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Hans Dieter Neuwinger und Gerhard Scherer Das LarWn-l)f dgif t der Buschmanner Von allen heute bekannten Pfeilgiften unter- scheiden sich zwei durch ihre ungewohn- lichen Wirkstoffquellen, die beide tierischer Art sind: die Pfeilgift-Frosche kolumbia- nischer Indianer und die Pfeilgift-Larven der Buschmanner im siidlichen Afrika [I]. Von beiden Giftquellen weifl man schon seit langem - ohne jedoch bis vor wenigen Jahren Genaueres dariiber gekannt zu haben. Die spate Erforschung resultiert aus einer weite- ren Gemeinsamkeit: Beide Ausgangspro- dukte sind in ausreichender Menge nur schwierig und miihsam zu beschaffen. W&- rend es mittlerweile gelungen ist, die Pfeil- gift-Frosche zu ziichten und die Hauptwirk- stoffe zu isolieren und strukturell abzukhren, sieht bei den Pfeilgift-Larven der Buschmin- ner der derzeitige Stand der Forschung weit weniger giinstig aus. Der vorliegende Beitrag hat zum Ziel, das bisher bekannte, zum Teil noch nicht publizierte oder sehr verstreut liegende und schlecht zugangliche Material iiber die Pfeilgift-Larven zusammenfassend darzustellen und eine Anregung auf ein Ge- biet zu geben, in dem noch vie1 Raum fur Forschungen auf den verschiedensten Fach- richtungen steckt. 1. Zoologie, Botanik Wikar, der von 1775-79 in Siidafrika rei- sende abenteuerdurstige Schwede, berichtete wohl als erster von den ,,giftigen Wiirmern", die sich unter einem bestimmten, wohlrie- chenden Baum im Erdreich finden (die Commiphora-Wirtspflanzen der Larven ge- horen zu den Myrrhengewachsen). Getrock- net zu einem Pulver verrieben dienten sie zusammen mit Pflanzenlatex den ,,Hotten- totten" als Pfeilgift (Abbildung 2). In den folgenden Jahrzehnten wurde diese Pfeilgift- quelle, die den meisten Reisenden jedoch lediglich vom Horensagen bekannt wurde und damit groi3en Spielraum fur ihre Phanta- sie lie& ein Gegenstand marchenhafter Be- richte. Vielfach hielt man das Pfeilgift-Tier fur einen Wurm, eine Raupe, eine Termite oder Fliege und schrieb ihm die grausigsten Abb. 1. Ungefihres Gebiet, in dem Busch- manner angetroffen werden. Von den ca. 50 000 San leben 26 000 in Botswana, davon sind hochstens 4000 Jager und Sammler. Das Hauptlebensgebiet der unter dem Namen !Kung zusarnmengefafiten rein- rassigen ,,gelbenu Buschmannern ist das Kaukau-Kungveld bzw. die West-Kalahari. Irn westlichen Caprivi-Zipfel schweifen die ,,schwarzen" Hukwe-Buschrnanner ( = h o e , Barakwengo), irn unwegsarnen Okavango-Delta die fischenden ,,Sumpf- Buschmanner", die Kanikwe. Abb. 2. Zu Beginn der Trockenzeit graben sich die Larven ins Erdreich ein und bilden einen etwa 1,3 cm langen, aus aneinander- klebenden Sandkornern bestehenden Ko- kon um sich. Man findet sie in 40-120 cm Tiefe unter den Wirtspflanzen. Die Larven liegen in stark gekriimmter, meist kreis- formig geschlossener Haltung im Kokon. Abb. 3. Blatter, Friichte und mannliche Bliiten des Marula-Baums (Sclerocarya caffra), der Wirtspflanze von Polyclada flexuosa Baly (nach [5]). Biologie in unserer Zeit / 6. Jabrg. 1976 / Nr. 3 75

Das Larven-Pfeilgift der Buschmänner

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Page 1: Das Larven-Pfeilgift der Buschmänner

Hans Dieter Neuwinger und Gerhard Scherer Das LarWn-l)f dgif t der

Buschmanner Von allen heute bekannten Pfeilgiften unter- scheiden sich zwei durch ihre ungewohn- lichen Wirkstoffquellen, die beide tierischer Art sind: die Pfeilgift-Frosche kolumbia- nischer Indianer und die Pfeilgift-Larven der Buschmanner im siidlichen Afrika [I]. Von beiden Giftquellen weifl man schon seit langem - ohne jedoch bis vor wenigen Jahren Genaueres dariiber gekannt zu haben. Die spate Erforschung resultiert aus einer weite- ren Gemeinsamkeit: Beide Ausgangspro- dukte sind in ausreichender Menge nur schwierig und miihsam zu beschaffen. W&- rend es mittlerweile gelungen ist, die Pfeil- gift-Frosche zu ziichten und die Hauptwirk- stoffe zu isolieren und strukturell abzukhren, sieht bei den Pfeilgift-Larven der Buschmin- ner der derzeitige Stand der Forschung weit weniger giinstig aus. Der vorliegende Beitrag hat zum Ziel, das bisher bekannte, zum Teil noch nicht publizierte oder sehr verstreut liegende und schlecht zugangliche Material iiber die Pfeilgift-Larven zusammenfassend darzustellen und eine Anregung auf ein Ge- biet zu geben, in dem noch vie1 Raum fur Forschungen auf den verschiedensten Fach- richtungen steckt.

