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DESCRIPTION

Vor einigen Jahren war Jesus dem Geschäftsmann Nick in einem Restaurant sichtbar als Person begegnet. Danach kam Nick das Leben als Christ wie ein Kinderspiel vor. Aber inzwischen hat er das Gefühl, dass er auf der Stelle tritt. Er fühlt sich in seinem Glauben als Versager. Wo war Jesus überhaupt? Ausgebrannt und ohne Hoffnung fährt er nachts auf der Autobahn Richtung Heimat - da ist auch noch der Tank leer! In diesem Augenblick begegnet Jesus ihm erneut und steigt zu ihm in den Transporter. Es folgt eine abenteuerliche Nacht. Sie verändert sein Leben.

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David Gregory

Das Wiedersehen

Night with a Perfect Stranger

Deutsche Übersetzung von Julian Müller

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Für meine Mutter

David GregoryDas Wiedersehen

Night with a Perfect Stranger144 Seiten, gebunden, 10,5 x 17 cm

Erscheinungsdatum:16.12.2013ISBN 978-3-7655-1192-9

Bestell-Nr. 191192EUR 9,99 (D) / SFr *14,90 / EUR 10,30 (A)

* unverbindliche Preisempfehlung des Verlags

The original edition was published under the title „Night with a Perfect Stranger – The Conversation That Changes Everything“. Published by Worthy Publishing,

a division of Worthy Media Inc.Copyright © 2012 by David Gregory Smith

© der deutschen Ausgabe 2014 Brunnen Verlag Gießen

www.brunnen-verlag.deUmschlagfoto: shutterstock

Umschlaggestaltung: Ralf SimonSatz: DTP Brunnen

Druck: CPI – Ebner & Spiegel, UlmISBN 978-3-7655-1192-9

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Kapitel 1

Wenn man wie ich Jesus persönlich begegnet ist, sollte einem das in punkto Christsein eigent-lich einen kleinen Vorsprung verschaffen.

Warum Jesus vor sechs Jahren gerade mich auserkoren hatte, um mit ihm beim Italiener in Cincinnati zu essen, ist mir immer noch ein Rätsel. Vielleicht wusste Gott, dass mein Drang nach Unabhängigkeit von ihm mehr Schein als Sein war? Ich war dreiunddreißig, nach außen hin erfolgreich, mit einer gut aussehenden Frau verheiratet und Vater einer zweijährigen Toch-ter. Aber hinter den Kulissen war unsere Ehe ein einziger Scherbenhaufen, ich verzweifelte an meiner Rolle als Vater und fragte mich, wo man bitteschön einen Fahrplan fürs Leben fin-den konnte.

Da bekam ich eine anonyme Einladung zu einem Dinner mit Jesus. Die Jungs im Büro wollten mir sicher einen Streich spielen, dach-te ich. Also beschloss ich, es ihnen zu zeigen.

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Ich kreuzte im Milano auf und stürzte mich auf mein kostenloses Essen – am Tisch mit einem Kerl, der sich für Jesus hielt. Das Problem war nur, es war wirklich Jesus. Er beantwortete mit Engelsgeduld meine Fragen und wartete darauf, dass ich endlich meine ewige Skepsis hinter mir ließ. Er wollte, dass ich die Realität eines Gottes entdeckte, der mich liebte und für mich gestor-ben und auferstanden war, um mich zu retten.

Diese Begegnung veränderte mein Leben. Im Laufe eines einzigen Abends überwand ich den Abgrund zwischen spöttischem Gottesleugnen und blindem Gottvertrauen. Drei Wochen später hatte Mattie, meine Frau, eine ähnliche Begeg-nung mit Jesus an Bord eines Flugzeugs. Außer, dass Jesus sich ihr nicht vorstellte. Sie durfte das ganz allein herauskriegen.

Von da an glaubten wir an Jesus und folgten ihm.

