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H. Wolff Der Demografische Wandel – eine Herausforderung fçr alle Akteure am Arbeitsmarkt Z Gerontol Geriat 33:251–255 (2000) © Steinkopff Verlag 2000 ORIGINALARBEIT ZUM THEMENSCHWERPUNKT ZGG 966 Eingegangen: 13. Juni 2000 Akzeptiert: 23. Juni 2000 Dr. H. Wolff ( ) Im Lenzen 9 79639 Grenzach-Wyhlen Demografic change – a challenge for all participants in the labour market Zusammenfassung Das ansteigen- de Durchschnittsalter in der Bevo ¨l- kerung wird Wirtschaft und Arbeits- markt ku ¨nftig sta ¨rker pra ¨gen. Dies muss kein Nachteil fu ¨r die ku ¨nftige Innovationskraft der Wirtschaft sein, zwingt aber Unternehmen wie Ar- beitnehmer, von dem gewohnten Vorurteil der „alternsbedingten Leis- tungsdefizite“ Abschied zu nehmen. Schlu ¨ sselwo ¨rter Demografischer Wandel – Arbeitsmarkt – Arbeitnehmer – Unternehmenskultur – Organisationen in der Wirtschaft Summary The labor market and the whole economy will be confronted with the aging of the labor force in the near future. This can but must not necessarily become a problem for future innovation processes in com- panies. It depends on the ability of companies and their staff to abolish the common, but wrong prejustice that older worker are less innovative because of their age. Key words Demografic change – labour market – employees – management culture – organizations in the economy Einleitung Folgt man der o ¨ffentlichen Diskussion, so erscheint der demografische Wandel mehrheitlich als ein Problem fu ¨r die Sozialpolitik und den Umgang der Gesellschaft mit der a ¨lteren Bevo ¨lkerung. Im Zentrum dieser Diskussion steht die Gestaltung des „dritten“ Lebensabschnitts, die Finanzierung der steigenden Renten- und Gesundheits- kosten und das zusa ¨tzlich beno ¨tigte Angebot an sozialen Dienstleistungen. Wirtschaft und Arbeitsmarkt spielten demgegenu ¨ber oft nur indirekt eine Rolle, etwa bei der Frage nach der Ausgestaltung des ku ¨nftigen „Generatio- nenvertrags“ oder bei der Diskussion von Migration und Integration. Die Ergebnisse der Forschungsarbeiten im Fo ¨rderschwerpunkt „Demografischer Wandel und Zukunft der Erwerbsarbeit am Standort Deutschland“ (5, 7) zeigen dagegen, wie notwendig die Erweiterung des Blickfeldes ist: der demografische Wandel wird in Zukunft zu einer ernsten Herausforderung fu ¨r alle Ak- teure am Arbeitsmarkt werden. Verånderungen in der Altersstruktur der (Erwerbs-)Bevælkerung Die Ausgangsbedingungen sind seit langem bekannt: In Deutschland wie in anderen Industriela ¨ndern a ¨ndert sich die Bevo ¨lkerungsstruktur. Seit Jahrzehnten steigt die Le- benserwartung der Menschen, und die Zahl der Kinder je Familie nimmt ab. Trotz der im Durchschnitt ju ¨n- geren und kinderreicheren Zuwanderer stieg das Durch- schnittsalter in der Bevo ¨lkerung in Deutschland kon- tinuierlich an: Lag es 1960 noch bei 36 Jahren, war es 1996 mit 40,2 Jahren bereits vier Jahre ho ¨her und wird 2030, nach einer weiteren Zeitspanne von rd. 40 Jahren, scha ¨tzungsweise auf 46,2 Jahre steigen, sofern die Zu- wanderungen in der bisherigen Gro ¨ßenordnung bestehen bleiben. Auf den Arbeitsmarkt und die Unternehmen hat sich diese Vera ¨nderung in der Bevo ¨lkerungsstruktur in der Vergangenheit noch kaum ausgewirkt. Aufgrund der ge- burtenreichen Jahrga ¨nge in der Mitte des Jahrhunderts

Der Demografische Wandel – eine Herausforderung für alle Akteure am Arbeitsmarkt

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Page 1: Der Demografische Wandel – eine Herausforderung für alle Akteure am Arbeitsmarkt

