage bei Anbietern solcher Programme sowie eine Befragung von KMU Aus den Ergebnissen dieser drei Teilstudien werden Hypothesen im Hinblick auf ein idea-les Energieeffizienzprogramm abgeleitet In einem Folgeprojekt sol-len die Hypothesen im Rahmen eines Pilotprogramms uumlberpruumlft und weiterentwickelt werden Das Projekt wird durch den WWF Schweiz die Stiftung Pro Evolution das Bundesamt fuumlr Energie (BFE) und die Elektrizitaumltswerke des Kantons Zuumlrich (EKZ) unterstuumltzt Weitere In-formationen wwwzhawchnegawatt

laquoEine nachhaltige Verhaltens - aumlnderung bei Mitarbeitenden oder auf Managementebene

wird kaum verfolgtraquo

Wie viel Heizoumll wird jaumlhrlich in Winterthur verbraucht

21COMPETENCE | 2014

Klima im Wandel ndash Emissionsrechte im Handel

Der Klimawandel laumlsst sich anhand des Treibhauseffekts veranschaulichen Die Treibhausgase bewirken dass kurz-welliges Sonnenlicht zur Erdoberflaumlche gelangt verhindern jedoch dass langwellige Waumlrmestrahlung von der Erde nach aussen dringt Somit kann die Waumlrme nicht mehr entweichen und die Temperatur steigt Der Ausstoss von Treibhausgasen die vor allem bei der Verbrennung von fossilen Energietraumlgern wie Kohle Gas und Oumll entstehen hat seit der industriellen Revolution stark zugenommen und den natuumlrlichen Treibhauseffekt verstaumlrkt Eine Zunahme der Haumlufigkeit und Intensitaumlt meteorologischer und hydro-logischer Grossereignisse wie Stuumlrme und Uumlberschwem-mungen sind die Folge ndash mit gravierenden oumlkologischen oumlkonomischen und sozialen Konsequenzen

Der 2013 veroumlffentlichte Bericht der internationalen Exper-tengruppe Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zeigt auf dass die globale Durchschnittstempera-tur in den letzten 130 Jahren um 085deg Celsius gestiegen

Der Klimawandel findet nicht in ferner Zukunft sondern bereits jetzt statt Um ihn fuumlr Mensch und Umwelt auf einem ertraumlg-lichen Niveau zu stabilisieren muumlssen die Treibhausgas-emissionen reduziert werden Der Emissionshandel soll dazu beitragen sie dort zu mindern wo die geringsten Kosten an-fallen So kann das gesetzte Mengenziel oumlkonomisch effizient erreicht werdenText Regina Betz

ist Ohne Minderungsanstrengungen wird bis 2100 ein mehr als fuumlnffacher Anstieg prognostiziert Um die Treib-hausgaskonzentration in der Atmosphaumlre auf einem fuumlr Mensch und Umwelt akzeptablen Niveau zu stabilisieren muss die Erwaumlrmung bei unter 2deg Celsius stagnieren Da-fuumlr muumlssen laut dem 2014 veroumlffentlichten Bericht des IPCC die globalen Treibhausgasemissionen (THGE) bis 2050 gegenuumlber 2010 mindestens halbiert und bis 2100 um rund 100 Prozent reduziert werden 1997 hat sich die internationale Staatengemeinschaft im Kyoto-Protokoll fuumlr die Jahre 2008 bis 2012 erstmals auf voumllkerrechtlich ver-bindliche Ziele fuumlr den Ausstoss von THGE in den entwi-ckelten Laumlndern geeinigt aktuell finden Verhandlungen fuumlr die Festlegung neuer Ziele statt

Cap and TradeZur Zielerreichung sieht das Kyoto-Protokoll unter ande-rem den Emissionshandel auf Staatenebene vor Zahl-reiche Laumlnder wenden dieses Instrument aber haumlufiger auf Unternehmensebene an Das Grundprinzip ist einfach Die Houmlchstmenge (Cap) an erlaubten Gesamtemissionen wird festgelegt und an die regulierten Unternehmen im Emissions rechtehandelssystem (EHS) verteilt Die Unter-nehmen sind verpflichtet fuumlr jede emittierte Tonne Kohlen-dioxid ein Emissionsrecht einzureichen ansonsten sind Sanktionszahlungen faumlllig Will ein Unternehmen uumlber die ihm zugeteilte Menge hinaus emittieren muss es ein an-deres Unternehmen finden das ihm die benoumltigte Menge an Emissionsrechten verkauft (Trade) Unternehmen mit hohen Minderungskosten werden dabei Emissionsrechte hinzukaufen und Unternehmen mit niedrigen Kosten wer-den ihre Emissionen mindern indem sie etwa Biomasse statt Kohle verbrennen und uumlberschuumlssige Emissions-rechte verkaufen Durch den Handel koumlnnen die erforder-lichen Emissionsminderungen dort realisiert werden wo sie mit den geringsten Kosten verbunden sind Am Markt stellt sich ein Preis fuumlr die Emissionsrechte ein der Ange-bot und Nachfrage zum Ausgleich bringt

So einfach das Prinzip ist so schwierig ist seine Umset-zung Das System bedingt dass die Regierungen Rech-te fuumlr die Nutzung der Atmosphaumlre schaffen die zu einer

Hochschulperspektive

22 COMPETENCE | 2014

Hochschulperspektive

Reduktion der Emissionen gegenuumlber einer Referenzent-wicklung fuumlhren dem sogenannten Business-as-usual-Szenario Doch die Abschaumltzung dieses Szenarios also der Entwicklung der Emissionen ohne Mengenbegren-zung ist schwierig wie die nachfolgenden Ausfuumlhrungen zum Emissionshandel in der EU zeigen

Der Emissionshandel in der EUDas EU-EHS ist der weltweit groumlsste Markt von Emissions-rechten Alle 28 EU-Staaten sowie Liechtenstein Island und Norwegen sind daran beteiligt Die Schweiz wuumlrde sich gerne anschliessen Das EU-EHS leidet seit seiner Einfuumlhrung im Jahr 2005 unter einem Uumlberangebot das sich mittlerweile auf rund 2 Milliarden Emissionsrechte be-laumluft Dies entspricht ungefaumlhr den vom System regulierten Emissionen eines Jahres Neben den unvorhergesehenen oumlkonomischen Entwicklungen durch die globale Finanz-krise traumlgt auch der starke Zubau an erneuer baren Ener-gien zu einem houmlheren Ruumlckgang der Emissio nen bei als geplant Der Hauptgrund fuumlr den derzeitigen Uumlberschuss liegt jedoch darin dass die regulierten Unternehmen ne-ben den Europaumlischen Emissionsrechten ndash European Union Allowances (EUAs) ndash auch auslaumlndische Emissions-minderungszertifikate ndash Certified Emission Reductions (CERs) ndash zu einem bestimmten Anteil anrechnen koumlnnen Mit dem sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) koumlnnen Industrienationen in Entwicklungslaumlndern emissionsmindernde Projekte finanzieren und sich die da-bei entstehenden THGE-Reduktionen mithilfe von CERs anrechnen lassen

Durch diese verschiedenen Faktoren hat sich ein Uumlberan-gebot entwickelt das den Preis der EUAs und CERs stark sinken liess Der Preis belaumluft sich derzeit auf rund fuumlnf Euro pro EUA Die bisherigen Reformanstrengungen wie etwa das sogenannte Backloading das Verschieben von Auktionen in spaumltere Jahre um die Menge zu verknappen haben bisher kaum zu einer Preiserhoumlhung gefuumlhrt

Die Schweiz als PreishochburgDer Schweizer Markt wuumlrde bei einem Zusammen-schluss nur rund 03 Prozent des EU-EHS ausmachen

Die Schweiz wuumlrde somit als Preisnehmerin agieren Das heisst der EU-Preis sollte auch in der Schweiz gelten Umso erstaunlicher ist es daher dass der Schweizer Preis pro Emissionsrecht derzeit bei rund 40 Franken liegt ob-wohl die Verbindung des Schweizer EHS mit dem EU-EHS geplant ist (sogenanntes Linking) Das auf der Basis des revidierten CO2-Gesetzes von 2012 und der CO2-Verord-nung verabschiedete System das den Emissionshandel am 1 Januar 2013 fuumlr 38 Unternehmen beziehungsweise 55 Anlagen in der Schweiz verbindlich eingefuumlhrt hat uumlber-nimmt weitestgehend die Regeln des EU-EHS Das neue System hat das bisherige freiwillige EHS in der Schweiz abgeloumlst Die im EHS erfassten Unternehmen sind von der CO2-Abgabe befreit Die hohe Kompatibilitaumlt des Schwei-zer EHS und des EU-EHS sollte ein schnelles Linking er-moumlglichen wobei die Verhandlungen durch die Annahme der Einwanderungsinitiative zum Stillstand gekommen sind Ein moumlglicher Erklaumlrungsansatz ist daher dass der hohe Preisunterschied die derzeitige Unsicherheit uumlber den Ausgang der Linking-Verhandlungen widerspiegelt Gehen die Schweizer Unternehmen davon aus dass kein Linking stattfindet sollte sich der Preis anhand der Minderungs-kosten und der Knappheit im Schweizer EHS bilden Fuumlr die Unternehmen ist es immer noch guumlnstiger den der-zeitigen Preis von 40 Franken fuumlr die Emissionsrechte zu bezahlen als eine Busse von 125 Franken pro fehlendes Emissionsrecht Zusaumltzlich zur Busse ist das Unternehmen verpflichtet die fehlenden Rechte im naumlchsten Jahr nach-zureichen Auch hier hat sich die Schweiz stark am EU-EHS orientiert bei dem die Busse bei 100 Euro pro EUA plus Wiedergutmachung liegt

Allokation beeinflusst den WettbewerbDie Gesamtmenge an Emissionsrechten (Cap) leitet sich aus den historischen Emissionen der teilnehmenden EHS-Unternehmen ab Fuumlr bestehende Anlagen die bereits vor 2013 am EHS in der Schweiz beteiligt waren setzt sie sich aus der Summe der durchschnittlich zugeteilten Emis-sionsrechte der ersten Verpflichtungsperiode (2008 bis 2012) zusammen fuumlr Anlagen die 2013 hinzukommen aus der Summe der durchschnittlichen Emissionen der

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fuumlr neue Anlagen in einer Reserve zuruumlckbehalten deren Uumlberschuumlsse zweimal jaumlhrlich versteigert werden Die Zu-teilung der Emissionsrechte hat etwas laumlnger gedauert so-dass sie in der Schweiz fuumlr die Jahre 2013 und 2014 erst im Februar 2014 erfolgte Das mag auch einer der Gruumlnde sein dass bisher kein Handel auf dem Sekundaumlrmarkt fuumlr den die Berner Kantonalbank eine eigene Emissions-handelsplattform bereitgestellt hat stattgefunden hat Das erste Preissignal war deshalb die Auktion der Uumlberschuumls-se aus der Neuemittentenreserve Diese fand vom 14 bis 21 Mai 2014 statt und erzielte fuumlr die 150 000 Emissions-rechte einen Preis von 4025 Franken pro Emissionsrecht

Wie sich die Liquiditaumlt im Schweizer Markt in Zukunft ent-wickeln wird und ob ein Linking mit dem EU-EHS und so-mit eine Angleichung der Schweizer Preise an die EU-EHS-Preise stattfinden wird bleibt abzuwarten Letzteres waumlre zwar aus oumlkonomischer Sicht zu begruumlssen da ein groumls-serer liquider Markt mit einheitlichem Preissignal als effizi-enter bewertet wird Aus oumlkologischer Sicht scheint jedoch ein Linking der Systeme ohne weitere Reformen des EU-EHS nicht wuumlnschenswert da es die Minderungsanreize in der Schweiz als Folge des Angebotsuumlberschusses an Emissionsrechten in der EU massiv reduzieren wuumlrde

Jahre 2009 bis 2011 Diese Summe wird jaumlhrlich um 174 Prozent reduziert analog der Regelung im EU-EHS

Neben der Festlegung der Obergrenze ist die Ausgestal-tung der Zuteilungsregeln politisch am schwierigsten da diese Verteilungswirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussen Bis 2012 wurden die Emissionsrechte in der EU daher groumlsstenteils kostenlos zugeteilt Seit 2013 werden rund 48 Prozent der Emissionsrechte versteigert wobei diese vor allem von Elektrizitaumltsfirmen gekauft wer-den muumlssen Da diese nicht im internationalen Wettbewerb

stehen konnten sie den Preis der gratis erhaltenen Emis-sionsrechte an die Elektrizitaumltskonsumenten weitergege-ben und hohe Gewinne erzielen Unternehmen aus Sek-toren die im internationalen Wettbewerb stehen koumlnnen hingegen die Kosten fuumlr die Emissionsrechte nicht an ihre Endkunden weitergeben ohne betraumlchtliche Nachteile in Kauf zu nehmen Es besteht daher das Risiko dass diese Firmen in Laumlnder ohne Klimapolitik abwandern Um dieses Risiko zu senken erhalten Unternehmen bei denen ein Risiko auf Abwanderung besteht auch in Zukunft weitest-gehend kostenlos Emissionsrechte zugeteilt Die Zuteilung basiert dabei auf sogenannten Benchmarks (Tonne Koh-lendioxid pro Tonne Produkt) die auf der Basis der effizi-entesten 10 Prozent der Unternehmen berechnet und mit historischen Produktionsdaten multipliziert werden

Noch kein Handel in der SchweizDie Schweiz hat die Benchmarks des EU-EHS uumlbernom-men Da in der Schweiz vor allem stark im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen aus den Sektoren Zement Papier Chemie Stahl und Raffinerien unter den Emissionshandel fallen werden fast alle Emissionsrechte kostenlos zugeteilt Ein kleiner Anteil von 5 Prozent wird

Regina BetzDr Regina Betz ist Dozentin fuumlr Energie- und Umweltoumlkonomie an der ZHAW School of Management and Law Seit 2014 leitet sie den volkswirtschaftlichen Teil der Ener-gy Policy Analysis Group des Zentrums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht das Mitglied des Schweizer Competence Centers for Research in Energy Society and Transition (CREST) ist Zuvor lehrte sie an der University of New South Wales Australia Umwelt- und Klimaoumlkonomie und leitete als Co-Direktorin das Centre for Energy and Environmental Markets (CEEM) 1998 bis 2004 arbeitete sie als Wissenschaftlerin am Fraunhofer-Institut fuumlr System- und Innovationsforschung ISI in Deutschland

laquoNeben der Festlegung der Ober grenze ist die Ausgestaltung der Zuteilungsregeln politisch am

schwierigsten da diese Verteilungs wirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussenraquo

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nicht vollstaumlndig genutzt werden kann In der Energiestra-tegie des Bundes ist gemaumlss einem Szenario bis 2050 ein Zubau auf knapp 12 TWh pro Jahr Stromproduktion aus Fotovoltaik angedacht Dies bedingt den Bau von Fotovol-taikanlagen mit einer installierten Spitzenleistung von etwa 12 Gigawattpeak (GWp) und einem Flaumlchenbedarf von rund 84 000 000 Quadratmetern Dieser Flaumlchenbedarf ist auf den bestehenden Daumlchern in der Schweiz verfuumlgbar

An einem schoumlnen Sommertag koumlnnen diese Anlagen dann also etwa 12 GW erzeugen die maximale Ver-brauchslast liegt im Sommer aber nur bei rund 8 GW Es entsteht ein Uumlberschuss von 4 GW die Speicherleistung der Schweizer Pumpspeicheranlagen betraumlgt heute aber nur 15 GW 25 GW Leistung koumlnnen in diesem Szenario also gar nicht genutzt werden An einem Wintertag mit Hochnebel erzeugen diese Anlagen uumlberhaupt keinen Strom die Verbrauchslast liegt aber mit 10 GW noch houml-her als im Sommer Hier entsteht eine Luumlcke die mit ande-ren Energieformen oder Importen gedeckt werden muss

Speichern uumlbertragen oder einsparenUm diesem Problem zu begegnen gibt es verschiedene Loumlsungsansaumltze Ein Ansatz ist die Energie lokal dort zu speichern wo sie erzeugt aber nicht sofort verbraucht werden kann In diesem Fall werden in erster Linie viele kleine Speichermodule benoumltigt die sowohl fuumlr kurz- als auch langfristigen Ausgleich sorgen muumlssen Eine andere Moumlglichkeit ist es die Energie an Orte zu uumlbertragen wo sie sofort verbraucht wird dann muss in erster Linie das Netz ausgebaut werden Schliesslich koumlnnte Energie auch zentral zu grossen Speichern transportiert werden was sowohl einen Netzausbau als auch neue Speichertechno-logien bedingen wuumlrde

Als die Gesellschaft noch aus Jaumlgern und Sammlern be-stand verbrauchte der Mensch seine Energie lokal dort wo er sie benoumltigte Er lebte von der Hand in den Mund Im Zuge der aufkommenden Landwirtschaft musste er Methoden entwickeln um Nahrung haltbar zu machen und sie zu transportieren Vor demselben Problem steht heute die Energiewirtschaft Ort und Zeit der erneuerbaren Energieerzeugung korrelieren je laumlnger je weniger mit dem Verbrauch Die Herausforderung der Energiewende ist deshalb nicht nur die Produktion selbst sondern auch die Uumlbertragung die Speicherung und das lokale Verbrauchs-last-Management

Saisonale Speicherung problematischMit dem Ausstieg aus der Kernenergie muumlssen in der Schweiz etwa 40 Prozent der produzierten elektrischen Energie ersetzt werden also rund 23 Terawattstunden (TWh) pro Jahr Im Gegensatz zur Kernenergie haben die neuen erneuerbaren Energien den Nachteil dass ihre Pro-duktion nicht steuerbar ist und unregelmaumlssig anfaumlllt Der Kapazitaumltsfaktor also das Verhaumlltnis von durchschnittlicher zu maximaler Leistung betraumlgt bei konventionellen Kraft-werken bis zu 100 Prozent bei Fotovoltaikanlagen dage-gen nur etwa 10 Prozent Hinzu kommen die starken saiso-nalen Schwankungen dieser stochastisch erzeugenden Energiequellen Im Winter liegt die Stromverbrauchsspitze mit circa 10 Gigawatt (GW) rund ein Drittel houmlher als im Sommer gleichzeitig liefern Fotovoltaikanlagen aufgrund des flacheren Einstrahlungswinkels und der kuumlrzeren Son-nenscheindauer wesentlich weniger Strom als im Sommer

Anhand eines Gedankenexperiments laumlsst sich veran-schaulichen dass das Potenzial der neuen erneuerbaren Energien ohne zusaumltzliche Speicher oder steuerbare Lasten

Energie haltbar machen

Der Ausbau von erneuerbaren Energiequellen geht so schnell voran dass Speicher- und Uumlbertragungstechnologien kaum mithalten koumlnnen Um Produktionsspitzen zu glaumltten braucht es Fortschritte in der EnergietechnikText Petr Korba

Hochschulperspektive

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Petr KorbaProf Dr Petr Korba ist Dozent und Fach-gruppenleiter fuumlr elektrische Energietechnik und Smart Grids an der ZHAW School of En-gineering Zuvor forschte er uumlber zehn Jahre bei ABB Schweiz in den Bereichen Automa-tion Energie- und Regelungstechnik

Scherrer Institut an der Power2Gas-Technologie Dabei wird Kohlendioxid mit Strom aus erneuerbaren Quellen durch Elektrolyse zu Wasserstoff oder weiter zu Methan verarbeitet Aumlhnlich wie bei der Nahrungsmittelproduktion wo Staumlrke schliesslich als raffinierter Zucker gespeichert wird gibt es auch bei der Stromspeicherung immer raffi-niertere Formen Bei jeder Umwandlung geht aber Energie verloren Man muss sich also gut uumlberlegen ob man uumlber-haupt speichern will und wenn ja uumlber welchen Zeitraum

Mit der wachsenden Integration von erneuerbaren Energi-en steigen auch die Anforderungen an die Energietechnik Unser kuumlnftiges Energiesystem wird staumlrker automatisiert und intelligenter sein Um erneuerbare Energiequellen zu integrieren werden Informations- und Kommunikations-technologien Automatisierungs- und Regelungstechnik Signalverarbeitung oder Wettervorhersagen immer wich-tiger In den intelligenten Stromnetzen der Zukunft wer-den alle beteiligten Komponenten Daten wie den aktuellen Verbrauch verfuumlgbare Strommengen oder lokale Aus-faumllle melden und gleichzeitig solche Daten aus anderen Netzkomponenten empfangen Das daraus resultierende Smart Grid ist ein Gefuumlge das selbststaumlndig auf diese Ein-fluumlsse reagiert und seine eigene Effizienz optimiert Es gilt Energie effizienter zu uumlbertragen um raumlumliche Distanzen zu uumlberwinden und neue Speichertechnologien zu entwi-ckeln um zeitliche Engpaumlsse zu uumlberbruumlcken Elektrische Energie kann auf verschiedene Arten erzeugt gespei-chert und uumlbertragen werden Jede Art hat ihre Vor- und Nachteile und ihren Preis Anreize aus der Politik werden schliesslich entscheiden welche Formen dies in der Zu-kunft sein werden

Auf der Verbraucherseite laumlsst sich die Nutzlast durch ge-eignetes Last-Management anpassen Diese Steuerung schaltet verbrauchsintensive Anlagen in Unternehmen gewerblichen Betrieben und Haushalten gezielt dann ein wenn die Stromtarife guumlnstig sind Es duumlrfte aber schwie-rig sein der Bevoumllkerung vorzuschreiben wann sie zum Beispiel fernsehen oder kochen darf Eine intelligente Re-gelung von grossen Kuumlhlhaumlusern stoumlrt dagegen nieman-den Trotz solchen Bestrebungen geht die International Energy Agency (IEA) davon aus dass der Stromverbrauch weltweit jaumlhrlich um rund 1 Prozent zunimmt Diese Ten-denz verstaumlrkt sich voraussichtlich noch falls sich der Bereich Mobilitaumlt von fossilen Energietraumlgern hin zur Elek-tromobilitaumlt verschieben wird Die Geschichte hat gezeigt dass der Energieverbrauch eigentlich nur in Krisenzeiten zuruumlckgeht

Klar ist jedenfalls dass der Ausbau von Speichern und Netzen Hand in Hand mit der zunehmenden Integration von erneuerbaren Energiequellen erfolgen muss Auf unter-schiedlichen Netzebenen kommen unterschiedliche Spei-chertechnologien zum Einsatz Waumlhrend fuumlr Haushalte mit kleinen Fotovoltaikanlagen und im Niederspannungsnetz bereits Batteriespeicher vorhanden sind stossen diese bei mehr als einer Windturbine oder groumlsseren Solarparks schnell an ihre Grenzen Das groumlsste Batterieenergie-speichersystem der Schweiz betreiben die Elektrizitaumlts-werke des Kantons Zuumlrich in Dietikon Es hat 1 Megawatt (MW) maximale Speicherleistung und kann diese waumlhrend ungefaumlhr 15 Minuten abgeben respektive speichern Die Spitzenlast im Schweizer Hochspannungsnetz liegt aber bei 8 GW im Sommer und 10 GW im Winter Die Schwei-zer Pumpspeicherkraftwerke koumlnnen unseren Strombe-darf nur etwa einen Monat lang decken Das europaumlische Hochspannungsnetz verfuumlgt uumlber eine Spitzenlast von circa 500 GW Um die Leistung von Grosskraftwerken wie Offshore-Windparks langfristig zu speichern braucht es neue Technologien

Raffinierte EnergiespeicherungDafuumlr forscht die ZHAW School of Engineering gemein-sam mit der ETH Zuumlrich der EPF Lausanne und dem Paul

26 COMPETENCE | 2014

Hochschulperspektive

Dissonanz an der Steckdose

Mit der Energiestrategie 2050 haben Bundesrat und Parla-ment eine Kehrtwende in der Schweizer Energiepolitik ein-gelaumlutet der die wichtigsten politischen Huumlrden erst noch bevorstehen Auf den ersten Blick scheint der Kurswechsel breit abgestuumltzt Seit dem Reaktorunfall in Fukushima fuumlh-ren Umfragen immer wieder zum gleichen Ergebnis Der langfristige Ausstieg aus der Kernenergie findet eine Mehr-heit Im Grundsatz stossen erneuerbare Energien sowie Massnahmen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz auf hohe Zustimmung Was fuumlr den Stimmzettel gilt beeinflusst aber nicht automatisch das Konsum- und Investitionsverhalten der Energiekunden Die Bereitschaft aus eigenem Antrieb mehr fuumlr ein oumlkologisch houmlherwertiges Produkt aus neuen erneuerbaren Energietraumlgern zu bezahlen ist beschraumlnkt Nur wenige Haushalte sind zudem bereit ihren Energie- und insbesondere ihren Stromkonsum zu reduzieren wenn dies mit nicht amortisierbaren Investitionskosten oder einem moumlglichen Komfortverlust verbunden ist

Mit anderen Worten Effizienz wird als teuer und Suffizienz als bevormundend empfunden Die private Zahlungsbereit-schaft laumlsst sich zwar mit regulatorischen Interventionen wie fixen Einspeiseverguumltungen oder Investitionssubven-tionen in Effizienzmassnahmen etwas erhoumlhen Doch die Erfahrungen in Deutschland und der Schweiz zeigen dass solche Massnahmen oumlkonomisch ineffizient sind und oft als ungerecht empfunden werden Sie koumlnnen damit zum Bumerang fuumlr die Akzeptanz der energiepolitischen Ziele werden Neben den politischen Huumlrden ist somit auch die kognitive Huumlrde der Konsumenten zu beruumlcksichtigen De-ren Uumlberwindung bedarf zuerst einer differenzierten Analyse der Ursachen und danach der Entwicklung innovativer Ver-triebsmodelle und Produkte auf Versorgerseite

Eine Mehrheit der Bevoumllkerung unterstuumltzt den Ausstieg aus der Kernenergie doch nur wenige beziehen ein oumlkologisches Stromprodukt Warum das so ist und wie sich diese Dissonanz aufloumlsen laumlsst beschaumlftigt derzeit viele EnergieversorgerText Claudio Cometta

Indifferenz uumlberwiegtFuumlr viele Konsumenten ist die Strom- Gas- oder Fern-waumlrmerechnung ein verhaumlltnismaumlssig kleiner Posten im Haushaltsbudget dem wenig Beachtung geschenkt wird Die Schweiz ist sogar einer der Spitzenreiter in Europa machen die Stromkosten im Durchschnitt doch nicht mehr als 2 Prozent der Haushaltsausgaben aus Wenig Beachtung bedeutet auch wenig Kenntnis des Preises und der Menge der bezogenen Energieleistung oder der Zusammensetzung des Tarifs aus Energiekosten Netz-kosten und Abgaben Entsprechend besteht nur ein ge-ringes Interesse Energie und damit Kosten zu sparen Konsumentenbefragungen zeigen zudem dass nur eine kleine Minderheit der Kunden die Zusammensetzung ihres Stromprodukts nach Energietraumlgern kennt Die geringen Kosten und Unkenntnis des Produkts verhindern also die Wahl anderer Stromprodukte Strom ist ein klassisches Commodity-Produkt Man kann ihn weder sehen noch riechen Er ist verhaumlltnismaumlssig guumlnstig immer verfuumlgbar und aumlndert in keinerlei Hinsicht seine Eigenschaften wenn dafuumlr mehr bezahlt wird Zudem ist meist nicht sichtbar wer wie viel von welchem Produkt bezieht Der Strom-konsum ist Privatsache

Uumlberwindung durch VertriebsmodelleDie Vorgaben der Energiestrategie 2050 beinhalten nicht nur einen massiven Zubau der Produktionskapazitaumlt aus erneuerbaren Energietraumlgern sondern auch die kon-tinuierliche Reduktion des Energie- und insbesondere des Stromkonsums pro Kopf Die direkte Finanzierung der dazu notwendigen Investitionsvorhaben scheint an-gesichts der Indifferenz auf Konsumentenseite jedoch schwierig Aus diesem Grund sind mehrere Schweizer

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rund um Haushaltstechnik Sicherheit Pflege oder Kom-munikation sowie ein geschicktes Marketing mit Elemen-ten der sozialen Kontrolle Denkbar sind auch Anreize die keinen direkten Zusammenhang mit dem Energiekonsum aufweisen aber fuumlr breite Bevoumllkerungsgruppen attrak-tiv sind So haben etwa einzelne skandinavische Versor-ger damit begonnen energiesparendes Verhalten ihrer Kunden mit Verguumlnstigungen fuumlr die Nutzung oumlffentlicher Transportmittel zu belohnen

Uumlberwindung durch PartizipationDie wohl wirkungsvollste Massnahme zur Uumlberwindung der Dissonanz an der Steckdose ist bereits inhaumlrent in der Transformation des Energiesystems hin zu einer staumlrker dezentralen Erzeugung angelegt Kunden entwi-ckeln sich von passiven Leistungsempfaumlngern zu aktiven Leistungserbringern sogenannten Prosumern Als Klein-produzenten von Strom mit einer hauseigenen Fotovol-taikanlage oder thermischer Speicherleistung mit Kraft-Waumlrme-Kopplungsanlagen im Mikroformat werden sie mittelfristig wesentlich zum Umbau des Energiesystems und zu den Zielen der Energiestrategie beitragen koumlnnen Eine nicht ganz unbedeutende Rolle koumlnnten in Zukunft sogenannte Buumlrgerbeteiligungsmodelle fuumlr die Finanzie-rung neuer In frastrukturprojekte spielen Diese wuumlrden gleichzeitig die Akzeptanz sichtbarer Produktionsanlagen von neuen erneuerbaren Energien erhoumlhen Doch erst wenn das Produkt Strom nicht mehr als reines Commodity-Produkt wahrgenommen wird werden politische Meinung und Konsumverhalten bei einer Mehrheit der Stimmbuumlrger uumlbereinstimmen

Energieversoger in letzter Zeit dazu uumlbergegangen soge-nannte Default-Modelle einzufuumlhren die Stromprodukte aus erneuerbaren Quellen zum neuen Standard erheben Dabei macht man sich die Traumlgheit der Kunden zunutze indem die Wahl eines Stromprodukts aus nicht erneuer-baren Energietraumlgern als Option definiert wird die aktiv bestellt werden muss

Nicht zuletzt aufgrund solcher Modelle ist die Zahl der Schweizer Haushalte die ein Stromprodukt aus aus-schliesslich erneuerbaren Energien beziehen auf uumlber 25 Prozent gestiegen Doch weitere Vertriebsinnovationen werden notwendig sein etwa um der Herausforderung der Einspeisung von Strom aus fluktuierend nutzbaren Quellen (Solar- und Windenergie) in die Verteilnetze gewachsen zu sein die immer staumlrker ins Gewicht faumlllt In der Folge gilt es Investitionen in Netz- und Speichersysteme zu finan-zieren In innovativen Vertriebsmodellen welche dieser Herausforderung gerecht werden erhaumllt das Konsumver-halten einen Wert Zeitliche Flexibilitaumlt wird belohnt durch Tarifreduktion Bonus oder Vermeidung einer Gebuumlhr Wie diese beiden Beispiele zeigen laumlsst sich der Mehrwert von vermeintlichen Commodity-Produkten durch neue Vertriebsmodelle abschoumlpfen und als marktwirtschaftlich vertraumlglicher Finanzierungsmechanismus fuumlr neue Infra-strukturvorhaben im Energiesektor nutzen

Uumlberwindung durch innovative ProdukteNoch groumlsseres Potenzial birgt die Weiterentwicklung von Stromprodukten zu Leistungssystemen die fuumlr Energie-kunden einen echten Mehrwert bieten Hierzu gehoumlrt die Verknuumlpfung des Kernprodukts Strom mit Dienstleistun-gen die den Kunden ein transparenteres Verbrauchsver-halten sowie Kostenoptimierung ermoumlglichen Intelligente Stromzaumlhler sogenannte Smart Meter kombiniert mit fle-xiblen Tarifen und einem einfachen Feedback- und Steuer-system sind die Voraussetzung um zumindest oumlkologisch sensibilisierten oder kostenbewussten Endkunden einen Effizienzeffekt zu ermoumlglichen Damit solche Leistungs-systeme aber fuumlr die grosse Gruppe der Indifferenten interessant werden braucht es weitere Mehrwerte Dazu gehoumlren die Verknuumlpfung mit intelligenten Anwendungen

Claudio ComettaDr Claudio Cometta ist Dozent fuumlr Innovation und Entrepreneurship an der ZHAW School of Management and Law Er koordiniert den Aufbau des nationalen Energie-Kompetenz-zentrums SCCER 5 an der ZHAW

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Die Energiewende stellt die Energieversorgungsunternehmen in der Schweiz vor grosse Herausforderungen Das Beispiel von Stadtwerk Winterthur zeigt wie die Branche auf den Paradig-menwechsel reagiertText Florian Wehrli

Von den Anfaumlngen als laquoWinterthurer Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtungraquo vor uumlber 150 Jahren bis zum modernen Querverbundunternehmen hat sich Stadtwerk Winterthur kontinuierlich weiterentwickelt Seine Aufgabe ist aber gemaumlss Direktor Markus Saumlgesser weitgehend dieselbe geblieben die Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung zu verbes-sern So bietet das staumldtische Versorgungsunternehmen neben klassischen Produkten wie Wasser Strom Gas oder Kehrichtentsorgung und Abwasserreinigung heute auch Fernwaumlrme Haustechnik Glasfasernetz und Ener-gie-Contracting an Die Ausdehnung auf neue Geschaumlfts-bereiche will der Direktor aber nicht als Reaktion auf die Liberalisierung des Energiemarkts verstanden wissen laquoWir begegnen der Marktoumlffnung proaktiv und wollen die sich bietenden Chancen aktiv nutzenraquo

Lokales Potenzial ausgeschoumlpftIm liberalisierten Markt hat das staumldtische Versorgungs-unternehmen mit dem Monopol auf sein Energieversor-gungsnetz von gesamthaft mehr als 2 500 Kilometern einen Vorteil Dessen Unterhalt ist nach wie vor eine der Hauptaufgaben Im Gegensatz zu anderen Energieversor-gern betreibt Stadtwerk Winterthur naumlmlich einen verhaumllt-nismaumlssig geringen Anteil an eigenen Produktionsanlagen Das Flaggschiff ist die wohl modernste Kehrichtverwer-tungsanlage der Schweiz laquoMit dem Umbau konnten wir 2013 den Wirkungsgrad der Anlage um einen Drittel stei-gern und die Abluft gehoumlrt zu den saubersten weltweitraquo sagt Markus Saumlgesser Heute deckt die KVA 20 Prozent des Winterthurer Strom- und 12 Prozent des Waumlrmebe-darfs ab Auf solchen Lorbeeren ausruhen will sich Stadt-werk Winterthur aber nicht laquoWir wollen mithelfen eine nachhaltige Energiewirtschaft aufzubauenraquo Mittelfristig soll

die Haumllfte des Stromangebots aus erneuerbaren Quellen stammen laquoDas ist ein ehrgeiziges Zielraquo sagt Saumlgesser laquowir sind aber auf gutem Weg dazuraquo

Rund die Haumllfte des Rahmenkredits von 90 Millionen Franken fuumlr erneuerbaren Strom den das Winterthurer Stimmvolk 2012 bewilligt hat ist bereits investiert Im Bereich Fotovoltaik ist die Planung der groumlssten Anlagen abgeschlossen etwa auf den Daumlchern der Eishalle oder des Busdepots Eine aktuelle Windpotenzialstudie zeigt fuumlr Winterthur nur wenige moumlgliche Standorte auf zumal die Bewilligung solcher Anlagen mit grossem buumlrokratischem Aufwand verbunden sei Mit diversen Nahwaumlrmever-buumlnden nutzt Stadtwerk Winterthur auch Holzabfaumllle bereits sehr effizient Aber auch dieser Energietraumlger ist in Winterthur beschraumlnkt vorhanden Das letzte Projekt das Holz aus dem Winterthurer Stadtwald einsetzen wird ist in der Aufbauphase Studien im Bereich Wasserkraft haben gezeigt dass abgesehen von einem Kleinwasser-kraftwerk an der Toumlss in der Region kaum Potenzial vor-handen ist

Investitionen im AuslandlaquoDiese aufwendige Aufbauarbeit soll nicht zur Regel wer-denraquo sagt Markus Saumlgesser laquoDas limitierte Energiepoten-zial in der Schweiz und die beschwerlichen Instanzenwe-ge fuumlr Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie lassen uns deshalb vermehrt im Ausland investierenraquo 2012 be-teiligte sich das Stadtwerk mit 12 Millionen Franken am Kleinkraftwerk Birseck AG das Kleinwasserkraftwerke und Foto voltaikanlagen in der Schweiz und in Frankreich be-treibt 2013 folgte eine Beteiligung in der Houmlhe von 25 Mil-lionen Franken an der Swisspower Renewables AG die in

Vom Versorger zum Dienstleister

Unternehmensperspektive

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sein glaubt er aber nicht daran dass der Stromverbrauch insgesamt zuruumlckgehen wird laquoDafuumlr ist der Marktpreis zu niedrig Aus serdem wird Strom im Bereich Waumlrme und Mobilitaumlt einen Grossteil der fossilen Energietraumlger ersetzen muumlssenraquo Damit der geplante Verbrauchsruumlck-gang dennoch gelingt will der Bund Anreize schaffen Mit sogenannten weissen Zertifikaten will er die Versor-ger be lohnen wenn sie ihre Kunden zu einem geringeren Energie verbrauch bewegen In Grossbritannien Italien und Frankreich sind solche Modelle bereits im Einsatz Markus Saumlgesser sieht dieser Entwicklung mit gemischten Gefuumlh-len entgegen laquoWir haben bereits vor der Reaktorkatastro-phe in Fukushima auf Energieeffizienz gesetzt und konn-ten uns dadurch profilieren Weil die Politik nun eingreift und den Markt uumlbersteuert bleibt uns als Unternehmen weniger Spielraum um uns zu positionierenraquo

Windkraftanlagen im angrenzenden Ausland investiert Fuumlr die Beschaffung von Strom am freien Markt ist das Stadtwerk eine Zusammenarbeit mit der Trianel GmbH in Aachen ndash einer der fuumlhrenden Stadtwerke-Kooperationen in Europa ndash eingegangen Damit sollen insbesondere der Zugang zum Grosshandelsmarkt sowie die Marktfor-schung sichergestellt werden Denn um Kunden nachhal-tige Energieprodukte verkaufen zu koumlnnen muss man ihre Beduumlrfnisse genau kennen

Anreize fuumlr geringeren VerbrauchDie Strategie scheint aufzugehen laquoSeit der Einfuumlhrung der neuen Stromprodukte Anfang 2013 haben wir den Absatz von erneuerbarer Energie in Winterthur verdop-pelt und denjenigen von Oumlkostrom sogar vervierfachtraquo so Saumlgesser Trotz dem steigenden oumlkologischen Bewusst-

Gemaumlss seinem Leitbild soll Stadtwerk Winterthur mit einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der soziashylen Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Bild Michael Lio

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Ausgliederung aus der StadtverwaltungAuch auf kommunaler Ebene ist Stadtwerk Winterthur von den politischen Rahmenbedingungen abhaumlngig ndash mit allen Vor- und Nachteilen Die politischen Kurswechsel in den vorgesetzten Gremien seien hinderlich bei der Umsetzung der Strategie des Unternehmens laquoWir taumltigen Investitio-nen mit einem Planungshorizont von mehreren Jahrzehn-tenraquo sagt Markus Saumlgesser laquoin der Politik wird dagegen in Amtsperioden von vier Jahren gedachtraquo Es gibt deshalb Bestrebungen das Stadtwerk aus der Stadtverwaltung auszugliedern und einem langfristig operierenden Steue-rungsgremium zu unterstellen Bei der Stimmbevoumllkerung geniesst Stadtwerk Winterthur grossen Ruumlckhalt Alleine in den letzten zwei Jahren wurden vier Abstimmungsvor-lagen mit grossem Mehr angenommen darunter Rah-menkredite fuumlr das Energie-Contracting oder erneuerbare Energien laquoEine bessere Legitimation koumlnnen wir uns gar nicht wuumlnschenraquo sagt Markus Saumlgesser

Neue BetriebskulturStrategisch und energiepolitisch werden Dienstleistungen wie das Energie-Contracting fuumlr Stadtwerk Winterthur immer wichtiger laquoWir wollen unserer Kundschaft Waumlr-me oder Kaumllte gleich komfortabel anbieten koumlnnen wie Stromraquo sagt Markus Saumlgesser laquoImmobilienbesitzerinnen und -besitzer sollen sich nicht mehr um den Fuumlllstand ih-res Oumlltanks oder den Termin fuumlr den Kaminfeger kuumlmmern muumlssenraquo Das Energie-Contracting waumlchst stark und macht heute bereits rund 5 Prozent des Umsatzes von Stadtwerk Winterthur aus

Die neuen Geschaumlftsfelder ziehen auch andere Arbeits-kraumlfte an als bisher Verschiedene Betriebskulturen seien in den vergangenen Jahren teilweise parallel gelaufen be-ginnen nun aber langsam zu verschmelzen Ein Beispiel dafuumlr ist die Verknuumlpfung von Smart Metering und dem traditionellen Verteilnetz Elektrizitaumlt Als Voraussetzung fuumlr das Change-Management in der Betriebskultur habe man alle Mitarbeitenden in die Erarbeitung des Unterneh-mensleitbildes involviert Entstanden ist ein Leitbild das Stadtwerk Winterthur dabei unterstuumltzt die Unterneh-mensstrategie umzusetzen Stadtwerk Winterthur soll mit

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

Markus SaumlgesserMarkus Saumlgesser (52) ist diplomierter Ma-schineningenieur ETH und hat ein Nachdi-plomstudium in technischen Betriebswissen-schaften absolviert Seit Anfang 2011 ist er Direktor von Stadtwerk Winterthur Seine bisherige berufliche Taumltigkeit fuumlhrte Markus Saumlgesser nach zwei Jahren Assistenz an der ETH zu einem Ingenieurbuumlro fuumlr Ener-gie- und Haustechnik Waumlhrend dieser rund sechsjaumlhrigen Zeit war er bei anspruchsvol-len Bauprojekten verantwortlich fuumlr die Konzeption und Koordination der technischen Gebaumludeausruumlstung Zudem war er waumlhrend vier Jahren Mitglied der Geschaumlftsleitung Nach zweijaumlhriger Taumltigkeit als Abteilungsleiter in einer groumlsseren Gemeinde wechselte er zum Elek-trizitaumltswerk der Stadt Zuumlrich (EWZ) bei dem er die Abteilung Vertrieb Grosskunden leitete Daneben war Markus Saumlgesser beim EWZ in verschiedene Innovationsprojekte involviert So zeichnete er fuumlr das Projekt laquoStromzukunft Stadt Zuumlrichraquo verantwortlich das wichtige Grundlagen fuumlr die Strategie des EWZ und die Volksabstimmung zur 2000-Watt-Gesellschaft in der Stadt Zuumlrich beisteuerte

Stadtwerk Winterthur in Zahlen (2013)Mitarbeitende 347Nettoinvestitionen 1198 Mio CHFDurchgeleitete Strommenge 5643 Mio kWhUmsatz Strom 93 Mio CHFDurchgeleitete Gasmenge 5295 Mio kWhUmsatz Gas 411 Mio CHFUnternehmensgewinn 109 Mio CHF

einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der sozia-len Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Wann wurden in Winterthur die ersten Strassenlampen mithilfe von Stein-kohle erleuchtet

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Unternehmensperspektive

ckelte Hochspannungsgleichstromschalter sollen zudem sicherstellen dass etwa ein Kurzschluss durch eine hy-perschnelle Abschaltung isoliert und das Netz somit nicht gefaumlhrdet wird Von 14 solchen Schaltsystemen welt-weit stammen 13 von ABB Die hohen Investitionen fuumlr die armdicken Gleichstromkabel rechnen sich da beim Transport viel weniger Strom verloren geht als bei der tradi tionellen Wechselstromtechnik Die Produktelinie ent-wickelt sich zum Renner Sie wird zur Anbindung von So-lar- und Windparks zur Versorgung von Inseln als Ersatz fuumlr Diesel generatoren auf Oumll- und Gasplattformen auf See eingesetzt Oder um Starkstrom vom Festland zu auf dem Meeresboden platzierten ferngesteuerten Foumlrderanlagen fuumlr Gas und Oumll zu leiten ndash wofuumlr ABB auch wartungsfreie Kompressoren liefert damit Kunden wie Statoil und Pet-robras teure Ausfaumllle erspart bleiben

Komplettloumlsungen aus einer HandDank hohem Innovationstempo sind die Divisionen Ener-gietechnik- und Niederspannungsprodukte gut ausgelas-tet Dies gilt ebenso fuumlr die Divisionen Industrie- und Pro-zessautomation Speziell energieintensive Industrien die unter hohem Kostendruck stehen muumlssen ihre Anlagen auf dem neusten Stand halten Dazu zaumlhlen Bergbau Oumll- und Gasindustrie Zellstoff- Papier- und Zementfabriken Chemie- und Pharmafirmen sowie Raffinerien Gefragt sind auch Industrieroboter und schwenkbare dank ABB-Leistungselektronik stufenlos regulierbare Schiffsantrie-be ABB liefert Grosskunden fertige Loumlsungen die hohe Produktivitaumlt und Energieeffizienz gewaumlhrleisten Alles ist aufeinander abgestimmt von der Elektrik uumlber Antriebe Generatoren Roboter Sensoren und Steuerungen bis hin

Zu Beginn des Jahrtausends stand ABB am Abgrund Doch eine neue Fuumlhrungscrew fuumlhrte das Unternehmen aus der Krise sodass die Schweiz inzwischen wieder stolz sein kann auf ihren Industriemulti mit Sitz in Zuumlrich Oerli-kon 2013 erzielte ABB mit rund 148 000 Mitarbeitenden in 100 Laumlndern 42 Milliarden Dollar Umsatz Die renom-mierte US-Universitaumlt MIT zaumlhlt ABB zu den 50 innova-tivsten Unternehmen weltweit Dank 8 000 Ingenieuren in Forschung und Entwicklung und einem Forschungsetat von 15 Milliarden Dollar kann ABB selbst mit Giganten wie Siemens und General Electric mithalten

Innovationen die Technikfans begeisternWas ABB alles macht wissen wohl nur Technikfans Denn der Konzern hat uumlber 70 000 Produkte im Angebot Die 300 ABB-Fabriken liefern taumlglich 15 Millionen Kompo-nenten aus die zu elektrischen Einrichtungen oder in Pro-duktionssteuerungen verbaut werden Aus Kanada etwa kam juumlngst ein Grossauftrag uumlber 400 Millionen Dollar Erneuerbare Energie die auf Neufundland und Labrador gewonnen wird soll ab 2017 via Hochspannungskabel 360 Kilometer nach Westen fliessen um dort 350 000 Haumluser zu versorgen Weltweit gibt es erst 90 solche Gleichstromkabelverbindungen die meist unter der Erde oder auf dem Meeresgrund verlaufen ABB ist mit rund 50 Prozent Anteil Marktfuumlhrer Die futuristisch anmuten-de Technik in den abgeschirmten Hallen wo der Strom vor dem Transport auf Hochspannung transformiert wird erinnert an den Maschinenraum von Raumschiff Enter-prise Ein wichtiges Steuerungselement bilden dabei in Baden Daumlttwil entwickelte und in Lenzburg produzierte Spezialchips die Houmlchstspannung aushalten Neu entwi-

Der schweizerisch-schwedische Technikkonzern treibt an vor-derster Front die Energiewende voran Dafuumlr forscht man bei ABB intensiv zu erneuerbaren Energien schlauen Stromnetzen sowie hocheffizienten Industrieanlagen Einzig die schwache Nachfrage nach Energieanlagen in Europa bremst die ExpansionText Andreas Fluumltsch

Innovativer Treiber der Energiewende

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uumlber weite Strecken in die Ballungsraumlume geleitet werden muss brummt das Geschaumlft In den USA treibt der Oumll- und Gasboom die Nachfrage Nur in Europa harzt das Geschaumlft mit Grossanlagen Weniger Nachfrage belastet die Margen bei Auftraumlgen fuumlr Wind- und Solarfarmen so-wie fuumlr Netzinfrastruktur Die Risiken der oft mehrjaumlhrigen Projekte sind so hoch dass ABB waumlhlerischer sein muss und etwa das Geschaumlft mit Solarloumlsungen zurzeit auf Sparflamme betreibt Dennoch ist ABB immer noch hoch-profitabel nicht zuletzt da die Kosten Jahr fuumlr Jahr um 3 bis 5 Prozent gesenkt werden Aber der erfolgsgewohnte Konzern musste sich 2013 mit 6 Prozent Umsatzplus zu-friedengeben Umso intensiver treibt der neue ABB-Chef Ulrich Spiesshofer die Integration der vorab in den USA fuumlr 10 Milliarden Dollar getaumltigten Zukaumlufe voran Und Spiess-hofer forciert die Zusammenarbeit der Divisionen damit ABB die Unternehmensvision laquoEnergie und Produktivitaumlt fuumlr eine bessere Weltraquo mit moumlglichst vielen eigenen Pro-dukten realisieren kann

zur Leittechnik samt angepasster Software Kleine und mittlere Kunden ordern Komponenten oder Teilsysteme Ein wichtiges Verkaufsargument ist das Sparpotenzial von stufenlos steuerbaren Elektromotoren Nur einer von fuumlnf Motoren hat laut einer Erhebung des Bundes einen Leis-tungsregler der Rest laumluft auf Hochtouren und wird ndash man glaubt es kaum ndash bei Bedarf mit Klappen oder Ventilen mechanisch abgebremst Eine gigantische Verschwen-dung da Industriemotoren laut einer Studie der Schwei-zerischen Agentur fuumlr Energieeffizienz 27 Prozent des Schweizer Stromverbrauchs ausmachen

Europaumlische ZuruumlckhaltungEigentlich muumlsste die Division Energietechniksysteme ebenfalls ausgelastet sein Denn auch die Stromwirtschaft muss ihre Effizienz steigern Schliesslich erfordert die Energiewende einen Totalumbau der auf Verteilung ausge-richteten Netze damit diese unter der Last von Solar- und Windenergie nicht instabil werden Arbeit in Huumllle und Fuumllle fuumlr ABB sollte man meinen Doch der erst zaghafte Auf-schwung in Europa daumlmpft die Nachfrage Erschwerend kommt hinzu dass subventionierte Wind- und Solarener-gie in Europas liberalisiertem Strommarkt den Strompreis in ungeahnte Tiefen druumlckte Die Konkurrenzfaumlhigkeit von Wasser- Gas- und Atomkraftwerken hat gelitten Pump-speicher sind keine Goldesel mehr seit die erneuerbaren Energien die Preisspitzen brechen Entsprechend schie-ben Stromkonzerne wie Alpiq oder RWE Investitionen auf Unsicherheiten rund um den Atomausstieg belasten zu-saumltzlich Die voraussichtlich noch auf Jahre hinaus tiefen Strompreise schmaumllern auch die Faumlhigkeit der Besitzer von Hochspannungs- und Verteilnetzen deren Umruumlstung zu finanzieren hoch verschuldete EU-Staaten fahren die Foumlrderung von Wind- und Solarenergie zuruumlck

Straffe KostenkontrolleABB bekommt den Investitionsstau empfindlich zu spuuml-ren Die Division Energietechniksysteme schreibt seit eini-ger Zeit rote Zahlen Zwar ordern Grosskunden aus Asien und Lateinamerika weiterhin kraumlftig Neben China inves-tiert vermehrt auch Indien in neue Stromnetze Uumlberall dort wo die Bevoumllkerung rasch waumlchst oder der Strom

Andreas FluumltschAndreas Fluumltsch war urspruumlnglich Jurist und arbeitete ab 1983 als Journalist fuumlr laquoBlickraquo laquoWeltwocheraquo laquoBilanzraquo und laquoCashraquo Zwischen 1989 und 1990 war er Mitglied der Geschaumlftsleitung von Greenpeace Schweiz anschliessend Hausmann Nach der Ruumlck-kehr in den Journalismus 1992 arbeitete er bei laquoBlickraquo laquoSonntagszeitungraquo und laquoTages- Anzeigerraquo und absolvierte eine Ausbildung zum Boumlrsenhaumlndler Nach der Fruumlhpensio-nierung Ende 2013 machte er sich als Publi-zist selbststaumlndig

ABB in Zahlen (2013)Betriebsertrag 41 848 Mio USDBetriebsergebnis 4 387 Mio USDndash Industrieautomation 1 458 Mio USDndash Niederspannung 1 092 Mio USDndash Prozessautomation 990 Mio USDndash Energietechnik 1 331 Mio USDndash Energiesysteme 171 Mio USD

Mitarbeitende 147 700ndash davon in der Schweiz 6 966

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Hohe Nachfrage nach MinergieDer Erfolg der bisherigen Sparbemuumlhungen bleibt nicht aus laquoTrotz zunehmender Pro-Kopf-Wohnflaumlche und stei-gendem Komfort sinkt der Energieverbrauch fuumlrs Heizen in den letzten Jahrzehnten stetigraquo verkuumlndet der Zuumlrcher Regierungsrat im Energieplanungsbericht 2014 Dazu tra-gen nicht nur die laufend verschaumlrften Gesetze bei Ebenso wichtig ist die Bereitschaft von Bautraumlgerschaften freiwillig Uumlberdurchschnittliches zu leisten Vor allem die Minergie-Regeln werden inzwischen gerne befolgt weshalb Haumluser mit halbiertem Energieverbrauch beinahe Standard sind Schweizweit traumlgt eines von zehn neuen Wohnhaumlusern ein Minergie-Zertifikat Der Anteil an Minergie-Haumlusern im Grossraum Zuumlrich liegt gemaumlss einer Marktanalyse der Universitaumlt Zuumlrich bereits nahe bei 20 Prozent Dies ist privaten Hauseigentuumlmern und institutionellen Investoren zu verdanken Wohn- und Geschaumlftshaumluser mit houmlchster Energieeffizienz gehoumlren inzwischen zum guten Ton Den juumlngsten Beweis liefert eine Immobilienstiftung der Credit Suisse die 70 Millionen Franken in die groumlsste Oumlkosied-lung der Schweiz investiert Im Aargauer Reusstal wohnen seit diesem Jahr rund 200 Familien Paare und Singles deren Wohnhaumluser sich weitgehend selbst mit Sonnen-energie versorgen So klimafreundlich die Energiewende-Architektur ist der Investor erwartet dennoch marktuumlb-liche Renditen Ist der Markt aber bereit oumlkologisches Engagement angemessen zu honorieren

Marktpotenzial fruumlhzeitig erkanntDie Zuumlrcher Kantonalbank (ZKB) beziffert den Mehrwert von Minergie-Haumlusern auf 7 Prozent Kaumlufer seien bereit diesen Aufpreis fuumlr mehr Energieeffizienz zu bezahlen Als weitere Nebeneffekte nennt der vor drei Jahren publizierte ZKB-Bericht eine hochwertige dauerhafte Bausubstanz sowie die Absicherung gegen steigende Oumll- und Energie-preise Fachleute des Immobilienberatungsunternehmens Wuumlest amp Partner (WampP) warnen indes dass sich zusaumltz-liche Investitionen in die Energieeffizienz nicht uumlberall loh-nen laquoRegional schwankt die Zahlungsbereitschaft des Immobilienmarktsraquo praumlzisiert WampP-Partner Ivan Anton Minergie-Haumluser koumlnnen aber nicht nur in abgelegenen Regionen ein Marktrisiko werden laquoMit Ausnahme der

Beim Autokauf wird bevorzugt auf Pferdestaumlrken Be-schleunigung und Innenausstattung geachtet Der CO2-Ausstoss interessiert hingegen kaum So kommt die Energieeffizienz im Strassenverkehr nur stockend voran 1995 schluckten alle neu immatrikulierten Personen-wagen durchschnittlich 9 Liter Benzin pro 100 Kilometer 20 Jahre spaumlter liegt der Durchschnittsverbrauch gemaumlss Bundesamt fuumlr Energie (BFE) immer noch uumlber 6 Litern Das viel gepriesene laquoDrei-Liter-Autoraquo haben alle Hersteller wieder aus der Modellpalette genommen

Demgegenuumlber gelingen dem oft traumlge genannten Ge-baumludebereich weitaus groumlssere Effizienzspruumlnge Ver-brauchen 40 Jahre alte Haumluser im Schnitt 220 Kilowatt-stunden (kWh) Heizenergie pro Quadratmeter Wohnflaumlche und Jahr sind die aktuellen Werte unter die 50er-Marke gesunken Zusaumltzliche Sparerfolge sind nur eine Frage der Zeit Im Fruumlhsommer haben die kantonalen Energie-direktoren uumlber ein Rahmenabkommen beraten das Null-energieneubauten demnaumlchst zum Standard machen soll Wie die nationale Energiewende zu erreichen ist erklaumlrt Christoph Gmuumlr von der Abteilung Energie des Kantons Zuumlrich laquoDer spezifische Verbrauchswert ist zudem auf 35 kWh pro Quadratmeter zu senkenraquo Gebaumlude die sich mit umweltfreundlicher Energie selbst versorgen wollen auch die EU-Staaten Ab 2020 wird ein Gebaumludestandard eingefuumlhrt der nur noch laquoNiedrigstenergiegebaumluderaquo mit sehr hoher Energieeffizienz als Neubauten vorsieht

Energiesparhaumluser waren vor 30 Jahren Exoten inzwischen nimmt der Bereich der energie-effizienten Gebaumlude eine Vor-bildrolle fuumlr die Energie wende ein Bauherren profitieren davon ebenso wie die Zuliefer-branche Text Paul Knuumlsel

Expertensicht

Haumluser in der ersten Reihe

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der Bau von Niedrigenergiehaumlusern und alternativen Hei-zungsanlagen sowie energetische Gebaumludesanierungen Investitionen im Umfang von rund 4 Milliarden Franken ausgeloumlst rechnet der Bund vor laquoEin Fuumlnftel insgesamt 860 Millionen Franken stammt aus den oumlffentlichen Kas-senraquo verweist die BFE-Stelle EnergieSchweiz auf die Im-pulse der kantonalen Foumlrderprogramme Einen Wermuts-tropfen besitzt diese Wirkungsbilanz Fruumlhere Analysen der Energiesparprogramme zeigen naumlmlich dass zwi-schen einem Drittel und der Haumllfte der energetisch vorbild-lichen Gebaumlude auch ohne staatliche Foumlrderung realisiert worden waumlren Dem Mitnahmeeffekt ist auch die Eidge-noumlssische Steuerverwaltung auf der Spur Sie schaumltzt dass Bund und Kantonen jaumlhrlich 14 Milliarden Franken entgehen weil energetische Gebaumludesanierungen bei der Liegenschaftssteuer abzugsberechtigt sind Die Energie-wende erfordert nicht nur mehr Effizienz bei den Anwen-dungen sondern auch einen effizienten Einsatz staatlicher Mittel Im Energieplanungsbericht 2013 hat der Zuumlrcher Regierungsrat erstmals uumlber alternative Anreizsysteme nachgedacht Demnach soll eine Lenkungsabgabe den Energiekonsum reduzieren und das bisherige Foumlrdersys-tem abloumlsen Aumlhnliche Plaumlne verfolgt der Bund Denn ein Lenkungssystem duumlrfte weitere Sparbemuumlhungen im Ge-baumludebereich aber auch im Strassenverkehr foumlrdern Ins-besondere dann wenn Heizoumll und Benzin im Gleichschritt teurer werden

begehrten Wohnlagen haben Hauseigentuumlmer an vielen Orten mit moumlglichen Verkaufsverlusten zu rechnenraquo so Anton Zwar sei die Nachfrage bei Eigentuumlmern und Mie-tern aumlhnlich gross Aber auch Mieter wuumlrden nicht uumlberall mehr fuumlr eine energieeffiziente Wohnung bezahlen Kaum uumlberraschen darf daher dass Immobilieninvestoren immer haumlufiger die steigenden Energieanforderungen kritisieren und kostenguumlnstigere Baustandards vorziehen Fuumlr WampP-Berater Urs Hausmann ist laquonachhaltiges Bauen trotzdem keine Frage von Luxus oder Wohlstand sondern eine wie man mit Ressourcen umgehen willraquo Dass ein hohes Um-weltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauen Der Run auf den oumlkologischen Baustoff Holz laumlsst zum Beispiel eine gesamte Wertschoumlpfungskette und viele

innovative Unternehmen profitieren Forstbetriebe Sauml-gereien Fensterbauer Daumlmmstoffhersteller und andere Bauzulieferer vergroumlssern ihre Produktionskapazitaumlten und stellen zusaumltzliches Personal ein laquoDie Umsaumltze im Schweizer Holzbau sind in den letzten Jahren um mehrere Hundert Millionen Franken gestiegen und die Trendkurve zeigt weiter nach obenraquo freut sich Christoph Starck Di-rektor des Holzbaudachverbands Lignum

Einheimische Zulieferer als GewinnerAuch im Verein Minergie ist man sich bewusst dass sich energieeffizientes Bauen wirtschaftlich positiv auswirkt In den letzten 15 Jahren sind 25 000 Wohnhaumluser Buumlro-komplexe Schulbauten Sport- und Industriehallen mit Niedrig energiezertifikat entstanden Gemeinsam sparen sie 15 Milliarden Kilowattstunden Energie laquoUumlber 2 Milliar-den Franken wurden zusaumltzlich investiertraquo rechnet Miner-gie-Sprecher Antonio Milelli vor Anstatt fossile Brennstoffe einzukaufen wird mehr Geld fuumlr Daumlmmstoffe Isolierfenster Luumlftungsanlagen und Sonnenkollektoren aus inlaumlndischer Fabrikation ausgegeben Zwischen 2001 und 2012 haben

Paul KnuumlselPaul Knuumlsel studierte Umweltnaturwissen-schaften an der ETH Zuumlrich Er ist unabhaumln-giger Wissenschaftsjournalist und schreibt seit Jahren in Publikums- und Fachmedien uumlber die vielfaumlltigen Aspekte des nachhalti-gen Bauens Zusaumltzlich betreut er in der Re-daktion des laquoTEC21raquo das Ressort laquoEnergie und Umweltraquo

laquoDass ein hohes Umweltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren

derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauenraquo

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Der Wasserkraft Sorge tragen

Welchen Beitrag kann die Wasserwirtschaft zur Energie-wende leisten Roger Pfammatter Die Wasserkraft ist der energie-politische Trumpf der Schweiz Wir befinden uns in der gluumlcklichen Lage uumlber grosse Mengen Wasser und das notwendige Gefaumllle zu verfuumlgen ndash das sind die beiden wichtigsten Voraussetzungen fuumlr die hydroelektrische Produktion Und wir haben in den vergangenen 100 Jah-ren gelernt dieses Potenzial effizient und moumlglichst um-weltschonend zu nutzen Die Wasserkraft ist der Schluumls-sel fuumlr eine nachhaltige Energieversorgung technisch ausgereift politisch erwuumlnscht einheimisch erneuerbar und CO2-frei

Wie viel mehr ist moumlglichHeute leistet die Wasserkraft nicht nur rund 60 Prozent der Stromproduktion in der Schweiz sondern bietet auch unverzichtbare Regel- und Systemdienstleistungen die markant an Bedeutung gewinnen werden Vor allem bei der Flexibilisierung der Wasserkraft durch mehr Leistung und Speichervolumen waumlre noch einiges moumlglich Um die Aufgaben weiterhin zu gewaumlhrleisten muumlssen wir aber primaumlr dem Bestehenden Sorge tragen

Die Energiestrategie des Bundes gibt aber klare Ausbau-ziele vor Bis 2035 soll die Stromproduktion aus Wasser-kraft um 10 Prozent steigenUnter den momentanen Rahmenbedingungen ist dieses Ausbauziel nicht realistisch Im Gegenteil Aufgrund der Restwasserbestimmungen wird die Produktion in den naumlchsten Jahren vermutlich sogar zuruumlckgehen

Die Wasserkraft ist der wichtigste Pfeiler der Schweizer Ener-giewirtschaft ihr Potenzial ist aber weitgehend ausgeschoumlpft Roger Pfammatter Geschaumlftsfuumlhrer des Wasserwirtschaftsver-bands gibt im Interview Auskunft uumlber die Lage der Branche und ihre Bedeutung fuumlr die EnergiezukunftInterview Florian Wehrli

Expertensicht

Was muss sich aumlndern damit die vorgegebenen Ziele um-gesetzt werden koumlnnenZum einen braucht es dafuumlr die Akzeptanz der Umweltver-baumlnde der Fischer und letztlich der gesamten Bevoumllkerung Zum anderen muumlssen laumlngerfristig die extremen Marktver-zerrungen abgebaut werden damit sich auch Investitionen in die nicht gefoumlrderte Wasserkraft wieder lohnen Heute wird nur noch in subventionierte Anlagen investiert

Wer ist hier in der PflichtHier ist die Politik gefordert die Rahmenbedingungen zu verbessern Denn ohne die Wasserkraft kann die Energie-wende nicht gelingen

Anfang Jahr wurde der Wasserwirtschaftsverband von den zustaumlndigen Kommissionen angehoumlrt Welche Forderun-gen hat die Branche an das ParlamentWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerba-re Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichten die bereits bis zur Haumllfte der Geste-hungskosten ausmachen Damit sind wir doppelt diskrimi-niert Die Wasserkraft ist extrem unter Preisdruck ndash und dies obwohl sie mit Gestehungskosten zwischen 3 und 10 Rappen pro Kilowattstunde die effizienteste Strompro-duktionstechnologie ist Nur zum Vergleich Fotovoltaik -anlagen werden heute mit rund 40 Rappen subventioniert

Bis 2011 liess sich mit der Grosswasserkraft noch viel Geld verdienen Wurden zu wenige Ruumlcklagen fuumlr schlechte Zei-ten gebildet

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Es kann nicht der Sinn sein Ruumlcklagen fuumlr Zeiten zu bil-den in denen die Marktpreise die Gestehungskosten nicht mehr decken Das waumlre wie wenn ein Baumlcker auf jedem Gipfeli einige Rappen zuruumlckbehalten muumlsste damit er sie am naumlchsten Tag gratis abgeben kann Mit dem durch Subventionen verzerrten Marktpreis von 4 bis 5 Rappen pro Kilowattstunde ist unter den konventionellen Energie-traumlgern praktisch nur Kohle konkurrenzfaumlhig Das ist be-stimmt nicht im Sinn der Energiewende

Drei Grosswasserkraftprojekte sind heute bereits im Bau Koumlnnen die enormen Kosten uumlberhaupt amortisiert wer-denPrognosen sind schwierig An der europaumlischen Strom-boumlrse (EEX) werden bis 2020 Strompreise zwischen 45 und 53 Rappen pro Kilowattstunde gehandelt Der Markt glaubt also nicht an eine baldige Erholung Dafuumlr muumlsste das Uumlberangebot in Europa zuruumlckgehen etwa uumlber die Anhebung des CO2-Preises von heute 5 auf mindestens 30 Euro pro Tonne Politisch ist das aber kaum durchsetz-bar Neue Pumpspeicherwerke werden sich deshalb wohl erst in mehreren Jahrzehnten lohnen

Was kann die Kleinwasserkraft leistenOhne die kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) wuumlr-de niemand Kleinwasserkraftanlagen bauen genauso we-nig wie Fotovoltaik- Wind- oder Biomasseanlagen Zurzeit gibt es aber allein bei der Kleinwasserkraft rund 1 000 An-meldungen fuumlr Foumlrderbeitraumlge mit einem bescheidenen Ge-samtpotenzial von 33 Terawattstunden pro Jahr Die oumlko-logischen Auswirkungen sind im Vergleich zum Ertrag zu gross Obwohl wir von marktverzerrenden Foumlrderprogram-men wegkommen sollten waumlre es in einer Uumlbergangs phase sinnvoll die KEV-Obergrenze von 10 Mega watt aufzuheben und dort zu foumlrdern wo es wirklich etwas bringt

Wie soll die Grosswasserkraft unterstuumltzt werdenDas Sinnvollste waumlre die Abkehr von der Subventions-maschinerie ndash und zwar auf europaumlischer Ebene Dann wuumlrde sich die Wasserkraft als effiziente erneuerbare Stromproduktionsform mit Sicherheit durchsetzen Min-destens als Uumlbergangsloumlsung waumlre aber die Entlastung

von Abgaben in erster Linie vom Wasserzins dringend Der maximale Wasserzins wurde in den letzten vier Jahren um 38 Prozent erhoumlht und wird naumlchstes Jahr um weite-re 10 Prozent angehoben Diese Erhoumlhung wurde 2008 beschlossen und steht heute in keinerlei Bezug mehr zur Ertrags lage Kurzfristig koumlnnten die Kantone auf einen Teil dieser Zinsen verzichten ndash das waumlre ein wichtiges politi-sches Zeichen Langfristig muss ein neuer Modus fuumlr die Zinsberechnung gefunden werden der die Ertragslage der Wasserkraft mitberuumlcksichtigt Das ist auch im Interesse von Bund Kantonen und Gemeinden schliesslich ist die Wasserkraft zu 85 Prozent in oumlffentlicher Hand Ebenfalls als Uumlbergangsloumlsung bis zu besseren Marktpreisen waumlren zinsguumlnstige Darlehen fuumlr die noumltigen Investitionen in die Grosswasserkraft denkbar Ohne mindestens eine dieser Massnahmen kann die Wasserwirtschaft das geforderte Ausbauziel nicht erreichen

Bis dahin gibt es noch eine weitere Huumlrde den Heimfall der Stauanlagen an die Standortgemeinden Welchen Ein-fluss hat dieser UmstandWenn die Konzessionen nach 80 oder 100 Jahren aus-laufen muss der Betreiber der Gemeinde eine Entschaumldi-gung fuumlr den Restwert der Anlagen entrichten Im Fall der Staumauer Barberine bezahlen die SBB und Alpiq 2017 an sechs Walliser Gemeinden 343 Millionen Franken Das 400-Seelen-Dorf Finhaut erhaumllt alleine 112 Millionen Fran-ken und weiss kaum wohin mit dem Geld Der gesamte Wert des Heimfalls der Anlagen bewegt sich schweizweit im Milliardenbereich Der Houmlhepunkt des Heimfalls wird um 2035 erreicht werden Bis zu diesem Zeitpunkt soll aber auch ein Grossteil der geforderten Produktionsstei-gerung umgesetzt werden

Bei der Stromproduktion ist ein Ausbau von uumlber 10 Pro-zent wohl nicht realistisch Wie sieht es bei der Speicher-leistung aus Hier muss man unterscheiden zwischen kurzfristiger und saisonaler Speicherung Fuumlr die saisonale Speicherung verfuumlgt die Schweiz mit 200 Speicherseen uumlber ein Vo-lumen von rund 9 000 Gigawattstunden (GWh) die jedes Jahr vom Sommer in den Winter umgelagert werden Dies

38 COMPETENCE | 2014

Expertensicht

entspricht einem Viertel der jaumlhrlichen Produktion aus Wasserkraft Das Ausbaupotenzial durch die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren betraumlgt rund 2 000 GWh Falls der Ausbau aber nicht gelingt entsteht im Winter durch den Ausfall der Kernenergie eine immer groumlssere Luumlcke an Bandenergie die durch den Import von Atom- oder Kohlestrom gedeckt werden muss

Wie sieht es beim Ausbau der Pumpleistung zum kurzfris-tigen Ausgleich von Schwankungen im Netz ausGrundsaumltzlich ist das Potenzial fuumlr Pumpspeicherwerke in der Schweiz riesig Es braucht nur zwei Seen auf unter-schiedlicher Houmlhe Die Frage ist ob sich solche Investi-tionen rechnen Die Pumpspeicherwerke finanzieren sich

uumlber den Preisunterschied zwischen Band- und Spitzen-energie Wenn an einem schoumlnen Sommertag in Europa mittags die geballte Ladung an Sonnen- und Windener-gie eingespeist wird koumlnnen die Pumpspeicherkraftwerke sehr guumlnstig oder sogar zu Negativpreisen Strom bezie-hen Man darf aber nicht vergessen dass dieselbe Situa-tion fuumlr die Laufwasserkraftwerke die rund die Haumllfte der Wasserkraftproduktion in der Schweiz ausmachen den gegenteiligen Effekt hat Diese koumlnnen aus technischen konzessionsrechtlichen oder oumlkologischen Gruumlnden nicht vom Netz genommen werden und muumlssen fuumlr ihre Strom-produktion bezahlen Das kann gehoumlrig ins Geld gehen An Weihnachten 2012 lag der Strompreis zum Beispiel bei minus 30 Rappen pro Kilowattstunde

Roger Pfammatter laquoWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerbare Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichtenraquo

Bild Florian Wehrli

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cherseen zur Flexibilisierung Damit das gelingt muss der Wert der Wasserkraft staumlrker im Bewusstsein der Bevoumllke-rung verankert sein Und nicht zuletzt muss der Marktpreis so weit uumlber den Gestehungskosten liegen dass sich In-vestitionen in die Wasserwirtschaft rentieren

Versuchen das Bestehende zu erhalten Diese Vision klingt etwas resigniertDas ist eine Frage der Perspektive Die Wasserkraft hat als Technologie in der Schweiz seit Langem Bestand Sie befindet sich in einer anderen Situation als Fotovoltaik und Windenergie die sich in einem hochdynamischen Umfeld mit grossem Potenzial in Forschung und Wachstum be-finden Die Wasserkraft ist dagegen nicht mehr in der Auf-bruchsphase sondern in der Konsolidierungsphase Da-fuumlr kann man sich auf die Wasserkraftwerke verlassen Sie produzieren bei Tag und in der Nacht im Sommer wie im Winter bei Windstille oder im Nebel Auch der Erhalt und die Optimierung des Bestehenden sind grosse Heraus-forderungen und bedingen grosse Investitionen

Sehen Sie eine Moumlglichkeit wie die Schweizer Wasser-wirtschaft in Zukunft Geld mit Systemdienstleistungen wie Netzstabilitaumlt verdienen kannDie unregelmaumlssig einspeisenden Stromproduzenten neh-men keinerlei Systemverantwortung wahr Ich habe selbst ein Solarpanel auf dem Dach Wenn Produktion moumlglich ist speise ich Strom ins Netz ein wenn nicht beziehe ich Die Produzenten mehr in die Verantwortung zu nehmen faumlnde ich sinnvoll ndash zum Beispiel uumlber Zertifikate fuumlr Spei-cherleistungen Diese koumlnnten bei Pumpspeicherwerken bezogen werden

Welcher Ausbau der Pumpspeicherleistung ist dafuumlr noumltigDie installierte Leistung betraumlgt heute rund 14 Gigawatt (GW) Mit den im Bau befindlichen und den geplanten An-lagen kann die Kapazitaumlt maximal auf 51 GW ausgebaut werden ndash etwa die Haumllfte der Jahreshoumlchstlast im Netz Damit die Schweizer Wasserkraft aber einen Beitrag zur Stabilitaumlt des europaumlischen Stromnetzes leisten kann muumlssten auch das Stauvolumen und die Leitungskapazi-taumlt erhoumlht werden Hier sind die Einsprachen von Anwoh-nern und Umweltverbaumlnden noch gravierender als bei den Anlagen selbst

Braucht es neue rechtliche Instrumente um den geplan-ten Ausbau durchsetzen zu koumlnnenEs braucht vor allem die Einsicht dass die Wasserkraft das Ruumlckgrat unserer Versorgungssicherheit ist und die Aus-wirkungen eines Ausbaus immer auch mit den Alternativen verglichen werden muumlssen Wir befinden uns aber auch in einem intensiv genutzten Land mit vielen Partikularinteres-sen Diese muumlssen gewichtet und abgewogen werden In der Abwaumlgung zwischen Landschaftsschutz und Wasser-nutzung waumlre es hilfreich wenn Grosswasserkraftanlagen den Status von nationalem Interesse erhalten

Wie soll die Schweizer Wasserwirtschaft im Jahr 2035 aussehenIch wuumlnsche mir dass die bestehende Infrastruktur auf dem heutigen Stand erhalten optimiert oumlkologisiert und im Idealfall etwas ausgebaut wird Dazu gehoumlren etwa die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren sowie neue Spei-

Roger PfammatterSeit seinem Ingenieurstudium an der ETH Zuumlrich hat er sich in ver-schiedenen Rollen dem Wasser verschrieben Nach sieben Lehr- und Wanderjahren in der Forschung und in der Entwicklungszusammen-arbeit war er zehn Jahre beim Ingenieurunternehmen Ernst Basler + Partner engagiert Seit 2010 ist er Geschaumlftsfuumlhrer des Schweizeri-schen Wasserwirtschaftsverbandes (SWV) und Herausgeber der Zeit-schrift laquoWasser Energie Luftraquo In diesen Funktionen setzt er sich ein fuumlr den Fachaustausch und gute Rahmenbedingungen in den Bereichen Wasserkraft und Hochwasserschutz

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Die globalen Energiemaumlrkte sind seit einigen Jahren stark in Bewegung Volatile Erdoumllpreise die Foumlrderung von un-konventionellen Gasvorkommen in grossem Stil die mas-sive Subventionierung von neuen erneuerbaren Energien in Deutschland der laquoarabische Fruumlhlingraquo und der Konflikt in der Ukraine hinterlassen Spuren Die Folge sind starke Verwerfungen an den Maumlrkten und fehlende Investitionssi-cherheit In diesem dynamischen und unsicheren Kontext will der Bund die bisherige Energiepolitik neu ausrichten ndash wahrlich eine Herkulesaufgabe Die Schweizer Wirtschaft verlangt dass der Bund bei der Neuausrichtung der Ener-giepolitik seinem in der Verfassung verankerten Auftrag nachkommt und sich fuumlr eine ausreichende sichere breit gefaumlcherte wirtschaftliche und umweltvertraumlgliche Ener-gieversorgung einsetzt Somit ist klar Die Energiestrate-gie 2050 muss in erheblichen Teilen optimiert und justiert werden Nur wenn vernetzt gedacht wird ist eine sichere Versorgung zu wettbewerbsfaumlhigen Preisen moumlglich

Prognosen klaffen weit auseinanderSeit Jahrzehnten bietet der Strommix aus Wasserkraft (knapp 60 Prozent) und Kernenergie (40 Prozent) Gewaumlhr fuumlr eine sichere klimafreundliche und wirtschaftliche Ener-gieversorgung Im Rahmen der Energiestrategie 2050 muss die Kernenergie langfristig ersetzt werden Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen zumal die Ziele des Bundes

Lebenselixier der Wirtschaft

Die Schweizer Wirtschaft ist auch in Zukunft auf eine sichere und wirtschaftliche Stromver-sorgung angewiesen Die Ener-giestrategie 2050 setzt stark auf Subventionen Dadurch entstehen Fehlanreize welche die Versorgungssicherheit ge-faumlhrdenText Kurt Lanz

Expertensicht

in Bezug auf das Potenzial der neuen erneuerbaren Ener-gien von Wunschdenken geleitet sind Die neuen erneuer-baren Energien werden sich langsamer entwickeln als an-gestrebt Der Bund rechnet mit rund 12 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2035 die Schweizer Wirtschaft mit 44 TWh Die vorsichtigeren Prognosen der Wirtschaft scheinen re-alistischer Dies zeigen exemplarisch die gescheiterten Geothermieprojekte in Basel und St Gallen Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Nachfrageprognosen Der Bund rechnet in seinen Szenarien mit einem Ruumlckgang des Stromverbrauchs pro Kopf von 16 Prozent zwischen 2000 und 2035 Die Schweizer Wirtschaft orientiert sich in ihren Szenarien am Verband Schweizerischer Elektrizitaumlts-unternehmen (VSE) der weiter mit einer steigenden Nach-frage rechnet Die Wirtschaft fordert von der Politik eine vernuumlnftige Planung aufgrund realistischer Schaumltzungen Die Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energiestrategie nicht gefaumlhrdet werden

Subventionen fuumlhren zu FehlanreizenDie Schweiz hat seit vielen Jahrzehnten erfolgreich die Wasserkraft vorangetrieben Aus politischen Gruumlnden wird nun die ndash unregelmaumlssige ndash Stromproduktion durch Sonnen- und Windenergie forciert Unsere sogenann-te kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) entspricht dem deutschen Foumlrdermodell Beide haben das gleiche Ziel Sie sollen erneuerbare Energien ausbauen indem sie neue Formen der Stromproduktion zur Marktreife brin-gen Weil das KEV-System die Sonnen- und Windenergie massiv foumlrdert kommt ein weiterer Ausbau der bewaumlhrten Wasserkraft nicht infrage Diese Entwicklung gefaumlhrdet die Versorgungssicherheit der Schweiz Auf den ersten Blick sinken zwar die Produktionskosten fuumlr Solarstrom gleich-zeitig steigen aber die Kosten fuumlr Speicherung und Inte-gration ins Netz spuumlrbar Auch ist der Ausbau von Solar- und Windenergie nur von beschraumlnktem Nutzen solange keine ausreichenden Speicherkapazitaumlten vorhanden sind Nur Preissignale koumlnnen das Investitionsverhalten von Stromproduzenten Netzbetreibern und Konsumen-ten sinnvoll lenken Subventionen sind zu beseitigen denn sie fuumlhren zu Fehlanreizen

41COMPETENCE | 2014

Alle Optionen offenhaltenOffenheit und Neugier gehoumlren zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft Kategorisches Abwehrverhalten und Denkverbote verhindern konstruktive Loumlsungsansaumltze und Innovation Eine sichere und kostenguumlnstige Strom-versorgung kann auch in Zukunft nur mit der notwendi-gen Offenheit gegenuumlber allen Technologien und Energie-

systemen garantiert werden Die Schweiz ist dank einer erfolgreichen Hochschulland-schaft und vielen Technolo-gieunternehmen gut geruumlstet Die verschiedenen Energie-systeme muumlssen faktenba-siert und ohne ideologische

Scheuklappen verglichen werden Nur so koumlnnen effizi-ente und umweltvertraumlgliche Loumlsungen gefunden werden Das heutige System der Foumlrderung der neuen erneuer-baren Energien ist durch ein marktorientiertes System ab-zuloumlsen Produzenten die nachfragegerecht einspeisen sollen eine houmlhere Verguumltung erhalten als andere Auch soll der Vorrang der Netzeinspeisung fuumlr subventionierte Energietraumlger aufgehoben werden

laquoDie Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit

des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energie strategie nicht

gefaumlhrdet werdenraquo

Schnellere Verfahren anstrebenGrundvoraussetzung fuumlr eine Neuausrichtung der Ener-giepolitik sind funktionierende Stromnetze Diese muumls-sen zwingend parallel zum Umbau der Stromproduktion weiterentwickelt werden Allein der noumltige Ausbau der Uumlbertragungsnetze belaumluft sich auf rund 1 000 Kilometer bis ins Jahr 2020 Erforderlich sind zudem Investitionen in alle Verteilernetzebenen Al-lerdings verzoumlgern komplizier-te Verfahren auf Kantons- und Bundesebene den Ausbau Ausserdem erwaumlchst praktisch jedem Projekt Widerstand von privater Seite was zu weiteren Verzoumlgerungen fuumlhrt Die Wirt-schaft fordert deshalb Bei Bewilligungen von Stromnetzen ist der Gang vors Bundesgericht nur noch bei Grundsatz-fragen moumlglich Umbauten sowie Spannungs- und Kapa-zitaumltserweiterungen koumlnnen ohne Planungsgenehmigung realisiert werden Ausserdem sind die Verfahren bei einer einzigen Leitbehoumlrde anzusiedeln

Spielfeld erweiternDie Schweiz ist seit jeher ein wichtiges Stromtransitland Schon seit den 90er-Jahren treibt die EU die Vereinheitli-chung des Binnenmarkts fuumlr Strom hin zu einem eigent-lichen EU-Strommarkt voran In der Schweiz erweist sich die gesetzliche Trennung von Grundversorgung und Markt diesbezuumlglich zunehmend als Hindernis Aus Sicht der Wirtschaft ist die vollstaumlndige Liberalisierung des Strom-markts eine zwingende Voraussetzung fuumlr eine erfolgrei-che energiepolitische Neuausrichtung

Eine Marktoumlffnung wuumlrde insbesondere auch den erneuer-baren Energien neue Chancen eroumlffnen und Zugang zu neuen Kunden gewaumlhren Von hoher Wichtigkeit ist auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU Je groumlsser der Anteil erneuerbarer Energien umso wichtiger ist die Einbettung in Europa denn Investitionen in Netze und Produktion koumlnnen in Koordination mit der EU wirkungsvoller und wahrscheinlich kostenguumlnstiger getaumltigt werden

Kurt LanzKurt Lanz ist Leiter Infrastruktur Energie und Umwelt sowie Geschaumlftsleitungsmitglied von economiesuisse dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft

Gut vernetzt ndash Vorschlaumlge der Schweizer Wirtschaftzur EnergiepolitikDie Publikation basiert auf der Grundlagenarbeit der breit abgestuumltz-ten Energiekommission von economiesuisse und macht konstruk-tive Vorschlaumlge fuumlr einen erfolgreichen energiepolitischen Weg der Schweiz Download unter wwweconomiesuissech

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

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Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

wwwsmlzhawch

Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 19: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

19COMPETENCE | 2014

brauch betrifft erhoumlhte Arbeitssicherheit weniger Laumlrm-belastung oder geringerer Rohstoffverbrauch Der Wert solcher laquoNon-Energy Benefitsraquo kann fuumlr Unternehmen bis zu 250 Prozent der energetischen Einsparungen betra-gen Es geht also darum KMU gezielter auf die Chancen der Energieeffizienz hinzuweisen Schliesslich gilt es auch Unternehmen wissen zu lassen dass sich ihre Kunden fuumlr dieses Thema interessieren sowie ihnen dabei zu helfen ihr Energie effizienzengagement sichtbar zu machen Waumlh-rend bereits heute viele Unternehmen bestaumltigen dass sich ihr Image bei den Kunden durch die Teilnahme an einem Energieeffizienzprogramm verbessert hat achten erst wenige Firmen auch bei der Kommunikation darauf dass entsprechende Massnahmen gebuumlhrend bekannt gemacht werden

hung zu den Programmteilnehmenden ermoumlglichen wuumlr-den Angaben zu Stromverbrauch Houmlhe und Anteil der Energiekosten Anzahl Mitarbeitende und Umsatz waumlren wertvolle Informationen im Hinblick auf allfaumlllige Folgepro-gramme Im Vordergrund stehen zudem bei den meisten Programmen technische Loumlsungen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz Eine nachhaltige Verhaltensaumlnderung bei Mitarbeitenden oder auf Managementebene wird hingegen kaum verfolgt Auch ein Monitoring der Wirkung von Ener-gieeffizienzprogrammen ist bislang nicht vorhanden oder

wird zu wenig systematisch betrieben So wird zum Bei-spiel die effektive Energieeinsparung vielfach nicht erfasst und gepruumlft Das tatsaumlchliche Kosten-Nutzen-Verhaumlltnis einzuschaumltzen ist somit schwierig Dass die bestehenden Energieeffizienzprogramme inhaltlich durchaus Anklang finden zeigen Ruumlckmeldungen von Unternehmen die in der Vergangenheit daran teilgenommen haben Die Befrag-ten beurteilen ihre Erfahrungen mehrheitlich positiv Aus Sicht der Unternehmen lagen die Energieeinspar effekte im Bereich der Erwartungen Viele wuumlrden nochmals an einem solchen Programm teilnehmen was die oben ge-nannten Versaumlumnisse umso bedauerlicher macht

Wirksamkeit verbessernWie koumlnnen KMU zum Energiesparen motiviert werden Aus Marketingsicht beinhaltet ein sinnvolles Programm eine segmentspezifische Kundenansprache die den laquoReifegradraquo (Wissen Einstellungen und Verhalten) eines Unternehmens in Bezug auf Energieeffizienz beruumlcksich-tigt Zweitens braucht es eine klare Kundenbeziehungs-strategie welche eine wiederholte Teilnahme zum Ziel hat Bei den Anreizen einzig die finanziellen Aspekte wie etwa erwartete Kostensenkungen oder Foumlrderbeitraumlge hervor-zuheben scheint wenig erfolgversprechend Der Fokus wird in Zukunft wohl vermehrt darauf liegen denjenigen Nutzen hervorzuheben der nicht direkt den Energiever-

Rolf RellstabRolf Rellstab ist wissenschaftlicher Mit-arbeiter und Projektleiter am Institut fuumlr Marketing Management der ZHAW School of Management and Law Seine Arbeits-schwerpunkte liegen im Bereich Kommuni-kation Kundenbeziehungsmanagement und B-to-B-Marketing

Projektziel und VorgehensweiseIm ZHAW-Projekt laquoNegawatt statt Megawattraquo werden optimierte Vorgehensweisen entwickelt um KMU mit einem jaumlhrlichen Strom-verbrauch zwischen 10 und 500 MWh zum Energiesparen zu moti-vieren Der Begriff laquoNegawattraquo bezeichnet die eingesparte Energie die zu virtuellen Negawatt-Kraftwerken kombiniert wird So wird anschaulich aufgezeigt wie viel Energie dank diesen Einsparungen weniger produziert werden muss Das Projekt beinhaltet eine interna-tionale Literaturstudie zu den Erfolgsfaktoren und Hemmnissen von Energieeffizienzprogrammen eine Umfrage bei Anbietern solcher Programme sowie eine Befragung von KMU Aus den Ergebnissen dieser drei Teilstudien werden Hypothesen im Hinblick auf ein idea-les Energieeffizienzprogramm abgeleitet In einem Folgeprojekt sol-len die Hypothesen im Rahmen eines Pilotprogramms uumlberpruumlft und weiterentwickelt werden Das Projekt wird durch den WWF Schweiz die Stiftung Pro Evolution das Bundesamt fuumlr Energie (BFE) und die Elektrizitaumltswerke des Kantons Zuumlrich (EKZ) unterstuumltzt Weitere In-formationen wwwzhawchnegawatt

laquoEine nachhaltige Verhaltens - aumlnderung bei Mitarbeitenden oder auf Managementebene

wird kaum verfolgtraquo

Wie viel Heizoumll wird jaumlhrlich in Winterthur verbraucht

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Klima im Wandel ndash Emissionsrechte im Handel

Der Klimawandel laumlsst sich anhand des Treibhauseffekts veranschaulichen Die Treibhausgase bewirken dass kurz-welliges Sonnenlicht zur Erdoberflaumlche gelangt verhindern jedoch dass langwellige Waumlrmestrahlung von der Erde nach aussen dringt Somit kann die Waumlrme nicht mehr entweichen und die Temperatur steigt Der Ausstoss von Treibhausgasen die vor allem bei der Verbrennung von fossilen Energietraumlgern wie Kohle Gas und Oumll entstehen hat seit der industriellen Revolution stark zugenommen und den natuumlrlichen Treibhauseffekt verstaumlrkt Eine Zunahme der Haumlufigkeit und Intensitaumlt meteorologischer und hydro-logischer Grossereignisse wie Stuumlrme und Uumlberschwem-mungen sind die Folge ndash mit gravierenden oumlkologischen oumlkonomischen und sozialen Konsequenzen

Der 2013 veroumlffentlichte Bericht der internationalen Exper-tengruppe Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zeigt auf dass die globale Durchschnittstempera-tur in den letzten 130 Jahren um 085deg Celsius gestiegen

Der Klimawandel findet nicht in ferner Zukunft sondern bereits jetzt statt Um ihn fuumlr Mensch und Umwelt auf einem ertraumlg-lichen Niveau zu stabilisieren muumlssen die Treibhausgas-emissionen reduziert werden Der Emissionshandel soll dazu beitragen sie dort zu mindern wo die geringsten Kosten an-fallen So kann das gesetzte Mengenziel oumlkonomisch effizient erreicht werdenText Regina Betz

ist Ohne Minderungsanstrengungen wird bis 2100 ein mehr als fuumlnffacher Anstieg prognostiziert Um die Treib-hausgaskonzentration in der Atmosphaumlre auf einem fuumlr Mensch und Umwelt akzeptablen Niveau zu stabilisieren muss die Erwaumlrmung bei unter 2deg Celsius stagnieren Da-fuumlr muumlssen laut dem 2014 veroumlffentlichten Bericht des IPCC die globalen Treibhausgasemissionen (THGE) bis 2050 gegenuumlber 2010 mindestens halbiert und bis 2100 um rund 100 Prozent reduziert werden 1997 hat sich die internationale Staatengemeinschaft im Kyoto-Protokoll fuumlr die Jahre 2008 bis 2012 erstmals auf voumllkerrechtlich ver-bindliche Ziele fuumlr den Ausstoss von THGE in den entwi-ckelten Laumlndern geeinigt aktuell finden Verhandlungen fuumlr die Festlegung neuer Ziele statt

Cap and TradeZur Zielerreichung sieht das Kyoto-Protokoll unter ande-rem den Emissionshandel auf Staatenebene vor Zahl-reiche Laumlnder wenden dieses Instrument aber haumlufiger auf Unternehmensebene an Das Grundprinzip ist einfach Die Houmlchstmenge (Cap) an erlaubten Gesamtemissionen wird festgelegt und an die regulierten Unternehmen im Emissions rechtehandelssystem (EHS) verteilt Die Unter-nehmen sind verpflichtet fuumlr jede emittierte Tonne Kohlen-dioxid ein Emissionsrecht einzureichen ansonsten sind Sanktionszahlungen faumlllig Will ein Unternehmen uumlber die ihm zugeteilte Menge hinaus emittieren muss es ein an-deres Unternehmen finden das ihm die benoumltigte Menge an Emissionsrechten verkauft (Trade) Unternehmen mit hohen Minderungskosten werden dabei Emissionsrechte hinzukaufen und Unternehmen mit niedrigen Kosten wer-den ihre Emissionen mindern indem sie etwa Biomasse statt Kohle verbrennen und uumlberschuumlssige Emissions-rechte verkaufen Durch den Handel koumlnnen die erforder-lichen Emissionsminderungen dort realisiert werden wo sie mit den geringsten Kosten verbunden sind Am Markt stellt sich ein Preis fuumlr die Emissionsrechte ein der Ange-bot und Nachfrage zum Ausgleich bringt

So einfach das Prinzip ist so schwierig ist seine Umset-zung Das System bedingt dass die Regierungen Rech-te fuumlr die Nutzung der Atmosphaumlre schaffen die zu einer

Hochschulperspektive

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Hochschulperspektive

Reduktion der Emissionen gegenuumlber einer Referenzent-wicklung fuumlhren dem sogenannten Business-as-usual-Szenario Doch die Abschaumltzung dieses Szenarios also der Entwicklung der Emissionen ohne Mengenbegren-zung ist schwierig wie die nachfolgenden Ausfuumlhrungen zum Emissionshandel in der EU zeigen

Der Emissionshandel in der EUDas EU-EHS ist der weltweit groumlsste Markt von Emissions-rechten Alle 28 EU-Staaten sowie Liechtenstein Island und Norwegen sind daran beteiligt Die Schweiz wuumlrde sich gerne anschliessen Das EU-EHS leidet seit seiner Einfuumlhrung im Jahr 2005 unter einem Uumlberangebot das sich mittlerweile auf rund 2 Milliarden Emissionsrechte be-laumluft Dies entspricht ungefaumlhr den vom System regulierten Emissionen eines Jahres Neben den unvorhergesehenen oumlkonomischen Entwicklungen durch die globale Finanz-krise traumlgt auch der starke Zubau an erneuer baren Ener-gien zu einem houmlheren Ruumlckgang der Emissio nen bei als geplant Der Hauptgrund fuumlr den derzeitigen Uumlberschuss liegt jedoch darin dass die regulierten Unternehmen ne-ben den Europaumlischen Emissionsrechten ndash European Union Allowances (EUAs) ndash auch auslaumlndische Emissions-minderungszertifikate ndash Certified Emission Reductions (CERs) ndash zu einem bestimmten Anteil anrechnen koumlnnen Mit dem sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) koumlnnen Industrienationen in Entwicklungslaumlndern emissionsmindernde Projekte finanzieren und sich die da-bei entstehenden THGE-Reduktionen mithilfe von CERs anrechnen lassen

Durch diese verschiedenen Faktoren hat sich ein Uumlberan-gebot entwickelt das den Preis der EUAs und CERs stark sinken liess Der Preis belaumluft sich derzeit auf rund fuumlnf Euro pro EUA Die bisherigen Reformanstrengungen wie etwa das sogenannte Backloading das Verschieben von Auktionen in spaumltere Jahre um die Menge zu verknappen haben bisher kaum zu einer Preiserhoumlhung gefuumlhrt

Die Schweiz als PreishochburgDer Schweizer Markt wuumlrde bei einem Zusammen-schluss nur rund 03 Prozent des EU-EHS ausmachen

Die Schweiz wuumlrde somit als Preisnehmerin agieren Das heisst der EU-Preis sollte auch in der Schweiz gelten Umso erstaunlicher ist es daher dass der Schweizer Preis pro Emissionsrecht derzeit bei rund 40 Franken liegt ob-wohl die Verbindung des Schweizer EHS mit dem EU-EHS geplant ist (sogenanntes Linking) Das auf der Basis des revidierten CO2-Gesetzes von 2012 und der CO2-Verord-nung verabschiedete System das den Emissionshandel am 1 Januar 2013 fuumlr 38 Unternehmen beziehungsweise 55 Anlagen in der Schweiz verbindlich eingefuumlhrt hat uumlber-nimmt weitestgehend die Regeln des EU-EHS Das neue System hat das bisherige freiwillige EHS in der Schweiz abgeloumlst Die im EHS erfassten Unternehmen sind von der CO2-Abgabe befreit Die hohe Kompatibilitaumlt des Schwei-zer EHS und des EU-EHS sollte ein schnelles Linking er-moumlglichen wobei die Verhandlungen durch die Annahme der Einwanderungsinitiative zum Stillstand gekommen sind Ein moumlglicher Erklaumlrungsansatz ist daher dass der hohe Preisunterschied die derzeitige Unsicherheit uumlber den Ausgang der Linking-Verhandlungen widerspiegelt Gehen die Schweizer Unternehmen davon aus dass kein Linking stattfindet sollte sich der Preis anhand der Minderungs-kosten und der Knappheit im Schweizer EHS bilden Fuumlr die Unternehmen ist es immer noch guumlnstiger den der-zeitigen Preis von 40 Franken fuumlr die Emissionsrechte zu bezahlen als eine Busse von 125 Franken pro fehlendes Emissionsrecht Zusaumltzlich zur Busse ist das Unternehmen verpflichtet die fehlenden Rechte im naumlchsten Jahr nach-zureichen Auch hier hat sich die Schweiz stark am EU-EHS orientiert bei dem die Busse bei 100 Euro pro EUA plus Wiedergutmachung liegt

Allokation beeinflusst den WettbewerbDie Gesamtmenge an Emissionsrechten (Cap) leitet sich aus den historischen Emissionen der teilnehmenden EHS-Unternehmen ab Fuumlr bestehende Anlagen die bereits vor 2013 am EHS in der Schweiz beteiligt waren setzt sie sich aus der Summe der durchschnittlich zugeteilten Emis-sionsrechte der ersten Verpflichtungsperiode (2008 bis 2012) zusammen fuumlr Anlagen die 2013 hinzukommen aus der Summe der durchschnittlichen Emissionen der

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fuumlr neue Anlagen in einer Reserve zuruumlckbehalten deren Uumlberschuumlsse zweimal jaumlhrlich versteigert werden Die Zu-teilung der Emissionsrechte hat etwas laumlnger gedauert so-dass sie in der Schweiz fuumlr die Jahre 2013 und 2014 erst im Februar 2014 erfolgte Das mag auch einer der Gruumlnde sein dass bisher kein Handel auf dem Sekundaumlrmarkt fuumlr den die Berner Kantonalbank eine eigene Emissions-handelsplattform bereitgestellt hat stattgefunden hat Das erste Preissignal war deshalb die Auktion der Uumlberschuumls-se aus der Neuemittentenreserve Diese fand vom 14 bis 21 Mai 2014 statt und erzielte fuumlr die 150 000 Emissions-rechte einen Preis von 4025 Franken pro Emissionsrecht

Wie sich die Liquiditaumlt im Schweizer Markt in Zukunft ent-wickeln wird und ob ein Linking mit dem EU-EHS und so-mit eine Angleichung der Schweizer Preise an die EU-EHS-Preise stattfinden wird bleibt abzuwarten Letzteres waumlre zwar aus oumlkonomischer Sicht zu begruumlssen da ein groumls-serer liquider Markt mit einheitlichem Preissignal als effizi-enter bewertet wird Aus oumlkologischer Sicht scheint jedoch ein Linking der Systeme ohne weitere Reformen des EU-EHS nicht wuumlnschenswert da es die Minderungsanreize in der Schweiz als Folge des Angebotsuumlberschusses an Emissionsrechten in der EU massiv reduzieren wuumlrde

Jahre 2009 bis 2011 Diese Summe wird jaumlhrlich um 174 Prozent reduziert analog der Regelung im EU-EHS

Neben der Festlegung der Obergrenze ist die Ausgestal-tung der Zuteilungsregeln politisch am schwierigsten da diese Verteilungswirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussen Bis 2012 wurden die Emissionsrechte in der EU daher groumlsstenteils kostenlos zugeteilt Seit 2013 werden rund 48 Prozent der Emissionsrechte versteigert wobei diese vor allem von Elektrizitaumltsfirmen gekauft wer-den muumlssen Da diese nicht im internationalen Wettbewerb

stehen konnten sie den Preis der gratis erhaltenen Emis-sionsrechte an die Elektrizitaumltskonsumenten weitergege-ben und hohe Gewinne erzielen Unternehmen aus Sek-toren die im internationalen Wettbewerb stehen koumlnnen hingegen die Kosten fuumlr die Emissionsrechte nicht an ihre Endkunden weitergeben ohne betraumlchtliche Nachteile in Kauf zu nehmen Es besteht daher das Risiko dass diese Firmen in Laumlnder ohne Klimapolitik abwandern Um dieses Risiko zu senken erhalten Unternehmen bei denen ein Risiko auf Abwanderung besteht auch in Zukunft weitest-gehend kostenlos Emissionsrechte zugeteilt Die Zuteilung basiert dabei auf sogenannten Benchmarks (Tonne Koh-lendioxid pro Tonne Produkt) die auf der Basis der effizi-entesten 10 Prozent der Unternehmen berechnet und mit historischen Produktionsdaten multipliziert werden

Noch kein Handel in der SchweizDie Schweiz hat die Benchmarks des EU-EHS uumlbernom-men Da in der Schweiz vor allem stark im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen aus den Sektoren Zement Papier Chemie Stahl und Raffinerien unter den Emissionshandel fallen werden fast alle Emissionsrechte kostenlos zugeteilt Ein kleiner Anteil von 5 Prozent wird

Regina BetzDr Regina Betz ist Dozentin fuumlr Energie- und Umweltoumlkonomie an der ZHAW School of Management and Law Seit 2014 leitet sie den volkswirtschaftlichen Teil der Ener-gy Policy Analysis Group des Zentrums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht das Mitglied des Schweizer Competence Centers for Research in Energy Society and Transition (CREST) ist Zuvor lehrte sie an der University of New South Wales Australia Umwelt- und Klimaoumlkonomie und leitete als Co-Direktorin das Centre for Energy and Environmental Markets (CEEM) 1998 bis 2004 arbeitete sie als Wissenschaftlerin am Fraunhofer-Institut fuumlr System- und Innovationsforschung ISI in Deutschland

laquoNeben der Festlegung der Ober grenze ist die Ausgestaltung der Zuteilungsregeln politisch am

schwierigsten da diese Verteilungs wirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussenraquo

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nicht vollstaumlndig genutzt werden kann In der Energiestra-tegie des Bundes ist gemaumlss einem Szenario bis 2050 ein Zubau auf knapp 12 TWh pro Jahr Stromproduktion aus Fotovoltaik angedacht Dies bedingt den Bau von Fotovol-taikanlagen mit einer installierten Spitzenleistung von etwa 12 Gigawattpeak (GWp) und einem Flaumlchenbedarf von rund 84 000 000 Quadratmetern Dieser Flaumlchenbedarf ist auf den bestehenden Daumlchern in der Schweiz verfuumlgbar

An einem schoumlnen Sommertag koumlnnen diese Anlagen dann also etwa 12 GW erzeugen die maximale Ver-brauchslast liegt im Sommer aber nur bei rund 8 GW Es entsteht ein Uumlberschuss von 4 GW die Speicherleistung der Schweizer Pumpspeicheranlagen betraumlgt heute aber nur 15 GW 25 GW Leistung koumlnnen in diesem Szenario also gar nicht genutzt werden An einem Wintertag mit Hochnebel erzeugen diese Anlagen uumlberhaupt keinen Strom die Verbrauchslast liegt aber mit 10 GW noch houml-her als im Sommer Hier entsteht eine Luumlcke die mit ande-ren Energieformen oder Importen gedeckt werden muss

Speichern uumlbertragen oder einsparenUm diesem Problem zu begegnen gibt es verschiedene Loumlsungsansaumltze Ein Ansatz ist die Energie lokal dort zu speichern wo sie erzeugt aber nicht sofort verbraucht werden kann In diesem Fall werden in erster Linie viele kleine Speichermodule benoumltigt die sowohl fuumlr kurz- als auch langfristigen Ausgleich sorgen muumlssen Eine andere Moumlglichkeit ist es die Energie an Orte zu uumlbertragen wo sie sofort verbraucht wird dann muss in erster Linie das Netz ausgebaut werden Schliesslich koumlnnte Energie auch zentral zu grossen Speichern transportiert werden was sowohl einen Netzausbau als auch neue Speichertechno-logien bedingen wuumlrde

Als die Gesellschaft noch aus Jaumlgern und Sammlern be-stand verbrauchte der Mensch seine Energie lokal dort wo er sie benoumltigte Er lebte von der Hand in den Mund Im Zuge der aufkommenden Landwirtschaft musste er Methoden entwickeln um Nahrung haltbar zu machen und sie zu transportieren Vor demselben Problem steht heute die Energiewirtschaft Ort und Zeit der erneuerbaren Energieerzeugung korrelieren je laumlnger je weniger mit dem Verbrauch Die Herausforderung der Energiewende ist deshalb nicht nur die Produktion selbst sondern auch die Uumlbertragung die Speicherung und das lokale Verbrauchs-last-Management

Saisonale Speicherung problematischMit dem Ausstieg aus der Kernenergie muumlssen in der Schweiz etwa 40 Prozent der produzierten elektrischen Energie ersetzt werden also rund 23 Terawattstunden (TWh) pro Jahr Im Gegensatz zur Kernenergie haben die neuen erneuerbaren Energien den Nachteil dass ihre Pro-duktion nicht steuerbar ist und unregelmaumlssig anfaumlllt Der Kapazitaumltsfaktor also das Verhaumlltnis von durchschnittlicher zu maximaler Leistung betraumlgt bei konventionellen Kraft-werken bis zu 100 Prozent bei Fotovoltaikanlagen dage-gen nur etwa 10 Prozent Hinzu kommen die starken saiso-nalen Schwankungen dieser stochastisch erzeugenden Energiequellen Im Winter liegt die Stromverbrauchsspitze mit circa 10 Gigawatt (GW) rund ein Drittel houmlher als im Sommer gleichzeitig liefern Fotovoltaikanlagen aufgrund des flacheren Einstrahlungswinkels und der kuumlrzeren Son-nenscheindauer wesentlich weniger Strom als im Sommer

Anhand eines Gedankenexperiments laumlsst sich veran-schaulichen dass das Potenzial der neuen erneuerbaren Energien ohne zusaumltzliche Speicher oder steuerbare Lasten

Energie haltbar machen

Der Ausbau von erneuerbaren Energiequellen geht so schnell voran dass Speicher- und Uumlbertragungstechnologien kaum mithalten koumlnnen Um Produktionsspitzen zu glaumltten braucht es Fortschritte in der EnergietechnikText Petr Korba

Hochschulperspektive

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Petr KorbaProf Dr Petr Korba ist Dozent und Fach-gruppenleiter fuumlr elektrische Energietechnik und Smart Grids an der ZHAW School of En-gineering Zuvor forschte er uumlber zehn Jahre bei ABB Schweiz in den Bereichen Automa-tion Energie- und Regelungstechnik

Scherrer Institut an der Power2Gas-Technologie Dabei wird Kohlendioxid mit Strom aus erneuerbaren Quellen durch Elektrolyse zu Wasserstoff oder weiter zu Methan verarbeitet Aumlhnlich wie bei der Nahrungsmittelproduktion wo Staumlrke schliesslich als raffinierter Zucker gespeichert wird gibt es auch bei der Stromspeicherung immer raffi-niertere Formen Bei jeder Umwandlung geht aber Energie verloren Man muss sich also gut uumlberlegen ob man uumlber-haupt speichern will und wenn ja uumlber welchen Zeitraum

Mit der wachsenden Integration von erneuerbaren Energi-en steigen auch die Anforderungen an die Energietechnik Unser kuumlnftiges Energiesystem wird staumlrker automatisiert und intelligenter sein Um erneuerbare Energiequellen zu integrieren werden Informations- und Kommunikations-technologien Automatisierungs- und Regelungstechnik Signalverarbeitung oder Wettervorhersagen immer wich-tiger In den intelligenten Stromnetzen der Zukunft wer-den alle beteiligten Komponenten Daten wie den aktuellen Verbrauch verfuumlgbare Strommengen oder lokale Aus-faumllle melden und gleichzeitig solche Daten aus anderen Netzkomponenten empfangen Das daraus resultierende Smart Grid ist ein Gefuumlge das selbststaumlndig auf diese Ein-fluumlsse reagiert und seine eigene Effizienz optimiert Es gilt Energie effizienter zu uumlbertragen um raumlumliche Distanzen zu uumlberwinden und neue Speichertechnologien zu entwi-ckeln um zeitliche Engpaumlsse zu uumlberbruumlcken Elektrische Energie kann auf verschiedene Arten erzeugt gespei-chert und uumlbertragen werden Jede Art hat ihre Vor- und Nachteile und ihren Preis Anreize aus der Politik werden schliesslich entscheiden welche Formen dies in der Zu-kunft sein werden

Auf der Verbraucherseite laumlsst sich die Nutzlast durch ge-eignetes Last-Management anpassen Diese Steuerung schaltet verbrauchsintensive Anlagen in Unternehmen gewerblichen Betrieben und Haushalten gezielt dann ein wenn die Stromtarife guumlnstig sind Es duumlrfte aber schwie-rig sein der Bevoumllkerung vorzuschreiben wann sie zum Beispiel fernsehen oder kochen darf Eine intelligente Re-gelung von grossen Kuumlhlhaumlusern stoumlrt dagegen nieman-den Trotz solchen Bestrebungen geht die International Energy Agency (IEA) davon aus dass der Stromverbrauch weltweit jaumlhrlich um rund 1 Prozent zunimmt Diese Ten-denz verstaumlrkt sich voraussichtlich noch falls sich der Bereich Mobilitaumlt von fossilen Energietraumlgern hin zur Elek-tromobilitaumlt verschieben wird Die Geschichte hat gezeigt dass der Energieverbrauch eigentlich nur in Krisenzeiten zuruumlckgeht

Klar ist jedenfalls dass der Ausbau von Speichern und Netzen Hand in Hand mit der zunehmenden Integration von erneuerbaren Energiequellen erfolgen muss Auf unter-schiedlichen Netzebenen kommen unterschiedliche Spei-chertechnologien zum Einsatz Waumlhrend fuumlr Haushalte mit kleinen Fotovoltaikanlagen und im Niederspannungsnetz bereits Batteriespeicher vorhanden sind stossen diese bei mehr als einer Windturbine oder groumlsseren Solarparks schnell an ihre Grenzen Das groumlsste Batterieenergie-speichersystem der Schweiz betreiben die Elektrizitaumlts-werke des Kantons Zuumlrich in Dietikon Es hat 1 Megawatt (MW) maximale Speicherleistung und kann diese waumlhrend ungefaumlhr 15 Minuten abgeben respektive speichern Die Spitzenlast im Schweizer Hochspannungsnetz liegt aber bei 8 GW im Sommer und 10 GW im Winter Die Schwei-zer Pumpspeicherkraftwerke koumlnnen unseren Strombe-darf nur etwa einen Monat lang decken Das europaumlische Hochspannungsnetz verfuumlgt uumlber eine Spitzenlast von circa 500 GW Um die Leistung von Grosskraftwerken wie Offshore-Windparks langfristig zu speichern braucht es neue Technologien

Raffinierte EnergiespeicherungDafuumlr forscht die ZHAW School of Engineering gemein-sam mit der ETH Zuumlrich der EPF Lausanne und dem Paul

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Hochschulperspektive

Dissonanz an der Steckdose

Mit der Energiestrategie 2050 haben Bundesrat und Parla-ment eine Kehrtwende in der Schweizer Energiepolitik ein-gelaumlutet der die wichtigsten politischen Huumlrden erst noch bevorstehen Auf den ersten Blick scheint der Kurswechsel breit abgestuumltzt Seit dem Reaktorunfall in Fukushima fuumlh-ren Umfragen immer wieder zum gleichen Ergebnis Der langfristige Ausstieg aus der Kernenergie findet eine Mehr-heit Im Grundsatz stossen erneuerbare Energien sowie Massnahmen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz auf hohe Zustimmung Was fuumlr den Stimmzettel gilt beeinflusst aber nicht automatisch das Konsum- und Investitionsverhalten der Energiekunden Die Bereitschaft aus eigenem Antrieb mehr fuumlr ein oumlkologisch houmlherwertiges Produkt aus neuen erneuerbaren Energietraumlgern zu bezahlen ist beschraumlnkt Nur wenige Haushalte sind zudem bereit ihren Energie- und insbesondere ihren Stromkonsum zu reduzieren wenn dies mit nicht amortisierbaren Investitionskosten oder einem moumlglichen Komfortverlust verbunden ist

Mit anderen Worten Effizienz wird als teuer und Suffizienz als bevormundend empfunden Die private Zahlungsbereit-schaft laumlsst sich zwar mit regulatorischen Interventionen wie fixen Einspeiseverguumltungen oder Investitionssubven-tionen in Effizienzmassnahmen etwas erhoumlhen Doch die Erfahrungen in Deutschland und der Schweiz zeigen dass solche Massnahmen oumlkonomisch ineffizient sind und oft als ungerecht empfunden werden Sie koumlnnen damit zum Bumerang fuumlr die Akzeptanz der energiepolitischen Ziele werden Neben den politischen Huumlrden ist somit auch die kognitive Huumlrde der Konsumenten zu beruumlcksichtigen De-ren Uumlberwindung bedarf zuerst einer differenzierten Analyse der Ursachen und danach der Entwicklung innovativer Ver-triebsmodelle und Produkte auf Versorgerseite

Eine Mehrheit der Bevoumllkerung unterstuumltzt den Ausstieg aus der Kernenergie doch nur wenige beziehen ein oumlkologisches Stromprodukt Warum das so ist und wie sich diese Dissonanz aufloumlsen laumlsst beschaumlftigt derzeit viele EnergieversorgerText Claudio Cometta

Indifferenz uumlberwiegtFuumlr viele Konsumenten ist die Strom- Gas- oder Fern-waumlrmerechnung ein verhaumlltnismaumlssig kleiner Posten im Haushaltsbudget dem wenig Beachtung geschenkt wird Die Schweiz ist sogar einer der Spitzenreiter in Europa machen die Stromkosten im Durchschnitt doch nicht mehr als 2 Prozent der Haushaltsausgaben aus Wenig Beachtung bedeutet auch wenig Kenntnis des Preises und der Menge der bezogenen Energieleistung oder der Zusammensetzung des Tarifs aus Energiekosten Netz-kosten und Abgaben Entsprechend besteht nur ein ge-ringes Interesse Energie und damit Kosten zu sparen Konsumentenbefragungen zeigen zudem dass nur eine kleine Minderheit der Kunden die Zusammensetzung ihres Stromprodukts nach Energietraumlgern kennt Die geringen Kosten und Unkenntnis des Produkts verhindern also die Wahl anderer Stromprodukte Strom ist ein klassisches Commodity-Produkt Man kann ihn weder sehen noch riechen Er ist verhaumlltnismaumlssig guumlnstig immer verfuumlgbar und aumlndert in keinerlei Hinsicht seine Eigenschaften wenn dafuumlr mehr bezahlt wird Zudem ist meist nicht sichtbar wer wie viel von welchem Produkt bezieht Der Strom-konsum ist Privatsache

Uumlberwindung durch VertriebsmodelleDie Vorgaben der Energiestrategie 2050 beinhalten nicht nur einen massiven Zubau der Produktionskapazitaumlt aus erneuerbaren Energietraumlgern sondern auch die kon-tinuierliche Reduktion des Energie- und insbesondere des Stromkonsums pro Kopf Die direkte Finanzierung der dazu notwendigen Investitionsvorhaben scheint an-gesichts der Indifferenz auf Konsumentenseite jedoch schwierig Aus diesem Grund sind mehrere Schweizer

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rund um Haushaltstechnik Sicherheit Pflege oder Kom-munikation sowie ein geschicktes Marketing mit Elemen-ten der sozialen Kontrolle Denkbar sind auch Anreize die keinen direkten Zusammenhang mit dem Energiekonsum aufweisen aber fuumlr breite Bevoumllkerungsgruppen attrak-tiv sind So haben etwa einzelne skandinavische Versor-ger damit begonnen energiesparendes Verhalten ihrer Kunden mit Verguumlnstigungen fuumlr die Nutzung oumlffentlicher Transportmittel zu belohnen

Uumlberwindung durch PartizipationDie wohl wirkungsvollste Massnahme zur Uumlberwindung der Dissonanz an der Steckdose ist bereits inhaumlrent in der Transformation des Energiesystems hin zu einer staumlrker dezentralen Erzeugung angelegt Kunden entwi-ckeln sich von passiven Leistungsempfaumlngern zu aktiven Leistungserbringern sogenannten Prosumern Als Klein-produzenten von Strom mit einer hauseigenen Fotovol-taikanlage oder thermischer Speicherleistung mit Kraft-Waumlrme-Kopplungsanlagen im Mikroformat werden sie mittelfristig wesentlich zum Umbau des Energiesystems und zu den Zielen der Energiestrategie beitragen koumlnnen Eine nicht ganz unbedeutende Rolle koumlnnten in Zukunft sogenannte Buumlrgerbeteiligungsmodelle fuumlr die Finanzie-rung neuer In frastrukturprojekte spielen Diese wuumlrden gleichzeitig die Akzeptanz sichtbarer Produktionsanlagen von neuen erneuerbaren Energien erhoumlhen Doch erst wenn das Produkt Strom nicht mehr als reines Commodity-Produkt wahrgenommen wird werden politische Meinung und Konsumverhalten bei einer Mehrheit der Stimmbuumlrger uumlbereinstimmen

Energieversoger in letzter Zeit dazu uumlbergegangen soge-nannte Default-Modelle einzufuumlhren die Stromprodukte aus erneuerbaren Quellen zum neuen Standard erheben Dabei macht man sich die Traumlgheit der Kunden zunutze indem die Wahl eines Stromprodukts aus nicht erneuer-baren Energietraumlgern als Option definiert wird die aktiv bestellt werden muss

Nicht zuletzt aufgrund solcher Modelle ist die Zahl der Schweizer Haushalte die ein Stromprodukt aus aus-schliesslich erneuerbaren Energien beziehen auf uumlber 25 Prozent gestiegen Doch weitere Vertriebsinnovationen werden notwendig sein etwa um der Herausforderung der Einspeisung von Strom aus fluktuierend nutzbaren Quellen (Solar- und Windenergie) in die Verteilnetze gewachsen zu sein die immer staumlrker ins Gewicht faumlllt In der Folge gilt es Investitionen in Netz- und Speichersysteme zu finan-zieren In innovativen Vertriebsmodellen welche dieser Herausforderung gerecht werden erhaumllt das Konsumver-halten einen Wert Zeitliche Flexibilitaumlt wird belohnt durch Tarifreduktion Bonus oder Vermeidung einer Gebuumlhr Wie diese beiden Beispiele zeigen laumlsst sich der Mehrwert von vermeintlichen Commodity-Produkten durch neue Vertriebsmodelle abschoumlpfen und als marktwirtschaftlich vertraumlglicher Finanzierungsmechanismus fuumlr neue Infra-strukturvorhaben im Energiesektor nutzen

Uumlberwindung durch innovative ProdukteNoch groumlsseres Potenzial birgt die Weiterentwicklung von Stromprodukten zu Leistungssystemen die fuumlr Energie-kunden einen echten Mehrwert bieten Hierzu gehoumlrt die Verknuumlpfung des Kernprodukts Strom mit Dienstleistun-gen die den Kunden ein transparenteres Verbrauchsver-halten sowie Kostenoptimierung ermoumlglichen Intelligente Stromzaumlhler sogenannte Smart Meter kombiniert mit fle-xiblen Tarifen und einem einfachen Feedback- und Steuer-system sind die Voraussetzung um zumindest oumlkologisch sensibilisierten oder kostenbewussten Endkunden einen Effizienzeffekt zu ermoumlglichen Damit solche Leistungs-systeme aber fuumlr die grosse Gruppe der Indifferenten interessant werden braucht es weitere Mehrwerte Dazu gehoumlren die Verknuumlpfung mit intelligenten Anwendungen

Claudio ComettaDr Claudio Cometta ist Dozent fuumlr Innovation und Entrepreneurship an der ZHAW School of Management and Law Er koordiniert den Aufbau des nationalen Energie-Kompetenz-zentrums SCCER 5 an der ZHAW

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Die Energiewende stellt die Energieversorgungsunternehmen in der Schweiz vor grosse Herausforderungen Das Beispiel von Stadtwerk Winterthur zeigt wie die Branche auf den Paradig-menwechsel reagiertText Florian Wehrli

Von den Anfaumlngen als laquoWinterthurer Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtungraquo vor uumlber 150 Jahren bis zum modernen Querverbundunternehmen hat sich Stadtwerk Winterthur kontinuierlich weiterentwickelt Seine Aufgabe ist aber gemaumlss Direktor Markus Saumlgesser weitgehend dieselbe geblieben die Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung zu verbes-sern So bietet das staumldtische Versorgungsunternehmen neben klassischen Produkten wie Wasser Strom Gas oder Kehrichtentsorgung und Abwasserreinigung heute auch Fernwaumlrme Haustechnik Glasfasernetz und Ener-gie-Contracting an Die Ausdehnung auf neue Geschaumlfts-bereiche will der Direktor aber nicht als Reaktion auf die Liberalisierung des Energiemarkts verstanden wissen laquoWir begegnen der Marktoumlffnung proaktiv und wollen die sich bietenden Chancen aktiv nutzenraquo

Lokales Potenzial ausgeschoumlpftIm liberalisierten Markt hat das staumldtische Versorgungs-unternehmen mit dem Monopol auf sein Energieversor-gungsnetz von gesamthaft mehr als 2 500 Kilometern einen Vorteil Dessen Unterhalt ist nach wie vor eine der Hauptaufgaben Im Gegensatz zu anderen Energieversor-gern betreibt Stadtwerk Winterthur naumlmlich einen verhaumllt-nismaumlssig geringen Anteil an eigenen Produktionsanlagen Das Flaggschiff ist die wohl modernste Kehrichtverwer-tungsanlage der Schweiz laquoMit dem Umbau konnten wir 2013 den Wirkungsgrad der Anlage um einen Drittel stei-gern und die Abluft gehoumlrt zu den saubersten weltweitraquo sagt Markus Saumlgesser Heute deckt die KVA 20 Prozent des Winterthurer Strom- und 12 Prozent des Waumlrmebe-darfs ab Auf solchen Lorbeeren ausruhen will sich Stadt-werk Winterthur aber nicht laquoWir wollen mithelfen eine nachhaltige Energiewirtschaft aufzubauenraquo Mittelfristig soll

die Haumllfte des Stromangebots aus erneuerbaren Quellen stammen laquoDas ist ein ehrgeiziges Zielraquo sagt Saumlgesser laquowir sind aber auf gutem Weg dazuraquo

Rund die Haumllfte des Rahmenkredits von 90 Millionen Franken fuumlr erneuerbaren Strom den das Winterthurer Stimmvolk 2012 bewilligt hat ist bereits investiert Im Bereich Fotovoltaik ist die Planung der groumlssten Anlagen abgeschlossen etwa auf den Daumlchern der Eishalle oder des Busdepots Eine aktuelle Windpotenzialstudie zeigt fuumlr Winterthur nur wenige moumlgliche Standorte auf zumal die Bewilligung solcher Anlagen mit grossem buumlrokratischem Aufwand verbunden sei Mit diversen Nahwaumlrmever-buumlnden nutzt Stadtwerk Winterthur auch Holzabfaumllle bereits sehr effizient Aber auch dieser Energietraumlger ist in Winterthur beschraumlnkt vorhanden Das letzte Projekt das Holz aus dem Winterthurer Stadtwald einsetzen wird ist in der Aufbauphase Studien im Bereich Wasserkraft haben gezeigt dass abgesehen von einem Kleinwasser-kraftwerk an der Toumlss in der Region kaum Potenzial vor-handen ist

Investitionen im AuslandlaquoDiese aufwendige Aufbauarbeit soll nicht zur Regel wer-denraquo sagt Markus Saumlgesser laquoDas limitierte Energiepoten-zial in der Schweiz und die beschwerlichen Instanzenwe-ge fuumlr Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie lassen uns deshalb vermehrt im Ausland investierenraquo 2012 be-teiligte sich das Stadtwerk mit 12 Millionen Franken am Kleinkraftwerk Birseck AG das Kleinwasserkraftwerke und Foto voltaikanlagen in der Schweiz und in Frankreich be-treibt 2013 folgte eine Beteiligung in der Houmlhe von 25 Mil-lionen Franken an der Swisspower Renewables AG die in

Vom Versorger zum Dienstleister

Unternehmensperspektive

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sein glaubt er aber nicht daran dass der Stromverbrauch insgesamt zuruumlckgehen wird laquoDafuumlr ist der Marktpreis zu niedrig Aus serdem wird Strom im Bereich Waumlrme und Mobilitaumlt einen Grossteil der fossilen Energietraumlger ersetzen muumlssenraquo Damit der geplante Verbrauchsruumlck-gang dennoch gelingt will der Bund Anreize schaffen Mit sogenannten weissen Zertifikaten will er die Versor-ger be lohnen wenn sie ihre Kunden zu einem geringeren Energie verbrauch bewegen In Grossbritannien Italien und Frankreich sind solche Modelle bereits im Einsatz Markus Saumlgesser sieht dieser Entwicklung mit gemischten Gefuumlh-len entgegen laquoWir haben bereits vor der Reaktorkatastro-phe in Fukushima auf Energieeffizienz gesetzt und konn-ten uns dadurch profilieren Weil die Politik nun eingreift und den Markt uumlbersteuert bleibt uns als Unternehmen weniger Spielraum um uns zu positionierenraquo

Windkraftanlagen im angrenzenden Ausland investiert Fuumlr die Beschaffung von Strom am freien Markt ist das Stadtwerk eine Zusammenarbeit mit der Trianel GmbH in Aachen ndash einer der fuumlhrenden Stadtwerke-Kooperationen in Europa ndash eingegangen Damit sollen insbesondere der Zugang zum Grosshandelsmarkt sowie die Marktfor-schung sichergestellt werden Denn um Kunden nachhal-tige Energieprodukte verkaufen zu koumlnnen muss man ihre Beduumlrfnisse genau kennen

Anreize fuumlr geringeren VerbrauchDie Strategie scheint aufzugehen laquoSeit der Einfuumlhrung der neuen Stromprodukte Anfang 2013 haben wir den Absatz von erneuerbarer Energie in Winterthur verdop-pelt und denjenigen von Oumlkostrom sogar vervierfachtraquo so Saumlgesser Trotz dem steigenden oumlkologischen Bewusst-

Gemaumlss seinem Leitbild soll Stadtwerk Winterthur mit einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der soziashylen Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Bild Michael Lio

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Ausgliederung aus der StadtverwaltungAuch auf kommunaler Ebene ist Stadtwerk Winterthur von den politischen Rahmenbedingungen abhaumlngig ndash mit allen Vor- und Nachteilen Die politischen Kurswechsel in den vorgesetzten Gremien seien hinderlich bei der Umsetzung der Strategie des Unternehmens laquoWir taumltigen Investitio-nen mit einem Planungshorizont von mehreren Jahrzehn-tenraquo sagt Markus Saumlgesser laquoin der Politik wird dagegen in Amtsperioden von vier Jahren gedachtraquo Es gibt deshalb Bestrebungen das Stadtwerk aus der Stadtverwaltung auszugliedern und einem langfristig operierenden Steue-rungsgremium zu unterstellen Bei der Stimmbevoumllkerung geniesst Stadtwerk Winterthur grossen Ruumlckhalt Alleine in den letzten zwei Jahren wurden vier Abstimmungsvor-lagen mit grossem Mehr angenommen darunter Rah-menkredite fuumlr das Energie-Contracting oder erneuerbare Energien laquoEine bessere Legitimation koumlnnen wir uns gar nicht wuumlnschenraquo sagt Markus Saumlgesser

Neue BetriebskulturStrategisch und energiepolitisch werden Dienstleistungen wie das Energie-Contracting fuumlr Stadtwerk Winterthur immer wichtiger laquoWir wollen unserer Kundschaft Waumlr-me oder Kaumllte gleich komfortabel anbieten koumlnnen wie Stromraquo sagt Markus Saumlgesser laquoImmobilienbesitzerinnen und -besitzer sollen sich nicht mehr um den Fuumlllstand ih-res Oumlltanks oder den Termin fuumlr den Kaminfeger kuumlmmern muumlssenraquo Das Energie-Contracting waumlchst stark und macht heute bereits rund 5 Prozent des Umsatzes von Stadtwerk Winterthur aus

Die neuen Geschaumlftsfelder ziehen auch andere Arbeits-kraumlfte an als bisher Verschiedene Betriebskulturen seien in den vergangenen Jahren teilweise parallel gelaufen be-ginnen nun aber langsam zu verschmelzen Ein Beispiel dafuumlr ist die Verknuumlpfung von Smart Metering und dem traditionellen Verteilnetz Elektrizitaumlt Als Voraussetzung fuumlr das Change-Management in der Betriebskultur habe man alle Mitarbeitenden in die Erarbeitung des Unterneh-mensleitbildes involviert Entstanden ist ein Leitbild das Stadtwerk Winterthur dabei unterstuumltzt die Unterneh-mensstrategie umzusetzen Stadtwerk Winterthur soll mit

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

Markus SaumlgesserMarkus Saumlgesser (52) ist diplomierter Ma-schineningenieur ETH und hat ein Nachdi-plomstudium in technischen Betriebswissen-schaften absolviert Seit Anfang 2011 ist er Direktor von Stadtwerk Winterthur Seine bisherige berufliche Taumltigkeit fuumlhrte Markus Saumlgesser nach zwei Jahren Assistenz an der ETH zu einem Ingenieurbuumlro fuumlr Ener-gie- und Haustechnik Waumlhrend dieser rund sechsjaumlhrigen Zeit war er bei anspruchsvol-len Bauprojekten verantwortlich fuumlr die Konzeption und Koordination der technischen Gebaumludeausruumlstung Zudem war er waumlhrend vier Jahren Mitglied der Geschaumlftsleitung Nach zweijaumlhriger Taumltigkeit als Abteilungsleiter in einer groumlsseren Gemeinde wechselte er zum Elek-trizitaumltswerk der Stadt Zuumlrich (EWZ) bei dem er die Abteilung Vertrieb Grosskunden leitete Daneben war Markus Saumlgesser beim EWZ in verschiedene Innovationsprojekte involviert So zeichnete er fuumlr das Projekt laquoStromzukunft Stadt Zuumlrichraquo verantwortlich das wichtige Grundlagen fuumlr die Strategie des EWZ und die Volksabstimmung zur 2000-Watt-Gesellschaft in der Stadt Zuumlrich beisteuerte

Stadtwerk Winterthur in Zahlen (2013)Mitarbeitende 347Nettoinvestitionen 1198 Mio CHFDurchgeleitete Strommenge 5643 Mio kWhUmsatz Strom 93 Mio CHFDurchgeleitete Gasmenge 5295 Mio kWhUmsatz Gas 411 Mio CHFUnternehmensgewinn 109 Mio CHF

einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der sozia-len Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Wann wurden in Winterthur die ersten Strassenlampen mithilfe von Stein-kohle erleuchtet

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Unternehmensperspektive

ckelte Hochspannungsgleichstromschalter sollen zudem sicherstellen dass etwa ein Kurzschluss durch eine hy-perschnelle Abschaltung isoliert und das Netz somit nicht gefaumlhrdet wird Von 14 solchen Schaltsystemen welt-weit stammen 13 von ABB Die hohen Investitionen fuumlr die armdicken Gleichstromkabel rechnen sich da beim Transport viel weniger Strom verloren geht als bei der tradi tionellen Wechselstromtechnik Die Produktelinie ent-wickelt sich zum Renner Sie wird zur Anbindung von So-lar- und Windparks zur Versorgung von Inseln als Ersatz fuumlr Diesel generatoren auf Oumll- und Gasplattformen auf See eingesetzt Oder um Starkstrom vom Festland zu auf dem Meeresboden platzierten ferngesteuerten Foumlrderanlagen fuumlr Gas und Oumll zu leiten ndash wofuumlr ABB auch wartungsfreie Kompressoren liefert damit Kunden wie Statoil und Pet-robras teure Ausfaumllle erspart bleiben

Komplettloumlsungen aus einer HandDank hohem Innovationstempo sind die Divisionen Ener-gietechnik- und Niederspannungsprodukte gut ausgelas-tet Dies gilt ebenso fuumlr die Divisionen Industrie- und Pro-zessautomation Speziell energieintensive Industrien die unter hohem Kostendruck stehen muumlssen ihre Anlagen auf dem neusten Stand halten Dazu zaumlhlen Bergbau Oumll- und Gasindustrie Zellstoff- Papier- und Zementfabriken Chemie- und Pharmafirmen sowie Raffinerien Gefragt sind auch Industrieroboter und schwenkbare dank ABB-Leistungselektronik stufenlos regulierbare Schiffsantrie-be ABB liefert Grosskunden fertige Loumlsungen die hohe Produktivitaumlt und Energieeffizienz gewaumlhrleisten Alles ist aufeinander abgestimmt von der Elektrik uumlber Antriebe Generatoren Roboter Sensoren und Steuerungen bis hin

Zu Beginn des Jahrtausends stand ABB am Abgrund Doch eine neue Fuumlhrungscrew fuumlhrte das Unternehmen aus der Krise sodass die Schweiz inzwischen wieder stolz sein kann auf ihren Industriemulti mit Sitz in Zuumlrich Oerli-kon 2013 erzielte ABB mit rund 148 000 Mitarbeitenden in 100 Laumlndern 42 Milliarden Dollar Umsatz Die renom-mierte US-Universitaumlt MIT zaumlhlt ABB zu den 50 innova-tivsten Unternehmen weltweit Dank 8 000 Ingenieuren in Forschung und Entwicklung und einem Forschungsetat von 15 Milliarden Dollar kann ABB selbst mit Giganten wie Siemens und General Electric mithalten

Innovationen die Technikfans begeisternWas ABB alles macht wissen wohl nur Technikfans Denn der Konzern hat uumlber 70 000 Produkte im Angebot Die 300 ABB-Fabriken liefern taumlglich 15 Millionen Kompo-nenten aus die zu elektrischen Einrichtungen oder in Pro-duktionssteuerungen verbaut werden Aus Kanada etwa kam juumlngst ein Grossauftrag uumlber 400 Millionen Dollar Erneuerbare Energie die auf Neufundland und Labrador gewonnen wird soll ab 2017 via Hochspannungskabel 360 Kilometer nach Westen fliessen um dort 350 000 Haumluser zu versorgen Weltweit gibt es erst 90 solche Gleichstromkabelverbindungen die meist unter der Erde oder auf dem Meeresgrund verlaufen ABB ist mit rund 50 Prozent Anteil Marktfuumlhrer Die futuristisch anmuten-de Technik in den abgeschirmten Hallen wo der Strom vor dem Transport auf Hochspannung transformiert wird erinnert an den Maschinenraum von Raumschiff Enter-prise Ein wichtiges Steuerungselement bilden dabei in Baden Daumlttwil entwickelte und in Lenzburg produzierte Spezialchips die Houmlchstspannung aushalten Neu entwi-

Der schweizerisch-schwedische Technikkonzern treibt an vor-derster Front die Energiewende voran Dafuumlr forscht man bei ABB intensiv zu erneuerbaren Energien schlauen Stromnetzen sowie hocheffizienten Industrieanlagen Einzig die schwache Nachfrage nach Energieanlagen in Europa bremst die ExpansionText Andreas Fluumltsch

Innovativer Treiber der Energiewende

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uumlber weite Strecken in die Ballungsraumlume geleitet werden muss brummt das Geschaumlft In den USA treibt der Oumll- und Gasboom die Nachfrage Nur in Europa harzt das Geschaumlft mit Grossanlagen Weniger Nachfrage belastet die Margen bei Auftraumlgen fuumlr Wind- und Solarfarmen so-wie fuumlr Netzinfrastruktur Die Risiken der oft mehrjaumlhrigen Projekte sind so hoch dass ABB waumlhlerischer sein muss und etwa das Geschaumlft mit Solarloumlsungen zurzeit auf Sparflamme betreibt Dennoch ist ABB immer noch hoch-profitabel nicht zuletzt da die Kosten Jahr fuumlr Jahr um 3 bis 5 Prozent gesenkt werden Aber der erfolgsgewohnte Konzern musste sich 2013 mit 6 Prozent Umsatzplus zu-friedengeben Umso intensiver treibt der neue ABB-Chef Ulrich Spiesshofer die Integration der vorab in den USA fuumlr 10 Milliarden Dollar getaumltigten Zukaumlufe voran Und Spiess-hofer forciert die Zusammenarbeit der Divisionen damit ABB die Unternehmensvision laquoEnergie und Produktivitaumlt fuumlr eine bessere Weltraquo mit moumlglichst vielen eigenen Pro-dukten realisieren kann

zur Leittechnik samt angepasster Software Kleine und mittlere Kunden ordern Komponenten oder Teilsysteme Ein wichtiges Verkaufsargument ist das Sparpotenzial von stufenlos steuerbaren Elektromotoren Nur einer von fuumlnf Motoren hat laut einer Erhebung des Bundes einen Leis-tungsregler der Rest laumluft auf Hochtouren und wird ndash man glaubt es kaum ndash bei Bedarf mit Klappen oder Ventilen mechanisch abgebremst Eine gigantische Verschwen-dung da Industriemotoren laut einer Studie der Schwei-zerischen Agentur fuumlr Energieeffizienz 27 Prozent des Schweizer Stromverbrauchs ausmachen

Europaumlische ZuruumlckhaltungEigentlich muumlsste die Division Energietechniksysteme ebenfalls ausgelastet sein Denn auch die Stromwirtschaft muss ihre Effizienz steigern Schliesslich erfordert die Energiewende einen Totalumbau der auf Verteilung ausge-richteten Netze damit diese unter der Last von Solar- und Windenergie nicht instabil werden Arbeit in Huumllle und Fuumllle fuumlr ABB sollte man meinen Doch der erst zaghafte Auf-schwung in Europa daumlmpft die Nachfrage Erschwerend kommt hinzu dass subventionierte Wind- und Solarener-gie in Europas liberalisiertem Strommarkt den Strompreis in ungeahnte Tiefen druumlckte Die Konkurrenzfaumlhigkeit von Wasser- Gas- und Atomkraftwerken hat gelitten Pump-speicher sind keine Goldesel mehr seit die erneuerbaren Energien die Preisspitzen brechen Entsprechend schie-ben Stromkonzerne wie Alpiq oder RWE Investitionen auf Unsicherheiten rund um den Atomausstieg belasten zu-saumltzlich Die voraussichtlich noch auf Jahre hinaus tiefen Strompreise schmaumllern auch die Faumlhigkeit der Besitzer von Hochspannungs- und Verteilnetzen deren Umruumlstung zu finanzieren hoch verschuldete EU-Staaten fahren die Foumlrderung von Wind- und Solarenergie zuruumlck

Straffe KostenkontrolleABB bekommt den Investitionsstau empfindlich zu spuuml-ren Die Division Energietechniksysteme schreibt seit eini-ger Zeit rote Zahlen Zwar ordern Grosskunden aus Asien und Lateinamerika weiterhin kraumlftig Neben China inves-tiert vermehrt auch Indien in neue Stromnetze Uumlberall dort wo die Bevoumllkerung rasch waumlchst oder der Strom

Andreas FluumltschAndreas Fluumltsch war urspruumlnglich Jurist und arbeitete ab 1983 als Journalist fuumlr laquoBlickraquo laquoWeltwocheraquo laquoBilanzraquo und laquoCashraquo Zwischen 1989 und 1990 war er Mitglied der Geschaumlftsleitung von Greenpeace Schweiz anschliessend Hausmann Nach der Ruumlck-kehr in den Journalismus 1992 arbeitete er bei laquoBlickraquo laquoSonntagszeitungraquo und laquoTages- Anzeigerraquo und absolvierte eine Ausbildung zum Boumlrsenhaumlndler Nach der Fruumlhpensio-nierung Ende 2013 machte er sich als Publi-zist selbststaumlndig

ABB in Zahlen (2013)Betriebsertrag 41 848 Mio USDBetriebsergebnis 4 387 Mio USDndash Industrieautomation 1 458 Mio USDndash Niederspannung 1 092 Mio USDndash Prozessautomation 990 Mio USDndash Energietechnik 1 331 Mio USDndash Energiesysteme 171 Mio USD

Mitarbeitende 147 700ndash davon in der Schweiz 6 966

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Hohe Nachfrage nach MinergieDer Erfolg der bisherigen Sparbemuumlhungen bleibt nicht aus laquoTrotz zunehmender Pro-Kopf-Wohnflaumlche und stei-gendem Komfort sinkt der Energieverbrauch fuumlrs Heizen in den letzten Jahrzehnten stetigraquo verkuumlndet der Zuumlrcher Regierungsrat im Energieplanungsbericht 2014 Dazu tra-gen nicht nur die laufend verschaumlrften Gesetze bei Ebenso wichtig ist die Bereitschaft von Bautraumlgerschaften freiwillig Uumlberdurchschnittliches zu leisten Vor allem die Minergie-Regeln werden inzwischen gerne befolgt weshalb Haumluser mit halbiertem Energieverbrauch beinahe Standard sind Schweizweit traumlgt eines von zehn neuen Wohnhaumlusern ein Minergie-Zertifikat Der Anteil an Minergie-Haumlusern im Grossraum Zuumlrich liegt gemaumlss einer Marktanalyse der Universitaumlt Zuumlrich bereits nahe bei 20 Prozent Dies ist privaten Hauseigentuumlmern und institutionellen Investoren zu verdanken Wohn- und Geschaumlftshaumluser mit houmlchster Energieeffizienz gehoumlren inzwischen zum guten Ton Den juumlngsten Beweis liefert eine Immobilienstiftung der Credit Suisse die 70 Millionen Franken in die groumlsste Oumlkosied-lung der Schweiz investiert Im Aargauer Reusstal wohnen seit diesem Jahr rund 200 Familien Paare und Singles deren Wohnhaumluser sich weitgehend selbst mit Sonnen-energie versorgen So klimafreundlich die Energiewende-Architektur ist der Investor erwartet dennoch marktuumlb-liche Renditen Ist der Markt aber bereit oumlkologisches Engagement angemessen zu honorieren

Marktpotenzial fruumlhzeitig erkanntDie Zuumlrcher Kantonalbank (ZKB) beziffert den Mehrwert von Minergie-Haumlusern auf 7 Prozent Kaumlufer seien bereit diesen Aufpreis fuumlr mehr Energieeffizienz zu bezahlen Als weitere Nebeneffekte nennt der vor drei Jahren publizierte ZKB-Bericht eine hochwertige dauerhafte Bausubstanz sowie die Absicherung gegen steigende Oumll- und Energie-preise Fachleute des Immobilienberatungsunternehmens Wuumlest amp Partner (WampP) warnen indes dass sich zusaumltz-liche Investitionen in die Energieeffizienz nicht uumlberall loh-nen laquoRegional schwankt die Zahlungsbereitschaft des Immobilienmarktsraquo praumlzisiert WampP-Partner Ivan Anton Minergie-Haumluser koumlnnen aber nicht nur in abgelegenen Regionen ein Marktrisiko werden laquoMit Ausnahme der

Beim Autokauf wird bevorzugt auf Pferdestaumlrken Be-schleunigung und Innenausstattung geachtet Der CO2-Ausstoss interessiert hingegen kaum So kommt die Energieeffizienz im Strassenverkehr nur stockend voran 1995 schluckten alle neu immatrikulierten Personen-wagen durchschnittlich 9 Liter Benzin pro 100 Kilometer 20 Jahre spaumlter liegt der Durchschnittsverbrauch gemaumlss Bundesamt fuumlr Energie (BFE) immer noch uumlber 6 Litern Das viel gepriesene laquoDrei-Liter-Autoraquo haben alle Hersteller wieder aus der Modellpalette genommen

Demgegenuumlber gelingen dem oft traumlge genannten Ge-baumludebereich weitaus groumlssere Effizienzspruumlnge Ver-brauchen 40 Jahre alte Haumluser im Schnitt 220 Kilowatt-stunden (kWh) Heizenergie pro Quadratmeter Wohnflaumlche und Jahr sind die aktuellen Werte unter die 50er-Marke gesunken Zusaumltzliche Sparerfolge sind nur eine Frage der Zeit Im Fruumlhsommer haben die kantonalen Energie-direktoren uumlber ein Rahmenabkommen beraten das Null-energieneubauten demnaumlchst zum Standard machen soll Wie die nationale Energiewende zu erreichen ist erklaumlrt Christoph Gmuumlr von der Abteilung Energie des Kantons Zuumlrich laquoDer spezifische Verbrauchswert ist zudem auf 35 kWh pro Quadratmeter zu senkenraquo Gebaumlude die sich mit umweltfreundlicher Energie selbst versorgen wollen auch die EU-Staaten Ab 2020 wird ein Gebaumludestandard eingefuumlhrt der nur noch laquoNiedrigstenergiegebaumluderaquo mit sehr hoher Energieeffizienz als Neubauten vorsieht

Energiesparhaumluser waren vor 30 Jahren Exoten inzwischen nimmt der Bereich der energie-effizienten Gebaumlude eine Vor-bildrolle fuumlr die Energie wende ein Bauherren profitieren davon ebenso wie die Zuliefer-branche Text Paul Knuumlsel

Expertensicht

Haumluser in der ersten Reihe

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der Bau von Niedrigenergiehaumlusern und alternativen Hei-zungsanlagen sowie energetische Gebaumludesanierungen Investitionen im Umfang von rund 4 Milliarden Franken ausgeloumlst rechnet der Bund vor laquoEin Fuumlnftel insgesamt 860 Millionen Franken stammt aus den oumlffentlichen Kas-senraquo verweist die BFE-Stelle EnergieSchweiz auf die Im-pulse der kantonalen Foumlrderprogramme Einen Wermuts-tropfen besitzt diese Wirkungsbilanz Fruumlhere Analysen der Energiesparprogramme zeigen naumlmlich dass zwi-schen einem Drittel und der Haumllfte der energetisch vorbild-lichen Gebaumlude auch ohne staatliche Foumlrderung realisiert worden waumlren Dem Mitnahmeeffekt ist auch die Eidge-noumlssische Steuerverwaltung auf der Spur Sie schaumltzt dass Bund und Kantonen jaumlhrlich 14 Milliarden Franken entgehen weil energetische Gebaumludesanierungen bei der Liegenschaftssteuer abzugsberechtigt sind Die Energie-wende erfordert nicht nur mehr Effizienz bei den Anwen-dungen sondern auch einen effizienten Einsatz staatlicher Mittel Im Energieplanungsbericht 2013 hat der Zuumlrcher Regierungsrat erstmals uumlber alternative Anreizsysteme nachgedacht Demnach soll eine Lenkungsabgabe den Energiekonsum reduzieren und das bisherige Foumlrdersys-tem abloumlsen Aumlhnliche Plaumlne verfolgt der Bund Denn ein Lenkungssystem duumlrfte weitere Sparbemuumlhungen im Ge-baumludebereich aber auch im Strassenverkehr foumlrdern Ins-besondere dann wenn Heizoumll und Benzin im Gleichschritt teurer werden

begehrten Wohnlagen haben Hauseigentuumlmer an vielen Orten mit moumlglichen Verkaufsverlusten zu rechnenraquo so Anton Zwar sei die Nachfrage bei Eigentuumlmern und Mie-tern aumlhnlich gross Aber auch Mieter wuumlrden nicht uumlberall mehr fuumlr eine energieeffiziente Wohnung bezahlen Kaum uumlberraschen darf daher dass Immobilieninvestoren immer haumlufiger die steigenden Energieanforderungen kritisieren und kostenguumlnstigere Baustandards vorziehen Fuumlr WampP-Berater Urs Hausmann ist laquonachhaltiges Bauen trotzdem keine Frage von Luxus oder Wohlstand sondern eine wie man mit Ressourcen umgehen willraquo Dass ein hohes Um-weltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauen Der Run auf den oumlkologischen Baustoff Holz laumlsst zum Beispiel eine gesamte Wertschoumlpfungskette und viele

innovative Unternehmen profitieren Forstbetriebe Sauml-gereien Fensterbauer Daumlmmstoffhersteller und andere Bauzulieferer vergroumlssern ihre Produktionskapazitaumlten und stellen zusaumltzliches Personal ein laquoDie Umsaumltze im Schweizer Holzbau sind in den letzten Jahren um mehrere Hundert Millionen Franken gestiegen und die Trendkurve zeigt weiter nach obenraquo freut sich Christoph Starck Di-rektor des Holzbaudachverbands Lignum