Zwei Jahre lang war die Welt für mich in Ord-nung. Was sonst? Ich hatte Jesus getroffen. Er hat-te mir alles erklärt. Na gut, nicht alles, aber vieles. Das Leben ergab Sinn. Es hatte einen Zweck. Ich war fröhlich, hatte meinen Frieden und so.

Aber nach und nach ebbte es ab, was auch immer „es“ war. Meine Nähe zu Gott, meine

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Begeisterung für Jesus, das Gefühl, sinnvoll zu leben. Wann genau das alles anfing zu verblas-sen, kann ich nicht sagen. Meinen Glauben hat-te ich natürlich nicht verloren. Ganz und gar nicht. Aber das Leben, das dieser Glaube her-vorbringt – wo war es? Ich dachte, eine Begeg-nung mit Jesus würde meine Akkus für immer auf aden. Aber die letzten vier Jahre war ich ei-gentlich nur langsam bergab gerollt.

Das Schlimme dabei war, dass ich all die Dinge getan hatte, die „richtige“ Christen tun. Nach unseren Begegnungen mit Jesus beschlossen Mattie und ich, einer Kirche beizutreten. Mach-te man das nicht als Christ so? Naiv, wie wir waren, suchten wir uns gleich die nächste Kirche in unserer Umgebung aus: eine hübsche, mittel-große Vorortgemeinde. Der Pastor fand immer kein Ende (ein Viertel der Leute hatte die Augen geschlossen, und ich bin mir ziemlich sicher, dass die nicht gebetet haben) und die Worshipband spielte Lieder, die mich nicht gerade näher zu Gott brachten. Zugegeben, durch die persön-liche Begegnung mit Jesus war ich vielleicht et-was verwöhnt; ständig hatte ich Gedanken wie: Also, bei dem Lied würde Jesus rausgehen.

Aber zum Glück gab es in dieser Gemeinde

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neben dem Gottesdienst ein breit gefächertes Angebot. Mattie und ich schlossen uns einem Hauskreis an. Wenn man irgendwo Jesus au-thentisch erfahren konnte – über unsere persönli-che Erfahrung hinaus, natürlich –, dann in einer Kleingruppe, die nur zu diesem Zweck existierte. Schließlich waren die zwölf Apostel doch genau das gewesen: eine kleine Gruppe, die mit Jesus Erfahrungen machte.

An unserem ersten Abend bat uns der Leiter, etwas von uns zu erzählen. Ich ließ mich nicht zweimal bitten.

„Ich bin vor fünf Wochen Christ geworden, nachdem ich mit Jesus im Milano zu Abend ge-gessen hatte. Und drei Wochen später saß Mat-tie auf dem Flug nach Tucson neben ihm.“ Ich drehte mich zu ihr. „Ihr seid euch noch mal bei einer Zwischenlandung in Dallas über den Weg gelaufen, oder?“

„Bei Starbucks“, ergänzte Mattie. „Das war vielleicht verrückt, sage ich euch, mit diesem Typ neben mir im Flugzeug. Habt ihr … hat denn je-mand von euch …“ Sie zögerte. „… Jesus schon mal getroffen?“ Offensichtlich nicht. Die ganze Gruppe starrte uns an, als wären wir Außer-irdische.

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Wir suchten uns eine neue Gemeinde und schworen uns, nie wieder von unseren Begeg-nungen mit Jesus zu erzählen – jedenfalls nicht Christen gegenüber.

Unsere zweite Gemeinde war kleiner und bunt gemischt. Wir gingen wieder zu einem Haus-kreis und fühlten uns willkommen, was wohl an unserem Schweigen lag. Dummerweise ging es in dieser Gruppe mehr darum, „persönliche Bedürfnisse“ zu behandeln, als Jesus zu erleben. Nachdem wir die zweite Folge der Videoreihe über Erziehung gesehen hatten (die sich an die Reihen über Ehe und Finanzen anschloss), sagte ich eines Abends zu Mattie: „Meinst du nicht, dass sich manche dieser Probleme von selbst lö-sen würden, wenn die Leute einfach mehr Zeit mit Gott verbringen würden?“

Ich ging zu einer Männergruppe, machte aber wieder dieselbe Erfahrung: Ich passte einfach nicht dazu. Die Männer vertraten andauernd Ansichten über Gott, die dem widersprachen, was ich von Jesus im Milano gelernt hatte. Und als ich sagte: „Ich weiß, dass Jesus das anders sieht“, schauten sie mich an, als wäre ich nicht richtig im Kopf. Was erlaubte sich dieser Typ? Er war gerade aus dem Ei geschlüpft und mein-

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te schon zu wissen, was Jesus dachte und was nicht!?

