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Das Carcinom der Vallecula

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schon einmal ausgesprochenen Satz hinstellen, dal~die chh'urgische Be- handlung des Kehlkopfcareinoms noch nicht zum alten Eisen geworfen werden darf und die Laryngochirurgen das in so miihsamer Arbeit ge- sammelte Erfahrungsgut welter zu bewahren und zu pflegen habcn, weft sie immer wieder in die Lage kommen kSnnen und auch kommen, es nutzbringend zu verwerten. Wie immer auch die Frage des Kehlkopf- krebses durch weiteren Fortschritt der Strahlenbehand]ung sich wandeln mag, so kann heute auf die vollkommene Beherrschung aller chirurgi- schen Methoden nnd auch auf die Weiterarbeit an ihrer Vervollkomm- hung derzeit nicht verzichtet werden. Bestrahlung und Chirurgie werden bei einsichtsvoller Anerkennung der Leistungen des einen Faches durch die Vertreter des anderen sich nicht bek~mpfen, sondern vorteilhaft erggnzen, zum tleile unserer armen Krebskranken.

D a s C a r c i n o m der Va l l ecu la .

Von Dozent Dr. Emil Wessely.

(Eingegangen am 18. Juli 1939.)

un t e r den bSsartigen Geschwfilsten des Kehlkopfes und des Mundes nehmen die Tumoren im Bereiche des KehldeJcels und der Zungengrund= tonsillen eine gewisse Sonderstellung ein, welche durch die Entwicklung an der Uberkreuzungsstelle des Respirations- und Digestionstraktes und die durch diese Lokalisation gesetzten Beschwerden gegeben ist.

In einem gewissen Stadium der Entwicklung verurachen sie durch die GrS~enzunahme eine knSdelige Sprache, mechanische ]~ehinderung des Schhckaktes und bei entsprechender weiterer Entwicklung Atemnot verschiedener Grade. Bei zerfallenden Tumoren finden wir auch dys- phagische Zust~nde schmerzhafter ~ a t u r und eine mitunter sehr li~stige Salivation.

In einem Teil der F~lle werden Tumoren dieser Gegend erst auf- gedeckt, wenn die regiongren Driisenmetastasen bereits eine derartige Ausdehnung gewonnen haben, dal~ die seitliche Halsgegend schon eine auf Distanz erkennbare Asymmetrie zeigt. Diese Driisentumoren ent- stehen schmerzlos und machen dem Trs bis zu einer gewissen Zeit auch keine nennenswerten Beschwerden.

Bis vor nicht allzu langer Zeit hat ten wit" nur in den chirurgischen Mal~nahmen eine MSglichkeit der Behandlung dieser malignen Ge- schwiilste. In dieser Xra wurden diese Tumoren bis zur technisch noch

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mSglichen Grenze operiert. Da diese Gesehwfilste einerseits den Kehl- deckel inffltieren, mul~te der Kehlkopf geopfert werden. Da aber anderer- seits diese Tumoren die Zungengrundtonsille oft weitgehend infiltrieren, mul~ eine partielle Resektion der Zunge oder sogar die Totalresektion der Zunge vorgenommen werden, so dal3 in extremen F~tllen geradezu heroische operative Eingriife resu]tieren. Bei einer gewissen Ausdehnung des prims Tumors bestehen immer sehon region~tre Drfisenmetasta- sen, aueh wenn diese ffir das Auge nnd den tastenden Finger vielleieht noch nieht erkennbar sind. Daher bedeuten diese Eingriffe aueh bei noch so sorgf~ltiger Ausrs der Gefgl~scheiden fast immer nur eine ganz voriibergehende ]3efreiung yon der Geschwulst. Der Zustand nach solchen Eingriffen ist auch nieht beneidenswert. Durch das teflweise oder g~nzllehe Fehlen der Zunge wird der Kauakt und die Artikulation in versehiedenem Mal~e gestSrt. Durch die Totalexstirpation des Kehl- kopfes ist die Stimmblldung und die Sprache genommen und die Atmung erfolgt dureh das Traeheostoma, Der auf diese Weise ge- schaffene Zustand bedeutet zweifellos eine allerschwerste Verkrfippe- lung mit ffirehterliehen psyehisehen Depressionen, und dabei wird - - wenn nieht andere Komplikationen eintreten - - dutch die Rezidive und Kaehexie das Leben in der Regel kaum nennenswert verl~tngert.