H. Wolff Der Demografische Wandel ±eine Herausforderung fçr alle Akteuream Arbeitsmarkt

Z Gerontol Geriat 33:251–255 (2000)© Steinkopff Verlag 2000 ORIGINALARBEIT ZUM THEMENSCHWERPUNKT

ZG

G966

Eingegangen: 13. Juni 2000Akzeptiert: 23. Juni 2000

Dr. H. Wolff (✉)Im Lenzen 979639 Grenzach-Wyhlen

Demografic change –a challenge for all participantsin the labour market

Zusammenfassung Das ansteigen-de Durchschnittsalter in der Bevo¨l-kerung wird Wirtschaft und Arbeits-markt kunftig starker pragen. Diesmuss kein Nachteil fu¨r die kunftigeInnovationskraft der Wirtschaft sein,zwingt aber Unternehmen wie Ar-beitnehmer, von dem gewohntenVorurteil der „alternsbedingten Leis-tungsdefizite“ Abschied zu nehmen.

SchlusselworterDemografischer Wandel –Arbeitsmarkt – Arbeitnehmer –Unternehmenskultur –Organisationen in der Wirtschaft

Summary The labor market and thewhole economy will be confrontedwith the aging of the labor force inthe near future. This can but must notnecessarily become a problem forfuture innovation processes in com-panies. It depends on the ability ofcompanies and their staff to abolishthe common, but wrong prejusticethat older worker are less innovativebecause of their age.

Key words Demografic change –labour market – employees –management culture –organizations in the economy

Einleitung

Folgt man der o¨ffentlichen Diskussion, so erscheint derdemografische Wandel mehrheitlich als ein Problem fu¨rdie Sozialpolitik und den Umgang der Gesellschaft mitder alteren Bevo¨lkerung. Im Zentrum dieser Diskussionsteht die Gestaltung des „dritten“ Lebensabschnitts, dieFinanzierung der steigenden Renten- und Gesundheits-kosten und das zusa¨tzlich benotigte Angebot an sozialenDienstleistungen. Wirtschaft und Arbeitsmarkt spieltendemgegenu¨ber oft nur indirekt eine Rolle, etwa bei derFrage nach der Ausgestaltung des ku¨nftigen „Generatio-nenvertrags“ oder bei der Diskussion von Migrationund Integration. Die Ergebnisse der Forschungsarbeitenim Forderschwerpunkt „Demografischer Wandel undZukunft der Erwerbsarbeit am Standort Deutschland“(5, 7) zeigen dagegen, wie notwendig die Erweiterungdes Blickfeldes ist: der demografische Wandel wird inZukunft zu einer ernsten Herausforderung fu¨r alle Ak-teure am Arbeitsmarkt werden.

Verånderungen in der Altersstrukturder (Erwerbs-)Bevælkerung

Die Ausgangsbedingungen sind seit langem bekannt: InDeutschland wie in anderen Industriela¨ndern andert sichdie Bevolkerungsstruktur. Seit Jahrzehnten steigt die Le-benserwartung der Menschen, und die Zahl der Kinderje Familie nimmt ab. Trotz der im Durchschnitt ju¨n-geren und kinderreicheren Zuwanderer stieg das Durch-schnittsalter in der Bevo¨lkerung in Deutschland kon-tinuierlich an: Lag es 1960 noch bei 36 Jahren, war es1996 mit 40,2 Jahren bereits vier Jahre ho¨her und wird2030, nach einer weiteren Zeitspanne von rd. 40 Jahren,schatzungsweise auf 46,2 Jahre steigen, sofern die Zu-wanderungen in der bisherigen Gro¨ßenordnung bestehenbleiben.

Auf den Arbeitsmarkt und die Unternehmen hat sichdiese Vera¨nderung in der Bevo¨lkerungsstruktur in derVergangenheit noch kaum ausgewirkt. Aufgrund der ge-burtenreichen Jahrga¨nge in der Mitte des Jahrhunderts

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nahmzwischen1960 und 1996 sogardie Zahl der Per-sonen im Alter zwischen 25 und 44Jahren von17,6Mio. auf 26,2 Mio., d.h. um fast die Halfte, zu.Doch dieseEntwicklungkippt: Bis 2010 wird die Zahlder Arbeitskrafte im Alter zwischen25 und 45 Jahrenrelativ stark fallen und zwar um mehr als 12% auf19,6Mio. (anteiligvon 55% auf 47%) Erwerbspersonenund danachweiter, wenn auch etwas langsamer, auf17,8Mio. oder45% im Jahre2020(6).

