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Depressive Störungen im Spannungsfeld von Biologie und Psychologie - Möglichkeiten und Grenzen von Psychotherapie Ev. Akademie Meißen am 29.06.2010 Dr. Olivier Elmer Psychologischer Psychotherapeut Klinischer Psychologe Psychiatrisches Zentrum Nordbaden

Depressive Störungen im Spannungsfeld von Biologie und ... · PDF fileDr. Olivier Elmer Psychologischer Psychotherapeut Klinischer Psychologe Psychiatrisches Zentrum Nordbaden. I/2

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Depressive Störungenim Spannungsfeld

von Biologie und Psychologie- Möglichkeiten und Grenzen

von PsychotherapieEv. Akademie Meißen am 29.06.2010

Dr. Olivier ElmerPsychologischer Psychotherapeut

Klinischer Psychologe

Psychiatrisches Zentrum Nordbaden

I/2

Affektive Störungen

„Der Schmerz der Seele ist schlimmer

als der Schmerz des Körpers.”

Publius Syrius, 42 n. Chr.

I/3

I/4

Albrecht Dürer (1471-1528) , Melencolia I,

Kupferstich, 1514, 23,9 x 16,8 cm, Kupferstichkabinett Berlin

I/5

Unterteilung

1. Affektive Störungen – Unipolare Störungen Depression / (Manie)

2. Affektive Störungen – Bipolare Störungen

I/6

Definition: Affektive Störungen

Erkrankungen mit Veränderungen von Stimmung(Affektivität) ,Aktivitätsniveau (Antrieb), Kognition u.a.

Affektive Störungen zeigen als psychopathologisches Kernmuster das depressive und manische Syndrom

Krankhafte Veränderungen

Erniedrigtes psychosoziales Funktionsniveau

I/7

Klassifikation und Pathophysiologie DepressionHäufigkeits- und Geschlechtsverteilung

affektiver Psychosen

Unipolare Depression

65 %Rein Manisch5 %

Bipolare Störungen

30 %

Frauen:Männer = 2:1

Frauen:Männer = 1:1

Möller HJ et al.; Thieme-Verlag, Stuttgart 2001

I/8

Klassifikation und Pathophysiologie Depression

Historisches zur Depression

Depression von lat. „deprimere” = herunterdrücken 5. Jhr. v. Chr.: Erste Ansätze der Beschreibung von Hippokrates:

„Melancholie” als Ausdruck eines Überschusses von schwarzer Galle gegenüber den drei anderen Körpersäften

1913: Gliederung von Emil Kraepelin

1916: Gliederung „Depressive Trias” von Eugen Bleuler

1987 und 1991: Einführung der operationalisierten Diagnose- und Klassifikationssysteme DSM-III-R und ICD-10

I/9

Klassifikation und Pathophysiologie Depression

Epidemiologie I

Rund 4 Millionen Deutsche leiden an depressiven Störungen1

Punktprävalenz „Major Depression“ in Deutschland: ca. 5-10 %2

Lebenszeitprävalenz „Major Depression”: ca. 16,4 %2

Knapp 5 % der über 70-Jährigen weisen eine „Major Depression” auf 3

1 Kompetenznetz Depression, 20012 Statistisches Bundesamt Robert Koch-Institut, Gesundheitsbericht für Deutschland 1998, Kapitel 5.15 Depressionen3 Linden M et al.; Nervenarzt 1998; 69: 27-37

I/10

Klassifikation und Pathophysiologie Depression

Epidemiologie II

Kompetenznetz Depression, 2001; aus: Laux G (Hrsg.); Springer-Verlag 2002

Behandlungs-bedürftigeDepressionen

Gesamtzahlca. 4 Mio.

In hausärztlicherBehandlung

2,4-2,8 Mio.

Als Depressiondiagnostiziert

1,2-1,4 Mio.

