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Crashkurse Grundrechte 07.02.2015

Crashkurse Grundrechte 07.02.2015. Grundrechtsprüfung Ausgangspunkt: Jeder nicht verfassungsmäßig gerechtfertigte Eingriff in ein Grundrecht ist eine

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Crashkurse Grundrechte

07.02.2015

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Grundrechtsprüfung

Ausgangspunkt: Jeder nicht verfassungsmäßig gerechtfertigte Eingriff in ein Grundrecht ist eine Grundrechtsverletzung des Bürgers

2. Eingriff in den Schutzbereich: wird durch einen Akt öffentlicher Gewalt in den Schutzbereich des Grundrechts eingegriffen?

3. Rechtfertigung des Eingriffs

3a. Kann das Grundrecht eingeschränkt werden?

3b. Ist die Einschränkung selbst verfassungsgemäß und vermag somit das Grundrecht einzuschränken?

1. Schutzbereich des Grundrechts eröffnet: d.h. fällt das Verhalten in den Schutzbereich des Grundrechts?

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Rechtfertigung eines Grundrechtseingriffs

Eingriff durch ein Gesetz Eingriff durch einen Einzelakt

Bestimmung der Schranke:

Einfacher Gesetzesvorbehalt

Qualifizierter Gesetzesvorbehalt → genügt das Gesetz den

QualifikationsmerkmalenBei vorbehaltslos gewährleisteten

Grundrechten: Greift das Gesetz zum Schutz sonstiger Grundrechte oder

Verfassungsgüter ein (kollidierendendes Verfassungsrecht)?

Schranken-Schranken: die Grundrechtsschranke muss selbst

verfassungsgemäß sein → sonst kann sie ein Grundrecht nicht wirksam

einschränken

Vorbehalt des Gesetzes: jeder Einzelakt muss auf einer gesetzlichen Grundlage

(sog. Ermächtigungsgrundlage) basieren (Schranke)

Einfacher Gesetzesvorbehalt

Qualifizierter Gesetzesvorbehalt → genügt das Gesetz den

QualifikationsmerkmalenBei vorbehaltslos gewährleisteten Grundrechten: kollidierendendes

Verfassungsrecht

Schranken-Schranken: die Ermächtigungsgrundlage muss selbst

verfassungsgemäß sein

Der (das Gesetz konkretisierende) Einzelakt muss ebenfalls verfassungskonform sein

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Fall 1: Cannabis

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FALL 1: Cannabis

Verletzung des Grundrechts aus Art. 2 I GG M könnte durch die Verurteilung zu einer Geldstrafe aufgrund des Besitzes einer geringen

und ausschließlich zum Eigenverbrauch bestimmten Menge Cannabis in ihrem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 I GG) verletzt sein. Dann müsste das Urteil in den Schutzbereich dieses Grundrechts eingreifen und nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein.

Schutzbereich des Art. 2 I GG

  Definition Schutzbereich: Jedes menschliche Verhalten ohne Rücksicht auf den geistlich-

sittlichen Wert der Handlung (sog. allgemeine Handlungsfreiheit).

  Anmerkung: Eine einschränkende Auslegung dergestalt, dass nur ein Recht zur geistig-

sittlichen Entfaltung der eigenen Persönlichkeit geschützt sei, findet weder in der Entstehungsgeschichte noch nach Sinn und Zweck der Vorschrift eine Stütze. Art. 2 I GG dient vor allem der Unterwerfung jeglichen staatlichen Handelns unter einen Rechtfertigungszwang, indem ein Verbot einer Handlung nur aufgrund einer formell und materiell verfassungsgemäßen Rechtsnorm ergehen kann.

  Hier: Erwerb, Besitz und Konsum von Cannabis unterfällt somit dem Schutzbereich des Art. 2 I GG   → Schutzbereich eröffnet (+)

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FALL 1: Cannabis

Eingriff in den Schutzbereich des Art. 2 I GG:

Definition: Eingriff ist jede Verkürzung des tatbestandlich gewährleisteten.

  Hier: Durch die Geldstrafe (Einzelakt).

  → Eingriff (+)

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FALL 1: Cannabis

Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs in Art. 2 I GG

Schranke

  Schranken des Art. 2 I GG: Drei (verfassungsunmittelbare)

Schranken, sog. Schranken-Trias: Die Rechte anderer, das Sittengesetz und die verfassungsmäßige Ordnung, d.h. die Gesamtheit der formell und materiell

mit der Verfassung übereinstimmenden Rechtsnormen (weite Auslegung).

  Hier: §29 BtMG als Rechtsnorm (i.S.d. verfassungsmäßigen Ordnung)

  → Schranke (+)

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FALL 1: Cannabis

Schranken – Schranken

§29 BtMG müsste allerdings als Grundrechtsschranke selbst verfassungsgemäß sein (Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Grundlage (≈Ermächtigungsgrundlage) ), sowie im konkreten Einzelfall in verfassungskonformer Weise angewendet worden sein (Verfassungsmäßigkeit des Einzelakts).

  Verfassungsmäßigkeit des § 29 BtMG

  §29 BtMG als Grundlage der Bestrafung der M müsste seinerseits

zunächst verfassungskonform sein. Stützt die öffentliche Gewalt einen Grundrechtseingriff auf eine nicht verfassungskonforme Norm, so ist der Eingriff per se nicht gerechtfertigt. Fraglich ist demnach, ob §29 BtMG formell und materiell verfassungskonform ist.

  aa) formelle Verfassungsmäßigkeit

  Keine Bedenken (keine Angabe im Sachverhalt) → (+)

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FALL 1: Cannabis

bb) Materielle Verfassungsmäßigkeit

Hier möglicherweise Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz: Jeder Eingriff in ein Grundrecht muss einen legitimen Zweck verfolgen, geeignet und erforderlich sein, um diesen legitimen Zweck zu fördern und muss darüber hinaus Verhältnismäßig im engeren Sinne sein, d.h. den Betroffenen nicht unangemessen belasten.

α) Verfolgung eines legitimen (d.h. verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden) Zweckes:

Schutz der Gesundheit → insbes. der Drogenabhängigkeit Prävention des Drogenhandels

→ legitimer Zweck (+)

β) Geeignetheit

Definition: Das gewählte Mittel muss den legitimen Zweck fördern können.

Verbot und insb. Verbot mit einer Strafnorm ist per se geeignet den Drogenhandel zumindest abzuschwächen.

Im Übrigen ist ein solches Verbot durch einen Straftatbestand auch geeignet einzelne vor dem Konsum abzuhalten und somit vor dem Umstieg auf schwere Drogen zu schützen (Hemmschwelle). 

Hier: (+)

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FALL 1: Cannabis

γ) Erforderlichkeit

Definition: Es darf kein geeigneteres Mittel als das gewählte Mittel geben, um den legitimen Zweck in gleichem Maße zu fördern.

Freigabe des Cannabiskonsums als milderes Mittel? Diskutieren → Argumente dafür und dagegen.

Aber: Einschätzungsprärogative beachten.

Wichtig im Grenzfall: Bezüglich Geeignetheit und Erforderlichkeit eines Mittels (sowie auch hinsichtlich der Gefahrenprognose) hat der Gesetzgeber eine sog. Einschätzungsprärogative (d.h. einen gewissen – nur eingeschränkt kontrollierbaren – Beurteilungsspielraum). Die Kontrolle beschränkt sich auf eine Vertretbarkeitskontrolle: Ist der Gesetzgeber zu einem nach Stand der Technik, Lage der Dinge und im Rahmen seiner Abwägungen zu einem nicht völlig unvertretbaren Ergebnis gekommen, ist das Mittel erforderlich.

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FALL 1: Cannabis

δ) Verhältnismäßigkeit i.e.S.

Per se: Angemessenheit eines Verbots? Contra: Verbotene Dinge werden erst recht getan? → wohl kaum. Pro: Verbot sichert hohe Rechtsgüter, wie Gesundheit, Leben, etc. → Schutzpflicht

des Staates. Contra: Auch kleinere Mengen sind verboten. Pro: Aber auch kleinere Mengen können zu einem Umschwung auf härtere Drogen

führen. Problem: Verbot durch eine Strafnorm:

Pro: Die Nachfrage auch kleiner Mengen führt zur Förderung des Drogenmarktes → dem kann effektiv nur mit Strafbedrohten Verhalten entgegen getreten werden.

Pro: Ein einfaches gesetzliches Verbot würde der Gefährlichkeit durch die mögliche Weitergabe an Dritte (insb. Kinder) nicht ausreichend unterbinden.

