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v. Graefes Archiv fiir Ophthalmologie, Bd. 157, S. 122--139 (1955) Aus der Universitats-Augenklinik Kiel (DJrektor: Prof. Dr. A. MEES~AZCZ~) und dem Physiologischen Institut der Universit~t Kiel (Direktor: Prof. Dr. H. LULLIES) Das Elektroretinogramm und das Elektrocorticogramm des Kaninchens bei Hypoglykiimie und Anoxie Von WOI~F(~ANGPAPST Mit 6 Textabbildungen Die hohe aerobe und anaerobe Glykolyse der Warmb]~iternetzhaut ist seit den Untersuchungen yon WAI~BUI~G, POSI~G]~t~ und ~EGELEI~I bekannt. Im Gegensatz zuln Gehirngewebe ist der Oxydationsstoff- wechsel der Retina gegeni;lber dem Spaltungsstoffwechse] in vitro gering, so dal3 sie anf Kosten der anaeroben Glyko]yse lebt (KI~EBS, WAI~BVl~a). Angeregt durch diese Befunde untersuchte NOELL elektroretinogra- phisch das Verhalten der Retina nach Injektion yon Monojodessigs~ure, die die anaerobe Glykolyse sicher aufhebt und die aerobe Glykolyse un- gestSrt weiter verlaufen l~Bt (LUNDSGAAt~D). Naeh Injektion yon kleinen Dosen, die zu keinen Allgenleinerseheinungen iiihrten, wurde die b-Welle des Elektroretinogramms des Kaninchens reduziert und innerha]b weni- ger Minuten ausgelSscht. In Paralle]untersuehungen wurden diese Er- gebnisse yon SOHIZa3ERT und BORNSCHEI~ best~tigt und histologiseb eine selektive Sch~digung der Receptoren und der ~ul3eren KSrnerschicht gefunden. In den zentra]en Absehnitten der Retina waren nur noch die innere KSrner- und die Ganglienzellschicht erhalten geblieben. Diese Befunde weisen auf die Bedeutung der anaeroben Glykolyse der Netz- haut in rive hin. Andererseits kommt es naoh Anoxie zu eineln, wenn auch langsameren Erl6schen des Elektroretinogramms, so dal] neben der anaeroben GIykolyse auch oxydative Prozesse wichtig sein dfirften (NOELL und CI~I~I). Ausgangspunkt unserer Untersuchungen war die Frage nach dem Verhalten des Elektroretinogramms (ERG) und des Elektrocortico- gramms (ECG) sowie nach dem Energiestoffwechsel der Netzhaut und des Gehirns w~hrend der Hypog]yk~mie. Unter diesem Gesichtspunkt untersuchten wir den EinfluB einer Erniedrigung des Blutzuckerspiegels auf den Energievorrat und den T~tigkeitsstoffwechsel der Netzhaut sowie die Beziehungen zwisehen ERG und Hypoglykgmie. Der Blutzueker- spiegel wurde durch Insulin auf mehr oder weniger kleine Werte gesenkt und die Funktion der 2qetzhaut elektroretinographisch gepriift. Im Anschlul3 an die Hypoglyk~mie erzeugten wir dureh Stickstoffbeatmung eine Anoxie und bestimmten die L~hmungs- und Erholungszeiten der

Das Elektroretinogramm und das Elektrocorticogramm des Kaninchens bei Hypoglykämie und Anoxie

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v. Graefes Archiv fiir Ophthalmologie, Bd. 157, S. 122--139 (1955)

Aus der Universitats-Augenklinik Kiel (DJrektor: Prof. Dr. A. MEES~AZCZ~) und dem Physiologischen Institut der Universit~t Kiel (Direktor: Prof. Dr. H. LULLIES)

Das Elektroretinogramm und das Elektrocorticogramm des Kaninchens bei Hypoglykiimie und Anoxie

Von WOI~F(~ANG PAPST

Mit 6 Textabbildungen

Die hohe aerobe und anaerobe Glykolyse der Warmb]~iternetzhaut ist seit den Untersuchungen yon WAI~BUI~G, POSI~G]~t~ und ~EGELEI~I bekannt. Im Gegensatz zuln Gehirngewebe ist der Oxydationsstoff- wechsel der Retina gegeni;lber dem Spaltungsstoffwechse] in vitro gering, so dal3 sie anf Kosten der anaeroben Glyko]yse lebt (KI~EBS, WAI~BVl~a).

Angeregt durch diese Befunde untersuchte NOELL elektroretinogra- phisch das Verhalten der Retina nach Injektion yon Monojodessigs~ure, die die anaerobe Glykolyse sicher aufhebt und die aerobe Glykolyse un- gestSrt weiter verlaufen l~Bt (LUNDSGAAt~D). Naeh Injektion yon kleinen Dosen, die zu keinen Allgenleinerseheinungen iiihrten, wurde die b-Welle des Elektroretinogramms des Kaninchens reduziert und innerha]b weni- ger Minuten ausgelSscht. In Paralle]untersuehungen wurden diese Er- gebnisse yon SOHIZa3ERT und BORNSCHEI~ best~tigt und histologiseb eine selektive Sch~digung der Receptoren und der ~ul3eren KSrnerschicht gefunden. In den zentra]en Absehnitten der Retina waren nur noch die innere KSrner- und die Ganglienzellschicht erhalten geblieben. Diese Befunde weisen auf die Bedeutung der anaeroben Glykolyse der Netz- haut in r ive hin. Andererseits kommt es naoh Anoxie zu eineln, wenn auch langsameren Erl6schen des Elektroretinogramms, so dal] neben der anaeroben GIykolyse auch oxydative Prozesse wichtig sein dfirften (NOELL und CI~I~I).

Ausgangspunkt unserer Untersuchungen war die Frage nach dem Verhalten des Elektroretinogramms (ERG) und des Elektrocortico- gramms (ECG) sowie nach dem Energiestoffwechsel der Netzhaut und des Gehirns w~hrend der Hypog]yk~mie. Unter diesem Gesichtspunkt untersuchten wir den EinfluB einer Erniedrigung des Blutzuckerspiegels auf den Energievorrat und den T~tigkeitsstoffwechsel der Netzhaut sowie die Beziehungen zwisehen ERG und Hypoglykgmie. Der Blutzueker- spiegel wurde durch Insulin auf mehr oder weniger kleine Werte gesenkt und die Funktion der 2qetzhaut elektroretinographisch gepriift. Im Anschlul3 an die Hypoglyk~mie erzeugten wir dureh Stickstoffbeatmung eine Anoxie und bestimmten die L~hmungs- und Erholungszeiten der

Das Elektroretinograram und das Elektroeorticograram des Kaninchens 123

Sehrinden- u n d Ret in~potent ia le . Dsbei ergab sich, da~ sowohl die HShe des Blutzuckers als auch die S~uerstoffversorgung ffir die GrSBe der b-Wel lenampl i tude des E R G yon entscheidender Bedeutung sind.

Hethodik

Als Versuchstiere d ien ten 20 K a n i n c h e n verschiedener Rassen, an denen insgesamt fiber 50 Einze]versuche durchgeffihrt wurden, Sie waren 6 - - 8 M e n , r e alt u n d 3- -3 ,5 kg schwer.

Ableitung des Elektro~'etinogramm8 und des Elektrocorticogramms. Das ElgG und ECG wurde ira wesentlichen nach der yon !Po~P beschriebenen Methodik auf- genoraraen. Zur Ableitung yon der Hornhaut wurde eine Sflberdrahtelektrode, die an der Spitze yon einem rait physiologischer KoehsalzlSsung gesgttigten Well- laden urageben war, verwendet. Als indifferente Elektrode diente eine kleine Schraube aus I~irostastahl, die in der Mitre des Orbitalwulstes eingedreht wurde. Die Lider des untersuchten Auges wurden mit Hilfe raehrerer Leukoplaststreifen auseinander gehalten und das zweite Auge zur Vermeidung stSrender Lidbewe- gungen verbunden.