Das Fass zum Überlaufen brachte eine Diskus-sion mit dem Gruppenleiter. Thema war Johan-nes 15, wo Jesus vom Weinstock und den Reben spricht.

„Der Schlüssel zu einem Leben als Christ ist, in Christus zu bleiben“, erklärte er.

„Und wie macht man das?“, fragte ich. Jesus hatte wohl vergessen, dieses Thema im Restau-rant zu behandeln, denn ich hatte keine Ahnung. Nachdem ich inzwischen gemerkt hatte, dass in den Kirchen mit Binsenweisheiten um sich ge-worfen wurde wie mit Jonglierbällen im Zirkus, fragte ich öfters mal: „Und was heißt das ge-nau?“

„Man bleibt in Christus, indem man seine Ge-bote hält.“

Ich dachte darüber nach. „Du meinst also, um so zu leben, wie Gott es will, müssen wir in ihm bleiben, und um in ihm zu bleiben, müssen wir so leben, wie er es will.“

Der Leiter lächelte schulmeisterlich. „Das ist eben eins der großen Glaubensgeheimnisse.“

Das war aber überhaupt kein Glaubens-geheimnis, sondern ein Zirkelschluss.

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Ich zog mich aus der Männergruppe zurück und verdoppelte meine Bemühungen, allein an Gott dranzubleiben. Nach meiner Begegnung mit Jesus war es zunächst ein Kinderspiel ge-wesen, mit Gott Zeit zu verbringen. Ich wusste, er war einfach bei mir, so wie Jesus am Tisch gegenüber. Ich konnte spüren, wie er direkt aus der Bibel zu mir sprach.

Nach einiger Zeit ließ dieses Gefühl aber nach. Gott schien wieder weit weg zu sein. Ich war vom Leben abgelenkt. Den Kredit bei der Bank zu bedienen und bei den ganzen Veranstaltungen der Kinder Präsenz zu zeigen, wurde wichtiger als meine persönliche Zeit mit Gott.

Wie konnte ich wieder Verbindung mit ihm aufnehmen? Durch Bibellesen und Gebet, dachte ich mir. Aber die Bibel stärkte nicht mehr mei-nen Mut. Stattdessen schrie sie mir von jeder Seite entgegen: Was du tust, reicht nicht! Reiß dich mal zusammen! Warum bist du kein besse-rer Christ?!

Und meine Gebete? Prallten an der Decke ab und kamen wieder runter. Da war keine Kom-munikation zwischen zwei Personen; ich formte einfach Silben mit dem Mund. Meine Zeit mit Gott fühlte sich an wie eine leere Hülle. Mir war

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nicht danach, ihn zu loben; vom Bekennen mei-ner Sünden oder demütigem Flehen wollen wir lieber gar nicht erst reden. Auch auf die anderen „christlichen“ Dinge, wie Mission zu betreiben oder auf Hilfseinsätze zu fahren, hatte ich keine Lust. Was sollte ich den Leuten denn über das Leben in Fülle sagen? Ich hatte es ja selbst nicht gefunden!

Meiner Frau gegenüber war ich nicht liebe-voll genug, den Kindern gegenüber nicht gedul-dig genug und für die Zukunft fehlte mir das Gottvertrauen. Aber das Schlimmste war das Wissen, mich zurückentwickelt zu haben. Noch vor Kurzem hatte ich alles für Mattie getan, war geduldig mit den Kindern umgegangen, hatte Gott vertraut und den Menschen von Jesus er-zählt. Ich war von ihm begeistert gewesen. Und jetzt?

