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Das weiße Ballett Ein Magazin von Moritz Steidl

Das weiße Ballett

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Ein Magazin von Moritz Steidl

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Das weiße Ballett

Pep Guardiola kam im Sommer 2013 zum FC Bayern München. Der damals und aktuell wohl begehr-teste und möglicherweise beste Vereinstrainer der Welt entschied sich in die Bundesliga zu wech-seln. Das sorgte vor rund drei Jah-ren bei der offiziellen Verkündung für großes Erstaunen – weltweit. Guardiola lehnte Angebote aus England und Italien ab um, nach einem Sabbat-Jahr, nach München zu kommen. Davor kannte er als Trainer nur einen Club: seinen Hei-matverein, den FC Barcelona. Für viele war die Entscheidung Guar-diolas nicht nachvollziehbar, nicht greifbar, nicht logisch. Aus der vermeintlich besten Liga der Welt, kommend, in die im globalen Ver-gleich hinterherhinkende Bundes-liga zu wechseln? FC Bayern hin oder her – FCB ist nicht gleich FCB, Deutschland ist nicht gleich Spani-en. Eine Suche nach den tatsäch-lichen Beweggründen Guardiolas

würde an dieser Stelle zu weit füh-ren und dem Anspruch eines guten Journalismus nicht gerecht wer-den. Nur Pep, seine Familie und Umfeld wissen exakt, wieso eben jener Schritt getan wurde. Der fol-gende Beitrag soll jedoch dazu beitragen, das aktuelle Bild von der Stimmung Bundesliga und der Primera División zu untersuchen. Was bietet sich dafür besser an als beide Branchen-Primus genauer zu beleuchten? Für Deutschland in den Ring steigt der FC Bayern Mün-chen und für Spanien Real Madrid – eine Spurensuche aus dem Aus-landssemester und die Erinnerung an eine glanzvolle Glanzlos-Zeit.

Einblicke in eine ideale Illusion.

Real Madrid, ist weltweit der erfolg-reichste Club des 20. Jahrhunderts, spanischer Rekordmeister und mit zehn Titeln mit Abstand Führender in der ewigen Liste der Europacup

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Sieger. Real Madrid ist der Verein mit dem weißen Ballett, dem Esta-dio Santiago Bernabéu und den „Galaktischen“. Real Madrid prägt eine tie-fe Feindschaft zum Erzrivalen FC Barcelona, ein manchmal mehr, manch-mal weniger ausgewogenes Verhältnis zum S tad t -Konku r -renten Atleti-co Madrid, da-für kann sich der Verein aber eine innige Lie-be von geschätzten 44 Millionen Menschen, die über den ganzen Planeten verteilt sind, sicher sein, so dass Real zugleich auch der wirtschaftlich wertvollste Sportver-ein der Welt ist. Kurzgefasst: der Fußballclub Real Madrid ist an Su-perlativen kaum zu übertreffen.

Doch was ist Real Madrid wirk-lich? Eine Spurensuche durch die Innenstadt Madrids, lässt Großes erahnen. In jedem Touristen-Shop und Kiosk kann man etwas von „El Madrid“ erwerben. Vom gefälsch-ten Trikot bis zum Fanschal hin zu einer Eintrittskarte ins vereinseige-ne Museum – integriert im Estadio Santiago Bernabéu. 19 Euro müs-sen dafür zwar hingeblättert wer-den, es ist aber für jeden Madrid Besucher, egal ob Fußball-Liebha-ber oder nicht, das Geld wert. Auf dem Weg von der Innenstadt zum Stadion fährt man nur rund 20 Mi-nuten mit der Metro durch die Stadt