Das ECG wurde fiber der Area striata yon der Lamina interna bzw. der unver- letzten Dur~ abgeleitet. Naeh Freipr~parieren des Sehgde]knochens wurden fiber der homo- und kontralateralen Sehrinde zwei Schrgubchen eingedreht. Durch diese Art der Ableitung ist die StSrung durch Muskelpotentiale gering.

Als indifference Elektrode diente eine Bleiplatte am linken Ohr des Kaninchens. l~egistriert wuMe rait einera vierfachen direktsehreibenden Elektroencephalo- gr~phen der lS'h'ma Sehwarzer.

Vor Beginn des Versuehes wurden die Tiere an eine konstant gehaltene schwache Raumbeleuehtung adaptiert. Wghrend der Hypoglykgraie wurde die Netzhaut alle 15 rain fiir 2---3 rain durch eine vet der Liehtquelle rotierende Sektorenscheibe intermittierend belichtet. Die Dauer des Einzelblitzes betrug 25 msec bei einer Frequenz yon 2,5/see. Die ]Seliehtung erfolgte durch eine Mattglasscheibe, die 2--3 era vor dera Auge des Kaninehens angebraeht war und yon einem ]ichtdieht abgeschlossenen Leitz-Projektor beleuchtet wurde. DaM Reizfeld war yon gleieh- rag~iger Leuchtdichte, die durch Graufil*er yon 10000 asb bis 1000 asb reduziert werden konnte. Die Spannung der Beleuchtungslampe und die Rotationsgeschwin- digkelt des Sektorsysteras konnten mit zwei Widerst~nden konstant eingestellt werden. Ein Tefl der Lichtstrahlen wnrde dutch ein Spiegelprism~ auf eine Photo- zelle gelenkt und im 4. Kanal des Encephalographen mitregistrlert. Die Pupille wurde wi~hrend des Versuches rai~ 1% ALropin. sulf. raaxiraal welt gehalten.

!?%tr die Auswertung der erhaltenen El%G-Xurven wurde aus der HShe yon 5 b-Wellen ein Mittelwert eiTeehnet. DiG raitt]ere Abweichung des Mittelwertes lag zwischen !,8 und 2,7 %. Es wurden die ersten EI%G einer Lichtblitzserie nieh~ genomraen, da es naeh dera ersten Reiz regelmi~Sig zu einer leiehten ErhShung fiber die isoe]ektrisehe Linie entsprechend dem Verlauf der c-Welle des Et~G kara. Naeh Ablauf dieser positiven Sehwankung yon 2,0--2,5 see Dauer blieb die Araplitude der b-Welle bei norton]era Blutzueker konstant hoch und war zu jeder Zeit bei einem mittleren Adaptationszustand zu reproduzieren. Die HShe der b-Welle in der Hypoglykaraie und Anoxie wurde in Prozenten zum Araplitudenausgangswert angegeben. Sie wurde erst dann ausgewerte%, wenn sieh naeh 1--2 rain Belichtungs- dauer ein Gleichgewichtszustand, d. h. eine konstante AmplitudenhShe eingestent hatte (s. unten).

HypoglykSmie. DiG gypoglyk~raie wurde durch Insulin erzeugt. Die Tiere wurden 24 Std vorher nfiehtern gehalten und erhielten wghrend einer Versuehs-

124 WOLFQA~a P~s~:

dauer yon 6--9 Std in mehreren Einzeldosen insgesamt 4--9 E/kg Air-Insulin. Am Versuchsende wurde 1,5--2 g/kg Glucose in die Ohrvene in]iziert. Der Blutzucker wurde alle 30 rain nach HAGEDOlClg nnd J~s~-~ im Ohrvenenblut bestimmt. Aus 2--3 Parallelbestimmungen warde der Mittelwert genommen.

Mi% dieser Methode werden alle reduzierenden Substanzen und nicht ,tier wahre Zueker" oder die reine G]ueosereduktion des Blutes erfbBt. Naeh KOSTER~ITZ, F~A~K und KIa~E~GE~ bleibt jedoch die Rest- reduk%ion, d .h . der Anteil der reduzierenden Nichtzueker, bueh unter st/irkeren Stoffwechselbelastungen absolut konstant. Sic betr~igt fiir den Menschen naeh Glucose- und Insu]inbelas~ung 25--30 nag-%. Die nach HAG~DOR~-J~sE~ gewonnenen Kurven zeigen also lediglich die Blu%zuckerwerte bur einem hSheren Nivebu. Eine Verzerrung dureh die Niehtzueker erfolgt nieht, so dbl3 wir bur die komplizierteren l~ethoden zur Bes%immung ,,der wbhren Glucosewerte" verziehten konnten.

Die Kaninchen wurden auf einem Brett durch einen Kopfhalter, der der Sch~del- form des Tieres entspraeh, fixierg. Auf eine Akinesie des Bulbus muBte verzieh%et werden, daes in der Hypoglyki~mie naeh einer retrobulbaren Novocain-Adrenalin- injektion zu einem Blutzuckeranstieg kam. Einige Tiere wurden in der IIypoglyk- /imie wegen der StSrung des EI%G und ECG durch Krampfpotentiale mit Meinen Desert Curare (0,1--0,15 mg/kg) gel~hmt und naeh Einiiihrung einer Tracheal- kaniile kiins%lich beatmet. Eine wesentliche Einschr/~nkung der Atmung und die nach Curare beschriebenen Nebenwirkungen auf Kreislaui und Blutgerinnung warden bei der niedrigen I)osierung nich~ beobachtet.

Anoxie. Bei der totalen Anoxie wurden die Tiere mit einem Gemisch aus reinem Stickstoff mit 0,15% Sauerstoff und 3,5% Kohlensiiure beatmet. Den Tieren wurde im hypoglyk~mischen Schock in die Trachea eine Glaskaniile ein- gefiihrt, die am %raehealen Ende rechtwinklig abgebogen war. An der anderen Seite befand sich ein T-Stiiek, in das dureh eine Pumpe sowohl Luit wie Stickstoff wahlweise hineinstr5men konn%e. Die Ausatmungsleitung endete wenige Zenti- meter unter einem Wasserspiegel, so dab die I~iickatmung atmosph~rischer Luft unmSglich war. Pumpe und Zuleitung konnten vorher mit Stickstoff 0der Friseh- luft durchgeblasen werden, so dab eine konstante kurze Str5mungszeit des Stick- stoffs und der Luft (1,5--2 see, s. OPITz und LORENZEN) veto Umstellhahn bis zur Trachealkaniile erreich% wurdc.