Der demografischeWandeltrifft auf sich starkveran-derndeBedingungen am Arbeitsmarkt:Die Zahl der Er-werbspersonensteigtbei stagnierender Bevolkerungszahlbis 2010nochan,weil sichu.a.dasErwerbsverhaltenbeiFrauenverandert, d.h. ihre Erwerbsbeteiligung tenden-ziell steigt. Viele dieserErwerbspersonenfinden schonheute keine Bescha¨ftigung auf dem Arbeitsmarkt. DieZahlderArbeitslosensinkt kaumundsteigtbei denÄlte-ren.Gegenwa¨rtig sinddie WirkungendieserVeranderun-genauf demArbeitsmarktnochnicht zu beobachten.DieVeranderungderAltersstrukturist in derWirtschaftnochkaumangekommen(1). BisherklagenUnternehmennuruberdenMangelanqualifiziertenMitarbeitern.Betroffensindvorrangigkleineund mittlereUnternehmen(2). DieGroßunternehmen losen ihre Rekrutierungsproblemeleichter durch die ExpansionaußerhalbDeutschlands,wie sie diesschonin der Vergangenheitin vielen Bran-chentaten(z.B. EDV, ChemischeIndustrie,Medienwirt-schaft).Nur wenigeBetriebsleitererwartennachdenEr-gebnissendesForderschwerpunkts bisherSchwierigkei-ten durch Überalterungihrer Belegschaftoder Nach-wuchsprobleme. Die Arbeitskrafte erlebendie WirkungdesdemografischenWandelsdagegenschonheute.ÄltereArbeitslosefinden kaumnocheinenneuenArbeitsplatz,und bei jungerenArbeitnehmernwachstdie Verunsiche-rung. Dies strahltunmittelbarauf dasArbeitsklimaaus:Konkurrenzdruck und Arbeitsplatzneid zwischenArbei-tendenund Arbeitslosen, Jung und Alt, Mannern undFrauen,DeutschenundAuslandernwachsenlatent.VieleJungeresehenihre EntwicklungsmoglichkeitendurchdiegroßeZahl der heuteerst30- bis 45-Jahrigenblockiert.

Die demografischen Veranderungenbringenschließ-lich auch die Organisationenin Wirtschaft und Gesell-schaft in Schwierigkeiten: Sie sind in ihrer Zustandig-keit auf Deutschlandbegrenzt.Entsprechendsind siestandig mit den Arbeitsmarktfolgen desdemografischenwie technisch-wirtschaftlichenWandelskonfrontiertundwerdennicht seltensogardafur mit verantwortlich ge-macht. Ihre Mitglieder, die eigentlichenAkteure, sinddagegenimmer weniger an den Standort gebunden:Nicht nur GroßunternehmenexpandiereninzwischenimAusland, auch Dienstleistungs- und Handwerksunter-nehmentun dies. Ebensofinden qualifizierte Arbeits-krafte dort zunehmendBescha¨ftigung.

Verglichenmit demdemografischen Wandelsind dieWirkungen auf dem Arbeitsmarkt sehr viel schwerervorhersehbar. Dieshat im wesentlichendrei Grunde(7):

1. Die Internationalisierung und Globalisierung derWirtschaft erweitert den Handlungsspielraum vonUnternehmenund qualifizierten Arbeitskraften.

2. Der demografischeWandel wirkt zwar nachhaltig,abernur langsamund langfristig.

3. In derGesellschaftwird die Vermutungallgemeinak-zeptiert,dasssichInnovationenbesseroderuberhauptnur mit jungeren,gut qualifiziertenMitarbeiternreali-sierenlassen.UnternehmenstellenvorrangigjungereMitarbeiterein.