Contra: Auch der Besitz kleiner Mengen an Cannabis ist strafbedroht → obwohl geringe Schuld und geringe Gefährlichkeit.

Contra: Findet keinen (zwingenden) Niederschlag in der Strafnorm (man könnte ja auch sagen, unter 5 g ist es nicht strafbar).

Pro: Hier besteht aber die Möglichkeit der Ausnahme nach §29 V → eröffnet die Möglichkeit diesen Umständen Rechnung zu tragen.

  → § 29 BtMG ist materiell verfassungskonform

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FALL 1: Cannabis

ii) Verfassungsmäßigkeit der Anwendung des § 29 BtMG im Einzelfall durch das Gericht

Die Anwendung des § 29 BtMG müsste in diesem konkreten Fall auch verfassungsmäßig sein. Zweck ist setzen eines Exempels. Dies ist kein legitimer Zweck. Folglich ist die Anwendung nicht verfassungsmäßig.

→ Verurteilung ist unverhältnismäßig → M ist in ihrem Grundrecht aus Art. 2 I GG verletzt.

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Fall 2: Osho

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FALL 2: Freie Warnung

Teil 1: Eingriff in Art. 4 I, II GG Die Osho - Gemeinschaft e.V. könnte in ihrem Grundrecht aus Art. 4 I, II GG verletzt sein. Dann müsste die staatliche Warnung vor der Osho-Gemeinschaft e.V. in den Schutzbereich dieses Grundrechts eingreifen und nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein.  Schutzbereich des Art. 4 I, II GG

Persönlicher Schutzbereich

  Als juristische Person (§ 21 BGB) kann „Osho e.V.“ nur über Art. 19 Abs. 3

GG Grundrechtsschutz erlangen. Art. 4 I, II GG dem Wesen nach anwendbar ?

Eigentlich können nur natürliche Personen einen Glauben haben. Juristische Personen können allerdings ein Forum bieten, um diesen

individuellen Glauben kollektiv auszuüben, sofern ihr Zweck darin liegt, die Förderung eines religiösen Bekenntnisses zu pflegen oder den Glauben ihrer Mitglieder zu verkünden → nur auf diesem Weg kann auch die kollektive Religionsfreiheit umfassend gewährleistet werden.

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FALL 2: Freie Warnung

Sachlicher Schutzbereich Definition des Schutzbereiches: Freiheit einen Glauben oder eine Weltanschauung in einer Vereinigung zu bilden, zu haben, zu äußern und entsprechend zu handeln.Dies setzt voraus, dass die Osho-Bewegung eine Religion oder Glaubensgemeinschaft ist und darüber hinaus der Schutzbereich des Art. 4 I, II GG auch gegen das in Rede stehende Verhalten schützt.

Osho-Glaube als Religion/Religionsgemeinschaft? 

Religion / Religionsgemeinschaft: Jede religiöse Sinndeutung von Welt und Mensch mit transzendentem Bezug. Entscheidend ist der transzendente Bezug, die eine überweltliche Macht, die in

einer persönlichen oder unpersönlichen Gottheit oder in der Wirksamkeit einer überweltlichen Kausalität bestehen kann, und unter dem naturwissenschaftlichen Erkenntnishorizont nicht erklärt werden kann.

Dabei kann jede Religion ihr eigenes Selbstverständnis selbst definieren, d.h. es gibt kein richtiges oder falsches transzendentes Glauben.

Grenze: Es muss eine hinreichende Plausibilität des geistigen Gehalts und des äußeren Erscheinungsbildes auf eine Religion schließen lassen.

Sinn: Es soll ausgeschlossen werden, dass jede Behauptung und das dazugehörige Selbstverständnis unter den Religionsbegriff fällt. Ansonsten würde Art. 4 I, II GG letztlich jedes menschliche Handeln erfassen → damit wäre das gesamte System des GG und seiner Schranken unterlaufen.

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FALL 2: Freie Warnung

Problem: Wirtschaftlicher Bezug der Bewegung als Ausschlussgrund zur Anerkennung als Religion / Religionsgemeinschaft Abgrenzung nach dem Ausmaß des transzendenten Bezugs im Vergleich zur

wirtschaftlichen Betätigung. Eine Vereinigung ist keine Religion mehr, wenn der transzendente Bezug

lediglich als Vorwand der wirtschaftlichen Betätigung dient.

  Hier:  Glaube an übergöttlichen Bezug → Wiedergeburt sowie Erlösung im

„Buddhafeld“. Glaube an eine meditative Wandelung des Menschen, auch durch Riten. Wirtschaftlicher Bezug ist auch vorhanden:

Seminare sind sehr teuer, sollen oft wiederholt werden. Kann zu finanzieller Überforderung führen. Gemeinschaft misst der dynamischen Meditation hohen Wert bei.

→ Aber nicht alleiniger Existenzgrund der Vereinigung. Ergebnis: Osho als Religion / Religionsgemeinschaft (+)

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FALL 2: Freie Warnung

Schutz des Art. 4 I, II GG vor staatlichen Warnungen?

Umfang des Schutzbereiches des Art. 4 I, II GG: Schutz jedenfalls vor freier Bildung, Wahl der Rechtsform, Schutz des Selbstbestimmungsrechts und Schutz vor Auflösung.

 

Problem: Schutz auch vor staatlicher Information? (sog. Schutzrichtung des Art. 4 I, II GG)

  Pro: Staat hat ein Neutraltitätsgebot gegenüber Religionsgemeinschaften (Art. 3 Abs. 3

S. 1, Art. 33 Abs. 3 GG; Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 1, 4, 137 Abs. 1 WRV), demnach dürfte er eigentlich gar nicht über sie urteilen.

Contra: Auch ein neutraler Staat darf über Weltanschauungen und Religionen berichten oder informieren → kann nicht ein absolutes Schweigegebot beinhalten: Art. 4 Abs. 1, 2 GG schützt nicht dagegen, dass sich staatliche Organe mit den Trägern des Grundrechts öffentlich – auch kritisch – auseinandersetzen.

Schutzbereich wird aber dann eröffnet, wenn das Verhalten des Staates nicht mehr als „neutrale, wenn auch kritische Auseinandersetzung“ zu sehen ist (sog. parteiergreifende Einmischung in die Religionsgemeinschaft öffnet den Schutzbereich des Art. 4 I , II GG): Schutz vor diffamierender, diskriminierender oder verfälschender Darstellungen einer religiösen oder weltanschaulichen Gemeinschaft.

Anmerkung: dies kann auch unter Eingriff (fehlende Eingriffsintensität) oder Rechtfertigung diskutiert werden

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FALL 2: Freie Warnung

Hier: Bezeichnung als Jugendsekte oder Psychosekte:

Contra: Sekte birgt im Sprachgebrauch ein negatives Image. Pro: Sekte kann auch neutral verstanden werden → Religiöse

Bewegung außerhalb der üblichen Gruppierungen. Pro: Der Staat ist nicht gehindert, Begriffe des allg.

Sprachgebrauchs zu nutzen → Jugendsekte sagt erst einmal ohne Wertung, dass sich die Gruppierung

eher an Jugendliche und junge Erwachsene richtet Psychosekte sagt erst einmal, dass man in großem Umfang therapeutische

Meditationskurse anbietet und seine Lehren darauf stützt.

Bezeichnung als „destruktiv“ und „pseudoreligiös“ → pauschale Abwertung und Diffamierung der Bewegung.

„Manipulation“: Beinhaltet den Hintergedanken, dass Menschen ohne oder gegen ihren Willen gesteuert werden und als Objekte genutzt werden → bezieht sich auch auf betrügerische Tätigkeiten, eindeutig negative Bezeichnung.

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FALL 2: Freie Warnung

Eingriff 

Klassischer Eingriffsbegriff: Rechtsförmiger Vorgang, der unmittelbar und gezielt (final) durch ein vom Staat verfügtes, erforderlichenfalls zwangsweise durchzusetzendes Ge- oder Verbot, also imperativ, zu einer Verkürzung grundrechtlicher Freiheiten führt.“

Hier: Rechtsförmiges Handeln (-) → rein informales Handeln. Unmittelbarkeit (-) → richtet sich an die Öffentlichkeit und nicht an die Mitglieder der Osho

Bewegung, vielleicht Unmittelbarkeit (+) wenn man darauf abstellt, dass die Religionsgemeinschaft in ihrer Ehre verletzt ist

Imperativ (-), kein Ge- oder Verbot Finalität (+): Die Ausweitung der Sekte soll gezielt behindert werden.