Ergebnisse 1. Hypoglyki~mie

In 25 Einzelversuchen wurde dbs Verhblten des ERG und EGG wiihrend der Itypoglyk~mie beobachtet. Nbeh der Insulinifi]ektion trat bei den Tieren als erstes ~iugerlich sichtbares Zeiehen eine Unruhe und iJbererregbarkeit auf. Die Iiiefer iibten zeitweilig Kaubewegungen bUS, die Tiere reagierten vermehrt auf kleinste l~eize. Sparer warden die Hinterbeine seh]afI und eine ttblbseitenlbge eingenommen. Der KrbmpL bniall ~uBerte sich in einem fiir 1--2 rain lbng bnhb]tenden tonisch- klonischen Streckkrbmpf. Bei einzelnen Tieren ]Sste jeder Belichtungs- reiz im tiefen hypoglyki~misehen Sehock klonisehe Zuckungen der Ex- tremit~ten bUS. Die Aufnahme des ERG und ECG wurde dbdurch erheb-

Das Elektroretinogr~mm und das Elektrocorticogr~mm des K~ninchens 125

lich gestSrt. Eine L~hmung der nichtnarkotisierten Tiere mit Curare war in diesen F~llen unumg~nglich. Nicht selten trat n~ch dem Krampf-

K a n a l 1

K~,nal 2

"R-anal 3

K a n a l 4

a

b

Abb. l a u. b. E R G lind EC G n a c h r h y t h m i s c h e r Be l ieh tung der R e t i n a m i t e iner Leueh td ich te yon 10000 asb bei n o r m a l e m B lu t zueke r (a) u n d H y p o g l y k ~ m i e (b). ]~anal 1: E R G . ~ a n a l 2: E C G der kon t r a l a t e r a l en Sehr inde ; K a n a l 3: EGG der homola te ra len Sehr inde ; K a n a l 4: KAeine spi tze Z a e k e : L ieh t r eg i s t r i e rung , F requenz 2,5 see; bre i te Z a c k e : Zeit- m a r k e , Zeif iabstand 1 sec. - - I n Abb. l b A b n a h m e der b-Wel lenampHtude des E R G u m 64 % der A u s g a n g s h 6 h e m i d B e a n t w o r t u n g jedes Lieht re izes in der kon t r a - l ind homo- l a t e ra l en Sehr inde m i t e iner e rhShten Potent ia lwel lo bei e inem Dlu tzueker yon 36 rag- %

stadium ein komat6ser Zustand mit Reflex- und Gefiihlslosigkeit auf, der zur Aufnahme des E R G besonders gfinstig w~r.

126 WOLrGAXG PaPsT:

W~hrend der Hypoglyk~mie kam es im Elektroretinogramm in allen Versuchen zu einer selektiven Abnahme der H6he der b-Wellenamplitude. Die Reduktion war bei geringgradiger Hypoglyk~mie klein und nahm mit Senkung des Blutzuckers unter 50 rag-% stark zu. I m Insulinkoma war schlieglieh die b-Wellenamplitude auf 20--40% des Ausgangswertes gesunken.

Die Abnahme der b-Welle war nieht nur yon der Blutzuckersenkung, sondern aueh yon der Dauer der Hypoglyk~mie abh~ngig. Je ]~nger

die Hypoglykgmie bestand, desto ausgepr~g-

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20 I I !

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&bb. 2. I tShe der b-WelIenam- pHtude des EI~G in der Ilypo- glyk~mie . Dre i Versuehe m i t der gr6l~ten und k le ins ten Ab- n a h m e der b-Welle. Lieht - r e izung m i t e iner Leueh td i ch t e yon 10 000 asb. Abszisse: Blut - zuckerspiegel in rag- %. Ordi- n a t e : HShe der mi t t l e r en b- Wellenamplitude in Prozenten des Ausgangswer t e s . - - I m An- f a n g s s t a d i u m tier H y p o g l y k - ~mie trit~ zun~chst eine ger inge l m d nach Senkung des Blut- zuckerspiegels un te rha lb yon 60 r a g - % eine schne]le u n d g rSgere A b n a h m e der b - Wel l enampl i tude des E R G auf

ter war die Verkleinerung des E g G . Es war daher nicht mSglich, ffir einen best immten Blutzuckerwert eine konstante Reduktion der b-We]le zu best immen oder allein aus der t t6he der b-Welle Biickschliisse auf den Blutzuckerspiegel zu ziehen. Deswegen wurde anf die Berechnung eines Mittelwertes fiir die Abnahme der b-Wellenamplitude bei Ernied- rigung des Blutzuckerspiegels verzichtet.

In Abb. 2 ist die Reduktion der b-Wellen- amplitude des E R G in der Hypoglyk~mie yon 3 Versuchen wiedergegeben. Die Knrven verlaufen anfangs flach und fallen nach Senkung des Blutzuckerspiegels unter 60 rag-% steil ab. Die 3 wiedergegebenen Kurven stellen die grSl3te und kleinste Ab- weiehung, d .h . die geringste und grSgte gedukt ion der b-WellenhShe bei einem be- s t immten Blutzuekerspiegel dar. Die Schwan- kungsbreite der b-Wellenamplitude war im Insulinkoma geringgradiger als im Anfangs- stadium der Hypoglykamie nnd wurde aueh bei mehreren Versuchen an ein und dem- selben Tier beobachtet.

In der Hypoglyk~mie t ra t wiihrend einer intermittierenden Belichtun 9 eine langsam sich vergrSflernde Abnahme der b- Wellenamplitude auf. W~th- rend die ersten RetinapotentiMe einer Blitzserie nur unwesentlich unter dem Ausgangswert lagen, nahmen die folgenden AmplitudenhShen ken- tinuierlich ab. Nach einer Belichtungsdauer yon 1--2 min wurde bei einer geringgradigen Hypoglyk~mie ein Gleichgewichtszustand erreicht und eine Abnahme der b-Welle nicht mehr beobachtet. Unterhalb eines Blutzuckerspiegels yon 40 rag-% war nur noeh die erste b-Welle einer Blitzserie gering erh6ht oder sofort der Gleichgewiehtszust~nd vor- handen (Abb. 3).

Das Elektroretinogramm und das Elektrocorticogramm des Kaninchens 127

Die Bdichtungsdauer bis zum Eintritt des Gleichgewichtszustandes zeigt die Abb. 4.

Es wurden die Ergebnisse yon 3 Versuchen durch die H~lbwerts- zeiten dargestellt, die die t~eduktionszeit der b-Welle um die H~lfte ihrer AusgangshShe ~ngib~. W~hrend die I-Llbwertszeit bei einem nor- malen ~BlutzuckerspiegeI unendlieh ist, d. h. die b-Wellenamplitude kon-

- - % _ . J - - - - 1 _ t j ~ ' k l L._ I ~ k _ J ...... IM k . ~ " - -

. . . . _ .d - - -~__ ~ m - ~ r - ~ - - ~ S - , F - - c- , . f r - - ,~--7/ , F ~ , ~ - ~ ; - - ~ f - - - ~ a . _ r - ~ -

A b b . 3. R e d u k t i o n der b-Wel le w ~ h r e n d e ine r Bl i t z se r ie y o n 10000 asb i n de r Kyioog lyk- ~mie. Obere I t : u r v e : G l e i c h g e w i c h t s z u s t a n d w i r d n a c h d e m 4 . - -5 . Lichl~reiz e r re ich t . B l u t z u c k e r 40 r a g - % . U n t e r e tKurve : 5{ax ima le R e d u k t i o n der b-Wel le s chon be i d e m

1. L i c h t r e i z v o r h a n d e n . B l u t z u c k e r 30 rag- %

st~nt bleibt, wird sie im hypoglykgmisehen Sehock auf 3 - -5 see ver- kleinert und erreieht schtieSIieh den Wert Null. I-Iierbei entsprieht sehon dem 1. Liehgreiz eine b-Welle yon verkleinerter, nieht mehr weiter ab- nehmender Amplitude, Die l%duktion der b-Welle w/~hrend einer Blitz- serie war am ausgepriigtesten zwischen 15 und 60 mg- % tllutzueker und wurde mit Anstieg and Abfai1 dieses mit*leren Blutzuekerspiegels ge- ringer. Naeh einer Adaption yon 10--15 min an die schw&ehe Raum- beleuehtung waren diese Beobaehtungen wieder reproduzierbar.