Einheimische Zulieferer als GewinnerAuch im Verein Minergie ist man sich bewusst dass sich energieeffizientes Bauen wirtschaftlich positiv auswirkt In den letzten 15 Jahren sind 25 000 Wohnhaumluser Buumlro-komplexe Schulbauten Sport- und Industriehallen mit Niedrig energiezertifikat entstanden Gemeinsam sparen sie 15 Milliarden Kilowattstunden Energie laquoUumlber 2 Milliar-den Franken wurden zusaumltzlich investiertraquo rechnet Miner-gie-Sprecher Antonio Milelli vor Anstatt fossile Brennstoffe einzukaufen wird mehr Geld fuumlr Daumlmmstoffe Isolierfenster Luumlftungsanlagen und Sonnenkollektoren aus inlaumlndischer Fabrikation ausgegeben Zwischen 2001 und 2012 haben

Paul KnuumlselPaul Knuumlsel studierte Umweltnaturwissen-schaften an der ETH Zuumlrich Er ist unabhaumln-giger Wissenschaftsjournalist und schreibt seit Jahren in Publikums- und Fachmedien uumlber die vielfaumlltigen Aspekte des nachhalti-gen Bauens Zusaumltzlich betreut er in der Re-daktion des laquoTEC21raquo das Ressort laquoEnergie und Umweltraquo

laquoDass ein hohes Umweltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren

derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauenraquo

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Der Wasserkraft Sorge tragen

Welchen Beitrag kann die Wasserwirtschaft zur Energie-wende leisten Roger Pfammatter Die Wasserkraft ist der energie-politische Trumpf der Schweiz Wir befinden uns in der gluumlcklichen Lage uumlber grosse Mengen Wasser und das notwendige Gefaumllle zu verfuumlgen ndash das sind die beiden wichtigsten Voraussetzungen fuumlr die hydroelektrische Produktion Und wir haben in den vergangenen 100 Jah-ren gelernt dieses Potenzial effizient und moumlglichst um-weltschonend zu nutzen Die Wasserkraft ist der Schluumls-sel fuumlr eine nachhaltige Energieversorgung technisch ausgereift politisch erwuumlnscht einheimisch erneuerbar und CO2-frei

Wie viel mehr ist moumlglichHeute leistet die Wasserkraft nicht nur rund 60 Prozent der Stromproduktion in der Schweiz sondern bietet auch unverzichtbare Regel- und Systemdienstleistungen die markant an Bedeutung gewinnen werden Vor allem bei der Flexibilisierung der Wasserkraft durch mehr Leistung und Speichervolumen waumlre noch einiges moumlglich Um die Aufgaben weiterhin zu gewaumlhrleisten muumlssen wir aber primaumlr dem Bestehenden Sorge tragen

Die Energiestrategie des Bundes gibt aber klare Ausbau-ziele vor Bis 2035 soll die Stromproduktion aus Wasser-kraft um 10 Prozent steigenUnter den momentanen Rahmenbedingungen ist dieses Ausbauziel nicht realistisch Im Gegenteil Aufgrund der Restwasserbestimmungen wird die Produktion in den naumlchsten Jahren vermutlich sogar zuruumlckgehen

Die Wasserkraft ist der wichtigste Pfeiler der Schweizer Ener-giewirtschaft ihr Potenzial ist aber weitgehend ausgeschoumlpft Roger Pfammatter Geschaumlftsfuumlhrer des Wasserwirtschaftsver-bands gibt im Interview Auskunft uumlber die Lage der Branche und ihre Bedeutung fuumlr die EnergiezukunftInterview Florian Wehrli

Expertensicht

Was muss sich aumlndern damit die vorgegebenen Ziele um-gesetzt werden koumlnnenZum einen braucht es dafuumlr die Akzeptanz der Umweltver-baumlnde der Fischer und letztlich der gesamten Bevoumllkerung Zum anderen muumlssen laumlngerfristig die extremen Marktver-zerrungen abgebaut werden damit sich auch Investitionen in die nicht gefoumlrderte Wasserkraft wieder lohnen Heute wird nur noch in subventionierte Anlagen investiert

Wer ist hier in der PflichtHier ist die Politik gefordert die Rahmenbedingungen zu verbessern Denn ohne die Wasserkraft kann die Energie-wende nicht gelingen

Anfang Jahr wurde der Wasserwirtschaftsverband von den zustaumlndigen Kommissionen angehoumlrt Welche Forderun-gen hat die Branche an das ParlamentWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerba-re Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichten die bereits bis zur Haumllfte der Geste-hungskosten ausmachen Damit sind wir doppelt diskrimi-niert Die Wasserkraft ist extrem unter Preisdruck ndash und dies obwohl sie mit Gestehungskosten zwischen 3 und 10 Rappen pro Kilowattstunde die effizienteste Strompro-duktionstechnologie ist Nur zum Vergleich Fotovoltaik -anlagen werden heute mit rund 40 Rappen subventioniert

Bis 2011 liess sich mit der Grosswasserkraft noch viel Geld verdienen Wurden zu wenige Ruumlcklagen fuumlr schlechte Zei-ten gebildet

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Es kann nicht der Sinn sein Ruumlcklagen fuumlr Zeiten zu bil-den in denen die Marktpreise die Gestehungskosten nicht mehr decken Das waumlre wie wenn ein Baumlcker auf jedem Gipfeli einige Rappen zuruumlckbehalten muumlsste damit er sie am naumlchsten Tag gratis abgeben kann Mit dem durch Subventionen verzerrten Marktpreis von 4 bis 5 Rappen pro Kilowattstunde ist unter den konventionellen Energie-traumlgern praktisch nur Kohle konkurrenzfaumlhig Das ist be-stimmt nicht im Sinn der Energiewende

Drei Grosswasserkraftprojekte sind heute bereits im Bau Koumlnnen die enormen Kosten uumlberhaupt amortisiert wer-denPrognosen sind schwierig An der europaumlischen Strom-boumlrse (EEX) werden bis 2020 Strompreise zwischen 45 und 53 Rappen pro Kilowattstunde gehandelt Der Markt glaubt also nicht an eine baldige Erholung Dafuumlr muumlsste das Uumlberangebot in Europa zuruumlckgehen etwa uumlber die Anhebung des CO2-Preises von heute 5 auf mindestens 30 Euro pro Tonne Politisch ist das aber kaum durchsetz-bar Neue Pumpspeicherwerke werden sich deshalb wohl erst in mehreren Jahrzehnten lohnen

Was kann die Kleinwasserkraft leistenOhne die kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) wuumlr-de niemand Kleinwasserkraftanlagen bauen genauso we-nig wie Fotovoltaik- Wind- oder Biomasseanlagen Zurzeit gibt es aber allein bei der Kleinwasserkraft rund 1 000 An-meldungen fuumlr Foumlrderbeitraumlge mit einem bescheidenen Ge-samtpotenzial von 33 Terawattstunden pro Jahr Die oumlko-logischen Auswirkungen sind im Vergleich zum Ertrag zu gross Obwohl wir von marktverzerrenden Foumlrderprogram-men wegkommen sollten waumlre es in einer Uumlbergangs phase sinnvoll die KEV-Obergrenze von 10 Mega watt aufzuheben und dort zu foumlrdern wo es wirklich etwas bringt

Wie soll die Grosswasserkraft unterstuumltzt werdenDas Sinnvollste waumlre die Abkehr von der Subventions-maschinerie ndash und zwar auf europaumlischer Ebene Dann wuumlrde sich die Wasserkraft als effiziente erneuerbare Stromproduktionsform mit Sicherheit durchsetzen Min-destens als Uumlbergangsloumlsung waumlre aber die Entlastung

von Abgaben in erster Linie vom Wasserzins dringend Der maximale Wasserzins wurde in den letzten vier Jahren um 38 Prozent erhoumlht und wird naumlchstes Jahr um weite-re 10 Prozent angehoben Diese Erhoumlhung wurde 2008 beschlossen und steht heute in keinerlei Bezug mehr zur Ertrags lage Kurzfristig koumlnnten die Kantone auf einen Teil dieser Zinsen verzichten ndash das waumlre ein wichtiges politi-sches Zeichen Langfristig muss ein neuer Modus fuumlr die Zinsberechnung gefunden werden der die Ertragslage der Wasserkraft mitberuumlcksichtigt Das ist auch im Interesse von Bund Kantonen und Gemeinden schliesslich ist die Wasserkraft zu 85 Prozent in oumlffentlicher Hand Ebenfalls als Uumlbergangsloumlsung bis zu besseren Marktpreisen waumlren zinsguumlnstige Darlehen fuumlr die noumltigen Investitionen in die Grosswasserkraft denkbar Ohne mindestens eine dieser Massnahmen kann die Wasserwirtschaft das geforderte Ausbauziel nicht erreichen

Bis dahin gibt es noch eine weitere Huumlrde den Heimfall der Stauanlagen an die Standortgemeinden Welchen Ein-fluss hat dieser UmstandWenn die Konzessionen nach 80 oder 100 Jahren aus-laufen muss der Betreiber der Gemeinde eine Entschaumldi-gung fuumlr den Restwert der Anlagen entrichten Im Fall der Staumauer Barberine bezahlen die SBB und Alpiq 2017 an sechs Walliser Gemeinden 343 Millionen Franken Das 400-Seelen-Dorf Finhaut erhaumllt alleine 112 Millionen Fran-ken und weiss kaum wohin mit dem Geld Der gesamte Wert des Heimfalls der Anlagen bewegt sich schweizweit im Milliardenbereich Der Houmlhepunkt des Heimfalls wird um 2035 erreicht werden Bis zu diesem Zeitpunkt soll aber auch ein Grossteil der geforderten Produktionsstei-gerung umgesetzt werden

Bei der Stromproduktion ist ein Ausbau von uumlber 10 Pro-zent wohl nicht realistisch Wie sieht es bei der Speicher-leistung aus Hier muss man unterscheiden zwischen kurzfristiger und saisonaler Speicherung Fuumlr die saisonale Speicherung verfuumlgt die Schweiz mit 200 Speicherseen uumlber ein Vo-lumen von rund 9 000 Gigawattstunden (GWh) die jedes Jahr vom Sommer in den Winter umgelagert werden Dies

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Expertensicht

entspricht einem Viertel der jaumlhrlichen Produktion aus Wasserkraft Das Ausbaupotenzial durch die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren betraumlgt rund 2 000 GWh Falls der Ausbau aber nicht gelingt entsteht im Winter durch den Ausfall der Kernenergie eine immer groumlssere Luumlcke an Bandenergie die durch den Import von Atom- oder Kohlestrom gedeckt werden muss

Wie sieht es beim Ausbau der Pumpleistung zum kurzfris-tigen Ausgleich von Schwankungen im Netz ausGrundsaumltzlich ist das Potenzial fuumlr Pumpspeicherwerke in der Schweiz riesig Es braucht nur zwei Seen auf unter-schiedlicher Houmlhe Die Frage ist ob sich solche Investi-tionen rechnen Die Pumpspeicherwerke finanzieren sich

uumlber den Preisunterschied zwischen Band- und Spitzen-energie Wenn an einem schoumlnen Sommertag in Europa mittags die geballte Ladung an Sonnen- und Windener-gie eingespeist wird koumlnnen die Pumpspeicherkraftwerke sehr guumlnstig oder sogar zu Negativpreisen Strom bezie-hen Man darf aber nicht vergessen dass dieselbe Situa-tion fuumlr die Laufwasserkraftwerke die rund die Haumllfte der Wasserkraftproduktion in der Schweiz ausmachen den gegenteiligen Effekt hat Diese koumlnnen aus technischen konzessionsrechtlichen oder oumlkologischen Gruumlnden nicht vom Netz genommen werden und muumlssen fuumlr ihre Strom-produktion bezahlen Das kann gehoumlrig ins Geld gehen An Weihnachten 2012 lag der Strompreis zum Beispiel bei minus 30 Rappen pro Kilowattstunde

Roger Pfammatter laquoWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerbare Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichtenraquo

Bild Florian Wehrli

39COMPETENCE | 2014

cherseen zur Flexibilisierung Damit das gelingt muss der Wert der Wasserkraft staumlrker im Bewusstsein der Bevoumllke-rung verankert sein Und nicht zuletzt muss der Marktpreis so weit uumlber den Gestehungskosten liegen dass sich In-vestitionen in die Wasserwirtschaft rentieren

Versuchen das Bestehende zu erhalten Diese Vision klingt etwas resigniertDas ist eine Frage der Perspektive Die Wasserkraft hat als Technologie in der Schweiz seit Langem Bestand Sie befindet sich in einer anderen Situation als Fotovoltaik und Windenergie die sich in einem hochdynamischen Umfeld mit grossem Potenzial in Forschung und Wachstum be-finden Die Wasserkraft ist dagegen nicht mehr in der Auf-bruchsphase sondern in der Konsolidierungsphase Da-fuumlr kann man sich auf die Wasserkraftwerke verlassen Sie produzieren bei Tag und in der Nacht im Sommer wie im Winter bei Windstille oder im Nebel Auch der Erhalt und die Optimierung des Bestehenden sind grosse Heraus-forderungen und bedingen grosse Investitionen

Sehen Sie eine Moumlglichkeit wie die Schweizer Wasser-wirtschaft in Zukunft Geld mit Systemdienstleistungen wie Netzstabilitaumlt verdienen kannDie unregelmaumlssig einspeisenden Stromproduzenten neh-men keinerlei Systemverantwortung wahr Ich habe selbst ein Solarpanel auf dem Dach Wenn Produktion moumlglich ist speise ich Strom ins Netz ein wenn nicht beziehe ich Die Produzenten mehr in die Verantwortung zu nehmen faumlnde ich sinnvoll ndash zum Beispiel uumlber Zertifikate fuumlr Spei-cherleistungen Diese koumlnnten bei Pumpspeicherwerken bezogen werden

Welcher Ausbau der Pumpspeicherleistung ist dafuumlr noumltigDie installierte Leistung betraumlgt heute rund 14 Gigawatt (GW) Mit den im Bau befindlichen und den geplanten An-lagen kann die Kapazitaumlt maximal auf 51 GW ausgebaut werden ndash etwa die Haumllfte der Jahreshoumlchstlast im Netz Damit die Schweizer Wasserkraft aber einen Beitrag zur Stabilitaumlt des europaumlischen Stromnetzes leisten kann muumlssten auch das Stauvolumen und die Leitungskapazi-taumlt erhoumlht werden Hier sind die Einsprachen von Anwoh-nern und Umweltverbaumlnden noch gravierender als bei den Anlagen selbst

Braucht es neue rechtliche Instrumente um den geplan-ten Ausbau durchsetzen zu koumlnnenEs braucht vor allem die Einsicht dass die Wasserkraft das Ruumlckgrat unserer Versorgungssicherheit ist und die Aus-wirkungen eines Ausbaus immer auch mit den Alternativen verglichen werden muumlssen Wir befinden uns aber auch in einem intensiv genutzten Land mit vielen Partikularinteres-sen Diese muumlssen gewichtet und abgewogen werden In der Abwaumlgung zwischen Landschaftsschutz und Wasser-nutzung waumlre es hilfreich wenn Grosswasserkraftanlagen den Status von nationalem Interesse erhalten

Wie soll die Schweizer Wasserwirtschaft im Jahr 2035 aussehenIch wuumlnsche mir dass die bestehende Infrastruktur auf dem heutigen Stand erhalten optimiert oumlkologisiert und im Idealfall etwas ausgebaut wird Dazu gehoumlren etwa die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren sowie neue Spei-

Roger PfammatterSeit seinem Ingenieurstudium an der ETH Zuumlrich hat er sich in ver-schiedenen Rollen dem Wasser verschrieben Nach sieben Lehr- und Wanderjahren in der Forschung und in der Entwicklungszusammen-arbeit war er zehn Jahre beim Ingenieurunternehmen Ernst Basler + Partner engagiert Seit 2010 ist er Geschaumlftsfuumlhrer des Schweizeri-schen Wasserwirtschaftsverbandes (SWV) und Herausgeber der Zeit-schrift laquoWasser Energie Luftraquo In diesen Funktionen setzt er sich ein fuumlr den Fachaustausch und gute Rahmenbedingungen in den Bereichen Wasserkraft und Hochwasserschutz

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Die globalen Energiemaumlrkte sind seit einigen Jahren stark in Bewegung Volatile Erdoumllpreise die Foumlrderung von un-konventionellen Gasvorkommen in grossem Stil die mas-sive Subventionierung von neuen erneuerbaren Energien in Deutschland der laquoarabische Fruumlhlingraquo und der Konflikt in der Ukraine hinterlassen Spuren Die Folge sind starke Verwerfungen an den Maumlrkten und fehlende Investitionssi-cherheit In diesem dynamischen und unsicheren Kontext will der Bund die bisherige Energiepolitik neu ausrichten ndash wahrlich eine Herkulesaufgabe Die Schweizer Wirtschaft verlangt dass der Bund bei der Neuausrichtung der Ener-giepolitik seinem in der Verfassung verankerten Auftrag nachkommt und sich fuumlr eine ausreichende sichere breit gefaumlcherte wirtschaftliche und umweltvertraumlgliche Ener-gieversorgung einsetzt Somit ist klar Die Energiestrate-gie 2050 muss in erheblichen Teilen optimiert und justiert werden Nur wenn vernetzt gedacht wird ist eine sichere Versorgung zu wettbewerbsfaumlhigen Preisen moumlglich

Prognosen klaffen weit auseinanderSeit Jahrzehnten bietet der Strommix aus Wasserkraft (knapp 60 Prozent) und Kernenergie (40 Prozent) Gewaumlhr fuumlr eine sichere klimafreundliche und wirtschaftliche Ener-gieversorgung Im Rahmen der Energiestrategie 2050 muss die Kernenergie langfristig ersetzt werden Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen zumal die Ziele des Bundes

Lebenselixier der Wirtschaft

Die Schweizer Wirtschaft ist auch in Zukunft auf eine sichere und wirtschaftliche Stromver-sorgung angewiesen Die Ener-giestrategie 2050 setzt stark auf Subventionen Dadurch entstehen Fehlanreize welche die Versorgungssicherheit ge-faumlhrdenText Kurt Lanz

Expertensicht

in Bezug auf das Potenzial der neuen erneuerbaren Ener-gien von Wunschdenken geleitet sind Die neuen erneuer-baren Energien werden sich langsamer entwickeln als an-gestrebt Der Bund rechnet mit rund 12 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2035 die Schweizer Wirtschaft mit 44 TWh Die vorsichtigeren Prognosen der Wirtschaft scheinen re-alistischer Dies zeigen exemplarisch die gescheiterten Geothermieprojekte in Basel und St Gallen Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Nachfrageprognosen Der Bund rechnet in seinen Szenarien mit einem Ruumlckgang des Stromverbrauchs pro Kopf von 16 Prozent zwischen 2000 und 2035 Die Schweizer Wirtschaft orientiert sich in ihren Szenarien am Verband Schweizerischer Elektrizitaumlts-unternehmen (VSE) der weiter mit einer steigenden Nach-frage rechnet Die Wirtschaft fordert von der Politik eine vernuumlnftige Planung aufgrund realistischer Schaumltzungen Die Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energiestrategie nicht gefaumlhrdet werden

Subventionen fuumlhren zu FehlanreizenDie Schweiz hat seit vielen Jahrzehnten erfolgreich die Wasserkraft vorangetrieben Aus politischen Gruumlnden wird nun die ndash unregelmaumlssige ndash Stromproduktion durch Sonnen- und Windenergie forciert Unsere sogenann-te kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) entspricht dem deutschen Foumlrdermodell Beide haben das gleiche Ziel Sie sollen erneuerbare Energien ausbauen indem sie neue Formen der Stromproduktion zur Marktreife brin-gen Weil das KEV-System die Sonnen- und Windenergie massiv foumlrdert kommt ein weiterer Ausbau der bewaumlhrten Wasserkraft nicht infrage Diese Entwicklung gefaumlhrdet die Versorgungssicherheit der Schweiz Auf den ersten Blick sinken zwar die Produktionskosten fuumlr Solarstrom gleich-zeitig steigen aber die Kosten fuumlr Speicherung und Inte-gration ins Netz spuumlrbar Auch ist der Ausbau von Solar- und Windenergie nur von beschraumlnktem Nutzen solange keine ausreichenden Speicherkapazitaumlten vorhanden sind Nur Preissignale koumlnnen das Investitionsverhalten von Stromproduzenten Netzbetreibern und Konsumen-ten sinnvoll lenken Subventionen sind zu beseitigen denn sie fuumlhren zu Fehlanreizen

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Alle Optionen offenhaltenOffenheit und Neugier gehoumlren zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft Kategorisches Abwehrverhalten und Denkverbote verhindern konstruktive Loumlsungsansaumltze und Innovation Eine sichere und kostenguumlnstige Strom-versorgung kann auch in Zukunft nur mit der notwendi-gen Offenheit gegenuumlber allen Technologien und Energie-

systemen garantiert werden Die Schweiz ist dank einer erfolgreichen Hochschulland-schaft und vielen Technolo-gieunternehmen gut geruumlstet Die verschiedenen Energie-systeme muumlssen faktenba-siert und ohne ideologische

Scheuklappen verglichen werden Nur so koumlnnen effizi-ente und umweltvertraumlgliche Loumlsungen gefunden werden Das heutige System der Foumlrderung der neuen erneuer-baren Energien ist durch ein marktorientiertes System ab-zuloumlsen Produzenten die nachfragegerecht einspeisen sollen eine houmlhere Verguumltung erhalten als andere Auch soll der Vorrang der Netzeinspeisung fuumlr subventionierte Energietraumlger aufgehoben werden

laquoDie Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit

des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energie strategie nicht

gefaumlhrdet werdenraquo

Schnellere Verfahren anstrebenGrundvoraussetzung fuumlr eine Neuausrichtung der Ener-giepolitik sind funktionierende Stromnetze Diese muumls-sen zwingend parallel zum Umbau der Stromproduktion weiterentwickelt werden Allein der noumltige Ausbau der Uumlbertragungsnetze belaumluft sich auf rund 1 000 Kilometer bis ins Jahr 2020 Erforderlich sind zudem Investitionen in alle Verteilernetzebenen Al-lerdings verzoumlgern komplizier-te Verfahren auf Kantons- und Bundesebene den Ausbau Ausserdem erwaumlchst praktisch jedem Projekt Widerstand von privater Seite was zu weiteren Verzoumlgerungen fuumlhrt Die Wirt-schaft fordert deshalb Bei Bewilligungen von Stromnetzen ist der Gang vors Bundesgericht nur noch bei Grundsatz-fragen moumlglich Umbauten sowie Spannungs- und Kapa-zitaumltserweiterungen koumlnnen ohne Planungsgenehmigung realisiert werden Ausserdem sind die Verfahren bei einer einzigen Leitbehoumlrde anzusiedeln

Spielfeld erweiternDie Schweiz ist seit jeher ein wichtiges Stromtransitland Schon seit den 90er-Jahren treibt die EU die Vereinheitli-chung des Binnenmarkts fuumlr Strom hin zu einem eigent-lichen EU-Strommarkt voran In der Schweiz erweist sich die gesetzliche Trennung von Grundversorgung und Markt diesbezuumlglich zunehmend als Hindernis Aus Sicht der Wirtschaft ist die vollstaumlndige Liberalisierung des Strom-markts eine zwingende Voraussetzung fuumlr eine erfolgrei-che energiepolitische Neuausrichtung

Eine Marktoumlffnung wuumlrde insbesondere auch den erneuer-baren Energien neue Chancen eroumlffnen und Zugang zu neuen Kunden gewaumlhren Von hoher Wichtigkeit ist auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU Je groumlsser der Anteil erneuerbarer Energien umso wichtiger ist die Einbettung in Europa denn Investitionen in Netze und Produktion koumlnnen in Koordination mit der EU wirkungsvoller und wahrscheinlich kostenguumlnstiger getaumltigt werden

Kurt LanzKurt Lanz ist Leiter Infrastruktur Energie und Umwelt sowie Geschaumlftsleitungsmitglied von economiesuisse dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft

Gut vernetzt ndash Vorschlaumlge der Schweizer Wirtschaftzur EnergiepolitikDie Publikation basiert auf der Grundlagenarbeit der breit abgestuumltz-ten Energiekommission von economiesuisse und macht konstruk-tive Vorschlaumlge fuumlr einen erfolgreichen energiepolitischen Weg der Schweiz Download unter wwweconomiesuissech

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

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Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

wwwsmlzhawch

Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 20: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

Wie viel Heizoumll wird jaumlhrlich in Winterthur verbraucht

21COMPETENCE | 2014

Klima im Wandel ndash Emissionsrechte im Handel

Der Klimawandel laumlsst sich anhand des Treibhauseffekts veranschaulichen Die Treibhausgase bewirken dass kurz-welliges Sonnenlicht zur Erdoberflaumlche gelangt verhindern jedoch dass langwellige Waumlrmestrahlung von der Erde nach aussen dringt Somit kann die Waumlrme nicht mehr entweichen und die Temperatur steigt Der Ausstoss von Treibhausgasen die vor allem bei der Verbrennung von fossilen Energietraumlgern wie Kohle Gas und Oumll entstehen hat seit der industriellen Revolution stark zugenommen und den natuumlrlichen Treibhauseffekt verstaumlrkt Eine Zunahme der Haumlufigkeit und Intensitaumlt meteorologischer und hydro-logischer Grossereignisse wie Stuumlrme und Uumlberschwem-mungen sind die Folge ndash mit gravierenden oumlkologischen oumlkonomischen und sozialen Konsequenzen

Der 2013 veroumlffentlichte Bericht der internationalen Exper-tengruppe Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zeigt auf dass die globale Durchschnittstempera-tur in den letzten 130 Jahren um 085deg Celsius gestiegen

Der Klimawandel findet nicht in ferner Zukunft sondern bereits jetzt statt Um ihn fuumlr Mensch und Umwelt auf einem ertraumlg-lichen Niveau zu stabilisieren muumlssen die Treibhausgas-emissionen reduziert werden Der Emissionshandel soll dazu beitragen sie dort zu mindern wo die geringsten Kosten an-fallen So kann das gesetzte Mengenziel oumlkonomisch effizient erreicht werdenText Regina Betz

ist Ohne Minderungsanstrengungen wird bis 2100 ein mehr als fuumlnffacher Anstieg prognostiziert Um die Treib-hausgaskonzentration in der Atmosphaumlre auf einem fuumlr Mensch und Umwelt akzeptablen Niveau zu stabilisieren muss die Erwaumlrmung bei unter 2deg Celsius stagnieren Da-fuumlr muumlssen laut dem 2014 veroumlffentlichten Bericht des IPCC die globalen Treibhausgasemissionen (THGE) bis 2050 gegenuumlber 2010 mindestens halbiert und bis 2100 um rund 100 Prozent reduziert werden 1997 hat sich die internationale Staatengemeinschaft im Kyoto-Protokoll fuumlr die Jahre 2008 bis 2012 erstmals auf voumllkerrechtlich ver-bindliche Ziele fuumlr den Ausstoss von THGE in den entwi-ckelten Laumlndern geeinigt aktuell finden Verhandlungen fuumlr die Festlegung neuer Ziele statt

Cap and TradeZur Zielerreichung sieht das Kyoto-Protokoll unter ande-rem den Emissionshandel auf Staatenebene vor Zahl-reiche Laumlnder wenden dieses Instrument aber haumlufiger auf Unternehmensebene an Das Grundprinzip ist einfach Die Houmlchstmenge (Cap) an erlaubten Gesamtemissionen wird festgelegt und an die regulierten Unternehmen im Emissions rechtehandelssystem (EHS) verteilt Die Unter-nehmen sind verpflichtet fuumlr jede emittierte Tonne Kohlen-dioxid ein Emissionsrecht einzureichen ansonsten sind Sanktionszahlungen faumlllig Will ein Unternehmen uumlber die ihm zugeteilte Menge hinaus emittieren muss es ein an-deres Unternehmen finden das ihm die benoumltigte Menge an Emissionsrechten verkauft (Trade) Unternehmen mit hohen Minderungskosten werden dabei Emissionsrechte hinzukaufen und Unternehmen mit niedrigen Kosten wer-den ihre Emissionen mindern indem sie etwa Biomasse statt Kohle verbrennen und uumlberschuumlssige Emissions-rechte verkaufen Durch den Handel koumlnnen die erforder-lichen Emissionsminderungen dort realisiert werden wo sie mit den geringsten Kosten verbunden sind Am Markt stellt sich ein Preis fuumlr die Emissionsrechte ein der Ange-bot und Nachfrage zum Ausgleich bringt

So einfach das Prinzip ist so schwierig ist seine Umset-zung Das System bedingt dass die Regierungen Rech-te fuumlr die Nutzung der Atmosphaumlre schaffen die zu einer

Hochschulperspektive

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Hochschulperspektive

Reduktion der Emissionen gegenuumlber einer Referenzent-wicklung fuumlhren dem sogenannten Business-as-usual-Szenario Doch die Abschaumltzung dieses Szenarios also der Entwicklung der Emissionen ohne Mengenbegren-zung ist schwierig wie die nachfolgenden Ausfuumlhrungen zum Emissionshandel in der EU zeigen

Der Emissionshandel in der EUDas EU-EHS ist der weltweit groumlsste Markt von Emissions-rechten Alle 28 EU-Staaten sowie Liechtenstein Island und Norwegen sind daran beteiligt Die Schweiz wuumlrde sich gerne anschliessen Das EU-EHS leidet seit seiner Einfuumlhrung im Jahr 2005 unter einem Uumlberangebot das sich mittlerweile auf rund 2 Milliarden Emissionsrechte be-laumluft Dies entspricht ungefaumlhr den vom System regulierten Emissionen eines Jahres Neben den unvorhergesehenen oumlkonomischen Entwicklungen durch die globale Finanz-krise traumlgt auch der starke Zubau an erneuer baren Ener-gien zu einem houmlheren Ruumlckgang der Emissio nen bei als geplant Der Hauptgrund fuumlr den derzeitigen Uumlberschuss liegt jedoch darin dass die regulierten Unternehmen ne-ben den Europaumlischen Emissionsrechten ndash European Union Allowances (EUAs) ndash auch auslaumlndische Emissions-minderungszertifikate ndash Certified Emission Reductions (CERs) ndash zu einem bestimmten Anteil anrechnen koumlnnen Mit dem sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) koumlnnen Industrienationen in Entwicklungslaumlndern emissionsmindernde Projekte finanzieren und sich die da-bei entstehenden THGE-Reduktionen mithilfe von CERs anrechnen lassen

Durch diese verschiedenen Faktoren hat sich ein Uumlberan-gebot entwickelt das den Preis der EUAs und CERs stark sinken liess Der Preis belaumluft sich derzeit auf rund fuumlnf Euro pro EUA Die bisherigen Reformanstrengungen wie etwa das sogenannte Backloading das Verschieben von Auktionen in spaumltere Jahre um die Menge zu verknappen haben bisher kaum zu einer Preiserhoumlhung gefuumlhrt

Die Schweiz als PreishochburgDer Schweizer Markt wuumlrde bei einem Zusammen-schluss nur rund 03 Prozent des EU-EHS ausmachen

Die Schweiz wuumlrde somit als Preisnehmerin agieren Das heisst der EU-Preis sollte auch in der Schweiz gelten Umso erstaunlicher ist es daher dass der Schweizer Preis pro Emissionsrecht derzeit bei rund 40 Franken liegt ob-wohl die Verbindung des Schweizer EHS mit dem EU-EHS geplant ist (sogenanntes Linking) Das auf der Basis des revidierten CO2-Gesetzes von 2012 und der CO2-Verord-nung verabschiedete System das den Emissionshandel am 1 Januar 2013 fuumlr 38 Unternehmen beziehungsweise 55 Anlagen in der Schweiz verbindlich eingefuumlhrt hat uumlber-nimmt weitestgehend die Regeln des EU-EHS Das neue System hat das bisherige freiwillige EHS in der Schweiz abgeloumlst Die im EHS erfassten Unternehmen sind von der CO2-Abgabe befreit Die hohe Kompatibilitaumlt des Schwei-zer EHS und des EU-EHS sollte ein schnelles Linking er-moumlglichen wobei die Verhandlungen durch die Annahme der Einwanderungsinitiative zum Stillstand gekommen sind Ein moumlglicher Erklaumlrungsansatz ist daher dass der hohe Preisunterschied die derzeitige Unsicherheit uumlber den Ausgang der Linking-Verhandlungen widerspiegelt Gehen die Schweizer Unternehmen davon aus dass kein Linking stattfindet sollte sich der Preis anhand der Minderungs-kosten und der Knappheit im Schweizer EHS bilden Fuumlr die Unternehmen ist es immer noch guumlnstiger den der-zeitigen Preis von 40 Franken fuumlr die Emissionsrechte zu bezahlen als eine Busse von 125 Franken pro fehlendes Emissionsrecht Zusaumltzlich zur Busse ist das Unternehmen verpflichtet die fehlenden Rechte im naumlchsten Jahr nach-zureichen Auch hier hat sich die Schweiz stark am EU-EHS orientiert bei dem die Busse bei 100 Euro pro EUA plus Wiedergutmachung liegt

Allokation beeinflusst den WettbewerbDie Gesamtmenge an Emissionsrechten (Cap) leitet sich aus den historischen Emissionen der teilnehmenden EHS-Unternehmen ab Fuumlr bestehende Anlagen die bereits vor 2013 am EHS in der Schweiz beteiligt waren setzt sie sich aus der Summe der durchschnittlich zugeteilten Emis-sionsrechte der ersten Verpflichtungsperiode (2008 bis 2012) zusammen fuumlr Anlagen die 2013 hinzukommen aus der Summe der durchschnittlichen Emissionen der

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fuumlr neue Anlagen in einer Reserve zuruumlckbehalten deren Uumlberschuumlsse zweimal jaumlhrlich versteigert werden Die Zu-teilung der Emissionsrechte hat etwas laumlnger gedauert so-dass sie in der Schweiz fuumlr die Jahre 2013 und 2014 erst im Februar 2014 erfolgte Das mag auch einer der Gruumlnde sein dass bisher kein Handel auf dem Sekundaumlrmarkt fuumlr den die Berner Kantonalbank eine eigene Emissions-handelsplattform bereitgestellt hat stattgefunden hat Das erste Preissignal war deshalb die Auktion der Uumlberschuumls-se aus der Neuemittentenreserve Diese fand vom 14 bis 21 Mai 2014 statt und erzielte fuumlr die 150 000 Emissions-rechte einen Preis von 4025 Franken pro Emissionsrecht

Wie sich die Liquiditaumlt im Schweizer Markt in Zukunft ent-wickeln wird und ob ein Linking mit dem EU-EHS und so-mit eine Angleichung der Schweizer Preise an die EU-EHS-Preise stattfinden wird bleibt abzuwarten Letzteres waumlre zwar aus oumlkonomischer Sicht zu begruumlssen da ein groumls-serer liquider Markt mit einheitlichem Preissignal als effizi-enter bewertet wird Aus oumlkologischer Sicht scheint jedoch ein Linking der Systeme ohne weitere Reformen des EU-EHS nicht wuumlnschenswert da es die Minderungsanreize in der Schweiz als Folge des Angebotsuumlberschusses an Emissionsrechten in der EU massiv reduzieren wuumlrde

Jahre 2009 bis 2011 Diese Summe wird jaumlhrlich um 174 Prozent reduziert analog der Regelung im EU-EHS

Neben der Festlegung der Obergrenze ist die Ausgestal-tung der Zuteilungsregeln politisch am schwierigsten da diese Verteilungswirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussen Bis 2012 wurden die Emissionsrechte in der EU daher groumlsstenteils kostenlos zugeteilt Seit 2013 werden rund 48 Prozent der Emissionsrechte versteigert wobei diese vor allem von Elektrizitaumltsfirmen gekauft wer-den muumlssen Da diese nicht im internationalen Wettbewerb

stehen konnten sie den Preis der gratis erhaltenen Emis-sionsrechte an die Elektrizitaumltskonsumenten weitergege-ben und hohe Gewinne erzielen Unternehmen aus Sek-toren die im internationalen Wettbewerb stehen koumlnnen hingegen die Kosten fuumlr die Emissionsrechte nicht an ihre Endkunden weitergeben ohne betraumlchtliche Nachteile in Kauf zu nehmen Es besteht daher das Risiko dass diese Firmen in Laumlnder ohne Klimapolitik abwandern Um dieses Risiko zu senken erhalten Unternehmen bei denen ein Risiko auf Abwanderung besteht auch in Zukunft weitest-gehend kostenlos Emissionsrechte zugeteilt Die Zuteilung basiert dabei auf sogenannten Benchmarks (Tonne Koh-lendioxid pro Tonne Produkt) die auf der Basis der effizi-entesten 10 Prozent der Unternehmen berechnet und mit historischen Produktionsdaten multipliziert werden

Noch kein Handel in der SchweizDie Schweiz hat die Benchmarks des EU-EHS uumlbernom-men Da in der Schweiz vor allem stark im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen aus den Sektoren Zement Papier Chemie Stahl und Raffinerien unter den Emissionshandel fallen werden fast alle Emissionsrechte kostenlos zugeteilt Ein kleiner Anteil von 5 Prozent wird

Regina BetzDr Regina Betz ist Dozentin fuumlr Energie- und Umweltoumlkonomie an der ZHAW School of Management and Law Seit 2014 leitet sie den volkswirtschaftlichen Teil der Ener-gy Policy Analysis Group des Zentrums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht das Mitglied des Schweizer Competence Centers for Research in Energy Society and Transition (CREST) ist Zuvor lehrte sie an der University of New South Wales Australia Umwelt- und Klimaoumlkonomie und leitete als Co-Direktorin das Centre for Energy and Environmental Markets (CEEM) 1998 bis 2004 arbeitete sie als Wissenschaftlerin am Fraunhofer-Institut fuumlr System- und Innovationsforschung ISI in Deutschland

laquoNeben der Festlegung der Ober grenze ist die Ausgestaltung der Zuteilungsregeln politisch am

schwierigsten da diese Verteilungs wirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussenraquo

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nicht vollstaumlndig genutzt werden kann In der Energiestra-tegie des Bundes ist gemaumlss einem Szenario bis 2050 ein Zubau auf knapp 12 TWh pro Jahr Stromproduktion aus Fotovoltaik angedacht Dies bedingt den Bau von Fotovol-taikanlagen mit einer installierten Spitzenleistung von etwa 12 Gigawattpeak (GWp) und einem Flaumlchenbedarf von rund 84 000 000 Quadratmetern Dieser Flaumlchenbedarf ist auf den bestehenden Daumlchern in der Schweiz verfuumlgbar

An einem schoumlnen Sommertag koumlnnen diese Anlagen dann also etwa 12 GW erzeugen die maximale Ver-brauchslast liegt im Sommer aber nur bei rund 8 GW Es entsteht ein Uumlberschuss von 4 GW die Speicherleistung der Schweizer Pumpspeicheranlagen betraumlgt heute aber nur 15 GW 25 GW Leistung koumlnnen in diesem Szenario also gar nicht genutzt werden An einem Wintertag mit Hochnebel erzeugen diese Anlagen uumlberhaupt keinen Strom die Verbrauchslast liegt aber mit 10 GW noch houml-her als im Sommer Hier entsteht eine Luumlcke die mit ande-ren Energieformen oder Importen gedeckt werden muss

Speichern uumlbertragen oder einsparenUm diesem Problem zu begegnen gibt es verschiedene Loumlsungsansaumltze Ein Ansatz ist die Energie lokal dort zu speichern wo sie erzeugt aber nicht sofort verbraucht werden kann In diesem Fall werden in erster Linie viele kleine Speichermodule benoumltigt die sowohl fuumlr kurz- als auch langfristigen Ausgleich sorgen muumlssen Eine andere Moumlglichkeit ist es die Energie an Orte zu uumlbertragen wo sie sofort verbraucht wird dann muss in erster Linie das Netz ausgebaut werden Schliesslich koumlnnte Energie auch zentral zu grossen Speichern transportiert werden was sowohl einen Netzausbau als auch neue Speichertechno-logien bedingen wuumlrde

Als die Gesellschaft noch aus Jaumlgern und Sammlern be-stand verbrauchte der Mensch seine Energie lokal dort wo er sie benoumltigte Er lebte von der Hand in den Mund Im Zuge der aufkommenden Landwirtschaft musste er Methoden entwickeln um Nahrung haltbar zu machen und sie zu transportieren Vor demselben Problem steht heute die Energiewirtschaft Ort und Zeit der erneuerbaren Energieerzeugung korrelieren je laumlnger je weniger mit dem Verbrauch Die Herausforderung der Energiewende ist deshalb nicht nur die Produktion selbst sondern auch die Uumlbertragung die Speicherung und das lokale Verbrauchs-last-Management

Saisonale Speicherung problematischMit dem Ausstieg aus der Kernenergie muumlssen in der Schweiz etwa 40 Prozent der produzierten elektrischen Energie ersetzt werden also rund 23 Terawattstunden (TWh) pro Jahr Im Gegensatz zur Kernenergie haben die neuen erneuerbaren Energien den Nachteil dass ihre Pro-duktion nicht steuerbar ist und unregelmaumlssig anfaumlllt Der Kapazitaumltsfaktor also das Verhaumlltnis von durchschnittlicher zu maximaler Leistung betraumlgt bei konventionellen Kraft-werken bis zu 100 Prozent bei Fotovoltaikanlagen dage-gen nur etwa 10 Prozent Hinzu kommen die starken saiso-nalen Schwankungen dieser stochastisch erzeugenden Energiequellen Im Winter liegt die Stromverbrauchsspitze mit circa 10 Gigawatt (GW) rund ein Drittel houmlher als im Sommer gleichzeitig liefern Fotovoltaikanlagen aufgrund des flacheren Einstrahlungswinkels und der kuumlrzeren Son-nenscheindauer wesentlich weniger Strom als im Sommer

Anhand eines Gedankenexperiments laumlsst sich veran-schaulichen dass das Potenzial der neuen erneuerbaren Energien ohne zusaumltzliche Speicher oder steuerbare Lasten

Energie haltbar machen

Der Ausbau von erneuerbaren Energiequellen geht so schnell voran dass Speicher- und Uumlbertragungstechnologien kaum mithalten koumlnnen Um Produktionsspitzen zu glaumltten braucht es Fortschritte in der EnergietechnikText Petr Korba

Hochschulperspektive

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Petr KorbaProf Dr Petr Korba ist Dozent und Fach-gruppenleiter fuumlr elektrische Energietechnik und Smart Grids an der ZHAW School of En-gineering Zuvor forschte er uumlber zehn Jahre bei ABB Schweiz in den Bereichen Automa-tion Energie- und Regelungstechnik

Scherrer Institut an der Power2Gas-Technologie Dabei wird Kohlendioxid mit Strom aus erneuerbaren Quellen durch Elektrolyse zu Wasserstoff oder weiter zu Methan verarbeitet Aumlhnlich wie bei der Nahrungsmittelproduktion wo Staumlrke schliesslich als raffinierter Zucker gespeichert wird gibt es auch bei der Stromspeicherung immer raffi-niertere Formen Bei jeder Umwandlung geht aber Energie verloren Man muss sich also gut uumlberlegen ob man uumlber-haupt speichern will und wenn ja uumlber welchen Zeitraum

Mit der wachsenden Integration von erneuerbaren Energi-en steigen auch die Anforderungen an die Energietechnik Unser kuumlnftiges Energiesystem wird staumlrker automatisiert und intelligenter sein Um erneuerbare Energiequellen zu integrieren werden Informations- und Kommunikations-technologien Automatisierungs- und Regelungstechnik Signalverarbeitung oder Wettervorhersagen immer wich-tiger In den intelligenten Stromnetzen der Zukunft wer-den alle beteiligten Komponenten Daten wie den aktuellen Verbrauch verfuumlgbare Strommengen oder lokale Aus-faumllle melden und gleichzeitig solche Daten aus anderen Netzkomponenten empfangen Das daraus resultierende Smart Grid ist ein Gefuumlge das selbststaumlndig auf diese Ein-fluumlsse reagiert und seine eigene Effizienz optimiert Es gilt Energie effizienter zu uumlbertragen um raumlumliche Distanzen zu uumlberwinden und neue Speichertechnologien zu entwi-ckeln um zeitliche Engpaumlsse zu uumlberbruumlcken Elektrische Energie kann auf verschiedene Arten erzeugt gespei-chert und uumlbertragen werden Jede Art hat ihre Vor- und Nachteile und ihren Preis Anreize aus der Politik werden schliesslich entscheiden welche Formen dies in der Zu-kunft sein werden

Auf der Verbraucherseite laumlsst sich die Nutzlast durch ge-eignetes Last-Management anpassen Diese Steuerung schaltet verbrauchsintensive Anlagen in Unternehmen gewerblichen Betrieben und Haushalten gezielt dann ein wenn die Stromtarife guumlnstig sind Es duumlrfte aber schwie-rig sein der Bevoumllkerung vorzuschreiben wann sie zum Beispiel fernsehen oder kochen darf Eine intelligente Re-gelung von grossen Kuumlhlhaumlusern stoumlrt dagegen nieman-den Trotz solchen Bestrebungen geht die International Energy Agency (IEA) davon aus dass der Stromverbrauch weltweit jaumlhrlich um rund 1 Prozent zunimmt Diese Ten-denz verstaumlrkt sich voraussichtlich noch falls sich der Bereich Mobilitaumlt von fossilen Energietraumlgern hin zur Elek-tromobilitaumlt verschieben wird Die Geschichte hat gezeigt dass der Energieverbrauch eigentlich nur in Krisenzeiten zuruumlckgeht

Klar ist jedenfalls dass der Ausbau von Speichern und Netzen Hand in Hand mit der zunehmenden Integration von erneuerbaren Energiequellen erfolgen muss Auf unter-schiedlichen Netzebenen kommen unterschiedliche Spei-chertechnologien zum Einsatz Waumlhrend fuumlr Haushalte mit kleinen Fotovoltaikanlagen und im Niederspannungsnetz bereits Batteriespeicher vorhanden sind stossen diese bei mehr als einer Windturbine oder groumlsseren Solarparks schnell an ihre Grenzen Das groumlsste Batterieenergie-speichersystem der Schweiz betreiben die Elektrizitaumlts-werke des Kantons Zuumlrich in Dietikon Es hat 1 Megawatt (MW) maximale Speicherleistung und kann diese waumlhrend ungefaumlhr 15 Minuten abgeben respektive speichern Die Spitzenlast im Schweizer Hochspannungsnetz liegt aber bei 8 GW im Sommer und 10 GW im Winter Die Schwei-zer Pumpspeicherkraftwerke koumlnnen unseren Strombe-darf nur etwa einen Monat lang decken Das europaumlische Hochspannungsnetz verfuumlgt uumlber eine Spitzenlast von circa 500 GW Um die Leistung von Grosskraftwerken wie Offshore-Windparks langfristig zu speichern braucht es neue Technologien

Raffinierte EnergiespeicherungDafuumlr forscht die ZHAW School of Engineering gemein-sam mit der ETH Zuumlrich der EPF Lausanne und dem Paul

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Hochschulperspektive

Dissonanz an der Steckdose

Mit der Energiestrategie 2050 haben Bundesrat und Parla-ment eine Kehrtwende in der Schweizer Energiepolitik ein-gelaumlutet der die wichtigsten politischen Huumlrden erst noch bevorstehen Auf den ersten Blick scheint der Kurswechsel breit abgestuumltzt Seit dem Reaktorunfall in Fukushima fuumlh-ren Umfragen immer wieder zum gleichen Ergebnis Der langfristige Ausstieg aus der Kernenergie findet eine Mehr-heit Im Grundsatz stossen erneuerbare Energien sowie Massnahmen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz auf hohe Zustimmung Was fuumlr den Stimmzettel gilt beeinflusst aber nicht automatisch das Konsum- und Investitionsverhalten der Energiekunden Die Bereitschaft aus eigenem Antrieb mehr fuumlr ein oumlkologisch houmlherwertiges Produkt aus neuen erneuerbaren Energietraumlgern zu bezahlen ist beschraumlnkt Nur wenige Haushalte sind zudem bereit ihren Energie- und insbesondere ihren Stromkonsum zu reduzieren wenn dies mit nicht amortisierbaren Investitionskosten oder einem moumlglichen Komfortverlust verbunden ist

Mit anderen Worten Effizienz wird als teuer und Suffizienz als bevormundend empfunden Die private Zahlungsbereit-schaft laumlsst sich zwar mit regulatorischen Interventionen wie fixen Einspeiseverguumltungen oder Investitionssubven-tionen in Effizienzmassnahmen etwas erhoumlhen Doch die Erfahrungen in Deutschland und der Schweiz zeigen dass solche Massnahmen oumlkonomisch ineffizient sind und oft als ungerecht empfunden werden Sie koumlnnen damit zum Bumerang fuumlr die Akzeptanz der energiepolitischen Ziele werden Neben den politischen Huumlrden ist somit auch die kognitive Huumlrde der Konsumenten zu beruumlcksichtigen De-ren Uumlberwindung bedarf zuerst einer differenzierten Analyse der Ursachen und danach der Entwicklung innovativer Ver-triebsmodelle und Produkte auf Versorgerseite

Eine Mehrheit der Bevoumllkerung unterstuumltzt den Ausstieg aus der Kernenergie doch nur wenige beziehen ein oumlkologisches Stromprodukt Warum das so ist und wie sich diese Dissonanz aufloumlsen laumlsst beschaumlftigt derzeit viele EnergieversorgerText Claudio Cometta

Indifferenz uumlberwiegtFuumlr viele Konsumenten ist die Strom- Gas- oder Fern-waumlrmerechnung ein verhaumlltnismaumlssig kleiner Posten im Haushaltsbudget dem wenig Beachtung geschenkt wird Die Schweiz ist sogar einer der Spitzenreiter in Europa machen die Stromkosten im Durchschnitt doch nicht mehr als 2 Prozent der Haushaltsausgaben aus Wenig Beachtung bedeutet auch wenig Kenntnis des Preises und der Menge der bezogenen Energieleistung oder der Zusammensetzung des Tarifs aus Energiekosten Netz-kosten und Abgaben Entsprechend besteht nur ein ge-ringes Interesse Energie und damit Kosten zu sparen Konsumentenbefragungen zeigen zudem dass nur eine kleine Minderheit der Kunden die Zusammensetzung ihres Stromprodukts nach Energietraumlgern kennt Die geringen Kosten und Unkenntnis des Produkts verhindern also die Wahl anderer Stromprodukte Strom ist ein klassisches Commodity-Produkt Man kann ihn weder sehen noch riechen Er ist verhaumlltnismaumlssig guumlnstig immer verfuumlgbar und aumlndert in keinerlei Hinsicht seine Eigenschaften wenn dafuumlr mehr bezahlt wird Zudem ist meist nicht sichtbar wer wie viel von welchem Produkt bezieht Der Strom-konsum ist Privatsache

Uumlberwindung durch VertriebsmodelleDie Vorgaben der Energiestrategie 2050 beinhalten nicht nur einen massiven Zubau der Produktionskapazitaumlt aus erneuerbaren Energietraumlgern sondern auch die kon-tinuierliche Reduktion des Energie- und insbesondere des Stromkonsums pro Kopf Die direkte Finanzierung der dazu notwendigen Investitionsvorhaben scheint an-gesichts der Indifferenz auf Konsumentenseite jedoch schwierig Aus diesem Grund sind mehrere Schweizer

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rund um Haushaltstechnik Sicherheit Pflege oder Kom-munikation sowie ein geschicktes Marketing mit Elemen-ten der sozialen Kontrolle Denkbar sind auch Anreize die keinen direkten Zusammenhang mit dem Energiekonsum aufweisen aber fuumlr breite Bevoumllkerungsgruppen attrak-tiv sind So haben etwa einzelne skandinavische Versor-ger damit begonnen energiesparendes Verhalten ihrer Kunden mit Verguumlnstigungen fuumlr die Nutzung oumlffentlicher Transportmittel zu belohnen

Uumlberwindung durch PartizipationDie wohl wirkungsvollste Massnahme zur Uumlberwindung der Dissonanz an der Steckdose ist bereits inhaumlrent in der Transformation des Energiesystems hin zu einer staumlrker dezentralen Erzeugung angelegt Kunden entwi-ckeln sich von passiven Leistungsempfaumlngern zu aktiven Leistungserbringern sogenannten Prosumern Als Klein-produzenten von Strom mit einer hauseigenen Fotovol-taikanlage oder thermischer Speicherleistung mit Kraft-Waumlrme-Kopplungsanlagen im Mikroformat werden sie mittelfristig wesentlich zum Umbau des Energiesystems und zu den Zielen der Energiestrategie beitragen koumlnnen Eine nicht ganz unbedeutende Rolle koumlnnten in Zukunft sogenannte Buumlrgerbeteiligungsmodelle fuumlr die Finanzie-rung neuer In frastrukturprojekte spielen Diese wuumlrden gleichzeitig die Akzeptanz sichtbarer Produktionsanlagen von neuen erneuerbaren Energien erhoumlhen Doch erst wenn das Produkt Strom nicht mehr als reines Commodity-Produkt wahrgenommen wird werden politische Meinung und Konsumverhalten bei einer Mehrheit der Stimmbuumlrger uumlbereinstimmen

Energieversoger in letzter Zeit dazu uumlbergegangen soge-nannte Default-Modelle einzufuumlhren die Stromprodukte aus erneuerbaren Quellen zum neuen Standard erheben Dabei macht man sich die Traumlgheit der Kunden zunutze indem die Wahl eines Stromprodukts aus nicht erneuer-baren Energietraumlgern als Option definiert wird die aktiv bestellt werden muss

Nicht zuletzt aufgrund solcher Modelle ist die Zahl der Schweizer Haushalte die ein Stromprodukt aus aus-schliesslich erneuerbaren Energien beziehen auf uumlber 25 Prozent gestiegen Doch weitere Vertriebsinnovationen werden notwendig sein etwa um der Herausforderung der Einspeisung von Strom aus fluktuierend nutzbaren Quellen (Solar- und Windenergie) in die Verteilnetze gewachsen zu sein die immer staumlrker ins Gewicht faumlllt In der Folge gilt es Investitionen in Netz- und Speichersysteme zu finan-zieren In innovativen Vertriebsmodellen welche dieser Herausforderung gerecht werden erhaumllt das Konsumver-halten einen Wert Zeitliche Flexibilitaumlt wird belohnt durch Tarifreduktion Bonus oder Vermeidung einer Gebuumlhr Wie diese beiden Beispiele zeigen laumlsst sich der Mehrwert von vermeintlichen Commodity-Produkten durch neue Vertriebsmodelle abschoumlpfen und als marktwirtschaftlich vertraumlglicher Finanzierungsmechanismus fuumlr neue Infra-strukturvorhaben im Energiesektor nutzen

Uumlberwindung durch innovative ProdukteNoch groumlsseres Potenzial birgt die Weiterentwicklung von Stromprodukten zu Leistungssystemen die fuumlr Energie-kunden einen echten Mehrwert bieten Hierzu gehoumlrt die Verknuumlpfung des Kernprodukts Strom mit Dienstleistun-gen die den Kunden ein transparenteres Verbrauchsver-halten sowie Kostenoptimierung ermoumlglichen Intelligente Stromzaumlhler sogenannte Smart Meter kombiniert mit fle-xiblen Tarifen und einem einfachen Feedback- und Steuer-system sind die Voraussetzung um zumindest oumlkologisch sensibilisierten oder kostenbewussten Endkunden einen Effizienzeffekt zu ermoumlglichen Damit solche Leistungs-systeme aber fuumlr die grosse Gruppe der Indifferenten interessant werden braucht es weitere Mehrwerte Dazu gehoumlren die Verknuumlpfung mit intelligenten Anwendungen

Claudio ComettaDr Claudio Cometta ist Dozent fuumlr Innovation und Entrepreneurship an der ZHAW School of Management and Law Er koordiniert den Aufbau des nationalen Energie-Kompetenz-zentrums SCCER 5 an der ZHAW

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Die Energiewende stellt die Energieversorgungsunternehmen in der Schweiz vor grosse Herausforderungen Das Beispiel von Stadtwerk Winterthur zeigt wie die Branche auf den Paradig-menwechsel reagiertText Florian Wehrli

Von den Anfaumlngen als laquoWinterthurer Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtungraquo vor uumlber 150 Jahren bis zum modernen Querverbundunternehmen hat sich Stadtwerk Winterthur kontinuierlich weiterentwickelt Seine Aufgabe ist aber gemaumlss Direktor Markus Saumlgesser weitgehend dieselbe geblieben die Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung zu verbes-sern So bietet das staumldtische Versorgungsunternehmen neben klassischen Produkten wie Wasser Strom Gas oder Kehrichtentsorgung und Abwasserreinigung heute auch Fernwaumlrme Haustechnik Glasfasernetz und Ener-gie-Contracting an Die Ausdehnung auf neue Geschaumlfts-bereiche will der Direktor aber nicht als Reaktion auf die Liberalisierung des Energiemarkts verstanden wissen laquoWir begegnen der Marktoumlffnung proaktiv und wollen die sich bietenden Chancen aktiv nutzenraquo

Lokales Potenzial ausgeschoumlpftIm liberalisierten Markt hat das staumldtische Versorgungs-unternehmen mit dem Monopol auf sein Energieversor-gungsnetz von gesamthaft mehr als 2 500 Kilometern einen Vorteil Dessen Unterhalt ist nach wie vor eine der Hauptaufgaben Im Gegensatz zu anderen Energieversor-gern betreibt Stadtwerk Winterthur naumlmlich einen verhaumllt-nismaumlssig geringen Anteil an eigenen Produktionsanlagen Das Flaggschiff ist die wohl modernste Kehrichtverwer-tungsanlage der Schweiz laquoMit dem Umbau konnten wir 2013 den Wirkungsgrad der Anlage um einen Drittel stei-gern und die Abluft gehoumlrt zu den saubersten weltweitraquo sagt Markus Saumlgesser Heute deckt die KVA 20 Prozent des Winterthurer Strom- und 12 Prozent des Waumlrmebe-darfs ab Auf solchen Lorbeeren ausruhen will sich Stadt-werk Winterthur aber nicht laquoWir wollen mithelfen eine nachhaltige Energiewirtschaft aufzubauenraquo Mittelfristig soll

die Haumllfte des Stromangebots aus erneuerbaren Quellen stammen laquoDas ist ein ehrgeiziges Zielraquo sagt Saumlgesser laquowir sind aber auf gutem Weg dazuraquo

Rund die Haumllfte des Rahmenkredits von 90 Millionen Franken fuumlr erneuerbaren Strom den das Winterthurer Stimmvolk 2012 bewilligt hat ist bereits investiert Im Bereich Fotovoltaik ist die Planung der groumlssten Anlagen abgeschlossen etwa auf den Daumlchern der Eishalle oder des Busdepots Eine aktuelle Windpotenzialstudie zeigt fuumlr Winterthur nur wenige moumlgliche Standorte auf zumal die Bewilligung solcher Anlagen mit grossem buumlrokratischem Aufwand verbunden sei Mit diversen Nahwaumlrmever-buumlnden nutzt Stadtwerk Winterthur auch Holzabfaumllle bereits sehr effizient Aber auch dieser Energietraumlger ist in Winterthur beschraumlnkt vorhanden Das letzte Projekt das Holz aus dem Winterthurer Stadtwald einsetzen wird ist in der Aufbauphase Studien im Bereich Wasserkraft haben gezeigt dass abgesehen von einem Kleinwasser-kraftwerk an der Toumlss in der Region kaum Potenzial vor-handen ist

Investitionen im AuslandlaquoDiese aufwendige Aufbauarbeit soll nicht zur Regel wer-denraquo sagt Markus Saumlgesser laquoDas limitierte Energiepoten-zial in der Schweiz und die beschwerlichen Instanzenwe-ge fuumlr Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie lassen uns deshalb vermehrt im Ausland investierenraquo 2012 be-teiligte sich das Stadtwerk mit 12 Millionen Franken am Kleinkraftwerk Birseck AG das Kleinwasserkraftwerke und Foto voltaikanlagen in der Schweiz und in Frankreich be-treibt 2013 folgte eine Beteiligung in der Houmlhe von 25 Mil-lionen Franken an der Swisspower Renewables AG die in

Vom Versorger zum Dienstleister

Unternehmensperspektive

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sein glaubt er aber nicht daran dass der Stromverbrauch insgesamt zuruumlckgehen wird laquoDafuumlr ist der Marktpreis zu niedrig Aus serdem wird Strom im Bereich Waumlrme und Mobilitaumlt einen Grossteil der fossilen Energietraumlger ersetzen muumlssenraquo Damit der geplante Verbrauchsruumlck-gang dennoch gelingt will der Bund Anreize schaffen Mit sogenannten weissen Zertifikaten will er die Versor-ger be lohnen wenn sie ihre Kunden zu einem geringeren Energie verbrauch bewegen In Grossbritannien Italien und Frankreich sind solche Modelle bereits im Einsatz Markus Saumlgesser sieht dieser Entwicklung mit gemischten Gefuumlh-len entgegen laquoWir haben bereits vor der Reaktorkatastro-phe in Fukushima auf Energieeffizienz gesetzt und konn-ten uns dadurch profilieren Weil die Politik nun eingreift und den Markt uumlbersteuert bleibt uns als Unternehmen weniger Spielraum um uns zu positionierenraquo

Windkraftanlagen im angrenzenden Ausland investiert Fuumlr die Beschaffung von Strom am freien Markt ist das Stadtwerk eine Zusammenarbeit mit der Trianel GmbH in Aachen ndash einer der fuumlhrenden Stadtwerke-Kooperationen in Europa ndash eingegangen Damit sollen insbesondere der Zugang zum Grosshandelsmarkt sowie die Marktfor-schung sichergestellt werden Denn um Kunden nachhal-tige Energieprodukte verkaufen zu koumlnnen muss man ihre Beduumlrfnisse genau kennen

Anreize fuumlr geringeren VerbrauchDie Strategie scheint aufzugehen laquoSeit der Einfuumlhrung der neuen Stromprodukte Anfang 2013 haben wir den Absatz von erneuerbarer Energie in Winterthur verdop-pelt und denjenigen von Oumlkostrom sogar vervierfachtraquo so Saumlgesser Trotz dem steigenden oumlkologischen Bewusst-

Gemaumlss seinem Leitbild soll Stadtwerk Winterthur mit einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der soziashylen Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Bild Michael Lio

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Ausgliederung aus der StadtverwaltungAuch auf kommunaler Ebene ist Stadtwerk Winterthur von den politischen Rahmenbedingungen abhaumlngig ndash mit allen Vor- und Nachteilen Die politischen Kurswechsel in den vorgesetzten Gremien seien hinderlich bei der Umsetzung der Strategie des Unternehmens laquoWir taumltigen Investitio-nen mit einem Planungshorizont von mehreren Jahrzehn-tenraquo sagt Markus Saumlgesser laquoin der Politik wird dagegen in Amtsperioden von vier Jahren gedachtraquo Es gibt deshalb Bestrebungen das Stadtwerk aus der Stadtverwaltung auszugliedern und einem langfristig operierenden Steue-rungsgremium zu unterstellen Bei der Stimmbevoumllkerung geniesst Stadtwerk Winterthur grossen Ruumlckhalt Alleine in den letzten zwei Jahren wurden vier Abstimmungsvor-lagen mit grossem Mehr angenommen darunter Rah-menkredite fuumlr das Energie-Contracting oder erneuerbare Energien laquoEine bessere Legitimation koumlnnen wir uns gar nicht wuumlnschenraquo sagt Markus Saumlgesser

Neue BetriebskulturStrategisch und energiepolitisch werden Dienstleistungen wie das Energie-Contracting fuumlr Stadtwerk Winterthur immer wichtiger laquoWir wollen unserer Kundschaft Waumlr-me oder Kaumllte gleich komfortabel anbieten koumlnnen wie Stromraquo sagt Markus Saumlgesser laquoImmobilienbesitzerinnen und -besitzer sollen sich nicht mehr um den Fuumlllstand ih-res Oumlltanks oder den Termin fuumlr den Kaminfeger kuumlmmern muumlssenraquo Das Energie-Contracting waumlchst stark und macht heute bereits rund 5 Prozent des Umsatzes von Stadtwerk Winterthur aus

Die neuen Geschaumlftsfelder ziehen auch andere Arbeits-kraumlfte an als bisher Verschiedene Betriebskulturen seien in den vergangenen Jahren teilweise parallel gelaufen be-ginnen nun aber langsam zu verschmelzen Ein Beispiel dafuumlr ist die Verknuumlpfung von Smart Metering und dem traditionellen Verteilnetz Elektrizitaumlt Als Voraussetzung fuumlr das Change-Management in der Betriebskultur habe man alle Mitarbeitenden in die Erarbeitung des Unterneh-mensleitbildes involviert Entstanden ist ein Leitbild das Stadtwerk Winterthur dabei unterstuumltzt die Unterneh-mensstrategie umzusetzen Stadtwerk Winterthur soll mit

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

Markus SaumlgesserMarkus Saumlgesser (52) ist diplomierter Ma-schineningenieur ETH und hat ein Nachdi-plomstudium in technischen Betriebswissen-schaften absolviert Seit Anfang 2011 ist er Direktor von Stadtwerk Winterthur Seine bisherige berufliche Taumltigkeit fuumlhrte Markus Saumlgesser nach zwei Jahren Assistenz an der ETH zu einem Ingenieurbuumlro fuumlr Ener-gie- und Haustechnik Waumlhrend dieser rund sechsjaumlhrigen Zeit war er bei anspruchsvol-len Bauprojekten verantwortlich fuumlr die Konzeption und Koordination der technischen Gebaumludeausruumlstung Zudem war er waumlhrend vier Jahren Mitglied der Geschaumlftsleitung Nach zweijaumlhriger Taumltigkeit als Abteilungsleiter in einer groumlsseren Gemeinde wechselte er zum Elek-trizitaumltswerk der Stadt Zuumlrich (EWZ) bei dem er die Abteilung Vertrieb Grosskunden leitete Daneben war Markus Saumlgesser beim EWZ in verschiedene Innovationsprojekte involviert So zeichnete er fuumlr das Projekt laquoStromzukunft Stadt Zuumlrichraquo verantwortlich das wichtige Grundlagen fuumlr die Strategie des EWZ und die Volksabstimmung zur 2000-Watt-Gesellschaft in der Stadt Zuumlrich beisteuerte

Stadtwerk Winterthur in Zahlen (2013)Mitarbeitende 347Nettoinvestitionen 1198 Mio CHFDurchgeleitete Strommenge 5643 Mio kWhUmsatz Strom 93 Mio CHFDurchgeleitete Gasmenge 5295 Mio kWhUmsatz Gas 411 Mio CHFUnternehmensgewinn 109 Mio CHF

einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der sozia-len Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Wann wurden in Winterthur die ersten Strassenlampen mithilfe von Stein-kohle erleuchtet

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Unternehmensperspektive

ckelte Hochspannungsgleichstromschalter sollen zudem sicherstellen dass etwa ein Kurzschluss durch eine hy-perschnelle Abschaltung isoliert und das Netz somit nicht gefaumlhrdet wird Von 14 solchen Schaltsystemen welt-weit stammen 13 von ABB Die hohen Investitionen fuumlr die armdicken Gleichstromkabel rechnen sich da beim Transport viel weniger Strom verloren geht als bei der tradi tionellen Wechselstromtechnik Die Produktelinie ent-wickelt sich zum Renner Sie wird zur Anbindung von So-lar- und Windparks zur Versorgung von Inseln als Ersatz fuumlr Diesel generatoren auf Oumll- und Gasplattformen auf See eingesetzt Oder um Starkstrom vom Festland zu auf dem Meeresboden platzierten ferngesteuerten Foumlrderanlagen fuumlr Gas und Oumll zu leiten ndash wofuumlr ABB auch wartungsfreie Kompressoren liefert damit Kunden wie Statoil und Pet-robras teure Ausfaumllle erspart bleiben

Komplettloumlsungen aus einer HandDank hohem Innovationstempo sind die Divisionen Ener-gietechnik- und Niederspannungsprodukte gut ausgelas-tet Dies gilt ebenso fuumlr die Divisionen Industrie- und Pro-zessautomation Speziell energieintensive Industrien die unter hohem Kostendruck stehen muumlssen ihre Anlagen auf dem neusten Stand halten Dazu zaumlhlen Bergbau Oumll- und Gasindustrie Zellstoff- Papier- und Zementfabriken Chemie- und Pharmafirmen sowie Raffinerien Gefragt sind auch Industrieroboter und schwenkbare dank ABB-Leistungselektronik stufenlos regulierbare Schiffsantrie-be ABB liefert Grosskunden fertige Loumlsungen die hohe Produktivitaumlt und Energieeffizienz gewaumlhrleisten Alles ist aufeinander abgestimmt von der Elektrik uumlber Antriebe Generatoren Roboter Sensoren und Steuerungen bis hin

Zu Beginn des Jahrtausends stand ABB am Abgrund Doch eine neue Fuumlhrungscrew fuumlhrte das Unternehmen aus der Krise sodass die Schweiz inzwischen wieder stolz sein kann auf ihren Industriemulti mit Sitz in Zuumlrich Oerli-kon 2013 erzielte ABB mit rund 148 000 Mitarbeitenden in 100 Laumlndern 42 Milliarden Dollar Umsatz Die renom-mierte US-Universitaumlt MIT zaumlhlt ABB zu den 50 innova-tivsten Unternehmen weltweit Dank 8 000 Ingenieuren in Forschung und Entwicklung und einem Forschungsetat von 15 Milliarden Dollar kann ABB selbst mit Giganten wie Siemens und General Electric mithalten

Innovationen die Technikfans begeisternWas ABB alles macht wissen wohl nur Technikfans Denn der Konzern hat uumlber 70 000 Produkte im Angebot Die 300 ABB-Fabriken liefern taumlglich 15 Millionen Kompo-nenten aus die zu elektrischen Einrichtungen oder in Pro-duktionssteuerungen verbaut werden Aus Kanada etwa kam juumlngst ein Grossauftrag uumlber 400 Millionen Dollar Erneuerbare Energie die auf Neufundland und Labrador gewonnen wird soll ab 2017 via Hochspannungskabel 360 Kilometer nach Westen fliessen um dort 350 000 Haumluser zu versorgen Weltweit gibt es erst 90 solche Gleichstromkabelverbindungen die meist unter der Erde oder auf dem Meeresgrund verlaufen ABB ist mit rund 50 Prozent Anteil Marktfuumlhrer Die futuristisch anmuten-de Technik in den abgeschirmten Hallen wo der Strom vor dem Transport auf Hochspannung transformiert wird erinnert an den Maschinenraum von Raumschiff Enter-prise Ein wichtiges Steuerungselement bilden dabei in Baden Daumlttwil entwickelte und in Lenzburg produzierte Spezialchips die Houmlchstspannung aushalten Neu entwi-

Der schweizerisch-schwedische Technikkonzern treibt an vor-derster Front die Energiewende voran Dafuumlr forscht man bei ABB intensiv zu erneuerbaren Energien schlauen Stromnetzen sowie hocheffizienten Industrieanlagen Einzig die schwache Nachfrage nach Energieanlagen in Europa bremst die ExpansionText Andreas Fluumltsch

Innovativer Treiber der Energiewende

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uumlber weite Strecken in die Ballungsraumlume geleitet werden muss brummt das Geschaumlft In den USA treibt der Oumll- und Gasboom die Nachfrage Nur in Europa harzt das Geschaumlft mit Grossanlagen Weniger Nachfrage belastet die Margen bei Auftraumlgen fuumlr Wind- und Solarfarmen so-wie fuumlr Netzinfrastruktur Die Risiken der oft mehrjaumlhrigen Projekte sind so hoch dass ABB waumlhlerischer sein muss und etwa das Geschaumlft mit Solarloumlsungen zurzeit auf Sparflamme betreibt Dennoch ist ABB immer noch hoch-profitabel nicht zuletzt da die Kosten Jahr fuumlr Jahr um 3 bis 5 Prozent gesenkt werden Aber der erfolgsgewohnte Konzern musste sich 2013 mit 6 Prozent Umsatzplus zu-friedengeben Umso intensiver treibt der neue ABB-Chef Ulrich Spiesshofer die Integration der vorab in den USA fuumlr 10 Milliarden Dollar getaumltigten Zukaumlufe voran Und Spiess-hofer forciert die Zusammenarbeit der Divisionen damit ABB die Unternehmensvision laquoEnergie und Produktivitaumlt fuumlr eine bessere Weltraquo mit moumlglichst vielen eigenen Pro-dukten realisieren kann

zur Leittechnik samt angepasster Software Kleine und mittlere Kunden ordern Komponenten oder Teilsysteme Ein wichtiges Verkaufsargument ist das Sparpotenzial von stufenlos steuerbaren Elektromotoren Nur einer von fuumlnf Motoren hat laut einer Erhebung des Bundes einen Leis-tungsregler der Rest laumluft auf Hochtouren und wird ndash man glaubt es kaum ndash bei Bedarf mit Klappen oder Ventilen mechanisch abgebremst Eine gigantische Verschwen-dung da Industriemotoren laut einer Studie der Schwei-zerischen Agentur fuumlr Energieeffizienz 27 Prozent des Schweizer Stromverbrauchs ausmachen

Europaumlische ZuruumlckhaltungEigentlich muumlsste die Division Energietechniksysteme ebenfalls ausgelastet sein Denn auch die Stromwirtschaft muss ihre Effizienz steigern Schliesslich erfordert die Energiewende einen Totalumbau der auf Verteilung ausge-richteten Netze damit diese unter der Last von Solar- und Windenergie nicht instabil werden Arbeit in Huumllle und Fuumllle fuumlr ABB sollte man meinen Doch der erst zaghafte Auf-schwung in Europa daumlmpft die Nachfrage Erschwerend kommt hinzu dass subventionierte Wind- und Solarener-gie in Europas liberalisiertem Strommarkt den Strompreis in ungeahnte Tiefen druumlckte Die Konkurrenzfaumlhigkeit von Wasser- Gas- und Atomkraftwerken hat gelitten Pump-speicher sind keine Goldesel mehr seit die erneuerbaren Energien die Preisspitzen brechen Entsprechend schie-ben Stromkonzerne wie Alpiq oder RWE Investitionen auf Unsicherheiten rund um den Atomausstieg belasten zu-saumltzlich Die voraussichtlich noch auf Jahre hinaus tiefen Strompreise schmaumllern auch die Faumlhigkeit der Besitzer von Hochspannungs- und Verteilnetzen deren Umruumlstung zu finanzieren hoch verschuldete EU-Staaten fahren die Foumlrderung von Wind- und Solarenergie zuruumlck

Straffe KostenkontrolleABB bekommt den Investitionsstau empfindlich zu spuuml-ren Die Division Energietechniksysteme schreibt seit eini-ger Zeit rote Zahlen Zwar ordern Grosskunden aus Asien und Lateinamerika weiterhin kraumlftig Neben China inves-tiert vermehrt auch Indien in neue Stromnetze Uumlberall dort wo die Bevoumllkerung rasch waumlchst oder der Strom

Andreas FluumltschAndreas Fluumltsch war urspruumlnglich Jurist und arbeitete ab 1983 als Journalist fuumlr laquoBlickraquo laquoWeltwocheraquo laquoBilanzraquo und laquoCashraquo Zwischen 1989 und 1990 war er Mitglied der Geschaumlftsleitung von Greenpeace Schweiz anschliessend Hausmann Nach der Ruumlck-kehr in den Journalismus 1992 arbeitete er bei laquoBlickraquo laquoSonntagszeitungraquo und laquoTages- Anzeigerraquo und absolvierte eine Ausbildung zum Boumlrsenhaumlndler Nach der Fruumlhpensio-nierung Ende 2013 machte er sich als Publi-zist selbststaumlndig

ABB in Zahlen (2013)Betriebsertrag 41 848 Mio USDBetriebsergebnis 4 387 Mio USDndash Industrieautomation 1 458 Mio USDndash Niederspannung 1 092 Mio USDndash Prozessautomation 990 Mio USDndash Energietechnik 1 331 Mio USDndash Energiesysteme 171 Mio USD

Mitarbeitende 147 700ndash davon in der Schweiz 6 966

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Hohe Nachfrage nach MinergieDer Erfolg der bisherigen Sparbemuumlhungen bleibt nicht aus laquoTrotz zunehmender Pro-Kopf-Wohnflaumlche und stei-gendem Komfort sinkt der Energieverbrauch fuumlrs Heizen in den letzten Jahrzehnten stetigraquo verkuumlndet der Zuumlrcher Regierungsrat im Energieplanungsbericht 2014 Dazu tra-gen nicht nur die laufend verschaumlrften Gesetze bei Ebenso wichtig ist die Bereitschaft von Bautraumlgerschaften freiwillig Uumlberdurchschnittliches zu leisten Vor allem die Minergie-Regeln werden inzwischen gerne befolgt weshalb Haumluser mit halbiertem Energieverbrauch beinahe Standard sind Schweizweit traumlgt eines von zehn neuen Wohnhaumlusern ein Minergie-Zertifikat Der Anteil an Minergie-Haumlusern im Grossraum Zuumlrich liegt gemaumlss einer Marktanalyse der Universitaumlt Zuumlrich bereits nahe bei 20 Prozent Dies ist privaten Hauseigentuumlmern und institutionellen Investoren zu verdanken Wohn- und Geschaumlftshaumluser mit houmlchster Energieeffizienz gehoumlren inzwischen zum guten Ton Den juumlngsten Beweis liefert eine Immobilienstiftung der Credit Suisse die 70 Millionen Franken in die groumlsste Oumlkosied-lung der Schweiz investiert Im Aargauer Reusstal wohnen seit diesem Jahr rund 200 Familien Paare und Singles deren Wohnhaumluser sich weitgehend selbst mit Sonnen-energie versorgen So klimafreundlich die Energiewende-Architektur ist der Investor erwartet dennoch marktuumlb-liche Renditen Ist der Markt aber bereit oumlkologisches Engagement angemessen zu honorieren

Marktpotenzial fruumlhzeitig erkanntDie Zuumlrcher Kantonalbank (ZKB) beziffert den Mehrwert von Minergie-Haumlusern auf 7 Prozent Kaumlufer seien bereit diesen Aufpreis fuumlr mehr Energieeffizienz zu bezahlen Als weitere Nebeneffekte nennt der vor drei Jahren publizierte ZKB-Bericht eine hochwertige dauerhafte Bausubstanz sowie die Absicherung gegen steigende Oumll- und Energie-preise Fachleute des Immobilienberatungsunternehmens Wuumlest amp Partner (WampP) warnen indes dass sich zusaumltz-liche Investitionen in die Energieeffizienz nicht uumlberall loh-nen laquoRegional schwankt die Zahlungsbereitschaft des Immobilienmarktsraquo praumlzisiert WampP-Partner Ivan Anton Minergie-Haumluser koumlnnen aber nicht nur in abgelegenen Regionen ein Marktrisiko werden laquoMit Ausnahme der

Beim Autokauf wird bevorzugt auf Pferdestaumlrken Be-schleunigung und Innenausstattung geachtet Der CO2-Ausstoss interessiert hingegen kaum So kommt die Energieeffizienz im Strassenverkehr nur stockend voran 1995 schluckten alle neu immatrikulierten Personen-wagen durchschnittlich 9 Liter Benzin pro 100 Kilometer 20 Jahre spaumlter liegt der Durchschnittsverbrauch gemaumlss Bundesamt fuumlr Energie (BFE) immer noch uumlber 6 Litern Das viel gepriesene laquoDrei-Liter-Autoraquo haben alle Hersteller wieder aus der Modellpalette genommen

Demgegenuumlber gelingen dem oft traumlge genannten Ge-baumludebereich weitaus groumlssere Effizienzspruumlnge Ver-brauchen 40 Jahre alte Haumluser im Schnitt 220 Kilowatt-stunden (kWh) Heizenergie pro Quadratmeter Wohnflaumlche und Jahr sind die aktuellen Werte unter die 50er-Marke gesunken Zusaumltzliche Sparerfolge sind nur eine Frage der Zeit Im Fruumlhsommer haben die kantonalen Energie-direktoren uumlber ein Rahmenabkommen beraten das Null-energieneubauten demnaumlchst zum Standard machen soll Wie die nationale Energiewende zu erreichen ist erklaumlrt Christoph Gmuumlr von der Abteilung Energie des Kantons Zuumlrich laquoDer spezifische Verbrauchswert ist zudem auf 35 kWh pro Quadratmeter zu senkenraquo Gebaumlude die sich mit umweltfreundlicher Energie selbst versorgen wollen auch die EU-Staaten Ab 2020 wird ein Gebaumludestandard eingefuumlhrt der nur noch laquoNiedrigstenergiegebaumluderaquo mit sehr hoher Energieeffizienz als Neubauten vorsieht

Energiesparhaumluser waren vor 30 Jahren Exoten inzwischen nimmt der Bereich der energie-effizienten Gebaumlude eine Vor-bildrolle fuumlr die Energie wende ein Bauherren profitieren davon ebenso wie die Zuliefer-branche Text Paul Knuumlsel

Expertensicht

Haumluser in der ersten Reihe

35COMPETENCE | 2014

der Bau von Niedrigenergiehaumlusern und alternativen Hei-zungsanlagen sowie energetische Gebaumludesanierungen Investitionen im Umfang von rund 4 Milliarden Franken ausgeloumlst rechnet der Bund vor laquoEin Fuumlnftel insgesamt 860 Millionen Franken stammt aus den oumlffentlichen Kas-senraquo verweist die BFE-Stelle EnergieSchweiz auf die Im-pulse der kantonalen Foumlrderprogramme Einen Wermuts-tropfen besitzt diese Wirkungsbilanz Fruumlhere Analysen der Energiesparprogramme zeigen naumlmlich dass zwi-schen einem Drittel und der Haumllfte der energetisch vorbild-lichen Gebaumlude auch ohne staatliche Foumlrderung realisiert worden waumlren Dem Mitnahmeeffekt ist auch die Eidge-noumlssische Steuerverwaltung auf der Spur Sie schaumltzt dass Bund und Kantonen jaumlhrlich 14 Milliarden Franken entgehen weil energetische Gebaumludesanierungen bei der Liegenschaftssteuer abzugsberechtigt sind Die Energie-wende erfordert nicht nur mehr Effizienz bei den Anwen-dungen sondern auch einen effizienten Einsatz staatlicher Mittel Im Energieplanungsbericht 2013 hat der Zuumlrcher Regierungsrat erstmals uumlber alternative Anreizsysteme nachgedacht Demnach soll eine Lenkungsabgabe den Energiekonsum reduzieren und das bisherige Foumlrdersys-tem abloumlsen Aumlhnliche Plaumlne verfolgt der Bund Denn ein Lenkungssystem duumlrfte weitere Sparbemuumlhungen im Ge-baumludebereich aber auch im Strassenverkehr foumlrdern Ins-besondere dann wenn Heizoumll und Benzin im Gleichschritt teurer werden

begehrten Wohnlagen haben Hauseigentuumlmer an vielen Orten mit moumlglichen Verkaufsverlusten zu rechnenraquo so Anton Zwar sei die Nachfrage bei Eigentuumlmern und Mie-tern aumlhnlich gross Aber auch Mieter wuumlrden nicht uumlberall mehr fuumlr eine energieeffiziente Wohnung bezahlen Kaum uumlberraschen darf daher dass Immobilieninvestoren immer haumlufiger die steigenden Energieanforderungen kritisieren und kostenguumlnstigere Baustandards vorziehen Fuumlr WampP-Berater Urs Hausmann ist laquonachhaltiges Bauen trotzdem keine Frage von Luxus oder Wohlstand sondern eine wie man mit Ressourcen umgehen willraquo Dass ein hohes Um-weltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauen Der Run auf den oumlkologischen Baustoff Holz laumlsst zum Beispiel eine gesamte Wertschoumlpfungskette und viele

innovative Unternehmen profitieren Forstbetriebe Sauml-gereien Fensterbauer Daumlmmstoffhersteller und andere Bauzulieferer vergroumlssern ihre Produktionskapazitaumlten und stellen zusaumltzliches Personal ein laquoDie Umsaumltze im Schweizer Holzbau sind in den letzten Jahren um mehrere Hundert Millionen Franken gestiegen und die Trendkurve zeigt weiter nach obenraquo freut sich Christoph Starck Di-rektor des Holzbaudachverbands Lignum

Einheimische Zulieferer als GewinnerAuch im Verein Minergie ist man sich bewusst dass sich energieeffizientes Bauen wirtschaftlich positiv auswirkt In den letzten 15 Jahren sind 25 000 Wohnhaumluser Buumlro-komplexe Schulbauten Sport- und Industriehallen mit Niedrig energiezertifikat entstanden Gemeinsam sparen sie 15 Milliarden Kilowattstunden Energie laquoUumlber 2 Milliar-den Franken wurden zusaumltzlich investiertraquo rechnet Miner-gie-Sprecher Antonio Milelli vor Anstatt fossile Brennstoffe einzukaufen wird mehr Geld fuumlr Daumlmmstoffe Isolierfenster Luumlftungsanlagen und Sonnenkollektoren aus inlaumlndischer Fabrikation ausgegeben Zwischen 2001 und 2012 haben

Paul KnuumlselPaul Knuumlsel studierte Umweltnaturwissen-schaften an der ETH Zuumlrich Er ist unabhaumln-giger Wissenschaftsjournalist und schreibt seit Jahren in Publikums- und Fachmedien uumlber die vielfaumlltigen Aspekte des nachhalti-gen Bauens Zusaumltzlich betreut er in der Re-daktion des laquoTEC21raquo das Ressort laquoEnergie und Umweltraquo

laquoDass ein hohes Umweltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren

derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauenraquo

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Der Wasserkraft Sorge tragen

Welchen Beitrag kann die Wasserwirtschaft zur Energie-wende leisten Roger Pfammatter Die Wasserkraft ist der energie-politische Trumpf der Schweiz Wir befinden uns in der gluumlcklichen Lage uumlber grosse Mengen Wasser und das notwendige Gefaumllle zu verfuumlgen ndash das sind die beiden wichtigsten Voraussetzungen fuumlr die hydroelektrische Produktion Und wir haben in den vergangenen 100 Jah-ren gelernt dieses Potenzial effizient und moumlglichst um-weltschonend zu nutzen Die Wasserkraft ist der Schluumls-sel fuumlr eine nachhaltige Energieversorgung technisch ausgereift politisch erwuumlnscht einheimisch erneuerbar und CO2-frei

Wie viel mehr ist moumlglichHeute leistet die Wasserkraft nicht nur rund 60 Prozent der Stromproduktion in der Schweiz sondern bietet auch unverzichtbare Regel- und Systemdienstleistungen die markant an Bedeutung gewinnen werden Vor allem bei der Flexibilisierung der Wasserkraft durch mehr Leistung und Speichervolumen waumlre noch einiges moumlglich Um die Aufgaben weiterhin zu gewaumlhrleisten muumlssen wir aber primaumlr dem Bestehenden Sorge tragen

Die Energiestrategie des Bundes gibt aber klare Ausbau-ziele vor Bis 2035 soll die Stromproduktion aus Wasser-kraft um 10 Prozent steigenUnter den momentanen Rahmenbedingungen ist dieses Ausbauziel nicht realistisch Im Gegenteil Aufgrund der Restwasserbestimmungen wird die Produktion in den naumlchsten Jahren vermutlich sogar zuruumlckgehen

Die Wasserkraft ist der wichtigste Pfeiler der Schweizer Ener-giewirtschaft ihr Potenzial ist aber weitgehend ausgeschoumlpft Roger Pfammatter Geschaumlftsfuumlhrer des Wasserwirtschaftsver-bands gibt im Interview Auskunft uumlber die Lage der Branche und ihre Bedeutung fuumlr die EnergiezukunftInterview Florian Wehrli

Expertensicht

Was muss sich aumlndern damit die vorgegebenen Ziele um-gesetzt werden koumlnnenZum einen braucht es dafuumlr die Akzeptanz der Umweltver-baumlnde der Fischer und letztlich der gesamten Bevoumllkerung Zum anderen muumlssen laumlngerfristig die extremen Marktver-zerrungen abgebaut werden damit sich auch Investitionen in die nicht gefoumlrderte Wasserkraft wieder lohnen Heute wird nur noch in subventionierte Anlagen investiert

Wer ist hier in der PflichtHier ist die Politik gefordert die Rahmenbedingungen zu verbessern Denn ohne die Wasserkraft kann die Energie-wende nicht gelingen

Anfang Jahr wurde der Wasserwirtschaftsverband von den zustaumlndigen Kommissionen angehoumlrt Welche Forderun-gen hat die Branche an das ParlamentWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerba-re Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichten die bereits bis zur Haumllfte der Geste-hungskosten ausmachen Damit sind wir doppelt diskrimi-niert Die Wasserkraft ist extrem unter Preisdruck ndash und dies obwohl sie mit Gestehungskosten zwischen 3 und 10 Rappen pro Kilowattstunde die effizienteste Strompro-duktionstechnologie ist Nur zum Vergleich Fotovoltaik -anlagen werden heute mit rund 40 Rappen subventioniert

Bis 2011 liess sich mit der Grosswasserkraft noch viel Geld verdienen Wurden zu wenige Ruumlcklagen fuumlr schlechte Zei-ten gebildet

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Es kann nicht der Sinn sein Ruumlcklagen fuumlr Zeiten zu bil-den in denen die Marktpreise die Gestehungskosten nicht mehr decken Das waumlre wie wenn ein Baumlcker auf jedem Gipfeli einige Rappen zuruumlckbehalten muumlsste damit er sie am naumlchsten Tag gratis abgeben kann Mit dem durch Subventionen verzerrten Marktpreis von 4 bis 5 Rappen pro Kilowattstunde ist unter den konventionellen Energie-traumlgern praktisch nur Kohle konkurrenzfaumlhig Das ist be-stimmt nicht im Sinn der Energiewende

Drei Grosswasserkraftprojekte sind heute bereits im Bau Koumlnnen die enormen Kosten uumlberhaupt amortisiert wer-denPrognosen sind schwierig An der europaumlischen Strom-boumlrse (EEX) werden bis 2020 Strompreise zwischen 45 und 53 Rappen pro Kilowattstunde gehandelt Der Markt glaubt also nicht an eine baldige Erholung Dafuumlr muumlsste das Uumlberangebot in Europa zuruumlckgehen etwa uumlber die Anhebung des CO2-Preises von heute 5 auf mindestens 30 Euro pro Tonne Politisch ist das aber kaum durchsetz-bar Neue Pumpspeicherwerke werden sich deshalb wohl erst in mehreren Jahrzehnten lohnen

Was kann die Kleinwasserkraft leistenOhne die kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) wuumlr-de niemand Kleinwasserkraftanlagen bauen genauso we-nig wie Fotovoltaik- Wind- oder Biomasseanlagen Zurzeit gibt es aber allein bei der Kleinwasserkraft rund 1 000 An-meldungen fuumlr Foumlrderbeitraumlge mit einem bescheidenen Ge-samtpotenzial von 33 Terawattstunden pro Jahr Die oumlko-logischen Auswirkungen sind im Vergleich zum Ertrag zu gross Obwohl wir von marktverzerrenden Foumlrderprogram-men wegkommen sollten waumlre es in einer Uumlbergangs phase sinnvoll die KEV-Obergrenze von 10 Mega watt aufzuheben und dort zu foumlrdern wo es wirklich etwas bringt

Wie soll die Grosswasserkraft unterstuumltzt werdenDas Sinnvollste waumlre die Abkehr von der Subventions-maschinerie ndash und zwar auf europaumlischer Ebene Dann wuumlrde sich die Wasserkraft als effiziente erneuerbare Stromproduktionsform mit Sicherheit durchsetzen Min-destens als Uumlbergangsloumlsung waumlre aber die Entlastung

von Abgaben in erster Linie vom Wasserzins dringend Der maximale Wasserzins wurde in den letzten vier Jahren um 38 Prozent erhoumlht und wird naumlchstes Jahr um weite-re 10 Prozent angehoben Diese Erhoumlhung wurde 2008 beschlossen und steht heute in keinerlei Bezug mehr zur Ertrags lage Kurzfristig koumlnnten die Kantone auf einen Teil dieser Zinsen verzichten ndash das waumlre ein wichtiges politi-sches Zeichen Langfristig muss ein neuer Modus fuumlr die Zinsberechnung gefunden werden der die Ertragslage der Wasserkraft mitberuumlcksichtigt Das ist auch im Interesse von Bund Kantonen und Gemeinden schliesslich ist die Wasserkraft zu 85 Prozent in oumlffentlicher Hand Ebenfalls als Uumlbergangsloumlsung bis zu besseren Marktpreisen waumlren zinsguumlnstige Darlehen fuumlr die noumltigen Investitionen in die Grosswasserkraft denkbar Ohne mindestens eine dieser Massnahmen kann die Wasserwirtschaft das geforderte Ausbauziel nicht erreichen

Bis dahin gibt es noch eine weitere Huumlrde den Heimfall der Stauanlagen an die Standortgemeinden Welchen Ein-fluss hat dieser UmstandWenn die Konzessionen nach 80 oder 100 Jahren aus-laufen muss der Betreiber der Gemeinde eine Entschaumldi-gung fuumlr den Restwert der Anlagen entrichten Im Fall der Staumauer Barberine bezahlen die SBB und Alpiq 2017 an sechs Walliser Gemeinden 343 Millionen Franken Das 400-Seelen-Dorf Finhaut erhaumllt alleine 112 Millionen Fran-ken und weiss kaum wohin mit dem Geld Der gesamte Wert des Heimfalls der Anlagen bewegt sich schweizweit im Milliardenbereich Der Houmlhepunkt des Heimfalls wird um 2035 erreicht werden Bis zu diesem Zeitpunkt soll aber auch ein Grossteil der geforderten Produktionsstei-gerung umgesetzt werden

Bei der Stromproduktion ist ein Ausbau von uumlber 10 Pro-zent wohl nicht realistisch Wie sieht es bei der Speicher-leistung aus Hier muss man unterscheiden zwischen kurzfristiger und saisonaler Speicherung Fuumlr die saisonale Speicherung verfuumlgt die Schweiz mit 200 Speicherseen uumlber ein Vo-lumen von rund 9 000 Gigawattstunden (GWh) die jedes Jahr vom Sommer in den Winter umgelagert werden Dies

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Expertensicht

entspricht einem Viertel der jaumlhrlichen Produktion aus Wasserkraft Das Ausbaupotenzial durch die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren betraumlgt rund 2 000 GWh Falls der Ausbau aber nicht gelingt entsteht im Winter durch den Ausfall der Kernenergie eine immer groumlssere Luumlcke an Bandenergie die durch den Import von Atom- oder Kohlestrom gedeckt werden muss

Wie sieht es beim Ausbau der Pumpleistung zum kurzfris-tigen Ausgleich von Schwankungen im Netz ausGrundsaumltzlich ist das Potenzial fuumlr Pumpspeicherwerke in der Schweiz riesig Es braucht nur zwei Seen auf unter-schiedlicher Houmlhe Die Frage ist ob sich solche Investi-tionen rechnen Die Pumpspeicherwerke finanzieren sich

uumlber den Preisunterschied zwischen Band- und Spitzen-energie Wenn an einem schoumlnen Sommertag in Europa mittags die geballte Ladung an Sonnen- und Windener-gie eingespeist wird koumlnnen die Pumpspeicherkraftwerke sehr guumlnstig oder sogar zu Negativpreisen Strom bezie-hen Man darf aber nicht vergessen dass dieselbe Situa-tion fuumlr die Laufwasserkraftwerke die rund die Haumllfte der Wasserkraftproduktion in der Schweiz ausmachen den gegenteiligen Effekt hat Diese koumlnnen aus technischen konzessionsrechtlichen oder oumlkologischen Gruumlnden nicht vom Netz genommen werden und muumlssen fuumlr ihre Strom-produktion bezahlen Das kann gehoumlrig ins Geld gehen An Weihnachten 2012 lag der Strompreis zum Beispiel bei minus 30 Rappen pro Kilowattstunde

Roger Pfammatter laquoWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerbare Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichtenraquo

Bild Florian Wehrli

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cherseen zur Flexibilisierung Damit das gelingt muss der Wert der Wasserkraft staumlrker im Bewusstsein der Bevoumllke-rung verankert sein Und nicht zuletzt muss der Marktpreis so weit uumlber den Gestehungskosten liegen dass sich In-vestitionen in die Wasserwirtschaft rentieren

Versuchen das Bestehende zu erhalten Diese Vision klingt etwas resigniertDas ist eine Frage der Perspektive Die Wasserkraft hat als Technologie in der Schweiz seit Langem Bestand Sie befindet sich in einer anderen Situation als Fotovoltaik und Windenergie die sich in einem hochdynamischen Umfeld mit grossem Potenzial in Forschung und Wachstum be-finden Die Wasserkraft ist dagegen nicht mehr in der Auf-bruchsphase sondern in der Konsolidierungsphase Da-fuumlr kann man sich auf die Wasserkraftwerke verlassen Sie produzieren bei Tag und in der Nacht im Sommer wie im Winter bei Windstille oder im Nebel Auch der Erhalt und die Optimierung des Bestehenden sind grosse Heraus-forderungen und bedingen grosse Investitionen

Sehen Sie eine Moumlglichkeit wie die Schweizer Wasser-wirtschaft in Zukunft Geld mit Systemdienstleistungen wie Netzstabilitaumlt verdienen kannDie unregelmaumlssig einspeisenden Stromproduzenten neh-men keinerlei Systemverantwortung wahr Ich habe selbst ein Solarpanel auf dem Dach Wenn Produktion moumlglich ist speise ich Strom ins Netz ein wenn nicht beziehe ich Die Produzenten mehr in die Verantwortung zu nehmen faumlnde ich sinnvoll ndash zum Beispiel uumlber Zertifikate fuumlr Spei-cherleistungen Diese koumlnnten bei Pumpspeicherwerken bezogen werden

Welcher Ausbau der Pumpspeicherleistung ist dafuumlr noumltigDie installierte Leistung betraumlgt heute rund 14 Gigawatt (GW) Mit den im Bau befindlichen und den geplanten An-lagen kann die Kapazitaumlt maximal auf 51 GW ausgebaut werden ndash etwa die Haumllfte der Jahreshoumlchstlast im Netz Damit die Schweizer Wasserkraft aber einen Beitrag zur Stabilitaumlt des europaumlischen Stromnetzes leisten kann muumlssten auch das Stauvolumen und die Leitungskapazi-taumlt erhoumlht werden Hier sind die Einsprachen von Anwoh-nern und Umweltverbaumlnden noch gravierender als bei den Anlagen selbst

Braucht es neue rechtliche Instrumente um den geplan-ten Ausbau durchsetzen zu koumlnnenEs braucht vor allem die Einsicht dass die Wasserkraft das Ruumlckgrat unserer Versorgungssicherheit ist und die Aus-wirkungen eines Ausbaus immer auch mit den Alternativen verglichen werden muumlssen Wir befinden uns aber auch in einem intensiv genutzten Land mit vielen Partikularinteres-sen Diese muumlssen gewichtet und abgewogen werden In der Abwaumlgung zwischen Landschaftsschutz und Wasser-nutzung waumlre es hilfreich wenn Grosswasserkraftanlagen den Status von nationalem Interesse erhalten

Wie soll die Schweizer Wasserwirtschaft im Jahr 2035 aussehenIch wuumlnsche mir dass die bestehende Infrastruktur auf dem heutigen Stand erhalten optimiert oumlkologisiert und im Idealfall etwas ausgebaut wird Dazu gehoumlren etwa die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren sowie neue Spei-

Roger PfammatterSeit seinem Ingenieurstudium an der ETH Zuumlrich hat er sich in ver-schiedenen Rollen dem Wasser verschrieben Nach sieben Lehr- und Wanderjahren in der Forschung und in der Entwicklungszusammen-arbeit war er zehn Jahre beim Ingenieurunternehmen Ernst Basler + Partner engagiert Seit 2010 ist er Geschaumlftsfuumlhrer des Schweizeri-schen Wasserwirtschaftsverbandes (SWV) und Herausgeber der Zeit-schrift laquoWasser Energie Luftraquo In diesen Funktionen setzt er sich ein fuumlr den Fachaustausch und gute Rahmenbedingungen in den Bereichen Wasserkraft und Hochwasserschutz

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Die globalen Energiemaumlrkte sind seit einigen Jahren stark in Bewegung Volatile Erdoumllpreise die Foumlrderung von un-konventionellen Gasvorkommen in grossem Stil die mas-sive Subventionierung von neuen erneuerbaren Energien in Deutschland der laquoarabische Fruumlhlingraquo und der Konflikt in der Ukraine hinterlassen Spuren Die Folge sind starke Verwerfungen an den Maumlrkten und fehlende Investitionssi-cherheit In diesem dynamischen und unsicheren Kontext will der Bund die bisherige Energiepolitik neu ausrichten ndash wahrlich eine Herkulesaufgabe Die Schweizer Wirtschaft verlangt dass der Bund bei der Neuausrichtung der Ener-giepolitik seinem in der Verfassung verankerten Auftrag nachkommt und sich fuumlr eine ausreichende sichere breit gefaumlcherte wirtschaftliche und umweltvertraumlgliche Ener-gieversorgung einsetzt Somit ist klar Die Energiestrate-gie 2050 muss in erheblichen Teilen optimiert und justiert werden Nur wenn vernetzt gedacht wird ist eine sichere Versorgung zu wettbewerbsfaumlhigen Preisen moumlglich

Prognosen klaffen weit auseinanderSeit Jahrzehnten bietet der Strommix aus Wasserkraft (knapp 60 Prozent) und Kernenergie (40 Prozent) Gewaumlhr fuumlr eine sichere klimafreundliche und wirtschaftliche Ener-gieversorgung Im Rahmen der Energiestrategie 2050 muss die Kernenergie langfristig ersetzt werden Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen zumal die Ziele des Bundes

Lebenselixier der Wirtschaft

Die Schweizer Wirtschaft ist auch in Zukunft auf eine sichere und wirtschaftliche Stromver-sorgung angewiesen Die Ener-giestrategie 2050 setzt stark auf Subventionen Dadurch entstehen Fehlanreize welche die Versorgungssicherheit ge-faumlhrdenText Kurt Lanz

Expertensicht

in Bezug auf das Potenzial der neuen erneuerbaren Ener-gien von Wunschdenken geleitet sind Die neuen erneuer-baren Energien werden sich langsamer entwickeln als an-gestrebt Der Bund rechnet mit rund 12 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2035 die Schweizer Wirtschaft mit 44 TWh Die vorsichtigeren Prognosen der Wirtschaft scheinen re-alistischer Dies zeigen exemplarisch die gescheiterten Geothermieprojekte in Basel und St Gallen Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Nachfrageprognosen Der Bund rechnet in seinen Szenarien mit einem Ruumlckgang des Stromverbrauchs pro Kopf von 16 Prozent zwischen 2000 und 2035 Die Schweizer Wirtschaft orientiert sich in ihren Szenarien am Verband Schweizerischer Elektrizitaumlts-unternehmen (VSE) der weiter mit einer steigenden Nach-frage rechnet Die Wirtschaft fordert von der Politik eine vernuumlnftige Planung aufgrund realistischer Schaumltzungen Die Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energiestrategie nicht gefaumlhrdet werden

Subventionen fuumlhren zu FehlanreizenDie Schweiz hat seit vielen Jahrzehnten erfolgreich die Wasserkraft vorangetrieben Aus politischen Gruumlnden wird nun die ndash unregelmaumlssige ndash Stromproduktion durch Sonnen- und Windenergie forciert Unsere sogenann-te kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) entspricht dem deutschen Foumlrdermodell Beide haben das gleiche Ziel Sie sollen erneuerbare Energien ausbauen indem sie neue Formen der Stromproduktion zur Marktreife brin-gen Weil das KEV-System die Sonnen- und Windenergie massiv foumlrdert kommt ein weiterer Ausbau der bewaumlhrten Wasserkraft nicht infrage Diese Entwicklung gefaumlhrdet die Versorgungssicherheit der Schweiz Auf den ersten Blick sinken zwar die Produktionskosten fuumlr Solarstrom gleich-zeitig steigen aber die Kosten fuumlr Speicherung und Inte-gration ins Netz spuumlrbar Auch ist der Ausbau von Solar- und Windenergie nur von beschraumlnktem Nutzen solange keine ausreichenden Speicherkapazitaumlten vorhanden sind Nur Preissignale koumlnnen das Investitionsverhalten von Stromproduzenten Netzbetreibern und Konsumen-ten sinnvoll lenken Subventionen sind zu beseitigen denn sie fuumlhren zu Fehlanreizen

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Alle Optionen offenhaltenOffenheit und Neugier gehoumlren zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft Kategorisches Abwehrverhalten und Denkverbote verhindern konstruktive Loumlsungsansaumltze und Innovation Eine sichere und kostenguumlnstige Strom-versorgung kann auch in Zukunft nur mit der notwendi-gen Offenheit gegenuumlber allen Technologien und Energie-

systemen garantiert werden Die Schweiz ist dank einer erfolgreichen Hochschulland-schaft und vielen Technolo-gieunternehmen gut geruumlstet Die verschiedenen Energie-systeme muumlssen faktenba-siert und ohne ideologische

Scheuklappen verglichen werden Nur so koumlnnen effizi-ente und umweltvertraumlgliche Loumlsungen gefunden werden Das heutige System der Foumlrderung der neuen erneuer-baren Energien ist durch ein marktorientiertes System ab-zuloumlsen Produzenten die nachfragegerecht einspeisen sollen eine houmlhere Verguumltung erhalten als andere Auch soll der Vorrang der Netzeinspeisung fuumlr subventionierte Energietraumlger aufgehoben werden

laquoDie Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit

des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energie strategie nicht

gefaumlhrdet werdenraquo

Schnellere Verfahren anstrebenGrundvoraussetzung fuumlr eine Neuausrichtung der Ener-giepolitik sind funktionierende Stromnetze Diese muumls-sen zwingend parallel zum Umbau der Stromproduktion weiterentwickelt werden Allein der noumltige Ausbau der Uumlbertragungsnetze belaumluft sich auf rund 1 000 Kilometer bis ins Jahr 2020 Erforderlich sind zudem Investitionen in alle Verteilernetzebenen Al-lerdings verzoumlgern komplizier-te Verfahren auf Kantons- und Bundesebene den Ausbau Ausserdem erwaumlchst praktisch jedem Projekt Widerstand von privater Seite was zu weiteren Verzoumlgerungen fuumlhrt Die Wirt-schaft fordert deshalb Bei Bewilligungen von Stromnetzen ist der Gang vors Bundesgericht nur noch bei Grundsatz-fragen moumlglich Umbauten sowie Spannungs- und Kapa-zitaumltserweiterungen koumlnnen ohne Planungsgenehmigung realisiert werden Ausserdem sind die Verfahren bei einer einzigen Leitbehoumlrde anzusiedeln

Spielfeld erweiternDie Schweiz ist seit jeher ein wichtiges Stromtransitland Schon seit den 90er-Jahren treibt die EU die Vereinheitli-chung des Binnenmarkts fuumlr Strom hin zu einem eigent-lichen EU-Strommarkt voran In der Schweiz erweist sich die gesetzliche Trennung von Grundversorgung und Markt diesbezuumlglich zunehmend als Hindernis Aus Sicht der Wirtschaft ist die vollstaumlndige Liberalisierung des Strom-markts eine zwingende Voraussetzung fuumlr eine erfolgrei-che energiepolitische Neuausrichtung

Eine Marktoumlffnung wuumlrde insbesondere auch den erneuer-baren Energien neue Chancen eroumlffnen und Zugang zu neuen Kunden gewaumlhren Von hoher Wichtigkeit ist auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU Je groumlsser der Anteil erneuerbarer Energien umso wichtiger ist die Einbettung in Europa denn Investitionen in Netze und Produktion koumlnnen in Koordination mit der EU wirkungsvoller und wahrscheinlich kostenguumlnstiger getaumltigt werden

Kurt LanzKurt Lanz ist Leiter Infrastruktur Energie und Umwelt sowie Geschaumlftsleitungsmitglied von economiesuisse dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft

Gut vernetzt ndash Vorschlaumlge der Schweizer Wirtschaftzur EnergiepolitikDie Publikation basiert auf der Grundlagenarbeit der breit abgestuumltz-ten Energiekommission von economiesuisse und macht konstruk-tive Vorschlaumlge fuumlr einen erfolgreichen energiepolitischen Weg der Schweiz Download unter wwweconomiesuissech

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

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Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

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Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 21: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

21COMPETENCE | 2014

Klima im Wandel ndash Emissionsrechte im Handel

Der Klimawandel laumlsst sich anhand des Treibhauseffekts veranschaulichen Die Treibhausgase bewirken dass kurz-welliges Sonnenlicht zur Erdoberflaumlche gelangt verhindern jedoch dass langwellige Waumlrmestrahlung von der Erde nach aussen dringt Somit kann die Waumlrme nicht mehr entweichen und die Temperatur steigt Der Ausstoss von Treibhausgasen die vor allem bei der Verbrennung von fossilen Energietraumlgern wie Kohle Gas und Oumll entstehen hat seit der industriellen Revolution stark zugenommen und den natuumlrlichen Treibhauseffekt verstaumlrkt Eine Zunahme der Haumlufigkeit und Intensitaumlt meteorologischer und hydro-logischer Grossereignisse wie Stuumlrme und Uumlberschwem-mungen sind die Folge ndash mit gravierenden oumlkologischen oumlkonomischen und sozialen Konsequenzen

Der 2013 veroumlffentlichte Bericht der internationalen Exper-tengruppe Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zeigt auf dass die globale Durchschnittstempera-tur in den letzten 130 Jahren um 085deg Celsius gestiegen

Der Klimawandel findet nicht in ferner Zukunft sondern bereits jetzt statt Um ihn fuumlr Mensch und Umwelt auf einem ertraumlg-lichen Niveau zu stabilisieren muumlssen die Treibhausgas-emissionen reduziert werden Der Emissionshandel soll dazu beitragen sie dort zu mindern wo die geringsten Kosten an-fallen So kann das gesetzte Mengenziel oumlkonomisch effizient erreicht werdenText Regina Betz

ist Ohne Minderungsanstrengungen wird bis 2100 ein mehr als fuumlnffacher Anstieg prognostiziert Um die Treib-hausgaskonzentration in der Atmosphaumlre auf einem fuumlr Mensch und Umwelt akzeptablen Niveau zu stabilisieren muss die Erwaumlrmung bei unter 2deg Celsius stagnieren Da-fuumlr muumlssen laut dem 2014 veroumlffentlichten Bericht des IPCC die globalen Treibhausgasemissionen (THGE) bis 2050 gegenuumlber 2010 mindestens halbiert und bis 2100 um rund 100 Prozent reduziert werden 1997 hat sich die internationale Staatengemeinschaft im Kyoto-Protokoll fuumlr die Jahre 2008 bis 2012 erstmals auf voumllkerrechtlich ver-bindliche Ziele fuumlr den Ausstoss von THGE in den entwi-ckelten Laumlndern geeinigt aktuell finden Verhandlungen fuumlr die Festlegung neuer Ziele statt

Cap and TradeZur Zielerreichung sieht das Kyoto-Protokoll unter ande-rem den Emissionshandel auf Staatenebene vor Zahl-reiche Laumlnder wenden dieses Instrument aber haumlufiger auf Unternehmensebene an Das Grundprinzip ist einfach Die Houmlchstmenge (Cap) an erlaubten Gesamtemissionen wird festgelegt und an die regulierten Unternehmen im Emissions rechtehandelssystem (EHS) verteilt Die Unter-nehmen sind verpflichtet fuumlr jede emittierte Tonne Kohlen-dioxid ein Emissionsrecht einzureichen ansonsten sind Sanktionszahlungen faumlllig Will ein Unternehmen uumlber die ihm zugeteilte Menge hinaus emittieren muss es ein an-deres Unternehmen finden das ihm die benoumltigte Menge an Emissionsrechten verkauft (Trade) Unternehmen mit hohen Minderungskosten werden dabei Emissionsrechte hinzukaufen und Unternehmen mit niedrigen Kosten wer-den ihre Emissionen mindern indem sie etwa Biomasse statt Kohle verbrennen und uumlberschuumlssige Emissions-rechte verkaufen Durch den Handel koumlnnen die erforder-lichen Emissionsminderungen dort realisiert werden wo sie mit den geringsten Kosten verbunden sind Am Markt stellt sich ein Preis fuumlr die Emissionsrechte ein der Ange-bot und Nachfrage zum Ausgleich bringt

So einfach das Prinzip ist so schwierig ist seine Umset-zung Das System bedingt dass die Regierungen Rech-te fuumlr die Nutzung der Atmosphaumlre schaffen die zu einer

Hochschulperspektive

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Hochschulperspektive

Reduktion der Emissionen gegenuumlber einer Referenzent-wicklung fuumlhren dem sogenannten Business-as-usual-Szenario Doch die Abschaumltzung dieses Szenarios also der Entwicklung der Emissionen ohne Mengenbegren-zung ist schwierig wie die nachfolgenden Ausfuumlhrungen zum Emissionshandel in der EU zeigen

Der Emissionshandel in der EUDas EU-EHS ist der weltweit groumlsste Markt von Emissions-rechten Alle 28 EU-Staaten sowie Liechtenstein Island und Norwegen sind daran beteiligt Die Schweiz wuumlrde sich gerne anschliessen Das EU-EHS leidet seit seiner Einfuumlhrung im Jahr 2005 unter einem Uumlberangebot das sich mittlerweile auf rund 2 Milliarden Emissionsrechte be-laumluft Dies entspricht ungefaumlhr den vom System regulierten Emissionen eines Jahres Neben den unvorhergesehenen oumlkonomischen Entwicklungen durch die globale Finanz-krise traumlgt auch der starke Zubau an erneuer baren Ener-gien zu einem houmlheren Ruumlckgang der Emissio nen bei als geplant Der Hauptgrund fuumlr den derzeitigen Uumlberschuss liegt jedoch darin dass die regulierten Unternehmen ne-ben den Europaumlischen Emissionsrechten ndash European Union Allowances (EUAs) ndash auch auslaumlndische Emissions-minderungszertifikate ndash Certified Emission Reductions (CERs) ndash zu einem bestimmten Anteil anrechnen koumlnnen Mit dem sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) koumlnnen Industrienationen in Entwicklungslaumlndern emissionsmindernde Projekte finanzieren und sich die da-bei entstehenden THGE-Reduktionen mithilfe von CERs anrechnen lassen

Durch diese verschiedenen Faktoren hat sich ein Uumlberan-gebot entwickelt das den Preis der EUAs und CERs stark sinken liess Der Preis belaumluft sich derzeit auf rund fuumlnf Euro pro EUA Die bisherigen Reformanstrengungen wie etwa das sogenannte Backloading das Verschieben von Auktionen in spaumltere Jahre um die Menge zu verknappen haben bisher kaum zu einer Preiserhoumlhung gefuumlhrt

Die Schweiz als PreishochburgDer Schweizer Markt wuumlrde bei einem Zusammen-schluss nur rund 03 Prozent des EU-EHS ausmachen

Die Schweiz wuumlrde somit als Preisnehmerin agieren Das heisst der EU-Preis sollte auch in der Schweiz gelten Umso erstaunlicher ist es daher dass der Schweizer Preis pro Emissionsrecht derzeit bei rund 40 Franken liegt ob-wohl die Verbindung des Schweizer EHS mit dem EU-EHS geplant ist (sogenanntes Linking) Das auf der Basis des revidierten CO2-Gesetzes von 2012 und der CO2-Verord-nung verabschiedete System das den Emissionshandel am 1 Januar 2013 fuumlr 38 Unternehmen beziehungsweise 55 Anlagen in der Schweiz verbindlich eingefuumlhrt hat uumlber-nimmt weitestgehend die Regeln des EU-EHS Das neue System hat das bisherige freiwillige EHS in der Schweiz abgeloumlst Die im EHS erfassten Unternehmen sind von der CO2-Abgabe befreit Die hohe Kompatibilitaumlt des Schwei-zer EHS und des EU-EHS sollte ein schnelles Linking er-moumlglichen wobei die Verhandlungen durch die Annahme der Einwanderungsinitiative zum Stillstand gekommen sind Ein moumlglicher Erklaumlrungsansatz ist daher dass der hohe Preisunterschied die derzeitige Unsicherheit uumlber den Ausgang der Linking-Verhandlungen widerspiegelt Gehen die Schweizer Unternehmen davon aus dass kein Linking stattfindet sollte sich der Preis anhand der Minderungs-kosten und der Knappheit im Schweizer EHS bilden Fuumlr die Unternehmen ist es immer noch guumlnstiger den der-zeitigen Preis von 40 Franken fuumlr die Emissionsrechte zu bezahlen als eine Busse von 125 Franken pro fehlendes Emissionsrecht Zusaumltzlich zur Busse ist das Unternehmen verpflichtet die fehlenden Rechte im naumlchsten Jahr nach-zureichen Auch hier hat sich die Schweiz stark am EU-EHS orientiert bei dem die Busse bei 100 Euro pro EUA plus Wiedergutmachung liegt

Allokation beeinflusst den WettbewerbDie Gesamtmenge an Emissionsrechten (Cap) leitet sich aus den historischen Emissionen der teilnehmenden EHS-Unternehmen ab Fuumlr bestehende Anlagen die bereits vor 2013 am EHS in der Schweiz beteiligt waren setzt sie sich aus der Summe der durchschnittlich zugeteilten Emis-sionsrechte der ersten Verpflichtungsperiode (2008 bis 2012) zusammen fuumlr Anlagen die 2013 hinzukommen aus der Summe der durchschnittlichen Emissionen der

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fuumlr neue Anlagen in einer Reserve zuruumlckbehalten deren Uumlberschuumlsse zweimal jaumlhrlich versteigert werden Die Zu-teilung der Emissionsrechte hat etwas laumlnger gedauert so-dass sie in der Schweiz fuumlr die Jahre 2013 und 2014 erst im Februar 2014 erfolgte Das mag auch einer der Gruumlnde sein dass bisher kein Handel auf dem Sekundaumlrmarkt fuumlr den die Berner Kantonalbank eine eigene Emissions-handelsplattform bereitgestellt hat stattgefunden hat Das erste Preissignal war deshalb die Auktion der Uumlberschuumls-se aus der Neuemittentenreserve Diese fand vom 14 bis 21 Mai 2014 statt und erzielte fuumlr die 150 000 Emissions-rechte einen Preis von 4025 Franken pro Emissionsrecht

Wie sich die Liquiditaumlt im Schweizer Markt in Zukunft ent-wickeln wird und ob ein Linking mit dem EU-EHS und so-mit eine Angleichung der Schweizer Preise an die EU-EHS-Preise stattfinden wird bleibt abzuwarten Letzteres waumlre zwar aus oumlkonomischer Sicht zu begruumlssen da ein groumls-serer liquider Markt mit einheitlichem Preissignal als effizi-enter bewertet wird Aus oumlkologischer Sicht scheint jedoch ein Linking der Systeme ohne weitere Reformen des EU-EHS nicht wuumlnschenswert da es die Minderungsanreize in der Schweiz als Folge des Angebotsuumlberschusses an Emissionsrechten in der EU massiv reduzieren wuumlrde

Jahre 2009 bis 2011 Diese Summe wird jaumlhrlich um 174 Prozent reduziert analog der Regelung im EU-EHS

Neben der Festlegung der Obergrenze ist die Ausgestal-tung der Zuteilungsregeln politisch am schwierigsten da diese Verteilungswirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussen Bis 2012 wurden die Emissionsrechte in der EU daher groumlsstenteils kostenlos zugeteilt Seit 2013 werden rund 48 Prozent der Emissionsrechte versteigert wobei diese vor allem von Elektrizitaumltsfirmen gekauft wer-den muumlssen Da diese nicht im internationalen Wettbewerb

stehen konnten sie den Preis der gratis erhaltenen Emis-sionsrechte an die Elektrizitaumltskonsumenten weitergege-ben und hohe Gewinne erzielen Unternehmen aus Sek-toren die im internationalen Wettbewerb stehen koumlnnen hingegen die Kosten fuumlr die Emissionsrechte nicht an ihre Endkunden weitergeben ohne betraumlchtliche Nachteile in Kauf zu nehmen Es besteht daher das Risiko dass diese Firmen in Laumlnder ohne Klimapolitik abwandern Um dieses Risiko zu senken erhalten Unternehmen bei denen ein Risiko auf Abwanderung besteht auch in Zukunft weitest-gehend kostenlos Emissionsrechte zugeteilt Die Zuteilung basiert dabei auf sogenannten Benchmarks (Tonne Koh-lendioxid pro Tonne Produkt) die auf der Basis der effizi-entesten 10 Prozent der Unternehmen berechnet und mit historischen Produktionsdaten multipliziert werden

Noch kein Handel in der SchweizDie Schweiz hat die Benchmarks des EU-EHS uumlbernom-men Da in der Schweiz vor allem stark im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen aus den Sektoren Zement Papier Chemie Stahl und Raffinerien unter den Emissionshandel fallen werden fast alle Emissionsrechte kostenlos zugeteilt Ein kleiner Anteil von 5 Prozent wird

Regina BetzDr Regina Betz ist Dozentin fuumlr Energie- und Umweltoumlkonomie an der ZHAW School of Management and Law Seit 2014 leitet sie den volkswirtschaftlichen Teil der Ener-gy Policy Analysis Group des Zentrums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht das Mitglied des Schweizer Competence Centers for Research in Energy Society and Transition (CREST) ist Zuvor lehrte sie an der University of New South Wales Australia Umwelt- und Klimaoumlkonomie und leitete als Co-Direktorin das Centre for Energy and Environmental Markets (CEEM) 1998 bis 2004 arbeitete sie als Wissenschaftlerin am Fraunhofer-Institut fuumlr System- und Innovationsforschung ISI in Deutschland

laquoNeben der Festlegung der Ober grenze ist die Ausgestaltung der Zuteilungsregeln politisch am

schwierigsten da diese Verteilungs wirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussenraquo

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nicht vollstaumlndig genutzt werden kann In der Energiestra-tegie des Bundes ist gemaumlss einem Szenario bis 2050 ein Zubau auf knapp 12 TWh pro Jahr Stromproduktion aus Fotovoltaik angedacht Dies bedingt den Bau von Fotovol-taikanlagen mit einer installierten Spitzenleistung von etwa 12 Gigawattpeak (GWp) und einem Flaumlchenbedarf von rund 84 000 000 Quadratmetern Dieser Flaumlchenbedarf ist auf den bestehenden Daumlchern in der Schweiz verfuumlgbar

An einem schoumlnen Sommertag koumlnnen diese Anlagen dann also etwa 12 GW erzeugen die maximale Ver-brauchslast liegt im Sommer aber nur bei rund 8 GW Es entsteht ein Uumlberschuss von 4 GW die Speicherleistung der Schweizer Pumpspeicheranlagen betraumlgt heute aber nur 15 GW 25 GW Leistung koumlnnen in diesem Szenario also gar nicht genutzt werden An einem Wintertag mit Hochnebel erzeugen diese Anlagen uumlberhaupt keinen Strom die Verbrauchslast liegt aber mit 10 GW noch houml-her als im Sommer Hier entsteht eine Luumlcke die mit ande-ren Energieformen oder Importen gedeckt werden muss

Speichern uumlbertragen oder einsparenUm diesem Problem zu begegnen gibt es verschiedene Loumlsungsansaumltze Ein Ansatz ist die Energie lokal dort zu speichern wo sie erzeugt aber nicht sofort verbraucht werden kann In diesem Fall werden in erster Linie viele kleine Speichermodule benoumltigt die sowohl fuumlr kurz- als auch langfristigen Ausgleich sorgen muumlssen Eine andere Moumlglichkeit ist es die Energie an Orte zu uumlbertragen wo sie sofort verbraucht wird dann muss in erster Linie das Netz ausgebaut werden Schliesslich koumlnnte Energie auch zentral zu grossen Speichern transportiert werden was sowohl einen Netzausbau als auch neue Speichertechno-logien bedingen wuumlrde

Als die Gesellschaft noch aus Jaumlgern und Sammlern be-stand verbrauchte der Mensch seine Energie lokal dort wo er sie benoumltigte Er lebte von der Hand in den Mund Im Zuge der aufkommenden Landwirtschaft musste er Methoden entwickeln um Nahrung haltbar zu machen und sie zu transportieren Vor demselben Problem steht heute die Energiewirtschaft Ort und Zeit der erneuerbaren Energieerzeugung korrelieren je laumlnger je weniger mit dem Verbrauch Die Herausforderung der Energiewende ist deshalb nicht nur die Produktion selbst sondern auch die Uumlbertragung die Speicherung und das lokale Verbrauchs-last-Management

Saisonale Speicherung problematischMit dem Ausstieg aus der Kernenergie muumlssen in der Schweiz etwa 40 Prozent der produzierten elektrischen Energie ersetzt werden also rund 23 Terawattstunden (TWh) pro Jahr Im Gegensatz zur Kernenergie haben die neuen erneuerbaren Energien den Nachteil dass ihre Pro-duktion nicht steuerbar ist und unregelmaumlssig anfaumlllt Der Kapazitaumltsfaktor also das Verhaumlltnis von durchschnittlicher zu maximaler Leistung betraumlgt bei konventionellen Kraft-werken bis zu 100 Prozent bei Fotovoltaikanlagen dage-gen nur etwa 10 Prozent Hinzu kommen die starken saiso-nalen Schwankungen dieser stochastisch erzeugenden Energiequellen Im Winter liegt die Stromverbrauchsspitze mit circa 10 Gigawatt (GW) rund ein Drittel houmlher als im Sommer gleichzeitig liefern Fotovoltaikanlagen aufgrund des flacheren Einstrahlungswinkels und der kuumlrzeren Son-nenscheindauer wesentlich weniger Strom als im Sommer

Anhand eines Gedankenexperiments laumlsst sich veran-schaulichen dass das Potenzial der neuen erneuerbaren Energien ohne zusaumltzliche Speicher oder steuerbare Lasten

Energie haltbar machen

Der Ausbau von erneuerbaren Energiequellen geht so schnell voran dass Speicher- und Uumlbertragungstechnologien kaum mithalten koumlnnen Um Produktionsspitzen zu glaumltten braucht es Fortschritte in der EnergietechnikText Petr Korba

Hochschulperspektive

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Petr KorbaProf Dr Petr Korba ist Dozent und Fach-gruppenleiter fuumlr elektrische Energietechnik und Smart Grids an der ZHAW School of En-gineering Zuvor forschte er uumlber zehn Jahre bei ABB Schweiz in den Bereichen Automa-tion Energie- und Regelungstechnik

Scherrer Institut an der Power2Gas-Technologie Dabei wird Kohlendioxid mit Strom aus erneuerbaren Quellen durch Elektrolyse zu Wasserstoff oder weiter zu Methan verarbeitet Aumlhnlich wie bei der Nahrungsmittelproduktion wo Staumlrke schliesslich als raffinierter Zucker gespeichert wird gibt es auch bei der Stromspeicherung immer raffi-niertere Formen Bei jeder Umwandlung geht aber Energie verloren Man muss sich also gut uumlberlegen ob man uumlber-haupt speichern will und wenn ja uumlber welchen Zeitraum

Mit der wachsenden Integration von erneuerbaren Energi-en steigen auch die Anforderungen an die Energietechnik Unser kuumlnftiges Energiesystem wird staumlrker automatisiert und intelligenter sein Um erneuerbare Energiequellen zu integrieren werden Informations- und Kommunikations-technologien Automatisierungs- und Regelungstechnik Signalverarbeitung oder Wettervorhersagen immer wich-tiger In den intelligenten Stromnetzen der Zukunft wer-den alle beteiligten Komponenten Daten wie den aktuellen Verbrauch verfuumlgbare Strommengen oder lokale Aus-faumllle melden und gleichzeitig solche Daten aus anderen Netzkomponenten empfangen Das daraus resultierende Smart Grid ist ein Gefuumlge das selbststaumlndig auf diese Ein-fluumlsse reagiert und seine eigene Effizienz optimiert Es gilt Energie effizienter zu uumlbertragen um raumlumliche Distanzen zu uumlberwinden und neue Speichertechnologien zu entwi-ckeln um zeitliche Engpaumlsse zu uumlberbruumlcken Elektrische Energie kann auf verschiedene Arten erzeugt gespei-chert und uumlbertragen werden Jede Art hat ihre Vor- und Nachteile und ihren Preis Anreize aus der Politik werden schliesslich entscheiden welche Formen dies in der Zu-kunft sein werden

Auf der Verbraucherseite laumlsst sich die Nutzlast durch ge-eignetes Last-Management anpassen Diese Steuerung schaltet verbrauchsintensive Anlagen in Unternehmen gewerblichen Betrieben und Haushalten gezielt dann ein wenn die Stromtarife guumlnstig sind Es duumlrfte aber schwie-rig sein der Bevoumllkerung vorzuschreiben wann sie zum Beispiel fernsehen oder kochen darf Eine intelligente Re-gelung von grossen Kuumlhlhaumlusern stoumlrt dagegen nieman-den Trotz solchen Bestrebungen geht die International Energy Agency (IEA) davon aus dass der Stromverbrauch weltweit jaumlhrlich um rund 1 Prozent zunimmt Diese Ten-denz verstaumlrkt sich voraussichtlich noch falls sich der Bereich Mobilitaumlt von fossilen Energietraumlgern hin zur Elek-tromobilitaumlt verschieben wird Die Geschichte hat gezeigt dass der Energieverbrauch eigentlich nur in Krisenzeiten zuruumlckgeht

Klar ist jedenfalls dass der Ausbau von Speichern und Netzen Hand in Hand mit der zunehmenden Integration von erneuerbaren Energiequellen erfolgen muss Auf unter-schiedlichen Netzebenen kommen unterschiedliche Spei-chertechnologien zum Einsatz Waumlhrend fuumlr Haushalte mit kleinen Fotovoltaikanlagen und im Niederspannungsnetz bereits Batteriespeicher vorhanden sind stossen diese bei mehr als einer Windturbine oder groumlsseren Solarparks schnell an ihre Grenzen Das groumlsste Batterieenergie-speichersystem der Schweiz betreiben die Elektrizitaumlts-werke des Kantons Zuumlrich in Dietikon Es hat 1 Megawatt (MW) maximale Speicherleistung und kann diese waumlhrend ungefaumlhr 15 Minuten abgeben respektive speichern Die Spitzenlast im Schweizer Hochspannungsnetz liegt aber bei 8 GW im Sommer und 10 GW im Winter Die Schwei-zer Pumpspeicherkraftwerke koumlnnen unseren Strombe-darf nur etwa einen Monat lang decken Das europaumlische Hochspannungsnetz verfuumlgt uumlber eine Spitzenlast von circa 500 GW Um die Leistung von Grosskraftwerken wie Offshore-Windparks langfristig zu speichern braucht es neue Technologien

Raffinierte EnergiespeicherungDafuumlr forscht die ZHAW School of Engineering gemein-sam mit der ETH Zuumlrich der EPF Lausanne und dem Paul

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Hochschulperspektive

Dissonanz an der Steckdose

Mit der Energiestrategie 2050 haben Bundesrat und Parla-ment eine Kehrtwende in der Schweizer Energiepolitik ein-gelaumlutet der die wichtigsten politischen Huumlrden erst noch bevorstehen Auf den ersten Blick scheint der Kurswechsel breit abgestuumltzt Seit dem Reaktorunfall in Fukushima fuumlh-ren Umfragen immer wieder zum gleichen Ergebnis Der langfristige Ausstieg aus der Kernenergie findet eine Mehr-heit Im Grundsatz stossen erneuerbare Energien sowie Massnahmen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz auf hohe Zustimmung Was fuumlr den Stimmzettel gilt beeinflusst aber nicht automatisch das Konsum- und Investitionsverhalten der Energiekunden Die Bereitschaft aus eigenem Antrieb mehr fuumlr ein oumlkologisch houmlherwertiges Produkt aus neuen erneuerbaren Energietraumlgern zu bezahlen ist beschraumlnkt Nur wenige Haushalte sind zudem bereit ihren Energie- und insbesondere ihren Stromkonsum zu reduzieren wenn dies mit nicht amortisierbaren Investitionskosten oder einem moumlglichen Komfortverlust verbunden ist

Mit anderen Worten Effizienz wird als teuer und Suffizienz als bevormundend empfunden Die private Zahlungsbereit-schaft laumlsst sich zwar mit regulatorischen Interventionen wie fixen Einspeiseverguumltungen oder Investitionssubven-tionen in Effizienzmassnahmen etwas erhoumlhen Doch die Erfahrungen in Deutschland und der Schweiz zeigen dass solche Massnahmen oumlkonomisch ineffizient sind und oft als ungerecht empfunden werden Sie koumlnnen damit zum Bumerang fuumlr die Akzeptanz der energiepolitischen Ziele werden Neben den politischen Huumlrden ist somit auch die kognitive Huumlrde der Konsumenten zu beruumlcksichtigen De-ren Uumlberwindung bedarf zuerst einer differenzierten Analyse der Ursachen und danach der Entwicklung innovativer Ver-triebsmodelle und Produkte auf Versorgerseite

Eine Mehrheit der Bevoumllkerung unterstuumltzt den Ausstieg aus der Kernenergie doch nur wenige beziehen ein oumlkologisches Stromprodukt Warum das so ist und wie sich diese Dissonanz aufloumlsen laumlsst beschaumlftigt derzeit viele EnergieversorgerText Claudio Cometta

Indifferenz uumlberwiegtFuumlr viele Konsumenten ist die Strom- Gas- oder Fern-waumlrmerechnung ein verhaumlltnismaumlssig kleiner Posten im Haushaltsbudget dem wenig Beachtung geschenkt wird Die Schweiz ist sogar einer der Spitzenreiter in Europa machen die Stromkosten im Durchschnitt doch nicht mehr als 2 Prozent der Haushaltsausgaben aus Wenig Beachtung bedeutet auch wenig Kenntnis des Preises und der Menge der bezogenen Energieleistung oder der Zusammensetzung des Tarifs aus Energiekosten Netz-kosten und Abgaben Entsprechend besteht nur ein ge-ringes Interesse Energie und damit Kosten zu sparen Konsumentenbefragungen zeigen zudem dass nur eine kleine Minderheit der Kunden die Zusammensetzung ihres Stromprodukts nach Energietraumlgern kennt Die geringen Kosten und Unkenntnis des Produkts verhindern also die Wahl anderer Stromprodukte Strom ist ein klassisches Commodity-Produkt Man kann ihn weder sehen noch riechen Er ist verhaumlltnismaumlssig guumlnstig immer verfuumlgbar und aumlndert in keinerlei Hinsicht seine Eigenschaften wenn dafuumlr mehr bezahlt wird Zudem ist meist nicht sichtbar wer wie viel von welchem Produkt bezieht Der Strom-konsum ist Privatsache

Uumlberwindung durch VertriebsmodelleDie Vorgaben der Energiestrategie 2050 beinhalten nicht nur einen massiven Zubau der Produktionskapazitaumlt aus erneuerbaren Energietraumlgern sondern auch die kon-tinuierliche Reduktion des Energie- und insbesondere des Stromkonsums pro Kopf Die direkte Finanzierung der dazu notwendigen Investitionsvorhaben scheint an-gesichts der Indifferenz auf Konsumentenseite jedoch schwierig Aus diesem Grund sind mehrere Schweizer

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rund um Haushaltstechnik Sicherheit Pflege oder Kom-munikation sowie ein geschicktes Marketing mit Elemen-ten der sozialen Kontrolle Denkbar sind auch Anreize die keinen direkten Zusammenhang mit dem Energiekonsum aufweisen aber fuumlr breite Bevoumllkerungsgruppen attrak-tiv sind So haben etwa einzelne skandinavische Versor-ger damit begonnen energiesparendes Verhalten ihrer Kunden mit Verguumlnstigungen fuumlr die Nutzung oumlffentlicher Transportmittel zu belohnen

Uumlberwindung durch PartizipationDie wohl wirkungsvollste Massnahme zur Uumlberwindung der Dissonanz an der Steckdose ist bereits inhaumlrent in der Transformation des Energiesystems hin zu einer staumlrker dezentralen Erzeugung angelegt Kunden entwi-ckeln sich von passiven Leistungsempfaumlngern zu aktiven Leistungserbringern sogenannten Prosumern Als Klein-produzenten von Strom mit einer hauseigenen Fotovol-taikanlage oder thermischer Speicherleistung mit Kraft-Waumlrme-Kopplungsanlagen im Mikroformat werden sie mittelfristig wesentlich zum Umbau des Energiesystems und zu den Zielen der Energiestrategie beitragen koumlnnen Eine nicht ganz unbedeutende Rolle koumlnnten in Zukunft sogenannte Buumlrgerbeteiligungsmodelle fuumlr die Finanzie-rung neuer In frastrukturprojekte spielen Diese wuumlrden gleichzeitig die Akzeptanz sichtbarer Produktionsanlagen von neuen erneuerbaren Energien erhoumlhen Doch erst wenn das Produkt Strom nicht mehr als reines Commodity-Produkt wahrgenommen wird werden politische Meinung und Konsumverhalten bei einer Mehrheit der Stimmbuumlrger uumlbereinstimmen

Energieversoger in letzter Zeit dazu uumlbergegangen soge-nannte Default-Modelle einzufuumlhren die Stromprodukte aus erneuerbaren Quellen zum neuen Standard erheben Dabei macht man sich die Traumlgheit der Kunden zunutze indem die Wahl eines Stromprodukts aus nicht erneuer-baren Energietraumlgern als Option definiert wird die aktiv bestellt werden muss

Nicht zuletzt aufgrund solcher Modelle ist die Zahl der Schweizer Haushalte die ein Stromprodukt aus aus-schliesslich erneuerbaren Energien beziehen auf uumlber 25 Prozent gestiegen Doch weitere Vertriebsinnovationen werden notwendig sein etwa um der Herausforderung der Einspeisung von Strom aus fluktuierend nutzbaren Quellen (Solar- und Windenergie) in die Verteilnetze gewachsen zu sein die immer staumlrker ins Gewicht faumlllt In der Folge gilt es Investitionen in Netz- und Speichersysteme zu finan-zieren In innovativen Vertriebsmodellen welche dieser Herausforderung gerecht werden erhaumllt das Konsumver-halten einen Wert Zeitliche Flexibilitaumlt wird belohnt durch Tarifreduktion Bonus oder Vermeidung einer Gebuumlhr Wie diese beiden Beispiele zeigen laumlsst sich der Mehrwert von vermeintlichen Commodity-Produkten durch neue Vertriebsmodelle abschoumlpfen und als marktwirtschaftlich vertraumlglicher Finanzierungsmechanismus fuumlr neue Infra-strukturvorhaben im Energiesektor nutzen

Uumlberwindung durch innovative ProdukteNoch groumlsseres Potenzial birgt die Weiterentwicklung von Stromprodukten zu Leistungssystemen die fuumlr Energie-kunden einen echten Mehrwert bieten Hierzu gehoumlrt die Verknuumlpfung des Kernprodukts Strom mit Dienstleistun-gen die den Kunden ein transparenteres Verbrauchsver-halten sowie Kostenoptimierung ermoumlglichen Intelligente Stromzaumlhler sogenannte Smart Meter kombiniert mit fle-xiblen Tarifen und einem einfachen Feedback- und Steuer-system sind die Voraussetzung um zumindest oumlkologisch sensibilisierten oder kostenbewussten Endkunden einen Effizienzeffekt zu ermoumlglichen Damit solche Leistungs-systeme aber fuumlr die grosse Gruppe der Indifferenten interessant werden braucht es weitere Mehrwerte Dazu gehoumlren die Verknuumlpfung mit intelligenten Anwendungen

Claudio ComettaDr Claudio Cometta ist Dozent fuumlr Innovation und Entrepreneurship an der ZHAW School of Management and Law Er koordiniert den Aufbau des nationalen Energie-Kompetenz-zentrums SCCER 5 an der ZHAW

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Die Energiewende stellt die Energieversorgungsunternehmen in der Schweiz vor grosse Herausforderungen Das Beispiel von Stadtwerk Winterthur zeigt wie die Branche auf den Paradig-menwechsel reagiertText Florian Wehrli

Von den Anfaumlngen als laquoWinterthurer Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtungraquo vor uumlber 150 Jahren bis zum modernen Querverbundunternehmen hat sich Stadtwerk Winterthur kontinuierlich weiterentwickelt Seine Aufgabe ist aber gemaumlss Direktor Markus Saumlgesser weitgehend dieselbe geblieben die Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung zu verbes-sern So bietet das staumldtische Versorgungsunternehmen neben klassischen Produkten wie Wasser Strom Gas oder Kehrichtentsorgung und Abwasserreinigung heute auch Fernwaumlrme Haustechnik Glasfasernetz und Ener-gie-Contracting an Die Ausdehnung auf neue Geschaumlfts-bereiche will der Direktor aber nicht als Reaktion auf die Liberalisierung des Energiemarkts verstanden wissen laquoWir begegnen der Marktoumlffnung proaktiv und wollen die sich bietenden Chancen aktiv nutzenraquo

Lokales Potenzial ausgeschoumlpftIm liberalisierten Markt hat das staumldtische Versorgungs-unternehmen mit dem Monopol auf sein Energieversor-gungsnetz von gesamthaft mehr als 2 500 Kilometern einen Vorteil Dessen Unterhalt ist nach wie vor eine der Hauptaufgaben Im Gegensatz zu anderen Energieversor-gern betreibt Stadtwerk Winterthur naumlmlich einen verhaumllt-nismaumlssig geringen Anteil an eigenen Produktionsanlagen Das Flaggschiff ist die wohl modernste Kehrichtverwer-tungsanlage der Schweiz laquoMit dem Umbau konnten wir 2013 den Wirkungsgrad der Anlage um einen Drittel stei-gern und die Abluft gehoumlrt zu den saubersten weltweitraquo sagt Markus Saumlgesser Heute deckt die KVA 20 Prozent des Winterthurer Strom- und 12 Prozent des Waumlrmebe-darfs ab Auf solchen Lorbeeren ausruhen will sich Stadt-werk Winterthur aber nicht laquoWir wollen mithelfen eine nachhaltige Energiewirtschaft aufzubauenraquo Mittelfristig soll

die Haumllfte des Stromangebots aus erneuerbaren Quellen stammen laquoDas ist ein ehrgeiziges Zielraquo sagt Saumlgesser laquowir sind aber auf gutem Weg dazuraquo

Rund die Haumllfte des Rahmenkredits von 90 Millionen Franken fuumlr erneuerbaren Strom den das Winterthurer Stimmvolk 2012 bewilligt hat ist bereits investiert Im Bereich Fotovoltaik ist die Planung der groumlssten Anlagen abgeschlossen etwa auf den Daumlchern der Eishalle oder des Busdepots Eine aktuelle Windpotenzialstudie zeigt fuumlr Winterthur nur wenige moumlgliche Standorte auf zumal die Bewilligung solcher Anlagen mit grossem buumlrokratischem Aufwand verbunden sei Mit diversen Nahwaumlrmever-buumlnden nutzt Stadtwerk Winterthur auch Holzabfaumllle bereits sehr effizient Aber auch dieser Energietraumlger ist in Winterthur beschraumlnkt vorhanden Das letzte Projekt das Holz aus dem Winterthurer Stadtwald einsetzen wird ist in der Aufbauphase Studien im Bereich Wasserkraft haben gezeigt dass abgesehen von einem Kleinwasser-kraftwerk an der Toumlss in der Region kaum Potenzial vor-handen ist

Investitionen im AuslandlaquoDiese aufwendige Aufbauarbeit soll nicht zur Regel wer-denraquo sagt Markus Saumlgesser laquoDas limitierte Energiepoten-zial in der Schweiz und die beschwerlichen Instanzenwe-ge fuumlr Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie lassen uns deshalb vermehrt im Ausland investierenraquo 2012 be-teiligte sich das Stadtwerk mit 12 Millionen Franken am Kleinkraftwerk Birseck AG das Kleinwasserkraftwerke und Foto voltaikanlagen in der Schweiz und in Frankreich be-treibt 2013 folgte eine Beteiligung in der Houmlhe von 25 Mil-lionen Franken an der Swisspower Renewables AG die in

Vom Versorger zum Dienstleister

Unternehmensperspektive

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sein glaubt er aber nicht daran dass der Stromverbrauch insgesamt zuruumlckgehen wird laquoDafuumlr ist der Marktpreis zu niedrig Aus serdem wird Strom im Bereich Waumlrme und Mobilitaumlt einen Grossteil der fossilen Energietraumlger ersetzen muumlssenraquo Damit der geplante Verbrauchsruumlck-gang dennoch gelingt will der Bund Anreize schaffen Mit sogenannten weissen Zertifikaten will er die Versor-ger be lohnen wenn sie ihre Kunden zu einem geringeren Energie verbrauch bewegen In Grossbritannien Italien und Frankreich sind solche Modelle bereits im Einsatz Markus Saumlgesser sieht dieser Entwicklung mit gemischten Gefuumlh-len entgegen laquoWir haben bereits vor der Reaktorkatastro-phe in Fukushima auf Energieeffizienz gesetzt und konn-ten uns dadurch profilieren Weil die Politik nun eingreift und den Markt uumlbersteuert bleibt uns als Unternehmen weniger Spielraum um uns zu positionierenraquo

Windkraftanlagen im angrenzenden Ausland investiert Fuumlr die Beschaffung von Strom am freien Markt ist das Stadtwerk eine Zusammenarbeit mit der Trianel GmbH in Aachen ndash einer der fuumlhrenden Stadtwerke-Kooperationen in Europa ndash eingegangen Damit sollen insbesondere der Zugang zum Grosshandelsmarkt sowie die Marktfor-schung sichergestellt werden Denn um Kunden nachhal-tige Energieprodukte verkaufen zu koumlnnen muss man ihre Beduumlrfnisse genau kennen

Anreize fuumlr geringeren VerbrauchDie Strategie scheint aufzugehen laquoSeit der Einfuumlhrung der neuen Stromprodukte Anfang 2013 haben wir den Absatz von erneuerbarer Energie in Winterthur verdop-pelt und denjenigen von Oumlkostrom sogar vervierfachtraquo so Saumlgesser Trotz dem steigenden oumlkologischen Bewusst-

Gemaumlss seinem Leitbild soll Stadtwerk Winterthur mit einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der soziashylen Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Bild Michael Lio

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Ausgliederung aus der StadtverwaltungAuch auf kommunaler Ebene ist Stadtwerk Winterthur von den politischen Rahmenbedingungen abhaumlngig ndash mit allen Vor- und Nachteilen Die politischen Kurswechsel in den vorgesetzten Gremien seien hinderlich bei der Umsetzung der Strategie des Unternehmens laquoWir taumltigen Investitio-nen mit einem Planungshorizont von mehreren Jahrzehn-tenraquo sagt Markus Saumlgesser laquoin der Politik wird dagegen in Amtsperioden von vier Jahren gedachtraquo Es gibt deshalb Bestrebungen das Stadtwerk aus der Stadtverwaltung auszugliedern und einem langfristig operierenden Steue-rungsgremium zu unterstellen Bei der Stimmbevoumllkerung geniesst Stadtwerk Winterthur grossen Ruumlckhalt Alleine in den letzten zwei Jahren wurden vier Abstimmungsvor-lagen mit grossem Mehr angenommen darunter Rah-menkredite fuumlr das Energie-Contracting oder erneuerbare Energien laquoEine bessere Legitimation koumlnnen wir uns gar nicht wuumlnschenraquo sagt Markus Saumlgesser

Neue BetriebskulturStrategisch und energiepolitisch werden Dienstleistungen wie das Energie-Contracting fuumlr Stadtwerk Winterthur immer wichtiger laquoWir wollen unserer Kundschaft Waumlr-me oder Kaumllte gleich komfortabel anbieten koumlnnen wie Stromraquo sagt Markus Saumlgesser laquoImmobilienbesitzerinnen und -besitzer sollen sich nicht mehr um den Fuumlllstand ih-res Oumlltanks oder den Termin fuumlr den Kaminfeger kuumlmmern muumlssenraquo Das Energie-Contracting waumlchst stark und macht heute bereits rund 5 Prozent des Umsatzes von Stadtwerk Winterthur aus

Die neuen Geschaumlftsfelder ziehen auch andere Arbeits-kraumlfte an als bisher Verschiedene Betriebskulturen seien in den vergangenen Jahren teilweise parallel gelaufen be-ginnen nun aber langsam zu verschmelzen Ein Beispiel dafuumlr ist die Verknuumlpfung von Smart Metering und dem traditionellen Verteilnetz Elektrizitaumlt Als Voraussetzung fuumlr das Change-Management in der Betriebskultur habe man alle Mitarbeitenden in die Erarbeitung des Unterneh-mensleitbildes involviert Entstanden ist ein Leitbild das Stadtwerk Winterthur dabei unterstuumltzt die Unterneh-mensstrategie umzusetzen Stadtwerk Winterthur soll mit

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

Markus SaumlgesserMarkus Saumlgesser (52) ist diplomierter Ma-schineningenieur ETH und hat ein Nachdi-plomstudium in technischen Betriebswissen-schaften absolviert Seit Anfang 2011 ist er Direktor von Stadtwerk Winterthur Seine bisherige berufliche Taumltigkeit fuumlhrte Markus Saumlgesser nach zwei Jahren Assistenz an der ETH zu einem Ingenieurbuumlro fuumlr Ener-gie- und Haustechnik Waumlhrend dieser rund sechsjaumlhrigen Zeit war er bei anspruchsvol-len Bauprojekten verantwortlich fuumlr die Konzeption und Koordination der technischen Gebaumludeausruumlstung Zudem war er waumlhrend vier Jahren Mitglied der Geschaumlftsleitung Nach zweijaumlhriger Taumltigkeit als Abteilungsleiter in einer groumlsseren Gemeinde wechselte er zum Elek-trizitaumltswerk der Stadt Zuumlrich (EWZ) bei dem er die Abteilung Vertrieb Grosskunden leitete Daneben war Markus Saumlgesser beim EWZ in verschiedene Innovationsprojekte involviert So zeichnete er fuumlr das Projekt laquoStromzukunft Stadt Zuumlrichraquo verantwortlich das wichtige Grundlagen fuumlr die Strategie des EWZ und die Volksabstimmung zur 2000-Watt-Gesellschaft in der Stadt Zuumlrich beisteuerte

Stadtwerk Winterthur in Zahlen (2013)Mitarbeitende 347Nettoinvestitionen 1198 Mio CHFDurchgeleitete Strommenge 5643 Mio kWhUmsatz Strom 93 Mio CHFDurchgeleitete Gasmenge 5295 Mio kWhUmsatz Gas 411 Mio CHFUnternehmensgewinn 109 Mio CHF

einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der sozia-len Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Wann wurden in Winterthur die ersten Strassenlampen mithilfe von Stein-kohle erleuchtet