→ Eingriff nach klassischem Eingriffsbegriff (-)

Moderner Eingriffsbegriff: Jedes staatliche (zurechenbare) Handeln, das ein Verhalten des einzelnen, welches in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, beeinträchtigt oder verhindert.

→ Soweit der Schutzbereich hier berührt ist → Eingriff (+) → BVerfG: Beeinträchtigung mit mittelbar faktischer Wirkung (BVerfG: „Das Grundgesetz hat den Schutz vor Grundrechtsbeeinträchtigungen nicht an den Begriff des Eingriffs gebunden oder diesen inhaltlich vorgegeben. Die genannten Äußerungen hatten in Bezug auf die Bf. eine mittelbar faktische Wirkung“. )

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FALL 2: Freie Warnung

Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Schranken: einfacher Gesetzesvorbehalt oder schrankenlos? Teilweise: einfacher GVB: Art. 140 GG iVm Art. 136 Abs. 1 WRV BVerfG: nur einschränkbar durch kollidierendes Verfassungsrecht konkurrierendes Verfassungsgut: Schutz der Jugend

A. Formell ordnungsgemäßes Handeln EGL Hier kommt nur Kompetenznorm der BReg in Betracht Art 65, Laut BVerfG setzt eine Beeinträchtigung mit

mittelbar faktischer Wirkung anstelle einer gesetzlichen Ermächtigung eine Aufgabenzuweisung aus der sich die Legitimation zum beeinträchtigenden Handeln ergibt voraus und muss, wie jedes staatliche Handeln, Verhältnismäßig iwS sein

→ Vorliegen einer Ermächtigung zum Tätigwerden in Form einer Aufgabenzuweisung an die Bundesregierung

Hier: Aufgabe der Staatsleitung der Bundesregierung umfasst auch in ihrer Öffentlichkeitsarbeit auf aktuelle streitige, die Öffentlichkeit erheblich berührende Fragen einzugehen und damit staatsleitend tätig zu werden.

Nur im Rahmen der Kompetenzordnung zwischen Bund / Ländern: Prinzipiell Sache der Länder (Art. 30 I) Aber: Aufgabe der Bundesregierung wo die Aufgabe gesamtstaatliche Interessen (Auslandsbezug /

Länderübergreifend) berührt, d.h. der Tätigkeit gesamtstaatliche Verantwortung zukommt, vgl. Art. 65 GG.

Die über die Osho-Bewegung abgegebenen Bewertungen sind durch Vorgänge und Erscheinungen geprägt, die nicht auf den Bereich eines Bundeslandes oder einiger weniger Länder beschränkt waren. Ein Handeln der Regierungen der Bundesländer würde dem öffentlichen Handlungsbedarf nicht gerecht.

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FALL 2: Freie Warnung

Schranken – Schranken

Verhältnismäßigkeitsprüfung Legitimer Zweck

Der Schutz und die Warnung der Bevölkerung vor der Beeinflussung durch gefährliche religiöse Vereinigungen.

Geeignetheit Die Information ist geeignet, den Zweck zu erfüllen.

Erforderlichkeit Ein milderes Mittel ist nicht ersichtlich.

Verhältnismäßigkeit ieS

Abwägung zwischen dem legitimen Zweck und den Grundrechtsbeeinträchtigungen auf Seiten der Osho-Bewegung.

Contra: Erheblicher potentieller Mitgliederverlust Contra: Große Gefahr des Ausbleibens finanzieller Unterstützung Pro: Erhebliche Gefahr durch (finanzielle) Meditationsberatung, die die Anhänger in eine

starke Abhängigkeit bringt Contra: Staatliche Neutralitätspflicht zwingt den Staat zu besonderer Zurückhaltung   Das Grundrecht des Osho e.V. auf Glaubensfreiheit gem. Art. 4 I, II GG ist verletzt, soweit

die Bezeichnung als „pseudoreligiös“ und „destruktiv“ bzw. der Vorwurf der Manipulation betroffen sind.

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FALL 2: Freie Warnung

Teil 2: Eingriff in Art. 2 I GG

Der Schutzbereich ist in Bezug auf die Begriffe „destruktiv, Manipulativ und pseudoreligiös“ nicht eröffnet → lex specialis des Art. 4 I, II GG im Verhältnis zu Art. 2 I GG.

Bzgl. der Begriffe „Jugendsekte“ und „Psychosekte“ ebenfalls nach h.M. nicht, da wenn ein Verhalten per se vom Schutzbereich erfasst wäre, aber i.v.F. nicht einschlägig ist, der Rückgriff auf Art. 2 I GG ausscheidet.

Vgl. BVerfG, Beschluß vom 26. 6. 2002 - 1 BvR 670/91, BVerfGE 105, 279

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Fall 3: Occupy EZB

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FALL 3: Occupy EZB

Die Verfassungsbeschwerde eines Demonstranten wäre begründet, wenn er durch die Auflösung in seinen verfassungsmäßig garantierten Rechten verletzt wäre. Dies könnte der Fall sein, wenn er durch die Auflösung in seinem Grundrecht aus Art. 8 I GG verletzt wäre.

Schutzbereich des Art. 8 I GG eröffnet

Dazu müsste zunächst der Schutzbereich des Art. 8 I GG eröffnet sein. Dies setzt voraus, dass der Zusammenschluss der ca. 100 Occupy – Anhänger eine Versammlung i.S.d. Art. 8 I GG darstellt, und diese Versammlung friedlich und ohne Waffen erfolgte.

Versammlung

Eine Versammlung ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, durch einen gemeinsamen Willen miteinander verbundenen Zweck.

Erforderlich ist zunächst eine ausreichende Teilnehmerzahl. Ausreichende Teilnehmerzahl Fraglich ist, was unter mehrere Personen zu verstehen ist. Zur ausreichenden Teilnehmerzahl

werden verschiedene Ansichten vertreten. Mind. 7 Teilnehmer: Mit dem Verweis auf die Bestimmungen des BGBs zum Verein. Mind. 3 Teilnehmer: Allgemeiner Sprachgebrauch. Mind. 2 Teilnehmer: Vom Wortlaut jedenfalls gedeckt. Hier: Ca. 100 Personen. Damit Untergrenze jeder Meinung erfüllt. Personenzahl jedenfalls ausreichend → (+)

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FALL 3: Occupy EZB

Gemeinschaftlicher Zweck Weiterhin müssten die Personen von einem gemeinsamen Zweck getragen

sein, denn nur so kann von einer Versammlung ausgegangen werden. Finden sich rein zufällig mehrere Personen zusammen, ohne einen gemeinschaftlichen Zweck zu verfolgen, spricht man von einer reinen Ansammlung, für die der Schutzbereich des Art. 8 I GG nicht eröffnet ist.

Eine Versammlung erfordert eine gewisse innere Verbindung durch eine gemeinsame Zweckverfolgung

Ansammlung: Bloßer Menschenauflauf, bei dem zwar alle Beteiligten den gleichen aber keinen gemeinsamen Zweck verfolgen

Hier: Gemeinsamer Protest gegen die Marktwirtschaft Identifikation über ähnliche Symbole (Masken, etc), gemeinsames campieren,

etc Des weiteren Identifikation mit einer weltweiten Bewegung → getragen von

einem gemeinsamen Idee und einer gemeinsamen Vorstellung / Weltbild im untechnischen Sinn

→ Gemeinsame Zweckverfolgung (+)

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FALL 3: Occupy EZB

Anforderung an den Zeck Fraglich ist schließlich welche Anforderungen an den inhalt des gemeinsam geteilten

Zweck zu stellen sind, damit von einer Versammlung iSd Art. 8 I gesprochen werden kann. Hierzu werden verschieden enge Versammlungsbegriffe vertreten.

Enger Versammlungsbegriff: Der gemeinsame Zweck muss eine gemeinsame Meinungsbildung oder Meinungsäußerung zum Gegenstand haben und die Meinung muss eine öffentliche Angelegenheit betreffen, als Ausdruck der geringen Teilhaberechte von Bürgern und Minderheiten, denen ansonsten ein Spruchkörper fehlt (so BVerfG).

Erweiterter Versammlungsbegriff: Die Menschenansammlung muss einen gemeinsamen Zweck verfolgen, der eine Meinungsbildung oder Meinungsäußerung darstellt, bei der aber die Erörterung irgendwelche Meinungen ausreicht, als Erweiterung des Art. 5 GG.

Weiter Versammlungsbegriff: Es kann auf jeden bestimmten Inhalt des Versammlungszwecks verzichtet werden, solange die Teilnehmer einen gemeinsamen Zweck verfolgen, da Art. 8 GG den Art. 2 GG ergänzt.