Die Durchblutung der :Vetzhaut wurde w/~hrend der Versuche ophthal- moskopiseh beob~chtet. Alle 30 rain wurde die Weite der Retinggef~13e

128 WOLSaA~G P~s~:

und die Farbe der Papille bestimmt. In der tiefen Hypoglykiimie wurden die Arterien enger, wghrend die Venen gleich weit blieben. Die l~apille und lVi~rkscheidenfliigel wurden blasser und die feinen Ausls der markseheidenhaltigen Nervenfasern waren besser zu erkennen. Dieser Befund steht im Einklang mit der Kreislauiwirkung des Insulins. Von I~SSS]SL und OSSWALD sowie I~SSS]SL und WULL~N wurde auf eine extreme Verengerung der Capi]laren des Zentralnervensystems und auf

t . lo I

5 I 0700 80 60 40 ZO

re.g% Abb, 4. t-Ialbwertszeiten bis zum Einse tzen einer kons t an - ten HShe tier b-~vVellenampli- rude whhrend einer unnnter- brochenen Lichtblitzserie in der l=Iypoglyk~mie ( 3 Yersuehe ). Leueh td ieh te 10000 asb. Ab- szisse: Blutzuekerspiegel in mg- %. Ordinate : Halbwer t s - zei ten in Sekunden. l~eduk- t ionszei ten der b-Wellenampli- rude u m 50 % ihres Ausgangs- wertes bei no rma lem Blut- zuckersDiegel tmendl ich lang, bei 60 m g - % Blu tzucker 20--30 see trod im In su l i nkoma

schlie/~lich gleich Nul l

eine Kreislaufaktivierung mit Blutdruck- erhShung sowie Zun~hme des Sehlag- und ~inutenvolumens hingewiesen.

Die Verengerung der Retinaarterien wurden durch intrgvenSse Hydergin-Injektionen be- seitigt. Die I-Iyderginwirkung auf die l~eting- geigl~e ist seit den eingehenden Unter- suchungen y o n SAUTTER, HAGEI% u n d S:EITZ

gut bekannt. Es ffihrt aui zentral-nervSsem Weg und dutch einen peripheren adrenosym- pathieolytischen Eifekt (ROmHLr~) zu einer Senkung des Gefgl~tonos und schiitzt die Organe vet adrenergischen vasoconstrictori- schen Einfliissen. Dadureh hemmt Hydergin die durch Insulin ausgelSsten adrenergischen G e g e n r e g u l a t i o n e n (SAITO und NIKOLAE:FF)

und f5rdert die Insulinwirkung auf den Kohlenhydr~tstoffwechsel. Nach einer lang- samen Injektion yon 0,15--0,2 mg/kg Hyd- ergin setzte nach etw~ 3--5 rain eine deutliehe LSsnng des Gefal~spasmus und eine norm~le

Durchblutung der Netzhaut ein. Eine Anderung des ERG und ECG in der Hypoglyk~mie trat sicht aui. Die Reduktion der b-Wellenampli- rude schritt weiter fort, wie wir dies bei Kontrollversuchen (ohne Er- weiterung der Netzhautgef~13e mit Hydergin) gesehen batten. Eine Beeinflussung des ERG und ECG durch Itydergin unter normalen Bedingungen wurde durch zahlreiche Vorversuche ausgeschlossen.

Das Elektrocorticogramm des normalen Tieres der homo- und kontra- lateralen Sehrinde zeigte bei vSlliger Ruhe neben aperiodischen grol~en, trggen Wellen sinusfSrmige Potentiale, die mit einer Frequenz yon 4--5 ttz dem ~-I~hythmus der ttirnrinde entsprechen. Bei rhythmischer Belich- tung der Retina in der Frequenz der Lichtreize kam es zu hohen Potential- wellen im ECG. Die hohe Ansprechbarkeit der l~inde auf Lichtreize war nicht bei allen Tieren und hgufig nur voriibergehend nachweisbar. In der homolateralen Sehrinde wurden sie am normalen Tier bei unseren Versuchen nicht beobachtet (Abb. 1 a).

Das Elektroretinogramm und das Elektrocorticogramm des Kaninchens 129

In der Hypoglykiimie kam es zun/~chst fiber der kontrMaterMen Seh- rinde zu einem GrSfierwerden der Potential.schwankungen und schliel31ieh zu einer Beantwortung ]edes Lichtreize8. ~nderungen der Frequenz bis 9 I tz und der Daner der Liehtblitzserien waren ohne Einflul3 : Jeder Lieht- reiz wurde mit einem hohen Aktionsstrom beantwortet. Bei Zunahme der HypogIykgmie ~raten die~e Er~chMnungen such fiber der homo- lateralen t~inde anl (Abb. l b).

Offenbar vermindert Insulin die Isolation der Neuronen und ffihrt zu einer generMisierten Ausbreitung jeder Erregung und zum Fortfall best immter Hemmungsfunktionen.

I m Ansehlul~ an die Hypoglyk/~mie wurde die Erholungszeitdes E E G und ECG naeh einer intraven6sen Glueoseinjektion yon 1,5--2,0 g/kg bestimmt. Der Blutzueker stieg unmittelbar naeh der Injektion auf 280 bis 310rag-% an und sank nach 30rain aul 150--160mg-% ab. Un- gef/~hr naeh 10 rain ist das Elektroeortieogramm wieder auf seine Mte PotentiMhShe gesunken und naeh weiteren 5 rain sind die hohen Aktions- strSme der homolaterMen Sehrinde versehwunden. Bis jedoch das E 0 G wieder seinem Ausgangsbild gleieht, vergehen noeh 20--25 rain. Die Erholungszeit de8 Elektroretinogramms war wesentlich liinger. Es kam zu einem stetigen Ansteigen der b-Welle und zu einer NormMisierung nach 40--55 rain. Die Erholungszeit liel3 sich genauer nieht be- st immen; wahrseheinlieh ist die Streuung dureh die versehiedene Dauer und Tiefe der Hypoglyk/~mie bedingt.

2. Anoxie

a) Das ERG bei Anoxie und Hypoglyk~imie. Im vorliegenden Zu- sammenhang interessierten uns die Liihmungszeiten des ERG wiihrend der Anoxie, die im AnschluB an eine Hypoglyk~mie erzeugt wurde. In Abb. 5 sind die Ergebnis~e y o n 20 derartigen Versuchen dargestellt, wie sie im E R G zum Ausdruek kommen. Wurde das Tier in der Hypoglyk- ~mie mit reinem Stickstoff beatmet, so traten nach 20 see tonisch- klonische Kr~impfe nnd eine stark zunehmende Reduktion der b-Welle und der SehrindenlootentiMe ant. Ein verschiedenes VerhMten der a- und b-Welle fiel nieht auf. Die positiven und negativen PotentiMe des Et~G nahmen all AusmaB schon vor dem Einsetzen der Krgmpfe gleiehm~Big ab. Die Zeit his zum v611igen Versehwinden der Pogentiale des E g G war, wie es bereits aus den hypoglyk/~mischen Versuehen zu erwartenwar, yon der Blutzuckersenkung abh~ngig. Wurde die Anoxie im hypogly~- iimisehen Schock gesetzt, so betrug die Liihmungszeit ]iir dab ERG 50 his 60 sec; wurde dagegen das Tier bei geringgradiger/-Iypoglykamie yon etwa 55 rag- % Blutzueker mit Stiekstoff beatmet, so war die L~hmungs- zeit 4 - -5 min lang. Bei zu geringer Blutzuekersenkung wurde die Anoxie his zum v611igen Erl6sehen des E R G nieht immer fortgesetzt,

130 WoL~oA~o PA~S:r:

sondern naeh 60 see unterbrochen, da sonst die Gefahr best and, dag die Tiere bei l~ngerer Sticksgoffbeatmung ad exitum kamen. Die Re-

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ssc min Abb. 5. HShe der b-Wellenampli tude des E R G naeh Anoxie bei versehieden hohe m Blntzncker . l~hythmisehe Bel iehtung der l~eting mi t einer Leuehtd ich te y o n 10000 asb. Anoxie bei Hype rg lykgmie ; . . . . Anoxie bei no rmMem Blutzueker ; Anoxie bei Hypog lykamie . Abszisse: Zeit in logar i thmischer Einteilnng. Ordinate : I tShe der b-Welle in Prozent . - - Abh~ngigkei t der L&hmnngszei t der Ret inapotent ia le n a c h Anoxie yon der I t6he des Blutzuekerspiegels. Lghmungsze i t in der tIYDoglyk&mie 60 see, bei no rmMem Blutzuekerspiegel 16 min a n d bei I typerg lyk~mie 32 rain.