Suffizientbehandelt

240-360 Tausend

Nach 3 Mo. Behandlungcompliant

100-160 Tausend

60-70 % 30-35 % 6-9 % 2,5-4 %

Situation in Deutschland

I/11

Weltweite Belastung durch verschiedene Erkrankungen in entwickelten Ländern

Klassifikation und Pathophysiologie Depression

Epidemiologie III

Murray CJ und Lopez AD; Lancet 1997, 349: 1436-1442

0

2.000

4.000

6.000

8.000

10.000

12.000

Mit

Bee

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ächt

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lebt

e Ja

hre

12

Disability Adjusted Life Years:

Rangfolge der 15 wichtigsten Ursachen weltweitMurray& Lopez,

Lancet 1997 May 17;349(9063):1436-42

Lancet 1997 May 24;349(9064):1498-504

1. Infektionen der tieferen Atemwege

2. Durchfallerkrankungen

3. Perinatale Faktoren

4. Unipolare Depression

5. Koronare Herzerkrankung

6. Zerebrovaskulär

7. Tuberkulose

8. Masern

9. Verkehrsunfälle

10. Angeborene Mißbildungen

11. Malaria

12. COPD

13. Epilepsien

14. Eisenmangelanämie

15. Anämie

1. Koronare Herzerkrankung

2. Unipolare Depression

3. Verkehrsunfälle

4. Zerebrovaskulär

5. COPD

6. Infektionen der tieferen Atemwege

7. Tuberkulose

8. Kriege

9. Durchfallerkrankungen

10. HIV

11. Perinatale Faktoren

12. Gewalttaten

13. Angeborene Mißbildungen

14. Selbstverletzungen

15. Bronchialcarcinome

1990 2020

I/13

Beeinträchtigung durch Depression im Vergleich zu chronischen somatischen Erkrankungen(Wells, JAMA, 1989)

körperlich sozial beruflich „bed days“aktuelle Gesundheit

Diabetes

Herzinfarkt

Arthritis

Lunge

keine

Bluthoch-druck

Depression beeinträchtigt mehr

Depression beeinträchtigt weniger Kein Unterschied

I/14

Klassifikation und Pathophysiologie DepressionHäufigkeit von Depressionen bei Organerkrankungen

Robertson M und Katona CL (Hrsgs.); Wiley-Verlag, Chichester 1997

Diabetes mellitus

MyokardinfarktMorbus Parkinson

DialyseSchlaganfall

Karzinom

10 %

20 %

30-5

0 %

10-2

0 % 25

-35

%

25-4

0 %

I/15

Neurobiologische Veränderungen

Monoamine, Second Messanger,

Neuroendokrinologie, Neurotrophine

Psychosoziale Belastung

Genetische Prädisposition

Persönlichkeits-faktoren

Affektives Syndrom

emotional/ kognitiv/ somatisch

Somatische Faktoren

Multifaktorielle Ätiopathogenese

I/16

GRK

Antidepressivum

G-Protein

G-ProteinGRK

AC AC

BDNF

Serotonin Noradrenalin

cAMP

CREB

PKA

I/17

Das HPA - System

I/18

CA3

Hippocampus

normal

normales Wachstumund Überleben

Stress

Glucocorticoide

BDNF

Atrophie

Antidepressiva

GlucocorticoideBDNF

SerotoninNoradrenalin

vermehrtes Wachstumund ÜberlebenDuman et al., 1997; Jacobs et al., 2000

I/19

Klassifikation und Pathophysiologie Depression

Frühere Einteilung der Symptome

Störungen der AffektivitätStörungen des AntriebsKörperliche StörungenDenkstörungen

I/20

Klassifikation und Pathophysiologie DepressionFrühere Einteilung von Subtypen

nach Symptomatologie

Agitierte Depression– Ängstliche Getriebenheit

Gehemmte Depression– Psychomotorik

„Larvierte”, somatisierte Depression– Im Vordergrund stehen

» Vegetative Störungen» Funktionelle Organbeschwerden

Wahnhafte Depression– Depressiver Wahn vorhanden

I/21

Klassifikation und Pathophysiologie DepressionDiagnostische Kriterien der

depressiven Episode nach ICD-10

Hauptsymptome Gedrückte Stimmung Freudlosigkeit InteressenlosigkeitAntriebsstörung

Zusatzsymptome (Auswahl)

Konzentration Selbstwertgefühl Alltagsaktivitäten Schuldgefühle Hemmung/Unruhe Schlafstörungen Appetitverlust Gedanken an den Tod