1. Zoologie, Botanik

Wikar, der von 1775-79 in Siidafrika rei- sende abenteuerdurstige Schwede, berichtete wohl als erster von den ,,giftigen Wiirmern", die sich unter einem bestimmten, wohlrie- chenden Baum im Erdreich finden (die Commiphora-Wirtspflanzen der Larven ge- horen zu den Myrrhengewachsen). Getrock- net zu einem Pulver verrieben dienten sie zusammen mit Pflanzenlatex den ,,Hotten- totten" als Pfeilgift (Abbildung 2). In den folgenden Jahrzehnten wurde diese Pfeilgift- quelle, die den meisten Reisenden jedoch lediglich vom Horensagen bekannt wurde und damit groi3en Spielraum fur ihre Phanta- sie lie& ein Gegenstand marchenhafter Be- richte. Vielfach hielt man das Pfeilgift-Tier fur einen Wurm, eine Raupe, eine Termite oder Fliege und schrieb ihm die grausigsten

Abb. 1. Ungefihres Gebiet, in dem Busch- manner angetroffen werden. Von den ca. 50 000 San leben 26 000 in Botswana, davon sind hochstens 4000 Jager und Sammler. Das Hauptlebensgebiet der unter dem Namen !Kung zusarnmengefafiten rein- rassigen ,,gelbenu Buschmannern ist das Kaukau-Kungveld bzw. die West-Kalahari. Irn westlichen Caprivi-Zipfel schweifen

die ,,schwarzen" Hukwe-Buschrnanner ( = h o e , Barakwengo), irn unwegsarnen Okavango-Delta die fischenden ,,Sumpf- Buschmanner", die Kanikwe.

Abb. 2. Zu Beginn der Trockenzeit graben sich die Larven ins Erdreich ein und bilden einen etwa 1,3 cm langen, aus aneinander- klebenden Sandkornern bestehenden Ko-

kon um sich. Man findet sie in 40-120 cm Tiefe unter den Wirtspflanzen. Die Larven liegen in stark gekriimmter, meist kreis- formig geschlossener Haltung im Kokon.

Abb. 3. Blatter, Friichte und mannliche Bliiten des Marula-Baums (Sclerocarya caffra), der Wirtspflanze von Polyclada flexuosa Baly (nach [5]).

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Eigenschaften zu. Erst der ausgezeichnet beobachtende Baines erkannte richtig, dai3 mit dieser Bezeichnung ein Kafer gemeint war und die Raupe der friiheren Beobachter eine Kaferlarve ist. Er hat 1864 den Kafer genau beschrieben, aber offensichtlich keine Exemplare nach Europa gebracht. Nach seinen Angaben quetschen die Buschmanner den Korpersaft der Larven a d die Pfeilspitze und lassen die Tropfen eintrocknen. Schinz war schliefllich der erste naturwissenschaft- lich ausgebildete Reisende, der das Larven- Pfeilgift und seine Bereitung selbst sah. Er bestatigte 1886 die von einigen seiner Vor- gSnger angegebene Pfeilgift-Bereitungsart aus Kaferlarven (Abbildung 4). Schinz erkannte die Larven als monophage Pflanzenfresser und konnte ihre Wirtspflanze richtig als Commiphora afvicana identifizieren. Larve

des Jahres. Commiphora angolensis hat meist eine gelbbraune, sich papierartig ab- schalende Rinde.

Abb. 6. Blepharida evanida Bdy (Origi- nalgroSe ca. 7 mm). Oben: Dorsalansicht, Fliigeldecke, Ventralansicht. Unten: Larve von B.evanida (Originalgrofle ca. 9 mm), ganz rechts Blepharida lewini Weise (Origi- nalgroi3e ca. 4,5 mm; aus [3]).

Abb. 7. Stammform Diamphidia nigroor- nata St81 (0.1.) und die drei Farbvarianten D. nirgoornata ab. simplex Piringuey(o.r.), ab. Iesnei Achard (u.1.) und ab. locusta Fairmaire (u. r.). Originalgrofle 10- 12 mm lang, 6-6,5 mm breit (Fiihler beschadigt).

Abb. 4. Pfeilgift-Larven, kurz nach Ent- nahme aus den Kokons. Im Kokon sind die Larven viele Jahre frisch haltbar. An der Luft trocknen sie in kurzer Zeit vollig ein, ohne dai3 ihre Giftigkeit wesentlich beein- trachtigt wird.

Abb. 5. In diesem Habitus zeigen sich die Commiphora-Wirtspflanzen die meiste Zeit

Abb. 8. Polyclada flexuosa Baly. Charakte- ristisch die gekammten Fiihler, die insbe- sondere beim Mannchen sehr schon aus- gebildet sind. Originalgrofle 12 mm lang, 7,s mm breit (Fiihler beschadigt).

Im V-DIA-Verlag befindet sich die Licht- bildreihe D 24113 ,,Pfeilgifte und ihre Wir- kung auf das Nervensystem" (14 Bilder mit

Textheft), Bearbeiter Dr. D. Neuwinger, in Vorbereitung.

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und Kafer wurden stets nur in unmittelbarer Nahe dieses Halbstrauches gefunden. Er konnte auch authentisches Pfeilgift erhalten, doch von den zugrundeliegenden Larven lieflen sich nur wenige Exemplare beschaffen, und diese trockneten wahrend der Reise nach Europa vollig ein.

Fleck brachte schliefllich einige Jahre spater eine ,,ergiebige Quantitat" der Kokons (Fleck spricht wiederum von Fliegen und Puppen) nach Deutschland, in denen sich wahrend der langen Oberfahrt einige Kder voll ent- wickelt hatten. Damit war erstmals die Mog- lichkeit gegeben, iiber die systematische Stel- lung dieser Kafer Klarheit zu erhalten.

Lewin erhielt 1894 einen dieser Kafer und veranlaflte seine zoologische Bestimmung. Es handelte sich um den 1892 von Piringuey nach Exemplaren aus dem Ovamboland (im Norden Siidwestafrikas) beschriebenen Blatt- kafer Diamphidia simplex PCringuey (Abbil- dung 7). Gleichzeitig und unabhangig gab Schinz, der ebenfalls von Fleck Kokons und Kafer erhalten hatte, dem franzosischen Ko- leopterologen Fairmaire einen Kafer zur Be- stimmung, den dieser nochmals spezifizierte, und zwar als neue Art Diamphidia locusta Fairmaire [2]. Die Gattung Diamphidia war 1855 von Gerstaecker aufgrund von Exem- plaren einer naturwissenschaftlichen Sammel- reise in MoCambique als neue Gattung be- schrieben worden.