I n der t tyDoglyk~mie Beginn der A b n a h m e der bZWellenamplitude naeh 8 see

duktion der b-Welle be- trug in diesen F~llen etwa 80 % de s Ausgangs- wertes.

Wahrend naeh einer Anoxie bei normMem Blutzucker vor dem Ein- setzen der Krampie keineXnderung des ER G auftrat, iiel die b-Welle in der hypoglyk~misehen Anoxie sehon vorher ab.

Die Versuehsdauer war so bemessen, dag eine sekunds Isehamie dutch L~hmung des Kreislau/s ausgeschlos- sen werden konnte. Zu- gleich beobachteten wit in einigen Versuchen

den Augenhintergrund. Zeichen- einer Isch~mie mit Fralcturierung der Blutsiiule der Netzhautgefii[3e haben wir nicht gesehen.

J / ~ - Ne ~ #/,ko/ung

ECG I ~ _ / / l / . / / z l l 75 ~= I

o i z 3 ~ rain

Abb. 6. Lghmungs- und Erholungszei ten ngch Anoxie bei Hypoglyk~mie . Sehr&g sehraffier~: Zeit der ]Reduktion des E R G und EGG bis z u m Versehwinden der PotentiMe. Sehwarz: Er- holungslatenz: Zeit yon der Wiederzufuhr tier F r i sch lu f tbea tmung bis z m n Anf t re t en der ersten Potent iale . ~Veil] : Erholnngszei t bis zur NorraMisierung des E R G un4 ECG. I n der hypoglyk~misehen Anoxie ist die L~hmnngs- zeit des E R G u n d ECG gnnhhernd gleieh. 25--30 see nach dem Einsetzen der Frischluft- b e a t m n n g t r e t e a die ersten PotentiMe ira E R G nnd ECG auf. Die :Erholungszeit des E R G ist

e twa 3real so l~ng wie die des ECG

Das VerhMten der Erho- lungszeit ftir Anoxie bei Hypo- glyk~imie ist in Abb. 6 anschau- lich dargestellt. Die Erholungs- zeit beginnt mit der Zufuhr yon Frischluft und dauert his zur vSlligen NormMisierung des ERG. Sie war nicht eindeutig zu bestimmen, da sie yon Atmung und Kreislauf beein- fluBt wird. 4 - -5 sec nach der Frischluftbeatmung trgten ,,Er- holungskrS~mpfe" auf, die nach etwa 5 sec abklangen. Ein Feh]en der Kriimpfe konnte Ms ein

Zeichen sehlechter Erholung gedeutet werden. Ngch 10--20 seo folgten die ersten RindenpotentiMe nnd kleine negative Wellen ira ERG, die zungchst nur gruppenweise nnd trgge waren. Die ersten angedeuteten b-Wellen des E R G wurden spgter Ms die PotentiMe des EGG beobachtet

Das Elektroretinogramm and das Elektrocorticogramm des Kaninchens 131

und t raten nach 20--120 sec auf. Eine restitutio ad integrum der b- Welle dauerte 3 - -5 rain. Diese Zeit war 3--5real so Iang wie die Erholungs- zeit der Rindenpotentiale.

b) Das ERG bet Anoxie und normalem Blutzudcempiegel. Nach Stick- stoffatmm~g bet noImalem Blutzuckerspiegel waren die positiven Pote,rt- tiale des ERG nach 11--16 rain und die negative Komponente nach 13--18 rain verschwunclen. Die hShere P~esistenz der negativen Potcn~iale ist seit den Untersuchungen yon GRA~IT bekannt. Die Abnahme der b-Welle war zun~ichst betriichtlich. Sie sank innerhMb yon 3 rain auf 50% des Ausgangswertes. 4---5 rain n~ch der Anoxie fiel sie wesentlich langsa,mer ab und war nach weiteren I0 rain nicht mehr zu erkennen.

Die L~hmungszeit nach Anoxie bet norma]em ]~]utzuckerspiegel is~ seit dell eingehenden Arbeiten yon NO~LL und CHIN~ bekannt, aus denen n~here Einzelheiten entnommen werden k6nnen. Da nnsere Werte an- n~hernd den Ergebnissen yon I~OELL und CHIN~ entsprachen, be- schrgnkten wir nns auf 3 Versuche.

Bet den L~hmungszeiten des E R G nach Stickstoffatmung handelt es sich immer um eine Anoxie mit sekundarem Kreislau/lcollaps. Eine reine Anoxie bet der die N~hr- und Spfilfunktion des Blutes erhalten bleibt, lgl]t sich nur ffir kurze Zeit aufrecht erhMten. I m Verlaui einer langeren Stickstoffbeatmung kommt es stets zu einem Versagen der vegetativen Zentren und zum Zusammenbruch des Kreislaufs und damit zu einer sekundaren Ischi~mie. Zu den Folgen get Anoxie gesellen sieh also noch die der Ischdimie hiszu.

e) Das ERG bet Anoxie und Hyperglykiimie. In den vorangegangenen Versuchen haben wir'gezeigt, dab die L~hmungszeit yon der HShe der Blutzuckersenkung abhangig war. Mit zur~ehmender Hypoglykg~mie war eine Verkfirzung der L~hmungszeit verbunden. Es lag nach diesen Ergebnissen nahe, anzunehmen, dag es bet einer Erh6hung des ~Blut- zuekerspiegels zu ehler Verli~ngerung der L~hmungszeit kommt. Wit injizierten bei 3 Versuchstieren 10 min vor Eintr i t t der Anoxie 10 cm a einer 10%igen Glucosel6sung. Der [Blutzucker stieg auf 300--340 rag-% an. Die Ldhmungszeit der positiven Potentiale betrug 30--35 rain und war im Verg]eich zur Anoxie bet normalem ~Blutzucker ann~thernd um das Doppelte verl~nger~. :Die negativen Potent, tale waren noch nach 40 rain naehweisbar. :Bei der erheblichen VerIangerung der L~hmungs- zeig naeh intravenSser Glucoseinjektion hielten wir es fiir gerechtfertigt, uns auf 3 Versuehe zu beschri~nken, um nieht iiberfliissig Tiere zu opfern.

d) Rindenpotentiale der Area striata bet Anoxie und versehieden hohem Blutzue/cerspiegel. Die Auswertung des ECG in der Anoxie war durch die Kr~mpfe erschwert, da die Krampfpotentiale den Abfall der Cortical- wellen nicht immer Mar erkennen lassen. Es sind daher die LShmungs-

132 WOLFGA~G P~-PST :

zeiten nur bedingt zu verwerten und nur der Vollsti~ndigkeit hMber ~ngegeben. Das ErlSschen der RindenpotentiMe nach intermittierender Lichtreizung der Retin~ dauerte l~nger Ms es bei den Spontanwellen der Fall ist. Die Ergebnisse stehen in guter ~dbereinstimmung mit den Befunden yon NOELL und CgI~s, die ebenfMls nach Belichtung der Netzhaut eine hShere l~esistenz der SehrindenpotentiMe gefunden hatten. :Bei normalem und erhghtem BlutzuckerspisgeI betrug die Liihmungszeit 85--95 sec. Die homo]aterMen l~indenpotentiMe verschwanden frfiher Ms die der kontrMgterMen Sehrinde. Eine ErhShung des Blutzuckcr- spiege]s hatte Mso keinen Einf]u[~ auf die Li~hmungszeit der Rinden- potentiMe, ein VerhMten, wie es auch bei den SpontanpotentiMen seit den Arbeiten yon OPITz und LO~ENZE~ bekannt ist.