Hier: Zweck ist eine politische Meinungsbildung zur wirtschaftlichen Ausrichtung des Landes

/ Sozialstaatsprinzipien / Verteilungsgerechtigkeit. Eindeutige Aussage mit Bezug zu einer öffentlichen Angelegenheit.

  → Versammlung jedenfalls (+)

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Friedlichkeit und Waffenlosigkeit → Begrenzung des sachlichen Schutzbereichs

Die Versammlung müsse ferner friedlich und ohne Waffen stattgefunden haben. Eine unfriedliche oder bewaffnete Versammlung ist vom Schutzbereich des Art. 8 I GG ausgeschlossen.

Versammlung ohne Waffen Die Versammlung müsste zunächst ohne Waffen stattgefunden haben. Waffen sind:

Waffen i.S.d. §1 WaffG (nur Indiz; einfache Gesetze können nicht der Auslegung des Grundgesetzes dienen)

Gefährliche Werkzeuge, wenn sie subjektiv zum Zweck des Einsatzes mitgeführt werden und objektiv zu Personen- oder erheblichen Sachschäden geeignet sind (Prognoseentscheidung über die Verwendung)

Vorliegend hat keiner der Teilnehmer Waffen i.S.d. WaffenG mit sich geführt. Fraglich ist jedoch ob die von einigen Teilnehmern getragenen Anonymus-Masken als gefährliche Werkzeuge zu qualifizieren wären.

Contra: Sind weder Waffen im technischen Sinn noch irgendwie für sich genommen gefährlich.

Contra: Da es keine Waffen im technischen Sinn sind, muss eine Prognoseentscheidung hinsichtlich ihrer Eignung zum Hervorrufen von Verletzungen getroffen werden → völlig ungefährlich.

Mithin führte keiner der Teilnehmer Waffen mit sich.

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FALL 3: Occupy EZB

Friedliche Versammlung

Die Versammlung müsste ferner friedlich gewesen sein. Friedlich ist eine Versammlung (Anlehnung an die §§5 Nr.3, 13 I Nr.2 VersG), wenn sie nicht einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nimmt

Gewalttätig:

Gewalt ist jede aktive körperliche Einwirkung des Teilnehmers auf Personen oder Sachen, sofern die Einwirkungen von einer gewissen Intensität sind. Vorliegend überschütten einige Demonstranten das EZB-Logo mit Farbe. Dadurch wird nicht unerheblich auf fremdes Eigentum eingewirkt. Das Übermalen stellt somit hinsichtlich des Logos Gewalt dar. Fraglich ist allerdings, wie es sich auswirkt, dass nur einige der

Demonstranten das Logo bemalen und dieser Akt nicht von allen Teilnehmern der Gruppe durchgeführt wird. Grundsätzlich führt das Verhalten einzelner Teilnehmer nicht zur Qualifizierung der gesamten Versammlung als gewalttätig.

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FALL 3: Occupy EZB

Fraglich und entscheidend ist somit ob das Verhalte der einzelnen von der Gruppe getragen wird oder nicht.

Werden die Verstöße nicht von der Gruppe getragen, ist die Versammlung friedlich. Schließt sich aber die Mehrheit der Teilnehmer solidarisch den Einzelnen an führt dies zur

Unfriedlichkeit. Die Unfriedlichkeit lässt zunächst lediglich den Grundrechtsschutz der einzelnen Betroffenen

entfallen.

Hier: Kleine gruppe von 5 Personen. Der Rest versucht sie aktiv daran zu hindern. Keine Solidarisierung mit dem Verhalten. →keine Unfriedlichkeit aus der Bemalung des Logos

Fraglich ist allerdings weiterhin, ob die Versammlung als gewalttätig zu qualifizieren ist, weil sich eine Gegendemonstration geformt hat, die die Occupy-Demonstranten mit faulen Eiern bewirft.

Pro: Prinzipiell ist der Bewurf anderer Personen mit Eiern als Gewalt zu qualifizieren. Contra: Der Grundrechtsschutz des einen darf nicht unterlaufen werden, weil ein anderer diesen

versucht zu unterlaufen. Contra: Meinungsaustausch in einer Gesellschaft setzt auch Provokation und andere Thesen

voraus → es ist jedem Meinungsaustausch (und damit auch einer Demonstration für eine Meinung) immanent, dass nicht alle damit einverstanden sind.

Contra: Schutzpflichtdimension des Staates, genau hier die Grundrechtsausübung zu gewährleisten.

→ keine Unfriedlichkeit der gesamten Versammlung

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FALL 3: Occupy EZB

 Aufrührerisch: Eine Versammlung ist aufrührerisch, wenn sie als Ziel einen

Umsturz hat und als Mittel einen aktiven gewaltsamen Widerstands gegen rechtmäßig handelnde Vollstreckungsbeamte formt.

Fraglich ist ob die Vermummung einiger Demonstranten auf ein Ziel des Umsturzes hindeutet und die Versammlung damit aufrührerisch wäre. Pro: Vermummung dient tendenziell der Unkenntlichmachung einer

Person. Pro: Dies könnte auf einen nicht erlaubten Zweck schließen lassen,

bzw. eine Tendenz zu gewaltsamem Wiederstand, bei dem die einzelnen Täter nicht erkannt werden sollen.

Contra: Kann auch dem Schutz vor informellen Maßnahmen durch die Polizei dienen.

Contra: Allein die Vermummung lässt noch keine weiteren Rückschlüsse zu.

→ Das bloße Vermummen reicht nicht alleine zur Annahme eines aufrührerischen Verlaufs.

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FALL 3: Occupy EZB

 B. Eingriff   Ein Eingriff ist jedes staatliche Handeln, das das vom

Schutzbereich umfasste Verhalten unmöglich macht oder wesentlich erschwert. Die Polizei, die exekutive Staatsgewalt, hat die Demonstration aufgelöst und den Teilnehmern somit die Ausübung der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 I GG unmöglich gemacht. Somit liegt ein Eingriff in den Schutzbereich vor.

→ auch nach klassischem Eingriffsbegriff ein Eingriff.

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FALL 3: Occupy EZB

Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

Schranken des Grundgesetzes  Art. 8 II GG enthält einen einfachen

Gesetzesvorbehalt für Versammlungen unter freiem Himmel.

  (Anmerkung: für Versammlungen in geschlossenen

Räumen kommen verfassungsimmanente Schranken in

Betracht, deren gesetzliche Ausformung sich in den §§ 5 ff. VersammlG befinden)  

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Fraglich ist, ob es sich bei der Versammlung um eine Versammlung unter freien Himmel handelt, wenn die Teilnehmer auf dem Zentralplatz vor der EZB in Zeltstädten campieren.

Der Wortlaut ermöglicht sowohl die Annahme einer Versammlung in geschlossenen Räumen als auch einer unter freiem Himmel.

Der Sinn der Privilegierung für Versammlungen in geschlossenen Räumen liegt jedoch in der geringeren Gefährlichkeit. Sie sind nicht für den Verkehr eröffnet und ein unbegrenzter Zufluss weiterer Demonstranten ist nicht möglich.

Zwar ist der Raum in den Zelten selbst begrenzt. Jedoch ist der Platz vor der EZB-Bank für den öffentlichen Verkehr frei zugänglich und Konfrontationen mit Gegendemonstranten jederzeit möglich.

Versammlung unter freien Himmel (+) 

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Schranken finden sich, soweit der Anwendungsbereich eröffnet ist, im VersammlG.

Als einschränkende Gesetze kommen hier § 15 III und § 15 I, IV VersG in Betracht.

Diese müssten aber wiederum verfassungsgemäß sein (Schranken-Schranken)

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1) Verfassungsmäßigkeit von § 15 III VersammlG

§ 15 III VersammlG könnte eine taugliche Schranke sein. Dann müsste die Norm

allerdings ihrerseits verfassungsgemäß sein.

a) Verfassungsmäßigkeit des § 15 III VersammlG

Dann müsste § 15 III VersammlG formell und materiell verfassungsmäßig sein.

aa) Formelle Verfassungsmäßigkeit

Gegen die formelle Verfassungsmäßigkeit ergeben sich – mangels entgegenstehender Hinweise – keine Bedenken.