Bei diesem Stand der Forschung blieb im wesentlichen das Wissen iiber die Zoologie der Pfeilgift-Larven fast 60 Jahre stehen. Aufgrund von Museumsbestiinden postu- lierte Lewin 1912 neben den Diamphidia- Larven noch zwei weitere Kder bzw. Kder- larven als Buschmann-Pfeilgift (Abbildung 6): Blepharida evanida Baly (= Podontia evanida Baly) und Blepharidella lewini Weise [3]. Er konnte deren Toxizitat nachweisen, die bei der Larve erheblich grofler war als bei den Kafern. Eindeutige Belege fur deren Verwendung als Pfeilgift wurden jedoch bis heute nicht geliefert.

Ein wesentlicher Vorstofl gelang C. Koch [4], als er vom 13. 1. - 16. 2. 1958 unter den !Kung-Buschmknern*- des Kaukau-Kung- veldes im nordostlichen Siidwestafrika kole- opterologische Studien trieb. Er konnte nach- weisen, dafl das Pfeilgift nicht, wie bisher angenommen, ausschliefllich aus Larven von Diamphidia nigroornata und seiner Abarten D. simplex, lesnei, locusta (und falschlich

nigrovittata) besteht, 'sondern auf insgesamt sechs Larven basiert (Tabelle 1): drei pflan- zenfressenden Blattkafern (Chrysomelidae- Alticinae) und drei fleischfressenden Lauf- kafern (Carabidae-Lebiini), die auf den erste- ren schmarotzen. Koch stellte fest, d d die Larven der beiden Diamphidia-Arten und der Polyclada jede auf einer ganz bestimmten Wirtspflanze und sonst keiner anderen leben, also streng monophag sind. Auch Blatter sehr nahe verwandter Arten verweigern sie.

Er beobachtete ferner, daf3 ebenso jeweils die Larven einer bestimmten Lebistina-Art nur jeweils Larven einer bestimmten Alticinen- Art parasitieren.

1.1. Lebensweise

Die Buschmanner kennen verbliiffend genau die Lebensweise der Larven und Kafer, und sie vermogen mit untriiglicher Sicherheit die Wirtspflanzen anzugeben. Sie wissen, dafl sich die Kafer in der Regenzeit entwickeln, Eier auf den Blattern ihrer Wirtspflanzen ablegen und dafl sich daraus Larven entwik- keln. Es ist ihnen genau bekannt, dafl sich die ausgewachsenen Larven zu Ende der Regenzeit tief in den Boden eingraben und aus Sandkornern einen Kokon um sich legen: ,,ha-tshu" (,,ihr Haus") nennen die !Kung- Buschminner diesen Sandkokon. Die Larven und Kafer von Diamphidia und Polyclada bezeichnen sie mit ,,!oar' (= Gift). Bei den Hukwe-Buschmannern von Mutsiku im westlichen Caprivi-Zipfel (in der Literatur auch als Kxoe und Barakwengo oder ,,schwarze Buschmkner" beschrieben) hei- flen die Pfeilgift-Larven allgemein ,,up. Sie wissen schliefllich, dafl im Verlauf der nach- sten Regenzeit aus den Erdkokons Kafer entschlupfen, das Erdreich verlassen und zu ihren speziellen Wirtspflanzen fliegen und ausschliefllich deren Blitter fressen. Auch von den schmarotzenden Larven haben sie Kenntnisse, allerdings nur hinsichtlich der Gegenwart von zwei Larven in einem Kokon. Sie haben jedoch offensichtlich keine Erkla- rung fur das Auftreten der beiden Larven; sie halten die eine Larve fur den ,,Mann" der anderen.

'>Das ! vor dem Wort symbolisiert einen der 5 fur die Buschmannsprache charakteristi- schen Schnalzlaute. ! wird 2.B. ausgespro- chen, indem man die Zungenoberflache vom Gaumendach reifit, wobei ein harter Knall entsteht (Retrox- oder Sektkorkenklick).

1.2. Pflanzenfressende Pfeilgift-Larven (Abbildungen 2 , 4 , 7 , 8 , 9 , 11,12).

Den vollstandigen Lebenszyklus konnte Koch nur im Falle der Polyclada flexuosa verfolgen. Er spielt sich in einem Zeitraum von drei Wochen ab. In der ersten Periode e rna r t sich die Larve von den Blattern ihrer Wirtspflanze Sclwocarya caffra (,,Marula"- Baum), am auflersten Rand der Blatter be- ginnend. Im ersten Larvenstadium ist die Larve griinlich, sie wechselt ihre Farbe iiber grau im zweiten Stadium zu blaflrosa im dritten Stadium. Wenn sie voll ausgewachsen ist, stellt sie das Fressen ein und nimmt intensiv rosa Farbe an, die der Farbe der Wurzeln ihrer Wirtspflanze gleicht. Sie laflt sich schliefllich zu Boden fallen oder wandert den Stamm hinunter und grabt sich in die Erde unter der Wirtspflanze ein. Durch standige Rollbewegungen zusammen mit klebrigen Korperausscheidungen bildet sie aus Sandkornern den genannten Kokon um sich (Abbildung 2). Der Instinkt der Larven, sich tief einzugraben, ist sehr stark ausge- pragt. Bei Zuchtversuchen in einem.25 cm tiefen Gefafl bauten die Larven ihre Kokons stets auf dem Boden; dabei benutzten sie sogar den Boden als eine Hdfte des Kokons. In den vollig dichten Kokons konnen die Larven eine vier und mehr Jahre wahrende Ruhezeit (Diapause) verbringen, ehe sie sich dann in einem kurzen Zeitraum verpuppen bzw. zum Kafer umwandeln. Die Faktoren, die auf die Diapause und deren Dauer Ein- flu6 haben, sind noch unbekannt. Bemer- kenswert ist jedoch, d d von den Larven derselben Generation sich jedes Jahr nur einige entwickeln und die Mehrzahl fur mehr oder weniger langere Zeit im Ruhestadium bleibt. Wegen dieses unregelmdigen Aus- schliipfens haben die Buschmber praktisch das ganze Jahr iiber reichlich und vor allem frische Larven fur ihr Pfeilgift zur Verfiigung.