SchweregradeLeichtMittelSchwer

• ohne psychotische Symptome• mit psychotischen Symptomen

I/22

Klassifikation und Pathophysiologie Depression

Klassifikation affektiver Störungen

ICD-10 (International Classification of Diseases) Manische Episode (F30) Bipolare affektive Störung

(F31) Depressive Episode (F32) Rez. depressive Störungen (F33) Anhaltende affektive

Störungen (F34) Andere affektive Störungen

(F38)

DSM-IV (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders)

Bipolare Störungen

Depressive Störungen– Major Depression– Dysthyme Störung

Andere affektive Störungen

I/23

0

+

++

-

--

0

+

++

-

--

0

+

++

-

--

0

+

++

-

--

unipolare depressive Episode

rezidivierende depressive Episode

Dysthymie

chronifiziertedepressive Episode

I/24

Klassifikation und Pathophysiologie Depression

Verlaufsparameter bei unipolarer Depression

Euthymie

Symptom

Syndrom

BehandlungsphasenAkut

(6–12 Wochen)Erhaltung(4–9 Monate)

Prophylaxe( 1 Jahr)

Zeit

zune

hmen

der

Schw

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rad

der

Erkr

anku

ng

Rückfall

Response

Remission WiedererkrankungRückfall

Kupfer DJ; J Clin Psychiatry 1991; 52 Suppl 5: 28

I/25

Therapie depressiver Störungen

Depression: Chronische Erkrankung

Kupfer DJ; J Clin Psychiatry 1991; 52 Suppl 5: 28-34

50 %

80 %90 %

0102030405060708090

100

nach 1 Episode nach 2 Episoden nach 3 Episoden

Wah

rsch

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eit

rezi

divi

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piso

den

(%)

I/26 Kendler KS, et al. Am J Psychiatry. 2001;157:1243-1251

Je mehr depressive Episoden, desto geringer die Bedeutung von “stressful life events”

Risiko (%) einer neuen

depressiven Episode (pro

Monat)

Odds ratio für mind 1 belastendes Lebensereignis im Monat des Episodenbeginns

Number of previous depressive episodes

10

8

6

4

2

00 2 4 6 8 10

Mit zunehmender Episodenanzahl:

• steigt das Risiko weiterer Episoden

• nimmt die Assoziation des Episodenbeginns mit belastenden Ereignissen ab

I/27

Klassifikation und Pathophysiologie Depression

Suizid in Deutschland

Alle 4 Minuten gibt es einen Suizidversuch

Alle 45 Minuten nimmt sich ein Mensch das Leben

Im Jahr 1999 starben 11.157 Menschen durch Suizid und damit mehr als durch Verkehrsunfälle (7.749)

Hohe Dunkelziffer, besonders bei älteren Patienten

Statistisches Bundesamt, IDEA-Spektrum 2001; 28: 17

I/28

Klassifikation und Pathophysiologie Depression

Suizid bei Depression II

1 Miles C; J Nerv Ment Dis 1977; 164: 231-2462 Wolfersdorf M und Mäulen W; Roderer-Verlag, Regensburg 19923 Harris C und Barraclough B; Brit J Psychiatry 1997; 170: 205-228

Jeder 7. Patient mit „Major Depression“ begeht Suizid1

40 bis 60 % aller Suizidenten waren zum Zeitpunkt des Suizids depressiv2

Bei „Major Depression“ ein 21fach erhöhtes Suizidrisiko3

I/29

Therapie depressiver Störungen

Therapiemaßnahmen

Psychotherapie Psychopharmakatherapie Biologische Verfahren

– Schlafentzug– Elektrokrampftherapie (EKT)– Lichttherapie

Begleitende Maßnahmen– Bewegungstherapie– Sporttherapie– Physiotherapie

I/30

Therapie depressiver StörungenAllgemeines Vorgehen zur Sicherung der Compliance

Patienten informieren Patienten motivieren

Krankheitsbild Therapeutische Möglichkeiten TherapiedauerMögliche Nebenwirkungen

Häufiger Kontakt Persönliche Gespräche Kontrolle Suizidalität ansprechen

I/31

Psychotherapie

•Verschiede Formen und RichtungenInterpersonelle Psychotherapie/Soziale Rhythmustherapie, Kognitive Verhaltenstherapie, achtsamkeitsbasierte Therapie, tiefenpsychologische Therapie, CBASP...