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Unternehmensperspektive

ckelte Hochspannungsgleichstromschalter sollen zudem sicherstellen dass etwa ein Kurzschluss durch eine hy-perschnelle Abschaltung isoliert und das Netz somit nicht gefaumlhrdet wird Von 14 solchen Schaltsystemen welt-weit stammen 13 von ABB Die hohen Investitionen fuumlr die armdicken Gleichstromkabel rechnen sich da beim Transport viel weniger Strom verloren geht als bei der tradi tionellen Wechselstromtechnik Die Produktelinie ent-wickelt sich zum Renner Sie wird zur Anbindung von So-lar- und Windparks zur Versorgung von Inseln als Ersatz fuumlr Diesel generatoren auf Oumll- und Gasplattformen auf See eingesetzt Oder um Starkstrom vom Festland zu auf dem Meeresboden platzierten ferngesteuerten Foumlrderanlagen fuumlr Gas und Oumll zu leiten ndash wofuumlr ABB auch wartungsfreie Kompressoren liefert damit Kunden wie Statoil und Pet-robras teure Ausfaumllle erspart bleiben

Komplettloumlsungen aus einer HandDank hohem Innovationstempo sind die Divisionen Ener-gietechnik- und Niederspannungsprodukte gut ausgelas-tet Dies gilt ebenso fuumlr die Divisionen Industrie- und Pro-zessautomation Speziell energieintensive Industrien die unter hohem Kostendruck stehen muumlssen ihre Anlagen auf dem neusten Stand halten Dazu zaumlhlen Bergbau Oumll- und Gasindustrie Zellstoff- Papier- und Zementfabriken Chemie- und Pharmafirmen sowie Raffinerien Gefragt sind auch Industrieroboter und schwenkbare dank ABB-Leistungselektronik stufenlos regulierbare Schiffsantrie-be ABB liefert Grosskunden fertige Loumlsungen die hohe Produktivitaumlt und Energieeffizienz gewaumlhrleisten Alles ist aufeinander abgestimmt von der Elektrik uumlber Antriebe Generatoren Roboter Sensoren und Steuerungen bis hin

Zu Beginn des Jahrtausends stand ABB am Abgrund Doch eine neue Fuumlhrungscrew fuumlhrte das Unternehmen aus der Krise sodass die Schweiz inzwischen wieder stolz sein kann auf ihren Industriemulti mit Sitz in Zuumlrich Oerli-kon 2013 erzielte ABB mit rund 148 000 Mitarbeitenden in 100 Laumlndern 42 Milliarden Dollar Umsatz Die renom-mierte US-Universitaumlt MIT zaumlhlt ABB zu den 50 innova-tivsten Unternehmen weltweit Dank 8 000 Ingenieuren in Forschung und Entwicklung und einem Forschungsetat von 15 Milliarden Dollar kann ABB selbst mit Giganten wie Siemens und General Electric mithalten

Innovationen die Technikfans begeisternWas ABB alles macht wissen wohl nur Technikfans Denn der Konzern hat uumlber 70 000 Produkte im Angebot Die 300 ABB-Fabriken liefern taumlglich 15 Millionen Kompo-nenten aus die zu elektrischen Einrichtungen oder in Pro-duktionssteuerungen verbaut werden Aus Kanada etwa kam juumlngst ein Grossauftrag uumlber 400 Millionen Dollar Erneuerbare Energie die auf Neufundland und Labrador gewonnen wird soll ab 2017 via Hochspannungskabel 360 Kilometer nach Westen fliessen um dort 350 000 Haumluser zu versorgen Weltweit gibt es erst 90 solche Gleichstromkabelverbindungen die meist unter der Erde oder auf dem Meeresgrund verlaufen ABB ist mit rund 50 Prozent Anteil Marktfuumlhrer Die futuristisch anmuten-de Technik in den abgeschirmten Hallen wo der Strom vor dem Transport auf Hochspannung transformiert wird erinnert an den Maschinenraum von Raumschiff Enter-prise Ein wichtiges Steuerungselement bilden dabei in Baden Daumlttwil entwickelte und in Lenzburg produzierte Spezialchips die Houmlchstspannung aushalten Neu entwi-

Der schweizerisch-schwedische Technikkonzern treibt an vor-derster Front die Energiewende voran Dafuumlr forscht man bei ABB intensiv zu erneuerbaren Energien schlauen Stromnetzen sowie hocheffizienten Industrieanlagen Einzig die schwache Nachfrage nach Energieanlagen in Europa bremst die ExpansionText Andreas Fluumltsch

Innovativer Treiber der Energiewende

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uumlber weite Strecken in die Ballungsraumlume geleitet werden muss brummt das Geschaumlft In den USA treibt der Oumll- und Gasboom die Nachfrage Nur in Europa harzt das Geschaumlft mit Grossanlagen Weniger Nachfrage belastet die Margen bei Auftraumlgen fuumlr Wind- und Solarfarmen so-wie fuumlr Netzinfrastruktur Die Risiken der oft mehrjaumlhrigen Projekte sind so hoch dass ABB waumlhlerischer sein muss und etwa das Geschaumlft mit Solarloumlsungen zurzeit auf Sparflamme betreibt Dennoch ist ABB immer noch hoch-profitabel nicht zuletzt da die Kosten Jahr fuumlr Jahr um 3 bis 5 Prozent gesenkt werden Aber der erfolgsgewohnte Konzern musste sich 2013 mit 6 Prozent Umsatzplus zu-friedengeben Umso intensiver treibt der neue ABB-Chef Ulrich Spiesshofer die Integration der vorab in den USA fuumlr 10 Milliarden Dollar getaumltigten Zukaumlufe voran Und Spiess-hofer forciert die Zusammenarbeit der Divisionen damit ABB die Unternehmensvision laquoEnergie und Produktivitaumlt fuumlr eine bessere Weltraquo mit moumlglichst vielen eigenen Pro-dukten realisieren kann

zur Leittechnik samt angepasster Software Kleine und mittlere Kunden ordern Komponenten oder Teilsysteme Ein wichtiges Verkaufsargument ist das Sparpotenzial von stufenlos steuerbaren Elektromotoren Nur einer von fuumlnf Motoren hat laut einer Erhebung des Bundes einen Leis-tungsregler der Rest laumluft auf Hochtouren und wird ndash man glaubt es kaum ndash bei Bedarf mit Klappen oder Ventilen mechanisch abgebremst Eine gigantische Verschwen-dung da Industriemotoren laut einer Studie der Schwei-zerischen Agentur fuumlr Energieeffizienz 27 Prozent des Schweizer Stromverbrauchs ausmachen

Europaumlische ZuruumlckhaltungEigentlich muumlsste die Division Energietechniksysteme ebenfalls ausgelastet sein Denn auch die Stromwirtschaft muss ihre Effizienz steigern Schliesslich erfordert die Energiewende einen Totalumbau der auf Verteilung ausge-richteten Netze damit diese unter der Last von Solar- und Windenergie nicht instabil werden Arbeit in Huumllle und Fuumllle fuumlr ABB sollte man meinen Doch der erst zaghafte Auf-schwung in Europa daumlmpft die Nachfrage Erschwerend kommt hinzu dass subventionierte Wind- und Solarener-gie in Europas liberalisiertem Strommarkt den Strompreis in ungeahnte Tiefen druumlckte Die Konkurrenzfaumlhigkeit von Wasser- Gas- und Atomkraftwerken hat gelitten Pump-speicher sind keine Goldesel mehr seit die erneuerbaren Energien die Preisspitzen brechen Entsprechend schie-ben Stromkonzerne wie Alpiq oder RWE Investitionen auf Unsicherheiten rund um den Atomausstieg belasten zu-saumltzlich Die voraussichtlich noch auf Jahre hinaus tiefen Strompreise schmaumllern auch die Faumlhigkeit der Besitzer von Hochspannungs- und Verteilnetzen deren Umruumlstung zu finanzieren hoch verschuldete EU-Staaten fahren die Foumlrderung von Wind- und Solarenergie zuruumlck

Straffe KostenkontrolleABB bekommt den Investitionsstau empfindlich zu spuuml-ren Die Division Energietechniksysteme schreibt seit eini-ger Zeit rote Zahlen Zwar ordern Grosskunden aus Asien und Lateinamerika weiterhin kraumlftig Neben China inves-tiert vermehrt auch Indien in neue Stromnetze Uumlberall dort wo die Bevoumllkerung rasch waumlchst oder der Strom

Andreas FluumltschAndreas Fluumltsch war urspruumlnglich Jurist und arbeitete ab 1983 als Journalist fuumlr laquoBlickraquo laquoWeltwocheraquo laquoBilanzraquo und laquoCashraquo Zwischen 1989 und 1990 war er Mitglied der Geschaumlftsleitung von Greenpeace Schweiz anschliessend Hausmann Nach der Ruumlck-kehr in den Journalismus 1992 arbeitete er bei laquoBlickraquo laquoSonntagszeitungraquo und laquoTages- Anzeigerraquo und absolvierte eine Ausbildung zum Boumlrsenhaumlndler Nach der Fruumlhpensio-nierung Ende 2013 machte er sich als Publi-zist selbststaumlndig

ABB in Zahlen (2013)Betriebsertrag 41 848 Mio USDBetriebsergebnis 4 387 Mio USDndash Industrieautomation 1 458 Mio USDndash Niederspannung 1 092 Mio USDndash Prozessautomation 990 Mio USDndash Energietechnik 1 331 Mio USDndash Energiesysteme 171 Mio USD

Mitarbeitende 147 700ndash davon in der Schweiz 6 966

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Hohe Nachfrage nach MinergieDer Erfolg der bisherigen Sparbemuumlhungen bleibt nicht aus laquoTrotz zunehmender Pro-Kopf-Wohnflaumlche und stei-gendem Komfort sinkt der Energieverbrauch fuumlrs Heizen in den letzten Jahrzehnten stetigraquo verkuumlndet der Zuumlrcher Regierungsrat im Energieplanungsbericht 2014 Dazu tra-gen nicht nur die laufend verschaumlrften Gesetze bei Ebenso wichtig ist die Bereitschaft von Bautraumlgerschaften freiwillig Uumlberdurchschnittliches zu leisten Vor allem die Minergie-Regeln werden inzwischen gerne befolgt weshalb Haumluser mit halbiertem Energieverbrauch beinahe Standard sind Schweizweit traumlgt eines von zehn neuen Wohnhaumlusern ein Minergie-Zertifikat Der Anteil an Minergie-Haumlusern im Grossraum Zuumlrich liegt gemaumlss einer Marktanalyse der Universitaumlt Zuumlrich bereits nahe bei 20 Prozent Dies ist privaten Hauseigentuumlmern und institutionellen Investoren zu verdanken Wohn- und Geschaumlftshaumluser mit houmlchster Energieeffizienz gehoumlren inzwischen zum guten Ton Den juumlngsten Beweis liefert eine Immobilienstiftung der Credit Suisse die 70 Millionen Franken in die groumlsste Oumlkosied-lung der Schweiz investiert Im Aargauer Reusstal wohnen seit diesem Jahr rund 200 Familien Paare und Singles deren Wohnhaumluser sich weitgehend selbst mit Sonnen-energie versorgen So klimafreundlich die Energiewende-Architektur ist der Investor erwartet dennoch marktuumlb-liche Renditen Ist der Markt aber bereit oumlkologisches Engagement angemessen zu honorieren

Marktpotenzial fruumlhzeitig erkanntDie Zuumlrcher Kantonalbank (ZKB) beziffert den Mehrwert von Minergie-Haumlusern auf 7 Prozent Kaumlufer seien bereit diesen Aufpreis fuumlr mehr Energieeffizienz zu bezahlen Als weitere Nebeneffekte nennt der vor drei Jahren publizierte ZKB-Bericht eine hochwertige dauerhafte Bausubstanz sowie die Absicherung gegen steigende Oumll- und Energie-preise Fachleute des Immobilienberatungsunternehmens Wuumlest amp Partner (WampP) warnen indes dass sich zusaumltz-liche Investitionen in die Energieeffizienz nicht uumlberall loh-nen laquoRegional schwankt die Zahlungsbereitschaft des Immobilienmarktsraquo praumlzisiert WampP-Partner Ivan Anton Minergie-Haumluser koumlnnen aber nicht nur in abgelegenen Regionen ein Marktrisiko werden laquoMit Ausnahme der

Beim Autokauf wird bevorzugt auf Pferdestaumlrken Be-schleunigung und Innenausstattung geachtet Der CO2-Ausstoss interessiert hingegen kaum So kommt die Energieeffizienz im Strassenverkehr nur stockend voran 1995 schluckten alle neu immatrikulierten Personen-wagen durchschnittlich 9 Liter Benzin pro 100 Kilometer 20 Jahre spaumlter liegt der Durchschnittsverbrauch gemaumlss Bundesamt fuumlr Energie (BFE) immer noch uumlber 6 Litern Das viel gepriesene laquoDrei-Liter-Autoraquo haben alle Hersteller wieder aus der Modellpalette genommen

Demgegenuumlber gelingen dem oft traumlge genannten Ge-baumludebereich weitaus groumlssere Effizienzspruumlnge Ver-brauchen 40 Jahre alte Haumluser im Schnitt 220 Kilowatt-stunden (kWh) Heizenergie pro Quadratmeter Wohnflaumlche und Jahr sind die aktuellen Werte unter die 50er-Marke gesunken Zusaumltzliche Sparerfolge sind nur eine Frage der Zeit Im Fruumlhsommer haben die kantonalen Energie-direktoren uumlber ein Rahmenabkommen beraten das Null-energieneubauten demnaumlchst zum Standard machen soll Wie die nationale Energiewende zu erreichen ist erklaumlrt Christoph Gmuumlr von der Abteilung Energie des Kantons Zuumlrich laquoDer spezifische Verbrauchswert ist zudem auf 35 kWh pro Quadratmeter zu senkenraquo Gebaumlude die sich mit umweltfreundlicher Energie selbst versorgen wollen auch die EU-Staaten Ab 2020 wird ein Gebaumludestandard eingefuumlhrt der nur noch laquoNiedrigstenergiegebaumluderaquo mit sehr hoher Energieeffizienz als Neubauten vorsieht

Energiesparhaumluser waren vor 30 Jahren Exoten inzwischen nimmt der Bereich der energie-effizienten Gebaumlude eine Vor-bildrolle fuumlr die Energie wende ein Bauherren profitieren davon ebenso wie die Zuliefer-branche Text Paul Knuumlsel

Expertensicht

Haumluser in der ersten Reihe

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der Bau von Niedrigenergiehaumlusern und alternativen Hei-zungsanlagen sowie energetische Gebaumludesanierungen Investitionen im Umfang von rund 4 Milliarden Franken ausgeloumlst rechnet der Bund vor laquoEin Fuumlnftel insgesamt 860 Millionen Franken stammt aus den oumlffentlichen Kas-senraquo verweist die BFE-Stelle EnergieSchweiz auf die Im-pulse der kantonalen Foumlrderprogramme Einen Wermuts-tropfen besitzt diese Wirkungsbilanz Fruumlhere Analysen der Energiesparprogramme zeigen naumlmlich dass zwi-schen einem Drittel und der Haumllfte der energetisch vorbild-lichen Gebaumlude auch ohne staatliche Foumlrderung realisiert worden waumlren Dem Mitnahmeeffekt ist auch die Eidge-noumlssische Steuerverwaltung auf der Spur Sie schaumltzt dass Bund und Kantonen jaumlhrlich 14 Milliarden Franken entgehen weil energetische Gebaumludesanierungen bei der Liegenschaftssteuer abzugsberechtigt sind Die Energie-wende erfordert nicht nur mehr Effizienz bei den Anwen-dungen sondern auch einen effizienten Einsatz staatlicher Mittel Im Energieplanungsbericht 2013 hat der Zuumlrcher Regierungsrat erstmals uumlber alternative Anreizsysteme nachgedacht Demnach soll eine Lenkungsabgabe den Energiekonsum reduzieren und das bisherige Foumlrdersys-tem abloumlsen Aumlhnliche Plaumlne verfolgt der Bund Denn ein Lenkungssystem duumlrfte weitere Sparbemuumlhungen im Ge-baumludebereich aber auch im Strassenverkehr foumlrdern Ins-besondere dann wenn Heizoumll und Benzin im Gleichschritt teurer werden

begehrten Wohnlagen haben Hauseigentuumlmer an vielen Orten mit moumlglichen Verkaufsverlusten zu rechnenraquo so Anton Zwar sei die Nachfrage bei Eigentuumlmern und Mie-tern aumlhnlich gross Aber auch Mieter wuumlrden nicht uumlberall mehr fuumlr eine energieeffiziente Wohnung bezahlen Kaum uumlberraschen darf daher dass Immobilieninvestoren immer haumlufiger die steigenden Energieanforderungen kritisieren und kostenguumlnstigere Baustandards vorziehen Fuumlr WampP-Berater Urs Hausmann ist laquonachhaltiges Bauen trotzdem keine Frage von Luxus oder Wohlstand sondern eine wie man mit Ressourcen umgehen willraquo Dass ein hohes Um-weltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauen Der Run auf den oumlkologischen Baustoff Holz laumlsst zum Beispiel eine gesamte Wertschoumlpfungskette und viele

innovative Unternehmen profitieren Forstbetriebe Sauml-gereien Fensterbauer Daumlmmstoffhersteller und andere Bauzulieferer vergroumlssern ihre Produktionskapazitaumlten und stellen zusaumltzliches Personal ein laquoDie Umsaumltze im Schweizer Holzbau sind in den letzten Jahren um mehrere Hundert Millionen Franken gestiegen und die Trendkurve zeigt weiter nach obenraquo freut sich Christoph Starck Di-rektor des Holzbaudachverbands Lignum

Einheimische Zulieferer als GewinnerAuch im Verein Minergie ist man sich bewusst dass sich energieeffizientes Bauen wirtschaftlich positiv auswirkt In den letzten 15 Jahren sind 25 000 Wohnhaumluser Buumlro-komplexe Schulbauten Sport- und Industriehallen mit Niedrig energiezertifikat entstanden Gemeinsam sparen sie 15 Milliarden Kilowattstunden Energie laquoUumlber 2 Milliar-den Franken wurden zusaumltzlich investiertraquo rechnet Miner-gie-Sprecher Antonio Milelli vor Anstatt fossile Brennstoffe einzukaufen wird mehr Geld fuumlr Daumlmmstoffe Isolierfenster Luumlftungsanlagen und Sonnenkollektoren aus inlaumlndischer Fabrikation ausgegeben Zwischen 2001 und 2012 haben

Paul KnuumlselPaul Knuumlsel studierte Umweltnaturwissen-schaften an der ETH Zuumlrich Er ist unabhaumln-giger Wissenschaftsjournalist und schreibt seit Jahren in Publikums- und Fachmedien uumlber die vielfaumlltigen Aspekte des nachhalti-gen Bauens Zusaumltzlich betreut er in der Re-daktion des laquoTEC21raquo das Ressort laquoEnergie und Umweltraquo

laquoDass ein hohes Umweltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren

derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauenraquo

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Der Wasserkraft Sorge tragen

Welchen Beitrag kann die Wasserwirtschaft zur Energie-wende leisten Roger Pfammatter Die Wasserkraft ist der energie-politische Trumpf der Schweiz Wir befinden uns in der gluumlcklichen Lage uumlber grosse Mengen Wasser und das notwendige Gefaumllle zu verfuumlgen ndash das sind die beiden wichtigsten Voraussetzungen fuumlr die hydroelektrische Produktion Und wir haben in den vergangenen 100 Jah-ren gelernt dieses Potenzial effizient und moumlglichst um-weltschonend zu nutzen Die Wasserkraft ist der Schluumls-sel fuumlr eine nachhaltige Energieversorgung technisch ausgereift politisch erwuumlnscht einheimisch erneuerbar und CO2-frei

Wie viel mehr ist moumlglichHeute leistet die Wasserkraft nicht nur rund 60 Prozent der Stromproduktion in der Schweiz sondern bietet auch unverzichtbare Regel- und Systemdienstleistungen die markant an Bedeutung gewinnen werden Vor allem bei der Flexibilisierung der Wasserkraft durch mehr Leistung und Speichervolumen waumlre noch einiges moumlglich Um die Aufgaben weiterhin zu gewaumlhrleisten muumlssen wir aber primaumlr dem Bestehenden Sorge tragen

Die Energiestrategie des Bundes gibt aber klare Ausbau-ziele vor Bis 2035 soll die Stromproduktion aus Wasser-kraft um 10 Prozent steigenUnter den momentanen Rahmenbedingungen ist dieses Ausbauziel nicht realistisch Im Gegenteil Aufgrund der Restwasserbestimmungen wird die Produktion in den naumlchsten Jahren vermutlich sogar zuruumlckgehen

Die Wasserkraft ist der wichtigste Pfeiler der Schweizer Ener-giewirtschaft ihr Potenzial ist aber weitgehend ausgeschoumlpft Roger Pfammatter Geschaumlftsfuumlhrer des Wasserwirtschaftsver-bands gibt im Interview Auskunft uumlber die Lage der Branche und ihre Bedeutung fuumlr die EnergiezukunftInterview Florian Wehrli

Expertensicht

Was muss sich aumlndern damit die vorgegebenen Ziele um-gesetzt werden koumlnnenZum einen braucht es dafuumlr die Akzeptanz der Umweltver-baumlnde der Fischer und letztlich der gesamten Bevoumllkerung Zum anderen muumlssen laumlngerfristig die extremen Marktver-zerrungen abgebaut werden damit sich auch Investitionen in die nicht gefoumlrderte Wasserkraft wieder lohnen Heute wird nur noch in subventionierte Anlagen investiert

Wer ist hier in der PflichtHier ist die Politik gefordert die Rahmenbedingungen zu verbessern Denn ohne die Wasserkraft kann die Energie-wende nicht gelingen

Anfang Jahr wurde der Wasserwirtschaftsverband von den zustaumlndigen Kommissionen angehoumlrt Welche Forderun-gen hat die Branche an das ParlamentWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerba-re Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichten die bereits bis zur Haumllfte der Geste-hungskosten ausmachen Damit sind wir doppelt diskrimi-niert Die Wasserkraft ist extrem unter Preisdruck ndash und dies obwohl sie mit Gestehungskosten zwischen 3 und 10 Rappen pro Kilowattstunde die effizienteste Strompro-duktionstechnologie ist Nur zum Vergleich Fotovoltaik -anlagen werden heute mit rund 40 Rappen subventioniert

Bis 2011 liess sich mit der Grosswasserkraft noch viel Geld verdienen Wurden zu wenige Ruumlcklagen fuumlr schlechte Zei-ten gebildet

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Es kann nicht der Sinn sein Ruumlcklagen fuumlr Zeiten zu bil-den in denen die Marktpreise die Gestehungskosten nicht mehr decken Das waumlre wie wenn ein Baumlcker auf jedem Gipfeli einige Rappen zuruumlckbehalten muumlsste damit er sie am naumlchsten Tag gratis abgeben kann Mit dem durch Subventionen verzerrten Marktpreis von 4 bis 5 Rappen pro Kilowattstunde ist unter den konventionellen Energie-traumlgern praktisch nur Kohle konkurrenzfaumlhig Das ist be-stimmt nicht im Sinn der Energiewende

Drei Grosswasserkraftprojekte sind heute bereits im Bau Koumlnnen die enormen Kosten uumlberhaupt amortisiert wer-denPrognosen sind schwierig An der europaumlischen Strom-boumlrse (EEX) werden bis 2020 Strompreise zwischen 45 und 53 Rappen pro Kilowattstunde gehandelt Der Markt glaubt also nicht an eine baldige Erholung Dafuumlr muumlsste das Uumlberangebot in Europa zuruumlckgehen etwa uumlber die Anhebung des CO2-Preises von heute 5 auf mindestens 30 Euro pro Tonne Politisch ist das aber kaum durchsetz-bar Neue Pumpspeicherwerke werden sich deshalb wohl erst in mehreren Jahrzehnten lohnen

Was kann die Kleinwasserkraft leistenOhne die kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) wuumlr-de niemand Kleinwasserkraftanlagen bauen genauso we-nig wie Fotovoltaik- Wind- oder Biomasseanlagen Zurzeit gibt es aber allein bei der Kleinwasserkraft rund 1 000 An-meldungen fuumlr Foumlrderbeitraumlge mit einem bescheidenen Ge-samtpotenzial von 33 Terawattstunden pro Jahr Die oumlko-logischen Auswirkungen sind im Vergleich zum Ertrag zu gross Obwohl wir von marktverzerrenden Foumlrderprogram-men wegkommen sollten waumlre es in einer Uumlbergangs phase sinnvoll die KEV-Obergrenze von 10 Mega watt aufzuheben und dort zu foumlrdern wo es wirklich etwas bringt

Wie soll die Grosswasserkraft unterstuumltzt werdenDas Sinnvollste waumlre die Abkehr von der Subventions-maschinerie ndash und zwar auf europaumlischer Ebene Dann wuumlrde sich die Wasserkraft als effiziente erneuerbare Stromproduktionsform mit Sicherheit durchsetzen Min-destens als Uumlbergangsloumlsung waumlre aber die Entlastung

von Abgaben in erster Linie vom Wasserzins dringend Der maximale Wasserzins wurde in den letzten vier Jahren um 38 Prozent erhoumlht und wird naumlchstes Jahr um weite-re 10 Prozent angehoben Diese Erhoumlhung wurde 2008 beschlossen und steht heute in keinerlei Bezug mehr zur Ertrags lage Kurzfristig koumlnnten die Kantone auf einen Teil dieser Zinsen verzichten ndash das waumlre ein wichtiges politi-sches Zeichen Langfristig muss ein neuer Modus fuumlr die Zinsberechnung gefunden werden der die Ertragslage der Wasserkraft mitberuumlcksichtigt Das ist auch im Interesse von Bund Kantonen und Gemeinden schliesslich ist die Wasserkraft zu 85 Prozent in oumlffentlicher Hand Ebenfalls als Uumlbergangsloumlsung bis zu besseren Marktpreisen waumlren zinsguumlnstige Darlehen fuumlr die noumltigen Investitionen in die Grosswasserkraft denkbar Ohne mindestens eine dieser Massnahmen kann die Wasserwirtschaft das geforderte Ausbauziel nicht erreichen

Bis dahin gibt es noch eine weitere Huumlrde den Heimfall der Stauanlagen an die Standortgemeinden Welchen Ein-fluss hat dieser UmstandWenn die Konzessionen nach 80 oder 100 Jahren aus-laufen muss der Betreiber der Gemeinde eine Entschaumldi-gung fuumlr den Restwert der Anlagen entrichten Im Fall der Staumauer Barberine bezahlen die SBB und Alpiq 2017 an sechs Walliser Gemeinden 343 Millionen Franken Das 400-Seelen-Dorf Finhaut erhaumllt alleine 112 Millionen Fran-ken und weiss kaum wohin mit dem Geld Der gesamte Wert des Heimfalls der Anlagen bewegt sich schweizweit im Milliardenbereich Der Houmlhepunkt des Heimfalls wird um 2035 erreicht werden Bis zu diesem Zeitpunkt soll aber auch ein Grossteil der geforderten Produktionsstei-gerung umgesetzt werden

Bei der Stromproduktion ist ein Ausbau von uumlber 10 Pro-zent wohl nicht realistisch Wie sieht es bei der Speicher-leistung aus Hier muss man unterscheiden zwischen kurzfristiger und saisonaler Speicherung Fuumlr die saisonale Speicherung verfuumlgt die Schweiz mit 200 Speicherseen uumlber ein Vo-lumen von rund 9 000 Gigawattstunden (GWh) die jedes Jahr vom Sommer in den Winter umgelagert werden Dies

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Expertensicht

entspricht einem Viertel der jaumlhrlichen Produktion aus Wasserkraft Das Ausbaupotenzial durch die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren betraumlgt rund 2 000 GWh Falls der Ausbau aber nicht gelingt entsteht im Winter durch den Ausfall der Kernenergie eine immer groumlssere Luumlcke an Bandenergie die durch den Import von Atom- oder Kohlestrom gedeckt werden muss

Wie sieht es beim Ausbau der Pumpleistung zum kurzfris-tigen Ausgleich von Schwankungen im Netz ausGrundsaumltzlich ist das Potenzial fuumlr Pumpspeicherwerke in der Schweiz riesig Es braucht nur zwei Seen auf unter-schiedlicher Houmlhe Die Frage ist ob sich solche Investi-tionen rechnen Die Pumpspeicherwerke finanzieren sich

uumlber den Preisunterschied zwischen Band- und Spitzen-energie Wenn an einem schoumlnen Sommertag in Europa mittags die geballte Ladung an Sonnen- und Windener-gie eingespeist wird koumlnnen die Pumpspeicherkraftwerke sehr guumlnstig oder sogar zu Negativpreisen Strom bezie-hen Man darf aber nicht vergessen dass dieselbe Situa-tion fuumlr die Laufwasserkraftwerke die rund die Haumllfte der Wasserkraftproduktion in der Schweiz ausmachen den gegenteiligen Effekt hat Diese koumlnnen aus technischen konzessionsrechtlichen oder oumlkologischen Gruumlnden nicht vom Netz genommen werden und muumlssen fuumlr ihre Strom-produktion bezahlen Das kann gehoumlrig ins Geld gehen An Weihnachten 2012 lag der Strompreis zum Beispiel bei minus 30 Rappen pro Kilowattstunde

Roger Pfammatter laquoWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerbare Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichtenraquo

Bild Florian Wehrli

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cherseen zur Flexibilisierung Damit das gelingt muss der Wert der Wasserkraft staumlrker im Bewusstsein der Bevoumllke-rung verankert sein Und nicht zuletzt muss der Marktpreis so weit uumlber den Gestehungskosten liegen dass sich In-vestitionen in die Wasserwirtschaft rentieren

Versuchen das Bestehende zu erhalten Diese Vision klingt etwas resigniertDas ist eine Frage der Perspektive Die Wasserkraft hat als Technologie in der Schweiz seit Langem Bestand Sie befindet sich in einer anderen Situation als Fotovoltaik und Windenergie die sich in einem hochdynamischen Umfeld mit grossem Potenzial in Forschung und Wachstum be-finden Die Wasserkraft ist dagegen nicht mehr in der Auf-bruchsphase sondern in der Konsolidierungsphase Da-fuumlr kann man sich auf die Wasserkraftwerke verlassen Sie produzieren bei Tag und in der Nacht im Sommer wie im Winter bei Windstille oder im Nebel Auch der Erhalt und die Optimierung des Bestehenden sind grosse Heraus-forderungen und bedingen grosse Investitionen

Sehen Sie eine Moumlglichkeit wie die Schweizer Wasser-wirtschaft in Zukunft Geld mit Systemdienstleistungen wie Netzstabilitaumlt verdienen kannDie unregelmaumlssig einspeisenden Stromproduzenten neh-men keinerlei Systemverantwortung wahr Ich habe selbst ein Solarpanel auf dem Dach Wenn Produktion moumlglich ist speise ich Strom ins Netz ein wenn nicht beziehe ich Die Produzenten mehr in die Verantwortung zu nehmen faumlnde ich sinnvoll ndash zum Beispiel uumlber Zertifikate fuumlr Spei-cherleistungen Diese koumlnnten bei Pumpspeicherwerken bezogen werden

Welcher Ausbau der Pumpspeicherleistung ist dafuumlr noumltigDie installierte Leistung betraumlgt heute rund 14 Gigawatt (GW) Mit den im Bau befindlichen und den geplanten An-lagen kann die Kapazitaumlt maximal auf 51 GW ausgebaut werden ndash etwa die Haumllfte der Jahreshoumlchstlast im Netz Damit die Schweizer Wasserkraft aber einen Beitrag zur Stabilitaumlt des europaumlischen Stromnetzes leisten kann muumlssten auch das Stauvolumen und die Leitungskapazi-taumlt erhoumlht werden Hier sind die Einsprachen von Anwoh-nern und Umweltverbaumlnden noch gravierender als bei den Anlagen selbst

Braucht es neue rechtliche Instrumente um den geplan-ten Ausbau durchsetzen zu koumlnnenEs braucht vor allem die Einsicht dass die Wasserkraft das Ruumlckgrat unserer Versorgungssicherheit ist und die Aus-wirkungen eines Ausbaus immer auch mit den Alternativen verglichen werden muumlssen Wir befinden uns aber auch in einem intensiv genutzten Land mit vielen Partikularinteres-sen Diese muumlssen gewichtet und abgewogen werden In der Abwaumlgung zwischen Landschaftsschutz und Wasser-nutzung waumlre es hilfreich wenn Grosswasserkraftanlagen den Status von nationalem Interesse erhalten

Wie soll die Schweizer Wasserwirtschaft im Jahr 2035 aussehenIch wuumlnsche mir dass die bestehende Infrastruktur auf dem heutigen Stand erhalten optimiert oumlkologisiert und im Idealfall etwas ausgebaut wird Dazu gehoumlren etwa die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren sowie neue Spei-

Roger PfammatterSeit seinem Ingenieurstudium an der ETH Zuumlrich hat er sich in ver-schiedenen Rollen dem Wasser verschrieben Nach sieben Lehr- und Wanderjahren in der Forschung und in der Entwicklungszusammen-arbeit war er zehn Jahre beim Ingenieurunternehmen Ernst Basler + Partner engagiert Seit 2010 ist er Geschaumlftsfuumlhrer des Schweizeri-schen Wasserwirtschaftsverbandes (SWV) und Herausgeber der Zeit-schrift laquoWasser Energie Luftraquo In diesen Funktionen setzt er sich ein fuumlr den Fachaustausch und gute Rahmenbedingungen in den Bereichen Wasserkraft und Hochwasserschutz

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Die globalen Energiemaumlrkte sind seit einigen Jahren stark in Bewegung Volatile Erdoumllpreise die Foumlrderung von un-konventionellen Gasvorkommen in grossem Stil die mas-sive Subventionierung von neuen erneuerbaren Energien in Deutschland der laquoarabische Fruumlhlingraquo und der Konflikt in der Ukraine hinterlassen Spuren Die Folge sind starke Verwerfungen an den Maumlrkten und fehlende Investitionssi-cherheit In diesem dynamischen und unsicheren Kontext will der Bund die bisherige Energiepolitik neu ausrichten ndash wahrlich eine Herkulesaufgabe Die Schweizer Wirtschaft verlangt dass der Bund bei der Neuausrichtung der Ener-giepolitik seinem in der Verfassung verankerten Auftrag nachkommt und sich fuumlr eine ausreichende sichere breit gefaumlcherte wirtschaftliche und umweltvertraumlgliche Ener-gieversorgung einsetzt Somit ist klar Die Energiestrate-gie 2050 muss in erheblichen Teilen optimiert und justiert werden Nur wenn vernetzt gedacht wird ist eine sichere Versorgung zu wettbewerbsfaumlhigen Preisen moumlglich

Prognosen klaffen weit auseinanderSeit Jahrzehnten bietet der Strommix aus Wasserkraft (knapp 60 Prozent) und Kernenergie (40 Prozent) Gewaumlhr fuumlr eine sichere klimafreundliche und wirtschaftliche Ener-gieversorgung Im Rahmen der Energiestrategie 2050 muss die Kernenergie langfristig ersetzt werden Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen zumal die Ziele des Bundes

Lebenselixier der Wirtschaft

Die Schweizer Wirtschaft ist auch in Zukunft auf eine sichere und wirtschaftliche Stromver-sorgung angewiesen Die Ener-giestrategie 2050 setzt stark auf Subventionen Dadurch entstehen Fehlanreize welche die Versorgungssicherheit ge-faumlhrdenText Kurt Lanz

Expertensicht

in Bezug auf das Potenzial der neuen erneuerbaren Ener-gien von Wunschdenken geleitet sind Die neuen erneuer-baren Energien werden sich langsamer entwickeln als an-gestrebt Der Bund rechnet mit rund 12 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2035 die Schweizer Wirtschaft mit 44 TWh Die vorsichtigeren Prognosen der Wirtschaft scheinen re-alistischer Dies zeigen exemplarisch die gescheiterten Geothermieprojekte in Basel und St Gallen Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Nachfrageprognosen Der Bund rechnet in seinen Szenarien mit einem Ruumlckgang des Stromverbrauchs pro Kopf von 16 Prozent zwischen 2000 und 2035 Die Schweizer Wirtschaft orientiert sich in ihren Szenarien am Verband Schweizerischer Elektrizitaumlts-unternehmen (VSE) der weiter mit einer steigenden Nach-frage rechnet Die Wirtschaft fordert von der Politik eine vernuumlnftige Planung aufgrund realistischer Schaumltzungen Die Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energiestrategie nicht gefaumlhrdet werden

Subventionen fuumlhren zu FehlanreizenDie Schweiz hat seit vielen Jahrzehnten erfolgreich die Wasserkraft vorangetrieben Aus politischen Gruumlnden wird nun die ndash unregelmaumlssige ndash Stromproduktion durch Sonnen- und Windenergie forciert Unsere sogenann-te kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) entspricht dem deutschen Foumlrdermodell Beide haben das gleiche Ziel Sie sollen erneuerbare Energien ausbauen indem sie neue Formen der Stromproduktion zur Marktreife brin-gen Weil das KEV-System die Sonnen- und Windenergie massiv foumlrdert kommt ein weiterer Ausbau der bewaumlhrten Wasserkraft nicht infrage Diese Entwicklung gefaumlhrdet die Versorgungssicherheit der Schweiz Auf den ersten Blick sinken zwar die Produktionskosten fuumlr Solarstrom gleich-zeitig steigen aber die Kosten fuumlr Speicherung und Inte-gration ins Netz spuumlrbar Auch ist der Ausbau von Solar- und Windenergie nur von beschraumlnktem Nutzen solange keine ausreichenden Speicherkapazitaumlten vorhanden sind Nur Preissignale koumlnnen das Investitionsverhalten von Stromproduzenten Netzbetreibern und Konsumen-ten sinnvoll lenken Subventionen sind zu beseitigen denn sie fuumlhren zu Fehlanreizen

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Alle Optionen offenhaltenOffenheit und Neugier gehoumlren zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft Kategorisches Abwehrverhalten und Denkverbote verhindern konstruktive Loumlsungsansaumltze und Innovation Eine sichere und kostenguumlnstige Strom-versorgung kann auch in Zukunft nur mit der notwendi-gen Offenheit gegenuumlber allen Technologien und Energie-

systemen garantiert werden Die Schweiz ist dank einer erfolgreichen Hochschulland-schaft und vielen Technolo-gieunternehmen gut geruumlstet Die verschiedenen Energie-systeme muumlssen faktenba-siert und ohne ideologische

Scheuklappen verglichen werden Nur so koumlnnen effizi-ente und umweltvertraumlgliche Loumlsungen gefunden werden Das heutige System der Foumlrderung der neuen erneuer-baren Energien ist durch ein marktorientiertes System ab-zuloumlsen Produzenten die nachfragegerecht einspeisen sollen eine houmlhere Verguumltung erhalten als andere Auch soll der Vorrang der Netzeinspeisung fuumlr subventionierte Energietraumlger aufgehoben werden

laquoDie Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit

des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energie strategie nicht

gefaumlhrdet werdenraquo

Schnellere Verfahren anstrebenGrundvoraussetzung fuumlr eine Neuausrichtung der Ener-giepolitik sind funktionierende Stromnetze Diese muumls-sen zwingend parallel zum Umbau der Stromproduktion weiterentwickelt werden Allein der noumltige Ausbau der Uumlbertragungsnetze belaumluft sich auf rund 1 000 Kilometer bis ins Jahr 2020 Erforderlich sind zudem Investitionen in alle Verteilernetzebenen Al-lerdings verzoumlgern komplizier-te Verfahren auf Kantons- und Bundesebene den Ausbau Ausserdem erwaumlchst praktisch jedem Projekt Widerstand von privater Seite was zu weiteren Verzoumlgerungen fuumlhrt Die Wirt-schaft fordert deshalb Bei Bewilligungen von Stromnetzen ist der Gang vors Bundesgericht nur noch bei Grundsatz-fragen moumlglich Umbauten sowie Spannungs- und Kapa-zitaumltserweiterungen koumlnnen ohne Planungsgenehmigung realisiert werden Ausserdem sind die Verfahren bei einer einzigen Leitbehoumlrde anzusiedeln

Spielfeld erweiternDie Schweiz ist seit jeher ein wichtiges Stromtransitland Schon seit den 90er-Jahren treibt die EU die Vereinheitli-chung des Binnenmarkts fuumlr Strom hin zu einem eigent-lichen EU-Strommarkt voran In der Schweiz erweist sich die gesetzliche Trennung von Grundversorgung und Markt diesbezuumlglich zunehmend als Hindernis Aus Sicht der Wirtschaft ist die vollstaumlndige Liberalisierung des Strom-markts eine zwingende Voraussetzung fuumlr eine erfolgrei-che energiepolitische Neuausrichtung

Eine Marktoumlffnung wuumlrde insbesondere auch den erneuer-baren Energien neue Chancen eroumlffnen und Zugang zu neuen Kunden gewaumlhren Von hoher Wichtigkeit ist auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU Je groumlsser der Anteil erneuerbarer Energien umso wichtiger ist die Einbettung in Europa denn Investitionen in Netze und Produktion koumlnnen in Koordination mit der EU wirkungsvoller und wahrscheinlich kostenguumlnstiger getaumltigt werden

Kurt LanzKurt Lanz ist Leiter Infrastruktur Energie und Umwelt sowie Geschaumlftsleitungsmitglied von economiesuisse dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft

Gut vernetzt ndash Vorschlaumlge der Schweizer Wirtschaftzur EnergiepolitikDie Publikation basiert auf der Grundlagenarbeit der breit abgestuumltz-ten Energiekommission von economiesuisse und macht konstruk-tive Vorschlaumlge fuumlr einen erfolgreichen energiepolitischen Weg der Schweiz Download unter wwweconomiesuissech

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

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Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

wwwsmlzhawch

Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 22: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

22 COMPETENCE | 2014

Hochschulperspektive

Reduktion der Emissionen gegenuumlber einer Referenzent-wicklung fuumlhren dem sogenannten Business-as-usual-Szenario Doch die Abschaumltzung dieses Szenarios also der Entwicklung der Emissionen ohne Mengenbegren-zung ist schwierig wie die nachfolgenden Ausfuumlhrungen zum Emissionshandel in der EU zeigen

Der Emissionshandel in der EUDas EU-EHS ist der weltweit groumlsste Markt von Emissions-rechten Alle 28 EU-Staaten sowie Liechtenstein Island und Norwegen sind daran beteiligt Die Schweiz wuumlrde sich gerne anschliessen Das EU-EHS leidet seit seiner Einfuumlhrung im Jahr 2005 unter einem Uumlberangebot das sich mittlerweile auf rund 2 Milliarden Emissionsrechte be-laumluft Dies entspricht ungefaumlhr den vom System regulierten Emissionen eines Jahres Neben den unvorhergesehenen oumlkonomischen Entwicklungen durch die globale Finanz-krise traumlgt auch der starke Zubau an erneuer baren Ener-gien zu einem houmlheren Ruumlckgang der Emissio nen bei als geplant Der Hauptgrund fuumlr den derzeitigen Uumlberschuss liegt jedoch darin dass die regulierten Unternehmen ne-ben den Europaumlischen Emissionsrechten ndash European Union Allowances (EUAs) ndash auch auslaumlndische Emissions-minderungszertifikate ndash Certified Emission Reductions (CERs) ndash zu einem bestimmten Anteil anrechnen koumlnnen Mit dem sogenannten Clean Development Mechanism (CDM) koumlnnen Industrienationen in Entwicklungslaumlndern emissionsmindernde Projekte finanzieren und sich die da-bei entstehenden THGE-Reduktionen mithilfe von CERs anrechnen lassen

Durch diese verschiedenen Faktoren hat sich ein Uumlberan-gebot entwickelt das den Preis der EUAs und CERs stark sinken liess Der Preis belaumluft sich derzeit auf rund fuumlnf Euro pro EUA Die bisherigen Reformanstrengungen wie etwa das sogenannte Backloading das Verschieben von Auktionen in spaumltere Jahre um die Menge zu verknappen haben bisher kaum zu einer Preiserhoumlhung gefuumlhrt

Die Schweiz als PreishochburgDer Schweizer Markt wuumlrde bei einem Zusammen-schluss nur rund 03 Prozent des EU-EHS ausmachen

Die Schweiz wuumlrde somit als Preisnehmerin agieren Das heisst der EU-Preis sollte auch in der Schweiz gelten Umso erstaunlicher ist es daher dass der Schweizer Preis pro Emissionsrecht derzeit bei rund 40 Franken liegt ob-wohl die Verbindung des Schweizer EHS mit dem EU-EHS geplant ist (sogenanntes Linking) Das auf der Basis des revidierten CO2-Gesetzes von 2012 und der CO2-Verord-nung verabschiedete System das den Emissionshandel am 1 Januar 2013 fuumlr 38 Unternehmen beziehungsweise 55 Anlagen in der Schweiz verbindlich eingefuumlhrt hat uumlber-nimmt weitestgehend die Regeln des EU-EHS Das neue System hat das bisherige freiwillige EHS in der Schweiz abgeloumlst Die im EHS erfassten Unternehmen sind von der CO2-Abgabe befreit Die hohe Kompatibilitaumlt des Schwei-zer EHS und des EU-EHS sollte ein schnelles Linking er-moumlglichen wobei die Verhandlungen durch die Annahme der Einwanderungsinitiative zum Stillstand gekommen sind Ein moumlglicher Erklaumlrungsansatz ist daher dass der hohe Preisunterschied die derzeitige Unsicherheit uumlber den Ausgang der Linking-Verhandlungen widerspiegelt Gehen die Schweizer Unternehmen davon aus dass kein Linking stattfindet sollte sich der Preis anhand der Minderungs-kosten und der Knappheit im Schweizer EHS bilden Fuumlr die Unternehmen ist es immer noch guumlnstiger den der-zeitigen Preis von 40 Franken fuumlr die Emissionsrechte zu bezahlen als eine Busse von 125 Franken pro fehlendes Emissionsrecht Zusaumltzlich zur Busse ist das Unternehmen verpflichtet die fehlenden Rechte im naumlchsten Jahr nach-zureichen Auch hier hat sich die Schweiz stark am EU-EHS orientiert bei dem die Busse bei 100 Euro pro EUA plus Wiedergutmachung liegt

Allokation beeinflusst den WettbewerbDie Gesamtmenge an Emissionsrechten (Cap) leitet sich aus den historischen Emissionen der teilnehmenden EHS-Unternehmen ab Fuumlr bestehende Anlagen die bereits vor 2013 am EHS in der Schweiz beteiligt waren setzt sie sich aus der Summe der durchschnittlich zugeteilten Emis-sionsrechte der ersten Verpflichtungsperiode (2008 bis 2012) zusammen fuumlr Anlagen die 2013 hinzukommen aus der Summe der durchschnittlichen Emissionen der

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fuumlr neue Anlagen in einer Reserve zuruumlckbehalten deren Uumlberschuumlsse zweimal jaumlhrlich versteigert werden Die Zu-teilung der Emissionsrechte hat etwas laumlnger gedauert so-dass sie in der Schweiz fuumlr die Jahre 2013 und 2014 erst im Februar 2014 erfolgte Das mag auch einer der Gruumlnde sein dass bisher kein Handel auf dem Sekundaumlrmarkt fuumlr den die Berner Kantonalbank eine eigene Emissions-handelsplattform bereitgestellt hat stattgefunden hat Das erste Preissignal war deshalb die Auktion der Uumlberschuumls-se aus der Neuemittentenreserve Diese fand vom 14 bis 21 Mai 2014 statt und erzielte fuumlr die 150 000 Emissions-rechte einen Preis von 4025 Franken pro Emissionsrecht

Wie sich die Liquiditaumlt im Schweizer Markt in Zukunft ent-wickeln wird und ob ein Linking mit dem EU-EHS und so-mit eine Angleichung der Schweizer Preise an die EU-EHS-Preise stattfinden wird bleibt abzuwarten Letzteres waumlre zwar aus oumlkonomischer Sicht zu begruumlssen da ein groumls-serer liquider Markt mit einheitlichem Preissignal als effizi-enter bewertet wird Aus oumlkologischer Sicht scheint jedoch ein Linking der Systeme ohne weitere Reformen des EU-EHS nicht wuumlnschenswert da es die Minderungsanreize in der Schweiz als Folge des Angebotsuumlberschusses an Emissionsrechten in der EU massiv reduzieren wuumlrde

Jahre 2009 bis 2011 Diese Summe wird jaumlhrlich um 174 Prozent reduziert analog der Regelung im EU-EHS

Neben der Festlegung der Obergrenze ist die Ausgestal-tung der Zuteilungsregeln politisch am schwierigsten da diese Verteilungswirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussen Bis 2012 wurden die Emissionsrechte in der EU daher groumlsstenteils kostenlos zugeteilt Seit 2013 werden rund 48 Prozent der Emissionsrechte versteigert wobei diese vor allem von Elektrizitaumltsfirmen gekauft wer-den muumlssen Da diese nicht im internationalen Wettbewerb

stehen konnten sie den Preis der gratis erhaltenen Emis-sionsrechte an die Elektrizitaumltskonsumenten weitergege-ben und hohe Gewinne erzielen Unternehmen aus Sek-toren die im internationalen Wettbewerb stehen koumlnnen hingegen die Kosten fuumlr die Emissionsrechte nicht an ihre Endkunden weitergeben ohne betraumlchtliche Nachteile in Kauf zu nehmen Es besteht daher das Risiko dass diese Firmen in Laumlnder ohne Klimapolitik abwandern Um dieses Risiko zu senken erhalten Unternehmen bei denen ein Risiko auf Abwanderung besteht auch in Zukunft weitest-gehend kostenlos Emissionsrechte zugeteilt Die Zuteilung basiert dabei auf sogenannten Benchmarks (Tonne Koh-lendioxid pro Tonne Produkt) die auf der Basis der effizi-entesten 10 Prozent der Unternehmen berechnet und mit historischen Produktionsdaten multipliziert werden

Noch kein Handel in der SchweizDie Schweiz hat die Benchmarks des EU-EHS uumlbernom-men Da in der Schweiz vor allem stark im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen aus den Sektoren Zement Papier Chemie Stahl und Raffinerien unter den Emissionshandel fallen werden fast alle Emissionsrechte kostenlos zugeteilt Ein kleiner Anteil von 5 Prozent wird

Regina BetzDr Regina Betz ist Dozentin fuumlr Energie- und Umweltoumlkonomie an der ZHAW School of Management and Law Seit 2014 leitet sie den volkswirtschaftlichen Teil der Ener-gy Policy Analysis Group des Zentrums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht das Mitglied des Schweizer Competence Centers for Research in Energy Society and Transition (CREST) ist Zuvor lehrte sie an der University of New South Wales Australia Umwelt- und Klimaoumlkonomie und leitete als Co-Direktorin das Centre for Energy and Environmental Markets (CEEM) 1998 bis 2004 arbeitete sie als Wissenschaftlerin am Fraunhofer-Institut fuumlr System- und Innovationsforschung ISI in Deutschland

laquoNeben der Festlegung der Ober grenze ist die Ausgestaltung der Zuteilungsregeln politisch am

schwierigsten da diese Verteilungs wirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussenraquo

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nicht vollstaumlndig genutzt werden kann In der Energiestra-tegie des Bundes ist gemaumlss einem Szenario bis 2050 ein Zubau auf knapp 12 TWh pro Jahr Stromproduktion aus Fotovoltaik angedacht Dies bedingt den Bau von Fotovol-taikanlagen mit einer installierten Spitzenleistung von etwa 12 Gigawattpeak (GWp) und einem Flaumlchenbedarf von rund 84 000 000 Quadratmetern Dieser Flaumlchenbedarf ist auf den bestehenden Daumlchern in der Schweiz verfuumlgbar

An einem schoumlnen Sommertag koumlnnen diese Anlagen dann also etwa 12 GW erzeugen die maximale Ver-brauchslast liegt im Sommer aber nur bei rund 8 GW Es entsteht ein Uumlberschuss von 4 GW die Speicherleistung der Schweizer Pumpspeicheranlagen betraumlgt heute aber nur 15 GW 25 GW Leistung koumlnnen in diesem Szenario also gar nicht genutzt werden An einem Wintertag mit Hochnebel erzeugen diese Anlagen uumlberhaupt keinen Strom die Verbrauchslast liegt aber mit 10 GW noch houml-her als im Sommer Hier entsteht eine Luumlcke die mit ande-ren Energieformen oder Importen gedeckt werden muss

Speichern uumlbertragen oder einsparenUm diesem Problem zu begegnen gibt es verschiedene Loumlsungsansaumltze Ein Ansatz ist die Energie lokal dort zu speichern wo sie erzeugt aber nicht sofort verbraucht werden kann In diesem Fall werden in erster Linie viele kleine Speichermodule benoumltigt die sowohl fuumlr kurz- als auch langfristigen Ausgleich sorgen muumlssen Eine andere Moumlglichkeit ist es die Energie an Orte zu uumlbertragen wo sie sofort verbraucht wird dann muss in erster Linie das Netz ausgebaut werden Schliesslich koumlnnte Energie auch zentral zu grossen Speichern transportiert werden was sowohl einen Netzausbau als auch neue Speichertechno-logien bedingen wuumlrde

Als die Gesellschaft noch aus Jaumlgern und Sammlern be-stand verbrauchte der Mensch seine Energie lokal dort wo er sie benoumltigte Er lebte von der Hand in den Mund Im Zuge der aufkommenden Landwirtschaft musste er Methoden entwickeln um Nahrung haltbar zu machen und sie zu transportieren Vor demselben Problem steht heute die Energiewirtschaft Ort und Zeit der erneuerbaren Energieerzeugung korrelieren je laumlnger je weniger mit dem Verbrauch Die Herausforderung der Energiewende ist deshalb nicht nur die Produktion selbst sondern auch die Uumlbertragung die Speicherung und das lokale Verbrauchs-last-Management

Saisonale Speicherung problematischMit dem Ausstieg aus der Kernenergie muumlssen in der Schweiz etwa 40 Prozent der produzierten elektrischen Energie ersetzt werden also rund 23 Terawattstunden (TWh) pro Jahr Im Gegensatz zur Kernenergie haben die neuen erneuerbaren Energien den Nachteil dass ihre Pro-duktion nicht steuerbar ist und unregelmaumlssig anfaumlllt Der Kapazitaumltsfaktor also das Verhaumlltnis von durchschnittlicher zu maximaler Leistung betraumlgt bei konventionellen Kraft-werken bis zu 100 Prozent bei Fotovoltaikanlagen dage-gen nur etwa 10 Prozent Hinzu kommen die starken saiso-nalen Schwankungen dieser stochastisch erzeugenden Energiequellen Im Winter liegt die Stromverbrauchsspitze mit circa 10 Gigawatt (GW) rund ein Drittel houmlher als im Sommer gleichzeitig liefern Fotovoltaikanlagen aufgrund des flacheren Einstrahlungswinkels und der kuumlrzeren Son-nenscheindauer wesentlich weniger Strom als im Sommer

Anhand eines Gedankenexperiments laumlsst sich veran-schaulichen dass das Potenzial der neuen erneuerbaren Energien ohne zusaumltzliche Speicher oder steuerbare Lasten

Energie haltbar machen

Der Ausbau von erneuerbaren Energiequellen geht so schnell voran dass Speicher- und Uumlbertragungstechnologien kaum mithalten koumlnnen Um Produktionsspitzen zu glaumltten braucht es Fortschritte in der EnergietechnikText Petr Korba

Hochschulperspektive

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Petr KorbaProf Dr Petr Korba ist Dozent und Fach-gruppenleiter fuumlr elektrische Energietechnik und Smart Grids an der ZHAW School of En-gineering Zuvor forschte er uumlber zehn Jahre bei ABB Schweiz in den Bereichen Automa-tion Energie- und Regelungstechnik

Scherrer Institut an der Power2Gas-Technologie Dabei wird Kohlendioxid mit Strom aus erneuerbaren Quellen durch Elektrolyse zu Wasserstoff oder weiter zu Methan verarbeitet Aumlhnlich wie bei der Nahrungsmittelproduktion wo Staumlrke schliesslich als raffinierter Zucker gespeichert wird gibt es auch bei der Stromspeicherung immer raffi-niertere Formen Bei jeder Umwandlung geht aber Energie verloren Man muss sich also gut uumlberlegen ob man uumlber-haupt speichern will und wenn ja uumlber welchen Zeitraum

Mit der wachsenden Integration von erneuerbaren Energi-en steigen auch die Anforderungen an die Energietechnik Unser kuumlnftiges Energiesystem wird staumlrker automatisiert und intelligenter sein Um erneuerbare Energiequellen zu integrieren werden Informations- und Kommunikations-technologien Automatisierungs- und Regelungstechnik Signalverarbeitung oder Wettervorhersagen immer wich-tiger In den intelligenten Stromnetzen der Zukunft wer-den alle beteiligten Komponenten Daten wie den aktuellen Verbrauch verfuumlgbare Strommengen oder lokale Aus-faumllle melden und gleichzeitig solche Daten aus anderen Netzkomponenten empfangen Das daraus resultierende Smart Grid ist ein Gefuumlge das selbststaumlndig auf diese Ein-fluumlsse reagiert und seine eigene Effizienz optimiert Es gilt Energie effizienter zu uumlbertragen um raumlumliche Distanzen zu uumlberwinden und neue Speichertechnologien zu entwi-ckeln um zeitliche Engpaumlsse zu uumlberbruumlcken Elektrische Energie kann auf verschiedene Arten erzeugt gespei-chert und uumlbertragen werden Jede Art hat ihre Vor- und Nachteile und ihren Preis Anreize aus der Politik werden schliesslich entscheiden welche Formen dies in der Zu-kunft sein werden

Auf der Verbraucherseite laumlsst sich die Nutzlast durch ge-eignetes Last-Management anpassen Diese Steuerung schaltet verbrauchsintensive Anlagen in Unternehmen gewerblichen Betrieben und Haushalten gezielt dann ein wenn die Stromtarife guumlnstig sind Es duumlrfte aber schwie-rig sein der Bevoumllkerung vorzuschreiben wann sie zum Beispiel fernsehen oder kochen darf Eine intelligente Re-gelung von grossen Kuumlhlhaumlusern stoumlrt dagegen nieman-den Trotz solchen Bestrebungen geht die International Energy Agency (IEA) davon aus dass der Stromverbrauch weltweit jaumlhrlich um rund 1 Prozent zunimmt Diese Ten-denz verstaumlrkt sich voraussichtlich noch falls sich der Bereich Mobilitaumlt von fossilen Energietraumlgern hin zur Elek-tromobilitaumlt verschieben wird Die Geschichte hat gezeigt dass der Energieverbrauch eigentlich nur in Krisenzeiten zuruumlckgeht

Klar ist jedenfalls dass der Ausbau von Speichern und Netzen Hand in Hand mit der zunehmenden Integration von erneuerbaren Energiequellen erfolgen muss Auf unter-schiedlichen Netzebenen kommen unterschiedliche Spei-chertechnologien zum Einsatz Waumlhrend fuumlr Haushalte mit kleinen Fotovoltaikanlagen und im Niederspannungsnetz bereits Batteriespeicher vorhanden sind stossen diese bei mehr als einer Windturbine oder groumlsseren Solarparks schnell an ihre Grenzen Das groumlsste Batterieenergie-speichersystem der Schweiz betreiben die Elektrizitaumlts-werke des Kantons Zuumlrich in Dietikon Es hat 1 Megawatt (MW) maximale Speicherleistung und kann diese waumlhrend ungefaumlhr 15 Minuten abgeben respektive speichern Die Spitzenlast im Schweizer Hochspannungsnetz liegt aber bei 8 GW im Sommer und 10 GW im Winter Die Schwei-zer Pumpspeicherkraftwerke koumlnnen unseren Strombe-darf nur etwa einen Monat lang decken Das europaumlische Hochspannungsnetz verfuumlgt uumlber eine Spitzenlast von circa 500 GW Um die Leistung von Grosskraftwerken wie Offshore-Windparks langfristig zu speichern braucht es neue Technologien

Raffinierte EnergiespeicherungDafuumlr forscht die ZHAW School of Engineering gemein-sam mit der ETH Zuumlrich der EPF Lausanne und dem Paul

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Hochschulperspektive

Dissonanz an der Steckdose

Mit der Energiestrategie 2050 haben Bundesrat und Parla-ment eine Kehrtwende in der Schweizer Energiepolitik ein-gelaumlutet der die wichtigsten politischen Huumlrden erst noch bevorstehen Auf den ersten Blick scheint der Kurswechsel breit abgestuumltzt Seit dem Reaktorunfall in Fukushima fuumlh-ren Umfragen immer wieder zum gleichen Ergebnis Der langfristige Ausstieg aus der Kernenergie findet eine Mehr-heit Im Grundsatz stossen erneuerbare Energien sowie Massnahmen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz auf hohe Zustimmung Was fuumlr den Stimmzettel gilt beeinflusst aber nicht automatisch das Konsum- und Investitionsverhalten der Energiekunden Die Bereitschaft aus eigenem Antrieb mehr fuumlr ein oumlkologisch houmlherwertiges Produkt aus neuen erneuerbaren Energietraumlgern zu bezahlen ist beschraumlnkt Nur wenige Haushalte sind zudem bereit ihren Energie- und insbesondere ihren Stromkonsum zu reduzieren wenn dies mit nicht amortisierbaren Investitionskosten oder einem moumlglichen Komfortverlust verbunden ist

Mit anderen Worten Effizienz wird als teuer und Suffizienz als bevormundend empfunden Die private Zahlungsbereit-schaft laumlsst sich zwar mit regulatorischen Interventionen wie fixen Einspeiseverguumltungen oder Investitionssubven-tionen in Effizienzmassnahmen etwas erhoumlhen Doch die Erfahrungen in Deutschland und der Schweiz zeigen dass solche Massnahmen oumlkonomisch ineffizient sind und oft als ungerecht empfunden werden Sie koumlnnen damit zum Bumerang fuumlr die Akzeptanz der energiepolitischen Ziele werden Neben den politischen Huumlrden ist somit auch die kognitive Huumlrde der Konsumenten zu beruumlcksichtigen De-ren Uumlberwindung bedarf zuerst einer differenzierten Analyse der Ursachen und danach der Entwicklung innovativer Ver-triebsmodelle und Produkte auf Versorgerseite

Eine Mehrheit der Bevoumllkerung unterstuumltzt den Ausstieg aus der Kernenergie doch nur wenige beziehen ein oumlkologisches Stromprodukt Warum das so ist und wie sich diese Dissonanz aufloumlsen laumlsst beschaumlftigt derzeit viele EnergieversorgerText Claudio Cometta

Indifferenz uumlberwiegtFuumlr viele Konsumenten ist die Strom- Gas- oder Fern-waumlrmerechnung ein verhaumlltnismaumlssig kleiner Posten im Haushaltsbudget dem wenig Beachtung geschenkt wird Die Schweiz ist sogar einer der Spitzenreiter in Europa machen die Stromkosten im Durchschnitt doch nicht mehr als 2 Prozent der Haushaltsausgaben aus Wenig Beachtung bedeutet auch wenig Kenntnis des Preises und der Menge der bezogenen Energieleistung oder der Zusammensetzung des Tarifs aus Energiekosten Netz-kosten und Abgaben Entsprechend besteht nur ein ge-ringes Interesse Energie und damit Kosten zu sparen Konsumentenbefragungen zeigen zudem dass nur eine kleine Minderheit der Kunden die Zusammensetzung ihres Stromprodukts nach Energietraumlgern kennt Die geringen Kosten und Unkenntnis des Produkts verhindern also die Wahl anderer Stromprodukte Strom ist ein klassisches Commodity-Produkt Man kann ihn weder sehen noch riechen Er ist verhaumlltnismaumlssig guumlnstig immer verfuumlgbar und aumlndert in keinerlei Hinsicht seine Eigenschaften wenn dafuumlr mehr bezahlt wird Zudem ist meist nicht sichtbar wer wie viel von welchem Produkt bezieht Der Strom-konsum ist Privatsache

Uumlberwindung durch VertriebsmodelleDie Vorgaben der Energiestrategie 2050 beinhalten nicht nur einen massiven Zubau der Produktionskapazitaumlt aus erneuerbaren Energietraumlgern sondern auch die kon-tinuierliche Reduktion des Energie- und insbesondere des Stromkonsums pro Kopf Die direkte Finanzierung der dazu notwendigen Investitionsvorhaben scheint an-gesichts der Indifferenz auf Konsumentenseite jedoch schwierig Aus diesem Grund sind mehrere Schweizer

27COMPETENCE | 2014

rund um Haushaltstechnik Sicherheit Pflege oder Kom-munikation sowie ein geschicktes Marketing mit Elemen-ten der sozialen Kontrolle Denkbar sind auch Anreize die keinen direkten Zusammenhang mit dem Energiekonsum aufweisen aber fuumlr breite Bevoumllkerungsgruppen attrak-tiv sind So haben etwa einzelne skandinavische Versor-ger damit begonnen energiesparendes Verhalten ihrer Kunden mit Verguumlnstigungen fuumlr die Nutzung oumlffentlicher Transportmittel zu belohnen

Uumlberwindung durch PartizipationDie wohl wirkungsvollste Massnahme zur Uumlberwindung der Dissonanz an der Steckdose ist bereits inhaumlrent in der Transformation des Energiesystems hin zu einer staumlrker dezentralen Erzeugung angelegt Kunden entwi-ckeln sich von passiven Leistungsempfaumlngern zu aktiven Leistungserbringern sogenannten Prosumern Als Klein-produzenten von Strom mit einer hauseigenen Fotovol-taikanlage oder thermischer Speicherleistung mit Kraft-Waumlrme-Kopplungsanlagen im Mikroformat werden sie mittelfristig wesentlich zum Umbau des Energiesystems und zu den Zielen der Energiestrategie beitragen koumlnnen Eine nicht ganz unbedeutende Rolle koumlnnten in Zukunft sogenannte Buumlrgerbeteiligungsmodelle fuumlr die Finanzie-rung neuer In frastrukturprojekte spielen Diese wuumlrden gleichzeitig die Akzeptanz sichtbarer Produktionsanlagen von neuen erneuerbaren Energien erhoumlhen Doch erst wenn das Produkt Strom nicht mehr als reines Commodity-Produkt wahrgenommen wird werden politische Meinung und Konsumverhalten bei einer Mehrheit der Stimmbuumlrger uumlbereinstimmen

Energieversoger in letzter Zeit dazu uumlbergegangen soge-nannte Default-Modelle einzufuumlhren die Stromprodukte aus erneuerbaren Quellen zum neuen Standard erheben Dabei macht man sich die Traumlgheit der Kunden zunutze indem die Wahl eines Stromprodukts aus nicht erneuer-baren Energietraumlgern als Option definiert wird die aktiv bestellt werden muss

Nicht zuletzt aufgrund solcher Modelle ist die Zahl der Schweizer Haushalte die ein Stromprodukt aus aus-schliesslich erneuerbaren Energien beziehen auf uumlber 25 Prozent gestiegen Doch weitere Vertriebsinnovationen werden notwendig sein etwa um der Herausforderung der Einspeisung von Strom aus fluktuierend nutzbaren Quellen (Solar- und Windenergie) in die Verteilnetze gewachsen zu sein die immer staumlrker ins Gewicht faumlllt In der Folge gilt es Investitionen in Netz- und Speichersysteme zu finan-zieren In innovativen Vertriebsmodellen welche dieser Herausforderung gerecht werden erhaumllt das Konsumver-halten einen Wert Zeitliche Flexibilitaumlt wird belohnt durch Tarifreduktion Bonus oder Vermeidung einer Gebuumlhr Wie diese beiden Beispiele zeigen laumlsst sich der Mehrwert von vermeintlichen Commodity-Produkten durch neue Vertriebsmodelle abschoumlpfen und als marktwirtschaftlich vertraumlglicher Finanzierungsmechanismus fuumlr neue Infra-strukturvorhaben im Energiesektor nutzen

Uumlberwindung durch innovative ProdukteNoch groumlsseres Potenzial birgt die Weiterentwicklung von Stromprodukten zu Leistungssystemen die fuumlr Energie-kunden einen echten Mehrwert bieten Hierzu gehoumlrt die Verknuumlpfung des Kernprodukts Strom mit Dienstleistun-gen die den Kunden ein transparenteres Verbrauchsver-halten sowie Kostenoptimierung ermoumlglichen Intelligente Stromzaumlhler sogenannte Smart Meter kombiniert mit fle-xiblen Tarifen und einem einfachen Feedback- und Steuer-system sind die Voraussetzung um zumindest oumlkologisch sensibilisierten oder kostenbewussten Endkunden einen Effizienzeffekt zu ermoumlglichen Damit solche Leistungs-systeme aber fuumlr die grosse Gruppe der Indifferenten interessant werden braucht es weitere Mehrwerte Dazu gehoumlren die Verknuumlpfung mit intelligenten Anwendungen

Claudio ComettaDr Claudio Cometta ist Dozent fuumlr Innovation und Entrepreneurship an der ZHAW School of Management and Law Er koordiniert den Aufbau des nationalen Energie-Kompetenz-zentrums SCCER 5 an der ZHAW

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Die Energiewende stellt die Energieversorgungsunternehmen in der Schweiz vor grosse Herausforderungen Das Beispiel von Stadtwerk Winterthur zeigt wie die Branche auf den Paradig-menwechsel reagiertText Florian Wehrli

Von den Anfaumlngen als laquoWinterthurer Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtungraquo vor uumlber 150 Jahren bis zum modernen Querverbundunternehmen hat sich Stadtwerk Winterthur kontinuierlich weiterentwickelt Seine Aufgabe ist aber gemaumlss Direktor Markus Saumlgesser weitgehend dieselbe geblieben die Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung zu verbes-sern So bietet das staumldtische Versorgungsunternehmen neben klassischen Produkten wie Wasser Strom Gas oder Kehrichtentsorgung und Abwasserreinigung heute auch Fernwaumlrme Haustechnik Glasfasernetz und Ener-gie-Contracting an Die Ausdehnung auf neue Geschaumlfts-bereiche will der Direktor aber nicht als Reaktion auf die Liberalisierung des Energiemarkts verstanden wissen laquoWir begegnen der Marktoumlffnung proaktiv und wollen die sich bietenden Chancen aktiv nutzenraquo

Lokales Potenzial ausgeschoumlpftIm liberalisierten Markt hat das staumldtische Versorgungs-unternehmen mit dem Monopol auf sein Energieversor-gungsnetz von gesamthaft mehr als 2 500 Kilometern einen Vorteil Dessen Unterhalt ist nach wie vor eine der Hauptaufgaben Im Gegensatz zu anderen Energieversor-gern betreibt Stadtwerk Winterthur naumlmlich einen verhaumllt-nismaumlssig geringen Anteil an eigenen Produktionsanlagen Das Flaggschiff ist die wohl modernste Kehrichtverwer-tungsanlage der Schweiz laquoMit dem Umbau konnten wir 2013 den Wirkungsgrad der Anlage um einen Drittel stei-gern und die Abluft gehoumlrt zu den saubersten weltweitraquo sagt Markus Saumlgesser Heute deckt die KVA 20 Prozent des Winterthurer Strom- und 12 Prozent des Waumlrmebe-darfs ab Auf solchen Lorbeeren ausruhen will sich Stadt-werk Winterthur aber nicht laquoWir wollen mithelfen eine nachhaltige Energiewirtschaft aufzubauenraquo Mittelfristig soll

die Haumllfte des Stromangebots aus erneuerbaren Quellen stammen laquoDas ist ein ehrgeiziges Zielraquo sagt Saumlgesser laquowir sind aber auf gutem Weg dazuraquo

Rund die Haumllfte des Rahmenkredits von 90 Millionen Franken fuumlr erneuerbaren Strom den das Winterthurer Stimmvolk 2012 bewilligt hat ist bereits investiert Im Bereich Fotovoltaik ist die Planung der groumlssten Anlagen abgeschlossen etwa auf den Daumlchern der Eishalle oder des Busdepots Eine aktuelle Windpotenzialstudie zeigt fuumlr Winterthur nur wenige moumlgliche Standorte auf zumal die Bewilligung solcher Anlagen mit grossem buumlrokratischem Aufwand verbunden sei Mit diversen Nahwaumlrmever-buumlnden nutzt Stadtwerk Winterthur auch Holzabfaumllle bereits sehr effizient Aber auch dieser Energietraumlger ist in Winterthur beschraumlnkt vorhanden Das letzte Projekt das Holz aus dem Winterthurer Stadtwald einsetzen wird ist in der Aufbauphase Studien im Bereich Wasserkraft haben gezeigt dass abgesehen von einem Kleinwasser-kraftwerk an der Toumlss in der Region kaum Potenzial vor-handen ist

Investitionen im AuslandlaquoDiese aufwendige Aufbauarbeit soll nicht zur Regel wer-denraquo sagt Markus Saumlgesser laquoDas limitierte Energiepoten-zial in der Schweiz und die beschwerlichen Instanzenwe-ge fuumlr Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie lassen uns deshalb vermehrt im Ausland investierenraquo 2012 be-teiligte sich das Stadtwerk mit 12 Millionen Franken am Kleinkraftwerk Birseck AG das Kleinwasserkraftwerke und Foto voltaikanlagen in der Schweiz und in Frankreich be-treibt 2013 folgte eine Beteiligung in der Houmlhe von 25 Mil-lionen Franken an der Swisspower Renewables AG die in

Vom Versorger zum Dienstleister

Unternehmensperspektive

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sein glaubt er aber nicht daran dass der Stromverbrauch insgesamt zuruumlckgehen wird laquoDafuumlr ist der Marktpreis zu niedrig Aus serdem wird Strom im Bereich Waumlrme und Mobilitaumlt einen Grossteil der fossilen Energietraumlger ersetzen muumlssenraquo Damit der geplante Verbrauchsruumlck-gang dennoch gelingt will der Bund Anreize schaffen Mit sogenannten weissen Zertifikaten will er die Versor-ger be lohnen wenn sie ihre Kunden zu einem geringeren Energie verbrauch bewegen In Grossbritannien Italien und Frankreich sind solche Modelle bereits im Einsatz Markus Saumlgesser sieht dieser Entwicklung mit gemischten Gefuumlh-len entgegen laquoWir haben bereits vor der Reaktorkatastro-phe in Fukushima auf Energieeffizienz gesetzt und konn-ten uns dadurch profilieren Weil die Politik nun eingreift und den Markt uumlbersteuert bleibt uns als Unternehmen weniger Spielraum um uns zu positionierenraquo

Windkraftanlagen im angrenzenden Ausland investiert Fuumlr die Beschaffung von Strom am freien Markt ist das Stadtwerk eine Zusammenarbeit mit der Trianel GmbH in Aachen ndash einer der fuumlhrenden Stadtwerke-Kooperationen in Europa ndash eingegangen Damit sollen insbesondere der Zugang zum Grosshandelsmarkt sowie die Marktfor-schung sichergestellt werden Denn um Kunden nachhal-tige Energieprodukte verkaufen zu koumlnnen muss man ihre Beduumlrfnisse genau kennen

Anreize fuumlr geringeren VerbrauchDie Strategie scheint aufzugehen laquoSeit der Einfuumlhrung der neuen Stromprodukte Anfang 2013 haben wir den Absatz von erneuerbarer Energie in Winterthur verdop-pelt und denjenigen von Oumlkostrom sogar vervierfachtraquo so Saumlgesser Trotz dem steigenden oumlkologischen Bewusst-

Gemaumlss seinem Leitbild soll Stadtwerk Winterthur mit einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der soziashylen Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Bild Michael Lio

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Ausgliederung aus der StadtverwaltungAuch auf kommunaler Ebene ist Stadtwerk Winterthur von den politischen Rahmenbedingungen abhaumlngig ndash mit allen Vor- und Nachteilen Die politischen Kurswechsel in den vorgesetzten Gremien seien hinderlich bei der Umsetzung der Strategie des Unternehmens laquoWir taumltigen Investitio-nen mit einem Planungshorizont von mehreren Jahrzehn-tenraquo sagt Markus Saumlgesser laquoin der Politik wird dagegen in Amtsperioden von vier Jahren gedachtraquo Es gibt deshalb Bestrebungen das Stadtwerk aus der Stadtverwaltung auszugliedern und einem langfristig operierenden Steue-rungsgremium zu unterstellen Bei der Stimmbevoumllkerung geniesst Stadtwerk Winterthur grossen Ruumlckhalt Alleine in den letzten zwei Jahren wurden vier Abstimmungsvor-lagen mit grossem Mehr angenommen darunter Rah-menkredite fuumlr das Energie-Contracting oder erneuerbare Energien laquoEine bessere Legitimation koumlnnen wir uns gar nicht wuumlnschenraquo sagt Markus Saumlgesser

Neue BetriebskulturStrategisch und energiepolitisch werden Dienstleistungen wie das Energie-Contracting fuumlr Stadtwerk Winterthur immer wichtiger laquoWir wollen unserer Kundschaft Waumlr-me oder Kaumllte gleich komfortabel anbieten koumlnnen wie Stromraquo sagt Markus Saumlgesser laquoImmobilienbesitzerinnen und -besitzer sollen sich nicht mehr um den Fuumlllstand ih-res Oumlltanks oder den Termin fuumlr den Kaminfeger kuumlmmern muumlssenraquo Das Energie-Contracting waumlchst stark und macht heute bereits rund 5 Prozent des Umsatzes von Stadtwerk Winterthur aus

Die neuen Geschaumlftsfelder ziehen auch andere Arbeits-kraumlfte an als bisher Verschiedene Betriebskulturen seien in den vergangenen Jahren teilweise parallel gelaufen be-ginnen nun aber langsam zu verschmelzen Ein Beispiel dafuumlr ist die Verknuumlpfung von Smart Metering und dem traditionellen Verteilnetz Elektrizitaumlt Als Voraussetzung fuumlr das Change-Management in der Betriebskultur habe man alle Mitarbeitenden in die Erarbeitung des Unterneh-mensleitbildes involviert Entstanden ist ein Leitbild das Stadtwerk Winterthur dabei unterstuumltzt die Unterneh-mensstrategie umzusetzen Stadtwerk Winterthur soll mit

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

Markus SaumlgesserMarkus Saumlgesser (52) ist diplomierter Ma-schineningenieur ETH und hat ein Nachdi-plomstudium in technischen Betriebswissen-schaften absolviert Seit Anfang 2011 ist er Direktor von Stadtwerk Winterthur Seine bisherige berufliche Taumltigkeit fuumlhrte Markus Saumlgesser nach zwei Jahren Assistenz an der ETH zu einem Ingenieurbuumlro fuumlr Ener-gie- und Haustechnik Waumlhrend dieser rund sechsjaumlhrigen Zeit war er bei anspruchsvol-len Bauprojekten verantwortlich fuumlr die Konzeption und Koordination der technischen Gebaumludeausruumlstung Zudem war er waumlhrend vier Jahren Mitglied der Geschaumlftsleitung Nach zweijaumlhriger Taumltigkeit als Abteilungsleiter in einer groumlsseren Gemeinde wechselte er zum Elek-trizitaumltswerk der Stadt Zuumlrich (EWZ) bei dem er die Abteilung Vertrieb Grosskunden leitete Daneben war Markus Saumlgesser beim EWZ in verschiedene Innovationsprojekte involviert So zeichnete er fuumlr das Projekt laquoStromzukunft Stadt Zuumlrichraquo verantwortlich das wichtige Grundlagen fuumlr die Strategie des EWZ und die Volksabstimmung zur 2000-Watt-Gesellschaft in der Stadt Zuumlrich beisteuerte

Stadtwerk Winterthur in Zahlen (2013)Mitarbeitende 347Nettoinvestitionen 1198 Mio CHFDurchgeleitete Strommenge 5643 Mio kWhUmsatz Strom 93 Mio CHFDurchgeleitete Gasmenge 5295 Mio kWhUmsatz Gas 411 Mio CHFUnternehmensgewinn 109 Mio CHF

einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der sozia-len Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Wann wurden in Winterthur die ersten Strassenlampen mithilfe von Stein-kohle erleuchtet

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Unternehmensperspektive

ckelte Hochspannungsgleichstromschalter sollen zudem sicherstellen dass etwa ein Kurzschluss durch eine hy-perschnelle Abschaltung isoliert und das Netz somit nicht gefaumlhrdet wird Von 14 solchen Schaltsystemen welt-weit stammen 13 von ABB Die hohen Investitionen fuumlr die armdicken Gleichstromkabel rechnen sich da beim Transport viel weniger Strom verloren geht als bei der tradi tionellen Wechselstromtechnik Die Produktelinie ent-wickelt sich zum Renner Sie wird zur Anbindung von So-lar- und Windparks zur Versorgung von Inseln als Ersatz fuumlr Diesel generatoren auf Oumll- und Gasplattformen auf See eingesetzt Oder um Starkstrom vom Festland zu auf dem Meeresboden platzierten ferngesteuerten Foumlrderanlagen fuumlr Gas und Oumll zu leiten ndash wofuumlr ABB auch wartungsfreie Kompressoren liefert damit Kunden wie Statoil und Pet-robras teure Ausfaumllle erspart bleiben

Komplettloumlsungen aus einer HandDank hohem Innovationstempo sind die Divisionen Ener-gietechnik- und Niederspannungsprodukte gut ausgelas-tet Dies gilt ebenso fuumlr die Divisionen Industrie- und Pro-zessautomation Speziell energieintensive Industrien die unter hohem Kostendruck stehen muumlssen ihre Anlagen auf dem neusten Stand halten Dazu zaumlhlen Bergbau Oumll- und Gasindustrie Zellstoff- Papier- und Zementfabriken Chemie- und Pharmafirmen sowie Raffinerien Gefragt sind auch Industrieroboter und schwenkbare dank ABB-Leistungselektronik stufenlos regulierbare Schiffsantrie-be ABB liefert Grosskunden fertige Loumlsungen die hohe Produktivitaumlt und Energieeffizienz gewaumlhrleisten Alles ist aufeinander abgestimmt von der Elektrik uumlber Antriebe Generatoren Roboter Sensoren und Steuerungen bis hin

Zu Beginn des Jahrtausends stand ABB am Abgrund Doch eine neue Fuumlhrungscrew fuumlhrte das Unternehmen aus der Krise sodass die Schweiz inzwischen wieder stolz sein kann auf ihren Industriemulti mit Sitz in Zuumlrich Oerli-kon 2013 erzielte ABB mit rund 148 000 Mitarbeitenden in 100 Laumlndern 42 Milliarden Dollar Umsatz Die renom-mierte US-Universitaumlt MIT zaumlhlt ABB zu den 50 innova-tivsten Unternehmen weltweit Dank 8 000 Ingenieuren in Forschung und Entwicklung und einem Forschungsetat von 15 Milliarden Dollar kann ABB selbst mit Giganten wie Siemens und General Electric mithalten

Innovationen die Technikfans begeisternWas ABB alles macht wissen wohl nur Technikfans Denn der Konzern hat uumlber 70 000 Produkte im Angebot Die 300 ABB-Fabriken liefern taumlglich 15 Millionen Kompo-nenten aus die zu elektrischen Einrichtungen oder in Pro-duktionssteuerungen verbaut werden Aus Kanada etwa kam juumlngst ein Grossauftrag uumlber 400 Millionen Dollar Erneuerbare Energie die auf Neufundland und Labrador gewonnen wird soll ab 2017 via Hochspannungskabel 360 Kilometer nach Westen fliessen um dort 350 000 Haumluser zu versorgen Weltweit gibt es erst 90 solche Gleichstromkabelverbindungen die meist unter der Erde oder auf dem Meeresgrund verlaufen ABB ist mit rund 50 Prozent Anteil Marktfuumlhrer Die futuristisch anmuten-de Technik in den abgeschirmten Hallen wo der Strom vor dem Transport auf Hochspannung transformiert wird erinnert an den Maschinenraum von Raumschiff Enter-prise Ein wichtiges Steuerungselement bilden dabei in Baden Daumlttwil entwickelte und in Lenzburg produzierte Spezialchips die Houmlchstspannung aushalten Neu entwi-

Der schweizerisch-schwedische Technikkonzern treibt an vor-derster Front die Energiewende voran Dafuumlr forscht man bei ABB intensiv zu erneuerbaren Energien schlauen Stromnetzen sowie hocheffizienten Industrieanlagen Einzig die schwache Nachfrage nach Energieanlagen in Europa bremst die ExpansionText Andreas Fluumltsch

Innovativer Treiber der Energiewende

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uumlber weite Strecken in die Ballungsraumlume geleitet werden muss brummt das Geschaumlft In den USA treibt der Oumll- und Gasboom die Nachfrage Nur in Europa harzt das Geschaumlft mit Grossanlagen Weniger Nachfrage belastet die Margen bei Auftraumlgen fuumlr Wind- und Solarfarmen so-wie fuumlr Netzinfrastruktur Die Risiken der oft mehrjaumlhrigen Projekte sind so hoch dass ABB waumlhlerischer sein muss und etwa das Geschaumlft mit Solarloumlsungen zurzeit auf Sparflamme betreibt Dennoch ist ABB immer noch hoch-profitabel nicht zuletzt da die Kosten Jahr fuumlr Jahr um 3 bis 5 Prozent gesenkt werden Aber der erfolgsgewohnte Konzern musste sich 2013 mit 6 Prozent Umsatzplus zu-friedengeben Umso intensiver treibt der neue ABB-Chef Ulrich Spiesshofer die Integration der vorab in den USA fuumlr 10 Milliarden Dollar getaumltigten Zukaumlufe voran Und Spiess-hofer forciert die Zusammenarbeit der Divisionen damit ABB die Unternehmensvision laquoEnergie und Produktivitaumlt fuumlr eine bessere Weltraquo mit moumlglichst vielen eigenen Pro-dukten realisieren kann

zur Leittechnik samt angepasster Software Kleine und mittlere Kunden ordern Komponenten oder Teilsysteme Ein wichtiges Verkaufsargument ist das Sparpotenzial von stufenlos steuerbaren Elektromotoren Nur einer von fuumlnf Motoren hat laut einer Erhebung des Bundes einen Leis-tungsregler der Rest laumluft auf Hochtouren und wird ndash man glaubt es kaum ndash bei Bedarf mit Klappen oder Ventilen mechanisch abgebremst Eine gigantische Verschwen-dung da Industriemotoren laut einer Studie der Schwei-zerischen Agentur fuumlr Energieeffizienz 27 Prozent des Schweizer Stromverbrauchs ausmachen

Europaumlische ZuruumlckhaltungEigentlich muumlsste die Division Energietechniksysteme ebenfalls ausgelastet sein Denn auch die Stromwirtschaft muss ihre Effizienz steigern Schliesslich erfordert die Energiewende einen Totalumbau der auf Verteilung ausge-richteten Netze damit diese unter der Last von Solar- und Windenergie nicht instabil werden Arbeit in Huumllle und Fuumllle fuumlr ABB sollte man meinen Doch der erst zaghafte Auf-schwung in Europa daumlmpft die Nachfrage Erschwerend kommt hinzu dass subventionierte Wind- und Solarener-gie in Europas liberalisiertem Strommarkt den Strompreis in ungeahnte Tiefen druumlckte Die Konkurrenzfaumlhigkeit von Wasser- Gas- und Atomkraftwerken hat gelitten Pump-speicher sind keine Goldesel mehr seit die erneuerbaren Energien die Preisspitzen brechen Entsprechend schie-ben Stromkonzerne wie Alpiq oder RWE Investitionen auf Unsicherheiten rund um den Atomausstieg belasten zu-saumltzlich Die voraussichtlich noch auf Jahre hinaus tiefen Strompreise schmaumllern auch die Faumlhigkeit der Besitzer von Hochspannungs- und Verteilnetzen deren Umruumlstung zu finanzieren hoch verschuldete EU-Staaten fahren die Foumlrderung von Wind- und Solarenergie zuruumlck

Straffe KostenkontrolleABB bekommt den Investitionsstau empfindlich zu spuuml-ren Die Division Energietechniksysteme schreibt seit eini-ger Zeit rote Zahlen Zwar ordern Grosskunden aus Asien und Lateinamerika weiterhin kraumlftig Neben China inves-tiert vermehrt auch Indien in neue Stromnetze Uumlberall dort wo die Bevoumllkerung rasch waumlchst oder der Strom

Andreas FluumltschAndreas Fluumltsch war urspruumlnglich Jurist und arbeitete ab 1983 als Journalist fuumlr laquoBlickraquo laquoWeltwocheraquo laquoBilanzraquo und laquoCashraquo Zwischen 1989 und 1990 war er Mitglied der Geschaumlftsleitung von Greenpeace Schweiz anschliessend Hausmann Nach der Ruumlck-kehr in den Journalismus 1992 arbeitete er bei laquoBlickraquo laquoSonntagszeitungraquo und laquoTages- Anzeigerraquo und absolvierte eine Ausbildung zum Boumlrsenhaumlndler Nach der Fruumlhpensio-nierung Ende 2013 machte er sich als Publi-zist selbststaumlndig

ABB in Zahlen (2013)Betriebsertrag 41 848 Mio USDBetriebsergebnis 4 387 Mio USDndash Industrieautomation 1 458 Mio USDndash Niederspannung 1 092 Mio USDndash Prozessautomation 990 Mio USDndash Energietechnik 1 331 Mio USDndash Energiesysteme 171 Mio USD

Mitarbeitende 147 700ndash davon in der Schweiz 6 966

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Hohe Nachfrage nach MinergieDer Erfolg der bisherigen Sparbemuumlhungen bleibt nicht aus laquoTrotz zunehmender Pro-Kopf-Wohnflaumlche und stei-gendem Komfort sinkt der Energieverbrauch fuumlrs Heizen in den letzten Jahrzehnten stetigraquo verkuumlndet der Zuumlrcher Regierungsrat im Energieplanungsbericht 2014 Dazu tra-gen nicht nur die laufend verschaumlrften Gesetze bei Ebenso wichtig ist die Bereitschaft von Bautraumlgerschaften freiwillig Uumlberdurchschnittliches zu leisten Vor allem die Minergie-Regeln werden inzwischen gerne befolgt weshalb Haumluser mit halbiertem Energieverbrauch beinahe Standard sind Schweizweit traumlgt eines von zehn neuen Wohnhaumlusern ein Minergie-Zertifikat Der Anteil an Minergie-Haumlusern im Grossraum Zuumlrich liegt gemaumlss einer Marktanalyse der Universitaumlt Zuumlrich bereits nahe bei 20 Prozent Dies ist privaten Hauseigentuumlmern und institutionellen Investoren zu verdanken Wohn- und Geschaumlftshaumluser mit houmlchster Energieeffizienz gehoumlren inzwischen zum guten Ton Den juumlngsten Beweis liefert eine Immobilienstiftung der Credit Suisse die 70 Millionen Franken in die groumlsste Oumlkosied-lung der Schweiz investiert Im Aargauer Reusstal wohnen seit diesem Jahr rund 200 Familien Paare und Singles deren Wohnhaumluser sich weitgehend selbst mit Sonnen-energie versorgen So klimafreundlich die Energiewende-Architektur ist der Investor erwartet dennoch marktuumlb-liche Renditen Ist der Markt aber bereit oumlkologisches Engagement angemessen zu honorieren

Marktpotenzial fruumlhzeitig erkanntDie Zuumlrcher Kantonalbank (ZKB) beziffert den Mehrwert von Minergie-Haumlusern auf 7 Prozent Kaumlufer seien bereit diesen Aufpreis fuumlr mehr Energieeffizienz zu bezahlen Als weitere Nebeneffekte nennt der vor drei Jahren publizierte ZKB-Bericht eine hochwertige dauerhafte Bausubstanz sowie die Absicherung gegen steigende Oumll- und Energie-preise Fachleute des Immobilienberatungsunternehmens Wuumlest amp Partner (WampP) warnen indes dass sich zusaumltz-liche Investitionen in die Energieeffizienz nicht uumlberall loh-nen laquoRegional schwankt die Zahlungsbereitschaft des Immobilienmarktsraquo praumlzisiert WampP-Partner Ivan Anton Minergie-Haumluser koumlnnen aber nicht nur in abgelegenen Regionen ein Marktrisiko werden laquoMit Ausnahme der

Beim Autokauf wird bevorzugt auf Pferdestaumlrken Be-schleunigung und Innenausstattung geachtet Der CO2-Ausstoss interessiert hingegen kaum So kommt die Energieeffizienz im Strassenverkehr nur stockend voran 1995 schluckten alle neu immatrikulierten Personen-wagen durchschnittlich 9 Liter Benzin pro 100 Kilometer 20 Jahre spaumlter liegt der Durchschnittsverbrauch gemaumlss Bundesamt fuumlr Energie (BFE) immer noch uumlber 6 Litern Das viel gepriesene laquoDrei-Liter-Autoraquo haben alle Hersteller wieder aus der Modellpalette genommen

Demgegenuumlber gelingen dem oft traumlge genannten Ge-baumludebereich weitaus groumlssere Effizienzspruumlnge Ver-brauchen 40 Jahre alte Haumluser im Schnitt 220 Kilowatt-stunden (kWh) Heizenergie pro Quadratmeter Wohnflaumlche und Jahr sind die aktuellen Werte unter die 50er-Marke gesunken Zusaumltzliche Sparerfolge sind nur eine Frage der Zeit Im Fruumlhsommer haben die kantonalen Energie-direktoren uumlber ein Rahmenabkommen beraten das Null-energieneubauten demnaumlchst zum Standard machen soll Wie die nationale Energiewende zu erreichen ist erklaumlrt Christoph Gmuumlr von der Abteilung Energie des Kantons Zuumlrich laquoDer spezifische Verbrauchswert ist zudem auf 35 kWh pro Quadratmeter zu senkenraquo Gebaumlude die sich mit umweltfreundlicher Energie selbst versorgen wollen auch die EU-Staaten Ab 2020 wird ein Gebaumludestandard eingefuumlhrt der nur noch laquoNiedrigstenergiegebaumluderaquo mit sehr hoher Energieeffizienz als Neubauten vorsieht

Energiesparhaumluser waren vor 30 Jahren Exoten inzwischen nimmt der Bereich der energie-effizienten Gebaumlude eine Vor-bildrolle fuumlr die Energie wende ein Bauherren profitieren davon ebenso wie die Zuliefer-branche Text Paul Knuumlsel

Expertensicht

Haumluser in der ersten Reihe

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der Bau von Niedrigenergiehaumlusern und alternativen Hei-zungsanlagen sowie energetische Gebaumludesanierungen Investitionen im Umfang von rund 4 Milliarden Franken ausgeloumlst rechnet der Bund vor laquoEin Fuumlnftel insgesamt 860 Millionen Franken stammt aus den oumlffentlichen Kas-senraquo verweist die BFE-Stelle EnergieSchweiz auf die Im-pulse der kantonalen Foumlrderprogramme Einen Wermuts-tropfen besitzt diese Wirkungsbilanz Fruumlhere Analysen der Energiesparprogramme zeigen naumlmlich dass zwi-schen einem Drittel und der Haumllfte der energetisch vorbild-lichen Gebaumlude auch ohne staatliche Foumlrderung realisiert worden waumlren Dem Mitnahmeeffekt ist auch die Eidge-noumlssische Steuerverwaltung auf der Spur Sie schaumltzt dass Bund und Kantonen jaumlhrlich 14 Milliarden Franken entgehen weil energetische Gebaumludesanierungen bei der Liegenschaftssteuer abzugsberechtigt sind Die Energie-wende erfordert nicht nur mehr Effizienz bei den Anwen-dungen sondern auch einen effizienten Einsatz staatlicher Mittel Im Energieplanungsbericht 2013 hat der Zuumlrcher Regierungsrat erstmals uumlber alternative Anreizsysteme nachgedacht Demnach soll eine Lenkungsabgabe den Energiekonsum reduzieren und das bisherige Foumlrdersys-tem abloumlsen Aumlhnliche Plaumlne verfolgt der Bund Denn ein Lenkungssystem duumlrfte weitere Sparbemuumlhungen im Ge-baumludebereich aber auch im Strassenverkehr foumlrdern Ins-besondere dann wenn Heizoumll und Benzin im Gleichschritt teurer werden

begehrten Wohnlagen haben Hauseigentuumlmer an vielen Orten mit moumlglichen Verkaufsverlusten zu rechnenraquo so Anton Zwar sei die Nachfrage bei Eigentuumlmern und Mie-tern aumlhnlich gross Aber auch Mieter wuumlrden nicht uumlberall mehr fuumlr eine energieeffiziente Wohnung bezahlen Kaum uumlberraschen darf daher dass Immobilieninvestoren immer haumlufiger die steigenden Energieanforderungen kritisieren und kostenguumlnstigere Baustandards vorziehen Fuumlr WampP-Berater Urs Hausmann ist laquonachhaltiges Bauen trotzdem keine Frage von Luxus oder Wohlstand sondern eine wie man mit Ressourcen umgehen willraquo Dass ein hohes Um-weltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauen Der Run auf den oumlkologischen Baustoff Holz laumlsst zum Beispiel eine gesamte Wertschoumlpfungskette und viele

innovative Unternehmen profitieren Forstbetriebe Sauml-gereien Fensterbauer Daumlmmstoffhersteller und andere Bauzulieferer vergroumlssern ihre Produktionskapazitaumlten und stellen zusaumltzliches Personal ein laquoDie Umsaumltze im Schweizer Holzbau sind in den letzten Jahren um mehrere Hundert Millionen Franken gestiegen und die Trendkurve zeigt weiter nach obenraquo freut sich Christoph Starck Di-rektor des Holzbaudachverbands Lignum

Einheimische Zulieferer als GewinnerAuch im Verein Minergie ist man sich bewusst dass sich energieeffizientes Bauen wirtschaftlich positiv auswirkt In den letzten 15 Jahren sind 25 000 Wohnhaumluser Buumlro-komplexe Schulbauten Sport- und Industriehallen mit Niedrig energiezertifikat entstanden Gemeinsam sparen sie 15 Milliarden Kilowattstunden Energie laquoUumlber 2 Milliar-den Franken wurden zusaumltzlich investiertraquo rechnet Miner-gie-Sprecher Antonio Milelli vor Anstatt fossile Brennstoffe einzukaufen wird mehr Geld fuumlr Daumlmmstoffe Isolierfenster Luumlftungsanlagen und Sonnenkollektoren aus inlaumlndischer Fabrikation ausgegeben Zwischen 2001 und 2012 haben

Paul KnuumlselPaul Knuumlsel studierte Umweltnaturwissen-schaften an der ETH Zuumlrich Er ist unabhaumln-giger Wissenschaftsjournalist und schreibt seit Jahren in Publikums- und Fachmedien uumlber die vielfaumlltigen Aspekte des nachhalti-gen Bauens Zusaumltzlich betreut er in der Re-daktion des laquoTEC21raquo das Ressort laquoEnergie und Umweltraquo

laquoDass ein hohes Umweltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren

derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauenraquo

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Der Wasserkraft Sorge tragen

Welchen Beitrag kann die Wasserwirtschaft zur Energie-wende leisten Roger Pfammatter Die Wasserkraft ist der energie-politische Trumpf der Schweiz Wir befinden uns in der gluumlcklichen Lage uumlber grosse Mengen Wasser und das notwendige Gefaumllle zu verfuumlgen ndash das sind die beiden wichtigsten Voraussetzungen fuumlr die hydroelektrische Produktion Und wir haben in den vergangenen 100 Jah-ren gelernt dieses Potenzial effizient und moumlglichst um-weltschonend zu nutzen Die Wasserkraft ist der Schluumls-sel fuumlr eine nachhaltige Energieversorgung technisch ausgereift politisch erwuumlnscht einheimisch erneuerbar und CO2-frei

Wie viel mehr ist moumlglichHeute leistet die Wasserkraft nicht nur rund 60 Prozent der Stromproduktion in der Schweiz sondern bietet auch unverzichtbare Regel- und Systemdienstleistungen die markant an Bedeutung gewinnen werden Vor allem bei der Flexibilisierung der Wasserkraft durch mehr Leistung und Speichervolumen waumlre noch einiges moumlglich Um die Aufgaben weiterhin zu gewaumlhrleisten muumlssen wir aber primaumlr dem Bestehenden Sorge tragen

Die Energiestrategie des Bundes gibt aber klare Ausbau-ziele vor Bis 2035 soll die Stromproduktion aus Wasser-kraft um 10 Prozent steigenUnter den momentanen Rahmenbedingungen ist dieses Ausbauziel nicht realistisch Im Gegenteil Aufgrund der Restwasserbestimmungen wird die Produktion in den naumlchsten Jahren vermutlich sogar zuruumlckgehen

Die Wasserkraft ist der wichtigste Pfeiler der Schweizer Ener-giewirtschaft ihr Potenzial ist aber weitgehend ausgeschoumlpft Roger Pfammatter Geschaumlftsfuumlhrer des Wasserwirtschaftsver-bands gibt im Interview Auskunft uumlber die Lage der Branche und ihre Bedeutung fuumlr die EnergiezukunftInterview Florian Wehrli

Expertensicht

Was muss sich aumlndern damit die vorgegebenen Ziele um-gesetzt werden koumlnnenZum einen braucht es dafuumlr die Akzeptanz der Umweltver-baumlnde der Fischer und letztlich der gesamten Bevoumllkerung Zum anderen muumlssen laumlngerfristig die extremen Marktver-zerrungen abgebaut werden damit sich auch Investitionen in die nicht gefoumlrderte Wasserkraft wieder lohnen Heute wird nur noch in subventionierte Anlagen investiert

Wer ist hier in der PflichtHier ist die Politik gefordert die Rahmenbedingungen zu verbessern Denn ohne die Wasserkraft kann die Energie-wende nicht gelingen

Anfang Jahr wurde der Wasserwirtschaftsverband von den zustaumlndigen Kommissionen angehoumlrt Welche Forderun-gen hat die Branche an das ParlamentWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerba-re Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichten die bereits bis zur Haumllfte der Geste-hungskosten ausmachen Damit sind wir doppelt diskrimi-niert Die Wasserkraft ist extrem unter Preisdruck ndash und dies obwohl sie mit Gestehungskosten zwischen 3 und 10 Rappen pro Kilowattstunde die effizienteste Strompro-duktionstechnologie ist Nur zum Vergleich Fotovoltaik -anlagen werden heute mit rund 40 Rappen subventioniert

Bis 2011 liess sich mit der Grosswasserkraft noch viel Geld verdienen Wurden zu wenige Ruumlcklagen fuumlr schlechte Zei-ten gebildet

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Es kann nicht der Sinn sein Ruumlcklagen fuumlr Zeiten zu bil-den in denen die Marktpreise die Gestehungskosten nicht mehr decken Das waumlre wie wenn ein Baumlcker auf jedem Gipfeli einige Rappen zuruumlckbehalten muumlsste damit er sie am naumlchsten Tag gratis abgeben kann Mit dem durch Subventionen verzerrten Marktpreis von 4 bis 5 Rappen pro Kilowattstunde ist unter den konventionellen Energie-traumlgern praktisch nur Kohle konkurrenzfaumlhig Das ist be-stimmt nicht im Sinn der Energiewende

Drei Grosswasserkraftprojekte sind heute bereits im Bau Koumlnnen die enormen Kosten uumlberhaupt amortisiert wer-denPrognosen sind schwierig An der europaumlischen Strom-boumlrse (EEX) werden bis 2020 Strompreise zwischen 45 und 53 Rappen pro Kilowattstunde gehandelt Der Markt glaubt also nicht an eine baldige Erholung Dafuumlr muumlsste das Uumlberangebot in Europa zuruumlckgehen etwa uumlber die Anhebung des CO2-Preises von heute 5 auf mindestens 30 Euro pro Tonne Politisch ist das aber kaum durchsetz-bar Neue Pumpspeicherwerke werden sich deshalb wohl erst in mehreren Jahrzehnten lohnen

Was kann die Kleinwasserkraft leistenOhne die kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) wuumlr-de niemand Kleinwasserkraftanlagen bauen genauso we-nig wie Fotovoltaik- Wind- oder Biomasseanlagen Zurzeit gibt es aber allein bei der Kleinwasserkraft rund 1 000 An-meldungen fuumlr Foumlrderbeitraumlge mit einem bescheidenen Ge-samtpotenzial von 33 Terawattstunden pro Jahr Die oumlko-logischen Auswirkungen sind im Vergleich zum Ertrag zu gross Obwohl wir von marktverzerrenden Foumlrderprogram-men wegkommen sollten waumlre es in einer Uumlbergangs phase sinnvoll die KEV-Obergrenze von 10 Mega watt aufzuheben und dort zu foumlrdern wo es wirklich etwas bringt

Wie soll die Grosswasserkraft unterstuumltzt werdenDas Sinnvollste waumlre die Abkehr von der Subventions-maschinerie ndash und zwar auf europaumlischer Ebene Dann wuumlrde sich die Wasserkraft als effiziente erneuerbare Stromproduktionsform mit Sicherheit durchsetzen Min-destens als Uumlbergangsloumlsung waumlre aber die Entlastung

von Abgaben in erster Linie vom Wasserzins dringend Der maximale Wasserzins wurde in den letzten vier Jahren um 38 Prozent erhoumlht und wird naumlchstes Jahr um weite-re 10 Prozent angehoben Diese Erhoumlhung wurde 2008 beschlossen und steht heute in keinerlei Bezug mehr zur Ertrags lage Kurzfristig koumlnnten die Kantone auf einen Teil dieser Zinsen verzichten ndash das waumlre ein wichtiges politi-sches Zeichen Langfristig muss ein neuer Modus fuumlr die Zinsberechnung gefunden werden der die Ertragslage der Wasserkraft mitberuumlcksichtigt Das ist auch im Interesse von Bund Kantonen und Gemeinden schliesslich ist die Wasserkraft zu 85 Prozent in oumlffentlicher Hand Ebenfalls als Uumlbergangsloumlsung bis zu besseren Marktpreisen waumlren zinsguumlnstige Darlehen fuumlr die noumltigen Investitionen in die Grosswasserkraft denkbar Ohne mindestens eine dieser Massnahmen kann die Wasserwirtschaft das geforderte Ausbauziel nicht erreichen

Bis dahin gibt es noch eine weitere Huumlrde den Heimfall der Stauanlagen an die Standortgemeinden Welchen Ein-fluss hat dieser UmstandWenn die Konzessionen nach 80 oder 100 Jahren aus-laufen muss der Betreiber der Gemeinde eine Entschaumldi-gung fuumlr den Restwert der Anlagen entrichten Im Fall der Staumauer Barberine bezahlen die SBB und Alpiq 2017 an sechs Walliser Gemeinden 343 Millionen Franken Das 400-Seelen-Dorf Finhaut erhaumllt alleine 112 Millionen Fran-ken und weiss kaum wohin mit dem Geld Der gesamte Wert des Heimfalls der Anlagen bewegt sich schweizweit im Milliardenbereich Der Houmlhepunkt des Heimfalls wird um 2035 erreicht werden Bis zu diesem Zeitpunkt soll aber auch ein Grossteil der geforderten Produktionsstei-gerung umgesetzt werden

Bei der Stromproduktion ist ein Ausbau von uumlber 10 Pro-zent wohl nicht realistisch Wie sieht es bei der Speicher-leistung aus Hier muss man unterscheiden zwischen kurzfristiger und saisonaler Speicherung Fuumlr die saisonale Speicherung verfuumlgt die Schweiz mit 200 Speicherseen uumlber ein Vo-lumen von rund 9 000 Gigawattstunden (GWh) die jedes Jahr vom Sommer in den Winter umgelagert werden Dies

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Expertensicht

entspricht einem Viertel der jaumlhrlichen Produktion aus Wasserkraft Das Ausbaupotenzial durch die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren betraumlgt rund 2 000 GWh Falls der Ausbau aber nicht gelingt entsteht im Winter durch den Ausfall der Kernenergie eine immer groumlssere Luumlcke an Bandenergie die durch den Import von Atom- oder Kohlestrom gedeckt werden muss

Wie sieht es beim Ausbau der Pumpleistung zum kurzfris-tigen Ausgleich von Schwankungen im Netz ausGrundsaumltzlich ist das Potenzial fuumlr Pumpspeicherwerke in der Schweiz riesig Es braucht nur zwei Seen auf unter-schiedlicher Houmlhe Die Frage ist ob sich solche Investi-tionen rechnen Die Pumpspeicherwerke finanzieren sich

uumlber den Preisunterschied zwischen Band- und Spitzen-energie Wenn an einem schoumlnen Sommertag in Europa mittags die geballte Ladung an Sonnen- und Windener-gie eingespeist wird koumlnnen die Pumpspeicherkraftwerke sehr guumlnstig oder sogar zu Negativpreisen Strom bezie-hen Man darf aber nicht vergessen dass dieselbe Situa-tion fuumlr die Laufwasserkraftwerke die rund die Haumllfte der Wasserkraftproduktion in der Schweiz ausmachen den gegenteiligen Effekt hat Diese koumlnnen aus technischen konzessionsrechtlichen oder oumlkologischen Gruumlnden nicht vom Netz genommen werden und muumlssen fuumlr ihre Strom-produktion bezahlen Das kann gehoumlrig ins Geld gehen An Weihnachten 2012 lag der Strompreis zum Beispiel bei minus 30 Rappen pro Kilowattstunde

Roger Pfammatter laquoWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerbare Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichtenraquo

Bild Florian Wehrli

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cherseen zur Flexibilisierung Damit das gelingt muss der Wert der Wasserkraft staumlrker im Bewusstsein der Bevoumllke-rung verankert sein Und nicht zuletzt muss der Marktpreis so weit uumlber den Gestehungskosten liegen dass sich In-vestitionen in die Wasserwirtschaft rentieren

Versuchen das Bestehende zu erhalten Diese Vision klingt etwas resigniertDas ist eine Frage der Perspektive Die Wasserkraft hat als Technologie in der Schweiz seit Langem Bestand Sie befindet sich in einer anderen Situation als Fotovoltaik und Windenergie die sich in einem hochdynamischen Umfeld mit grossem Potenzial in Forschung und Wachstum be-finden Die Wasserkraft ist dagegen nicht mehr in der Auf-bruchsphase sondern in der Konsolidierungsphase Da-fuumlr kann man sich auf die Wasserkraftwerke verlassen Sie produzieren bei Tag und in der Nacht im Sommer wie im Winter bei Windstille oder im Nebel Auch der Erhalt und die Optimierung des Bestehenden sind grosse Heraus-forderungen und bedingen grosse Investitionen

Sehen Sie eine Moumlglichkeit wie die Schweizer Wasser-wirtschaft in Zukunft Geld mit Systemdienstleistungen wie Netzstabilitaumlt verdienen kannDie unregelmaumlssig einspeisenden Stromproduzenten neh-men keinerlei Systemverantwortung wahr Ich habe selbst ein Solarpanel auf dem Dach Wenn Produktion moumlglich ist speise ich Strom ins Netz ein wenn nicht beziehe ich Die Produzenten mehr in die Verantwortung zu nehmen faumlnde ich sinnvoll ndash zum Beispiel uumlber Zertifikate fuumlr Spei-cherleistungen Diese koumlnnten bei Pumpspeicherwerken bezogen werden

Welcher Ausbau der Pumpspeicherleistung ist dafuumlr noumltigDie installierte Leistung betraumlgt heute rund 14 Gigawatt (GW) Mit den im Bau befindlichen und den geplanten An-lagen kann die Kapazitaumlt maximal auf 51 GW ausgebaut werden ndash etwa die Haumllfte der Jahreshoumlchstlast im Netz Damit die Schweizer Wasserkraft aber einen Beitrag zur Stabilitaumlt des europaumlischen Stromnetzes leisten kann muumlssten auch das Stauvolumen und die Leitungskapazi-taumlt erhoumlht werden Hier sind die Einsprachen von Anwoh-nern und Umweltverbaumlnden noch gravierender als bei den Anlagen selbst

Braucht es neue rechtliche Instrumente um den geplan-ten Ausbau durchsetzen zu koumlnnenEs braucht vor allem die Einsicht dass die Wasserkraft das Ruumlckgrat unserer Versorgungssicherheit ist und die Aus-wirkungen eines Ausbaus immer auch mit den Alternativen verglichen werden muumlssen Wir befinden uns aber auch in einem intensiv genutzten Land mit vielen Partikularinteres-sen Diese muumlssen gewichtet und abgewogen werden In der Abwaumlgung zwischen Landschaftsschutz und Wasser-nutzung waumlre es hilfreich wenn Grosswasserkraftanlagen den Status von nationalem Interesse erhalten

Wie soll die Schweizer Wasserwirtschaft im Jahr 2035 aussehenIch wuumlnsche mir dass die bestehende Infrastruktur auf dem heutigen Stand erhalten optimiert oumlkologisiert und im Idealfall etwas ausgebaut wird Dazu gehoumlren etwa die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren sowie neue Spei-

Roger PfammatterSeit seinem Ingenieurstudium an der ETH Zuumlrich hat er sich in ver-schiedenen Rollen dem Wasser verschrieben Nach sieben Lehr- und Wanderjahren in der Forschung und in der Entwicklungszusammen-arbeit war er zehn Jahre beim Ingenieurunternehmen Ernst Basler + Partner engagiert Seit 2010 ist er Geschaumlftsfuumlhrer des Schweizeri-schen Wasserwirtschaftsverbandes (SWV) und Herausgeber der Zeit-schrift laquoWasser Energie Luftraquo In diesen Funktionen setzt er sich ein fuumlr den Fachaustausch und gute Rahmenbedingungen in den Bereichen Wasserkraft und Hochwasserschutz

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Die globalen Energiemaumlrkte sind seit einigen Jahren stark in Bewegung Volatile Erdoumllpreise die Foumlrderung von un-konventionellen Gasvorkommen in grossem Stil die mas-sive Subventionierung von neuen erneuerbaren Energien in Deutschland der laquoarabische Fruumlhlingraquo und der Konflikt in der Ukraine hinterlassen Spuren Die Folge sind starke Verwerfungen an den Maumlrkten und fehlende Investitionssi-cherheit In diesem dynamischen und unsicheren Kontext will der Bund die bisherige Energiepolitik neu ausrichten ndash wahrlich eine Herkulesaufgabe Die Schweizer Wirtschaft verlangt dass der Bund bei der Neuausrichtung der Ener-giepolitik seinem in der Verfassung verankerten Auftrag nachkommt und sich fuumlr eine ausreichende sichere breit gefaumlcherte wirtschaftliche und umweltvertraumlgliche Ener-gieversorgung einsetzt Somit ist klar Die Energiestrate-gie 2050 muss in erheblichen Teilen optimiert und justiert werden Nur wenn vernetzt gedacht wird ist eine sichere Versorgung zu wettbewerbsfaumlhigen Preisen moumlglich

Prognosen klaffen weit auseinanderSeit Jahrzehnten bietet der Strommix aus Wasserkraft (knapp 60 Prozent) und Kernenergie (40 Prozent) Gewaumlhr fuumlr eine sichere klimafreundliche und wirtschaftliche Ener-gieversorgung Im Rahmen der Energiestrategie 2050 muss die Kernenergie langfristig ersetzt werden Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen zumal die Ziele des Bundes

Lebenselixier der Wirtschaft

Die Schweizer Wirtschaft ist auch in Zukunft auf eine sichere und wirtschaftliche Stromver-sorgung angewiesen Die Ener-giestrategie 2050 setzt stark auf Subventionen Dadurch entstehen Fehlanreize welche die Versorgungssicherheit ge-faumlhrdenText Kurt Lanz

Expertensicht

in Bezug auf das Potenzial der neuen erneuerbaren Ener-gien von Wunschdenken geleitet sind Die neuen erneuer-baren Energien werden sich langsamer entwickeln als an-gestrebt Der Bund rechnet mit rund 12 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2035 die Schweizer Wirtschaft mit 44 TWh Die vorsichtigeren Prognosen der Wirtschaft scheinen re-alistischer Dies zeigen exemplarisch die gescheiterten Geothermieprojekte in Basel und St Gallen Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Nachfrageprognosen Der Bund rechnet in seinen Szenarien mit einem Ruumlckgang des Stromverbrauchs pro Kopf von 16 Prozent zwischen 2000 und 2035 Die Schweizer Wirtschaft orientiert sich in ihren Szenarien am Verband Schweizerischer Elektrizitaumlts-unternehmen (VSE) der weiter mit einer steigenden Nach-frage rechnet Die Wirtschaft fordert von der Politik eine vernuumlnftige Planung aufgrund realistischer Schaumltzungen Die Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energiestrategie nicht gefaumlhrdet werden

Subventionen fuumlhren zu FehlanreizenDie Schweiz hat seit vielen Jahrzehnten erfolgreich die Wasserkraft vorangetrieben Aus politischen Gruumlnden wird nun die ndash unregelmaumlssige ndash Stromproduktion durch Sonnen- und Windenergie forciert Unsere sogenann-te kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) entspricht dem deutschen Foumlrdermodell Beide haben das gleiche Ziel Sie sollen erneuerbare Energien ausbauen indem sie neue Formen der Stromproduktion zur Marktreife brin-gen Weil das KEV-System die Sonnen- und Windenergie massiv foumlrdert kommt ein weiterer Ausbau der bewaumlhrten Wasserkraft nicht infrage Diese Entwicklung gefaumlhrdet die Versorgungssicherheit der Schweiz Auf den ersten Blick sinken zwar die Produktionskosten fuumlr Solarstrom gleich-zeitig steigen aber die Kosten fuumlr Speicherung und Inte-gration ins Netz spuumlrbar Auch ist der Ausbau von Solar- und Windenergie nur von beschraumlnktem Nutzen solange keine ausreichenden Speicherkapazitaumlten vorhanden sind Nur Preissignale koumlnnen das Investitionsverhalten von Stromproduzenten Netzbetreibern und Konsumen-ten sinnvoll lenken Subventionen sind zu beseitigen denn sie fuumlhren zu Fehlanreizen

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Alle Optionen offenhaltenOffenheit und Neugier gehoumlren zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft Kategorisches Abwehrverhalten und Denkverbote verhindern konstruktive Loumlsungsansaumltze und Innovation Eine sichere und kostenguumlnstige Strom-versorgung kann auch in Zukunft nur mit der notwendi-gen Offenheit gegenuumlber allen Technologien und Energie-

systemen garantiert werden Die Schweiz ist dank einer erfolgreichen Hochschulland-schaft und vielen Technolo-gieunternehmen gut geruumlstet Die verschiedenen Energie-systeme muumlssen faktenba-siert und ohne ideologische

Scheuklappen verglichen werden Nur so koumlnnen effizi-ente und umweltvertraumlgliche Loumlsungen gefunden werden Das heutige System der Foumlrderung der neuen erneuer-baren Energien ist durch ein marktorientiertes System ab-zuloumlsen Produzenten die nachfragegerecht einspeisen sollen eine houmlhere Verguumltung erhalten als andere Auch soll der Vorrang der Netzeinspeisung fuumlr subventionierte Energietraumlger aufgehoben werden

laquoDie Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit

des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energie strategie nicht

gefaumlhrdet werdenraquo

Schnellere Verfahren anstrebenGrundvoraussetzung fuumlr eine Neuausrichtung der Ener-giepolitik sind funktionierende Stromnetze Diese muumls-sen zwingend parallel zum Umbau der Stromproduktion weiterentwickelt werden Allein der noumltige Ausbau der Uumlbertragungsnetze belaumluft sich auf rund 1 000 Kilometer bis ins Jahr 2020 Erforderlich sind zudem Investitionen in alle Verteilernetzebenen Al-lerdings verzoumlgern komplizier-te Verfahren auf Kantons- und Bundesebene den Ausbau Ausserdem erwaumlchst praktisch jedem Projekt Widerstand von privater Seite was zu weiteren Verzoumlgerungen fuumlhrt Die Wirt-schaft fordert deshalb Bei Bewilligungen von Stromnetzen ist der Gang vors Bundesgericht nur noch bei Grundsatz-fragen moumlglich Umbauten sowie Spannungs- und Kapa-zitaumltserweiterungen koumlnnen ohne Planungsgenehmigung realisiert werden Ausserdem sind die Verfahren bei einer einzigen Leitbehoumlrde anzusiedeln

Spielfeld erweiternDie Schweiz ist seit jeher ein wichtiges Stromtransitland Schon seit den 90er-Jahren treibt die EU die Vereinheitli-chung des Binnenmarkts fuumlr Strom hin zu einem eigent-lichen EU-Strommarkt voran In der Schweiz erweist sich die gesetzliche Trennung von Grundversorgung und Markt diesbezuumlglich zunehmend als Hindernis Aus Sicht der Wirtschaft ist die vollstaumlndige Liberalisierung des Strom-markts eine zwingende Voraussetzung fuumlr eine erfolgrei-che energiepolitische Neuausrichtung

Eine Marktoumlffnung wuumlrde insbesondere auch den erneuer-baren Energien neue Chancen eroumlffnen und Zugang zu neuen Kunden gewaumlhren Von hoher Wichtigkeit ist auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU Je groumlsser der Anteil erneuerbarer Energien umso wichtiger ist die Einbettung in Europa denn Investitionen in Netze und Produktion koumlnnen in Koordination mit der EU wirkungsvoller und wahrscheinlich kostenguumlnstiger getaumltigt werden

Kurt LanzKurt Lanz ist Leiter Infrastruktur Energie und Umwelt sowie Geschaumlftsleitungsmitglied von economiesuisse dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft

Gut vernetzt ndash Vorschlaumlge der Schweizer Wirtschaftzur EnergiepolitikDie Publikation basiert auf der Grundlagenarbeit der breit abgestuumltz-ten Energiekommission von economiesuisse und macht konstruk-tive Vorschlaumlge fuumlr einen erfolgreichen energiepolitischen Weg der Schweiz Download unter wwweconomiesuissech

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

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Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

wwwsmlzhawch

Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 23: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

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fuumlr neue Anlagen in einer Reserve zuruumlckbehalten deren Uumlberschuumlsse zweimal jaumlhrlich versteigert werden Die Zu-teilung der Emissionsrechte hat etwas laumlnger gedauert so-dass sie in der Schweiz fuumlr die Jahre 2013 und 2014 erst im Februar 2014 erfolgte Das mag auch einer der Gruumlnde sein dass bisher kein Handel auf dem Sekundaumlrmarkt fuumlr den die Berner Kantonalbank eine eigene Emissions-handelsplattform bereitgestellt hat stattgefunden hat Das erste Preissignal war deshalb die Auktion der Uumlberschuumls-se aus der Neuemittentenreserve Diese fand vom 14 bis 21 Mai 2014 statt und erzielte fuumlr die 150 000 Emissions-rechte einen Preis von 4025 Franken pro Emissionsrecht

Wie sich die Liquiditaumlt im Schweizer Markt in Zukunft ent-wickeln wird und ob ein Linking mit dem EU-EHS und so-mit eine Angleichung der Schweizer Preise an die EU-EHS-Preise stattfinden wird bleibt abzuwarten Letzteres waumlre zwar aus oumlkonomischer Sicht zu begruumlssen da ein groumls-serer liquider Markt mit einheitlichem Preissignal als effizi-enter bewertet wird Aus oumlkologischer Sicht scheint jedoch ein Linking der Systeme ohne weitere Reformen des EU-EHS nicht wuumlnschenswert da es die Minderungsanreize in der Schweiz als Folge des Angebotsuumlberschusses an Emissionsrechten in der EU massiv reduzieren wuumlrde

Jahre 2009 bis 2011 Diese Summe wird jaumlhrlich um 174 Prozent reduziert analog der Regelung im EU-EHS

Neben der Festlegung der Obergrenze ist die Ausgestal-tung der Zuteilungsregeln politisch am schwierigsten da diese Verteilungswirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussen Bis 2012 wurden die Emissionsrechte in der EU daher groumlsstenteils kostenlos zugeteilt Seit 2013 werden rund 48 Prozent der Emissionsrechte versteigert wobei diese vor allem von Elektrizitaumltsfirmen gekauft wer-den muumlssen Da diese nicht im internationalen Wettbewerb

stehen konnten sie den Preis der gratis erhaltenen Emis-sionsrechte an die Elektrizitaumltskonsumenten weitergege-ben und hohe Gewinne erzielen Unternehmen aus Sek-toren die im internationalen Wettbewerb stehen koumlnnen hingegen die Kosten fuumlr die Emissionsrechte nicht an ihre Endkunden weitergeben ohne betraumlchtliche Nachteile in Kauf zu nehmen Es besteht daher das Risiko dass diese Firmen in Laumlnder ohne Klimapolitik abwandern Um dieses Risiko zu senken erhalten Unternehmen bei denen ein Risiko auf Abwanderung besteht auch in Zukunft weitest-gehend kostenlos Emissionsrechte zugeteilt Die Zuteilung basiert dabei auf sogenannten Benchmarks (Tonne Koh-lendioxid pro Tonne Produkt) die auf der Basis der effizi-entesten 10 Prozent der Unternehmen berechnet und mit historischen Produktionsdaten multipliziert werden

Noch kein Handel in der SchweizDie Schweiz hat die Benchmarks des EU-EHS uumlbernom-men Da in der Schweiz vor allem stark im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen aus den Sektoren Zement Papier Chemie Stahl und Raffinerien unter den Emissionshandel fallen werden fast alle Emissionsrechte kostenlos zugeteilt Ein kleiner Anteil von 5 Prozent wird

Regina BetzDr Regina Betz ist Dozentin fuumlr Energie- und Umweltoumlkonomie an der ZHAW School of Management and Law Seit 2014 leitet sie den volkswirtschaftlichen Teil der Ener-gy Policy Analysis Group des Zentrums fuumlr oumlffentliches Wirtschaftsrecht das Mitglied des Schweizer Competence Centers for Research in Energy Society and Transition (CREST) ist Zuvor lehrte sie an der University of New South Wales Australia Umwelt- und Klimaoumlkonomie und leitete als Co-Direktorin das Centre for Energy and Environmental Markets (CEEM) 1998 bis 2004 arbeitete sie als Wissenschaftlerin am Fraunhofer-Institut fuumlr System- und Innovationsforschung ISI in Deutschland

laquoNeben der Festlegung der Ober grenze ist die Ausgestaltung der Zuteilungsregeln politisch am

schwierigsten da diese Verteilungs wirkungen haben und den Wettbewerb beeinflussenraquo

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nicht vollstaumlndig genutzt werden kann In der Energiestra-tegie des Bundes ist gemaumlss einem Szenario bis 2050 ein Zubau auf knapp 12 TWh pro Jahr Stromproduktion aus Fotovoltaik angedacht Dies bedingt den Bau von Fotovol-taikanlagen mit einer installierten Spitzenleistung von etwa 12 Gigawattpeak (GWp) und einem Flaumlchenbedarf von rund 84 000 000 Quadratmetern Dieser Flaumlchenbedarf ist auf den bestehenden Daumlchern in der Schweiz verfuumlgbar

An einem schoumlnen Sommertag koumlnnen diese Anlagen dann also etwa 12 GW erzeugen die maximale Ver-brauchslast liegt im Sommer aber nur bei rund 8 GW Es entsteht ein Uumlberschuss von 4 GW die Speicherleistung der Schweizer Pumpspeicheranlagen betraumlgt heute aber nur 15 GW 25 GW Leistung koumlnnen in diesem Szenario also gar nicht genutzt werden An einem Wintertag mit Hochnebel erzeugen diese Anlagen uumlberhaupt keinen Strom die Verbrauchslast liegt aber mit 10 GW noch houml-her als im Sommer Hier entsteht eine Luumlcke die mit ande-ren Energieformen oder Importen gedeckt werden muss

Speichern uumlbertragen oder einsparenUm diesem Problem zu begegnen gibt es verschiedene Loumlsungsansaumltze Ein Ansatz ist die Energie lokal dort zu speichern wo sie erzeugt aber nicht sofort verbraucht werden kann In diesem Fall werden in erster Linie viele kleine Speichermodule benoumltigt die sowohl fuumlr kurz- als auch langfristigen Ausgleich sorgen muumlssen Eine andere Moumlglichkeit ist es die Energie an Orte zu uumlbertragen wo sie sofort verbraucht wird dann muss in erster Linie das Netz ausgebaut werden Schliesslich koumlnnte Energie auch zentral zu grossen Speichern transportiert werden was sowohl einen Netzausbau als auch neue Speichertechno-logien bedingen wuumlrde

Als die Gesellschaft noch aus Jaumlgern und Sammlern be-stand verbrauchte der Mensch seine Energie lokal dort wo er sie benoumltigte Er lebte von der Hand in den Mund Im Zuge der aufkommenden Landwirtschaft musste er Methoden entwickeln um Nahrung haltbar zu machen und sie zu transportieren Vor demselben Problem steht heute die Energiewirtschaft Ort und Zeit der erneuerbaren Energieerzeugung korrelieren je laumlnger je weniger mit dem Verbrauch Die Herausforderung der Energiewende ist deshalb nicht nur die Produktion selbst sondern auch die Uumlbertragung die Speicherung und das lokale Verbrauchs-last-Management

Saisonale Speicherung problematischMit dem Ausstieg aus der Kernenergie muumlssen in der Schweiz etwa 40 Prozent der produzierten elektrischen Energie ersetzt werden also rund 23 Terawattstunden (TWh) pro Jahr Im Gegensatz zur Kernenergie haben die neuen erneuerbaren Energien den Nachteil dass ihre Pro-duktion nicht steuerbar ist und unregelmaumlssig anfaumlllt Der Kapazitaumltsfaktor also das Verhaumlltnis von durchschnittlicher zu maximaler Leistung betraumlgt bei konventionellen Kraft-werken bis zu 100 Prozent bei Fotovoltaikanlagen dage-gen nur etwa 10 Prozent Hinzu kommen die starken saiso-nalen Schwankungen dieser stochastisch erzeugenden Energiequellen Im Winter liegt die Stromverbrauchsspitze mit circa 10 Gigawatt (GW) rund ein Drittel houmlher als im Sommer gleichzeitig liefern Fotovoltaikanlagen aufgrund des flacheren Einstrahlungswinkels und der kuumlrzeren Son-nenscheindauer wesentlich weniger Strom als im Sommer

Anhand eines Gedankenexperiments laumlsst sich veran-schaulichen dass das Potenzial der neuen erneuerbaren Energien ohne zusaumltzliche Speicher oder steuerbare Lasten

Energie haltbar machen

Der Ausbau von erneuerbaren Energiequellen geht so schnell voran dass Speicher- und Uumlbertragungstechnologien kaum mithalten koumlnnen Um Produktionsspitzen zu glaumltten braucht es Fortschritte in der EnergietechnikText Petr Korba

Hochschulperspektive

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Petr KorbaProf Dr Petr Korba ist Dozent und Fach-gruppenleiter fuumlr elektrische Energietechnik und Smart Grids an der ZHAW School of En-gineering Zuvor forschte er uumlber zehn Jahre bei ABB Schweiz in den Bereichen Automa-tion Energie- und Regelungstechnik

Scherrer Institut an der Power2Gas-Technologie Dabei wird Kohlendioxid mit Strom aus erneuerbaren Quellen durch Elektrolyse zu Wasserstoff oder weiter zu Methan verarbeitet Aumlhnlich wie bei der Nahrungsmittelproduktion wo Staumlrke schliesslich als raffinierter Zucker gespeichert wird gibt es auch bei der Stromspeicherung immer raffi-niertere Formen Bei jeder Umwandlung geht aber Energie verloren Man muss sich also gut uumlberlegen ob man uumlber-haupt speichern will und wenn ja uumlber welchen Zeitraum

Mit der wachsenden Integration von erneuerbaren Energi-en steigen auch die Anforderungen an die Energietechnik Unser kuumlnftiges Energiesystem wird staumlrker automatisiert und intelligenter sein Um erneuerbare Energiequellen zu integrieren werden Informations- und Kommunikations-technologien Automatisierungs- und Regelungstechnik Signalverarbeitung oder Wettervorhersagen immer wich-tiger In den intelligenten Stromnetzen der Zukunft wer-den alle beteiligten Komponenten Daten wie den aktuellen Verbrauch verfuumlgbare Strommengen oder lokale Aus-faumllle melden und gleichzeitig solche Daten aus anderen Netzkomponenten empfangen Das daraus resultierende Smart Grid ist ein Gefuumlge das selbststaumlndig auf diese Ein-fluumlsse reagiert und seine eigene Effizienz optimiert Es gilt Energie effizienter zu uumlbertragen um raumlumliche Distanzen zu uumlberwinden und neue Speichertechnologien zu entwi-ckeln um zeitliche Engpaumlsse zu uumlberbruumlcken Elektrische Energie kann auf verschiedene Arten erzeugt gespei-chert und uumlbertragen werden Jede Art hat ihre Vor- und Nachteile und ihren Preis Anreize aus der Politik werden schliesslich entscheiden welche Formen dies in der Zu-kunft sein werden

Auf der Verbraucherseite laumlsst sich die Nutzlast durch ge-eignetes Last-Management anpassen Diese Steuerung schaltet verbrauchsintensive Anlagen in Unternehmen gewerblichen Betrieben und Haushalten gezielt dann ein wenn die Stromtarife guumlnstig sind Es duumlrfte aber schwie-rig sein der Bevoumllkerung vorzuschreiben wann sie zum Beispiel fernsehen oder kochen darf Eine intelligente Re-gelung von grossen Kuumlhlhaumlusern stoumlrt dagegen nieman-den Trotz solchen Bestrebungen geht die International Energy Agency (IEA) davon aus dass der Stromverbrauch weltweit jaumlhrlich um rund 1 Prozent zunimmt Diese Ten-denz verstaumlrkt sich voraussichtlich noch falls sich der Bereich Mobilitaumlt von fossilen Energietraumlgern hin zur Elek-tromobilitaumlt verschieben wird Die Geschichte hat gezeigt dass der Energieverbrauch eigentlich nur in Krisenzeiten zuruumlckgeht

Klar ist jedenfalls dass der Ausbau von Speichern und Netzen Hand in Hand mit der zunehmenden Integration von erneuerbaren Energiequellen erfolgen muss Auf unter-schiedlichen Netzebenen kommen unterschiedliche Spei-chertechnologien zum Einsatz Waumlhrend fuumlr Haushalte mit kleinen Fotovoltaikanlagen und im Niederspannungsnetz bereits Batteriespeicher vorhanden sind stossen diese bei mehr als einer Windturbine oder groumlsseren Solarparks schnell an ihre Grenzen Das groumlsste Batterieenergie-speichersystem der Schweiz betreiben die Elektrizitaumlts-werke des Kantons Zuumlrich in Dietikon Es hat 1 Megawatt (MW) maximale Speicherleistung und kann diese waumlhrend ungefaumlhr 15 Minuten abgeben respektive speichern Die Spitzenlast im Schweizer Hochspannungsnetz liegt aber bei 8 GW im Sommer und 10 GW im Winter Die Schwei-zer Pumpspeicherkraftwerke koumlnnen unseren Strombe-darf nur etwa einen Monat lang decken Das europaumlische Hochspannungsnetz verfuumlgt uumlber eine Spitzenlast von circa 500 GW Um die Leistung von Grosskraftwerken wie Offshore-Windparks langfristig zu speichern braucht es neue Technologien

Raffinierte EnergiespeicherungDafuumlr forscht die ZHAW School of Engineering gemein-sam mit der ETH Zuumlrich der EPF Lausanne und dem Paul

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Hochschulperspektive

Dissonanz an der Steckdose

Mit der Energiestrategie 2050 haben Bundesrat und Parla-ment eine Kehrtwende in der Schweizer Energiepolitik ein-gelaumlutet der die wichtigsten politischen Huumlrden erst noch bevorstehen Auf den ersten Blick scheint der Kurswechsel breit abgestuumltzt Seit dem Reaktorunfall in Fukushima fuumlh-ren Umfragen immer wieder zum gleichen Ergebnis Der langfristige Ausstieg aus der Kernenergie findet eine Mehr-heit Im Grundsatz stossen erneuerbare Energien sowie Massnahmen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz auf hohe Zustimmung Was fuumlr den Stimmzettel gilt beeinflusst aber nicht automatisch das Konsum- und Investitionsverhalten der Energiekunden Die Bereitschaft aus eigenem Antrieb mehr fuumlr ein oumlkologisch houmlherwertiges Produkt aus neuen erneuerbaren Energietraumlgern zu bezahlen ist beschraumlnkt Nur wenige Haushalte sind zudem bereit ihren Energie- und insbesondere ihren Stromkonsum zu reduzieren wenn dies mit nicht amortisierbaren Investitionskosten oder einem moumlglichen Komfortverlust verbunden ist

Mit anderen Worten Effizienz wird als teuer und Suffizienz als bevormundend empfunden Die private Zahlungsbereit-schaft laumlsst sich zwar mit regulatorischen Interventionen wie fixen Einspeiseverguumltungen oder Investitionssubven-tionen in Effizienzmassnahmen etwas erhoumlhen Doch die Erfahrungen in Deutschland und der Schweiz zeigen dass solche Massnahmen oumlkonomisch ineffizient sind und oft als ungerecht empfunden werden Sie koumlnnen damit zum Bumerang fuumlr die Akzeptanz der energiepolitischen Ziele werden Neben den politischen Huumlrden ist somit auch die kognitive Huumlrde der Konsumenten zu beruumlcksichtigen De-ren Uumlberwindung bedarf zuerst einer differenzierten Analyse der Ursachen und danach der Entwicklung innovativer Ver-triebsmodelle und Produkte auf Versorgerseite

Eine Mehrheit der Bevoumllkerung unterstuumltzt den Ausstieg aus der Kernenergie doch nur wenige beziehen ein oumlkologisches Stromprodukt Warum das so ist und wie sich diese Dissonanz aufloumlsen laumlsst beschaumlftigt derzeit viele EnergieversorgerText Claudio Cometta

Indifferenz uumlberwiegtFuumlr viele Konsumenten ist die Strom- Gas- oder Fern-waumlrmerechnung ein verhaumlltnismaumlssig kleiner Posten im Haushaltsbudget dem wenig Beachtung geschenkt wird Die Schweiz ist sogar einer der Spitzenreiter in Europa machen die Stromkosten im Durchschnitt doch nicht mehr als 2 Prozent der Haushaltsausgaben aus Wenig Beachtung bedeutet auch wenig Kenntnis des Preises und der Menge der bezogenen Energieleistung oder der Zusammensetzung des Tarifs aus Energiekosten Netz-kosten und Abgaben Entsprechend besteht nur ein ge-ringes Interesse Energie und damit Kosten zu sparen Konsumentenbefragungen zeigen zudem dass nur eine kleine Minderheit der Kunden die Zusammensetzung ihres Stromprodukts nach Energietraumlgern kennt Die geringen Kosten und Unkenntnis des Produkts verhindern also die Wahl anderer Stromprodukte Strom ist ein klassisches Commodity-Produkt Man kann ihn weder sehen noch riechen Er ist verhaumlltnismaumlssig guumlnstig immer verfuumlgbar und aumlndert in keinerlei Hinsicht seine Eigenschaften wenn dafuumlr mehr bezahlt wird Zudem ist meist nicht sichtbar wer wie viel von welchem Produkt bezieht Der Strom-konsum ist Privatsache

Uumlberwindung durch VertriebsmodelleDie Vorgaben der Energiestrategie 2050 beinhalten nicht nur einen massiven Zubau der Produktionskapazitaumlt aus erneuerbaren Energietraumlgern sondern auch die kon-tinuierliche Reduktion des Energie- und insbesondere des Stromkonsums pro Kopf Die direkte Finanzierung der dazu notwendigen Investitionsvorhaben scheint an-gesichts der Indifferenz auf Konsumentenseite jedoch schwierig Aus diesem Grund sind mehrere Schweizer

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rund um Haushaltstechnik Sicherheit Pflege oder Kom-munikation sowie ein geschicktes Marketing mit Elemen-ten der sozialen Kontrolle Denkbar sind auch Anreize die keinen direkten Zusammenhang mit dem Energiekonsum aufweisen aber fuumlr breite Bevoumllkerungsgruppen attrak-tiv sind So haben etwa einzelne skandinavische Versor-ger damit begonnen energiesparendes Verhalten ihrer Kunden mit Verguumlnstigungen fuumlr die Nutzung oumlffentlicher Transportmittel zu belohnen

Uumlberwindung durch PartizipationDie wohl wirkungsvollste Massnahme zur Uumlberwindung der Dissonanz an der Steckdose ist bereits inhaumlrent in der Transformation des Energiesystems hin zu einer staumlrker dezentralen Erzeugung angelegt Kunden entwi-ckeln sich von passiven Leistungsempfaumlngern zu aktiven Leistungserbringern sogenannten Prosumern Als Klein-produzenten von Strom mit einer hauseigenen Fotovol-taikanlage oder thermischer Speicherleistung mit Kraft-Waumlrme-Kopplungsanlagen im Mikroformat werden sie mittelfristig wesentlich zum Umbau des Energiesystems und zu den Zielen der Energiestrategie beitragen koumlnnen Eine nicht ganz unbedeutende Rolle koumlnnten in Zukunft sogenannte Buumlrgerbeteiligungsmodelle fuumlr die Finanzie-rung neuer In frastrukturprojekte spielen Diese wuumlrden gleichzeitig die Akzeptanz sichtbarer Produktionsanlagen von neuen erneuerbaren Energien erhoumlhen Doch erst wenn das Produkt Strom nicht mehr als reines Commodity-Produkt wahrgenommen wird werden politische Meinung und Konsumverhalten bei einer Mehrheit der Stimmbuumlrger uumlbereinstimmen

Energieversoger in letzter Zeit dazu uumlbergegangen soge-nannte Default-Modelle einzufuumlhren die Stromprodukte aus erneuerbaren Quellen zum neuen Standard erheben Dabei macht man sich die Traumlgheit der Kunden zunutze indem die Wahl eines Stromprodukts aus nicht erneuer-baren Energietraumlgern als Option definiert wird die aktiv bestellt werden muss

Nicht zuletzt aufgrund solcher Modelle ist die Zahl der Schweizer Haushalte die ein Stromprodukt aus aus-schliesslich erneuerbaren Energien beziehen auf uumlber 25 Prozent gestiegen Doch weitere Vertriebsinnovationen werden notwendig sein etwa um der Herausforderung der Einspeisung von Strom aus fluktuierend nutzbaren Quellen (Solar- und Windenergie) in die Verteilnetze gewachsen zu sein die immer staumlrker ins Gewicht faumlllt In der Folge gilt es Investitionen in Netz- und Speichersysteme zu finan-zieren In innovativen Vertriebsmodellen welche dieser Herausforderung gerecht werden erhaumllt das Konsumver-halten einen Wert Zeitliche Flexibilitaumlt wird belohnt durch Tarifreduktion Bonus oder Vermeidung einer Gebuumlhr Wie diese beiden Beispiele zeigen laumlsst sich der Mehrwert von vermeintlichen Commodity-Produkten durch neue Vertriebsmodelle abschoumlpfen und als marktwirtschaftlich vertraumlglicher Finanzierungsmechanismus fuumlr neue Infra-strukturvorhaben im Energiesektor nutzen

Uumlberwindung durch innovative ProdukteNoch groumlsseres Potenzial birgt die Weiterentwicklung von Stromprodukten zu Leistungssystemen die fuumlr Energie-kunden einen echten Mehrwert bieten Hierzu gehoumlrt die Verknuumlpfung des Kernprodukts Strom mit Dienstleistun-gen die den Kunden ein transparenteres Verbrauchsver-halten sowie Kostenoptimierung ermoumlglichen Intelligente Stromzaumlhler sogenannte Smart Meter kombiniert mit fle-xiblen Tarifen und einem einfachen Feedback- und Steuer-system sind die Voraussetzung um zumindest oumlkologisch sensibilisierten oder kostenbewussten Endkunden einen Effizienzeffekt zu ermoumlglichen Damit solche Leistungs-systeme aber fuumlr die grosse Gruppe der Indifferenten interessant werden braucht es weitere Mehrwerte Dazu gehoumlren die Verknuumlpfung mit intelligenten Anwendungen

Claudio ComettaDr Claudio Cometta ist Dozent fuumlr Innovation und Entrepreneurship an der ZHAW School of Management and Law Er koordiniert den Aufbau des nationalen Energie-Kompetenz-zentrums SCCER 5 an der ZHAW

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Die Energiewende stellt die Energieversorgungsunternehmen in der Schweiz vor grosse Herausforderungen Das Beispiel von Stadtwerk Winterthur zeigt wie die Branche auf den Paradig-menwechsel reagiertText Florian Wehrli

Von den Anfaumlngen als laquoWinterthurer Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtungraquo vor uumlber 150 Jahren bis zum modernen Querverbundunternehmen hat sich Stadtwerk Winterthur kontinuierlich weiterentwickelt Seine Aufgabe ist aber gemaumlss Direktor Markus Saumlgesser weitgehend dieselbe geblieben die Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung zu verbes-sern So bietet das staumldtische Versorgungsunternehmen neben klassischen Produkten wie Wasser Strom Gas oder Kehrichtentsorgung und Abwasserreinigung heute auch Fernwaumlrme Haustechnik Glasfasernetz und Ener-gie-Contracting an Die Ausdehnung auf neue Geschaumlfts-bereiche will der Direktor aber nicht als Reaktion auf die Liberalisierung des Energiemarkts verstanden wissen laquoWir begegnen der Marktoumlffnung proaktiv und wollen die sich bietenden Chancen aktiv nutzenraquo

Lokales Potenzial ausgeschoumlpftIm liberalisierten Markt hat das staumldtische Versorgungs-unternehmen mit dem Monopol auf sein Energieversor-gungsnetz von gesamthaft mehr als 2 500 Kilometern einen Vorteil Dessen Unterhalt ist nach wie vor eine der Hauptaufgaben Im Gegensatz zu anderen Energieversor-gern betreibt Stadtwerk Winterthur naumlmlich einen verhaumllt-nismaumlssig geringen Anteil an eigenen Produktionsanlagen Das Flaggschiff ist die wohl modernste Kehrichtverwer-tungsanlage der Schweiz laquoMit dem Umbau konnten wir 2013 den Wirkungsgrad der Anlage um einen Drittel stei-gern und die Abluft gehoumlrt zu den saubersten weltweitraquo sagt Markus Saumlgesser Heute deckt die KVA 20 Prozent des Winterthurer Strom- und 12 Prozent des Waumlrmebe-darfs ab Auf solchen Lorbeeren ausruhen will sich Stadt-werk Winterthur aber nicht laquoWir wollen mithelfen eine nachhaltige Energiewirtschaft aufzubauenraquo Mittelfristig soll

die Haumllfte des Stromangebots aus erneuerbaren Quellen stammen laquoDas ist ein ehrgeiziges Zielraquo sagt Saumlgesser laquowir sind aber auf gutem Weg dazuraquo

Rund die Haumllfte des Rahmenkredits von 90 Millionen Franken fuumlr erneuerbaren Strom den das Winterthurer Stimmvolk 2012 bewilligt hat ist bereits investiert Im Bereich Fotovoltaik ist die Planung der groumlssten Anlagen abgeschlossen etwa auf den Daumlchern der Eishalle oder des Busdepots Eine aktuelle Windpotenzialstudie zeigt fuumlr Winterthur nur wenige moumlgliche Standorte auf zumal die Bewilligung solcher Anlagen mit grossem buumlrokratischem Aufwand verbunden sei Mit diversen Nahwaumlrmever-buumlnden nutzt Stadtwerk Winterthur auch Holzabfaumllle bereits sehr effizient Aber auch dieser Energietraumlger ist in Winterthur beschraumlnkt vorhanden Das letzte Projekt das Holz aus dem Winterthurer Stadtwald einsetzen wird ist in der Aufbauphase Studien im Bereich Wasserkraft haben gezeigt dass abgesehen von einem Kleinwasser-kraftwerk an der Toumlss in der Region kaum Potenzial vor-handen ist

Investitionen im AuslandlaquoDiese aufwendige Aufbauarbeit soll nicht zur Regel wer-denraquo sagt Markus Saumlgesser laquoDas limitierte Energiepoten-zial in der Schweiz und die beschwerlichen Instanzenwe-ge fuumlr Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie lassen uns deshalb vermehrt im Ausland investierenraquo 2012 be-teiligte sich das Stadtwerk mit 12 Millionen Franken am Kleinkraftwerk Birseck AG das Kleinwasserkraftwerke und Foto voltaikanlagen in der Schweiz und in Frankreich be-treibt 2013 folgte eine Beteiligung in der Houmlhe von 25 Mil-lionen Franken an der Swisspower Renewables AG die in

Vom Versorger zum Dienstleister

Unternehmensperspektive

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sein glaubt er aber nicht daran dass der Stromverbrauch insgesamt zuruumlckgehen wird laquoDafuumlr ist der Marktpreis zu niedrig Aus serdem wird Strom im Bereich Waumlrme und Mobilitaumlt einen Grossteil der fossilen Energietraumlger ersetzen muumlssenraquo Damit der geplante Verbrauchsruumlck-gang dennoch gelingt will der Bund Anreize schaffen Mit sogenannten weissen Zertifikaten will er die Versor-ger be lohnen wenn sie ihre Kunden zu einem geringeren Energie verbrauch bewegen In Grossbritannien Italien und Frankreich sind solche Modelle bereits im Einsatz Markus Saumlgesser sieht dieser Entwicklung mit gemischten Gefuumlh-len entgegen laquoWir haben bereits vor der Reaktorkatastro-phe in Fukushima auf Energieeffizienz gesetzt und konn-ten uns dadurch profilieren Weil die Politik nun eingreift und den Markt uumlbersteuert bleibt uns als Unternehmen weniger Spielraum um uns zu positionierenraquo

Windkraftanlagen im angrenzenden Ausland investiert Fuumlr die Beschaffung von Strom am freien Markt ist das Stadtwerk eine Zusammenarbeit mit der Trianel GmbH in Aachen ndash einer der fuumlhrenden Stadtwerke-Kooperationen in Europa ndash eingegangen Damit sollen insbesondere der Zugang zum Grosshandelsmarkt sowie die Marktfor-schung sichergestellt werden Denn um Kunden nachhal-tige Energieprodukte verkaufen zu koumlnnen muss man ihre Beduumlrfnisse genau kennen