 

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FALL 3: Occupy EZB

bb) Materielle Verfassungsmäßigkeit   Verhältnismäßigkeit Legitimer Zweck: Sicherung des ungestörten Ablaufs einer Versammlung. ·Geeignetheit: Das Verbot, sich nicht ohne Anmeldung zu versammeln, fördert diesen Zweck

zumindest. ·Erforderlichkeit: Das Verbot müsste das mildeste unter den gleich wirksamen Mitteln

sein. Als milderes Mittel kommt eine Auflage in Betracht. Dieses Mittel wäre jedoch nicht gleich

effektiv. ·Angemessenheit: Das Mittel müsste auch mit Hinblick auf den Zweck verhältnismäßig sein.

Dabei ist insbesondere auch die Schwere des Eingriffs in die Versammlungsfreiheit zu beachten. Das Auflösen einer Versammlung ist der stärkste Eingriff in die Versammlungsfreiheit.

Art. 8 I GG die Versammlungsfreiheit ohne Anmelde- oder Erlaubnispflicht. Somit würde die einfachgesetzliche Norm des § 15 III GG im Widerspruch zu einer

Verfassungsnorm stehen und wäre mithin nichtig. Jedoch gewährt § 15 III GG dem Rechtsanwender auch Ermessen. Somit kann die Vorschrift verfassungskonform in der Weise auszulegt werden, dass es sich nicht

um eine Anmeldepflicht, sondern um eine Obliegenheit handelt. Nur, weil eine Versammlung nicht angemeldet ist, kann sie nicht aufgelöst werden. Es müssten noch weitere Umstände hinzutreten.

 

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FALL 3: Occupy EZB

Schranke des §15 III VersammlG

Kommt als potentielle Schranke in Betracht → müsste allerdings seinerseits selbst verfassungsgemäß sein

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FALL 3: Occupy EZB

Schranke des §15 III VersammlG

Kommt als potentielle Schranke in Betracht → müsste allerdings seinerseits selbst verfassungsgemäß sein

Verfassungsmäßigkeit des §15 III VersammlG

Formelle Verfassungsmäßigkeit Gegen die formelle Verfassungsmäßigkeit ergeben sich – mangels

entgegenstehender Hinweise – keine Bedenken.

Materielle Verfassungsmäßigkeit

Das Verbot sich nicht ohne Anmeldung zu versammeln, müsste zunächst einem legitimen Zweck dienen. In Betracht käme vorliegend die Sicherung des ungestörten Ablaufs einer Versammlung. Doch müsste dieser Zweck auch von der Verfassung selbst nicht missbilligt werden. Neben den allgemeinen Schranken-Schranken enthält aber Art. 8 I GG einen ausdrücklichen Ausschluss der Anmeldepflicht. Das Grundgesetz sieht hier ausdrücklich vor, dass eben eine solche Pflicht nicht statuiert werden darf. Der Gesetzesvorbehalt kann sich wohl kaum auch auf diese Pflicht beziehen, denn damit würde ein Recht auf Versammlungsfreiheit de facto völlig leerlaufen.

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FALL 3: Occupy EZB

Ergebnis zur Verfassungsmäßigkeit von §15 III VersammlG

Mithin verfolgt §15 III VersammlG schon keinen verfassungslegitimen Zweck und ist somit materiell verfassungswidrig.

§15 III VersammlG ist somit eine verfassungsmäßige Schranke für das Grundrecht aus Art. 8 I GG.

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FALL 3: Occupy EZB

a.A: Neben den allgemeinen Schranken-Schranken enthält aber Art. 8 I GG einen ausdrücklichen Ausschluss der Anmeldepflicht. Das Grundgesetz sieht hier ausdrücklich vor, dass eben eine solche Pflicht nicht statuiert werden darf. Die Nichtigkeit des § 15 III ist somit wohl grds vertretbar, allerdings muss dies sehr gut begründet werden, da die ganz hM von der Verfassungsgemäßheit ausgeht.

b) Ergebnis zur Verfassungsmäßigkeit von §15 III VersammlG

Somit ist § 15 III VersammlG eine verfassungsmäßige Schranke für die Versammlungsfreiheit aus Art. 8 I GG.

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FALL 3: Occupy EZB

2) Verfassungsmäßigkeit des § 15 IV iVm § 15 I VersammlG

Die Polizei könnte sich bei der Auflösung auf § 15 IV iVm § 15 I VersammlG stützen.

a) Verfassungsmäßigkeit des § 15 IV VersammlG

Dazu müsste § 15 IV VersammlG seinerseits verfassungskonform sein.

aa) Formelle Verfassungsmäßigkeit  Gegen die formelle Verfassungsmäßigkeit ergeben sich –

mangels entgegenstehender Hinweise – keine Bedenken.

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FALL 3: Occupy EZB

bb) Materielle Verfassungsmäßigkeit

§ 15 IV VersammlG ist verhältnismäßig, wenn die Norm einem legitimen Zweck dient und das Mittel geeignet, erforderlich und angemessen ist, um den Zweck zu erreichen.

· Legitimer Zweck: Versammlung, die die öffentliche Sicherheit und

Ordnung unmittelbar gefährden, zu verhindern. · Geeignetheit: Das Verbot einersolchen Versammlung

und das anschließende Auflösen fordern diesen Zweck zumindest. · Erforderlichkeit: Das Verbot und die folgende Auflösung

müssten das mildeste unter den gleich wirksamen Mitteln sein. Als milderes Mittel kommt eine Auflage in Betracht nach § 15 I VersammlG. Dieses Mittel wäre jedoch nicht gleich effektiv.

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FALL 3: Occupy EZB

·Angemessenheit: Das Verbot und die darauf folgende Auflösung müssten auch im Hinblick auf die Versammlungsfreiheit angemessen sein. Zwar sind Verbot und Auflösung sehr starke Eingriffe in Art. 8 I GG. Jedoch gewährt § 15 I GG die Möglichkeit erst eine Auflage zu erteilen und sieht darüber hinaus auch einen Ermessensspielraum vor. Außerdem ermöglicht § 15 IV VersammlG nur die Auflösung verbotener Versammlungen, die die immanenten Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung unmittelbar gefährden. Somit ist das Mittel auch verhältnismäßig, um den Zweck zu erreichen.

b) Ergebnis zur Verfassungsmäßigkeit von § 15 IV VersammlG

Somit ist § 15 IV VersammlG eine verfassungsmäßige Schranke für die Versammlungsfreiheit aus Art. 8 I GG.

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FALL 3: Occupy EZB

Verfassungsmäßigkeit des Einzelaktes Der Einzelakt muss auf seine Verfassungsgemäßheit,

nicht jedoch auf seine einfachgesetzliche Rechtswidrigkeit überprüft werden (kein Prüfung der VSS des VersG).

Das BVerfG ist kein Superrevisionsinstanz. Es überprüft nur Verletzungen von spez. Verfassungsrecht.

Die ist der Fall wenn bei der Anwendung des einfachen Rechts die Bedeutung eines Grundrechts nicht erkannt wurde. Hier ist insbesondere die Verhältnismäßigkeit zu prüfen.

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FALL 3: Occupy EZB

Verhältnismäßigkeit des Einzelakts

Darüber hinaus müsste allerdings die Auflösung als solche verhältnismäßig sein. Dann müsste mit der Auflösung ein legitimer Zweck verfolgt worden und das Mittel geeignet, erforderlich und angemessen sein, um den Zweck zu erreichen.

a) Legitimer Zweck · Schutz des Eigentums privater Dritter (EZB) · Schutz der Teilnehmer selbst vor den Gegendemonstranten · Schutz der Ehre der Mitarbeiter, die beschimpft werden · Aufrechterhaltung des öff. Ansehens der Bundesrepublik

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FALL 3: Occupy EZB

b) Geeignetheit  Die Auflösung müsste den Zweck zumindest fördern. Auflösung ist

jedenfalls geeignet den Zwecken nachzukommen.

c) Erforderlichkeit

Die Auflösung müsste das mildeste unter den gleich wirksamen Mitteln sein. Schutz  des  Eigentums  privater  Dritter  →  Störung wird nur von Einzelnen

verübt. Lässt sich mithin auch durch die Entfernung der Störer erreichen (Vgl. §§ 18 I iVm 11 VersammlG).  

Ist   jedenfalls   milder   als   die   vollständige   Auflösung   →   insoweit   nicht  erforderlich.

Im Übrigen: Die Versammlung findet bereits statt, um den Zwecken nachzukommen lassen sich mithin auch keine anderen – gleich geeigneten – Mittel finden.

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FALL 3: Occupy EZB

d) Verhältnismäßigkeit ieS Die Auflösung müsste allerdings auch

verhältnismäßig ieS sein, d.h. die Beeinträchtigung des Rechts aus Art. 8 I dürfte nicht außer Verhältnis stehen zum Erreichen des legitimen Zwecks.