(und verlässt diese auch nicht). Der lange Aufstieg und Weg vom Gleis zum Ausgang, verspricht be-

reits phantas-tisches. Alle Tafeln führen Richtung Bern-abéu, auch an einem spielf-reien Tag er-klingen Fan-g e s ä n g e . Zumindest er-scheint es so, bei der gigan-tischen Menge an Fans, die in Richtung Sta-dion wollen. Angekommen

erschlägt den geneigten Touris-ten, Besucher oder Fan zunächst einmal nicht nur die schiere Grö-ße des Fußball-Tempels, sondern auch die vorbeirauschenden Autos! Das Stadion ist 1947 inmitten der Innenstadt, in einem Wohngebiet und Geschäftsviertel, erbaut wor-den. Die örtliche Tankstelle parkt direkt vor dem Stadion, ebenso di-verse PKWs, Busse und sonstige Verkehrsmittel. Nachdem die Stra-ße erfolgreich überquert ist und man sich mit gebanntem Blick dem Bernabéu nähert, realisiert manch einer, wie viel Geschichte in die-sem altehrwürdig daherkommend, architektonisch wertvollem und op-tisch leicht maroden Gebäude be-reits geschehen ist.

Der Museumsbesuch beginnt schließlich mit einem kleinen Sta-dionrundgang. Als Besucher darf man nach ganz oben, zum nicht nur sprichwörtlich, letztem Platz

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des 81.044 fassenden Stadions pilgern. Gefühlt in hundert Meter Höhe bietet sich eine Perspek-tive die wohl jeden Architekten, Landschaftsliebhaber, Fußball-Ro-mantiker und simplen Touristen beeindruckt: Ränge so steil wie Bergklippen, Sitze im königlichen Blau und ein Rasen so grün wie er sonst nur im Tennismekka Wimble-don zu bewundern ist. Dazu – wie meistens in Madrid – ein himmelb-lauer Himmel, der an Klarheit und Wolkenlosigkeit nicht zu übertref-fen ist. Kein Spieler, kein Trainer, keine Fans sind zur Zeit des Be-suchs anwesend, jedoch erfährt man bei diesem Ausblick, dass der Mensch auch mit Blicken füh-len kann – oder genau andersher-um. Weiter geht es in das ins sta-dionintegrierte Museum, direkt im mittleren Gürtel des Bernabéus. Dort lässt sich Real nicht lumpen. Die 1902 beginnende Vereinsge-schichte wird mit einem visuellem Storytelling be- und umschrieben,

die Hollywoodreif ist. Sämtliche Spieler, Trikots und Pokale sind ausgestellt, das ganze untermalt auf gigantischen Videoleinwänden, die die ergreifendsten Jubel- und Torszenen aus jüngerer Vergan-genheit präsentieren. Unterlegt wird das Museums-Spektakel vom schallenden „Hala Madrid...y nada más“, der Vereinshymne, die an-lässlich der „La Decima“, dem 10. Champions-League-Gewinn Reals, im Jahre 2014 komponiert wurde. Das ariengleiche Lied bestätigt nur den Eindruck des Vereins mit seinem Team, dem „Weißen Bal-lett“ und der Stadion-Atmosphäre, die Fans und Medienvertreter mit der einer Opern-Vorstellung ver-gleichen. Das dieser Opern-Quer-schluss nicht nur positiv konnotiert ist, wird bei einem Gespräch mit einem echten „Madrileño“, einem Fan Real Madrids, klarer: Francisco García-Noblejas Chacon, genannt „Paco“, der das erste Mal im Alter von sieben Jahren das Bernabéu

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für ein Spiel gemeinsam mit sei-nem Vater besuchte. Nun, zwanzig Jahre später, bestätigt er wie das über diverse Fußball-Kommenta-toren verbreite Klischee, dass die Stimmung im Bernabéu schlecht sei: „Ja, das ist war. Ich bin 27 Jah-re alt und bin bereits in vielen Sta-dien gewesen. Die Stimmung bei Real Madrid ist einer der Dinge bei den Partien, die mir missfällt. Wäh-rend des Spiels ist es nicht die sel-be Geräuschkulisse, zum Beispiel mit singenden Fans, wie in ande-ren Stadien. Unsere Anhänger sind es gewohnt während des gesam-ten Spiels ruhig zu sein und sie fei-ern nur die Tore. Es ist ebenfalls etwas sehr Eigenartiges, das sich gelegentlich Pfiffe aus den eigenen Reihen gegen Spieler und Trainer richten.“

