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themenschwerpunkt Der Augenarzt im Wandel der Jahrhunderte 67 1 3 The ophthalmologist in the course of the centuries Summary: ere have been reports about ophthal- mological therapies since ancient times. Much of this knowledge got lost in the Middle Ages. 200 years ago the first eye clinic was founded in Vienna. e Viennese school of ophthalmology had a high international repu- tation in the 19th century. Nowadays ophthalmology stretches over a wide spectrum which we always have to control. Keywords: Ophthalmologist, History Zusammenfassung: Aufzeichnungen über augenärztli- che Tätigkeiten können wir seit der Antike verfolgen. Im Mittelalter gingen viele dieser Kenntnisse verloren. Vor 200 Jahren wurde in Wien die erste Augenklinik gegrün- det. Im 19. Jh. genoß die Wiener augenärztliche Schule internationales Ansehen. Die Augenheilkunde umfaßt heute ein weites Spektrum, dem wir uns immer wieder stellen müssen. Schlüüsselwörter: Augenarzt, Geschichte Schon aus der Antike kennen wir Aufzeichnungen über Augenärzte und Augenoperationen. Eine der ältesten Erwähnungen über die Vorschriften für Augenoperatio- nen finden wir in den Gesetzestafeln des Hammurabi vor über 3600 Jahren. Auch im alten Ägypten wurden augenärztliche Eingriffe vorgenommen: Auf einem Relief im Tempel zu Philä sind augenärztliche Operations- werkzeuge dargestellt. Einer der großen Ärzte des alten Griechenlands gibt in seinen Werken Hinweise auf oph- thalmologische erapien. Auch im antiken Rom ist die Behandlung von Augenerkrankungen und Augenverlet- zungen nachgewiesen. Viele dieser antiken Kenntnisse und Fähigkeiten gin- gen verloren. Im Mittelalter wurden die augenärztlichen Aufgaben von den sog. „Starstechern“ ausgeführt. Aus Berichten und Zeichnungen kennen wir deren Tätigkeit, die oft auf Jahrmärkten ausgeführt wurden. Mit speziel- len Messern wurde die getrübte Augenlinse in das Auge hineingedrückt. Die Folge waren zumeist Infektionen und sekundäre Drucksteigerungen, woran die Patienten erblindeten. Berühmte Patienten, die ein solches Schick- sal erlitten haben, waren z. B. die Komponisten J. S. Bach und G. F. Händel. Die Augenheilkunde etablierte sich sodann als Teil- gebiet der Chirurgie. Erst an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert begann sich daraus ein selbständiges Fach zu etablieren. Bis zu dieser Zeit war die Funktions- weise des Auges noch weitgehend unklar. Dies änderte sich erst mit der Erfindung des Mikroskopes, welches die Entdeckung von Einzelheiten und differenzierten Struk- turen ermöglichte. Eine bahnbrechende Erfindung war 1851 die Erfindung des Augenspiegels durch Hermann v. Helmholtz, der die weitere Diagnostik möglich machte. Vor 200 Jahren ergab sich aus der allgemeinen Situa- tion und den Krankheitsvorkommen in der Bevölkerung die Gelegenheit bzw. Notwendigkeit, die Augenheilkunde aus der allgemeinen Medizin bzw. aus der allgemeinen Chirurgie herauszulösen und als eigenes Fachgebiet zu etablieren. Wien spielte eine Vorreiterrolle, und wir kön- nen heute auf die älteste Augenklinik der Welt zurück- blicken. Eng damit verknüpft ist der Name Georg Joseph Beer. Dieser in Wien geborene Arzt eröffnete bereits 1786 in seiner Wohnung eine augenärztliche Praxis und kämpfte um die Anerkennung der Ophthalmolo- gie als eigenes Fachgebiet. 1812 wurde Beer schließlich zum außerordentlichen Professor der Augenheilkunde ernannt und seine Augenklinik genehmigt. In den folgenden Jahrzehnten blühte diese erste Augenklinik der Welt sowohl wissenschaftlich als auch therapeutisch-chirurgisch auf. Die Wiener augenärzt- liche Schule genoß einen internationalen Ruf. Eine Blü- tezeit erlebte die Wiener Augenklinik unter Ferdinand v. Arlt: Seine Operationslehre gibt davon ein beredtes spektrum der augenheilkunde Spektrum Augenheilkd (2013) 27:67–68 DOI 10.1007/s00717-013-0150-0 Der Augenarzt im Wandel der Jahrhunderte Paul Drobec Prim. Prof. MR Dr. P. Drobec (Krugerstraße 6/2, 1010 Wien, Österreich E-Mail: [email protected] Eingegangen: 14. Januar 2013 / Angenommen: 24. Januar 2013 / Online publiziert: 26. Februar 2013 © Springer-Verlag Wien 2013

Der Augenarzt im Wandel der Jahrhunderte

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The ophthalmologist in the course of the centuries

Summary: There have been reports about ophthal-mological therapies since ancient times. Much of this knowledge got lost in the Middle Ages. 200 years ago the first eye clinic was founded in Vienna. The Viennese school of ophthalmology had a high international repu-tation in the 19th century. Nowadays ophthalmology stretches over a wide spectrum which we always have to control.