•Verschiedene Settings Einzel- und Gruppentherapien

•Rahmenbedingungenambulant, stationär, Paare, Familien, Rehabilitation

•Akutbehandlung, Symptomreduktion

•Optimierung und Effektsteigerung

•Rückfallverhinderung

I/32

Wie lange sollte eine Psychotherapie dauern?

I/33

Kognitive Verhaltenstherapie

Situative Bedingungen, Auslöser

Verhalten, Kompetenzen, Interaktionsmuster

Kognitive Prozesse: Schemata, automatische Gedanken

Aktivitäten, verstärkende Erfahrungen, Tagesstruktur

I/34

Therapiephasen

•Phase 1: zentrale Probleme erkennen, benennen; Aufbau therapeutischer Beziehung, Akzeptanz

•Phase 2: Vermittlung therapeutisches Modell, Struktur und Elemente der Therapie

•Phase 3: Aktivitätsaufbau, Tagesstruktur

•Phase 4: Bearbeiten kognitiver Muster und dysfunktionaler Informationsverarbeitungen

•Phase 5: Verbesserung der sozialen, interaktiven, problemlösender Kompetenzen

•Phase 6: Vorbereitung auf Krisen, Beibehaltung des Gelernten, Rückfallverhinderung

I/35

Prinzipien•Problemorientierung, Schlüsselprobleme

•Strukturiertheit, Zielorientiert, Direktivität

•Gegenwartsnähe, Alltagsnähe

•Transparenz, Information, Rückmeldungen, Zusammenfassungen

•Akzeptanz, Professionalität, Sicherheit

•Interessierter, neugieriger, aktiver Therapeut

•Kooperation, Arbeitsbündnis

•Fertigkeiten-orientiert, Kontrolle erwerben

•Neulernen, Kompetenzen erwerben, Übungen

I/36

Sitzungen•Sitzungen 1-3: Anamnese, Problemanalyse, Ziele, Modell erarbeiten, Behandlungsschritte ableiten

•Sitzungen 4-7: Verhaltensbezogene Maßnahmen der Tagesstrukturierung, angenehmen Tätigkeiten, Balance angenehmer und unangenehmer Aktivitäten

•Sitzungen 8-13: Kognitive Interventionen, Gedankenkontrolle, Spaltenprotokolle, Schemata verändern

•Sitzungen 14-18: Fertigkeiten und Kompetenzen aufbauen, Selbstsicherheit, Interaktionsfertigkeiten

•Sitzungen 19-20: Erkennen von Krisen und Vorzeichen einer Depression, Rückfallverhinderung, Notfallplanung, Beibehaltung von Strategien nach Therapieende (Transfer)

I/37

Depressionsdreieck

Denken

Fühlen Verhalten

I/38

Depressionsspirale

I/39

Depressiogene Einstellungen

I/40

Automatische Gedanken

Situation Gedanke Gefühl

Ich werde nicht „Niemand bemerkt wertlos,

gegrüßt mich“ „klein“

I/41

Grundannahmen

„Ohne einen Partner bin ich nichts wert!“

=> Bei Trennung: „Alleine lohnt das Leben nicht!“

I/42

Neurobiologische Wirkungen

- Stimulation der Neuroplastizität

- Beeinflussung des Gehirnmetabolismus

- Beeinflussung des Serotoninstoffwechsels

- Beeinflussung der Thyroid-Achse

I/43

Wirksamkeit von PsychotherapieSchlussfolgerungen

•Verschiedene Psychotherapien erweisen sich bei

Depressionen unterschiedlichen Schwergrads als wirksam

(kurz- und längerfristig)

•Durch eine Psychotherapie sind etwa 70% der

depressiven Patienten gebessert bzw. besser dran, als

ohne Psychotherapie

•Unterstützende, psychoedukative, biblio-therapeutische

Hilfen sind wirksam, wenngleich weniger deutlich (etwa

40-45% gebessert)