1.3. Fleischfressende Pfeilgift-Larven (Abbildung 10)

Ausgewachsene Lebistina-Larven finden sich auf den Blattern der Diamphidia- und Poly- clada-Wirtspflanzen und ernahren sich von den phytophagen Larven. Sie greifen auch Raupen an, selbst solche, die fast dreimal grofler sind als sie selbst. Die Lebistina- Larve klammert sich schliefllich an eine aus- gewachsene Diamphidia- oder Polyclada- Larve und gelangt mit ihr ins Erdreich und in ihren Erdkokon. Sie ernahrt sich vom Blut und den Weichteilen ihres lebenden Wirts,

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ohne ihn jedoch vor Erreichen des letzten Larven-Stadiums zu toten. Ihre Korperform kann schliei3lich der Wirtslarve so ahnlich werden, dai3 sie wohl aus diesem Grund von friiheren Forschern nicht erkannt oder mit ihr verwechselt wurde. Koch fand etwa 1 70 der Kokons von schmarotzenden Larven bewohnt. Oft war die Lebistina-Larve we- sentlich kleiner als die Wirtslarve und eng an diese geschmiegt. Manchmal war auch der Parasit nur noch allein im Kokon und hatte das Ausmai3 der Wirtslarve, lediglich einige Hartteile zeugten noch von der friiheren Existenz der Wirtslarve. Bei einigen Hundert eingesehenen Larven-Kokons konnten wir in keinem Fall zwei Larven in einem Kokon entdecken, wohl aber ofters extrem kleine Larven.

1.4. Die Wirtspflanzen

Die derzeit bekannten Wirtspflanzen der Pfeilgift-Larven verteilen sich auf die beiden Familien Burseraceae (Myrrhengewachse) und Anacardiaceae (Mangogewachse). Es sind dies Commiphora africana (A. Richard) Engler und C. angolensis Engler, die Wirts- pflanzen der Diamphidia-Arten, sowie Scle-

rocarya caffra Sonder (Abbildung 3), die Wirtspflanze von Polyclada flexuosa (s. Ta- belle 1 und Abbildung 8).

Wahrend Sclerocarya caffra, der weithin be- kannte und verbreitete groi3e ,,Marula"- Baum, recht gut zu identifizieren ist, erweist sich die Bestimmung der Commiphora- Wirtspflanzen als weitaus schwieriger. Fast alle der 28 im siidlichen Afrika bekannten Cornmiphora-Arten haben eine graue, sich papierartig abschalende Rinde und einen stark verzweigten Wuchs. Dam kommt, dai3 sie die meiste Zeit des Jahres ohne Blatter, Bluten oder Friichte sind (Abbildung 5). Beide Arten sind weit verbreitet und treten als mittelhoher Strauch (0,3-4 m, manchmal als ausladendes Gebusch) oder als kleiner Baum auf. Insbesondere C. angolensis ist sehr variantenreich und fast iiberall zu finden. Uber die Identitat von Sclerocarya caffra mit S. birrea sind die Botaniker nicht einer Meinung. Eine genaue botanische Charakte- risierung der drei Gewachse findet sich bei Palmer/Pitman ([5], Band 2). - Nach neueren, noch unbestatigten Angaben finden sich Diamphidia-Larvenkokons auch unter Corn- rniphora pyracanthoides, Engler.

I.>. Taxonomie der Kafer und Larven

Die zu den Pfeilgift-Larven gehorigen Kafer verteilen sich auf die beiden groflen Familien der pflanzenfressenden (phytophagen) Blatt- kafer (Chrysomelidae, Abbildung 6, 7, 8, 9) und der rauberischen, fleischfressenden Laufkafer (Carabidae, Abbildung 10): zwei Extreme, die im System der Kafer zum Aus- druck kommen. Erstere nahe am Ende der groi3en Unterordnung Polyphaga (Vielfres- ser), letztere zu Beginn der Unterordnung Adephaga (Raubkafer)". Die Familie derphy- tophagen Chrysomelidae zerfallt in 19 Unter- familien, wovon eine die Fahigkeit besitzt, dai3 alle ihre Arten springen konnen: die Erdflohe (Alticinae; friiher Halticinae). Hier findet man auch die phytophagen Pfeilgift- Kafer. Alle Vertreter dieser Unterfamilie haben verdickte Hinterschenkel. in welchen

'$Die Ordnung der Kafer hat sich phylogene- tisch schon im Mesozoikum (Saurierzeit!) in 2 Unterordnungen gespalten, die sich dann eigenstandig entwickelt haben. Die diame- trale Stellung der Pfeilgift-Kafer ist daher besonders bemerkenswert.