Ein Umsehwung in der Behandlung dieser Tumoren t ra t ein, als wir allm~hlioh mit der modernen RSntgen-. und Radiumbehandlung und allfglligen chirurgisehen Mal~nahmen kombiniert arbeiten lernten. Dozent Dr. E.G. Mayer, Leiter des ZentralrSntgeninstituts in Wien, und ich als Assistent und Leiter der Laryngologischen Station der Universi- t~tsklinik fiir ttals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten haben das Problem der Behandlung des Kehlkopfkrebses mit kombinierten Methoden in ge- meinsamer Arbeit vet etwa 10 Jahren aufgenommen. Aus der gro~en Zahl der F~lle will ieh nur fiber das Problem der kombinierten Therapie des Valleculaearcinoms beriehten. Seit 1932 haben wir 21 l%lle kombi- niert behandelt, fiber die ieh nun in Kiirze beriehten mSehte. Sie betrafen 19 lVis und 2 :Frauen. Das Alter der Patienten lag in der Regei zwisehen 50 und 60 Jahren. Ein Fall kam im Alter yon 38, der ~lteste mit 73 Jahren zur Beobaehtung. Es handelte sieh durchweg um Platten- epitheleareinome. Die primgren Tumoren erreiehten mitunter eine ganz grol~e Entwieklung und zeigten manehmal schon ausgedehnten Zerfall, bevor sie region~re Drfisenmetastasen erkennen llel~en,

In der H~lfte der F~lle (12) fanden sieh naehweisbare Drfisenmetasta- sen, die in einigen F~tllen das ganze Bild sogar beherrsehten. Wir haben fast alle diese Tumoren zuerst der RSntgenbehandlung naeh Coutard zugeffihrt. Als tterddosis wurden 4500 r yon 2 Feldern aus gegeben. Der prim~re Effekt der R6ntgenbes~rahlung zeigte sich in der Regel in einer auffallenden Rfiekbildung der Tumoren in der zweiten It~lfte der Be-

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strahlungsperiode, die zumeist mit dem Verschwinden der Tumoren ihren Abschlu~ land. In 7 Fallen blieben kleine Rest tumoren zurfick, yon denen ich glaube, da~ sie der Stelle der ersten Entwicklung entsprechen diirften. Die Stelle der ersten Entwicklung ist bei einigermal~en aus- gedehnten Tumoren oft unmSglich anzugeben. In dem Zustande der Riiekbfldung jedoch ist man oft erstaunt, den letzten Rest des Tumors an eh]er Stelle zu sehen, den man als Ausgangspunkt nieht v e r m u t e t hat te . Lusofern diese Rest tumoren durch Probeexcisionen histologiseh naehgewiesen werden konnten, haben wir eine l~adiumbehandlung dieser Gegend angeschlossen, and zwar pflegten wir Radium in der Form der Kontaktbest rahlung mit Tr~gern zu 50 mg oder der Spickmethode mit Nadeln zu 5 m g a l s Zusatzbestrahlung in Anwendung zu bringen.

In 1 Falle erwies sich der yon der Epiglottis ausgehende Tumor der RSntgenbestrahlung gegenfiber ziemlich refraktar, zeigte jedoch auf eine ansehliel~ende Radiumbehandlung mittels Nadeln eine unerwartet sehSne Rfiekbildung und ist auch schon seit 3 Jahren rezidivfrei.

In einem anderen Falle haben wfi" Radium in Form der Spiekmethode allein angewendet. Dabei machten wir die Erfahrung, dal3 das Zungen- bein yon einer fortschreitenden Nekrose ergriffen wurde. Unter sehr heftigen Schmerzen ~nd Schluekbeschwerden wurde nach Wochen der Sequester sichtbar und konnte schlie]lich entfernt werden. I)er Pat ient ist seit 8 Jahren lokal geheilt. In zwei weiteren Fallen haben wit im Hinblick auf diese Erfahrung schon vor der Spickung den Zungenbein- kSrper operativ entfernt, was fiir die Pat ienten keinerlei sonstige Be- sehwerden zur Folge hatte.