Anreize fuumlr geringeren VerbrauchDie Strategie scheint aufzugehen laquoSeit der Einfuumlhrung der neuen Stromprodukte Anfang 2013 haben wir den Absatz von erneuerbarer Energie in Winterthur verdop-pelt und denjenigen von Oumlkostrom sogar vervierfachtraquo so Saumlgesser Trotz dem steigenden oumlkologischen Bewusst-

Gemaumlss seinem Leitbild soll Stadtwerk Winterthur mit einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der soziashylen Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Bild Michael Lio

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Ausgliederung aus der StadtverwaltungAuch auf kommunaler Ebene ist Stadtwerk Winterthur von den politischen Rahmenbedingungen abhaumlngig ndash mit allen Vor- und Nachteilen Die politischen Kurswechsel in den vorgesetzten Gremien seien hinderlich bei der Umsetzung der Strategie des Unternehmens laquoWir taumltigen Investitio-nen mit einem Planungshorizont von mehreren Jahrzehn-tenraquo sagt Markus Saumlgesser laquoin der Politik wird dagegen in Amtsperioden von vier Jahren gedachtraquo Es gibt deshalb Bestrebungen das Stadtwerk aus der Stadtverwaltung auszugliedern und einem langfristig operierenden Steue-rungsgremium zu unterstellen Bei der Stimmbevoumllkerung geniesst Stadtwerk Winterthur grossen Ruumlckhalt Alleine in den letzten zwei Jahren wurden vier Abstimmungsvor-lagen mit grossem Mehr angenommen darunter Rah-menkredite fuumlr das Energie-Contracting oder erneuerbare Energien laquoEine bessere Legitimation koumlnnen wir uns gar nicht wuumlnschenraquo sagt Markus Saumlgesser

Neue BetriebskulturStrategisch und energiepolitisch werden Dienstleistungen wie das Energie-Contracting fuumlr Stadtwerk Winterthur immer wichtiger laquoWir wollen unserer Kundschaft Waumlr-me oder Kaumllte gleich komfortabel anbieten koumlnnen wie Stromraquo sagt Markus Saumlgesser laquoImmobilienbesitzerinnen und -besitzer sollen sich nicht mehr um den Fuumlllstand ih-res Oumlltanks oder den Termin fuumlr den Kaminfeger kuumlmmern muumlssenraquo Das Energie-Contracting waumlchst stark und macht heute bereits rund 5 Prozent des Umsatzes von Stadtwerk Winterthur aus

Die neuen Geschaumlftsfelder ziehen auch andere Arbeits-kraumlfte an als bisher Verschiedene Betriebskulturen seien in den vergangenen Jahren teilweise parallel gelaufen be-ginnen nun aber langsam zu verschmelzen Ein Beispiel dafuumlr ist die Verknuumlpfung von Smart Metering und dem traditionellen Verteilnetz Elektrizitaumlt Als Voraussetzung fuumlr das Change-Management in der Betriebskultur habe man alle Mitarbeitenden in die Erarbeitung des Unterneh-mensleitbildes involviert Entstanden ist ein Leitbild das Stadtwerk Winterthur dabei unterstuumltzt die Unterneh-mensstrategie umzusetzen Stadtwerk Winterthur soll mit

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

Markus SaumlgesserMarkus Saumlgesser (52) ist diplomierter Ma-schineningenieur ETH und hat ein Nachdi-plomstudium in technischen Betriebswissen-schaften absolviert Seit Anfang 2011 ist er Direktor von Stadtwerk Winterthur Seine bisherige berufliche Taumltigkeit fuumlhrte Markus Saumlgesser nach zwei Jahren Assistenz an der ETH zu einem Ingenieurbuumlro fuumlr Ener-gie- und Haustechnik Waumlhrend dieser rund sechsjaumlhrigen Zeit war er bei anspruchsvol-len Bauprojekten verantwortlich fuumlr die Konzeption und Koordination der technischen Gebaumludeausruumlstung Zudem war er waumlhrend vier Jahren Mitglied der Geschaumlftsleitung Nach zweijaumlhriger Taumltigkeit als Abteilungsleiter in einer groumlsseren Gemeinde wechselte er zum Elek-trizitaumltswerk der Stadt Zuumlrich (EWZ) bei dem er die Abteilung Vertrieb Grosskunden leitete Daneben war Markus Saumlgesser beim EWZ in verschiedene Innovationsprojekte involviert So zeichnete er fuumlr das Projekt laquoStromzukunft Stadt Zuumlrichraquo verantwortlich das wichtige Grundlagen fuumlr die Strategie des EWZ und die Volksabstimmung zur 2000-Watt-Gesellschaft in der Stadt Zuumlrich beisteuerte

Stadtwerk Winterthur in Zahlen (2013)Mitarbeitende 347Nettoinvestitionen 1198 Mio CHFDurchgeleitete Strommenge 5643 Mio kWhUmsatz Strom 93 Mio CHFDurchgeleitete Gasmenge 5295 Mio kWhUmsatz Gas 411 Mio CHFUnternehmensgewinn 109 Mio CHF

einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der sozia-len Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Wann wurden in Winterthur die ersten Strassenlampen mithilfe von Stein-kohle erleuchtet

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Unternehmensperspektive

ckelte Hochspannungsgleichstromschalter sollen zudem sicherstellen dass etwa ein Kurzschluss durch eine hy-perschnelle Abschaltung isoliert und das Netz somit nicht gefaumlhrdet wird Von 14 solchen Schaltsystemen welt-weit stammen 13 von ABB Die hohen Investitionen fuumlr die armdicken Gleichstromkabel rechnen sich da beim Transport viel weniger Strom verloren geht als bei der tradi tionellen Wechselstromtechnik Die Produktelinie ent-wickelt sich zum Renner Sie wird zur Anbindung von So-lar- und Windparks zur Versorgung von Inseln als Ersatz fuumlr Diesel generatoren auf Oumll- und Gasplattformen auf See eingesetzt Oder um Starkstrom vom Festland zu auf dem Meeresboden platzierten ferngesteuerten Foumlrderanlagen fuumlr Gas und Oumll zu leiten ndash wofuumlr ABB auch wartungsfreie Kompressoren liefert damit Kunden wie Statoil und Pet-robras teure Ausfaumllle erspart bleiben

Komplettloumlsungen aus einer HandDank hohem Innovationstempo sind die Divisionen Ener-gietechnik- und Niederspannungsprodukte gut ausgelas-tet Dies gilt ebenso fuumlr die Divisionen Industrie- und Pro-zessautomation Speziell energieintensive Industrien die unter hohem Kostendruck stehen muumlssen ihre Anlagen auf dem neusten Stand halten Dazu zaumlhlen Bergbau Oumll- und Gasindustrie Zellstoff- Papier- und Zementfabriken Chemie- und Pharmafirmen sowie Raffinerien Gefragt sind auch Industrieroboter und schwenkbare dank ABB-Leistungselektronik stufenlos regulierbare Schiffsantrie-be ABB liefert Grosskunden fertige Loumlsungen die hohe Produktivitaumlt und Energieeffizienz gewaumlhrleisten Alles ist aufeinander abgestimmt von der Elektrik uumlber Antriebe Generatoren Roboter Sensoren und Steuerungen bis hin

Zu Beginn des Jahrtausends stand ABB am Abgrund Doch eine neue Fuumlhrungscrew fuumlhrte das Unternehmen aus der Krise sodass die Schweiz inzwischen wieder stolz sein kann auf ihren Industriemulti mit Sitz in Zuumlrich Oerli-kon 2013 erzielte ABB mit rund 148 000 Mitarbeitenden in 100 Laumlndern 42 Milliarden Dollar Umsatz Die renom-mierte US-Universitaumlt MIT zaumlhlt ABB zu den 50 innova-tivsten Unternehmen weltweit Dank 8 000 Ingenieuren in Forschung und Entwicklung und einem Forschungsetat von 15 Milliarden Dollar kann ABB selbst mit Giganten wie Siemens und General Electric mithalten

Innovationen die Technikfans begeisternWas ABB alles macht wissen wohl nur Technikfans Denn der Konzern hat uumlber 70 000 Produkte im Angebot Die 300 ABB-Fabriken liefern taumlglich 15 Millionen Kompo-nenten aus die zu elektrischen Einrichtungen oder in Pro-duktionssteuerungen verbaut werden Aus Kanada etwa kam juumlngst ein Grossauftrag uumlber 400 Millionen Dollar Erneuerbare Energie die auf Neufundland und Labrador gewonnen wird soll ab 2017 via Hochspannungskabel 360 Kilometer nach Westen fliessen um dort 350 000 Haumluser zu versorgen Weltweit gibt es erst 90 solche Gleichstromkabelverbindungen die meist unter der Erde oder auf dem Meeresgrund verlaufen ABB ist mit rund 50 Prozent Anteil Marktfuumlhrer Die futuristisch anmuten-de Technik in den abgeschirmten Hallen wo der Strom vor dem Transport auf Hochspannung transformiert wird erinnert an den Maschinenraum von Raumschiff Enter-prise Ein wichtiges Steuerungselement bilden dabei in Baden Daumlttwil entwickelte und in Lenzburg produzierte Spezialchips die Houmlchstspannung aushalten Neu entwi-

Der schweizerisch-schwedische Technikkonzern treibt an vor-derster Front die Energiewende voran Dafuumlr forscht man bei ABB intensiv zu erneuerbaren Energien schlauen Stromnetzen sowie hocheffizienten Industrieanlagen Einzig die schwache Nachfrage nach Energieanlagen in Europa bremst die ExpansionText Andreas Fluumltsch

Innovativer Treiber der Energiewende

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uumlber weite Strecken in die Ballungsraumlume geleitet werden muss brummt das Geschaumlft In den USA treibt der Oumll- und Gasboom die Nachfrage Nur in Europa harzt das Geschaumlft mit Grossanlagen Weniger Nachfrage belastet die Margen bei Auftraumlgen fuumlr Wind- und Solarfarmen so-wie fuumlr Netzinfrastruktur Die Risiken der oft mehrjaumlhrigen Projekte sind so hoch dass ABB waumlhlerischer sein muss und etwa das Geschaumlft mit Solarloumlsungen zurzeit auf Sparflamme betreibt Dennoch ist ABB immer noch hoch-profitabel nicht zuletzt da die Kosten Jahr fuumlr Jahr um 3 bis 5 Prozent gesenkt werden Aber der erfolgsgewohnte Konzern musste sich 2013 mit 6 Prozent Umsatzplus zu-friedengeben Umso intensiver treibt der neue ABB-Chef Ulrich Spiesshofer die Integration der vorab in den USA fuumlr 10 Milliarden Dollar getaumltigten Zukaumlufe voran Und Spiess-hofer forciert die Zusammenarbeit der Divisionen damit ABB die Unternehmensvision laquoEnergie und Produktivitaumlt fuumlr eine bessere Weltraquo mit moumlglichst vielen eigenen Pro-dukten realisieren kann

zur Leittechnik samt angepasster Software Kleine und mittlere Kunden ordern Komponenten oder Teilsysteme Ein wichtiges Verkaufsargument ist das Sparpotenzial von stufenlos steuerbaren Elektromotoren Nur einer von fuumlnf Motoren hat laut einer Erhebung des Bundes einen Leis-tungsregler der Rest laumluft auf Hochtouren und wird ndash man glaubt es kaum ndash bei Bedarf mit Klappen oder Ventilen mechanisch abgebremst Eine gigantische Verschwen-dung da Industriemotoren laut einer Studie der Schwei-zerischen Agentur fuumlr Energieeffizienz 27 Prozent des Schweizer Stromverbrauchs ausmachen

Europaumlische ZuruumlckhaltungEigentlich muumlsste die Division Energietechniksysteme ebenfalls ausgelastet sein Denn auch die Stromwirtschaft muss ihre Effizienz steigern Schliesslich erfordert die Energiewende einen Totalumbau der auf Verteilung ausge-richteten Netze damit diese unter der Last von Solar- und Windenergie nicht instabil werden Arbeit in Huumllle und Fuumllle fuumlr ABB sollte man meinen Doch der erst zaghafte Auf-schwung in Europa daumlmpft die Nachfrage Erschwerend kommt hinzu dass subventionierte Wind- und Solarener-gie in Europas liberalisiertem Strommarkt den Strompreis in ungeahnte Tiefen druumlckte Die Konkurrenzfaumlhigkeit von Wasser- Gas- und Atomkraftwerken hat gelitten Pump-speicher sind keine Goldesel mehr seit die erneuerbaren Energien die Preisspitzen brechen Entsprechend schie-ben Stromkonzerne wie Alpiq oder RWE Investitionen auf Unsicherheiten rund um den Atomausstieg belasten zu-saumltzlich Die voraussichtlich noch auf Jahre hinaus tiefen Strompreise schmaumllern auch die Faumlhigkeit der Besitzer von Hochspannungs- und Verteilnetzen deren Umruumlstung zu finanzieren hoch verschuldete EU-Staaten fahren die Foumlrderung von Wind- und Solarenergie zuruumlck

Straffe KostenkontrolleABB bekommt den Investitionsstau empfindlich zu spuuml-ren Die Division Energietechniksysteme schreibt seit eini-ger Zeit rote Zahlen Zwar ordern Grosskunden aus Asien und Lateinamerika weiterhin kraumlftig Neben China inves-tiert vermehrt auch Indien in neue Stromnetze Uumlberall dort wo die Bevoumllkerung rasch waumlchst oder der Strom

Andreas FluumltschAndreas Fluumltsch war urspruumlnglich Jurist und arbeitete ab 1983 als Journalist fuumlr laquoBlickraquo laquoWeltwocheraquo laquoBilanzraquo und laquoCashraquo Zwischen 1989 und 1990 war er Mitglied der Geschaumlftsleitung von Greenpeace Schweiz anschliessend Hausmann Nach der Ruumlck-kehr in den Journalismus 1992 arbeitete er bei laquoBlickraquo laquoSonntagszeitungraquo und laquoTages- Anzeigerraquo und absolvierte eine Ausbildung zum Boumlrsenhaumlndler Nach der Fruumlhpensio-nierung Ende 2013 machte er sich als Publi-zist selbststaumlndig

ABB in Zahlen (2013)Betriebsertrag 41 848 Mio USDBetriebsergebnis 4 387 Mio USDndash Industrieautomation 1 458 Mio USDndash Niederspannung 1 092 Mio USDndash Prozessautomation 990 Mio USDndash Energietechnik 1 331 Mio USDndash Energiesysteme 171 Mio USD

Mitarbeitende 147 700ndash davon in der Schweiz 6 966

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Hohe Nachfrage nach MinergieDer Erfolg der bisherigen Sparbemuumlhungen bleibt nicht aus laquoTrotz zunehmender Pro-Kopf-Wohnflaumlche und stei-gendem Komfort sinkt der Energieverbrauch fuumlrs Heizen in den letzten Jahrzehnten stetigraquo verkuumlndet der Zuumlrcher Regierungsrat im Energieplanungsbericht 2014 Dazu tra-gen nicht nur die laufend verschaumlrften Gesetze bei Ebenso wichtig ist die Bereitschaft von Bautraumlgerschaften freiwillig Uumlberdurchschnittliches zu leisten Vor allem die Minergie-Regeln werden inzwischen gerne befolgt weshalb Haumluser mit halbiertem Energieverbrauch beinahe Standard sind Schweizweit traumlgt eines von zehn neuen Wohnhaumlusern ein Minergie-Zertifikat Der Anteil an Minergie-Haumlusern im Grossraum Zuumlrich liegt gemaumlss einer Marktanalyse der Universitaumlt Zuumlrich bereits nahe bei 20 Prozent Dies ist privaten Hauseigentuumlmern und institutionellen Investoren zu verdanken Wohn- und Geschaumlftshaumluser mit houmlchster Energieeffizienz gehoumlren inzwischen zum guten Ton Den juumlngsten Beweis liefert eine Immobilienstiftung der Credit Suisse die 70 Millionen Franken in die groumlsste Oumlkosied-lung der Schweiz investiert Im Aargauer Reusstal wohnen seit diesem Jahr rund 200 Familien Paare und Singles deren Wohnhaumluser sich weitgehend selbst mit Sonnen-energie versorgen So klimafreundlich die Energiewende-Architektur ist der Investor erwartet dennoch marktuumlb-liche Renditen Ist der Markt aber bereit oumlkologisches Engagement angemessen zu honorieren

Marktpotenzial fruumlhzeitig erkanntDie Zuumlrcher Kantonalbank (ZKB) beziffert den Mehrwert von Minergie-Haumlusern auf 7 Prozent Kaumlufer seien bereit diesen Aufpreis fuumlr mehr Energieeffizienz zu bezahlen Als weitere Nebeneffekte nennt der vor drei Jahren publizierte ZKB-Bericht eine hochwertige dauerhafte Bausubstanz sowie die Absicherung gegen steigende Oumll- und Energie-preise Fachleute des Immobilienberatungsunternehmens Wuumlest amp Partner (WampP) warnen indes dass sich zusaumltz-liche Investitionen in die Energieeffizienz nicht uumlberall loh-nen laquoRegional schwankt die Zahlungsbereitschaft des Immobilienmarktsraquo praumlzisiert WampP-Partner Ivan Anton Minergie-Haumluser koumlnnen aber nicht nur in abgelegenen Regionen ein Marktrisiko werden laquoMit Ausnahme der

Beim Autokauf wird bevorzugt auf Pferdestaumlrken Be-schleunigung und Innenausstattung geachtet Der CO2-Ausstoss interessiert hingegen kaum So kommt die Energieeffizienz im Strassenverkehr nur stockend voran 1995 schluckten alle neu immatrikulierten Personen-wagen durchschnittlich 9 Liter Benzin pro 100 Kilometer 20 Jahre spaumlter liegt der Durchschnittsverbrauch gemaumlss Bundesamt fuumlr Energie (BFE) immer noch uumlber 6 Litern Das viel gepriesene laquoDrei-Liter-Autoraquo haben alle Hersteller wieder aus der Modellpalette genommen

Demgegenuumlber gelingen dem oft traumlge genannten Ge-baumludebereich weitaus groumlssere Effizienzspruumlnge Ver-brauchen 40 Jahre alte Haumluser im Schnitt 220 Kilowatt-stunden (kWh) Heizenergie pro Quadratmeter Wohnflaumlche und Jahr sind die aktuellen Werte unter die 50er-Marke gesunken Zusaumltzliche Sparerfolge sind nur eine Frage der Zeit Im Fruumlhsommer haben die kantonalen Energie-direktoren uumlber ein Rahmenabkommen beraten das Null-energieneubauten demnaumlchst zum Standard machen soll Wie die nationale Energiewende zu erreichen ist erklaumlrt Christoph Gmuumlr von der Abteilung Energie des Kantons Zuumlrich laquoDer spezifische Verbrauchswert ist zudem auf 35 kWh pro Quadratmeter zu senkenraquo Gebaumlude die sich mit umweltfreundlicher Energie selbst versorgen wollen auch die EU-Staaten Ab 2020 wird ein Gebaumludestandard eingefuumlhrt der nur noch laquoNiedrigstenergiegebaumluderaquo mit sehr hoher Energieeffizienz als Neubauten vorsieht

Energiesparhaumluser waren vor 30 Jahren Exoten inzwischen nimmt der Bereich der energie-effizienten Gebaumlude eine Vor-bildrolle fuumlr die Energie wende ein Bauherren profitieren davon ebenso wie die Zuliefer-branche Text Paul Knuumlsel

Expertensicht

Haumluser in der ersten Reihe

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der Bau von Niedrigenergiehaumlusern und alternativen Hei-zungsanlagen sowie energetische Gebaumludesanierungen Investitionen im Umfang von rund 4 Milliarden Franken ausgeloumlst rechnet der Bund vor laquoEin Fuumlnftel insgesamt 860 Millionen Franken stammt aus den oumlffentlichen Kas-senraquo verweist die BFE-Stelle EnergieSchweiz auf die Im-pulse der kantonalen Foumlrderprogramme Einen Wermuts-tropfen besitzt diese Wirkungsbilanz Fruumlhere Analysen der Energiesparprogramme zeigen naumlmlich dass zwi-schen einem Drittel und der Haumllfte der energetisch vorbild-lichen Gebaumlude auch ohne staatliche Foumlrderung realisiert worden waumlren Dem Mitnahmeeffekt ist auch die Eidge-noumlssische Steuerverwaltung auf der Spur Sie schaumltzt dass Bund und Kantonen jaumlhrlich 14 Milliarden Franken entgehen weil energetische Gebaumludesanierungen bei der Liegenschaftssteuer abzugsberechtigt sind Die Energie-wende erfordert nicht nur mehr Effizienz bei den Anwen-dungen sondern auch einen effizienten Einsatz staatlicher Mittel Im Energieplanungsbericht 2013 hat der Zuumlrcher Regierungsrat erstmals uumlber alternative Anreizsysteme nachgedacht Demnach soll eine Lenkungsabgabe den Energiekonsum reduzieren und das bisherige Foumlrdersys-tem abloumlsen Aumlhnliche Plaumlne verfolgt der Bund Denn ein Lenkungssystem duumlrfte weitere Sparbemuumlhungen im Ge-baumludebereich aber auch im Strassenverkehr foumlrdern Ins-besondere dann wenn Heizoumll und Benzin im Gleichschritt teurer werden

begehrten Wohnlagen haben Hauseigentuumlmer an vielen Orten mit moumlglichen Verkaufsverlusten zu rechnenraquo so Anton Zwar sei die Nachfrage bei Eigentuumlmern und Mie-tern aumlhnlich gross Aber auch Mieter wuumlrden nicht uumlberall mehr fuumlr eine energieeffiziente Wohnung bezahlen Kaum uumlberraschen darf daher dass Immobilieninvestoren immer haumlufiger die steigenden Energieanforderungen kritisieren und kostenguumlnstigere Baustandards vorziehen Fuumlr WampP-Berater Urs Hausmann ist laquonachhaltiges Bauen trotzdem keine Frage von Luxus oder Wohlstand sondern eine wie man mit Ressourcen umgehen willraquo Dass ein hohes Um-weltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauen Der Run auf den oumlkologischen Baustoff Holz laumlsst zum Beispiel eine gesamte Wertschoumlpfungskette und viele

innovative Unternehmen profitieren Forstbetriebe Sauml-gereien Fensterbauer Daumlmmstoffhersteller und andere Bauzulieferer vergroumlssern ihre Produktionskapazitaumlten und stellen zusaumltzliches Personal ein laquoDie Umsaumltze im Schweizer Holzbau sind in den letzten Jahren um mehrere Hundert Millionen Franken gestiegen und die Trendkurve zeigt weiter nach obenraquo freut sich Christoph Starck Di-rektor des Holzbaudachverbands Lignum

Einheimische Zulieferer als GewinnerAuch im Verein Minergie ist man sich bewusst dass sich energieeffizientes Bauen wirtschaftlich positiv auswirkt In den letzten 15 Jahren sind 25 000 Wohnhaumluser Buumlro-komplexe Schulbauten Sport- und Industriehallen mit Niedrig energiezertifikat entstanden Gemeinsam sparen sie 15 Milliarden Kilowattstunden Energie laquoUumlber 2 Milliar-den Franken wurden zusaumltzlich investiertraquo rechnet Miner-gie-Sprecher Antonio Milelli vor Anstatt fossile Brennstoffe einzukaufen wird mehr Geld fuumlr Daumlmmstoffe Isolierfenster Luumlftungsanlagen und Sonnenkollektoren aus inlaumlndischer Fabrikation ausgegeben Zwischen 2001 und 2012 haben

Paul KnuumlselPaul Knuumlsel studierte Umweltnaturwissen-schaften an der ETH Zuumlrich Er ist unabhaumln-giger Wissenschaftsjournalist und schreibt seit Jahren in Publikums- und Fachmedien uumlber die vielfaumlltigen Aspekte des nachhalti-gen Bauens Zusaumltzlich betreut er in der Re-daktion des laquoTEC21raquo das Ressort laquoEnergie und Umweltraquo

laquoDass ein hohes Umweltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren

derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauenraquo

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Der Wasserkraft Sorge tragen

Welchen Beitrag kann die Wasserwirtschaft zur Energie-wende leisten Roger Pfammatter Die Wasserkraft ist der energie-politische Trumpf der Schweiz Wir befinden uns in der gluumlcklichen Lage uumlber grosse Mengen Wasser und das notwendige Gefaumllle zu verfuumlgen ndash das sind die beiden wichtigsten Voraussetzungen fuumlr die hydroelektrische Produktion Und wir haben in den vergangenen 100 Jah-ren gelernt dieses Potenzial effizient und moumlglichst um-weltschonend zu nutzen Die Wasserkraft ist der Schluumls-sel fuumlr eine nachhaltige Energieversorgung technisch ausgereift politisch erwuumlnscht einheimisch erneuerbar und CO2-frei

Wie viel mehr ist moumlglichHeute leistet die Wasserkraft nicht nur rund 60 Prozent der Stromproduktion in der Schweiz sondern bietet auch unverzichtbare Regel- und Systemdienstleistungen die markant an Bedeutung gewinnen werden Vor allem bei der Flexibilisierung der Wasserkraft durch mehr Leistung und Speichervolumen waumlre noch einiges moumlglich Um die Aufgaben weiterhin zu gewaumlhrleisten muumlssen wir aber primaumlr dem Bestehenden Sorge tragen

Die Energiestrategie des Bundes gibt aber klare Ausbau-ziele vor Bis 2035 soll die Stromproduktion aus Wasser-kraft um 10 Prozent steigenUnter den momentanen Rahmenbedingungen ist dieses Ausbauziel nicht realistisch Im Gegenteil Aufgrund der Restwasserbestimmungen wird die Produktion in den naumlchsten Jahren vermutlich sogar zuruumlckgehen

Die Wasserkraft ist der wichtigste Pfeiler der Schweizer Ener-giewirtschaft ihr Potenzial ist aber weitgehend ausgeschoumlpft Roger Pfammatter Geschaumlftsfuumlhrer des Wasserwirtschaftsver-bands gibt im Interview Auskunft uumlber die Lage der Branche und ihre Bedeutung fuumlr die EnergiezukunftInterview Florian Wehrli

Expertensicht

Was muss sich aumlndern damit die vorgegebenen Ziele um-gesetzt werden koumlnnenZum einen braucht es dafuumlr die Akzeptanz der Umweltver-baumlnde der Fischer und letztlich der gesamten Bevoumllkerung Zum anderen muumlssen laumlngerfristig die extremen Marktver-zerrungen abgebaut werden damit sich auch Investitionen in die nicht gefoumlrderte Wasserkraft wieder lohnen Heute wird nur noch in subventionierte Anlagen investiert

Wer ist hier in der PflichtHier ist die Politik gefordert die Rahmenbedingungen zu verbessern Denn ohne die Wasserkraft kann die Energie-wende nicht gelingen

Anfang Jahr wurde der Wasserwirtschaftsverband von den zustaumlndigen Kommissionen angehoumlrt Welche Forderun-gen hat die Branche an das ParlamentWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerba-re Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichten die bereits bis zur Haumllfte der Geste-hungskosten ausmachen Damit sind wir doppelt diskrimi-niert Die Wasserkraft ist extrem unter Preisdruck ndash und dies obwohl sie mit Gestehungskosten zwischen 3 und 10 Rappen pro Kilowattstunde die effizienteste Strompro-duktionstechnologie ist Nur zum Vergleich Fotovoltaik -anlagen werden heute mit rund 40 Rappen subventioniert

Bis 2011 liess sich mit der Grosswasserkraft noch viel Geld verdienen Wurden zu wenige Ruumlcklagen fuumlr schlechte Zei-ten gebildet

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Es kann nicht der Sinn sein Ruumlcklagen fuumlr Zeiten zu bil-den in denen die Marktpreise die Gestehungskosten nicht mehr decken Das waumlre wie wenn ein Baumlcker auf jedem Gipfeli einige Rappen zuruumlckbehalten muumlsste damit er sie am naumlchsten Tag gratis abgeben kann Mit dem durch Subventionen verzerrten Marktpreis von 4 bis 5 Rappen pro Kilowattstunde ist unter den konventionellen Energie-traumlgern praktisch nur Kohle konkurrenzfaumlhig Das ist be-stimmt nicht im Sinn der Energiewende

Drei Grosswasserkraftprojekte sind heute bereits im Bau Koumlnnen die enormen Kosten uumlberhaupt amortisiert wer-denPrognosen sind schwierig An der europaumlischen Strom-boumlrse (EEX) werden bis 2020 Strompreise zwischen 45 und 53 Rappen pro Kilowattstunde gehandelt Der Markt glaubt also nicht an eine baldige Erholung Dafuumlr muumlsste das Uumlberangebot in Europa zuruumlckgehen etwa uumlber die Anhebung des CO2-Preises von heute 5 auf mindestens 30 Euro pro Tonne Politisch ist das aber kaum durchsetz-bar Neue Pumpspeicherwerke werden sich deshalb wohl erst in mehreren Jahrzehnten lohnen

Was kann die Kleinwasserkraft leistenOhne die kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) wuumlr-de niemand Kleinwasserkraftanlagen bauen genauso we-nig wie Fotovoltaik- Wind- oder Biomasseanlagen Zurzeit gibt es aber allein bei der Kleinwasserkraft rund 1 000 An-meldungen fuumlr Foumlrderbeitraumlge mit einem bescheidenen Ge-samtpotenzial von 33 Terawattstunden pro Jahr Die oumlko-logischen Auswirkungen sind im Vergleich zum Ertrag zu gross Obwohl wir von marktverzerrenden Foumlrderprogram-men wegkommen sollten waumlre es in einer Uumlbergangs phase sinnvoll die KEV-Obergrenze von 10 Mega watt aufzuheben und dort zu foumlrdern wo es wirklich etwas bringt

Wie soll die Grosswasserkraft unterstuumltzt werdenDas Sinnvollste waumlre die Abkehr von der Subventions-maschinerie ndash und zwar auf europaumlischer Ebene Dann wuumlrde sich die Wasserkraft als effiziente erneuerbare Stromproduktionsform mit Sicherheit durchsetzen Min-destens als Uumlbergangsloumlsung waumlre aber die Entlastung

von Abgaben in erster Linie vom Wasserzins dringend Der maximale Wasserzins wurde in den letzten vier Jahren um 38 Prozent erhoumlht und wird naumlchstes Jahr um weite-re 10 Prozent angehoben Diese Erhoumlhung wurde 2008 beschlossen und steht heute in keinerlei Bezug mehr zur Ertrags lage Kurzfristig koumlnnten die Kantone auf einen Teil dieser Zinsen verzichten ndash das waumlre ein wichtiges politi-sches Zeichen Langfristig muss ein neuer Modus fuumlr die Zinsberechnung gefunden werden der die Ertragslage der Wasserkraft mitberuumlcksichtigt Das ist auch im Interesse von Bund Kantonen und Gemeinden schliesslich ist die Wasserkraft zu 85 Prozent in oumlffentlicher Hand Ebenfalls als Uumlbergangsloumlsung bis zu besseren Marktpreisen waumlren zinsguumlnstige Darlehen fuumlr die noumltigen Investitionen in die Grosswasserkraft denkbar Ohne mindestens eine dieser Massnahmen kann die Wasserwirtschaft das geforderte Ausbauziel nicht erreichen

Bis dahin gibt es noch eine weitere Huumlrde den Heimfall der Stauanlagen an die Standortgemeinden Welchen Ein-fluss hat dieser UmstandWenn die Konzessionen nach 80 oder 100 Jahren aus-laufen muss der Betreiber der Gemeinde eine Entschaumldi-gung fuumlr den Restwert der Anlagen entrichten Im Fall der Staumauer Barberine bezahlen die SBB und Alpiq 2017 an sechs Walliser Gemeinden 343 Millionen Franken Das 400-Seelen-Dorf Finhaut erhaumllt alleine 112 Millionen Fran-ken und weiss kaum wohin mit dem Geld Der gesamte Wert des Heimfalls der Anlagen bewegt sich schweizweit im Milliardenbereich Der Houmlhepunkt des Heimfalls wird um 2035 erreicht werden Bis zu diesem Zeitpunkt soll aber auch ein Grossteil der geforderten Produktionsstei-gerung umgesetzt werden

Bei der Stromproduktion ist ein Ausbau von uumlber 10 Pro-zent wohl nicht realistisch Wie sieht es bei der Speicher-leistung aus Hier muss man unterscheiden zwischen kurzfristiger und saisonaler Speicherung Fuumlr die saisonale Speicherung verfuumlgt die Schweiz mit 200 Speicherseen uumlber ein Vo-lumen von rund 9 000 Gigawattstunden (GWh) die jedes Jahr vom Sommer in den Winter umgelagert werden Dies

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Expertensicht

entspricht einem Viertel der jaumlhrlichen Produktion aus Wasserkraft Das Ausbaupotenzial durch die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren betraumlgt rund 2 000 GWh Falls der Ausbau aber nicht gelingt entsteht im Winter durch den Ausfall der Kernenergie eine immer groumlssere Luumlcke an Bandenergie die durch den Import von Atom- oder Kohlestrom gedeckt werden muss

Wie sieht es beim Ausbau der Pumpleistung zum kurzfris-tigen Ausgleich von Schwankungen im Netz ausGrundsaumltzlich ist das Potenzial fuumlr Pumpspeicherwerke in der Schweiz riesig Es braucht nur zwei Seen auf unter-schiedlicher Houmlhe Die Frage ist ob sich solche Investi-tionen rechnen Die Pumpspeicherwerke finanzieren sich

uumlber den Preisunterschied zwischen Band- und Spitzen-energie Wenn an einem schoumlnen Sommertag in Europa mittags die geballte Ladung an Sonnen- und Windener-gie eingespeist wird koumlnnen die Pumpspeicherkraftwerke sehr guumlnstig oder sogar zu Negativpreisen Strom bezie-hen Man darf aber nicht vergessen dass dieselbe Situa-tion fuumlr die Laufwasserkraftwerke die rund die Haumllfte der Wasserkraftproduktion in der Schweiz ausmachen den gegenteiligen Effekt hat Diese koumlnnen aus technischen konzessionsrechtlichen oder oumlkologischen Gruumlnden nicht vom Netz genommen werden und muumlssen fuumlr ihre Strom-produktion bezahlen Das kann gehoumlrig ins Geld gehen An Weihnachten 2012 lag der Strompreis zum Beispiel bei minus 30 Rappen pro Kilowattstunde

Roger Pfammatter laquoWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerbare Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichtenraquo

Bild Florian Wehrli

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cherseen zur Flexibilisierung Damit das gelingt muss der Wert der Wasserkraft staumlrker im Bewusstsein der Bevoumllke-rung verankert sein Und nicht zuletzt muss der Marktpreis so weit uumlber den Gestehungskosten liegen dass sich In-vestitionen in die Wasserwirtschaft rentieren

Versuchen das Bestehende zu erhalten Diese Vision klingt etwas resigniertDas ist eine Frage der Perspektive Die Wasserkraft hat als Technologie in der Schweiz seit Langem Bestand Sie befindet sich in einer anderen Situation als Fotovoltaik und Windenergie die sich in einem hochdynamischen Umfeld mit grossem Potenzial in Forschung und Wachstum be-finden Die Wasserkraft ist dagegen nicht mehr in der Auf-bruchsphase sondern in der Konsolidierungsphase Da-fuumlr kann man sich auf die Wasserkraftwerke verlassen Sie produzieren bei Tag und in der Nacht im Sommer wie im Winter bei Windstille oder im Nebel Auch der Erhalt und die Optimierung des Bestehenden sind grosse Heraus-forderungen und bedingen grosse Investitionen

Sehen Sie eine Moumlglichkeit wie die Schweizer Wasser-wirtschaft in Zukunft Geld mit Systemdienstleistungen wie Netzstabilitaumlt verdienen kannDie unregelmaumlssig einspeisenden Stromproduzenten neh-men keinerlei Systemverantwortung wahr Ich habe selbst ein Solarpanel auf dem Dach Wenn Produktion moumlglich ist speise ich Strom ins Netz ein wenn nicht beziehe ich Die Produzenten mehr in die Verantwortung zu nehmen faumlnde ich sinnvoll ndash zum Beispiel uumlber Zertifikate fuumlr Spei-cherleistungen Diese koumlnnten bei Pumpspeicherwerken bezogen werden

Welcher Ausbau der Pumpspeicherleistung ist dafuumlr noumltigDie installierte Leistung betraumlgt heute rund 14 Gigawatt (GW) Mit den im Bau befindlichen und den geplanten An-lagen kann die Kapazitaumlt maximal auf 51 GW ausgebaut werden ndash etwa die Haumllfte der Jahreshoumlchstlast im Netz Damit die Schweizer Wasserkraft aber einen Beitrag zur Stabilitaumlt des europaumlischen Stromnetzes leisten kann muumlssten auch das Stauvolumen und die Leitungskapazi-taumlt erhoumlht werden Hier sind die Einsprachen von Anwoh-nern und Umweltverbaumlnden noch gravierender als bei den Anlagen selbst

Braucht es neue rechtliche Instrumente um den geplan-ten Ausbau durchsetzen zu koumlnnenEs braucht vor allem die Einsicht dass die Wasserkraft das Ruumlckgrat unserer Versorgungssicherheit ist und die Aus-wirkungen eines Ausbaus immer auch mit den Alternativen verglichen werden muumlssen Wir befinden uns aber auch in einem intensiv genutzten Land mit vielen Partikularinteres-sen Diese muumlssen gewichtet und abgewogen werden In der Abwaumlgung zwischen Landschaftsschutz und Wasser-nutzung waumlre es hilfreich wenn Grosswasserkraftanlagen den Status von nationalem Interesse erhalten

Wie soll die Schweizer Wasserwirtschaft im Jahr 2035 aussehenIch wuumlnsche mir dass die bestehende Infrastruktur auf dem heutigen Stand erhalten optimiert oumlkologisiert und im Idealfall etwas ausgebaut wird Dazu gehoumlren etwa die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren sowie neue Spei-

Roger PfammatterSeit seinem Ingenieurstudium an der ETH Zuumlrich hat er sich in ver-schiedenen Rollen dem Wasser verschrieben Nach sieben Lehr- und Wanderjahren in der Forschung und in der Entwicklungszusammen-arbeit war er zehn Jahre beim Ingenieurunternehmen Ernst Basler + Partner engagiert Seit 2010 ist er Geschaumlftsfuumlhrer des Schweizeri-schen Wasserwirtschaftsverbandes (SWV) und Herausgeber der Zeit-schrift laquoWasser Energie Luftraquo In diesen Funktionen setzt er sich ein fuumlr den Fachaustausch und gute Rahmenbedingungen in den Bereichen Wasserkraft und Hochwasserschutz

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Die globalen Energiemaumlrkte sind seit einigen Jahren stark in Bewegung Volatile Erdoumllpreise die Foumlrderung von un-konventionellen Gasvorkommen in grossem Stil die mas-sive Subventionierung von neuen erneuerbaren Energien in Deutschland der laquoarabische Fruumlhlingraquo und der Konflikt in der Ukraine hinterlassen Spuren Die Folge sind starke Verwerfungen an den Maumlrkten und fehlende Investitionssi-cherheit In diesem dynamischen und unsicheren Kontext will der Bund die bisherige Energiepolitik neu ausrichten ndash wahrlich eine Herkulesaufgabe Die Schweizer Wirtschaft verlangt dass der Bund bei der Neuausrichtung der Ener-giepolitik seinem in der Verfassung verankerten Auftrag nachkommt und sich fuumlr eine ausreichende sichere breit gefaumlcherte wirtschaftliche und umweltvertraumlgliche Ener-gieversorgung einsetzt Somit ist klar Die Energiestrate-gie 2050 muss in erheblichen Teilen optimiert und justiert werden Nur wenn vernetzt gedacht wird ist eine sichere Versorgung zu wettbewerbsfaumlhigen Preisen moumlglich

Prognosen klaffen weit auseinanderSeit Jahrzehnten bietet der Strommix aus Wasserkraft (knapp 60 Prozent) und Kernenergie (40 Prozent) Gewaumlhr fuumlr eine sichere klimafreundliche und wirtschaftliche Ener-gieversorgung Im Rahmen der Energiestrategie 2050 muss die Kernenergie langfristig ersetzt werden Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen zumal die Ziele des Bundes

Lebenselixier der Wirtschaft

Die Schweizer Wirtschaft ist auch in Zukunft auf eine sichere und wirtschaftliche Stromver-sorgung angewiesen Die Ener-giestrategie 2050 setzt stark auf Subventionen Dadurch entstehen Fehlanreize welche die Versorgungssicherheit ge-faumlhrdenText Kurt Lanz

Expertensicht

in Bezug auf das Potenzial der neuen erneuerbaren Ener-gien von Wunschdenken geleitet sind Die neuen erneuer-baren Energien werden sich langsamer entwickeln als an-gestrebt Der Bund rechnet mit rund 12 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2035 die Schweizer Wirtschaft mit 44 TWh Die vorsichtigeren Prognosen der Wirtschaft scheinen re-alistischer Dies zeigen exemplarisch die gescheiterten Geothermieprojekte in Basel und St Gallen Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Nachfrageprognosen Der Bund rechnet in seinen Szenarien mit einem Ruumlckgang des Stromverbrauchs pro Kopf von 16 Prozent zwischen 2000 und 2035 Die Schweizer Wirtschaft orientiert sich in ihren Szenarien am Verband Schweizerischer Elektrizitaumlts-unternehmen (VSE) der weiter mit einer steigenden Nach-frage rechnet Die Wirtschaft fordert von der Politik eine vernuumlnftige Planung aufgrund realistischer Schaumltzungen Die Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energiestrategie nicht gefaumlhrdet werden

Subventionen fuumlhren zu FehlanreizenDie Schweiz hat seit vielen Jahrzehnten erfolgreich die Wasserkraft vorangetrieben Aus politischen Gruumlnden wird nun die ndash unregelmaumlssige ndash Stromproduktion durch Sonnen- und Windenergie forciert Unsere sogenann-te kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) entspricht dem deutschen Foumlrdermodell Beide haben das gleiche Ziel Sie sollen erneuerbare Energien ausbauen indem sie neue Formen der Stromproduktion zur Marktreife brin-gen Weil das KEV-System die Sonnen- und Windenergie massiv foumlrdert kommt ein weiterer Ausbau der bewaumlhrten Wasserkraft nicht infrage Diese Entwicklung gefaumlhrdet die Versorgungssicherheit der Schweiz Auf den ersten Blick sinken zwar die Produktionskosten fuumlr Solarstrom gleich-zeitig steigen aber die Kosten fuumlr Speicherung und Inte-gration ins Netz spuumlrbar Auch ist der Ausbau von Solar- und Windenergie nur von beschraumlnktem Nutzen solange keine ausreichenden Speicherkapazitaumlten vorhanden sind Nur Preissignale koumlnnen das Investitionsverhalten von Stromproduzenten Netzbetreibern und Konsumen-ten sinnvoll lenken Subventionen sind zu beseitigen denn sie fuumlhren zu Fehlanreizen

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Alle Optionen offenhaltenOffenheit und Neugier gehoumlren zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft Kategorisches Abwehrverhalten und Denkverbote verhindern konstruktive Loumlsungsansaumltze und Innovation Eine sichere und kostenguumlnstige Strom-versorgung kann auch in Zukunft nur mit der notwendi-gen Offenheit gegenuumlber allen Technologien und Energie-

systemen garantiert werden Die Schweiz ist dank einer erfolgreichen Hochschulland-schaft und vielen Technolo-gieunternehmen gut geruumlstet Die verschiedenen Energie-systeme muumlssen faktenba-siert und ohne ideologische

Scheuklappen verglichen werden Nur so koumlnnen effizi-ente und umweltvertraumlgliche Loumlsungen gefunden werden Das heutige System der Foumlrderung der neuen erneuer-baren Energien ist durch ein marktorientiertes System ab-zuloumlsen Produzenten die nachfragegerecht einspeisen sollen eine houmlhere Verguumltung erhalten als andere Auch soll der Vorrang der Netzeinspeisung fuumlr subventionierte Energietraumlger aufgehoben werden

laquoDie Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit

des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energie strategie nicht

gefaumlhrdet werdenraquo

Schnellere Verfahren anstrebenGrundvoraussetzung fuumlr eine Neuausrichtung der Ener-giepolitik sind funktionierende Stromnetze Diese muumls-sen zwingend parallel zum Umbau der Stromproduktion weiterentwickelt werden Allein der noumltige Ausbau der Uumlbertragungsnetze belaumluft sich auf rund 1 000 Kilometer bis ins Jahr 2020 Erforderlich sind zudem Investitionen in alle Verteilernetzebenen Al-lerdings verzoumlgern komplizier-te Verfahren auf Kantons- und Bundesebene den Ausbau Ausserdem erwaumlchst praktisch jedem Projekt Widerstand von privater Seite was zu weiteren Verzoumlgerungen fuumlhrt Die Wirt-schaft fordert deshalb Bei Bewilligungen von Stromnetzen ist der Gang vors Bundesgericht nur noch bei Grundsatz-fragen moumlglich Umbauten sowie Spannungs- und Kapa-zitaumltserweiterungen koumlnnen ohne Planungsgenehmigung realisiert werden Ausserdem sind die Verfahren bei einer einzigen Leitbehoumlrde anzusiedeln

Spielfeld erweiternDie Schweiz ist seit jeher ein wichtiges Stromtransitland Schon seit den 90er-Jahren treibt die EU die Vereinheitli-chung des Binnenmarkts fuumlr Strom hin zu einem eigent-lichen EU-Strommarkt voran In der Schweiz erweist sich die gesetzliche Trennung von Grundversorgung und Markt diesbezuumlglich zunehmend als Hindernis Aus Sicht der Wirtschaft ist die vollstaumlndige Liberalisierung des Strom-markts eine zwingende Voraussetzung fuumlr eine erfolgrei-che energiepolitische Neuausrichtung

Eine Marktoumlffnung wuumlrde insbesondere auch den erneuer-baren Energien neue Chancen eroumlffnen und Zugang zu neuen Kunden gewaumlhren Von hoher Wichtigkeit ist auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU Je groumlsser der Anteil erneuerbarer Energien umso wichtiger ist die Einbettung in Europa denn Investitionen in Netze und Produktion koumlnnen in Koordination mit der EU wirkungsvoller und wahrscheinlich kostenguumlnstiger getaumltigt werden

Kurt LanzKurt Lanz ist Leiter Infrastruktur Energie und Umwelt sowie Geschaumlftsleitungsmitglied von economiesuisse dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft

Gut vernetzt ndash Vorschlaumlge der Schweizer Wirtschaftzur EnergiepolitikDie Publikation basiert auf der Grundlagenarbeit der breit abgestuumltz-ten Energiekommission von economiesuisse und macht konstruk-tive Vorschlaumlge fuumlr einen erfolgreichen energiepolitischen Weg der Schweiz Download unter wwweconomiesuissech

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

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Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

wwwsmlzhawch

Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 24: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

24 COMPETENCE | 2014

nicht vollstaumlndig genutzt werden kann In der Energiestra-tegie des Bundes ist gemaumlss einem Szenario bis 2050 ein Zubau auf knapp 12 TWh pro Jahr Stromproduktion aus Fotovoltaik angedacht Dies bedingt den Bau von Fotovol-taikanlagen mit einer installierten Spitzenleistung von etwa 12 Gigawattpeak (GWp) und einem Flaumlchenbedarf von rund 84 000 000 Quadratmetern Dieser Flaumlchenbedarf ist auf den bestehenden Daumlchern in der Schweiz verfuumlgbar

An einem schoumlnen Sommertag koumlnnen diese Anlagen dann also etwa 12 GW erzeugen die maximale Ver-brauchslast liegt im Sommer aber nur bei rund 8 GW Es entsteht ein Uumlberschuss von 4 GW die Speicherleistung der Schweizer Pumpspeicheranlagen betraumlgt heute aber nur 15 GW 25 GW Leistung koumlnnen in diesem Szenario also gar nicht genutzt werden An einem Wintertag mit Hochnebel erzeugen diese Anlagen uumlberhaupt keinen Strom die Verbrauchslast liegt aber mit 10 GW noch houml-her als im Sommer Hier entsteht eine Luumlcke die mit ande-ren Energieformen oder Importen gedeckt werden muss

Speichern uumlbertragen oder einsparenUm diesem Problem zu begegnen gibt es verschiedene Loumlsungsansaumltze Ein Ansatz ist die Energie lokal dort zu speichern wo sie erzeugt aber nicht sofort verbraucht werden kann In diesem Fall werden in erster Linie viele kleine Speichermodule benoumltigt die sowohl fuumlr kurz- als auch langfristigen Ausgleich sorgen muumlssen Eine andere Moumlglichkeit ist es die Energie an Orte zu uumlbertragen wo sie sofort verbraucht wird dann muss in erster Linie das Netz ausgebaut werden Schliesslich koumlnnte Energie auch zentral zu grossen Speichern transportiert werden was sowohl einen Netzausbau als auch neue Speichertechno-logien bedingen wuumlrde

Als die Gesellschaft noch aus Jaumlgern und Sammlern be-stand verbrauchte der Mensch seine Energie lokal dort wo er sie benoumltigte Er lebte von der Hand in den Mund Im Zuge der aufkommenden Landwirtschaft musste er Methoden entwickeln um Nahrung haltbar zu machen und sie zu transportieren Vor demselben Problem steht heute die Energiewirtschaft Ort und Zeit der erneuerbaren Energieerzeugung korrelieren je laumlnger je weniger mit dem Verbrauch Die Herausforderung der Energiewende ist deshalb nicht nur die Produktion selbst sondern auch die Uumlbertragung die Speicherung und das lokale Verbrauchs-last-Management

Saisonale Speicherung problematischMit dem Ausstieg aus der Kernenergie muumlssen in der Schweiz etwa 40 Prozent der produzierten elektrischen Energie ersetzt werden also rund 23 Terawattstunden (TWh) pro Jahr Im Gegensatz zur Kernenergie haben die neuen erneuerbaren Energien den Nachteil dass ihre Pro-duktion nicht steuerbar ist und unregelmaumlssig anfaumlllt Der Kapazitaumltsfaktor also das Verhaumlltnis von durchschnittlicher zu maximaler Leistung betraumlgt bei konventionellen Kraft-werken bis zu 100 Prozent bei Fotovoltaikanlagen dage-gen nur etwa 10 Prozent Hinzu kommen die starken saiso-nalen Schwankungen dieser stochastisch erzeugenden Energiequellen Im Winter liegt die Stromverbrauchsspitze mit circa 10 Gigawatt (GW) rund ein Drittel houmlher als im Sommer gleichzeitig liefern Fotovoltaikanlagen aufgrund des flacheren Einstrahlungswinkels und der kuumlrzeren Son-nenscheindauer wesentlich weniger Strom als im Sommer

Anhand eines Gedankenexperiments laumlsst sich veran-schaulichen dass das Potenzial der neuen erneuerbaren Energien ohne zusaumltzliche Speicher oder steuerbare Lasten

Energie haltbar machen

Der Ausbau von erneuerbaren Energiequellen geht so schnell voran dass Speicher- und Uumlbertragungstechnologien kaum mithalten koumlnnen Um Produktionsspitzen zu glaumltten braucht es Fortschritte in der EnergietechnikText Petr Korba

Hochschulperspektive

25COMPETENCE | 2014

Petr KorbaProf Dr Petr Korba ist Dozent und Fach-gruppenleiter fuumlr elektrische Energietechnik und Smart Grids an der ZHAW School of En-gineering Zuvor forschte er uumlber zehn Jahre bei ABB Schweiz in den Bereichen Automa-tion Energie- und Regelungstechnik

Scherrer Institut an der Power2Gas-Technologie Dabei wird Kohlendioxid mit Strom aus erneuerbaren Quellen durch Elektrolyse zu Wasserstoff oder weiter zu Methan verarbeitet Aumlhnlich wie bei der Nahrungsmittelproduktion wo Staumlrke schliesslich als raffinierter Zucker gespeichert wird gibt es auch bei der Stromspeicherung immer raffi-niertere Formen Bei jeder Umwandlung geht aber Energie verloren Man muss sich also gut uumlberlegen ob man uumlber-haupt speichern will und wenn ja uumlber welchen Zeitraum

Mit der wachsenden Integration von erneuerbaren Energi-en steigen auch die Anforderungen an die Energietechnik Unser kuumlnftiges Energiesystem wird staumlrker automatisiert und intelligenter sein Um erneuerbare Energiequellen zu integrieren werden Informations- und Kommunikations-technologien Automatisierungs- und Regelungstechnik Signalverarbeitung oder Wettervorhersagen immer wich-tiger In den intelligenten Stromnetzen der Zukunft wer-den alle beteiligten Komponenten Daten wie den aktuellen Verbrauch verfuumlgbare Strommengen oder lokale Aus-faumllle melden und gleichzeitig solche Daten aus anderen Netzkomponenten empfangen Das daraus resultierende Smart Grid ist ein Gefuumlge das selbststaumlndig auf diese Ein-fluumlsse reagiert und seine eigene Effizienz optimiert Es gilt Energie effizienter zu uumlbertragen um raumlumliche Distanzen zu uumlberwinden und neue Speichertechnologien zu entwi-ckeln um zeitliche Engpaumlsse zu uumlberbruumlcken Elektrische Energie kann auf verschiedene Arten erzeugt gespei-chert und uumlbertragen werden Jede Art hat ihre Vor- und Nachteile und ihren Preis Anreize aus der Politik werden schliesslich entscheiden welche Formen dies in der Zu-kunft sein werden

Auf der Verbraucherseite laumlsst sich die Nutzlast durch ge-eignetes Last-Management anpassen Diese Steuerung schaltet verbrauchsintensive Anlagen in Unternehmen gewerblichen Betrieben und Haushalten gezielt dann ein wenn die Stromtarife guumlnstig sind Es duumlrfte aber schwie-rig sein der Bevoumllkerung vorzuschreiben wann sie zum Beispiel fernsehen oder kochen darf Eine intelligente Re-gelung von grossen Kuumlhlhaumlusern stoumlrt dagegen nieman-den Trotz solchen Bestrebungen geht die International Energy Agency (IEA) davon aus dass der Stromverbrauch weltweit jaumlhrlich um rund 1 Prozent zunimmt Diese Ten-denz verstaumlrkt sich voraussichtlich noch falls sich der Bereich Mobilitaumlt von fossilen Energietraumlgern hin zur Elek-tromobilitaumlt verschieben wird Die Geschichte hat gezeigt dass der Energieverbrauch eigentlich nur in Krisenzeiten zuruumlckgeht

Klar ist jedenfalls dass der Ausbau von Speichern und Netzen Hand in Hand mit der zunehmenden Integration von erneuerbaren Energiequellen erfolgen muss Auf unter-schiedlichen Netzebenen kommen unterschiedliche Spei-chertechnologien zum Einsatz Waumlhrend fuumlr Haushalte mit kleinen Fotovoltaikanlagen und im Niederspannungsnetz bereits Batteriespeicher vorhanden sind stossen diese bei mehr als einer Windturbine oder groumlsseren Solarparks schnell an ihre Grenzen Das groumlsste Batterieenergie-speichersystem der Schweiz betreiben die Elektrizitaumlts-werke des Kantons Zuumlrich in Dietikon Es hat 1 Megawatt (MW) maximale Speicherleistung und kann diese waumlhrend ungefaumlhr 15 Minuten abgeben respektive speichern Die Spitzenlast im Schweizer Hochspannungsnetz liegt aber bei 8 GW im Sommer und 10 GW im Winter Die Schwei-zer Pumpspeicherkraftwerke koumlnnen unseren Strombe-darf nur etwa einen Monat lang decken Das europaumlische Hochspannungsnetz verfuumlgt uumlber eine Spitzenlast von circa 500 GW Um die Leistung von Grosskraftwerken wie Offshore-Windparks langfristig zu speichern braucht es neue Technologien

Raffinierte EnergiespeicherungDafuumlr forscht die ZHAW School of Engineering gemein-sam mit der ETH Zuumlrich der EPF Lausanne und dem Paul

26 COMPETENCE | 2014

Hochschulperspektive

Dissonanz an der Steckdose

Mit der Energiestrategie 2050 haben Bundesrat und Parla-ment eine Kehrtwende in der Schweizer Energiepolitik ein-gelaumlutet der die wichtigsten politischen Huumlrden erst noch bevorstehen Auf den ersten Blick scheint der Kurswechsel breit abgestuumltzt Seit dem Reaktorunfall in Fukushima fuumlh-ren Umfragen immer wieder zum gleichen Ergebnis Der langfristige Ausstieg aus der Kernenergie findet eine Mehr-heit Im Grundsatz stossen erneuerbare Energien sowie Massnahmen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz auf hohe Zustimmung Was fuumlr den Stimmzettel gilt beeinflusst aber nicht automatisch das Konsum- und Investitionsverhalten der Energiekunden Die Bereitschaft aus eigenem Antrieb mehr fuumlr ein oumlkologisch houmlherwertiges Produkt aus neuen erneuerbaren Energietraumlgern zu bezahlen ist beschraumlnkt Nur wenige Haushalte sind zudem bereit ihren Energie- und insbesondere ihren Stromkonsum zu reduzieren wenn dies mit nicht amortisierbaren Investitionskosten oder einem moumlglichen Komfortverlust verbunden ist

Mit anderen Worten Effizienz wird als teuer und Suffizienz als bevormundend empfunden Die private Zahlungsbereit-schaft laumlsst sich zwar mit regulatorischen Interventionen wie fixen Einspeiseverguumltungen oder Investitionssubven-tionen in Effizienzmassnahmen etwas erhoumlhen Doch die Erfahrungen in Deutschland und der Schweiz zeigen dass solche Massnahmen oumlkonomisch ineffizient sind und oft als ungerecht empfunden werden Sie koumlnnen damit zum Bumerang fuumlr die Akzeptanz der energiepolitischen Ziele werden Neben den politischen Huumlrden ist somit auch die kognitive Huumlrde der Konsumenten zu beruumlcksichtigen De-ren Uumlberwindung bedarf zuerst einer differenzierten Analyse der Ursachen und danach der Entwicklung innovativer Ver-triebsmodelle und Produkte auf Versorgerseite

Eine Mehrheit der Bevoumllkerung unterstuumltzt den Ausstieg aus der Kernenergie doch nur wenige beziehen ein oumlkologisches Stromprodukt Warum das so ist und wie sich diese Dissonanz aufloumlsen laumlsst beschaumlftigt derzeit viele EnergieversorgerText Claudio Cometta

Indifferenz uumlberwiegtFuumlr viele Konsumenten ist die Strom- Gas- oder Fern-waumlrmerechnung ein verhaumlltnismaumlssig kleiner Posten im Haushaltsbudget dem wenig Beachtung geschenkt wird Die Schweiz ist sogar einer der Spitzenreiter in Europa machen die Stromkosten im Durchschnitt doch nicht mehr als 2 Prozent der Haushaltsausgaben aus Wenig Beachtung bedeutet auch wenig Kenntnis des Preises und der Menge der bezogenen Energieleistung oder der Zusammensetzung des Tarifs aus Energiekosten Netz-kosten und Abgaben Entsprechend besteht nur ein ge-ringes Interesse Energie und damit Kosten zu sparen Konsumentenbefragungen zeigen zudem dass nur eine kleine Minderheit der Kunden die Zusammensetzung ihres Stromprodukts nach Energietraumlgern kennt Die geringen Kosten und Unkenntnis des Produkts verhindern also die Wahl anderer Stromprodukte Strom ist ein klassisches Commodity-Produkt Man kann ihn weder sehen noch riechen Er ist verhaumlltnismaumlssig guumlnstig immer verfuumlgbar und aumlndert in keinerlei Hinsicht seine Eigenschaften wenn dafuumlr mehr bezahlt wird Zudem ist meist nicht sichtbar wer wie viel von welchem Produkt bezieht Der Strom-konsum ist Privatsache

Uumlberwindung durch VertriebsmodelleDie Vorgaben der Energiestrategie 2050 beinhalten nicht nur einen massiven Zubau der Produktionskapazitaumlt aus erneuerbaren Energietraumlgern sondern auch die kon-tinuierliche Reduktion des Energie- und insbesondere des Stromkonsums pro Kopf Die direkte Finanzierung der dazu notwendigen Investitionsvorhaben scheint an-gesichts der Indifferenz auf Konsumentenseite jedoch schwierig Aus diesem Grund sind mehrere Schweizer

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rund um Haushaltstechnik Sicherheit Pflege oder Kom-munikation sowie ein geschicktes Marketing mit Elemen-ten der sozialen Kontrolle Denkbar sind auch Anreize die keinen direkten Zusammenhang mit dem Energiekonsum aufweisen aber fuumlr breite Bevoumllkerungsgruppen attrak-tiv sind So haben etwa einzelne skandinavische Versor-ger damit begonnen energiesparendes Verhalten ihrer Kunden mit Verguumlnstigungen fuumlr die Nutzung oumlffentlicher Transportmittel zu belohnen

Uumlberwindung durch PartizipationDie wohl wirkungsvollste Massnahme zur Uumlberwindung der Dissonanz an der Steckdose ist bereits inhaumlrent in der Transformation des Energiesystems hin zu einer staumlrker dezentralen Erzeugung angelegt Kunden entwi-ckeln sich von passiven Leistungsempfaumlngern zu aktiven Leistungserbringern sogenannten Prosumern Als Klein-produzenten von Strom mit einer hauseigenen Fotovol-taikanlage oder thermischer Speicherleistung mit Kraft-Waumlrme-Kopplungsanlagen im Mikroformat werden sie mittelfristig wesentlich zum Umbau des Energiesystems und zu den Zielen der Energiestrategie beitragen koumlnnen Eine nicht ganz unbedeutende Rolle koumlnnten in Zukunft sogenannte Buumlrgerbeteiligungsmodelle fuumlr die Finanzie-rung neuer In frastrukturprojekte spielen Diese wuumlrden gleichzeitig die Akzeptanz sichtbarer Produktionsanlagen von neuen erneuerbaren Energien erhoumlhen Doch erst wenn das Produkt Strom nicht mehr als reines Commodity-Produkt wahrgenommen wird werden politische Meinung und Konsumverhalten bei einer Mehrheit der Stimmbuumlrger uumlbereinstimmen

Energieversoger in letzter Zeit dazu uumlbergegangen soge-nannte Default-Modelle einzufuumlhren die Stromprodukte aus erneuerbaren Quellen zum neuen Standard erheben Dabei macht man sich die Traumlgheit der Kunden zunutze indem die Wahl eines Stromprodukts aus nicht erneuer-baren Energietraumlgern als Option definiert wird die aktiv bestellt werden muss

Nicht zuletzt aufgrund solcher Modelle ist die Zahl der Schweizer Haushalte die ein Stromprodukt aus aus-schliesslich erneuerbaren Energien beziehen auf uumlber 25 Prozent gestiegen Doch weitere Vertriebsinnovationen werden notwendig sein etwa um der Herausforderung der Einspeisung von Strom aus fluktuierend nutzbaren Quellen (Solar- und Windenergie) in die Verteilnetze gewachsen zu sein die immer staumlrker ins Gewicht faumlllt In der Folge gilt es Investitionen in Netz- und Speichersysteme zu finan-zieren In innovativen Vertriebsmodellen welche dieser Herausforderung gerecht werden erhaumllt das Konsumver-halten einen Wert Zeitliche Flexibilitaumlt wird belohnt durch Tarifreduktion Bonus oder Vermeidung einer Gebuumlhr Wie diese beiden Beispiele zeigen laumlsst sich der Mehrwert von vermeintlichen Commodity-Produkten durch neue Vertriebsmodelle abschoumlpfen und als marktwirtschaftlich vertraumlglicher Finanzierungsmechanismus fuumlr neue Infra-strukturvorhaben im Energiesektor nutzen

Uumlberwindung durch innovative ProdukteNoch groumlsseres Potenzial birgt die Weiterentwicklung von Stromprodukten zu Leistungssystemen die fuumlr Energie-kunden einen echten Mehrwert bieten Hierzu gehoumlrt die Verknuumlpfung des Kernprodukts Strom mit Dienstleistun-gen die den Kunden ein transparenteres Verbrauchsver-halten sowie Kostenoptimierung ermoumlglichen Intelligente Stromzaumlhler sogenannte Smart Meter kombiniert mit fle-xiblen Tarifen und einem einfachen Feedback- und Steuer-system sind die Voraussetzung um zumindest oumlkologisch sensibilisierten oder kostenbewussten Endkunden einen Effizienzeffekt zu ermoumlglichen Damit solche Leistungs-systeme aber fuumlr die grosse Gruppe der Indifferenten interessant werden braucht es weitere Mehrwerte Dazu gehoumlren die Verknuumlpfung mit intelligenten Anwendungen

Claudio ComettaDr Claudio Cometta ist Dozent fuumlr Innovation und Entrepreneurship an der ZHAW School of Management and Law Er koordiniert den Aufbau des nationalen Energie-Kompetenz-zentrums SCCER 5 an der ZHAW

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Die Energiewende stellt die Energieversorgungsunternehmen in der Schweiz vor grosse Herausforderungen Das Beispiel von Stadtwerk Winterthur zeigt wie die Branche auf den Paradig-menwechsel reagiertText Florian Wehrli

Von den Anfaumlngen als laquoWinterthurer Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtungraquo vor uumlber 150 Jahren bis zum modernen Querverbundunternehmen hat sich Stadtwerk Winterthur kontinuierlich weiterentwickelt Seine Aufgabe ist aber gemaumlss Direktor Markus Saumlgesser weitgehend dieselbe geblieben die Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung zu verbes-sern So bietet das staumldtische Versorgungsunternehmen neben klassischen Produkten wie Wasser Strom Gas oder Kehrichtentsorgung und Abwasserreinigung heute auch Fernwaumlrme Haustechnik Glasfasernetz und Ener-gie-Contracting an Die Ausdehnung auf neue Geschaumlfts-bereiche will der Direktor aber nicht als Reaktion auf die Liberalisierung des Energiemarkts verstanden wissen laquoWir begegnen der Marktoumlffnung proaktiv und wollen die sich bietenden Chancen aktiv nutzenraquo

Lokales Potenzial ausgeschoumlpftIm liberalisierten Markt hat das staumldtische Versorgungs-unternehmen mit dem Monopol auf sein Energieversor-gungsnetz von gesamthaft mehr als 2 500 Kilometern einen Vorteil Dessen Unterhalt ist nach wie vor eine der Hauptaufgaben Im Gegensatz zu anderen Energieversor-gern betreibt Stadtwerk Winterthur naumlmlich einen verhaumllt-nismaumlssig geringen Anteil an eigenen Produktionsanlagen Das Flaggschiff ist die wohl modernste Kehrichtverwer-tungsanlage der Schweiz laquoMit dem Umbau konnten wir 2013 den Wirkungsgrad der Anlage um einen Drittel stei-gern und die Abluft gehoumlrt zu den saubersten weltweitraquo sagt Markus Saumlgesser Heute deckt die KVA 20 Prozent des Winterthurer Strom- und 12 Prozent des Waumlrmebe-darfs ab Auf solchen Lorbeeren ausruhen will sich Stadt-werk Winterthur aber nicht laquoWir wollen mithelfen eine nachhaltige Energiewirtschaft aufzubauenraquo Mittelfristig soll

die Haumllfte des Stromangebots aus erneuerbaren Quellen stammen laquoDas ist ein ehrgeiziges Zielraquo sagt Saumlgesser laquowir sind aber auf gutem Weg dazuraquo

Rund die Haumllfte des Rahmenkredits von 90 Millionen Franken fuumlr erneuerbaren Strom den das Winterthurer Stimmvolk 2012 bewilligt hat ist bereits investiert Im Bereich Fotovoltaik ist die Planung der groumlssten Anlagen abgeschlossen etwa auf den Daumlchern der Eishalle oder des Busdepots Eine aktuelle Windpotenzialstudie zeigt fuumlr Winterthur nur wenige moumlgliche Standorte auf zumal die Bewilligung solcher Anlagen mit grossem buumlrokratischem Aufwand verbunden sei Mit diversen Nahwaumlrmever-buumlnden nutzt Stadtwerk Winterthur auch Holzabfaumllle bereits sehr effizient Aber auch dieser Energietraumlger ist in Winterthur beschraumlnkt vorhanden Das letzte Projekt das Holz aus dem Winterthurer Stadtwald einsetzen wird ist in der Aufbauphase Studien im Bereich Wasserkraft haben gezeigt dass abgesehen von einem Kleinwasser-kraftwerk an der Toumlss in der Region kaum Potenzial vor-handen ist

Investitionen im AuslandlaquoDiese aufwendige Aufbauarbeit soll nicht zur Regel wer-denraquo sagt Markus Saumlgesser laquoDas limitierte Energiepoten-zial in der Schweiz und die beschwerlichen Instanzenwe-ge fuumlr Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie lassen uns deshalb vermehrt im Ausland investierenraquo 2012 be-teiligte sich das Stadtwerk mit 12 Millionen Franken am Kleinkraftwerk Birseck AG das Kleinwasserkraftwerke und Foto voltaikanlagen in der Schweiz und in Frankreich be-treibt 2013 folgte eine Beteiligung in der Houmlhe von 25 Mil-lionen Franken an der Swisspower Renewables AG die in

Vom Versorger zum Dienstleister

Unternehmensperspektive

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sein glaubt er aber nicht daran dass der Stromverbrauch insgesamt zuruumlckgehen wird laquoDafuumlr ist der Marktpreis zu niedrig Aus serdem wird Strom im Bereich Waumlrme und Mobilitaumlt einen Grossteil der fossilen Energietraumlger ersetzen muumlssenraquo Damit der geplante Verbrauchsruumlck-gang dennoch gelingt will der Bund Anreize schaffen Mit sogenannten weissen Zertifikaten will er die Versor-ger be lohnen wenn sie ihre Kunden zu einem geringeren Energie verbrauch bewegen In Grossbritannien Italien und Frankreich sind solche Modelle bereits im Einsatz Markus Saumlgesser sieht dieser Entwicklung mit gemischten Gefuumlh-len entgegen laquoWir haben bereits vor der Reaktorkatastro-phe in Fukushima auf Energieeffizienz gesetzt und konn-ten uns dadurch profilieren Weil die Politik nun eingreift und den Markt uumlbersteuert bleibt uns als Unternehmen weniger Spielraum um uns zu positionierenraquo

Windkraftanlagen im angrenzenden Ausland investiert Fuumlr die Beschaffung von Strom am freien Markt ist das Stadtwerk eine Zusammenarbeit mit der Trianel GmbH in Aachen ndash einer der fuumlhrenden Stadtwerke-Kooperationen in Europa ndash eingegangen Damit sollen insbesondere der Zugang zum Grosshandelsmarkt sowie die Marktfor-schung sichergestellt werden Denn um Kunden nachhal-tige Energieprodukte verkaufen zu koumlnnen muss man ihre Beduumlrfnisse genau kennen

Anreize fuumlr geringeren VerbrauchDie Strategie scheint aufzugehen laquoSeit der Einfuumlhrung der neuen Stromprodukte Anfang 2013 haben wir den Absatz von erneuerbarer Energie in Winterthur verdop-pelt und denjenigen von Oumlkostrom sogar vervierfachtraquo so Saumlgesser Trotz dem steigenden oumlkologischen Bewusst-

Gemaumlss seinem Leitbild soll Stadtwerk Winterthur mit einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der soziashylen Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Bild Michael Lio

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Ausgliederung aus der StadtverwaltungAuch auf kommunaler Ebene ist Stadtwerk Winterthur von den politischen Rahmenbedingungen abhaumlngig ndash mit allen Vor- und Nachteilen Die politischen Kurswechsel in den vorgesetzten Gremien seien hinderlich bei der Umsetzung der Strategie des Unternehmens laquoWir taumltigen Investitio-nen mit einem Planungshorizont von mehreren Jahrzehn-tenraquo sagt Markus Saumlgesser laquoin der Politik wird dagegen in Amtsperioden von vier Jahren gedachtraquo Es gibt deshalb Bestrebungen das Stadtwerk aus der Stadtverwaltung auszugliedern und einem langfristig operierenden Steue-rungsgremium zu unterstellen Bei der Stimmbevoumllkerung geniesst Stadtwerk Winterthur grossen Ruumlckhalt Alleine in den letzten zwei Jahren wurden vier Abstimmungsvor-lagen mit grossem Mehr angenommen darunter Rah-menkredite fuumlr das Energie-Contracting oder erneuerbare Energien laquoEine bessere Legitimation koumlnnen wir uns gar nicht wuumlnschenraquo sagt Markus Saumlgesser

Neue BetriebskulturStrategisch und energiepolitisch werden Dienstleistungen wie das Energie-Contracting fuumlr Stadtwerk Winterthur immer wichtiger laquoWir wollen unserer Kundschaft Waumlr-me oder Kaumllte gleich komfortabel anbieten koumlnnen wie Stromraquo sagt Markus Saumlgesser laquoImmobilienbesitzerinnen und -besitzer sollen sich nicht mehr um den Fuumlllstand ih-res Oumlltanks oder den Termin fuumlr den Kaminfeger kuumlmmern muumlssenraquo Das Energie-Contracting waumlchst stark und macht heute bereits rund 5 Prozent des Umsatzes von Stadtwerk Winterthur aus

Die neuen Geschaumlftsfelder ziehen auch andere Arbeits-kraumlfte an als bisher Verschiedene Betriebskulturen seien in den vergangenen Jahren teilweise parallel gelaufen be-ginnen nun aber langsam zu verschmelzen Ein Beispiel dafuumlr ist die Verknuumlpfung von Smart Metering und dem traditionellen Verteilnetz Elektrizitaumlt Als Voraussetzung fuumlr das Change-Management in der Betriebskultur habe man alle Mitarbeitenden in die Erarbeitung des Unterneh-mensleitbildes involviert Entstanden ist ein Leitbild das Stadtwerk Winterthur dabei unterstuumltzt die Unterneh-mensstrategie umzusetzen Stadtwerk Winterthur soll mit

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

Markus SaumlgesserMarkus Saumlgesser (52) ist diplomierter Ma-schineningenieur ETH und hat ein Nachdi-plomstudium in technischen Betriebswissen-schaften absolviert Seit Anfang 2011 ist er Direktor von Stadtwerk Winterthur Seine bisherige berufliche Taumltigkeit fuumlhrte Markus Saumlgesser nach zwei Jahren Assistenz an der ETH zu einem Ingenieurbuumlro fuumlr Ener-gie- und Haustechnik Waumlhrend dieser rund sechsjaumlhrigen Zeit war er bei anspruchsvol-len Bauprojekten verantwortlich fuumlr die Konzeption und Koordination der technischen Gebaumludeausruumlstung Zudem war er waumlhrend vier Jahren Mitglied der Geschaumlftsleitung Nach zweijaumlhriger Taumltigkeit als Abteilungsleiter in einer groumlsseren Gemeinde wechselte er zum Elek-trizitaumltswerk der Stadt Zuumlrich (EWZ) bei dem er die Abteilung Vertrieb Grosskunden leitete Daneben war Markus Saumlgesser beim EWZ in verschiedene Innovationsprojekte involviert So zeichnete er fuumlr das Projekt laquoStromzukunft Stadt Zuumlrichraquo verantwortlich das wichtige Grundlagen fuumlr die Strategie des EWZ und die Volksabstimmung zur 2000-Watt-Gesellschaft in der Stadt Zuumlrich beisteuerte

Stadtwerk Winterthur in Zahlen (2013)Mitarbeitende 347Nettoinvestitionen 1198 Mio CHFDurchgeleitete Strommenge 5643 Mio kWhUmsatz Strom 93 Mio CHFDurchgeleitete Gasmenge 5295 Mio kWhUmsatz Gas 411 Mio CHFUnternehmensgewinn 109 Mio CHF

einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der sozia-len Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Wann wurden in Winterthur die ersten Strassenlampen mithilfe von Stein-kohle erleuchtet

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Unternehmensperspektive

ckelte Hochspannungsgleichstromschalter sollen zudem sicherstellen dass etwa ein Kurzschluss durch eine hy-perschnelle Abschaltung isoliert und das Netz somit nicht gefaumlhrdet wird Von 14 solchen Schaltsystemen welt-weit stammen 13 von ABB Die hohen Investitionen fuumlr die armdicken Gleichstromkabel rechnen sich da beim Transport viel weniger Strom verloren geht als bei der tradi tionellen Wechselstromtechnik Die Produktelinie ent-wickelt sich zum Renner Sie wird zur Anbindung von So-lar- und Windparks zur Versorgung von Inseln als Ersatz fuumlr Diesel generatoren auf Oumll- und Gasplattformen auf See eingesetzt Oder um Starkstrom vom Festland zu auf dem Meeresboden platzierten ferngesteuerten Foumlrderanlagen fuumlr Gas und Oumll zu leiten ndash wofuumlr ABB auch wartungsfreie Kompressoren liefert damit Kunden wie Statoil und Pet-robras teure Ausfaumllle erspart bleiben

Komplettloumlsungen aus einer HandDank hohem Innovationstempo sind die Divisionen Ener-gietechnik- und Niederspannungsprodukte gut ausgelas-tet Dies gilt ebenso fuumlr die Divisionen Industrie- und Pro-zessautomation Speziell energieintensive Industrien die unter hohem Kostendruck stehen muumlssen ihre Anlagen auf dem neusten Stand halten Dazu zaumlhlen Bergbau Oumll- und Gasindustrie Zellstoff- Papier- und Zementfabriken Chemie- und Pharmafirmen sowie Raffinerien Gefragt sind auch Industrieroboter und schwenkbare dank ABB-Leistungselektronik stufenlos regulierbare Schiffsantrie-be ABB liefert Grosskunden fertige Loumlsungen die hohe Produktivitaumlt und Energieeffizienz gewaumlhrleisten Alles ist aufeinander abgestimmt von der Elektrik uumlber Antriebe Generatoren Roboter Sensoren und Steuerungen bis hin

Zu Beginn des Jahrtausends stand ABB am Abgrund Doch eine neue Fuumlhrungscrew fuumlhrte das Unternehmen aus der Krise sodass die Schweiz inzwischen wieder stolz sein kann auf ihren Industriemulti mit Sitz in Zuumlrich Oerli-kon 2013 erzielte ABB mit rund 148 000 Mitarbeitenden in 100 Laumlndern 42 Milliarden Dollar Umsatz Die renom-mierte US-Universitaumlt MIT zaumlhlt ABB zu den 50 innova-tivsten Unternehmen weltweit Dank 8 000 Ingenieuren in Forschung und Entwicklung und einem Forschungsetat von 15 Milliarden Dollar kann ABB selbst mit Giganten wie Siemens und General Electric mithalten

Innovationen die Technikfans begeisternWas ABB alles macht wissen wohl nur Technikfans Denn der Konzern hat uumlber 70 000 Produkte im Angebot Die 300 ABB-Fabriken liefern taumlglich 15 Millionen Kompo-nenten aus die zu elektrischen Einrichtungen oder in Pro-duktionssteuerungen verbaut werden Aus Kanada etwa kam juumlngst ein Grossauftrag uumlber 400 Millionen Dollar Erneuerbare Energie die auf Neufundland und Labrador gewonnen wird soll ab 2017 via Hochspannungskabel 360 Kilometer nach Westen fliessen um dort 350 000 Haumluser zu versorgen Weltweit gibt es erst 90 solche Gleichstromkabelverbindungen die meist unter der Erde oder auf dem Meeresgrund verlaufen ABB ist mit rund 50 Prozent Anteil Marktfuumlhrer Die futuristisch anmuten-de Technik in den abgeschirmten Hallen wo der Strom vor dem Transport auf Hochspannung transformiert wird erinnert an den Maschinenraum von Raumschiff Enter-prise Ein wichtiges Steuerungselement bilden dabei in Baden Daumlttwil entwickelte und in Lenzburg produzierte Spezialchips die Houmlchstspannung aushalten Neu entwi-

Der schweizerisch-schwedische Technikkonzern treibt an vor-derster Front die Energiewende voran Dafuumlr forscht man bei ABB intensiv zu erneuerbaren Energien schlauen Stromnetzen sowie hocheffizienten Industrieanlagen Einzig die schwache Nachfrage nach Energieanlagen in Europa bremst die ExpansionText Andreas Fluumltsch

Innovativer Treiber der Energiewende

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uumlber weite Strecken in die Ballungsraumlume geleitet werden muss brummt das Geschaumlft In den USA treibt der Oumll- und Gasboom die Nachfrage Nur in Europa harzt das Geschaumlft mit Grossanlagen Weniger Nachfrage belastet die Margen bei Auftraumlgen fuumlr Wind- und Solarfarmen so-wie fuumlr Netzinfrastruktur Die Risiken der oft mehrjaumlhrigen Projekte sind so hoch dass ABB waumlhlerischer sein muss und etwa das Geschaumlft mit Solarloumlsungen zurzeit auf Sparflamme betreibt Dennoch ist ABB immer noch hoch-profitabel nicht zuletzt da die Kosten Jahr fuumlr Jahr um 3 bis 5 Prozent gesenkt werden Aber der erfolgsgewohnte Konzern musste sich 2013 mit 6 Prozent Umsatzplus zu-friedengeben Umso intensiver treibt der neue ABB-Chef Ulrich Spiesshofer die Integration der vorab in den USA fuumlr 10 Milliarden Dollar getaumltigten Zukaumlufe voran Und Spiess-hofer forciert die Zusammenarbeit der Divisionen damit ABB die Unternehmensvision laquoEnergie und Produktivitaumlt fuumlr eine bessere Weltraquo mit moumlglichst vielen eigenen Pro-dukten realisieren kann

zur Leittechnik samt angepasster Software Kleine und mittlere Kunden ordern Komponenten oder Teilsysteme Ein wichtiges Verkaufsargument ist das Sparpotenzial von stufenlos steuerbaren Elektromotoren Nur einer von fuumlnf Motoren hat laut einer Erhebung des Bundes einen Leis-tungsregler der Rest laumluft auf Hochtouren und wird ndash man glaubt es kaum ndash bei Bedarf mit Klappen oder Ventilen mechanisch abgebremst Eine gigantische Verschwen-dung da Industriemotoren laut einer Studie der Schwei-zerischen Agentur fuumlr Energieeffizienz 27 Prozent des Schweizer Stromverbrauchs ausmachen

Europaumlische ZuruumlckhaltungEigentlich muumlsste die Division Energietechniksysteme ebenfalls ausgelastet sein Denn auch die Stromwirtschaft muss ihre Effizienz steigern Schliesslich erfordert die Energiewende einen Totalumbau der auf Verteilung ausge-richteten Netze damit diese unter der Last von Solar- und Windenergie nicht instabil werden Arbeit in Huumllle und Fuumllle fuumlr ABB sollte man meinen Doch der erst zaghafte Auf-schwung in Europa daumlmpft die Nachfrage Erschwerend kommt hinzu dass subventionierte Wind- und Solarener-gie in Europas liberalisiertem Strommarkt den Strompreis in ungeahnte Tiefen druumlckte Die Konkurrenzfaumlhigkeit von Wasser- Gas- und Atomkraftwerken hat gelitten Pump-speicher sind keine Goldesel mehr seit die erneuerbaren Energien die Preisspitzen brechen Entsprechend schie-ben Stromkonzerne wie Alpiq oder RWE Investitionen auf Unsicherheiten rund um den Atomausstieg belasten zu-saumltzlich Die voraussichtlich noch auf Jahre hinaus tiefen Strompreise schmaumllern auch die Faumlhigkeit der Besitzer von Hochspannungs- und Verteilnetzen deren Umruumlstung zu finanzieren hoch verschuldete EU-Staaten fahren die Foumlrderung von Wind- und Solarenergie zuruumlck

Straffe KostenkontrolleABB bekommt den Investitionsstau empfindlich zu spuuml-ren Die Division Energietechniksysteme schreibt seit eini-ger Zeit rote Zahlen Zwar ordern Grosskunden aus Asien und Lateinamerika weiterhin kraumlftig Neben China inves-tiert vermehrt auch Indien in neue Stromnetze Uumlberall dort wo die Bevoumllkerung rasch waumlchst oder der Strom

Andreas FluumltschAndreas Fluumltsch war urspruumlnglich Jurist und arbeitete ab 1983 als Journalist fuumlr laquoBlickraquo laquoWeltwocheraquo laquoBilanzraquo und laquoCashraquo Zwischen 1989 und 1990 war er Mitglied der Geschaumlftsleitung von Greenpeace Schweiz anschliessend Hausmann Nach der Ruumlck-kehr in den Journalismus 1992 arbeitete er bei laquoBlickraquo laquoSonntagszeitungraquo und laquoTages- Anzeigerraquo und absolvierte eine Ausbildung zum Boumlrsenhaumlndler Nach der Fruumlhpensio-nierung Ende 2013 machte er sich als Publi-zist selbststaumlndig

ABB in Zahlen (2013)Betriebsertrag 41 848 Mio USDBetriebsergebnis 4 387 Mio USDndash Industrieautomation 1 458 Mio USDndash Niederspannung 1 092 Mio USDndash Prozessautomation 990 Mio USDndash Energietechnik 1 331 Mio USDndash Energiesysteme 171 Mio USD

Mitarbeitende 147 700ndash davon in der Schweiz 6 966

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Hohe Nachfrage nach MinergieDer Erfolg der bisherigen Sparbemuumlhungen bleibt nicht aus laquoTrotz zunehmender Pro-Kopf-Wohnflaumlche und stei-gendem Komfort sinkt der Energieverbrauch fuumlrs Heizen in den letzten Jahrzehnten stetigraquo verkuumlndet der Zuumlrcher Regierungsrat im Energieplanungsbericht 2014 Dazu tra-gen nicht nur die laufend verschaumlrften Gesetze bei Ebenso wichtig ist die Bereitschaft von Bautraumlgerschaften freiwillig Uumlberdurchschnittliches zu leisten Vor allem die Minergie-Regeln werden inzwischen gerne befolgt weshalb Haumluser mit halbiertem Energieverbrauch beinahe Standard sind Schweizweit traumlgt eines von zehn neuen Wohnhaumlusern ein Minergie-Zertifikat Der Anteil an Minergie-Haumlusern im Grossraum Zuumlrich liegt gemaumlss einer Marktanalyse der Universitaumlt Zuumlrich bereits nahe bei 20 Prozent Dies ist privaten Hauseigentuumlmern und institutionellen Investoren zu verdanken Wohn- und Geschaumlftshaumluser mit houmlchster Energieeffizienz gehoumlren inzwischen zum guten Ton Den juumlngsten Beweis liefert eine Immobilienstiftung der Credit Suisse die 70 Millionen Franken in die groumlsste Oumlkosied-lung der Schweiz investiert Im Aargauer Reusstal wohnen seit diesem Jahr rund 200 Familien Paare und Singles deren Wohnhaumluser sich weitgehend selbst mit Sonnen-energie versorgen So klimafreundlich die Energiewende-Architektur ist der Investor erwartet dennoch marktuumlb-liche Renditen Ist der Markt aber bereit oumlkologisches Engagement angemessen zu honorieren

Marktpotenzial fruumlhzeitig erkanntDie Zuumlrcher Kantonalbank (ZKB) beziffert den Mehrwert von Minergie-Haumlusern auf 7 Prozent Kaumlufer seien bereit diesen Aufpreis fuumlr mehr Energieeffizienz zu bezahlen Als weitere Nebeneffekte nennt der vor drei Jahren publizierte ZKB-Bericht eine hochwertige dauerhafte Bausubstanz sowie die Absicherung gegen steigende Oumll- und Energie-preise Fachleute des Immobilienberatungsunternehmens Wuumlest amp Partner (WampP) warnen indes dass sich zusaumltz-liche Investitionen in die Energieeffizienz nicht uumlberall loh-nen laquoRegional schwankt die Zahlungsbereitschaft des Immobilienmarktsraquo praumlzisiert WampP-Partner Ivan Anton Minergie-Haumluser koumlnnen aber nicht nur in abgelegenen Regionen ein Marktrisiko werden laquoMit Ausnahme der

Beim Autokauf wird bevorzugt auf Pferdestaumlrken Be-schleunigung und Innenausstattung geachtet Der CO2-Ausstoss interessiert hingegen kaum So kommt die Energieeffizienz im Strassenverkehr nur stockend voran 1995 schluckten alle neu immatrikulierten Personen-wagen durchschnittlich 9 Liter Benzin pro 100 Kilometer 20 Jahre spaumlter liegt der Durchschnittsverbrauch gemaumlss Bundesamt fuumlr Energie (BFE) immer noch uumlber 6 Litern Das viel gepriesene laquoDrei-Liter-Autoraquo haben alle Hersteller wieder aus der Modellpalette genommen

Demgegenuumlber gelingen dem oft traumlge genannten Ge-baumludebereich weitaus groumlssere Effizienzspruumlnge Ver-brauchen 40 Jahre alte Haumluser im Schnitt 220 Kilowatt-stunden (kWh) Heizenergie pro Quadratmeter Wohnflaumlche und Jahr sind die aktuellen Werte unter die 50er-Marke gesunken Zusaumltzliche Sparerfolge sind nur eine Frage der Zeit Im Fruumlhsommer haben die kantonalen Energie-direktoren uumlber ein Rahmenabkommen beraten das Null-energieneubauten demnaumlchst zum Standard machen soll Wie die nationale Energiewende zu erreichen ist erklaumlrt Christoph Gmuumlr von der Abteilung Energie des Kantons Zuumlrich laquoDer spezifische Verbrauchswert ist zudem auf 35 kWh pro Quadratmeter zu senkenraquo Gebaumlude die sich mit umweltfreundlicher Energie selbst versorgen wollen auch die EU-Staaten Ab 2020 wird ein Gebaumludestandard eingefuumlhrt der nur noch laquoNiedrigstenergiegebaumluderaquo mit sehr hoher Energieeffizienz als Neubauten vorsieht

Energiesparhaumluser waren vor 30 Jahren Exoten inzwischen nimmt der Bereich der energie-effizienten Gebaumlude eine Vor-bildrolle fuumlr die Energie wende ein Bauherren profitieren davon ebenso wie die Zuliefer-branche Text Paul Knuumlsel

Expertensicht

Haumluser in der ersten Reihe

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der Bau von Niedrigenergiehaumlusern und alternativen Hei-zungsanlagen sowie energetische Gebaumludesanierungen Investitionen im Umfang von rund 4 Milliarden Franken ausgeloumlst rechnet der Bund vor laquoEin Fuumlnftel insgesamt 860 Millionen Franken stammt aus den oumlffentlichen Kas-senraquo verweist die BFE-Stelle EnergieSchweiz auf die Im-pulse der kantonalen Foumlrderprogramme Einen Wermuts-tropfen besitzt diese Wirkungsbilanz Fruumlhere Analysen der Energiesparprogramme zeigen naumlmlich dass zwi-schen einem Drittel und der Haumllfte der energetisch vorbild-lichen Gebaumlude auch ohne staatliche Foumlrderung realisiert worden waumlren Dem Mitnahmeeffekt ist auch die Eidge-noumlssische Steuerverwaltung auf der Spur Sie schaumltzt dass Bund und Kantonen jaumlhrlich 14 Milliarden Franken entgehen weil energetische Gebaumludesanierungen bei der Liegenschaftssteuer abzugsberechtigt sind Die Energie-wende erfordert nicht nur mehr Effizienz bei den Anwen-dungen sondern auch einen effizienten Einsatz staatlicher Mittel Im Energieplanungsbericht 2013 hat der Zuumlrcher Regierungsrat erstmals uumlber alternative Anreizsysteme nachgedacht Demnach soll eine Lenkungsabgabe den Energiekonsum reduzieren und das bisherige Foumlrdersys-tem abloumlsen Aumlhnliche Plaumlne verfolgt der Bund Denn ein Lenkungssystem duumlrfte weitere Sparbemuumlhungen im Ge-baumludebereich aber auch im Strassenverkehr foumlrdern Ins-besondere dann wenn Heizoumll und Benzin im Gleichschritt teurer werden

begehrten Wohnlagen haben Hauseigentuumlmer an vielen Orten mit moumlglichen Verkaufsverlusten zu rechnenraquo so Anton Zwar sei die Nachfrage bei Eigentuumlmern und Mie-tern aumlhnlich gross Aber auch Mieter wuumlrden nicht uumlberall mehr fuumlr eine energieeffiziente Wohnung bezahlen Kaum uumlberraschen darf daher dass Immobilieninvestoren immer haumlufiger die steigenden Energieanforderungen kritisieren und kostenguumlnstigere Baustandards vorziehen Fuumlr WampP-Berater Urs Hausmann ist laquonachhaltiges Bauen trotzdem keine Frage von Luxus oder Wohlstand sondern eine wie man mit Ressourcen umgehen willraquo Dass ein hohes Um-weltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauen Der Run auf den oumlkologischen Baustoff Holz laumlsst zum Beispiel eine gesamte Wertschoumlpfungskette und viele

innovative Unternehmen profitieren Forstbetriebe Sauml-gereien Fensterbauer Daumlmmstoffhersteller und andere Bauzulieferer vergroumlssern ihre Produktionskapazitaumlten und stellen zusaumltzliches Personal ein laquoDie Umsaumltze im Schweizer Holzbau sind in den letzten Jahren um mehrere Hundert Millionen Franken gestiegen und die Trendkurve zeigt weiter nach obenraquo freut sich Christoph Starck Di-rektor des Holzbaudachverbands Lignum

Einheimische Zulieferer als GewinnerAuch im Verein Minergie ist man sich bewusst dass sich energieeffizientes Bauen wirtschaftlich positiv auswirkt In den letzten 15 Jahren sind 25 000 Wohnhaumluser Buumlro-komplexe Schulbauten Sport- und Industriehallen mit Niedrig energiezertifikat entstanden Gemeinsam sparen sie 15 Milliarden Kilowattstunden Energie laquoUumlber 2 Milliar-den Franken wurden zusaumltzlich investiertraquo rechnet Miner-gie-Sprecher Antonio Milelli vor Anstatt fossile Brennstoffe einzukaufen wird mehr Geld fuumlr Daumlmmstoffe Isolierfenster Luumlftungsanlagen und Sonnenkollektoren aus inlaumlndischer Fabrikation ausgegeben Zwischen 2001 und 2012 haben

Paul KnuumlselPaul Knuumlsel studierte Umweltnaturwissen-schaften an der ETH Zuumlrich Er ist unabhaumln-giger Wissenschaftsjournalist und schreibt seit Jahren in Publikums- und Fachmedien uumlber die vielfaumlltigen Aspekte des nachhalti-gen Bauens Zusaumltzlich betreut er in der Re-daktion des laquoTEC21raquo das Ressort laquoEnergie und Umweltraquo

laquoDass ein hohes Umweltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren

derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauenraquo

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Der Wasserkraft Sorge tragen

Welchen Beitrag kann die Wasserwirtschaft zur Energie-wende leisten Roger Pfammatter Die Wasserkraft ist der energie-politische Trumpf der Schweiz Wir befinden uns in der gluumlcklichen Lage uumlber grosse Mengen Wasser und das notwendige Gefaumllle zu verfuumlgen ndash das sind die beiden wichtigsten Voraussetzungen fuumlr die hydroelektrische Produktion Und wir haben in den vergangenen 100 Jah-ren gelernt dieses Potenzial effizient und moumlglichst um-weltschonend zu nutzen Die Wasserkraft ist der Schluumls-sel fuumlr eine nachhaltige Energieversorgung technisch ausgereift politisch erwuumlnscht einheimisch erneuerbar und CO2-frei

Wie viel mehr ist moumlglichHeute leistet die Wasserkraft nicht nur rund 60 Prozent der Stromproduktion in der Schweiz sondern bietet auch unverzichtbare Regel- und Systemdienstleistungen die markant an Bedeutung gewinnen werden Vor allem bei der Flexibilisierung der Wasserkraft durch mehr Leistung und Speichervolumen waumlre noch einiges moumlglich Um die Aufgaben weiterhin zu gewaumlhrleisten muumlssen wir aber primaumlr dem Bestehenden Sorge tragen

Die Energiestrategie des Bundes gibt aber klare Ausbau-ziele vor Bis 2035 soll die Stromproduktion aus Wasser-kraft um 10 Prozent steigenUnter den momentanen Rahmenbedingungen ist dieses Ausbauziel nicht realistisch Im Gegenteil Aufgrund der Restwasserbestimmungen wird die Produktion in den naumlchsten Jahren vermutlich sogar zuruumlckgehen

Die Wasserkraft ist der wichtigste Pfeiler der Schweizer Ener-giewirtschaft ihr Potenzial ist aber weitgehend ausgeschoumlpft Roger Pfammatter Geschaumlftsfuumlhrer des Wasserwirtschaftsver-bands gibt im Interview Auskunft uumlber die Lage der Branche und ihre Bedeutung fuumlr die EnergiezukunftInterview Florian Wehrli

Expertensicht

Was muss sich aumlndern damit die vorgegebenen Ziele um-gesetzt werden koumlnnenZum einen braucht es dafuumlr die Akzeptanz der Umweltver-baumlnde der Fischer und letztlich der gesamten Bevoumllkerung Zum anderen muumlssen laumlngerfristig die extremen Marktver-zerrungen abgebaut werden damit sich auch Investitionen in die nicht gefoumlrderte Wasserkraft wieder lohnen Heute wird nur noch in subventionierte Anlagen investiert

Wer ist hier in der PflichtHier ist die Politik gefordert die Rahmenbedingungen zu verbessern Denn ohne die Wasserkraft kann die Energie-wende nicht gelingen

Anfang Jahr wurde der Wasserwirtschaftsverband von den zustaumlndigen Kommissionen angehoumlrt Welche Forderun-gen hat die Branche an das ParlamentWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerba-re Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichten die bereits bis zur Haumllfte der Geste-hungskosten ausmachen Damit sind wir doppelt diskrimi-niert Die Wasserkraft ist extrem unter Preisdruck ndash und dies obwohl sie mit Gestehungskosten zwischen 3 und 10 Rappen pro Kilowattstunde die effizienteste Strompro-duktionstechnologie ist Nur zum Vergleich Fotovoltaik -anlagen werden heute mit rund 40 Rappen subventioniert

Bis 2011 liess sich mit der Grosswasserkraft noch viel Geld verdienen Wurden zu wenige Ruumlcklagen fuumlr schlechte Zei-ten gebildet

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Es kann nicht der Sinn sein Ruumlcklagen fuumlr Zeiten zu bil-den in denen die Marktpreise die Gestehungskosten nicht mehr decken Das waumlre wie wenn ein Baumlcker auf jedem Gipfeli einige Rappen zuruumlckbehalten muumlsste damit er sie am naumlchsten Tag gratis abgeben kann Mit dem durch Subventionen verzerrten Marktpreis von 4 bis 5 Rappen pro Kilowattstunde ist unter den konventionellen Energie-traumlgern praktisch nur Kohle konkurrenzfaumlhig Das ist be-stimmt nicht im Sinn der Energiewende

Drei Grosswasserkraftprojekte sind heute bereits im Bau Koumlnnen die enormen Kosten uumlberhaupt amortisiert wer-denPrognosen sind schwierig An der europaumlischen Strom-boumlrse (EEX) werden bis 2020 Strompreise zwischen 45 und 53 Rappen pro Kilowattstunde gehandelt Der Markt glaubt also nicht an eine baldige Erholung Dafuumlr muumlsste das Uumlberangebot in Europa zuruumlckgehen etwa uumlber die Anhebung des CO2-Preises von heute 5 auf mindestens 30 Euro pro Tonne Politisch ist das aber kaum durchsetz-bar Neue Pumpspeicherwerke werden sich deshalb wohl erst in mehreren Jahrzehnten lohnen

Was kann die Kleinwasserkraft leistenOhne die kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) wuumlr-de niemand Kleinwasserkraftanlagen bauen genauso we-nig wie Fotovoltaik- Wind- oder Biomasseanlagen Zurzeit gibt es aber allein bei der Kleinwasserkraft rund 1 000 An-meldungen fuumlr Foumlrderbeitraumlge mit einem bescheidenen Ge-samtpotenzial von 33 Terawattstunden pro Jahr Die oumlko-logischen Auswirkungen sind im Vergleich zum Ertrag zu gross Obwohl wir von marktverzerrenden Foumlrderprogram-men wegkommen sollten waumlre es in einer Uumlbergangs phase sinnvoll die KEV-Obergrenze von 10 Mega watt aufzuheben und dort zu foumlrdern wo es wirklich etwas bringt

Wie soll die Grosswasserkraft unterstuumltzt werdenDas Sinnvollste waumlre die Abkehr von der Subventions-maschinerie ndash und zwar auf europaumlischer Ebene Dann wuumlrde sich die Wasserkraft als effiziente erneuerbare Stromproduktionsform mit Sicherheit durchsetzen Min-destens als Uumlbergangsloumlsung waumlre aber die Entlastung

von Abgaben in erster Linie vom Wasserzins dringend Der maximale Wasserzins wurde in den letzten vier Jahren um 38 Prozent erhoumlht und wird naumlchstes Jahr um weite-re 10 Prozent angehoben Diese Erhoumlhung wurde 2008 beschlossen und steht heute in keinerlei Bezug mehr zur Ertrags lage Kurzfristig koumlnnten die Kantone auf einen Teil dieser Zinsen verzichten ndash das waumlre ein wichtiges politi-sches Zeichen Langfristig muss ein neuer Modus fuumlr die Zinsberechnung gefunden werden der die Ertragslage der Wasserkraft mitberuumlcksichtigt Das ist auch im Interesse von Bund Kantonen und Gemeinden schliesslich ist die Wasserkraft zu 85 Prozent in oumlffentlicher Hand Ebenfalls als Uumlbergangsloumlsung bis zu besseren Marktpreisen waumlren zinsguumlnstige Darlehen fuumlr die noumltigen Investitionen in die Grosswasserkraft denkbar Ohne mindestens eine dieser Massnahmen kann die Wasserwirtschaft das geforderte Ausbauziel nicht erreichen

Bis dahin gibt es noch eine weitere Huumlrde den Heimfall der Stauanlagen an die Standortgemeinden Welchen Ein-fluss hat dieser UmstandWenn die Konzessionen nach 80 oder 100 Jahren aus-laufen muss der Betreiber der Gemeinde eine Entschaumldi-gung fuumlr den Restwert der Anlagen entrichten Im Fall der Staumauer Barberine bezahlen die SBB und Alpiq 2017 an sechs Walliser Gemeinden 343 Millionen Franken Das 400-Seelen-Dorf Finhaut erhaumllt alleine 112 Millionen Fran-ken und weiss kaum wohin mit dem Geld Der gesamte Wert des Heimfalls der Anlagen bewegt sich schweizweit im Milliardenbereich Der Houmlhepunkt des Heimfalls wird um 2035 erreicht werden Bis zu diesem Zeitpunkt soll aber auch ein Grossteil der geforderten Produktionsstei-gerung umgesetzt werden

Bei der Stromproduktion ist ein Ausbau von uumlber 10 Pro-zent wohl nicht realistisch Wie sieht es bei der Speicher-leistung aus Hier muss man unterscheiden zwischen kurzfristiger und saisonaler Speicherung Fuumlr die saisonale Speicherung verfuumlgt die Schweiz mit 200 Speicherseen uumlber ein Vo-lumen von rund 9 000 Gigawattstunden (GWh) die jedes Jahr vom Sommer in den Winter umgelagert werden Dies

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Expertensicht

entspricht einem Viertel der jaumlhrlichen Produktion aus Wasserkraft Das Ausbaupotenzial durch die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren betraumlgt rund 2 000 GWh Falls der Ausbau aber nicht gelingt entsteht im Winter durch den Ausfall der Kernenergie eine immer groumlssere Luumlcke an Bandenergie die durch den Import von Atom- oder Kohlestrom gedeckt werden muss

Wie sieht es beim Ausbau der Pumpleistung zum kurzfris-tigen Ausgleich von Schwankungen im Netz ausGrundsaumltzlich ist das Potenzial fuumlr Pumpspeicherwerke in der Schweiz riesig Es braucht nur zwei Seen auf unter-schiedlicher Houmlhe Die Frage ist ob sich solche Investi-tionen rechnen Die Pumpspeicherwerke finanzieren sich

uumlber den Preisunterschied zwischen Band- und Spitzen-energie Wenn an einem schoumlnen Sommertag in Europa mittags die geballte Ladung an Sonnen- und Windener-gie eingespeist wird koumlnnen die Pumpspeicherkraftwerke sehr guumlnstig oder sogar zu Negativpreisen Strom bezie-hen Man darf aber nicht vergessen dass dieselbe Situa-tion fuumlr die Laufwasserkraftwerke die rund die Haumllfte der Wasserkraftproduktion in der Schweiz ausmachen den gegenteiligen Effekt hat Diese koumlnnen aus technischen konzessionsrechtlichen oder oumlkologischen Gruumlnden nicht vom Netz genommen werden und muumlssen fuumlr ihre Strom-produktion bezahlen Das kann gehoumlrig ins Geld gehen An Weihnachten 2012 lag der Strompreis zum Beispiel bei minus 30 Rappen pro Kilowattstunde

Roger Pfammatter laquoWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerbare Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichtenraquo

Bild Florian Wehrli

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cherseen zur Flexibilisierung Damit das gelingt muss der Wert der Wasserkraft staumlrker im Bewusstsein der Bevoumllke-rung verankert sein Und nicht zuletzt muss der Marktpreis so weit uumlber den Gestehungskosten liegen dass sich In-vestitionen in die Wasserwirtschaft rentieren

Versuchen das Bestehende zu erhalten Diese Vision klingt etwas resigniertDas ist eine Frage der Perspektive Die Wasserkraft hat als Technologie in der Schweiz seit Langem Bestand Sie befindet sich in einer anderen Situation als Fotovoltaik und Windenergie die sich in einem hochdynamischen Umfeld mit grossem Potenzial in Forschung und Wachstum be-finden Die Wasserkraft ist dagegen nicht mehr in der Auf-bruchsphase sondern in der Konsolidierungsphase Da-fuumlr kann man sich auf die Wasserkraftwerke verlassen Sie produzieren bei Tag und in der Nacht im Sommer wie im Winter bei Windstille oder im Nebel Auch der Erhalt und die Optimierung des Bestehenden sind grosse Heraus-forderungen und bedingen grosse Investitionen

Sehen Sie eine Moumlglichkeit wie die Schweizer Wasser-wirtschaft in Zukunft Geld mit Systemdienstleistungen wie Netzstabilitaumlt verdienen kannDie unregelmaumlssig einspeisenden Stromproduzenten neh-men keinerlei Systemverantwortung wahr Ich habe selbst ein Solarpanel auf dem Dach Wenn Produktion moumlglich ist speise ich Strom ins Netz ein wenn nicht beziehe ich Die Produzenten mehr in die Verantwortung zu nehmen faumlnde ich sinnvoll ndash zum Beispiel uumlber Zertifikate fuumlr Spei-cherleistungen Diese koumlnnten bei Pumpspeicherwerken bezogen werden

Welcher Ausbau der Pumpspeicherleistung ist dafuumlr noumltigDie installierte Leistung betraumlgt heute rund 14 Gigawatt (GW) Mit den im Bau befindlichen und den geplanten An-lagen kann die Kapazitaumlt maximal auf 51 GW ausgebaut werden ndash etwa die Haumllfte der Jahreshoumlchstlast im Netz Damit die Schweizer Wasserkraft aber einen Beitrag zur Stabilitaumlt des europaumlischen Stromnetzes leisten kann muumlssten auch das Stauvolumen und die Leitungskapazi-taumlt erhoumlht werden Hier sind die Einsprachen von Anwoh-nern und Umweltverbaumlnden noch gravierender als bei den Anlagen selbst

Braucht es neue rechtliche Instrumente um den geplan-ten Ausbau durchsetzen zu koumlnnenEs braucht vor allem die Einsicht dass die Wasserkraft das Ruumlckgrat unserer Versorgungssicherheit ist und die Aus-wirkungen eines Ausbaus immer auch mit den Alternativen verglichen werden muumlssen Wir befinden uns aber auch in einem intensiv genutzten Land mit vielen Partikularinteres-sen Diese muumlssen gewichtet und abgewogen werden In der Abwaumlgung zwischen Landschaftsschutz und Wasser-nutzung waumlre es hilfreich wenn Grosswasserkraftanlagen den Status von nationalem Interesse erhalten

Wie soll die Schweizer Wasserwirtschaft im Jahr 2035 aussehenIch wuumlnsche mir dass die bestehende Infrastruktur auf dem heutigen Stand erhalten optimiert oumlkologisiert und im Idealfall etwas ausgebaut wird Dazu gehoumlren etwa die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren sowie neue Spei-

Roger PfammatterSeit seinem Ingenieurstudium an der ETH Zuumlrich hat er sich in ver-schiedenen Rollen dem Wasser verschrieben Nach sieben Lehr- und Wanderjahren in der Forschung und in der Entwicklungszusammen-arbeit war er zehn Jahre beim Ingenieurunternehmen Ernst Basler + Partner engagiert Seit 2010 ist er Geschaumlftsfuumlhrer des Schweizeri-schen Wasserwirtschaftsverbandes (SWV) und Herausgeber der Zeit-schrift laquoWasser Energie Luftraquo In diesen Funktionen setzt er sich ein fuumlr den Fachaustausch und gute Rahmenbedingungen in den Bereichen Wasserkraft und Hochwasserschutz

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Die globalen Energiemaumlrkte sind seit einigen Jahren stark in Bewegung Volatile Erdoumllpreise die Foumlrderung von un-konventionellen Gasvorkommen in grossem Stil die mas-sive Subventionierung von neuen erneuerbaren Energien in Deutschland der laquoarabische Fruumlhlingraquo und der Konflikt in der Ukraine hinterlassen Spuren Die Folge sind starke Verwerfungen an den Maumlrkten und fehlende Investitionssi-cherheit In diesem dynamischen und unsicheren Kontext will der Bund die bisherige Energiepolitik neu ausrichten ndash wahrlich eine Herkulesaufgabe Die Schweizer Wirtschaft verlangt dass der Bund bei der Neuausrichtung der Ener-giepolitik seinem in der Verfassung verankerten Auftrag nachkommt und sich fuumlr eine ausreichende sichere breit gefaumlcherte wirtschaftliche und umweltvertraumlgliche Ener-gieversorgung einsetzt Somit ist klar Die Energiestrate-gie 2050 muss in erheblichen Teilen optimiert und justiert werden Nur wenn vernetzt gedacht wird ist eine sichere Versorgung zu wettbewerbsfaumlhigen Preisen moumlglich

Prognosen klaffen weit auseinanderSeit Jahrzehnten bietet der Strommix aus Wasserkraft (knapp 60 Prozent) und Kernenergie (40 Prozent) Gewaumlhr fuumlr eine sichere klimafreundliche und wirtschaftliche Ener-gieversorgung Im Rahmen der Energiestrategie 2050 muss die Kernenergie langfristig ersetzt werden Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen zumal die Ziele des Bundes

Lebenselixier der Wirtschaft

Die Schweizer Wirtschaft ist auch in Zukunft auf eine sichere und wirtschaftliche Stromver-sorgung angewiesen Die Ener-giestrategie 2050 setzt stark auf Subventionen Dadurch entstehen Fehlanreize welche die Versorgungssicherheit ge-faumlhrdenText Kurt Lanz

Expertensicht

in Bezug auf das Potenzial der neuen erneuerbaren Ener-gien von Wunschdenken geleitet sind Die neuen erneuer-baren Energien werden sich langsamer entwickeln als an-gestrebt Der Bund rechnet mit rund 12 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2035 die Schweizer Wirtschaft mit 44 TWh Die vorsichtigeren Prognosen der Wirtschaft scheinen re-alistischer Dies zeigen exemplarisch die gescheiterten Geothermieprojekte in Basel und St Gallen Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Nachfrageprognosen Der Bund rechnet in seinen Szenarien mit einem Ruumlckgang des Stromverbrauchs pro Kopf von 16 Prozent zwischen 2000 und 2035 Die Schweizer Wirtschaft orientiert sich in ihren Szenarien am Verband Schweizerischer Elektrizitaumlts-unternehmen (VSE) der weiter mit einer steigenden Nach-frage rechnet Die Wirtschaft fordert von der Politik eine vernuumlnftige Planung aufgrund realistischer Schaumltzungen Die Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energiestrategie nicht gefaumlhrdet werden

Subventionen fuumlhren zu FehlanreizenDie Schweiz hat seit vielen Jahrzehnten erfolgreich die Wasserkraft vorangetrieben Aus politischen Gruumlnden wird nun die ndash unregelmaumlssige ndash Stromproduktion durch Sonnen- und Windenergie forciert Unsere sogenann-te kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) entspricht dem deutschen Foumlrdermodell Beide haben das gleiche Ziel Sie sollen erneuerbare Energien ausbauen indem sie neue Formen der Stromproduktion zur Marktreife brin-gen Weil das KEV-System die Sonnen- und Windenergie massiv foumlrdert kommt ein weiterer Ausbau der bewaumlhrten Wasserkraft nicht infrage Diese Entwicklung gefaumlhrdet die Versorgungssicherheit der Schweiz Auf den ersten Blick sinken zwar die Produktionskosten fuumlr Solarstrom gleich-zeitig steigen aber die Kosten fuumlr Speicherung und Inte-gration ins Netz spuumlrbar Auch ist der Ausbau von Solar- und Windenergie nur von beschraumlnktem Nutzen solange keine ausreichenden Speicherkapazitaumlten vorhanden sind Nur Preissignale koumlnnen das Investitionsverhalten von Stromproduzenten Netzbetreibern und Konsumen-ten sinnvoll lenken Subventionen sind zu beseitigen denn sie fuumlhren zu Fehlanreizen

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Alle Optionen offenhaltenOffenheit und Neugier gehoumlren zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft Kategorisches Abwehrverhalten und Denkverbote verhindern konstruktive Loumlsungsansaumltze und Innovation Eine sichere und kostenguumlnstige Strom-versorgung kann auch in Zukunft nur mit der notwendi-gen Offenheit gegenuumlber allen Technologien und Energie-

systemen garantiert werden Die Schweiz ist dank einer erfolgreichen Hochschulland-schaft und vielen Technolo-gieunternehmen gut geruumlstet Die verschiedenen Energie-systeme muumlssen faktenba-siert und ohne ideologische

Scheuklappen verglichen werden Nur so koumlnnen effizi-ente und umweltvertraumlgliche Loumlsungen gefunden werden Das heutige System der Foumlrderung der neuen erneuer-baren Energien ist durch ein marktorientiertes System ab-zuloumlsen Produzenten die nachfragegerecht einspeisen sollen eine houmlhere Verguumltung erhalten als andere Auch soll der Vorrang der Netzeinspeisung fuumlr subventionierte Energietraumlger aufgehoben werden

laquoDie Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit

des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energie strategie nicht

gefaumlhrdet werdenraquo

Schnellere Verfahren anstrebenGrundvoraussetzung fuumlr eine Neuausrichtung der Ener-giepolitik sind funktionierende Stromnetze Diese muumls-sen zwingend parallel zum Umbau der Stromproduktion weiterentwickelt werden Allein der noumltige Ausbau der Uumlbertragungsnetze belaumluft sich auf rund 1 000 Kilometer bis ins Jahr 2020 Erforderlich sind zudem Investitionen in alle Verteilernetzebenen Al-lerdings verzoumlgern komplizier-te Verfahren auf Kantons- und Bundesebene den Ausbau Ausserdem erwaumlchst praktisch jedem Projekt Widerstand von privater Seite was zu weiteren Verzoumlgerungen fuumlhrt Die Wirt-schaft fordert deshalb Bei Bewilligungen von Stromnetzen ist der Gang vors Bundesgericht nur noch bei Grundsatz-fragen moumlglich Umbauten sowie Spannungs- und Kapa-zitaumltserweiterungen koumlnnen ohne Planungsgenehmigung realisiert werden Ausserdem sind die Verfahren bei einer einzigen Leitbehoumlrde anzusiedeln

Spielfeld erweiternDie Schweiz ist seit jeher ein wichtiges Stromtransitland Schon seit den 90er-Jahren treibt die EU die Vereinheitli-chung des Binnenmarkts fuumlr Strom hin zu einem eigent-lichen EU-Strommarkt voran In der Schweiz erweist sich die gesetzliche Trennung von Grundversorgung und Markt diesbezuumlglich zunehmend als Hindernis Aus Sicht der Wirtschaft ist die vollstaumlndige Liberalisierung des Strom-markts eine zwingende Voraussetzung fuumlr eine erfolgrei-che energiepolitische Neuausrichtung

Eine Marktoumlffnung wuumlrde insbesondere auch den erneuer-baren Energien neue Chancen eroumlffnen und Zugang zu neuen Kunden gewaumlhren Von hoher Wichtigkeit ist auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU Je groumlsser der Anteil erneuerbarer Energien umso wichtiger ist die Einbettung in Europa denn Investitionen in Netze und Produktion koumlnnen in Koordination mit der EU wirkungsvoller und wahrscheinlich kostenguumlnstiger getaumltigt werden

Kurt LanzKurt Lanz ist Leiter Infrastruktur Energie und Umwelt sowie Geschaumlftsleitungsmitglied von economiesuisse dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft

Gut vernetzt ndash Vorschlaumlge der Schweizer Wirtschaftzur EnergiepolitikDie Publikation basiert auf der Grundlagenarbeit der breit abgestuumltz-ten Energiekommission von economiesuisse und macht konstruk-tive Vorschlaumlge fuumlr einen erfolgreichen energiepolitischen Weg der Schweiz Download unter wwweconomiesuissech

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

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Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

52 COMPETENCE | 2014

Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

wwwsmlzhawch

Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 25: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

25COMPETENCE | 2014

Petr KorbaProf Dr Petr Korba ist Dozent und Fach-gruppenleiter fuumlr elektrische Energietechnik und Smart Grids an der ZHAW School of En-gineering Zuvor forschte er uumlber zehn Jahre bei ABB Schweiz in den Bereichen Automa-tion Energie- und Regelungstechnik

Scherrer Institut an der Power2Gas-Technologie Dabei wird Kohlendioxid mit Strom aus erneuerbaren Quellen durch Elektrolyse zu Wasserstoff oder weiter zu Methan verarbeitet Aumlhnlich wie bei der Nahrungsmittelproduktion wo Staumlrke schliesslich als raffinierter Zucker gespeichert wird gibt es auch bei der Stromspeicherung immer raffi-niertere Formen Bei jeder Umwandlung geht aber Energie verloren Man muss sich also gut uumlberlegen ob man uumlber-haupt speichern will und wenn ja uumlber welchen Zeitraum

Mit der wachsenden Integration von erneuerbaren Energi-en steigen auch die Anforderungen an die Energietechnik Unser kuumlnftiges Energiesystem wird staumlrker automatisiert und intelligenter sein Um erneuerbare Energiequellen zu integrieren werden Informations- und Kommunikations-technologien Automatisierungs- und Regelungstechnik Signalverarbeitung oder Wettervorhersagen immer wich-tiger In den intelligenten Stromnetzen der Zukunft wer-den alle beteiligten Komponenten Daten wie den aktuellen Verbrauch verfuumlgbare Strommengen oder lokale Aus-faumllle melden und gleichzeitig solche Daten aus anderen Netzkomponenten empfangen Das daraus resultierende Smart Grid ist ein Gefuumlge das selbststaumlndig auf diese Ein-fluumlsse reagiert und seine eigene Effizienz optimiert Es gilt Energie effizienter zu uumlbertragen um raumlumliche Distanzen zu uumlberwinden und neue Speichertechnologien zu entwi-ckeln um zeitliche Engpaumlsse zu uumlberbruumlcken Elektrische Energie kann auf verschiedene Arten erzeugt gespei-chert und uumlbertragen werden Jede Art hat ihre Vor- und Nachteile und ihren Preis Anreize aus der Politik werden schliesslich entscheiden welche Formen dies in der Zu-kunft sein werden

Auf der Verbraucherseite laumlsst sich die Nutzlast durch ge-eignetes Last-Management anpassen Diese Steuerung schaltet verbrauchsintensive Anlagen in Unternehmen gewerblichen Betrieben und Haushalten gezielt dann ein wenn die Stromtarife guumlnstig sind Es duumlrfte aber schwie-rig sein der Bevoumllkerung vorzuschreiben wann sie zum Beispiel fernsehen oder kochen darf Eine intelligente Re-gelung von grossen Kuumlhlhaumlusern stoumlrt dagegen nieman-den Trotz solchen Bestrebungen geht die International Energy Agency (IEA) davon aus dass der Stromverbrauch weltweit jaumlhrlich um rund 1 Prozent zunimmt Diese Ten-denz verstaumlrkt sich voraussichtlich noch falls sich der Bereich Mobilitaumlt von fossilen Energietraumlgern hin zur Elek-tromobilitaumlt verschieben wird Die Geschichte hat gezeigt dass der Energieverbrauch eigentlich nur in Krisenzeiten zuruumlckgeht

Klar ist jedenfalls dass der Ausbau von Speichern und Netzen Hand in Hand mit der zunehmenden Integration von erneuerbaren Energiequellen erfolgen muss Auf unter-schiedlichen Netzebenen kommen unterschiedliche Spei-chertechnologien zum Einsatz Waumlhrend fuumlr Haushalte mit kleinen Fotovoltaikanlagen und im Niederspannungsnetz bereits Batteriespeicher vorhanden sind stossen diese bei mehr als einer Windturbine oder groumlsseren Solarparks schnell an ihre Grenzen Das groumlsste Batterieenergie-speichersystem der Schweiz betreiben die Elektrizitaumlts-werke des Kantons Zuumlrich in Dietikon Es hat 1 Megawatt (MW) maximale Speicherleistung und kann diese waumlhrend ungefaumlhr 15 Minuten abgeben respektive speichern Die Spitzenlast im Schweizer Hochspannungsnetz liegt aber bei 8 GW im Sommer und 10 GW im Winter Die Schwei-zer Pumpspeicherkraftwerke koumlnnen unseren Strombe-darf nur etwa einen Monat lang decken Das europaumlische Hochspannungsnetz verfuumlgt uumlber eine Spitzenlast von circa 500 GW Um die Leistung von Grosskraftwerken wie Offshore-Windparks langfristig zu speichern braucht es neue Technologien

Raffinierte EnergiespeicherungDafuumlr forscht die ZHAW School of Engineering gemein-sam mit der ETH Zuumlrich der EPF Lausanne und dem Paul

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Hochschulperspektive

Dissonanz an der Steckdose

Mit der Energiestrategie 2050 haben Bundesrat und Parla-ment eine Kehrtwende in der Schweizer Energiepolitik ein-gelaumlutet der die wichtigsten politischen Huumlrden erst noch bevorstehen Auf den ersten Blick scheint der Kurswechsel breit abgestuumltzt Seit dem Reaktorunfall in Fukushima fuumlh-ren Umfragen immer wieder zum gleichen Ergebnis Der langfristige Ausstieg aus der Kernenergie findet eine Mehr-heit Im Grundsatz stossen erneuerbare Energien sowie Massnahmen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz auf hohe Zustimmung Was fuumlr den Stimmzettel gilt beeinflusst aber nicht automatisch das Konsum- und Investitionsverhalten der Energiekunden Die Bereitschaft aus eigenem Antrieb mehr fuumlr ein oumlkologisch houmlherwertiges Produkt aus neuen erneuerbaren Energietraumlgern zu bezahlen ist beschraumlnkt Nur wenige Haushalte sind zudem bereit ihren Energie- und insbesondere ihren Stromkonsum zu reduzieren wenn dies mit nicht amortisierbaren Investitionskosten oder einem moumlglichen Komfortverlust verbunden ist

Mit anderen Worten Effizienz wird als teuer und Suffizienz als bevormundend empfunden Die private Zahlungsbereit-schaft laumlsst sich zwar mit regulatorischen Interventionen wie fixen Einspeiseverguumltungen oder Investitionssubven-tionen in Effizienzmassnahmen etwas erhoumlhen Doch die Erfahrungen in Deutschland und der Schweiz zeigen dass solche Massnahmen oumlkonomisch ineffizient sind und oft als ungerecht empfunden werden Sie koumlnnen damit zum Bumerang fuumlr die Akzeptanz der energiepolitischen Ziele werden Neben den politischen Huumlrden ist somit auch die kognitive Huumlrde der Konsumenten zu beruumlcksichtigen De-ren Uumlberwindung bedarf zuerst einer differenzierten Analyse der Ursachen und danach der Entwicklung innovativer Ver-triebsmodelle und Produkte auf Versorgerseite

Eine Mehrheit der Bevoumllkerung unterstuumltzt den Ausstieg aus der Kernenergie doch nur wenige beziehen ein oumlkologisches Stromprodukt Warum das so ist und wie sich diese Dissonanz aufloumlsen laumlsst beschaumlftigt derzeit viele EnergieversorgerText Claudio Cometta

Indifferenz uumlberwiegtFuumlr viele Konsumenten ist die Strom- Gas- oder Fern-waumlrmerechnung ein verhaumlltnismaumlssig kleiner Posten im Haushaltsbudget dem wenig Beachtung geschenkt wird Die Schweiz ist sogar einer der Spitzenreiter in Europa machen die Stromkosten im Durchschnitt doch nicht mehr als 2 Prozent der Haushaltsausgaben aus Wenig Beachtung bedeutet auch wenig Kenntnis des Preises und der Menge der bezogenen Energieleistung oder der Zusammensetzung des Tarifs aus Energiekosten Netz-kosten und Abgaben Entsprechend besteht nur ein ge-ringes Interesse Energie und damit Kosten zu sparen Konsumentenbefragungen zeigen zudem dass nur eine kleine Minderheit der Kunden die Zusammensetzung ihres Stromprodukts nach Energietraumlgern kennt Die geringen Kosten und Unkenntnis des Produkts verhindern also die Wahl anderer Stromprodukte Strom ist ein klassisches Commodity-Produkt Man kann ihn weder sehen noch riechen Er ist verhaumlltnismaumlssig guumlnstig immer verfuumlgbar und aumlndert in keinerlei Hinsicht seine Eigenschaften wenn dafuumlr mehr bezahlt wird Zudem ist meist nicht sichtbar wer wie viel von welchem Produkt bezieht Der Strom-konsum ist Privatsache

Uumlberwindung durch VertriebsmodelleDie Vorgaben der Energiestrategie 2050 beinhalten nicht nur einen massiven Zubau der Produktionskapazitaumlt aus erneuerbaren Energietraumlgern sondern auch die kon-tinuierliche Reduktion des Energie- und insbesondere des Stromkonsums pro Kopf Die direkte Finanzierung der dazu notwendigen Investitionsvorhaben scheint an-gesichts der Indifferenz auf Konsumentenseite jedoch schwierig Aus diesem Grund sind mehrere Schweizer

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rund um Haushaltstechnik Sicherheit Pflege oder Kom-munikation sowie ein geschicktes Marketing mit Elemen-ten der sozialen Kontrolle Denkbar sind auch Anreize die keinen direkten Zusammenhang mit dem Energiekonsum aufweisen aber fuumlr breite Bevoumllkerungsgruppen attrak-tiv sind So haben etwa einzelne skandinavische Versor-ger damit begonnen energiesparendes Verhalten ihrer Kunden mit Verguumlnstigungen fuumlr die Nutzung oumlffentlicher Transportmittel zu belohnen

Uumlberwindung durch PartizipationDie wohl wirkungsvollste Massnahme zur Uumlberwindung der Dissonanz an der Steckdose ist bereits inhaumlrent in der Transformation des Energiesystems hin zu einer staumlrker dezentralen Erzeugung angelegt Kunden entwi-ckeln sich von passiven Leistungsempfaumlngern zu aktiven Leistungserbringern sogenannten Prosumern Als Klein-produzenten von Strom mit einer hauseigenen Fotovol-taikanlage oder thermischer Speicherleistung mit Kraft-Waumlrme-Kopplungsanlagen im Mikroformat werden sie mittelfristig wesentlich zum Umbau des Energiesystems und zu den Zielen der Energiestrategie beitragen koumlnnen Eine nicht ganz unbedeutende Rolle koumlnnten in Zukunft sogenannte Buumlrgerbeteiligungsmodelle fuumlr die Finanzie-rung neuer In frastrukturprojekte spielen Diese wuumlrden gleichzeitig die Akzeptanz sichtbarer Produktionsanlagen von neuen erneuerbaren Energien erhoumlhen Doch erst wenn das Produkt Strom nicht mehr als reines Commodity-Produkt wahrgenommen wird werden politische Meinung und Konsumverhalten bei einer Mehrheit der Stimmbuumlrger uumlbereinstimmen

Energieversoger in letzter Zeit dazu uumlbergegangen soge-nannte Default-Modelle einzufuumlhren die Stromprodukte aus erneuerbaren Quellen zum neuen Standard erheben Dabei macht man sich die Traumlgheit der Kunden zunutze indem die Wahl eines Stromprodukts aus nicht erneuer-baren Energietraumlgern als Option definiert wird die aktiv bestellt werden muss

Nicht zuletzt aufgrund solcher Modelle ist die Zahl der Schweizer Haushalte die ein Stromprodukt aus aus-schliesslich erneuerbaren Energien beziehen auf uumlber 25 Prozent gestiegen Doch weitere Vertriebsinnovationen werden notwendig sein etwa um der Herausforderung der Einspeisung von Strom aus fluktuierend nutzbaren Quellen (Solar- und Windenergie) in die Verteilnetze gewachsen zu sein die immer staumlrker ins Gewicht faumlllt In der Folge gilt es Investitionen in Netz- und Speichersysteme zu finan-zieren In innovativen Vertriebsmodellen welche dieser Herausforderung gerecht werden erhaumllt das Konsumver-halten einen Wert Zeitliche Flexibilitaumlt wird belohnt durch Tarifreduktion Bonus oder Vermeidung einer Gebuumlhr Wie diese beiden Beispiele zeigen laumlsst sich der Mehrwert von vermeintlichen Commodity-Produkten durch neue Vertriebsmodelle abschoumlpfen und als marktwirtschaftlich vertraumlglicher Finanzierungsmechanismus fuumlr neue Infra-strukturvorhaben im Energiesektor nutzen

Uumlberwindung durch innovative ProdukteNoch groumlsseres Potenzial birgt die Weiterentwicklung von Stromprodukten zu Leistungssystemen die fuumlr Energie-kunden einen echten Mehrwert bieten Hierzu gehoumlrt die Verknuumlpfung des Kernprodukts Strom mit Dienstleistun-gen die den Kunden ein transparenteres Verbrauchsver-halten sowie Kostenoptimierung ermoumlglichen Intelligente Stromzaumlhler sogenannte Smart Meter kombiniert mit fle-xiblen Tarifen und einem einfachen Feedback- und Steuer-system sind die Voraussetzung um zumindest oumlkologisch sensibilisierten oder kostenbewussten Endkunden einen Effizienzeffekt zu ermoumlglichen Damit solche Leistungs-systeme aber fuumlr die grosse Gruppe der Indifferenten interessant werden braucht es weitere Mehrwerte Dazu gehoumlren die Verknuumlpfung mit intelligenten Anwendungen

Claudio ComettaDr Claudio Cometta ist Dozent fuumlr Innovation und Entrepreneurship an der ZHAW School of Management and Law Er koordiniert den Aufbau des nationalen Energie-Kompetenz-zentrums SCCER 5 an der ZHAW

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Die Energiewende stellt die Energieversorgungsunternehmen in der Schweiz vor grosse Herausforderungen Das Beispiel von Stadtwerk Winterthur zeigt wie die Branche auf den Paradig-menwechsel reagiertText Florian Wehrli

Von den Anfaumlngen als laquoWinterthurer Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtungraquo vor uumlber 150 Jahren bis zum modernen Querverbundunternehmen hat sich Stadtwerk Winterthur kontinuierlich weiterentwickelt Seine Aufgabe ist aber gemaumlss Direktor Markus Saumlgesser weitgehend dieselbe geblieben die Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung zu verbes-sern So bietet das staumldtische Versorgungsunternehmen neben klassischen Produkten wie Wasser Strom Gas oder Kehrichtentsorgung und Abwasserreinigung heute auch Fernwaumlrme Haustechnik Glasfasernetz und Ener-gie-Contracting an Die Ausdehnung auf neue Geschaumlfts-bereiche will der Direktor aber nicht als Reaktion auf die Liberalisierung des Energiemarkts verstanden wissen laquoWir begegnen der Marktoumlffnung proaktiv und wollen die sich bietenden Chancen aktiv nutzenraquo

Lokales Potenzial ausgeschoumlpftIm liberalisierten Markt hat das staumldtische Versorgungs-unternehmen mit dem Monopol auf sein Energieversor-gungsnetz von gesamthaft mehr als 2 500 Kilometern einen Vorteil Dessen Unterhalt ist nach wie vor eine der Hauptaufgaben Im Gegensatz zu anderen Energieversor-gern betreibt Stadtwerk Winterthur naumlmlich einen verhaumllt-nismaumlssig geringen Anteil an eigenen Produktionsanlagen Das Flaggschiff ist die wohl modernste Kehrichtverwer-tungsanlage der Schweiz laquoMit dem Umbau konnten wir 2013 den Wirkungsgrad der Anlage um einen Drittel stei-gern und die Abluft gehoumlrt zu den saubersten weltweitraquo sagt Markus Saumlgesser Heute deckt die KVA 20 Prozent des Winterthurer Strom- und 12 Prozent des Waumlrmebe-darfs ab Auf solchen Lorbeeren ausruhen will sich Stadt-werk Winterthur aber nicht laquoWir wollen mithelfen eine nachhaltige Energiewirtschaft aufzubauenraquo Mittelfristig soll

die Haumllfte des Stromangebots aus erneuerbaren Quellen stammen laquoDas ist ein ehrgeiziges Zielraquo sagt Saumlgesser laquowir sind aber auf gutem Weg dazuraquo

Rund die Haumllfte des Rahmenkredits von 90 Millionen Franken fuumlr erneuerbaren Strom den das Winterthurer Stimmvolk 2012 bewilligt hat ist bereits investiert Im Bereich Fotovoltaik ist die Planung der groumlssten Anlagen abgeschlossen etwa auf den Daumlchern der Eishalle oder des Busdepots Eine aktuelle Windpotenzialstudie zeigt fuumlr Winterthur nur wenige moumlgliche Standorte auf zumal die Bewilligung solcher Anlagen mit grossem buumlrokratischem Aufwand verbunden sei Mit diversen Nahwaumlrmever-buumlnden nutzt Stadtwerk Winterthur auch Holzabfaumllle bereits sehr effizient Aber auch dieser Energietraumlger ist in Winterthur beschraumlnkt vorhanden Das letzte Projekt das Holz aus dem Winterthurer Stadtwald einsetzen wird ist in der Aufbauphase Studien im Bereich Wasserkraft haben gezeigt dass abgesehen von einem Kleinwasser-kraftwerk an der Toumlss in der Region kaum Potenzial vor-handen ist

Investitionen im AuslandlaquoDiese aufwendige Aufbauarbeit soll nicht zur Regel wer-denraquo sagt Markus Saumlgesser laquoDas limitierte Energiepoten-zial in der Schweiz und die beschwerlichen Instanzenwe-ge fuumlr Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie lassen uns deshalb vermehrt im Ausland investierenraquo 2012 be-teiligte sich das Stadtwerk mit 12 Millionen Franken am Kleinkraftwerk Birseck AG das Kleinwasserkraftwerke und Foto voltaikanlagen in der Schweiz und in Frankreich be-treibt 2013 folgte eine Beteiligung in der Houmlhe von 25 Mil-lionen Franken an der Swisspower Renewables AG die in

Vom Versorger zum Dienstleister

Unternehmensperspektive

29COMPETENCE | 2014

sein glaubt er aber nicht daran dass der Stromverbrauch insgesamt zuruumlckgehen wird laquoDafuumlr ist der Marktpreis zu niedrig Aus serdem wird Strom im Bereich Waumlrme und Mobilitaumlt einen Grossteil der fossilen Energietraumlger ersetzen muumlssenraquo Damit der geplante Verbrauchsruumlck-gang dennoch gelingt will der Bund Anreize schaffen Mit sogenannten weissen Zertifikaten will er die Versor-ger be lohnen wenn sie ihre Kunden zu einem geringeren Energie verbrauch bewegen In Grossbritannien Italien und Frankreich sind solche Modelle bereits im Einsatz Markus Saumlgesser sieht dieser Entwicklung mit gemischten Gefuumlh-len entgegen laquoWir haben bereits vor der Reaktorkatastro-phe in Fukushima auf Energieeffizienz gesetzt und konn-ten uns dadurch profilieren Weil die Politik nun eingreift und den Markt uumlbersteuert bleibt uns als Unternehmen weniger Spielraum um uns zu positionierenraquo

Windkraftanlagen im angrenzenden Ausland investiert Fuumlr die Beschaffung von Strom am freien Markt ist das Stadtwerk eine Zusammenarbeit mit der Trianel GmbH in Aachen ndash einer der fuumlhrenden Stadtwerke-Kooperationen in Europa ndash eingegangen Damit sollen insbesondere der Zugang zum Grosshandelsmarkt sowie die Marktfor-schung sichergestellt werden Denn um Kunden nachhal-tige Energieprodukte verkaufen zu koumlnnen muss man ihre Beduumlrfnisse genau kennen

Anreize fuumlr geringeren VerbrauchDie Strategie scheint aufzugehen laquoSeit der Einfuumlhrung der neuen Stromprodukte Anfang 2013 haben wir den Absatz von erneuerbarer Energie in Winterthur verdop-pelt und denjenigen von Oumlkostrom sogar vervierfachtraquo so Saumlgesser Trotz dem steigenden oumlkologischen Bewusst-

Gemaumlss seinem Leitbild soll Stadtwerk Winterthur mit einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der soziashylen Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Bild Michael Lio

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Ausgliederung aus der StadtverwaltungAuch auf kommunaler Ebene ist Stadtwerk Winterthur von den politischen Rahmenbedingungen abhaumlngig ndash mit allen Vor- und Nachteilen Die politischen Kurswechsel in den vorgesetzten Gremien seien hinderlich bei der Umsetzung der Strategie des Unternehmens laquoWir taumltigen Investitio-nen mit einem Planungshorizont von mehreren Jahrzehn-tenraquo sagt Markus Saumlgesser laquoin der Politik wird dagegen in Amtsperioden von vier Jahren gedachtraquo Es gibt deshalb Bestrebungen das Stadtwerk aus der Stadtverwaltung auszugliedern und einem langfristig operierenden Steue-rungsgremium zu unterstellen Bei der Stimmbevoumllkerung geniesst Stadtwerk Winterthur grossen Ruumlckhalt Alleine in den letzten zwei Jahren wurden vier Abstimmungsvor-lagen mit grossem Mehr angenommen darunter Rah-menkredite fuumlr das Energie-Contracting oder erneuerbare Energien laquoEine bessere Legitimation koumlnnen wir uns gar nicht wuumlnschenraquo sagt Markus Saumlgesser

Neue BetriebskulturStrategisch und energiepolitisch werden Dienstleistungen wie das Energie-Contracting fuumlr Stadtwerk Winterthur immer wichtiger laquoWir wollen unserer Kundschaft Waumlr-me oder Kaumllte gleich komfortabel anbieten koumlnnen wie Stromraquo sagt Markus Saumlgesser laquoImmobilienbesitzerinnen und -besitzer sollen sich nicht mehr um den Fuumlllstand ih-res Oumlltanks oder den Termin fuumlr den Kaminfeger kuumlmmern muumlssenraquo Das Energie-Contracting waumlchst stark und macht heute bereits rund 5 Prozent des Umsatzes von Stadtwerk Winterthur aus

Die neuen Geschaumlftsfelder ziehen auch andere Arbeits-kraumlfte an als bisher Verschiedene Betriebskulturen seien in den vergangenen Jahren teilweise parallel gelaufen be-ginnen nun aber langsam zu verschmelzen Ein Beispiel dafuumlr ist die Verknuumlpfung von Smart Metering und dem traditionellen Verteilnetz Elektrizitaumlt Als Voraussetzung fuumlr das Change-Management in der Betriebskultur habe man alle Mitarbeitenden in die Erarbeitung des Unterneh-mensleitbildes involviert Entstanden ist ein Leitbild das Stadtwerk Winterthur dabei unterstuumltzt die Unterneh-mensstrategie umzusetzen Stadtwerk Winterthur soll mit

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

Markus SaumlgesserMarkus Saumlgesser (52) ist diplomierter Ma-schineningenieur ETH und hat ein Nachdi-plomstudium in technischen Betriebswissen-schaften absolviert Seit Anfang 2011 ist er Direktor von Stadtwerk Winterthur Seine bisherige berufliche Taumltigkeit fuumlhrte Markus Saumlgesser nach zwei Jahren Assistenz an der ETH zu einem Ingenieurbuumlro fuumlr Ener-gie- und Haustechnik Waumlhrend dieser rund sechsjaumlhrigen Zeit war er bei anspruchsvol-len Bauprojekten verantwortlich fuumlr die Konzeption und Koordination der technischen Gebaumludeausruumlstung Zudem war er waumlhrend vier Jahren Mitglied der Geschaumlftsleitung Nach zweijaumlhriger Taumltigkeit als Abteilungsleiter in einer groumlsseren Gemeinde wechselte er zum Elek-trizitaumltswerk der Stadt Zuumlrich (EWZ) bei dem er die Abteilung Vertrieb Grosskunden leitete Daneben war Markus Saumlgesser beim EWZ in verschiedene Innovationsprojekte involviert So zeichnete er fuumlr das Projekt laquoStromzukunft Stadt Zuumlrichraquo verantwortlich das wichtige Grundlagen fuumlr die Strategie des EWZ und die Volksabstimmung zur 2000-Watt-Gesellschaft in der Stadt Zuumlrich beisteuerte

Stadtwerk Winterthur in Zahlen (2013)Mitarbeitende 347Nettoinvestitionen 1198 Mio CHFDurchgeleitete Strommenge 5643 Mio kWhUmsatz Strom 93 Mio CHFDurchgeleitete Gasmenge 5295 Mio kWhUmsatz Gas 411 Mio CHFUnternehmensgewinn 109 Mio CHF

einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der sozia-len Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Wann wurden in Winterthur die ersten Strassenlampen mithilfe von Stein-kohle erleuchtet

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Unternehmensperspektive

ckelte Hochspannungsgleichstromschalter sollen zudem sicherstellen dass etwa ein Kurzschluss durch eine hy-perschnelle Abschaltung isoliert und das Netz somit nicht gefaumlhrdet wird Von 14 solchen Schaltsystemen welt-weit stammen 13 von ABB Die hohen Investitionen fuumlr die armdicken Gleichstromkabel rechnen sich da beim Transport viel weniger Strom verloren geht als bei der tradi tionellen Wechselstromtechnik Die Produktelinie ent-wickelt sich zum Renner Sie wird zur Anbindung von So-lar- und Windparks zur Versorgung von Inseln als Ersatz fuumlr Diesel generatoren auf Oumll- und Gasplattformen auf See eingesetzt Oder um Starkstrom vom Festland zu auf dem Meeresboden platzierten ferngesteuerten Foumlrderanlagen fuumlr Gas und Oumll zu leiten ndash wofuumlr ABB auch wartungsfreie Kompressoren liefert damit Kunden wie Statoil und Pet-robras teure Ausfaumllle erspart bleiben

Komplettloumlsungen aus einer HandDank hohem Innovationstempo sind die Divisionen Ener-gietechnik- und Niederspannungsprodukte gut ausgelas-tet Dies gilt ebenso fuumlr die Divisionen Industrie- und Pro-zessautomation Speziell energieintensive Industrien die unter hohem Kostendruck stehen muumlssen ihre Anlagen auf dem neusten Stand halten Dazu zaumlhlen Bergbau Oumll- und Gasindustrie Zellstoff- Papier- und Zementfabriken Chemie- und Pharmafirmen sowie Raffinerien Gefragt sind auch Industrieroboter und schwenkbare dank ABB-Leistungselektronik stufenlos regulierbare Schiffsantrie-be ABB liefert Grosskunden fertige Loumlsungen die hohe Produktivitaumlt und Energieeffizienz gewaumlhrleisten Alles ist aufeinander abgestimmt von der Elektrik uumlber Antriebe Generatoren Roboter Sensoren und Steuerungen bis hin

Zu Beginn des Jahrtausends stand ABB am Abgrund Doch eine neue Fuumlhrungscrew fuumlhrte das Unternehmen aus der Krise sodass die Schweiz inzwischen wieder stolz sein kann auf ihren Industriemulti mit Sitz in Zuumlrich Oerli-kon 2013 erzielte ABB mit rund 148 000 Mitarbeitenden in 100 Laumlndern 42 Milliarden Dollar Umsatz Die renom-mierte US-Universitaumlt MIT zaumlhlt ABB zu den 50 innova-tivsten Unternehmen weltweit Dank 8 000 Ingenieuren in Forschung und Entwicklung und einem Forschungsetat von 15 Milliarden Dollar kann ABB selbst mit Giganten wie Siemens und General Electric mithalten

Innovationen die Technikfans begeisternWas ABB alles macht wissen wohl nur Technikfans Denn der Konzern hat uumlber 70 000 Produkte im Angebot Die 300 ABB-Fabriken liefern taumlglich 15 Millionen Kompo-nenten aus die zu elektrischen Einrichtungen oder in Pro-duktionssteuerungen verbaut werden Aus Kanada etwa kam juumlngst ein Grossauftrag uumlber 400 Millionen Dollar Erneuerbare Energie die auf Neufundland und Labrador gewonnen wird soll ab 2017 via Hochspannungskabel 360 Kilometer nach Westen fliessen um dort 350 000 Haumluser zu versorgen Weltweit gibt es erst 90 solche Gleichstromkabelverbindungen die meist unter der Erde oder auf dem Meeresgrund verlaufen ABB ist mit rund 50 Prozent Anteil Marktfuumlhrer Die futuristisch anmuten-de Technik in den abgeschirmten Hallen wo der Strom vor dem Transport auf Hochspannung transformiert wird erinnert an den Maschinenraum von Raumschiff Enter-prise Ein wichtiges Steuerungselement bilden dabei in Baden Daumlttwil entwickelte und in Lenzburg produzierte Spezialchips die Houmlchstspannung aushalten Neu entwi-

Der schweizerisch-schwedische Technikkonzern treibt an vor-derster Front die Energiewende voran Dafuumlr forscht man bei ABB intensiv zu erneuerbaren Energien schlauen Stromnetzen sowie hocheffizienten Industrieanlagen Einzig die schwache Nachfrage nach Energieanlagen in Europa bremst die ExpansionText Andreas Fluumltsch

Innovativer Treiber der Energiewende

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uumlber weite Strecken in die Ballungsraumlume geleitet werden muss brummt das Geschaumlft In den USA treibt der Oumll- und Gasboom die Nachfrage Nur in Europa harzt das Geschaumlft mit Grossanlagen Weniger Nachfrage belastet die Margen bei Auftraumlgen fuumlr Wind- und Solarfarmen so-wie fuumlr Netzinfrastruktur Die Risiken der oft mehrjaumlhrigen Projekte sind so hoch dass ABB waumlhlerischer sein muss und etwa das Geschaumlft mit Solarloumlsungen zurzeit auf Sparflamme betreibt Dennoch ist ABB immer noch hoch-profitabel nicht zuletzt da die Kosten Jahr fuumlr Jahr um 3 bis 5 Prozent gesenkt werden Aber der erfolgsgewohnte Konzern musste sich 2013 mit 6 Prozent Umsatzplus zu-friedengeben Umso intensiver treibt der neue ABB-Chef Ulrich Spiesshofer die Integration der vorab in den USA fuumlr 10 Milliarden Dollar getaumltigten Zukaumlufe voran Und Spiess-hofer forciert die Zusammenarbeit der Divisionen damit ABB die Unternehmensvision laquoEnergie und Produktivitaumlt fuumlr eine bessere Weltraquo mit moumlglichst vielen eigenen Pro-dukten realisieren kann

zur Leittechnik samt angepasster Software Kleine und mittlere Kunden ordern Komponenten oder Teilsysteme Ein wichtiges Verkaufsargument ist das Sparpotenzial von stufenlos steuerbaren Elektromotoren Nur einer von fuumlnf Motoren hat laut einer Erhebung des Bundes einen Leis-tungsregler der Rest laumluft auf Hochtouren und wird ndash man glaubt es kaum ndash bei Bedarf mit Klappen oder Ventilen mechanisch abgebremst Eine gigantische Verschwen-dung da Industriemotoren laut einer Studie der Schwei-zerischen Agentur fuumlr Energieeffizienz 27 Prozent des Schweizer Stromverbrauchs ausmachen

Europaumlische ZuruumlckhaltungEigentlich muumlsste die Division Energietechniksysteme ebenfalls ausgelastet sein Denn auch die Stromwirtschaft muss ihre Effizienz steigern Schliesslich erfordert die Energiewende einen Totalumbau der auf Verteilung ausge-richteten Netze damit diese unter der Last von Solar- und Windenergie nicht instabil werden Arbeit in Huumllle und Fuumllle fuumlr ABB sollte man meinen Doch der erst zaghafte Auf-schwung in Europa daumlmpft die Nachfrage Erschwerend kommt hinzu dass subventionierte Wind- und Solarener-gie in Europas liberalisiertem Strommarkt den Strompreis in ungeahnte Tiefen druumlckte Die Konkurrenzfaumlhigkeit von Wasser- Gas- und Atomkraftwerken hat gelitten Pump-speicher sind keine Goldesel mehr seit die erneuerbaren Energien die Preisspitzen brechen Entsprechend schie-ben Stromkonzerne wie Alpiq oder RWE Investitionen auf Unsicherheiten rund um den Atomausstieg belasten zu-saumltzlich Die voraussichtlich noch auf Jahre hinaus tiefen Strompreise schmaumllern auch die Faumlhigkeit der Besitzer von Hochspannungs- und Verteilnetzen deren Umruumlstung zu finanzieren hoch verschuldete EU-Staaten fahren die Foumlrderung von Wind- und Solarenergie zuruumlck

Straffe KostenkontrolleABB bekommt den Investitionsstau empfindlich zu spuuml-ren Die Division Energietechniksysteme schreibt seit eini-ger Zeit rote Zahlen Zwar ordern Grosskunden aus Asien und Lateinamerika weiterhin kraumlftig Neben China inves-tiert vermehrt auch Indien in neue Stromnetze Uumlberall dort wo die Bevoumllkerung rasch waumlchst oder der Strom