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das Mauliksche Organ sitzt, ein federartig chitinisierter Apparat, der diesen Tieren das Springen ermoglicht (Abbildung 9). Meist sind die Erdflohe kleine, nur wenige Milli- meter lange Tierchen, was ihnen zusammen mit ihrem Springvermogen und dem Um- stand, dai3 sie meist auf krautigen Pflanzen nahe dem Erdboden leben, den Namen ein- getragen hat. Bei den phytophagen Pfeilgift- Kafern handelt es sich dagegen um verhaltnis- mai3ig groi3e Kafer, fast von der Form des allbekannten, jedoch in eine andere Unter- familie gehorenden Kartoffelkafers. Eine Zunahme der Korpergrofle findet man viel- fach in den Tropen. Die Chrysomeliden- Pfeilgift-Kafer zahlen zu den Gattungen Diamphidia und Polyclada, moglicherweise auch Blepharida. Alle drei sind eng verwandt.

Ganz eindeutig unterscheiden sich diese Genera an den Fuhlern: Diamphidia hat normale Fuhler, an denen die einzelnen Antennite nur etwas gegen die Spitze erwei- tert sind (Abbildungen 7 und 9). Dagegen macht Polyclada eine Ausnahme in der gan- Zen Unterfamilie: Jedes Fuhlerglied tragt bei den Mannchen einen langen Fortsatz; man nennt solche Fuhler ,,gekammt" (Abbildung 8). Die sehr schon gelb und braunschwarz gezeichneten Kafer dieser Gattungen veran- laken zahlreiche Liebhaber in jeder Variation der Zeichnung etwas Ncues zu sehen. Dem- entsprechend vielfaltig und verwirrend ist heute die Situation. Bryant [6] stellte 1942 die bis dahin bekannten Arten von Diamphi- dia und Polyclada zusammen, wobei er die bis dahin als eigenstandig aufgefuhrten Diamphidia-Pfeilgift-Kafer als Abarten bzw. Farbvarianten der Stammform Diamphidia

nigroornata betrachtete, die StSl 1858 be- schrieben hatte.

Die von den Blattkaferlarven lebenden Lauf- kafer (Abbildung 10) gehoren in die grofle Unterfamilie der Harpalinae, die sich von der Unterfamilie der Carabinae durch einen Ausschnitt auf der Innenseite der Vorder- tibien unterscheiden. Der Gattungsname Lebistina verrat schon, dafl dieses Genus in die Gruppe der rnit Lebia verwandten Genera fallt. Um es hier nicht zu speziell zu machen: Sie besitzen einen Halsschild mit scharfen Randern, dessen Form mehr oder weniger herzformig ist. Die Flugeldecken bedecken die Spitze des Hinterleibes nicht ganz ,und sind quer abgestutzt (Abbildung 10). Die Farbung ist ahnlich der von Diamphidia und Polyclada.

Ober die Larven der verschiedenen Kaferar- ten ist wenig bekannt. Maulik veroffentlichte 1931 eine Arbeit mit schonen und brauch- baren Zeichnungen der (Diamphidia-)Larve [7]. Er bezeichnete sie irrtumlich als Lame von Cladocera nigrovittata Stal. Da weder in der Gattung Cladocera noch Diamphidia eine Art nigrovittata beschrieben wurde - lediglich nigroornata! - sind diese Bezeich- nungen aus der Literatur zu streichen. Der Bau der dorsal sehr konvexen Larven ist aus den Abbildungen 11 und 12 gut zu ersehen.

2. Das Pfeilgift

Die 45-50 cm langen, 0,6-0,s crn dicken ungefiederten Pfeile der ! Kung-Buschmitnner sind leicht und zierlich und wirken lediglich durch ihre Giftschicht (Abbildung 13). Die

Pfeile bestehen aus drei Teilen: dem 30-35cm langen Hauptschaft aus Ried oder Schilfrohr, einem kurzen spindelformigen Mittelstuck aus Knochen oder Holz und dem daran be- festigten, 15-20 cm langen Vorderschaft, der als Spitze ein kleines, scharfkantiges Eisen- dreieck besitzt. Der Zusammenhalt erfolgt in allen Fallen durch Tiersehnen und Steck- verbindung. Die dunne Giftschicht ist 7-10 cm lang und befindet sich stets hinter der Eisenspitze auf dem Vorderschaft. Die Bereitung des Giftes wechselt von Horde zu Horde. Gebrauchlich bei den !Kung-Busch- mannern im Kaukau-Kungveld ist folgende Bereitungsart: Der Buschmann faflt die Lame am linken Vorderbein mit Daumen und Zeigefinger und zieht solange, bis ein Trop- fen des Leibesinhalts austritt. Etwa 100 Trop- fen aus einer Anzahl Larven werden in Langsreihen auf den Pfeilschaft getippt. Die ausgequetschten Uberreste werden gesam- melt und nach Mischen mit klebrigem Pflan- zenlatex, Harz oder Speichel ebenfalls auf den Vorderschaft geschmiert. Eine andere Methode besteht darin, die Larven in der Sonne zu trocknen, mit Steinen zu pulveri- sieren und mit klebrigen Pflanzensaften zu einer Paste zu mischen, die mehrmals auf den Vorderschaft gestrichen wird. Seltener ist das Verreiben der ungeoffneten Kokons zusam- men mit Latex oder Harz. Die Kxoe-Busch- leute von Mutsiko im westlichen Caprivi- Zipfel mischen die Larven mit dem Saft je einer Zwiebel von Urginea sanguinea sowie einer weiteren, nicht naher bekannten Pflanze und dicken die Mischung in einer groflen Tontopfscherbe uber dem offenen Feuer ein. In diesem Fall ist grundsatzlich folgendes zu beachten: Die bisher bekannt gewordenen

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Pflanzensafte und Harze spielen als Zusatz zum Larvengift nur eine untergeordnete Rolle. Bei dem hoe-Pfeilgift scheinen uns jedoch die Larvenwirkstoffe als wirksames Prinzip des Giftpfeils aus zwei Grunden fraglich. Erstens enthalten die Zwiebeln der Urginea-Arten auflerst wirksame Herzgifte (,,herzwirksame Glykoside", [I]), zum Teil von Strophanthin-artig schneller Wirkung. Zweitens findet ein Erhitzungsprozefl statt, und es ist geniigend bekannt, dafl die Larven- wirkstoffe oberhalb 80" C unwirksam sind. Die Schadlichkeit hoherer Temperaturen auf das Larven-Pfeilgift scheint den meisten Buschmannern, jedenfalls den vielfach be- suchten Kalahari-!Kung, jedoch bekannt zu sein. So wurde auch in keinem anderen Fall ein Kochprozefl beobachtet. Beipharmakolo- gischen und chemischen Untersuchungen

eines Larven-Giftpfeils ist also Vorsicht bei Schluflfolgerungen geboten, wenn Zusatz- stoffe und Zubereitungsart nicht genau be- kannt sind.