· Die Auflösung ist der stärkste Eingriff in die Versammlungsfreiheit des Teilnehmers. Somit müssten die Ziele gewichtig sein, um ein Verhältnis praktischer Konkordanz schaffen zu können.

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FALL 3: Occupy EZB

· Pro: Schutz der Ehre der Mitarbeiter, die sich beschimpfen lassen müssen.

· Contra:   Spiegel   der   Meinungsäußerung,   verstärkt   durch   Art.   5   I   GG   →  Titulierungen   sind   Werturteile   mit   Tatsachengehalt   →   keine   reine  Schmähkritik.

· Pro: Polizei möchte auch die Teilnehmer vor den Gegendemonstranten schützen (Ausprägung der Schutzpflicht des Staates).

· Contra: Dann wäre allerdings die Auflösung der anderen Veranstaltung

angezeigt  →  diese  ist  primär  der  Störer  und  mithin  verantwortlich. · Pro: Ansehen der Bundesrepublik. · Contra: Es ist gerade Sinn einer demokratischen Grundordnung sich

mit verschiedenen Meinungen auseinanderzusetzen. · Contra: Die reine Verletzung der Anmeldepflicht ist auch hier

kein Argument   →   Art.   8   I   GG   soll   auch   gerade   Versammlungen ohne Anmeldung schützen

 

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FALL 3: Occupy EZB

Auflösung war nicht verhältnismäßig ieS. Zwischenergebnis   Mithin ist der Eingriff in Art. 8 I GG zwar von den

Schranken des Grundgesetzes aber nicht unter Berücksichtigung der Schranken-Schranken gedeckt.

D. Endergebnis Der Eingriff in den Schutzbereich der

Versammlungsfreiheit, Art. 8 I GG, des Teilnehmers ist nicht gerechtfertigt. Somit ist das Grundrecht des Teilnehmers verletzt. Eine hierauf gestützte Klage wäre begründet.

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Fall 4: Flatrate Party

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Zulässigkeit

Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde richtet sich nach Art. 93 I Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90, 92 ff. BVerfGG.

I. Beteiligtenfähigkeit

G müsste zunächst im Rahmen der Verfassungsbeschwerde beteiligtenfähig sein.

§ 90 I BVerfGG „jedermann“, also jeder, der grundrechtsfähig ist.

G ist beteiligtenfähig.

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Zulässigkeit

II. Tauglicher Beschwerdegegenstand

Weiterhin müsste es sich bei dem „Festpreisveranstaltungsgesetz“ um einen tauglichen Beschwerdegegenstand handeln.

§ 90 I BVerfGG jeder Akt der öffentlichen Gewalt. Anders als im Rahmen von Art. 19 IV GG, der nach verbreiteter

Auffassung nur Maßnahmen der Exekutive erfasst, sind hiermit in § 90 I BVerfGG auch Maßnahmen von Legislative und Judikative gemeint (vgl. §§ 93 III, IV, 94 IV, 95 III BVerfGG und §§ 94 III, 95 II BVerfGG).

Das „Festpreisveranstaltungsgesetz“ ist als Maßnahme des (Landes-)Gesetzgebers mithin ein Akt der öffentlichen Gewalt iSv§ 90 I BVerfGG.

Ein tauglicher Beschwerdegegenstand liegt damit vor.

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Zulässigkeit

III. Beschwerdebefugnis

G müsste zudem beschwerdebefugt sein.

(a) Dafür müsste sich aus seinem Sachvortrag zunächst die Möglichkeit der Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten ergeben.

Es erscheint hier zumindest möglich, dass er als Gastwirt durch das Flatrate-Gesetz in seinem Recht auf Berufsfreiheit gem. Art. 12 GG verletzt ist.

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Zulässigkeit

(b) G müsste durch das Gesetz zudem selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen sein.

Als Gastwirt ist G durch das Gesetz selbst betroffen.

Es könnte an der gegenwärtigen Betroffenheit des G fehlen Das Gesetz ist bereits in Kraft Allerdings: erst in Zukunft bei nächster Flaterateparty entfaltet das

Gesetz Folgen Es genügt insofern jedoch, dass der Beschwerdeführer durch den

angegriffenen Rechtssatz zu später nicht mehr korrigierbaren Entscheidungen gezwungen wird.

G muss vorliegend sein Geschäftsmodell umstellen und wird damit schon jetzt zu Dispositionen gezwungen, die er später nicht mehr ohne Weiteres korrigieren kann. Er ist damit auch gegenwärtig betroffen.

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G müsste schließlich auch unmittelbar betroffen sein.

Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn die angegriffene Rechtsnorm direkt in grundrechtlich geschützte Positionen eingreift, ohne dass es noch eines weiteren Vollzugsakts bedarf (sog. „self-executing Norm“).

Hier enthält der angegriffene Rechtssatz (in §§ 2, 3 III) ein Verbot, wodurch das Gesetz – unabhängig von einem weiteren Vollzugsakt – unmittelbar grundrechtlich relevante Wirkungen entfaltet.

G ist damit auch unmittelbar betroffen.

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Zulässigkeit

IV. Rechtswegerschöpfung

G müsste nach § 90 II BVerfGG zudem den Rechtsweg erschöpft haben.

Er müsste dazu alle Rechtsschutzmöglichkeiten vor den Fachgerichten ausgeschöpft haben.

Rechtsschutz gegen Rechtsnormen kann jedoch nur ausnahmsweise im Rahmen der prinzipalen Normenkontrolle nach § 47 VwGO erlangt werden.

Bei dem hier angegriffenen „Festpreisveranstaltungsgesetz“ handelt es sich allerdings nicht um einen der in § 47 I VwGO genannten Rechtssätze, so dass hier von vorneherein kein fachgerichtlicher Rechtsschutz zur Verfügung stand.

Die Verfassungsbeschwerde scheitert damit auch nicht an einer fehlenden Rechtswegerschöpfung.

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Zulässigkeit

V. Keine Subsidiarität

Über den Gesichtspunkt der Rechtswegerschöpfung hinaus erfordert die in § 90 II BVerfGG zum Ausdruck kommende Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, dass G auch sonst alle prozessualen Möglichkeiten zur Korrektur der Grundrechts- verletzung ausgeschöpft hat.

inzidente Normenkontrolle durch ein Fachgericht? möglich, zumutbar und sinnvoll Abwarten bis Bußgeld bekommt und dann vor Fachgerichten gegen Bußgeld

vorgehen? Zumutbarkeit (-) Zudem: die Fachgerichte müssen Gesetze, die sie für verfassungswidrig halten, nach Art. 100

GG dem Bundesverfassungsgericht vorlegen müssen. Wenn nicht ausnahmsweise ein nicht unerheblicher Aufklärungsbedarf in tatsächlicher oder

rechtlicher Hinsicht besteht, dem die Fachgerichte besser als das Bundesverfassungsgericht begegnen können, erscheint es auch vor dem Hintergrund der Subsidiariät der Verfassungsbeschwerde nicht sinnvoll, förmliche Gesetze zunächst einer inzidenten Normenkontrolle zuzuführen.

Vorliegend ist kein besonderer Aufklärungsbedarf ersichtlich, so dass die Verfassungsbeschwerde hier nicht gegenüber einer inzidenten Normenkontrolle subsidiär ist.

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Zulässigkeit

VI. Form & Frist

Die Verfassungsbeschwerde ist nach §§ 23 I, 92, 93 III BVerfGG schriftlich, mit Begründung und unter Bezeichnung des Beschwerdegegenstands und des verletzten Grundrechts innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten des angegriffenen Rechtssatzes beim Bundesverfassungsgericht einzulegen.

Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte ist von der Einhaltung dieser Voraussetzungen hier auszugehen.

Die Verfassungsbeschwerde des G ist damit zulässig

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FALL 4: Flatrate

II. Begründetheit

Schutzbereich

Persönlicher Schutzbereich  Art. 12 GG ist ein Deutschengrundrecht. G ist deutscher → persönlicher Schutzbereich

eröffnet Anmerkung: für Ausländer ist auf Art. 2 I GG zurückzugreifen, bei EU-Ausländern ist es

streitig, ob Art. 12 I GG angewendet wird oder ob sie sich nur auf Art. 2 I GG berufen können, dort im Rahmen der Schranken-Schranken aber die strengeren Voraussetzungen des Art. 12 I GG zu übertragen sind.