Andreas FluumltschAndreas Fluumltsch war urspruumlnglich Jurist und arbeitete ab 1983 als Journalist fuumlr laquoBlickraquo laquoWeltwocheraquo laquoBilanzraquo und laquoCashraquo Zwischen 1989 und 1990 war er Mitglied der Geschaumlftsleitung von Greenpeace Schweiz anschliessend Hausmann Nach der Ruumlck-kehr in den Journalismus 1992 arbeitete er bei laquoBlickraquo laquoSonntagszeitungraquo und laquoTages- Anzeigerraquo und absolvierte eine Ausbildung zum Boumlrsenhaumlndler Nach der Fruumlhpensio-nierung Ende 2013 machte er sich als Publi-zist selbststaumlndig

ABB in Zahlen (2013)Betriebsertrag 41 848 Mio USDBetriebsergebnis 4 387 Mio USDndash Industrieautomation 1 458 Mio USDndash Niederspannung 1 092 Mio USDndash Prozessautomation 990 Mio USDndash Energietechnik 1 331 Mio USDndash Energiesysteme 171 Mio USD

Mitarbeitende 147 700ndash davon in der Schweiz 6 966

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Hohe Nachfrage nach MinergieDer Erfolg der bisherigen Sparbemuumlhungen bleibt nicht aus laquoTrotz zunehmender Pro-Kopf-Wohnflaumlche und stei-gendem Komfort sinkt der Energieverbrauch fuumlrs Heizen in den letzten Jahrzehnten stetigraquo verkuumlndet der Zuumlrcher Regierungsrat im Energieplanungsbericht 2014 Dazu tra-gen nicht nur die laufend verschaumlrften Gesetze bei Ebenso wichtig ist die Bereitschaft von Bautraumlgerschaften freiwillig Uumlberdurchschnittliches zu leisten Vor allem die Minergie-Regeln werden inzwischen gerne befolgt weshalb Haumluser mit halbiertem Energieverbrauch beinahe Standard sind Schweizweit traumlgt eines von zehn neuen Wohnhaumlusern ein Minergie-Zertifikat Der Anteil an Minergie-Haumlusern im Grossraum Zuumlrich liegt gemaumlss einer Marktanalyse der Universitaumlt Zuumlrich bereits nahe bei 20 Prozent Dies ist privaten Hauseigentuumlmern und institutionellen Investoren zu verdanken Wohn- und Geschaumlftshaumluser mit houmlchster Energieeffizienz gehoumlren inzwischen zum guten Ton Den juumlngsten Beweis liefert eine Immobilienstiftung der Credit Suisse die 70 Millionen Franken in die groumlsste Oumlkosied-lung der Schweiz investiert Im Aargauer Reusstal wohnen seit diesem Jahr rund 200 Familien Paare und Singles deren Wohnhaumluser sich weitgehend selbst mit Sonnen-energie versorgen So klimafreundlich die Energiewende-Architektur ist der Investor erwartet dennoch marktuumlb-liche Renditen Ist der Markt aber bereit oumlkologisches Engagement angemessen zu honorieren

Marktpotenzial fruumlhzeitig erkanntDie Zuumlrcher Kantonalbank (ZKB) beziffert den Mehrwert von Minergie-Haumlusern auf 7 Prozent Kaumlufer seien bereit diesen Aufpreis fuumlr mehr Energieeffizienz zu bezahlen Als weitere Nebeneffekte nennt der vor drei Jahren publizierte ZKB-Bericht eine hochwertige dauerhafte Bausubstanz sowie die Absicherung gegen steigende Oumll- und Energie-preise Fachleute des Immobilienberatungsunternehmens Wuumlest amp Partner (WampP) warnen indes dass sich zusaumltz-liche Investitionen in die Energieeffizienz nicht uumlberall loh-nen laquoRegional schwankt die Zahlungsbereitschaft des Immobilienmarktsraquo praumlzisiert WampP-Partner Ivan Anton Minergie-Haumluser koumlnnen aber nicht nur in abgelegenen Regionen ein Marktrisiko werden laquoMit Ausnahme der

Beim Autokauf wird bevorzugt auf Pferdestaumlrken Be-schleunigung und Innenausstattung geachtet Der CO2-Ausstoss interessiert hingegen kaum So kommt die Energieeffizienz im Strassenverkehr nur stockend voran 1995 schluckten alle neu immatrikulierten Personen-wagen durchschnittlich 9 Liter Benzin pro 100 Kilometer 20 Jahre spaumlter liegt der Durchschnittsverbrauch gemaumlss Bundesamt fuumlr Energie (BFE) immer noch uumlber 6 Litern Das viel gepriesene laquoDrei-Liter-Autoraquo haben alle Hersteller wieder aus der Modellpalette genommen

Demgegenuumlber gelingen dem oft traumlge genannten Ge-baumludebereich weitaus groumlssere Effizienzspruumlnge Ver-brauchen 40 Jahre alte Haumluser im Schnitt 220 Kilowatt-stunden (kWh) Heizenergie pro Quadratmeter Wohnflaumlche und Jahr sind die aktuellen Werte unter die 50er-Marke gesunken Zusaumltzliche Sparerfolge sind nur eine Frage der Zeit Im Fruumlhsommer haben die kantonalen Energie-direktoren uumlber ein Rahmenabkommen beraten das Null-energieneubauten demnaumlchst zum Standard machen soll Wie die nationale Energiewende zu erreichen ist erklaumlrt Christoph Gmuumlr von der Abteilung Energie des Kantons Zuumlrich laquoDer spezifische Verbrauchswert ist zudem auf 35 kWh pro Quadratmeter zu senkenraquo Gebaumlude die sich mit umweltfreundlicher Energie selbst versorgen wollen auch die EU-Staaten Ab 2020 wird ein Gebaumludestandard eingefuumlhrt der nur noch laquoNiedrigstenergiegebaumluderaquo mit sehr hoher Energieeffizienz als Neubauten vorsieht

Energiesparhaumluser waren vor 30 Jahren Exoten inzwischen nimmt der Bereich der energie-effizienten Gebaumlude eine Vor-bildrolle fuumlr die Energie wende ein Bauherren profitieren davon ebenso wie die Zuliefer-branche Text Paul Knuumlsel

Expertensicht

Haumluser in der ersten Reihe

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der Bau von Niedrigenergiehaumlusern und alternativen Hei-zungsanlagen sowie energetische Gebaumludesanierungen Investitionen im Umfang von rund 4 Milliarden Franken ausgeloumlst rechnet der Bund vor laquoEin Fuumlnftel insgesamt 860 Millionen Franken stammt aus den oumlffentlichen Kas-senraquo verweist die BFE-Stelle EnergieSchweiz auf die Im-pulse der kantonalen Foumlrderprogramme Einen Wermuts-tropfen besitzt diese Wirkungsbilanz Fruumlhere Analysen der Energiesparprogramme zeigen naumlmlich dass zwi-schen einem Drittel und der Haumllfte der energetisch vorbild-lichen Gebaumlude auch ohne staatliche Foumlrderung realisiert worden waumlren Dem Mitnahmeeffekt ist auch die Eidge-noumlssische Steuerverwaltung auf der Spur Sie schaumltzt dass Bund und Kantonen jaumlhrlich 14 Milliarden Franken entgehen weil energetische Gebaumludesanierungen bei der Liegenschaftssteuer abzugsberechtigt sind Die Energie-wende erfordert nicht nur mehr Effizienz bei den Anwen-dungen sondern auch einen effizienten Einsatz staatlicher Mittel Im Energieplanungsbericht 2013 hat der Zuumlrcher Regierungsrat erstmals uumlber alternative Anreizsysteme nachgedacht Demnach soll eine Lenkungsabgabe den Energiekonsum reduzieren und das bisherige Foumlrdersys-tem abloumlsen Aumlhnliche Plaumlne verfolgt der Bund Denn ein Lenkungssystem duumlrfte weitere Sparbemuumlhungen im Ge-baumludebereich aber auch im Strassenverkehr foumlrdern Ins-besondere dann wenn Heizoumll und Benzin im Gleichschritt teurer werden

begehrten Wohnlagen haben Hauseigentuumlmer an vielen Orten mit moumlglichen Verkaufsverlusten zu rechnenraquo so Anton Zwar sei die Nachfrage bei Eigentuumlmern und Mie-tern aumlhnlich gross Aber auch Mieter wuumlrden nicht uumlberall mehr fuumlr eine energieeffiziente Wohnung bezahlen Kaum uumlberraschen darf daher dass Immobilieninvestoren immer haumlufiger die steigenden Energieanforderungen kritisieren und kostenguumlnstigere Baustandards vorziehen Fuumlr WampP-Berater Urs Hausmann ist laquonachhaltiges Bauen trotzdem keine Frage von Luxus oder Wohlstand sondern eine wie man mit Ressourcen umgehen willraquo Dass ein hohes Um-weltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauen Der Run auf den oumlkologischen Baustoff Holz laumlsst zum Beispiel eine gesamte Wertschoumlpfungskette und viele

innovative Unternehmen profitieren Forstbetriebe Sauml-gereien Fensterbauer Daumlmmstoffhersteller und andere Bauzulieferer vergroumlssern ihre Produktionskapazitaumlten und stellen zusaumltzliches Personal ein laquoDie Umsaumltze im Schweizer Holzbau sind in den letzten Jahren um mehrere Hundert Millionen Franken gestiegen und die Trendkurve zeigt weiter nach obenraquo freut sich Christoph Starck Di-rektor des Holzbaudachverbands Lignum

Einheimische Zulieferer als GewinnerAuch im Verein Minergie ist man sich bewusst dass sich energieeffizientes Bauen wirtschaftlich positiv auswirkt In den letzten 15 Jahren sind 25 000 Wohnhaumluser Buumlro-komplexe Schulbauten Sport- und Industriehallen mit Niedrig energiezertifikat entstanden Gemeinsam sparen sie 15 Milliarden Kilowattstunden Energie laquoUumlber 2 Milliar-den Franken wurden zusaumltzlich investiertraquo rechnet Miner-gie-Sprecher Antonio Milelli vor Anstatt fossile Brennstoffe einzukaufen wird mehr Geld fuumlr Daumlmmstoffe Isolierfenster Luumlftungsanlagen und Sonnenkollektoren aus inlaumlndischer Fabrikation ausgegeben Zwischen 2001 und 2012 haben

Paul KnuumlselPaul Knuumlsel studierte Umweltnaturwissen-schaften an der ETH Zuumlrich Er ist unabhaumln-giger Wissenschaftsjournalist und schreibt seit Jahren in Publikums- und Fachmedien uumlber die vielfaumlltigen Aspekte des nachhalti-gen Bauens Zusaumltzlich betreut er in der Re-daktion des laquoTEC21raquo das Ressort laquoEnergie und Umweltraquo

laquoDass ein hohes Umweltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren

derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauenraquo

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Der Wasserkraft Sorge tragen

Welchen Beitrag kann die Wasserwirtschaft zur Energie-wende leisten Roger Pfammatter Die Wasserkraft ist der energie-politische Trumpf der Schweiz Wir befinden uns in der gluumlcklichen Lage uumlber grosse Mengen Wasser und das notwendige Gefaumllle zu verfuumlgen ndash das sind die beiden wichtigsten Voraussetzungen fuumlr die hydroelektrische Produktion Und wir haben in den vergangenen 100 Jah-ren gelernt dieses Potenzial effizient und moumlglichst um-weltschonend zu nutzen Die Wasserkraft ist der Schluumls-sel fuumlr eine nachhaltige Energieversorgung technisch ausgereift politisch erwuumlnscht einheimisch erneuerbar und CO2-frei

Wie viel mehr ist moumlglichHeute leistet die Wasserkraft nicht nur rund 60 Prozent der Stromproduktion in der Schweiz sondern bietet auch unverzichtbare Regel- und Systemdienstleistungen die markant an Bedeutung gewinnen werden Vor allem bei der Flexibilisierung der Wasserkraft durch mehr Leistung und Speichervolumen waumlre noch einiges moumlglich Um die Aufgaben weiterhin zu gewaumlhrleisten muumlssen wir aber primaumlr dem Bestehenden Sorge tragen

Die Energiestrategie des Bundes gibt aber klare Ausbau-ziele vor Bis 2035 soll die Stromproduktion aus Wasser-kraft um 10 Prozent steigenUnter den momentanen Rahmenbedingungen ist dieses Ausbauziel nicht realistisch Im Gegenteil Aufgrund der Restwasserbestimmungen wird die Produktion in den naumlchsten Jahren vermutlich sogar zuruumlckgehen

Die Wasserkraft ist der wichtigste Pfeiler der Schweizer Ener-giewirtschaft ihr Potenzial ist aber weitgehend ausgeschoumlpft Roger Pfammatter Geschaumlftsfuumlhrer des Wasserwirtschaftsver-bands gibt im Interview Auskunft uumlber die Lage der Branche und ihre Bedeutung fuumlr die EnergiezukunftInterview Florian Wehrli

Expertensicht

Was muss sich aumlndern damit die vorgegebenen Ziele um-gesetzt werden koumlnnenZum einen braucht es dafuumlr die Akzeptanz der Umweltver-baumlnde der Fischer und letztlich der gesamten Bevoumllkerung Zum anderen muumlssen laumlngerfristig die extremen Marktver-zerrungen abgebaut werden damit sich auch Investitionen in die nicht gefoumlrderte Wasserkraft wieder lohnen Heute wird nur noch in subventionierte Anlagen investiert

Wer ist hier in der PflichtHier ist die Politik gefordert die Rahmenbedingungen zu verbessern Denn ohne die Wasserkraft kann die Energie-wende nicht gelingen

Anfang Jahr wurde der Wasserwirtschaftsverband von den zustaumlndigen Kommissionen angehoumlrt Welche Forderun-gen hat die Branche an das ParlamentWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerba-re Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichten die bereits bis zur Haumllfte der Geste-hungskosten ausmachen Damit sind wir doppelt diskrimi-niert Die Wasserkraft ist extrem unter Preisdruck ndash und dies obwohl sie mit Gestehungskosten zwischen 3 und 10 Rappen pro Kilowattstunde die effizienteste Strompro-duktionstechnologie ist Nur zum Vergleich Fotovoltaik -anlagen werden heute mit rund 40 Rappen subventioniert

Bis 2011 liess sich mit der Grosswasserkraft noch viel Geld verdienen Wurden zu wenige Ruumlcklagen fuumlr schlechte Zei-ten gebildet

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Es kann nicht der Sinn sein Ruumlcklagen fuumlr Zeiten zu bil-den in denen die Marktpreise die Gestehungskosten nicht mehr decken Das waumlre wie wenn ein Baumlcker auf jedem Gipfeli einige Rappen zuruumlckbehalten muumlsste damit er sie am naumlchsten Tag gratis abgeben kann Mit dem durch Subventionen verzerrten Marktpreis von 4 bis 5 Rappen pro Kilowattstunde ist unter den konventionellen Energie-traumlgern praktisch nur Kohle konkurrenzfaumlhig Das ist be-stimmt nicht im Sinn der Energiewende

Drei Grosswasserkraftprojekte sind heute bereits im Bau Koumlnnen die enormen Kosten uumlberhaupt amortisiert wer-denPrognosen sind schwierig An der europaumlischen Strom-boumlrse (EEX) werden bis 2020 Strompreise zwischen 45 und 53 Rappen pro Kilowattstunde gehandelt Der Markt glaubt also nicht an eine baldige Erholung Dafuumlr muumlsste das Uumlberangebot in Europa zuruumlckgehen etwa uumlber die Anhebung des CO2-Preises von heute 5 auf mindestens 30 Euro pro Tonne Politisch ist das aber kaum durchsetz-bar Neue Pumpspeicherwerke werden sich deshalb wohl erst in mehreren Jahrzehnten lohnen

Was kann die Kleinwasserkraft leistenOhne die kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) wuumlr-de niemand Kleinwasserkraftanlagen bauen genauso we-nig wie Fotovoltaik- Wind- oder Biomasseanlagen Zurzeit gibt es aber allein bei der Kleinwasserkraft rund 1 000 An-meldungen fuumlr Foumlrderbeitraumlge mit einem bescheidenen Ge-samtpotenzial von 33 Terawattstunden pro Jahr Die oumlko-logischen Auswirkungen sind im Vergleich zum Ertrag zu gross Obwohl wir von marktverzerrenden Foumlrderprogram-men wegkommen sollten waumlre es in einer Uumlbergangs phase sinnvoll die KEV-Obergrenze von 10 Mega watt aufzuheben und dort zu foumlrdern wo es wirklich etwas bringt

Wie soll die Grosswasserkraft unterstuumltzt werdenDas Sinnvollste waumlre die Abkehr von der Subventions-maschinerie ndash und zwar auf europaumlischer Ebene Dann wuumlrde sich die Wasserkraft als effiziente erneuerbare Stromproduktionsform mit Sicherheit durchsetzen Min-destens als Uumlbergangsloumlsung waumlre aber die Entlastung

von Abgaben in erster Linie vom Wasserzins dringend Der maximale Wasserzins wurde in den letzten vier Jahren um 38 Prozent erhoumlht und wird naumlchstes Jahr um weite-re 10 Prozent angehoben Diese Erhoumlhung wurde 2008 beschlossen und steht heute in keinerlei Bezug mehr zur Ertrags lage Kurzfristig koumlnnten die Kantone auf einen Teil dieser Zinsen verzichten ndash das waumlre ein wichtiges politi-sches Zeichen Langfristig muss ein neuer Modus fuumlr die Zinsberechnung gefunden werden der die Ertragslage der Wasserkraft mitberuumlcksichtigt Das ist auch im Interesse von Bund Kantonen und Gemeinden schliesslich ist die Wasserkraft zu 85 Prozent in oumlffentlicher Hand Ebenfalls als Uumlbergangsloumlsung bis zu besseren Marktpreisen waumlren zinsguumlnstige Darlehen fuumlr die noumltigen Investitionen in die Grosswasserkraft denkbar Ohne mindestens eine dieser Massnahmen kann die Wasserwirtschaft das geforderte Ausbauziel nicht erreichen

Bis dahin gibt es noch eine weitere Huumlrde den Heimfall der Stauanlagen an die Standortgemeinden Welchen Ein-fluss hat dieser UmstandWenn die Konzessionen nach 80 oder 100 Jahren aus-laufen muss der Betreiber der Gemeinde eine Entschaumldi-gung fuumlr den Restwert der Anlagen entrichten Im Fall der Staumauer Barberine bezahlen die SBB und Alpiq 2017 an sechs Walliser Gemeinden 343 Millionen Franken Das 400-Seelen-Dorf Finhaut erhaumllt alleine 112 Millionen Fran-ken und weiss kaum wohin mit dem Geld Der gesamte Wert des Heimfalls der Anlagen bewegt sich schweizweit im Milliardenbereich Der Houmlhepunkt des Heimfalls wird um 2035 erreicht werden Bis zu diesem Zeitpunkt soll aber auch ein Grossteil der geforderten Produktionsstei-gerung umgesetzt werden

Bei der Stromproduktion ist ein Ausbau von uumlber 10 Pro-zent wohl nicht realistisch Wie sieht es bei der Speicher-leistung aus Hier muss man unterscheiden zwischen kurzfristiger und saisonaler Speicherung Fuumlr die saisonale Speicherung verfuumlgt die Schweiz mit 200 Speicherseen uumlber ein Vo-lumen von rund 9 000 Gigawattstunden (GWh) die jedes Jahr vom Sommer in den Winter umgelagert werden Dies

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Expertensicht

entspricht einem Viertel der jaumlhrlichen Produktion aus Wasserkraft Das Ausbaupotenzial durch die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren betraumlgt rund 2 000 GWh Falls der Ausbau aber nicht gelingt entsteht im Winter durch den Ausfall der Kernenergie eine immer groumlssere Luumlcke an Bandenergie die durch den Import von Atom- oder Kohlestrom gedeckt werden muss

Wie sieht es beim Ausbau der Pumpleistung zum kurzfris-tigen Ausgleich von Schwankungen im Netz ausGrundsaumltzlich ist das Potenzial fuumlr Pumpspeicherwerke in der Schweiz riesig Es braucht nur zwei Seen auf unter-schiedlicher Houmlhe Die Frage ist ob sich solche Investi-tionen rechnen Die Pumpspeicherwerke finanzieren sich

uumlber den Preisunterschied zwischen Band- und Spitzen-energie Wenn an einem schoumlnen Sommertag in Europa mittags die geballte Ladung an Sonnen- und Windener-gie eingespeist wird koumlnnen die Pumpspeicherkraftwerke sehr guumlnstig oder sogar zu Negativpreisen Strom bezie-hen Man darf aber nicht vergessen dass dieselbe Situa-tion fuumlr die Laufwasserkraftwerke die rund die Haumllfte der Wasserkraftproduktion in der Schweiz ausmachen den gegenteiligen Effekt hat Diese koumlnnen aus technischen konzessionsrechtlichen oder oumlkologischen Gruumlnden nicht vom Netz genommen werden und muumlssen fuumlr ihre Strom-produktion bezahlen Das kann gehoumlrig ins Geld gehen An Weihnachten 2012 lag der Strompreis zum Beispiel bei minus 30 Rappen pro Kilowattstunde

Roger Pfammatter laquoWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerbare Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichtenraquo

Bild Florian Wehrli

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cherseen zur Flexibilisierung Damit das gelingt muss der Wert der Wasserkraft staumlrker im Bewusstsein der Bevoumllke-rung verankert sein Und nicht zuletzt muss der Marktpreis so weit uumlber den Gestehungskosten liegen dass sich In-vestitionen in die Wasserwirtschaft rentieren

Versuchen das Bestehende zu erhalten Diese Vision klingt etwas resigniertDas ist eine Frage der Perspektive Die Wasserkraft hat als Technologie in der Schweiz seit Langem Bestand Sie befindet sich in einer anderen Situation als Fotovoltaik und Windenergie die sich in einem hochdynamischen Umfeld mit grossem Potenzial in Forschung und Wachstum be-finden Die Wasserkraft ist dagegen nicht mehr in der Auf-bruchsphase sondern in der Konsolidierungsphase Da-fuumlr kann man sich auf die Wasserkraftwerke verlassen Sie produzieren bei Tag und in der Nacht im Sommer wie im Winter bei Windstille oder im Nebel Auch der Erhalt und die Optimierung des Bestehenden sind grosse Heraus-forderungen und bedingen grosse Investitionen

Sehen Sie eine Moumlglichkeit wie die Schweizer Wasser-wirtschaft in Zukunft Geld mit Systemdienstleistungen wie Netzstabilitaumlt verdienen kannDie unregelmaumlssig einspeisenden Stromproduzenten neh-men keinerlei Systemverantwortung wahr Ich habe selbst ein Solarpanel auf dem Dach Wenn Produktion moumlglich ist speise ich Strom ins Netz ein wenn nicht beziehe ich Die Produzenten mehr in die Verantwortung zu nehmen faumlnde ich sinnvoll ndash zum Beispiel uumlber Zertifikate fuumlr Spei-cherleistungen Diese koumlnnten bei Pumpspeicherwerken bezogen werden

Welcher Ausbau der Pumpspeicherleistung ist dafuumlr noumltigDie installierte Leistung betraumlgt heute rund 14 Gigawatt (GW) Mit den im Bau befindlichen und den geplanten An-lagen kann die Kapazitaumlt maximal auf 51 GW ausgebaut werden ndash etwa die Haumllfte der Jahreshoumlchstlast im Netz Damit die Schweizer Wasserkraft aber einen Beitrag zur Stabilitaumlt des europaumlischen Stromnetzes leisten kann muumlssten auch das Stauvolumen und die Leitungskapazi-taumlt erhoumlht werden Hier sind die Einsprachen von Anwoh-nern und Umweltverbaumlnden noch gravierender als bei den Anlagen selbst

Braucht es neue rechtliche Instrumente um den geplan-ten Ausbau durchsetzen zu koumlnnenEs braucht vor allem die Einsicht dass die Wasserkraft das Ruumlckgrat unserer Versorgungssicherheit ist und die Aus-wirkungen eines Ausbaus immer auch mit den Alternativen verglichen werden muumlssen Wir befinden uns aber auch in einem intensiv genutzten Land mit vielen Partikularinteres-sen Diese muumlssen gewichtet und abgewogen werden In der Abwaumlgung zwischen Landschaftsschutz und Wasser-nutzung waumlre es hilfreich wenn Grosswasserkraftanlagen den Status von nationalem Interesse erhalten

Wie soll die Schweizer Wasserwirtschaft im Jahr 2035 aussehenIch wuumlnsche mir dass die bestehende Infrastruktur auf dem heutigen Stand erhalten optimiert oumlkologisiert und im Idealfall etwas ausgebaut wird Dazu gehoumlren etwa die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren sowie neue Spei-

Roger PfammatterSeit seinem Ingenieurstudium an der ETH Zuumlrich hat er sich in ver-schiedenen Rollen dem Wasser verschrieben Nach sieben Lehr- und Wanderjahren in der Forschung und in der Entwicklungszusammen-arbeit war er zehn Jahre beim Ingenieurunternehmen Ernst Basler + Partner engagiert Seit 2010 ist er Geschaumlftsfuumlhrer des Schweizeri-schen Wasserwirtschaftsverbandes (SWV) und Herausgeber der Zeit-schrift laquoWasser Energie Luftraquo In diesen Funktionen setzt er sich ein fuumlr den Fachaustausch und gute Rahmenbedingungen in den Bereichen Wasserkraft und Hochwasserschutz

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Die globalen Energiemaumlrkte sind seit einigen Jahren stark in Bewegung Volatile Erdoumllpreise die Foumlrderung von un-konventionellen Gasvorkommen in grossem Stil die mas-sive Subventionierung von neuen erneuerbaren Energien in Deutschland der laquoarabische Fruumlhlingraquo und der Konflikt in der Ukraine hinterlassen Spuren Die Folge sind starke Verwerfungen an den Maumlrkten und fehlende Investitionssi-cherheit In diesem dynamischen und unsicheren Kontext will der Bund die bisherige Energiepolitik neu ausrichten ndash wahrlich eine Herkulesaufgabe Die Schweizer Wirtschaft verlangt dass der Bund bei der Neuausrichtung der Ener-giepolitik seinem in der Verfassung verankerten Auftrag nachkommt und sich fuumlr eine ausreichende sichere breit gefaumlcherte wirtschaftliche und umweltvertraumlgliche Ener-gieversorgung einsetzt Somit ist klar Die Energiestrate-gie 2050 muss in erheblichen Teilen optimiert und justiert werden Nur wenn vernetzt gedacht wird ist eine sichere Versorgung zu wettbewerbsfaumlhigen Preisen moumlglich

Prognosen klaffen weit auseinanderSeit Jahrzehnten bietet der Strommix aus Wasserkraft (knapp 60 Prozent) und Kernenergie (40 Prozent) Gewaumlhr fuumlr eine sichere klimafreundliche und wirtschaftliche Ener-gieversorgung Im Rahmen der Energiestrategie 2050 muss die Kernenergie langfristig ersetzt werden Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen zumal die Ziele des Bundes

Lebenselixier der Wirtschaft

Die Schweizer Wirtschaft ist auch in Zukunft auf eine sichere und wirtschaftliche Stromver-sorgung angewiesen Die Ener-giestrategie 2050 setzt stark auf Subventionen Dadurch entstehen Fehlanreize welche die Versorgungssicherheit ge-faumlhrdenText Kurt Lanz

Expertensicht

in Bezug auf das Potenzial der neuen erneuerbaren Ener-gien von Wunschdenken geleitet sind Die neuen erneuer-baren Energien werden sich langsamer entwickeln als an-gestrebt Der Bund rechnet mit rund 12 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2035 die Schweizer Wirtschaft mit 44 TWh Die vorsichtigeren Prognosen der Wirtschaft scheinen re-alistischer Dies zeigen exemplarisch die gescheiterten Geothermieprojekte in Basel und St Gallen Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Nachfrageprognosen Der Bund rechnet in seinen Szenarien mit einem Ruumlckgang des Stromverbrauchs pro Kopf von 16 Prozent zwischen 2000 und 2035 Die Schweizer Wirtschaft orientiert sich in ihren Szenarien am Verband Schweizerischer Elektrizitaumlts-unternehmen (VSE) der weiter mit einer steigenden Nach-frage rechnet Die Wirtschaft fordert von der Politik eine vernuumlnftige Planung aufgrund realistischer Schaumltzungen Die Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energiestrategie nicht gefaumlhrdet werden

Subventionen fuumlhren zu FehlanreizenDie Schweiz hat seit vielen Jahrzehnten erfolgreich die Wasserkraft vorangetrieben Aus politischen Gruumlnden wird nun die ndash unregelmaumlssige ndash Stromproduktion durch Sonnen- und Windenergie forciert Unsere sogenann-te kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) entspricht dem deutschen Foumlrdermodell Beide haben das gleiche Ziel Sie sollen erneuerbare Energien ausbauen indem sie neue Formen der Stromproduktion zur Marktreife brin-gen Weil das KEV-System die Sonnen- und Windenergie massiv foumlrdert kommt ein weiterer Ausbau der bewaumlhrten Wasserkraft nicht infrage Diese Entwicklung gefaumlhrdet die Versorgungssicherheit der Schweiz Auf den ersten Blick sinken zwar die Produktionskosten fuumlr Solarstrom gleich-zeitig steigen aber die Kosten fuumlr Speicherung und Inte-gration ins Netz spuumlrbar Auch ist der Ausbau von Solar- und Windenergie nur von beschraumlnktem Nutzen solange keine ausreichenden Speicherkapazitaumlten vorhanden sind Nur Preissignale koumlnnen das Investitionsverhalten von Stromproduzenten Netzbetreibern und Konsumen-ten sinnvoll lenken Subventionen sind zu beseitigen denn sie fuumlhren zu Fehlanreizen

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Alle Optionen offenhaltenOffenheit und Neugier gehoumlren zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft Kategorisches Abwehrverhalten und Denkverbote verhindern konstruktive Loumlsungsansaumltze und Innovation Eine sichere und kostenguumlnstige Strom-versorgung kann auch in Zukunft nur mit der notwendi-gen Offenheit gegenuumlber allen Technologien und Energie-

systemen garantiert werden Die Schweiz ist dank einer erfolgreichen Hochschulland-schaft und vielen Technolo-gieunternehmen gut geruumlstet Die verschiedenen Energie-systeme muumlssen faktenba-siert und ohne ideologische

Scheuklappen verglichen werden Nur so koumlnnen effizi-ente und umweltvertraumlgliche Loumlsungen gefunden werden Das heutige System der Foumlrderung der neuen erneuer-baren Energien ist durch ein marktorientiertes System ab-zuloumlsen Produzenten die nachfragegerecht einspeisen sollen eine houmlhere Verguumltung erhalten als andere Auch soll der Vorrang der Netzeinspeisung fuumlr subventionierte Energietraumlger aufgehoben werden

laquoDie Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit

des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energie strategie nicht

gefaumlhrdet werdenraquo

Schnellere Verfahren anstrebenGrundvoraussetzung fuumlr eine Neuausrichtung der Ener-giepolitik sind funktionierende Stromnetze Diese muumls-sen zwingend parallel zum Umbau der Stromproduktion weiterentwickelt werden Allein der noumltige Ausbau der Uumlbertragungsnetze belaumluft sich auf rund 1 000 Kilometer bis ins Jahr 2020 Erforderlich sind zudem Investitionen in alle Verteilernetzebenen Al-lerdings verzoumlgern komplizier-te Verfahren auf Kantons- und Bundesebene den Ausbau Ausserdem erwaumlchst praktisch jedem Projekt Widerstand von privater Seite was zu weiteren Verzoumlgerungen fuumlhrt Die Wirt-schaft fordert deshalb Bei Bewilligungen von Stromnetzen ist der Gang vors Bundesgericht nur noch bei Grundsatz-fragen moumlglich Umbauten sowie Spannungs- und Kapa-zitaumltserweiterungen koumlnnen ohne Planungsgenehmigung realisiert werden Ausserdem sind die Verfahren bei einer einzigen Leitbehoumlrde anzusiedeln

Spielfeld erweiternDie Schweiz ist seit jeher ein wichtiges Stromtransitland Schon seit den 90er-Jahren treibt die EU die Vereinheitli-chung des Binnenmarkts fuumlr Strom hin zu einem eigent-lichen EU-Strommarkt voran In der Schweiz erweist sich die gesetzliche Trennung von Grundversorgung und Markt diesbezuumlglich zunehmend als Hindernis Aus Sicht der Wirtschaft ist die vollstaumlndige Liberalisierung des Strom-markts eine zwingende Voraussetzung fuumlr eine erfolgrei-che energiepolitische Neuausrichtung

Eine Marktoumlffnung wuumlrde insbesondere auch den erneuer-baren Energien neue Chancen eroumlffnen und Zugang zu neuen Kunden gewaumlhren Von hoher Wichtigkeit ist auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU Je groumlsser der Anteil erneuerbarer Energien umso wichtiger ist die Einbettung in Europa denn Investitionen in Netze und Produktion koumlnnen in Koordination mit der EU wirkungsvoller und wahrscheinlich kostenguumlnstiger getaumltigt werden

Kurt LanzKurt Lanz ist Leiter Infrastruktur Energie und Umwelt sowie Geschaumlftsleitungsmitglied von economiesuisse dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft

Gut vernetzt ndash Vorschlaumlge der Schweizer Wirtschaftzur EnergiepolitikDie Publikation basiert auf der Grundlagenarbeit der breit abgestuumltz-ten Energiekommission von economiesuisse und macht konstruk-tive Vorschlaumlge fuumlr einen erfolgreichen energiepolitischen Weg der Schweiz Download unter wwweconomiesuissech

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

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Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

wwwsmlzhawch

Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 26: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

26 COMPETENCE | 2014

Hochschulperspektive

Dissonanz an der Steckdose

Mit der Energiestrategie 2050 haben Bundesrat und Parla-ment eine Kehrtwende in der Schweizer Energiepolitik ein-gelaumlutet der die wichtigsten politischen Huumlrden erst noch bevorstehen Auf den ersten Blick scheint der Kurswechsel breit abgestuumltzt Seit dem Reaktorunfall in Fukushima fuumlh-ren Umfragen immer wieder zum gleichen Ergebnis Der langfristige Ausstieg aus der Kernenergie findet eine Mehr-heit Im Grundsatz stossen erneuerbare Energien sowie Massnahmen zur Erhoumlhung der Energieeffizienz auf hohe Zustimmung Was fuumlr den Stimmzettel gilt beeinflusst aber nicht automatisch das Konsum- und Investitionsverhalten der Energiekunden Die Bereitschaft aus eigenem Antrieb mehr fuumlr ein oumlkologisch houmlherwertiges Produkt aus neuen erneuerbaren Energietraumlgern zu bezahlen ist beschraumlnkt Nur wenige Haushalte sind zudem bereit ihren Energie- und insbesondere ihren Stromkonsum zu reduzieren wenn dies mit nicht amortisierbaren Investitionskosten oder einem moumlglichen Komfortverlust verbunden ist

Mit anderen Worten Effizienz wird als teuer und Suffizienz als bevormundend empfunden Die private Zahlungsbereit-schaft laumlsst sich zwar mit regulatorischen Interventionen wie fixen Einspeiseverguumltungen oder Investitionssubven-tionen in Effizienzmassnahmen etwas erhoumlhen Doch die Erfahrungen in Deutschland und der Schweiz zeigen dass solche Massnahmen oumlkonomisch ineffizient sind und oft als ungerecht empfunden werden Sie koumlnnen damit zum Bumerang fuumlr die Akzeptanz der energiepolitischen Ziele werden Neben den politischen Huumlrden ist somit auch die kognitive Huumlrde der Konsumenten zu beruumlcksichtigen De-ren Uumlberwindung bedarf zuerst einer differenzierten Analyse der Ursachen und danach der Entwicklung innovativer Ver-triebsmodelle und Produkte auf Versorgerseite

Eine Mehrheit der Bevoumllkerung unterstuumltzt den Ausstieg aus der Kernenergie doch nur wenige beziehen ein oumlkologisches Stromprodukt Warum das so ist und wie sich diese Dissonanz aufloumlsen laumlsst beschaumlftigt derzeit viele EnergieversorgerText Claudio Cometta

Indifferenz uumlberwiegtFuumlr viele Konsumenten ist die Strom- Gas- oder Fern-waumlrmerechnung ein verhaumlltnismaumlssig kleiner Posten im Haushaltsbudget dem wenig Beachtung geschenkt wird Die Schweiz ist sogar einer der Spitzenreiter in Europa machen die Stromkosten im Durchschnitt doch nicht mehr als 2 Prozent der Haushaltsausgaben aus Wenig Beachtung bedeutet auch wenig Kenntnis des Preises und der Menge der bezogenen Energieleistung oder der Zusammensetzung des Tarifs aus Energiekosten Netz-kosten und Abgaben Entsprechend besteht nur ein ge-ringes Interesse Energie und damit Kosten zu sparen Konsumentenbefragungen zeigen zudem dass nur eine kleine Minderheit der Kunden die Zusammensetzung ihres Stromprodukts nach Energietraumlgern kennt Die geringen Kosten und Unkenntnis des Produkts verhindern also die Wahl anderer Stromprodukte Strom ist ein klassisches Commodity-Produkt Man kann ihn weder sehen noch riechen Er ist verhaumlltnismaumlssig guumlnstig immer verfuumlgbar und aumlndert in keinerlei Hinsicht seine Eigenschaften wenn dafuumlr mehr bezahlt wird Zudem ist meist nicht sichtbar wer wie viel von welchem Produkt bezieht Der Strom-konsum ist Privatsache

Uumlberwindung durch VertriebsmodelleDie Vorgaben der Energiestrategie 2050 beinhalten nicht nur einen massiven Zubau der Produktionskapazitaumlt aus erneuerbaren Energietraumlgern sondern auch die kon-tinuierliche Reduktion des Energie- und insbesondere des Stromkonsums pro Kopf Die direkte Finanzierung der dazu notwendigen Investitionsvorhaben scheint an-gesichts der Indifferenz auf Konsumentenseite jedoch schwierig Aus diesem Grund sind mehrere Schweizer

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rund um Haushaltstechnik Sicherheit Pflege oder Kom-munikation sowie ein geschicktes Marketing mit Elemen-ten der sozialen Kontrolle Denkbar sind auch Anreize die keinen direkten Zusammenhang mit dem Energiekonsum aufweisen aber fuumlr breite Bevoumllkerungsgruppen attrak-tiv sind So haben etwa einzelne skandinavische Versor-ger damit begonnen energiesparendes Verhalten ihrer Kunden mit Verguumlnstigungen fuumlr die Nutzung oumlffentlicher Transportmittel zu belohnen

Uumlberwindung durch PartizipationDie wohl wirkungsvollste Massnahme zur Uumlberwindung der Dissonanz an der Steckdose ist bereits inhaumlrent in der Transformation des Energiesystems hin zu einer staumlrker dezentralen Erzeugung angelegt Kunden entwi-ckeln sich von passiven Leistungsempfaumlngern zu aktiven Leistungserbringern sogenannten Prosumern Als Klein-produzenten von Strom mit einer hauseigenen Fotovol-taikanlage oder thermischer Speicherleistung mit Kraft-Waumlrme-Kopplungsanlagen im Mikroformat werden sie mittelfristig wesentlich zum Umbau des Energiesystems und zu den Zielen der Energiestrategie beitragen koumlnnen Eine nicht ganz unbedeutende Rolle koumlnnten in Zukunft sogenannte Buumlrgerbeteiligungsmodelle fuumlr die Finanzie-rung neuer In frastrukturprojekte spielen Diese wuumlrden gleichzeitig die Akzeptanz sichtbarer Produktionsanlagen von neuen erneuerbaren Energien erhoumlhen Doch erst wenn das Produkt Strom nicht mehr als reines Commodity-Produkt wahrgenommen wird werden politische Meinung und Konsumverhalten bei einer Mehrheit der Stimmbuumlrger uumlbereinstimmen

Energieversoger in letzter Zeit dazu uumlbergegangen soge-nannte Default-Modelle einzufuumlhren die Stromprodukte aus erneuerbaren Quellen zum neuen Standard erheben Dabei macht man sich die Traumlgheit der Kunden zunutze indem die Wahl eines Stromprodukts aus nicht erneuer-baren Energietraumlgern als Option definiert wird die aktiv bestellt werden muss

Nicht zuletzt aufgrund solcher Modelle ist die Zahl der Schweizer Haushalte die ein Stromprodukt aus aus-schliesslich erneuerbaren Energien beziehen auf uumlber 25 Prozent gestiegen Doch weitere Vertriebsinnovationen werden notwendig sein etwa um der Herausforderung der Einspeisung von Strom aus fluktuierend nutzbaren Quellen (Solar- und Windenergie) in die Verteilnetze gewachsen zu sein die immer staumlrker ins Gewicht faumlllt In der Folge gilt es Investitionen in Netz- und Speichersysteme zu finan-zieren In innovativen Vertriebsmodellen welche dieser Herausforderung gerecht werden erhaumllt das Konsumver-halten einen Wert Zeitliche Flexibilitaumlt wird belohnt durch Tarifreduktion Bonus oder Vermeidung einer Gebuumlhr Wie diese beiden Beispiele zeigen laumlsst sich der Mehrwert von vermeintlichen Commodity-Produkten durch neue Vertriebsmodelle abschoumlpfen und als marktwirtschaftlich vertraumlglicher Finanzierungsmechanismus fuumlr neue Infra-strukturvorhaben im Energiesektor nutzen

Uumlberwindung durch innovative ProdukteNoch groumlsseres Potenzial birgt die Weiterentwicklung von Stromprodukten zu Leistungssystemen die fuumlr Energie-kunden einen echten Mehrwert bieten Hierzu gehoumlrt die Verknuumlpfung des Kernprodukts Strom mit Dienstleistun-gen die den Kunden ein transparenteres Verbrauchsver-halten sowie Kostenoptimierung ermoumlglichen Intelligente Stromzaumlhler sogenannte Smart Meter kombiniert mit fle-xiblen Tarifen und einem einfachen Feedback- und Steuer-system sind die Voraussetzung um zumindest oumlkologisch sensibilisierten oder kostenbewussten Endkunden einen Effizienzeffekt zu ermoumlglichen Damit solche Leistungs-systeme aber fuumlr die grosse Gruppe der Indifferenten interessant werden braucht es weitere Mehrwerte Dazu gehoumlren die Verknuumlpfung mit intelligenten Anwendungen

Claudio ComettaDr Claudio Cometta ist Dozent fuumlr Innovation und Entrepreneurship an der ZHAW School of Management and Law Er koordiniert den Aufbau des nationalen Energie-Kompetenz-zentrums SCCER 5 an der ZHAW

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Die Energiewende stellt die Energieversorgungsunternehmen in der Schweiz vor grosse Herausforderungen Das Beispiel von Stadtwerk Winterthur zeigt wie die Branche auf den Paradig-menwechsel reagiertText Florian Wehrli

Von den Anfaumlngen als laquoWinterthurer Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtungraquo vor uumlber 150 Jahren bis zum modernen Querverbundunternehmen hat sich Stadtwerk Winterthur kontinuierlich weiterentwickelt Seine Aufgabe ist aber gemaumlss Direktor Markus Saumlgesser weitgehend dieselbe geblieben die Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung zu verbes-sern So bietet das staumldtische Versorgungsunternehmen neben klassischen Produkten wie Wasser Strom Gas oder Kehrichtentsorgung und Abwasserreinigung heute auch Fernwaumlrme Haustechnik Glasfasernetz und Ener-gie-Contracting an Die Ausdehnung auf neue Geschaumlfts-bereiche will der Direktor aber nicht als Reaktion auf die Liberalisierung des Energiemarkts verstanden wissen laquoWir begegnen der Marktoumlffnung proaktiv und wollen die sich bietenden Chancen aktiv nutzenraquo

Lokales Potenzial ausgeschoumlpftIm liberalisierten Markt hat das staumldtische Versorgungs-unternehmen mit dem Monopol auf sein Energieversor-gungsnetz von gesamthaft mehr als 2 500 Kilometern einen Vorteil Dessen Unterhalt ist nach wie vor eine der Hauptaufgaben Im Gegensatz zu anderen Energieversor-gern betreibt Stadtwerk Winterthur naumlmlich einen verhaumllt-nismaumlssig geringen Anteil an eigenen Produktionsanlagen Das Flaggschiff ist die wohl modernste Kehrichtverwer-tungsanlage der Schweiz laquoMit dem Umbau konnten wir 2013 den Wirkungsgrad der Anlage um einen Drittel stei-gern und die Abluft gehoumlrt zu den saubersten weltweitraquo sagt Markus Saumlgesser Heute deckt die KVA 20 Prozent des Winterthurer Strom- und 12 Prozent des Waumlrmebe-darfs ab Auf solchen Lorbeeren ausruhen will sich Stadt-werk Winterthur aber nicht laquoWir wollen mithelfen eine nachhaltige Energiewirtschaft aufzubauenraquo Mittelfristig soll

die Haumllfte des Stromangebots aus erneuerbaren Quellen stammen laquoDas ist ein ehrgeiziges Zielraquo sagt Saumlgesser laquowir sind aber auf gutem Weg dazuraquo

Rund die Haumllfte des Rahmenkredits von 90 Millionen Franken fuumlr erneuerbaren Strom den das Winterthurer Stimmvolk 2012 bewilligt hat ist bereits investiert Im Bereich Fotovoltaik ist die Planung der groumlssten Anlagen abgeschlossen etwa auf den Daumlchern der Eishalle oder des Busdepots Eine aktuelle Windpotenzialstudie zeigt fuumlr Winterthur nur wenige moumlgliche Standorte auf zumal die Bewilligung solcher Anlagen mit grossem buumlrokratischem Aufwand verbunden sei Mit diversen Nahwaumlrmever-buumlnden nutzt Stadtwerk Winterthur auch Holzabfaumllle bereits sehr effizient Aber auch dieser Energietraumlger ist in Winterthur beschraumlnkt vorhanden Das letzte Projekt das Holz aus dem Winterthurer Stadtwald einsetzen wird ist in der Aufbauphase Studien im Bereich Wasserkraft haben gezeigt dass abgesehen von einem Kleinwasser-kraftwerk an der Toumlss in der Region kaum Potenzial vor-handen ist

Investitionen im AuslandlaquoDiese aufwendige Aufbauarbeit soll nicht zur Regel wer-denraquo sagt Markus Saumlgesser laquoDas limitierte Energiepoten-zial in der Schweiz und die beschwerlichen Instanzenwe-ge fuumlr Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie lassen uns deshalb vermehrt im Ausland investierenraquo 2012 be-teiligte sich das Stadtwerk mit 12 Millionen Franken am Kleinkraftwerk Birseck AG das Kleinwasserkraftwerke und Foto voltaikanlagen in der Schweiz und in Frankreich be-treibt 2013 folgte eine Beteiligung in der Houmlhe von 25 Mil-lionen Franken an der Swisspower Renewables AG die in

Vom Versorger zum Dienstleister

Unternehmensperspektive

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sein glaubt er aber nicht daran dass der Stromverbrauch insgesamt zuruumlckgehen wird laquoDafuumlr ist der Marktpreis zu niedrig Aus serdem wird Strom im Bereich Waumlrme und Mobilitaumlt einen Grossteil der fossilen Energietraumlger ersetzen muumlssenraquo Damit der geplante Verbrauchsruumlck-gang dennoch gelingt will der Bund Anreize schaffen Mit sogenannten weissen Zertifikaten will er die Versor-ger be lohnen wenn sie ihre Kunden zu einem geringeren Energie verbrauch bewegen In Grossbritannien Italien und Frankreich sind solche Modelle bereits im Einsatz Markus Saumlgesser sieht dieser Entwicklung mit gemischten Gefuumlh-len entgegen laquoWir haben bereits vor der Reaktorkatastro-phe in Fukushima auf Energieeffizienz gesetzt und konn-ten uns dadurch profilieren Weil die Politik nun eingreift und den Markt uumlbersteuert bleibt uns als Unternehmen weniger Spielraum um uns zu positionierenraquo

Windkraftanlagen im angrenzenden Ausland investiert Fuumlr die Beschaffung von Strom am freien Markt ist das Stadtwerk eine Zusammenarbeit mit der Trianel GmbH in Aachen ndash einer der fuumlhrenden Stadtwerke-Kooperationen in Europa ndash eingegangen Damit sollen insbesondere der Zugang zum Grosshandelsmarkt sowie die Marktfor-schung sichergestellt werden Denn um Kunden nachhal-tige Energieprodukte verkaufen zu koumlnnen muss man ihre Beduumlrfnisse genau kennen

Anreize fuumlr geringeren VerbrauchDie Strategie scheint aufzugehen laquoSeit der Einfuumlhrung der neuen Stromprodukte Anfang 2013 haben wir den Absatz von erneuerbarer Energie in Winterthur verdop-pelt und denjenigen von Oumlkostrom sogar vervierfachtraquo so Saumlgesser Trotz dem steigenden oumlkologischen Bewusst-

Gemaumlss seinem Leitbild soll Stadtwerk Winterthur mit einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der soziashylen Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Bild Michael Lio

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Ausgliederung aus der StadtverwaltungAuch auf kommunaler Ebene ist Stadtwerk Winterthur von den politischen Rahmenbedingungen abhaumlngig ndash mit allen Vor- und Nachteilen Die politischen Kurswechsel in den vorgesetzten Gremien seien hinderlich bei der Umsetzung der Strategie des Unternehmens laquoWir taumltigen Investitio-nen mit einem Planungshorizont von mehreren Jahrzehn-tenraquo sagt Markus Saumlgesser laquoin der Politik wird dagegen in Amtsperioden von vier Jahren gedachtraquo Es gibt deshalb Bestrebungen das Stadtwerk aus der Stadtverwaltung auszugliedern und einem langfristig operierenden Steue-rungsgremium zu unterstellen Bei der Stimmbevoumllkerung geniesst Stadtwerk Winterthur grossen Ruumlckhalt Alleine in den letzten zwei Jahren wurden vier Abstimmungsvor-lagen mit grossem Mehr angenommen darunter Rah-menkredite fuumlr das Energie-Contracting oder erneuerbare Energien laquoEine bessere Legitimation koumlnnen wir uns gar nicht wuumlnschenraquo sagt Markus Saumlgesser

Neue BetriebskulturStrategisch und energiepolitisch werden Dienstleistungen wie das Energie-Contracting fuumlr Stadtwerk Winterthur immer wichtiger laquoWir wollen unserer Kundschaft Waumlr-me oder Kaumllte gleich komfortabel anbieten koumlnnen wie Stromraquo sagt Markus Saumlgesser laquoImmobilienbesitzerinnen und -besitzer sollen sich nicht mehr um den Fuumlllstand ih-res Oumlltanks oder den Termin fuumlr den Kaminfeger kuumlmmern muumlssenraquo Das Energie-Contracting waumlchst stark und macht heute bereits rund 5 Prozent des Umsatzes von Stadtwerk Winterthur aus

Die neuen Geschaumlftsfelder ziehen auch andere Arbeits-kraumlfte an als bisher Verschiedene Betriebskulturen seien in den vergangenen Jahren teilweise parallel gelaufen be-ginnen nun aber langsam zu verschmelzen Ein Beispiel dafuumlr ist die Verknuumlpfung von Smart Metering und dem traditionellen Verteilnetz Elektrizitaumlt Als Voraussetzung fuumlr das Change-Management in der Betriebskultur habe man alle Mitarbeitenden in die Erarbeitung des Unterneh-mensleitbildes involviert Entstanden ist ein Leitbild das Stadtwerk Winterthur dabei unterstuumltzt die Unterneh-mensstrategie umzusetzen Stadtwerk Winterthur soll mit

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

Markus SaumlgesserMarkus Saumlgesser (52) ist diplomierter Ma-schineningenieur ETH und hat ein Nachdi-plomstudium in technischen Betriebswissen-schaften absolviert Seit Anfang 2011 ist er Direktor von Stadtwerk Winterthur Seine bisherige berufliche Taumltigkeit fuumlhrte Markus Saumlgesser nach zwei Jahren Assistenz an der ETH zu einem Ingenieurbuumlro fuumlr Ener-gie- und Haustechnik Waumlhrend dieser rund sechsjaumlhrigen Zeit war er bei anspruchsvol-len Bauprojekten verantwortlich fuumlr die Konzeption und Koordination der technischen Gebaumludeausruumlstung Zudem war er waumlhrend vier Jahren Mitglied der Geschaumlftsleitung Nach zweijaumlhriger Taumltigkeit als Abteilungsleiter in einer groumlsseren Gemeinde wechselte er zum Elek-trizitaumltswerk der Stadt Zuumlrich (EWZ) bei dem er die Abteilung Vertrieb Grosskunden leitete Daneben war Markus Saumlgesser beim EWZ in verschiedene Innovationsprojekte involviert So zeichnete er fuumlr das Projekt laquoStromzukunft Stadt Zuumlrichraquo verantwortlich das wichtige Grundlagen fuumlr die Strategie des EWZ und die Volksabstimmung zur 2000-Watt-Gesellschaft in der Stadt Zuumlrich beisteuerte

Stadtwerk Winterthur in Zahlen (2013)Mitarbeitende 347Nettoinvestitionen 1198 Mio CHFDurchgeleitete Strommenge 5643 Mio kWhUmsatz Strom 93 Mio CHFDurchgeleitete Gasmenge 5295 Mio kWhUmsatz Gas 411 Mio CHFUnternehmensgewinn 109 Mio CHF

einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der sozia-len Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Wann wurden in Winterthur die ersten Strassenlampen mithilfe von Stein-kohle erleuchtet

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Unternehmensperspektive

ckelte Hochspannungsgleichstromschalter sollen zudem sicherstellen dass etwa ein Kurzschluss durch eine hy-perschnelle Abschaltung isoliert und das Netz somit nicht gefaumlhrdet wird Von 14 solchen Schaltsystemen welt-weit stammen 13 von ABB Die hohen Investitionen fuumlr die armdicken Gleichstromkabel rechnen sich da beim Transport viel weniger Strom verloren geht als bei der tradi tionellen Wechselstromtechnik Die Produktelinie ent-wickelt sich zum Renner Sie wird zur Anbindung von So-lar- und Windparks zur Versorgung von Inseln als Ersatz fuumlr Diesel generatoren auf Oumll- und Gasplattformen auf See eingesetzt Oder um Starkstrom vom Festland zu auf dem Meeresboden platzierten ferngesteuerten Foumlrderanlagen fuumlr Gas und Oumll zu leiten ndash wofuumlr ABB auch wartungsfreie Kompressoren liefert damit Kunden wie Statoil und Pet-robras teure Ausfaumllle erspart bleiben

Komplettloumlsungen aus einer HandDank hohem Innovationstempo sind die Divisionen Ener-gietechnik- und Niederspannungsprodukte gut ausgelas-tet Dies gilt ebenso fuumlr die Divisionen Industrie- und Pro-zessautomation Speziell energieintensive Industrien die unter hohem Kostendruck stehen muumlssen ihre Anlagen auf dem neusten Stand halten Dazu zaumlhlen Bergbau Oumll- und Gasindustrie Zellstoff- Papier- und Zementfabriken Chemie- und Pharmafirmen sowie Raffinerien Gefragt sind auch Industrieroboter und schwenkbare dank ABB-Leistungselektronik stufenlos regulierbare Schiffsantrie-be ABB liefert Grosskunden fertige Loumlsungen die hohe Produktivitaumlt und Energieeffizienz gewaumlhrleisten Alles ist aufeinander abgestimmt von der Elektrik uumlber Antriebe Generatoren Roboter Sensoren und Steuerungen bis hin

Zu Beginn des Jahrtausends stand ABB am Abgrund Doch eine neue Fuumlhrungscrew fuumlhrte das Unternehmen aus der Krise sodass die Schweiz inzwischen wieder stolz sein kann auf ihren Industriemulti mit Sitz in Zuumlrich Oerli-kon 2013 erzielte ABB mit rund 148 000 Mitarbeitenden in 100 Laumlndern 42 Milliarden Dollar Umsatz Die renom-mierte US-Universitaumlt MIT zaumlhlt ABB zu den 50 innova-tivsten Unternehmen weltweit Dank 8 000 Ingenieuren in Forschung und Entwicklung und einem Forschungsetat von 15 Milliarden Dollar kann ABB selbst mit Giganten wie Siemens und General Electric mithalten

Innovationen die Technikfans begeisternWas ABB alles macht wissen wohl nur Technikfans Denn der Konzern hat uumlber 70 000 Produkte im Angebot Die 300 ABB-Fabriken liefern taumlglich 15 Millionen Kompo-nenten aus die zu elektrischen Einrichtungen oder in Pro-duktionssteuerungen verbaut werden Aus Kanada etwa kam juumlngst ein Grossauftrag uumlber 400 Millionen Dollar Erneuerbare Energie die auf Neufundland und Labrador gewonnen wird soll ab 2017 via Hochspannungskabel 360 Kilometer nach Westen fliessen um dort 350 000 Haumluser zu versorgen Weltweit gibt es erst 90 solche Gleichstromkabelverbindungen die meist unter der Erde oder auf dem Meeresgrund verlaufen ABB ist mit rund 50 Prozent Anteil Marktfuumlhrer Die futuristisch anmuten-de Technik in den abgeschirmten Hallen wo der Strom vor dem Transport auf Hochspannung transformiert wird erinnert an den Maschinenraum von Raumschiff Enter-prise Ein wichtiges Steuerungselement bilden dabei in Baden Daumlttwil entwickelte und in Lenzburg produzierte Spezialchips die Houmlchstspannung aushalten Neu entwi-

Der schweizerisch-schwedische Technikkonzern treibt an vor-derster Front die Energiewende voran Dafuumlr forscht man bei ABB intensiv zu erneuerbaren Energien schlauen Stromnetzen sowie hocheffizienten Industrieanlagen Einzig die schwache Nachfrage nach Energieanlagen in Europa bremst die ExpansionText Andreas Fluumltsch

Innovativer Treiber der Energiewende

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uumlber weite Strecken in die Ballungsraumlume geleitet werden muss brummt das Geschaumlft In den USA treibt der Oumll- und Gasboom die Nachfrage Nur in Europa harzt das Geschaumlft mit Grossanlagen Weniger Nachfrage belastet die Margen bei Auftraumlgen fuumlr Wind- und Solarfarmen so-wie fuumlr Netzinfrastruktur Die Risiken der oft mehrjaumlhrigen Projekte sind so hoch dass ABB waumlhlerischer sein muss und etwa das Geschaumlft mit Solarloumlsungen zurzeit auf Sparflamme betreibt Dennoch ist ABB immer noch hoch-profitabel nicht zuletzt da die Kosten Jahr fuumlr Jahr um 3 bis 5 Prozent gesenkt werden Aber der erfolgsgewohnte Konzern musste sich 2013 mit 6 Prozent Umsatzplus zu-friedengeben Umso intensiver treibt der neue ABB-Chef Ulrich Spiesshofer die Integration der vorab in den USA fuumlr 10 Milliarden Dollar getaumltigten Zukaumlufe voran Und Spiess-hofer forciert die Zusammenarbeit der Divisionen damit ABB die Unternehmensvision laquoEnergie und Produktivitaumlt fuumlr eine bessere Weltraquo mit moumlglichst vielen eigenen Pro-dukten realisieren kann

zur Leittechnik samt angepasster Software Kleine und mittlere Kunden ordern Komponenten oder Teilsysteme Ein wichtiges Verkaufsargument ist das Sparpotenzial von stufenlos steuerbaren Elektromotoren Nur einer von fuumlnf Motoren hat laut einer Erhebung des Bundes einen Leis-tungsregler der Rest laumluft auf Hochtouren und wird ndash man glaubt es kaum ndash bei Bedarf mit Klappen oder Ventilen mechanisch abgebremst Eine gigantische Verschwen-dung da Industriemotoren laut einer Studie der Schwei-zerischen Agentur fuumlr Energieeffizienz 27 Prozent des Schweizer Stromverbrauchs ausmachen

Europaumlische ZuruumlckhaltungEigentlich muumlsste die Division Energietechniksysteme ebenfalls ausgelastet sein Denn auch die Stromwirtschaft muss ihre Effizienz steigern Schliesslich erfordert die Energiewende einen Totalumbau der auf Verteilung ausge-richteten Netze damit diese unter der Last von Solar- und Windenergie nicht instabil werden Arbeit in Huumllle und Fuumllle fuumlr ABB sollte man meinen Doch der erst zaghafte Auf-schwung in Europa daumlmpft die Nachfrage Erschwerend kommt hinzu dass subventionierte Wind- und Solarener-gie in Europas liberalisiertem Strommarkt den Strompreis in ungeahnte Tiefen druumlckte Die Konkurrenzfaumlhigkeit von Wasser- Gas- und Atomkraftwerken hat gelitten Pump-speicher sind keine Goldesel mehr seit die erneuerbaren Energien die Preisspitzen brechen Entsprechend schie-ben Stromkonzerne wie Alpiq oder RWE Investitionen auf Unsicherheiten rund um den Atomausstieg belasten zu-saumltzlich Die voraussichtlich noch auf Jahre hinaus tiefen Strompreise schmaumllern auch die Faumlhigkeit der Besitzer von Hochspannungs- und Verteilnetzen deren Umruumlstung zu finanzieren hoch verschuldete EU-Staaten fahren die Foumlrderung von Wind- und Solarenergie zuruumlck

Straffe KostenkontrolleABB bekommt den Investitionsstau empfindlich zu spuuml-ren Die Division Energietechniksysteme schreibt seit eini-ger Zeit rote Zahlen Zwar ordern Grosskunden aus Asien und Lateinamerika weiterhin kraumlftig Neben China inves-tiert vermehrt auch Indien in neue Stromnetze Uumlberall dort wo die Bevoumllkerung rasch waumlchst oder der Strom

Andreas FluumltschAndreas Fluumltsch war urspruumlnglich Jurist und arbeitete ab 1983 als Journalist fuumlr laquoBlickraquo laquoWeltwocheraquo laquoBilanzraquo und laquoCashraquo Zwischen 1989 und 1990 war er Mitglied der Geschaumlftsleitung von Greenpeace Schweiz anschliessend Hausmann Nach der Ruumlck-kehr in den Journalismus 1992 arbeitete er bei laquoBlickraquo laquoSonntagszeitungraquo und laquoTages- Anzeigerraquo und absolvierte eine Ausbildung zum Boumlrsenhaumlndler Nach der Fruumlhpensio-nierung Ende 2013 machte er sich als Publi-zist selbststaumlndig

ABB in Zahlen (2013)Betriebsertrag 41 848 Mio USDBetriebsergebnis 4 387 Mio USDndash Industrieautomation 1 458 Mio USDndash Niederspannung 1 092 Mio USDndash Prozessautomation 990 Mio USDndash Energietechnik 1 331 Mio USDndash Energiesysteme 171 Mio USD

Mitarbeitende 147 700ndash davon in der Schweiz 6 966

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Hohe Nachfrage nach MinergieDer Erfolg der bisherigen Sparbemuumlhungen bleibt nicht aus laquoTrotz zunehmender Pro-Kopf-Wohnflaumlche und stei-gendem Komfort sinkt der Energieverbrauch fuumlrs Heizen in den letzten Jahrzehnten stetigraquo verkuumlndet der Zuumlrcher Regierungsrat im Energieplanungsbericht 2014 Dazu tra-gen nicht nur die laufend verschaumlrften Gesetze bei Ebenso wichtig ist die Bereitschaft von Bautraumlgerschaften freiwillig Uumlberdurchschnittliches zu leisten Vor allem die Minergie-Regeln werden inzwischen gerne befolgt weshalb Haumluser mit halbiertem Energieverbrauch beinahe Standard sind Schweizweit traumlgt eines von zehn neuen Wohnhaumlusern ein Minergie-Zertifikat Der Anteil an Minergie-Haumlusern im Grossraum Zuumlrich liegt gemaumlss einer Marktanalyse der Universitaumlt Zuumlrich bereits nahe bei 20 Prozent Dies ist privaten Hauseigentuumlmern und institutionellen Investoren zu verdanken Wohn- und Geschaumlftshaumluser mit houmlchster Energieeffizienz gehoumlren inzwischen zum guten Ton Den juumlngsten Beweis liefert eine Immobilienstiftung der Credit Suisse die 70 Millionen Franken in die groumlsste Oumlkosied-lung der Schweiz investiert Im Aargauer Reusstal wohnen seit diesem Jahr rund 200 Familien Paare und Singles deren Wohnhaumluser sich weitgehend selbst mit Sonnen-energie versorgen So klimafreundlich die Energiewende-Architektur ist der Investor erwartet dennoch marktuumlb-liche Renditen Ist der Markt aber bereit oumlkologisches Engagement angemessen zu honorieren

Marktpotenzial fruumlhzeitig erkanntDie Zuumlrcher Kantonalbank (ZKB) beziffert den Mehrwert von Minergie-Haumlusern auf 7 Prozent Kaumlufer seien bereit diesen Aufpreis fuumlr mehr Energieeffizienz zu bezahlen Als weitere Nebeneffekte nennt der vor drei Jahren publizierte ZKB-Bericht eine hochwertige dauerhafte Bausubstanz sowie die Absicherung gegen steigende Oumll- und Energie-preise Fachleute des Immobilienberatungsunternehmens Wuumlest amp Partner (WampP) warnen indes dass sich zusaumltz-liche Investitionen in die Energieeffizienz nicht uumlberall loh-nen laquoRegional schwankt die Zahlungsbereitschaft des Immobilienmarktsraquo praumlzisiert WampP-Partner Ivan Anton Minergie-Haumluser koumlnnen aber nicht nur in abgelegenen Regionen ein Marktrisiko werden laquoMit Ausnahme der

Beim Autokauf wird bevorzugt auf Pferdestaumlrken Be-schleunigung und Innenausstattung geachtet Der CO2-Ausstoss interessiert hingegen kaum So kommt die Energieeffizienz im Strassenverkehr nur stockend voran 1995 schluckten alle neu immatrikulierten Personen-wagen durchschnittlich 9 Liter Benzin pro 100 Kilometer 20 Jahre spaumlter liegt der Durchschnittsverbrauch gemaumlss Bundesamt fuumlr Energie (BFE) immer noch uumlber 6 Litern Das viel gepriesene laquoDrei-Liter-Autoraquo haben alle Hersteller wieder aus der Modellpalette genommen

Demgegenuumlber gelingen dem oft traumlge genannten Ge-baumludebereich weitaus groumlssere Effizienzspruumlnge Ver-brauchen 40 Jahre alte Haumluser im Schnitt 220 Kilowatt-stunden (kWh) Heizenergie pro Quadratmeter Wohnflaumlche und Jahr sind die aktuellen Werte unter die 50er-Marke gesunken Zusaumltzliche Sparerfolge sind nur eine Frage der Zeit Im Fruumlhsommer haben die kantonalen Energie-direktoren uumlber ein Rahmenabkommen beraten das Null-energieneubauten demnaumlchst zum Standard machen soll Wie die nationale Energiewende zu erreichen ist erklaumlrt Christoph Gmuumlr von der Abteilung Energie des Kantons Zuumlrich laquoDer spezifische Verbrauchswert ist zudem auf 35 kWh pro Quadratmeter zu senkenraquo Gebaumlude die sich mit umweltfreundlicher Energie selbst versorgen wollen auch die EU-Staaten Ab 2020 wird ein Gebaumludestandard eingefuumlhrt der nur noch laquoNiedrigstenergiegebaumluderaquo mit sehr hoher Energieeffizienz als Neubauten vorsieht

Energiesparhaumluser waren vor 30 Jahren Exoten inzwischen nimmt der Bereich der energie-effizienten Gebaumlude eine Vor-bildrolle fuumlr die Energie wende ein Bauherren profitieren davon ebenso wie die Zuliefer-branche Text Paul Knuumlsel

Expertensicht

Haumluser in der ersten Reihe

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der Bau von Niedrigenergiehaumlusern und alternativen Hei-zungsanlagen sowie energetische Gebaumludesanierungen Investitionen im Umfang von rund 4 Milliarden Franken ausgeloumlst rechnet der Bund vor laquoEin Fuumlnftel insgesamt 860 Millionen Franken stammt aus den oumlffentlichen Kas-senraquo verweist die BFE-Stelle EnergieSchweiz auf die Im-pulse der kantonalen Foumlrderprogramme Einen Wermuts-tropfen besitzt diese Wirkungsbilanz Fruumlhere Analysen der Energiesparprogramme zeigen naumlmlich dass zwi-schen einem Drittel und der Haumllfte der energetisch vorbild-lichen Gebaumlude auch ohne staatliche Foumlrderung realisiert worden waumlren Dem Mitnahmeeffekt ist auch die Eidge-noumlssische Steuerverwaltung auf der Spur Sie schaumltzt dass Bund und Kantonen jaumlhrlich 14 Milliarden Franken entgehen weil energetische Gebaumludesanierungen bei der Liegenschaftssteuer abzugsberechtigt sind Die Energie-wende erfordert nicht nur mehr Effizienz bei den Anwen-dungen sondern auch einen effizienten Einsatz staatlicher Mittel Im Energieplanungsbericht 2013 hat der Zuumlrcher Regierungsrat erstmals uumlber alternative Anreizsysteme nachgedacht Demnach soll eine Lenkungsabgabe den Energiekonsum reduzieren und das bisherige Foumlrdersys-tem abloumlsen Aumlhnliche Plaumlne verfolgt der Bund Denn ein Lenkungssystem duumlrfte weitere Sparbemuumlhungen im Ge-baumludebereich aber auch im Strassenverkehr foumlrdern Ins-besondere dann wenn Heizoumll und Benzin im Gleichschritt teurer werden

begehrten Wohnlagen haben Hauseigentuumlmer an vielen Orten mit moumlglichen Verkaufsverlusten zu rechnenraquo so Anton Zwar sei die Nachfrage bei Eigentuumlmern und Mie-tern aumlhnlich gross Aber auch Mieter wuumlrden nicht uumlberall mehr fuumlr eine energieeffiziente Wohnung bezahlen Kaum uumlberraschen darf daher dass Immobilieninvestoren immer haumlufiger die steigenden Energieanforderungen kritisieren und kostenguumlnstigere Baustandards vorziehen Fuumlr WampP-Berater Urs Hausmann ist laquonachhaltiges Bauen trotzdem keine Frage von Luxus oder Wohlstand sondern eine wie man mit Ressourcen umgehen willraquo Dass ein hohes Um-weltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauen Der Run auf den oumlkologischen Baustoff Holz laumlsst zum Beispiel eine gesamte Wertschoumlpfungskette und viele

innovative Unternehmen profitieren Forstbetriebe Sauml-gereien Fensterbauer Daumlmmstoffhersteller und andere Bauzulieferer vergroumlssern ihre Produktionskapazitaumlten und stellen zusaumltzliches Personal ein laquoDie Umsaumltze im Schweizer Holzbau sind in den letzten Jahren um mehrere Hundert Millionen Franken gestiegen und die Trendkurve zeigt weiter nach obenraquo freut sich Christoph Starck Di-rektor des Holzbaudachverbands Lignum

Einheimische Zulieferer als GewinnerAuch im Verein Minergie ist man sich bewusst dass sich energieeffizientes Bauen wirtschaftlich positiv auswirkt In den letzten 15 Jahren sind 25 000 Wohnhaumluser Buumlro-komplexe Schulbauten Sport- und Industriehallen mit Niedrig energiezertifikat entstanden Gemeinsam sparen sie 15 Milliarden Kilowattstunden Energie laquoUumlber 2 Milliar-den Franken wurden zusaumltzlich investiertraquo rechnet Miner-gie-Sprecher Antonio Milelli vor Anstatt fossile Brennstoffe einzukaufen wird mehr Geld fuumlr Daumlmmstoffe Isolierfenster Luumlftungsanlagen und Sonnenkollektoren aus inlaumlndischer Fabrikation ausgegeben Zwischen 2001 und 2012 haben

Paul KnuumlselPaul Knuumlsel studierte Umweltnaturwissen-schaften an der ETH Zuumlrich Er ist unabhaumln-giger Wissenschaftsjournalist und schreibt seit Jahren in Publikums- und Fachmedien uumlber die vielfaumlltigen Aspekte des nachhalti-gen Bauens Zusaumltzlich betreut er in der Re-daktion des laquoTEC21raquo das Ressort laquoEnergie und Umweltraquo

laquoDass ein hohes Umweltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren

derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauenraquo

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Der Wasserkraft Sorge tragen

Welchen Beitrag kann die Wasserwirtschaft zur Energie-wende leisten Roger Pfammatter Die Wasserkraft ist der energie-politische Trumpf der Schweiz Wir befinden uns in der gluumlcklichen Lage uumlber grosse Mengen Wasser und das notwendige Gefaumllle zu verfuumlgen ndash das sind die beiden wichtigsten Voraussetzungen fuumlr die hydroelektrische Produktion Und wir haben in den vergangenen 100 Jah-ren gelernt dieses Potenzial effizient und moumlglichst um-weltschonend zu nutzen Die Wasserkraft ist der Schluumls-sel fuumlr eine nachhaltige Energieversorgung technisch ausgereift politisch erwuumlnscht einheimisch erneuerbar und CO2-frei

Wie viel mehr ist moumlglichHeute leistet die Wasserkraft nicht nur rund 60 Prozent der Stromproduktion in der Schweiz sondern bietet auch unverzichtbare Regel- und Systemdienstleistungen die markant an Bedeutung gewinnen werden Vor allem bei der Flexibilisierung der Wasserkraft durch mehr Leistung und Speichervolumen waumlre noch einiges moumlglich Um die Aufgaben weiterhin zu gewaumlhrleisten muumlssen wir aber primaumlr dem Bestehenden Sorge tragen

Die Energiestrategie des Bundes gibt aber klare Ausbau-ziele vor Bis 2035 soll die Stromproduktion aus Wasser-kraft um 10 Prozent steigenUnter den momentanen Rahmenbedingungen ist dieses Ausbauziel nicht realistisch Im Gegenteil Aufgrund der Restwasserbestimmungen wird die Produktion in den naumlchsten Jahren vermutlich sogar zuruumlckgehen

Die Wasserkraft ist der wichtigste Pfeiler der Schweizer Ener-giewirtschaft ihr Potenzial ist aber weitgehend ausgeschoumlpft Roger Pfammatter Geschaumlftsfuumlhrer des Wasserwirtschaftsver-bands gibt im Interview Auskunft uumlber die Lage der Branche und ihre Bedeutung fuumlr die EnergiezukunftInterview Florian Wehrli

Expertensicht

Was muss sich aumlndern damit die vorgegebenen Ziele um-gesetzt werden koumlnnenZum einen braucht es dafuumlr die Akzeptanz der Umweltver-baumlnde der Fischer und letztlich der gesamten Bevoumllkerung Zum anderen muumlssen laumlngerfristig die extremen Marktver-zerrungen abgebaut werden damit sich auch Investitionen in die nicht gefoumlrderte Wasserkraft wieder lohnen Heute wird nur noch in subventionierte Anlagen investiert

Wer ist hier in der PflichtHier ist die Politik gefordert die Rahmenbedingungen zu verbessern Denn ohne die Wasserkraft kann die Energie-wende nicht gelingen

Anfang Jahr wurde der Wasserwirtschaftsverband von den zustaumlndigen Kommissionen angehoumlrt Welche Forderun-gen hat die Branche an das ParlamentWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerba-re Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichten die bereits bis zur Haumllfte der Geste-hungskosten ausmachen Damit sind wir doppelt diskrimi-niert Die Wasserkraft ist extrem unter Preisdruck ndash und dies obwohl sie mit Gestehungskosten zwischen 3 und 10 Rappen pro Kilowattstunde die effizienteste Strompro-duktionstechnologie ist Nur zum Vergleich Fotovoltaik -anlagen werden heute mit rund 40 Rappen subventioniert

Bis 2011 liess sich mit der Grosswasserkraft noch viel Geld verdienen Wurden zu wenige Ruumlcklagen fuumlr schlechte Zei-ten gebildet

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Es kann nicht der Sinn sein Ruumlcklagen fuumlr Zeiten zu bil-den in denen die Marktpreise die Gestehungskosten nicht mehr decken Das waumlre wie wenn ein Baumlcker auf jedem Gipfeli einige Rappen zuruumlckbehalten muumlsste damit er sie am naumlchsten Tag gratis abgeben kann Mit dem durch Subventionen verzerrten Marktpreis von 4 bis 5 Rappen pro Kilowattstunde ist unter den konventionellen Energie-traumlgern praktisch nur Kohle konkurrenzfaumlhig Das ist be-stimmt nicht im Sinn der Energiewende

Drei Grosswasserkraftprojekte sind heute bereits im Bau Koumlnnen die enormen Kosten uumlberhaupt amortisiert wer-denPrognosen sind schwierig An der europaumlischen Strom-boumlrse (EEX) werden bis 2020 Strompreise zwischen 45 und 53 Rappen pro Kilowattstunde gehandelt Der Markt glaubt also nicht an eine baldige Erholung Dafuumlr muumlsste das Uumlberangebot in Europa zuruumlckgehen etwa uumlber die Anhebung des CO2-Preises von heute 5 auf mindestens 30 Euro pro Tonne Politisch ist das aber kaum durchsetz-bar Neue Pumpspeicherwerke werden sich deshalb wohl erst in mehreren Jahrzehnten lohnen

Was kann die Kleinwasserkraft leistenOhne die kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) wuumlr-de niemand Kleinwasserkraftanlagen bauen genauso we-nig wie Fotovoltaik- Wind- oder Biomasseanlagen Zurzeit gibt es aber allein bei der Kleinwasserkraft rund 1 000 An-meldungen fuumlr Foumlrderbeitraumlge mit einem bescheidenen Ge-samtpotenzial von 33 Terawattstunden pro Jahr Die oumlko-logischen Auswirkungen sind im Vergleich zum Ertrag zu gross Obwohl wir von marktverzerrenden Foumlrderprogram-men wegkommen sollten waumlre es in einer Uumlbergangs phase sinnvoll die KEV-Obergrenze von 10 Mega watt aufzuheben und dort zu foumlrdern wo es wirklich etwas bringt

Wie soll die Grosswasserkraft unterstuumltzt werdenDas Sinnvollste waumlre die Abkehr von der Subventions-maschinerie ndash und zwar auf europaumlischer Ebene Dann wuumlrde sich die Wasserkraft als effiziente erneuerbare Stromproduktionsform mit Sicherheit durchsetzen Min-destens als Uumlbergangsloumlsung waumlre aber die Entlastung

von Abgaben in erster Linie vom Wasserzins dringend Der maximale Wasserzins wurde in den letzten vier Jahren um 38 Prozent erhoumlht und wird naumlchstes Jahr um weite-re 10 Prozent angehoben Diese Erhoumlhung wurde 2008 beschlossen und steht heute in keinerlei Bezug mehr zur Ertrags lage Kurzfristig koumlnnten die Kantone auf einen Teil dieser Zinsen verzichten ndash das waumlre ein wichtiges politi-sches Zeichen Langfristig muss ein neuer Modus fuumlr die Zinsberechnung gefunden werden der die Ertragslage der Wasserkraft mitberuumlcksichtigt Das ist auch im Interesse von Bund Kantonen und Gemeinden schliesslich ist die Wasserkraft zu 85 Prozent in oumlffentlicher Hand Ebenfalls als Uumlbergangsloumlsung bis zu besseren Marktpreisen waumlren zinsguumlnstige Darlehen fuumlr die noumltigen Investitionen in die Grosswasserkraft denkbar Ohne mindestens eine dieser Massnahmen kann die Wasserwirtschaft das geforderte Ausbauziel nicht erreichen

Bis dahin gibt es noch eine weitere Huumlrde den Heimfall der Stauanlagen an die Standortgemeinden Welchen Ein-fluss hat dieser UmstandWenn die Konzessionen nach 80 oder 100 Jahren aus-laufen muss der Betreiber der Gemeinde eine Entschaumldi-gung fuumlr den Restwert der Anlagen entrichten Im Fall der Staumauer Barberine bezahlen die SBB und Alpiq 2017 an sechs Walliser Gemeinden 343 Millionen Franken Das 400-Seelen-Dorf Finhaut erhaumllt alleine 112 Millionen Fran-ken und weiss kaum wohin mit dem Geld Der gesamte Wert des Heimfalls der Anlagen bewegt sich schweizweit im Milliardenbereich Der Houmlhepunkt des Heimfalls wird um 2035 erreicht werden Bis zu diesem Zeitpunkt soll aber auch ein Grossteil der geforderten Produktionsstei-gerung umgesetzt werden

Bei der Stromproduktion ist ein Ausbau von uumlber 10 Pro-zent wohl nicht realistisch Wie sieht es bei der Speicher-leistung aus Hier muss man unterscheiden zwischen kurzfristiger und saisonaler Speicherung Fuumlr die saisonale Speicherung verfuumlgt die Schweiz mit 200 Speicherseen uumlber ein Vo-lumen von rund 9 000 Gigawattstunden (GWh) die jedes Jahr vom Sommer in den Winter umgelagert werden Dies

38 COMPETENCE | 2014

Expertensicht

entspricht einem Viertel der jaumlhrlichen Produktion aus Wasserkraft Das Ausbaupotenzial durch die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren betraumlgt rund 2 000 GWh Falls der Ausbau aber nicht gelingt entsteht im Winter durch den Ausfall der Kernenergie eine immer groumlssere Luumlcke an Bandenergie die durch den Import von Atom- oder Kohlestrom gedeckt werden muss

Wie sieht es beim Ausbau der Pumpleistung zum kurzfris-tigen Ausgleich von Schwankungen im Netz ausGrundsaumltzlich ist das Potenzial fuumlr Pumpspeicherwerke in der Schweiz riesig Es braucht nur zwei Seen auf unter-schiedlicher Houmlhe Die Frage ist ob sich solche Investi-tionen rechnen Die Pumpspeicherwerke finanzieren sich

uumlber den Preisunterschied zwischen Band- und Spitzen-energie Wenn an einem schoumlnen Sommertag in Europa mittags die geballte Ladung an Sonnen- und Windener-gie eingespeist wird koumlnnen die Pumpspeicherkraftwerke sehr guumlnstig oder sogar zu Negativpreisen Strom bezie-hen Man darf aber nicht vergessen dass dieselbe Situa-tion fuumlr die Laufwasserkraftwerke die rund die Haumllfte der Wasserkraftproduktion in der Schweiz ausmachen den gegenteiligen Effekt hat Diese koumlnnen aus technischen konzessionsrechtlichen oder oumlkologischen Gruumlnden nicht vom Netz genommen werden und muumlssen fuumlr ihre Strom-produktion bezahlen Das kann gehoumlrig ins Geld gehen An Weihnachten 2012 lag der Strompreis zum Beispiel bei minus 30 Rappen pro Kilowattstunde

Roger Pfammatter laquoWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerbare Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichtenraquo

Bild Florian Wehrli

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cherseen zur Flexibilisierung Damit das gelingt muss der Wert der Wasserkraft staumlrker im Bewusstsein der Bevoumllke-rung verankert sein Und nicht zuletzt muss der Marktpreis so weit uumlber den Gestehungskosten liegen dass sich In-vestitionen in die Wasserwirtschaft rentieren

Versuchen das Bestehende zu erhalten Diese Vision klingt etwas resigniertDas ist eine Frage der Perspektive Die Wasserkraft hat als Technologie in der Schweiz seit Langem Bestand Sie befindet sich in einer anderen Situation als Fotovoltaik und Windenergie die sich in einem hochdynamischen Umfeld mit grossem Potenzial in Forschung und Wachstum be-finden Die Wasserkraft ist dagegen nicht mehr in der Auf-bruchsphase sondern in der Konsolidierungsphase Da-fuumlr kann man sich auf die Wasserkraftwerke verlassen Sie produzieren bei Tag und in der Nacht im Sommer wie im Winter bei Windstille oder im Nebel Auch der Erhalt und die Optimierung des Bestehenden sind grosse Heraus-forderungen und bedingen grosse Investitionen

Sehen Sie eine Moumlglichkeit wie die Schweizer Wasser-wirtschaft in Zukunft Geld mit Systemdienstleistungen wie Netzstabilitaumlt verdienen kannDie unregelmaumlssig einspeisenden Stromproduzenten neh-men keinerlei Systemverantwortung wahr Ich habe selbst ein Solarpanel auf dem Dach Wenn Produktion moumlglich ist speise ich Strom ins Netz ein wenn nicht beziehe ich Die Produzenten mehr in die Verantwortung zu nehmen faumlnde ich sinnvoll ndash zum Beispiel uumlber Zertifikate fuumlr Spei-cherleistungen Diese koumlnnten bei Pumpspeicherwerken bezogen werden

Welcher Ausbau der Pumpspeicherleistung ist dafuumlr noumltigDie installierte Leistung betraumlgt heute rund 14 Gigawatt (GW) Mit den im Bau befindlichen und den geplanten An-lagen kann die Kapazitaumlt maximal auf 51 GW ausgebaut werden ndash etwa die Haumllfte der Jahreshoumlchstlast im Netz Damit die Schweizer Wasserkraft aber einen Beitrag zur Stabilitaumlt des europaumlischen Stromnetzes leisten kann muumlssten auch das Stauvolumen und die Leitungskapazi-taumlt erhoumlht werden Hier sind die Einsprachen von Anwoh-nern und Umweltverbaumlnden noch gravierender als bei den Anlagen selbst

Braucht es neue rechtliche Instrumente um den geplan-ten Ausbau durchsetzen zu koumlnnenEs braucht vor allem die Einsicht dass die Wasserkraft das Ruumlckgrat unserer Versorgungssicherheit ist und die Aus-wirkungen eines Ausbaus immer auch mit den Alternativen verglichen werden muumlssen Wir befinden uns aber auch in einem intensiv genutzten Land mit vielen Partikularinteres-sen Diese muumlssen gewichtet und abgewogen werden In der Abwaumlgung zwischen Landschaftsschutz und Wasser-nutzung waumlre es hilfreich wenn Grosswasserkraftanlagen den Status von nationalem Interesse erhalten

Wie soll die Schweizer Wasserwirtschaft im Jahr 2035 aussehenIch wuumlnsche mir dass die bestehende Infrastruktur auf dem heutigen Stand erhalten optimiert oumlkologisiert und im Idealfall etwas ausgebaut wird Dazu gehoumlren etwa die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren sowie neue Spei-

Roger PfammatterSeit seinem Ingenieurstudium an der ETH Zuumlrich hat er sich in ver-schiedenen Rollen dem Wasser verschrieben Nach sieben Lehr- und Wanderjahren in der Forschung und in der Entwicklungszusammen-arbeit war er zehn Jahre beim Ingenieurunternehmen Ernst Basler + Partner engagiert Seit 2010 ist er Geschaumlftsfuumlhrer des Schweizeri-schen Wasserwirtschaftsverbandes (SWV) und Herausgeber der Zeit-schrift laquoWasser Energie Luftraquo In diesen Funktionen setzt er sich ein fuumlr den Fachaustausch und gute Rahmenbedingungen in den Bereichen Wasserkraft und Hochwasserschutz

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Die globalen Energiemaumlrkte sind seit einigen Jahren stark in Bewegung Volatile Erdoumllpreise die Foumlrderung von un-konventionellen Gasvorkommen in grossem Stil die mas-sive Subventionierung von neuen erneuerbaren Energien in Deutschland der laquoarabische Fruumlhlingraquo und der Konflikt in der Ukraine hinterlassen Spuren Die Folge sind starke Verwerfungen an den Maumlrkten und fehlende Investitionssi-cherheit In diesem dynamischen und unsicheren Kontext will der Bund die bisherige Energiepolitik neu ausrichten ndash wahrlich eine Herkulesaufgabe Die Schweizer Wirtschaft verlangt dass der Bund bei der Neuausrichtung der Ener-giepolitik seinem in der Verfassung verankerten Auftrag nachkommt und sich fuumlr eine ausreichende sichere breit gefaumlcherte wirtschaftliche und umweltvertraumlgliche Ener-gieversorgung einsetzt Somit ist klar Die Energiestrate-gie 2050 muss in erheblichen Teilen optimiert und justiert werden Nur wenn vernetzt gedacht wird ist eine sichere Versorgung zu wettbewerbsfaumlhigen Preisen moumlglich

Prognosen klaffen weit auseinanderSeit Jahrzehnten bietet der Strommix aus Wasserkraft (knapp 60 Prozent) und Kernenergie (40 Prozent) Gewaumlhr fuumlr eine sichere klimafreundliche und wirtschaftliche Ener-gieversorgung Im Rahmen der Energiestrategie 2050 muss die Kernenergie langfristig ersetzt werden Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen zumal die Ziele des Bundes

Lebenselixier der Wirtschaft

Die Schweizer Wirtschaft ist auch in Zukunft auf eine sichere und wirtschaftliche Stromver-sorgung angewiesen Die Ener-giestrategie 2050 setzt stark auf Subventionen Dadurch entstehen Fehlanreize welche die Versorgungssicherheit ge-faumlhrdenText Kurt Lanz

Expertensicht

in Bezug auf das Potenzial der neuen erneuerbaren Ener-gien von Wunschdenken geleitet sind Die neuen erneuer-baren Energien werden sich langsamer entwickeln als an-gestrebt Der Bund rechnet mit rund 12 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2035 die Schweizer Wirtschaft mit 44 TWh Die vorsichtigeren Prognosen der Wirtschaft scheinen re-alistischer Dies zeigen exemplarisch die gescheiterten Geothermieprojekte in Basel und St Gallen Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Nachfrageprognosen Der Bund rechnet in seinen Szenarien mit einem Ruumlckgang des Stromverbrauchs pro Kopf von 16 Prozent zwischen 2000 und 2035 Die Schweizer Wirtschaft orientiert sich in ihren Szenarien am Verband Schweizerischer Elektrizitaumlts-unternehmen (VSE) der weiter mit einer steigenden Nach-frage rechnet Die Wirtschaft fordert von der Politik eine vernuumlnftige Planung aufgrund realistischer Schaumltzungen Die Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energiestrategie nicht gefaumlhrdet werden

Subventionen fuumlhren zu FehlanreizenDie Schweiz hat seit vielen Jahrzehnten erfolgreich die Wasserkraft vorangetrieben Aus politischen Gruumlnden wird nun die ndash unregelmaumlssige ndash Stromproduktion durch Sonnen- und Windenergie forciert Unsere sogenann-te kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) entspricht dem deutschen Foumlrdermodell Beide haben das gleiche Ziel Sie sollen erneuerbare Energien ausbauen indem sie neue Formen der Stromproduktion zur Marktreife brin-gen Weil das KEV-System die Sonnen- und Windenergie massiv foumlrdert kommt ein weiterer Ausbau der bewaumlhrten Wasserkraft nicht infrage Diese Entwicklung gefaumlhrdet die Versorgungssicherheit der Schweiz Auf den ersten Blick sinken zwar die Produktionskosten fuumlr Solarstrom gleich-zeitig steigen aber die Kosten fuumlr Speicherung und Inte-gration ins Netz spuumlrbar Auch ist der Ausbau von Solar- und Windenergie nur von beschraumlnktem Nutzen solange keine ausreichenden Speicherkapazitaumlten vorhanden sind Nur Preissignale koumlnnen das Investitionsverhalten von Stromproduzenten Netzbetreibern und Konsumen-ten sinnvoll lenken Subventionen sind zu beseitigen denn sie fuumlhren zu Fehlanreizen

41COMPETENCE | 2014

Alle Optionen offenhaltenOffenheit und Neugier gehoumlren zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft Kategorisches Abwehrverhalten und Denkverbote verhindern konstruktive Loumlsungsansaumltze und Innovation Eine sichere und kostenguumlnstige Strom-versorgung kann auch in Zukunft nur mit der notwendi-gen Offenheit gegenuumlber allen Technologien und Energie-

systemen garantiert werden Die Schweiz ist dank einer erfolgreichen Hochschulland-schaft und vielen Technolo-gieunternehmen gut geruumlstet Die verschiedenen Energie-systeme muumlssen faktenba-siert und ohne ideologische

Scheuklappen verglichen werden Nur so koumlnnen effizi-ente und umweltvertraumlgliche Loumlsungen gefunden werden Das heutige System der Foumlrderung der neuen erneuer-baren Energien ist durch ein marktorientiertes System ab-zuloumlsen Produzenten die nachfragegerecht einspeisen sollen eine houmlhere Verguumltung erhalten als andere Auch soll der Vorrang der Netzeinspeisung fuumlr subventionierte Energietraumlger aufgehoben werden

laquoDie Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit

des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energie strategie nicht

gefaumlhrdet werdenraquo

Schnellere Verfahren anstrebenGrundvoraussetzung fuumlr eine Neuausrichtung der Ener-giepolitik sind funktionierende Stromnetze Diese muumls-sen zwingend parallel zum Umbau der Stromproduktion weiterentwickelt werden Allein der noumltige Ausbau der Uumlbertragungsnetze belaumluft sich auf rund 1 000 Kilometer bis ins Jahr 2020 Erforderlich sind zudem Investitionen in alle Verteilernetzebenen Al-lerdings verzoumlgern komplizier-te Verfahren auf Kantons- und Bundesebene den Ausbau Ausserdem erwaumlchst praktisch jedem Projekt Widerstand von privater Seite was zu weiteren Verzoumlgerungen fuumlhrt Die Wirt-schaft fordert deshalb Bei Bewilligungen von Stromnetzen ist der Gang vors Bundesgericht nur noch bei Grundsatz-fragen moumlglich Umbauten sowie Spannungs- und Kapa-zitaumltserweiterungen koumlnnen ohne Planungsgenehmigung realisiert werden Ausserdem sind die Verfahren bei einer einzigen Leitbehoumlrde anzusiedeln

Spielfeld erweiternDie Schweiz ist seit jeher ein wichtiges Stromtransitland Schon seit den 90er-Jahren treibt die EU die Vereinheitli-chung des Binnenmarkts fuumlr Strom hin zu einem eigent-lichen EU-Strommarkt voran In der Schweiz erweist sich die gesetzliche Trennung von Grundversorgung und Markt diesbezuumlglich zunehmend als Hindernis Aus Sicht der Wirtschaft ist die vollstaumlndige Liberalisierung des Strom-markts eine zwingende Voraussetzung fuumlr eine erfolgrei-che energiepolitische Neuausrichtung

Eine Marktoumlffnung wuumlrde insbesondere auch den erneuer-baren Energien neue Chancen eroumlffnen und Zugang zu neuen Kunden gewaumlhren Von hoher Wichtigkeit ist auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU Je groumlsser der Anteil erneuerbarer Energien umso wichtiger ist die Einbettung in Europa denn Investitionen in Netze und Produktion koumlnnen in Koordination mit der EU wirkungsvoller und wahrscheinlich kostenguumlnstiger getaumltigt werden

Kurt LanzKurt Lanz ist Leiter Infrastruktur Energie und Umwelt sowie Geschaumlftsleitungsmitglied von economiesuisse dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft

Gut vernetzt ndash Vorschlaumlge der Schweizer Wirtschaftzur EnergiepolitikDie Publikation basiert auf der Grundlagenarbeit der breit abgestuumltz-ten Energiekommission von economiesuisse und macht konstruk-tive Vorschlaumlge fuumlr einen erfolgreichen energiepolitischen Weg der Schweiz Download unter wwweconomiesuissech

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

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Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

wwwsmlzhawch

Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 27: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

27COMPETENCE | 2014

rund um Haushaltstechnik Sicherheit Pflege oder Kom-munikation sowie ein geschicktes Marketing mit Elemen-ten der sozialen Kontrolle Denkbar sind auch Anreize die keinen direkten Zusammenhang mit dem Energiekonsum aufweisen aber fuumlr breite Bevoumllkerungsgruppen attrak-tiv sind So haben etwa einzelne skandinavische Versor-ger damit begonnen energiesparendes Verhalten ihrer Kunden mit Verguumlnstigungen fuumlr die Nutzung oumlffentlicher Transportmittel zu belohnen

Uumlberwindung durch PartizipationDie wohl wirkungsvollste Massnahme zur Uumlberwindung der Dissonanz an der Steckdose ist bereits inhaumlrent in der Transformation des Energiesystems hin zu einer staumlrker dezentralen Erzeugung angelegt Kunden entwi-ckeln sich von passiven Leistungsempfaumlngern zu aktiven Leistungserbringern sogenannten Prosumern Als Klein-produzenten von Strom mit einer hauseigenen Fotovol-taikanlage oder thermischer Speicherleistung mit Kraft-Waumlrme-Kopplungsanlagen im Mikroformat werden sie mittelfristig wesentlich zum Umbau des Energiesystems und zu den Zielen der Energiestrategie beitragen koumlnnen Eine nicht ganz unbedeutende Rolle koumlnnten in Zukunft sogenannte Buumlrgerbeteiligungsmodelle fuumlr die Finanzie-rung neuer In frastrukturprojekte spielen Diese wuumlrden gleichzeitig die Akzeptanz sichtbarer Produktionsanlagen von neuen erneuerbaren Energien erhoumlhen Doch erst wenn das Produkt Strom nicht mehr als reines Commodity-Produkt wahrgenommen wird werden politische Meinung und Konsumverhalten bei einer Mehrheit der Stimmbuumlrger uumlbereinstimmen

Energieversoger in letzter Zeit dazu uumlbergegangen soge-nannte Default-Modelle einzufuumlhren die Stromprodukte aus erneuerbaren Quellen zum neuen Standard erheben Dabei macht man sich die Traumlgheit der Kunden zunutze indem die Wahl eines Stromprodukts aus nicht erneuer-baren Energietraumlgern als Option definiert wird die aktiv bestellt werden muss

Nicht zuletzt aufgrund solcher Modelle ist die Zahl der Schweizer Haushalte die ein Stromprodukt aus aus-schliesslich erneuerbaren Energien beziehen auf uumlber 25 Prozent gestiegen Doch weitere Vertriebsinnovationen werden notwendig sein etwa um der Herausforderung der Einspeisung von Strom aus fluktuierend nutzbaren Quellen (Solar- und Windenergie) in die Verteilnetze gewachsen zu sein die immer staumlrker ins Gewicht faumlllt In der Folge gilt es Investitionen in Netz- und Speichersysteme zu finan-zieren In innovativen Vertriebsmodellen welche dieser Herausforderung gerecht werden erhaumllt das Konsumver-halten einen Wert Zeitliche Flexibilitaumlt wird belohnt durch Tarifreduktion Bonus oder Vermeidung einer Gebuumlhr Wie diese beiden Beispiele zeigen laumlsst sich der Mehrwert von vermeintlichen Commodity-Produkten durch neue Vertriebsmodelle abschoumlpfen und als marktwirtschaftlich vertraumlglicher Finanzierungsmechanismus fuumlr neue Infra-strukturvorhaben im Energiesektor nutzen

Uumlberwindung durch innovative ProdukteNoch groumlsseres Potenzial birgt die Weiterentwicklung von Stromprodukten zu Leistungssystemen die fuumlr Energie-kunden einen echten Mehrwert bieten Hierzu gehoumlrt die Verknuumlpfung des Kernprodukts Strom mit Dienstleistun-gen die den Kunden ein transparenteres Verbrauchsver-halten sowie Kostenoptimierung ermoumlglichen Intelligente Stromzaumlhler sogenannte Smart Meter kombiniert mit fle-xiblen Tarifen und einem einfachen Feedback- und Steuer-system sind die Voraussetzung um zumindest oumlkologisch sensibilisierten oder kostenbewussten Endkunden einen Effizienzeffekt zu ermoumlglichen Damit solche Leistungs-systeme aber fuumlr die grosse Gruppe der Indifferenten interessant werden braucht es weitere Mehrwerte Dazu gehoumlren die Verknuumlpfung mit intelligenten Anwendungen

Claudio ComettaDr Claudio Cometta ist Dozent fuumlr Innovation und Entrepreneurship an der ZHAW School of Management and Law Er koordiniert den Aufbau des nationalen Energie-Kompetenz-zentrums SCCER 5 an der ZHAW

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Die Energiewende stellt die Energieversorgungsunternehmen in der Schweiz vor grosse Herausforderungen Das Beispiel von Stadtwerk Winterthur zeigt wie die Branche auf den Paradig-menwechsel reagiertText Florian Wehrli

Von den Anfaumlngen als laquoWinterthurer Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtungraquo vor uumlber 150 Jahren bis zum modernen Querverbundunternehmen hat sich Stadtwerk Winterthur kontinuierlich weiterentwickelt Seine Aufgabe ist aber gemaumlss Direktor Markus Saumlgesser weitgehend dieselbe geblieben die Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung zu verbes-sern So bietet das staumldtische Versorgungsunternehmen neben klassischen Produkten wie Wasser Strom Gas oder Kehrichtentsorgung und Abwasserreinigung heute auch Fernwaumlrme Haustechnik Glasfasernetz und Ener-gie-Contracting an Die Ausdehnung auf neue Geschaumlfts-bereiche will der Direktor aber nicht als Reaktion auf die Liberalisierung des Energiemarkts verstanden wissen laquoWir begegnen der Marktoumlffnung proaktiv und wollen die sich bietenden Chancen aktiv nutzenraquo

Lokales Potenzial ausgeschoumlpftIm liberalisierten Markt hat das staumldtische Versorgungs-unternehmen mit dem Monopol auf sein Energieversor-gungsnetz von gesamthaft mehr als 2 500 Kilometern einen Vorteil Dessen Unterhalt ist nach wie vor eine der Hauptaufgaben Im Gegensatz zu anderen Energieversor-gern betreibt Stadtwerk Winterthur naumlmlich einen verhaumllt-nismaumlssig geringen Anteil an eigenen Produktionsanlagen Das Flaggschiff ist die wohl modernste Kehrichtverwer-tungsanlage der Schweiz laquoMit dem Umbau konnten wir 2013 den Wirkungsgrad der Anlage um einen Drittel stei-gern und die Abluft gehoumlrt zu den saubersten weltweitraquo sagt Markus Saumlgesser Heute deckt die KVA 20 Prozent des Winterthurer Strom- und 12 Prozent des Waumlrmebe-darfs ab Auf solchen Lorbeeren ausruhen will sich Stadt-werk Winterthur aber nicht laquoWir wollen mithelfen eine nachhaltige Energiewirtschaft aufzubauenraquo Mittelfristig soll

die Haumllfte des Stromangebots aus erneuerbaren Quellen stammen laquoDas ist ein ehrgeiziges Zielraquo sagt Saumlgesser laquowir sind aber auf gutem Weg dazuraquo

Rund die Haumllfte des Rahmenkredits von 90 Millionen Franken fuumlr erneuerbaren Strom den das Winterthurer Stimmvolk 2012 bewilligt hat ist bereits investiert Im Bereich Fotovoltaik ist die Planung der groumlssten Anlagen abgeschlossen etwa auf den Daumlchern der Eishalle oder des Busdepots Eine aktuelle Windpotenzialstudie zeigt fuumlr Winterthur nur wenige moumlgliche Standorte auf zumal die Bewilligung solcher Anlagen mit grossem buumlrokratischem Aufwand verbunden sei Mit diversen Nahwaumlrmever-buumlnden nutzt Stadtwerk Winterthur auch Holzabfaumllle bereits sehr effizient Aber auch dieser Energietraumlger ist in Winterthur beschraumlnkt vorhanden Das letzte Projekt das Holz aus dem Winterthurer Stadtwald einsetzen wird ist in der Aufbauphase Studien im Bereich Wasserkraft haben gezeigt dass abgesehen von einem Kleinwasser-kraftwerk an der Toumlss in der Region kaum Potenzial vor-handen ist

Investitionen im AuslandlaquoDiese aufwendige Aufbauarbeit soll nicht zur Regel wer-denraquo sagt Markus Saumlgesser laquoDas limitierte Energiepoten-zial in der Schweiz und die beschwerlichen Instanzenwe-ge fuumlr Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie lassen uns deshalb vermehrt im Ausland investierenraquo 2012 be-teiligte sich das Stadtwerk mit 12 Millionen Franken am Kleinkraftwerk Birseck AG das Kleinwasserkraftwerke und Foto voltaikanlagen in der Schweiz und in Frankreich be-treibt 2013 folgte eine Beteiligung in der Houmlhe von 25 Mil-lionen Franken an der Swisspower Renewables AG die in

Vom Versorger zum Dienstleister

Unternehmensperspektive

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sein glaubt er aber nicht daran dass der Stromverbrauch insgesamt zuruumlckgehen wird laquoDafuumlr ist der Marktpreis zu niedrig Aus serdem wird Strom im Bereich Waumlrme und Mobilitaumlt einen Grossteil der fossilen Energietraumlger ersetzen muumlssenraquo Damit der geplante Verbrauchsruumlck-gang dennoch gelingt will der Bund Anreize schaffen Mit sogenannten weissen Zertifikaten will er die Versor-ger be lohnen wenn sie ihre Kunden zu einem geringeren Energie verbrauch bewegen In Grossbritannien Italien und Frankreich sind solche Modelle bereits im Einsatz Markus Saumlgesser sieht dieser Entwicklung mit gemischten Gefuumlh-len entgegen laquoWir haben bereits vor der Reaktorkatastro-phe in Fukushima auf Energieeffizienz gesetzt und konn-ten uns dadurch profilieren Weil die Politik nun eingreift und den Markt uumlbersteuert bleibt uns als Unternehmen weniger Spielraum um uns zu positionierenraquo

Windkraftanlagen im angrenzenden Ausland investiert Fuumlr die Beschaffung von Strom am freien Markt ist das Stadtwerk eine Zusammenarbeit mit der Trianel GmbH in Aachen ndash einer der fuumlhrenden Stadtwerke-Kooperationen in Europa ndash eingegangen Damit sollen insbesondere der Zugang zum Grosshandelsmarkt sowie die Marktfor-schung sichergestellt werden Denn um Kunden nachhal-tige Energieprodukte verkaufen zu koumlnnen muss man ihre Beduumlrfnisse genau kennen

Anreize fuumlr geringeren VerbrauchDie Strategie scheint aufzugehen laquoSeit der Einfuumlhrung der neuen Stromprodukte Anfang 2013 haben wir den Absatz von erneuerbarer Energie in Winterthur verdop-pelt und denjenigen von Oumlkostrom sogar vervierfachtraquo so Saumlgesser Trotz dem steigenden oumlkologischen Bewusst-

Gemaumlss seinem Leitbild soll Stadtwerk Winterthur mit einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der soziashylen Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Bild Michael Lio

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Ausgliederung aus der StadtverwaltungAuch auf kommunaler Ebene ist Stadtwerk Winterthur von den politischen Rahmenbedingungen abhaumlngig ndash mit allen Vor- und Nachteilen Die politischen Kurswechsel in den vorgesetzten Gremien seien hinderlich bei der Umsetzung der Strategie des Unternehmens laquoWir taumltigen Investitio-nen mit einem Planungshorizont von mehreren Jahrzehn-tenraquo sagt Markus Saumlgesser laquoin der Politik wird dagegen in Amtsperioden von vier Jahren gedachtraquo Es gibt deshalb Bestrebungen das Stadtwerk aus der Stadtverwaltung auszugliedern und einem langfristig operierenden Steue-rungsgremium zu unterstellen Bei der Stimmbevoumllkerung geniesst Stadtwerk Winterthur grossen Ruumlckhalt Alleine in den letzten zwei Jahren wurden vier Abstimmungsvor-lagen mit grossem Mehr angenommen darunter Rah-menkredite fuumlr das Energie-Contracting oder erneuerbare Energien laquoEine bessere Legitimation koumlnnen wir uns gar nicht wuumlnschenraquo sagt Markus Saumlgesser

Neue BetriebskulturStrategisch und energiepolitisch werden Dienstleistungen wie das Energie-Contracting fuumlr Stadtwerk Winterthur immer wichtiger laquoWir wollen unserer Kundschaft Waumlr-me oder Kaumllte gleich komfortabel anbieten koumlnnen wie Stromraquo sagt Markus Saumlgesser laquoImmobilienbesitzerinnen und -besitzer sollen sich nicht mehr um den Fuumlllstand ih-res Oumlltanks oder den Termin fuumlr den Kaminfeger kuumlmmern muumlssenraquo Das Energie-Contracting waumlchst stark und macht heute bereits rund 5 Prozent des Umsatzes von Stadtwerk Winterthur aus

Die neuen Geschaumlftsfelder ziehen auch andere Arbeits-kraumlfte an als bisher Verschiedene Betriebskulturen seien in den vergangenen Jahren teilweise parallel gelaufen be-ginnen nun aber langsam zu verschmelzen Ein Beispiel dafuumlr ist die Verknuumlpfung von Smart Metering und dem traditionellen Verteilnetz Elektrizitaumlt Als Voraussetzung fuumlr das Change-Management in der Betriebskultur habe man alle Mitarbeitenden in die Erarbeitung des Unterneh-mensleitbildes involviert Entstanden ist ein Leitbild das Stadtwerk Winterthur dabei unterstuumltzt die Unterneh-mensstrategie umzusetzen Stadtwerk Winterthur soll mit

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

Markus SaumlgesserMarkus Saumlgesser (52) ist diplomierter Ma-schineningenieur ETH und hat ein Nachdi-plomstudium in technischen Betriebswissen-schaften absolviert Seit Anfang 2011 ist er Direktor von Stadtwerk Winterthur Seine bisherige berufliche Taumltigkeit fuumlhrte Markus Saumlgesser nach zwei Jahren Assistenz an der ETH zu einem Ingenieurbuumlro fuumlr Ener-gie- und Haustechnik Waumlhrend dieser rund sechsjaumlhrigen Zeit war er bei anspruchsvol-len Bauprojekten verantwortlich fuumlr die Konzeption und Koordination der technischen Gebaumludeausruumlstung Zudem war er waumlhrend vier Jahren Mitglied der Geschaumlftsleitung Nach zweijaumlhriger Taumltigkeit als Abteilungsleiter in einer groumlsseren Gemeinde wechselte er zum Elek-trizitaumltswerk der Stadt Zuumlrich (EWZ) bei dem er die Abteilung Vertrieb Grosskunden leitete Daneben war Markus Saumlgesser beim EWZ in verschiedene Innovationsprojekte involviert So zeichnete er fuumlr das Projekt laquoStromzukunft Stadt Zuumlrichraquo verantwortlich das wichtige Grundlagen fuumlr die Strategie des EWZ und die Volksabstimmung zur 2000-Watt-Gesellschaft in der Stadt Zuumlrich beisteuerte

Stadtwerk Winterthur in Zahlen (2013)Mitarbeitende 347Nettoinvestitionen 1198 Mio CHFDurchgeleitete Strommenge 5643 Mio kWhUmsatz Strom 93 Mio CHFDurchgeleitete Gasmenge 5295 Mio kWhUmsatz Gas 411 Mio CHFUnternehmensgewinn 109 Mio CHF

einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der sozia-len Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Wann wurden in Winterthur die ersten Strassenlampen mithilfe von Stein-kohle erleuchtet

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Unternehmensperspektive

ckelte Hochspannungsgleichstromschalter sollen zudem sicherstellen dass etwa ein Kurzschluss durch eine hy-perschnelle Abschaltung isoliert und das Netz somit nicht gefaumlhrdet wird Von 14 solchen Schaltsystemen welt-weit stammen 13 von ABB Die hohen Investitionen fuumlr die armdicken Gleichstromkabel rechnen sich da beim Transport viel weniger Strom verloren geht als bei der tradi tionellen Wechselstromtechnik Die Produktelinie ent-wickelt sich zum Renner Sie wird zur Anbindung von So-lar- und Windparks zur Versorgung von Inseln als Ersatz fuumlr Diesel generatoren auf Oumll- und Gasplattformen auf See eingesetzt Oder um Starkstrom vom Festland zu auf dem Meeresboden platzierten ferngesteuerten Foumlrderanlagen fuumlr Gas und Oumll zu leiten ndash wofuumlr ABB auch wartungsfreie Kompressoren liefert damit Kunden wie Statoil und Pet-robras teure Ausfaumllle erspart bleiben

Komplettloumlsungen aus einer HandDank hohem Innovationstempo sind die Divisionen Ener-gietechnik- und Niederspannungsprodukte gut ausgelas-tet Dies gilt ebenso fuumlr die Divisionen Industrie- und Pro-zessautomation Speziell energieintensive Industrien die unter hohem Kostendruck stehen muumlssen ihre Anlagen auf dem neusten Stand halten Dazu zaumlhlen Bergbau Oumll- und Gasindustrie Zellstoff- Papier- und Zementfabriken Chemie- und Pharmafirmen sowie Raffinerien Gefragt sind auch Industrieroboter und schwenkbare dank ABB-Leistungselektronik stufenlos regulierbare Schiffsantrie-be ABB liefert Grosskunden fertige Loumlsungen die hohe Produktivitaumlt und Energieeffizienz gewaumlhrleisten Alles ist aufeinander abgestimmt von der Elektrik uumlber Antriebe Generatoren Roboter Sensoren und Steuerungen bis hin

Zu Beginn des Jahrtausends stand ABB am Abgrund Doch eine neue Fuumlhrungscrew fuumlhrte das Unternehmen aus der Krise sodass die Schweiz inzwischen wieder stolz sein kann auf ihren Industriemulti mit Sitz in Zuumlrich Oerli-kon 2013 erzielte ABB mit rund 148 000 Mitarbeitenden in 100 Laumlndern 42 Milliarden Dollar Umsatz Die renom-mierte US-Universitaumlt MIT zaumlhlt ABB zu den 50 innova-tivsten Unternehmen weltweit Dank 8 000 Ingenieuren in Forschung und Entwicklung und einem Forschungsetat von 15 Milliarden Dollar kann ABB selbst mit Giganten wie Siemens und General Electric mithalten

Innovationen die Technikfans begeisternWas ABB alles macht wissen wohl nur Technikfans Denn der Konzern hat uumlber 70 000 Produkte im Angebot Die 300 ABB-Fabriken liefern taumlglich 15 Millionen Kompo-nenten aus die zu elektrischen Einrichtungen oder in Pro-duktionssteuerungen verbaut werden Aus Kanada etwa kam juumlngst ein Grossauftrag uumlber 400 Millionen Dollar Erneuerbare Energie die auf Neufundland und Labrador gewonnen wird soll ab 2017 via Hochspannungskabel 360 Kilometer nach Westen fliessen um dort 350 000 Haumluser zu versorgen Weltweit gibt es erst 90 solche Gleichstromkabelverbindungen die meist unter der Erde oder auf dem Meeresgrund verlaufen ABB ist mit rund 50 Prozent Anteil Marktfuumlhrer Die futuristisch anmuten-de Technik in den abgeschirmten Hallen wo der Strom vor dem Transport auf Hochspannung transformiert wird erinnert an den Maschinenraum von Raumschiff Enter-prise Ein wichtiges Steuerungselement bilden dabei in Baden Daumlttwil entwickelte und in Lenzburg produzierte Spezialchips die Houmlchstspannung aushalten Neu entwi-

Der schweizerisch-schwedische Technikkonzern treibt an vor-derster Front die Energiewende voran Dafuumlr forscht man bei ABB intensiv zu erneuerbaren Energien schlauen Stromnetzen sowie hocheffizienten Industrieanlagen Einzig die schwache Nachfrage nach Energieanlagen in Europa bremst die ExpansionText Andreas Fluumltsch

Innovativer Treiber der Energiewende

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uumlber weite Strecken in die Ballungsraumlume geleitet werden muss brummt das Geschaumlft In den USA treibt der Oumll- und Gasboom die Nachfrage Nur in Europa harzt das Geschaumlft mit Grossanlagen Weniger Nachfrage belastet die Margen bei Auftraumlgen fuumlr Wind- und Solarfarmen so-wie fuumlr Netzinfrastruktur Die Risiken der oft mehrjaumlhrigen Projekte sind so hoch dass ABB waumlhlerischer sein muss und etwa das Geschaumlft mit Solarloumlsungen zurzeit auf Sparflamme betreibt Dennoch ist ABB immer noch hoch-profitabel nicht zuletzt da die Kosten Jahr fuumlr Jahr um 3 bis 5 Prozent gesenkt werden Aber der erfolgsgewohnte Konzern musste sich 2013 mit 6 Prozent Umsatzplus zu-friedengeben Umso intensiver treibt der neue ABB-Chef Ulrich Spiesshofer die Integration der vorab in den USA fuumlr 10 Milliarden Dollar getaumltigten Zukaumlufe voran Und Spiess-hofer forciert die Zusammenarbeit der Divisionen damit ABB die Unternehmensvision laquoEnergie und Produktivitaumlt fuumlr eine bessere Weltraquo mit moumlglichst vielen eigenen Pro-dukten realisieren kann

zur Leittechnik samt angepasster Software Kleine und mittlere Kunden ordern Komponenten oder Teilsysteme Ein wichtiges Verkaufsargument ist das Sparpotenzial von stufenlos steuerbaren Elektromotoren Nur einer von fuumlnf Motoren hat laut einer Erhebung des Bundes einen Leis-tungsregler der Rest laumluft auf Hochtouren und wird ndash man glaubt es kaum ndash bei Bedarf mit Klappen oder Ventilen mechanisch abgebremst Eine gigantische Verschwen-dung da Industriemotoren laut einer Studie der Schwei-zerischen Agentur fuumlr Energieeffizienz 27 Prozent des Schweizer Stromverbrauchs ausmachen

Europaumlische ZuruumlckhaltungEigentlich muumlsste die Division Energietechniksysteme ebenfalls ausgelastet sein Denn auch die Stromwirtschaft muss ihre Effizienz steigern Schliesslich erfordert die Energiewende einen Totalumbau der auf Verteilung ausge-richteten Netze damit diese unter der Last von Solar- und Windenergie nicht instabil werden Arbeit in Huumllle und Fuumllle fuumlr ABB sollte man meinen Doch der erst zaghafte Auf-schwung in Europa daumlmpft die Nachfrage Erschwerend kommt hinzu dass subventionierte Wind- und Solarener-gie in Europas liberalisiertem Strommarkt den Strompreis in ungeahnte Tiefen druumlckte Die Konkurrenzfaumlhigkeit von Wasser- Gas- und Atomkraftwerken hat gelitten Pump-speicher sind keine Goldesel mehr seit die erneuerbaren Energien die Preisspitzen brechen Entsprechend schie-ben Stromkonzerne wie Alpiq oder RWE Investitionen auf Unsicherheiten rund um den Atomausstieg belasten zu-saumltzlich Die voraussichtlich noch auf Jahre hinaus tiefen Strompreise schmaumllern auch die Faumlhigkeit der Besitzer von Hochspannungs- und Verteilnetzen deren Umruumlstung zu finanzieren hoch verschuldete EU-Staaten fahren die Foumlrderung von Wind- und Solarenergie zuruumlck

Straffe KostenkontrolleABB bekommt den Investitionsstau empfindlich zu spuuml-ren Die Division Energietechniksysteme schreibt seit eini-ger Zeit rote Zahlen Zwar ordern Grosskunden aus Asien und Lateinamerika weiterhin kraumlftig Neben China inves-tiert vermehrt auch Indien in neue Stromnetze Uumlberall dort wo die Bevoumllkerung rasch waumlchst oder der Strom

Andreas FluumltschAndreas Fluumltsch war urspruumlnglich Jurist und arbeitete ab 1983 als Journalist fuumlr laquoBlickraquo laquoWeltwocheraquo laquoBilanzraquo und laquoCashraquo Zwischen 1989 und 1990 war er Mitglied der Geschaumlftsleitung von Greenpeace Schweiz anschliessend Hausmann Nach der Ruumlck-kehr in den Journalismus 1992 arbeitete er bei laquoBlickraquo laquoSonntagszeitungraquo und laquoTages- Anzeigerraquo und absolvierte eine Ausbildung zum Boumlrsenhaumlndler Nach der Fruumlhpensio-nierung Ende 2013 machte er sich als Publi-zist selbststaumlndig

ABB in Zahlen (2013)Betriebsertrag 41 848 Mio USDBetriebsergebnis 4 387 Mio USDndash Industrieautomation 1 458 Mio USDndash Niederspannung 1 092 Mio USDndash Prozessautomation 990 Mio USDndash Energietechnik 1 331 Mio USDndash Energiesysteme 171 Mio USD

Mitarbeitende 147 700ndash davon in der Schweiz 6 966

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Hohe Nachfrage nach MinergieDer Erfolg der bisherigen Sparbemuumlhungen bleibt nicht aus laquoTrotz zunehmender Pro-Kopf-Wohnflaumlche und stei-gendem Komfort sinkt der Energieverbrauch fuumlrs Heizen in den letzten Jahrzehnten stetigraquo verkuumlndet der Zuumlrcher Regierungsrat im Energieplanungsbericht 2014 Dazu tra-gen nicht nur die laufend verschaumlrften Gesetze bei Ebenso wichtig ist die Bereitschaft von Bautraumlgerschaften freiwillig Uumlberdurchschnittliches zu leisten Vor allem die Minergie-Regeln werden inzwischen gerne befolgt weshalb Haumluser mit halbiertem Energieverbrauch beinahe Standard sind Schweizweit traumlgt eines von zehn neuen Wohnhaumlusern ein Minergie-Zertifikat Der Anteil an Minergie-Haumlusern im Grossraum Zuumlrich liegt gemaumlss einer Marktanalyse der Universitaumlt Zuumlrich bereits nahe bei 20 Prozent Dies ist privaten Hauseigentuumlmern und institutionellen Investoren zu verdanken Wohn- und Geschaumlftshaumluser mit houmlchster Energieeffizienz gehoumlren inzwischen zum guten Ton Den juumlngsten Beweis liefert eine Immobilienstiftung der Credit Suisse die 70 Millionen Franken in die groumlsste Oumlkosied-lung der Schweiz investiert Im Aargauer Reusstal wohnen seit diesem Jahr rund 200 Familien Paare und Singles deren Wohnhaumluser sich weitgehend selbst mit Sonnen-energie versorgen So klimafreundlich die Energiewende-Architektur ist der Investor erwartet dennoch marktuumlb-liche Renditen Ist der Markt aber bereit oumlkologisches Engagement angemessen zu honorieren

Marktpotenzial fruumlhzeitig erkanntDie Zuumlrcher Kantonalbank (ZKB) beziffert den Mehrwert von Minergie-Haumlusern auf 7 Prozent Kaumlufer seien bereit diesen Aufpreis fuumlr mehr Energieeffizienz zu bezahlen Als weitere Nebeneffekte nennt der vor drei Jahren publizierte ZKB-Bericht eine hochwertige dauerhafte Bausubstanz sowie die Absicherung gegen steigende Oumll- und Energie-preise Fachleute des Immobilienberatungsunternehmens Wuumlest amp Partner (WampP) warnen indes dass sich zusaumltz-liche Investitionen in die Energieeffizienz nicht uumlberall loh-nen laquoRegional schwankt die Zahlungsbereitschaft des Immobilienmarktsraquo praumlzisiert WampP-Partner Ivan Anton Minergie-Haumluser koumlnnen aber nicht nur in abgelegenen Regionen ein Marktrisiko werden laquoMit Ausnahme der

Beim Autokauf wird bevorzugt auf Pferdestaumlrken Be-schleunigung und Innenausstattung geachtet Der CO2-Ausstoss interessiert hingegen kaum So kommt die Energieeffizienz im Strassenverkehr nur stockend voran 1995 schluckten alle neu immatrikulierten Personen-wagen durchschnittlich 9 Liter Benzin pro 100 Kilometer 20 Jahre spaumlter liegt der Durchschnittsverbrauch gemaumlss Bundesamt fuumlr Energie (BFE) immer noch uumlber 6 Litern Das viel gepriesene laquoDrei-Liter-Autoraquo haben alle Hersteller wieder aus der Modellpalette genommen

Demgegenuumlber gelingen dem oft traumlge genannten Ge-baumludebereich weitaus groumlssere Effizienzspruumlnge Ver-brauchen 40 Jahre alte Haumluser im Schnitt 220 Kilowatt-stunden (kWh) Heizenergie pro Quadratmeter Wohnflaumlche und Jahr sind die aktuellen Werte unter die 50er-Marke gesunken Zusaumltzliche Sparerfolge sind nur eine Frage der Zeit Im Fruumlhsommer haben die kantonalen Energie-direktoren uumlber ein Rahmenabkommen beraten das Null-energieneubauten demnaumlchst zum Standard machen soll Wie die nationale Energiewende zu erreichen ist erklaumlrt Christoph Gmuumlr von der Abteilung Energie des Kantons Zuumlrich laquoDer spezifische Verbrauchswert ist zudem auf 35 kWh pro Quadratmeter zu senkenraquo Gebaumlude die sich mit umweltfreundlicher Energie selbst versorgen wollen auch die EU-Staaten Ab 2020 wird ein Gebaumludestandard eingefuumlhrt der nur noch laquoNiedrigstenergiegebaumluderaquo mit sehr hoher Energieeffizienz als Neubauten vorsieht

Energiesparhaumluser waren vor 30 Jahren Exoten inzwischen nimmt der Bereich der energie-effizienten Gebaumlude eine Vor-bildrolle fuumlr die Energie wende ein Bauherren profitieren davon ebenso wie die Zuliefer-branche Text Paul Knuumlsel

Expertensicht

Haumluser in der ersten Reihe

35COMPETENCE | 2014

der Bau von Niedrigenergiehaumlusern und alternativen Hei-zungsanlagen sowie energetische Gebaumludesanierungen Investitionen im Umfang von rund 4 Milliarden Franken ausgeloumlst rechnet der Bund vor laquoEin Fuumlnftel insgesamt 860 Millionen Franken stammt aus den oumlffentlichen Kas-senraquo verweist die BFE-Stelle EnergieSchweiz auf die Im-pulse der kantonalen Foumlrderprogramme Einen Wermuts-tropfen besitzt diese Wirkungsbilanz Fruumlhere Analysen der Energiesparprogramme zeigen naumlmlich dass zwi-schen einem Drittel und der Haumllfte der energetisch vorbild-lichen Gebaumlude auch ohne staatliche Foumlrderung realisiert worden waumlren Dem Mitnahmeeffekt ist auch die Eidge-noumlssische Steuerverwaltung auf der Spur Sie schaumltzt dass Bund und Kantonen jaumlhrlich 14 Milliarden Franken entgehen weil energetische Gebaumludesanierungen bei der Liegenschaftssteuer abzugsberechtigt sind Die Energie-wende erfordert nicht nur mehr Effizienz bei den Anwen-dungen sondern auch einen effizienten Einsatz staatlicher Mittel Im Energieplanungsbericht 2013 hat der Zuumlrcher Regierungsrat erstmals uumlber alternative Anreizsysteme nachgedacht Demnach soll eine Lenkungsabgabe den Energiekonsum reduzieren und das bisherige Foumlrdersys-tem abloumlsen Aumlhnliche Plaumlne verfolgt der Bund Denn ein Lenkungssystem duumlrfte weitere Sparbemuumlhungen im Ge-baumludebereich aber auch im Strassenverkehr foumlrdern Ins-besondere dann wenn Heizoumll und Benzin im Gleichschritt teurer werden

begehrten Wohnlagen haben Hauseigentuumlmer an vielen Orten mit moumlglichen Verkaufsverlusten zu rechnenraquo so Anton Zwar sei die Nachfrage bei Eigentuumlmern und Mie-tern aumlhnlich gross Aber auch Mieter wuumlrden nicht uumlberall mehr fuumlr eine energieeffiziente Wohnung bezahlen Kaum uumlberraschen darf daher dass Immobilieninvestoren immer haumlufiger die steigenden Energieanforderungen kritisieren und kostenguumlnstigere Baustandards vorziehen Fuumlr WampP-Berater Urs Hausmann ist laquonachhaltiges Bauen trotzdem keine Frage von Luxus oder Wohlstand sondern eine wie man mit Ressourcen umgehen willraquo Dass ein hohes Um-weltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauen Der Run auf den oumlkologischen Baustoff Holz laumlsst zum Beispiel eine gesamte Wertschoumlpfungskette und viele

innovative Unternehmen profitieren Forstbetriebe Sauml-gereien Fensterbauer Daumlmmstoffhersteller und andere Bauzulieferer vergroumlssern ihre Produktionskapazitaumlten und stellen zusaumltzliches Personal ein laquoDie Umsaumltze im Schweizer Holzbau sind in den letzten Jahren um mehrere Hundert Millionen Franken gestiegen und die Trendkurve zeigt weiter nach obenraquo freut sich Christoph Starck Di-rektor des Holzbaudachverbands Lignum

Einheimische Zulieferer als GewinnerAuch im Verein Minergie ist man sich bewusst dass sich energieeffizientes Bauen wirtschaftlich positiv auswirkt In den letzten 15 Jahren sind 25 000 Wohnhaumluser Buumlro-komplexe Schulbauten Sport- und Industriehallen mit Niedrig energiezertifikat entstanden Gemeinsam sparen sie 15 Milliarden Kilowattstunden Energie laquoUumlber 2 Milliar-den Franken wurden zusaumltzlich investiertraquo rechnet Miner-gie-Sprecher Antonio Milelli vor Anstatt fossile Brennstoffe einzukaufen wird mehr Geld fuumlr Daumlmmstoffe Isolierfenster Luumlftungsanlagen und Sonnenkollektoren aus inlaumlndischer Fabrikation ausgegeben Zwischen 2001 und 2012 haben

Paul KnuumlselPaul Knuumlsel studierte Umweltnaturwissen-schaften an der ETH Zuumlrich Er ist unabhaumln-giger Wissenschaftsjournalist und schreibt seit Jahren in Publikums- und Fachmedien uumlber die vielfaumlltigen Aspekte des nachhalti-gen Bauens Zusaumltzlich betreut er in der Re-daktion des laquoTEC21raquo das Ressort laquoEnergie und Umweltraquo

laquoDass ein hohes Umweltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren

derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauenraquo

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Der Wasserkraft Sorge tragen

Welchen Beitrag kann die Wasserwirtschaft zur Energie-wende leisten Roger Pfammatter Die Wasserkraft ist der energie-politische Trumpf der Schweiz Wir befinden uns in der gluumlcklichen Lage uumlber grosse Mengen Wasser und das notwendige Gefaumllle zu verfuumlgen ndash das sind die beiden wichtigsten Voraussetzungen fuumlr die hydroelektrische Produktion Und wir haben in den vergangenen 100 Jah-ren gelernt dieses Potenzial effizient und moumlglichst um-weltschonend zu nutzen Die Wasserkraft ist der Schluumls-sel fuumlr eine nachhaltige Energieversorgung technisch ausgereift politisch erwuumlnscht einheimisch erneuerbar und CO2-frei

Wie viel mehr ist moumlglichHeute leistet die Wasserkraft nicht nur rund 60 Prozent der Stromproduktion in der Schweiz sondern bietet auch unverzichtbare Regel- und Systemdienstleistungen die markant an Bedeutung gewinnen werden Vor allem bei der Flexibilisierung der Wasserkraft durch mehr Leistung und Speichervolumen waumlre noch einiges moumlglich Um die Aufgaben weiterhin zu gewaumlhrleisten muumlssen wir aber primaumlr dem Bestehenden Sorge tragen

Die Energiestrategie des Bundes gibt aber klare Ausbau-ziele vor Bis 2035 soll die Stromproduktion aus Wasser-kraft um 10 Prozent steigenUnter den momentanen Rahmenbedingungen ist dieses Ausbauziel nicht realistisch Im Gegenteil Aufgrund der Restwasserbestimmungen wird die Produktion in den naumlchsten Jahren vermutlich sogar zuruumlckgehen

Die Wasserkraft ist der wichtigste Pfeiler der Schweizer Ener-giewirtschaft ihr Potenzial ist aber weitgehend ausgeschoumlpft Roger Pfammatter Geschaumlftsfuumlhrer des Wasserwirtschaftsver-bands gibt im Interview Auskunft uumlber die Lage der Branche und ihre Bedeutung fuumlr die EnergiezukunftInterview Florian Wehrli

Expertensicht

Was muss sich aumlndern damit die vorgegebenen Ziele um-gesetzt werden koumlnnenZum einen braucht es dafuumlr die Akzeptanz der Umweltver-baumlnde der Fischer und letztlich der gesamten Bevoumllkerung Zum anderen muumlssen laumlngerfristig die extremen Marktver-zerrungen abgebaut werden damit sich auch Investitionen in die nicht gefoumlrderte Wasserkraft wieder lohnen Heute wird nur noch in subventionierte Anlagen investiert

Wer ist hier in der PflichtHier ist die Politik gefordert die Rahmenbedingungen zu verbessern Denn ohne die Wasserkraft kann die Energie-wende nicht gelingen

Anfang Jahr wurde der Wasserwirtschaftsverband von den zustaumlndigen Kommissionen angehoumlrt Welche Forderun-gen hat die Branche an das ParlamentWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerba-re Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichten die bereits bis zur Haumllfte der Geste-hungskosten ausmachen Damit sind wir doppelt diskrimi-niert Die Wasserkraft ist extrem unter Preisdruck ndash und dies obwohl sie mit Gestehungskosten zwischen 3 und 10 Rappen pro Kilowattstunde die effizienteste Strompro-duktionstechnologie ist Nur zum Vergleich Fotovoltaik -anlagen werden heute mit rund 40 Rappen subventioniert

Bis 2011 liess sich mit der Grosswasserkraft noch viel Geld verdienen Wurden zu wenige Ruumlcklagen fuumlr schlechte Zei-ten gebildet

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Es kann nicht der Sinn sein Ruumlcklagen fuumlr Zeiten zu bil-den in denen die Marktpreise die Gestehungskosten nicht mehr decken Das waumlre wie wenn ein Baumlcker auf jedem Gipfeli einige Rappen zuruumlckbehalten muumlsste damit er sie am naumlchsten Tag gratis abgeben kann Mit dem durch Subventionen verzerrten Marktpreis von 4 bis 5 Rappen pro Kilowattstunde ist unter den konventionellen Energie-traumlgern praktisch nur Kohle konkurrenzfaumlhig Das ist be-stimmt nicht im Sinn der Energiewende

Drei Grosswasserkraftprojekte sind heute bereits im Bau Koumlnnen die enormen Kosten uumlberhaupt amortisiert wer-denPrognosen sind schwierig An der europaumlischen Strom-boumlrse (EEX) werden bis 2020 Strompreise zwischen 45 und 53 Rappen pro Kilowattstunde gehandelt Der Markt glaubt also nicht an eine baldige Erholung Dafuumlr muumlsste das Uumlberangebot in Europa zuruumlckgehen etwa uumlber die Anhebung des CO2-Preises von heute 5 auf mindestens 30 Euro pro Tonne Politisch ist das aber kaum durchsetz-bar Neue Pumpspeicherwerke werden sich deshalb wohl erst in mehreren Jahrzehnten lohnen

Was kann die Kleinwasserkraft leistenOhne die kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) wuumlr-de niemand Kleinwasserkraftanlagen bauen genauso we-nig wie Fotovoltaik- Wind- oder Biomasseanlagen Zurzeit gibt es aber allein bei der Kleinwasserkraft rund 1 000 An-meldungen fuumlr Foumlrderbeitraumlge mit einem bescheidenen Ge-samtpotenzial von 33 Terawattstunden pro Jahr Die oumlko-logischen Auswirkungen sind im Vergleich zum Ertrag zu gross Obwohl wir von marktverzerrenden Foumlrderprogram-men wegkommen sollten waumlre es in einer Uumlbergangs phase sinnvoll die KEV-Obergrenze von 10 Mega watt aufzuheben und dort zu foumlrdern wo es wirklich etwas bringt

Wie soll die Grosswasserkraft unterstuumltzt werdenDas Sinnvollste waumlre die Abkehr von der Subventions-maschinerie ndash und zwar auf europaumlischer Ebene Dann wuumlrde sich die Wasserkraft als effiziente erneuerbare Stromproduktionsform mit Sicherheit durchsetzen Min-destens als Uumlbergangsloumlsung waumlre aber die Entlastung

von Abgaben in erster Linie vom Wasserzins dringend Der maximale Wasserzins wurde in den letzten vier Jahren um 38 Prozent erhoumlht und wird naumlchstes Jahr um weite-re 10 Prozent angehoben Diese Erhoumlhung wurde 2008 beschlossen und steht heute in keinerlei Bezug mehr zur Ertrags lage Kurzfristig koumlnnten die Kantone auf einen Teil dieser Zinsen verzichten ndash das waumlre ein wichtiges politi-sches Zeichen Langfristig muss ein neuer Modus fuumlr die Zinsberechnung gefunden werden der die Ertragslage der Wasserkraft mitberuumlcksichtigt Das ist auch im Interesse von Bund Kantonen und Gemeinden schliesslich ist die Wasserkraft zu 85 Prozent in oumlffentlicher Hand Ebenfalls als Uumlbergangsloumlsung bis zu besseren Marktpreisen waumlren zinsguumlnstige Darlehen fuumlr die noumltigen Investitionen in die Grosswasserkraft denkbar Ohne mindestens eine dieser Massnahmen kann die Wasserwirtschaft das geforderte Ausbauziel nicht erreichen

Bis dahin gibt es noch eine weitere Huumlrde den Heimfall der Stauanlagen an die Standortgemeinden Welchen Ein-fluss hat dieser UmstandWenn die Konzessionen nach 80 oder 100 Jahren aus-laufen muss der Betreiber der Gemeinde eine Entschaumldi-gung fuumlr den Restwert der Anlagen entrichten Im Fall der Staumauer Barberine bezahlen die SBB und Alpiq 2017 an sechs Walliser Gemeinden 343 Millionen Franken Das 400-Seelen-Dorf Finhaut erhaumllt alleine 112 Millionen Fran-ken und weiss kaum wohin mit dem Geld Der gesamte Wert des Heimfalls der Anlagen bewegt sich schweizweit im Milliardenbereich Der Houmlhepunkt des Heimfalls wird um 2035 erreicht werden Bis zu diesem Zeitpunkt soll aber auch ein Grossteil der geforderten Produktionsstei-gerung umgesetzt werden

Bei der Stromproduktion ist ein Ausbau von uumlber 10 Pro-zent wohl nicht realistisch Wie sieht es bei der Speicher-leistung aus Hier muss man unterscheiden zwischen kurzfristiger und saisonaler Speicherung Fuumlr die saisonale Speicherung verfuumlgt die Schweiz mit 200 Speicherseen uumlber ein Vo-lumen von rund 9 000 Gigawattstunden (GWh) die jedes Jahr vom Sommer in den Winter umgelagert werden Dies

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Expertensicht

entspricht einem Viertel der jaumlhrlichen Produktion aus Wasserkraft Das Ausbaupotenzial durch die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren betraumlgt rund 2 000 GWh Falls der Ausbau aber nicht gelingt entsteht im Winter durch den Ausfall der Kernenergie eine immer groumlssere Luumlcke an Bandenergie die durch den Import von Atom- oder Kohlestrom gedeckt werden muss

Wie sieht es beim Ausbau der Pumpleistung zum kurzfris-tigen Ausgleich von Schwankungen im Netz ausGrundsaumltzlich ist das Potenzial fuumlr Pumpspeicherwerke in der Schweiz riesig Es braucht nur zwei Seen auf unter-schiedlicher Houmlhe Die Frage ist ob sich solche Investi-tionen rechnen Die Pumpspeicherwerke finanzieren sich

uumlber den Preisunterschied zwischen Band- und Spitzen-energie Wenn an einem schoumlnen Sommertag in Europa mittags die geballte Ladung an Sonnen- und Windener-gie eingespeist wird koumlnnen die Pumpspeicherkraftwerke sehr guumlnstig oder sogar zu Negativpreisen Strom bezie-hen Man darf aber nicht vergessen dass dieselbe Situa-tion fuumlr die Laufwasserkraftwerke die rund die Haumllfte der Wasserkraftproduktion in der Schweiz ausmachen den gegenteiligen Effekt hat Diese koumlnnen aus technischen konzessionsrechtlichen oder oumlkologischen Gruumlnden nicht vom Netz genommen werden und muumlssen fuumlr ihre Strom-produktion bezahlen Das kann gehoumlrig ins Geld gehen An Weihnachten 2012 lag der Strompreis zum Beispiel bei minus 30 Rappen pro Kilowattstunde

Roger Pfammatter laquoWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerbare Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichtenraquo

Bild Florian Wehrli

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cherseen zur Flexibilisierung Damit das gelingt muss der Wert der Wasserkraft staumlrker im Bewusstsein der Bevoumllke-rung verankert sein Und nicht zuletzt muss der Marktpreis so weit uumlber den Gestehungskosten liegen dass sich In-vestitionen in die Wasserwirtschaft rentieren

Versuchen das Bestehende zu erhalten Diese Vision klingt etwas resigniertDas ist eine Frage der Perspektive Die Wasserkraft hat als Technologie in der Schweiz seit Langem Bestand Sie befindet sich in einer anderen Situation als Fotovoltaik und Windenergie die sich in einem hochdynamischen Umfeld mit grossem Potenzial in Forschung und Wachstum be-finden Die Wasserkraft ist dagegen nicht mehr in der Auf-bruchsphase sondern in der Konsolidierungsphase Da-fuumlr kann man sich auf die Wasserkraftwerke verlassen Sie produzieren bei Tag und in der Nacht im Sommer wie im Winter bei Windstille oder im Nebel Auch der Erhalt und die Optimierung des Bestehenden sind grosse Heraus-forderungen und bedingen grosse Investitionen

Sehen Sie eine Moumlglichkeit wie die Schweizer Wasser-wirtschaft in Zukunft Geld mit Systemdienstleistungen wie Netzstabilitaumlt verdienen kannDie unregelmaumlssig einspeisenden Stromproduzenten neh-men keinerlei Systemverantwortung wahr Ich habe selbst ein Solarpanel auf dem Dach Wenn Produktion moumlglich ist speise ich Strom ins Netz ein wenn nicht beziehe ich Die Produzenten mehr in die Verantwortung zu nehmen faumlnde ich sinnvoll ndash zum Beispiel uumlber Zertifikate fuumlr Spei-cherleistungen Diese koumlnnten bei Pumpspeicherwerken bezogen werden

Welcher Ausbau der Pumpspeicherleistung ist dafuumlr noumltigDie installierte Leistung betraumlgt heute rund 14 Gigawatt (GW) Mit den im Bau befindlichen und den geplanten An-lagen kann die Kapazitaumlt maximal auf 51 GW ausgebaut werden ndash etwa die Haumllfte der Jahreshoumlchstlast im Netz Damit die Schweizer Wasserkraft aber einen Beitrag zur Stabilitaumlt des europaumlischen Stromnetzes leisten kann muumlssten auch das Stauvolumen und die Leitungskapazi-taumlt erhoumlht werden Hier sind die Einsprachen von Anwoh-nern und Umweltverbaumlnden noch gravierender als bei den Anlagen selbst

Braucht es neue rechtliche Instrumente um den geplan-ten Ausbau durchsetzen zu koumlnnenEs braucht vor allem die Einsicht dass die Wasserkraft das Ruumlckgrat unserer Versorgungssicherheit ist und die Aus-wirkungen eines Ausbaus immer auch mit den Alternativen verglichen werden muumlssen Wir befinden uns aber auch in einem intensiv genutzten Land mit vielen Partikularinteres-sen Diese muumlssen gewichtet und abgewogen werden In der Abwaumlgung zwischen Landschaftsschutz und Wasser-nutzung waumlre es hilfreich wenn Grosswasserkraftanlagen den Status von nationalem Interesse erhalten

Wie soll die Schweizer Wasserwirtschaft im Jahr 2035 aussehenIch wuumlnsche mir dass die bestehende Infrastruktur auf dem heutigen Stand erhalten optimiert oumlkologisiert und im Idealfall etwas ausgebaut wird Dazu gehoumlren etwa die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren sowie neue Spei-

Roger PfammatterSeit seinem Ingenieurstudium an der ETH Zuumlrich hat er sich in ver-schiedenen Rollen dem Wasser verschrieben Nach sieben Lehr- und Wanderjahren in der Forschung und in der Entwicklungszusammen-arbeit war er zehn Jahre beim Ingenieurunternehmen Ernst Basler + Partner engagiert Seit 2010 ist er Geschaumlftsfuumlhrer des Schweizeri-schen Wasserwirtschaftsverbandes (SWV) und Herausgeber der Zeit-schrift laquoWasser Energie Luftraquo In diesen Funktionen setzt er sich ein fuumlr den Fachaustausch und gute Rahmenbedingungen in den Bereichen Wasserkraft und Hochwasserschutz

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Die globalen Energiemaumlrkte sind seit einigen Jahren stark in Bewegung Volatile Erdoumllpreise die Foumlrderung von un-konventionellen Gasvorkommen in grossem Stil die mas-sive Subventionierung von neuen erneuerbaren Energien in Deutschland der laquoarabische Fruumlhlingraquo und der Konflikt in der Ukraine hinterlassen Spuren Die Folge sind starke Verwerfungen an den Maumlrkten und fehlende Investitionssi-cherheit In diesem dynamischen und unsicheren Kontext will der Bund die bisherige Energiepolitik neu ausrichten ndash wahrlich eine Herkulesaufgabe Die Schweizer Wirtschaft verlangt dass der Bund bei der Neuausrichtung der Ener-giepolitik seinem in der Verfassung verankerten Auftrag nachkommt und sich fuumlr eine ausreichende sichere breit gefaumlcherte wirtschaftliche und umweltvertraumlgliche Ener-gieversorgung einsetzt Somit ist klar Die Energiestrate-gie 2050 muss in erheblichen Teilen optimiert und justiert werden Nur wenn vernetzt gedacht wird ist eine sichere Versorgung zu wettbewerbsfaumlhigen Preisen moumlglich

Prognosen klaffen weit auseinanderSeit Jahrzehnten bietet der Strommix aus Wasserkraft (knapp 60 Prozent) und Kernenergie (40 Prozent) Gewaumlhr fuumlr eine sichere klimafreundliche und wirtschaftliche Ener-gieversorgung Im Rahmen der Energiestrategie 2050 muss die Kernenergie langfristig ersetzt werden Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen zumal die Ziele des Bundes

Lebenselixier der Wirtschaft

Die Schweizer Wirtschaft ist auch in Zukunft auf eine sichere und wirtschaftliche Stromver-sorgung angewiesen Die Ener-giestrategie 2050 setzt stark auf Subventionen Dadurch entstehen Fehlanreize welche die Versorgungssicherheit ge-faumlhrdenText Kurt Lanz

Expertensicht

in Bezug auf das Potenzial der neuen erneuerbaren Ener-gien von Wunschdenken geleitet sind Die neuen erneuer-baren Energien werden sich langsamer entwickeln als an-gestrebt Der Bund rechnet mit rund 12 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2035 die Schweizer Wirtschaft mit 44 TWh Die vorsichtigeren Prognosen der Wirtschaft scheinen re-alistischer Dies zeigen exemplarisch die gescheiterten Geothermieprojekte in Basel und St Gallen Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Nachfrageprognosen Der Bund rechnet in seinen Szenarien mit einem Ruumlckgang des Stromverbrauchs pro Kopf von 16 Prozent zwischen 2000 und 2035 Die Schweizer Wirtschaft orientiert sich in ihren Szenarien am Verband Schweizerischer Elektrizitaumlts-unternehmen (VSE) der weiter mit einer steigenden Nach-frage rechnet Die Wirtschaft fordert von der Politik eine vernuumlnftige Planung aufgrund realistischer Schaumltzungen Die Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energiestrategie nicht gefaumlhrdet werden

Subventionen fuumlhren zu FehlanreizenDie Schweiz hat seit vielen Jahrzehnten erfolgreich die Wasserkraft vorangetrieben Aus politischen Gruumlnden wird nun die ndash unregelmaumlssige ndash Stromproduktion durch Sonnen- und Windenergie forciert Unsere sogenann-te kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) entspricht dem deutschen Foumlrdermodell Beide haben das gleiche Ziel Sie sollen erneuerbare Energien ausbauen indem sie neue Formen der Stromproduktion zur Marktreife brin-gen Weil das KEV-System die Sonnen- und Windenergie massiv foumlrdert kommt ein weiterer Ausbau der bewaumlhrten Wasserkraft nicht infrage Diese Entwicklung gefaumlhrdet die Versorgungssicherheit der Schweiz Auf den ersten Blick sinken zwar die Produktionskosten fuumlr Solarstrom gleich-zeitig steigen aber die Kosten fuumlr Speicherung und Inte-gration ins Netz spuumlrbar Auch ist der Ausbau von Solar- und Windenergie nur von beschraumlnktem Nutzen solange keine ausreichenden Speicherkapazitaumlten vorhanden sind Nur Preissignale koumlnnen das Investitionsverhalten von Stromproduzenten Netzbetreibern und Konsumen-ten sinnvoll lenken Subventionen sind zu beseitigen denn sie fuumlhren zu Fehlanreizen

41COMPETENCE | 2014

Alle Optionen offenhaltenOffenheit und Neugier gehoumlren zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft Kategorisches Abwehrverhalten und Denkverbote verhindern konstruktive Loumlsungsansaumltze und Innovation Eine sichere und kostenguumlnstige Strom-versorgung kann auch in Zukunft nur mit der notwendi-gen Offenheit gegenuumlber allen Technologien und Energie-

systemen garantiert werden Die Schweiz ist dank einer erfolgreichen Hochschulland-schaft und vielen Technolo-gieunternehmen gut geruumlstet Die verschiedenen Energie-systeme muumlssen faktenba-siert und ohne ideologische

Scheuklappen verglichen werden Nur so koumlnnen effizi-ente und umweltvertraumlgliche Loumlsungen gefunden werden Das heutige System der Foumlrderung der neuen erneuer-baren Energien ist durch ein marktorientiertes System ab-zuloumlsen Produzenten die nachfragegerecht einspeisen sollen eine houmlhere Verguumltung erhalten als andere Auch soll der Vorrang der Netzeinspeisung fuumlr subventionierte Energietraumlger aufgehoben werden

laquoDie Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit

des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energie strategie nicht

gefaumlhrdet werdenraquo

Schnellere Verfahren anstrebenGrundvoraussetzung fuumlr eine Neuausrichtung der Ener-giepolitik sind funktionierende Stromnetze Diese muumls-sen zwingend parallel zum Umbau der Stromproduktion weiterentwickelt werden Allein der noumltige Ausbau der Uumlbertragungsnetze belaumluft sich auf rund 1 000 Kilometer bis ins Jahr 2020 Erforderlich sind zudem Investitionen in alle Verteilernetzebenen Al-lerdings verzoumlgern komplizier-te Verfahren auf Kantons- und Bundesebene den Ausbau Ausserdem erwaumlchst praktisch jedem Projekt Widerstand von privater Seite was zu weiteren Verzoumlgerungen fuumlhrt Die Wirt-schaft fordert deshalb Bei Bewilligungen von Stromnetzen ist der Gang vors Bundesgericht nur noch bei Grundsatz-fragen moumlglich Umbauten sowie Spannungs- und Kapa-zitaumltserweiterungen koumlnnen ohne Planungsgenehmigung realisiert werden Ausserdem sind die Verfahren bei einer einzigen Leitbehoumlrde anzusiedeln