Unterm Strich führte ich nicht mehr das Le-ben eines Christen, und ich hatte keinen blas-sen Schimmer, was ich dagegen tun konnte. Die ganzen geistlichen Formeln hatte ich ausprobiert und war jedes Mal vom Regen in die Traufe ge-kommen.

Ich steckte in der Klemme.Was gerade in unserem Leben passierte, trug

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nicht eben zur Verbesserung meiner seelischen Verfassung bei. Nach zwei Fehlgeburten war Mattie im sechsten Monat mit unserem dritten Kind schwanger. Wir waren wegen des erneuten Versuchs ziemlich angespannt, aber nach sechs Monaten atmeten wir langsam durch. Diese Schwangerschaft lief glücklicherweise kompli-kationsfrei. Ich freute mich auf ein weiteres Kind, aber die Begeisterung wurde durch den Zustand meines Glaubenslebens gedämpft. Ich hatte mir sehnlichst gewünscht, meinen Kin-dern einen lebendigen Glauben weitergeben zu können. Schließlich war ich Jesus persönlich begegnet! Was für einen geistlichen Vorsprung würden meine Kinder haben! Aber Sara, unse-re Achtjährige, war inzwischen alt genug, um mitzubekommen, wie wenig ich eigentlich von einem Leben mit Gott verstanden hatte. Ja-cob, drei Jahre, würde das auch bald merken. Brachte ich noch ein Kind in diese Welt, damit es seinen Vater aus erster Hand als Dünnbrett-bohrer im Glauben erlebte? Unsere Gemeinde war schon voller Paare, deren Kinder am Leben ihrer Eltern nichts von Gottes Realität ablesen konnten und deswegen dem Glauben den Rü-cken gekehrt hatten. Ich machte mir Sorgen,

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dass unsere Kinder bald zu dieser Statistik da-zugehören würden.

All das brach über mich herein, während ich gerade in Richtung Süden an der Innenstadt von Chicago vorbeifuhr. Diese Route hatte ich schon oft genommen. Tagsüber warf ich dann bewun-dernde Blicke auf die Skyline vor dem majes-tätischen Michigansee. Heute war es aber nicht das mangelnde Tageslicht, das meine Augen auf der Straße hielt. Es war die Dunkelheit in meiner Seele.

Wo ist eigentlich Gott die ganze Zeit? Warum reagiert er nicht auf meine Hilferufe? Muss ich jetzt auch so ein mittelmäßiger Christ werden? Eigentlich spricht so einiges für mich, aber ich fühle mich einfach nur leer. Als würde ich im Dunkeln herumstolpern und hätte noch nicht mal eine Taschenlampe, um die grobe Richtung zu bestimmen.

Meine Verzweifung hätte mich nicht über-raschen sollen. Ich kam gerade vom Haus mei-ner Eltern im Norden von Chicago. Zeit dort zu verbringen – vor allem mit meinem Vater –, trieb mein Gemüt jedes Mal in eine Abwärtsspirale, selbst wenn es ein herzlicher Besuch war. Was auf diesen leider nicht zutraf.

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Ich hatte nur unter Zwang eingewilligt, nach Chicago zu fahren. Gegen Matties Logik war ich mal wieder chancenlos gewesen.

„Nick, das sind deine Eltern. Sie verkleinern ihren Hausstand und wollen uns Möbel schen-ken. Wir sollten sie nehmen.“

Sie hatte sich mir gegenüber an den Küchen-tisch gesetzt und dieses verschmitzte Lächeln aufgelegt, dem ich nie widerstehen konnte. „Wollen wir nicht alle gemeinsam fahren und ein verlängertes Wochenende in Chicago daraus machen?“

Ich verdrehte die Augen. „Bist du verrückt? Mir geht es schon so schlecht genug. Da brauche ich nicht noch eine Portion Dad obendrauf.“

„Nick, du … du hast eben im Moment zu kämpfen. Das haben wir doch alle.“

Wir alle, ah ja. Mattie war der einzige Mensch, den ich kannte, der mit seinem Glaubensleben nicht zu kämpfen hatte. Es fog ihr einfach zu.

