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University of Zurich Zurich Open Repository and Archive Winterthurerstr. 190 CH-8057 Zurich http://www.zora.uzh.ch Year: 2008 Das Frühstück der Nationalspieler interessiert mehr als der Staffelrekord: Warum der Fussball Sportarten wie die Leichtathletik oder das Kunstturnen in den medialen Schatten verbannt Dietl, H; Franck, E Dietl, H; Franck, E. Das Frühstück der Nationalspieler interessiert mehr als der Staffelrekord: Warum der Fussball Sportarten wie die Leichtathletik oder das Kunstturnen in den medialen Schatten verbannt. In: Neue Zürcher Zeitung, 139, 17 June 2008, p.55. Postprint available at: http://www.zora.uzh.ch Posted at the Zurich Open Repository and Archive, University of Zurich. http://www.zora.uzh.ch Originally published at: Neue Zürcher Zeitung, 139, 17 June 2008, p.55.

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Year: 2008

Das Frühstück der Nationalspieler interessiert mehr als derStaffelrekord: Warum der Fussball Sportarten wie die

Leichtathletik oder das Kunstturnen in den medialen Schattenverbannt

Dietl, H; Franck, E

Dietl, H; Franck, E. Das Frühstück der Nationalspieler interessiert mehr als der Staffelrekord: Warum der FussballSportarten wie die Leichtathletik oder das Kunstturnen in den medialen Schatten verbannt. In: Neue ZürcherZeitung, 139, 17 June 2008, p.55.Postprint available at:http://www.zora.uzh.ch

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Dietl, H; Franck, E. Das Frühstück der Nationalspieler interessiert mehr als der Staffelrekord: Warum der FussballSportarten wie die Leichtathletik oder das Kunstturnen in den medialen Schatten verbannt. In: Neue ZürcherZeitung, 139, 17 June 2008, p.55.Postprint available at:http://www.zora.uzh.ch

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Das Frühstück der Nationalspieler interessiert mehr als derStaffelrekord: Warum der Fussball Sportarten wie die

Leichtathletik oder das Kunstturnen in den medialen Schattenverbannt

Abstract

Am Swiss Meeting vom 31. Mai 2008 in Genf ist die Schweizer Sprintstaffel der Männer die 4×100Meter in 39,02 Sekunden gelaufen und verbesserte damit den nahezu 30 Jahre alten Landesrekord vom5. August 1978 um 0,17 Sekunden. Interessanterweise fand dieser Rekordlauf in den Medien so gut wiekeine Beachtung. Eine Woche vor Beginn der Fussball-Europameisterschaft konzentrierte sich dasMedieninteresse auf Nebensächlichkeiten aus den Trainingslagern der teilnehmenden Mannschaften undaus dem Privatleben der Fussballstars. Zu diesen Belanglosigkeiten gehörten beispielsweise so«essenzielle » Fragen wie: Was essen die Nationalspieler zum Frühstück? Wann gehen sie schlafen?Wer teilt sich mit wem das Zimmer? Aus der Distanz besehen wirft die «Brisanz» solcher Nachrichteneine übergeordnete Frage auf: Wieso gelingt es dem Fussball, andere Sportarten, wie etwa dieLeichtathletik, in den Medien derart in den Schatten zu stellen?

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Das Frühstück der Nationalspieler interessiertmehr als der Staffelrekord

Warum der Fussball Sportarten wie die Leichtathletik oder das Kunstturnen inden medialen Schatten verbannt

Von Helmut Dietl und Egon Franck*

Am Swiss Meeting vom 31. Mai 2008 inGenf ist die Schweizer Sprintstaffel derMänner die 4×100 Meter in 39,02 Se-kunden gelaufen und verbesserte damitden nahezu 30 Jahre alten Landesre-kord vom 5. August 1978 um 0,17 Se-kunden. Interessanterweise fand dieserRekordlauf in den Medien so gut wiekeine Beachtung. Eine Woche vor Be-ginn der Fussball-Europameisterschaftkonzentrierte sich das Medieninteresseauf Nebensächlichkeiten aus den Trai-ningslagern der teilnehmenden Mann-schaften und aus dem Privatleben derFussballstars. Zu diesen Belanglosig-keiten gehörten beispielsweise so «es-senzielle» Fragen wie: Was essen dieNationalspieler zum Frühstück? Wanngehen sie schlafen? Wer teilt sich mitwem das Zimmer? Aus der Distanz be-sehen wirft die «Brisanz» solcher Nach-richten eine übergeordnete Frage auf:Wieso gelingt es dem Fussball, andereSportarten, wie etwa die Leichtathle-tik, in den Medien derart in den Schat-ten zu stellen?