Im Gegensatz d~zu trat nach der Stickstoffatmung in der Hypoglyk- 5mie eine Verl~i~rzung der Li~hmungszeit um 25--35 sec ein. Nach den Krampfen fielen die hohen SehrindenpotentiMe ab und es wurde nicht mehr jeder Lichtreiz beantwortet. Bereits nach 40 sec waren die Poten- time der homolaterMen und nach weiteren 10--20 sec die der kontra- laterMen Sehrinde verschwunden. Auch dus ERG war zu dieser Zeit nicht mehr nachweisbar.

Die Erholungszeit ist wegen der VielgestMtigkeit der RindenpotentiMe des ECG schwierig zu bestimmen und keinesfMls genau zu ermittcln. Eine Abh~ngigkeit yon der Tiefe der Hypoglykglnie war jedoch unver- kennbar. Die Normalisierung des ECG war 45--100 sec nach Ende der Anoxie erreicht und erfolgte wesentlich schneller Ms die des EI~G.

Tabelle 1. Liihmungs- und Erholung~zeiten des ERG und ECG nach Anoxie bei nor- malem BIutzuclcer, intraven6ser Glucose-In~ektion und Hypoglyk~imis

~Z~nOX~8 f

~) bei IIyperglykgmie

b) bei normMem Blut- zucker ......

c) bei ttypoglyk~mie H ypoglykdmie :

bei normaler Sauer- stoffversorgung . .

Lahmungszeiten

ERG I ECG I

35--40 rain 85--95 sec

13--18 rain 85--95 sec 60 sec 50--70 sec

entfS, llt

Erholung'szeiten

entf~llt

entfg~llt 3--5 rain 45~-I00 see

45--55 rain 20--25 min

Abschliel~end sh~d die Ldhmungs- und Erholungszeiten /i~r das ERG und ECG nach Anoxie in der Tabelle 1 wiedergegeben. Aus der Dar- ste]lung ist ersichtlich, dM~ es nach Erh5hung des Blutzuckersloiegels zu einer Zunahme und nach Blutzuckersenkung zu einer lorogredienten Verkiirzung der L~hmungszeiten des ERG kommt. Die L~hmungs- zeiten des ECG werden nur durch einen BlutzuckerabfM1 beeinllul3t und

ERG I ECG

Das Elektroretinogramm und das Elektrocorticogramm des K~ninchens ]33

bei Glucosemangel kleiner. Umgekehrt verhalten sich die Erholungs- zeiten, die wegen der langen zur L~hmang erforderlichen Zeiten bei normalem und erh6htem Blutzuckerspiegel nur in der hypoglyk~Lmisehen Anoxie bestimmt werden konnten. Mit der Tiefe der Hypoglyk~mie nehmen sie zu und betragen beim ERG 3--5 rain und beim ECG 45 bis 100 sec. tIierbei dtirfte die Streuung durch den verschiedenen Grad der Hypoglykgmie bedingt sein.

In der I-[ypoglyk/~mie erfolgt bei normaler Sauerstoffversorgung kein v6lliges Verschwinden der l~etinapotentiale, sondern eine l%eduktion der b-Wellenamplitude um 70--80 % des Ausgangswertes. Nach Beseitigung der ]~tutzuckersenknng ist die Erholung des EI%G zweimal so lang wie die Normatisiernng des ECG.

Besprechung Im Zusammenhang mit der Besprechung unserer Ergebnisse sell auf

den Energiestoffwechsel der Netzhaut und des Gehirns n/iher einge- gangen werden.

In der Hypoglykdimie kommt es zu einer zunehmenden Reduktion der b-Wellenamp]itude des Elektroretinogramms, die bei einer geringen Blutzuckersenkung klein und im hypoglyk~mischen Korea am grSBten ist. Die Abnahme der b-Welle ist nicht nur yon dem Grad, sondern auch yon der Daner der Hypoglykamie abhangig. Je ]~nger die t typoglyk- gmie besteht, desto grSBer ist die Verminderung des EI%G. Maximal sinkt die b-Welle gegeniiber dem Ausgangswert um 80% ab. Die im hypoglyk~tmischen Schock beobachtete Verengerung der Retinaarterien wird dureh eine intravenSse Injektion yon Hydergin beseitigt und eine normale Durehb]utung der Netzhaut hergestellt. Die dutch die Senkung des Bhtznckerspiegels eintretende Reduktion der Retinapotentiale wird dadureh nieht beeinflul]t. Die Ab~hme der b-Welle ist also in diesen Versuchen einzig und allein dutch die Hypoglykgmie und nicht dutch eine unzureichende Nauersto]/versorgung der Netzhaut bedingt. Bei einem Blut- zuckerspiege] zwischen 40 und 60 rag-% nimmt die b-We]]e w~hrend einer Belichtungsdauer yon 2--3 rain bis zu einem G]eichgewiehtszustand kontinuierlich langsam ab. Nach einer Adaptation yon 5--10 rain an die sehwaehe l~aumbe]euchtung ist die gleiche Dauer der Blitzserie er- forderlieh, um wieder den konstanten Gleiehgewiehtszustand zu er- ha]ten. NiL der Zunahme der ttypoglyk~mie nimmt die Beliehtungszeit, die bis zur Erreiehung des Gleichgewiehtszustandes vergeht, stetig ab. Im Insulinkoma tr i t t die maximale Reduktion der b-Wellenamp]itude sehon bei dem 1. Lichtreiz einer Blitzserie auf. Eine weitere Abnahme der b-Welle finder nicht statt, d a d e r Gleichgewichtszustand sehon vor der rhythmischen Belichtung vorhanden gewesen ist.

Graefes Arch. Bd. 157 10

I~ WOLI~GANG PAleST :

Betrachten wir diese Ergebnisse im Zusammenh~ng mit dem Ene~yie- sto][wechsel der Netzhaut, so ergeben sich folgende ttinweise: In der Hypo- glyk~tmie nimmt der Vorrat der Retina an Glykogen fort]~ufend ab. Die Hghe der b-Welle ist von clem Energiedepot der Netzhaut abhi~ngig, und als Marl de8 Energieumsatzes anzusehen. Die Kohlenhydratreserven werden bei erniedrigtem Blutzuckerspiegel vorwiegend wghrend der Tgtigkeit bis zu einem Gleichgewichtszustand zwischen Angebot und Verbrauch der Zelle abgebaut. Bei geringer Blutzuckersenkung vermag sich die Ze]]e ~v~ihrend der Ruhepause aufzuladen und einen neuen Energievorrat zu bilden. Im hypoglyk~imischen Koma ist es der Netzhaut d~nn auch in l%uhe nieht mehr mSglich, einen Energievorrat uufzubauen. Sie ist tfir den Umsatz einzig und Mlein auf den Naehschub des Blutes angewiesen. Als Folge dieses Energievorrates beginnen die gesehilderten Symptome mit zeitlieher Versp~tung, und erst nach Erreichung eines Gleichgewichts- z~tstandes besteht eine Korrelation zwisehen hypoglyki~miseher Wirkung und Glucosegehalt des Blutes. Bei G]ueosemangel wird somit der T~tigkeits- umsatz der Netzhaut eingeschr~tnkt und dem Energienaehsehub ange- paint, ttierdureh wird mSglicherweise Energie gespart und eine irre- parable Zel]seh~digung bis zur letzten MSgliehkeit hinausgeschoben.

