Der gegenwärtige Stand der Theorie der Besteuerung

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  • Der gegenwrtige Stand der Theorie der BesteuerungAuthor(s): Richard A. MusgraveSource: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 39, H. 1 (1981), pp. 29-42Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/40911676 .Accessed: 17/06/2014 17:05

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  • Der gegenwartige Stand der Theorie der Besteuerung

    von

    Richard A. Musgrave*

    Die neuere Diskussion iiber die Theorie der Besteuerung braucht sich iiber einen Mangel an Aufmerksamkeit nicht zu beklagen. Von der Galerie des Olymp herab sehe ich Adam Smith leicht amiisiert lacheln iiber das neu entdeckte Interesse der mathematischen Theoretiker an der optimalen Besteue- rung. Hat er nicht selbst bereits gelehrt, daB die Besteuerung dem Volk nicht mehr nehmen soil, als der Staat bekommt? Neben ihm hore ich David Ricardo der neuen Generation junger Finanztheoretiker applaudieren, die die offentliche Verschwendung und die ruinosen Wirkungen der Besteuerung anprangern. John Stuart Mill murmelt mit Recht ,,Hab' ich es nicht schon immer gesagt", wahrend er die wachsende Vorliebe fur die Konsumbesteue- rung beobachtet. Adolph Wagner kann man befriedigt das zukiinftige Wachs- tum des Staatsanteils abschatzen sehen, befriedigt iiber die historische Bestati- gung seiner friiheren Prognosen. Pigou - nicht ganz so gliicklich - fiigt hinzu, daB die soziale Wohlfahrtsfunktion schlieBlich auch nicht viel besser sei als seine Opfertheorie. Ramsey - nur ein gelegentlicher Besucher des Steuerolymp - bemerkt bissig, daB er das alles schon vor fiinfzig Jahren gezeigt habe. In der Mittelloge thront das Triumvirat Schanz, Haig und Simons, etwas deprimiert dariiber, daB die Zeitlaufte ihnen nicht giinstig sind, aber voller Hoffnung auf bessere Tage. Und so geht es weiter. Die Wissenschaft entwickelt sich fort, nicht immer auf dem Pfad geradlinigen Fortschritts, aber am Ende gelangt sie, wie wir hoffen, doch zu ihrem Ziel.

    Der AnlaB, der uns heute hier zusammenfiihrt, ist ein Teil dieses Prozesses und vorziiglich geeignet, einige der Sachverhalte Revue passieren zu lassen, die neuerdings im Mittelpunkt der Debatte stehen. Im Laufe der Jahre haben die meisten davon in Neumarks Veroffentlichungen eine Rolle gespielt, und sie wurden auch von ihm mitgepragt. Noch viele Jahre hoffen wir von seinem Rat zu profltieren, wie wir es in der Vergangenheit stets getan haben.

    * Fur die Anfertigung der deutschen Fassung danke ich Helga Pollak und Herbert Geyer.

    2 Finanzarchiv N.F. 39 H.I.

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  • 30 Richard A. Musgrave

    I. Die Steuerbemessungsgrundlage: Einkommen versus Konsum

    Im Mittelpunkt der Steuertheorie steht die Idee der richtigen Steuerbemes- sungsgrundlage. Dies war schon bei Adam Smith' Steuergrundsatzen so und gilt ebenso fur die allerjiingsten Thesen der optimalen Besteuerung. Unsere Generation (wenn ich mich selbst hier zusammen mit Fritz Neumark, Ha- rold Groves, Carl Shoup, Richard Goode, Joseph Pechman und vielen anderen einschlieBen darf) war immer der Meinung, daB das Einkommen, umfassend als Gesamtzuwachs an Reinvermogen definiert, die beste Steuer- bemessungsgrundlage darstellt. Die Einkommensteuer wurde von uns stets als die offensichtlich gerechteste Steuer sowohl in horizontaler als auch in vertikaler Hinsicht angesehen. Das Einkommen, als Zuwachs an Reinvermogen definiert, ist der beste MaBstab fur die steuerliche Leistungsfahigkeit, und progressive Steuersatze und gewisse Abziige konnen dazu dienen, die Steuerschuld den personlichen Verhaltnissen des Steuerzahlers anzupassen. AuBerdem glauben wir, daB die Einkommensteuer neutraler und weniger ineffizient ist als die meisten anderen Steuern.