Spielfeld erweiternDie Schweiz ist seit jeher ein wichtiges Stromtransitland Schon seit den 90er-Jahren treibt die EU die Vereinheitli-chung des Binnenmarkts fuumlr Strom hin zu einem eigent-lichen EU-Strommarkt voran In der Schweiz erweist sich die gesetzliche Trennung von Grundversorgung und Markt diesbezuumlglich zunehmend als Hindernis Aus Sicht der Wirtschaft ist die vollstaumlndige Liberalisierung des Strom-markts eine zwingende Voraussetzung fuumlr eine erfolgrei-che energiepolitische Neuausrichtung

Eine Marktoumlffnung wuumlrde insbesondere auch den erneuer-baren Energien neue Chancen eroumlffnen und Zugang zu neuen Kunden gewaumlhren Von hoher Wichtigkeit ist auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU Je groumlsser der Anteil erneuerbarer Energien umso wichtiger ist die Einbettung in Europa denn Investitionen in Netze und Produktion koumlnnen in Koordination mit der EU wirkungsvoller und wahrscheinlich kostenguumlnstiger getaumltigt werden

Kurt LanzKurt Lanz ist Leiter Infrastruktur Energie und Umwelt sowie Geschaumlftsleitungsmitglied von economiesuisse dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft

Gut vernetzt ndash Vorschlaumlge der Schweizer Wirtschaftzur EnergiepolitikDie Publikation basiert auf der Grundlagenarbeit der breit abgestuumltz-ten Energiekommission von economiesuisse und macht konstruk-tive Vorschlaumlge fuumlr einen erfolgreichen energiepolitischen Weg der Schweiz Download unter wwweconomiesuissech

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

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Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

Bild

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

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ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

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Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 28: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

28 COMPETENCE | 2014

Die Energiewende stellt die Energieversorgungsunternehmen in der Schweiz vor grosse Herausforderungen Das Beispiel von Stadtwerk Winterthur zeigt wie die Branche auf den Paradig-menwechsel reagiertText Florian Wehrli

Von den Anfaumlngen als laquoWinterthurer Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtungraquo vor uumlber 150 Jahren bis zum modernen Querverbundunternehmen hat sich Stadtwerk Winterthur kontinuierlich weiterentwickelt Seine Aufgabe ist aber gemaumlss Direktor Markus Saumlgesser weitgehend dieselbe geblieben die Lebensqualitaumlt der Bevoumllkerung zu verbes-sern So bietet das staumldtische Versorgungsunternehmen neben klassischen Produkten wie Wasser Strom Gas oder Kehrichtentsorgung und Abwasserreinigung heute auch Fernwaumlrme Haustechnik Glasfasernetz und Ener-gie-Contracting an Die Ausdehnung auf neue Geschaumlfts-bereiche will der Direktor aber nicht als Reaktion auf die Liberalisierung des Energiemarkts verstanden wissen laquoWir begegnen der Marktoumlffnung proaktiv und wollen die sich bietenden Chancen aktiv nutzenraquo

Lokales Potenzial ausgeschoumlpftIm liberalisierten Markt hat das staumldtische Versorgungs-unternehmen mit dem Monopol auf sein Energieversor-gungsnetz von gesamthaft mehr als 2 500 Kilometern einen Vorteil Dessen Unterhalt ist nach wie vor eine der Hauptaufgaben Im Gegensatz zu anderen Energieversor-gern betreibt Stadtwerk Winterthur naumlmlich einen verhaumllt-nismaumlssig geringen Anteil an eigenen Produktionsanlagen Das Flaggschiff ist die wohl modernste Kehrichtverwer-tungsanlage der Schweiz laquoMit dem Umbau konnten wir 2013 den Wirkungsgrad der Anlage um einen Drittel stei-gern und die Abluft gehoumlrt zu den saubersten weltweitraquo sagt Markus Saumlgesser Heute deckt die KVA 20 Prozent des Winterthurer Strom- und 12 Prozent des Waumlrmebe-darfs ab Auf solchen Lorbeeren ausruhen will sich Stadt-werk Winterthur aber nicht laquoWir wollen mithelfen eine nachhaltige Energiewirtschaft aufzubauenraquo Mittelfristig soll

die Haumllfte des Stromangebots aus erneuerbaren Quellen stammen laquoDas ist ein ehrgeiziges Zielraquo sagt Saumlgesser laquowir sind aber auf gutem Weg dazuraquo

Rund die Haumllfte des Rahmenkredits von 90 Millionen Franken fuumlr erneuerbaren Strom den das Winterthurer Stimmvolk 2012 bewilligt hat ist bereits investiert Im Bereich Fotovoltaik ist die Planung der groumlssten Anlagen abgeschlossen etwa auf den Daumlchern der Eishalle oder des Busdepots Eine aktuelle Windpotenzialstudie zeigt fuumlr Winterthur nur wenige moumlgliche Standorte auf zumal die Bewilligung solcher Anlagen mit grossem buumlrokratischem Aufwand verbunden sei Mit diversen Nahwaumlrmever-buumlnden nutzt Stadtwerk Winterthur auch Holzabfaumllle bereits sehr effizient Aber auch dieser Energietraumlger ist in Winterthur beschraumlnkt vorhanden Das letzte Projekt das Holz aus dem Winterthurer Stadtwald einsetzen wird ist in der Aufbauphase Studien im Bereich Wasserkraft haben gezeigt dass abgesehen von einem Kleinwasser-kraftwerk an der Toumlss in der Region kaum Potenzial vor-handen ist

Investitionen im AuslandlaquoDiese aufwendige Aufbauarbeit soll nicht zur Regel wer-denraquo sagt Markus Saumlgesser laquoDas limitierte Energiepoten-zial in der Schweiz und die beschwerlichen Instanzenwe-ge fuumlr Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie lassen uns deshalb vermehrt im Ausland investierenraquo 2012 be-teiligte sich das Stadtwerk mit 12 Millionen Franken am Kleinkraftwerk Birseck AG das Kleinwasserkraftwerke und Foto voltaikanlagen in der Schweiz und in Frankreich be-treibt 2013 folgte eine Beteiligung in der Houmlhe von 25 Mil-lionen Franken an der Swisspower Renewables AG die in

Vom Versorger zum Dienstleister

Unternehmensperspektive

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sein glaubt er aber nicht daran dass der Stromverbrauch insgesamt zuruumlckgehen wird laquoDafuumlr ist der Marktpreis zu niedrig Aus serdem wird Strom im Bereich Waumlrme und Mobilitaumlt einen Grossteil der fossilen Energietraumlger ersetzen muumlssenraquo Damit der geplante Verbrauchsruumlck-gang dennoch gelingt will der Bund Anreize schaffen Mit sogenannten weissen Zertifikaten will er die Versor-ger be lohnen wenn sie ihre Kunden zu einem geringeren Energie verbrauch bewegen In Grossbritannien Italien und Frankreich sind solche Modelle bereits im Einsatz Markus Saumlgesser sieht dieser Entwicklung mit gemischten Gefuumlh-len entgegen laquoWir haben bereits vor der Reaktorkatastro-phe in Fukushima auf Energieeffizienz gesetzt und konn-ten uns dadurch profilieren Weil die Politik nun eingreift und den Markt uumlbersteuert bleibt uns als Unternehmen weniger Spielraum um uns zu positionierenraquo

Windkraftanlagen im angrenzenden Ausland investiert Fuumlr die Beschaffung von Strom am freien Markt ist das Stadtwerk eine Zusammenarbeit mit der Trianel GmbH in Aachen ndash einer der fuumlhrenden Stadtwerke-Kooperationen in Europa ndash eingegangen Damit sollen insbesondere der Zugang zum Grosshandelsmarkt sowie die Marktfor-schung sichergestellt werden Denn um Kunden nachhal-tige Energieprodukte verkaufen zu koumlnnen muss man ihre Beduumlrfnisse genau kennen

Anreize fuumlr geringeren VerbrauchDie Strategie scheint aufzugehen laquoSeit der Einfuumlhrung der neuen Stromprodukte Anfang 2013 haben wir den Absatz von erneuerbarer Energie in Winterthur verdop-pelt und denjenigen von Oumlkostrom sogar vervierfachtraquo so Saumlgesser Trotz dem steigenden oumlkologischen Bewusst-

Gemaumlss seinem Leitbild soll Stadtwerk Winterthur mit einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der soziashylen Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Bild Michael Lio

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Ausgliederung aus der StadtverwaltungAuch auf kommunaler Ebene ist Stadtwerk Winterthur von den politischen Rahmenbedingungen abhaumlngig ndash mit allen Vor- und Nachteilen Die politischen Kurswechsel in den vorgesetzten Gremien seien hinderlich bei der Umsetzung der Strategie des Unternehmens laquoWir taumltigen Investitio-nen mit einem Planungshorizont von mehreren Jahrzehn-tenraquo sagt Markus Saumlgesser laquoin der Politik wird dagegen in Amtsperioden von vier Jahren gedachtraquo Es gibt deshalb Bestrebungen das Stadtwerk aus der Stadtverwaltung auszugliedern und einem langfristig operierenden Steue-rungsgremium zu unterstellen Bei der Stimmbevoumllkerung geniesst Stadtwerk Winterthur grossen Ruumlckhalt Alleine in den letzten zwei Jahren wurden vier Abstimmungsvor-lagen mit grossem Mehr angenommen darunter Rah-menkredite fuumlr das Energie-Contracting oder erneuerbare Energien laquoEine bessere Legitimation koumlnnen wir uns gar nicht wuumlnschenraquo sagt Markus Saumlgesser

Neue BetriebskulturStrategisch und energiepolitisch werden Dienstleistungen wie das Energie-Contracting fuumlr Stadtwerk Winterthur immer wichtiger laquoWir wollen unserer Kundschaft Waumlr-me oder Kaumllte gleich komfortabel anbieten koumlnnen wie Stromraquo sagt Markus Saumlgesser laquoImmobilienbesitzerinnen und -besitzer sollen sich nicht mehr um den Fuumlllstand ih-res Oumlltanks oder den Termin fuumlr den Kaminfeger kuumlmmern muumlssenraquo Das Energie-Contracting waumlchst stark und macht heute bereits rund 5 Prozent des Umsatzes von Stadtwerk Winterthur aus

Die neuen Geschaumlftsfelder ziehen auch andere Arbeits-kraumlfte an als bisher Verschiedene Betriebskulturen seien in den vergangenen Jahren teilweise parallel gelaufen be-ginnen nun aber langsam zu verschmelzen Ein Beispiel dafuumlr ist die Verknuumlpfung von Smart Metering und dem traditionellen Verteilnetz Elektrizitaumlt Als Voraussetzung fuumlr das Change-Management in der Betriebskultur habe man alle Mitarbeitenden in die Erarbeitung des Unterneh-mensleitbildes involviert Entstanden ist ein Leitbild das Stadtwerk Winterthur dabei unterstuumltzt die Unterneh-mensstrategie umzusetzen Stadtwerk Winterthur soll mit

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

Markus SaumlgesserMarkus Saumlgesser (52) ist diplomierter Ma-schineningenieur ETH und hat ein Nachdi-plomstudium in technischen Betriebswissen-schaften absolviert Seit Anfang 2011 ist er Direktor von Stadtwerk Winterthur Seine bisherige berufliche Taumltigkeit fuumlhrte Markus Saumlgesser nach zwei Jahren Assistenz an der ETH zu einem Ingenieurbuumlro fuumlr Ener-gie- und Haustechnik Waumlhrend dieser rund sechsjaumlhrigen Zeit war er bei anspruchsvol-len Bauprojekten verantwortlich fuumlr die Konzeption und Koordination der technischen Gebaumludeausruumlstung Zudem war er waumlhrend vier Jahren Mitglied der Geschaumlftsleitung Nach zweijaumlhriger Taumltigkeit als Abteilungsleiter in einer groumlsseren Gemeinde wechselte er zum Elek-trizitaumltswerk der Stadt Zuumlrich (EWZ) bei dem er die Abteilung Vertrieb Grosskunden leitete Daneben war Markus Saumlgesser beim EWZ in verschiedene Innovationsprojekte involviert So zeichnete er fuumlr das Projekt laquoStromzukunft Stadt Zuumlrichraquo verantwortlich das wichtige Grundlagen fuumlr die Strategie des EWZ und die Volksabstimmung zur 2000-Watt-Gesellschaft in der Stadt Zuumlrich beisteuerte

Stadtwerk Winterthur in Zahlen (2013)Mitarbeitende 347Nettoinvestitionen 1198 Mio CHFDurchgeleitete Strommenge 5643 Mio kWhUmsatz Strom 93 Mio CHFDurchgeleitete Gasmenge 5295 Mio kWhUmsatz Gas 411 Mio CHFUnternehmensgewinn 109 Mio CHF

einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der sozia-len Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Wann wurden in Winterthur die ersten Strassenlampen mithilfe von Stein-kohle erleuchtet

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Unternehmensperspektive

ckelte Hochspannungsgleichstromschalter sollen zudem sicherstellen dass etwa ein Kurzschluss durch eine hy-perschnelle Abschaltung isoliert und das Netz somit nicht gefaumlhrdet wird Von 14 solchen Schaltsystemen welt-weit stammen 13 von ABB Die hohen Investitionen fuumlr die armdicken Gleichstromkabel rechnen sich da beim Transport viel weniger Strom verloren geht als bei der tradi tionellen Wechselstromtechnik Die Produktelinie ent-wickelt sich zum Renner Sie wird zur Anbindung von So-lar- und Windparks zur Versorgung von Inseln als Ersatz fuumlr Diesel generatoren auf Oumll- und Gasplattformen auf See eingesetzt Oder um Starkstrom vom Festland zu auf dem Meeresboden platzierten ferngesteuerten Foumlrderanlagen fuumlr Gas und Oumll zu leiten ndash wofuumlr ABB auch wartungsfreie Kompressoren liefert damit Kunden wie Statoil und Pet-robras teure Ausfaumllle erspart bleiben

Komplettloumlsungen aus einer HandDank hohem Innovationstempo sind die Divisionen Ener-gietechnik- und Niederspannungsprodukte gut ausgelas-tet Dies gilt ebenso fuumlr die Divisionen Industrie- und Pro-zessautomation Speziell energieintensive Industrien die unter hohem Kostendruck stehen muumlssen ihre Anlagen auf dem neusten Stand halten Dazu zaumlhlen Bergbau Oumll- und Gasindustrie Zellstoff- Papier- und Zementfabriken Chemie- und Pharmafirmen sowie Raffinerien Gefragt sind auch Industrieroboter und schwenkbare dank ABB-Leistungselektronik stufenlos regulierbare Schiffsantrie-be ABB liefert Grosskunden fertige Loumlsungen die hohe Produktivitaumlt und Energieeffizienz gewaumlhrleisten Alles ist aufeinander abgestimmt von der Elektrik uumlber Antriebe Generatoren Roboter Sensoren und Steuerungen bis hin

Zu Beginn des Jahrtausends stand ABB am Abgrund Doch eine neue Fuumlhrungscrew fuumlhrte das Unternehmen aus der Krise sodass die Schweiz inzwischen wieder stolz sein kann auf ihren Industriemulti mit Sitz in Zuumlrich Oerli-kon 2013 erzielte ABB mit rund 148 000 Mitarbeitenden in 100 Laumlndern 42 Milliarden Dollar Umsatz Die renom-mierte US-Universitaumlt MIT zaumlhlt ABB zu den 50 innova-tivsten Unternehmen weltweit Dank 8 000 Ingenieuren in Forschung und Entwicklung und einem Forschungsetat von 15 Milliarden Dollar kann ABB selbst mit Giganten wie Siemens und General Electric mithalten

Innovationen die Technikfans begeisternWas ABB alles macht wissen wohl nur Technikfans Denn der Konzern hat uumlber 70 000 Produkte im Angebot Die 300 ABB-Fabriken liefern taumlglich 15 Millionen Kompo-nenten aus die zu elektrischen Einrichtungen oder in Pro-duktionssteuerungen verbaut werden Aus Kanada etwa kam juumlngst ein Grossauftrag uumlber 400 Millionen Dollar Erneuerbare Energie die auf Neufundland und Labrador gewonnen wird soll ab 2017 via Hochspannungskabel 360 Kilometer nach Westen fliessen um dort 350 000 Haumluser zu versorgen Weltweit gibt es erst 90 solche Gleichstromkabelverbindungen die meist unter der Erde oder auf dem Meeresgrund verlaufen ABB ist mit rund 50 Prozent Anteil Marktfuumlhrer Die futuristisch anmuten-de Technik in den abgeschirmten Hallen wo der Strom vor dem Transport auf Hochspannung transformiert wird erinnert an den Maschinenraum von Raumschiff Enter-prise Ein wichtiges Steuerungselement bilden dabei in Baden Daumlttwil entwickelte und in Lenzburg produzierte Spezialchips die Houmlchstspannung aushalten Neu entwi-

Der schweizerisch-schwedische Technikkonzern treibt an vor-derster Front die Energiewende voran Dafuumlr forscht man bei ABB intensiv zu erneuerbaren Energien schlauen Stromnetzen sowie hocheffizienten Industrieanlagen Einzig die schwache Nachfrage nach Energieanlagen in Europa bremst die ExpansionText Andreas Fluumltsch

Innovativer Treiber der Energiewende

33COMPETENCE | 2014

uumlber weite Strecken in die Ballungsraumlume geleitet werden muss brummt das Geschaumlft In den USA treibt der Oumll- und Gasboom die Nachfrage Nur in Europa harzt das Geschaumlft mit Grossanlagen Weniger Nachfrage belastet die Margen bei Auftraumlgen fuumlr Wind- und Solarfarmen so-wie fuumlr Netzinfrastruktur Die Risiken der oft mehrjaumlhrigen Projekte sind so hoch dass ABB waumlhlerischer sein muss und etwa das Geschaumlft mit Solarloumlsungen zurzeit auf Sparflamme betreibt Dennoch ist ABB immer noch hoch-profitabel nicht zuletzt da die Kosten Jahr fuumlr Jahr um 3 bis 5 Prozent gesenkt werden Aber der erfolgsgewohnte Konzern musste sich 2013 mit 6 Prozent Umsatzplus zu-friedengeben Umso intensiver treibt der neue ABB-Chef Ulrich Spiesshofer die Integration der vorab in den USA fuumlr 10 Milliarden Dollar getaumltigten Zukaumlufe voran Und Spiess-hofer forciert die Zusammenarbeit der Divisionen damit ABB die Unternehmensvision laquoEnergie und Produktivitaumlt fuumlr eine bessere Weltraquo mit moumlglichst vielen eigenen Pro-dukten realisieren kann

zur Leittechnik samt angepasster Software Kleine und mittlere Kunden ordern Komponenten oder Teilsysteme Ein wichtiges Verkaufsargument ist das Sparpotenzial von stufenlos steuerbaren Elektromotoren Nur einer von fuumlnf Motoren hat laut einer Erhebung des Bundes einen Leis-tungsregler der Rest laumluft auf Hochtouren und wird ndash man glaubt es kaum ndash bei Bedarf mit Klappen oder Ventilen mechanisch abgebremst Eine gigantische Verschwen-dung da Industriemotoren laut einer Studie der Schwei-zerischen Agentur fuumlr Energieeffizienz 27 Prozent des Schweizer Stromverbrauchs ausmachen

Europaumlische ZuruumlckhaltungEigentlich muumlsste die Division Energietechniksysteme ebenfalls ausgelastet sein Denn auch die Stromwirtschaft muss ihre Effizienz steigern Schliesslich erfordert die Energiewende einen Totalumbau der auf Verteilung ausge-richteten Netze damit diese unter der Last von Solar- und Windenergie nicht instabil werden Arbeit in Huumllle und Fuumllle fuumlr ABB sollte man meinen Doch der erst zaghafte Auf-schwung in Europa daumlmpft die Nachfrage Erschwerend kommt hinzu dass subventionierte Wind- und Solarener-gie in Europas liberalisiertem Strommarkt den Strompreis in ungeahnte Tiefen druumlckte Die Konkurrenzfaumlhigkeit von Wasser- Gas- und Atomkraftwerken hat gelitten Pump-speicher sind keine Goldesel mehr seit die erneuerbaren Energien die Preisspitzen brechen Entsprechend schie-ben Stromkonzerne wie Alpiq oder RWE Investitionen auf Unsicherheiten rund um den Atomausstieg belasten zu-saumltzlich Die voraussichtlich noch auf Jahre hinaus tiefen Strompreise schmaumllern auch die Faumlhigkeit der Besitzer von Hochspannungs- und Verteilnetzen deren Umruumlstung zu finanzieren hoch verschuldete EU-Staaten fahren die Foumlrderung von Wind- und Solarenergie zuruumlck

Straffe KostenkontrolleABB bekommt den Investitionsstau empfindlich zu spuuml-ren Die Division Energietechniksysteme schreibt seit eini-ger Zeit rote Zahlen Zwar ordern Grosskunden aus Asien und Lateinamerika weiterhin kraumlftig Neben China inves-tiert vermehrt auch Indien in neue Stromnetze Uumlberall dort wo die Bevoumllkerung rasch waumlchst oder der Strom

Andreas FluumltschAndreas Fluumltsch war urspruumlnglich Jurist und arbeitete ab 1983 als Journalist fuumlr laquoBlickraquo laquoWeltwocheraquo laquoBilanzraquo und laquoCashraquo Zwischen 1989 und 1990 war er Mitglied der Geschaumlftsleitung von Greenpeace Schweiz anschliessend Hausmann Nach der Ruumlck-kehr in den Journalismus 1992 arbeitete er bei laquoBlickraquo laquoSonntagszeitungraquo und laquoTages- Anzeigerraquo und absolvierte eine Ausbildung zum Boumlrsenhaumlndler Nach der Fruumlhpensio-nierung Ende 2013 machte er sich als Publi-zist selbststaumlndig

ABB in Zahlen (2013)Betriebsertrag 41 848 Mio USDBetriebsergebnis 4 387 Mio USDndash Industrieautomation 1 458 Mio USDndash Niederspannung 1 092 Mio USDndash Prozessautomation 990 Mio USDndash Energietechnik 1 331 Mio USDndash Energiesysteme 171 Mio USD

Mitarbeitende 147 700ndash davon in der Schweiz 6 966

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Hohe Nachfrage nach MinergieDer Erfolg der bisherigen Sparbemuumlhungen bleibt nicht aus laquoTrotz zunehmender Pro-Kopf-Wohnflaumlche und stei-gendem Komfort sinkt der Energieverbrauch fuumlrs Heizen in den letzten Jahrzehnten stetigraquo verkuumlndet der Zuumlrcher Regierungsrat im Energieplanungsbericht 2014 Dazu tra-gen nicht nur die laufend verschaumlrften Gesetze bei Ebenso wichtig ist die Bereitschaft von Bautraumlgerschaften freiwillig Uumlberdurchschnittliches zu leisten Vor allem die Minergie-Regeln werden inzwischen gerne befolgt weshalb Haumluser mit halbiertem Energieverbrauch beinahe Standard sind Schweizweit traumlgt eines von zehn neuen Wohnhaumlusern ein Minergie-Zertifikat Der Anteil an Minergie-Haumlusern im Grossraum Zuumlrich liegt gemaumlss einer Marktanalyse der Universitaumlt Zuumlrich bereits nahe bei 20 Prozent Dies ist privaten Hauseigentuumlmern und institutionellen Investoren zu verdanken Wohn- und Geschaumlftshaumluser mit houmlchster Energieeffizienz gehoumlren inzwischen zum guten Ton Den juumlngsten Beweis liefert eine Immobilienstiftung der Credit Suisse die 70 Millionen Franken in die groumlsste Oumlkosied-lung der Schweiz investiert Im Aargauer Reusstal wohnen seit diesem Jahr rund 200 Familien Paare und Singles deren Wohnhaumluser sich weitgehend selbst mit Sonnen-energie versorgen So klimafreundlich die Energiewende-Architektur ist der Investor erwartet dennoch marktuumlb-liche Renditen Ist der Markt aber bereit oumlkologisches Engagement angemessen zu honorieren

Marktpotenzial fruumlhzeitig erkanntDie Zuumlrcher Kantonalbank (ZKB) beziffert den Mehrwert von Minergie-Haumlusern auf 7 Prozent Kaumlufer seien bereit diesen Aufpreis fuumlr mehr Energieeffizienz zu bezahlen Als weitere Nebeneffekte nennt der vor drei Jahren publizierte ZKB-Bericht eine hochwertige dauerhafte Bausubstanz sowie die Absicherung gegen steigende Oumll- und Energie-preise Fachleute des Immobilienberatungsunternehmens Wuumlest amp Partner (WampP) warnen indes dass sich zusaumltz-liche Investitionen in die Energieeffizienz nicht uumlberall loh-nen laquoRegional schwankt die Zahlungsbereitschaft des Immobilienmarktsraquo praumlzisiert WampP-Partner Ivan Anton Minergie-Haumluser koumlnnen aber nicht nur in abgelegenen Regionen ein Marktrisiko werden laquoMit Ausnahme der

Beim Autokauf wird bevorzugt auf Pferdestaumlrken Be-schleunigung und Innenausstattung geachtet Der CO2-Ausstoss interessiert hingegen kaum So kommt die Energieeffizienz im Strassenverkehr nur stockend voran 1995 schluckten alle neu immatrikulierten Personen-wagen durchschnittlich 9 Liter Benzin pro 100 Kilometer 20 Jahre spaumlter liegt der Durchschnittsverbrauch gemaumlss Bundesamt fuumlr Energie (BFE) immer noch uumlber 6 Litern Das viel gepriesene laquoDrei-Liter-Autoraquo haben alle Hersteller wieder aus der Modellpalette genommen

Demgegenuumlber gelingen dem oft traumlge genannten Ge-baumludebereich weitaus groumlssere Effizienzspruumlnge Ver-brauchen 40 Jahre alte Haumluser im Schnitt 220 Kilowatt-stunden (kWh) Heizenergie pro Quadratmeter Wohnflaumlche und Jahr sind die aktuellen Werte unter die 50er-Marke gesunken Zusaumltzliche Sparerfolge sind nur eine Frage der Zeit Im Fruumlhsommer haben die kantonalen Energie-direktoren uumlber ein Rahmenabkommen beraten das Null-energieneubauten demnaumlchst zum Standard machen soll Wie die nationale Energiewende zu erreichen ist erklaumlrt Christoph Gmuumlr von der Abteilung Energie des Kantons Zuumlrich laquoDer spezifische Verbrauchswert ist zudem auf 35 kWh pro Quadratmeter zu senkenraquo Gebaumlude die sich mit umweltfreundlicher Energie selbst versorgen wollen auch die EU-Staaten Ab 2020 wird ein Gebaumludestandard eingefuumlhrt der nur noch laquoNiedrigstenergiegebaumluderaquo mit sehr hoher Energieeffizienz als Neubauten vorsieht

Energiesparhaumluser waren vor 30 Jahren Exoten inzwischen nimmt der Bereich der energie-effizienten Gebaumlude eine Vor-bildrolle fuumlr die Energie wende ein Bauherren profitieren davon ebenso wie die Zuliefer-branche Text Paul Knuumlsel

Expertensicht

Haumluser in der ersten Reihe

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der Bau von Niedrigenergiehaumlusern und alternativen Hei-zungsanlagen sowie energetische Gebaumludesanierungen Investitionen im Umfang von rund 4 Milliarden Franken ausgeloumlst rechnet der Bund vor laquoEin Fuumlnftel insgesamt 860 Millionen Franken stammt aus den oumlffentlichen Kas-senraquo verweist die BFE-Stelle EnergieSchweiz auf die Im-pulse der kantonalen Foumlrderprogramme Einen Wermuts-tropfen besitzt diese Wirkungsbilanz Fruumlhere Analysen der Energiesparprogramme zeigen naumlmlich dass zwi-schen einem Drittel und der Haumllfte der energetisch vorbild-lichen Gebaumlude auch ohne staatliche Foumlrderung realisiert worden waumlren Dem Mitnahmeeffekt ist auch die Eidge-noumlssische Steuerverwaltung auf der Spur Sie schaumltzt dass Bund und Kantonen jaumlhrlich 14 Milliarden Franken entgehen weil energetische Gebaumludesanierungen bei der Liegenschaftssteuer abzugsberechtigt sind Die Energie-wende erfordert nicht nur mehr Effizienz bei den Anwen-dungen sondern auch einen effizienten Einsatz staatlicher Mittel Im Energieplanungsbericht 2013 hat der Zuumlrcher Regierungsrat erstmals uumlber alternative Anreizsysteme nachgedacht Demnach soll eine Lenkungsabgabe den Energiekonsum reduzieren und das bisherige Foumlrdersys-tem abloumlsen Aumlhnliche Plaumlne verfolgt der Bund Denn ein Lenkungssystem duumlrfte weitere Sparbemuumlhungen im Ge-baumludebereich aber auch im Strassenverkehr foumlrdern Ins-besondere dann wenn Heizoumll und Benzin im Gleichschritt teurer werden

begehrten Wohnlagen haben Hauseigentuumlmer an vielen Orten mit moumlglichen Verkaufsverlusten zu rechnenraquo so Anton Zwar sei die Nachfrage bei Eigentuumlmern und Mie-tern aumlhnlich gross Aber auch Mieter wuumlrden nicht uumlberall mehr fuumlr eine energieeffiziente Wohnung bezahlen Kaum uumlberraschen darf daher dass Immobilieninvestoren immer haumlufiger die steigenden Energieanforderungen kritisieren und kostenguumlnstigere Baustandards vorziehen Fuumlr WampP-Berater Urs Hausmann ist laquonachhaltiges Bauen trotzdem keine Frage von Luxus oder Wohlstand sondern eine wie man mit Ressourcen umgehen willraquo Dass ein hohes Um-weltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauen Der Run auf den oumlkologischen Baustoff Holz laumlsst zum Beispiel eine gesamte Wertschoumlpfungskette und viele

innovative Unternehmen profitieren Forstbetriebe Sauml-gereien Fensterbauer Daumlmmstoffhersteller und andere Bauzulieferer vergroumlssern ihre Produktionskapazitaumlten und stellen zusaumltzliches Personal ein laquoDie Umsaumltze im Schweizer Holzbau sind in den letzten Jahren um mehrere Hundert Millionen Franken gestiegen und die Trendkurve zeigt weiter nach obenraquo freut sich Christoph Starck Di-rektor des Holzbaudachverbands Lignum

Einheimische Zulieferer als GewinnerAuch im Verein Minergie ist man sich bewusst dass sich energieeffizientes Bauen wirtschaftlich positiv auswirkt In den letzten 15 Jahren sind 25 000 Wohnhaumluser Buumlro-komplexe Schulbauten Sport- und Industriehallen mit Niedrig energiezertifikat entstanden Gemeinsam sparen sie 15 Milliarden Kilowattstunden Energie laquoUumlber 2 Milliar-den Franken wurden zusaumltzlich investiertraquo rechnet Miner-gie-Sprecher Antonio Milelli vor Anstatt fossile Brennstoffe einzukaufen wird mehr Geld fuumlr Daumlmmstoffe Isolierfenster Luumlftungsanlagen und Sonnenkollektoren aus inlaumlndischer Fabrikation ausgegeben Zwischen 2001 und 2012 haben

Paul KnuumlselPaul Knuumlsel studierte Umweltnaturwissen-schaften an der ETH Zuumlrich Er ist unabhaumln-giger Wissenschaftsjournalist und schreibt seit Jahren in Publikums- und Fachmedien uumlber die vielfaumlltigen Aspekte des nachhalti-gen Bauens Zusaumltzlich betreut er in der Re-daktion des laquoTEC21raquo das Ressort laquoEnergie und Umweltraquo

laquoDass ein hohes Umweltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren

derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauenraquo

36 COMPETENCE | 2014

Der Wasserkraft Sorge tragen

Welchen Beitrag kann die Wasserwirtschaft zur Energie-wende leisten Roger Pfammatter Die Wasserkraft ist der energie-politische Trumpf der Schweiz Wir befinden uns in der gluumlcklichen Lage uumlber grosse Mengen Wasser und das notwendige Gefaumllle zu verfuumlgen ndash das sind die beiden wichtigsten Voraussetzungen fuumlr die hydroelektrische Produktion Und wir haben in den vergangenen 100 Jah-ren gelernt dieses Potenzial effizient und moumlglichst um-weltschonend zu nutzen Die Wasserkraft ist der Schluumls-sel fuumlr eine nachhaltige Energieversorgung technisch ausgereift politisch erwuumlnscht einheimisch erneuerbar und CO2-frei

Wie viel mehr ist moumlglichHeute leistet die Wasserkraft nicht nur rund 60 Prozent der Stromproduktion in der Schweiz sondern bietet auch unverzichtbare Regel- und Systemdienstleistungen die markant an Bedeutung gewinnen werden Vor allem bei der Flexibilisierung der Wasserkraft durch mehr Leistung und Speichervolumen waumlre noch einiges moumlglich Um die Aufgaben weiterhin zu gewaumlhrleisten muumlssen wir aber primaumlr dem Bestehenden Sorge tragen

Die Energiestrategie des Bundes gibt aber klare Ausbau-ziele vor Bis 2035 soll die Stromproduktion aus Wasser-kraft um 10 Prozent steigenUnter den momentanen Rahmenbedingungen ist dieses Ausbauziel nicht realistisch Im Gegenteil Aufgrund der Restwasserbestimmungen wird die Produktion in den naumlchsten Jahren vermutlich sogar zuruumlckgehen

Die Wasserkraft ist der wichtigste Pfeiler der Schweizer Ener-giewirtschaft ihr Potenzial ist aber weitgehend ausgeschoumlpft Roger Pfammatter Geschaumlftsfuumlhrer des Wasserwirtschaftsver-bands gibt im Interview Auskunft uumlber die Lage der Branche und ihre Bedeutung fuumlr die EnergiezukunftInterview Florian Wehrli

Expertensicht

Was muss sich aumlndern damit die vorgegebenen Ziele um-gesetzt werden koumlnnenZum einen braucht es dafuumlr die Akzeptanz der Umweltver-baumlnde der Fischer und letztlich der gesamten Bevoumllkerung Zum anderen muumlssen laumlngerfristig die extremen Marktver-zerrungen abgebaut werden damit sich auch Investitionen in die nicht gefoumlrderte Wasserkraft wieder lohnen Heute wird nur noch in subventionierte Anlagen investiert

Wer ist hier in der PflichtHier ist die Politik gefordert die Rahmenbedingungen zu verbessern Denn ohne die Wasserkraft kann die Energie-wende nicht gelingen

Anfang Jahr wurde der Wasserwirtschaftsverband von den zustaumlndigen Kommissionen angehoumlrt Welche Forderun-gen hat die Branche an das ParlamentWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerba-re Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichten die bereits bis zur Haumllfte der Geste-hungskosten ausmachen Damit sind wir doppelt diskrimi-niert Die Wasserkraft ist extrem unter Preisdruck ndash und dies obwohl sie mit Gestehungskosten zwischen 3 und 10 Rappen pro Kilowattstunde die effizienteste Strompro-duktionstechnologie ist Nur zum Vergleich Fotovoltaik -anlagen werden heute mit rund 40 Rappen subventioniert

Bis 2011 liess sich mit der Grosswasserkraft noch viel Geld verdienen Wurden zu wenige Ruumlcklagen fuumlr schlechte Zei-ten gebildet

37COMPETENCE | 2014

Es kann nicht der Sinn sein Ruumlcklagen fuumlr Zeiten zu bil-den in denen die Marktpreise die Gestehungskosten nicht mehr decken Das waumlre wie wenn ein Baumlcker auf jedem Gipfeli einige Rappen zuruumlckbehalten muumlsste damit er sie am naumlchsten Tag gratis abgeben kann Mit dem durch Subventionen verzerrten Marktpreis von 4 bis 5 Rappen pro Kilowattstunde ist unter den konventionellen Energie-traumlgern praktisch nur Kohle konkurrenzfaumlhig Das ist be-stimmt nicht im Sinn der Energiewende

Drei Grosswasserkraftprojekte sind heute bereits im Bau Koumlnnen die enormen Kosten uumlberhaupt amortisiert wer-denPrognosen sind schwierig An der europaumlischen Strom-boumlrse (EEX) werden bis 2020 Strompreise zwischen 45 und 53 Rappen pro Kilowattstunde gehandelt Der Markt glaubt also nicht an eine baldige Erholung Dafuumlr muumlsste das Uumlberangebot in Europa zuruumlckgehen etwa uumlber die Anhebung des CO2-Preises von heute 5 auf mindestens 30 Euro pro Tonne Politisch ist das aber kaum durchsetz-bar Neue Pumpspeicherwerke werden sich deshalb wohl erst in mehreren Jahrzehnten lohnen

Was kann die Kleinwasserkraft leistenOhne die kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) wuumlr-de niemand Kleinwasserkraftanlagen bauen genauso we-nig wie Fotovoltaik- Wind- oder Biomasseanlagen Zurzeit gibt es aber allein bei der Kleinwasserkraft rund 1 000 An-meldungen fuumlr Foumlrderbeitraumlge mit einem bescheidenen Ge-samtpotenzial von 33 Terawattstunden pro Jahr Die oumlko-logischen Auswirkungen sind im Vergleich zum Ertrag zu gross Obwohl wir von marktverzerrenden Foumlrderprogram-men wegkommen sollten waumlre es in einer Uumlbergangs phase sinnvoll die KEV-Obergrenze von 10 Mega watt aufzuheben und dort zu foumlrdern wo es wirklich etwas bringt

Wie soll die Grosswasserkraft unterstuumltzt werdenDas Sinnvollste waumlre die Abkehr von der Subventions-maschinerie ndash und zwar auf europaumlischer Ebene Dann wuumlrde sich die Wasserkraft als effiziente erneuerbare Stromproduktionsform mit Sicherheit durchsetzen Min-destens als Uumlbergangsloumlsung waumlre aber die Entlastung

von Abgaben in erster Linie vom Wasserzins dringend Der maximale Wasserzins wurde in den letzten vier Jahren um 38 Prozent erhoumlht und wird naumlchstes Jahr um weite-re 10 Prozent angehoben Diese Erhoumlhung wurde 2008 beschlossen und steht heute in keinerlei Bezug mehr zur Ertrags lage Kurzfristig koumlnnten die Kantone auf einen Teil dieser Zinsen verzichten ndash das waumlre ein wichtiges politi-sches Zeichen Langfristig muss ein neuer Modus fuumlr die Zinsberechnung gefunden werden der die Ertragslage der Wasserkraft mitberuumlcksichtigt Das ist auch im Interesse von Bund Kantonen und Gemeinden schliesslich ist die Wasserkraft zu 85 Prozent in oumlffentlicher Hand Ebenfalls als Uumlbergangsloumlsung bis zu besseren Marktpreisen waumlren zinsguumlnstige Darlehen fuumlr die noumltigen Investitionen in die Grosswasserkraft denkbar Ohne mindestens eine dieser Massnahmen kann die Wasserwirtschaft das geforderte Ausbauziel nicht erreichen

Bis dahin gibt es noch eine weitere Huumlrde den Heimfall der Stauanlagen an die Standortgemeinden Welchen Ein-fluss hat dieser UmstandWenn die Konzessionen nach 80 oder 100 Jahren aus-laufen muss der Betreiber der Gemeinde eine Entschaumldi-gung fuumlr den Restwert der Anlagen entrichten Im Fall der Staumauer Barberine bezahlen die SBB und Alpiq 2017 an sechs Walliser Gemeinden 343 Millionen Franken Das 400-Seelen-Dorf Finhaut erhaumllt alleine 112 Millionen Fran-ken und weiss kaum wohin mit dem Geld Der gesamte Wert des Heimfalls der Anlagen bewegt sich schweizweit im Milliardenbereich Der Houmlhepunkt des Heimfalls wird um 2035 erreicht werden Bis zu diesem Zeitpunkt soll aber auch ein Grossteil der geforderten Produktionsstei-gerung umgesetzt werden

Bei der Stromproduktion ist ein Ausbau von uumlber 10 Pro-zent wohl nicht realistisch Wie sieht es bei der Speicher-leistung aus Hier muss man unterscheiden zwischen kurzfristiger und saisonaler Speicherung Fuumlr die saisonale Speicherung verfuumlgt die Schweiz mit 200 Speicherseen uumlber ein Vo-lumen von rund 9 000 Gigawattstunden (GWh) die jedes Jahr vom Sommer in den Winter umgelagert werden Dies

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Expertensicht

entspricht einem Viertel der jaumlhrlichen Produktion aus Wasserkraft Das Ausbaupotenzial durch die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren betraumlgt rund 2 000 GWh Falls der Ausbau aber nicht gelingt entsteht im Winter durch den Ausfall der Kernenergie eine immer groumlssere Luumlcke an Bandenergie die durch den Import von Atom- oder Kohlestrom gedeckt werden muss

Wie sieht es beim Ausbau der Pumpleistung zum kurzfris-tigen Ausgleich von Schwankungen im Netz ausGrundsaumltzlich ist das Potenzial fuumlr Pumpspeicherwerke in der Schweiz riesig Es braucht nur zwei Seen auf unter-schiedlicher Houmlhe Die Frage ist ob sich solche Investi-tionen rechnen Die Pumpspeicherwerke finanzieren sich

uumlber den Preisunterschied zwischen Band- und Spitzen-energie Wenn an einem schoumlnen Sommertag in Europa mittags die geballte Ladung an Sonnen- und Windener-gie eingespeist wird koumlnnen die Pumpspeicherkraftwerke sehr guumlnstig oder sogar zu Negativpreisen Strom bezie-hen Man darf aber nicht vergessen dass dieselbe Situa-tion fuumlr die Laufwasserkraftwerke die rund die Haumllfte der Wasserkraftproduktion in der Schweiz ausmachen den gegenteiligen Effekt hat Diese koumlnnen aus technischen konzessionsrechtlichen oder oumlkologischen Gruumlnden nicht vom Netz genommen werden und muumlssen fuumlr ihre Strom-produktion bezahlen Das kann gehoumlrig ins Geld gehen An Weihnachten 2012 lag der Strompreis zum Beispiel bei minus 30 Rappen pro Kilowattstunde

Roger Pfammatter laquoWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerbare Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichtenraquo

Bild Florian Wehrli

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cherseen zur Flexibilisierung Damit das gelingt muss der Wert der Wasserkraft staumlrker im Bewusstsein der Bevoumllke-rung verankert sein Und nicht zuletzt muss der Marktpreis so weit uumlber den Gestehungskosten liegen dass sich In-vestitionen in die Wasserwirtschaft rentieren

Versuchen das Bestehende zu erhalten Diese Vision klingt etwas resigniertDas ist eine Frage der Perspektive Die Wasserkraft hat als Technologie in der Schweiz seit Langem Bestand Sie befindet sich in einer anderen Situation als Fotovoltaik und Windenergie die sich in einem hochdynamischen Umfeld mit grossem Potenzial in Forschung und Wachstum be-finden Die Wasserkraft ist dagegen nicht mehr in der Auf-bruchsphase sondern in der Konsolidierungsphase Da-fuumlr kann man sich auf die Wasserkraftwerke verlassen Sie produzieren bei Tag und in der Nacht im Sommer wie im Winter bei Windstille oder im Nebel Auch der Erhalt und die Optimierung des Bestehenden sind grosse Heraus-forderungen und bedingen grosse Investitionen

Sehen Sie eine Moumlglichkeit wie die Schweizer Wasser-wirtschaft in Zukunft Geld mit Systemdienstleistungen wie Netzstabilitaumlt verdienen kannDie unregelmaumlssig einspeisenden Stromproduzenten neh-men keinerlei Systemverantwortung wahr Ich habe selbst ein Solarpanel auf dem Dach Wenn Produktion moumlglich ist speise ich Strom ins Netz ein wenn nicht beziehe ich Die Produzenten mehr in die Verantwortung zu nehmen faumlnde ich sinnvoll ndash zum Beispiel uumlber Zertifikate fuumlr Spei-cherleistungen Diese koumlnnten bei Pumpspeicherwerken bezogen werden

Welcher Ausbau der Pumpspeicherleistung ist dafuumlr noumltigDie installierte Leistung betraumlgt heute rund 14 Gigawatt (GW) Mit den im Bau befindlichen und den geplanten An-lagen kann die Kapazitaumlt maximal auf 51 GW ausgebaut werden ndash etwa die Haumllfte der Jahreshoumlchstlast im Netz Damit die Schweizer Wasserkraft aber einen Beitrag zur Stabilitaumlt des europaumlischen Stromnetzes leisten kann muumlssten auch das Stauvolumen und die Leitungskapazi-taumlt erhoumlht werden Hier sind die Einsprachen von Anwoh-nern und Umweltverbaumlnden noch gravierender als bei den Anlagen selbst

Braucht es neue rechtliche Instrumente um den geplan-ten Ausbau durchsetzen zu koumlnnenEs braucht vor allem die Einsicht dass die Wasserkraft das Ruumlckgrat unserer Versorgungssicherheit ist und die Aus-wirkungen eines Ausbaus immer auch mit den Alternativen verglichen werden muumlssen Wir befinden uns aber auch in einem intensiv genutzten Land mit vielen Partikularinteres-sen Diese muumlssen gewichtet und abgewogen werden In der Abwaumlgung zwischen Landschaftsschutz und Wasser-nutzung waumlre es hilfreich wenn Grosswasserkraftanlagen den Status von nationalem Interesse erhalten

Wie soll die Schweizer Wasserwirtschaft im Jahr 2035 aussehenIch wuumlnsche mir dass die bestehende Infrastruktur auf dem heutigen Stand erhalten optimiert oumlkologisiert und im Idealfall etwas ausgebaut wird Dazu gehoumlren etwa die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren sowie neue Spei-

Roger PfammatterSeit seinem Ingenieurstudium an der ETH Zuumlrich hat er sich in ver-schiedenen Rollen dem Wasser verschrieben Nach sieben Lehr- und Wanderjahren in der Forschung und in der Entwicklungszusammen-arbeit war er zehn Jahre beim Ingenieurunternehmen Ernst Basler + Partner engagiert Seit 2010 ist er Geschaumlftsfuumlhrer des Schweizeri-schen Wasserwirtschaftsverbandes (SWV) und Herausgeber der Zeit-schrift laquoWasser Energie Luftraquo In diesen Funktionen setzt er sich ein fuumlr den Fachaustausch und gute Rahmenbedingungen in den Bereichen Wasserkraft und Hochwasserschutz

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Die globalen Energiemaumlrkte sind seit einigen Jahren stark in Bewegung Volatile Erdoumllpreise die Foumlrderung von un-konventionellen Gasvorkommen in grossem Stil die mas-sive Subventionierung von neuen erneuerbaren Energien in Deutschland der laquoarabische Fruumlhlingraquo und der Konflikt in der Ukraine hinterlassen Spuren Die Folge sind starke Verwerfungen an den Maumlrkten und fehlende Investitionssi-cherheit In diesem dynamischen und unsicheren Kontext will der Bund die bisherige Energiepolitik neu ausrichten ndash wahrlich eine Herkulesaufgabe Die Schweizer Wirtschaft verlangt dass der Bund bei der Neuausrichtung der Ener-giepolitik seinem in der Verfassung verankerten Auftrag nachkommt und sich fuumlr eine ausreichende sichere breit gefaumlcherte wirtschaftliche und umweltvertraumlgliche Ener-gieversorgung einsetzt Somit ist klar Die Energiestrate-gie 2050 muss in erheblichen Teilen optimiert und justiert werden Nur wenn vernetzt gedacht wird ist eine sichere Versorgung zu wettbewerbsfaumlhigen Preisen moumlglich

Prognosen klaffen weit auseinanderSeit Jahrzehnten bietet der Strommix aus Wasserkraft (knapp 60 Prozent) und Kernenergie (40 Prozent) Gewaumlhr fuumlr eine sichere klimafreundliche und wirtschaftliche Ener-gieversorgung Im Rahmen der Energiestrategie 2050 muss die Kernenergie langfristig ersetzt werden Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen zumal die Ziele des Bundes

Lebenselixier der Wirtschaft

Die Schweizer Wirtschaft ist auch in Zukunft auf eine sichere und wirtschaftliche Stromver-sorgung angewiesen Die Ener-giestrategie 2050 setzt stark auf Subventionen Dadurch entstehen Fehlanreize welche die Versorgungssicherheit ge-faumlhrdenText Kurt Lanz

Expertensicht

in Bezug auf das Potenzial der neuen erneuerbaren Ener-gien von Wunschdenken geleitet sind Die neuen erneuer-baren Energien werden sich langsamer entwickeln als an-gestrebt Der Bund rechnet mit rund 12 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2035 die Schweizer Wirtschaft mit 44 TWh Die vorsichtigeren Prognosen der Wirtschaft scheinen re-alistischer Dies zeigen exemplarisch die gescheiterten Geothermieprojekte in Basel und St Gallen Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Nachfrageprognosen Der Bund rechnet in seinen Szenarien mit einem Ruumlckgang des Stromverbrauchs pro Kopf von 16 Prozent zwischen 2000 und 2035 Die Schweizer Wirtschaft orientiert sich in ihren Szenarien am Verband Schweizerischer Elektrizitaumlts-unternehmen (VSE) der weiter mit einer steigenden Nach-frage rechnet Die Wirtschaft fordert von der Politik eine vernuumlnftige Planung aufgrund realistischer Schaumltzungen Die Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energiestrategie nicht gefaumlhrdet werden

Subventionen fuumlhren zu FehlanreizenDie Schweiz hat seit vielen Jahrzehnten erfolgreich die Wasserkraft vorangetrieben Aus politischen Gruumlnden wird nun die ndash unregelmaumlssige ndash Stromproduktion durch Sonnen- und Windenergie forciert Unsere sogenann-te kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) entspricht dem deutschen Foumlrdermodell Beide haben das gleiche Ziel Sie sollen erneuerbare Energien ausbauen indem sie neue Formen der Stromproduktion zur Marktreife brin-gen Weil das KEV-System die Sonnen- und Windenergie massiv foumlrdert kommt ein weiterer Ausbau der bewaumlhrten Wasserkraft nicht infrage Diese Entwicklung gefaumlhrdet die Versorgungssicherheit der Schweiz Auf den ersten Blick sinken zwar die Produktionskosten fuumlr Solarstrom gleich-zeitig steigen aber die Kosten fuumlr Speicherung und Inte-gration ins Netz spuumlrbar Auch ist der Ausbau von Solar- und Windenergie nur von beschraumlnktem Nutzen solange keine ausreichenden Speicherkapazitaumlten vorhanden sind Nur Preissignale koumlnnen das Investitionsverhalten von Stromproduzenten Netzbetreibern und Konsumen-ten sinnvoll lenken Subventionen sind zu beseitigen denn sie fuumlhren zu Fehlanreizen

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Alle Optionen offenhaltenOffenheit und Neugier gehoumlren zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft Kategorisches Abwehrverhalten und Denkverbote verhindern konstruktive Loumlsungsansaumltze und Innovation Eine sichere und kostenguumlnstige Strom-versorgung kann auch in Zukunft nur mit der notwendi-gen Offenheit gegenuumlber allen Technologien und Energie-

systemen garantiert werden Die Schweiz ist dank einer erfolgreichen Hochschulland-schaft und vielen Technolo-gieunternehmen gut geruumlstet Die verschiedenen Energie-systeme muumlssen faktenba-siert und ohne ideologische

Scheuklappen verglichen werden Nur so koumlnnen effizi-ente und umweltvertraumlgliche Loumlsungen gefunden werden Das heutige System der Foumlrderung der neuen erneuer-baren Energien ist durch ein marktorientiertes System ab-zuloumlsen Produzenten die nachfragegerecht einspeisen sollen eine houmlhere Verguumltung erhalten als andere Auch soll der Vorrang der Netzeinspeisung fuumlr subventionierte Energietraumlger aufgehoben werden

laquoDie Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit

des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energie strategie nicht

gefaumlhrdet werdenraquo

Schnellere Verfahren anstrebenGrundvoraussetzung fuumlr eine Neuausrichtung der Ener-giepolitik sind funktionierende Stromnetze Diese muumls-sen zwingend parallel zum Umbau der Stromproduktion weiterentwickelt werden Allein der noumltige Ausbau der Uumlbertragungsnetze belaumluft sich auf rund 1 000 Kilometer bis ins Jahr 2020 Erforderlich sind zudem Investitionen in alle Verteilernetzebenen Al-lerdings verzoumlgern komplizier-te Verfahren auf Kantons- und Bundesebene den Ausbau Ausserdem erwaumlchst praktisch jedem Projekt Widerstand von privater Seite was zu weiteren Verzoumlgerungen fuumlhrt Die Wirt-schaft fordert deshalb Bei Bewilligungen von Stromnetzen ist der Gang vors Bundesgericht nur noch bei Grundsatz-fragen moumlglich Umbauten sowie Spannungs- und Kapa-zitaumltserweiterungen koumlnnen ohne Planungsgenehmigung realisiert werden Ausserdem sind die Verfahren bei einer einzigen Leitbehoumlrde anzusiedeln

Spielfeld erweiternDie Schweiz ist seit jeher ein wichtiges Stromtransitland Schon seit den 90er-Jahren treibt die EU die Vereinheitli-chung des Binnenmarkts fuumlr Strom hin zu einem eigent-lichen EU-Strommarkt voran In der Schweiz erweist sich die gesetzliche Trennung von Grundversorgung und Markt diesbezuumlglich zunehmend als Hindernis Aus Sicht der Wirtschaft ist die vollstaumlndige Liberalisierung des Strom-markts eine zwingende Voraussetzung fuumlr eine erfolgrei-che energiepolitische Neuausrichtung

Eine Marktoumlffnung wuumlrde insbesondere auch den erneuer-baren Energien neue Chancen eroumlffnen und Zugang zu neuen Kunden gewaumlhren Von hoher Wichtigkeit ist auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU Je groumlsser der Anteil erneuerbarer Energien umso wichtiger ist die Einbettung in Europa denn Investitionen in Netze und Produktion koumlnnen in Koordination mit der EU wirkungsvoller und wahrscheinlich kostenguumlnstiger getaumltigt werden

Kurt LanzKurt Lanz ist Leiter Infrastruktur Energie und Umwelt sowie Geschaumlftsleitungsmitglied von economiesuisse dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft

Gut vernetzt ndash Vorschlaumlge der Schweizer Wirtschaftzur EnergiepolitikDie Publikation basiert auf der Grundlagenarbeit der breit abgestuumltz-ten Energiekommission von economiesuisse und macht konstruk-tive Vorschlaumlge fuumlr einen erfolgreichen energiepolitischen Weg der Schweiz Download unter wwweconomiesuissech

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

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Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

wwwsmlzhawch

Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 29: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

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sein glaubt er aber nicht daran dass der Stromverbrauch insgesamt zuruumlckgehen wird laquoDafuumlr ist der Marktpreis zu niedrig Aus serdem wird Strom im Bereich Waumlrme und Mobilitaumlt einen Grossteil der fossilen Energietraumlger ersetzen muumlssenraquo Damit der geplante Verbrauchsruumlck-gang dennoch gelingt will der Bund Anreize schaffen Mit sogenannten weissen Zertifikaten will er die Versor-ger be lohnen wenn sie ihre Kunden zu einem geringeren Energie verbrauch bewegen In Grossbritannien Italien und Frankreich sind solche Modelle bereits im Einsatz Markus Saumlgesser sieht dieser Entwicklung mit gemischten Gefuumlh-len entgegen laquoWir haben bereits vor der Reaktorkatastro-phe in Fukushima auf Energieeffizienz gesetzt und konn-ten uns dadurch profilieren Weil die Politik nun eingreift und den Markt uumlbersteuert bleibt uns als Unternehmen weniger Spielraum um uns zu positionierenraquo

Windkraftanlagen im angrenzenden Ausland investiert Fuumlr die Beschaffung von Strom am freien Markt ist das Stadtwerk eine Zusammenarbeit mit der Trianel GmbH in Aachen ndash einer der fuumlhrenden Stadtwerke-Kooperationen in Europa ndash eingegangen Damit sollen insbesondere der Zugang zum Grosshandelsmarkt sowie die Marktfor-schung sichergestellt werden Denn um Kunden nachhal-tige Energieprodukte verkaufen zu koumlnnen muss man ihre Beduumlrfnisse genau kennen

Anreize fuumlr geringeren VerbrauchDie Strategie scheint aufzugehen laquoSeit der Einfuumlhrung der neuen Stromprodukte Anfang 2013 haben wir den Absatz von erneuerbarer Energie in Winterthur verdop-pelt und denjenigen von Oumlkostrom sogar vervierfachtraquo so Saumlgesser Trotz dem steigenden oumlkologischen Bewusst-

Gemaumlss seinem Leitbild soll Stadtwerk Winterthur mit einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der soziashylen Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Bild Michael Lio

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Ausgliederung aus der StadtverwaltungAuch auf kommunaler Ebene ist Stadtwerk Winterthur von den politischen Rahmenbedingungen abhaumlngig ndash mit allen Vor- und Nachteilen Die politischen Kurswechsel in den vorgesetzten Gremien seien hinderlich bei der Umsetzung der Strategie des Unternehmens laquoWir taumltigen Investitio-nen mit einem Planungshorizont von mehreren Jahrzehn-tenraquo sagt Markus Saumlgesser laquoin der Politik wird dagegen in Amtsperioden von vier Jahren gedachtraquo Es gibt deshalb Bestrebungen das Stadtwerk aus der Stadtverwaltung auszugliedern und einem langfristig operierenden Steue-rungsgremium zu unterstellen Bei der Stimmbevoumllkerung geniesst Stadtwerk Winterthur grossen Ruumlckhalt Alleine in den letzten zwei Jahren wurden vier Abstimmungsvor-lagen mit grossem Mehr angenommen darunter Rah-menkredite fuumlr das Energie-Contracting oder erneuerbare Energien laquoEine bessere Legitimation koumlnnen wir uns gar nicht wuumlnschenraquo sagt Markus Saumlgesser

Neue BetriebskulturStrategisch und energiepolitisch werden Dienstleistungen wie das Energie-Contracting fuumlr Stadtwerk Winterthur immer wichtiger laquoWir wollen unserer Kundschaft Waumlr-me oder Kaumllte gleich komfortabel anbieten koumlnnen wie Stromraquo sagt Markus Saumlgesser laquoImmobilienbesitzerinnen und -besitzer sollen sich nicht mehr um den Fuumlllstand ih-res Oumlltanks oder den Termin fuumlr den Kaminfeger kuumlmmern muumlssenraquo Das Energie-Contracting waumlchst stark und macht heute bereits rund 5 Prozent des Umsatzes von Stadtwerk Winterthur aus

Die neuen Geschaumlftsfelder ziehen auch andere Arbeits-kraumlfte an als bisher Verschiedene Betriebskulturen seien in den vergangenen Jahren teilweise parallel gelaufen be-ginnen nun aber langsam zu verschmelzen Ein Beispiel dafuumlr ist die Verknuumlpfung von Smart Metering und dem traditionellen Verteilnetz Elektrizitaumlt Als Voraussetzung fuumlr das Change-Management in der Betriebskultur habe man alle Mitarbeitenden in die Erarbeitung des Unterneh-mensleitbildes involviert Entstanden ist ein Leitbild das Stadtwerk Winterthur dabei unterstuumltzt die Unterneh-mensstrategie umzusetzen Stadtwerk Winterthur soll mit

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

Markus SaumlgesserMarkus Saumlgesser (52) ist diplomierter Ma-schineningenieur ETH und hat ein Nachdi-plomstudium in technischen Betriebswissen-schaften absolviert Seit Anfang 2011 ist er Direktor von Stadtwerk Winterthur Seine bisherige berufliche Taumltigkeit fuumlhrte Markus Saumlgesser nach zwei Jahren Assistenz an der ETH zu einem Ingenieurbuumlro fuumlr Ener-gie- und Haustechnik Waumlhrend dieser rund sechsjaumlhrigen Zeit war er bei anspruchsvol-len Bauprojekten verantwortlich fuumlr die Konzeption und Koordination der technischen Gebaumludeausruumlstung Zudem war er waumlhrend vier Jahren Mitglied der Geschaumlftsleitung Nach zweijaumlhriger Taumltigkeit als Abteilungsleiter in einer groumlsseren Gemeinde wechselte er zum Elek-trizitaumltswerk der Stadt Zuumlrich (EWZ) bei dem er die Abteilung Vertrieb Grosskunden leitete Daneben war Markus Saumlgesser beim EWZ in verschiedene Innovationsprojekte involviert So zeichnete er fuumlr das Projekt laquoStromzukunft Stadt Zuumlrichraquo verantwortlich das wichtige Grundlagen fuumlr die Strategie des EWZ und die Volksabstimmung zur 2000-Watt-Gesellschaft in der Stadt Zuumlrich beisteuerte

Stadtwerk Winterthur in Zahlen (2013)Mitarbeitende 347Nettoinvestitionen 1198 Mio CHFDurchgeleitete Strommenge 5643 Mio kWhUmsatz Strom 93 Mio CHFDurchgeleitete Gasmenge 5295 Mio kWhUmsatz Gas 411 Mio CHFUnternehmensgewinn 109 Mio CHF

einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der sozia-len Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Wann wurden in Winterthur die ersten Strassenlampen mithilfe von Stein-kohle erleuchtet

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Unternehmensperspektive

ckelte Hochspannungsgleichstromschalter sollen zudem sicherstellen dass etwa ein Kurzschluss durch eine hy-perschnelle Abschaltung isoliert und das Netz somit nicht gefaumlhrdet wird Von 14 solchen Schaltsystemen welt-weit stammen 13 von ABB Die hohen Investitionen fuumlr die armdicken Gleichstromkabel rechnen sich da beim Transport viel weniger Strom verloren geht als bei der tradi tionellen Wechselstromtechnik Die Produktelinie ent-wickelt sich zum Renner Sie wird zur Anbindung von So-lar- und Windparks zur Versorgung von Inseln als Ersatz fuumlr Diesel generatoren auf Oumll- und Gasplattformen auf See eingesetzt Oder um Starkstrom vom Festland zu auf dem Meeresboden platzierten ferngesteuerten Foumlrderanlagen fuumlr Gas und Oumll zu leiten ndash wofuumlr ABB auch wartungsfreie Kompressoren liefert damit Kunden wie Statoil und Pet-robras teure Ausfaumllle erspart bleiben

Komplettloumlsungen aus einer HandDank hohem Innovationstempo sind die Divisionen Ener-gietechnik- und Niederspannungsprodukte gut ausgelas-tet Dies gilt ebenso fuumlr die Divisionen Industrie- und Pro-zessautomation Speziell energieintensive Industrien die unter hohem Kostendruck stehen muumlssen ihre Anlagen auf dem neusten Stand halten Dazu zaumlhlen Bergbau Oumll- und Gasindustrie Zellstoff- Papier- und Zementfabriken Chemie- und Pharmafirmen sowie Raffinerien Gefragt sind auch Industrieroboter und schwenkbare dank ABB-Leistungselektronik stufenlos regulierbare Schiffsantrie-be ABB liefert Grosskunden fertige Loumlsungen die hohe Produktivitaumlt und Energieeffizienz gewaumlhrleisten Alles ist aufeinander abgestimmt von der Elektrik uumlber Antriebe Generatoren Roboter Sensoren und Steuerungen bis hin

Zu Beginn des Jahrtausends stand ABB am Abgrund Doch eine neue Fuumlhrungscrew fuumlhrte das Unternehmen aus der Krise sodass die Schweiz inzwischen wieder stolz sein kann auf ihren Industriemulti mit Sitz in Zuumlrich Oerli-kon 2013 erzielte ABB mit rund 148 000 Mitarbeitenden in 100 Laumlndern 42 Milliarden Dollar Umsatz Die renom-mierte US-Universitaumlt MIT zaumlhlt ABB zu den 50 innova-tivsten Unternehmen weltweit Dank 8 000 Ingenieuren in Forschung und Entwicklung und einem Forschungsetat von 15 Milliarden Dollar kann ABB selbst mit Giganten wie Siemens und General Electric mithalten

Innovationen die Technikfans begeisternWas ABB alles macht wissen wohl nur Technikfans Denn der Konzern hat uumlber 70 000 Produkte im Angebot Die 300 ABB-Fabriken liefern taumlglich 15 Millionen Kompo-nenten aus die zu elektrischen Einrichtungen oder in Pro-duktionssteuerungen verbaut werden Aus Kanada etwa kam juumlngst ein Grossauftrag uumlber 400 Millionen Dollar Erneuerbare Energie die auf Neufundland und Labrador gewonnen wird soll ab 2017 via Hochspannungskabel 360 Kilometer nach Westen fliessen um dort 350 000 Haumluser zu versorgen Weltweit gibt es erst 90 solche Gleichstromkabelverbindungen die meist unter der Erde oder auf dem Meeresgrund verlaufen ABB ist mit rund 50 Prozent Anteil Marktfuumlhrer Die futuristisch anmuten-de Technik in den abgeschirmten Hallen wo der Strom vor dem Transport auf Hochspannung transformiert wird erinnert an den Maschinenraum von Raumschiff Enter-prise Ein wichtiges Steuerungselement bilden dabei in Baden Daumlttwil entwickelte und in Lenzburg produzierte Spezialchips die Houmlchstspannung aushalten Neu entwi-

Der schweizerisch-schwedische Technikkonzern treibt an vor-derster Front die Energiewende voran Dafuumlr forscht man bei ABB intensiv zu erneuerbaren Energien schlauen Stromnetzen sowie hocheffizienten Industrieanlagen Einzig die schwache Nachfrage nach Energieanlagen in Europa bremst die ExpansionText Andreas Fluumltsch

Innovativer Treiber der Energiewende

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uumlber weite Strecken in die Ballungsraumlume geleitet werden muss brummt das Geschaumlft In den USA treibt der Oumll- und Gasboom die Nachfrage Nur in Europa harzt das Geschaumlft mit Grossanlagen Weniger Nachfrage belastet die Margen bei Auftraumlgen fuumlr Wind- und Solarfarmen so-wie fuumlr Netzinfrastruktur Die Risiken der oft mehrjaumlhrigen Projekte sind so hoch dass ABB waumlhlerischer sein muss und etwa das Geschaumlft mit Solarloumlsungen zurzeit auf Sparflamme betreibt Dennoch ist ABB immer noch hoch-profitabel nicht zuletzt da die Kosten Jahr fuumlr Jahr um 3 bis 5 Prozent gesenkt werden Aber der erfolgsgewohnte Konzern musste sich 2013 mit 6 Prozent Umsatzplus zu-friedengeben Umso intensiver treibt der neue ABB-Chef Ulrich Spiesshofer die Integration der vorab in den USA fuumlr 10 Milliarden Dollar getaumltigten Zukaumlufe voran Und Spiess-hofer forciert die Zusammenarbeit der Divisionen damit ABB die Unternehmensvision laquoEnergie und Produktivitaumlt fuumlr eine bessere Weltraquo mit moumlglichst vielen eigenen Pro-dukten realisieren kann

zur Leittechnik samt angepasster Software Kleine und mittlere Kunden ordern Komponenten oder Teilsysteme Ein wichtiges Verkaufsargument ist das Sparpotenzial von stufenlos steuerbaren Elektromotoren Nur einer von fuumlnf Motoren hat laut einer Erhebung des Bundes einen Leis-tungsregler der Rest laumluft auf Hochtouren und wird ndash man glaubt es kaum ndash bei Bedarf mit Klappen oder Ventilen mechanisch abgebremst Eine gigantische Verschwen-dung da Industriemotoren laut einer Studie der Schwei-zerischen Agentur fuumlr Energieeffizienz 27 Prozent des Schweizer Stromverbrauchs ausmachen

Europaumlische ZuruumlckhaltungEigentlich muumlsste die Division Energietechniksysteme ebenfalls ausgelastet sein Denn auch die Stromwirtschaft muss ihre Effizienz steigern Schliesslich erfordert die Energiewende einen Totalumbau der auf Verteilung ausge-richteten Netze damit diese unter der Last von Solar- und Windenergie nicht instabil werden Arbeit in Huumllle und Fuumllle fuumlr ABB sollte man meinen Doch der erst zaghafte Auf-schwung in Europa daumlmpft die Nachfrage Erschwerend kommt hinzu dass subventionierte Wind- und Solarener-gie in Europas liberalisiertem Strommarkt den Strompreis in ungeahnte Tiefen druumlckte Die Konkurrenzfaumlhigkeit von Wasser- Gas- und Atomkraftwerken hat gelitten Pump-speicher sind keine Goldesel mehr seit die erneuerbaren Energien die Preisspitzen brechen Entsprechend schie-ben Stromkonzerne wie Alpiq oder RWE Investitionen auf Unsicherheiten rund um den Atomausstieg belasten zu-saumltzlich Die voraussichtlich noch auf Jahre hinaus tiefen Strompreise schmaumllern auch die Faumlhigkeit der Besitzer von Hochspannungs- und Verteilnetzen deren Umruumlstung zu finanzieren hoch verschuldete EU-Staaten fahren die Foumlrderung von Wind- und Solarenergie zuruumlck

Straffe KostenkontrolleABB bekommt den Investitionsstau empfindlich zu spuuml-ren Die Division Energietechniksysteme schreibt seit eini-ger Zeit rote Zahlen Zwar ordern Grosskunden aus Asien und Lateinamerika weiterhin kraumlftig Neben China inves-tiert vermehrt auch Indien in neue Stromnetze Uumlberall dort wo die Bevoumllkerung rasch waumlchst oder der Strom

Andreas FluumltschAndreas Fluumltsch war urspruumlnglich Jurist und arbeitete ab 1983 als Journalist fuumlr laquoBlickraquo laquoWeltwocheraquo laquoBilanzraquo und laquoCashraquo Zwischen 1989 und 1990 war er Mitglied der Geschaumlftsleitung von Greenpeace Schweiz anschliessend Hausmann Nach der Ruumlck-kehr in den Journalismus 1992 arbeitete er bei laquoBlickraquo laquoSonntagszeitungraquo und laquoTages- Anzeigerraquo und absolvierte eine Ausbildung zum Boumlrsenhaumlndler Nach der Fruumlhpensio-nierung Ende 2013 machte er sich als Publi-zist selbststaumlndig

ABB in Zahlen (2013)Betriebsertrag 41 848 Mio USDBetriebsergebnis 4 387 Mio USDndash Industrieautomation 1 458 Mio USDndash Niederspannung 1 092 Mio USDndash Prozessautomation 990 Mio USDndash Energietechnik 1 331 Mio USDndash Energiesysteme 171 Mio USD

Mitarbeitende 147 700ndash davon in der Schweiz 6 966

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Hohe Nachfrage nach MinergieDer Erfolg der bisherigen Sparbemuumlhungen bleibt nicht aus laquoTrotz zunehmender Pro-Kopf-Wohnflaumlche und stei-gendem Komfort sinkt der Energieverbrauch fuumlrs Heizen in den letzten Jahrzehnten stetigraquo verkuumlndet der Zuumlrcher Regierungsrat im Energieplanungsbericht 2014 Dazu tra-gen nicht nur die laufend verschaumlrften Gesetze bei Ebenso wichtig ist die Bereitschaft von Bautraumlgerschaften freiwillig Uumlberdurchschnittliches zu leisten Vor allem die Minergie-Regeln werden inzwischen gerne befolgt weshalb Haumluser mit halbiertem Energieverbrauch beinahe Standard sind Schweizweit traumlgt eines von zehn neuen Wohnhaumlusern ein Minergie-Zertifikat Der Anteil an Minergie-Haumlusern im Grossraum Zuumlrich liegt gemaumlss einer Marktanalyse der Universitaumlt Zuumlrich bereits nahe bei 20 Prozent Dies ist privaten Hauseigentuumlmern und institutionellen Investoren zu verdanken Wohn- und Geschaumlftshaumluser mit houmlchster Energieeffizienz gehoumlren inzwischen zum guten Ton Den juumlngsten Beweis liefert eine Immobilienstiftung der Credit Suisse die 70 Millionen Franken in die groumlsste Oumlkosied-lung der Schweiz investiert Im Aargauer Reusstal wohnen seit diesem Jahr rund 200 Familien Paare und Singles deren Wohnhaumluser sich weitgehend selbst mit Sonnen-energie versorgen So klimafreundlich die Energiewende-Architektur ist der Investor erwartet dennoch marktuumlb-liche Renditen Ist der Markt aber bereit oumlkologisches Engagement angemessen zu honorieren

Marktpotenzial fruumlhzeitig erkanntDie Zuumlrcher Kantonalbank (ZKB) beziffert den Mehrwert von Minergie-Haumlusern auf 7 Prozent Kaumlufer seien bereit diesen Aufpreis fuumlr mehr Energieeffizienz zu bezahlen Als weitere Nebeneffekte nennt der vor drei Jahren publizierte ZKB-Bericht eine hochwertige dauerhafte Bausubstanz sowie die Absicherung gegen steigende Oumll- und Energie-preise Fachleute des Immobilienberatungsunternehmens Wuumlest amp Partner (WampP) warnen indes dass sich zusaumltz-liche Investitionen in die Energieeffizienz nicht uumlberall loh-nen laquoRegional schwankt die Zahlungsbereitschaft des Immobilienmarktsraquo praumlzisiert WampP-Partner Ivan Anton Minergie-Haumluser koumlnnen aber nicht nur in abgelegenen Regionen ein Marktrisiko werden laquoMit Ausnahme der

Beim Autokauf wird bevorzugt auf Pferdestaumlrken Be-schleunigung und Innenausstattung geachtet Der CO2-Ausstoss interessiert hingegen kaum So kommt die Energieeffizienz im Strassenverkehr nur stockend voran 1995 schluckten alle neu immatrikulierten Personen-wagen durchschnittlich 9 Liter Benzin pro 100 Kilometer 20 Jahre spaumlter liegt der Durchschnittsverbrauch gemaumlss Bundesamt fuumlr Energie (BFE) immer noch uumlber 6 Litern Das viel gepriesene laquoDrei-Liter-Autoraquo haben alle Hersteller wieder aus der Modellpalette genommen

Demgegenuumlber gelingen dem oft traumlge genannten Ge-baumludebereich weitaus groumlssere Effizienzspruumlnge Ver-brauchen 40 Jahre alte Haumluser im Schnitt 220 Kilowatt-stunden (kWh) Heizenergie pro Quadratmeter Wohnflaumlche und Jahr sind die aktuellen Werte unter die 50er-Marke gesunken Zusaumltzliche Sparerfolge sind nur eine Frage der Zeit Im Fruumlhsommer haben die kantonalen Energie-direktoren uumlber ein Rahmenabkommen beraten das Null-energieneubauten demnaumlchst zum Standard machen soll Wie die nationale Energiewende zu erreichen ist erklaumlrt Christoph Gmuumlr von der Abteilung Energie des Kantons Zuumlrich laquoDer spezifische Verbrauchswert ist zudem auf 35 kWh pro Quadratmeter zu senkenraquo Gebaumlude die sich mit umweltfreundlicher Energie selbst versorgen wollen auch die EU-Staaten Ab 2020 wird ein Gebaumludestandard eingefuumlhrt der nur noch laquoNiedrigstenergiegebaumluderaquo mit sehr hoher Energieeffizienz als Neubauten vorsieht

Energiesparhaumluser waren vor 30 Jahren Exoten inzwischen nimmt der Bereich der energie-effizienten Gebaumlude eine Vor-bildrolle fuumlr die Energie wende ein Bauherren profitieren davon ebenso wie die Zuliefer-branche Text Paul Knuumlsel

Expertensicht

Haumluser in der ersten Reihe

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der Bau von Niedrigenergiehaumlusern und alternativen Hei-zungsanlagen sowie energetische Gebaumludesanierungen Investitionen im Umfang von rund 4 Milliarden Franken ausgeloumlst rechnet der Bund vor laquoEin Fuumlnftel insgesamt 860 Millionen Franken stammt aus den oumlffentlichen Kas-senraquo verweist die BFE-Stelle EnergieSchweiz auf die Im-pulse der kantonalen Foumlrderprogramme Einen Wermuts-tropfen besitzt diese Wirkungsbilanz Fruumlhere Analysen der Energiesparprogramme zeigen naumlmlich dass zwi-schen einem Drittel und der Haumllfte der energetisch vorbild-lichen Gebaumlude auch ohne staatliche Foumlrderung realisiert worden waumlren Dem Mitnahmeeffekt ist auch die Eidge-noumlssische Steuerverwaltung auf der Spur Sie schaumltzt dass Bund und Kantonen jaumlhrlich 14 Milliarden Franken entgehen weil energetische Gebaumludesanierungen bei der Liegenschaftssteuer abzugsberechtigt sind Die Energie-wende erfordert nicht nur mehr Effizienz bei den Anwen-dungen sondern auch einen effizienten Einsatz staatlicher Mittel Im Energieplanungsbericht 2013 hat der Zuumlrcher Regierungsrat erstmals uumlber alternative Anreizsysteme nachgedacht Demnach soll eine Lenkungsabgabe den Energiekonsum reduzieren und das bisherige Foumlrdersys-tem abloumlsen Aumlhnliche Plaumlne verfolgt der Bund Denn ein Lenkungssystem duumlrfte weitere Sparbemuumlhungen im Ge-baumludebereich aber auch im Strassenverkehr foumlrdern Ins-besondere dann wenn Heizoumll und Benzin im Gleichschritt teurer werden

begehrten Wohnlagen haben Hauseigentuumlmer an vielen Orten mit moumlglichen Verkaufsverlusten zu rechnenraquo so Anton Zwar sei die Nachfrage bei Eigentuumlmern und Mie-tern aumlhnlich gross Aber auch Mieter wuumlrden nicht uumlberall mehr fuumlr eine energieeffiziente Wohnung bezahlen Kaum uumlberraschen darf daher dass Immobilieninvestoren immer haumlufiger die steigenden Energieanforderungen kritisieren und kostenguumlnstigere Baustandards vorziehen Fuumlr WampP-Berater Urs Hausmann ist laquonachhaltiges Bauen trotzdem keine Frage von Luxus oder Wohlstand sondern eine wie man mit Ressourcen umgehen willraquo Dass ein hohes Um-weltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauen Der Run auf den oumlkologischen Baustoff Holz laumlsst zum Beispiel eine gesamte Wertschoumlpfungskette und viele

innovative Unternehmen profitieren Forstbetriebe Sauml-gereien Fensterbauer Daumlmmstoffhersteller und andere Bauzulieferer vergroumlssern ihre Produktionskapazitaumlten und stellen zusaumltzliches Personal ein laquoDie Umsaumltze im Schweizer Holzbau sind in den letzten Jahren um mehrere Hundert Millionen Franken gestiegen und die Trendkurve zeigt weiter nach obenraquo freut sich Christoph Starck Di-rektor des Holzbaudachverbands Lignum

Einheimische Zulieferer als GewinnerAuch im Verein Minergie ist man sich bewusst dass sich energieeffizientes Bauen wirtschaftlich positiv auswirkt In den letzten 15 Jahren sind 25 000 Wohnhaumluser Buumlro-komplexe Schulbauten Sport- und Industriehallen mit Niedrig energiezertifikat entstanden Gemeinsam sparen sie 15 Milliarden Kilowattstunden Energie laquoUumlber 2 Milliar-den Franken wurden zusaumltzlich investiertraquo rechnet Miner-gie-Sprecher Antonio Milelli vor Anstatt fossile Brennstoffe einzukaufen wird mehr Geld fuumlr Daumlmmstoffe Isolierfenster Luumlftungsanlagen und Sonnenkollektoren aus inlaumlndischer Fabrikation ausgegeben Zwischen 2001 und 2012 haben

Paul KnuumlselPaul Knuumlsel studierte Umweltnaturwissen-schaften an der ETH Zuumlrich Er ist unabhaumln-giger Wissenschaftsjournalist und schreibt seit Jahren in Publikums- und Fachmedien uumlber die vielfaumlltigen Aspekte des nachhalti-gen Bauens Zusaumltzlich betreut er in der Re-daktion des laquoTEC21raquo das Ressort laquoEnergie und Umweltraquo

laquoDass ein hohes Umweltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren

derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauenraquo

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Der Wasserkraft Sorge tragen

Welchen Beitrag kann die Wasserwirtschaft zur Energie-wende leisten Roger Pfammatter Die Wasserkraft ist der energie-politische Trumpf der Schweiz Wir befinden uns in der gluumlcklichen Lage uumlber grosse Mengen Wasser und das notwendige Gefaumllle zu verfuumlgen ndash das sind die beiden wichtigsten Voraussetzungen fuumlr die hydroelektrische Produktion Und wir haben in den vergangenen 100 Jah-ren gelernt dieses Potenzial effizient und moumlglichst um-weltschonend zu nutzen Die Wasserkraft ist der Schluumls-sel fuumlr eine nachhaltige Energieversorgung technisch ausgereift politisch erwuumlnscht einheimisch erneuerbar und CO2-frei

Wie viel mehr ist moumlglichHeute leistet die Wasserkraft nicht nur rund 60 Prozent der Stromproduktion in der Schweiz sondern bietet auch unverzichtbare Regel- und Systemdienstleistungen die markant an Bedeutung gewinnen werden Vor allem bei der Flexibilisierung der Wasserkraft durch mehr Leistung und Speichervolumen waumlre noch einiges moumlglich Um die Aufgaben weiterhin zu gewaumlhrleisten muumlssen wir aber primaumlr dem Bestehenden Sorge tragen

Die Energiestrategie des Bundes gibt aber klare Ausbau-ziele vor Bis 2035 soll die Stromproduktion aus Wasser-kraft um 10 Prozent steigenUnter den momentanen Rahmenbedingungen ist dieses Ausbauziel nicht realistisch Im Gegenteil Aufgrund der Restwasserbestimmungen wird die Produktion in den naumlchsten Jahren vermutlich sogar zuruumlckgehen

Die Wasserkraft ist der wichtigste Pfeiler der Schweizer Ener-giewirtschaft ihr Potenzial ist aber weitgehend ausgeschoumlpft Roger Pfammatter Geschaumlftsfuumlhrer des Wasserwirtschaftsver-bands gibt im Interview Auskunft uumlber die Lage der Branche und ihre Bedeutung fuumlr die EnergiezukunftInterview Florian Wehrli

Expertensicht

Was muss sich aumlndern damit die vorgegebenen Ziele um-gesetzt werden koumlnnenZum einen braucht es dafuumlr die Akzeptanz der Umweltver-baumlnde der Fischer und letztlich der gesamten Bevoumllkerung Zum anderen muumlssen laumlngerfristig die extremen Marktver-zerrungen abgebaut werden damit sich auch Investitionen in die nicht gefoumlrderte Wasserkraft wieder lohnen Heute wird nur noch in subventionierte Anlagen investiert

Wer ist hier in der PflichtHier ist die Politik gefordert die Rahmenbedingungen zu verbessern Denn ohne die Wasserkraft kann die Energie-wende nicht gelingen

Anfang Jahr wurde der Wasserwirtschaftsverband von den zustaumlndigen Kommissionen angehoumlrt Welche Forderun-gen hat die Branche an das ParlamentWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerba-re Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichten die bereits bis zur Haumllfte der Geste-hungskosten ausmachen Damit sind wir doppelt diskrimi-niert Die Wasserkraft ist extrem unter Preisdruck ndash und dies obwohl sie mit Gestehungskosten zwischen 3 und 10 Rappen pro Kilowattstunde die effizienteste Strompro-duktionstechnologie ist Nur zum Vergleich Fotovoltaik -anlagen werden heute mit rund 40 Rappen subventioniert

Bis 2011 liess sich mit der Grosswasserkraft noch viel Geld verdienen Wurden zu wenige Ruumlcklagen fuumlr schlechte Zei-ten gebildet

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Es kann nicht der Sinn sein Ruumlcklagen fuumlr Zeiten zu bil-den in denen die Marktpreise die Gestehungskosten nicht mehr decken Das waumlre wie wenn ein Baumlcker auf jedem Gipfeli einige Rappen zuruumlckbehalten muumlsste damit er sie am naumlchsten Tag gratis abgeben kann Mit dem durch Subventionen verzerrten Marktpreis von 4 bis 5 Rappen pro Kilowattstunde ist unter den konventionellen Energie-traumlgern praktisch nur Kohle konkurrenzfaumlhig Das ist be-stimmt nicht im Sinn der Energiewende

Drei Grosswasserkraftprojekte sind heute bereits im Bau Koumlnnen die enormen Kosten uumlberhaupt amortisiert wer-denPrognosen sind schwierig An der europaumlischen Strom-boumlrse (EEX) werden bis 2020 Strompreise zwischen 45 und 53 Rappen pro Kilowattstunde gehandelt Der Markt glaubt also nicht an eine baldige Erholung Dafuumlr muumlsste das Uumlberangebot in Europa zuruumlckgehen etwa uumlber die Anhebung des CO2-Preises von heute 5 auf mindestens 30 Euro pro Tonne Politisch ist das aber kaum durchsetz-bar Neue Pumpspeicherwerke werden sich deshalb wohl erst in mehreren Jahrzehnten lohnen

Was kann die Kleinwasserkraft leistenOhne die kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) wuumlr-de niemand Kleinwasserkraftanlagen bauen genauso we-nig wie Fotovoltaik- Wind- oder Biomasseanlagen Zurzeit gibt es aber allein bei der Kleinwasserkraft rund 1 000 An-meldungen fuumlr Foumlrderbeitraumlge mit einem bescheidenen Ge-samtpotenzial von 33 Terawattstunden pro Jahr Die oumlko-logischen Auswirkungen sind im Vergleich zum Ertrag zu gross Obwohl wir von marktverzerrenden Foumlrderprogram-men wegkommen sollten waumlre es in einer Uumlbergangs phase sinnvoll die KEV-Obergrenze von 10 Mega watt aufzuheben und dort zu foumlrdern wo es wirklich etwas bringt

Wie soll die Grosswasserkraft unterstuumltzt werdenDas Sinnvollste waumlre die Abkehr von der Subventions-maschinerie ndash und zwar auf europaumlischer Ebene Dann wuumlrde sich die Wasserkraft als effiziente erneuerbare Stromproduktionsform mit Sicherheit durchsetzen Min-destens als Uumlbergangsloumlsung waumlre aber die Entlastung

von Abgaben in erster Linie vom Wasserzins dringend Der maximale Wasserzins wurde in den letzten vier Jahren um 38 Prozent erhoumlht und wird naumlchstes Jahr um weite-re 10 Prozent angehoben Diese Erhoumlhung wurde 2008 beschlossen und steht heute in keinerlei Bezug mehr zur Ertrags lage Kurzfristig koumlnnten die Kantone auf einen Teil dieser Zinsen verzichten ndash das waumlre ein wichtiges politi-sches Zeichen Langfristig muss ein neuer Modus fuumlr die Zinsberechnung gefunden werden der die Ertragslage der Wasserkraft mitberuumlcksichtigt Das ist auch im Interesse von Bund Kantonen und Gemeinden schliesslich ist die Wasserkraft zu 85 Prozent in oumlffentlicher Hand Ebenfalls als Uumlbergangsloumlsung bis zu besseren Marktpreisen waumlren zinsguumlnstige Darlehen fuumlr die noumltigen Investitionen in die Grosswasserkraft denkbar Ohne mindestens eine dieser Massnahmen kann die Wasserwirtschaft das geforderte Ausbauziel nicht erreichen

Bis dahin gibt es noch eine weitere Huumlrde den Heimfall der Stauanlagen an die Standortgemeinden Welchen Ein-fluss hat dieser UmstandWenn die Konzessionen nach 80 oder 100 Jahren aus-laufen muss der Betreiber der Gemeinde eine Entschaumldi-gung fuumlr den Restwert der Anlagen entrichten Im Fall der Staumauer Barberine bezahlen die SBB und Alpiq 2017 an sechs Walliser Gemeinden 343 Millionen Franken Das 400-Seelen-Dorf Finhaut erhaumllt alleine 112 Millionen Fran-ken und weiss kaum wohin mit dem Geld Der gesamte Wert des Heimfalls der Anlagen bewegt sich schweizweit im Milliardenbereich Der Houmlhepunkt des Heimfalls wird um 2035 erreicht werden Bis zu diesem Zeitpunkt soll aber auch ein Grossteil der geforderten Produktionsstei-gerung umgesetzt werden

Bei der Stromproduktion ist ein Ausbau von uumlber 10 Pro-zent wohl nicht realistisch Wie sieht es bei der Speicher-leistung aus Hier muss man unterscheiden zwischen kurzfristiger und saisonaler Speicherung Fuumlr die saisonale Speicherung verfuumlgt die Schweiz mit 200 Speicherseen uumlber ein Vo-lumen von rund 9 000 Gigawattstunden (GWh) die jedes Jahr vom Sommer in den Winter umgelagert werden Dies

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Expertensicht

entspricht einem Viertel der jaumlhrlichen Produktion aus Wasserkraft Das Ausbaupotenzial durch die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren betraumlgt rund 2 000 GWh Falls der Ausbau aber nicht gelingt entsteht im Winter durch den Ausfall der Kernenergie eine immer groumlssere Luumlcke an Bandenergie die durch den Import von Atom- oder Kohlestrom gedeckt werden muss

Wie sieht es beim Ausbau der Pumpleistung zum kurzfris-tigen Ausgleich von Schwankungen im Netz ausGrundsaumltzlich ist das Potenzial fuumlr Pumpspeicherwerke in der Schweiz riesig Es braucht nur zwei Seen auf unter-schiedlicher Houmlhe Die Frage ist ob sich solche Investi-tionen rechnen Die Pumpspeicherwerke finanzieren sich

uumlber den Preisunterschied zwischen Band- und Spitzen-energie Wenn an einem schoumlnen Sommertag in Europa mittags die geballte Ladung an Sonnen- und Windener-gie eingespeist wird koumlnnen die Pumpspeicherkraftwerke sehr guumlnstig oder sogar zu Negativpreisen Strom bezie-hen Man darf aber nicht vergessen dass dieselbe Situa-tion fuumlr die Laufwasserkraftwerke die rund die Haumllfte der Wasserkraftproduktion in der Schweiz ausmachen den gegenteiligen Effekt hat Diese koumlnnen aus technischen konzessionsrechtlichen oder oumlkologischen Gruumlnden nicht vom Netz genommen werden und muumlssen fuumlr ihre Strom-produktion bezahlen Das kann gehoumlrig ins Geld gehen An Weihnachten 2012 lag der Strompreis zum Beispiel bei minus 30 Rappen pro Kilowattstunde

Roger Pfammatter laquoWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerbare Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichtenraquo

Bild Florian Wehrli

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cherseen zur Flexibilisierung Damit das gelingt muss der Wert der Wasserkraft staumlrker im Bewusstsein der Bevoumllke-rung verankert sein Und nicht zuletzt muss der Marktpreis so weit uumlber den Gestehungskosten liegen dass sich In-vestitionen in die Wasserwirtschaft rentieren

Versuchen das Bestehende zu erhalten Diese Vision klingt etwas resigniertDas ist eine Frage der Perspektive Die Wasserkraft hat als Technologie in der Schweiz seit Langem Bestand Sie befindet sich in einer anderen Situation als Fotovoltaik und Windenergie die sich in einem hochdynamischen Umfeld mit grossem Potenzial in Forschung und Wachstum be-finden Die Wasserkraft ist dagegen nicht mehr in der Auf-bruchsphase sondern in der Konsolidierungsphase Da-fuumlr kann man sich auf die Wasserkraftwerke verlassen Sie produzieren bei Tag und in der Nacht im Sommer wie im Winter bei Windstille oder im Nebel Auch der Erhalt und die Optimierung des Bestehenden sind grosse Heraus-forderungen und bedingen grosse Investitionen

Sehen Sie eine Moumlglichkeit wie die Schweizer Wasser-wirtschaft in Zukunft Geld mit Systemdienstleistungen wie Netzstabilitaumlt verdienen kannDie unregelmaumlssig einspeisenden Stromproduzenten neh-men keinerlei Systemverantwortung wahr Ich habe selbst ein Solarpanel auf dem Dach Wenn Produktion moumlglich ist speise ich Strom ins Netz ein wenn nicht beziehe ich Die Produzenten mehr in die Verantwortung zu nehmen faumlnde ich sinnvoll ndash zum Beispiel uumlber Zertifikate fuumlr Spei-cherleistungen Diese koumlnnten bei Pumpspeicherwerken bezogen werden

Welcher Ausbau der Pumpspeicherleistung ist dafuumlr noumltigDie installierte Leistung betraumlgt heute rund 14 Gigawatt (GW) Mit den im Bau befindlichen und den geplanten An-lagen kann die Kapazitaumlt maximal auf 51 GW ausgebaut werden ndash etwa die Haumllfte der Jahreshoumlchstlast im Netz Damit die Schweizer Wasserkraft aber einen Beitrag zur Stabilitaumlt des europaumlischen Stromnetzes leisten kann muumlssten auch das Stauvolumen und die Leitungskapazi-taumlt erhoumlht werden Hier sind die Einsprachen von Anwoh-nern und Umweltverbaumlnden noch gravierender als bei den Anlagen selbst

Braucht es neue rechtliche Instrumente um den geplan-ten Ausbau durchsetzen zu koumlnnenEs braucht vor allem die Einsicht dass die Wasserkraft das Ruumlckgrat unserer Versorgungssicherheit ist und die Aus-wirkungen eines Ausbaus immer auch mit den Alternativen verglichen werden muumlssen Wir befinden uns aber auch in einem intensiv genutzten Land mit vielen Partikularinteres-sen Diese muumlssen gewichtet und abgewogen werden In der Abwaumlgung zwischen Landschaftsschutz und Wasser-nutzung waumlre es hilfreich wenn Grosswasserkraftanlagen den Status von nationalem Interesse erhalten

Wie soll die Schweizer Wasserwirtschaft im Jahr 2035 aussehenIch wuumlnsche mir dass die bestehende Infrastruktur auf dem heutigen Stand erhalten optimiert oumlkologisiert und im Idealfall etwas ausgebaut wird Dazu gehoumlren etwa die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren sowie neue Spei-

Roger PfammatterSeit seinem Ingenieurstudium an der ETH Zuumlrich hat er sich in ver-schiedenen Rollen dem Wasser verschrieben Nach sieben Lehr- und Wanderjahren in der Forschung und in der Entwicklungszusammen-arbeit war er zehn Jahre beim Ingenieurunternehmen Ernst Basler + Partner engagiert Seit 2010 ist er Geschaumlftsfuumlhrer des Schweizeri-schen Wasserwirtschaftsverbandes (SWV) und Herausgeber der Zeit-schrift laquoWasser Energie Luftraquo In diesen Funktionen setzt er sich ein fuumlr den Fachaustausch und gute Rahmenbedingungen in den Bereichen Wasserkraft und Hochwasserschutz

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Die globalen Energiemaumlrkte sind seit einigen Jahren stark in Bewegung Volatile Erdoumllpreise die Foumlrderung von un-konventionellen Gasvorkommen in grossem Stil die mas-sive Subventionierung von neuen erneuerbaren Energien in Deutschland der laquoarabische Fruumlhlingraquo und der Konflikt in der Ukraine hinterlassen Spuren Die Folge sind starke Verwerfungen an den Maumlrkten und fehlende Investitionssi-cherheit In diesem dynamischen und unsicheren Kontext will der Bund die bisherige Energiepolitik neu ausrichten ndash wahrlich eine Herkulesaufgabe Die Schweizer Wirtschaft verlangt dass der Bund bei der Neuausrichtung der Ener-giepolitik seinem in der Verfassung verankerten Auftrag nachkommt und sich fuumlr eine ausreichende sichere breit gefaumlcherte wirtschaftliche und umweltvertraumlgliche Ener-gieversorgung einsetzt Somit ist klar Die Energiestrate-gie 2050 muss in erheblichen Teilen optimiert und justiert werden Nur wenn vernetzt gedacht wird ist eine sichere Versorgung zu wettbewerbsfaumlhigen Preisen moumlglich

Prognosen klaffen weit auseinanderSeit Jahrzehnten bietet der Strommix aus Wasserkraft (knapp 60 Prozent) und Kernenergie (40 Prozent) Gewaumlhr fuumlr eine sichere klimafreundliche und wirtschaftliche Ener-gieversorgung Im Rahmen der Energiestrategie 2050 muss die Kernenergie langfristig ersetzt werden Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen zumal die Ziele des Bundes

Lebenselixier der Wirtschaft

Die Schweizer Wirtschaft ist auch in Zukunft auf eine sichere und wirtschaftliche Stromver-sorgung angewiesen Die Ener-giestrategie 2050 setzt stark auf Subventionen Dadurch entstehen Fehlanreize welche die Versorgungssicherheit ge-faumlhrdenText Kurt Lanz

Expertensicht

in Bezug auf das Potenzial der neuen erneuerbaren Ener-gien von Wunschdenken geleitet sind Die neuen erneuer-baren Energien werden sich langsamer entwickeln als an-gestrebt Der Bund rechnet mit rund 12 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2035 die Schweizer Wirtschaft mit 44 TWh Die vorsichtigeren Prognosen der Wirtschaft scheinen re-alistischer Dies zeigen exemplarisch die gescheiterten Geothermieprojekte in Basel und St Gallen Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Nachfrageprognosen Der Bund rechnet in seinen Szenarien mit einem Ruumlckgang des Stromverbrauchs pro Kopf von 16 Prozent zwischen 2000 und 2035 Die Schweizer Wirtschaft orientiert sich in ihren Szenarien am Verband Schweizerischer Elektrizitaumlts-unternehmen (VSE) der weiter mit einer steigenden Nach-frage rechnet Die Wirtschaft fordert von der Politik eine vernuumlnftige Planung aufgrund realistischer Schaumltzungen Die Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energiestrategie nicht gefaumlhrdet werden

Subventionen fuumlhren zu FehlanreizenDie Schweiz hat seit vielen Jahrzehnten erfolgreich die Wasserkraft vorangetrieben Aus politischen Gruumlnden wird nun die ndash unregelmaumlssige ndash Stromproduktion durch Sonnen- und Windenergie forciert Unsere sogenann-te kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) entspricht dem deutschen Foumlrdermodell Beide haben das gleiche Ziel Sie sollen erneuerbare Energien ausbauen indem sie neue Formen der Stromproduktion zur Marktreife brin-gen Weil das KEV-System die Sonnen- und Windenergie massiv foumlrdert kommt ein weiterer Ausbau der bewaumlhrten Wasserkraft nicht infrage Diese Entwicklung gefaumlhrdet die Versorgungssicherheit der Schweiz Auf den ersten Blick sinken zwar die Produktionskosten fuumlr Solarstrom gleich-zeitig steigen aber die Kosten fuumlr Speicherung und Inte-gration ins Netz spuumlrbar Auch ist der Ausbau von Solar- und Windenergie nur von beschraumlnktem Nutzen solange keine ausreichenden Speicherkapazitaumlten vorhanden sind Nur Preissignale koumlnnen das Investitionsverhalten von Stromproduzenten Netzbetreibern und Konsumen-ten sinnvoll lenken Subventionen sind zu beseitigen denn sie fuumlhren zu Fehlanreizen

41COMPETENCE | 2014

Alle Optionen offenhaltenOffenheit und Neugier gehoumlren zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft Kategorisches Abwehrverhalten und Denkverbote verhindern konstruktive Loumlsungsansaumltze und Innovation Eine sichere und kostenguumlnstige Strom-versorgung kann auch in Zukunft nur mit der notwendi-gen Offenheit gegenuumlber allen Technologien und Energie-

systemen garantiert werden Die Schweiz ist dank einer erfolgreichen Hochschulland-schaft und vielen Technolo-gieunternehmen gut geruumlstet Die verschiedenen Energie-systeme muumlssen faktenba-siert und ohne ideologische

Scheuklappen verglichen werden Nur so koumlnnen effizi-ente und umweltvertraumlgliche Loumlsungen gefunden werden Das heutige System der Foumlrderung der neuen erneuer-baren Energien ist durch ein marktorientiertes System ab-zuloumlsen Produzenten die nachfragegerecht einspeisen sollen eine houmlhere Verguumltung erhalten als andere Auch soll der Vorrang der Netzeinspeisung fuumlr subventionierte Energietraumlger aufgehoben werden

laquoDie Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit

des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energie strategie nicht

gefaumlhrdet werdenraquo

Schnellere Verfahren anstrebenGrundvoraussetzung fuumlr eine Neuausrichtung der Ener-giepolitik sind funktionierende Stromnetze Diese muumls-sen zwingend parallel zum Umbau der Stromproduktion weiterentwickelt werden Allein der noumltige Ausbau der Uumlbertragungsnetze belaumluft sich auf rund 1 000 Kilometer bis ins Jahr 2020 Erforderlich sind zudem Investitionen in alle Verteilernetzebenen Al-lerdings verzoumlgern komplizier-te Verfahren auf Kantons- und Bundesebene den Ausbau Ausserdem erwaumlchst praktisch jedem Projekt Widerstand von privater Seite was zu weiteren Verzoumlgerungen fuumlhrt Die Wirt-schaft fordert deshalb Bei Bewilligungen von Stromnetzen ist der Gang vors Bundesgericht nur noch bei Grundsatz-fragen moumlglich Umbauten sowie Spannungs- und Kapa-zitaumltserweiterungen koumlnnen ohne Planungsgenehmigung realisiert werden Ausserdem sind die Verfahren bei einer einzigen Leitbehoumlrde anzusiedeln

Spielfeld erweiternDie Schweiz ist seit jeher ein wichtiges Stromtransitland Schon seit den 90er-Jahren treibt die EU die Vereinheitli-chung des Binnenmarkts fuumlr Strom hin zu einem eigent-lichen EU-Strommarkt voran In der Schweiz erweist sich die gesetzliche Trennung von Grundversorgung und Markt diesbezuumlglich zunehmend als Hindernis Aus Sicht der Wirtschaft ist die vollstaumlndige Liberalisierung des Strom-markts eine zwingende Voraussetzung fuumlr eine erfolgrei-che energiepolitische Neuausrichtung

Eine Marktoumlffnung wuumlrde insbesondere auch den erneuer-baren Energien neue Chancen eroumlffnen und Zugang zu neuen Kunden gewaumlhren Von hoher Wichtigkeit ist auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU Je groumlsser der Anteil erneuerbarer Energien umso wichtiger ist die Einbettung in Europa denn Investitionen in Netze und Produktion koumlnnen in Koordination mit der EU wirkungsvoller und wahrscheinlich kostenguumlnstiger getaumltigt werden

Kurt LanzKurt Lanz ist Leiter Infrastruktur Energie und Umwelt sowie Geschaumlftsleitungsmitglied von economiesuisse dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft

Gut vernetzt ndash Vorschlaumlge der Schweizer Wirtschaftzur EnergiepolitikDie Publikation basiert auf der Grundlagenarbeit der breit abgestuumltz-ten Energiekommission von economiesuisse und macht konstruk-tive Vorschlaumlge fuumlr einen erfolgreichen energiepolitischen Weg der Schweiz Download unter wwweconomiesuissech

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

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Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

wwwsmlzhawch

Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 30: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

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Ausgliederung aus der StadtverwaltungAuch auf kommunaler Ebene ist Stadtwerk Winterthur von den politischen Rahmenbedingungen abhaumlngig ndash mit allen Vor- und Nachteilen Die politischen Kurswechsel in den vorgesetzten Gremien seien hinderlich bei der Umsetzung der Strategie des Unternehmens laquoWir taumltigen Investitio-nen mit einem Planungshorizont von mehreren Jahrzehn-tenraquo sagt Markus Saumlgesser laquoin der Politik wird dagegen in Amtsperioden von vier Jahren gedachtraquo Es gibt deshalb Bestrebungen das Stadtwerk aus der Stadtverwaltung auszugliedern und einem langfristig operierenden Steue-rungsgremium zu unterstellen Bei der Stimmbevoumllkerung geniesst Stadtwerk Winterthur grossen Ruumlckhalt Alleine in den letzten zwei Jahren wurden vier Abstimmungsvor-lagen mit grossem Mehr angenommen darunter Rah-menkredite fuumlr das Energie-Contracting oder erneuerbare Energien laquoEine bessere Legitimation koumlnnen wir uns gar nicht wuumlnschenraquo sagt Markus Saumlgesser

Neue BetriebskulturStrategisch und energiepolitisch werden Dienstleistungen wie das Energie-Contracting fuumlr Stadtwerk Winterthur immer wichtiger laquoWir wollen unserer Kundschaft Waumlr-me oder Kaumllte gleich komfortabel anbieten koumlnnen wie Stromraquo sagt Markus Saumlgesser laquoImmobilienbesitzerinnen und -besitzer sollen sich nicht mehr um den Fuumlllstand ih-res Oumlltanks oder den Termin fuumlr den Kaminfeger kuumlmmern muumlssenraquo Das Energie-Contracting waumlchst stark und macht heute bereits rund 5 Prozent des Umsatzes von Stadtwerk Winterthur aus

Die neuen Geschaumlftsfelder ziehen auch andere Arbeits-kraumlfte an als bisher Verschiedene Betriebskulturen seien in den vergangenen Jahren teilweise parallel gelaufen be-ginnen nun aber langsam zu verschmelzen Ein Beispiel dafuumlr ist die Verknuumlpfung von Smart Metering und dem traditionellen Verteilnetz Elektrizitaumlt Als Voraussetzung fuumlr das Change-Management in der Betriebskultur habe man alle Mitarbeitenden in die Erarbeitung des Unterneh-mensleitbildes involviert Entstanden ist ein Leitbild das Stadtwerk Winterthur dabei unterstuumltzt die Unterneh-mensstrategie umzusetzen Stadtwerk Winterthur soll mit

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

Markus SaumlgesserMarkus Saumlgesser (52) ist diplomierter Ma-schineningenieur ETH und hat ein Nachdi-plomstudium in technischen Betriebswissen-schaften absolviert Seit Anfang 2011 ist er Direktor von Stadtwerk Winterthur Seine bisherige berufliche Taumltigkeit fuumlhrte Markus Saumlgesser nach zwei Jahren Assistenz an der ETH zu einem Ingenieurbuumlro fuumlr Ener-gie- und Haustechnik Waumlhrend dieser rund sechsjaumlhrigen Zeit war er bei anspruchsvol-len Bauprojekten verantwortlich fuumlr die Konzeption und Koordination der technischen Gebaumludeausruumlstung Zudem war er waumlhrend vier Jahren Mitglied der Geschaumlftsleitung Nach zweijaumlhriger Taumltigkeit als Abteilungsleiter in einer groumlsseren Gemeinde wechselte er zum Elek-trizitaumltswerk der Stadt Zuumlrich (EWZ) bei dem er die Abteilung Vertrieb Grosskunden leitete Daneben war Markus Saumlgesser beim EWZ in verschiedene Innovationsprojekte involviert So zeichnete er fuumlr das Projekt laquoStromzukunft Stadt Zuumlrichraquo verantwortlich das wichtige Grundlagen fuumlr die Strategie des EWZ und die Volksabstimmung zur 2000-Watt-Gesellschaft in der Stadt Zuumlrich beisteuerte

Stadtwerk Winterthur in Zahlen (2013)Mitarbeitende 347Nettoinvestitionen 1198 Mio CHFDurchgeleitete Strommenge 5643 Mio kWhUmsatz Strom 93 Mio CHFDurchgeleitete Gasmenge 5295 Mio kWhUmsatz Gas 411 Mio CHFUnternehmensgewinn 109 Mio CHF

einer nachhaltigen Ausrichtung unter Wahrung der sozia-len Verantwortung betriebswirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft gefuumlhrt werden

Wann wurden in Winterthur die ersten Strassenlampen mithilfe von Stein-kohle erleuchtet

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Unternehmensperspektive

ckelte Hochspannungsgleichstromschalter sollen zudem sicherstellen dass etwa ein Kurzschluss durch eine hy-perschnelle Abschaltung isoliert und das Netz somit nicht gefaumlhrdet wird Von 14 solchen Schaltsystemen welt-weit stammen 13 von ABB Die hohen Investitionen fuumlr die armdicken Gleichstromkabel rechnen sich da beim Transport viel weniger Strom verloren geht als bei der tradi tionellen Wechselstromtechnik Die Produktelinie ent-wickelt sich zum Renner Sie wird zur Anbindung von So-lar- und Windparks zur Versorgung von Inseln als Ersatz fuumlr Diesel generatoren auf Oumll- und Gasplattformen auf See eingesetzt Oder um Starkstrom vom Festland zu auf dem Meeresboden platzierten ferngesteuerten Foumlrderanlagen fuumlr Gas und Oumll zu leiten ndash wofuumlr ABB auch wartungsfreie Kompressoren liefert damit Kunden wie Statoil und Pet-robras teure Ausfaumllle erspart bleiben

Komplettloumlsungen aus einer HandDank hohem Innovationstempo sind die Divisionen Ener-gietechnik- und Niederspannungsprodukte gut ausgelas-tet Dies gilt ebenso fuumlr die Divisionen Industrie- und Pro-zessautomation Speziell energieintensive Industrien die unter hohem Kostendruck stehen muumlssen ihre Anlagen auf dem neusten Stand halten Dazu zaumlhlen Bergbau Oumll- und Gasindustrie Zellstoff- Papier- und Zementfabriken Chemie- und Pharmafirmen sowie Raffinerien Gefragt sind auch Industrieroboter und schwenkbare dank ABB-Leistungselektronik stufenlos regulierbare Schiffsantrie-be ABB liefert Grosskunden fertige Loumlsungen die hohe Produktivitaumlt und Energieeffizienz gewaumlhrleisten Alles ist aufeinander abgestimmt von der Elektrik uumlber Antriebe Generatoren Roboter Sensoren und Steuerungen bis hin

Zu Beginn des Jahrtausends stand ABB am Abgrund Doch eine neue Fuumlhrungscrew fuumlhrte das Unternehmen aus der Krise sodass die Schweiz inzwischen wieder stolz sein kann auf ihren Industriemulti mit Sitz in Zuumlrich Oerli-kon 2013 erzielte ABB mit rund 148 000 Mitarbeitenden in 100 Laumlndern 42 Milliarden Dollar Umsatz Die renom-mierte US-Universitaumlt MIT zaumlhlt ABB zu den 50 innova-tivsten Unternehmen weltweit Dank 8 000 Ingenieuren in Forschung und Entwicklung und einem Forschungsetat von 15 Milliarden Dollar kann ABB selbst mit Giganten wie Siemens und General Electric mithalten

Innovationen die Technikfans begeisternWas ABB alles macht wissen wohl nur Technikfans Denn der Konzern hat uumlber 70 000 Produkte im Angebot Die 300 ABB-Fabriken liefern taumlglich 15 Millionen Kompo-nenten aus die zu elektrischen Einrichtungen oder in Pro-duktionssteuerungen verbaut werden Aus Kanada etwa kam juumlngst ein Grossauftrag uumlber 400 Millionen Dollar Erneuerbare Energie die auf Neufundland und Labrador gewonnen wird soll ab 2017 via Hochspannungskabel 360 Kilometer nach Westen fliessen um dort 350 000 Haumluser zu versorgen Weltweit gibt es erst 90 solche Gleichstromkabelverbindungen die meist unter der Erde oder auf dem Meeresgrund verlaufen ABB ist mit rund 50 Prozent Anteil Marktfuumlhrer Die futuristisch anmuten-de Technik in den abgeschirmten Hallen wo der Strom vor dem Transport auf Hochspannung transformiert wird erinnert an den Maschinenraum von Raumschiff Enter-prise Ein wichtiges Steuerungselement bilden dabei in Baden Daumlttwil entwickelte und in Lenzburg produzierte Spezialchips die Houmlchstspannung aushalten Neu entwi-

Der schweizerisch-schwedische Technikkonzern treibt an vor-derster Front die Energiewende voran Dafuumlr forscht man bei ABB intensiv zu erneuerbaren Energien schlauen Stromnetzen sowie hocheffizienten Industrieanlagen Einzig die schwache Nachfrage nach Energieanlagen in Europa bremst die ExpansionText Andreas Fluumltsch

Innovativer Treiber der Energiewende

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uumlber weite Strecken in die Ballungsraumlume geleitet werden muss brummt das Geschaumlft In den USA treibt der Oumll- und Gasboom die Nachfrage Nur in Europa harzt das Geschaumlft mit Grossanlagen Weniger Nachfrage belastet die Margen bei Auftraumlgen fuumlr Wind- und Solarfarmen so-wie fuumlr Netzinfrastruktur Die Risiken der oft mehrjaumlhrigen Projekte sind so hoch dass ABB waumlhlerischer sein muss und etwa das Geschaumlft mit Solarloumlsungen zurzeit auf Sparflamme betreibt Dennoch ist ABB immer noch hoch-profitabel nicht zuletzt da die Kosten Jahr fuumlr Jahr um 3 bis 5 Prozent gesenkt werden Aber der erfolgsgewohnte Konzern musste sich 2013 mit 6 Prozent Umsatzplus zu-friedengeben Umso intensiver treibt der neue ABB-Chef Ulrich Spiesshofer die Integration der vorab in den USA fuumlr 10 Milliarden Dollar getaumltigten Zukaumlufe voran Und Spiess-hofer forciert die Zusammenarbeit der Divisionen damit ABB die Unternehmensvision laquoEnergie und Produktivitaumlt fuumlr eine bessere Weltraquo mit moumlglichst vielen eigenen Pro-dukten realisieren kann

zur Leittechnik samt angepasster Software Kleine und mittlere Kunden ordern Komponenten oder Teilsysteme Ein wichtiges Verkaufsargument ist das Sparpotenzial von stufenlos steuerbaren Elektromotoren Nur einer von fuumlnf Motoren hat laut einer Erhebung des Bundes einen Leis-tungsregler der Rest laumluft auf Hochtouren und wird ndash man glaubt es kaum ndash bei Bedarf mit Klappen oder Ventilen mechanisch abgebremst Eine gigantische Verschwen-dung da Industriemotoren laut einer Studie der Schwei-zerischen Agentur fuumlr Energieeffizienz 27 Prozent des Schweizer Stromverbrauchs ausmachen

Europaumlische ZuruumlckhaltungEigentlich muumlsste die Division Energietechniksysteme ebenfalls ausgelastet sein Denn auch die Stromwirtschaft muss ihre Effizienz steigern Schliesslich erfordert die Energiewende einen Totalumbau der auf Verteilung ausge-richteten Netze damit diese unter der Last von Solar- und Windenergie nicht instabil werden Arbeit in Huumllle und Fuumllle fuumlr ABB sollte man meinen Doch der erst zaghafte Auf-schwung in Europa daumlmpft die Nachfrage Erschwerend kommt hinzu dass subventionierte Wind- und Solarener-gie in Europas liberalisiertem Strommarkt den Strompreis in ungeahnte Tiefen druumlckte Die Konkurrenzfaumlhigkeit von Wasser- Gas- und Atomkraftwerken hat gelitten Pump-speicher sind keine Goldesel mehr seit die erneuerbaren Energien die Preisspitzen brechen Entsprechend schie-ben Stromkonzerne wie Alpiq oder RWE Investitionen auf Unsicherheiten rund um den Atomausstieg belasten zu-saumltzlich Die voraussichtlich noch auf Jahre hinaus tiefen Strompreise schmaumllern auch die Faumlhigkeit der Besitzer von Hochspannungs- und Verteilnetzen deren Umruumlstung zu finanzieren hoch verschuldete EU-Staaten fahren die Foumlrderung von Wind- und Solarenergie zuruumlck

Straffe KostenkontrolleABB bekommt den Investitionsstau empfindlich zu spuuml-ren Die Division Energietechniksysteme schreibt seit eini-ger Zeit rote Zahlen Zwar ordern Grosskunden aus Asien und Lateinamerika weiterhin kraumlftig Neben China inves-tiert vermehrt auch Indien in neue Stromnetze Uumlberall dort wo die Bevoumllkerung rasch waumlchst oder der Strom

Andreas FluumltschAndreas Fluumltsch war urspruumlnglich Jurist und arbeitete ab 1983 als Journalist fuumlr laquoBlickraquo laquoWeltwocheraquo laquoBilanzraquo und laquoCashraquo Zwischen 1989 und 1990 war er Mitglied der Geschaumlftsleitung von Greenpeace Schweiz anschliessend Hausmann Nach der Ruumlck-kehr in den Journalismus 1992 arbeitete er bei laquoBlickraquo laquoSonntagszeitungraquo und laquoTages- Anzeigerraquo und absolvierte eine Ausbildung zum Boumlrsenhaumlndler Nach der Fruumlhpensio-nierung Ende 2013 machte er sich als Publi-zist selbststaumlndig

ABB in Zahlen (2013)Betriebsertrag 41 848 Mio USDBetriebsergebnis 4 387 Mio USDndash Industrieautomation 1 458 Mio USDndash Niederspannung 1 092 Mio USDndash Prozessautomation 990 Mio USDndash Energietechnik 1 331 Mio USDndash Energiesysteme 171 Mio USD

Mitarbeitende 147 700ndash davon in der Schweiz 6 966

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Hohe Nachfrage nach MinergieDer Erfolg der bisherigen Sparbemuumlhungen bleibt nicht aus laquoTrotz zunehmender Pro-Kopf-Wohnflaumlche und stei-gendem Komfort sinkt der Energieverbrauch fuumlrs Heizen in den letzten Jahrzehnten stetigraquo verkuumlndet der Zuumlrcher Regierungsrat im Energieplanungsbericht 2014 Dazu tra-gen nicht nur die laufend verschaumlrften Gesetze bei Ebenso wichtig ist die Bereitschaft von Bautraumlgerschaften freiwillig Uumlberdurchschnittliches zu leisten Vor allem die Minergie-Regeln werden inzwischen gerne befolgt weshalb Haumluser mit halbiertem Energieverbrauch beinahe Standard sind Schweizweit traumlgt eines von zehn neuen Wohnhaumlusern ein Minergie-Zertifikat Der Anteil an Minergie-Haumlusern im Grossraum Zuumlrich liegt gemaumlss einer Marktanalyse der Universitaumlt Zuumlrich bereits nahe bei 20 Prozent Dies ist privaten Hauseigentuumlmern und institutionellen Investoren zu verdanken Wohn- und Geschaumlftshaumluser mit houmlchster Energieeffizienz gehoumlren inzwischen zum guten Ton Den juumlngsten Beweis liefert eine Immobilienstiftung der Credit Suisse die 70 Millionen Franken in die groumlsste Oumlkosied-lung der Schweiz investiert Im Aargauer Reusstal wohnen seit diesem Jahr rund 200 Familien Paare und Singles deren Wohnhaumluser sich weitgehend selbst mit Sonnen-energie versorgen So klimafreundlich die Energiewende-Architektur ist der Investor erwartet dennoch marktuumlb-liche Renditen Ist der Markt aber bereit oumlkologisches Engagement angemessen zu honorieren

Marktpotenzial fruumlhzeitig erkanntDie Zuumlrcher Kantonalbank (ZKB) beziffert den Mehrwert von Minergie-Haumlusern auf 7 Prozent Kaumlufer seien bereit diesen Aufpreis fuumlr mehr Energieeffizienz zu bezahlen Als weitere Nebeneffekte nennt der vor drei Jahren publizierte ZKB-Bericht eine hochwertige dauerhafte Bausubstanz sowie die Absicherung gegen steigende Oumll- und Energie-preise Fachleute des Immobilienberatungsunternehmens Wuumlest amp Partner (WampP) warnen indes dass sich zusaumltz-liche Investitionen in die Energieeffizienz nicht uumlberall loh-nen laquoRegional schwankt die Zahlungsbereitschaft des Immobilienmarktsraquo praumlzisiert WampP-Partner Ivan Anton Minergie-Haumluser koumlnnen aber nicht nur in abgelegenen Regionen ein Marktrisiko werden laquoMit Ausnahme der

Beim Autokauf wird bevorzugt auf Pferdestaumlrken Be-schleunigung und Innenausstattung geachtet Der CO2-Ausstoss interessiert hingegen kaum So kommt die Energieeffizienz im Strassenverkehr nur stockend voran 1995 schluckten alle neu immatrikulierten Personen-wagen durchschnittlich 9 Liter Benzin pro 100 Kilometer 20 Jahre spaumlter liegt der Durchschnittsverbrauch gemaumlss Bundesamt fuumlr Energie (BFE) immer noch uumlber 6 Litern Das viel gepriesene laquoDrei-Liter-Autoraquo haben alle Hersteller wieder aus der Modellpalette genommen

Demgegenuumlber gelingen dem oft traumlge genannten Ge-baumludebereich weitaus groumlssere Effizienzspruumlnge Ver-brauchen 40 Jahre alte Haumluser im Schnitt 220 Kilowatt-stunden (kWh) Heizenergie pro Quadratmeter Wohnflaumlche und Jahr sind die aktuellen Werte unter die 50er-Marke gesunken Zusaumltzliche Sparerfolge sind nur eine Frage der Zeit Im Fruumlhsommer haben die kantonalen Energie-direktoren uumlber ein Rahmenabkommen beraten das Null-energieneubauten demnaumlchst zum Standard machen soll Wie die nationale Energiewende zu erreichen ist erklaumlrt Christoph Gmuumlr von der Abteilung Energie des Kantons Zuumlrich laquoDer spezifische Verbrauchswert ist zudem auf 35 kWh pro Quadratmeter zu senkenraquo Gebaumlude die sich mit umweltfreundlicher Energie selbst versorgen wollen auch die EU-Staaten Ab 2020 wird ein Gebaumludestandard eingefuumlhrt der nur noch laquoNiedrigstenergiegebaumluderaquo mit sehr hoher Energieeffizienz als Neubauten vorsieht

Energiesparhaumluser waren vor 30 Jahren Exoten inzwischen nimmt der Bereich der energie-effizienten Gebaumlude eine Vor-bildrolle fuumlr die Energie wende ein Bauherren profitieren davon ebenso wie die Zuliefer-branche Text Paul Knuumlsel

Expertensicht

Haumluser in der ersten Reihe

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der Bau von Niedrigenergiehaumlusern und alternativen Hei-zungsanlagen sowie energetische Gebaumludesanierungen Investitionen im Umfang von rund 4 Milliarden Franken ausgeloumlst rechnet der Bund vor laquoEin Fuumlnftel insgesamt 860 Millionen Franken stammt aus den oumlffentlichen Kas-senraquo verweist die BFE-Stelle EnergieSchweiz auf die Im-pulse der kantonalen Foumlrderprogramme Einen Wermuts-tropfen besitzt diese Wirkungsbilanz Fruumlhere Analysen der Energiesparprogramme zeigen naumlmlich dass zwi-schen einem Drittel und der Haumllfte der energetisch vorbild-lichen Gebaumlude auch ohne staatliche Foumlrderung realisiert worden waumlren Dem Mitnahmeeffekt ist auch die Eidge-noumlssische Steuerverwaltung auf der Spur Sie schaumltzt dass Bund und Kantonen jaumlhrlich 14 Milliarden Franken entgehen weil energetische Gebaumludesanierungen bei der Liegenschaftssteuer abzugsberechtigt sind Die Energie-wende erfordert nicht nur mehr Effizienz bei den Anwen-dungen sondern auch einen effizienten Einsatz staatlicher Mittel Im Energieplanungsbericht 2013 hat der Zuumlrcher Regierungsrat erstmals uumlber alternative Anreizsysteme nachgedacht Demnach soll eine Lenkungsabgabe den Energiekonsum reduzieren und das bisherige Foumlrdersys-tem abloumlsen Aumlhnliche Plaumlne verfolgt der Bund Denn ein Lenkungssystem duumlrfte weitere Sparbemuumlhungen im Ge-baumludebereich aber auch im Strassenverkehr foumlrdern Ins-besondere dann wenn Heizoumll und Benzin im Gleichschritt teurer werden

begehrten Wohnlagen haben Hauseigentuumlmer an vielen Orten mit moumlglichen Verkaufsverlusten zu rechnenraquo so Anton Zwar sei die Nachfrage bei Eigentuumlmern und Mie-tern aumlhnlich gross Aber auch Mieter wuumlrden nicht uumlberall mehr fuumlr eine energieeffiziente Wohnung bezahlen Kaum uumlberraschen darf daher dass Immobilieninvestoren immer haumlufiger die steigenden Energieanforderungen kritisieren und kostenguumlnstigere Baustandards vorziehen Fuumlr WampP-Berater Urs Hausmann ist laquonachhaltiges Bauen trotzdem keine Frage von Luxus oder Wohlstand sondern eine wie man mit Ressourcen umgehen willraquo Dass ein hohes Um-weltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauen Der Run auf den oumlkologischen Baustoff Holz laumlsst zum Beispiel eine gesamte Wertschoumlpfungskette und viele

innovative Unternehmen profitieren Forstbetriebe Sauml-gereien Fensterbauer Daumlmmstoffhersteller und andere Bauzulieferer vergroumlssern ihre Produktionskapazitaumlten und stellen zusaumltzliches Personal ein laquoDie Umsaumltze im Schweizer Holzbau sind in den letzten Jahren um mehrere Hundert Millionen Franken gestiegen und die Trendkurve zeigt weiter nach obenraquo freut sich Christoph Starck Di-rektor des Holzbaudachverbands Lignum

Einheimische Zulieferer als GewinnerAuch im Verein Minergie ist man sich bewusst dass sich energieeffizientes Bauen wirtschaftlich positiv auswirkt In den letzten 15 Jahren sind 25 000 Wohnhaumluser Buumlro-komplexe Schulbauten Sport- und Industriehallen mit Niedrig energiezertifikat entstanden Gemeinsam sparen sie 15 Milliarden Kilowattstunden Energie laquoUumlber 2 Milliar-den Franken wurden zusaumltzlich investiertraquo rechnet Miner-gie-Sprecher Antonio Milelli vor Anstatt fossile Brennstoffe einzukaufen wird mehr Geld fuumlr Daumlmmstoffe Isolierfenster Luumlftungsanlagen und Sonnenkollektoren aus inlaumlndischer Fabrikation ausgegeben Zwischen 2001 und 2012 haben

Paul KnuumlselPaul Knuumlsel studierte Umweltnaturwissen-schaften an der ETH Zuumlrich Er ist unabhaumln-giger Wissenschaftsjournalist und schreibt seit Jahren in Publikums- und Fachmedien uumlber die vielfaumlltigen Aspekte des nachhalti-gen Bauens Zusaumltzlich betreut er in der Re-daktion des laquoTEC21raquo das Ressort laquoEnergie und Umweltraquo

laquoDass ein hohes Umweltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren

derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauenraquo

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Der Wasserkraft Sorge tragen

Welchen Beitrag kann die Wasserwirtschaft zur Energie-wende leisten Roger Pfammatter Die Wasserkraft ist der energie-politische Trumpf der Schweiz Wir befinden uns in der gluumlcklichen Lage uumlber grosse Mengen Wasser und das notwendige Gefaumllle zu verfuumlgen ndash das sind die beiden wichtigsten Voraussetzungen fuumlr die hydroelektrische Produktion Und wir haben in den vergangenen 100 Jah-ren gelernt dieses Potenzial effizient und moumlglichst um-weltschonend zu nutzen Die Wasserkraft ist der Schluumls-sel fuumlr eine nachhaltige Energieversorgung technisch ausgereift politisch erwuumlnscht einheimisch erneuerbar und CO2-frei

Wie viel mehr ist moumlglichHeute leistet die Wasserkraft nicht nur rund 60 Prozent der Stromproduktion in der Schweiz sondern bietet auch unverzichtbare Regel- und Systemdienstleistungen die markant an Bedeutung gewinnen werden Vor allem bei der Flexibilisierung der Wasserkraft durch mehr Leistung und Speichervolumen waumlre noch einiges moumlglich Um die Aufgaben weiterhin zu gewaumlhrleisten muumlssen wir aber primaumlr dem Bestehenden Sorge tragen

Die Energiestrategie des Bundes gibt aber klare Ausbau-ziele vor Bis 2035 soll die Stromproduktion aus Wasser-kraft um 10 Prozent steigenUnter den momentanen Rahmenbedingungen ist dieses Ausbauziel nicht realistisch Im Gegenteil Aufgrund der Restwasserbestimmungen wird die Produktion in den naumlchsten Jahren vermutlich sogar zuruumlckgehen

Die Wasserkraft ist der wichtigste Pfeiler der Schweizer Ener-giewirtschaft ihr Potenzial ist aber weitgehend ausgeschoumlpft Roger Pfammatter Geschaumlftsfuumlhrer des Wasserwirtschaftsver-bands gibt im Interview Auskunft uumlber die Lage der Branche und ihre Bedeutung fuumlr die EnergiezukunftInterview Florian Wehrli

Expertensicht

Was muss sich aumlndern damit die vorgegebenen Ziele um-gesetzt werden koumlnnenZum einen braucht es dafuumlr die Akzeptanz der Umweltver-baumlnde der Fischer und letztlich der gesamten Bevoumllkerung Zum anderen muumlssen laumlngerfristig die extremen Marktver-zerrungen abgebaut werden damit sich auch Investitionen in die nicht gefoumlrderte Wasserkraft wieder lohnen Heute wird nur noch in subventionierte Anlagen investiert

Wer ist hier in der PflichtHier ist die Politik gefordert die Rahmenbedingungen zu verbessern Denn ohne die Wasserkraft kann die Energie-wende nicht gelingen

Anfang Jahr wurde der Wasserwirtschaftsverband von den zustaumlndigen Kommissionen angehoumlrt Welche Forderun-gen hat die Branche an das ParlamentWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerba-re Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichten die bereits bis zur Haumllfte der Geste-hungskosten ausmachen Damit sind wir doppelt diskrimi-niert Die Wasserkraft ist extrem unter Preisdruck ndash und dies obwohl sie mit Gestehungskosten zwischen 3 und 10 Rappen pro Kilowattstunde die effizienteste Strompro-duktionstechnologie ist Nur zum Vergleich Fotovoltaik -anlagen werden heute mit rund 40 Rappen subventioniert

Bis 2011 liess sich mit der Grosswasserkraft noch viel Geld verdienen Wurden zu wenige Ruumlcklagen fuumlr schlechte Zei-ten gebildet

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Es kann nicht der Sinn sein Ruumlcklagen fuumlr Zeiten zu bil-den in denen die Marktpreise die Gestehungskosten nicht mehr decken Das waumlre wie wenn ein Baumlcker auf jedem Gipfeli einige Rappen zuruumlckbehalten muumlsste damit er sie am naumlchsten Tag gratis abgeben kann Mit dem durch Subventionen verzerrten Marktpreis von 4 bis 5 Rappen pro Kilowattstunde ist unter den konventionellen Energie-traumlgern praktisch nur Kohle konkurrenzfaumlhig Das ist be-stimmt nicht im Sinn der Energiewende

Drei Grosswasserkraftprojekte sind heute bereits im Bau Koumlnnen die enormen Kosten uumlberhaupt amortisiert wer-denPrognosen sind schwierig An der europaumlischen Strom-boumlrse (EEX) werden bis 2020 Strompreise zwischen 45 und 53 Rappen pro Kilowattstunde gehandelt Der Markt glaubt also nicht an eine baldige Erholung Dafuumlr muumlsste das Uumlberangebot in Europa zuruumlckgehen etwa uumlber die Anhebung des CO2-Preises von heute 5 auf mindestens 30 Euro pro Tonne Politisch ist das aber kaum durchsetz-bar Neue Pumpspeicherwerke werden sich deshalb wohl erst in mehreren Jahrzehnten lohnen

Was kann die Kleinwasserkraft leistenOhne die kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) wuumlr-de niemand Kleinwasserkraftanlagen bauen genauso we-nig wie Fotovoltaik- Wind- oder Biomasseanlagen Zurzeit gibt es aber allein bei der Kleinwasserkraft rund 1 000 An-meldungen fuumlr Foumlrderbeitraumlge mit einem bescheidenen Ge-samtpotenzial von 33 Terawattstunden pro Jahr Die oumlko-logischen Auswirkungen sind im Vergleich zum Ertrag zu gross Obwohl wir von marktverzerrenden Foumlrderprogram-men wegkommen sollten waumlre es in einer Uumlbergangs phase sinnvoll die KEV-Obergrenze von 10 Mega watt aufzuheben und dort zu foumlrdern wo es wirklich etwas bringt

Wie soll die Grosswasserkraft unterstuumltzt werdenDas Sinnvollste waumlre die Abkehr von der Subventions-maschinerie ndash und zwar auf europaumlischer Ebene Dann wuumlrde sich die Wasserkraft als effiziente erneuerbare Stromproduktionsform mit Sicherheit durchsetzen Min-destens als Uumlbergangsloumlsung waumlre aber die Entlastung

von Abgaben in erster Linie vom Wasserzins dringend Der maximale Wasserzins wurde in den letzten vier Jahren um 38 Prozent erhoumlht und wird naumlchstes Jahr um weite-re 10 Prozent angehoben Diese Erhoumlhung wurde 2008 beschlossen und steht heute in keinerlei Bezug mehr zur Ertrags lage Kurzfristig koumlnnten die Kantone auf einen Teil dieser Zinsen verzichten ndash das waumlre ein wichtiges politi-sches Zeichen Langfristig muss ein neuer Modus fuumlr die Zinsberechnung gefunden werden der die Ertragslage der Wasserkraft mitberuumlcksichtigt Das ist auch im Interesse von Bund Kantonen und Gemeinden schliesslich ist die Wasserkraft zu 85 Prozent in oumlffentlicher Hand Ebenfalls als Uumlbergangsloumlsung bis zu besseren Marktpreisen waumlren zinsguumlnstige Darlehen fuumlr die noumltigen Investitionen in die Grosswasserkraft denkbar Ohne mindestens eine dieser Massnahmen kann die Wasserwirtschaft das geforderte Ausbauziel nicht erreichen

Bis dahin gibt es noch eine weitere Huumlrde den Heimfall der Stauanlagen an die Standortgemeinden Welchen Ein-fluss hat dieser UmstandWenn die Konzessionen nach 80 oder 100 Jahren aus-laufen muss der Betreiber der Gemeinde eine Entschaumldi-gung fuumlr den Restwert der Anlagen entrichten Im Fall der Staumauer Barberine bezahlen die SBB und Alpiq 2017 an sechs Walliser Gemeinden 343 Millionen Franken Das 400-Seelen-Dorf Finhaut erhaumllt alleine 112 Millionen Fran-ken und weiss kaum wohin mit dem Geld Der gesamte Wert des Heimfalls der Anlagen bewegt sich schweizweit im Milliardenbereich Der Houmlhepunkt des Heimfalls wird um 2035 erreicht werden Bis zu diesem Zeitpunkt soll aber auch ein Grossteil der geforderten Produktionsstei-gerung umgesetzt werden

Bei der Stromproduktion ist ein Ausbau von uumlber 10 Pro-zent wohl nicht realistisch Wie sieht es bei der Speicher-leistung aus Hier muss man unterscheiden zwischen kurzfristiger und saisonaler Speicherung Fuumlr die saisonale Speicherung verfuumlgt die Schweiz mit 200 Speicherseen uumlber ein Vo-lumen von rund 9 000 Gigawattstunden (GWh) die jedes Jahr vom Sommer in den Winter umgelagert werden Dies

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Expertensicht

entspricht einem Viertel der jaumlhrlichen Produktion aus Wasserkraft Das Ausbaupotenzial durch die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren betraumlgt rund 2 000 GWh Falls der Ausbau aber nicht gelingt entsteht im Winter durch den Ausfall der Kernenergie eine immer groumlssere Luumlcke an Bandenergie die durch den Import von Atom- oder Kohlestrom gedeckt werden muss

Wie sieht es beim Ausbau der Pumpleistung zum kurzfris-tigen Ausgleich von Schwankungen im Netz ausGrundsaumltzlich ist das Potenzial fuumlr Pumpspeicherwerke in der Schweiz riesig Es braucht nur zwei Seen auf unter-schiedlicher Houmlhe Die Frage ist ob sich solche Investi-tionen rechnen Die Pumpspeicherwerke finanzieren sich

uumlber den Preisunterschied zwischen Band- und Spitzen-energie Wenn an einem schoumlnen Sommertag in Europa mittags die geballte Ladung an Sonnen- und Windener-gie eingespeist wird koumlnnen die Pumpspeicherkraftwerke sehr guumlnstig oder sogar zu Negativpreisen Strom bezie-hen Man darf aber nicht vergessen dass dieselbe Situa-tion fuumlr die Laufwasserkraftwerke die rund die Haumllfte der Wasserkraftproduktion in der Schweiz ausmachen den gegenteiligen Effekt hat Diese koumlnnen aus technischen konzessionsrechtlichen oder oumlkologischen Gruumlnden nicht vom Netz genommen werden und muumlssen fuumlr ihre Strom-produktion bezahlen Das kann gehoumlrig ins Geld gehen An Weihnachten 2012 lag der Strompreis zum Beispiel bei minus 30 Rappen pro Kilowattstunde

Roger Pfammatter laquoWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerbare Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichtenraquo

Bild Florian Wehrli

39COMPETENCE | 2014

cherseen zur Flexibilisierung Damit das gelingt muss der Wert der Wasserkraft staumlrker im Bewusstsein der Bevoumllke-rung verankert sein Und nicht zuletzt muss der Marktpreis so weit uumlber den Gestehungskosten liegen dass sich In-vestitionen in die Wasserwirtschaft rentieren

Versuchen das Bestehende zu erhalten Diese Vision klingt etwas resigniertDas ist eine Frage der Perspektive Die Wasserkraft hat als Technologie in der Schweiz seit Langem Bestand Sie befindet sich in einer anderen Situation als Fotovoltaik und Windenergie die sich in einem hochdynamischen Umfeld mit grossem Potenzial in Forschung und Wachstum be-finden Die Wasserkraft ist dagegen nicht mehr in der Auf-bruchsphase sondern in der Konsolidierungsphase Da-fuumlr kann man sich auf die Wasserkraftwerke verlassen Sie produzieren bei Tag und in der Nacht im Sommer wie im Winter bei Windstille oder im Nebel Auch der Erhalt und die Optimierung des Bestehenden sind grosse Heraus-forderungen und bedingen grosse Investitionen

Sehen Sie eine Moumlglichkeit wie die Schweizer Wasser-wirtschaft in Zukunft Geld mit Systemdienstleistungen wie Netzstabilitaumlt verdienen kannDie unregelmaumlssig einspeisenden Stromproduzenten neh-men keinerlei Systemverantwortung wahr Ich habe selbst ein Solarpanel auf dem Dach Wenn Produktion moumlglich ist speise ich Strom ins Netz ein wenn nicht beziehe ich Die Produzenten mehr in die Verantwortung zu nehmen faumlnde ich sinnvoll ndash zum Beispiel uumlber Zertifikate fuumlr Spei-cherleistungen Diese koumlnnten bei Pumpspeicherwerken bezogen werden

Welcher Ausbau der Pumpspeicherleistung ist dafuumlr noumltigDie installierte Leistung betraumlgt heute rund 14 Gigawatt (GW) Mit den im Bau befindlichen und den geplanten An-lagen kann die Kapazitaumlt maximal auf 51 GW ausgebaut werden ndash etwa die Haumllfte der Jahreshoumlchstlast im Netz Damit die Schweizer Wasserkraft aber einen Beitrag zur Stabilitaumlt des europaumlischen Stromnetzes leisten kann muumlssten auch das Stauvolumen und die Leitungskapazi-taumlt erhoumlht werden Hier sind die Einsprachen von Anwoh-nern und Umweltverbaumlnden noch gravierender als bei den Anlagen selbst

Braucht es neue rechtliche Instrumente um den geplan-ten Ausbau durchsetzen zu koumlnnenEs braucht vor allem die Einsicht dass die Wasserkraft das Ruumlckgrat unserer Versorgungssicherheit ist und die Aus-wirkungen eines Ausbaus immer auch mit den Alternativen verglichen werden muumlssen Wir befinden uns aber auch in einem intensiv genutzten Land mit vielen Partikularinteres-sen Diese muumlssen gewichtet und abgewogen werden In der Abwaumlgung zwischen Landschaftsschutz und Wasser-nutzung waumlre es hilfreich wenn Grosswasserkraftanlagen den Status von nationalem Interesse erhalten

Wie soll die Schweizer Wasserwirtschaft im Jahr 2035 aussehenIch wuumlnsche mir dass die bestehende Infrastruktur auf dem heutigen Stand erhalten optimiert oumlkologisiert und im Idealfall etwas ausgebaut wird Dazu gehoumlren etwa die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren sowie neue Spei-

Roger PfammatterSeit seinem Ingenieurstudium an der ETH Zuumlrich hat er sich in ver-schiedenen Rollen dem Wasser verschrieben Nach sieben Lehr- und Wanderjahren in der Forschung und in der Entwicklungszusammen-arbeit war er zehn Jahre beim Ingenieurunternehmen Ernst Basler + Partner engagiert Seit 2010 ist er Geschaumlftsfuumlhrer des Schweizeri-schen Wasserwirtschaftsverbandes (SWV) und Herausgeber der Zeit-schrift laquoWasser Energie Luftraquo In diesen Funktionen setzt er sich ein fuumlr den Fachaustausch und gute Rahmenbedingungen in den Bereichen Wasserkraft und Hochwasserschutz

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Die globalen Energiemaumlrkte sind seit einigen Jahren stark in Bewegung Volatile Erdoumllpreise die Foumlrderung von un-konventionellen Gasvorkommen in grossem Stil die mas-sive Subventionierung von neuen erneuerbaren Energien in Deutschland der laquoarabische Fruumlhlingraquo und der Konflikt in der Ukraine hinterlassen Spuren Die Folge sind starke Verwerfungen an den Maumlrkten und fehlende Investitionssi-cherheit In diesem dynamischen und unsicheren Kontext will der Bund die bisherige Energiepolitik neu ausrichten ndash wahrlich eine Herkulesaufgabe Die Schweizer Wirtschaft verlangt dass der Bund bei der Neuausrichtung der Ener-giepolitik seinem in der Verfassung verankerten Auftrag nachkommt und sich fuumlr eine ausreichende sichere breit gefaumlcherte wirtschaftliche und umweltvertraumlgliche Ener-gieversorgung einsetzt Somit ist klar Die Energiestrate-gie 2050 muss in erheblichen Teilen optimiert und justiert werden Nur wenn vernetzt gedacht wird ist eine sichere Versorgung zu wettbewerbsfaumlhigen Preisen moumlglich

Prognosen klaffen weit auseinanderSeit Jahrzehnten bietet der Strommix aus Wasserkraft (knapp 60 Prozent) und Kernenergie (40 Prozent) Gewaumlhr fuumlr eine sichere klimafreundliche und wirtschaftliche Ener-gieversorgung Im Rahmen der Energiestrategie 2050 muss die Kernenergie langfristig ersetzt werden Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen zumal die Ziele des Bundes

Lebenselixier der Wirtschaft

Die Schweizer Wirtschaft ist auch in Zukunft auf eine sichere und wirtschaftliche Stromver-sorgung angewiesen Die Ener-giestrategie 2050 setzt stark auf Subventionen Dadurch entstehen Fehlanreize welche die Versorgungssicherheit ge-faumlhrdenText Kurt Lanz

Expertensicht

in Bezug auf das Potenzial der neuen erneuerbaren Ener-gien von Wunschdenken geleitet sind Die neuen erneuer-baren Energien werden sich langsamer entwickeln als an-gestrebt Der Bund rechnet mit rund 12 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2035 die Schweizer Wirtschaft mit 44 TWh Die vorsichtigeren Prognosen der Wirtschaft scheinen re-alistischer Dies zeigen exemplarisch die gescheiterten Geothermieprojekte in Basel und St Gallen Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Nachfrageprognosen Der Bund rechnet in seinen Szenarien mit einem Ruumlckgang des Stromverbrauchs pro Kopf von 16 Prozent zwischen 2000 und 2035 Die Schweizer Wirtschaft orientiert sich in ihren Szenarien am Verband Schweizerischer Elektrizitaumlts-unternehmen (VSE) der weiter mit einer steigenden Nach-frage rechnet Die Wirtschaft fordert von der Politik eine vernuumlnftige Planung aufgrund realistischer Schaumltzungen Die Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energiestrategie nicht gefaumlhrdet werden

Subventionen fuumlhren zu FehlanreizenDie Schweiz hat seit vielen Jahrzehnten erfolgreich die Wasserkraft vorangetrieben Aus politischen Gruumlnden wird nun die ndash unregelmaumlssige ndash Stromproduktion durch Sonnen- und Windenergie forciert Unsere sogenann-te kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) entspricht dem deutschen Foumlrdermodell Beide haben das gleiche Ziel Sie sollen erneuerbare Energien ausbauen indem sie neue Formen der Stromproduktion zur Marktreife brin-gen Weil das KEV-System die Sonnen- und Windenergie massiv foumlrdert kommt ein weiterer Ausbau der bewaumlhrten Wasserkraft nicht infrage Diese Entwicklung gefaumlhrdet die Versorgungssicherheit der Schweiz Auf den ersten Blick sinken zwar die Produktionskosten fuumlr Solarstrom gleich-zeitig steigen aber die Kosten fuumlr Speicherung und Inte-gration ins Netz spuumlrbar Auch ist der Ausbau von Solar- und Windenergie nur von beschraumlnktem Nutzen solange keine ausreichenden Speicherkapazitaumlten vorhanden sind Nur Preissignale koumlnnen das Investitionsverhalten von Stromproduzenten Netzbetreibern und Konsumen-ten sinnvoll lenken Subventionen sind zu beseitigen denn sie fuumlhren zu Fehlanreizen

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Alle Optionen offenhaltenOffenheit und Neugier gehoumlren zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft Kategorisches Abwehrverhalten und Denkverbote verhindern konstruktive Loumlsungsansaumltze und Innovation Eine sichere und kostenguumlnstige Strom-versorgung kann auch in Zukunft nur mit der notwendi-gen Offenheit gegenuumlber allen Technologien und Energie-

systemen garantiert werden Die Schweiz ist dank einer erfolgreichen Hochschulland-schaft und vielen Technolo-gieunternehmen gut geruumlstet Die verschiedenen Energie-systeme muumlssen faktenba-siert und ohne ideologische

Scheuklappen verglichen werden Nur so koumlnnen effizi-ente und umweltvertraumlgliche Loumlsungen gefunden werden Das heutige System der Foumlrderung der neuen erneuer-baren Energien ist durch ein marktorientiertes System ab-zuloumlsen Produzenten die nachfragegerecht einspeisen sollen eine houmlhere Verguumltung erhalten als andere Auch soll der Vorrang der Netzeinspeisung fuumlr subventionierte Energietraumlger aufgehoben werden

laquoDie Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit

des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energie strategie nicht

gefaumlhrdet werdenraquo

Schnellere Verfahren anstrebenGrundvoraussetzung fuumlr eine Neuausrichtung der Ener-giepolitik sind funktionierende Stromnetze Diese muumls-sen zwingend parallel zum Umbau der Stromproduktion weiterentwickelt werden Allein der noumltige Ausbau der Uumlbertragungsnetze belaumluft sich auf rund 1 000 Kilometer bis ins Jahr 2020 Erforderlich sind zudem Investitionen in alle Verteilernetzebenen Al-lerdings verzoumlgern komplizier-te Verfahren auf Kantons- und Bundesebene den Ausbau Ausserdem erwaumlchst praktisch jedem Projekt Widerstand von privater Seite was zu weiteren Verzoumlgerungen fuumlhrt Die Wirt-schaft fordert deshalb Bei Bewilligungen von Stromnetzen ist der Gang vors Bundesgericht nur noch bei Grundsatz-fragen moumlglich Umbauten sowie Spannungs- und Kapa-zitaumltserweiterungen koumlnnen ohne Planungsgenehmigung realisiert werden Ausserdem sind die Verfahren bei einer einzigen Leitbehoumlrde anzusiedeln

Spielfeld erweiternDie Schweiz ist seit jeher ein wichtiges Stromtransitland Schon seit den 90er-Jahren treibt die EU die Vereinheitli-chung des Binnenmarkts fuumlr Strom hin zu einem eigent-lichen EU-Strommarkt voran In der Schweiz erweist sich die gesetzliche Trennung von Grundversorgung und Markt diesbezuumlglich zunehmend als Hindernis Aus Sicht der Wirtschaft ist die vollstaumlndige Liberalisierung des Strom-markts eine zwingende Voraussetzung fuumlr eine erfolgrei-che energiepolitische Neuausrichtung

Eine Marktoumlffnung wuumlrde insbesondere auch den erneuer-baren Energien neue Chancen eroumlffnen und Zugang zu neuen Kunden gewaumlhren Von hoher Wichtigkeit ist auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU Je groumlsser der Anteil erneuerbarer Energien umso wichtiger ist die Einbettung in Europa denn Investitionen in Netze und Produktion koumlnnen in Koordination mit der EU wirkungsvoller und wahrscheinlich kostenguumlnstiger getaumltigt werden

Kurt LanzKurt Lanz ist Leiter Infrastruktur Energie und Umwelt sowie Geschaumlftsleitungsmitglied von economiesuisse dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft

Gut vernetzt ndash Vorschlaumlge der Schweizer Wirtschaftzur EnergiepolitikDie Publikation basiert auf der Grundlagenarbeit der breit abgestuumltz-ten Energiekommission von economiesuisse und macht konstruk-tive Vorschlaumlge fuumlr einen erfolgreichen energiepolitischen Weg der Schweiz Download unter wwweconomiesuissech

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

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Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

wwwsmlzhawch

Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 31: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

Wann wurden in Winterthur die ersten Strassenlampen mithilfe von Stein-kohle erleuchtet

32 COMPETENCE | 2014

Unternehmensperspektive

ckelte Hochspannungsgleichstromschalter sollen zudem sicherstellen dass etwa ein Kurzschluss durch eine hy-perschnelle Abschaltung isoliert und das Netz somit nicht gefaumlhrdet wird Von 14 solchen Schaltsystemen welt-weit stammen 13 von ABB Die hohen Investitionen fuumlr die armdicken Gleichstromkabel rechnen sich da beim Transport viel weniger Strom verloren geht als bei der tradi tionellen Wechselstromtechnik Die Produktelinie ent-wickelt sich zum Renner Sie wird zur Anbindung von So-lar- und Windparks zur Versorgung von Inseln als Ersatz fuumlr Diesel generatoren auf Oumll- und Gasplattformen auf See eingesetzt Oder um Starkstrom vom Festland zu auf dem Meeresboden platzierten ferngesteuerten Foumlrderanlagen fuumlr Gas und Oumll zu leiten ndash wofuumlr ABB auch wartungsfreie Kompressoren liefert damit Kunden wie Statoil und Pet-robras teure Ausfaumllle erspart bleiben