I/44

Prognose

•Die später erfolgreich behandelten Patienten sind bereits

in der 3. Behandlungswochen zu erkennen

•Die Chance auf eine erfolgreiche KVT bei bislang

unverändertem Symptomverlauf ist nach drei Wochen nur

noch 50%

•Bereits in 6. Wochen sind >50% der Response erreicht

•Psychotherapie verbessert die Langzeitprognose

I/45

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit

I/46

Gliederung

1. Affektive Störungen – Unipolare Störungen Depression / (Manie)

2. Affektive Störungen – Bipolare Störungen

I/47

Epidemiologie der bipolaren Störungen

Bipolare Störungen betreffen Schätzungen zufolge weltweit etwa 1% der Menschen.

Krankheitsbeginn ist zumeist zwischen dem 15. und 24. Lebensjahr, die Zeitspanne bis zur korrekten Diagnose beträgt 5 bis 10 Jahre.

Die Inzidenz ist bei Frauen und Männern gleich.

1/3 der Erkrankten unternimmt einen Suizidversuch, 10% bis 15% mit Erfolg.

Die Rezidivrate beträgt 90%.

Die ökonomische Belastung ist hoch.

Goodwin und Jamison. Manic-Depressive Illness 1990Woods. J Clin Psychiatry 2000;61(suppl 13):38-41

I/48

Bipolare Störung: Unerkannt und zu selten diagnostiziert

Prävalenz der Bipolar-I- und Bipolar-II-Störung 3,4%* / 3,7%†

Nach Forschungskriterien korrekt als bipolar erkrankt diagnostiziert 20%

Als unipolar depressiv fehldiagnostiziert 31%

Weder als bipolar noch als unipolar depressiv diagnostiziert 49%

* Adjustiert auf die US-Bevölkerungsdaten des Jahres 2000 † Adjustiert auf geschätzten Bias durch MDQ-Beanwortungsunterschiede

Hirschfeld et al. J Clin Psychiatry 2003;64:53-59

Screening in den USA mittels “Mood Disorders Questionnaire” (MDQ)

Bipolar Spectrum Disorders, Prevalence and Impact Project, 2001

I/49

Diagnostische Schwierigkeiten bei bipolarer Störung

Symptomüberschneidungen mit anderen Erkrankungen führen zur Fehldiagnose

Speziell die Abgrenzung zu rezidivierender Depression und zur schizoaffektiven Störung ist problematisch

Überbewertung der momentanen Symptomatik bei zu engem Zeitfenster der Patientenbeobachtung. Entscheidend für die

Diagnose ist der Verlauf im Längsschnitt

Fehlende Krankheitseinsicht beim Patienten

Es liegen häufig komorbide Erkrankungen wie z. B. Angsterkrankungen, Essstörungen und Substanzmissbrauch vor

Kinder / Jugendliche (Fehldiagnosen, Stigmatisierung)

Evans. J Clin Psychiatry 2000;61(suppl 13):26-31

I/50

Bipolare Störungen – ein Überblick

Die bipolaren Störungen umfassen unterschiedliche Krankheitsepisoden, die als manisch, hypomanisch, depressiv, gemischt oder euthym beschrieben werden

Die Symptome sind Überzeichnungen normaler Stimmungszustände wie z. B. Traurigkeit, Freude, Reizbarkeit, Wut und Kreativität

Depressive Zustände sind mit Abstand am häufigsten

Trotz nachgewiesen wirksamer Therapiemöglichkeiten sind nur 30% der Erkrankten in Behandlung

Einer von vier bis fünf unbehandelten Patienten stirbt durch Suizid

Judd et al. Arch Gen Psychiatry 2002;59:530-537

I/51

6%9%

32% 53%

Wochen asymptomatisch Wochen depressivWochen manisch/hypomanischWochen mit Cycling/gemischten Episoden