Die Leistung allein zählt nichtDie Mediendominanz des Fussballslässt sich sicher nicht mit der sportli-chen Leistung der Fussballspieler be-gründen. Aus sportmedizinischer Sichtsind die körperlichen Anstrengungen inSportarten wie der Leichtathletik, demRudern oder dem Radfahren deutlichhöher als im Fussball. Der Schlüssel fürdie Mediendominanz des Fussballsmuss daher woanders liegen.

Betrachtet man zunächst die Ange-botsseite im Markt für Sportunterhal-tung, dann fällt auf, dass das «Fussball-produkt» anders als das «Leichtathle-tikprodukt» nicht auf dem Prinzip derabsoluten Leistungsmessung basiert.Die Messung der absoluten Leistung inSekunden oder Metern führt in derLeichtathletik dazu, dass die Qualitäteines Wettbewerbs anhand von Rekor-den definiert wird. Damit entsteht abereine Art «Teufelskreis». Je besser dieabsolute sportliche Leistung war, destohöher ist zwar die Qualität des betref-fenden Wettkampfs. Gleichzeitig steigtaber auch der Qualitätsmassstab, andem nachfolgende Wettkämpfe gemes-sen werden. Langfristig entwertet da-her jede Sportart, die sich auf eine Jagdnach objektiv messbaren Rekorden ein-lässt, die Qualität ihrer zukünftigenAngebote an die Zuschauer. Der Fuss-ball geht diesem Teufelskreis aus demWeg, indem er ausschliesslich die rela-tive Leistung zwischen den spielendenMannschaften in den Mittelpunkt stellt.

Des Weiteren fällt auf der Ange-

botsseite auf, dass nahezu jedes Fuss-ballspiel in ein hierarchisches Systemfast ganzjähriger Meisterschaftswettbe-werbe eingebettet ist, das ihm zusätzli-che Bedeutung und Attraktivität ver-leiht. Weil es stets um die Meisterschaft,um den Aufstieg, gegen den Abstieg,um die Qualifikation für die Cham-pions League usw. geht, speist sich dieQualität eines einzelnen Spieles ganzerheblich aus seiner Bedeutung in derHierarchie der überlagernden Wettbe-werbe. In der Leichtathletik haben wires demgegenüber mit relativ zusam-menhanglosen Einmal-Events zu tun.Man hat zwar auch in der Leichtathle-tik versucht, die Einmal-Events zu ei-ner Event-Serie zu kombinieren (Gol-den League). Hierdurch entsteht eben-falls eine gewisse Neugierde über denAusgang der Serie und damit die Quali-tätsdimension der Abhängigkeit zwi-schen den einzelnen Wettbewerben.Viele Sportarten bemühen sich um ei-nen Übergang von der Angebotsformder «Einzel-Event-Produktion» zur«Meisterschaftsproduktion», wie sie imFussball konsequent umgesetzt ist.

Ein erfolgreiches Beispiel für diesenÜbergang ist die Formel 1. Ihr ist es ge-lungen, aus vormals unabhängigenAutorennen mit wechselnden Teilneh-merfeldern ein ganzjähriges Meister-schaftsrennen mit einem festen Teilneh-merfeld zu inszenieren und damit einenAnhaltspunkt für die längerfristige Neu-gierde vieler Zuschauer zu erzeugen.Offenbar lockte der Qualitätsaspekt derAbhängigkeit zwischen den einzelnenRennen zusätzliche Zuschauer und setz-te den medial gestützten Aufmerksam-keitskreislauf in Gang: Durch zusätzli-che Zuschauer steigt das Medieninter-esse. Dieses Medieninteresse zieht wie-derum Sponsoren an. Durch die Spon-soren wird das Teilnehmerfeld besser.Das attraktivere Teilnehmerfeld locktmehr Zuschauer. Die zusätzlichen Zu-schauer lösen ein noch grösseres Me-dieninteresse aus, wodurch Sponsoren-einnahmen erzielt werden können usw.