Das Defizitmodell fçhrt in die Irre

Tatsachlich aber erweist sich das kalendarische Alterbei Erwerbspersonenals ein nur wenig geeigneterIndi-kator und zwar weder fur die Arbeits- und Leistungs-fahigkeit, noch fur die InnovationskrafteinesUnterneh-mensbzw. der Wirtschaftinsgesamt.DasErgebnisallereinschla¨gigen Untersuchungen dazu ist eindeutig: ImLaufe der 35 bis 45Jahreeiner Erwerbsbiografie, diezudem bei vielen und insbesonderebei Frauen nochdurch Nicht-Erwerbsphasenunterbrochenist, andernsich zwar Qualifikationsprofil und Einsatzfa¨higkeit derArbeitskrafte, nicht aber Arbeits- und Leistungsfa¨hig-keit. Empirischzeigt sich bei der Altersgruppe der uber45-JahrigeneinesteigendeStreuungder Leistungsfa¨hig-keit, keineswegsaberein generellerRuckgang.Die imLaufe des Arbeitslebensgewonnenen Erfahrungensindbesondersim Umgang mit Menschen,bei komplexenAufgabenstellungen und in Fuhrungsfunktionen unver-zichtbar. Sie lassenaltere Erwerbsta¨tige nicht nur sehrerfolgreichbis zum Endeihrer Erwerbsphasetatig sein,sondernsie werdenvielfach auchbesserbezahltals dieArbeiten der noch jungerenKollegen. Das kalendari-sche Alter ist nach diesenErgebnissenein bequemer,aber deswegenumso gefahrlicherer, weil irrefuhrenderIndikator.

Die individuelle Leistungsfa¨higkeit hangt nicht vomZeitablaufund denunbestreitbaren, im Einzelfall durch-ausunterschiedlichen physiologisch-biologischenVeran-derungen,sondernvor allem von den Erfahrungen ab,die die Arbeitskrafte im Laufe ihres Lebens machenkonnten oder mussten.Entsprechendverfugen jungereArbeitskrafte beim Einstieg in das Erwerbsleben uberandererelative Leistungsmerkmale (wie Kraft, Schnel-ligkeit, Risikobereitschaft oder aktuellereAusbildung)als ihre alterenKollegen,die ihr Wissenim Laufe ihrerTatigkeit generellund betriebsspezifisch erweiternundin der praktischenTatigkeit wichtige zusatzliche Quali-fikationen wie Übersicht,Qualitatsbewusstseinund Ur-teilsvermogenerwerbenkonnten.

252 Zeitschrift fur Gerontologieund Geriatrie,Band33, Heft 4 (2000)© Steinkopff Verlag2000

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Das Phånomen der ¹begrenzten Tåtigkeitsdauerª

Der erfahrungsbedingteWandel im Qualifikationsprofilverknupft sich mit dem Phanomender „begrenztenTa-tigkeitsdauer“(1). Der Begriff beschreibtdie Zeitspan-ne, uber die einzelneArbeitskrafte ihren Arbeitsplatzangesichtsder spezifischenAnforderungenund Belas-tungenetwain einerGießerei,im Lageroderam Kran-kenbett ohne Leistungsverluste oder Schaden fur dieGesundheitausfullen konnen. NeuereUntersuchungenzeigen,dassdas Phanomender „begrenzten Tatigkeits-dauer“ tatsachlich eine sehrviel weitergehendeBedeu-tung hat,als bisherangenommen.Der Wissens-und Er-fahrungsgewinnam Anfang einerneuenTatigkeit endetnach einer gewissenZeit der Umstellung und Einge-wohnung. Er droht in Routine umzuschlagen,wennAufmerksamkeitund Interessean der Arbeit nachlassen.Gleichzeitig verandert sich der Mensch physiologisch,geistig und von seinenInteressenher ebensowie dastechnischeund wirtschaftlicheUmfeld, in demer bishererfolgreich gearbeitethat (4). So gibt es ganz unter-schiedlicheGrunde, weshalbArbeitskrafte unabha¨ngigvom kalendarischenAlter an ihrem bisherigenArbeits-platzplotzlich ,alt aussehen‘konnen(1):

• physisch/psychischerVerschleißin Abhangigkeit vonder (Erwerbs)Biografie;

• Veraltender spezifischenQualifikationen durch neuetechnischeoderwirtschaftlicheAnforderungen;

• Entmutigungund Reputationsverlust durch sinkendeAnerkennung bei den eigenen VorgesetztenoderKollegenbzw. Bedeutungsverlustder Tatigkeit in derGesellschaft;

• Veranderungenim privatenUmfeld, die eineFortset-zung der bisherigenTatigkeit erschwerenoder un-moglich machen.

Die „Begrenztheit der Tatigkeitsdauer“ wird also nichtnur stark von demografischen und biologischen,son-dernauchvon technischenund wirtschaftlichenEinflus-senbzw. derenAufeinandertreffen bestimmt.