Keywords: Ophthalmologist, History

Zusammenfassung: Aufzeichnungen über augenärztli-che Tätigkeiten können wir seit der Antike verfolgen. Im Mittelalter gingen viele dieser Kenntnisse verloren. Vor 200 Jahren wurde in Wien die erste Augenklinik gegrün-det. Im 19. Jh. genoß die Wiener augenärztliche Schule internationales Ansehen. Die Augenheilkunde umfaßt heute ein weites Spektrum, dem wir uns immer wieder stellen müssen.

Schlüüsselwörter: Augenarzt, Geschichte

Schon aus der Antike kennen wir Aufzeichnungen über Augenärzte und Augenoperationen. Eine der ältesten Erwähnungen über die Vorschriften für Augenoperatio-nen finden wir in den Gesetzestafeln des Hammurabi vor über 3600 Jahren. Auch im alten Ägypten wurden augenärztliche Eingriffe vorgenommen: Auf einem Relief im Tempel zu Philä sind augenärztliche Operations-werkzeuge dargestellt. Einer der großen Ärzte des alten Griechenlands gibt in seinen Werken Hinweise auf oph-thalmologische Therapien. Auch im antiken Rom ist die Behandlung von Augenerkrankungen und Augenverlet-zungen nachgewiesen.

Viele dieser antiken Kenntnisse und Fähigkeiten gin-gen verloren. Im Mittelalter wurden die augenärztlichen Aufgaben von den sog. „Starstechern“ ausgeführt. Aus Berichten und Zeichnungen kennen wir deren Tätigkeit, die oft auf Jahrmärkten ausgeführt wurden. Mit speziel-len Messern wurde die getrübte Augenlinse in das Auge hineingedrückt. Die Folge waren zumeist Infektionen und sekundäre Drucksteigerungen, woran die Patienten erblindeten. Berühmte Patienten, die ein solches Schick-sal erlitten haben, waren z. B. die Komponisten J. S. Bach und G. F. Händel.

Die Augenheilkunde etablierte sich sodann als Teil-gebiet der Chirurgie. Erst an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert begann sich daraus ein selbständiges Fach zu etablieren. Bis zu dieser Zeit war die Funktions-weise des Auges noch weitgehend unklar. Dies änderte sich erst mit der Erfindung des Mikroskopes, welches die Entdeckung von Einzelheiten und differenzierten Struk-turen ermöglichte. Eine bahnbrechende Erfindung war 1851 die Erfindung des Augenspiegels durch Hermann v. Helmholtz, der die weitere Diagnostik möglich machte.

Vor 200 Jahren ergab sich aus der allgemeinen Situa-tion und den Krankheitsvorkommen in der Bevölkerung die Gelegenheit bzw. Notwendigkeit, die Augenheilkunde aus der allgemeinen Medizin bzw. aus der allgemeinen Chirurgie herauszulösen und als eigenes Fachgebiet zu etablieren. Wien spielte eine Vorreiterrolle, und wir kön-nen heute auf die älteste Augenklinik der Welt zurück-blicken. Eng damit verknüpft ist der Name Georg Joseph Beer. Dieser in Wien geborene Arzt eröffnete bereits 1786 in seiner Wohnung eine augenärztliche Praxis und kämpfte um die Anerkennung der Ophthalmolo-gie als eigenes Fachgebiet. 1812 wurde Beer schließlich zum außerordentlichen Professor der Augenheilkunde ernannt und seine Augenklinik genehmigt.

In den folgenden Jahrzehnten blühte diese erste Augenklinik der Welt sowohl wissenschaftlich als auch therapeutisch-chirurgisch auf. Die Wiener augenärzt-liche Schule genoß einen internationalen Ruf. Eine Blü-tezeit erlebte die Wiener Augenklinik unter Ferdinand v. Arlt: Seine Operationslehre gibt davon ein beredtes

spektrum deraugenheilkunde

Spektrum Augenheilkd (2013) 27:67–68DOI 10.1007/s00717-013-0150-0

Der Augenarzt im Wandel der JahrhundertePaul Drobec

Prim. Prof. MR Dr. P. Drobec () Krugerstraße 6/2, 1010 Wien, ÖsterreichE-Mail: [email protected]

Eingegangen: 14. Januar 2013 / Angenommen: 24. Januar 2013 / Online publiziert: 26. Februar 2013© Springer-Verlag Wien 2013

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Zeugnis. Auch stellte er damals schon die Forderung auf, Brillenbestimmung nur von Augenärzten durchführen zu lassen. 1883 erfolgte die Gründung der II. Univ.-Augen-klinik, um dem aus dem In- und Ausland stets wachsen-den Zustrom von Studenten und Patienten gerecht zu werden. Im Herbst 1884 kam es an der Wiener Augen-klinik zu einer für die Augenheilkunde und die gesamte Medizin epochalen Entdeckung: Der Sekundararzt Carl Koller veröffentlichte die langersehnte Lokalanästhesie am Auge mittels wässriger Kokainlösung. In den drei Jahrzehnten an der Wende zum 20. Jahrhundert erlangte die Wiener augenärztliche Schule unter Prof. Ernst Fuchs Weltgeltung. Fuchs war u. a. der Gründer der pathologi-schen Anatomie des menschlichen Auges. Viele Krank-heitsbilder wurden von ihm beschrieben und nach ihm benannt. Viele seiner Schüler wurden zu Ordinarien an in- und ausländischen Augenkliniken berufen.