Bipolare Patienten leiden fast die Hälfte ihrer Lebenszeit an den Symptomen der Erkrankung

n = 146

Follow-up: 12,8 Jahre

Judd et al. Arch Gen Psychiatry 2002;59:530-537

I/52

Die bipolare Störung ist vielgestaltig

Subsyndromale Manie

(Hypomanie) Manie

Depression

Manie

Euthymie

Subsyndromale Depression

I/53

0

+

++

-

--

0

+

++

-

--

0

+

++

-

--

0

+

++

-

--

Hypomanie

Zyklothymie

Bipolare Störung I

Bipolare Störung II

I/54

Diagnose-Übersicht (DSM-IV-Text Revision)

Bipolar I

MDE

Manische Episode

Gemischte Episode

Bipolar II

MDE

Patient ist hypomanisch oder depressiv

Eine manische oder

gemischte Episode ist

niemals aufgetreten

Zyklothymia

Wechselnde Stimmungszustände, die die Kriterien für eine depressive, manische oder gemischte Episode nicht vollständig erfüllen

Bipolar NOS (NOS = anderweitig nicht spezfiziert)

Die Kriterien für einen spezifischen Subtyp der bipolaren Störung werden nicht erfüllt

I/55

Diagnose-Übersicht (ICD-10)

Bipolare affektive Störung

F31.0-31.7

Manische Episode, Depressive Episode oder Gemischte Episode

Sonstige bipolare affektive Störungen

F31.8

Patient ist hypomanisch oder depressiv

Rapid Cycler

Eine manische oder

gemischte Episode ist

niemals aufgetreten

Zyklothymia

F34.0

Wechselnde Stimmungszustände, die die Kriterien für eine depressive, manische oder gemischte Episode nicht vollständig erfüllen

Nicht näher bezeichnete bipolare affektive Störung F31.9

Die Kriterien für einen spezifischen Subtyp der bipolaren Störung werden nicht erfüllt

I/56

Symptome der Manie/Hypomanie

Gehobene Stimmung/Reizbarkeit/AggressivitätÜberhöhtes Selbstwertgefühl/GrandiositätVerringerter SchlafbedarfRededrangGedankenrasengesteigerte AblenkbarkeitÜberaktivität/AgitiertheitBevorzugung angenehmer Aktivitäten

3 Symptome, 1 Wo = “Bipolar-I-Störung, manische Episode” nach DSM-IV

I/57

Unterschiede zwischen Hypomanie und Manie

HypomanieLeicht ausgeprägte SymptomeGeringfügige bis leichte BeeinträchtigungenGeringfügig bis leicht beeinträchtigte UrteilsfähigkeitSpricht gewöhnlich auf die ambulante Behandlung anSchlafregulierung und/oder Benzodiazepine können die Episode manchmal beenden

ManieSchwer ausgeprägte SymptomeSchwere BeeinträchtigungenSchwer beeinträchtigte UrteilsfähigkeitPsychotische SymptomeErfordert häufig eine stationäre BehandlungErfordert eine Akuttherapie mit Stimmungsstabilisierer und/oder Antipsychotikum

I/58

Ziele des “Disease Management”

Senkung von Morbidität und MortalitätKontinuierlich wirksame Therapie (akut und

rezidivprophylaktisch)Verbesserung der ComplianceFrühe Erkennung beginnender EpisodenMinimierung funktioneller Beeinträchtigungen Förderung geregelter Alltagsaktivitäten und Regelmäßigkeit des SchlafverhaltensAufmerksamkeit gegenüber StressorenPsychoedukation des Patienten und seiner Familie

APA Practice Guidelines, 2002

Funktionelle und syndromale Behinderung im Rahmen bipolarer Störungen

84

98

3038

010

2030

4050

6070

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100

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SyndromaleWiederherstellung

FunktionelleWiederherstellung

6 Monate 2 Jahre

Tohen M. et al.; Am J Psychiatry 2000; 157(2): 220-228

Zeit nach der ersten Hospitalisierung

I/60

Behandlungsziele

Akute Phase Remission der Symptome

Rezidivprophylaxe Weitestgehende Symptomreduktion

Anhebung des Funktionsniveaus des Patienten

Minimierung medikamentöser Nebenwirkungen/ Compiance

Unterstützung des Patienten und seiner Familie/ Psychoedukation/ Frühsymptome

APA Practice Guidelines, 2002

I/61

Psychotherapie

z. B.