„Und außerdem“, fügte sie hinzu, „ist dein Vater gar nicht mehr so festgefahren. Er ist ent-spannter geworden.“

„In seiner Nähe fühle ich mich trotzdem noch wie ein Kind. Er ist nie zufrieden mit mir.“

Irgendwann gab ich schließlich nach. Am

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Freitag fog ich hin und mietete am Samstag-morgen einen Transporter. Dad half mir beim Einladen für die Fahrt am Sonntag zurück nach Cincinnati. Die ersten achtundzwanzig Stun-den meines Besuchs verliefen reibungslos. In die neunundzwanzigste platzte Dad mit einem seiner berühmt-berüchtigten Verhöre. „Wann suchst du dir endlich einen richtigen Job, Nick?“

Im Fernsehen lief ein Spiel der Chicago Cubs, seiner Lieblings-Baseballmannschaft. Er sah un-entwegt auf seinen Flachbildschirm.

„Dad, ich habe einen richtigen Job. Ich bin Be-rater.“ Mein Nacken versteifte sich.

„Aha.“ Er griff nach einem Tortillachip und tunkte ihn in den Salsadip. „Und wo ist dein Büro?“

„Meinen Kunden ist es egal, ob ich von zu Hause oder von einem Büro im Zentrum aus ar-beite. Ich besuche sie ja am Arbeitsplatz.“

Er schwieg einen Augenblick. Alfonso Soriano kam bis zur zweiten Base. Dad sah hin, ohne zu blinzeln. „Und wie läuft es so seit der Wirt-schaftskrise?“

Ich schüttelte den Kopf. Dad hörte einfach nicht auf. „Hat ein bisschen gedauert, bis die Geschäfte wieder angelaufen sind.“

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Er beugte sich langsam vor und angelte einen weiteren Chip aus der Schüssel. „Dachte ich mir. Und die Einkünfte lassen auch zu wünschen üb-rig, wette ich. Kommt ihr zwei überhaupt über die Runden?“

Ich sah ihn an. „Ja, Dad, wir kommen gut über die Runden“, sagte ich barsch. Es konnte ihm nicht entgangen sein, wie mich diese Unter-haltung aufregte.

„Aha.“ Er tunkte den Chip ein und steckte ihn sich in den Mund. „Soll ich dir mal sagen, wem es wirklich gut geht?“

Na großartig. Jetzt kam wieder die Leier mit meiner Schwester Ellen, die als Anwältin bei der EPA-Umweltbehörde in Washington arbeitete.

„Wem?“, fragte ich, als hätte ich nur auf mein Stichwort gewartet.

„Ellen.“Was für eine Überraschung.„Wurde grad befördert.“„Was du nicht sagst.“ Ich starrte auf den Fern-

seher.„Und ausgesorgt hat sie auch. Wusstest du,

dass sie garantierte Rentenansprüche hat? Wie steht’s denn um eure Altersvorsorge?“

Ich konnte spüren, wie meine Halsschlagader

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pulsierte. „Ist der Krise zum Opfer gefallen. Habe ich dir doch schon gesagt.“

„Ja, und du hast sie verramscht.“ Er griff nach seinem Bier und trank einen Schluck. „Mattie und die Kinder verlassen sich auf dich. Du musst Sicherheiten bieten, Nick. Vor allem jetzt, wo noch eins unterwegs ist. Wenn ich du wäre …“

Ich stand auf und kochte vor Wut. „Du bist aber nicht ich, Dad, und ich bin nicht du. Du an meiner Stelle würdest immer noch bei Pruitt arbeiten.“

„Das war ein guter Job, Nick.“„Genau. Und sie haben Umweltberichte für

die Kunden frisiert. Das ist illegal.“Er sah wieder zum Fernseher und beobachtete,

wie der Pitcher den Ball warf. Dass ich mitten im Wohnzimmer stand, interessierte ihn nicht. Irgendwann griff er wieder nach den Chips. „Ich glaube, Mattie würde es besser gehen, wenn du ein bisschen … beständiger wärst.“