An der Schwelle zum 21. Jahrhundert sind wir eben-falls wieder gefordert, unser Können und unsere Arbeit in den Dienst der Gesundheit der Bevölkerung zu stel-len. Vermehrte Anforderungen an die Augen in Beruf und Freizeit führen zu vermehrten Problemen und Sehbeschwerden: Stundenlange Arbeit am Bildschirm – oft auch unter Zeitdruck –, vermehrte Aufmerksam-keit im Straßenverkehr, Freizeitvergnügen im Kino, vor dem Fernseher oder bei Computerspielen sowie der Geschwindigkeitsrausch vieler Sportarten stellen hohe Belastungen an unser Sehorgan dar. Wir betreiben eine verantwortungsvolle Vorsorgemedizin und können dem Patienten andere Heilverfahren vermitteln, man denke nur an das weit verbreitete Zervicalsyndrom, dessen Symptomatik die Patienten oft zuerst zum Augenarzt führt. Erkrankungen, die früher praktisch unheilbar waren, konnten durch modernste Diagnostik in ihrer Entstehung definiert und zeitgemäßen Behandlungsme-thoden zugeführt werden. Ich denke hier insbesondere an die SMD, eine zunehmende Volkskrankheit infolge Mehrbelastung und Überalterung.

Mitte der 70er Jahre wurden in Österreich unter der Federführung von OMR Dr. Friess und Prof. Dr. Funder der Berufsverband der Augenärzte und die wissenschaft-lich orientierte Österreichische Ophthalmologische Gesellschaft ÖOG fusioniert, eine in Europa einzigartige Aktion. Diese ÖOG vertrat nun alle österreichischen Ophthalmologen und konnte viel effizienter auftreten. Ich durfte von diesem Zeitpunkt an dem Vorstand dieser ÖOG angehören und bis zum heurigen Jubiläumsjahr 35

Jahre lang für die österreichische Ophthalmologie wir-ken. Dabei war es mein und unser ständiges Anliegen, die Einheit der Ophthalmologie zu wahren. In den Zei-ten der Superspezialisierung gibt es natürlich auch bei diesem kleinen Organ Aufsplitterungstendenzen und Forschungen, Diagnostik und Therapie in etlichen Spe-zialgebieten. Im Mittelpunkt aber bleibt der Mensch und der Patient, da es auch stets unser Anliegen ist, das Auge im Zusammenhang mit dem ganzen menschli-chen Körper zu diagnostizieren und zu therapieren. Dies unterscheidet uns auch ganz wesentlich von den vielen paramedizinischen Berufen, die ganz besonders in unse-rem Fachgebiet in die Begutachtung und Behandlung drängen. Diagnose und Therapie sind und bleiben aber ein ärztliches Handeln und den Ärzten vorbehalten.

In diesem Sinne ist es mir 1980 gelungen, den bisheri-gen Augenfacharzt in den „Facharzt für Augenheilkunde und Optometrie“ umzuwandeln, um damit unter Beweis zu stellen, dass die gesamte ophthalmologische Therapie und Diagnostik in den Händen der Augenärzte bleiben muss.

Das kleine Gebiet der Augenheilkunde, welches sich vor 200 Jahren von der allgemeinen Medizin abgespal-ten und emanzipiert hat, vereint in sich heutzutage viele Untergruppen und Spezialdisziplinen. Dies findet in den Unterorganisationen, Arbeitsgruppen und Kommissio-nen der ÖOG seinen Niederschlag, in denen Spezialisten zum Wohle der gesamten Ophthalmologie arbeiten, und dies wieder zum Wohle der uns anvertrauten Patienten.

Was vor 200 Jahren hier in Wien als kleine Zelle begon-nen hat, ist heute eine weltumspannende Organisation geworden: Universitätsinstitute, die mit ihrer Wissen-schaft Weltruhm genießen, Kliniken, die früher undenk-bare Operationen durchführen, Institute, die modernste Therapien einsetzen, Ordinationen, die die breiten Schichten der Bevölkerung versorgen, Organisationen, die Forschung, Entwicklung und deren Finanzierung koordinieren, sowie Institutionen, die den Bedürftigen weiterhelfen, – all dies bildet die heutige Ophthalmologie.

Wir können stolz auf die Entwicklung der 200-jährigen Geschichte der Ophthalmologie zurückblicken. Gleich-zeitig soll es uns aber ein dringendes Anliegen und ein Auftrag sein, dieses Werk zu erhalten, fortzuführen und weiterzuentwickeln, damit es noch weitere Jahrhunderte zum Wohle der Menschen bestehen kann.

Interessenskonflikt Es besteht kein Interessenskonflikt.