- Interpersonelle Soziale Rhythmustherapie =>

Arbeit u. a. mit „mood charts“

- Handlungsorientierte Psychoedukation =>

Krankheitsakzeptanz und Bewältigungskompetenz

I/62

Therapeutische Herausforderungen

Bipolare Störungen sind nicht “heilbar”Non-Compliance ist sehr häufigEs bestehen Symptomüberschneidungen mit anderen KrankheitsbildernWirksamkeit (akut und unter Langzeitbedingungen)• auf alle Symptombereiche• auf alle Phasen der Erkrankung (Stimmungsstabilisierung)• auf die SuizidalitätSicherheit und VerträglichkeitKomorbidität

Brady. J Clin Psychiatry 2000;61[suppl 13]:32-37

I/63

Danke für Ihre Aufmerksamkeit

64

Datenlage zur

Psychotherapie bei der

Bipolaren Störung• 8 kontrollierte Studien zu Psychoedukation und kognitiver

VT zeigen eine gute Wirksamkeit

• Gruppentherapien

• Psychoedukation scheint eher gegen den Rückfall in die Manie zu schützen (Cave: verschiedene Komponenten)

• Kognitive VT scheint eher gegen den Rückfall in die Depression zu schützen

Gonzales-Pinto, Rew. 2003

65

Anhang

66

Psychoedukation in der Prophylaxe der Bipolaren Störung

• BP I + BP II, n=120, 6Mo in Remission, randomisiert, kontrolliert, einfach blind

• Intervention: 21 Sitzungen, 1/Wo– Psychoedukation: Krankheitseinsicht, Früherkennung,

Compliance, Lebensstil/ struktur– Kontrolle: stützende Gespräche

• Follow-Up: 2 Jahre, kontrolliert betr. Begleitmedikation

(Colom et al. 2004)

67

Affektive Phase p< 0.003

Depressive Phase p< 0.001

Gemischte Phase p< 0.05

Manie

Manie p< 0,006

I/68

Subcorticale Struktur des

limbischen Systems

(Temporallappen)

Wichtig für

Gedächtnis

Affektregulation

Sexualität

Hippocampus

69

Erscheinungsformen der Depression

• MDE, rez. Depressive Störung• Post-partum depression• Prämenstruelles dysphorisches Syndrom• Altersdepression (Involutionsdepression)• Saisonale Depression• „Double Depression“• „Minor Depression“• Atypische Depression• Rezidivierende kurze depressive Störung

70

Triadisches System der psychiatrischen Klassifikation

(Jaspers, Schneider, Huber) nach Möller, 2001

Abnorme

Erlebnisreaktionen

Abnorme

Entwicklungen

Abnorme

Verstandesanlagen

Abnorme

Persönlichkeiten

Abnorme Variationen

seelischen Wesens

Körperlich begründbare

Psychosen

Primäre

Hirnerkrankungen

Hirnbeteiligende

Körperkrankheiten

Affektive

Psychosen

Schizophrenien

Somatische

Variationen

Krankheitsfolgen

Endogene

Psychosen

Primär umweltbedingt Primär substratbedingt

I

II

III

Schichtregel

71

Körperliche Faktoren

(angeboren oder

erworben)

Psychosoziale Faktoren

(Erziehung,

Traumata etc.)

Disposition

Vulnerabilität

Uncharakteristische

Krankheitszeichen

Protektive Faktoren

(social support,

Coping-Ressourcen)

Aktuelle Belastung

(life events)

Manifeste

Erkrankung

Rückfallrisiko

Chronifizierung

Gesundung

Therapie,

Bewältigung

Allgemeines Modell psychischer Störungen

(nach Möller, 2001)

Veränderungen im HPA-System

• Hypercortisolismus

• vergrößerte Nebennierenrinde

• Non-Suppression im DST

• verminderte ACTH Freisetzung nach CRH-Stimulation

• verstärkte Cortisolfreisetzung nach ACTH-Stimulation

• Überschießende Antwort im kombinierten Dex/ CRH-Test

Holsboer 1999