„Nein, Dad. Dir würde es besser gehen.“ Ich lief in Richtung Küche, wirbelte plötzlich herum und wurde laut: „Und ich bin beständig. In neun Jahren habe ich nur einmal den Job gewechselt. Das ist beständig.“

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Gerade griff ich nach dem Autoschlüssel und meiner Brieftasche, die auf der Anrichte in der Küche lagen, als Mom aus dem Schlafzimmer kam. „Wer brüllt denn hier rum?“

Ich zwang mich, mein Gesicht zu entspannen. Auf Mom war ich ja nicht wütend. Auch wenn sie mir nie beistand, wenn Dad Kleinholz aus mir machte. „Dad ist mein Beruf nicht gut ge-nug.“

„Gut genug habe ich nicht gesagt!“, kam es aus dem Wohnzimmer. „Nicht beständig genug. Und wo ihr euer Geld anlegt …“

„Das reicht!“, rief ich, stapfte durch den Flur in mein Zimmer, stopfte meine Sachen in die Ta-sche und lief zurück in die Küche.

„Mach’s gut, Mom. Danke für die Möbel.“ Ich küsste sie füchtig auf die Wange.

„Du gehst?“„Ja.“„Aber Nick, es ist schon nach neun. Du kannst

doch so spät nicht noch nach Hause fahren.“„Natürlich kann ich. Hab ich während des

Studiums doch auch ständig gemacht.“ Ich lief zum Seitenausgang, um das Wohnzimmer zu meiden. „Ich rufe dich nächste Woche an.“

Mom warf einen nervösen Blick in Richtung

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Wohnzimmer. „Willst du dich gar nicht von dei-nem Vater verabschieden? Und dich bedanken, dass er beim Einladen geholfen hat?“

„Hab ich vorhin schon gemacht.“ Ich öffne-te die Tür, trat nach draußen und drehte mich noch einmal um. „Wenn er sich für irgendwas entschuldigen will, soll er mich anrufen.“

Mit diesen Worten zog ich die Tür zu, stieg in den Transporter und fuhr los. Meinen Dad ließ ich zurück. Was ich aber nicht zurücklassen konnte, war der Effekt, den er auf mich hatte. Ich war fast vierzig Jahre alt, meine Güte! Wieso war es mir so wichtig, was er über mein Leben dachte? Aber es war so. Schon immer.

Meine Reaktion machte mir gleich doppelt Schuldgefühle. Dad wusste genau, welche Hebel er bei mir betätigen musste, damit ich hochging. Und wenn das passierte, war die christliche Fas-sade verschwunden. Ich war derselbe alte Nick wie immer, der vor seinem Vater explodierte. Sein Fehler war das natürlich nie. Er rastete ja nie aus. Sondern stellte nur Fragen, unschuldige Fragen.

Und was die Begegnung mit Jesus anging: Dad war sowieso der Meinung, ich mache nur eine religiöse Phase durch. Die würde schon wieder

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vorbeigehen. Oder (noch schlimmer für mich) sie würde mich kein Stück verändern.

Der wütende Nick, der abends um neun da-vonrauschte – vor meinem inneren Auge sah ich Dad, der sich in der Küche ein neues Bier holte und beiläufig zu Mom sagte: „Hat er seine Re-ligion wohl mal wieder in Cincinnati gelassen.“

Mich mit Dad in die Haare zu kriegen, erfüllte mich mit Wut und Schuldgefühlen. Ich guckte in den rechten Außenspiegel und sah, wie die Lich-ter von Chicago hinter mir verblassten. Trotz der Schönheit der Stadt fühlte ich mich jedes Mal leer, wenn ich von diesem Ort wegfuhr.

Mein nächster Schachzug machte die Sache nicht besser. Ich griff nach meinem Handy und rief Mattie an, um ihr zu sagen, dass ich auf dem Weg nach Hause war. Ich erzählte ihr die Kurz-version von dem, was bei meinen Eltern vorge-fallen war.