Das Fleisch der rnit Larven-Giftpfeilen er- legten Tiere kann unbedenklich gegessen werden; die Buschmiinner verwerfen ledig- lich das Fleisch um die Einschuflstelle. An- geblich verursacht das Larvengift eine Ge- schmacksveranderung des Fleisches.

3. Pharmakologie, Toxikologie, Chemie

Ober Pharmakologie, Toxikologie und Che- mie des Larvengiftes sind einige Arbeiten bekannt, denen mehr oder weniger orientie- render Charakter zukommt. Die ersten Un- tersuchungen dieser Art stellten 1894 unab- hangig voneinander L. Lewin und R. Bohme an. Beide Forscher verwendeten eingetrock- nete Larven. Das Larvengift liefl sich leicht mit Wasser oder Kochsalzlosung extrahieren. Die saure Giftlosung gab alle Reaktionen auf Eiweiflkorper. Der Giftstoff war mit Am- moniumsulfat aussalzbar, kurzes Erhitzen auf uber 80°C zerstorte die Wirksamkeit vollig. Bohm empfahl wegen der schnellen Zersetzung durch Mikroorganismen eine 24- stiindige Mazeration der Larven in mit Chloroform sterilisiertem Wasser. Orientie- rende pharmakologische Versuche an Kanin- chen ergaben bei subkutaner Zufuhr schwere fortschreitende innere und auflere Entziin- dungserscheinungen, blutig-eitrig-odematos, teils zur Nekrose fiihrend, ferner schwere hamorrhagische Nierenentziindungen, hefti- ge Hyperamie des ganzen Dames und blu- tige Durchfalle. Der Tod erfolgte nach

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Abb. 10. Laufkafer Lebistina subcruciata Fairmaire (links), dessen Larve die des Blatt- kafers Diamphidia nigroornata Stzl und seiner Abarten parasitiert. Originalgrofle 13 mm lang, 6 mm breit. Bei Lebistina peringueyi Liebke (rechts) lebt die Larve von Polyclada flexuosa Baly, Originalgrof3e 11 mm lang, 5,s mm breit.

Abb. 11. Larve von Diamphidia nigroor- nata StHI. Links Dorsal-, rechts Ventral- ansicht. Die kleinen kreisrunden Punkte neben den etwas grofieren, unregelmai3i- gen, dunkel chitinisierten Flecken rechts im Bild der Ventralseite stellen die Tracheen- off nungen dar.

Abb. 12. Kopf der Larve von Diamphidia nigroornata StHl (Rasterelektronenmikro- skop-Aufnahme W. Barthlott, Univ. Hei- delberg). a) Kopf mit Mundwerkzeugen, halb ventral gesehen (Vergr. ca. 140x). Man sieht ganz auf3en deutlich die kraftigen dreizahnigen Mandibeln (Oberkiefer, erstes Paar der Mundwerkzeuge). Insbesondere die Maxillen (Unterkiefer, zweites Paar der Mundwerkzeuge) rnit Maxillarpalpus (Ta- ster) und Lacinia heben sich hervor. Zwi- schen ihnen liegt das Labium (Unterlippe) mit den beiden Labialpalpen (Taster). b) La- teralansicht (Vergr. ca. 200x). Ganz rechts Clypeus, dariiber das ausgerandete Labrum (Oberlippe). Den Wulst in der Mitte bildet die linke Mandibel, davor die linke An- tenne, links davon die Maxillen mit dem Madarpalpus; die Lacinia ist verdeckt. Zwischen den Maxillen sehen die beiden Labialpalpen hervor.

Abb. 13. Giftpfeile der !Kung-Buschman- ner. Urspriinglich hatten die leichten, zer- brechlichen Pfeile eine vergiftete Knochen- spitze, die bis kurz vor dem Schui3 umge- kehrt in die Schafthiilse gesteckt wurde (rechts). Heute findet man nur noch mehr oder weniger zierliche, scharfkantige Eisen- dreiecke als Spitze des kurzen Vorderschaf- tes (Mitte). Bei den heftigen Bewegungen des getroffenen Tieres lost sich der lange Hinterschaft aus der Steckverbindung, und der kurze Vorderschaft mit dem Gift bleibt in der Wunde stecken. Ganz links ein Pfeil mit charakteristisch schwarzem Pflanzen- gift aus dem Sudan. Reines Larven-Pfeilgift zeigt sich dagegen stets hell, gelb-braun ge- fleckt.