Nach einer Glucoseinjektion, die die Hypoglyk~mie beseitigt, nor- ma]isieren sieh langsarn, jedoeh stetig das veranderte ERG und ECG. Je ]~nger and tiefer die tIypoglyk~mie gewesen ist, um so grSBer wird die Erhohngszeit. Die Erholungszeit des ERG ist 2--3real ]~nger als die des ECG. Sie ist ein l~a[~ fiir den Grad der w~hrend der ttypoglyk- ~mie gesetzten StSrung bzw. Seh~digung. Hieraus ergibt sich, dal] die Hirnrinde gegeni~ber Glueosemangel resistenter ist als die Retina. Bei dem hohen T~tigkeitsumsatz und den geringen Energiereserven des Gehirns (O~ITz und SCHN~ID~.~) ist es wahrseheinlieh, da~ dutch die aerobe Glykolyse ein Teil der Milehs~iure zu Glykogen aufgebaut wird, und die geringen Energiereserven aufgefiillt ~verden. _~hnliche Vorstellungen sind yon HSPK~R ge~ul~ert worden, der in der symptomlosen l~hase der ttypoglyk~tmie einen vermehrten Sauerstoifverbrauch feststellte. Er sah dies als Ausdruek einer intraeellul~ren Glucoseumsetzung an, die vor allen Dingen zum Aufbau yon Glykogen und Fett diente. Erst im Krampfstadium der ttypog]yk~mie land er iibereinstimmend mit den Arbeiten yon HI~wIcH, LOlgANI~ und Ros~B~ar eine Abnahme des Sauerstoffverbrauchs. Dementgegen wird der Glykogenbestand der Netzhaut wahrscheinlieh ohne wesentliehe l%esynthese zu Milehsaure abgebaut. Entsprechend der Milehs~urebildung versehwindet eine gqui- valente Menge yon Kohlenhydrat, die a]s Energiequelle verlorengeht. Der Oxydationsstofiweehsel tritt damit hinter dem Spaltungsstoff- wechsel zurfick und der Verbrauch der Netzhaut an Glykogen ist grSl~er als der des Gehirns. Die anaerobe G]ykolyse ist somit der wichtigste

Das Elektroretinogramm und das Elektrocorticogramm des Kaninchens 135

Energielieferant fiir die l%tzhaut, und die hohe Energiespeieherung in Form yon KoMenhydraten als Anpassung an den hohen Verbrauch des T~tigkeitsumsatzes anzusehen.

Die Erholungszeit der Rinde~potentiale nach Anoxie sind wesentlieh kiirzer als die naeh Hypog]ykamie. Vielleicht kommt es dutch die an- haltende Insulinwirkung zur Anderung der chemischen Reaktions- gesehwindigkeiten, die damit zeitbestimmend werden. Die Reaktions- gesehwindigkeiten der glykolytiseh wirksamen Fermente liegen nach den Angaben yon ~ 7 ~ B u ~ und CR~ISTIAN in der GrSrienordnung yon Minuten. I)ber die Geschwindigkeit des Eindringens von Glucose in das Gewebe ist bisher noeh niehts bekannt. Aus Messungen in vitro wird vermutet, dab sic 100mal kleiner ist als ftir Sauerstoff (OPITZ und SOH~EII)E~). Fiir eine langsame Penetration sprechen die Beobaeh- tungen yon HIMWIOH. Das Bewugtsein hypoglyk~tmiseher Patienten kehrt erst 3--4 rain naeh der intravenSsen Glueosegabe wieder. Das gleiehe wissen wir yon der Gewebsatmung, die erst 20 rain naeh Glueose- gabe den Ausgangswert erreieht. Die Erholungszeit nach Hypog]ykgmie ist wahrseheinlieh bedeutend ]gnger als die Aufs~ttigungszeit des Ge- webes mit Glucose. Als Ursaehe werden chemisehe Zwisehenreaktionen vermutet, die allerdings bisher noeh nieht ngher bekannt sind (s. O~m'z und 8CHSTE:tDE~).

Die Insulinwirlcung ist am ehesten mit der eines Katalysators zu verg]eiehen (SosKt.~). Es beeinfluBt die Phosphorylierungsvorg~nge tier Glucose mad erm6glieht die Bildung der Hexosemonophosphors/~ure (Cori-Ester). Naeh einer Insulininjektion t,ritt bei normMem Blutzucker eine vermehrte Glueoseabwanderung in die Peripherie ein. Die Glucose des Blutes wird in verstSrktem Marie in die Zelle fiberfiihrt~ we sic in den intracellulg, ren Kohlenhydratabbau eintritt, Sinkt der Blutzucker ab, so kann nicht mehr genfigend Glucose in die Zelle fiberffihrt werden. Es kommt zu einem intraeellul/~ren Glueosemangel, so dari die Zelle nun auf ihre Energiedepots angewiesen ist. Naeh v611igem Abb~u der Energie- reserven resultiert seMierilich der Zelltod. Eine _;~nderung des Glucose- abbaues in der Hypoglyk5mie seheint naeh der Auffassung yon HI~- WleH und Mitarbeitern nieht vorzuliegen. Eine vermehrte Milchs~ure- bildung im Blur oder Gewebe als Ausdruek einer gesteigerten anaeroben Glykolyse erfolgt dureh Insulin nicht.

Eine toxische Wirkung &s Insulins au[ das ERG und ECG kan~ mit Sieherheit ausgeschlossenwerden. Dies geht sehon aus der Tatsaehe her- vor, dab sich das ver~nderte Et%G und ECG in der Hypoglyldimie nach einer Glucosegabe in einer bestimmten Zeit erholt. Andererseits verur- sachen beliebige Mengen yon Insulin bei Gegenwart yon ausreiehender Glucose keine Veranderungen des ERG und ECG. Bei normalem Blut-

10"

136 WOLFaAS~ PABST:

zuckerspiegel wird trotz Insulin-Injektionen keine Erh6hung der P~inden- potentiale und kein Abfall der b-Wel]enamplitude beobachtet.

Die L~hmungszeiten des ERG nach Anoxie bei normalem Blutzucker. spiegel sind etwas kfirzer als sis yon NOELL und CHINIq gefunden worden waren. Wahrsoheinlich ist die Zeitdifferenz durch die Verschiedenheit der Methoden bedingt, da •OELL und CgINN die Netzhaut mit Einzel- reizen belichteten. Dutch die rhythmische Be]ichtung dfirfte der Energie- vorrat der Retina schneller und konstanter als dutch Einzelreize ver- braucht sein, was besonders durch das Erreichen eines charakteristischen Gleichgewichtszustandes gezeigt werden konnte.

Die L/~hmungszeiten des E g G bei Anoxie werden durch Auderung des Blutzuckerspiegels erheblich beeinfluBt. Wahrend die Glucoseinjek- tion vor der An0xie die Lahmungszeit anf das Doppelte verl/~ngert, wird sie durch die ttypoglykgmie extrem vorkfirzt. Erh6hung des Blutzuclcers vermehrt die Resistenz gegeni~ber Anoxie, wogegen sich H ypoglykgmie und Anoxie in ihrer Wit/sung gegenseitig verstgrlcen. Die groBen Differenzen der Lahmungszeiten bei Hyper- und Hypoglykgmie (35 rain: 60 sec) weisen auf die hohen Energiereserven der I~etzhaut an Glykogen hin. Durch Anderung des BIutzucleerspiegels wsrden die Energiersserven ver- grg[3ert oder verkleinert und dementsprechend die Lghmungszeiten des ERG beeinfluBt. Bei G]ucosemange] wird der Vorrat an energieliefern- den Substanzen der Netzhaut fast vollstandig abgebaut, so dab die Lahmungszeiter} des ERG und des ECG bei einer anschlieSenden Anoxie annahernd gleic h sind. Die ]ange Lahmungszeit des ERG bei norma]em und erhShtem Blutzucker dfirfte demzufo]ge ausseh]ie2lich dutch die hohe G]ykogenspeicherung der Netzhaut und dutch die Energiegewin- nung aus anaerober Glykolyse verursacht sein. Entscheidend sind also die Energiereserven und der Energieverbrauch des Gewebes. Bei der Netzhaut ist im Gegensatz zum Gehirn das Verhaltnis yon Reserven zu Bedarf als sehr giinstig anzusehen.