Die Trendsin der Arbeitsweltvon morgenlassendasPhanomender „begrenzten Tatigkeitsdauern“ an Bedeu-tung gewinnen: Mit der Altersstruktur verandert sichdasQualifikationsprofil, altereArbeitskrafte konnenundwollen andereAufgaben ubernehmenals jungere.DieSpezialisierungwachst, wahrend sich gleichzeitig dasjeweils geforderteFach- oder Erfahrungswissenimmerschnellerverandert. Die Erwerbsbeteiligung von Man-nernund Frauengleicht sich an und es entwickelnsichneueArbeitsformen (7).

Tåtigkeitswechsel erhålt leistungsfåhig

Um Verlusteder Leistungsfa¨higkeit aufgrundindividuell„begrenzterTatigkeitsdauern“zu vermeiden,reicht dieAnpassungder Qualifikationnicht immer aus.Notig istebensoein entsprechenderWandel der Aufgaben (1).Dies geschahtraditionell und relativ einfach im Zugedes beruflichenAufstiegs.Die Zahl der Fuhrungsposi-tionenwar aberschonimmer begrenztund sinkt gegen-wartig mit der Abnahmeder Hierarchieebenen.

Doch Tatigkeitswechsel ist keineswegsan einenbe-ruflichen Aufstieg gebunden.In Großunternehmen ha-ben sich interneArbeitsmarkte gebildet.Die Welle vonReorganisation und Rationalisierung in Industrie wieDienstleistungenhat zusammenmit dem allgemeinenStrukturwandel die Zahl der Bescha¨ftigten in Groß-betriebenmit heterogeneninternenArbeitsmarkten seitmehr als zehnJahrenkontinuierlichschrumpfenlassen.Zugenommen hat dafur die Dezentralisierung der Be-triebe, die Ausgliederungvon Randbereichenund dieSpezialisierungder Arbeitsgebiete. Der demografischwachsendenZahl von Arbeitskraften uber 45 JahrenstehteineschrumpfendeZahl an Arbeitsplatzenin tradi-tionellenLaufbahnengegenu¨ber.

Unter diesen Bedingungen steigt das Gewicht derhochspezialisierten und erfahrenenMitarbeiter. Gleich-zeitig erhoht sich fur diese die Gefahr von Einseitig-keits- und Spezialisierungsfallen und die Klagen uberden Mangel an qualifiziertem Nachwuchsverstarkensich (4): Derartige Entwicklungen sind jedoch wedernaturgegebennoch die zwangsla¨ufige Folge einesstei-gendenDurchschnittsalters.Sie hangen viel mehr vonder bisherigenErwerbsbiografie und damit auch vonder Qualitat der Personalfu¨hrung ab. In Unternehmenmit altersgemischtenBelegschaftenund innovationsori-entierterUnternehmenskultur tretensie kaumauf.

Personalmanagement ± ein Schlçsselbereichfçr innovative Unternehmen

Der wirtschaftlicheErfolg einesUnternehmens wird inZukunft starker noch als in der Vergangenheitvon sei-ner Innovationskraft bestimmt.Dieseaber lebt von derInnovationsfa¨higkeit seinerMitarbeiter. Die neuenInfor-mationstechniken sowie die Rationalisierungs-und Re-organisationsbemuhungender Vergangenheithabenso-gar die Mitarbeiterimmermehrzu „Innovationspuffern“gemacht:Der Umgang mit Kunden, die Beobachtungund die Befriedigung ihrer Wunsche,die Auswahl undNutzung der vielfaltiger gewordenentechnischenundwirtschaftlichenMoglichkeiten fordert immer haufigernebenFachkenntnissen,Erfahrungswissenund personli-chemEngagement,sozialeKompetenzensowie die Fa-higkeit zum Umgangmit Belastungen.Selbst „atmen-

253H.WolffDemografischerWandelund Arbeitsmarkt

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de“ oder „virtuelle“ Unternehmen– lose in Netzwerkenorganisiert – leben von personlichen Kontakten zwi-schenden beteiligtenMenschen.Ohne sie werdendietechnischenund organisatorischenNetzeleicht zu leerenHullen.