Krampfen durch allgemeine Lahmung. Die kleinste todliche Giftmenge betragt nach Bohme 0,25 ml einer Losung, die durch 24- stiindige Mazeration einer Larve in 1 ml Wasser erhalten wurde. Lewin fand Kafer und Kokonschalen ebenfalls giftig, Bohm konnte dagegen keine Giftwirkung feststellen. Starcke erhartete 1897 diese chemischen und pharmakologischen Befunde an Kaninchen, Katzen, Hunden und Vogeln. Bei Kaltbliitern war das Larvengift wenig wirksam. Er wies dariiber hinaus nach, dai3 das Larvengift die stark ausgepragte Eigenschaft hat, den Farb- stoff der roten Blutkorperchen sowohl im Reagenzglas als auch im lebenden Tier in Losung zu uberfiihren. Trommsdorff besta- tigte 1910 bei Versuchen mit frischen Larven an Hunden, Katzen und Mausen die Ergeb- nisse seiner Vorganger. Heubner fuhrte 1907 erstmals Versuche mit fertigem Pfeilgift der !Kung-Buschmanner zwischen Gobabis und Rietfontein (Siidwestafrika) durch in der stillen Annahme, dafl es aus Larven herge- stellt wurde. Es gelang ihm, die giftige Sub- stanz zu extrahieren und vollig von Eiweif3 zu befreien. Die eiweigfreie Losung zeigte sich physiologisch sehr aktiv und verursachte dieselben Erscheinungen wie die wasserigen, eiweiflhaltigen Larvenextrakte fruherer For- scher. Als wirksames Prinzip des Larven- giftes vermutete er einen sapotoxinahnlichen Korper. Heubner stellte ferner fest, dai3 die Nervenwirkung des Giftes unabhangig von seiner hamolytischen Wirkung - die Heubner interessanterweise in einem Fall auch nach dem Erhitzen noch voll wirksam fand - zur Geltung kommt. Oral zugefiihrt war es wenig wirksam oder verursachte iiberhaupt keine Vergiftungserscheinungen. Da den Larven oft die verschiedensten Zusatze bei- gemischt werden - gelegentlich auch Schlan- gengifte - ist fraglich, ob im Falle Heubner reines Larvengift vorlag. Haendel und Gilde- meister [lo] extrahierten frische Larven mit Kochsalzlosung bei Eisschranktemperatur. Als kleinste Dosis, die noch 1 ml einer 5%- igen Aufschlemmung roter Blutkorperchen in Kochsalzlosung vollstandig loste, ermittel- ten sie 0.0001 ml. Vogel-, Hiihner- und Fischblut zeigte sich sehr resistent. Das Lar- vengift totete auch weii3e Blutkorperchen rasch ab. Ebenso wurden Meerschweinchen- spermatozoen schnell zerstort. Die Autoren benutzten fur ihre Versuche an lebenden Tieren erstmals genau abgestufte Giftmengen. Dabei zeigte sich eindeutig, dai3 das Gift bei intravenoser Zufuhr erheblich rascher und in wesentlich kleineren Dosen wirkte als die friiheren Autoren ermittelt hatten. So ver-

mochten 0.05 ml der Giftlosung ( 1 Larve pro 1 ml Salzlosung) ein 2,3 kg schweres Kaninchen in 15 Minuten zu toten. Der ab- zentrifugierte Harn erwies sich fur die an- deren Versuchstiere ebenfalls als giftig, wirkte jedoch auf frische Blutkorperchen nicht hamolytisch. Die unter heftigen Krampfen verendeten Tiere zeigten stets schwere hamorrhagische Nierenentziindun- gen. Die Autoren unternahmen erstmals Immunisierungsversuche gegen das Larven- gift. Das Serum der ersten Blutentnahme iibte eine deutliche giftneutralisierende Wir- kung aus, das Serum der zweiten Blutent- nahme zeigte eine erheblich starkere anti- toxische Wirkung. Es gelang ihnen schliefi- lich, die intravenose Zufuhr bis zum 200fachen der todlichen Dosis zu steigern. In vielen Punkten zeigt sich das Larvengift somit ahnlich dem Schlangengift. Kafer und Kokonschalen fanden die Autoren vollkom- men ungiftig. Ahnlichkeit mit Schlangengift beobachtete 1937 auch Breyer-Brandwijk bei Versuchen mit frischen Larven. Die Wirkung auf das Zentralnervensystem lief3 sich durch Schlangengegengift zum Teil aufheben. Nach ihren Untersuchungen ist das Gift nicht von Eiweif3 zu trennen. Sie fand die Larven hoch- giftig, die Kafer weniger stark und die Ko- konschalen in einigen Fallen giftig.

Die neueste Untersuchung stammt von Steyn 1957 [I11 mit frischen und eingetrockneten Larven aus dem Epukiro-Reservat nordost- lich von Gobabis (!Kung-Buschmanner). Er stellte durch Verreiben der Larven mit physiologischer Kochsalzlosung eine sehr feine Suspension her, deren Filtrat Kaninchen intravenos zugefiihrt wurde. In allen Fallen trat unmittelbar nach Injektion Miosis, Un- ruhe, beschleunigter Puls und Dyspnoe ein, ehe dann heftige Krampfe folgten. Die klein- ste todliche Dosis liegt nach seinen Versu- chen bei Kaninchen zwischen 0,25 und 0,50 mg frischer Larve (etwa 1/600 - 1/300 ihres Gesamtgewichts) pro kg Kaninchen. Der Tod trat bei Dosen zwischen 0,25 und 10 mg frischer Larve in 2 Minuten bis 45 Sekunden ein. Ein Aquivalent von 0,175 mg frischer Larve in den Muskel des linken hinteren Beines injiziert hatte dessen voll- standige Lahmung sowie Hamoglobinurie zur Folge. Der Tod trat nach 4 Stunden ein. Unterschiede in der Wirksamkeit frischer und eingetrockneter Larven bestehen nach den Ergebnissen von Steyn nicht. Die Kokonschalen zeigten sich ebenfalls giftig: 1,5 mg Schale bewirkten intravenos zuge- fuhrt den Tod eines Kaninchens unter den

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oben erwahnten Erscheinungen in 6 Stunden. Kafer standen Steyn nicht zur Verfugung. Experimentell gesicherte und gemeinsame Eigenschaft aller Pfeilgift-Larvenarten ist somit die Erregung schwerer blutig-eitriger Entziindungen, die sich iiber weite Strecken ausbreiten, ferner Blutzersetzung und die Veranderung der Kapillarwande, so dafl Blut in das Gewebe eintreten kann, insbesondere hamorrhagische Nierenentziindungen. Das Blut erscheint in den Exkrementen desTieres. Diese Auswirkungen sind den Buschmannern aus Erfahrung bekannt. Durch Untersuchung der Ausscheidungen des getroffenen Tieres auf Blut vermogen sie den physiologischen Zustand des Tieres zu erkennen und damit die Wirksamkeit ihres Giftes bzw. ihres Schusses zu beurteilen.