Doch woran kann diese (Miss-) Stimmung, teilweise auch Stille, liegen? Denn ohne Spiel wirkt das Stadion lebendig, angsteinflößend und triefend vor Emotionen. „Es gibt für dieses Problem sicher meh-rere Gründe, aber meiner Meinung nach liegt es am Durchschnittsalter der Anhänger. Die Ticketpreise sind aktuell sehr teuer, besonders für junge Leute. Die ‚normalen Fans’, die ein Jahresticket besitzen, sind ziemlich alt. Sie feuern die Mann-schaft nicht an und stimmen auch keine Fangesänge an. Was noch ein entscheidender Grund sein könnte, ist das die Real-Anhänger übermäßig fordernd sind. Sie sind nur dann zufrieden, wenn Real je-des einzelne Spiel in der komplet-ten Saison gewinnt.“ Erschrecken-de Sätze eines Ur-Madrilenen der Veränderung herbeisehnt: „Meiner

Ansicht nach, muss sich schnell et-was ändern.“ Paco spricht auch da-von, dass er Spiele von Anpfiff bis Abpfiff genossen hat, diese Form der Gefühlslage ist derzeit nicht drin: „Ich muss zugeben, dass ich ähnliche Empfindungen nur wäh-rend den ganz großen und wichti-gen Spielen fühle.“ Doch liegt viel-leicht nicht darin auch eines der Probleme, dass alles immer ganz wichtig und bedeutend sein muss? Die zufriedenstellende Sättigung kann bei normalen Ligapartien nicht mehr erreicht werden, da eine Übersättigung vorherrscht, die den gewöhnlichen Spielbetriebs-Alltag komplett vernebelt? Wir begeben uns auf Spurensuche und kehren wenige Wochen später ins Estadio Santiago Bernabéu zurück: bei ei-nem ganz herkömmlichen Ligaspiel gegen den Tabellenletzten aus Las Palmas.

Bittere Niederlage mit Charakter.

Ortswechsel. München. Die Stadt des Bieres und Oktoberfests, des Humoristen Karl Valentin und des Politikers Franz Josef Strauß, so-wie die Heimat des FC Bayern München. Die Allianz Arena füllt sich an diesem sonnigen April-Tag anno 2015, der Meistertitel für eben jenen FC Bayern München ist noch genau drei Siege entfernt und Schritt Nummer eins soll heute „dahoam“ gegen Eintracht Frank-furt erfolgen. Der Rekordmeister siegt souverän mit 3:0, der engste Tabellen-Konkurrent aus Wolfsburg gewinnt zwar ebenfalls, ist aber angesichts eines sieben Punkte Rückstandes auf Bayern, aber sie-

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ben Punkte Vorstand auf Verfolger Borussia Mönchengladbach, qua-si Vize-Meister. Die Atmosphä-re im Stadion ist gut, zwar nicht pulsierend oder atemberaubend, aber doch zufriedenstellend stim-mungsvoll. Die Meisterschaft holt sich der FC Bayern schließlich of-fiziell zum 25. Mal am 30. Spieltag – ohne dabei ins Spielgeschehen eingreifen zu müssen. Gladbach schlägt in letzter Minute an einem Sonntagabend Wolfsburg und die Spieler des deutschen Rekord-meister aus dem Süden sitzen auf dem heimischen Sofa. Ihr Soll haben sie mit einem glanzlosen 2:0 Erfolg am vorangegangenem Samstagabend bereits erfüllt. Die Innenstadt der Landeshauptstadt bebt – nicht. Das Sonnenlicht geht zwar an jenem 26. April erst um 21:04 komplett unter, der Wechsel von Tag in die Nacht entfeuert in München, aber keine Feierstim-mung. Die Spieler zelebrieren Me-dien- und Sponsorenwirksam den errungenen Meisterschafts-Titel auf allen sozialen Kanälen, eine Party schmeißen will und kann kei-ner, denn am kommenden Mittwoch steht das erste der wahrscheinlich drei wichtigsten Spiele der Sai-son 2014/15 an: das Halbfinale im DFB-Pokal gegen Borussia Dort-mund.