Komplettloumlsungen aus einer HandDank hohem Innovationstempo sind die Divisionen Ener-gietechnik- und Niederspannungsprodukte gut ausgelas-tet Dies gilt ebenso fuumlr die Divisionen Industrie- und Pro-zessautomation Speziell energieintensive Industrien die unter hohem Kostendruck stehen muumlssen ihre Anlagen auf dem neusten Stand halten Dazu zaumlhlen Bergbau Oumll- und Gasindustrie Zellstoff- Papier- und Zementfabriken Chemie- und Pharmafirmen sowie Raffinerien Gefragt sind auch Industrieroboter und schwenkbare dank ABB-Leistungselektronik stufenlos regulierbare Schiffsantrie-be ABB liefert Grosskunden fertige Loumlsungen die hohe Produktivitaumlt und Energieeffizienz gewaumlhrleisten Alles ist aufeinander abgestimmt von der Elektrik uumlber Antriebe Generatoren Roboter Sensoren und Steuerungen bis hin

Zu Beginn des Jahrtausends stand ABB am Abgrund Doch eine neue Fuumlhrungscrew fuumlhrte das Unternehmen aus der Krise sodass die Schweiz inzwischen wieder stolz sein kann auf ihren Industriemulti mit Sitz in Zuumlrich Oerli-kon 2013 erzielte ABB mit rund 148 000 Mitarbeitenden in 100 Laumlndern 42 Milliarden Dollar Umsatz Die renom-mierte US-Universitaumlt MIT zaumlhlt ABB zu den 50 innova-tivsten Unternehmen weltweit Dank 8 000 Ingenieuren in Forschung und Entwicklung und einem Forschungsetat von 15 Milliarden Dollar kann ABB selbst mit Giganten wie Siemens und General Electric mithalten

Innovationen die Technikfans begeisternWas ABB alles macht wissen wohl nur Technikfans Denn der Konzern hat uumlber 70 000 Produkte im Angebot Die 300 ABB-Fabriken liefern taumlglich 15 Millionen Kompo-nenten aus die zu elektrischen Einrichtungen oder in Pro-duktionssteuerungen verbaut werden Aus Kanada etwa kam juumlngst ein Grossauftrag uumlber 400 Millionen Dollar Erneuerbare Energie die auf Neufundland und Labrador gewonnen wird soll ab 2017 via Hochspannungskabel 360 Kilometer nach Westen fliessen um dort 350 000 Haumluser zu versorgen Weltweit gibt es erst 90 solche Gleichstromkabelverbindungen die meist unter der Erde oder auf dem Meeresgrund verlaufen ABB ist mit rund 50 Prozent Anteil Marktfuumlhrer Die futuristisch anmuten-de Technik in den abgeschirmten Hallen wo der Strom vor dem Transport auf Hochspannung transformiert wird erinnert an den Maschinenraum von Raumschiff Enter-prise Ein wichtiges Steuerungselement bilden dabei in Baden Daumlttwil entwickelte und in Lenzburg produzierte Spezialchips die Houmlchstspannung aushalten Neu entwi-

Der schweizerisch-schwedische Technikkonzern treibt an vor-derster Front die Energiewende voran Dafuumlr forscht man bei ABB intensiv zu erneuerbaren Energien schlauen Stromnetzen sowie hocheffizienten Industrieanlagen Einzig die schwache Nachfrage nach Energieanlagen in Europa bremst die ExpansionText Andreas Fluumltsch

Innovativer Treiber der Energiewende

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uumlber weite Strecken in die Ballungsraumlume geleitet werden muss brummt das Geschaumlft In den USA treibt der Oumll- und Gasboom die Nachfrage Nur in Europa harzt das Geschaumlft mit Grossanlagen Weniger Nachfrage belastet die Margen bei Auftraumlgen fuumlr Wind- und Solarfarmen so-wie fuumlr Netzinfrastruktur Die Risiken der oft mehrjaumlhrigen Projekte sind so hoch dass ABB waumlhlerischer sein muss und etwa das Geschaumlft mit Solarloumlsungen zurzeit auf Sparflamme betreibt Dennoch ist ABB immer noch hoch-profitabel nicht zuletzt da die Kosten Jahr fuumlr Jahr um 3 bis 5 Prozent gesenkt werden Aber der erfolgsgewohnte Konzern musste sich 2013 mit 6 Prozent Umsatzplus zu-friedengeben Umso intensiver treibt der neue ABB-Chef Ulrich Spiesshofer die Integration der vorab in den USA fuumlr 10 Milliarden Dollar getaumltigten Zukaumlufe voran Und Spiess-hofer forciert die Zusammenarbeit der Divisionen damit ABB die Unternehmensvision laquoEnergie und Produktivitaumlt fuumlr eine bessere Weltraquo mit moumlglichst vielen eigenen Pro-dukten realisieren kann

zur Leittechnik samt angepasster Software Kleine und mittlere Kunden ordern Komponenten oder Teilsysteme Ein wichtiges Verkaufsargument ist das Sparpotenzial von stufenlos steuerbaren Elektromotoren Nur einer von fuumlnf Motoren hat laut einer Erhebung des Bundes einen Leis-tungsregler der Rest laumluft auf Hochtouren und wird ndash man glaubt es kaum ndash bei Bedarf mit Klappen oder Ventilen mechanisch abgebremst Eine gigantische Verschwen-dung da Industriemotoren laut einer Studie der Schwei-zerischen Agentur fuumlr Energieeffizienz 27 Prozent des Schweizer Stromverbrauchs ausmachen

Europaumlische ZuruumlckhaltungEigentlich muumlsste die Division Energietechniksysteme ebenfalls ausgelastet sein Denn auch die Stromwirtschaft muss ihre Effizienz steigern Schliesslich erfordert die Energiewende einen Totalumbau der auf Verteilung ausge-richteten Netze damit diese unter der Last von Solar- und Windenergie nicht instabil werden Arbeit in Huumllle und Fuumllle fuumlr ABB sollte man meinen Doch der erst zaghafte Auf-schwung in Europa daumlmpft die Nachfrage Erschwerend kommt hinzu dass subventionierte Wind- und Solarener-gie in Europas liberalisiertem Strommarkt den Strompreis in ungeahnte Tiefen druumlckte Die Konkurrenzfaumlhigkeit von Wasser- Gas- und Atomkraftwerken hat gelitten Pump-speicher sind keine Goldesel mehr seit die erneuerbaren Energien die Preisspitzen brechen Entsprechend schie-ben Stromkonzerne wie Alpiq oder RWE Investitionen auf Unsicherheiten rund um den Atomausstieg belasten zu-saumltzlich Die voraussichtlich noch auf Jahre hinaus tiefen Strompreise schmaumllern auch die Faumlhigkeit der Besitzer von Hochspannungs- und Verteilnetzen deren Umruumlstung zu finanzieren hoch verschuldete EU-Staaten fahren die Foumlrderung von Wind- und Solarenergie zuruumlck

Straffe KostenkontrolleABB bekommt den Investitionsstau empfindlich zu spuuml-ren Die Division Energietechniksysteme schreibt seit eini-ger Zeit rote Zahlen Zwar ordern Grosskunden aus Asien und Lateinamerika weiterhin kraumlftig Neben China inves-tiert vermehrt auch Indien in neue Stromnetze Uumlberall dort wo die Bevoumllkerung rasch waumlchst oder der Strom

Andreas FluumltschAndreas Fluumltsch war urspruumlnglich Jurist und arbeitete ab 1983 als Journalist fuumlr laquoBlickraquo laquoWeltwocheraquo laquoBilanzraquo und laquoCashraquo Zwischen 1989 und 1990 war er Mitglied der Geschaumlftsleitung von Greenpeace Schweiz anschliessend Hausmann Nach der Ruumlck-kehr in den Journalismus 1992 arbeitete er bei laquoBlickraquo laquoSonntagszeitungraquo und laquoTages- Anzeigerraquo und absolvierte eine Ausbildung zum Boumlrsenhaumlndler Nach der Fruumlhpensio-nierung Ende 2013 machte er sich als Publi-zist selbststaumlndig

ABB in Zahlen (2013)Betriebsertrag 41 848 Mio USDBetriebsergebnis 4 387 Mio USDndash Industrieautomation 1 458 Mio USDndash Niederspannung 1 092 Mio USDndash Prozessautomation 990 Mio USDndash Energietechnik 1 331 Mio USDndash Energiesysteme 171 Mio USD

Mitarbeitende 147 700ndash davon in der Schweiz 6 966

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Hohe Nachfrage nach MinergieDer Erfolg der bisherigen Sparbemuumlhungen bleibt nicht aus laquoTrotz zunehmender Pro-Kopf-Wohnflaumlche und stei-gendem Komfort sinkt der Energieverbrauch fuumlrs Heizen in den letzten Jahrzehnten stetigraquo verkuumlndet der Zuumlrcher Regierungsrat im Energieplanungsbericht 2014 Dazu tra-gen nicht nur die laufend verschaumlrften Gesetze bei Ebenso wichtig ist die Bereitschaft von Bautraumlgerschaften freiwillig Uumlberdurchschnittliches zu leisten Vor allem die Minergie-Regeln werden inzwischen gerne befolgt weshalb Haumluser mit halbiertem Energieverbrauch beinahe Standard sind Schweizweit traumlgt eines von zehn neuen Wohnhaumlusern ein Minergie-Zertifikat Der Anteil an Minergie-Haumlusern im Grossraum Zuumlrich liegt gemaumlss einer Marktanalyse der Universitaumlt Zuumlrich bereits nahe bei 20 Prozent Dies ist privaten Hauseigentuumlmern und institutionellen Investoren zu verdanken Wohn- und Geschaumlftshaumluser mit houmlchster Energieeffizienz gehoumlren inzwischen zum guten Ton Den juumlngsten Beweis liefert eine Immobilienstiftung der Credit Suisse die 70 Millionen Franken in die groumlsste Oumlkosied-lung der Schweiz investiert Im Aargauer Reusstal wohnen seit diesem Jahr rund 200 Familien Paare und Singles deren Wohnhaumluser sich weitgehend selbst mit Sonnen-energie versorgen So klimafreundlich die Energiewende-Architektur ist der Investor erwartet dennoch marktuumlb-liche Renditen Ist der Markt aber bereit oumlkologisches Engagement angemessen zu honorieren

Marktpotenzial fruumlhzeitig erkanntDie Zuumlrcher Kantonalbank (ZKB) beziffert den Mehrwert von Minergie-Haumlusern auf 7 Prozent Kaumlufer seien bereit diesen Aufpreis fuumlr mehr Energieeffizienz zu bezahlen Als weitere Nebeneffekte nennt der vor drei Jahren publizierte ZKB-Bericht eine hochwertige dauerhafte Bausubstanz sowie die Absicherung gegen steigende Oumll- und Energie-preise Fachleute des Immobilienberatungsunternehmens Wuumlest amp Partner (WampP) warnen indes dass sich zusaumltz-liche Investitionen in die Energieeffizienz nicht uumlberall loh-nen laquoRegional schwankt die Zahlungsbereitschaft des Immobilienmarktsraquo praumlzisiert WampP-Partner Ivan Anton Minergie-Haumluser koumlnnen aber nicht nur in abgelegenen Regionen ein Marktrisiko werden laquoMit Ausnahme der

Beim Autokauf wird bevorzugt auf Pferdestaumlrken Be-schleunigung und Innenausstattung geachtet Der CO2-Ausstoss interessiert hingegen kaum So kommt die Energieeffizienz im Strassenverkehr nur stockend voran 1995 schluckten alle neu immatrikulierten Personen-wagen durchschnittlich 9 Liter Benzin pro 100 Kilometer 20 Jahre spaumlter liegt der Durchschnittsverbrauch gemaumlss Bundesamt fuumlr Energie (BFE) immer noch uumlber 6 Litern Das viel gepriesene laquoDrei-Liter-Autoraquo haben alle Hersteller wieder aus der Modellpalette genommen

Demgegenuumlber gelingen dem oft traumlge genannten Ge-baumludebereich weitaus groumlssere Effizienzspruumlnge Ver-brauchen 40 Jahre alte Haumluser im Schnitt 220 Kilowatt-stunden (kWh) Heizenergie pro Quadratmeter Wohnflaumlche und Jahr sind die aktuellen Werte unter die 50er-Marke gesunken Zusaumltzliche Sparerfolge sind nur eine Frage der Zeit Im Fruumlhsommer haben die kantonalen Energie-direktoren uumlber ein Rahmenabkommen beraten das Null-energieneubauten demnaumlchst zum Standard machen soll Wie die nationale Energiewende zu erreichen ist erklaumlrt Christoph Gmuumlr von der Abteilung Energie des Kantons Zuumlrich laquoDer spezifische Verbrauchswert ist zudem auf 35 kWh pro Quadratmeter zu senkenraquo Gebaumlude die sich mit umweltfreundlicher Energie selbst versorgen wollen auch die EU-Staaten Ab 2020 wird ein Gebaumludestandard eingefuumlhrt der nur noch laquoNiedrigstenergiegebaumluderaquo mit sehr hoher Energieeffizienz als Neubauten vorsieht

Energiesparhaumluser waren vor 30 Jahren Exoten inzwischen nimmt der Bereich der energie-effizienten Gebaumlude eine Vor-bildrolle fuumlr die Energie wende ein Bauherren profitieren davon ebenso wie die Zuliefer-branche Text Paul Knuumlsel

Expertensicht

Haumluser in der ersten Reihe

35COMPETENCE | 2014

der Bau von Niedrigenergiehaumlusern und alternativen Hei-zungsanlagen sowie energetische Gebaumludesanierungen Investitionen im Umfang von rund 4 Milliarden Franken ausgeloumlst rechnet der Bund vor laquoEin Fuumlnftel insgesamt 860 Millionen Franken stammt aus den oumlffentlichen Kas-senraquo verweist die BFE-Stelle EnergieSchweiz auf die Im-pulse der kantonalen Foumlrderprogramme Einen Wermuts-tropfen besitzt diese Wirkungsbilanz Fruumlhere Analysen der Energiesparprogramme zeigen naumlmlich dass zwi-schen einem Drittel und der Haumllfte der energetisch vorbild-lichen Gebaumlude auch ohne staatliche Foumlrderung realisiert worden waumlren Dem Mitnahmeeffekt ist auch die Eidge-noumlssische Steuerverwaltung auf der Spur Sie schaumltzt dass Bund und Kantonen jaumlhrlich 14 Milliarden Franken entgehen weil energetische Gebaumludesanierungen bei der Liegenschaftssteuer abzugsberechtigt sind Die Energie-wende erfordert nicht nur mehr Effizienz bei den Anwen-dungen sondern auch einen effizienten Einsatz staatlicher Mittel Im Energieplanungsbericht 2013 hat der Zuumlrcher Regierungsrat erstmals uumlber alternative Anreizsysteme nachgedacht Demnach soll eine Lenkungsabgabe den Energiekonsum reduzieren und das bisherige Foumlrdersys-tem abloumlsen Aumlhnliche Plaumlne verfolgt der Bund Denn ein Lenkungssystem duumlrfte weitere Sparbemuumlhungen im Ge-baumludebereich aber auch im Strassenverkehr foumlrdern Ins-besondere dann wenn Heizoumll und Benzin im Gleichschritt teurer werden

begehrten Wohnlagen haben Hauseigentuumlmer an vielen Orten mit moumlglichen Verkaufsverlusten zu rechnenraquo so Anton Zwar sei die Nachfrage bei Eigentuumlmern und Mie-tern aumlhnlich gross Aber auch Mieter wuumlrden nicht uumlberall mehr fuumlr eine energieeffiziente Wohnung bezahlen Kaum uumlberraschen darf daher dass Immobilieninvestoren immer haumlufiger die steigenden Energieanforderungen kritisieren und kostenguumlnstigere Baustandards vorziehen Fuumlr WampP-Berater Urs Hausmann ist laquonachhaltiges Bauen trotzdem keine Frage von Luxus oder Wohlstand sondern eine wie man mit Ressourcen umgehen willraquo Dass ein hohes Um-weltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauen Der Run auf den oumlkologischen Baustoff Holz laumlsst zum Beispiel eine gesamte Wertschoumlpfungskette und viele

innovative Unternehmen profitieren Forstbetriebe Sauml-gereien Fensterbauer Daumlmmstoffhersteller und andere Bauzulieferer vergroumlssern ihre Produktionskapazitaumlten und stellen zusaumltzliches Personal ein laquoDie Umsaumltze im Schweizer Holzbau sind in den letzten Jahren um mehrere Hundert Millionen Franken gestiegen und die Trendkurve zeigt weiter nach obenraquo freut sich Christoph Starck Di-rektor des Holzbaudachverbands Lignum

Einheimische Zulieferer als GewinnerAuch im Verein Minergie ist man sich bewusst dass sich energieeffizientes Bauen wirtschaftlich positiv auswirkt In den letzten 15 Jahren sind 25 000 Wohnhaumluser Buumlro-komplexe Schulbauten Sport- und Industriehallen mit Niedrig energiezertifikat entstanden Gemeinsam sparen sie 15 Milliarden Kilowattstunden Energie laquoUumlber 2 Milliar-den Franken wurden zusaumltzlich investiertraquo rechnet Miner-gie-Sprecher Antonio Milelli vor Anstatt fossile Brennstoffe einzukaufen wird mehr Geld fuumlr Daumlmmstoffe Isolierfenster Luumlftungsanlagen und Sonnenkollektoren aus inlaumlndischer Fabrikation ausgegeben Zwischen 2001 und 2012 haben

Paul KnuumlselPaul Knuumlsel studierte Umweltnaturwissen-schaften an der ETH Zuumlrich Er ist unabhaumln-giger Wissenschaftsjournalist und schreibt seit Jahren in Publikums- und Fachmedien uumlber die vielfaumlltigen Aspekte des nachhalti-gen Bauens Zusaumltzlich betreut er in der Re-daktion des laquoTEC21raquo das Ressort laquoEnergie und Umweltraquo

laquoDass ein hohes Umweltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren

derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauenraquo

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Der Wasserkraft Sorge tragen

Welchen Beitrag kann die Wasserwirtschaft zur Energie-wende leisten Roger Pfammatter Die Wasserkraft ist der energie-politische Trumpf der Schweiz Wir befinden uns in der gluumlcklichen Lage uumlber grosse Mengen Wasser und das notwendige Gefaumllle zu verfuumlgen ndash das sind die beiden wichtigsten Voraussetzungen fuumlr die hydroelektrische Produktion Und wir haben in den vergangenen 100 Jah-ren gelernt dieses Potenzial effizient und moumlglichst um-weltschonend zu nutzen Die Wasserkraft ist der Schluumls-sel fuumlr eine nachhaltige Energieversorgung technisch ausgereift politisch erwuumlnscht einheimisch erneuerbar und CO2-frei

Wie viel mehr ist moumlglichHeute leistet die Wasserkraft nicht nur rund 60 Prozent der Stromproduktion in der Schweiz sondern bietet auch unverzichtbare Regel- und Systemdienstleistungen die markant an Bedeutung gewinnen werden Vor allem bei der Flexibilisierung der Wasserkraft durch mehr Leistung und Speichervolumen waumlre noch einiges moumlglich Um die Aufgaben weiterhin zu gewaumlhrleisten muumlssen wir aber primaumlr dem Bestehenden Sorge tragen

Die Energiestrategie des Bundes gibt aber klare Ausbau-ziele vor Bis 2035 soll die Stromproduktion aus Wasser-kraft um 10 Prozent steigenUnter den momentanen Rahmenbedingungen ist dieses Ausbauziel nicht realistisch Im Gegenteil Aufgrund der Restwasserbestimmungen wird die Produktion in den naumlchsten Jahren vermutlich sogar zuruumlckgehen

Die Wasserkraft ist der wichtigste Pfeiler der Schweizer Ener-giewirtschaft ihr Potenzial ist aber weitgehend ausgeschoumlpft Roger Pfammatter Geschaumlftsfuumlhrer des Wasserwirtschaftsver-bands gibt im Interview Auskunft uumlber die Lage der Branche und ihre Bedeutung fuumlr die EnergiezukunftInterview Florian Wehrli

Expertensicht

Was muss sich aumlndern damit die vorgegebenen Ziele um-gesetzt werden koumlnnenZum einen braucht es dafuumlr die Akzeptanz der Umweltver-baumlnde der Fischer und letztlich der gesamten Bevoumllkerung Zum anderen muumlssen laumlngerfristig die extremen Marktver-zerrungen abgebaut werden damit sich auch Investitionen in die nicht gefoumlrderte Wasserkraft wieder lohnen Heute wird nur noch in subventionierte Anlagen investiert

Wer ist hier in der PflichtHier ist die Politik gefordert die Rahmenbedingungen zu verbessern Denn ohne die Wasserkraft kann die Energie-wende nicht gelingen

Anfang Jahr wurde der Wasserwirtschaftsverband von den zustaumlndigen Kommissionen angehoumlrt Welche Forderun-gen hat die Branche an das ParlamentWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerba-re Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichten die bereits bis zur Haumllfte der Geste-hungskosten ausmachen Damit sind wir doppelt diskrimi-niert Die Wasserkraft ist extrem unter Preisdruck ndash und dies obwohl sie mit Gestehungskosten zwischen 3 und 10 Rappen pro Kilowattstunde die effizienteste Strompro-duktionstechnologie ist Nur zum Vergleich Fotovoltaik -anlagen werden heute mit rund 40 Rappen subventioniert

Bis 2011 liess sich mit der Grosswasserkraft noch viel Geld verdienen Wurden zu wenige Ruumlcklagen fuumlr schlechte Zei-ten gebildet

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Es kann nicht der Sinn sein Ruumlcklagen fuumlr Zeiten zu bil-den in denen die Marktpreise die Gestehungskosten nicht mehr decken Das waumlre wie wenn ein Baumlcker auf jedem Gipfeli einige Rappen zuruumlckbehalten muumlsste damit er sie am naumlchsten Tag gratis abgeben kann Mit dem durch Subventionen verzerrten Marktpreis von 4 bis 5 Rappen pro Kilowattstunde ist unter den konventionellen Energie-traumlgern praktisch nur Kohle konkurrenzfaumlhig Das ist be-stimmt nicht im Sinn der Energiewende

Drei Grosswasserkraftprojekte sind heute bereits im Bau Koumlnnen die enormen Kosten uumlberhaupt amortisiert wer-denPrognosen sind schwierig An der europaumlischen Strom-boumlrse (EEX) werden bis 2020 Strompreise zwischen 45 und 53 Rappen pro Kilowattstunde gehandelt Der Markt glaubt also nicht an eine baldige Erholung Dafuumlr muumlsste das Uumlberangebot in Europa zuruumlckgehen etwa uumlber die Anhebung des CO2-Preises von heute 5 auf mindestens 30 Euro pro Tonne Politisch ist das aber kaum durchsetz-bar Neue Pumpspeicherwerke werden sich deshalb wohl erst in mehreren Jahrzehnten lohnen

Was kann die Kleinwasserkraft leistenOhne die kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) wuumlr-de niemand Kleinwasserkraftanlagen bauen genauso we-nig wie Fotovoltaik- Wind- oder Biomasseanlagen Zurzeit gibt es aber allein bei der Kleinwasserkraft rund 1 000 An-meldungen fuumlr Foumlrderbeitraumlge mit einem bescheidenen Ge-samtpotenzial von 33 Terawattstunden pro Jahr Die oumlko-logischen Auswirkungen sind im Vergleich zum Ertrag zu gross Obwohl wir von marktverzerrenden Foumlrderprogram-men wegkommen sollten waumlre es in einer Uumlbergangs phase sinnvoll die KEV-Obergrenze von 10 Mega watt aufzuheben und dort zu foumlrdern wo es wirklich etwas bringt

Wie soll die Grosswasserkraft unterstuumltzt werdenDas Sinnvollste waumlre die Abkehr von der Subventions-maschinerie ndash und zwar auf europaumlischer Ebene Dann wuumlrde sich die Wasserkraft als effiziente erneuerbare Stromproduktionsform mit Sicherheit durchsetzen Min-destens als Uumlbergangsloumlsung waumlre aber die Entlastung

von Abgaben in erster Linie vom Wasserzins dringend Der maximale Wasserzins wurde in den letzten vier Jahren um 38 Prozent erhoumlht und wird naumlchstes Jahr um weite-re 10 Prozent angehoben Diese Erhoumlhung wurde 2008 beschlossen und steht heute in keinerlei Bezug mehr zur Ertrags lage Kurzfristig koumlnnten die Kantone auf einen Teil dieser Zinsen verzichten ndash das waumlre ein wichtiges politi-sches Zeichen Langfristig muss ein neuer Modus fuumlr die Zinsberechnung gefunden werden der die Ertragslage der Wasserkraft mitberuumlcksichtigt Das ist auch im Interesse von Bund Kantonen und Gemeinden schliesslich ist die Wasserkraft zu 85 Prozent in oumlffentlicher Hand Ebenfalls als Uumlbergangsloumlsung bis zu besseren Marktpreisen waumlren zinsguumlnstige Darlehen fuumlr die noumltigen Investitionen in die Grosswasserkraft denkbar Ohne mindestens eine dieser Massnahmen kann die Wasserwirtschaft das geforderte Ausbauziel nicht erreichen

Bis dahin gibt es noch eine weitere Huumlrde den Heimfall der Stauanlagen an die Standortgemeinden Welchen Ein-fluss hat dieser UmstandWenn die Konzessionen nach 80 oder 100 Jahren aus-laufen muss der Betreiber der Gemeinde eine Entschaumldi-gung fuumlr den Restwert der Anlagen entrichten Im Fall der Staumauer Barberine bezahlen die SBB und Alpiq 2017 an sechs Walliser Gemeinden 343 Millionen Franken Das 400-Seelen-Dorf Finhaut erhaumllt alleine 112 Millionen Fran-ken und weiss kaum wohin mit dem Geld Der gesamte Wert des Heimfalls der Anlagen bewegt sich schweizweit im Milliardenbereich Der Houmlhepunkt des Heimfalls wird um 2035 erreicht werden Bis zu diesem Zeitpunkt soll aber auch ein Grossteil der geforderten Produktionsstei-gerung umgesetzt werden

Bei der Stromproduktion ist ein Ausbau von uumlber 10 Pro-zent wohl nicht realistisch Wie sieht es bei der Speicher-leistung aus Hier muss man unterscheiden zwischen kurzfristiger und saisonaler Speicherung Fuumlr die saisonale Speicherung verfuumlgt die Schweiz mit 200 Speicherseen uumlber ein Vo-lumen von rund 9 000 Gigawattstunden (GWh) die jedes Jahr vom Sommer in den Winter umgelagert werden Dies

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Expertensicht

entspricht einem Viertel der jaumlhrlichen Produktion aus Wasserkraft Das Ausbaupotenzial durch die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren betraumlgt rund 2 000 GWh Falls der Ausbau aber nicht gelingt entsteht im Winter durch den Ausfall der Kernenergie eine immer groumlssere Luumlcke an Bandenergie die durch den Import von Atom- oder Kohlestrom gedeckt werden muss

Wie sieht es beim Ausbau der Pumpleistung zum kurzfris-tigen Ausgleich von Schwankungen im Netz ausGrundsaumltzlich ist das Potenzial fuumlr Pumpspeicherwerke in der Schweiz riesig Es braucht nur zwei Seen auf unter-schiedlicher Houmlhe Die Frage ist ob sich solche Investi-tionen rechnen Die Pumpspeicherwerke finanzieren sich

uumlber den Preisunterschied zwischen Band- und Spitzen-energie Wenn an einem schoumlnen Sommertag in Europa mittags die geballte Ladung an Sonnen- und Windener-gie eingespeist wird koumlnnen die Pumpspeicherkraftwerke sehr guumlnstig oder sogar zu Negativpreisen Strom bezie-hen Man darf aber nicht vergessen dass dieselbe Situa-tion fuumlr die Laufwasserkraftwerke die rund die Haumllfte der Wasserkraftproduktion in der Schweiz ausmachen den gegenteiligen Effekt hat Diese koumlnnen aus technischen konzessionsrechtlichen oder oumlkologischen Gruumlnden nicht vom Netz genommen werden und muumlssen fuumlr ihre Strom-produktion bezahlen Das kann gehoumlrig ins Geld gehen An Weihnachten 2012 lag der Strompreis zum Beispiel bei minus 30 Rappen pro Kilowattstunde

Roger Pfammatter laquoWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerbare Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichtenraquo

Bild Florian Wehrli

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cherseen zur Flexibilisierung Damit das gelingt muss der Wert der Wasserkraft staumlrker im Bewusstsein der Bevoumllke-rung verankert sein Und nicht zuletzt muss der Marktpreis so weit uumlber den Gestehungskosten liegen dass sich In-vestitionen in die Wasserwirtschaft rentieren

Versuchen das Bestehende zu erhalten Diese Vision klingt etwas resigniertDas ist eine Frage der Perspektive Die Wasserkraft hat als Technologie in der Schweiz seit Langem Bestand Sie befindet sich in einer anderen Situation als Fotovoltaik und Windenergie die sich in einem hochdynamischen Umfeld mit grossem Potenzial in Forschung und Wachstum be-finden Die Wasserkraft ist dagegen nicht mehr in der Auf-bruchsphase sondern in der Konsolidierungsphase Da-fuumlr kann man sich auf die Wasserkraftwerke verlassen Sie produzieren bei Tag und in der Nacht im Sommer wie im Winter bei Windstille oder im Nebel Auch der Erhalt und die Optimierung des Bestehenden sind grosse Heraus-forderungen und bedingen grosse Investitionen

Sehen Sie eine Moumlglichkeit wie die Schweizer Wasser-wirtschaft in Zukunft Geld mit Systemdienstleistungen wie Netzstabilitaumlt verdienen kannDie unregelmaumlssig einspeisenden Stromproduzenten neh-men keinerlei Systemverantwortung wahr Ich habe selbst ein Solarpanel auf dem Dach Wenn Produktion moumlglich ist speise ich Strom ins Netz ein wenn nicht beziehe ich Die Produzenten mehr in die Verantwortung zu nehmen faumlnde ich sinnvoll ndash zum Beispiel uumlber Zertifikate fuumlr Spei-cherleistungen Diese koumlnnten bei Pumpspeicherwerken bezogen werden

Welcher Ausbau der Pumpspeicherleistung ist dafuumlr noumltigDie installierte Leistung betraumlgt heute rund 14 Gigawatt (GW) Mit den im Bau befindlichen und den geplanten An-lagen kann die Kapazitaumlt maximal auf 51 GW ausgebaut werden ndash etwa die Haumllfte der Jahreshoumlchstlast im Netz Damit die Schweizer Wasserkraft aber einen Beitrag zur Stabilitaumlt des europaumlischen Stromnetzes leisten kann muumlssten auch das Stauvolumen und die Leitungskapazi-taumlt erhoumlht werden Hier sind die Einsprachen von Anwoh-nern und Umweltverbaumlnden noch gravierender als bei den Anlagen selbst

Braucht es neue rechtliche Instrumente um den geplan-ten Ausbau durchsetzen zu koumlnnenEs braucht vor allem die Einsicht dass die Wasserkraft das Ruumlckgrat unserer Versorgungssicherheit ist und die Aus-wirkungen eines Ausbaus immer auch mit den Alternativen verglichen werden muumlssen Wir befinden uns aber auch in einem intensiv genutzten Land mit vielen Partikularinteres-sen Diese muumlssen gewichtet und abgewogen werden In der Abwaumlgung zwischen Landschaftsschutz und Wasser-nutzung waumlre es hilfreich wenn Grosswasserkraftanlagen den Status von nationalem Interesse erhalten

Wie soll die Schweizer Wasserwirtschaft im Jahr 2035 aussehenIch wuumlnsche mir dass die bestehende Infrastruktur auf dem heutigen Stand erhalten optimiert oumlkologisiert und im Idealfall etwas ausgebaut wird Dazu gehoumlren etwa die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren sowie neue Spei-

Roger PfammatterSeit seinem Ingenieurstudium an der ETH Zuumlrich hat er sich in ver-schiedenen Rollen dem Wasser verschrieben Nach sieben Lehr- und Wanderjahren in der Forschung und in der Entwicklungszusammen-arbeit war er zehn Jahre beim Ingenieurunternehmen Ernst Basler + Partner engagiert Seit 2010 ist er Geschaumlftsfuumlhrer des Schweizeri-schen Wasserwirtschaftsverbandes (SWV) und Herausgeber der Zeit-schrift laquoWasser Energie Luftraquo In diesen Funktionen setzt er sich ein fuumlr den Fachaustausch und gute Rahmenbedingungen in den Bereichen Wasserkraft und Hochwasserschutz

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Die globalen Energiemaumlrkte sind seit einigen Jahren stark in Bewegung Volatile Erdoumllpreise die Foumlrderung von un-konventionellen Gasvorkommen in grossem Stil die mas-sive Subventionierung von neuen erneuerbaren Energien in Deutschland der laquoarabische Fruumlhlingraquo und der Konflikt in der Ukraine hinterlassen Spuren Die Folge sind starke Verwerfungen an den Maumlrkten und fehlende Investitionssi-cherheit In diesem dynamischen und unsicheren Kontext will der Bund die bisherige Energiepolitik neu ausrichten ndash wahrlich eine Herkulesaufgabe Die Schweizer Wirtschaft verlangt dass der Bund bei der Neuausrichtung der Ener-giepolitik seinem in der Verfassung verankerten Auftrag nachkommt und sich fuumlr eine ausreichende sichere breit gefaumlcherte wirtschaftliche und umweltvertraumlgliche Ener-gieversorgung einsetzt Somit ist klar Die Energiestrate-gie 2050 muss in erheblichen Teilen optimiert und justiert werden Nur wenn vernetzt gedacht wird ist eine sichere Versorgung zu wettbewerbsfaumlhigen Preisen moumlglich

Prognosen klaffen weit auseinanderSeit Jahrzehnten bietet der Strommix aus Wasserkraft (knapp 60 Prozent) und Kernenergie (40 Prozent) Gewaumlhr fuumlr eine sichere klimafreundliche und wirtschaftliche Ener-gieversorgung Im Rahmen der Energiestrategie 2050 muss die Kernenergie langfristig ersetzt werden Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen zumal die Ziele des Bundes

Lebenselixier der Wirtschaft

Die Schweizer Wirtschaft ist auch in Zukunft auf eine sichere und wirtschaftliche Stromver-sorgung angewiesen Die Ener-giestrategie 2050 setzt stark auf Subventionen Dadurch entstehen Fehlanreize welche die Versorgungssicherheit ge-faumlhrdenText Kurt Lanz

Expertensicht

in Bezug auf das Potenzial der neuen erneuerbaren Ener-gien von Wunschdenken geleitet sind Die neuen erneuer-baren Energien werden sich langsamer entwickeln als an-gestrebt Der Bund rechnet mit rund 12 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2035 die Schweizer Wirtschaft mit 44 TWh Die vorsichtigeren Prognosen der Wirtschaft scheinen re-alistischer Dies zeigen exemplarisch die gescheiterten Geothermieprojekte in Basel und St Gallen Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Nachfrageprognosen Der Bund rechnet in seinen Szenarien mit einem Ruumlckgang des Stromverbrauchs pro Kopf von 16 Prozent zwischen 2000 und 2035 Die Schweizer Wirtschaft orientiert sich in ihren Szenarien am Verband Schweizerischer Elektrizitaumlts-unternehmen (VSE) der weiter mit einer steigenden Nach-frage rechnet Die Wirtschaft fordert von der Politik eine vernuumlnftige Planung aufgrund realistischer Schaumltzungen Die Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energiestrategie nicht gefaumlhrdet werden

Subventionen fuumlhren zu FehlanreizenDie Schweiz hat seit vielen Jahrzehnten erfolgreich die Wasserkraft vorangetrieben Aus politischen Gruumlnden wird nun die ndash unregelmaumlssige ndash Stromproduktion durch Sonnen- und Windenergie forciert Unsere sogenann-te kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) entspricht dem deutschen Foumlrdermodell Beide haben das gleiche Ziel Sie sollen erneuerbare Energien ausbauen indem sie neue Formen der Stromproduktion zur Marktreife brin-gen Weil das KEV-System die Sonnen- und Windenergie massiv foumlrdert kommt ein weiterer Ausbau der bewaumlhrten Wasserkraft nicht infrage Diese Entwicklung gefaumlhrdet die Versorgungssicherheit der Schweiz Auf den ersten Blick sinken zwar die Produktionskosten fuumlr Solarstrom gleich-zeitig steigen aber die Kosten fuumlr Speicherung und Inte-gration ins Netz spuumlrbar Auch ist der Ausbau von Solar- und Windenergie nur von beschraumlnktem Nutzen solange keine ausreichenden Speicherkapazitaumlten vorhanden sind Nur Preissignale koumlnnen das Investitionsverhalten von Stromproduzenten Netzbetreibern und Konsumen-ten sinnvoll lenken Subventionen sind zu beseitigen denn sie fuumlhren zu Fehlanreizen

41COMPETENCE | 2014

Alle Optionen offenhaltenOffenheit und Neugier gehoumlren zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft Kategorisches Abwehrverhalten und Denkverbote verhindern konstruktive Loumlsungsansaumltze und Innovation Eine sichere und kostenguumlnstige Strom-versorgung kann auch in Zukunft nur mit der notwendi-gen Offenheit gegenuumlber allen Technologien und Energie-

systemen garantiert werden Die Schweiz ist dank einer erfolgreichen Hochschulland-schaft und vielen Technolo-gieunternehmen gut geruumlstet Die verschiedenen Energie-systeme muumlssen faktenba-siert und ohne ideologische

Scheuklappen verglichen werden Nur so koumlnnen effizi-ente und umweltvertraumlgliche Loumlsungen gefunden werden Das heutige System der Foumlrderung der neuen erneuer-baren Energien ist durch ein marktorientiertes System ab-zuloumlsen Produzenten die nachfragegerecht einspeisen sollen eine houmlhere Verguumltung erhalten als andere Auch soll der Vorrang der Netzeinspeisung fuumlr subventionierte Energietraumlger aufgehoben werden

laquoDie Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit

des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energie strategie nicht

gefaumlhrdet werdenraquo

Schnellere Verfahren anstrebenGrundvoraussetzung fuumlr eine Neuausrichtung der Ener-giepolitik sind funktionierende Stromnetze Diese muumls-sen zwingend parallel zum Umbau der Stromproduktion weiterentwickelt werden Allein der noumltige Ausbau der Uumlbertragungsnetze belaumluft sich auf rund 1 000 Kilometer bis ins Jahr 2020 Erforderlich sind zudem Investitionen in alle Verteilernetzebenen Al-lerdings verzoumlgern komplizier-te Verfahren auf Kantons- und Bundesebene den Ausbau Ausserdem erwaumlchst praktisch jedem Projekt Widerstand von privater Seite was zu weiteren Verzoumlgerungen fuumlhrt Die Wirt-schaft fordert deshalb Bei Bewilligungen von Stromnetzen ist der Gang vors Bundesgericht nur noch bei Grundsatz-fragen moumlglich Umbauten sowie Spannungs- und Kapa-zitaumltserweiterungen koumlnnen ohne Planungsgenehmigung realisiert werden Ausserdem sind die Verfahren bei einer einzigen Leitbehoumlrde anzusiedeln

Spielfeld erweiternDie Schweiz ist seit jeher ein wichtiges Stromtransitland Schon seit den 90er-Jahren treibt die EU die Vereinheitli-chung des Binnenmarkts fuumlr Strom hin zu einem eigent-lichen EU-Strommarkt voran In der Schweiz erweist sich die gesetzliche Trennung von Grundversorgung und Markt diesbezuumlglich zunehmend als Hindernis Aus Sicht der Wirtschaft ist die vollstaumlndige Liberalisierung des Strom-markts eine zwingende Voraussetzung fuumlr eine erfolgrei-che energiepolitische Neuausrichtung

Eine Marktoumlffnung wuumlrde insbesondere auch den erneuer-baren Energien neue Chancen eroumlffnen und Zugang zu neuen Kunden gewaumlhren Von hoher Wichtigkeit ist auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU Je groumlsser der Anteil erneuerbarer Energien umso wichtiger ist die Einbettung in Europa denn Investitionen in Netze und Produktion koumlnnen in Koordination mit der EU wirkungsvoller und wahrscheinlich kostenguumlnstiger getaumltigt werden

Kurt LanzKurt Lanz ist Leiter Infrastruktur Energie und Umwelt sowie Geschaumlftsleitungsmitglied von economiesuisse dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft

Gut vernetzt ndash Vorschlaumlge der Schweizer Wirtschaftzur EnergiepolitikDie Publikation basiert auf der Grundlagenarbeit der breit abgestuumltz-ten Energiekommission von economiesuisse und macht konstruk-tive Vorschlaumlge fuumlr einen erfolgreichen energiepolitischen Weg der Schweiz Download unter wwweconomiesuissech

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

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Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

Bild

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

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Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

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Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

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Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 32: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

32 COMPETENCE | 2014

Unternehmensperspektive

ckelte Hochspannungsgleichstromschalter sollen zudem sicherstellen dass etwa ein Kurzschluss durch eine hy-perschnelle Abschaltung isoliert und das Netz somit nicht gefaumlhrdet wird Von 14 solchen Schaltsystemen welt-weit stammen 13 von ABB Die hohen Investitionen fuumlr die armdicken Gleichstromkabel rechnen sich da beim Transport viel weniger Strom verloren geht als bei der tradi tionellen Wechselstromtechnik Die Produktelinie ent-wickelt sich zum Renner Sie wird zur Anbindung von So-lar- und Windparks zur Versorgung von Inseln als Ersatz fuumlr Diesel generatoren auf Oumll- und Gasplattformen auf See eingesetzt Oder um Starkstrom vom Festland zu auf dem Meeresboden platzierten ferngesteuerten Foumlrderanlagen fuumlr Gas und Oumll zu leiten ndash wofuumlr ABB auch wartungsfreie Kompressoren liefert damit Kunden wie Statoil und Pet-robras teure Ausfaumllle erspart bleiben

Komplettloumlsungen aus einer HandDank hohem Innovationstempo sind die Divisionen Ener-gietechnik- und Niederspannungsprodukte gut ausgelas-tet Dies gilt ebenso fuumlr die Divisionen Industrie- und Pro-zessautomation Speziell energieintensive Industrien die unter hohem Kostendruck stehen muumlssen ihre Anlagen auf dem neusten Stand halten Dazu zaumlhlen Bergbau Oumll- und Gasindustrie Zellstoff- Papier- und Zementfabriken Chemie- und Pharmafirmen sowie Raffinerien Gefragt sind auch Industrieroboter und schwenkbare dank ABB-Leistungselektronik stufenlos regulierbare Schiffsantrie-be ABB liefert Grosskunden fertige Loumlsungen die hohe Produktivitaumlt und Energieeffizienz gewaumlhrleisten Alles ist aufeinander abgestimmt von der Elektrik uumlber Antriebe Generatoren Roboter Sensoren und Steuerungen bis hin

Zu Beginn des Jahrtausends stand ABB am Abgrund Doch eine neue Fuumlhrungscrew fuumlhrte das Unternehmen aus der Krise sodass die Schweiz inzwischen wieder stolz sein kann auf ihren Industriemulti mit Sitz in Zuumlrich Oerli-kon 2013 erzielte ABB mit rund 148 000 Mitarbeitenden in 100 Laumlndern 42 Milliarden Dollar Umsatz Die renom-mierte US-Universitaumlt MIT zaumlhlt ABB zu den 50 innova-tivsten Unternehmen weltweit Dank 8 000 Ingenieuren in Forschung und Entwicklung und einem Forschungsetat von 15 Milliarden Dollar kann ABB selbst mit Giganten wie Siemens und General Electric mithalten

Innovationen die Technikfans begeisternWas ABB alles macht wissen wohl nur Technikfans Denn der Konzern hat uumlber 70 000 Produkte im Angebot Die 300 ABB-Fabriken liefern taumlglich 15 Millionen Kompo-nenten aus die zu elektrischen Einrichtungen oder in Pro-duktionssteuerungen verbaut werden Aus Kanada etwa kam juumlngst ein Grossauftrag uumlber 400 Millionen Dollar Erneuerbare Energie die auf Neufundland und Labrador gewonnen wird soll ab 2017 via Hochspannungskabel 360 Kilometer nach Westen fliessen um dort 350 000 Haumluser zu versorgen Weltweit gibt es erst 90 solche Gleichstromkabelverbindungen die meist unter der Erde oder auf dem Meeresgrund verlaufen ABB ist mit rund 50 Prozent Anteil Marktfuumlhrer Die futuristisch anmuten-de Technik in den abgeschirmten Hallen wo der Strom vor dem Transport auf Hochspannung transformiert wird erinnert an den Maschinenraum von Raumschiff Enter-prise Ein wichtiges Steuerungselement bilden dabei in Baden Daumlttwil entwickelte und in Lenzburg produzierte Spezialchips die Houmlchstspannung aushalten Neu entwi-

Der schweizerisch-schwedische Technikkonzern treibt an vor-derster Front die Energiewende voran Dafuumlr forscht man bei ABB intensiv zu erneuerbaren Energien schlauen Stromnetzen sowie hocheffizienten Industrieanlagen Einzig die schwache Nachfrage nach Energieanlagen in Europa bremst die ExpansionText Andreas Fluumltsch

Innovativer Treiber der Energiewende

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uumlber weite Strecken in die Ballungsraumlume geleitet werden muss brummt das Geschaumlft In den USA treibt der Oumll- und Gasboom die Nachfrage Nur in Europa harzt das Geschaumlft mit Grossanlagen Weniger Nachfrage belastet die Margen bei Auftraumlgen fuumlr Wind- und Solarfarmen so-wie fuumlr Netzinfrastruktur Die Risiken der oft mehrjaumlhrigen Projekte sind so hoch dass ABB waumlhlerischer sein muss und etwa das Geschaumlft mit Solarloumlsungen zurzeit auf Sparflamme betreibt Dennoch ist ABB immer noch hoch-profitabel nicht zuletzt da die Kosten Jahr fuumlr Jahr um 3 bis 5 Prozent gesenkt werden Aber der erfolgsgewohnte Konzern musste sich 2013 mit 6 Prozent Umsatzplus zu-friedengeben Umso intensiver treibt der neue ABB-Chef Ulrich Spiesshofer die Integration der vorab in den USA fuumlr 10 Milliarden Dollar getaumltigten Zukaumlufe voran Und Spiess-hofer forciert die Zusammenarbeit der Divisionen damit ABB die Unternehmensvision laquoEnergie und Produktivitaumlt fuumlr eine bessere Weltraquo mit moumlglichst vielen eigenen Pro-dukten realisieren kann

zur Leittechnik samt angepasster Software Kleine und mittlere Kunden ordern Komponenten oder Teilsysteme Ein wichtiges Verkaufsargument ist das Sparpotenzial von stufenlos steuerbaren Elektromotoren Nur einer von fuumlnf Motoren hat laut einer Erhebung des Bundes einen Leis-tungsregler der Rest laumluft auf Hochtouren und wird ndash man glaubt es kaum ndash bei Bedarf mit Klappen oder Ventilen mechanisch abgebremst Eine gigantische Verschwen-dung da Industriemotoren laut einer Studie der Schwei-zerischen Agentur fuumlr Energieeffizienz 27 Prozent des Schweizer Stromverbrauchs ausmachen

Europaumlische ZuruumlckhaltungEigentlich muumlsste die Division Energietechniksysteme ebenfalls ausgelastet sein Denn auch die Stromwirtschaft muss ihre Effizienz steigern Schliesslich erfordert die Energiewende einen Totalumbau der auf Verteilung ausge-richteten Netze damit diese unter der Last von Solar- und Windenergie nicht instabil werden Arbeit in Huumllle und Fuumllle fuumlr ABB sollte man meinen Doch der erst zaghafte Auf-schwung in Europa daumlmpft die Nachfrage Erschwerend kommt hinzu dass subventionierte Wind- und Solarener-gie in Europas liberalisiertem Strommarkt den Strompreis in ungeahnte Tiefen druumlckte Die Konkurrenzfaumlhigkeit von Wasser- Gas- und Atomkraftwerken hat gelitten Pump-speicher sind keine Goldesel mehr seit die erneuerbaren Energien die Preisspitzen brechen Entsprechend schie-ben Stromkonzerne wie Alpiq oder RWE Investitionen auf Unsicherheiten rund um den Atomausstieg belasten zu-saumltzlich Die voraussichtlich noch auf Jahre hinaus tiefen Strompreise schmaumllern auch die Faumlhigkeit der Besitzer von Hochspannungs- und Verteilnetzen deren Umruumlstung zu finanzieren hoch verschuldete EU-Staaten fahren die Foumlrderung von Wind- und Solarenergie zuruumlck

Straffe KostenkontrolleABB bekommt den Investitionsstau empfindlich zu spuuml-ren Die Division Energietechniksysteme schreibt seit eini-ger Zeit rote Zahlen Zwar ordern Grosskunden aus Asien und Lateinamerika weiterhin kraumlftig Neben China inves-tiert vermehrt auch Indien in neue Stromnetze Uumlberall dort wo die Bevoumllkerung rasch waumlchst oder der Strom

Andreas FluumltschAndreas Fluumltsch war urspruumlnglich Jurist und arbeitete ab 1983 als Journalist fuumlr laquoBlickraquo laquoWeltwocheraquo laquoBilanzraquo und laquoCashraquo Zwischen 1989 und 1990 war er Mitglied der Geschaumlftsleitung von Greenpeace Schweiz anschliessend Hausmann Nach der Ruumlck-kehr in den Journalismus 1992 arbeitete er bei laquoBlickraquo laquoSonntagszeitungraquo und laquoTages- Anzeigerraquo und absolvierte eine Ausbildung zum Boumlrsenhaumlndler Nach der Fruumlhpensio-nierung Ende 2013 machte er sich als Publi-zist selbststaumlndig

ABB in Zahlen (2013)Betriebsertrag 41 848 Mio USDBetriebsergebnis 4 387 Mio USDndash Industrieautomation 1 458 Mio USDndash Niederspannung 1 092 Mio USDndash Prozessautomation 990 Mio USDndash Energietechnik 1 331 Mio USDndash Energiesysteme 171 Mio USD

Mitarbeitende 147 700ndash davon in der Schweiz 6 966

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Hohe Nachfrage nach MinergieDer Erfolg der bisherigen Sparbemuumlhungen bleibt nicht aus laquoTrotz zunehmender Pro-Kopf-Wohnflaumlche und stei-gendem Komfort sinkt der Energieverbrauch fuumlrs Heizen in den letzten Jahrzehnten stetigraquo verkuumlndet der Zuumlrcher Regierungsrat im Energieplanungsbericht 2014 Dazu tra-gen nicht nur die laufend verschaumlrften Gesetze bei Ebenso wichtig ist die Bereitschaft von Bautraumlgerschaften freiwillig Uumlberdurchschnittliches zu leisten Vor allem die Minergie-Regeln werden inzwischen gerne befolgt weshalb Haumluser mit halbiertem Energieverbrauch beinahe Standard sind Schweizweit traumlgt eines von zehn neuen Wohnhaumlusern ein Minergie-Zertifikat Der Anteil an Minergie-Haumlusern im Grossraum Zuumlrich liegt gemaumlss einer Marktanalyse der Universitaumlt Zuumlrich bereits nahe bei 20 Prozent Dies ist privaten Hauseigentuumlmern und institutionellen Investoren zu verdanken Wohn- und Geschaumlftshaumluser mit houmlchster Energieeffizienz gehoumlren inzwischen zum guten Ton Den juumlngsten Beweis liefert eine Immobilienstiftung der Credit Suisse die 70 Millionen Franken in die groumlsste Oumlkosied-lung der Schweiz investiert Im Aargauer Reusstal wohnen seit diesem Jahr rund 200 Familien Paare und Singles deren Wohnhaumluser sich weitgehend selbst mit Sonnen-energie versorgen So klimafreundlich die Energiewende-Architektur ist der Investor erwartet dennoch marktuumlb-liche Renditen Ist der Markt aber bereit oumlkologisches Engagement angemessen zu honorieren

Marktpotenzial fruumlhzeitig erkanntDie Zuumlrcher Kantonalbank (ZKB) beziffert den Mehrwert von Minergie-Haumlusern auf 7 Prozent Kaumlufer seien bereit diesen Aufpreis fuumlr mehr Energieeffizienz zu bezahlen Als weitere Nebeneffekte nennt der vor drei Jahren publizierte ZKB-Bericht eine hochwertige dauerhafte Bausubstanz sowie die Absicherung gegen steigende Oumll- und Energie-preise Fachleute des Immobilienberatungsunternehmens Wuumlest amp Partner (WampP) warnen indes dass sich zusaumltz-liche Investitionen in die Energieeffizienz nicht uumlberall loh-nen laquoRegional schwankt die Zahlungsbereitschaft des Immobilienmarktsraquo praumlzisiert WampP-Partner Ivan Anton Minergie-Haumluser koumlnnen aber nicht nur in abgelegenen Regionen ein Marktrisiko werden laquoMit Ausnahme der

Beim Autokauf wird bevorzugt auf Pferdestaumlrken Be-schleunigung und Innenausstattung geachtet Der CO2-Ausstoss interessiert hingegen kaum So kommt die Energieeffizienz im Strassenverkehr nur stockend voran 1995 schluckten alle neu immatrikulierten Personen-wagen durchschnittlich 9 Liter Benzin pro 100 Kilometer 20 Jahre spaumlter liegt der Durchschnittsverbrauch gemaumlss Bundesamt fuumlr Energie (BFE) immer noch uumlber 6 Litern Das viel gepriesene laquoDrei-Liter-Autoraquo haben alle Hersteller wieder aus der Modellpalette genommen

Demgegenuumlber gelingen dem oft traumlge genannten Ge-baumludebereich weitaus groumlssere Effizienzspruumlnge Ver-brauchen 40 Jahre alte Haumluser im Schnitt 220 Kilowatt-stunden (kWh) Heizenergie pro Quadratmeter Wohnflaumlche und Jahr sind die aktuellen Werte unter die 50er-Marke gesunken Zusaumltzliche Sparerfolge sind nur eine Frage der Zeit Im Fruumlhsommer haben die kantonalen Energie-direktoren uumlber ein Rahmenabkommen beraten das Null-energieneubauten demnaumlchst zum Standard machen soll Wie die nationale Energiewende zu erreichen ist erklaumlrt Christoph Gmuumlr von der Abteilung Energie des Kantons Zuumlrich laquoDer spezifische Verbrauchswert ist zudem auf 35 kWh pro Quadratmeter zu senkenraquo Gebaumlude die sich mit umweltfreundlicher Energie selbst versorgen wollen auch die EU-Staaten Ab 2020 wird ein Gebaumludestandard eingefuumlhrt der nur noch laquoNiedrigstenergiegebaumluderaquo mit sehr hoher Energieeffizienz als Neubauten vorsieht

Energiesparhaumluser waren vor 30 Jahren Exoten inzwischen nimmt der Bereich der energie-effizienten Gebaumlude eine Vor-bildrolle fuumlr die Energie wende ein Bauherren profitieren davon ebenso wie die Zuliefer-branche Text Paul Knuumlsel

Expertensicht

Haumluser in der ersten Reihe

35COMPETENCE | 2014

der Bau von Niedrigenergiehaumlusern und alternativen Hei-zungsanlagen sowie energetische Gebaumludesanierungen Investitionen im Umfang von rund 4 Milliarden Franken ausgeloumlst rechnet der Bund vor laquoEin Fuumlnftel insgesamt 860 Millionen Franken stammt aus den oumlffentlichen Kas-senraquo verweist die BFE-Stelle EnergieSchweiz auf die Im-pulse der kantonalen Foumlrderprogramme Einen Wermuts-tropfen besitzt diese Wirkungsbilanz Fruumlhere Analysen der Energiesparprogramme zeigen naumlmlich dass zwi-schen einem Drittel und der Haumllfte der energetisch vorbild-lichen Gebaumlude auch ohne staatliche Foumlrderung realisiert worden waumlren Dem Mitnahmeeffekt ist auch die Eidge-noumlssische Steuerverwaltung auf der Spur Sie schaumltzt dass Bund und Kantonen jaumlhrlich 14 Milliarden Franken entgehen weil energetische Gebaumludesanierungen bei der Liegenschaftssteuer abzugsberechtigt sind Die Energie-wende erfordert nicht nur mehr Effizienz bei den Anwen-dungen sondern auch einen effizienten Einsatz staatlicher Mittel Im Energieplanungsbericht 2013 hat der Zuumlrcher Regierungsrat erstmals uumlber alternative Anreizsysteme nachgedacht Demnach soll eine Lenkungsabgabe den Energiekonsum reduzieren und das bisherige Foumlrdersys-tem abloumlsen Aumlhnliche Plaumlne verfolgt der Bund Denn ein Lenkungssystem duumlrfte weitere Sparbemuumlhungen im Ge-baumludebereich aber auch im Strassenverkehr foumlrdern Ins-besondere dann wenn Heizoumll und Benzin im Gleichschritt teurer werden

begehrten Wohnlagen haben Hauseigentuumlmer an vielen Orten mit moumlglichen Verkaufsverlusten zu rechnenraquo so Anton Zwar sei die Nachfrage bei Eigentuumlmern und Mie-tern aumlhnlich gross Aber auch Mieter wuumlrden nicht uumlberall mehr fuumlr eine energieeffiziente Wohnung bezahlen Kaum uumlberraschen darf daher dass Immobilieninvestoren immer haumlufiger die steigenden Energieanforderungen kritisieren und kostenguumlnstigere Baustandards vorziehen Fuumlr WampP-Berater Urs Hausmann ist laquonachhaltiges Bauen trotzdem keine Frage von Luxus oder Wohlstand sondern eine wie man mit Ressourcen umgehen willraquo Dass ein hohes Um-weltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauen Der Run auf den oumlkologischen Baustoff Holz laumlsst zum Beispiel eine gesamte Wertschoumlpfungskette und viele

innovative Unternehmen profitieren Forstbetriebe Sauml-gereien Fensterbauer Daumlmmstoffhersteller und andere Bauzulieferer vergroumlssern ihre Produktionskapazitaumlten und stellen zusaumltzliches Personal ein laquoDie Umsaumltze im Schweizer Holzbau sind in den letzten Jahren um mehrere Hundert Millionen Franken gestiegen und die Trendkurve zeigt weiter nach obenraquo freut sich Christoph Starck Di-rektor des Holzbaudachverbands Lignum

Einheimische Zulieferer als GewinnerAuch im Verein Minergie ist man sich bewusst dass sich energieeffizientes Bauen wirtschaftlich positiv auswirkt In den letzten 15 Jahren sind 25 000 Wohnhaumluser Buumlro-komplexe Schulbauten Sport- und Industriehallen mit Niedrig energiezertifikat entstanden Gemeinsam sparen sie 15 Milliarden Kilowattstunden Energie laquoUumlber 2 Milliar-den Franken wurden zusaumltzlich investiertraquo rechnet Miner-gie-Sprecher Antonio Milelli vor Anstatt fossile Brennstoffe einzukaufen wird mehr Geld fuumlr Daumlmmstoffe Isolierfenster Luumlftungsanlagen und Sonnenkollektoren aus inlaumlndischer Fabrikation ausgegeben Zwischen 2001 und 2012 haben

Paul KnuumlselPaul Knuumlsel studierte Umweltnaturwissen-schaften an der ETH Zuumlrich Er ist unabhaumln-giger Wissenschaftsjournalist und schreibt seit Jahren in Publikums- und Fachmedien uumlber die vielfaumlltigen Aspekte des nachhalti-gen Bauens Zusaumltzlich betreut er in der Re-daktion des laquoTEC21raquo das Ressort laquoEnergie und Umweltraquo

laquoDass ein hohes Umweltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren

derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauenraquo

36 COMPETENCE | 2014

Der Wasserkraft Sorge tragen

Welchen Beitrag kann die Wasserwirtschaft zur Energie-wende leisten Roger Pfammatter Die Wasserkraft ist der energie-politische Trumpf der Schweiz Wir befinden uns in der gluumlcklichen Lage uumlber grosse Mengen Wasser und das notwendige Gefaumllle zu verfuumlgen ndash das sind die beiden wichtigsten Voraussetzungen fuumlr die hydroelektrische Produktion Und wir haben in den vergangenen 100 Jah-ren gelernt dieses Potenzial effizient und moumlglichst um-weltschonend zu nutzen Die Wasserkraft ist der Schluumls-sel fuumlr eine nachhaltige Energieversorgung technisch ausgereift politisch erwuumlnscht einheimisch erneuerbar und CO2-frei

Wie viel mehr ist moumlglichHeute leistet die Wasserkraft nicht nur rund 60 Prozent der Stromproduktion in der Schweiz sondern bietet auch unverzichtbare Regel- und Systemdienstleistungen die markant an Bedeutung gewinnen werden Vor allem bei der Flexibilisierung der Wasserkraft durch mehr Leistung und Speichervolumen waumlre noch einiges moumlglich Um die Aufgaben weiterhin zu gewaumlhrleisten muumlssen wir aber primaumlr dem Bestehenden Sorge tragen

Die Energiestrategie des Bundes gibt aber klare Ausbau-ziele vor Bis 2035 soll die Stromproduktion aus Wasser-kraft um 10 Prozent steigenUnter den momentanen Rahmenbedingungen ist dieses Ausbauziel nicht realistisch Im Gegenteil Aufgrund der Restwasserbestimmungen wird die Produktion in den naumlchsten Jahren vermutlich sogar zuruumlckgehen

Die Wasserkraft ist der wichtigste Pfeiler der Schweizer Ener-giewirtschaft ihr Potenzial ist aber weitgehend ausgeschoumlpft Roger Pfammatter Geschaumlftsfuumlhrer des Wasserwirtschaftsver-bands gibt im Interview Auskunft uumlber die Lage der Branche und ihre Bedeutung fuumlr die EnergiezukunftInterview Florian Wehrli

Expertensicht

Was muss sich aumlndern damit die vorgegebenen Ziele um-gesetzt werden koumlnnenZum einen braucht es dafuumlr die Akzeptanz der Umweltver-baumlnde der Fischer und letztlich der gesamten Bevoumllkerung Zum anderen muumlssen laumlngerfristig die extremen Marktver-zerrungen abgebaut werden damit sich auch Investitionen in die nicht gefoumlrderte Wasserkraft wieder lohnen Heute wird nur noch in subventionierte Anlagen investiert

Wer ist hier in der PflichtHier ist die Politik gefordert die Rahmenbedingungen zu verbessern Denn ohne die Wasserkraft kann die Energie-wende nicht gelingen

Anfang Jahr wurde der Wasserwirtschaftsverband von den zustaumlndigen Kommissionen angehoumlrt Welche Forderun-gen hat die Branche an das ParlamentWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerba-re Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichten die bereits bis zur Haumllfte der Geste-hungskosten ausmachen Damit sind wir doppelt diskrimi-niert Die Wasserkraft ist extrem unter Preisdruck ndash und dies obwohl sie mit Gestehungskosten zwischen 3 und 10 Rappen pro Kilowattstunde die effizienteste Strompro-duktionstechnologie ist Nur zum Vergleich Fotovoltaik -anlagen werden heute mit rund 40 Rappen subventioniert

Bis 2011 liess sich mit der Grosswasserkraft noch viel Geld verdienen Wurden zu wenige Ruumlcklagen fuumlr schlechte Zei-ten gebildet

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Es kann nicht der Sinn sein Ruumlcklagen fuumlr Zeiten zu bil-den in denen die Marktpreise die Gestehungskosten nicht mehr decken Das waumlre wie wenn ein Baumlcker auf jedem Gipfeli einige Rappen zuruumlckbehalten muumlsste damit er sie am naumlchsten Tag gratis abgeben kann Mit dem durch Subventionen verzerrten Marktpreis von 4 bis 5 Rappen pro Kilowattstunde ist unter den konventionellen Energie-traumlgern praktisch nur Kohle konkurrenzfaumlhig Das ist be-stimmt nicht im Sinn der Energiewende

Drei Grosswasserkraftprojekte sind heute bereits im Bau Koumlnnen die enormen Kosten uumlberhaupt amortisiert wer-denPrognosen sind schwierig An der europaumlischen Strom-boumlrse (EEX) werden bis 2020 Strompreise zwischen 45 und 53 Rappen pro Kilowattstunde gehandelt Der Markt glaubt also nicht an eine baldige Erholung Dafuumlr muumlsste das Uumlberangebot in Europa zuruumlckgehen etwa uumlber die Anhebung des CO2-Preises von heute 5 auf mindestens 30 Euro pro Tonne Politisch ist das aber kaum durchsetz-bar Neue Pumpspeicherwerke werden sich deshalb wohl erst in mehreren Jahrzehnten lohnen

Was kann die Kleinwasserkraft leistenOhne die kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) wuumlr-de niemand Kleinwasserkraftanlagen bauen genauso we-nig wie Fotovoltaik- Wind- oder Biomasseanlagen Zurzeit gibt es aber allein bei der Kleinwasserkraft rund 1 000 An-meldungen fuumlr Foumlrderbeitraumlge mit einem bescheidenen Ge-samtpotenzial von 33 Terawattstunden pro Jahr Die oumlko-logischen Auswirkungen sind im Vergleich zum Ertrag zu gross Obwohl wir von marktverzerrenden Foumlrderprogram-men wegkommen sollten waumlre es in einer Uumlbergangs phase sinnvoll die KEV-Obergrenze von 10 Mega watt aufzuheben und dort zu foumlrdern wo es wirklich etwas bringt

Wie soll die Grosswasserkraft unterstuumltzt werdenDas Sinnvollste waumlre die Abkehr von der Subventions-maschinerie ndash und zwar auf europaumlischer Ebene Dann wuumlrde sich die Wasserkraft als effiziente erneuerbare Stromproduktionsform mit Sicherheit durchsetzen Min-destens als Uumlbergangsloumlsung waumlre aber die Entlastung

von Abgaben in erster Linie vom Wasserzins dringend Der maximale Wasserzins wurde in den letzten vier Jahren um 38 Prozent erhoumlht und wird naumlchstes Jahr um weite-re 10 Prozent angehoben Diese Erhoumlhung wurde 2008 beschlossen und steht heute in keinerlei Bezug mehr zur Ertrags lage Kurzfristig koumlnnten die Kantone auf einen Teil dieser Zinsen verzichten ndash das waumlre ein wichtiges politi-sches Zeichen Langfristig muss ein neuer Modus fuumlr die Zinsberechnung gefunden werden der die Ertragslage der Wasserkraft mitberuumlcksichtigt Das ist auch im Interesse von Bund Kantonen und Gemeinden schliesslich ist die Wasserkraft zu 85 Prozent in oumlffentlicher Hand Ebenfalls als Uumlbergangsloumlsung bis zu besseren Marktpreisen waumlren zinsguumlnstige Darlehen fuumlr die noumltigen Investitionen in die Grosswasserkraft denkbar Ohne mindestens eine dieser Massnahmen kann die Wasserwirtschaft das geforderte Ausbauziel nicht erreichen

Bis dahin gibt es noch eine weitere Huumlrde den Heimfall der Stauanlagen an die Standortgemeinden Welchen Ein-fluss hat dieser UmstandWenn die Konzessionen nach 80 oder 100 Jahren aus-laufen muss der Betreiber der Gemeinde eine Entschaumldi-gung fuumlr den Restwert der Anlagen entrichten Im Fall der Staumauer Barberine bezahlen die SBB und Alpiq 2017 an sechs Walliser Gemeinden 343 Millionen Franken Das 400-Seelen-Dorf Finhaut erhaumllt alleine 112 Millionen Fran-ken und weiss kaum wohin mit dem Geld Der gesamte Wert des Heimfalls der Anlagen bewegt sich schweizweit im Milliardenbereich Der Houmlhepunkt des Heimfalls wird um 2035 erreicht werden Bis zu diesem Zeitpunkt soll aber auch ein Grossteil der geforderten Produktionsstei-gerung umgesetzt werden

Bei der Stromproduktion ist ein Ausbau von uumlber 10 Pro-zent wohl nicht realistisch Wie sieht es bei der Speicher-leistung aus Hier muss man unterscheiden zwischen kurzfristiger und saisonaler Speicherung Fuumlr die saisonale Speicherung verfuumlgt die Schweiz mit 200 Speicherseen uumlber ein Vo-lumen von rund 9 000 Gigawattstunden (GWh) die jedes Jahr vom Sommer in den Winter umgelagert werden Dies

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Expertensicht

entspricht einem Viertel der jaumlhrlichen Produktion aus Wasserkraft Das Ausbaupotenzial durch die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren betraumlgt rund 2 000 GWh Falls der Ausbau aber nicht gelingt entsteht im Winter durch den Ausfall der Kernenergie eine immer groumlssere Luumlcke an Bandenergie die durch den Import von Atom- oder Kohlestrom gedeckt werden muss

Wie sieht es beim Ausbau der Pumpleistung zum kurzfris-tigen Ausgleich von Schwankungen im Netz ausGrundsaumltzlich ist das Potenzial fuumlr Pumpspeicherwerke in der Schweiz riesig Es braucht nur zwei Seen auf unter-schiedlicher Houmlhe Die Frage ist ob sich solche Investi-tionen rechnen Die Pumpspeicherwerke finanzieren sich

uumlber den Preisunterschied zwischen Band- und Spitzen-energie Wenn an einem schoumlnen Sommertag in Europa mittags die geballte Ladung an Sonnen- und Windener-gie eingespeist wird koumlnnen die Pumpspeicherkraftwerke sehr guumlnstig oder sogar zu Negativpreisen Strom bezie-hen Man darf aber nicht vergessen dass dieselbe Situa-tion fuumlr die Laufwasserkraftwerke die rund die Haumllfte der Wasserkraftproduktion in der Schweiz ausmachen den gegenteiligen Effekt hat Diese koumlnnen aus technischen konzessionsrechtlichen oder oumlkologischen Gruumlnden nicht vom Netz genommen werden und muumlssen fuumlr ihre Strom-produktion bezahlen Das kann gehoumlrig ins Geld gehen An Weihnachten 2012 lag der Strompreis zum Beispiel bei minus 30 Rappen pro Kilowattstunde

Roger Pfammatter laquoWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerbare Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichtenraquo

Bild Florian Wehrli

39COMPETENCE | 2014

cherseen zur Flexibilisierung Damit das gelingt muss der Wert der Wasserkraft staumlrker im Bewusstsein der Bevoumllke-rung verankert sein Und nicht zuletzt muss der Marktpreis so weit uumlber den Gestehungskosten liegen dass sich In-vestitionen in die Wasserwirtschaft rentieren

Versuchen das Bestehende zu erhalten Diese Vision klingt etwas resigniertDas ist eine Frage der Perspektive Die Wasserkraft hat als Technologie in der Schweiz seit Langem Bestand Sie befindet sich in einer anderen Situation als Fotovoltaik und Windenergie die sich in einem hochdynamischen Umfeld mit grossem Potenzial in Forschung und Wachstum be-finden Die Wasserkraft ist dagegen nicht mehr in der Auf-bruchsphase sondern in der Konsolidierungsphase Da-fuumlr kann man sich auf die Wasserkraftwerke verlassen Sie produzieren bei Tag und in der Nacht im Sommer wie im Winter bei Windstille oder im Nebel Auch der Erhalt und die Optimierung des Bestehenden sind grosse Heraus-forderungen und bedingen grosse Investitionen

Sehen Sie eine Moumlglichkeit wie die Schweizer Wasser-wirtschaft in Zukunft Geld mit Systemdienstleistungen wie Netzstabilitaumlt verdienen kannDie unregelmaumlssig einspeisenden Stromproduzenten neh-men keinerlei Systemverantwortung wahr Ich habe selbst ein Solarpanel auf dem Dach Wenn Produktion moumlglich ist speise ich Strom ins Netz ein wenn nicht beziehe ich Die Produzenten mehr in die Verantwortung zu nehmen faumlnde ich sinnvoll ndash zum Beispiel uumlber Zertifikate fuumlr Spei-cherleistungen Diese koumlnnten bei Pumpspeicherwerken bezogen werden

Welcher Ausbau der Pumpspeicherleistung ist dafuumlr noumltigDie installierte Leistung betraumlgt heute rund 14 Gigawatt (GW) Mit den im Bau befindlichen und den geplanten An-lagen kann die Kapazitaumlt maximal auf 51 GW ausgebaut werden ndash etwa die Haumllfte der Jahreshoumlchstlast im Netz Damit die Schweizer Wasserkraft aber einen Beitrag zur Stabilitaumlt des europaumlischen Stromnetzes leisten kann muumlssten auch das Stauvolumen und die Leitungskapazi-taumlt erhoumlht werden Hier sind die Einsprachen von Anwoh-nern und Umweltverbaumlnden noch gravierender als bei den Anlagen selbst

Braucht es neue rechtliche Instrumente um den geplan-ten Ausbau durchsetzen zu koumlnnenEs braucht vor allem die Einsicht dass die Wasserkraft das Ruumlckgrat unserer Versorgungssicherheit ist und die Aus-wirkungen eines Ausbaus immer auch mit den Alternativen verglichen werden muumlssen Wir befinden uns aber auch in einem intensiv genutzten Land mit vielen Partikularinteres-sen Diese muumlssen gewichtet und abgewogen werden In der Abwaumlgung zwischen Landschaftsschutz und Wasser-nutzung waumlre es hilfreich wenn Grosswasserkraftanlagen den Status von nationalem Interesse erhalten

Wie soll die Schweizer Wasserwirtschaft im Jahr 2035 aussehenIch wuumlnsche mir dass die bestehende Infrastruktur auf dem heutigen Stand erhalten optimiert oumlkologisiert und im Idealfall etwas ausgebaut wird Dazu gehoumlren etwa die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren sowie neue Spei-

Roger PfammatterSeit seinem Ingenieurstudium an der ETH Zuumlrich hat er sich in ver-schiedenen Rollen dem Wasser verschrieben Nach sieben Lehr- und Wanderjahren in der Forschung und in der Entwicklungszusammen-arbeit war er zehn Jahre beim Ingenieurunternehmen Ernst Basler + Partner engagiert Seit 2010 ist er Geschaumlftsfuumlhrer des Schweizeri-schen Wasserwirtschaftsverbandes (SWV) und Herausgeber der Zeit-schrift laquoWasser Energie Luftraquo In diesen Funktionen setzt er sich ein fuumlr den Fachaustausch und gute Rahmenbedingungen in den Bereichen Wasserkraft und Hochwasserschutz

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Die globalen Energiemaumlrkte sind seit einigen Jahren stark in Bewegung Volatile Erdoumllpreise die Foumlrderung von un-konventionellen Gasvorkommen in grossem Stil die mas-sive Subventionierung von neuen erneuerbaren Energien in Deutschland der laquoarabische Fruumlhlingraquo und der Konflikt in der Ukraine hinterlassen Spuren Die Folge sind starke Verwerfungen an den Maumlrkten und fehlende Investitionssi-cherheit In diesem dynamischen und unsicheren Kontext will der Bund die bisherige Energiepolitik neu ausrichten ndash wahrlich eine Herkulesaufgabe Die Schweizer Wirtschaft verlangt dass der Bund bei der Neuausrichtung der Ener-giepolitik seinem in der Verfassung verankerten Auftrag nachkommt und sich fuumlr eine ausreichende sichere breit gefaumlcherte wirtschaftliche und umweltvertraumlgliche Ener-gieversorgung einsetzt Somit ist klar Die Energiestrate-gie 2050 muss in erheblichen Teilen optimiert und justiert werden Nur wenn vernetzt gedacht wird ist eine sichere Versorgung zu wettbewerbsfaumlhigen Preisen moumlglich

Prognosen klaffen weit auseinanderSeit Jahrzehnten bietet der Strommix aus Wasserkraft (knapp 60 Prozent) und Kernenergie (40 Prozent) Gewaumlhr fuumlr eine sichere klimafreundliche und wirtschaftliche Ener-gieversorgung Im Rahmen der Energiestrategie 2050 muss die Kernenergie langfristig ersetzt werden Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen zumal die Ziele des Bundes

Lebenselixier der Wirtschaft

Die Schweizer Wirtschaft ist auch in Zukunft auf eine sichere und wirtschaftliche Stromver-sorgung angewiesen Die Ener-giestrategie 2050 setzt stark auf Subventionen Dadurch entstehen Fehlanreize welche die Versorgungssicherheit ge-faumlhrdenText Kurt Lanz

Expertensicht

in Bezug auf das Potenzial der neuen erneuerbaren Ener-gien von Wunschdenken geleitet sind Die neuen erneuer-baren Energien werden sich langsamer entwickeln als an-gestrebt Der Bund rechnet mit rund 12 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2035 die Schweizer Wirtschaft mit 44 TWh Die vorsichtigeren Prognosen der Wirtschaft scheinen re-alistischer Dies zeigen exemplarisch die gescheiterten Geothermieprojekte in Basel und St Gallen Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Nachfrageprognosen Der Bund rechnet in seinen Szenarien mit einem Ruumlckgang des Stromverbrauchs pro Kopf von 16 Prozent zwischen 2000 und 2035 Die Schweizer Wirtschaft orientiert sich in ihren Szenarien am Verband Schweizerischer Elektrizitaumlts-unternehmen (VSE) der weiter mit einer steigenden Nach-frage rechnet Die Wirtschaft fordert von der Politik eine vernuumlnftige Planung aufgrund realistischer Schaumltzungen Die Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energiestrategie nicht gefaumlhrdet werden

Subventionen fuumlhren zu FehlanreizenDie Schweiz hat seit vielen Jahrzehnten erfolgreich die Wasserkraft vorangetrieben Aus politischen Gruumlnden wird nun die ndash unregelmaumlssige ndash Stromproduktion durch Sonnen- und Windenergie forciert Unsere sogenann-te kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) entspricht dem deutschen Foumlrdermodell Beide haben das gleiche Ziel Sie sollen erneuerbare Energien ausbauen indem sie neue Formen der Stromproduktion zur Marktreife brin-gen Weil das KEV-System die Sonnen- und Windenergie massiv foumlrdert kommt ein weiterer Ausbau der bewaumlhrten Wasserkraft nicht infrage Diese Entwicklung gefaumlhrdet die Versorgungssicherheit der Schweiz Auf den ersten Blick sinken zwar die Produktionskosten fuumlr Solarstrom gleich-zeitig steigen aber die Kosten fuumlr Speicherung und Inte-gration ins Netz spuumlrbar Auch ist der Ausbau von Solar- und Windenergie nur von beschraumlnktem Nutzen solange keine ausreichenden Speicherkapazitaumlten vorhanden sind Nur Preissignale koumlnnen das Investitionsverhalten von Stromproduzenten Netzbetreibern und Konsumen-ten sinnvoll lenken Subventionen sind zu beseitigen denn sie fuumlhren zu Fehlanreizen

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Alle Optionen offenhaltenOffenheit und Neugier gehoumlren zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft Kategorisches Abwehrverhalten und Denkverbote verhindern konstruktive Loumlsungsansaumltze und Innovation Eine sichere und kostenguumlnstige Strom-versorgung kann auch in Zukunft nur mit der notwendi-gen Offenheit gegenuumlber allen Technologien und Energie-

systemen garantiert werden Die Schweiz ist dank einer erfolgreichen Hochschulland-schaft und vielen Technolo-gieunternehmen gut geruumlstet Die verschiedenen Energie-systeme muumlssen faktenba-siert und ohne ideologische

Scheuklappen verglichen werden Nur so koumlnnen effizi-ente und umweltvertraumlgliche Loumlsungen gefunden werden Das heutige System der Foumlrderung der neuen erneuer-baren Energien ist durch ein marktorientiertes System ab-zuloumlsen Produzenten die nachfragegerecht einspeisen sollen eine houmlhere Verguumltung erhalten als andere Auch soll der Vorrang der Netzeinspeisung fuumlr subventionierte Energietraumlger aufgehoben werden

laquoDie Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit

des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energie strategie nicht

gefaumlhrdet werdenraquo

Schnellere Verfahren anstrebenGrundvoraussetzung fuumlr eine Neuausrichtung der Ener-giepolitik sind funktionierende Stromnetze Diese muumls-sen zwingend parallel zum Umbau der Stromproduktion weiterentwickelt werden Allein der noumltige Ausbau der Uumlbertragungsnetze belaumluft sich auf rund 1 000 Kilometer bis ins Jahr 2020 Erforderlich sind zudem Investitionen in alle Verteilernetzebenen Al-lerdings verzoumlgern komplizier-te Verfahren auf Kantons- und Bundesebene den Ausbau Ausserdem erwaumlchst praktisch jedem Projekt Widerstand von privater Seite was zu weiteren Verzoumlgerungen fuumlhrt Die Wirt-schaft fordert deshalb Bei Bewilligungen von Stromnetzen ist der Gang vors Bundesgericht nur noch bei Grundsatz-fragen moumlglich Umbauten sowie Spannungs- und Kapa-zitaumltserweiterungen koumlnnen ohne Planungsgenehmigung realisiert werden Ausserdem sind die Verfahren bei einer einzigen Leitbehoumlrde anzusiedeln

Spielfeld erweiternDie Schweiz ist seit jeher ein wichtiges Stromtransitland Schon seit den 90er-Jahren treibt die EU die Vereinheitli-chung des Binnenmarkts fuumlr Strom hin zu einem eigent-lichen EU-Strommarkt voran In der Schweiz erweist sich die gesetzliche Trennung von Grundversorgung und Markt diesbezuumlglich zunehmend als Hindernis Aus Sicht der Wirtschaft ist die vollstaumlndige Liberalisierung des Strom-markts eine zwingende Voraussetzung fuumlr eine erfolgrei-che energiepolitische Neuausrichtung

Eine Marktoumlffnung wuumlrde insbesondere auch den erneuer-baren Energien neue Chancen eroumlffnen und Zugang zu neuen Kunden gewaumlhren Von hoher Wichtigkeit ist auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU Je groumlsser der Anteil erneuerbarer Energien umso wichtiger ist die Einbettung in Europa denn Investitionen in Netze und Produktion koumlnnen in Koordination mit der EU wirkungsvoller und wahrscheinlich kostenguumlnstiger getaumltigt werden

Kurt LanzKurt Lanz ist Leiter Infrastruktur Energie und Umwelt sowie Geschaumlftsleitungsmitglied von economiesuisse dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft

Gut vernetzt ndash Vorschlaumlge der Schweizer Wirtschaftzur EnergiepolitikDie Publikation basiert auf der Grundlagenarbeit der breit abgestuumltz-ten Energiekommission von economiesuisse und macht konstruk-tive Vorschlaumlge fuumlr einen erfolgreichen energiepolitischen Weg der Schweiz Download unter wwweconomiesuissech

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

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Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

wwwsmlzhawch

Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 33: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

33COMPETENCE | 2014

uumlber weite Strecken in die Ballungsraumlume geleitet werden muss brummt das Geschaumlft In den USA treibt der Oumll- und Gasboom die Nachfrage Nur in Europa harzt das Geschaumlft mit Grossanlagen Weniger Nachfrage belastet die Margen bei Auftraumlgen fuumlr Wind- und Solarfarmen so-wie fuumlr Netzinfrastruktur Die Risiken der oft mehrjaumlhrigen Projekte sind so hoch dass ABB waumlhlerischer sein muss und etwa das Geschaumlft mit Solarloumlsungen zurzeit auf Sparflamme betreibt Dennoch ist ABB immer noch hoch-profitabel nicht zuletzt da die Kosten Jahr fuumlr Jahr um 3 bis 5 Prozent gesenkt werden Aber der erfolgsgewohnte Konzern musste sich 2013 mit 6 Prozent Umsatzplus zu-friedengeben Umso intensiver treibt der neue ABB-Chef Ulrich Spiesshofer die Integration der vorab in den USA fuumlr 10 Milliarden Dollar getaumltigten Zukaumlufe voran Und Spiess-hofer forciert die Zusammenarbeit der Divisionen damit ABB die Unternehmensvision laquoEnergie und Produktivitaumlt fuumlr eine bessere Weltraquo mit moumlglichst vielen eigenen Pro-dukten realisieren kann

zur Leittechnik samt angepasster Software Kleine und mittlere Kunden ordern Komponenten oder Teilsysteme Ein wichtiges Verkaufsargument ist das Sparpotenzial von stufenlos steuerbaren Elektromotoren Nur einer von fuumlnf Motoren hat laut einer Erhebung des Bundes einen Leis-tungsregler der Rest laumluft auf Hochtouren und wird ndash man glaubt es kaum ndash bei Bedarf mit Klappen oder Ventilen mechanisch abgebremst Eine gigantische Verschwen-dung da Industriemotoren laut einer Studie der Schwei-zerischen Agentur fuumlr Energieeffizienz 27 Prozent des Schweizer Stromverbrauchs ausmachen

Europaumlische ZuruumlckhaltungEigentlich muumlsste die Division Energietechniksysteme ebenfalls ausgelastet sein Denn auch die Stromwirtschaft muss ihre Effizienz steigern Schliesslich erfordert die Energiewende einen Totalumbau der auf Verteilung ausge-richteten Netze damit diese unter der Last von Solar- und Windenergie nicht instabil werden Arbeit in Huumllle und Fuumllle fuumlr ABB sollte man meinen Doch der erst zaghafte Auf-schwung in Europa daumlmpft die Nachfrage Erschwerend kommt hinzu dass subventionierte Wind- und Solarener-gie in Europas liberalisiertem Strommarkt den Strompreis in ungeahnte Tiefen druumlckte Die Konkurrenzfaumlhigkeit von Wasser- Gas- und Atomkraftwerken hat gelitten Pump-speicher sind keine Goldesel mehr seit die erneuerbaren Energien die Preisspitzen brechen Entsprechend schie-ben Stromkonzerne wie Alpiq oder RWE Investitionen auf Unsicherheiten rund um den Atomausstieg belasten zu-saumltzlich Die voraussichtlich noch auf Jahre hinaus tiefen Strompreise schmaumllern auch die Faumlhigkeit der Besitzer von Hochspannungs- und Verteilnetzen deren Umruumlstung zu finanzieren hoch verschuldete EU-Staaten fahren die Foumlrderung von Wind- und Solarenergie zuruumlck

Straffe KostenkontrolleABB bekommt den Investitionsstau empfindlich zu spuuml-ren Die Division Energietechniksysteme schreibt seit eini-ger Zeit rote Zahlen Zwar ordern Grosskunden aus Asien und Lateinamerika weiterhin kraumlftig Neben China inves-tiert vermehrt auch Indien in neue Stromnetze Uumlberall dort wo die Bevoumllkerung rasch waumlchst oder der Strom

Andreas FluumltschAndreas Fluumltsch war urspruumlnglich Jurist und arbeitete ab 1983 als Journalist fuumlr laquoBlickraquo laquoWeltwocheraquo laquoBilanzraquo und laquoCashraquo Zwischen 1989 und 1990 war er Mitglied der Geschaumlftsleitung von Greenpeace Schweiz anschliessend Hausmann Nach der Ruumlck-kehr in den Journalismus 1992 arbeitete er bei laquoBlickraquo laquoSonntagszeitungraquo und laquoTages- Anzeigerraquo und absolvierte eine Ausbildung zum Boumlrsenhaumlndler Nach der Fruumlhpensio-nierung Ende 2013 machte er sich als Publi-zist selbststaumlndig

ABB in Zahlen (2013)Betriebsertrag 41 848 Mio USDBetriebsergebnis 4 387 Mio USDndash Industrieautomation 1 458 Mio USDndash Niederspannung 1 092 Mio USDndash Prozessautomation 990 Mio USDndash Energietechnik 1 331 Mio USDndash Energiesysteme 171 Mio USD

Mitarbeitende 147 700ndash davon in der Schweiz 6 966

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Hohe Nachfrage nach MinergieDer Erfolg der bisherigen Sparbemuumlhungen bleibt nicht aus laquoTrotz zunehmender Pro-Kopf-Wohnflaumlche und stei-gendem Komfort sinkt der Energieverbrauch fuumlrs Heizen in den letzten Jahrzehnten stetigraquo verkuumlndet der Zuumlrcher Regierungsrat im Energieplanungsbericht 2014 Dazu tra-gen nicht nur die laufend verschaumlrften Gesetze bei Ebenso wichtig ist die Bereitschaft von Bautraumlgerschaften freiwillig Uumlberdurchschnittliches zu leisten Vor allem die Minergie-Regeln werden inzwischen gerne befolgt weshalb Haumluser mit halbiertem Energieverbrauch beinahe Standard sind Schweizweit traumlgt eines von zehn neuen Wohnhaumlusern ein Minergie-Zertifikat Der Anteil an Minergie-Haumlusern im Grossraum Zuumlrich liegt gemaumlss einer Marktanalyse der Universitaumlt Zuumlrich bereits nahe bei 20 Prozent Dies ist privaten Hauseigentuumlmern und institutionellen Investoren zu verdanken Wohn- und Geschaumlftshaumluser mit houmlchster Energieeffizienz gehoumlren inzwischen zum guten Ton Den juumlngsten Beweis liefert eine Immobilienstiftung der Credit Suisse die 70 Millionen Franken in die groumlsste Oumlkosied-lung der Schweiz investiert Im Aargauer Reusstal wohnen seit diesem Jahr rund 200 Familien Paare und Singles deren Wohnhaumluser sich weitgehend selbst mit Sonnen-energie versorgen So klimafreundlich die Energiewende-Architektur ist der Investor erwartet dennoch marktuumlb-liche Renditen Ist der Markt aber bereit oumlkologisches Engagement angemessen zu honorieren

Marktpotenzial fruumlhzeitig erkanntDie Zuumlrcher Kantonalbank (ZKB) beziffert den Mehrwert von Minergie-Haumlusern auf 7 Prozent Kaumlufer seien bereit diesen Aufpreis fuumlr mehr Energieeffizienz zu bezahlen Als weitere Nebeneffekte nennt der vor drei Jahren publizierte ZKB-Bericht eine hochwertige dauerhafte Bausubstanz sowie die Absicherung gegen steigende Oumll- und Energie-preise Fachleute des Immobilienberatungsunternehmens Wuumlest amp Partner (WampP) warnen indes dass sich zusaumltz-liche Investitionen in die Energieeffizienz nicht uumlberall loh-nen laquoRegional schwankt die Zahlungsbereitschaft des Immobilienmarktsraquo praumlzisiert WampP-Partner Ivan Anton Minergie-Haumluser koumlnnen aber nicht nur in abgelegenen Regionen ein Marktrisiko werden laquoMit Ausnahme der

Beim Autokauf wird bevorzugt auf Pferdestaumlrken Be-schleunigung und Innenausstattung geachtet Der CO2-Ausstoss interessiert hingegen kaum So kommt die Energieeffizienz im Strassenverkehr nur stockend voran 1995 schluckten alle neu immatrikulierten Personen-wagen durchschnittlich 9 Liter Benzin pro 100 Kilometer 20 Jahre spaumlter liegt der Durchschnittsverbrauch gemaumlss Bundesamt fuumlr Energie (BFE) immer noch uumlber 6 Litern Das viel gepriesene laquoDrei-Liter-Autoraquo haben alle Hersteller wieder aus der Modellpalette genommen

Demgegenuumlber gelingen dem oft traumlge genannten Ge-baumludebereich weitaus groumlssere Effizienzspruumlnge Ver-brauchen 40 Jahre alte Haumluser im Schnitt 220 Kilowatt-stunden (kWh) Heizenergie pro Quadratmeter Wohnflaumlche und Jahr sind die aktuellen Werte unter die 50er-Marke gesunken Zusaumltzliche Sparerfolge sind nur eine Frage der Zeit Im Fruumlhsommer haben die kantonalen Energie-direktoren uumlber ein Rahmenabkommen beraten das Null-energieneubauten demnaumlchst zum Standard machen soll Wie die nationale Energiewende zu erreichen ist erklaumlrt Christoph Gmuumlr von der Abteilung Energie des Kantons Zuumlrich laquoDer spezifische Verbrauchswert ist zudem auf 35 kWh pro Quadratmeter zu senkenraquo Gebaumlude die sich mit umweltfreundlicher Energie selbst versorgen wollen auch die EU-Staaten Ab 2020 wird ein Gebaumludestandard eingefuumlhrt der nur noch laquoNiedrigstenergiegebaumluderaquo mit sehr hoher Energieeffizienz als Neubauten vorsieht

Energiesparhaumluser waren vor 30 Jahren Exoten inzwischen nimmt der Bereich der energie-effizienten Gebaumlude eine Vor-bildrolle fuumlr die Energie wende ein Bauherren profitieren davon ebenso wie die Zuliefer-branche Text Paul Knuumlsel

Expertensicht

Haumluser in der ersten Reihe

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der Bau von Niedrigenergiehaumlusern und alternativen Hei-zungsanlagen sowie energetische Gebaumludesanierungen Investitionen im Umfang von rund 4 Milliarden Franken ausgeloumlst rechnet der Bund vor laquoEin Fuumlnftel insgesamt 860 Millionen Franken stammt aus den oumlffentlichen Kas-senraquo verweist die BFE-Stelle EnergieSchweiz auf die Im-pulse der kantonalen Foumlrderprogramme Einen Wermuts-tropfen besitzt diese Wirkungsbilanz Fruumlhere Analysen der Energiesparprogramme zeigen naumlmlich dass zwi-schen einem Drittel und der Haumllfte der energetisch vorbild-lichen Gebaumlude auch ohne staatliche Foumlrderung realisiert worden waumlren Dem Mitnahmeeffekt ist auch die Eidge-noumlssische Steuerverwaltung auf der Spur Sie schaumltzt dass Bund und Kantonen jaumlhrlich 14 Milliarden Franken entgehen weil energetische Gebaumludesanierungen bei der Liegenschaftssteuer abzugsberechtigt sind Die Energie-wende erfordert nicht nur mehr Effizienz bei den Anwen-dungen sondern auch einen effizienten Einsatz staatlicher Mittel Im Energieplanungsbericht 2013 hat der Zuumlrcher Regierungsrat erstmals uumlber alternative Anreizsysteme nachgedacht Demnach soll eine Lenkungsabgabe den Energiekonsum reduzieren und das bisherige Foumlrdersys-tem abloumlsen Aumlhnliche Plaumlne verfolgt der Bund Denn ein Lenkungssystem duumlrfte weitere Sparbemuumlhungen im Ge-baumludebereich aber auch im Strassenverkehr foumlrdern Ins-besondere dann wenn Heizoumll und Benzin im Gleichschritt teurer werden

begehrten Wohnlagen haben Hauseigentuumlmer an vielen Orten mit moumlglichen Verkaufsverlusten zu rechnenraquo so Anton Zwar sei die Nachfrage bei Eigentuumlmern und Mie-tern aumlhnlich gross Aber auch Mieter wuumlrden nicht uumlberall mehr fuumlr eine energieeffiziente Wohnung bezahlen Kaum uumlberraschen darf daher dass Immobilieninvestoren immer haumlufiger die steigenden Energieanforderungen kritisieren und kostenguumlnstigere Baustandards vorziehen Fuumlr WampP-Berater Urs Hausmann ist laquonachhaltiges Bauen trotzdem keine Frage von Luxus oder Wohlstand sondern eine wie man mit Ressourcen umgehen willraquo Dass ein hohes Um-weltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauen Der Run auf den oumlkologischen Baustoff Holz laumlsst zum Beispiel eine gesamte Wertschoumlpfungskette und viele

innovative Unternehmen profitieren Forstbetriebe Sauml-gereien Fensterbauer Daumlmmstoffhersteller und andere Bauzulieferer vergroumlssern ihre Produktionskapazitaumlten und stellen zusaumltzliches Personal ein laquoDie Umsaumltze im Schweizer Holzbau sind in den letzten Jahren um mehrere Hundert Millionen Franken gestiegen und die Trendkurve zeigt weiter nach obenraquo freut sich Christoph Starck Di-rektor des Holzbaudachverbands Lignum

Einheimische Zulieferer als GewinnerAuch im Verein Minergie ist man sich bewusst dass sich energieeffizientes Bauen wirtschaftlich positiv auswirkt In den letzten 15 Jahren sind 25 000 Wohnhaumluser Buumlro-komplexe Schulbauten Sport- und Industriehallen mit Niedrig energiezertifikat entstanden Gemeinsam sparen sie 15 Milliarden Kilowattstunden Energie laquoUumlber 2 Milliar-den Franken wurden zusaumltzlich investiertraquo rechnet Miner-gie-Sprecher Antonio Milelli vor Anstatt fossile Brennstoffe einzukaufen wird mehr Geld fuumlr Daumlmmstoffe Isolierfenster Luumlftungsanlagen und Sonnenkollektoren aus inlaumlndischer Fabrikation ausgegeben Zwischen 2001 und 2012 haben

Paul KnuumlselPaul Knuumlsel studierte Umweltnaturwissen-schaften an der ETH Zuumlrich Er ist unabhaumln-giger Wissenschaftsjournalist und schreibt seit Jahren in Publikums- und Fachmedien uumlber die vielfaumlltigen Aspekte des nachhalti-gen Bauens Zusaumltzlich betreut er in der Re-daktion des laquoTEC21raquo das Ressort laquoEnergie und Umweltraquo

laquoDass ein hohes Umweltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren

derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauenraquo

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Der Wasserkraft Sorge tragen

Welchen Beitrag kann die Wasserwirtschaft zur Energie-wende leisten Roger Pfammatter Die Wasserkraft ist der energie-politische Trumpf der Schweiz Wir befinden uns in der gluumlcklichen Lage uumlber grosse Mengen Wasser und das notwendige Gefaumllle zu verfuumlgen ndash das sind die beiden wichtigsten Voraussetzungen fuumlr die hydroelektrische Produktion Und wir haben in den vergangenen 100 Jah-ren gelernt dieses Potenzial effizient und moumlglichst um-weltschonend zu nutzen Die Wasserkraft ist der Schluumls-sel fuumlr eine nachhaltige Energieversorgung technisch ausgereift politisch erwuumlnscht einheimisch erneuerbar und CO2-frei

Wie viel mehr ist moumlglichHeute leistet die Wasserkraft nicht nur rund 60 Prozent der Stromproduktion in der Schweiz sondern bietet auch unverzichtbare Regel- und Systemdienstleistungen die markant an Bedeutung gewinnen werden Vor allem bei der Flexibilisierung der Wasserkraft durch mehr Leistung und Speichervolumen waumlre noch einiges moumlglich Um die Aufgaben weiterhin zu gewaumlhrleisten muumlssen wir aber primaumlr dem Bestehenden Sorge tragen

Die Energiestrategie des Bundes gibt aber klare Ausbau-ziele vor Bis 2035 soll die Stromproduktion aus Wasser-kraft um 10 Prozent steigenUnter den momentanen Rahmenbedingungen ist dieses Ausbauziel nicht realistisch Im Gegenteil Aufgrund der Restwasserbestimmungen wird die Produktion in den naumlchsten Jahren vermutlich sogar zuruumlckgehen

Die Wasserkraft ist der wichtigste Pfeiler der Schweizer Ener-giewirtschaft ihr Potenzial ist aber weitgehend ausgeschoumlpft Roger Pfammatter Geschaumlftsfuumlhrer des Wasserwirtschaftsver-bands gibt im Interview Auskunft uumlber die Lage der Branche und ihre Bedeutung fuumlr die EnergiezukunftInterview Florian Wehrli

Expertensicht

Was muss sich aumlndern damit die vorgegebenen Ziele um-gesetzt werden koumlnnenZum einen braucht es dafuumlr die Akzeptanz der Umweltver-baumlnde der Fischer und letztlich der gesamten Bevoumllkerung Zum anderen muumlssen laumlngerfristig die extremen Marktver-zerrungen abgebaut werden damit sich auch Investitionen in die nicht gefoumlrderte Wasserkraft wieder lohnen Heute wird nur noch in subventionierte Anlagen investiert

Wer ist hier in der PflichtHier ist die Politik gefordert die Rahmenbedingungen zu verbessern Denn ohne die Wasserkraft kann die Energie-wende nicht gelingen

Anfang Jahr wurde der Wasserwirtschaftsverband von den zustaumlndigen Kommissionen angehoumlrt Welche Forderun-gen hat die Branche an das ParlamentWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerba-re Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichten die bereits bis zur Haumllfte der Geste-hungskosten ausmachen Damit sind wir doppelt diskrimi-niert Die Wasserkraft ist extrem unter Preisdruck ndash und dies obwohl sie mit Gestehungskosten zwischen 3 und 10 Rappen pro Kilowattstunde die effizienteste Strompro-duktionstechnologie ist Nur zum Vergleich Fotovoltaik -anlagen werden heute mit rund 40 Rappen subventioniert

Bis 2011 liess sich mit der Grosswasserkraft noch viel Geld verdienen Wurden zu wenige Ruumlcklagen fuumlr schlechte Zei-ten gebildet

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Es kann nicht der Sinn sein Ruumlcklagen fuumlr Zeiten zu bil-den in denen die Marktpreise die Gestehungskosten nicht mehr decken Das waumlre wie wenn ein Baumlcker auf jedem Gipfeli einige Rappen zuruumlckbehalten muumlsste damit er sie am naumlchsten Tag gratis abgeben kann Mit dem durch Subventionen verzerrten Marktpreis von 4 bis 5 Rappen pro Kilowattstunde ist unter den konventionellen Energie-traumlgern praktisch nur Kohle konkurrenzfaumlhig Das ist be-stimmt nicht im Sinn der Energiewende

Drei Grosswasserkraftprojekte sind heute bereits im Bau Koumlnnen die enormen Kosten uumlberhaupt amortisiert wer-denPrognosen sind schwierig An der europaumlischen Strom-boumlrse (EEX) werden bis 2020 Strompreise zwischen 45 und 53 Rappen pro Kilowattstunde gehandelt Der Markt glaubt also nicht an eine baldige Erholung Dafuumlr muumlsste das Uumlberangebot in Europa zuruumlckgehen etwa uumlber die Anhebung des CO2-Preises von heute 5 auf mindestens 30 Euro pro Tonne Politisch ist das aber kaum durchsetz-bar Neue Pumpspeicherwerke werden sich deshalb wohl erst in mehreren Jahrzehnten lohnen

Was kann die Kleinwasserkraft leistenOhne die kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) wuumlr-de niemand Kleinwasserkraftanlagen bauen genauso we-nig wie Fotovoltaik- Wind- oder Biomasseanlagen Zurzeit gibt es aber allein bei der Kleinwasserkraft rund 1 000 An-meldungen fuumlr Foumlrderbeitraumlge mit einem bescheidenen Ge-samtpotenzial von 33 Terawattstunden pro Jahr Die oumlko-logischen Auswirkungen sind im Vergleich zum Ertrag zu gross Obwohl wir von marktverzerrenden Foumlrderprogram-men wegkommen sollten waumlre es in einer Uumlbergangs phase sinnvoll die KEV-Obergrenze von 10 Mega watt aufzuheben und dort zu foumlrdern wo es wirklich etwas bringt

Wie soll die Grosswasserkraft unterstuumltzt werdenDas Sinnvollste waumlre die Abkehr von der Subventions-maschinerie ndash und zwar auf europaumlischer Ebene Dann wuumlrde sich die Wasserkraft als effiziente erneuerbare Stromproduktionsform mit Sicherheit durchsetzen Min-destens als Uumlbergangsloumlsung waumlre aber die Entlastung

von Abgaben in erster Linie vom Wasserzins dringend Der maximale Wasserzins wurde in den letzten vier Jahren um 38 Prozent erhoumlht und wird naumlchstes Jahr um weite-re 10 Prozent angehoben Diese Erhoumlhung wurde 2008 beschlossen und steht heute in keinerlei Bezug mehr zur Ertrags lage Kurzfristig koumlnnten die Kantone auf einen Teil dieser Zinsen verzichten ndash das waumlre ein wichtiges politi-sches Zeichen Langfristig muss ein neuer Modus fuumlr die Zinsberechnung gefunden werden der die Ertragslage der Wasserkraft mitberuumlcksichtigt Das ist auch im Interesse von Bund Kantonen und Gemeinden schliesslich ist die Wasserkraft zu 85 Prozent in oumlffentlicher Hand Ebenfalls als Uumlbergangsloumlsung bis zu besseren Marktpreisen waumlren zinsguumlnstige Darlehen fuumlr die noumltigen Investitionen in die Grosswasserkraft denkbar Ohne mindestens eine dieser Massnahmen kann die Wasserwirtschaft das geforderte Ausbauziel nicht erreichen

Bis dahin gibt es noch eine weitere Huumlrde den Heimfall der Stauanlagen an die Standortgemeinden Welchen Ein-fluss hat dieser UmstandWenn die Konzessionen nach 80 oder 100 Jahren aus-laufen muss der Betreiber der Gemeinde eine Entschaumldi-gung fuumlr den Restwert der Anlagen entrichten Im Fall der Staumauer Barberine bezahlen die SBB und Alpiq 2017 an sechs Walliser Gemeinden 343 Millionen Franken Das 400-Seelen-Dorf Finhaut erhaumllt alleine 112 Millionen Fran-ken und weiss kaum wohin mit dem Geld Der gesamte Wert des Heimfalls der Anlagen bewegt sich schweizweit im Milliardenbereich Der Houmlhepunkt des Heimfalls wird um 2035 erreicht werden Bis zu diesem Zeitpunkt soll aber auch ein Grossteil der geforderten Produktionsstei-gerung umgesetzt werden

Bei der Stromproduktion ist ein Ausbau von uumlber 10 Pro-zent wohl nicht realistisch Wie sieht es bei der Speicher-leistung aus Hier muss man unterscheiden zwischen kurzfristiger und saisonaler Speicherung Fuumlr die saisonale Speicherung verfuumlgt die Schweiz mit 200 Speicherseen uumlber ein Vo-lumen von rund 9 000 Gigawattstunden (GWh) die jedes Jahr vom Sommer in den Winter umgelagert werden Dies

38 COMPETENCE | 2014

Expertensicht

entspricht einem Viertel der jaumlhrlichen Produktion aus Wasserkraft Das Ausbaupotenzial durch die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren betraumlgt rund 2 000 GWh Falls der Ausbau aber nicht gelingt entsteht im Winter durch den Ausfall der Kernenergie eine immer groumlssere Luumlcke an Bandenergie die durch den Import von Atom- oder Kohlestrom gedeckt werden muss

Wie sieht es beim Ausbau der Pumpleistung zum kurzfris-tigen Ausgleich von Schwankungen im Netz ausGrundsaumltzlich ist das Potenzial fuumlr Pumpspeicherwerke in der Schweiz riesig Es braucht nur zwei Seen auf unter-schiedlicher Houmlhe Die Frage ist ob sich solche Investi-tionen rechnen Die Pumpspeicherwerke finanzieren sich

uumlber den Preisunterschied zwischen Band- und Spitzen-energie Wenn an einem schoumlnen Sommertag in Europa mittags die geballte Ladung an Sonnen- und Windener-gie eingespeist wird koumlnnen die Pumpspeicherkraftwerke sehr guumlnstig oder sogar zu Negativpreisen Strom bezie-hen Man darf aber nicht vergessen dass dieselbe Situa-tion fuumlr die Laufwasserkraftwerke die rund die Haumllfte der Wasserkraftproduktion in der Schweiz ausmachen den gegenteiligen Effekt hat Diese koumlnnen aus technischen konzessionsrechtlichen oder oumlkologischen Gruumlnden nicht vom Netz genommen werden und muumlssen fuumlr ihre Strom-produktion bezahlen Das kann gehoumlrig ins Geld gehen An Weihnachten 2012 lag der Strompreis zum Beispiel bei minus 30 Rappen pro Kilowattstunde

Roger Pfammatter laquoWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerbare Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichtenraquo

Bild Florian Wehrli

39COMPETENCE | 2014

cherseen zur Flexibilisierung Damit das gelingt muss der Wert der Wasserkraft staumlrker im Bewusstsein der Bevoumllke-rung verankert sein Und nicht zuletzt muss der Marktpreis so weit uumlber den Gestehungskosten liegen dass sich In-vestitionen in die Wasserwirtschaft rentieren

Versuchen das Bestehende zu erhalten Diese Vision klingt etwas resigniertDas ist eine Frage der Perspektive Die Wasserkraft hat als Technologie in der Schweiz seit Langem Bestand Sie befindet sich in einer anderen Situation als Fotovoltaik und Windenergie die sich in einem hochdynamischen Umfeld mit grossem Potenzial in Forschung und Wachstum be-finden Die Wasserkraft ist dagegen nicht mehr in der Auf-bruchsphase sondern in der Konsolidierungsphase Da-fuumlr kann man sich auf die Wasserkraftwerke verlassen Sie produzieren bei Tag und in der Nacht im Sommer wie im Winter bei Windstille oder im Nebel Auch der Erhalt und die Optimierung des Bestehenden sind grosse Heraus-forderungen und bedingen grosse Investitionen

Sehen Sie eine Moumlglichkeit wie die Schweizer Wasser-wirtschaft in Zukunft Geld mit Systemdienstleistungen wie Netzstabilitaumlt verdienen kannDie unregelmaumlssig einspeisenden Stromproduzenten neh-men keinerlei Systemverantwortung wahr Ich habe selbst ein Solarpanel auf dem Dach Wenn Produktion moumlglich ist speise ich Strom ins Netz ein wenn nicht beziehe ich Die Produzenten mehr in die Verantwortung zu nehmen faumlnde ich sinnvoll ndash zum Beispiel uumlber Zertifikate fuumlr Spei-cherleistungen Diese koumlnnten bei Pumpspeicherwerken bezogen werden

Welcher Ausbau der Pumpspeicherleistung ist dafuumlr noumltigDie installierte Leistung betraumlgt heute rund 14 Gigawatt (GW) Mit den im Bau befindlichen und den geplanten An-lagen kann die Kapazitaumlt maximal auf 51 GW ausgebaut werden ndash etwa die Haumllfte der Jahreshoumlchstlast im Netz Damit die Schweizer Wasserkraft aber einen Beitrag zur Stabilitaumlt des europaumlischen Stromnetzes leisten kann muumlssten auch das Stauvolumen und die Leitungskapazi-taumlt erhoumlht werden Hier sind die Einsprachen von Anwoh-nern und Umweltverbaumlnden noch gravierender als bei den Anlagen selbst

Braucht es neue rechtliche Instrumente um den geplan-ten Ausbau durchsetzen zu koumlnnenEs braucht vor allem die Einsicht dass die Wasserkraft das Ruumlckgrat unserer Versorgungssicherheit ist und die Aus-wirkungen eines Ausbaus immer auch mit den Alternativen verglichen werden muumlssen Wir befinden uns aber auch in einem intensiv genutzten Land mit vielen Partikularinteres-sen Diese muumlssen gewichtet und abgewogen werden In der Abwaumlgung zwischen Landschaftsschutz und Wasser-nutzung waumlre es hilfreich wenn Grosswasserkraftanlagen den Status von nationalem Interesse erhalten

Wie soll die Schweizer Wasserwirtschaft im Jahr 2035 aussehenIch wuumlnsche mir dass die bestehende Infrastruktur auf dem heutigen Stand erhalten optimiert oumlkologisiert und im Idealfall etwas ausgebaut wird Dazu gehoumlren etwa die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren sowie neue Spei-

Roger PfammatterSeit seinem Ingenieurstudium an der ETH Zuumlrich hat er sich in ver-schiedenen Rollen dem Wasser verschrieben Nach sieben Lehr- und Wanderjahren in der Forschung und in der Entwicklungszusammen-arbeit war er zehn Jahre beim Ingenieurunternehmen Ernst Basler + Partner engagiert Seit 2010 ist er Geschaumlftsfuumlhrer des Schweizeri-schen Wasserwirtschaftsverbandes (SWV) und Herausgeber der Zeit-schrift laquoWasser Energie Luftraquo In diesen Funktionen setzt er sich ein fuumlr den Fachaustausch und gute Rahmenbedingungen in den Bereichen Wasserkraft und Hochwasserschutz

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Die globalen Energiemaumlrkte sind seit einigen Jahren stark in Bewegung Volatile Erdoumllpreise die Foumlrderung von un-konventionellen Gasvorkommen in grossem Stil die mas-sive Subventionierung von neuen erneuerbaren Energien in Deutschland der laquoarabische Fruumlhlingraquo und der Konflikt in der Ukraine hinterlassen Spuren Die Folge sind starke Verwerfungen an den Maumlrkten und fehlende Investitionssi-cherheit In diesem dynamischen und unsicheren Kontext will der Bund die bisherige Energiepolitik neu ausrichten ndash wahrlich eine Herkulesaufgabe Die Schweizer Wirtschaft verlangt dass der Bund bei der Neuausrichtung der Ener-giepolitik seinem in der Verfassung verankerten Auftrag nachkommt und sich fuumlr eine ausreichende sichere breit gefaumlcherte wirtschaftliche und umweltvertraumlgliche Ener-gieversorgung einsetzt Somit ist klar Die Energiestrate-gie 2050 muss in erheblichen Teilen optimiert und justiert werden Nur wenn vernetzt gedacht wird ist eine sichere Versorgung zu wettbewerbsfaumlhigen Preisen moumlglich

Prognosen klaffen weit auseinanderSeit Jahrzehnten bietet der Strommix aus Wasserkraft (knapp 60 Prozent) und Kernenergie (40 Prozent) Gewaumlhr fuumlr eine sichere klimafreundliche und wirtschaftliche Ener-gieversorgung Im Rahmen der Energiestrategie 2050 muss die Kernenergie langfristig ersetzt werden Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen zumal die Ziele des Bundes

Lebenselixier der Wirtschaft

Die Schweizer Wirtschaft ist auch in Zukunft auf eine sichere und wirtschaftliche Stromver-sorgung angewiesen Die Ener-giestrategie 2050 setzt stark auf Subventionen Dadurch entstehen Fehlanreize welche die Versorgungssicherheit ge-faumlhrdenText Kurt Lanz

Expertensicht

in Bezug auf das Potenzial der neuen erneuerbaren Ener-gien von Wunschdenken geleitet sind Die neuen erneuer-baren Energien werden sich langsamer entwickeln als an-gestrebt Der Bund rechnet mit rund 12 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2035 die Schweizer Wirtschaft mit 44 TWh Die vorsichtigeren Prognosen der Wirtschaft scheinen re-alistischer Dies zeigen exemplarisch die gescheiterten Geothermieprojekte in Basel und St Gallen Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Nachfrageprognosen Der Bund rechnet in seinen Szenarien mit einem Ruumlckgang des Stromverbrauchs pro Kopf von 16 Prozent zwischen 2000 und 2035 Die Schweizer Wirtschaft orientiert sich in ihren Szenarien am Verband Schweizerischer Elektrizitaumlts-unternehmen (VSE) der weiter mit einer steigenden Nach-frage rechnet Die Wirtschaft fordert von der Politik eine vernuumlnftige Planung aufgrund realistischer Schaumltzungen Die Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energiestrategie nicht gefaumlhrdet werden

Subventionen fuumlhren zu FehlanreizenDie Schweiz hat seit vielen Jahrzehnten erfolgreich die Wasserkraft vorangetrieben Aus politischen Gruumlnden wird nun die ndash unregelmaumlssige ndash Stromproduktion durch Sonnen- und Windenergie forciert Unsere sogenann-te kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) entspricht dem deutschen Foumlrdermodell Beide haben das gleiche Ziel Sie sollen erneuerbare Energien ausbauen indem sie neue Formen der Stromproduktion zur Marktreife brin-gen Weil das KEV-System die Sonnen- und Windenergie massiv foumlrdert kommt ein weiterer Ausbau der bewaumlhrten Wasserkraft nicht infrage Diese Entwicklung gefaumlhrdet die Versorgungssicherheit der Schweiz Auf den ersten Blick sinken zwar die Produktionskosten fuumlr Solarstrom gleich-zeitig steigen aber die Kosten fuumlr Speicherung und Inte-gration ins Netz spuumlrbar Auch ist der Ausbau von Solar- und Windenergie nur von beschraumlnktem Nutzen solange keine ausreichenden Speicherkapazitaumlten vorhanden sind Nur Preissignale koumlnnen das Investitionsverhalten von Stromproduzenten Netzbetreibern und Konsumen-ten sinnvoll lenken Subventionen sind zu beseitigen denn sie fuumlhren zu Fehlanreizen

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Alle Optionen offenhaltenOffenheit und Neugier gehoumlren zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft Kategorisches Abwehrverhalten und Denkverbote verhindern konstruktive Loumlsungsansaumltze und Innovation Eine sichere und kostenguumlnstige Strom-versorgung kann auch in Zukunft nur mit der notwendi-gen Offenheit gegenuumlber allen Technologien und Energie-

systemen garantiert werden Die Schweiz ist dank einer erfolgreichen Hochschulland-schaft und vielen Technolo-gieunternehmen gut geruumlstet Die verschiedenen Energie-systeme muumlssen faktenba-siert und ohne ideologische

Scheuklappen verglichen werden Nur so koumlnnen effizi-ente und umweltvertraumlgliche Loumlsungen gefunden werden Das heutige System der Foumlrderung der neuen erneuer-baren Energien ist durch ein marktorientiertes System ab-zuloumlsen Produzenten die nachfragegerecht einspeisen sollen eine houmlhere Verguumltung erhalten als andere Auch soll der Vorrang der Netzeinspeisung fuumlr subventionierte Energietraumlger aufgehoben werden

laquoDie Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit

des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energie strategie nicht

gefaumlhrdet werdenraquo

Schnellere Verfahren anstrebenGrundvoraussetzung fuumlr eine Neuausrichtung der Ener-giepolitik sind funktionierende Stromnetze Diese muumls-sen zwingend parallel zum Umbau der Stromproduktion weiterentwickelt werden Allein der noumltige Ausbau der Uumlbertragungsnetze belaumluft sich auf rund 1 000 Kilometer bis ins Jahr 2020 Erforderlich sind zudem Investitionen in alle Verteilernetzebenen Al-lerdings verzoumlgern komplizier-te Verfahren auf Kantons- und Bundesebene den Ausbau Ausserdem erwaumlchst praktisch jedem Projekt Widerstand von privater Seite was zu weiteren Verzoumlgerungen fuumlhrt Die Wirt-schaft fordert deshalb Bei Bewilligungen von Stromnetzen ist der Gang vors Bundesgericht nur noch bei Grundsatz-fragen moumlglich Umbauten sowie Spannungs- und Kapa-zitaumltserweiterungen koumlnnen ohne Planungsgenehmigung realisiert werden Ausserdem sind die Verfahren bei einer einzigen Leitbehoumlrde anzusiedeln

Spielfeld erweiternDie Schweiz ist seit jeher ein wichtiges Stromtransitland Schon seit den 90er-Jahren treibt die EU die Vereinheitli-chung des Binnenmarkts fuumlr Strom hin zu einem eigent-lichen EU-Strommarkt voran In der Schweiz erweist sich die gesetzliche Trennung von Grundversorgung und Markt diesbezuumlglich zunehmend als Hindernis Aus Sicht der Wirtschaft ist die vollstaumlndige Liberalisierung des Strom-markts eine zwingende Voraussetzung fuumlr eine erfolgrei-che energiepolitische Neuausrichtung

Eine Marktoumlffnung wuumlrde insbesondere auch den erneuer-baren Energien neue Chancen eroumlffnen und Zugang zu neuen Kunden gewaumlhren Von hoher Wichtigkeit ist auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU Je groumlsser der Anteil erneuerbarer Energien umso wichtiger ist die Einbettung in Europa denn Investitionen in Netze und Produktion koumlnnen in Koordination mit der EU wirkungsvoller und wahrscheinlich kostenguumlnstiger getaumltigt werden

Kurt LanzKurt Lanz ist Leiter Infrastruktur Energie und Umwelt sowie Geschaumlftsleitungsmitglied von economiesuisse dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft

Gut vernetzt ndash Vorschlaumlge der Schweizer Wirtschaftzur EnergiepolitikDie Publikation basiert auf der Grundlagenarbeit der breit abgestuumltz-ten Energiekommission von economiesuisse und macht konstruk-tive Vorschlaumlge fuumlr einen erfolgreichen energiepolitischen Weg der Schweiz Download unter wwweconomiesuissech

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

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Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

53COMPETENCE | 2014

2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

wwwsmlzhawch

Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 34: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

34 COMPETENCE | 2014

Hohe Nachfrage nach MinergieDer Erfolg der bisherigen Sparbemuumlhungen bleibt nicht aus laquoTrotz zunehmender Pro-Kopf-Wohnflaumlche und stei-gendem Komfort sinkt der Energieverbrauch fuumlrs Heizen in den letzten Jahrzehnten stetigraquo verkuumlndet der Zuumlrcher Regierungsrat im Energieplanungsbericht 2014 Dazu tra-gen nicht nur die laufend verschaumlrften Gesetze bei Ebenso wichtig ist die Bereitschaft von Bautraumlgerschaften freiwillig Uumlberdurchschnittliches zu leisten Vor allem die Minergie-Regeln werden inzwischen gerne befolgt weshalb Haumluser mit halbiertem Energieverbrauch beinahe Standard sind Schweizweit traumlgt eines von zehn neuen Wohnhaumlusern ein Minergie-Zertifikat Der Anteil an Minergie-Haumlusern im Grossraum Zuumlrich liegt gemaumlss einer Marktanalyse der Universitaumlt Zuumlrich bereits nahe bei 20 Prozent Dies ist privaten Hauseigentuumlmern und institutionellen Investoren zu verdanken Wohn- und Geschaumlftshaumluser mit houmlchster Energieeffizienz gehoumlren inzwischen zum guten Ton Den juumlngsten Beweis liefert eine Immobilienstiftung der Credit Suisse die 70 Millionen Franken in die groumlsste Oumlkosied-lung der Schweiz investiert Im Aargauer Reusstal wohnen seit diesem Jahr rund 200 Familien Paare und Singles deren Wohnhaumluser sich weitgehend selbst mit Sonnen-energie versorgen So klimafreundlich die Energiewende-Architektur ist der Investor erwartet dennoch marktuumlb-liche Renditen Ist der Markt aber bereit oumlkologisches Engagement angemessen zu honorieren

Marktpotenzial fruumlhzeitig erkanntDie Zuumlrcher Kantonalbank (ZKB) beziffert den Mehrwert von Minergie-Haumlusern auf 7 Prozent Kaumlufer seien bereit diesen Aufpreis fuumlr mehr Energieeffizienz zu bezahlen Als weitere Nebeneffekte nennt der vor drei Jahren publizierte ZKB-Bericht eine hochwertige dauerhafte Bausubstanz sowie die Absicherung gegen steigende Oumll- und Energie-preise Fachleute des Immobilienberatungsunternehmens Wuumlest amp Partner (WampP) warnen indes dass sich zusaumltz-liche Investitionen in die Energieeffizienz nicht uumlberall loh-nen laquoRegional schwankt die Zahlungsbereitschaft des Immobilienmarktsraquo praumlzisiert WampP-Partner Ivan Anton Minergie-Haumluser koumlnnen aber nicht nur in abgelegenen Regionen ein Marktrisiko werden laquoMit Ausnahme der

Beim Autokauf wird bevorzugt auf Pferdestaumlrken Be-schleunigung und Innenausstattung geachtet Der CO2-Ausstoss interessiert hingegen kaum So kommt die Energieeffizienz im Strassenverkehr nur stockend voran 1995 schluckten alle neu immatrikulierten Personen-wagen durchschnittlich 9 Liter Benzin pro 100 Kilometer 20 Jahre spaumlter liegt der Durchschnittsverbrauch gemaumlss Bundesamt fuumlr Energie (BFE) immer noch uumlber 6 Litern Das viel gepriesene laquoDrei-Liter-Autoraquo haben alle Hersteller wieder aus der Modellpalette genommen

Demgegenuumlber gelingen dem oft traumlge genannten Ge-baumludebereich weitaus groumlssere Effizienzspruumlnge Ver-brauchen 40 Jahre alte Haumluser im Schnitt 220 Kilowatt-stunden (kWh) Heizenergie pro Quadratmeter Wohnflaumlche und Jahr sind die aktuellen Werte unter die 50er-Marke gesunken Zusaumltzliche Sparerfolge sind nur eine Frage der Zeit Im Fruumlhsommer haben die kantonalen Energie-direktoren uumlber ein Rahmenabkommen beraten das Null-energieneubauten demnaumlchst zum Standard machen soll Wie die nationale Energiewende zu erreichen ist erklaumlrt Christoph Gmuumlr von der Abteilung Energie des Kantons Zuumlrich laquoDer spezifische Verbrauchswert ist zudem auf 35 kWh pro Quadratmeter zu senkenraquo Gebaumlude die sich mit umweltfreundlicher Energie selbst versorgen wollen auch die EU-Staaten Ab 2020 wird ein Gebaumludestandard eingefuumlhrt der nur noch laquoNiedrigstenergiegebaumluderaquo mit sehr hoher Energieeffizienz als Neubauten vorsieht

Energiesparhaumluser waren vor 30 Jahren Exoten inzwischen nimmt der Bereich der energie-effizienten Gebaumlude eine Vor-bildrolle fuumlr die Energie wende ein Bauherren profitieren davon ebenso wie die Zuliefer-branche Text Paul Knuumlsel

Expertensicht

Haumluser in der ersten Reihe

35COMPETENCE | 2014

der Bau von Niedrigenergiehaumlusern und alternativen Hei-zungsanlagen sowie energetische Gebaumludesanierungen Investitionen im Umfang von rund 4 Milliarden Franken ausgeloumlst rechnet der Bund vor laquoEin Fuumlnftel insgesamt 860 Millionen Franken stammt aus den oumlffentlichen Kas-senraquo verweist die BFE-Stelle EnergieSchweiz auf die Im-pulse der kantonalen Foumlrderprogramme Einen Wermuts-tropfen besitzt diese Wirkungsbilanz Fruumlhere Analysen der Energiesparprogramme zeigen naumlmlich dass zwi-schen einem Drittel und der Haumllfte der energetisch vorbild-lichen Gebaumlude auch ohne staatliche Foumlrderung realisiert worden waumlren Dem Mitnahmeeffekt ist auch die Eidge-noumlssische Steuerverwaltung auf der Spur Sie schaumltzt dass Bund und Kantonen jaumlhrlich 14 Milliarden Franken entgehen weil energetische Gebaumludesanierungen bei der Liegenschaftssteuer abzugsberechtigt sind Die Energie-wende erfordert nicht nur mehr Effizienz bei den Anwen-dungen sondern auch einen effizienten Einsatz staatlicher Mittel Im Energieplanungsbericht 2013 hat der Zuumlrcher Regierungsrat erstmals uumlber alternative Anreizsysteme nachgedacht Demnach soll eine Lenkungsabgabe den Energiekonsum reduzieren und das bisherige Foumlrdersys-tem abloumlsen Aumlhnliche Plaumlne verfolgt der Bund Denn ein Lenkungssystem duumlrfte weitere Sparbemuumlhungen im Ge-baumludebereich aber auch im Strassenverkehr foumlrdern Ins-besondere dann wenn Heizoumll und Benzin im Gleichschritt teurer werden

begehrten Wohnlagen haben Hauseigentuumlmer an vielen Orten mit moumlglichen Verkaufsverlusten zu rechnenraquo so Anton Zwar sei die Nachfrage bei Eigentuumlmern und Mie-tern aumlhnlich gross Aber auch Mieter wuumlrden nicht uumlberall mehr fuumlr eine energieeffiziente Wohnung bezahlen Kaum uumlberraschen darf daher dass Immobilieninvestoren immer haumlufiger die steigenden Energieanforderungen kritisieren und kostenguumlnstigere Baustandards vorziehen Fuumlr WampP-Berater Urs Hausmann ist laquonachhaltiges Bauen trotzdem keine Frage von Luxus oder Wohlstand sondern eine wie man mit Ressourcen umgehen willraquo Dass ein hohes Um-weltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauen Der Run auf den oumlkologischen Baustoff Holz laumlsst zum Beispiel eine gesamte Wertschoumlpfungskette und viele

innovative Unternehmen profitieren Forstbetriebe Sauml-gereien Fensterbauer Daumlmmstoffhersteller und andere Bauzulieferer vergroumlssern ihre Produktionskapazitaumlten und stellen zusaumltzliches Personal ein laquoDie Umsaumltze im Schweizer Holzbau sind in den letzten Jahren um mehrere Hundert Millionen Franken gestiegen und die Trendkurve zeigt weiter nach obenraquo freut sich Christoph Starck Di-rektor des Holzbaudachverbands Lignum

Einheimische Zulieferer als GewinnerAuch im Verein Minergie ist man sich bewusst dass sich energieeffizientes Bauen wirtschaftlich positiv auswirkt In den letzten 15 Jahren sind 25 000 Wohnhaumluser Buumlro-komplexe Schulbauten Sport- und Industriehallen mit Niedrig energiezertifikat entstanden Gemeinsam sparen sie 15 Milliarden Kilowattstunden Energie laquoUumlber 2 Milliar-den Franken wurden zusaumltzlich investiertraquo rechnet Miner-gie-Sprecher Antonio Milelli vor Anstatt fossile Brennstoffe einzukaufen wird mehr Geld fuumlr Daumlmmstoffe Isolierfenster Luumlftungsanlagen und Sonnenkollektoren aus inlaumlndischer Fabrikation ausgegeben Zwischen 2001 und 2012 haben

Paul KnuumlselPaul Knuumlsel studierte Umweltnaturwissen-schaften an der ETH Zuumlrich Er ist unabhaumln-giger Wissenschaftsjournalist und schreibt seit Jahren in Publikums- und Fachmedien uumlber die vielfaumlltigen Aspekte des nachhalti-gen Bauens Zusaumltzlich betreut er in der Re-daktion des laquoTEC21raquo das Ressort laquoEnergie und Umweltraquo

laquoDass ein hohes Umweltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren

derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauenraquo

36 COMPETENCE | 2014

Der Wasserkraft Sorge tragen

Welchen Beitrag kann die Wasserwirtschaft zur Energie-wende leisten Roger Pfammatter Die Wasserkraft ist der energie-politische Trumpf der Schweiz Wir befinden uns in der gluumlcklichen Lage uumlber grosse Mengen Wasser und das notwendige Gefaumllle zu verfuumlgen ndash das sind die beiden wichtigsten Voraussetzungen fuumlr die hydroelektrische Produktion Und wir haben in den vergangenen 100 Jah-ren gelernt dieses Potenzial effizient und moumlglichst um-weltschonend zu nutzen Die Wasserkraft ist der Schluumls-sel fuumlr eine nachhaltige Energieversorgung technisch ausgereift politisch erwuumlnscht einheimisch erneuerbar und CO2-frei

Wie viel mehr ist moumlglichHeute leistet die Wasserkraft nicht nur rund 60 Prozent der Stromproduktion in der Schweiz sondern bietet auch unverzichtbare Regel- und Systemdienstleistungen die markant an Bedeutung gewinnen werden Vor allem bei der Flexibilisierung der Wasserkraft durch mehr Leistung und Speichervolumen waumlre noch einiges moumlglich Um die Aufgaben weiterhin zu gewaumlhrleisten muumlssen wir aber primaumlr dem Bestehenden Sorge tragen

Die Energiestrategie des Bundes gibt aber klare Ausbau-ziele vor Bis 2035 soll die Stromproduktion aus Wasser-kraft um 10 Prozent steigenUnter den momentanen Rahmenbedingungen ist dieses Ausbauziel nicht realistisch Im Gegenteil Aufgrund der Restwasserbestimmungen wird die Produktion in den naumlchsten Jahren vermutlich sogar zuruumlckgehen

Die Wasserkraft ist der wichtigste Pfeiler der Schweizer Ener-giewirtschaft ihr Potenzial ist aber weitgehend ausgeschoumlpft Roger Pfammatter Geschaumlftsfuumlhrer des Wasserwirtschaftsver-bands gibt im Interview Auskunft uumlber die Lage der Branche und ihre Bedeutung fuumlr die EnergiezukunftInterview Florian Wehrli

Expertensicht

Was muss sich aumlndern damit die vorgegebenen Ziele um-gesetzt werden koumlnnenZum einen braucht es dafuumlr die Akzeptanz der Umweltver-baumlnde der Fischer und letztlich der gesamten Bevoumllkerung Zum anderen muumlssen laumlngerfristig die extremen Marktver-zerrungen abgebaut werden damit sich auch Investitionen in die nicht gefoumlrderte Wasserkraft wieder lohnen Heute wird nur noch in subventionierte Anlagen investiert

Wer ist hier in der PflichtHier ist die Politik gefordert die Rahmenbedingungen zu verbessern Denn ohne die Wasserkraft kann die Energie-wende nicht gelingen

Anfang Jahr wurde der Wasserwirtschaftsverband von den zustaumlndigen Kommissionen angehoumlrt Welche Forderun-gen hat die Branche an das ParlamentWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerba-re Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichten die bereits bis zur Haumllfte der Geste-hungskosten ausmachen Damit sind wir doppelt diskrimi-niert Die Wasserkraft ist extrem unter Preisdruck ndash und dies obwohl sie mit Gestehungskosten zwischen 3 und 10 Rappen pro Kilowattstunde die effizienteste Strompro-duktionstechnologie ist Nur zum Vergleich Fotovoltaik -anlagen werden heute mit rund 40 Rappen subventioniert

Bis 2011 liess sich mit der Grosswasserkraft noch viel Geld verdienen Wurden zu wenige Ruumlcklagen fuumlr schlechte Zei-ten gebildet

37COMPETENCE | 2014

Es kann nicht der Sinn sein Ruumlcklagen fuumlr Zeiten zu bil-den in denen die Marktpreise die Gestehungskosten nicht mehr decken Das waumlre wie wenn ein Baumlcker auf jedem Gipfeli einige Rappen zuruumlckbehalten muumlsste damit er sie am naumlchsten Tag gratis abgeben kann Mit dem durch Subventionen verzerrten Marktpreis von 4 bis 5 Rappen pro Kilowattstunde ist unter den konventionellen Energie-traumlgern praktisch nur Kohle konkurrenzfaumlhig Das ist be-stimmt nicht im Sinn der Energiewende

Drei Grosswasserkraftprojekte sind heute bereits im Bau Koumlnnen die enormen Kosten uumlberhaupt amortisiert wer-denPrognosen sind schwierig An der europaumlischen Strom-boumlrse (EEX) werden bis 2020 Strompreise zwischen 45 und 53 Rappen pro Kilowattstunde gehandelt Der Markt glaubt also nicht an eine baldige Erholung Dafuumlr muumlsste das Uumlberangebot in Europa zuruumlckgehen etwa uumlber die Anhebung des CO2-Preises von heute 5 auf mindestens 30 Euro pro Tonne Politisch ist das aber kaum durchsetz-bar Neue Pumpspeicherwerke werden sich deshalb wohl erst in mehreren Jahrzehnten lohnen

Was kann die Kleinwasserkraft leistenOhne die kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) wuumlr-de niemand Kleinwasserkraftanlagen bauen genauso we-nig wie Fotovoltaik- Wind- oder Biomasseanlagen Zurzeit gibt es aber allein bei der Kleinwasserkraft rund 1 000 An-meldungen fuumlr Foumlrderbeitraumlge mit einem bescheidenen Ge-samtpotenzial von 33 Terawattstunden pro Jahr Die oumlko-logischen Auswirkungen sind im Vergleich zum Ertrag zu gross Obwohl wir von marktverzerrenden Foumlrderprogram-men wegkommen sollten waumlre es in einer Uumlbergangs phase sinnvoll die KEV-Obergrenze von 10 Mega watt aufzuheben und dort zu foumlrdern wo es wirklich etwas bringt

Wie soll die Grosswasserkraft unterstuumltzt werdenDas Sinnvollste waumlre die Abkehr von der Subventions-maschinerie ndash und zwar auf europaumlischer Ebene Dann wuumlrde sich die Wasserkraft als effiziente erneuerbare Stromproduktionsform mit Sicherheit durchsetzen Min-destens als Uumlbergangsloumlsung waumlre aber die Entlastung

von Abgaben in erster Linie vom Wasserzins dringend Der maximale Wasserzins wurde in den letzten vier Jahren um 38 Prozent erhoumlht und wird naumlchstes Jahr um weite-re 10 Prozent angehoben Diese Erhoumlhung wurde 2008 beschlossen und steht heute in keinerlei Bezug mehr zur Ertrags lage Kurzfristig koumlnnten die Kantone auf einen Teil dieser Zinsen verzichten ndash das waumlre ein wichtiges politi-sches Zeichen Langfristig muss ein neuer Modus fuumlr die Zinsberechnung gefunden werden der die Ertragslage der Wasserkraft mitberuumlcksichtigt Das ist auch im Interesse von Bund Kantonen und Gemeinden schliesslich ist die Wasserkraft zu 85 Prozent in oumlffentlicher Hand Ebenfalls als Uumlbergangsloumlsung bis zu besseren Marktpreisen waumlren zinsguumlnstige Darlehen fuumlr die noumltigen Investitionen in die Grosswasserkraft denkbar Ohne mindestens eine dieser Massnahmen kann die Wasserwirtschaft das geforderte Ausbauziel nicht erreichen

Bis dahin gibt es noch eine weitere Huumlrde den Heimfall der Stauanlagen an die Standortgemeinden Welchen Ein-fluss hat dieser UmstandWenn die Konzessionen nach 80 oder 100 Jahren aus-laufen muss der Betreiber der Gemeinde eine Entschaumldi-gung fuumlr den Restwert der Anlagen entrichten Im Fall der Staumauer Barberine bezahlen die SBB und Alpiq 2017 an sechs Walliser Gemeinden 343 Millionen Franken Das 400-Seelen-Dorf Finhaut erhaumllt alleine 112 Millionen Fran-ken und weiss kaum wohin mit dem Geld Der gesamte Wert des Heimfalls der Anlagen bewegt sich schweizweit im Milliardenbereich Der Houmlhepunkt des Heimfalls wird um 2035 erreicht werden Bis zu diesem Zeitpunkt soll aber auch ein Grossteil der geforderten Produktionsstei-gerung umgesetzt werden

Bei der Stromproduktion ist ein Ausbau von uumlber 10 Pro-zent wohl nicht realistisch Wie sieht es bei der Speicher-leistung aus Hier muss man unterscheiden zwischen kurzfristiger und saisonaler Speicherung Fuumlr die saisonale Speicherung verfuumlgt die Schweiz mit 200 Speicherseen uumlber ein Vo-lumen von rund 9 000 Gigawattstunden (GWh) die jedes Jahr vom Sommer in den Winter umgelagert werden Dies

38 COMPETENCE | 2014

Expertensicht

entspricht einem Viertel der jaumlhrlichen Produktion aus Wasserkraft Das Ausbaupotenzial durch die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren betraumlgt rund 2 000 GWh Falls der Ausbau aber nicht gelingt entsteht im Winter durch den Ausfall der Kernenergie eine immer groumlssere Luumlcke an Bandenergie die durch den Import von Atom- oder Kohlestrom gedeckt werden muss

Wie sieht es beim Ausbau der Pumpleistung zum kurzfris-tigen Ausgleich von Schwankungen im Netz ausGrundsaumltzlich ist das Potenzial fuumlr Pumpspeicherwerke in der Schweiz riesig Es braucht nur zwei Seen auf unter-schiedlicher Houmlhe Die Frage ist ob sich solche Investi-tionen rechnen Die Pumpspeicherwerke finanzieren sich

uumlber den Preisunterschied zwischen Band- und Spitzen-energie Wenn an einem schoumlnen Sommertag in Europa mittags die geballte Ladung an Sonnen- und Windener-gie eingespeist wird koumlnnen die Pumpspeicherkraftwerke sehr guumlnstig oder sogar zu Negativpreisen Strom bezie-hen Man darf aber nicht vergessen dass dieselbe Situa-tion fuumlr die Laufwasserkraftwerke die rund die Haumllfte der Wasserkraftproduktion in der Schweiz ausmachen den gegenteiligen Effekt hat Diese koumlnnen aus technischen konzessionsrechtlichen oder oumlkologischen Gruumlnden nicht vom Netz genommen werden und muumlssen fuumlr ihre Strom-produktion bezahlen Das kann gehoumlrig ins Geld gehen An Weihnachten 2012 lag der Strompreis zum Beispiel bei minus 30 Rappen pro Kilowattstunde

Roger Pfammatter laquoWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerbare Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichtenraquo

Bild Florian Wehrli

39COMPETENCE | 2014

cherseen zur Flexibilisierung Damit das gelingt muss der Wert der Wasserkraft staumlrker im Bewusstsein der Bevoumllke-rung verankert sein Und nicht zuletzt muss der Marktpreis so weit uumlber den Gestehungskosten liegen dass sich In-vestitionen in die Wasserwirtschaft rentieren

Versuchen das Bestehende zu erhalten Diese Vision klingt etwas resigniertDas ist eine Frage der Perspektive Die Wasserkraft hat als Technologie in der Schweiz seit Langem Bestand Sie befindet sich in einer anderen Situation als Fotovoltaik und Windenergie die sich in einem hochdynamischen Umfeld mit grossem Potenzial in Forschung und Wachstum be-finden Die Wasserkraft ist dagegen nicht mehr in der Auf-bruchsphase sondern in der Konsolidierungsphase Da-fuumlr kann man sich auf die Wasserkraftwerke verlassen Sie produzieren bei Tag und in der Nacht im Sommer wie im Winter bei Windstille oder im Nebel Auch der Erhalt und die Optimierung des Bestehenden sind grosse Heraus-forderungen und bedingen grosse Investitionen

Sehen Sie eine Moumlglichkeit wie die Schweizer Wasser-wirtschaft in Zukunft Geld mit Systemdienstleistungen wie Netzstabilitaumlt verdienen kannDie unregelmaumlssig einspeisenden Stromproduzenten neh-men keinerlei Systemverantwortung wahr Ich habe selbst ein Solarpanel auf dem Dach Wenn Produktion moumlglich ist speise ich Strom ins Netz ein wenn nicht beziehe ich Die Produzenten mehr in die Verantwortung zu nehmen faumlnde ich sinnvoll ndash zum Beispiel uumlber Zertifikate fuumlr Spei-cherleistungen Diese koumlnnten bei Pumpspeicherwerken bezogen werden

Welcher Ausbau der Pumpspeicherleistung ist dafuumlr noumltigDie installierte Leistung betraumlgt heute rund 14 Gigawatt (GW) Mit den im Bau befindlichen und den geplanten An-lagen kann die Kapazitaumlt maximal auf 51 GW ausgebaut werden ndash etwa die Haumllfte der Jahreshoumlchstlast im Netz Damit die Schweizer Wasserkraft aber einen Beitrag zur Stabilitaumlt des europaumlischen Stromnetzes leisten kann muumlssten auch das Stauvolumen und die Leitungskapazi-taumlt erhoumlht werden Hier sind die Einsprachen von Anwoh-nern und Umweltverbaumlnden noch gravierender als bei den Anlagen selbst

Braucht es neue rechtliche Instrumente um den geplan-ten Ausbau durchsetzen zu koumlnnenEs braucht vor allem die Einsicht dass die Wasserkraft das Ruumlckgrat unserer Versorgungssicherheit ist und die Aus-wirkungen eines Ausbaus immer auch mit den Alternativen verglichen werden muumlssen Wir befinden uns aber auch in einem intensiv genutzten Land mit vielen Partikularinteres-sen Diese muumlssen gewichtet und abgewogen werden In der Abwaumlgung zwischen Landschaftsschutz und Wasser-nutzung waumlre es hilfreich wenn Grosswasserkraftanlagen den Status von nationalem Interesse erhalten

Wie soll die Schweizer Wasserwirtschaft im Jahr 2035 aussehenIch wuumlnsche mir dass die bestehende Infrastruktur auf dem heutigen Stand erhalten optimiert oumlkologisiert und im Idealfall etwas ausgebaut wird Dazu gehoumlren etwa die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren sowie neue Spei-

Roger PfammatterSeit seinem Ingenieurstudium an der ETH Zuumlrich hat er sich in ver-schiedenen Rollen dem Wasser verschrieben Nach sieben Lehr- und Wanderjahren in der Forschung und in der Entwicklungszusammen-arbeit war er zehn Jahre beim Ingenieurunternehmen Ernst Basler + Partner engagiert Seit 2010 ist er Geschaumlftsfuumlhrer des Schweizeri-schen Wasserwirtschaftsverbandes (SWV) und Herausgeber der Zeit-schrift laquoWasser Energie Luftraquo In diesen Funktionen setzt er sich ein fuumlr den Fachaustausch und gute Rahmenbedingungen in den Bereichen Wasserkraft und Hochwasserschutz

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Die globalen Energiemaumlrkte sind seit einigen Jahren stark in Bewegung Volatile Erdoumllpreise die Foumlrderung von un-konventionellen Gasvorkommen in grossem Stil die mas-sive Subventionierung von neuen erneuerbaren Energien in Deutschland der laquoarabische Fruumlhlingraquo und der Konflikt in der Ukraine hinterlassen Spuren Die Folge sind starke Verwerfungen an den Maumlrkten und fehlende Investitionssi-cherheit In diesem dynamischen und unsicheren Kontext will der Bund die bisherige Energiepolitik neu ausrichten ndash wahrlich eine Herkulesaufgabe Die Schweizer Wirtschaft verlangt dass der Bund bei der Neuausrichtung der Ener-giepolitik seinem in der Verfassung verankerten Auftrag nachkommt und sich fuumlr eine ausreichende sichere breit gefaumlcherte wirtschaftliche und umweltvertraumlgliche Ener-gieversorgung einsetzt Somit ist klar Die Energiestrate-gie 2050 muss in erheblichen Teilen optimiert und justiert werden Nur wenn vernetzt gedacht wird ist eine sichere Versorgung zu wettbewerbsfaumlhigen Preisen moumlglich

Prognosen klaffen weit auseinanderSeit Jahrzehnten bietet der Strommix aus Wasserkraft (knapp 60 Prozent) und Kernenergie (40 Prozent) Gewaumlhr fuumlr eine sichere klimafreundliche und wirtschaftliche Ener-gieversorgung Im Rahmen der Energiestrategie 2050 muss die Kernenergie langfristig ersetzt werden Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen zumal die Ziele des Bundes

Lebenselixier der Wirtschaft

Die Schweizer Wirtschaft ist auch in Zukunft auf eine sichere und wirtschaftliche Stromver-sorgung angewiesen Die Ener-giestrategie 2050 setzt stark auf Subventionen Dadurch entstehen Fehlanreize welche die Versorgungssicherheit ge-faumlhrdenText Kurt Lanz

Expertensicht

in Bezug auf das Potenzial der neuen erneuerbaren Ener-gien von Wunschdenken geleitet sind Die neuen erneuer-baren Energien werden sich langsamer entwickeln als an-gestrebt Der Bund rechnet mit rund 12 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2035 die Schweizer Wirtschaft mit 44 TWh Die vorsichtigeren Prognosen der Wirtschaft scheinen re-alistischer Dies zeigen exemplarisch die gescheiterten Geothermieprojekte in Basel und St Gallen Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Nachfrageprognosen Der Bund rechnet in seinen Szenarien mit einem Ruumlckgang des Stromverbrauchs pro Kopf von 16 Prozent zwischen 2000 und 2035 Die Schweizer Wirtschaft orientiert sich in ihren Szenarien am Verband Schweizerischer Elektrizitaumlts-unternehmen (VSE) der weiter mit einer steigenden Nach-frage rechnet Die Wirtschaft fordert von der Politik eine vernuumlnftige Planung aufgrund realistischer Schaumltzungen Die Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energiestrategie nicht gefaumlhrdet werden

Subventionen fuumlhren zu FehlanreizenDie Schweiz hat seit vielen Jahrzehnten erfolgreich die Wasserkraft vorangetrieben Aus politischen Gruumlnden wird nun die ndash unregelmaumlssige ndash Stromproduktion durch Sonnen- und Windenergie forciert Unsere sogenann-te kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) entspricht dem deutschen Foumlrdermodell Beide haben das gleiche Ziel Sie sollen erneuerbare Energien ausbauen indem sie neue Formen der Stromproduktion zur Marktreife brin-gen Weil das KEV-System die Sonnen- und Windenergie massiv foumlrdert kommt ein weiterer Ausbau der bewaumlhrten Wasserkraft nicht infrage Diese Entwicklung gefaumlhrdet die Versorgungssicherheit der Schweiz Auf den ersten Blick sinken zwar die Produktionskosten fuumlr Solarstrom gleich-zeitig steigen aber die Kosten fuumlr Speicherung und Inte-gration ins Netz spuumlrbar Auch ist der Ausbau von Solar- und Windenergie nur von beschraumlnktem Nutzen solange keine ausreichenden Speicherkapazitaumlten vorhanden sind Nur Preissignale koumlnnen das Investitionsverhalten von Stromproduzenten Netzbetreibern und Konsumen-ten sinnvoll lenken Subventionen sind zu beseitigen denn sie fuumlhren zu Fehlanreizen

41COMPETENCE | 2014

Alle Optionen offenhaltenOffenheit und Neugier gehoumlren zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft Kategorisches Abwehrverhalten und Denkverbote verhindern konstruktive Loumlsungsansaumltze und Innovation Eine sichere und kostenguumlnstige Strom-versorgung kann auch in Zukunft nur mit der notwendi-gen Offenheit gegenuumlber allen Technologien und Energie-

systemen garantiert werden Die Schweiz ist dank einer erfolgreichen Hochschulland-schaft und vielen Technolo-gieunternehmen gut geruumlstet Die verschiedenen Energie-systeme muumlssen faktenba-siert und ohne ideologische