„Du hast was?“„Ich habe mich aus dem Staub gemacht. Mat-

tie, dass du mich jetzt auch noch anpfaumst, kann ich überhaupt nicht gebrauchen.“

„Ich pfaume dich nicht an.“ Ihr Tonfall war streng. „Ich finde nur, du solltest dich bei deinen Eltern entschuldigen.“

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„Ich? Entschuldigen? Machst du Witze? Dad ist ja wohl derjenige, der sich entschuldigen muss. Er behandelt mich schon mein ganzes Leben lang so. Und jetzt schlägst du dich auch noch auf seine Seite.“

Am anderen Ende herrschte Stille. „Bist du fer-tig?“, fragte sie schließlich.

„Ja.“„Dann sehen wir uns zu Hause. Ich werde

Gott bitten, dass er dich wach hält. Tschüs.“„Tschüs.“Toll. Jetzt war ich überall der Buhmann.Ich brauchte Ablenkung. Mit einem Klack

schaltete ich das Radio ein und durchsuchte langsam den AM-Bereich. Ich landete bei einer Talkshow über Gesundheitsfragen. Der Anrufer wollte etwas über Testosteronmangel wissen. Vielleicht brauche ich das ja, mehr Testosteron. So einen richtigen Schub. Ich hörte mir die Ant-wort des Experten an. Okay, vielleicht doch lie-ber nicht.

Der nächste Anrufer fragte nach Fußpilz. Mei-ne Gedanken schweiften ab. Ich überfog die An-zeigetafeln und Autobahnwerbung und fing an, das Alphabetspiel zu spielen. Das machten wir oft im Auto, auch wenn Sara immer gewann.

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Ich suhlte mich im Selbstmitleid, fuhr auf die Interstate 65 und an Merrillville vorbei. Zwi-schendurch sah ich auf die Tankanzeige. Noch zwei Striche. Mir war aber nicht nach Anhalten. Die Geräte haben einen Riesentank. Bis nach Rensselaer sind es noch zwanzig Meilen, da ist eine Tankstelle. Ich fuhr weiter.

Als zehn Minuten später der Motor zu stot-tern anfing, wusste ich sofort, dass ich in der Patsche saß. Ich drückte aufs Gaspedal. Splotz. Splotz. Was sagte die Tankanzeige? Ein Strich. Ist das so schwer, exakte Tankanzeigen zu bau-en!?

Ich versuchte, mit dem Gaspedal zu pumpen. Nichts. Der Transporter wurde langsamer. Ich sah in den Außenspiegel. Finsternis. Ich saß fest, mitten in der Pampa. Als die Tachonadel unter fünfzig fiel, fuhr ich auf den Standstreifen und ließ den Wagen ausrollen. Ich sah auf die Uhr. 23.27 Uhr. Und vor einem Monat hast du die Mitgliedschaft im Automobilklub auslaufen lassen. Ganz schlau, du Genie. Ich sah wieder in den Außenspiegel. Ein einziges Paar Schein-werfer. Na, die Auswahl ist ja riesig. Lust, jetzt jemanden anzuhalten, habe ich natürlich nicht. Aber Mattie anrufen und fragen, ob sie zwei-

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hundert Meilen fährt und mir einen Kanister voll Sprit bringt, werde ich auf keinen Fall.

Zum Glück hatte ich einen Retter in der Not: meinen Blackberry. Garantiert gab es hier einen 24-Stunden-Abschleppdienst, der mir etwas Die-sel vorbeibringen würde. Und mich arm machen. Damit und mit den Kosten für den Transporter hätten wir uns auch neue Möbel kaufen können.

Der Wagen war auf dem Standstreifen ausge-rollt und stehen geblieben. Ich saß da und starrte durch die Frontscheibe.

Die Scheinwerfer strahlten einen Mann an, der einen Benzinkanister in der Hand hielt.

Es war Jesus.