Das Spiel geht durch aus Bay-ern-Sicht unglückliche Situatio-nen verloren. Sinnbildlich dafür, dass im eigenen Stadion, im ei-genen Strafraum, die eigenen Elf-meter-Spezialisten Xabi Alonso und Philip Lahm ausrutschen und schließlich den Sieg damit ver-schießen. Aus der Traum vom Tri-ple, bestehend aus Meisterschaft, Pokal und Champions-League-Tri-umph. Die Chance aufs Double währt auch nicht allzu lange wei-ter. Eine Woche später wird der FC Bayern beim Champions-League Hinspiel gegen den FC Barcelona in der katalanischen Hauptstadt bereits nach Spiel Eins aus dem Halbfinale gekegelt. 3:0 geht die

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Mannschaft von Pep Guardiola un-ter. Die Hoffnung stirbt zuletzt, der berühmt berüchtigte Bayern-Du-sel muss sechs Tage später beim Rückspiel greifen – ansonsten ist auch das Double endgültig passé. Alle Stoßgebete an den Fußball-gott helfen nichts, der FC Bayern verabschiedet sich zwar mit einem 3:2 Erfolg gegen die Übermann-schaft aus Barcelona, was jedoch nicht für das Weiterkommen reicht. Somit ist die Saison, zumindest mental, mit nur einer Trophäe be-endet: der Meisterschale. Spieler und Trainer werden im Anschluss medial gegeißelt, hinterfragt und niedergeschrieben. Einzig und al-leine die Atmosphäre in der Allianz

Arena, von den komplett ausver-kauften Rängen gefüllt mit 69.344 Zuschauern kommt bei diesem trostlosen Europa-Ausscheiden der Bayern richtig gut weg.

Und das am Tag einer der bitters-ten Ohrfeigen der jüngeren Ver-einsgeschichte (wenn auch mit Ankündigung), die gefühlt noch bis weit in die darauf folgende Saison 2015/16 nachschallt. Die gesamte Medienlandschaft und Fanszene der deutschen Bun-desliga verneigt sich vor so viel Charakter der Bayern-Fans. Jene Bayern-Fans, die sonst ab Ende der Münchner Isar bis hin zur

Hamburger Elbe verschrien sind als Sonntags-Fußballer, Nicht-Fuß-ball-Kenner, und Mitglieder der Münchner Schickeria – in einem Wort die perfekte Beschreibung für jede Google–Suche nach „Erfolgs-fans“ und schlechte Stimmung: „Ich würde sagen erfolgsverwöhnt, tra-ditionell, nicht-leidensfähig, sehr stolz und ja, ich würde behaupten oft auch etwas arrogant und über-heblich. Niederlagen mögen wir gar nicht und wir verarbeiten das auch nur ganz schwer - ich zumindest“, verrät Johanna Reich.

Johanna ist eine waschechte Münchnerin, Bayern-Fan seitdem

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sie denken kann und seit 15 Jahren bei (fast) jedem Heimspiel dabei. Die 21-Jährige hat den Übergang vom mittlerweile unter Denkmal-schutz stehendem Olympiastadion in die Allianz Arena miterlebt. Das war damals knapp ein Jahr vor der Weltmeisterschaft im eigenen Land 2006. Der Lebenstraum von Uli Hoeneß wurde damit wahr und für viele Fans erfüllte sich der Wunsch von einer Spielstätte ohne lästige Tartanbahn zwischen Rängen und Rasen. Auch Johanna Reich kann das bestätigen: „Was das neue Stadion betrifft finde ich es nun deutlich besser, dass man näher am Geschehen ist, da nicht mehr die Olympia-Rennbahn zwischen Tribüne und Spielfeld ist.“ Das hat eine Auswirkungen auf den gesam-ten Verein, wie die Jura-Studentin schlussfolgert: „Der Hype um den FCB ist seitdem viel größer gewor-den, was man auch an den Mit-gliederzahlen sieht (270.329, Anm. d. Red.). Im Olympiastadion war fast kein Spiel ausverkauft. Jetzt ist es als ‚Normalo’ fast unmöglich an Karten für die Arena zu bekom-men.“ Und die Erfolgsfans? Ist das nicht auch ein großer Teil des Bay-ernfan-Prototypen? „Ja, es gehört halt leider dazu, wir haben viele Erfolgsfans. Deswegen sind man-che vielleicht auch nicht die Treu-esten, der Großteil steht aber auf jeden Fall ‚in guten wie in schlech-ten Zeiten’ zum FCB.“ So wie jetzt, in dem Moment der schmerzlichs-ten Erfahrung gegen Barcelona – mit „nur“’ einem Titel und dafür umso mehr Fragezeichen im Ge-päck. Genau der Bayern-Fan, der die Meisterschaft nur dann feiert, wenn die eigene Mannschaft an