Was die Ergebnisse unserer Behandlung anlangt, so ware es abwegig, durch tabellarische Zusammenstellung und prozentuetle Auswertung die Resultate darlegen zu wollen, da die Zahl der Falle nicht grog genug ist, die Dauer der Beobachtung nicht durchweg fiber 5 Jahre betragt und die Tumoren an sich nicht jene Einheitliehkeit zeigen, die eine solche I)arstellung reehtfertigen wfirden. Die bisher gewonnenen guten l~esul- tare lassen sich jedoch kurz dahin zusammenfassen:

Aus der Zahl der 21 Falle sind:

1 Fall . . . . . . . . . . . 8 Jahre rezidivfrei, 1 ,, . . . . . . . . . . . 7 . . . . 1 . . . . . . . . . . . . . 4 . . . . 3 Falle . . . . . . . . . . . 3 . . . . 1 Fall . . . . . . . . . . . 2 . . . . 5 Falle . . . . . . . . . fiber 1 Jahr ,,

Klinisch geheilt sind bisher nut 2 Falle (7 und 8 Jahre). Was die Drfisenmetastasen anlangt, so seheint es, da~ die vom

Zungengrund ausgehenden Tumoren viel frfiher region~re Metastasen setzen als die yon der Epiglottis ausgehenden Careinome; welter ]~13t sieh

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feststellen, dab die Driisenmetastasen sieh ungleieh langsamer und un- vollkommener zurfiekbilden und iiberdies eine grol]e l~eigung zur Rezi- dive aufweisen. In 5 F~tllen erlebten wit eine ziemlich bald wieder ein- setzende Progredienz der Metastasen. Das Schieksal dieser F~lle wird dann dureh die zunehmende Einseheidung, dutch die Kaehexie und die oft unter fiirehterlichen Schmerzen erfolgende Verbreitung in die Weich- teile des seitlichen Halses gekennzeiehnet. In diesen Fs war demnaeh nut eine voriibergehende Besserung erzielbar. In 2 F&llen kam es im sp~teren Verlaufe zu generalisierten Metastasen, und zwar bei 1 F~l] nach 1 J~hr bei lokal unver~indert gutem Zustand zu einer Lungenmetastase, die den Patienten bisher jedoch in keiner Weise in seinem Wohlbefinden stSrt. Sie wurde bei einer Kontrolle r5ntgenologisch aufgedeekt. In einem zweiten l%lle kam es naeh 4 Jahren zu einer cerebralen Metastase, die sieh in halbseitigen StSrungen der Muskulatur zunehmenden Cha- rakters i~uBert.

Zusammenfassend l~Bt sich daher behaupten: Dureh die l~Sntgenbehandlung sind die prims Tumoren im Be-

reiehe der Valleeula und der Zungengrundtonsille mitunter ganz un- erwartet gut beei~luBbar. Dureh zus~tzliehe Radiumbestrahlung li~Bt sieh ein weiterer Erfolg in den l~l len erzielen, bei denen das infiltrative Waehstum noch nieht vorherrseht. Durch eine operative Ausri~umung der Driisenmetastasen vor der Bestrahlung - - soweit dies noeh durch- fiihrbar ist - - glauben wir noeh einen Schritt weiter zn kommen. Da die Strahlensensibilits der Tumoren auch bier groBe Untersehiede zeigt, die sich leider bisher histologisch nieht absehi~tzen lassen, sind wir bis auf weiteres auf die dargelegten therapeutisehen Bemiih~mgen angewie- sen. In der Kombination von Strahlenbehandlung mit chirurgischen Ein- gri]/en er6//net sich ]edoch /iir die in Frage stehenden Tumoren ein Weg, der ohne Verlcri~ppelung ein weir bessere8 und dauerha/teres t~esultat ge- wiihrleistet als die rein operative Therapie. Als oberste Forderung gilt auch fiir diese Tumoren die m6glichst ]riihzeitige Erlcennung derselben. Vage Sehluckbeschwerden yon li~ngerer Dauer sollten daher im hSheren .AAter fiir den praktischen Arzt eine Mahnung sein, diese Gegend einer genauen Inspekt ion zu unterziehen. Beginnende ttalsdrii~enschwellungen sollten auf alle Fi~lle zu einer umfassenden Untersuchung des l~aehens und des Kehlkopfes Anlal~ geben. Nut in der Zusammenarbeit mit dem gut ausgebildeten prak, tischen Arzt wird mit den gegenwi~rtig zur Ver- ffigung stehenden Methoden ein HSchstmal~ therapeutischer Effekte erzielbar sein.