4. Ziele kiinftiger Forschung

Bei der Vielzahl der beschriebenen Kafer im siidlichen Afrika bleibt nachzupriifen, ob auger den sechs genannten Kaferlarven noch weitere Arten an Pfeilgiften anderer Busch- mann-Gruppen beteiligt sind. Zum Beispiel berichten die Patres von Nyangana (am Ein- gang zum Caprivi-Zipfel), dai3 Buschmher von weit her kommen, um dort an den Wur- zeln ,,einiger groi3er Baume" (Marula?) nach Larven-Kokons fur ihr Pfeilgift zu suchen. Sorgfaltiger Nachpriifungen bediirfen auch Beobachtungen, nach denen auf Sclerocarya caffra in Transvaal eine andere KZferart als die auf demselben Baum im Kaukau-Kungveld (Polyclada flexuosa) lebt, namlich die ost- afrikanische Diamphidia femoralis Ger- stacker. Handelt es sich hier um eine geogra- phische Isolation der Insekten oder um ver- schiedene Arten von Sclerocarya in den beiden Gebieten? Weiterhin ist eine kritische Neubearbeitung der Gattungen Diamphidia, Polyclada und Blepharida dringend notwen- dig, da sonst jede andere wissenschaftliche Untersuchung weitgehend isoliert steht. Da- bei ist wohl am wichtigsten das Problem der Larven-Differenzierung, die eine Einord- nung ohne den Weg iiber die Kaferzucht ermoglicht. Lassen sich die Kafer an anderes Futter gewohnen, um so die Aufzucht in un- seren Breiten iiberhaupt erst zu ermoglichen? Gibt es im Falle der Giftigkeit der Larve eke Verbindung mit der Futterpflanze? Dazu bedarf es parallel zu den Larven-Untersu- chungen eingehender Analysen der Futter- pflanzen, iiber deren Inhaltsstoffe nichts Spezielles bekannt ist. Schliei3lich sei noch erwahnt, dai3 die Pfeilgift-Larven bzw. -Kafer auch in Zaire und Siid-Somalia vor-

kommen (Brief C. Koch vom 14. 1. 1968). Die Buschleute-hnlichen Midgan aus letzte- rem Gebiet scheinen sie aber nicht zur Pfeil- giftbereitung zu verwenden.

Unbedingte Voraussetzung und unumgang- lich fur sinnvolle Schlufifolgerungen aus sol- chen Untersuchungen ist eine strenge Tren- nung zwischen Larven und Kafern jeweils derselben Futterpflanze. Da auf solche Un- terscheidungen bisher offensichtlich wenig geachtet wurde oder sie zwangslaufig nicht moglich waren, diirften die meisten der bis- her publizierten Ergebnisse von Larven- Untersuchungen nicht reprasentativ sein. Vermutlich riihren daraus auch die zahlrei- chen Widerspriiche. Schliei3lich bleibt das Problem der schmarotzenden Larven. Die Buschminner halten die Lebistina-Larven fiir erheblich giftiger und wirksamer als die Diamphidia- und Polyclada-Larven. Als Ausdruck fiir ihre besondere Toxizitat haben sie einen Ausdruck, der soviel sagt wie ,die das Fleisch von den Knochen lost". Bei der Pfeilgiftbereitung mit Lebistina-Larven sind die Buschmanner auderst vorsichtig. Sie hal- ten auch die Parasit-Larven streng getrennt von ihren Wirts-Larven. Untersuchungen mit authentischen Lebistina-Larven wie auch mit Larven von Polyclada flexuosa und Diamphi- dia vittatipennis sind bis heute nicht erfolgt. Nach weitgehender Klirung dieser Probleme stehen dann als wichtigste Forschungsziele die Isolierung der Wirkstoffe, ihre (protein)- chemische bzw. strukturelle Untersuchung sowie ihre molekulare Wirkungsweise an.

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Dr. Hans Dieter Neuwinger, Diplom-Che- miker, geb. 1936 in Neunkirchedaar. Stu- dium der Chemie, Physik und Pharmakolo- gie an den Universitaten Mainz und Heidel- berg. Von 1970-75 Leiter des analytischen Hauptlabors sowie Tatigkeit in der For- schung und Entwicklung der GIULINI GmbH, Ludwigshafen. Zur Zeit Weiterfiih- rung der Pfeilgift-Forschungen in Afrika und Arbeit an einer wissenschaftlichen Buch- Publikation. Anschrift: D-6837 St. Leon-Rot, Hauptstrafle 190.

Dr. Gerhard Scherer, geb. 1929 in Taufkir- chen, Oberbayern. Studium der Zoologie, Chemie, Botanik an der Universitat Miin- chen. 1958-73 wissenschaftlicher Mitarbeiter und zuletzt Leiter des Entomologischen In- stituts und Museums Frey in Tutzing/Miin- chen. 1971 Gastprofessor an der South Dakota State University. Mehrere For- schungsreisen in Asien und Siidamerika. Seit 1973 an der Zoologischen Sammlung des Bayerischen Staates in Miinchen. Arbeits- gebiet Coleoptera: Chrysomelidae: Alticinae (Taxonomie, Zoogeographie, Evolution). Anschrift: Zoologische Staatssammlung, Ma- ria-Ward-Str. Ib, D-8000 Miinchen 19.

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