einem Samstag spielt und am Rat-hausbalkon empfangen wird. Dem es zu mühselig ist, sich an einem Sonntag über die 25. Meisterschaft zu freuen und der nur das Triple als erfolgreich erachtet. Genau der FC Bayern-Patriot ist es also, der auch „in guten, wie in schlechten Zeiten“ zum Verein steht. Sinnbildlicher hätte die Barça-Klatsche nicht sein können. Ein wahres Statement und womöglich Zeichen wahrer Größe.

Eine Oper für 90 Minuten.

Szenenwechsel Madrid: Real Mad-rid empfängt das Schlusslicht der spanischen Liga – Las Palmas, die extra aus Gran Canaria angereist sind. Wir nehmen Platz in Sek-tor 411, in Reihe 28, oder besser gesagt im Norden des Stadions, zweiter Rang von unten gesehen, direkt oberhalb der Eckfahne. Kei-ne schlechten Sitze, ob sie 56 Euro wert sind, soll nun nicht zur Debat-te stehen. Der Weg hin zu den Plät-zen erfüllt alle Erwartungen, die damals beim Museumsbesuch auf-poppten. Circa eineinhalb Stunden vor Anpfiff sammelt sich bereits al-les vor dem Bernabéu.

Es ist Samstag 14.30 Uhr, die sonst befahrenen Straßen gesperrt und dafür versehen voller Stände mit mehr oder minder originalen Fan-Artikeln, Cola und Popcorn. Das in Deutschland übliche „Sta-dion-Bier“ sucht man vergebens – Alkoholverbot herrscht in Spanien auf öffentlichen Plätzen und das gilt sowohl vor, als auch im Stadi-on. Kurioserweise ist jedoch hin-zuzufügen, dass einer der Haupts-

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ponsoren, der meisten spanischen Fußball-Profiteams, die örtliche Brauerei ist. Dabei sind diese im-mer gut sichtbar im gesamten Sta-dion platziert. Auch Bratwurststän-de gibt es ebenfalls weder im, als vor dem Stadion. Wie hilft sich der geneigte Stadiongänger nun?

Es gibt zwei Varianten: Variante eins ist in einer der vielen ans Stadion angrenzenden Cervecerías (spa-nisch für Kneipen) zu marschieren und dort Tapas (spanisch für eine kulinarische Kleinigkeit) zu sich zu-nehmen. Gemeinsam mit anderen Fußball-Liebhabern wird mit Blick aufs Stadion und Bier in der Hand über die schönste Nebensache der Welt philosophiert und die Zeit bis zum Anpfiff vergeht wie im Flug. Va-riante Zwei ist für deutsche Stadi-en- und Großereigniskulturen noch unüblicher: die selbstgeschmierten Sandwiches werden kurzerhand mit ins Stadion mitgenommen, vor-bei an Sicherheitskontrollen und Platzanweisen und schließlich zu Beginn der Halbzeitpause aus der Jackentasche geholt und dann ge-nüsslich verspeist.

Ein wahrer Leckerbissen ist das Spiel, der 10. Spieltag nicht wirk-lich, Real Madrid kann allerdings auch nicht auf all seine Topspieler zurückgreifen. Alleine vom aktu-ell wohl weltbesten Offensiv-Trio „BBC“, bestehend aus (Gareth) Bale, (Karim) Benzema und Cristi-ano (Ronaldo) ist einzig der letzt-genannte an diesem 31. Oktober 2015 in der Startaufstellung, die anderen beiden müssen aus unter-schiedlichen Gründen pausieren. Dafür präsentiert der dreimalige