Wissen über den Sport aneignenVon diesem Aufmerksamkeitskreislaufkönnten nun aber prinzipiell alle Sport-arten profitieren, denen es gelingt, dierelative Leistung in den Mittelpunkt zustellen und Meisterschaftsrennen zu in-szenieren. Meisterschaftsrennen aufBasis relativer Leistungsvergleiche un-terscheiden den Fussball zwar von vie-len Individualsportarten, aber nicht vonanderen Mannschaftssportarten, wieEishockey oder Basketball. Um wie derFussball die Medien zu dominieren,

braucht es scheinbar mehr. Eine Be-trachtung der Nachfrageseite des Mark-tes für Sportunterhaltung kann hierAnhaltspunkte liefern.

Damit man eine Sportart als Zu-schauer geniessen kann, muss man sichWissen über diese Sportart aneignen.Wenn man so will, muss ein Sportkon-sument ähnlich wie ein Kunstgeniesseroder ein Feinschmecker zunächst zumConnaisseur, zum Kenner, werden, be-vor er alle Facetten des Sports wert-schätzen kann. Ökonomisch gesehenkönnte man davon sprechen, dass Zu-schauer Konsumkapital aufbauen. Die-ses Konsumkapital kann sowohl durchaktives Betreiben der betreffendenSportart als auch durch passives Beob-achten oder durch eine Kombinationaus beidem aufgebaut werden.

Je mehr Konsumkapital ein Fan auf-gebaut hat, desto grösser wird seinKonsumnutzen. Aufgrund knapperRessourcen (Zeit und Informationsver-arbeitungskapazität) kann ein Sport-konsument nun aber nicht in allenSportarten umfangreiches Konsum-kapital aufbauen. Will er ein Expertewerden, muss er sich auf eine oder we-nige Sportarten spezialisieren. Auf wel-che Sportart man sich spezialisiert,hängt nun aber in erster Linie davon ab,auf welche Sportarten sich die eigenenFreunde und Bekannten bereits spezia-lisiert haben. Ein Teil des Sportkon-sums besteht ja auch in der Kommuni-kation, in der Analyse und in der Dis-kussion mit anderen «Konsumenten».Hierdurch entsteht ein gewisserSchneeballeffekt. Sobald sich eine kriti-sche Masse auf eine bestimmte Sportartspezialisiert hat, gewinnt diese Sportartgegenüber anderen Sportarten derartan Attraktivität, dass sie nur schwer vonder Spitze verdrängt werden kann. –Legt man diese Interpretation desNachfrageverhaltens streng aus, dannist Fussball in jenen Teilen der Welt ex-trem populär, wo er vor den anderenMannschaftssportarten zufällig jenekritische Anzahl von Anhängern errei-chen konnte, die den Schneeballeffektin Gang setzten. Allerdings fällt auf,dass – vereinfacht gesagt – nur in denUSA Baseball gespielt wird, im Restder Welt jedoch Fussball. Ganz zufälligdürfte das Ergebnis, dass der Fussballdie für seinen Siegeszug notwendige kri-tische Anhängerschwelle in den meis-ten Ländern der Welt als Erster erreichthat, daher nicht sein. Gemessen an an-deren Sportarten, hat das Fussballspielnicht nur einfache Regeln, sondern eskommt im Extremfall fast ohne Ausrüs-tungsinvestitionen aus. Dies erleichtert

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den aktiven Aufbau von Konsumkapi-tal, denn wer einen Ball, ein paar Freun-de und die Abgrenzung für zwei symbo-lische Goals organisieren kann, kannauf jeder Freifläche in die Faszinationdes Fussballspiels eintauchen und zumConnaisseur reifen.* Die Autoren sind ordentliche Professoren an derwirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universi-tät Zürich und befassen sich mitunter mit der Öko-nomie des Sports. Im Frühjahr 2008 ist ihr Sammel-band «Millisekunden und Milliarden» bei NZZ Li-bro erschienen.