Eine solcheUnternehmenskultur lasst sich allerdingsnichtwie derKauf einerAnlageoderdieEinstellungneu-er Mitarbeitereinfachbeschließen.Sie ist dasErgebnisvieler kleiner Schritte, die eng mit der Organisations-und Personalentwicklung in den Unternehmenzusam-menhangen. Das richtige Innovationsensemble,das er-folgversprechendeZusammenspiel von neuer Technikmit Kundenorientierung, von Qualitats- und Kostenent-wicklung mit Markterschließung brauchtZeit. An „kon-tinuierlichenVerbesserungsprozessen“(KVP) stellenalleMitarbeiterbeteiligtwerden,sollensie erfolgreichsein.

Wichtig ist die lernfærdernde Arbeitsorganisation

Die integrative Personalfu¨hrungmusssich bereitsin derArbeitsorganisationund den taglichen Arbeitsabla¨ufenniederschlagen.Wichtig sind hier vor allem(3, 4):

• ein lernanregendesArbeitsumfeld mit wechselndenAufgabenund geeignetenFormenvon Gruppenarbeitbzw. Kooperationsmo¨glichkeiten;

• die AnwendungarbeitsmedizinischerErkenntnissebeiderAusgestaltungderArbeitsplatzeund beimEinsatzder Mitarbeiter, sodassphysischeund psychischeBe-lastungennicht kumulierenkonnen;

• Kreativitat bei der Entwicklung und Nutzung vonArbeitsformen und -zeiten, um die Anforderungendes Betriebesmit den individuellen BedurfnisseninÜbereinstimmung zu bringen;

• die Einfuhrungvon Entlohnungssystemen,die die In-novationsbereitschaft der Mitarbeiter ebensounter-stutzen wie die Erhaltung ihrer Leistungskraft; dietraditionelleZeit- oder Akkordentlohnung ist oft zustarr;viele FirmenhabenguteErfahrungenmit Ziel-vereinbarungenund Erfolgsbeteiligungen gemacht.

Patentrezepteallerdingswird es dabeinicht geben:DieUmsetzungkann und wird in personen-und kundenori-entiertenHandwerksunternehmeneine andereForm ha-ben als in Montagebetrieben der Automobilindustrieoderin Softwareunternehmen.

Arbeitskråfte kænnen vorsorgen

Die Entwicklung der eigenen Erwerbsbiografie liegtebensoin der Verantwortungder Mitarbeiterselber. Dieheutenoch jungerenArbeitskrafte im Alter von 30 bis45 Jahrenwachsenin einenandereArbeitswelt hinein.Sie mussensich auf dem kunftigen Arbeitsmarktden

Dezentralisierungs- und Globalisierungstendenzenstel-len. In der kunftigen Arbeitslandschaft werdendie Ar-beitsmoglichkeiten gleichzeitig offener und unsicherersein (7). Dies erleichtertzwar einerseitsdie Verknup-fung von Arbeit und Privatlebenebensowie den Be-triebs- und Berufswechsel. Gleichzeitig aber sinkt dieSicherheitvon Bescha¨ftigung und Einkommenuber diegesamteErwerbsphase.Auch das sozialeNetz wird inZukunft weitmaschiger sein als bisher. Die Risiken der„begrenztenTatigkeitsdauer“durchhoheSpezialisierungoder einseitigeArbeiten (z.B. bei Montage-,Software-oder Verwaltungsarbeiten) treffen lernunfahig geworde-ne Arbeitskrafte besondershart.

Die Handlungsmo¨glichkeiten der Arbeitskrafte, be-sondersim Alter von 45 Jahrenund mehr, sind in dieserSituation kurzfristig sehr begrenzt,mittel- und langer-fristig aber oft großer, als viele resignierendglauben.Trotz vieler Unsicherheitenund Zufalligkeiten hat auchder oder die EinzelneEinflussmoglichkeitenauf die ei-geneErwerbsbiografie,etwa

• die Beobachtungund Entwicklungder eigenenBega-bungen und Fahigkeiten im Zeitablauf ebensowiedie Nutzungvon sich neubietendenGelegenheiten,

• die laufendeKompetenzentwicklung uber denaktuel-len Beruf hinausauch zur Erhaltungder Lern- undLeistungsfa¨higkeit,

• die Fahigkeit zum Selbstmanagement,• der bewusstereTatigkeits-, Betriebs- und Berufs-

wechsel.