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Weltfußballer und wahrscheinlich größte Selbstdarsteller der Szene eine brillante Show: In der 14. Mi-nuten netzt auch er ein und trägt damit das zweite Tor zum überaus verdienten 3-1 Endstand gegen Las Palmas bei. Das komplette Bern-abéu jubelt CR7, so der Spitz- oder besser gesagt Werbename von Ronaldo, zu. Nach einem traum-haften Flugkopfballtor läuft dieser Richtung Eckfahne, streckt seinen Oberkörper in Richtung Fankur-ve und reißt dabei den Mund zum Schrei auf. Dieser Ton wird von den rund 69.822 anwesenden Zu-schauern aufgenommen und so hallt ein rechter Urschrei durch den beeindruckenden, aber nicht ganz ausverkaufen Fußball-Tempel. Das Weiße Ballett, Real Madrid un-ter der Leitung von Trainer Rafael Benitez, meldet sich zu Wort – und alle Welt soll es hören. Die Stim-mung ebbt zwar immer wieder ab, kann aber stets im letzten Moment aufgefangen werden - durch für das Publikum zufriedenstellende Tore. Die „Primavera Blanca“, sind der einzig noch verbliebene Fan-club des spanischen Rekordmeis-ters. Sie geben den Ton an, ma-chen Stimmung, geben ihr Bestes. Doch viel zurückkommen, tut nicht.

Das Publikum entspricht vielen Klischees. Ein älterer Herr neben uns, murmelt unaufhörlich vor sich hin, schimpft und klatscht dabei, als ob es um Leben und Tod geht. Der Herr, der weiß Gott mehr Welt-meisterschaften mitverfolgt hat, als einige der auf dem Spielfeld spielenden Sportler Jahre auf dem Buckel haben, leidet mit – aber alleine. Das Gespräch mit dem

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Sitznachbar, der kurze Blick aufs Smartphone zur Live-Kontrolle der parallel laufenden Spiele, sowie das unaufhörliche und in Spaniens Stadien typische Kauen von Son-nenblumenkernen (mit anschlie-ßendem Ausspucken) beeinflussen die Atmosphäre maßgeblich. Real zaubert an diesem Nachmittag nicht, die Leute erwarten verzau-bert zu werden, eine Diskrepanz entsteht – das schlimmste wird aber mit drei Punkten noch abgewendet. Abwenden tuen sich auch bereits sicher ein Drittel des Publikums vor Abpfiff. Ab der 80. Minute leert sich das Stadion. Die Ehrenrunde der Spieler entfällt nach Spieleende, zum Teil weil die „Königlichen“ so-fort in Richtung Kabine verschwin-den und zum Teil, da das Stadion binnen weniger Minuten komplett geräumt ist. Dafür geht das Spek-takel draußen in den Kneipen und Restaurants weiter. Dort versam-meln sich die Anhänger, verfolgen die Highlights der anderen Spiele und lassen gemeinsam das Erlebte Revue passieren.

Das gesamte Prozedere gleicht also tatsächlich dem eines Opern- oder Theaterbesuch. Das „Theater-publikum“ kommt erst zum Auftakt und verlässt den Saal direkt nach dem Fall des Vorhangs. Es jubelt nur bei extravaganten Szenen, ist nur mit der endgültigen Perfektion zufrieden und lässt das Erlebnis in gemeinsamer Runde anschließend ausklingen. Unterhaltung wird ge-fordert, wird sie nicht geboten, so zeigt das Publikum auch keine übertriebene Leidenschaft respek-tive übermäßigen Support. Die Be-zeichnung des „weißen Balletts“ ist

in Madrid wahrlich zutreffend – und doch irgendwie faszinierend.