Vergleichen xvir unsere Ergebnisse mit den histologischen Unter- suchungen fiber den Glyl~ogengehalt der Netzhaut, so besteht eine recht gute ~Jbereinstimmung. Der Glykogengehalt der auSeren KSrnerschicht, der auSeren reticularen Schicht und der auSeren Zone der inneren KSrnerschicht der Retina kann durch Glucosegaben vermehrt oder dutch Insulin-Injektionen und Hunger vermindert werden (Mf3LLER, NAKA:fASU). Glykogenfrei wurden die Hauptzapfen, Ganglienzellen und die Nervenfaserschicht gefunden. FANTA_~A beobachtete histologisch bei experimenteller Hyper- und Hypoglykamie Glykogengranula in allen Netzhautschichten als Ausdruck einer vermehrten Glykogenmobilisie- rung.

Bei der strittigen Genese der verschiedenen Komponenten des EgG kSnnen wit nicht entscheiden, in welehen Zellschichten der Retina die

Das Elektroretinogramm und das Elektrocorticogramm des Kaninchens 137

yon uns beschriebenen Stoffwechselvorgange stattfinden. Vielleieht ist es mSglieh, dureh histologische Auswertung unseres Materials etwas Naheres anssagen zu kSnnen. Es ist wahrseheinlieh, dag der Sto//wechsel is den einzelnen Zellsehichten der Retina verschieden ist. Hierffir sprechen auch der hohe Sauerstoffverbrauch der Retina in vitro (WAR.BVnG und Mitarbeiter) und in vivo ( M ~ s g ~ r sowie das untersehiedliche Vet- halten der a- und b-Welle des ERG bei Unterbrechung der aeroben und anaeroben Glykolyse (NonL5 und CnI~N). Die yon uns untersuchten Stoffwechselvorggnge der Netzhaut beziehen sich ausschlieBlieh auf die Komponenten, die mit der Entstehung der b-Welle im Zusammenhang stehen. Da die ffir ihr Zustandekommen maggebliche Zellschicht noch nieht sicher bekannt ist, halten wi res ffir gereehtfertigt, unsere Ergeb- nisse vorerst auf die ganze Netzhaut zu beziehen.

Die Liihmungszeit der Rindenpotentiale bei Anoxie wird nur dutch eine Blutzuckersenkung beeinflugt. Eine Hyperglyki~mie nach intra- ven6ser Glucoseinjektion ftihrt zu keiner eindeutigen Verl~ngerung. Eine Anoxie in der Hypoglyk~mie verkiirzt dagegen die L/~hmungs- zeit der Sehrindenpotentiale, die bei rhythmischer Belichtung der Netzhaut auftreten, um 20- -30sec . Xhnliehe Wirkungen wurden von tIInsTA~D und N~LSON in der I-Iypoglyk~mie und yon OPITZ und L o ~ z ~ sowie yon Sv~v,~ nnd GEtCAI~D nach Glucosezufuhr besehrieben.

Das Gehirn ist atso im wesentliehen an/die anhaltende Nachlie/erung und Versorgung mit Sauersto// und Glucose vom Blut her angewiesen. Seine l~eserven an Sauerstoff und Kohlenhydrat sind gering und kSnnen durch Zufuhr yon Sauerstoff oder Glucose nicht eindeutig vergrSBert werden (O~ITZ, SCmVEIDE~). Dem entspricht, dal] der Glykogengehalt des Gehirns beim Diabetes konstant bleibt und nach einer Insulin-Injektion betrhchtlieh abnimmt ( K ~ ) .

Vergleichen wir abschliegend den Energiesto//weehsel der Hirnrinde und der Retina, so ergeben sieh /olgende Unterschiede: Die Netzhaut ist gegeniiber Glucosemangel empfind]icher als das Gehirn. Sie mug dem- entslorechend groBe Glykogenreserven besitzen, die einen gewissen Schutz gegenfiber Glucosemangel im Blur darstellen. Die verwendbaren Kohlenhydratreserven des Gehirns sind demgegenfiber bedeutend geringer als die der Retina.

Die Energie ftir gewisse wichtige retinale Funktionen wird im wesent- lichen dutch anaerobe Glykolyse gewonnen. Wahrscheinlich ist Leben und Funktion der Warmblfiternetzhaut an den Ablau~ anaerober Spal- tungsstoHwechselvorg~nge gebunden, wie es W)~B~r~G bereits 1928 in vitro festgestellt hatte. Therapeutisch mfigte diese Feststellung yon entscheidender Bedeutung sein.

138 WOLFGANG PABST:

ZusammenYassung ])as Elektroretinogramm und das Elektrocorticogramm des Kanin-

ehens wurde w~hrend der I-Iypoglyk~mie und nach Anoxie bei ver- schieden hohem Blutzucker mit einem Elektvonencephalographen registriert.

1. In der Hypoglyk~mie kommt es bei normaler Durchblutung der Netzhaut zu einer selektiven Abnahme der b-Wellenamplitude des ERG, die bei geringe r Blutzuekersenkung klein und im hypoglykiimischen Schock am gr6Bten ist. Bei normaler Sauerstoffversorgung h~ngt dem- zufolge die HShe der b-Welle yon dem Energievorrat der Netzhaut und yon dem Glucosenachschub des Blutes ab. Die GrSBe der b-Wellen- amplitude ist als ~aB des Energieumsatze s anzusehen.

2. Die Erholungszeit des ERG nach Hypoglykiimie ist 2--3real li~nger als die des ECG. I-Iieraus ergibt sieh, dab die Netzhaut gegenfiber Glueosemangel empfindlicher ist als die tIirnrinde. Die groBen Energie- reserven der Retina stellen wahrscheinlieh einen gewissen Sehutz gegen- fiber Glucosemangel im Blur dar.

3. Die Li~hmungszeit des ERG bei Anoxie ist yon der H6he des Blut- zuekerspiegels abhi~ngig. W~hrend dutch tIypoglyk~mie die L~hmungs- zeit yon 16 min (bei normalem Blutznckerspiegel) auf 60 sec reduziert wird, wird sie dutch ErhShung des Blutzuckerspiegels um das Doppelte verlgngert. Die Glykogenreserven der Netzhaut sind demzufolge yon dem Blutzuckerspiegel abh/~ngig nnd werden w/ihrend einer Hypoglyk- i~mie abgebaut und dutch eine tIyperglyk~mie vergrSBert.

4. Bei erniedrigtem Blutzuekerspiegel werden die Energiereserven der Netzhaut vorwiegend dureh intermittierende Liehtreize (Tiitigkeits- umsatz) verbraueht. Der Netzhaut ist es dann nut noeh w/~hrend der t~unktionsruhe mSglich, einen neuen Energievorrat aufzubauen. Im hypoglyk~misehen Korea vermag dagegen die Netzhaut neue Glykogen- reserven nicht mehr zu bilden.

5. Eine Korrelation zwisehen GrSBe der b-Welle und H6he des Blut- zuckerspiegels tritt erst naeh Verbrauch der Glykogenreserven der Netz- haut ein. Es besteht dann ein Gleiehgewiehtszustand zwisehen Angebot und Verbraueh der Zelle, so dab bei normaler Sauerstoffversorgung die GrSge der b-Welle ausschlieBlich yon der I-I6he des Blutzuekerspiegels abhgngig ist.

: 6. Die Li~hmungszeit des EC G bei Anoxie wird dureh eine Blutzucker- senkung verkfirzt. Eine tIyperglykgmie ffihrt zu keiner eindeutigen Ver- langerung.-Die Reserven des Gehirngewebes an energieliefernden Sub- stanzen S~ind gering und k6nnen dutch eine ErhShnng des Blutzueker- spiegels nicht vergr613ert werden.

Das Elektroret inogramm und das Elek~rocorticogramm des Kaninchens 139

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Dr. WO~,FGA~r P~ST, Hamburg-Eppendorf , Universitats-Augenklinik