Sachlicher Schutzbereich: Beruf: jede selbstständig oder unselbstständige, auf Dauer angelegte; der Schaffung und

Erhaltung einer Lebensgrundlage dienende Tätigkeit Beim Betreiben einer Gaststätte durch G (+) Gewährleistungen: u.A.: Freiheit der Berufswahl und Berufsausübung:  die Freiheit der Berufswahl betrifft das Ob einer bestimmten beruflichen Tätigkeit:

Wahl eines bestimmten Berufes Wahl ohne einen Beruf zu bleiben oder wieder ohne Beruf zu sein Wahl einen Beruf zu wechseln oder zu beenden

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FALL 4: Flatrate

Sachlicher Schutzbereich: Beruf: jede selbstständig oder unselbstständige, auf

Dauer angelegte; der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dienende Tätigkeit

Beim Betreiben einer Gaststätte durch G (+) Gewährleistungen: u.A.: Freiheit der Berufswahl und Berufsausübung:  die Freiheit der Berufswahl betrifft das Ob einer

bestimmten beruflichen Tätigkeit: Wahl eines bestimmten Berufes Wahl ohne einen Beruf zu bleiben oder wieder ohne Beruf

zu sein Wahl einen Beruf zu wechseln oder zu beenden

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die Freiheit der Berufsausübung das Wie einer bestimmten beruflichen Tätigkeit, d.h. die Gesamtheit der mit der Berufstätigkeit und ihrem Ort, ihren Inhalten, Umfang Dauer, Verfahrensweisen und äußerliche Entscheidungsformen sowie Modalitäten

Flateratepartys „wie“ des Berufs Gastwirt

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Eingriff Eingriff ist grundsätzlich jede Verkürzung des tatbestandlich Gewährleisteten

→ hier: Veranstaltung von Flatrate-Partys wird verboten, somit kann G seinem Beruf nicht mehr in der Gestalt nachgehen, wie er es gerne möchte, nämlich unter Einschluss von Flatrate-Partys in seiner Gaststätte.

Bei Art. 12 I GG kommt allerdings hinzu, dass der Eingriff entweder subjektiv oder objektiv Berufsregelnde Tendenz haben oder sich bei berufsneutraler Zielsetzung: unmittelbar auf die berufliche Tätigkeit auswirken oder mittelbar Auswirkungen von einigem Gewicht haben. Nicht im Rahmen von Art. 12 I GG erfasst sind solche Eingriffe, die lediglich Folgen mittelbarer Natur auf die Ausübung der Berufsfreiheit haben.

Hier zielt der Eingriff aber unmittelbar darauf, das Gaststättengewerbe zu reglementieren und dort ein bestimmtes Geschäftsmodell zu unterbinden. Der Eingriff hat somit schon objektiv berufsregelnde Tendenz.

→ Eingriff (+)

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FALL 4: Flatrate

Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

Schranken Einschränkung des Art. 12 I GG nur aufgrund eines

Gesetzes Einheitlicher Regelungsvorbehalt des Art. 12 GG Als Gesetz kommt hier das Festpreisveranstaltungs-Gesetz

in Betracht.

Schranken-Schranken Dieses müsste allerdings seinerseits verfassungskonform

sein I. Formelle Vfm (+) II. Mat. Vfm.

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Das Gesetz könnte gegen das Zitiergebot des Art. 19 I 2 GG verstoßen.

Art. 12 I 2 GG enthält indes keinen „Einschränkungs-“, sondern einen

„Regelungsvorbehalt“. Das Grundgesetz setzt insoweit voraus, dass der

Gesetzgeber die Berufsfreiheit durch gesetzliche Regelungen ausgestaltet.

Eine Pflicht, in diesen Regelungen stets Art. 12 GG zu zitieren, erschiene vor diesem Hintergrund als bloße Förmelei.

Art. 19 I 2 GG ist damit nicht verletzt.

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FALL 4: Flatrate

Verhältnismäßigkeit Legitimer Zweck

Die Prüfung des legitimen Zwecks erfolgt im Rahmen des einheitlichen Schutzbereichs der Berufsfreiheit „bereichsspezifisch“ nach der sog. 3-Stufen- Theorie des Bundesverfassungsgerichts (Apothekenurteil)

Danach dürfen – Regelungen der Berufsausübung (des „Wie“) aus jeder

vernünftigen Erwägung des Gemeinwohls erfolgen [1. Stufe], – subjektive Regelungen der Berufswahl (des „Ob“) nur zum

Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter [2. Stufe] – objektive Regelungen der Berufswahl (des „Ob“) nur zur Abwehr

von Gefahren für überragend wichtige Gemeinschaftsgüter [3. Stufe] erfolgen.

Anmerkung: teilweise wird die Prüfung der Eingriffsstufe bereits beim Prüfungspunkt Eingriff vorgenommen, dagegen spricht, dass beim Eingriff ist unerheblich ist, welche Stufe vorliegt (s. Epping Grundrechte 2. Auflage 2004 Rn. 363)

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Die Zuordnung der Regelung zu einer bestimmten Stufe muss sich dabei an dem betroffenen Berufsbild orientieren.

Beruf des Gastwirts (dann: Berufsausübungsregelung) oder einem eigenständigen Beruf des „Flatrate-Party-Veranstalters“

(dann: Berufswahlregelung) Verkehrsanschauung und fehlende Eigenständigkeit des letzteren

sprechen hier für eine Prüfung anhand des Berufsbildes des Gastwirts.

Damit liegt lediglich einen Berufsausübungsregelung vor. Eine solche Regelung kann jeder vernünftigen Erwägung des

Gemeinwohls dienen. Hier erfolgt sie zum Schutz von Gesundheit und körperlichen Unversehrtheit von Jugendlichen sowie der Suchtprävention und der Verhinderung von Polizeieinsätzen. Dies sind vernünftige Gemeinwohlerwägungen

legitimer Zweck (+)

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FALL 4: Flatrate

Geeignetheit

Das (u.A. strafbewährte) Verbot von Flatratepartys verhindert den extensiven Konsum von Alkohol und demzufolge auch die daraus resultierenden negativen Auswirkungen. Mithin ist das im Gesetz angeordnete Verbot auch geeignet den legitimen Zweck zu erreichen.

Erforderlichkeit

Ausprägung der Stufentheorie auch bei der Erforderlichkeit (letztlich aber ein allgemeiner Gedanke des Verhältnismäßigkeitsprinzips)

Lässt sich ein Zweck durch einen Eingriff auf niedrigerer Stufe gleich geeignet realisieren ist der Eingriff auf der höheren Stufe nicht erforderlich

Auf ein und derselben Stufe ist dann abzuwägen, ob dort nicht ebenfalls weniger eingriffsintensive Mittel bestehen würden

Hier ist kein Eingriff auf einer niedrigeren Stufe denkbar → aber: alternative Mittel wie permanente Stichproben etc, haben offensichtlich nicht zum Erfolg geführt und sind somit nicht gleich geeignet.

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Verhältnismäßigkeit

Auch hier wird noch einmal berücksichtigt, auf welcher Stufe der Eingriff erfolgt. Je stärker die Einschränkung des Grundrechts aus Art. 12 I GG ist, desto gewichtiger müssen die Belange des öffentlichen Interesses sein, die geschützt werden sollen → Aber: auch dies ist lediglich eine Systematisierung allgemeiner Gedanken einer Verhältnismäßigkeitsprüfung!

Vorteile des Gesetzes Nachteile des Gesetzes

– Ausschaltung eines massiven Gesund- heitsrisikos insbesondere für Jugendliche (geringe Alkoholverträglichkeit; hohe Empfänglichkeit für den besonderen

Reiz von Flatrate-Angeboten)

– Reduktion von Gesundheitsgefahren auch für Erwachsene (zB wegen generell niedriger Hemmschwelle auf Partys)

– Suchtprävention

– Reduktion von alkoholbedingten Exzessen und Straftaten (Begleit- kriminalität)

– Entlastung der Behörden

– Starker Eingriff in die Privat- autonomie der betroffenen Gastwirte

– Im Einzelfall Existenzbedrohung

– Bevormundung der Kunden (auch, wenn diese bereits volljährig sind)

– Alkoholexzesse sind auch weiterhin möglich und wahrscheinlich (mit Alkohol aus dem Supermarkt auch weiterhin zu einem sehr günstigen Preis)

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Bei der Abwägung ist im Übrigen zu beachten, dass der Eingriff hier auf der „niedrigsten“ Stufe der Berufsfreiheit stattfindet; es handelt sich lediglich um eine Berufsausübungsregelung, die es den betroffenen Gastwirten unbenommen lässt, ihren Beruf auch weiterhin mittels anderer Geschäftsmodelle auszuüben.