„Real Madrid ist das Wichtigste, was mir je passiert ist.“

Die Stimmung im Santiago Bern-abéu kann schnell kippen, zum positiven als auch zum negativen. Wenige Wochen nach dem 3:1 ge-gen Las Palmas besuchen wir das letzte Champions-League Spiel der Madrileños gegen den FC Mal-mö aus Schweden. Real Madrid ist bereits sicher für das Achtelfinale der Königsklasse qualifiziert, Mal-mö als Tabellenletzter so gut wie sicher aus Europa ausgeschieden. Trotzdem reisen Scharen von Fans an. Belohnt werden sie dafür je-doch nicht, sie kriegen acht Gegen-tore – doch feiern ihre Mannschaft 90 Minuten lang. Ebenso die Fans von Real Madrid. Insgesamt sind an diesem Dienstagabend kurz vor Weihnachten, der zeitgleich ein Nationalfeiertag ist, 60.663 Leu-te gekommen. Sie erleben eine Oktave an Toren, eine Partie, die nur so vor Spielfreude strotzt und beweisen ihrer Mannschaft, allen Anwesenden und sich selbst, das gute Stimmung im Estadio Santia-go Bernabéu herrschen kann. Von ganz Oben bis ganz Unten, vom Norden bis in den Süden des Sta-dions hallen triumphale Gesänge durch das Stadion. Der eisige De-zember Wind, wird vermischt mit Applaus, der nicht nur die Hände, sondern vor allem die Seelen der Fans und Spieler wärmt. Die „Los Blancos“ siegen überragend nach zuvor äußerst schweren Wochen und gewaltiger Kritik. Für uns ist

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dieser Abend ein Beweis, dass es im Bernabéu auch anders ablau-fen kann. Warm, euphorisch, stim-mungsvoll. Dass das Spiel bereits keine Bedeutung mehr hatte, wur-de im Vorfeld als negativ erachtet, kristallisierte sich allerdings als Glücksfall heraus. Real spielte be-freit auf und das Publikum belohn-te seine Gladiatoren dafür. Und auch hier beweist sich, ähnlich wie bei Bayern, dass die Fans der er-folgreichsten Clubs der Welt unter-schiedlich ticken, als manch ande-re. Irgendwo zwischen (Zuckerbrot und Peitsche) ist die Liebesbekun-dung stets angesiedelt, doch es ist wie im echten Leben: der größ-te Liebesbeweis zeigt sich erst in schweren Zeiten.

Der Kapitän der Deutschen Fuß-ballnationalmannschaft und ehe-malige Bayern-Leitfigur Bastian Schweinsteiger stellte in der „Die Zeit“ fest, dass „Leben ist wichti-ger als Sport.“ Und liegt damit si-

cherlich richtig. Doch jeder Mensch kennt Stimmungsschwankungen, man ist eben nicht immer glücklich und froh, sondern auch betrübt und genervt. Fußball ist Ablenkung, 90 Minuten entschwindet jeder Fan aus dem Alltag – zumindest ist das der Wunschzustand. Die Stim-mung kann und wird nie bei jedem Spiel überragend und unvergess-lich sein, die Grenzen dafür mögen sich bei sehr erfolgreichen Verei-nen wie den Bayern und Real si-cher im etwas ungesunden Bereich nach Oben hin verschoben haben. Aber die Momente, in denen das Gefühl der Glückseligkeit entfacht wird, das eins werden mit der Par-tie, kann immer passieren: in der Stunde der größten Niederlage, bei einem schönen Tor oder auch bei einer im Vorfeld als bedeutungs-arm abgestempelten Partie. Dafür gehen nicht nur Johanna und Paco ins Stadion, dafür lieben rund 1,6 Milliarden Menschen Fußball und sind bereit teils horrende Preise

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zu zahlen. Egal, ob in Madrid oder München, wer den Fußball liebt, kommt sein Team am Spielfeldrand besuchen und kann alleine damit bereits für die Stimmung ein Zei-chen setzen.

„Real Madrid ist das Wichtigste, was mir je passiert ist – als Spieler zeitgleich wie als Mensch“, äußer-te sich der wohl beste Fußballspie-ler aller Zeiten Zinédine Zidane über seinen Ex-Klub. Ich kann ihm Recht geben. Wer zu Real ins Bern-abéu geht lernt etwas - und sei es nur über den Fußball und all seine Faszination nachzudenken.

Redaktion: Moritz SteidlGestaltung: Moritz SteidlFotos: Paula Arocha, Francisco Garcia-Nob- lejas Chacon, Fabian Holzleitner, Gernot Klement, Johanna Reich, Moriz Steidl, Facebook

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Hochschule Macromedia & Universidad Francisco de VitoriaWintersemester 2015/16 (Sport-) Journalismus B.A.

Lehrprojekt 1/Project 1 M-34173