Scheuklappen verglichen werden Nur so koumlnnen effizi-ente und umweltvertraumlgliche Loumlsungen gefunden werden Das heutige System der Foumlrderung der neuen erneuer-baren Energien ist durch ein marktorientiertes System ab-zuloumlsen Produzenten die nachfragegerecht einspeisen sollen eine houmlhere Verguumltung erhalten als andere Auch soll der Vorrang der Netzeinspeisung fuumlr subventionierte Energietraumlger aufgehoben werden

laquoDie Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit

des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energie strategie nicht

gefaumlhrdet werdenraquo

Schnellere Verfahren anstrebenGrundvoraussetzung fuumlr eine Neuausrichtung der Ener-giepolitik sind funktionierende Stromnetze Diese muumls-sen zwingend parallel zum Umbau der Stromproduktion weiterentwickelt werden Allein der noumltige Ausbau der Uumlbertragungsnetze belaumluft sich auf rund 1 000 Kilometer bis ins Jahr 2020 Erforderlich sind zudem Investitionen in alle Verteilernetzebenen Al-lerdings verzoumlgern komplizier-te Verfahren auf Kantons- und Bundesebene den Ausbau Ausserdem erwaumlchst praktisch jedem Projekt Widerstand von privater Seite was zu weiteren Verzoumlgerungen fuumlhrt Die Wirt-schaft fordert deshalb Bei Bewilligungen von Stromnetzen ist der Gang vors Bundesgericht nur noch bei Grundsatz-fragen moumlglich Umbauten sowie Spannungs- und Kapa-zitaumltserweiterungen koumlnnen ohne Planungsgenehmigung realisiert werden Ausserdem sind die Verfahren bei einer einzigen Leitbehoumlrde anzusiedeln

Spielfeld erweiternDie Schweiz ist seit jeher ein wichtiges Stromtransitland Schon seit den 90er-Jahren treibt die EU die Vereinheitli-chung des Binnenmarkts fuumlr Strom hin zu einem eigent-lichen EU-Strommarkt voran In der Schweiz erweist sich die gesetzliche Trennung von Grundversorgung und Markt diesbezuumlglich zunehmend als Hindernis Aus Sicht der Wirtschaft ist die vollstaumlndige Liberalisierung des Strom-markts eine zwingende Voraussetzung fuumlr eine erfolgrei-che energiepolitische Neuausrichtung

Eine Marktoumlffnung wuumlrde insbesondere auch den erneuer-baren Energien neue Chancen eroumlffnen und Zugang zu neuen Kunden gewaumlhren Von hoher Wichtigkeit ist auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU Je groumlsser der Anteil erneuerbarer Energien umso wichtiger ist die Einbettung in Europa denn Investitionen in Netze und Produktion koumlnnen in Koordination mit der EU wirkungsvoller und wahrscheinlich kostenguumlnstiger getaumltigt werden

Kurt LanzKurt Lanz ist Leiter Infrastruktur Energie und Umwelt sowie Geschaumlftsleitungsmitglied von economiesuisse dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft

Gut vernetzt ndash Vorschlaumlge der Schweizer Wirtschaftzur EnergiepolitikDie Publikation basiert auf der Grundlagenarbeit der breit abgestuumltz-ten Energiekommission von economiesuisse und macht konstruk-tive Vorschlaumlge fuumlr einen erfolgreichen energiepolitischen Weg der Schweiz Download unter wwweconomiesuissech

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

43COMPETENCE | 2014

Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

wwwsmlzhawch

Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

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der Bau von Niedrigenergiehaumlusern und alternativen Hei-zungsanlagen sowie energetische Gebaumludesanierungen Investitionen im Umfang von rund 4 Milliarden Franken ausgeloumlst rechnet der Bund vor laquoEin Fuumlnftel insgesamt 860 Millionen Franken stammt aus den oumlffentlichen Kas-senraquo verweist die BFE-Stelle EnergieSchweiz auf die Im-pulse der kantonalen Foumlrderprogramme Einen Wermuts-tropfen besitzt diese Wirkungsbilanz Fruumlhere Analysen der Energiesparprogramme zeigen naumlmlich dass zwi-schen einem Drittel und der Haumllfte der energetisch vorbild-lichen Gebaumlude auch ohne staatliche Foumlrderung realisiert worden waumlren Dem Mitnahmeeffekt ist auch die Eidge-noumlssische Steuerverwaltung auf der Spur Sie schaumltzt dass Bund und Kantonen jaumlhrlich 14 Milliarden Franken entgehen weil energetische Gebaumludesanierungen bei der Liegenschaftssteuer abzugsberechtigt sind Die Energie-wende erfordert nicht nur mehr Effizienz bei den Anwen-dungen sondern auch einen effizienten Einsatz staatlicher Mittel Im Energieplanungsbericht 2013 hat der Zuumlrcher Regierungsrat erstmals uumlber alternative Anreizsysteme nachgedacht Demnach soll eine Lenkungsabgabe den Energiekonsum reduzieren und das bisherige Foumlrdersys-tem abloumlsen Aumlhnliche Plaumlne verfolgt der Bund Denn ein Lenkungssystem duumlrfte weitere Sparbemuumlhungen im Ge-baumludebereich aber auch im Strassenverkehr foumlrdern Ins-besondere dann wenn Heizoumll und Benzin im Gleichschritt teurer werden

begehrten Wohnlagen haben Hauseigentuumlmer an vielen Orten mit moumlglichen Verkaufsverlusten zu rechnenraquo so Anton Zwar sei die Nachfrage bei Eigentuumlmern und Mie-tern aumlhnlich gross Aber auch Mieter wuumlrden nicht uumlberall mehr fuumlr eine energieeffiziente Wohnung bezahlen Kaum uumlberraschen darf daher dass Immobilieninvestoren immer haumlufiger die steigenden Energieanforderungen kritisieren und kostenguumlnstigere Baustandards vorziehen Fuumlr WampP-Berater Urs Hausmann ist laquonachhaltiges Bauen trotzdem keine Frage von Luxus oder Wohlstand sondern eine wie man mit Ressourcen umgehen willraquo Dass ein hohes Um-weltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauen Der Run auf den oumlkologischen Baustoff Holz laumlsst zum Beispiel eine gesamte Wertschoumlpfungskette und viele

innovative Unternehmen profitieren Forstbetriebe Sauml-gereien Fensterbauer Daumlmmstoffhersteller und andere Bauzulieferer vergroumlssern ihre Produktionskapazitaumlten und stellen zusaumltzliches Personal ein laquoDie Umsaumltze im Schweizer Holzbau sind in den letzten Jahren um mehrere Hundert Millionen Franken gestiegen und die Trendkurve zeigt weiter nach obenraquo freut sich Christoph Starck Di-rektor des Holzbaudachverbands Lignum

Einheimische Zulieferer als GewinnerAuch im Verein Minergie ist man sich bewusst dass sich energieeffizientes Bauen wirtschaftlich positiv auswirkt In den letzten 15 Jahren sind 25 000 Wohnhaumluser Buumlro-komplexe Schulbauten Sport- und Industriehallen mit Niedrig energiezertifikat entstanden Gemeinsam sparen sie 15 Milliarden Kilowattstunden Energie laquoUumlber 2 Milliar-den Franken wurden zusaumltzlich investiertraquo rechnet Miner-gie-Sprecher Antonio Milelli vor Anstatt fossile Brennstoffe einzukaufen wird mehr Geld fuumlr Daumlmmstoffe Isolierfenster Luumlftungsanlagen und Sonnenkollektoren aus inlaumlndischer Fabrikation ausgegeben Zwischen 2001 und 2012 haben

Paul KnuumlselPaul Knuumlsel studierte Umweltnaturwissen-schaften an der ETH Zuumlrich Er ist unabhaumln-giger Wissenschaftsjournalist und schreibt seit Jahren in Publikums- und Fachmedien uumlber die vielfaumlltigen Aspekte des nachhalti-gen Bauens Zusaumltzlich betreut er in der Re-daktion des laquoTEC21raquo das Ressort laquoEnergie und Umweltraquo

laquoDass ein hohes Umweltbewusstsein nicht marktfeindlich ist spuumlren

derzeit alle die gruumlne Immobilien entwerfen planen und bauenraquo

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Der Wasserkraft Sorge tragen

Welchen Beitrag kann die Wasserwirtschaft zur Energie-wende leisten Roger Pfammatter Die Wasserkraft ist der energie-politische Trumpf der Schweiz Wir befinden uns in der gluumlcklichen Lage uumlber grosse Mengen Wasser und das notwendige Gefaumllle zu verfuumlgen ndash das sind die beiden wichtigsten Voraussetzungen fuumlr die hydroelektrische Produktion Und wir haben in den vergangenen 100 Jah-ren gelernt dieses Potenzial effizient und moumlglichst um-weltschonend zu nutzen Die Wasserkraft ist der Schluumls-sel fuumlr eine nachhaltige Energieversorgung technisch ausgereift politisch erwuumlnscht einheimisch erneuerbar und CO2-frei

Wie viel mehr ist moumlglichHeute leistet die Wasserkraft nicht nur rund 60 Prozent der Stromproduktion in der Schweiz sondern bietet auch unverzichtbare Regel- und Systemdienstleistungen die markant an Bedeutung gewinnen werden Vor allem bei der Flexibilisierung der Wasserkraft durch mehr Leistung und Speichervolumen waumlre noch einiges moumlglich Um die Aufgaben weiterhin zu gewaumlhrleisten muumlssen wir aber primaumlr dem Bestehenden Sorge tragen

Die Energiestrategie des Bundes gibt aber klare Ausbau-ziele vor Bis 2035 soll die Stromproduktion aus Wasser-kraft um 10 Prozent steigenUnter den momentanen Rahmenbedingungen ist dieses Ausbauziel nicht realistisch Im Gegenteil Aufgrund der Restwasserbestimmungen wird die Produktion in den naumlchsten Jahren vermutlich sogar zuruumlckgehen

Die Wasserkraft ist der wichtigste Pfeiler der Schweizer Ener-giewirtschaft ihr Potenzial ist aber weitgehend ausgeschoumlpft Roger Pfammatter Geschaumlftsfuumlhrer des Wasserwirtschaftsver-bands gibt im Interview Auskunft uumlber die Lage der Branche und ihre Bedeutung fuumlr die EnergiezukunftInterview Florian Wehrli

Expertensicht

Was muss sich aumlndern damit die vorgegebenen Ziele um-gesetzt werden koumlnnenZum einen braucht es dafuumlr die Akzeptanz der Umweltver-baumlnde der Fischer und letztlich der gesamten Bevoumllkerung Zum anderen muumlssen laumlngerfristig die extremen Marktver-zerrungen abgebaut werden damit sich auch Investitionen in die nicht gefoumlrderte Wasserkraft wieder lohnen Heute wird nur noch in subventionierte Anlagen investiert

Wer ist hier in der PflichtHier ist die Politik gefordert die Rahmenbedingungen zu verbessern Denn ohne die Wasserkraft kann die Energie-wende nicht gelingen

Anfang Jahr wurde der Wasserwirtschaftsverband von den zustaumlndigen Kommissionen angehoumlrt Welche Forderun-gen hat die Branche an das ParlamentWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerba-re Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichten die bereits bis zur Haumllfte der Geste-hungskosten ausmachen Damit sind wir doppelt diskrimi-niert Die Wasserkraft ist extrem unter Preisdruck ndash und dies obwohl sie mit Gestehungskosten zwischen 3 und 10 Rappen pro Kilowattstunde die effizienteste Strompro-duktionstechnologie ist Nur zum Vergleich Fotovoltaik -anlagen werden heute mit rund 40 Rappen subventioniert

Bis 2011 liess sich mit der Grosswasserkraft noch viel Geld verdienen Wurden zu wenige Ruumlcklagen fuumlr schlechte Zei-ten gebildet

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Es kann nicht der Sinn sein Ruumlcklagen fuumlr Zeiten zu bil-den in denen die Marktpreise die Gestehungskosten nicht mehr decken Das waumlre wie wenn ein Baumlcker auf jedem Gipfeli einige Rappen zuruumlckbehalten muumlsste damit er sie am naumlchsten Tag gratis abgeben kann Mit dem durch Subventionen verzerrten Marktpreis von 4 bis 5 Rappen pro Kilowattstunde ist unter den konventionellen Energie-traumlgern praktisch nur Kohle konkurrenzfaumlhig Das ist be-stimmt nicht im Sinn der Energiewende

Drei Grosswasserkraftprojekte sind heute bereits im Bau Koumlnnen die enormen Kosten uumlberhaupt amortisiert wer-denPrognosen sind schwierig An der europaumlischen Strom-boumlrse (EEX) werden bis 2020 Strompreise zwischen 45 und 53 Rappen pro Kilowattstunde gehandelt Der Markt glaubt also nicht an eine baldige Erholung Dafuumlr muumlsste das Uumlberangebot in Europa zuruumlckgehen etwa uumlber die Anhebung des CO2-Preises von heute 5 auf mindestens 30 Euro pro Tonne Politisch ist das aber kaum durchsetz-bar Neue Pumpspeicherwerke werden sich deshalb wohl erst in mehreren Jahrzehnten lohnen

Was kann die Kleinwasserkraft leistenOhne die kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) wuumlr-de niemand Kleinwasserkraftanlagen bauen genauso we-nig wie Fotovoltaik- Wind- oder Biomasseanlagen Zurzeit gibt es aber allein bei der Kleinwasserkraft rund 1 000 An-meldungen fuumlr Foumlrderbeitraumlge mit einem bescheidenen Ge-samtpotenzial von 33 Terawattstunden pro Jahr Die oumlko-logischen Auswirkungen sind im Vergleich zum Ertrag zu gross Obwohl wir von marktverzerrenden Foumlrderprogram-men wegkommen sollten waumlre es in einer Uumlbergangs phase sinnvoll die KEV-Obergrenze von 10 Mega watt aufzuheben und dort zu foumlrdern wo es wirklich etwas bringt

Wie soll die Grosswasserkraft unterstuumltzt werdenDas Sinnvollste waumlre die Abkehr von der Subventions-maschinerie ndash und zwar auf europaumlischer Ebene Dann wuumlrde sich die Wasserkraft als effiziente erneuerbare Stromproduktionsform mit Sicherheit durchsetzen Min-destens als Uumlbergangsloumlsung waumlre aber die Entlastung

von Abgaben in erster Linie vom Wasserzins dringend Der maximale Wasserzins wurde in den letzten vier Jahren um 38 Prozent erhoumlht und wird naumlchstes Jahr um weite-re 10 Prozent angehoben Diese Erhoumlhung wurde 2008 beschlossen und steht heute in keinerlei Bezug mehr zur Ertrags lage Kurzfristig koumlnnten die Kantone auf einen Teil dieser Zinsen verzichten ndash das waumlre ein wichtiges politi-sches Zeichen Langfristig muss ein neuer Modus fuumlr die Zinsberechnung gefunden werden der die Ertragslage der Wasserkraft mitberuumlcksichtigt Das ist auch im Interesse von Bund Kantonen und Gemeinden schliesslich ist die Wasserkraft zu 85 Prozent in oumlffentlicher Hand Ebenfalls als Uumlbergangsloumlsung bis zu besseren Marktpreisen waumlren zinsguumlnstige Darlehen fuumlr die noumltigen Investitionen in die Grosswasserkraft denkbar Ohne mindestens eine dieser Massnahmen kann die Wasserwirtschaft das geforderte Ausbauziel nicht erreichen

Bis dahin gibt es noch eine weitere Huumlrde den Heimfall der Stauanlagen an die Standortgemeinden Welchen Ein-fluss hat dieser UmstandWenn die Konzessionen nach 80 oder 100 Jahren aus-laufen muss der Betreiber der Gemeinde eine Entschaumldi-gung fuumlr den Restwert der Anlagen entrichten Im Fall der Staumauer Barberine bezahlen die SBB und Alpiq 2017 an sechs Walliser Gemeinden 343 Millionen Franken Das 400-Seelen-Dorf Finhaut erhaumllt alleine 112 Millionen Fran-ken und weiss kaum wohin mit dem Geld Der gesamte Wert des Heimfalls der Anlagen bewegt sich schweizweit im Milliardenbereich Der Houmlhepunkt des Heimfalls wird um 2035 erreicht werden Bis zu diesem Zeitpunkt soll aber auch ein Grossteil der geforderten Produktionsstei-gerung umgesetzt werden

Bei der Stromproduktion ist ein Ausbau von uumlber 10 Pro-zent wohl nicht realistisch Wie sieht es bei der Speicher-leistung aus Hier muss man unterscheiden zwischen kurzfristiger und saisonaler Speicherung Fuumlr die saisonale Speicherung verfuumlgt die Schweiz mit 200 Speicherseen uumlber ein Vo-lumen von rund 9 000 Gigawattstunden (GWh) die jedes Jahr vom Sommer in den Winter umgelagert werden Dies

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Expertensicht

entspricht einem Viertel der jaumlhrlichen Produktion aus Wasserkraft Das Ausbaupotenzial durch die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren betraumlgt rund 2 000 GWh Falls der Ausbau aber nicht gelingt entsteht im Winter durch den Ausfall der Kernenergie eine immer groumlssere Luumlcke an Bandenergie die durch den Import von Atom- oder Kohlestrom gedeckt werden muss

Wie sieht es beim Ausbau der Pumpleistung zum kurzfris-tigen Ausgleich von Schwankungen im Netz ausGrundsaumltzlich ist das Potenzial fuumlr Pumpspeicherwerke in der Schweiz riesig Es braucht nur zwei Seen auf unter-schiedlicher Houmlhe Die Frage ist ob sich solche Investi-tionen rechnen Die Pumpspeicherwerke finanzieren sich

uumlber den Preisunterschied zwischen Band- und Spitzen-energie Wenn an einem schoumlnen Sommertag in Europa mittags die geballte Ladung an Sonnen- und Windener-gie eingespeist wird koumlnnen die Pumpspeicherkraftwerke sehr guumlnstig oder sogar zu Negativpreisen Strom bezie-hen Man darf aber nicht vergessen dass dieselbe Situa-tion fuumlr die Laufwasserkraftwerke die rund die Haumllfte der Wasserkraftproduktion in der Schweiz ausmachen den gegenteiligen Effekt hat Diese koumlnnen aus technischen konzessionsrechtlichen oder oumlkologischen Gruumlnden nicht vom Netz genommen werden und muumlssen fuumlr ihre Strom-produktion bezahlen Das kann gehoumlrig ins Geld gehen An Weihnachten 2012 lag der Strompreis zum Beispiel bei minus 30 Rappen pro Kilowattstunde

Roger Pfammatter laquoWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerbare Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichtenraquo

Bild Florian Wehrli

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cherseen zur Flexibilisierung Damit das gelingt muss der Wert der Wasserkraft staumlrker im Bewusstsein der Bevoumllke-rung verankert sein Und nicht zuletzt muss der Marktpreis so weit uumlber den Gestehungskosten liegen dass sich In-vestitionen in die Wasserwirtschaft rentieren

Versuchen das Bestehende zu erhalten Diese Vision klingt etwas resigniertDas ist eine Frage der Perspektive Die Wasserkraft hat als Technologie in der Schweiz seit Langem Bestand Sie befindet sich in einer anderen Situation als Fotovoltaik und Windenergie die sich in einem hochdynamischen Umfeld mit grossem Potenzial in Forschung und Wachstum be-finden Die Wasserkraft ist dagegen nicht mehr in der Auf-bruchsphase sondern in der Konsolidierungsphase Da-fuumlr kann man sich auf die Wasserkraftwerke verlassen Sie produzieren bei Tag und in der Nacht im Sommer wie im Winter bei Windstille oder im Nebel Auch der Erhalt und die Optimierung des Bestehenden sind grosse Heraus-forderungen und bedingen grosse Investitionen

Sehen Sie eine Moumlglichkeit wie die Schweizer Wasser-wirtschaft in Zukunft Geld mit Systemdienstleistungen wie Netzstabilitaumlt verdienen kannDie unregelmaumlssig einspeisenden Stromproduzenten neh-men keinerlei Systemverantwortung wahr Ich habe selbst ein Solarpanel auf dem Dach Wenn Produktion moumlglich ist speise ich Strom ins Netz ein wenn nicht beziehe ich Die Produzenten mehr in die Verantwortung zu nehmen faumlnde ich sinnvoll ndash zum Beispiel uumlber Zertifikate fuumlr Spei-cherleistungen Diese koumlnnten bei Pumpspeicherwerken bezogen werden

Welcher Ausbau der Pumpspeicherleistung ist dafuumlr noumltigDie installierte Leistung betraumlgt heute rund 14 Gigawatt (GW) Mit den im Bau befindlichen und den geplanten An-lagen kann die Kapazitaumlt maximal auf 51 GW ausgebaut werden ndash etwa die Haumllfte der Jahreshoumlchstlast im Netz Damit die Schweizer Wasserkraft aber einen Beitrag zur Stabilitaumlt des europaumlischen Stromnetzes leisten kann muumlssten auch das Stauvolumen und die Leitungskapazi-taumlt erhoumlht werden Hier sind die Einsprachen von Anwoh-nern und Umweltverbaumlnden noch gravierender als bei den Anlagen selbst

Braucht es neue rechtliche Instrumente um den geplan-ten Ausbau durchsetzen zu koumlnnenEs braucht vor allem die Einsicht dass die Wasserkraft das Ruumlckgrat unserer Versorgungssicherheit ist und die Aus-wirkungen eines Ausbaus immer auch mit den Alternativen verglichen werden muumlssen Wir befinden uns aber auch in einem intensiv genutzten Land mit vielen Partikularinteres-sen Diese muumlssen gewichtet und abgewogen werden In der Abwaumlgung zwischen Landschaftsschutz und Wasser-nutzung waumlre es hilfreich wenn Grosswasserkraftanlagen den Status von nationalem Interesse erhalten

Wie soll die Schweizer Wasserwirtschaft im Jahr 2035 aussehenIch wuumlnsche mir dass die bestehende Infrastruktur auf dem heutigen Stand erhalten optimiert oumlkologisiert und im Idealfall etwas ausgebaut wird Dazu gehoumlren etwa die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren sowie neue Spei-

Roger PfammatterSeit seinem Ingenieurstudium an der ETH Zuumlrich hat er sich in ver-schiedenen Rollen dem Wasser verschrieben Nach sieben Lehr- und Wanderjahren in der Forschung und in der Entwicklungszusammen-arbeit war er zehn Jahre beim Ingenieurunternehmen Ernst Basler + Partner engagiert Seit 2010 ist er Geschaumlftsfuumlhrer des Schweizeri-schen Wasserwirtschaftsverbandes (SWV) und Herausgeber der Zeit-schrift laquoWasser Energie Luftraquo In diesen Funktionen setzt er sich ein fuumlr den Fachaustausch und gute Rahmenbedingungen in den Bereichen Wasserkraft und Hochwasserschutz

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Die globalen Energiemaumlrkte sind seit einigen Jahren stark in Bewegung Volatile Erdoumllpreise die Foumlrderung von un-konventionellen Gasvorkommen in grossem Stil die mas-sive Subventionierung von neuen erneuerbaren Energien in Deutschland der laquoarabische Fruumlhlingraquo und der Konflikt in der Ukraine hinterlassen Spuren Die Folge sind starke Verwerfungen an den Maumlrkten und fehlende Investitionssi-cherheit In diesem dynamischen und unsicheren Kontext will der Bund die bisherige Energiepolitik neu ausrichten ndash wahrlich eine Herkulesaufgabe Die Schweizer Wirtschaft verlangt dass der Bund bei der Neuausrichtung der Ener-giepolitik seinem in der Verfassung verankerten Auftrag nachkommt und sich fuumlr eine ausreichende sichere breit gefaumlcherte wirtschaftliche und umweltvertraumlgliche Ener-gieversorgung einsetzt Somit ist klar Die Energiestrate-gie 2050 muss in erheblichen Teilen optimiert und justiert werden Nur wenn vernetzt gedacht wird ist eine sichere Versorgung zu wettbewerbsfaumlhigen Preisen moumlglich

Prognosen klaffen weit auseinanderSeit Jahrzehnten bietet der Strommix aus Wasserkraft (knapp 60 Prozent) und Kernenergie (40 Prozent) Gewaumlhr fuumlr eine sichere klimafreundliche und wirtschaftliche Ener-gieversorgung Im Rahmen der Energiestrategie 2050 muss die Kernenergie langfristig ersetzt werden Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen zumal die Ziele des Bundes

Lebenselixier der Wirtschaft

Die Schweizer Wirtschaft ist auch in Zukunft auf eine sichere und wirtschaftliche Stromver-sorgung angewiesen Die Ener-giestrategie 2050 setzt stark auf Subventionen Dadurch entstehen Fehlanreize welche die Versorgungssicherheit ge-faumlhrdenText Kurt Lanz

Expertensicht

in Bezug auf das Potenzial der neuen erneuerbaren Ener-gien von Wunschdenken geleitet sind Die neuen erneuer-baren Energien werden sich langsamer entwickeln als an-gestrebt Der Bund rechnet mit rund 12 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2035 die Schweizer Wirtschaft mit 44 TWh Die vorsichtigeren Prognosen der Wirtschaft scheinen re-alistischer Dies zeigen exemplarisch die gescheiterten Geothermieprojekte in Basel und St Gallen Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Nachfrageprognosen Der Bund rechnet in seinen Szenarien mit einem Ruumlckgang des Stromverbrauchs pro Kopf von 16 Prozent zwischen 2000 und 2035 Die Schweizer Wirtschaft orientiert sich in ihren Szenarien am Verband Schweizerischer Elektrizitaumlts-unternehmen (VSE) der weiter mit einer steigenden Nach-frage rechnet Die Wirtschaft fordert von der Politik eine vernuumlnftige Planung aufgrund realistischer Schaumltzungen Die Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energiestrategie nicht gefaumlhrdet werden

Subventionen fuumlhren zu FehlanreizenDie Schweiz hat seit vielen Jahrzehnten erfolgreich die Wasserkraft vorangetrieben Aus politischen Gruumlnden wird nun die ndash unregelmaumlssige ndash Stromproduktion durch Sonnen- und Windenergie forciert Unsere sogenann-te kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) entspricht dem deutschen Foumlrdermodell Beide haben das gleiche Ziel Sie sollen erneuerbare Energien ausbauen indem sie neue Formen der Stromproduktion zur Marktreife brin-gen Weil das KEV-System die Sonnen- und Windenergie massiv foumlrdert kommt ein weiterer Ausbau der bewaumlhrten Wasserkraft nicht infrage Diese Entwicklung gefaumlhrdet die Versorgungssicherheit der Schweiz Auf den ersten Blick sinken zwar die Produktionskosten fuumlr Solarstrom gleich-zeitig steigen aber die Kosten fuumlr Speicherung und Inte-gration ins Netz spuumlrbar Auch ist der Ausbau von Solar- und Windenergie nur von beschraumlnktem Nutzen solange keine ausreichenden Speicherkapazitaumlten vorhanden sind Nur Preissignale koumlnnen das Investitionsverhalten von Stromproduzenten Netzbetreibern und Konsumen-ten sinnvoll lenken Subventionen sind zu beseitigen denn sie fuumlhren zu Fehlanreizen

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Alle Optionen offenhaltenOffenheit und Neugier gehoumlren zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft Kategorisches Abwehrverhalten und Denkverbote verhindern konstruktive Loumlsungsansaumltze und Innovation Eine sichere und kostenguumlnstige Strom-versorgung kann auch in Zukunft nur mit der notwendi-gen Offenheit gegenuumlber allen Technologien und Energie-

systemen garantiert werden Die Schweiz ist dank einer erfolgreichen Hochschulland-schaft und vielen Technolo-gieunternehmen gut geruumlstet Die verschiedenen Energie-systeme muumlssen faktenba-siert und ohne ideologische

Scheuklappen verglichen werden Nur so koumlnnen effizi-ente und umweltvertraumlgliche Loumlsungen gefunden werden Das heutige System der Foumlrderung der neuen erneuer-baren Energien ist durch ein marktorientiertes System ab-zuloumlsen Produzenten die nachfragegerecht einspeisen sollen eine houmlhere Verguumltung erhalten als andere Auch soll der Vorrang der Netzeinspeisung fuumlr subventionierte Energietraumlger aufgehoben werden

laquoDie Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit

des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energie strategie nicht

gefaumlhrdet werdenraquo

Schnellere Verfahren anstrebenGrundvoraussetzung fuumlr eine Neuausrichtung der Ener-giepolitik sind funktionierende Stromnetze Diese muumls-sen zwingend parallel zum Umbau der Stromproduktion weiterentwickelt werden Allein der noumltige Ausbau der Uumlbertragungsnetze belaumluft sich auf rund 1 000 Kilometer bis ins Jahr 2020 Erforderlich sind zudem Investitionen in alle Verteilernetzebenen Al-lerdings verzoumlgern komplizier-te Verfahren auf Kantons- und Bundesebene den Ausbau Ausserdem erwaumlchst praktisch jedem Projekt Widerstand von privater Seite was zu weiteren Verzoumlgerungen fuumlhrt Die Wirt-schaft fordert deshalb Bei Bewilligungen von Stromnetzen ist der Gang vors Bundesgericht nur noch bei Grundsatz-fragen moumlglich Umbauten sowie Spannungs- und Kapa-zitaumltserweiterungen koumlnnen ohne Planungsgenehmigung realisiert werden Ausserdem sind die Verfahren bei einer einzigen Leitbehoumlrde anzusiedeln

Spielfeld erweiternDie Schweiz ist seit jeher ein wichtiges Stromtransitland Schon seit den 90er-Jahren treibt die EU die Vereinheitli-chung des Binnenmarkts fuumlr Strom hin zu einem eigent-lichen EU-Strommarkt voran In der Schweiz erweist sich die gesetzliche Trennung von Grundversorgung und Markt diesbezuumlglich zunehmend als Hindernis Aus Sicht der Wirtschaft ist die vollstaumlndige Liberalisierung des Strom-markts eine zwingende Voraussetzung fuumlr eine erfolgrei-che energiepolitische Neuausrichtung

Eine Marktoumlffnung wuumlrde insbesondere auch den erneuer-baren Energien neue Chancen eroumlffnen und Zugang zu neuen Kunden gewaumlhren Von hoher Wichtigkeit ist auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU Je groumlsser der Anteil erneuerbarer Energien umso wichtiger ist die Einbettung in Europa denn Investitionen in Netze und Produktion koumlnnen in Koordination mit der EU wirkungsvoller und wahrscheinlich kostenguumlnstiger getaumltigt werden

Kurt LanzKurt Lanz ist Leiter Infrastruktur Energie und Umwelt sowie Geschaumlftsleitungsmitglied von economiesuisse dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft

Gut vernetzt ndash Vorschlaumlge der Schweizer Wirtschaftzur EnergiepolitikDie Publikation basiert auf der Grundlagenarbeit der breit abgestuumltz-ten Energiekommission von economiesuisse und macht konstruk-tive Vorschlaumlge fuumlr einen erfolgreichen energiepolitischen Weg der Schweiz Download unter wwweconomiesuissech

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

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Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

wwwsmlzhawch

Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 36: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

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Der Wasserkraft Sorge tragen

Welchen Beitrag kann die Wasserwirtschaft zur Energie-wende leisten Roger Pfammatter Die Wasserkraft ist der energie-politische Trumpf der Schweiz Wir befinden uns in der gluumlcklichen Lage uumlber grosse Mengen Wasser und das notwendige Gefaumllle zu verfuumlgen ndash das sind die beiden wichtigsten Voraussetzungen fuumlr die hydroelektrische Produktion Und wir haben in den vergangenen 100 Jah-ren gelernt dieses Potenzial effizient und moumlglichst um-weltschonend zu nutzen Die Wasserkraft ist der Schluumls-sel fuumlr eine nachhaltige Energieversorgung technisch ausgereift politisch erwuumlnscht einheimisch erneuerbar und CO2-frei

Wie viel mehr ist moumlglichHeute leistet die Wasserkraft nicht nur rund 60 Prozent der Stromproduktion in der Schweiz sondern bietet auch unverzichtbare Regel- und Systemdienstleistungen die markant an Bedeutung gewinnen werden Vor allem bei der Flexibilisierung der Wasserkraft durch mehr Leistung und Speichervolumen waumlre noch einiges moumlglich Um die Aufgaben weiterhin zu gewaumlhrleisten muumlssen wir aber primaumlr dem Bestehenden Sorge tragen

Die Energiestrategie des Bundes gibt aber klare Ausbau-ziele vor Bis 2035 soll die Stromproduktion aus Wasser-kraft um 10 Prozent steigenUnter den momentanen Rahmenbedingungen ist dieses Ausbauziel nicht realistisch Im Gegenteil Aufgrund der Restwasserbestimmungen wird die Produktion in den naumlchsten Jahren vermutlich sogar zuruumlckgehen

Die Wasserkraft ist der wichtigste Pfeiler der Schweizer Ener-giewirtschaft ihr Potenzial ist aber weitgehend ausgeschoumlpft Roger Pfammatter Geschaumlftsfuumlhrer des Wasserwirtschaftsver-bands gibt im Interview Auskunft uumlber die Lage der Branche und ihre Bedeutung fuumlr die EnergiezukunftInterview Florian Wehrli

Expertensicht

Was muss sich aumlndern damit die vorgegebenen Ziele um-gesetzt werden koumlnnenZum einen braucht es dafuumlr die Akzeptanz der Umweltver-baumlnde der Fischer und letztlich der gesamten Bevoumllkerung Zum anderen muumlssen laumlngerfristig die extremen Marktver-zerrungen abgebaut werden damit sich auch Investitionen in die nicht gefoumlrderte Wasserkraft wieder lohnen Heute wird nur noch in subventionierte Anlagen investiert

Wer ist hier in der PflichtHier ist die Politik gefordert die Rahmenbedingungen zu verbessern Denn ohne die Wasserkraft kann die Energie-wende nicht gelingen

Anfang Jahr wurde der Wasserwirtschaftsverband von den zustaumlndigen Kommissionen angehoumlrt Welche Forderun-gen hat die Branche an das ParlamentWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerba-re Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichten die bereits bis zur Haumllfte der Geste-hungskosten ausmachen Damit sind wir doppelt diskrimi-niert Die Wasserkraft ist extrem unter Preisdruck ndash und dies obwohl sie mit Gestehungskosten zwischen 3 und 10 Rappen pro Kilowattstunde die effizienteste Strompro-duktionstechnologie ist Nur zum Vergleich Fotovoltaik -anlagen werden heute mit rund 40 Rappen subventioniert

Bis 2011 liess sich mit der Grosswasserkraft noch viel Geld verdienen Wurden zu wenige Ruumlcklagen fuumlr schlechte Zei-ten gebildet

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Es kann nicht der Sinn sein Ruumlcklagen fuumlr Zeiten zu bil-den in denen die Marktpreise die Gestehungskosten nicht mehr decken Das waumlre wie wenn ein Baumlcker auf jedem Gipfeli einige Rappen zuruumlckbehalten muumlsste damit er sie am naumlchsten Tag gratis abgeben kann Mit dem durch Subventionen verzerrten Marktpreis von 4 bis 5 Rappen pro Kilowattstunde ist unter den konventionellen Energie-traumlgern praktisch nur Kohle konkurrenzfaumlhig Das ist be-stimmt nicht im Sinn der Energiewende

Drei Grosswasserkraftprojekte sind heute bereits im Bau Koumlnnen die enormen Kosten uumlberhaupt amortisiert wer-denPrognosen sind schwierig An der europaumlischen Strom-boumlrse (EEX) werden bis 2020 Strompreise zwischen 45 und 53 Rappen pro Kilowattstunde gehandelt Der Markt glaubt also nicht an eine baldige Erholung Dafuumlr muumlsste das Uumlberangebot in Europa zuruumlckgehen etwa uumlber die Anhebung des CO2-Preises von heute 5 auf mindestens 30 Euro pro Tonne Politisch ist das aber kaum durchsetz-bar Neue Pumpspeicherwerke werden sich deshalb wohl erst in mehreren Jahrzehnten lohnen

Was kann die Kleinwasserkraft leistenOhne die kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) wuumlr-de niemand Kleinwasserkraftanlagen bauen genauso we-nig wie Fotovoltaik- Wind- oder Biomasseanlagen Zurzeit gibt es aber allein bei der Kleinwasserkraft rund 1 000 An-meldungen fuumlr Foumlrderbeitraumlge mit einem bescheidenen Ge-samtpotenzial von 33 Terawattstunden pro Jahr Die oumlko-logischen Auswirkungen sind im Vergleich zum Ertrag zu gross Obwohl wir von marktverzerrenden Foumlrderprogram-men wegkommen sollten waumlre es in einer Uumlbergangs phase sinnvoll die KEV-Obergrenze von 10 Mega watt aufzuheben und dort zu foumlrdern wo es wirklich etwas bringt

Wie soll die Grosswasserkraft unterstuumltzt werdenDas Sinnvollste waumlre die Abkehr von der Subventions-maschinerie ndash und zwar auf europaumlischer Ebene Dann wuumlrde sich die Wasserkraft als effiziente erneuerbare Stromproduktionsform mit Sicherheit durchsetzen Min-destens als Uumlbergangsloumlsung waumlre aber die Entlastung

von Abgaben in erster Linie vom Wasserzins dringend Der maximale Wasserzins wurde in den letzten vier Jahren um 38 Prozent erhoumlht und wird naumlchstes Jahr um weite-re 10 Prozent angehoben Diese Erhoumlhung wurde 2008 beschlossen und steht heute in keinerlei Bezug mehr zur Ertrags lage Kurzfristig koumlnnten die Kantone auf einen Teil dieser Zinsen verzichten ndash das waumlre ein wichtiges politi-sches Zeichen Langfristig muss ein neuer Modus fuumlr die Zinsberechnung gefunden werden der die Ertragslage der Wasserkraft mitberuumlcksichtigt Das ist auch im Interesse von Bund Kantonen und Gemeinden schliesslich ist die Wasserkraft zu 85 Prozent in oumlffentlicher Hand Ebenfalls als Uumlbergangsloumlsung bis zu besseren Marktpreisen waumlren zinsguumlnstige Darlehen fuumlr die noumltigen Investitionen in die Grosswasserkraft denkbar Ohne mindestens eine dieser Massnahmen kann die Wasserwirtschaft das geforderte Ausbauziel nicht erreichen

Bis dahin gibt es noch eine weitere Huumlrde den Heimfall der Stauanlagen an die Standortgemeinden Welchen Ein-fluss hat dieser UmstandWenn die Konzessionen nach 80 oder 100 Jahren aus-laufen muss der Betreiber der Gemeinde eine Entschaumldi-gung fuumlr den Restwert der Anlagen entrichten Im Fall der Staumauer Barberine bezahlen die SBB und Alpiq 2017 an sechs Walliser Gemeinden 343 Millionen Franken Das 400-Seelen-Dorf Finhaut erhaumllt alleine 112 Millionen Fran-ken und weiss kaum wohin mit dem Geld Der gesamte Wert des Heimfalls der Anlagen bewegt sich schweizweit im Milliardenbereich Der Houmlhepunkt des Heimfalls wird um 2035 erreicht werden Bis zu diesem Zeitpunkt soll aber auch ein Grossteil der geforderten Produktionsstei-gerung umgesetzt werden

Bei der Stromproduktion ist ein Ausbau von uumlber 10 Pro-zent wohl nicht realistisch Wie sieht es bei der Speicher-leistung aus Hier muss man unterscheiden zwischen kurzfristiger und saisonaler Speicherung Fuumlr die saisonale Speicherung verfuumlgt die Schweiz mit 200 Speicherseen uumlber ein Vo-lumen von rund 9 000 Gigawattstunden (GWh) die jedes Jahr vom Sommer in den Winter umgelagert werden Dies

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Expertensicht

entspricht einem Viertel der jaumlhrlichen Produktion aus Wasserkraft Das Ausbaupotenzial durch die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren betraumlgt rund 2 000 GWh Falls der Ausbau aber nicht gelingt entsteht im Winter durch den Ausfall der Kernenergie eine immer groumlssere Luumlcke an Bandenergie die durch den Import von Atom- oder Kohlestrom gedeckt werden muss

Wie sieht es beim Ausbau der Pumpleistung zum kurzfris-tigen Ausgleich von Schwankungen im Netz ausGrundsaumltzlich ist das Potenzial fuumlr Pumpspeicherwerke in der Schweiz riesig Es braucht nur zwei Seen auf unter-schiedlicher Houmlhe Die Frage ist ob sich solche Investi-tionen rechnen Die Pumpspeicherwerke finanzieren sich

uumlber den Preisunterschied zwischen Band- und Spitzen-energie Wenn an einem schoumlnen Sommertag in Europa mittags die geballte Ladung an Sonnen- und Windener-gie eingespeist wird koumlnnen die Pumpspeicherkraftwerke sehr guumlnstig oder sogar zu Negativpreisen Strom bezie-hen Man darf aber nicht vergessen dass dieselbe Situa-tion fuumlr die Laufwasserkraftwerke die rund die Haumllfte der Wasserkraftproduktion in der Schweiz ausmachen den gegenteiligen Effekt hat Diese koumlnnen aus technischen konzessionsrechtlichen oder oumlkologischen Gruumlnden nicht vom Netz genommen werden und muumlssen fuumlr ihre Strom-produktion bezahlen Das kann gehoumlrig ins Geld gehen An Weihnachten 2012 lag der Strompreis zum Beispiel bei minus 30 Rappen pro Kilowattstunde

Roger Pfammatter laquoWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerbare Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichtenraquo

Bild Florian Wehrli

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cherseen zur Flexibilisierung Damit das gelingt muss der Wert der Wasserkraft staumlrker im Bewusstsein der Bevoumllke-rung verankert sein Und nicht zuletzt muss der Marktpreis so weit uumlber den Gestehungskosten liegen dass sich In-vestitionen in die Wasserwirtschaft rentieren

Versuchen das Bestehende zu erhalten Diese Vision klingt etwas resigniertDas ist eine Frage der Perspektive Die Wasserkraft hat als Technologie in der Schweiz seit Langem Bestand Sie befindet sich in einer anderen Situation als Fotovoltaik und Windenergie die sich in einem hochdynamischen Umfeld mit grossem Potenzial in Forschung und Wachstum be-finden Die Wasserkraft ist dagegen nicht mehr in der Auf-bruchsphase sondern in der Konsolidierungsphase Da-fuumlr kann man sich auf die Wasserkraftwerke verlassen Sie produzieren bei Tag und in der Nacht im Sommer wie im Winter bei Windstille oder im Nebel Auch der Erhalt und die Optimierung des Bestehenden sind grosse Heraus-forderungen und bedingen grosse Investitionen

Sehen Sie eine Moumlglichkeit wie die Schweizer Wasser-wirtschaft in Zukunft Geld mit Systemdienstleistungen wie Netzstabilitaumlt verdienen kannDie unregelmaumlssig einspeisenden Stromproduzenten neh-men keinerlei Systemverantwortung wahr Ich habe selbst ein Solarpanel auf dem Dach Wenn Produktion moumlglich ist speise ich Strom ins Netz ein wenn nicht beziehe ich Die Produzenten mehr in die Verantwortung zu nehmen faumlnde ich sinnvoll ndash zum Beispiel uumlber Zertifikate fuumlr Spei-cherleistungen Diese koumlnnten bei Pumpspeicherwerken bezogen werden

Welcher Ausbau der Pumpspeicherleistung ist dafuumlr noumltigDie installierte Leistung betraumlgt heute rund 14 Gigawatt (GW) Mit den im Bau befindlichen und den geplanten An-lagen kann die Kapazitaumlt maximal auf 51 GW ausgebaut werden ndash etwa die Haumllfte der Jahreshoumlchstlast im Netz Damit die Schweizer Wasserkraft aber einen Beitrag zur Stabilitaumlt des europaumlischen Stromnetzes leisten kann muumlssten auch das Stauvolumen und die Leitungskapazi-taumlt erhoumlht werden Hier sind die Einsprachen von Anwoh-nern und Umweltverbaumlnden noch gravierender als bei den Anlagen selbst

Braucht es neue rechtliche Instrumente um den geplan-ten Ausbau durchsetzen zu koumlnnenEs braucht vor allem die Einsicht dass die Wasserkraft das Ruumlckgrat unserer Versorgungssicherheit ist und die Aus-wirkungen eines Ausbaus immer auch mit den Alternativen verglichen werden muumlssen Wir befinden uns aber auch in einem intensiv genutzten Land mit vielen Partikularinteres-sen Diese muumlssen gewichtet und abgewogen werden In der Abwaumlgung zwischen Landschaftsschutz und Wasser-nutzung waumlre es hilfreich wenn Grosswasserkraftanlagen den Status von nationalem Interesse erhalten

Wie soll die Schweizer Wasserwirtschaft im Jahr 2035 aussehenIch wuumlnsche mir dass die bestehende Infrastruktur auf dem heutigen Stand erhalten optimiert oumlkologisiert und im Idealfall etwas ausgebaut wird Dazu gehoumlren etwa die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren sowie neue Spei-

Roger PfammatterSeit seinem Ingenieurstudium an der ETH Zuumlrich hat er sich in ver-schiedenen Rollen dem Wasser verschrieben Nach sieben Lehr- und Wanderjahren in der Forschung und in der Entwicklungszusammen-arbeit war er zehn Jahre beim Ingenieurunternehmen Ernst Basler + Partner engagiert Seit 2010 ist er Geschaumlftsfuumlhrer des Schweizeri-schen Wasserwirtschaftsverbandes (SWV) und Herausgeber der Zeit-schrift laquoWasser Energie Luftraquo In diesen Funktionen setzt er sich ein fuumlr den Fachaustausch und gute Rahmenbedingungen in den Bereichen Wasserkraft und Hochwasserschutz

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Die globalen Energiemaumlrkte sind seit einigen Jahren stark in Bewegung Volatile Erdoumllpreise die Foumlrderung von un-konventionellen Gasvorkommen in grossem Stil die mas-sive Subventionierung von neuen erneuerbaren Energien in Deutschland der laquoarabische Fruumlhlingraquo und der Konflikt in der Ukraine hinterlassen Spuren Die Folge sind starke Verwerfungen an den Maumlrkten und fehlende Investitionssi-cherheit In diesem dynamischen und unsicheren Kontext will der Bund die bisherige Energiepolitik neu ausrichten ndash wahrlich eine Herkulesaufgabe Die Schweizer Wirtschaft verlangt dass der Bund bei der Neuausrichtung der Ener-giepolitik seinem in der Verfassung verankerten Auftrag nachkommt und sich fuumlr eine ausreichende sichere breit gefaumlcherte wirtschaftliche und umweltvertraumlgliche Ener-gieversorgung einsetzt Somit ist klar Die Energiestrate-gie 2050 muss in erheblichen Teilen optimiert und justiert werden Nur wenn vernetzt gedacht wird ist eine sichere Versorgung zu wettbewerbsfaumlhigen Preisen moumlglich

Prognosen klaffen weit auseinanderSeit Jahrzehnten bietet der Strommix aus Wasserkraft (knapp 60 Prozent) und Kernenergie (40 Prozent) Gewaumlhr fuumlr eine sichere klimafreundliche und wirtschaftliche Ener-gieversorgung Im Rahmen der Energiestrategie 2050 muss die Kernenergie langfristig ersetzt werden Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen zumal die Ziele des Bundes

Lebenselixier der Wirtschaft

Die Schweizer Wirtschaft ist auch in Zukunft auf eine sichere und wirtschaftliche Stromver-sorgung angewiesen Die Ener-giestrategie 2050 setzt stark auf Subventionen Dadurch entstehen Fehlanreize welche die Versorgungssicherheit ge-faumlhrdenText Kurt Lanz

Expertensicht

in Bezug auf das Potenzial der neuen erneuerbaren Ener-gien von Wunschdenken geleitet sind Die neuen erneuer-baren Energien werden sich langsamer entwickeln als an-gestrebt Der Bund rechnet mit rund 12 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2035 die Schweizer Wirtschaft mit 44 TWh Die vorsichtigeren Prognosen der Wirtschaft scheinen re-alistischer Dies zeigen exemplarisch die gescheiterten Geothermieprojekte in Basel und St Gallen Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Nachfrageprognosen Der Bund rechnet in seinen Szenarien mit einem Ruumlckgang des Stromverbrauchs pro Kopf von 16 Prozent zwischen 2000 und 2035 Die Schweizer Wirtschaft orientiert sich in ihren Szenarien am Verband Schweizerischer Elektrizitaumlts-unternehmen (VSE) der weiter mit einer steigenden Nach-frage rechnet Die Wirtschaft fordert von der Politik eine vernuumlnftige Planung aufgrund realistischer Schaumltzungen Die Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energiestrategie nicht gefaumlhrdet werden

Subventionen fuumlhren zu FehlanreizenDie Schweiz hat seit vielen Jahrzehnten erfolgreich die Wasserkraft vorangetrieben Aus politischen Gruumlnden wird nun die ndash unregelmaumlssige ndash Stromproduktion durch Sonnen- und Windenergie forciert Unsere sogenann-te kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) entspricht dem deutschen Foumlrdermodell Beide haben das gleiche Ziel Sie sollen erneuerbare Energien ausbauen indem sie neue Formen der Stromproduktion zur Marktreife brin-gen Weil das KEV-System die Sonnen- und Windenergie massiv foumlrdert kommt ein weiterer Ausbau der bewaumlhrten Wasserkraft nicht infrage Diese Entwicklung gefaumlhrdet die Versorgungssicherheit der Schweiz Auf den ersten Blick sinken zwar die Produktionskosten fuumlr Solarstrom gleich-zeitig steigen aber die Kosten fuumlr Speicherung und Inte-gration ins Netz spuumlrbar Auch ist der Ausbau von Solar- und Windenergie nur von beschraumlnktem Nutzen solange keine ausreichenden Speicherkapazitaumlten vorhanden sind Nur Preissignale koumlnnen das Investitionsverhalten von Stromproduzenten Netzbetreibern und Konsumen-ten sinnvoll lenken Subventionen sind zu beseitigen denn sie fuumlhren zu Fehlanreizen

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Alle Optionen offenhaltenOffenheit und Neugier gehoumlren zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft Kategorisches Abwehrverhalten und Denkverbote verhindern konstruktive Loumlsungsansaumltze und Innovation Eine sichere und kostenguumlnstige Strom-versorgung kann auch in Zukunft nur mit der notwendi-gen Offenheit gegenuumlber allen Technologien und Energie-

systemen garantiert werden Die Schweiz ist dank einer erfolgreichen Hochschulland-schaft und vielen Technolo-gieunternehmen gut geruumlstet Die verschiedenen Energie-systeme muumlssen faktenba-siert und ohne ideologische

Scheuklappen verglichen werden Nur so koumlnnen effizi-ente und umweltvertraumlgliche Loumlsungen gefunden werden Das heutige System der Foumlrderung der neuen erneuer-baren Energien ist durch ein marktorientiertes System ab-zuloumlsen Produzenten die nachfragegerecht einspeisen sollen eine houmlhere Verguumltung erhalten als andere Auch soll der Vorrang der Netzeinspeisung fuumlr subventionierte Energietraumlger aufgehoben werden

laquoDie Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit

des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energie strategie nicht

gefaumlhrdet werdenraquo

Schnellere Verfahren anstrebenGrundvoraussetzung fuumlr eine Neuausrichtung der Ener-giepolitik sind funktionierende Stromnetze Diese muumls-sen zwingend parallel zum Umbau der Stromproduktion weiterentwickelt werden Allein der noumltige Ausbau der Uumlbertragungsnetze belaumluft sich auf rund 1 000 Kilometer bis ins Jahr 2020 Erforderlich sind zudem Investitionen in alle Verteilernetzebenen Al-lerdings verzoumlgern komplizier-te Verfahren auf Kantons- und Bundesebene den Ausbau Ausserdem erwaumlchst praktisch jedem Projekt Widerstand von privater Seite was zu weiteren Verzoumlgerungen fuumlhrt Die Wirt-schaft fordert deshalb Bei Bewilligungen von Stromnetzen ist der Gang vors Bundesgericht nur noch bei Grundsatz-fragen moumlglich Umbauten sowie Spannungs- und Kapa-zitaumltserweiterungen koumlnnen ohne Planungsgenehmigung realisiert werden Ausserdem sind die Verfahren bei einer einzigen Leitbehoumlrde anzusiedeln

Spielfeld erweiternDie Schweiz ist seit jeher ein wichtiges Stromtransitland Schon seit den 90er-Jahren treibt die EU die Vereinheitli-chung des Binnenmarkts fuumlr Strom hin zu einem eigent-lichen EU-Strommarkt voran In der Schweiz erweist sich die gesetzliche Trennung von Grundversorgung und Markt diesbezuumlglich zunehmend als Hindernis Aus Sicht der Wirtschaft ist die vollstaumlndige Liberalisierung des Strom-markts eine zwingende Voraussetzung fuumlr eine erfolgrei-che energiepolitische Neuausrichtung

Eine Marktoumlffnung wuumlrde insbesondere auch den erneuer-baren Energien neue Chancen eroumlffnen und Zugang zu neuen Kunden gewaumlhren Von hoher Wichtigkeit ist auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU Je groumlsser der Anteil erneuerbarer Energien umso wichtiger ist die Einbettung in Europa denn Investitionen in Netze und Produktion koumlnnen in Koordination mit der EU wirkungsvoller und wahrscheinlich kostenguumlnstiger getaumltigt werden

Kurt LanzKurt Lanz ist Leiter Infrastruktur Energie und Umwelt sowie Geschaumlftsleitungsmitglied von economiesuisse dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft

Gut vernetzt ndash Vorschlaumlge der Schweizer Wirtschaftzur EnergiepolitikDie Publikation basiert auf der Grundlagenarbeit der breit abgestuumltz-ten Energiekommission von economiesuisse und macht konstruk-tive Vorschlaumlge fuumlr einen erfolgreichen energiepolitischen Weg der Schweiz Download unter wwweconomiesuissech

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

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Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

wwwsmlzhawch

Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 37: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

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Es kann nicht der Sinn sein Ruumlcklagen fuumlr Zeiten zu bil-den in denen die Marktpreise die Gestehungskosten nicht mehr decken Das waumlre wie wenn ein Baumlcker auf jedem Gipfeli einige Rappen zuruumlckbehalten muumlsste damit er sie am naumlchsten Tag gratis abgeben kann Mit dem durch Subventionen verzerrten Marktpreis von 4 bis 5 Rappen pro Kilowattstunde ist unter den konventionellen Energie-traumlgern praktisch nur Kohle konkurrenzfaumlhig Das ist be-stimmt nicht im Sinn der Energiewende

Drei Grosswasserkraftprojekte sind heute bereits im Bau Koumlnnen die enormen Kosten uumlberhaupt amortisiert wer-denPrognosen sind schwierig An der europaumlischen Strom-boumlrse (EEX) werden bis 2020 Strompreise zwischen 45 und 53 Rappen pro Kilowattstunde gehandelt Der Markt glaubt also nicht an eine baldige Erholung Dafuumlr muumlsste das Uumlberangebot in Europa zuruumlckgehen etwa uumlber die Anhebung des CO2-Preises von heute 5 auf mindestens 30 Euro pro Tonne Politisch ist das aber kaum durchsetz-bar Neue Pumpspeicherwerke werden sich deshalb wohl erst in mehreren Jahrzehnten lohnen

Was kann die Kleinwasserkraft leistenOhne die kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) wuumlr-de niemand Kleinwasserkraftanlagen bauen genauso we-nig wie Fotovoltaik- Wind- oder Biomasseanlagen Zurzeit gibt es aber allein bei der Kleinwasserkraft rund 1 000 An-meldungen fuumlr Foumlrderbeitraumlge mit einem bescheidenen Ge-samtpotenzial von 33 Terawattstunden pro Jahr Die oumlko-logischen Auswirkungen sind im Vergleich zum Ertrag zu gross Obwohl wir von marktverzerrenden Foumlrderprogram-men wegkommen sollten waumlre es in einer Uumlbergangs phase sinnvoll die KEV-Obergrenze von 10 Mega watt aufzuheben und dort zu foumlrdern wo es wirklich etwas bringt

Wie soll die Grosswasserkraft unterstuumltzt werdenDas Sinnvollste waumlre die Abkehr von der Subventions-maschinerie ndash und zwar auf europaumlischer Ebene Dann wuumlrde sich die Wasserkraft als effiziente erneuerbare Stromproduktionsform mit Sicherheit durchsetzen Min-destens als Uumlbergangsloumlsung waumlre aber die Entlastung

von Abgaben in erster Linie vom Wasserzins dringend Der maximale Wasserzins wurde in den letzten vier Jahren um 38 Prozent erhoumlht und wird naumlchstes Jahr um weite-re 10 Prozent angehoben Diese Erhoumlhung wurde 2008 beschlossen und steht heute in keinerlei Bezug mehr zur Ertrags lage Kurzfristig koumlnnten die Kantone auf einen Teil dieser Zinsen verzichten ndash das waumlre ein wichtiges politi-sches Zeichen Langfristig muss ein neuer Modus fuumlr die Zinsberechnung gefunden werden der die Ertragslage der Wasserkraft mitberuumlcksichtigt Das ist auch im Interesse von Bund Kantonen und Gemeinden schliesslich ist die Wasserkraft zu 85 Prozent in oumlffentlicher Hand Ebenfalls als Uumlbergangsloumlsung bis zu besseren Marktpreisen waumlren zinsguumlnstige Darlehen fuumlr die noumltigen Investitionen in die Grosswasserkraft denkbar Ohne mindestens eine dieser Massnahmen kann die Wasserwirtschaft das geforderte Ausbauziel nicht erreichen

Bis dahin gibt es noch eine weitere Huumlrde den Heimfall der Stauanlagen an die Standortgemeinden Welchen Ein-fluss hat dieser UmstandWenn die Konzessionen nach 80 oder 100 Jahren aus-laufen muss der Betreiber der Gemeinde eine Entschaumldi-gung fuumlr den Restwert der Anlagen entrichten Im Fall der Staumauer Barberine bezahlen die SBB und Alpiq 2017 an sechs Walliser Gemeinden 343 Millionen Franken Das 400-Seelen-Dorf Finhaut erhaumllt alleine 112 Millionen Fran-ken und weiss kaum wohin mit dem Geld Der gesamte Wert des Heimfalls der Anlagen bewegt sich schweizweit im Milliardenbereich Der Houmlhepunkt des Heimfalls wird um 2035 erreicht werden Bis zu diesem Zeitpunkt soll aber auch ein Grossteil der geforderten Produktionsstei-gerung umgesetzt werden

Bei der Stromproduktion ist ein Ausbau von uumlber 10 Pro-zent wohl nicht realistisch Wie sieht es bei der Speicher-leistung aus Hier muss man unterscheiden zwischen kurzfristiger und saisonaler Speicherung Fuumlr die saisonale Speicherung verfuumlgt die Schweiz mit 200 Speicherseen uumlber ein Vo-lumen von rund 9 000 Gigawattstunden (GWh) die jedes Jahr vom Sommer in den Winter umgelagert werden Dies

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Expertensicht

entspricht einem Viertel der jaumlhrlichen Produktion aus Wasserkraft Das Ausbaupotenzial durch die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren betraumlgt rund 2 000 GWh Falls der Ausbau aber nicht gelingt entsteht im Winter durch den Ausfall der Kernenergie eine immer groumlssere Luumlcke an Bandenergie die durch den Import von Atom- oder Kohlestrom gedeckt werden muss

Wie sieht es beim Ausbau der Pumpleistung zum kurzfris-tigen Ausgleich von Schwankungen im Netz ausGrundsaumltzlich ist das Potenzial fuumlr Pumpspeicherwerke in der Schweiz riesig Es braucht nur zwei Seen auf unter-schiedlicher Houmlhe Die Frage ist ob sich solche Investi-tionen rechnen Die Pumpspeicherwerke finanzieren sich

uumlber den Preisunterschied zwischen Band- und Spitzen-energie Wenn an einem schoumlnen Sommertag in Europa mittags die geballte Ladung an Sonnen- und Windener-gie eingespeist wird koumlnnen die Pumpspeicherkraftwerke sehr guumlnstig oder sogar zu Negativpreisen Strom bezie-hen Man darf aber nicht vergessen dass dieselbe Situa-tion fuumlr die Laufwasserkraftwerke die rund die Haumllfte der Wasserkraftproduktion in der Schweiz ausmachen den gegenteiligen Effekt hat Diese koumlnnen aus technischen konzessionsrechtlichen oder oumlkologischen Gruumlnden nicht vom Netz genommen werden und muumlssen fuumlr ihre Strom-produktion bezahlen Das kann gehoumlrig ins Geld gehen An Weihnachten 2012 lag der Strompreis zum Beispiel bei minus 30 Rappen pro Kilowattstunde

Roger Pfammatter laquoWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerbare Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichtenraquo

Bild Florian Wehrli

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cherseen zur Flexibilisierung Damit das gelingt muss der Wert der Wasserkraft staumlrker im Bewusstsein der Bevoumllke-rung verankert sein Und nicht zuletzt muss der Marktpreis so weit uumlber den Gestehungskosten liegen dass sich In-vestitionen in die Wasserwirtschaft rentieren

Versuchen das Bestehende zu erhalten Diese Vision klingt etwas resigniertDas ist eine Frage der Perspektive Die Wasserkraft hat als Technologie in der Schweiz seit Langem Bestand Sie befindet sich in einer anderen Situation als Fotovoltaik und Windenergie die sich in einem hochdynamischen Umfeld mit grossem Potenzial in Forschung und Wachstum be-finden Die Wasserkraft ist dagegen nicht mehr in der Auf-bruchsphase sondern in der Konsolidierungsphase Da-fuumlr kann man sich auf die Wasserkraftwerke verlassen Sie produzieren bei Tag und in der Nacht im Sommer wie im Winter bei Windstille oder im Nebel Auch der Erhalt und die Optimierung des Bestehenden sind grosse Heraus-forderungen und bedingen grosse Investitionen

Sehen Sie eine Moumlglichkeit wie die Schweizer Wasser-wirtschaft in Zukunft Geld mit Systemdienstleistungen wie Netzstabilitaumlt verdienen kannDie unregelmaumlssig einspeisenden Stromproduzenten neh-men keinerlei Systemverantwortung wahr Ich habe selbst ein Solarpanel auf dem Dach Wenn Produktion moumlglich ist speise ich Strom ins Netz ein wenn nicht beziehe ich Die Produzenten mehr in die Verantwortung zu nehmen faumlnde ich sinnvoll ndash zum Beispiel uumlber Zertifikate fuumlr Spei-cherleistungen Diese koumlnnten bei Pumpspeicherwerken bezogen werden

Welcher Ausbau der Pumpspeicherleistung ist dafuumlr noumltigDie installierte Leistung betraumlgt heute rund 14 Gigawatt (GW) Mit den im Bau befindlichen und den geplanten An-lagen kann die Kapazitaumlt maximal auf 51 GW ausgebaut werden ndash etwa die Haumllfte der Jahreshoumlchstlast im Netz Damit die Schweizer Wasserkraft aber einen Beitrag zur Stabilitaumlt des europaumlischen Stromnetzes leisten kann muumlssten auch das Stauvolumen und die Leitungskapazi-taumlt erhoumlht werden Hier sind die Einsprachen von Anwoh-nern und Umweltverbaumlnden noch gravierender als bei den Anlagen selbst

Braucht es neue rechtliche Instrumente um den geplan-ten Ausbau durchsetzen zu koumlnnenEs braucht vor allem die Einsicht dass die Wasserkraft das Ruumlckgrat unserer Versorgungssicherheit ist und die Aus-wirkungen eines Ausbaus immer auch mit den Alternativen verglichen werden muumlssen Wir befinden uns aber auch in einem intensiv genutzten Land mit vielen Partikularinteres-sen Diese muumlssen gewichtet und abgewogen werden In der Abwaumlgung zwischen Landschaftsschutz und Wasser-nutzung waumlre es hilfreich wenn Grosswasserkraftanlagen den Status von nationalem Interesse erhalten

Wie soll die Schweizer Wasserwirtschaft im Jahr 2035 aussehenIch wuumlnsche mir dass die bestehende Infrastruktur auf dem heutigen Stand erhalten optimiert oumlkologisiert und im Idealfall etwas ausgebaut wird Dazu gehoumlren etwa die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren sowie neue Spei-

Roger PfammatterSeit seinem Ingenieurstudium an der ETH Zuumlrich hat er sich in ver-schiedenen Rollen dem Wasser verschrieben Nach sieben Lehr- und Wanderjahren in der Forschung und in der Entwicklungszusammen-arbeit war er zehn Jahre beim Ingenieurunternehmen Ernst Basler + Partner engagiert Seit 2010 ist er Geschaumlftsfuumlhrer des Schweizeri-schen Wasserwirtschaftsverbandes (SWV) und Herausgeber der Zeit-schrift laquoWasser Energie Luftraquo In diesen Funktionen setzt er sich ein fuumlr den Fachaustausch und gute Rahmenbedingungen in den Bereichen Wasserkraft und Hochwasserschutz

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Die globalen Energiemaumlrkte sind seit einigen Jahren stark in Bewegung Volatile Erdoumllpreise die Foumlrderung von un-konventionellen Gasvorkommen in grossem Stil die mas-sive Subventionierung von neuen erneuerbaren Energien in Deutschland der laquoarabische Fruumlhlingraquo und der Konflikt in der Ukraine hinterlassen Spuren Die Folge sind starke Verwerfungen an den Maumlrkten und fehlende Investitionssi-cherheit In diesem dynamischen und unsicheren Kontext will der Bund die bisherige Energiepolitik neu ausrichten ndash wahrlich eine Herkulesaufgabe Die Schweizer Wirtschaft verlangt dass der Bund bei der Neuausrichtung der Ener-giepolitik seinem in der Verfassung verankerten Auftrag nachkommt und sich fuumlr eine ausreichende sichere breit gefaumlcherte wirtschaftliche und umweltvertraumlgliche Ener-gieversorgung einsetzt Somit ist klar Die Energiestrate-gie 2050 muss in erheblichen Teilen optimiert und justiert werden Nur wenn vernetzt gedacht wird ist eine sichere Versorgung zu wettbewerbsfaumlhigen Preisen moumlglich

Prognosen klaffen weit auseinanderSeit Jahrzehnten bietet der Strommix aus Wasserkraft (knapp 60 Prozent) und Kernenergie (40 Prozent) Gewaumlhr fuumlr eine sichere klimafreundliche und wirtschaftliche Ener-gieversorgung Im Rahmen der Energiestrategie 2050 muss die Kernenergie langfristig ersetzt werden Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen zumal die Ziele des Bundes

Lebenselixier der Wirtschaft

Die Schweizer Wirtschaft ist auch in Zukunft auf eine sichere und wirtschaftliche Stromver-sorgung angewiesen Die Ener-giestrategie 2050 setzt stark auf Subventionen Dadurch entstehen Fehlanreize welche die Versorgungssicherheit ge-faumlhrdenText Kurt Lanz

Expertensicht

in Bezug auf das Potenzial der neuen erneuerbaren Ener-gien von Wunschdenken geleitet sind Die neuen erneuer-baren Energien werden sich langsamer entwickeln als an-gestrebt Der Bund rechnet mit rund 12 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2035 die Schweizer Wirtschaft mit 44 TWh Die vorsichtigeren Prognosen der Wirtschaft scheinen re-alistischer Dies zeigen exemplarisch die gescheiterten Geothermieprojekte in Basel und St Gallen Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Nachfrageprognosen Der Bund rechnet in seinen Szenarien mit einem Ruumlckgang des Stromverbrauchs pro Kopf von 16 Prozent zwischen 2000 und 2035 Die Schweizer Wirtschaft orientiert sich in ihren Szenarien am Verband Schweizerischer Elektrizitaumlts-unternehmen (VSE) der weiter mit einer steigenden Nach-frage rechnet Die Wirtschaft fordert von der Politik eine vernuumlnftige Planung aufgrund realistischer Schaumltzungen Die Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energiestrategie nicht gefaumlhrdet werden

Subventionen fuumlhren zu FehlanreizenDie Schweiz hat seit vielen Jahrzehnten erfolgreich die Wasserkraft vorangetrieben Aus politischen Gruumlnden wird nun die ndash unregelmaumlssige ndash Stromproduktion durch Sonnen- und Windenergie forciert Unsere sogenann-te kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) entspricht dem deutschen Foumlrdermodell Beide haben das gleiche Ziel Sie sollen erneuerbare Energien ausbauen indem sie neue Formen der Stromproduktion zur Marktreife brin-gen Weil das KEV-System die Sonnen- und Windenergie massiv foumlrdert kommt ein weiterer Ausbau der bewaumlhrten Wasserkraft nicht infrage Diese Entwicklung gefaumlhrdet die Versorgungssicherheit der Schweiz Auf den ersten Blick sinken zwar die Produktionskosten fuumlr Solarstrom gleich-zeitig steigen aber die Kosten fuumlr Speicherung und Inte-gration ins Netz spuumlrbar Auch ist der Ausbau von Solar- und Windenergie nur von beschraumlnktem Nutzen solange keine ausreichenden Speicherkapazitaumlten vorhanden sind Nur Preissignale koumlnnen das Investitionsverhalten von Stromproduzenten Netzbetreibern und Konsumen-ten sinnvoll lenken Subventionen sind zu beseitigen denn sie fuumlhren zu Fehlanreizen

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Alle Optionen offenhaltenOffenheit und Neugier gehoumlren zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft Kategorisches Abwehrverhalten und Denkverbote verhindern konstruktive Loumlsungsansaumltze und Innovation Eine sichere und kostenguumlnstige Strom-versorgung kann auch in Zukunft nur mit der notwendi-gen Offenheit gegenuumlber allen Technologien und Energie-

systemen garantiert werden Die Schweiz ist dank einer erfolgreichen Hochschulland-schaft und vielen Technolo-gieunternehmen gut geruumlstet Die verschiedenen Energie-systeme muumlssen faktenba-siert und ohne ideologische

Scheuklappen verglichen werden Nur so koumlnnen effizi-ente und umweltvertraumlgliche Loumlsungen gefunden werden Das heutige System der Foumlrderung der neuen erneuer-baren Energien ist durch ein marktorientiertes System ab-zuloumlsen Produzenten die nachfragegerecht einspeisen sollen eine houmlhere Verguumltung erhalten als andere Auch soll der Vorrang der Netzeinspeisung fuumlr subventionierte Energietraumlger aufgehoben werden

laquoDie Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit

des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energie strategie nicht

gefaumlhrdet werdenraquo

Schnellere Verfahren anstrebenGrundvoraussetzung fuumlr eine Neuausrichtung der Ener-giepolitik sind funktionierende Stromnetze Diese muumls-sen zwingend parallel zum Umbau der Stromproduktion weiterentwickelt werden Allein der noumltige Ausbau der Uumlbertragungsnetze belaumluft sich auf rund 1 000 Kilometer bis ins Jahr 2020 Erforderlich sind zudem Investitionen in alle Verteilernetzebenen Al-lerdings verzoumlgern komplizier-te Verfahren auf Kantons- und Bundesebene den Ausbau Ausserdem erwaumlchst praktisch jedem Projekt Widerstand von privater Seite was zu weiteren Verzoumlgerungen fuumlhrt Die Wirt-schaft fordert deshalb Bei Bewilligungen von Stromnetzen ist der Gang vors Bundesgericht nur noch bei Grundsatz-fragen moumlglich Umbauten sowie Spannungs- und Kapa-zitaumltserweiterungen koumlnnen ohne Planungsgenehmigung realisiert werden Ausserdem sind die Verfahren bei einer einzigen Leitbehoumlrde anzusiedeln

Spielfeld erweiternDie Schweiz ist seit jeher ein wichtiges Stromtransitland Schon seit den 90er-Jahren treibt die EU die Vereinheitli-chung des Binnenmarkts fuumlr Strom hin zu einem eigent-lichen EU-Strommarkt voran In der Schweiz erweist sich die gesetzliche Trennung von Grundversorgung und Markt diesbezuumlglich zunehmend als Hindernis Aus Sicht der Wirtschaft ist die vollstaumlndige Liberalisierung des Strom-markts eine zwingende Voraussetzung fuumlr eine erfolgrei-che energiepolitische Neuausrichtung

Eine Marktoumlffnung wuumlrde insbesondere auch den erneuer-baren Energien neue Chancen eroumlffnen und Zugang zu neuen Kunden gewaumlhren Von hoher Wichtigkeit ist auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU Je groumlsser der Anteil erneuerbarer Energien umso wichtiger ist die Einbettung in Europa denn Investitionen in Netze und Produktion koumlnnen in Koordination mit der EU wirkungsvoller und wahrscheinlich kostenguumlnstiger getaumltigt werden

Kurt LanzKurt Lanz ist Leiter Infrastruktur Energie und Umwelt sowie Geschaumlftsleitungsmitglied von economiesuisse dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft

Gut vernetzt ndash Vorschlaumlge der Schweizer Wirtschaftzur EnergiepolitikDie Publikation basiert auf der Grundlagenarbeit der breit abgestuumltz-ten Energiekommission von economiesuisse und macht konstruk-tive Vorschlaumlge fuumlr einen erfolgreichen energiepolitischen Weg der Schweiz Download unter wwweconomiesuissech

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

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Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

44 COMPETENCE | 2014

Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

45COMPETENCE | 2014

seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

wwwsmlzhawch

Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 38: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

38 COMPETENCE | 2014

Expertensicht

entspricht einem Viertel der jaumlhrlichen Produktion aus Wasserkraft Das Ausbaupotenzial durch die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren betraumlgt rund 2 000 GWh Falls der Ausbau aber nicht gelingt entsteht im Winter durch den Ausfall der Kernenergie eine immer groumlssere Luumlcke an Bandenergie die durch den Import von Atom- oder Kohlestrom gedeckt werden muss

Wie sieht es beim Ausbau der Pumpleistung zum kurzfris-tigen Ausgleich von Schwankungen im Netz ausGrundsaumltzlich ist das Potenzial fuumlr Pumpspeicherwerke in der Schweiz riesig Es braucht nur zwei Seen auf unter-schiedlicher Houmlhe Die Frage ist ob sich solche Investi-tionen rechnen Die Pumpspeicherwerke finanzieren sich

uumlber den Preisunterschied zwischen Band- und Spitzen-energie Wenn an einem schoumlnen Sommertag in Europa mittags die geballte Ladung an Sonnen- und Windener-gie eingespeist wird koumlnnen die Pumpspeicherkraftwerke sehr guumlnstig oder sogar zu Negativpreisen Strom bezie-hen Man darf aber nicht vergessen dass dieselbe Situa-tion fuumlr die Laufwasserkraftwerke die rund die Haumllfte der Wasserkraftproduktion in der Schweiz ausmachen den gegenteiligen Effekt hat Diese koumlnnen aus technischen konzessionsrechtlichen oder oumlkologischen Gruumlnden nicht vom Netz genommen werden und muumlssen fuumlr ihre Strom-produktion bezahlen Das kann gehoumlrig ins Geld gehen An Weihnachten 2012 lag der Strompreis zum Beispiel bei minus 30 Rappen pro Kilowattstunde

Roger Pfammatter laquoWir wollen gleich lange Spiesse Waumlhrend neue erneuerbare Energien mit Subventionen gefoumlrdert werden muss die Grosswasserkraft darauf verzichten und zusaumltzlich hohe Abgaben entrichtenraquo

Bild Florian Wehrli

39COMPETENCE | 2014

cherseen zur Flexibilisierung Damit das gelingt muss der Wert der Wasserkraft staumlrker im Bewusstsein der Bevoumllke-rung verankert sein Und nicht zuletzt muss der Marktpreis so weit uumlber den Gestehungskosten liegen dass sich In-vestitionen in die Wasserwirtschaft rentieren

Versuchen das Bestehende zu erhalten Diese Vision klingt etwas resigniertDas ist eine Frage der Perspektive Die Wasserkraft hat als Technologie in der Schweiz seit Langem Bestand Sie befindet sich in einer anderen Situation als Fotovoltaik und Windenergie die sich in einem hochdynamischen Umfeld mit grossem Potenzial in Forschung und Wachstum be-finden Die Wasserkraft ist dagegen nicht mehr in der Auf-bruchsphase sondern in der Konsolidierungsphase Da-fuumlr kann man sich auf die Wasserkraftwerke verlassen Sie produzieren bei Tag und in der Nacht im Sommer wie im Winter bei Windstille oder im Nebel Auch der Erhalt und die Optimierung des Bestehenden sind grosse Heraus-forderungen und bedingen grosse Investitionen

Sehen Sie eine Moumlglichkeit wie die Schweizer Wasser-wirtschaft in Zukunft Geld mit Systemdienstleistungen wie Netzstabilitaumlt verdienen kannDie unregelmaumlssig einspeisenden Stromproduzenten neh-men keinerlei Systemverantwortung wahr Ich habe selbst ein Solarpanel auf dem Dach Wenn Produktion moumlglich ist speise ich Strom ins Netz ein wenn nicht beziehe ich Die Produzenten mehr in die Verantwortung zu nehmen faumlnde ich sinnvoll ndash zum Beispiel uumlber Zertifikate fuumlr Spei-cherleistungen Diese koumlnnten bei Pumpspeicherwerken bezogen werden

Welcher Ausbau der Pumpspeicherleistung ist dafuumlr noumltigDie installierte Leistung betraumlgt heute rund 14 Gigawatt (GW) Mit den im Bau befindlichen und den geplanten An-lagen kann die Kapazitaumlt maximal auf 51 GW ausgebaut werden ndash etwa die Haumllfte der Jahreshoumlchstlast im Netz Damit die Schweizer Wasserkraft aber einen Beitrag zur Stabilitaumlt des europaumlischen Stromnetzes leisten kann muumlssten auch das Stauvolumen und die Leitungskapazi-taumlt erhoumlht werden Hier sind die Einsprachen von Anwoh-nern und Umweltverbaumlnden noch gravierender als bei den Anlagen selbst

Braucht es neue rechtliche Instrumente um den geplan-ten Ausbau durchsetzen zu koumlnnenEs braucht vor allem die Einsicht dass die Wasserkraft das Ruumlckgrat unserer Versorgungssicherheit ist und die Aus-wirkungen eines Ausbaus immer auch mit den Alternativen verglichen werden muumlssen Wir befinden uns aber auch in einem intensiv genutzten Land mit vielen Partikularinteres-sen Diese muumlssen gewichtet und abgewogen werden In der Abwaumlgung zwischen Landschaftsschutz und Wasser-nutzung waumlre es hilfreich wenn Grosswasserkraftanlagen den Status von nationalem Interesse erhalten

Wie soll die Schweizer Wasserwirtschaft im Jahr 2035 aussehenIch wuumlnsche mir dass die bestehende Infrastruktur auf dem heutigen Stand erhalten optimiert oumlkologisiert und im Idealfall etwas ausgebaut wird Dazu gehoumlren etwa die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren sowie neue Spei-

Roger PfammatterSeit seinem Ingenieurstudium an der ETH Zuumlrich hat er sich in ver-schiedenen Rollen dem Wasser verschrieben Nach sieben Lehr- und Wanderjahren in der Forschung und in der Entwicklungszusammen-arbeit war er zehn Jahre beim Ingenieurunternehmen Ernst Basler + Partner engagiert Seit 2010 ist er Geschaumlftsfuumlhrer des Schweizeri-schen Wasserwirtschaftsverbandes (SWV) und Herausgeber der Zeit-schrift laquoWasser Energie Luftraquo In diesen Funktionen setzt er sich ein fuumlr den Fachaustausch und gute Rahmenbedingungen in den Bereichen Wasserkraft und Hochwasserschutz

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Die globalen Energiemaumlrkte sind seit einigen Jahren stark in Bewegung Volatile Erdoumllpreise die Foumlrderung von un-konventionellen Gasvorkommen in grossem Stil die mas-sive Subventionierung von neuen erneuerbaren Energien in Deutschland der laquoarabische Fruumlhlingraquo und der Konflikt in der Ukraine hinterlassen Spuren Die Folge sind starke Verwerfungen an den Maumlrkten und fehlende Investitionssi-cherheit In diesem dynamischen und unsicheren Kontext will der Bund die bisherige Energiepolitik neu ausrichten ndash wahrlich eine Herkulesaufgabe Die Schweizer Wirtschaft verlangt dass der Bund bei der Neuausrichtung der Ener-giepolitik seinem in der Verfassung verankerten Auftrag nachkommt und sich fuumlr eine ausreichende sichere breit gefaumlcherte wirtschaftliche und umweltvertraumlgliche Ener-gieversorgung einsetzt Somit ist klar Die Energiestrate-gie 2050 muss in erheblichen Teilen optimiert und justiert werden Nur wenn vernetzt gedacht wird ist eine sichere Versorgung zu wettbewerbsfaumlhigen Preisen moumlglich

Prognosen klaffen weit auseinanderSeit Jahrzehnten bietet der Strommix aus Wasserkraft (knapp 60 Prozent) und Kernenergie (40 Prozent) Gewaumlhr fuumlr eine sichere klimafreundliche und wirtschaftliche Ener-gieversorgung Im Rahmen der Energiestrategie 2050 muss die Kernenergie langfristig ersetzt werden Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen zumal die Ziele des Bundes

Lebenselixier der Wirtschaft

Die Schweizer Wirtschaft ist auch in Zukunft auf eine sichere und wirtschaftliche Stromver-sorgung angewiesen Die Ener-giestrategie 2050 setzt stark auf Subventionen Dadurch entstehen Fehlanreize welche die Versorgungssicherheit ge-faumlhrdenText Kurt Lanz

Expertensicht

in Bezug auf das Potenzial der neuen erneuerbaren Ener-gien von Wunschdenken geleitet sind Die neuen erneuer-baren Energien werden sich langsamer entwickeln als an-gestrebt Der Bund rechnet mit rund 12 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2035 die Schweizer Wirtschaft mit 44 TWh Die vorsichtigeren Prognosen der Wirtschaft scheinen re-alistischer Dies zeigen exemplarisch die gescheiterten Geothermieprojekte in Basel und St Gallen Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Nachfrageprognosen Der Bund rechnet in seinen Szenarien mit einem Ruumlckgang des Stromverbrauchs pro Kopf von 16 Prozent zwischen 2000 und 2035 Die Schweizer Wirtschaft orientiert sich in ihren Szenarien am Verband Schweizerischer Elektrizitaumlts-unternehmen (VSE) der weiter mit einer steigenden Nach-frage rechnet Die Wirtschaft fordert von der Politik eine vernuumlnftige Planung aufgrund realistischer Schaumltzungen Die Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energiestrategie nicht gefaumlhrdet werden

Subventionen fuumlhren zu FehlanreizenDie Schweiz hat seit vielen Jahrzehnten erfolgreich die Wasserkraft vorangetrieben Aus politischen Gruumlnden wird nun die ndash unregelmaumlssige ndash Stromproduktion durch Sonnen- und Windenergie forciert Unsere sogenann-te kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) entspricht dem deutschen Foumlrdermodell Beide haben das gleiche Ziel Sie sollen erneuerbare Energien ausbauen indem sie neue Formen der Stromproduktion zur Marktreife brin-gen Weil das KEV-System die Sonnen- und Windenergie massiv foumlrdert kommt ein weiterer Ausbau der bewaumlhrten Wasserkraft nicht infrage Diese Entwicklung gefaumlhrdet die Versorgungssicherheit der Schweiz Auf den ersten Blick sinken zwar die Produktionskosten fuumlr Solarstrom gleich-zeitig steigen aber die Kosten fuumlr Speicherung und Inte-gration ins Netz spuumlrbar Auch ist der Ausbau von Solar- und Windenergie nur von beschraumlnktem Nutzen solange keine ausreichenden Speicherkapazitaumlten vorhanden sind Nur Preissignale koumlnnen das Investitionsverhalten von Stromproduzenten Netzbetreibern und Konsumen-ten sinnvoll lenken Subventionen sind zu beseitigen denn sie fuumlhren zu Fehlanreizen

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Alle Optionen offenhaltenOffenheit und Neugier gehoumlren zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft Kategorisches Abwehrverhalten und Denkverbote verhindern konstruktive Loumlsungsansaumltze und Innovation Eine sichere und kostenguumlnstige Strom-versorgung kann auch in Zukunft nur mit der notwendi-gen Offenheit gegenuumlber allen Technologien und Energie-

systemen garantiert werden Die Schweiz ist dank einer erfolgreichen Hochschulland-schaft und vielen Technolo-gieunternehmen gut geruumlstet Die verschiedenen Energie-systeme muumlssen faktenba-siert und ohne ideologische

Scheuklappen verglichen werden Nur so koumlnnen effizi-ente und umweltvertraumlgliche Loumlsungen gefunden werden Das heutige System der Foumlrderung der neuen erneuer-baren Energien ist durch ein marktorientiertes System ab-zuloumlsen Produzenten die nachfragegerecht einspeisen sollen eine houmlhere Verguumltung erhalten als andere Auch soll der Vorrang der Netzeinspeisung fuumlr subventionierte Energietraumlger aufgehoben werden

laquoDie Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit

des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energie strategie nicht

gefaumlhrdet werdenraquo

Schnellere Verfahren anstrebenGrundvoraussetzung fuumlr eine Neuausrichtung der Ener-giepolitik sind funktionierende Stromnetze Diese muumls-sen zwingend parallel zum Umbau der Stromproduktion weiterentwickelt werden Allein der noumltige Ausbau der Uumlbertragungsnetze belaumluft sich auf rund 1 000 Kilometer bis ins Jahr 2020 Erforderlich sind zudem Investitionen in alle Verteilernetzebenen Al-lerdings verzoumlgern komplizier-te Verfahren auf Kantons- und Bundesebene den Ausbau Ausserdem erwaumlchst praktisch jedem Projekt Widerstand von privater Seite was zu weiteren Verzoumlgerungen fuumlhrt Die Wirt-schaft fordert deshalb Bei Bewilligungen von Stromnetzen ist der Gang vors Bundesgericht nur noch bei Grundsatz-fragen moumlglich Umbauten sowie Spannungs- und Kapa-zitaumltserweiterungen koumlnnen ohne Planungsgenehmigung realisiert werden Ausserdem sind die Verfahren bei einer einzigen Leitbehoumlrde anzusiedeln

Spielfeld erweiternDie Schweiz ist seit jeher ein wichtiges Stromtransitland Schon seit den 90er-Jahren treibt die EU die Vereinheitli-chung des Binnenmarkts fuumlr Strom hin zu einem eigent-lichen EU-Strommarkt voran In der Schweiz erweist sich die gesetzliche Trennung von Grundversorgung und Markt diesbezuumlglich zunehmend als Hindernis Aus Sicht der Wirtschaft ist die vollstaumlndige Liberalisierung des Strom-markts eine zwingende Voraussetzung fuumlr eine erfolgrei-che energiepolitische Neuausrichtung

Eine Marktoumlffnung wuumlrde insbesondere auch den erneuer-baren Energien neue Chancen eroumlffnen und Zugang zu neuen Kunden gewaumlhren Von hoher Wichtigkeit ist auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU Je groumlsser der Anteil erneuerbarer Energien umso wichtiger ist die Einbettung in Europa denn Investitionen in Netze und Produktion koumlnnen in Koordination mit der EU wirkungsvoller und wahrscheinlich kostenguumlnstiger getaumltigt werden

Kurt LanzKurt Lanz ist Leiter Infrastruktur Energie und Umwelt sowie Geschaumlftsleitungsmitglied von economiesuisse dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft

Gut vernetzt ndash Vorschlaumlge der Schweizer Wirtschaftzur EnergiepolitikDie Publikation basiert auf der Grundlagenarbeit der breit abgestuumltz-ten Energiekommission von economiesuisse und macht konstruk-tive Vorschlaumlge fuumlr einen erfolgreichen energiepolitischen Weg der Schweiz Download unter wwweconomiesuissech

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

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Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

wwwsmlzhawch

Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 39: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

39COMPETENCE | 2014

cherseen zur Flexibilisierung Damit das gelingt muss der Wert der Wasserkraft staumlrker im Bewusstsein der Bevoumllke-rung verankert sein Und nicht zuletzt muss der Marktpreis so weit uumlber den Gestehungskosten liegen dass sich In-vestitionen in die Wasserwirtschaft rentieren

Versuchen das Bestehende zu erhalten Diese Vision klingt etwas resigniertDas ist eine Frage der Perspektive Die Wasserkraft hat als Technologie in der Schweiz seit Langem Bestand Sie befindet sich in einer anderen Situation als Fotovoltaik und Windenergie die sich in einem hochdynamischen Umfeld mit grossem Potenzial in Forschung und Wachstum be-finden Die Wasserkraft ist dagegen nicht mehr in der Auf-bruchsphase sondern in der Konsolidierungsphase Da-fuumlr kann man sich auf die Wasserkraftwerke verlassen Sie produzieren bei Tag und in der Nacht im Sommer wie im Winter bei Windstille oder im Nebel Auch der Erhalt und die Optimierung des Bestehenden sind grosse Heraus-forderungen und bedingen grosse Investitionen

Sehen Sie eine Moumlglichkeit wie die Schweizer Wasser-wirtschaft in Zukunft Geld mit Systemdienstleistungen wie Netzstabilitaumlt verdienen kannDie unregelmaumlssig einspeisenden Stromproduzenten neh-men keinerlei Systemverantwortung wahr Ich habe selbst ein Solarpanel auf dem Dach Wenn Produktion moumlglich ist speise ich Strom ins Netz ein wenn nicht beziehe ich Die Produzenten mehr in die Verantwortung zu nehmen faumlnde ich sinnvoll ndash zum Beispiel uumlber Zertifikate fuumlr Spei-cherleistungen Diese koumlnnten bei Pumpspeicherwerken bezogen werden

Welcher Ausbau der Pumpspeicherleistung ist dafuumlr noumltigDie installierte Leistung betraumlgt heute rund 14 Gigawatt (GW) Mit den im Bau befindlichen und den geplanten An-lagen kann die Kapazitaumlt maximal auf 51 GW ausgebaut werden ndash etwa die Haumllfte der Jahreshoumlchstlast im Netz Damit die Schweizer Wasserkraft aber einen Beitrag zur Stabilitaumlt des europaumlischen Stromnetzes leisten kann muumlssten auch das Stauvolumen und die Leitungskapazi-taumlt erhoumlht werden Hier sind die Einsprachen von Anwoh-nern und Umweltverbaumlnden noch gravierender als bei den Anlagen selbst

Braucht es neue rechtliche Instrumente um den geplan-ten Ausbau durchsetzen zu koumlnnenEs braucht vor allem die Einsicht dass die Wasserkraft das Ruumlckgrat unserer Versorgungssicherheit ist und die Aus-wirkungen eines Ausbaus immer auch mit den Alternativen verglichen werden muumlssen Wir befinden uns aber auch in einem intensiv genutzten Land mit vielen Partikularinteres-sen Diese muumlssen gewichtet und abgewogen werden In der Abwaumlgung zwischen Landschaftsschutz und Wasser-nutzung waumlre es hilfreich wenn Grosswasserkraftanlagen den Status von nationalem Interesse erhalten

Wie soll die Schweizer Wasserwirtschaft im Jahr 2035 aussehenIch wuumlnsche mir dass die bestehende Infrastruktur auf dem heutigen Stand erhalten optimiert oumlkologisiert und im Idealfall etwas ausgebaut wird Dazu gehoumlren etwa die Erhoumlhung von bestehenden Talsperren sowie neue Spei-

Roger PfammatterSeit seinem Ingenieurstudium an der ETH Zuumlrich hat er sich in ver-schiedenen Rollen dem Wasser verschrieben Nach sieben Lehr- und Wanderjahren in der Forschung und in der Entwicklungszusammen-arbeit war er zehn Jahre beim Ingenieurunternehmen Ernst Basler + Partner engagiert Seit 2010 ist er Geschaumlftsfuumlhrer des Schweizeri-schen Wasserwirtschaftsverbandes (SWV) und Herausgeber der Zeit-schrift laquoWasser Energie Luftraquo In diesen Funktionen setzt er sich ein fuumlr den Fachaustausch und gute Rahmenbedingungen in den Bereichen Wasserkraft und Hochwasserschutz

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Die globalen Energiemaumlrkte sind seit einigen Jahren stark in Bewegung Volatile Erdoumllpreise die Foumlrderung von un-konventionellen Gasvorkommen in grossem Stil die mas-sive Subventionierung von neuen erneuerbaren Energien in Deutschland der laquoarabische Fruumlhlingraquo und der Konflikt in der Ukraine hinterlassen Spuren Die Folge sind starke Verwerfungen an den Maumlrkten und fehlende Investitionssi-cherheit In diesem dynamischen und unsicheren Kontext will der Bund die bisherige Energiepolitik neu ausrichten ndash wahrlich eine Herkulesaufgabe Die Schweizer Wirtschaft verlangt dass der Bund bei der Neuausrichtung der Ener-giepolitik seinem in der Verfassung verankerten Auftrag nachkommt und sich fuumlr eine ausreichende sichere breit gefaumlcherte wirtschaftliche und umweltvertraumlgliche Ener-gieversorgung einsetzt Somit ist klar Die Energiestrate-gie 2050 muss in erheblichen Teilen optimiert und justiert werden Nur wenn vernetzt gedacht wird ist eine sichere Versorgung zu wettbewerbsfaumlhigen Preisen moumlglich

Prognosen klaffen weit auseinanderSeit Jahrzehnten bietet der Strommix aus Wasserkraft (knapp 60 Prozent) und Kernenergie (40 Prozent) Gewaumlhr fuumlr eine sichere klimafreundliche und wirtschaftliche Ener-gieversorgung Im Rahmen der Energiestrategie 2050 muss die Kernenergie langfristig ersetzt werden Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen zumal die Ziele des Bundes

Lebenselixier der Wirtschaft

Die Schweizer Wirtschaft ist auch in Zukunft auf eine sichere und wirtschaftliche Stromver-sorgung angewiesen Die Ener-giestrategie 2050 setzt stark auf Subventionen Dadurch entstehen Fehlanreize welche die Versorgungssicherheit ge-faumlhrdenText Kurt Lanz

Expertensicht

in Bezug auf das Potenzial der neuen erneuerbaren Ener-gien von Wunschdenken geleitet sind Die neuen erneuer-baren Energien werden sich langsamer entwickeln als an-gestrebt Der Bund rechnet mit rund 12 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2035 die Schweizer Wirtschaft mit 44 TWh Die vorsichtigeren Prognosen der Wirtschaft scheinen re-alistischer Dies zeigen exemplarisch die gescheiterten Geothermieprojekte in Basel und St Gallen Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Nachfrageprognosen Der Bund rechnet in seinen Szenarien mit einem Ruumlckgang des Stromverbrauchs pro Kopf von 16 Prozent zwischen 2000 und 2035 Die Schweizer Wirtschaft orientiert sich in ihren Szenarien am Verband Schweizerischer Elektrizitaumlts-unternehmen (VSE) der weiter mit einer steigenden Nach-frage rechnet Die Wirtschaft fordert von der Politik eine vernuumlnftige Planung aufgrund realistischer Schaumltzungen Die Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energiestrategie nicht gefaumlhrdet werden

Subventionen fuumlhren zu FehlanreizenDie Schweiz hat seit vielen Jahrzehnten erfolgreich die Wasserkraft vorangetrieben Aus politischen Gruumlnden wird nun die ndash unregelmaumlssige ndash Stromproduktion durch Sonnen- und Windenergie forciert Unsere sogenann-te kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) entspricht dem deutschen Foumlrdermodell Beide haben das gleiche Ziel Sie sollen erneuerbare Energien ausbauen indem sie neue Formen der Stromproduktion zur Marktreife brin-gen Weil das KEV-System die Sonnen- und Windenergie massiv foumlrdert kommt ein weiterer Ausbau der bewaumlhrten Wasserkraft nicht infrage Diese Entwicklung gefaumlhrdet die Versorgungssicherheit der Schweiz Auf den ersten Blick sinken zwar die Produktionskosten fuumlr Solarstrom gleich-zeitig steigen aber die Kosten fuumlr Speicherung und Inte-gration ins Netz spuumlrbar Auch ist der Ausbau von Solar- und Windenergie nur von beschraumlnktem Nutzen solange keine ausreichenden Speicherkapazitaumlten vorhanden sind Nur Preissignale koumlnnen das Investitionsverhalten von Stromproduzenten Netzbetreibern und Konsumen-ten sinnvoll lenken Subventionen sind zu beseitigen denn sie fuumlhren zu Fehlanreizen

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Alle Optionen offenhaltenOffenheit und Neugier gehoumlren zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft Kategorisches Abwehrverhalten und Denkverbote verhindern konstruktive Loumlsungsansaumltze und Innovation Eine sichere und kostenguumlnstige Strom-versorgung kann auch in Zukunft nur mit der notwendi-gen Offenheit gegenuumlber allen Technologien und Energie-

systemen garantiert werden Die Schweiz ist dank einer erfolgreichen Hochschulland-schaft und vielen Technolo-gieunternehmen gut geruumlstet Die verschiedenen Energie-systeme muumlssen faktenba-siert und ohne ideologische

Scheuklappen verglichen werden Nur so koumlnnen effizi-ente und umweltvertraumlgliche Loumlsungen gefunden werden Das heutige System der Foumlrderung der neuen erneuer-baren Energien ist durch ein marktorientiertes System ab-zuloumlsen Produzenten die nachfragegerecht einspeisen sollen eine houmlhere Verguumltung erhalten als andere Auch soll der Vorrang der Netzeinspeisung fuumlr subventionierte Energietraumlger aufgehoben werden

laquoDie Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit

des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energie strategie nicht

gefaumlhrdet werdenraquo

Schnellere Verfahren anstrebenGrundvoraussetzung fuumlr eine Neuausrichtung der Ener-giepolitik sind funktionierende Stromnetze Diese muumls-sen zwingend parallel zum Umbau der Stromproduktion weiterentwickelt werden Allein der noumltige Ausbau der Uumlbertragungsnetze belaumluft sich auf rund 1 000 Kilometer bis ins Jahr 2020 Erforderlich sind zudem Investitionen in alle Verteilernetzebenen Al-lerdings verzoumlgern komplizier-te Verfahren auf Kantons- und Bundesebene den Ausbau Ausserdem erwaumlchst praktisch jedem Projekt Widerstand von privater Seite was zu weiteren Verzoumlgerungen fuumlhrt Die Wirt-schaft fordert deshalb Bei Bewilligungen von Stromnetzen ist der Gang vors Bundesgericht nur noch bei Grundsatz-fragen moumlglich Umbauten sowie Spannungs- und Kapa-zitaumltserweiterungen koumlnnen ohne Planungsgenehmigung realisiert werden Ausserdem sind die Verfahren bei einer einzigen Leitbehoumlrde anzusiedeln

Spielfeld erweiternDie Schweiz ist seit jeher ein wichtiges Stromtransitland Schon seit den 90er-Jahren treibt die EU die Vereinheitli-chung des Binnenmarkts fuumlr Strom hin zu einem eigent-lichen EU-Strommarkt voran In der Schweiz erweist sich die gesetzliche Trennung von Grundversorgung und Markt diesbezuumlglich zunehmend als Hindernis Aus Sicht der Wirtschaft ist die vollstaumlndige Liberalisierung des Strom-markts eine zwingende Voraussetzung fuumlr eine erfolgrei-che energiepolitische Neuausrichtung

Eine Marktoumlffnung wuumlrde insbesondere auch den erneuer-baren Energien neue Chancen eroumlffnen und Zugang zu neuen Kunden gewaumlhren Von hoher Wichtigkeit ist auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU Je groumlsser der Anteil erneuerbarer Energien umso wichtiger ist die Einbettung in Europa denn Investitionen in Netze und Produktion koumlnnen in Koordination mit der EU wirkungsvoller und wahrscheinlich kostenguumlnstiger getaumltigt werden

Kurt LanzKurt Lanz ist Leiter Infrastruktur Energie und Umwelt sowie Geschaumlftsleitungsmitglied von economiesuisse dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft

Gut vernetzt ndash Vorschlaumlge der Schweizer Wirtschaftzur EnergiepolitikDie Publikation basiert auf der Grundlagenarbeit der breit abgestuumltz-ten Energiekommission von economiesuisse und macht konstruk-tive Vorschlaumlge fuumlr einen erfolgreichen energiepolitischen Weg der Schweiz Download unter wwweconomiesuissech

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

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Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

wwwsmlzhawch

Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 40: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

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Die globalen Energiemaumlrkte sind seit einigen Jahren stark in Bewegung Volatile Erdoumllpreise die Foumlrderung von un-konventionellen Gasvorkommen in grossem Stil die mas-sive Subventionierung von neuen erneuerbaren Energien in Deutschland der laquoarabische Fruumlhlingraquo und der Konflikt in der Ukraine hinterlassen Spuren Die Folge sind starke Verwerfungen an den Maumlrkten und fehlende Investitionssi-cherheit In diesem dynamischen und unsicheren Kontext will der Bund die bisherige Energiepolitik neu ausrichten ndash wahrlich eine Herkulesaufgabe Die Schweizer Wirtschaft verlangt dass der Bund bei der Neuausrichtung der Ener-giepolitik seinem in der Verfassung verankerten Auftrag nachkommt und sich fuumlr eine ausreichende sichere breit gefaumlcherte wirtschaftliche und umweltvertraumlgliche Ener-gieversorgung einsetzt Somit ist klar Die Energiestrate-gie 2050 muss in erheblichen Teilen optimiert und justiert werden Nur wenn vernetzt gedacht wird ist eine sichere Versorgung zu wettbewerbsfaumlhigen Preisen moumlglich

Prognosen klaffen weit auseinanderSeit Jahrzehnten bietet der Strommix aus Wasserkraft (knapp 60 Prozent) und Kernenergie (40 Prozent) Gewaumlhr fuumlr eine sichere klimafreundliche und wirtschaftliche Ener-gieversorgung Im Rahmen der Energiestrategie 2050 muss die Kernenergie langfristig ersetzt werden Das ist ein ehrgeiziges Unterfangen zumal die Ziele des Bundes

Lebenselixier der Wirtschaft

Die Schweizer Wirtschaft ist auch in Zukunft auf eine sichere und wirtschaftliche Stromver-sorgung angewiesen Die Ener-giestrategie 2050 setzt stark auf Subventionen Dadurch entstehen Fehlanreize welche die Versorgungssicherheit ge-faumlhrdenText Kurt Lanz

Expertensicht

in Bezug auf das Potenzial der neuen erneuerbaren Ener-gien von Wunschdenken geleitet sind Die neuen erneuer-baren Energien werden sich langsamer entwickeln als an-gestrebt Der Bund rechnet mit rund 12 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2035 die Schweizer Wirtschaft mit 44 TWh Die vorsichtigeren Prognosen der Wirtschaft scheinen re-alistischer Dies zeigen exemplarisch die gescheiterten Geothermieprojekte in Basel und St Gallen Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Nachfrageprognosen Der Bund rechnet in seinen Szenarien mit einem Ruumlckgang des Stromverbrauchs pro Kopf von 16 Prozent zwischen 2000 und 2035 Die Schweizer Wirtschaft orientiert sich in ihren Szenarien am Verband Schweizerischer Elektrizitaumlts-unternehmen (VSE) der weiter mit einer steigenden Nach-frage rechnet Die Wirtschaft fordert von der Politik eine vernuumlnftige Planung aufgrund realistischer Schaumltzungen Die Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energiestrategie nicht gefaumlhrdet werden

Subventionen fuumlhren zu FehlanreizenDie Schweiz hat seit vielen Jahrzehnten erfolgreich die Wasserkraft vorangetrieben Aus politischen Gruumlnden wird nun die ndash unregelmaumlssige ndash Stromproduktion durch Sonnen- und Windenergie forciert Unsere sogenann-te kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV) entspricht dem deutschen Foumlrdermodell Beide haben das gleiche Ziel Sie sollen erneuerbare Energien ausbauen indem sie neue Formen der Stromproduktion zur Marktreife brin-gen Weil das KEV-System die Sonnen- und Windenergie massiv foumlrdert kommt ein weiterer Ausbau der bewaumlhrten Wasserkraft nicht infrage Diese Entwicklung gefaumlhrdet die Versorgungssicherheit der Schweiz Auf den ersten Blick sinken zwar die Produktionskosten fuumlr Solarstrom gleich-zeitig steigen aber die Kosten fuumlr Speicherung und Inte-gration ins Netz spuumlrbar Auch ist der Ausbau von Solar- und Windenergie nur von beschraumlnktem Nutzen solange keine ausreichenden Speicherkapazitaumlten vorhanden sind Nur Preissignale koumlnnen das Investitionsverhalten von Stromproduzenten Netzbetreibern und Konsumen-ten sinnvoll lenken Subventionen sind zu beseitigen denn sie fuumlhren zu Fehlanreizen

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Alle Optionen offenhaltenOffenheit und Neugier gehoumlren zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft Kategorisches Abwehrverhalten und Denkverbote verhindern konstruktive Loumlsungsansaumltze und Innovation Eine sichere und kostenguumlnstige Strom-versorgung kann auch in Zukunft nur mit der notwendi-gen Offenheit gegenuumlber allen Technologien und Energie-

systemen garantiert werden Die Schweiz ist dank einer erfolgreichen Hochschulland-schaft und vielen Technolo-gieunternehmen gut geruumlstet Die verschiedenen Energie-systeme muumlssen faktenba-siert und ohne ideologische

Scheuklappen verglichen werden Nur so koumlnnen effizi-ente und umweltvertraumlgliche Loumlsungen gefunden werden Das heutige System der Foumlrderung der neuen erneuer-baren Energien ist durch ein marktorientiertes System ab-zuloumlsen Produzenten die nachfragegerecht einspeisen sollen eine houmlhere Verguumltung erhalten als andere Auch soll der Vorrang der Netzeinspeisung fuumlr subventionierte Energietraumlger aufgehoben werden

laquoDie Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit

des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energie strategie nicht

gefaumlhrdet werdenraquo

Schnellere Verfahren anstrebenGrundvoraussetzung fuumlr eine Neuausrichtung der Ener-giepolitik sind funktionierende Stromnetze Diese muumls-sen zwingend parallel zum Umbau der Stromproduktion weiterentwickelt werden Allein der noumltige Ausbau der Uumlbertragungsnetze belaumluft sich auf rund 1 000 Kilometer bis ins Jahr 2020 Erforderlich sind zudem Investitionen in alle Verteilernetzebenen Al-lerdings verzoumlgern komplizier-te Verfahren auf Kantons- und Bundesebene den Ausbau Ausserdem erwaumlchst praktisch jedem Projekt Widerstand von privater Seite was zu weiteren Verzoumlgerungen fuumlhrt Die Wirt-schaft fordert deshalb Bei Bewilligungen von Stromnetzen ist der Gang vors Bundesgericht nur noch bei Grundsatz-fragen moumlglich Umbauten sowie Spannungs- und Kapa-zitaumltserweiterungen koumlnnen ohne Planungsgenehmigung realisiert werden Ausserdem sind die Verfahren bei einer einzigen Leitbehoumlrde anzusiedeln

Spielfeld erweiternDie Schweiz ist seit jeher ein wichtiges Stromtransitland Schon seit den 90er-Jahren treibt die EU die Vereinheitli-chung des Binnenmarkts fuumlr Strom hin zu einem eigent-lichen EU-Strommarkt voran In der Schweiz erweist sich die gesetzliche Trennung von Grundversorgung und Markt diesbezuumlglich zunehmend als Hindernis Aus Sicht der Wirtschaft ist die vollstaumlndige Liberalisierung des Strom-markts eine zwingende Voraussetzung fuumlr eine erfolgrei-che energiepolitische Neuausrichtung

Eine Marktoumlffnung wuumlrde insbesondere auch den erneuer-baren Energien neue Chancen eroumlffnen und Zugang zu neuen Kunden gewaumlhren Von hoher Wichtigkeit ist auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU Je groumlsser der Anteil erneuerbarer Energien umso wichtiger ist die Einbettung in Europa denn Investitionen in Netze und Produktion koumlnnen in Koordination mit der EU wirkungsvoller und wahrscheinlich kostenguumlnstiger getaumltigt werden

Kurt LanzKurt Lanz ist Leiter Infrastruktur Energie und Umwelt sowie Geschaumlftsleitungsmitglied von economiesuisse dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft

Gut vernetzt ndash Vorschlaumlge der Schweizer Wirtschaftzur EnergiepolitikDie Publikation basiert auf der Grundlagenarbeit der breit abgestuumltz-ten Energiekommission von economiesuisse und macht konstruk-tive Vorschlaumlge fuumlr einen erfolgreichen energiepolitischen Weg der Schweiz Download unter wwweconomiesuissech

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

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Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

wwwsmlzhawch

Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 41: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

41COMPETENCE | 2014

Alle Optionen offenhaltenOffenheit und Neugier gehoumlren zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft Kategorisches Abwehrverhalten und Denkverbote verhindern konstruktive Loumlsungsansaumltze und Innovation Eine sichere und kostenguumlnstige Strom-versorgung kann auch in Zukunft nur mit der notwendi-gen Offenheit gegenuumlber allen Technologien und Energie-

systemen garantiert werden Die Schweiz ist dank einer erfolgreichen Hochschulland-schaft und vielen Technolo-gieunternehmen gut geruumlstet Die verschiedenen Energie-systeme muumlssen faktenba-siert und ohne ideologische

Scheuklappen verglichen werden Nur so koumlnnen effizi-ente und umweltvertraumlgliche Loumlsungen gefunden werden Das heutige System der Foumlrderung der neuen erneuer-baren Energien ist durch ein marktorientiertes System ab-zuloumlsen Produzenten die nachfragegerecht einspeisen sollen eine houmlhere Verguumltung erhalten als andere Auch soll der Vorrang der Netzeinspeisung fuumlr subventionierte Energietraumlger aufgehoben werden

laquoDie Versorgungssicherheit und die Konkurrenzfaumlhigkeit

des Standorts Schweiz duumlrfen durch die Energie strategie nicht

gefaumlhrdet werdenraquo

Schnellere Verfahren anstrebenGrundvoraussetzung fuumlr eine Neuausrichtung der Ener-giepolitik sind funktionierende Stromnetze Diese muumls-sen zwingend parallel zum Umbau der Stromproduktion weiterentwickelt werden Allein der noumltige Ausbau der Uumlbertragungsnetze belaumluft sich auf rund 1 000 Kilometer bis ins Jahr 2020 Erforderlich sind zudem Investitionen in alle Verteilernetzebenen Al-lerdings verzoumlgern komplizier-te Verfahren auf Kantons- und Bundesebene den Ausbau Ausserdem erwaumlchst praktisch jedem Projekt Widerstand von privater Seite was zu weiteren Verzoumlgerungen fuumlhrt Die Wirt-schaft fordert deshalb Bei Bewilligungen von Stromnetzen ist der Gang vors Bundesgericht nur noch bei Grundsatz-fragen moumlglich Umbauten sowie Spannungs- und Kapa-zitaumltserweiterungen koumlnnen ohne Planungsgenehmigung realisiert werden Ausserdem sind die Verfahren bei einer einzigen Leitbehoumlrde anzusiedeln

Spielfeld erweiternDie Schweiz ist seit jeher ein wichtiges Stromtransitland Schon seit den 90er-Jahren treibt die EU die Vereinheitli-chung des Binnenmarkts fuumlr Strom hin zu einem eigent-lichen EU-Strommarkt voran In der Schweiz erweist sich die gesetzliche Trennung von Grundversorgung und Markt diesbezuumlglich zunehmend als Hindernis Aus Sicht der Wirtschaft ist die vollstaumlndige Liberalisierung des Strom-markts eine zwingende Voraussetzung fuumlr eine erfolgrei-che energiepolitische Neuausrichtung

Eine Marktoumlffnung wuumlrde insbesondere auch den erneuer-baren Energien neue Chancen eroumlffnen und Zugang zu neuen Kunden gewaumlhren Von hoher Wichtigkeit ist auch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU Je groumlsser der Anteil erneuerbarer Energien umso wichtiger ist die Einbettung in Europa denn Investitionen in Netze und Produktion koumlnnen in Koordination mit der EU wirkungsvoller und wahrscheinlich kostenguumlnstiger getaumltigt werden

Kurt LanzKurt Lanz ist Leiter Infrastruktur Energie und Umwelt sowie Geschaumlftsleitungsmitglied von economiesuisse dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft

Gut vernetzt ndash Vorschlaumlge der Schweizer Wirtschaftzur EnergiepolitikDie Publikation basiert auf der Grundlagenarbeit der breit abgestuumltz-ten Energiekommission von economiesuisse und macht konstruk-tive Vorschlaumlge fuumlr einen erfolgreichen energiepolitischen Weg der Schweiz Download unter wwweconomiesuissech

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

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Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

wwwsmlzhawch

Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 42: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

Wie viel Trinkwasser verbrauchen die Winterthurerinnen und Winterthurer pro Tag

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Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

45COMPETENCE | 2014

seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

wwwsmlzhawch

Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 43: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

43COMPETENCE | 2014

Alumni-Perspektive

Als Banker Revisor und Controller suchte Rolf Umiker alle fuumlnf Jahre eine neue Herausforderung ndash bis er in der Energiebranche heimisch wurde Als Leiter Finanzen und Controlling der Axpo-Division Neue Energien leistet der Alumnus der ZHAW School of Management and Law heute einen wichtigen Beitrag zur Energie wendeText Florian Wehrli

pruumlfung und Medizinaltechnik landete er 2002 schliess-lich in der Energiebranche ndash als Leiter Controlling der neu gebildeten Axpo Holding AG in Baden Sein Know-how konnte Umiker bei der Konsolidierung der Nordostschwei-zerischen Kraftwerke AG der Centralschweizerischen Kraftwerke AG und der Elektrizitaumltsgesellschaft Laufen-

burg AG gut einsetzen laquoHier erstellte ich quasi auf der gruumlnen Wiese den ersten konsolidierten Abschluss der Axpo-Gruppe Das war eine sehr intensive und spannen-de Zeitraquo Als die Axpo 2005 die Studie laquoStromperspekti-ven 2020raquo veroumlffentlichte und daraufhin die Division Neue Energien gruumlndete sah Rolf Umiker die Chance auf einen Neuanfang innerhalb des Konzerns Er wurde in ein klei-nes Team von fuumlnf Personen berufen das die neue Divi-sion durch Akquisition anderer Firmen aufbauen sollte Als per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguuml-tung (KEV) eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr Vorsprung auf die Konkurrenz

Suche nach AlternativenDen Anfang der Uumlbernahmen bildete Kompogas die heu-te in 15 Vergaumlrungsanlagen pro Jahr rund 25 Gigawatt-stunden (GWh) Strom und 19 GWh Aumlquivalent in Biogas erzeugt Es folgten die Elaqua AG mit acht Kleinwasser-

Als Rolf Umiker seine Banklehre abschloss haumltte er wohl nicht gedacht dass einmal Investitionsantraumlge in zweistelli-ger Millionenhoumlhe auf seinem Schreibtisch landen wuumlrden Doch schon damals machte er sich weitsichtige Gedan-ken zu seiner beruflichen Zukunft Sein Vorgesetzter riet ihm Betriebsoumlkonomie an der Houmlheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule (HWV) zu studieren aus der die ZHAW School of Management and Law hervorgegangen ist laquoIch entschied mich fuumlr diese Ausbildung weil sie breiter ab-gestuumltzt ist als eine reine Bankausbildung und mir mehr Moumlglichkeiten botraquo erzaumlhlt Umiker Mit einem Abschluss in der Fachrichtung Marketing orientierte sich der damals 27-jaumlhrige Betriebswirt neu Fuumlnf Jahre lang arbeitete er bei der Revisionsgesellschaft Deloitte amp Touche und erhielt so uumlber das Bankgeschaumlft hinaus Einblicke in Branchen wie Rohstoffhandel Devisenbroking Anlagenbau Verpa-ckungssysteme oder Nutzfahrzeuge laquoDa ich nicht mein ganzes Leben lang Revisor bleiben wollte suchte ich nach der berufsbegleitenden Ausbildung zum Wirtschaftspruumlfer an der Kammerschule Zuumlrich eine Anstellung im Control-lingraquo erinnert sich Umiker laquoMeine Erfahrung und mein Wissen als Revisor ermoumlglichten mir die Position als Lei-ter Controlling beim damaligen Medizinaltechnik-Konzern Sulzer Medicaraquo

Vorsprung auf die EnergiewendeIm Bereich Finanzen und Controlling sieht Umiker den Vor-teil dass die Funktion relativ unabhaumlngig von der Branche ausgeuumlbt werden kann laquoNatuumlrlich muss man etwas von der Materie verstehen aber nicht in jener Tiefe wie die Fachkraumlfteraquo sagt Umiker Nach Bankwesen Wirtschafts-

Vom Zahlenjongleur zum Entscheidungstraumlger

laquoAls per 1 Januar 2009 die kostendeckende Einspeiseverguumltung

eingefuumlhrt wurde hatte die Axpo bereits rund ein Jahr

Vorsprung auf die Konkurrenzraquo

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

wwwsmlzhawch

Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 44: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

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Alumni-Perspektive

hen laquoNatuumlrlich gab es Plaumlne fuumlr ein Ersatz-AKW die aber nach dem Unfall in Fukushima aufgegeben werden muss-tenraquo sagt Umiker Auch fuumlr andere Grosskraftwerke sind die Rahmenbedingungen hierzulande schlecht laquoGas-kombikraftwerke sind derzeit nicht rentabel da 50 Prozent des CO2-Ausstosses in der Schweiz kompensiert werden muumlssen Kompensationsmoumlglichkeiten in dieser Groumlssen-ordnung sind aber hierzulande gar nicht vorhandenraquo

Instrumente aus der StudienzeitAls Leiter Finanzen und Controlling fuumlhrt Rolf Umiker zehn Personen die unter anderem bei Akquisitionen fuumlr Firmen-bewertungen Investitionsrechnung und Business Cases verantwortlich sind Als Mitglied der Divisionsleitung ist er nicht nur fuumlr Zahlen und Fakten zustaumlndig sondern auch

kraftwerken und einer Jahresproduktion von rund 30 GWh sowie die Tegra Holz amp Energie AG deren Holzkraftwerk jaumlhrlich rund 110 GWh Strom und rund 100 GWh Waumlrme produziert Eine Gigawattstunde versorgt rund 250 Haus-halte ein Jahr lang mit Strom laquoBei der Akquisition dieser Firmen konnte ich erneut viel Aufbauarbeit leistenraquo sagt Rolf Umiker laquoDas Spannende an den erneuerbaren Ener-gien ist dass der Aufbau noch lange nicht abgeschlossen istraquo Solar- und Windenergie in der Schweiz gehoumlren bis-her nicht zum Portfolio der Axpo-Division Neue Energien da Axpo in der Schweiz dafuumlr zu wenig Potenzial fuumlr einen Grosskonzern sieht laquoWir sind aber daran ein namhaftes Portfolio an Windkraftanlagen im Ausland aufzubauenraquo Die Axpo welche die groumlssten Anteile an den Schweizer Kernkraftwerken haumllt muss sich nach Alternativen umse-

Rolf Umiker laquoIn der Zeit als die grossen Kraftwerke gebaut wurden hat man die Kapazitaumlt um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit sie auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo

Bild zVg

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seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

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Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

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Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

wwwsmlzhawch

Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 45: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

45COMPETENCE | 2014

seine Arbeit deshalb auch die Befriedigung seinen Bei-trag fuumlr eine sichere Energiezukunft zu leisten Bei solch langfristigen Kalkulationen uumlberlegt sich Rolf Umiker ob er beim Abschluss gewisser Projekte uumlberhaupt noch bei der Axpo beschaumlftigt sein wird laquoWenn ich meinen bisherigen Werdegang betrachte habe ich im Schnitt alle fuumlnf Jahre

eine neue Herausforderung gesuchtraquo sagt er Heute habe sich das geaumlndert Der dyna-mische Geschaumlftsbereich und die zunehmende Internatio-nalisierung machen seine Tauml-tigkeit so abwechslungsreich

dass er keinen Grund fuumlr einen Wechsel sieht laquoJetzt bin ich schon seit acht Jahren bei der Axpo-Division Neue Ener-gien und es wird mir wohl auch in Zukunft nicht langweiligraquo

in die betriebswirtschaftliche Gesamtstrategie eingebun-den laquoBei Vertragsverhandlungen Kauf- und Verkaufsge-spraumlchen kommt mir meine Marketingvertiefung aus der HWV-Zeit immer noch zuguteraquo sagt Umiker laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenzsituatio-nen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studien-zeit kenneraquo Sein Team kalku-liert die Renditeerwartungen die es zu erfuumlllen gilt laquoDie Rendite ist von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab-haumlngig die immer ein Risiko bergen das wir abschaumltzen muumlssenraquo Bei der Kleinwas-serkraft ist die KEV beispielsweise fuumlr 25 Jahre garantiert Umiker und sein Team modellieren die langfristige Strom-preisentwicklung und versuchen den Marktpreis zum Ablauf der KEV zu antizipieren Verzoumlgert sich aber der Bau einer Anlage etwa durch Einsprachen geraumlt die Kos-tenrechnung aus dem Gleichgewicht laquoIn einem Fall hat-ten wir zum Beispiel bereits die Baubewilligung mussten das Projekt aber aufgeben weil wir es nicht gegen den starken Widerstand der lokalen Bevoumllkerung durchsetzen wolltenraquo Die Entwicklungskosten waren verloren laquoBei un-seren Kalkulationen berechnen wir aber ein dass nicht alle Projekte umsetzbar sindraquo so Umiker

Beitrag an die EnergiezukunftEs koumlnne schon etwas frustrierend sein wenn Einspra-chen Bewilligungsverfahren oder politische Prozesse Vorhaben um Jahre verzoumlgern oder die Zahlen in der Buchhaltung nicht so schwarz aussehen wie er es sich wuumlnscht Wenn dann der besagte Investitionsantrag uumlber 30 Millionen Franken auf seinem Schreibtisch liegt fallen ihm sein Beitrag zum Entscheid und die damit verbundene Mitverantwortung nicht leicht Dann denkt Rolf Umiker an die Zeit zuruumlck in der die grossen Kraftwerke und Strom-netze gebaut wurden laquoDamals hat man die Kapazitaumlt jen-seits von unmittelbaren wirtschaftlichen Uumlberlegungen um ein Vielfaches uumlberdimensioniert damit die Werke auch fuumlr kommende Generationen noch einen Nutzen habenraquo Als Vater von drei beinahe erwachsenen Kindern gibt ihm

Rolf UmikerRolf Umiker (48) ist seit 2006 Leiter Finanzen und Controlling IT und Dienste der Axpo Power AG Division Neue Energien 1993 hat er an der HWV ein Studium der Betriebsoumlkonomie mit Vertiefung Mar-keting abgeschlossen und sich an der Kammerschule Zuumlrich zum Wirtschaftspruumlfer weitergebildet Rolf Umiker ist verheiratet hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Glattfelden

laquoWenn ich Marktanalysen Business Cases oder Konkurrenz-

situationen lese erinnere ich mich gerne an die Instrumente die ich noch aus meiner Studienzeit kenneraquo

Florian WehrliFlorian Wehrli ist stellvertretender Leiter Kom-munikation der ZHAW School of Management and Law Er hat an der ZHAW Journalismus und Organisationskommunikation studiert und war mehrere Jahre als Journalist taumltig

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Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

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Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

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Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

49COMPETENCE | 2014

verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

50 COMPETENCE | 2014

Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

51COMPETENCE | 2014

Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

52 COMPETENCE | 2014

Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

53COMPETENCE | 2014

2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

wwwsmlzhawch

Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 46: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

46COMPETENCE | 2014

Was passiert mit den Ruumlst- und Gar-tenabfaumlllen die die Winterthurerinnen und Winterthurer der woumlchentlichen Gruumlnabfuhr mitgeben

47COMPETENCE | 2014

Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

48 COMPETENCE | 2014

Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

49COMPETENCE | 2014

verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

50 COMPETENCE | 2014

Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

51COMPETENCE | 2014

Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

52 COMPETENCE | 2014

Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

53COMPETENCE | 2014

2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

Bild

shu

tter

stoc

k

COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

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Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 47: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

47COMPETENCE | 2014

Es war eine Energierevolution wie man sie sich ertraumlumt Eine neue Energie tauchte auf sie war erneuerbar und im Uumlberfluss vorhanden Diese Energie war das Gras der nordamerikanischen Steppe und die Revolution be-stand darin dass die Praumlrieindianer im 18 Jahrhundert von den weissen Siedlern einen Energiekonverter uumlber-nahmen das Pferd Es wandelte die minderwertige Ener-gie des Grases in Geschwindigkeit um Das Resultat Die zuvor sesshaften friedlichen und ziemlich egalitaumlren Sioux Cheyenne und die anderen Staumlmme die von Gar-tenbau und gelegentlicher Jagd gelebt hatten verwan-delten sich in die hierarchischen machistischen Krieger-kulturen der Wildwestromane Das Jagen war Teamarbeit gewesen und hatte den sozialen Zusammenhalt gestaumlrkt nun wurde es zur Ein-Mann-Show Die Arbeit der Maumlnner wurde leichter die der Frauen haumlrter Ihnen oblagen die Pflege der Pferde und die Verarbeitung der Beute

Fragwuumlrdiges ParadigmaEs gibt in der heutigen Energiedebatte eine Grundannah-me die kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Wohl verursacht ihre Bereitstellung oumlkonomische und sozia-le Kosten und schaumldigt die Umwelt Aber wenn man sie mal hat ist Energie gut und Ziel einer Energiepolitik muss sein mit moumlglichst geringen Kosten moumlglichst viel Ener-gie zu gewinnen Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben koumlnnte ist diesem Denken fremd Aber wenn man sich die Geschichte der Praumlrieindianer anschaut dann litt diese Kultur genau darunter dass sie ploumltzlich zu viel Energie hatte Und wenn heute auf den

Die grundlegendere Effizienz

Mit Effizienzsteigerung und einem Ausbau der erneuerbaren Energien allein wird die Energiewende nicht zu schaffen sein Es braucht eine dritte Strategie Sie heisst Suffizienz und fragt danach wie viel Energie es zum Leben wirklich braucht In den Ohren der meisten klingt das nach Verzicht ndash aber was wenn mit weniger Energie ein besseres Leben moumlglich waumlreText Marcel Haumlnggi

Strassen der Welt alle 25 Sekunden ein Mensch getoumltet wird hat das nichts damit zu tun dass die Energie der Autos laquoschmutzigraquo naumlmlich durch Verbrennen von Erdoumll bereitgestellt wird Sie wuumlrden auch uumlberfahren wenn alle Autos mit laquosauberemraquo Solarstrom betrieben wuumlrden Es ist die Energie selber die toumltet 125 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr weil es auf den Strassen zu viel Energie gibt

Die Energiewende hat zum Ziel die klimaschaumldigenden fossilen Energietraumlger die heute den Grossteil unseres Bedarfs decken mittelfristig loszuwerden Ebenso soll die gefaumlhrliche Atomkraft verschwinden Problematisch ist aber auch ein weiterer Ausbau der Wasserkraft der Natur-landschaften beeintraumlchtigt und Kulturland zerstoumlrt und oumlkonomisch tragbar sollte das Ganze auch sein Gleich-zeitig soll es weiterhin genug Energie fuumlr alle geben Kann eine Energiewende unter diesen Umstaumlnden gelingen

In fast allen politischen Papieren ndash so auch in den Ent-wuumlrfen der bundesraumltlichen Energiestrategie 2050 ndash sind zur Erreichung des Ziels zwei Wege vorgesehen Effizienz-steigerung sowie Substitution der unerwuumlnschten Energi-en durch erwuumlnschte Dasselbe tun mit weniger Energie Das ist die Effizienzstrategie Dasselbe tun mit anderer Energie Das ist die Substitutionsstrategie Bei allen denk-baren technischen Fortschritten die noch kommen mouml-gen Nein es wird nicht gelingen mit vertretbaren Kosten genug saubere Energie fuumlr alle bereitzustellen ndash solange man nur auf diese beiden Strategien setzt

Perspektivenwechsel

48 COMPETENCE | 2014

Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

49COMPETENCE | 2014

verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

50 COMPETENCE | 2014

Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

51COMPETENCE | 2014

Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

52 COMPETENCE | 2014

Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

53COMPETENCE | 2014

2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

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Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

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Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

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No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

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48 COMPETENCE | 2014

Dinge schnell kaputtgehen und sich nicht reparieren las-sen und Ersatzteile nach kurzer Zeit nicht mehr lieferbar sind ist in vielen Faumlllen so beabsichtigt laquoGeplanter Ver-schleissraquo oder laquoplanned obsolescenceraquo heisst das in der Betriebswirtschaft Und die Wirtschaft hat Strategien ent-wickelt immer neue Beduumlrfnisse zu schaffen Kein Wun-der breiten sich Werbebotschaften im oumlffentlichen Raum und auf allen Kommunikationskanaumllen so rasant aus Wir muumlssen immer mehr konsumieren um immer gleich zu-frieden zu bleiben ndash und die Wirtschaftswissenschaft be-

zeichnet dies als laquoeffizientraquo

Fuumlr den grossen Soziologen Max Weber war laquoAskeseraquo die Voraussetzung ndash nicht der Suffizienz sondern ihres Ge-genteils der kapitalistischen Wachstumswirtschaft Nur

wer naumlmlich laquoasketischraquo darauf verzichtet Beduumlrfnisse sofort zu befriedigen und Werte akkumuliert ndash statt mit dem Lohn sofort ein Bier zu trinken ndash der kann die ge-sparten Werte investieren um spaumlter noch mehr zu ver-dienen Suffizienz hiesse ein bisschen weniger Askese ein bisschen mehr Entspannung

Was heisst denn schon laquoVerzichtraquoAllein Laumlsst sich Suffizienz in einem liberalen Staat erzwin-gen Verzichten Menschen freiwillig Zweimal nein Aber darum geht es nicht Was bedeutet naumlmlich laquoverzichtenraquo Jede gesellschaftliche Veraumlnderung bringt Verzichte mit sich und schafft Gewinne Insofern ist es muumlssig zu fragen ob wir verzichten muumlssen um ein zukunftsvertraumlgliches Leben zu fuumlhren Natuumlrlich muumlssen wir ndash das tun wir naumlm-lich immer Stattdessen sollten wir uns fragen worauf wir verzichten muumlssen worauf wir ganz gerne verzichten ndash und was wir dabei gewinnen koumlnnen

Was jemand als Verzicht wahrnimmt hat viel mit Gewohn-heit zu tun Was hat den Menschen in einem Land wie der Schweiz das von Krieg und schweren Seuchen verschont blieb in den letzten hundert Jahren am meisten Verzicht abverlangt Man schaue sich alte Fotos oumlffentlicher Stras-

laquoGenugraquo ist vielleicht schon zu vielAber was heisst denn eigentlich laquogenug Energie fuumlr alleraquo Ist laquogenugraquo einfach die Fortschreibung der bisherigen Ver-brauchstrends korrigiert um den anzunehmenden tech-nischen Fortschritt Es gibt neben der Effizienz- und der Substitutionsstrategie noch einen dritten ja eigentlich den naheliegendsten Weg und er stellt die Frage was genug sei nicht dasselbe tun mit weniger oder dasselbe tun mit anderer Energie sondern weniger tun Es ist die sogenann-te Suffizienzstrategie Im Wort laquoSuffizienzraquo (oder deutsch laquoGenuumlgsamkeitraquo) steckt der Wortstamm des franzoumlsischen laquosuffireraquo ndash genuumlgen

Die Suffizienz taucht in der Debatte selten auf Denn laquoSuffizienzraquo toumlnt nach Ver-zicht Askese gar und wer will schon verzichten Aber was wenn wir in einer Gesell-schaft lebten die wie die Praumlrieindianer des 18 Jahrhun-derts mehr Energie zur Verfuumlgung hat als ihr guttut Dann hiesse laquogenugraquo weniger als heute Weniger Wildwest-Machotum Weniger Verkehrstote Dann waumlre das Ziel der Energiewende genug Energie fuumlr alle erreichbar

Es ist im Grunde merkwuumlrdig dass laquoGenuumlgsamkeitraquo ei-nen so negativen Beiklang hat Ist es nicht die vordring-liche Aufgabe der Wirtschaft Knappheit zu uumlberwinden also dafuumlr zu sorgen dass alle genug haben zum Leben Nicht fuumlr die dominierenden Stroumlmungen von Wirtschafts-wissenschaften und Wirtschaftspolitik Ihr oberstes Ziel heisst Wirtschaftswachstum laquoGenugraquo ist da ein unbe-kanntes Konzept Fuumlr die heute dominierende Oumlkonomie soll nicht die Wirtschaft den Menschen dienen indem sie deren Beduumlrfnisse befriedigt sondern unsere unbefriedig-ten Beduumlrfnisse dienen dazu die Wirtschaft am Laufen ndash das heisst am Wachsen ndash zu halten Nichts kann eine solche Wirtschaft weniger gebrauchen als Konsumenten die zufrieden sind mit dem was sie haben

Deshalb hat die Wirtschaft Strategien entwickelt wie sie unsere Beduumlrfnisse nur voruumlbergehend befriedigt Dass

Perspektivenwechsel

laquoEs gibt in der heutigen Energie-debatte eine Grundannahme die

kaum infrage gestellt wird Energie ist gut Dass eine Gesellschaft zu viel Energie zur Verfuumlgung haben

koumlnnte ist diesem Denken fremdraquo

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verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

50 COMPETENCE | 2014

Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

51COMPETENCE | 2014

Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

52 COMPETENCE | 2014

Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

53COMPETENCE | 2014

2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

Bild

shu

tter

stoc

k

COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

wwwsmlzhawch

Building Competence Crossing Borders

neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 49: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

49COMPETENCE | 2014

verlangsamen wodurch die Wege wieder kuumlrzer wuumlrden Sie wuumlrde gleich viel Mobilitaumlt ermoumlglichen mit weniger Verkehr ndash und mit weniger Verzicht auf Strassen und Plaumltze als Lebensraum Eine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren Sie mehrt die Freiheit

Suffizienz ist grundlegende EffizienzWas in der Energiepolitik vor allem fehlt ist nicht die saube-re unerschoumlpfliche Energiequelle sondern gesellschafts-politische Fantasie die uns anders uumlber Begriffe wie laquoge-nugraquo laquoVerzichtraquo laquoEffizienzraquo laquoMobilitaumltraquo oder laquoFreiheitraquo nachdenken liesse Wenn es moumlglich ist dass eine Gesell-schaft unter zu viel Energie leidet wie einst die Praumlrieindi-

aner dann muss Verzicht auf Energiekonsum nicht Verzicht auf ein gutes Leben heis sen Angst vor Verzicht ist Angst vor einer Veraumlnderung des Gewohnten Aber wenn wir nicht annehmen in der bes-

ten aller Welten zu leben ndash und es waumlre toumlricht das zu tun ndash dann kann Veraumlnderung die Welt auch besser machen Und wenn es schliesslich moumlglich ist mit weniger Verkehr gleich viel Mobilitaumlt mit weniger Konsum gleich viel ja mehr Lebensqualitaumlt zu haben dann ist Suffizienz nichts anderes als Effizienz ndash auf einer grundlegenderen Ebene gedacht

sen und Plaumltze an und die Antwort liegt auf der Hand der Strassenverkehr Strassen und Plaumltze waren einst Lebens-raum Hier wurde geplaudert gehandelt und gespielt Da-rauf verzichten wir heute und opfern Strassen und Plaumltze weitgehend einem einzigen Geraumlt dem Auto Aber kaum jemand nimmt diesen immensen Verzicht heute noch als solchen wahr denn wir haben uns daran gewoumlhnt dass wir kleinen Kindern jedes kindliche Verhalten im oumlffentli-chen Raum abtrainieren muumlssen weil sie sonst uumlberfahren werden

Man mag einwenden der moderne Verkehr habe auch Vorteile gebracht denn er habe die Menschen mobiler gemacht Aber ist das tatsaumlchlich so Vor hundert Jahren haben Schweizerinnen und Schweizer durchschnittlich 70 Minuten pro Tag dafuumlr aufgewendet ihre Mobilitaumlts-beduumlrfnisse zu befriedigen Heute sind es bei viel schnel-leren Verkehrswegen und -mitteln immer noch 70 Minuten Das bedeutet Die Wege sind genau proportional zur steigenden Geschwindigkeit laumlnger geworden Dabei sind wir nicht mobiler geworden sondern betreiben nur einen groumlsseren Aufwand ndash gemes-sen in Kilometern Infrastrukturkosten Energie Umwelt-verschleiss Zersiedelung und so weiter ndash um gleich mobil zu sein

Strassen oder Wege des oumlffentlichen Verkehrs schaffen eben immer auch Zwaumlnge sie zu benuumltzen Wenn wegen des gut erschlossenen Einkaufszentrums am Stadtrand die Quartierlaumlden schliessen zwingt mich das zu laumlnge-ren Einkaufswegen Wenn ich auf dem Arbeitsmarkt ge-gen Mitbewerber bestehen will die taumlglich 100 Kilometer pendeln koumlnnen muss auch ich dazu bereit sein Wenn die Wohnungspreise entlang der S-Bahn-Linien explodie-ren kann ich mir den kurzen Arbeitsweg nicht mehr leis-ten Aber so wie man aus lauter Gewoumlhnung uumlbersieht dass die Wachstumswirtschaft Verzicht fordert uumlbersehen die meisten dass sie auch immer mehr Zwaumlnge mit sich bringt Eine suffiziente Verkehrspolitik wuumlrde den Verkehr

Marcel HaumlnggiMarcel Haumlnggi ist Journalist und Buch autor in Zuumlrich mit den Schwerpunktthemen Wissen-schaft Umwelt und Technik Im Rotpunkt-verlag sind erschienen laquoWir Schwaumltzer im Treibhaus Warum die Klimapolitik versagtraquo (2008) und laquoAusgepowert Das Ende des Oumll-zeitalters als Chanceraquo (2011) Das naumlchste Buch erscheint 2015 und fragt danach ob und wie technischer Wandel die Gesellschaft weiterbringt

laquoEine intelligente Suffizienzpolitik versucht nicht Suffizienz zu

erzwingen Sie baut Zwaumlnge ab die suffizientes Verhalten erschweren

Sie mehrt die Freiheitraquo

50 COMPETENCE | 2014

Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

51COMPETENCE | 2014

Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

52 COMPETENCE | 2014

Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

53COMPETENCE | 2014

2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

Bild

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

wwwsmlzhawch

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neutralDrucksache

No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

Page 50: COMPETENCE - Brennpunkt Energiewende

50 COMPETENCE | 2014

Energie in Winterthur ndash Aufloumlsungen

In Winterthur Gruumlze steht die groumlsste Erdgastankstelle der Ostschweiz Hier tanken auch Nutzfahrzeuge ein Gemisch aus Erdgas und Biogas Weitere Tankstellen befinden sich in Toumlss und Oberwinterthur 1 Kilogramm Erdgas entspricht dem Energiegehalt von 15 Litern Benzin

Primaumlr wird Erdgas aber zum Kochen und Heizen eingesetzt Eine Energiemenge von 500 Millionen Kilowattstunden wird in Winterthur jaumlhrlich uumlber das rund 230 Kilometer lange Erd-gasnetz verteilt

Winterthur ist die waldreichste Stadt der Schweiz Wuumlrde man alle Einwohnerinnen und Einwohner von Winterthur im Wald verteilen stuumlnde jeder Mensch auf einer Waldflaumlche von 248 Quadratmetern (m2) In Genf muumlssten sich die Menschen mit 2 m2 begnuumlgen in Basel mit 5 m2 und in Zuumlrich mit 59 m2 Mit 2 693 Hektaren ist die Flaumlche des Winterthurer Waldes groumlsser als der ganze Walensee

2013 wurden rund 18 500 Kubikmeter Schnitzel und 970 Ster Brennholz aus den Winter-thurer Waumlldern fuumlr die oumlkologische Waumlrmeenergie genutzt

Rund 300 Gigawattstunden (GWh) Heizoumll decken heute den jaumlhrlichen Waumlrmebedarf der Wohnbauten in Winterthur Der Energieplan 2050 sieht vor dass dieser Bedarf bis 2050 auf 25 GWh pro Jahr sinkt Gemaumlss dem Umweltbericht Winterthur ist der Anteil von Heizoumll zwischen 2008 und 2012 um fast ein Viertel gesunken Ein Grund dafuumlr ist unter anderem die Beliebtheit von Gas Fernwaumlrme und Waumlrmepumpen Hinzu kommen Gebaumludesanierungen die den Energieverbrauch reduzieren sowie solarthermische Anlagen

In Winterthur gibt es insgesamt 204 Fotovoltaikanlagen Seit 2012 wurden rund 60 neue Anlagen erstellt das heisst rund ein Drittel aller bestehenden Anlagen entstand in den letz-ten 20 Monaten Winterthur foumlrdert den Bau von Fotovoltaikanlagen um ihren Anteil an der lokalen Produktion zu steigern

Stand 292014 Betreiber von Solaranlagen die keinen Ruumlckliefervertrag mit Stadtwerk Winterthur haben sondern den produzierten Strom direkt nutzen sind nicht beruumlcksichtigt

51COMPETENCE | 2014

Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

52 COMPETENCE | 2014

Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

53COMPETENCE | 2014

2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

Bild

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COMPETENCE | 052014 | November 2014

Impressum

Herausgeber

ZHAW School of Management and Law

Projektleitung

Susanna Bieri bieszhawchZHAW School of Management and Law

Redaktion

Susanna Bieri bieszhawchAdrian Sulzer suanzhawchFlorian Wehrli wehlzhawchZHAW School of Management and Law

Gestaltung

Nadja Hutmacher htmnzhawchZHAW School of Management and Law

Ganzseitige Fotos (ausser Seite 12 und 54)

Beat Maumlrki wwwbilderhausch

Druck und Korrektorat

Mattenbach AG Winterthur

Kontakt

ZHAW School of Management and LawSusanna Bieri Stadthausstrasse 14Postfach 8401 Winterthurinfosmlzhawch

Wiedergabe von Beitraumlgen und Bildern nur mit schriftlicher Einwilligung der Redaktion sowie Quellenhinweis laquoCOMPETENCEraquo Das Magazin der ZHAW School of Management and Law

Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

Zuumlrcher Hochschule fuumlr Angewandte Wissenschaften

School ofManagement and LawSt-Georgen-Platz 2Postfach8401 Winterthur Schweiz

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Building Competence Crossing Borders

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No 01-14-375724 ndash wwwmyclimateorgcopy myclimate ndash The Climate Protection Partnership

PERFORMANCE

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51COMPETENCE | 2014

Der durchschnittliche Wasserverbrauch Winterthurs betraumlgt rund 25 Millionen Liter pro Tag Dies entspricht etwa dem Inhalt von zehn durchschnittlich grossen Hallenbaumldern

Mit seinem hervorragenden Grundwasser ist Winterthur in einer privilegierten Lage Ganz ohne Aufbereitung oder Zusaumltze kann das Wasser aus den Grundwasserfassungen ins Netz eingespeist werden Als erste Wasserversorgung der Schweiz erlangte die Winterthurer Wasserversorgung 1998 die Zertifizierung im Qualitaumlts-Management-System Ausserdem ist sie nach ISO 900114001 zertifiziert 97 Prozent des frischen Trinkwassers stammen aus dem Grundwasserstrom der Toumlss Trinkwasser ist fuumlr 017 Rappen pro Liter zu haben

Am 20 Januar 1860 nahm die Actiengesellschaft fuumlr Gasbeleuchtung in Winterthur Toumlss ihren Betrieb auf Sie betrieb anfangs 1 500 Laternen die mithilfe von Leuchtgas das aus Steinkohle hergestellt wurde zahlreiche Strassen Privathaumluser und Industriebetriebe erhell-ten Bereits sieben Monate spaumlter brannten uumlber 2 200 Leuchten und liessen die Bevoumllkerung staunen Licht aus Steinkohle herzustellen grenzte nahezu an ein Wunder Gaslicht wurde zur begehrten Attraktion und zunehmend zum Symbol fuumlr Wohlstand Luxus und Fortschritt

Ab Ende 2014 wird in der neuen Kompogasanlage Winterthur aus lokalen und regionalen Gruumlngutabfaumlllen Biogas produziert Durch den Vergaumlrungsprozess werden jaumlhrlich 7 Millio-nen Kilowattstunden Biogas aus 20 000 Tonnen Gruumlngutabfall produziert und ins Winter-thurer Gasnetz eingespeist Mit dieser Menge Biogas koumlnnen rund 500 Einfamilienhaumluser geheizt werden

Seit Oktober 2013 kann die Winterthurer Kundschaft aus fuumlnf Gasprodukten auswaumlhlen die unterschiedlich umweltfreundlich sind Eines davon ist ein reines Biogasprodukt

Uran in Form von laquoYellowcakeraquo ist der Ausgangsstoff bei der Produktion von Brennelemen-ten fuumlr Kernreaktoren

Die Schweizer Kernkraftwerke produzieren zuverlaumlssig Tag und Nacht Strom Ein Teil davon fliesst auch nach Winterthur In Winterthur bestimmt die Kundschaft mit ihrer Produktwahl welcher Strom eingekauft und ins Netz eingespeist wird Innerhalb des Stromnetzes vermi-schen sich die unterschiedlich erzeugten Mengen in einem laquoStromseeraquo der durch verschie-dene Zufluumlsse gespeist wird Aus den Winterthurer Steckdosen kommt also ein Gemisch aus dem laquoStromseeraquo

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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Die von den Autorinnen und Autoren geaumlusserten Meinungen koumlnnen von jenen des Herausgebers abweichen

laquoCOMPETENCEraquo erscheint einmal jaumlhrlich Auflage (Print) 8 000 elektronischer Versand 5 000wwwsmlzhawchcompetence

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Bandenergie Leistung die zu jeder Zeit (also auch nachts und am Wochenende) nachgefragt wird und somit bereitgestellt werden muss

CleantechRessourcenschonende und nachhaltige Technologien Herstellungsverfahren und Dienstleistungen die zum Er-halt natuumlrlicher Ressourcen und Systeme beitragen

Energie-ContractingVertragliche Abmachungen zur Erbringung von Energie-dienstleistungen Statt einer Energieart (zB Erdgas) liefert ein Contractor seinen Kunden eine Energiedienstleistung (zB ein stets geheiztes Haus) In einem solchen Modell hat der Contractor einen Anreiz zur Foumlrderung der Ener-gieeffizienz seiner Kunden da er damit seine Gewinn-spanne vergroumlssern kann

Energie Faumlhigkeit Arbeit zu verrichten Typische Masseinheit ist die Wattstunde

EnergietraumlgerStoffe deren Energiegehalt fuumlr Energieumwandlungspro-zesse nutzbar ist

EnergiewendeSchlagwort fuumlr den Umbau des Energieversorgungssys-tems in Richtung Nachhaltigkeit Erneuerbare Energien sollen fossile Energietraumlger und Kernenergie ersetzen und gleichzeitig soll der Umgang mit Energie effizienter und sparsamer werden

Erneuerbare EnergieEnergie aus Quellen deren Verwendung nicht zu einer Ver-minderung von natuumlrlichen Ressourcen fuumlhrt Beispiele sind Wasserkraft Windkraft Sonnenenergie oder Biomasse

GeothermieDirekte oder indirekte Nutzung von Waumlrme aus dem Erd-innern

Glossar

Kostendeckende Einspeiseverguumltung (KEV)Instrument des Bundes zur Foumlrderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien deckt die Differenz zwischen Produktionskosten und Marktpreis und garantiert den Pro-duzenten von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ei-nen Preis der ihren Produktionskosten entspricht

Last (auch Verbrauchslast)In Bezug auf Strom pro Zeiteinheit bezogene Elektrizi-taumltsmenge durch die Konsumenten (Haushalte Gewerbe-betriebe usw) Grundlegende Masseinheit ist das Watt

LeistungIn Bezug auf Strom pro Zeiteinheit produzierte Elektrizi-taumltsmenge durch Stromproduktionsanlagen Grundlegen-de Masseinheit ist das Watt

SpitzenenergieEnergiemenge die zusaumltzlich zur Bandenergie (soge-nannte Grundlast) bereitgestellt werden muss um die Stromverbrauchsspitzen abzudecken

SystemdienstleistungenHilfsdienste zur Sicherstellung der Funktionstuumlchtigkeit der Elektrizitaumltsversorgung die Netzbetreiber neben der Uumlbertragung und Verteilung elektrischer Energie zusaumltz-lich erbringen Dazu gehoumlren Frequenz- und Spannungs-haltung Betriebsfuumlhrung und die Bereitstellung von Pro-duktionsreserven fuumlr Notfaumllle

SystemstabilitaumltDas konstante Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist Voraussetzung fuumlr ein stabiles Stromnetz und gewaumlhrleistet eine sichere Versorgung

WattMasseinheit fuumlr die Leistung Ein Watt entspricht einem Joule pro Sekunde Groumlssere Leistungen werden in Kilo-watt (1 kW = 1 000 W) Megawatt (1 MW = 1 000 kW) Gigawatt (1 GW = 1 000 MW) oder Terawatt (1 TW = 1 000 GW) gemessen

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

Quelle VSE wwwstromch

Lastwagen eine Fahrt von 200 m

Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

WiFi4 Tage (nur ein-geschaltetes Geraumlt)

20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

WirkungsgradVerhaumlltnis von Energieeinsatz und erhaltener Arbeit

Elektroradiator 30 bis 90 Minuten

Fliesst in Winterthur auch Kernstrom aus der Steckdose

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2 000-Watt-GesellschaftEnergiepolitische Vision die an der ETH Zuumlrich entwickelt wurde Diese geht davon aus dass basierend auf den vor-handenen natuumlrlichen Ressourcen jedem Erdenbewohner eine durchschnittliche Leistung von 2 000 Watt und damit verbunden eine Tonne CO2-Emissionen pro Jahr zusteht Zum Vergleich In der Schweiz liegt der durch-schnittliche Energiebedarf pro Person heute bei 6 300 Watt

Eine Kilowattstunde reicht fuumlr

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Elektroauto eine Fahrt von 4 bis 10 km

Elektrovelo eine Fahrt von 100 km

Auto eine Fahrt von 12 km

5-W-LED-Lampe200 Stunden

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20-W-Sparlampe50 Stunden

Staubsauger30 bis 35 Minuten

Kaffeemaschine Zubereitung von 50 Tassen Kaffee

Waschmaschine Kat A++eine Waumlsche von 7 kg bei 60deg Celsius

Waumlschetrockner Kat Aein Trocknungsvorgang mit 4 kg Waumlsche

Kleiner Kuumlhlschrankbis 15 Tage je nach Energieklasse und Groumlsse

LCD-Fernseher 100 cm13 bis 20 Stunden

ComputerDesktop 12 Stunden bis 50 Stunden fuumlr einen Laptop

Warme Dusche 2 bis 5 Minuten

WattstundeMasseinheit fuumlr die Energiemenge Eine Wattstunde ist die Energiemenge die bei einer Leistung von einem Watt innerhalb einer Stunde umgesetzt wird Fuumlr groumlssere Ener-giemengen verwendet man Kilo- Mega- Giga- oder Tera-wattstunden (Umrechnung analog Watt)

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