Dennoch sind zur Angemessenheit der Regelung hier beide Ansichten vertretbar.

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2. Frage

In beiden Fällen ist sowohl im Rahmen der Beschwerdebefugnis als auch bei Prüfung des persönlichen Schutzbereichs von Art. 12 GG zu beachten, dass Art. 12 GG nach seinem Wortlaut nur Deutsche iSv Art. 116 I GG erfasst.

(a) EU-Ausländer dürfen nach Art. 18 AEUV jedoch keinen schwächeren Grundrechtsschutz als deutsche Staatsbürger genießen. Die Berufsfreiheit ist wegen des eindeutigen Wortlauts von Art. 12 I, 116 I GG für sie zwar über Art. 2 I GG zu prüfen, inhaltlich sind an Grundrechtseingriffe jedoch die gleichen Anforderungen zu stellen wie bei deutschen Staatsbürgern.

(b) Die Berufsfreiheit von Nicht-EU-Ausländern ist durch das Grundgesetz dagegen tatsächlich nicht besonders geschützt. Der eindeutige Wortlaut von Art. 12 I, 116 I GG könnte insofern sogar für eine Verdrängung von Art. 2 I GG im Bereich der Berufsfreiheit sprechen, so dass Ausländer insoweit nicht einmal ihre allgemeine Handlungsfreiheit geltend machen könnten. Dagegen spricht indes, dass jedenfalls der allgemeine Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes auch Nicht-EU-Ausländer schützt, so dass ihnen der Schutz des Art. 2 I GG nicht gänzlich versagt werden kann. Einschränkungen ihrer beruflichen Entfaltung sind daher an Art. 2 I GG zu messen, wobei zu berücksichtigen ist, dass das vom Grundgesetz vorgesehene Schutzniveau im Bereich der Berufsfreiheit hier insgesamt geringer ist.

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Fall 5 Richterin

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, wenn A durch das Urteil des Landgerichts Düsseldorfs und den Beschluss des OLG Düsseldorfs in einem seiner Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte verletzt worden ist.

Das Bundesverfassungsgerichts ist keine Superrevisionsinstanz

nur Prüfung von spezifischem Verfassungsrecht

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Fall 5 Richterin

A. Verletzung von Art. 5 I GG Meinungsfreiheit

I. Eröffnung des Schutzbereichs

1. persönlich: (+) 2. sachlich: Geschützt sind Werturteile, wertende Stellungsnahmen (keine Tatsachen) Tatsachen sind jedoch insofern geschützt als sie Grundlage einer

Meinungsbildung sind -> Vermischung von Tatsachen und Meinungen, Äußerung insgesamt geschützt

BVerfG: Einschränkung für erwiesen oder bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen (Ausschwitzlüge, BVerfGE 90, 241, 247)

hier: Bewertung des Vorgehens der Richterin im Prozess -> fällt unter Meinungsäußerung

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Fall 5 Richterin

II. Eingriff klassischer Eingriffsbegriff: unmittelbar, final,

imperativ, Rechtsakt moderner Eingriffsbegriff: jede Verkürzung

des Schutzbereichs strafrechtlicher Verurteilung (+) beides (+)

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Fall 5 Richterin

III. Rechtfertigung 1. Einschränkungsmöglichkeit des Art. 5 I -> nach Art. 5 II: allgemeine Gesetze Wann ist ein Gesetz allgemein? a. Sonderrechtslehre: nicht gegen die

Meinungsfreiheit an sich, nicht gegen bestimmte Meinungen

b. Abwägungslehre: einem höherem Allgemeininteresse dienend (aber Vhm prüfung findet ohnehin statt)

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BVerfG: Allgemein ist ein Gesetz, wenn es sich weder

gegen die Meinungsfreiheit an sich noch gegen bestimmte Meinungen richtet sondern dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützendem Rechtsgut dient

hier: § 185 StGB allgemeines Gesetz (+)

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Ausnahme vom obengenannten Grundsatz im Fall Wunsiedel: BVerfG, Beschluss vom 4. 11. 2009 - 1 BvR 2150/08

"Der Eingriff in die Meinungsfreiheit ist gerechtfertigt. § 130IV StGB ist eine gesetzliche Grundlage, die in verfassungsrechtlich zulässiger Weise einen Eingriff in die Meinungsfreiheit rechtfertigen kann. Zwar handelt es sich bei der Strafnorm nicht um ein allgemeines Gesetz i.S. des Art. 5II Alt. 1 GG

(1). Als Sonderrecht kann sie auch nicht auf das Recht der persönlichen Ehre gem. Art. 5II Alt. 3 GG gestützt werden

(2). In Bezug auf das nationalsozialistische Regime in den Jahren zwischen 1933 und 1945 erlaubt Art. 5I und II GG jedoch auch Eingriffe durch Vorschriften, die nicht den Anforderungen an ein allgemeines Gesetz entsprechen. Angesichts des einzigartigen Unrechts und des Schreckens, die diese Herrschaft unter deutscher Verantwortung über Europa und weite Teile der Welt gebracht hat, und der für die Identität der Bundesrepublik Deutschland prägenden Bedeutung dieser Vergangenheit, können Äußerungen, die dies gutheißen, Wirkungen entfalten, denen nicht allein in verallgemeinerbaren Kategorien Rechnung getragen werden kann"

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2. Schranken-Schranken: Wechselwirkungslehre

Begriff Wechselwirkungslehre: stammt aus Lüth-Urteil von 1958 Wechselwirkung einerseits zwischen den einschränkenden

Gesetzen (bspw: § 185 StGB) und Art. 5 GG -> nichts anderes als eine Abwägung, Verhältnismäßigkeitsprüfung (diese Dogmatik war jedoch 1958 noch nicht voll entwickelt)

a. Vfm des Gesetzes: § 185 StGB (+)

b. Vfm des Urteils Legitimer Zweck : Ehre der betroffenen Person Geeignetheit und Erforderlichkeit: Bestrafung geeignet und

erforderlich um eine Ehrverletzung nach § 185 zu ahnden

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(1). Persönlichkeitsrecht des Betroffenen überwiegt immer, wenn "Schmähkritik"

-> dann Regelvermutung, dass der Ehrschutz überwiegt und es muss keine Abwägung im Einzelfall mehr erfolgen

Schmähkritik: überzogene und ausfällige Kritik an sich noch nicht ausreichend Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr

die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht.

Sie muss jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der persönlichen Herabsetzung bestehen. Wesentliches Merkmal der Schmähung ist mithin eine das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung.

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hier: A bezieht sich auf das von ihm in der Dienstaufsichtsbeschwerde kritisierte Verhalten und bezweckt eine Überprüfung dieses Verhaltens durch eine übergeordnete Stelle. Es handelt sich zwar um polemische und überspitzte Kritik; diese hat aber eine sachliche Auseinandersetzung zur Grundlage.

Auch bezüglich der Äußerung, es müsse verhindert werden, dass die Richterin auf eine schiefe Bahn gerate, steht die Auseinandersetzung in der Sache im Vordergrund

(2). Zwischenergebnis: Es liegt daher keine Schmähkritik vor

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(3). Abwägung im Einzelfall daher erforderlich

Argumente für Überwiegen des Ehrschutzes ehrbeeinträchtigende Wortwahl des A: perfide

Lüge, schlampige und rechtswidrige Verhalten der Richterin

Es müsse verhindert werden, dass Richterin auf die schiefe Bahn gerät: könnte vermuten lassen, dass A meint, die Richterin würde straffällig werden

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Argumente für Überwiegen der Meinungsfreiheit A hat den Adressatenkreis relativ klein gehalten A befand sich im " Kampf ums Recht": ihm ist hierbei zur

plastischen Darstellung seiner Position grundsätzlich erlaubt, auch starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, ohne jedes Wort auf die Waagschale legen zu müssen

ein Verstoß gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit liegt vor, wenn ein Gericht bei mehrdeutigen Äußerungen die zur Verurteilung führende Bedeutung zugrunde legt, ohne vorher die anderen möglichen Deutungen mit schlüssigen Gründen ausgeschlossen zu haben

-> "auf die schiefe Bahn geraten" nicht unbedingt, dass straffällig, auch andere Interpretation möglich, daher konnte nicht auf diese alleine abgestellt werden

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Die Meinungsfreiheit des A überwiegt (aA vertretbar)

3. Zwischenergebnis: A ist in seinem Recht aus Art. 5 I verletzt.

4. Ergebnis: Die Verfassungsbeschwerde ist begründet.