Anpassung der Rahmenbedingungenund çberbetrieblichen Dienstleistungen

Unternehmenund Arbeitnehmerallein sind jedochviel-faltig uberfordert,wenn die Anpassungan eine alterns-gerechteErwerbstatigkeit ihnen allein uberlassenbleibt.Denn der demografischeWandel, verstarkt durch denDruck ausWirtschaftund Technik,stellt auchdie bishergeltendenStandardsund Regelungenim ArbeitslebeninFrage,wie sie sich im Laufe der Zeit zwischenden In-teressengruppen gebildet haben.Die traditionellen Ar-beitsverha¨ltnisse werdenheute nicht nur im Software-gewerbeoderin der Medienwirtschaftzur Ausnahme.

Die uberbetrieblichenInstitutionenwie Kammern,Ta-rifpartner, Berufsgenossenschaften,Wohlfahrts-oderRe-gionalverba¨nde– verantwortlichfur die EntwicklungderallgemeinenRahmenbedingungenund gleichzeitig ab-hangig von der Meinungsbildung bei ihren Mitgliedern– geratendabeioft in einDilemma:Siewerdenvon ihrenMitgliedernoderRegionenauf die Verteidigungdesbis-her Erreichtenverpflichtetund sollengleichzeitigan derErneuerungder Rahmenbedingungenmitarbeiten(7).

Außerdemschrumpfenihre Handlungsspielraume imZugederGlobalisierung:Im pluralistisch-demokratischenSystemDeutschlandslassensichneuetragfahigeStruktu-

254 Zeitschrift fur Gerontologieund Geriatrie,Band33, Heft 4 (2000)© Steinkopff Verlag2000

Page 5: Der Demografische Wandel – eine Herausforderung für alle Akteure am Arbeitsmarkt

rennichtdurcheinfachenGesetzesbeschlussundforschesHandelnerzwingen.Ihre EntwicklungbrauchtZeit unddiebreiteAkzeptanzin BevolkerungundWirtschaft.Um-sobedauerlicher ist es,wennbishererstwenigeInstitutio-nensich denFragennachdenAuswirkungendesdemo-grafischenWandelszugewandthaben.DabeizeigendiewenigenergriffenenInitiativen, dasses durchausHand-lungsspielra¨umegibt z.B. (7):

• die Aufbereitung und Weitergabevon Informationen,• die Hilfe zur erfahrungsbasierten und betriebsnahen

Qualifizierung,• die Beratungund Vermittlungvon Arbeitskraften,• die Zusammenarbeit etwa im Rahmenvon Regional-

initiativen,• die Überprufung und Anpassungvon uberbetriebli-

chenRegelungen.

Resçmee

Es ist das Verdienstdes Forschungsschwerpunkts „De-mografischerWandel und die Zukunft der Erwerbs-

arbeit“, dassheutenicht nur die Wirkungendesdemo-grafischenWandelsbessererkennbarsind, sonderndassauchbei allen AkteurenHandlungsmoglichkeitensicht-bar gewordensind. Die vielfach befurchtetenInnvoati-onsdefizitebei einer alterndenErwerbsbevo¨lkerung tre-ten keineswegszwangsla¨ufig ein. Auch das Argument,die demografischbedingtenProblemewurden ja erst in10 bis 15 Jahrenvirulent und fur einen solchenZeit-raum konnten weder Unternehmer, noch Wirtschafts-organisationen oder Arbeitskrafte planen,uberzeugtda-nachnicht (5).

Dennzur Verbesserungder Bedingungen fur eineal-ternsgerechte Bescha¨ftigung bedarf es nicht derartigerLangfristplanungen:Die Erhaltungder Arbeits- und In-novationsfa¨higkeit alteren Erwerbsta¨tiger hangt ent-scheidendvon dem heutigenArbeitseinsatz,der heuti-gen alternsgerechten Qualifizierung und der heutigenErmutigungund Hilfe zum alternsgerechten Tatigkeits-,Betriebs- und evtl. auch Berufswechselab. Hierfurmussmanjetzt handeln,nachgeeignetenArbeitsformenund Rahmenbedingungensuchensowie die Verantwor-tungsbereitschaft der Arbeitskrafte fur die Mitarbeit ander eigenenErwerbsbiografiestarken.

255H.WolffDemografischerWandelund Arbeitsmarkt

Literatur

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