    Ungeachtet dieser Vorziige fragt man sich heute, ob das Zeitalter der Einkommensteuer nicht bereits seinen Hohepunkt uberschritten hat. Betrach- tet man die Entwicklung der Steuersystemstrukturen in den westlichen Lan- dern, so stellt man in der ersten Halfte des Jahrhunderts einen steilen Anstieg des Anteils der Einkommensteuer am Gesamtsteueraufkommen fest; danach ist eine Abflachung des Anstiegs und neuerdings sogar ein Riickgang zu be- merken. Ist die Krise des Steuerstaates, um Schumpeter zu variieren, als Krise des Einkommensteuerstaates wiederaufgelebt? DaB die Einkommensteuer in hohem MaBe fuhlbar ist, sollte als ein Vorzug gelten - darin werden alle Steuersachverstandigen ubereinstimmen -, obgleich sie dadurch nicht notwen- digerweise beliebt wird. DaB die Einkommensteuer den besten Ansatz fur eine progressive Besteuerung bietet, hat ebenfalls zu ihrem Ansehen in einer umver- teilungsorientierten Zeit beigetragen. Die Einkommensteuer war das Instru- ment des Wohlfahrtsstaats par excellence. Im veranderten Klima der siebziger und achtziger Jahre konnen einstige Vorzuge nun als Schwachen verstanden werden. Die Progression - zumindest die formale Tarifprogression - mag die gesellschaftlichen Vorstellungen uberschritten und sodann zu Steuerbegunsti- gungen verschiedener Art gefuhrt haben. Folglich wird die Einkommensteuer immer mehr wegen derjenigen Ungerechtigkeiten kritisiert, die sich aus diesen Steuerbegiinstigungen ergeben. Unter dem Aspekt der ,,tax expenditures" erweist sich die Einkommensteuer nicht als so attraktiv, wie die Theorie vermuten laBt. SchlieBlich ist, und ich werde noch spater darauf zuruckkom- men, die Einkommensteuer anfallig fur inflationsbedingte Verzerrungen.

    Solche Uberlegungen sind wichtig, aber nicht mein Hauptanliegen. Ich mochte vielmehr die Frage steilen, ob, abgesehen von all diesen Schwierigkei- ten, das Einkommen tatsdchlich der beste Indikator fur die steuerliche Leistungs- fahigkeit ist. Angenommen, man wahlt das Einkommen als Steuerobjekt, dann

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  • Der gegenwdrtige Stand der Theorie der Besteuerung 3 1

    stimmen wir wohl alle darin iiberein, wie es zu definieren ist, namlich als Gesamtzuwachs an Reinvermogen, und zwar unabhangig von der Zufalligkeit seiner Realisierung. Ist aber am Ende die Besteuerung des Konsums nicht die bessere Losung des Problems? Uberlegen wir zuerst, welche Steuer die groBere ,,excess burden" aufweist. Eine Einkommensteuer, die auch Zinseinkiinfte erfafit, verzerrt die Wahl zwischen gegenwartigem und zukunftigem Konsum, eine Konsumsteuer hingegen nicht. Bei flxiertem Verhaltnis zwischen Konsum und Freizeit ist die Konsumsteuer im Hinblick auf ihre Effizienz uberlegen. Dieses Verhaltnis ist jedoch nicht fixiert; deshalb gibt es a priori keinen Grund (und erst recht keinen empirischen Beweis) fur die Annahme, daB die Konsum- steuer effizienter sei. Aber selbst wenn es so ware, kann das Objekt der Besteuerung nicht nur unter Effizienzgesichtspunkten ausgewahlt werden. Auch Gerechtigkeitsaspekte sind zu beriicksichtigen. Sonst miiBten wir eigentlich alle der Meinung sein, daB die Kopfsteuer die ideale Steuer ist; Lehrbiicher der Finanzwissenschaft brauchten dann bedauerlicherweise weder geschrieben noch gelesen zu werden.

    Geht man aber vom Gerechtigkeitskriterium aus, ist dann die Einkommen- steuer wirklich besser? Horizontale Gerechtigkeit verlangt, daB Individuen in gleichen Verhaltnissen gleich behandelt werden, oder, was auf dasselbe hinaus- lauft, daB sich Individuen in gleichen Verhaltnissen vor Steuerzahlung auch nach Steuerzahlung in gleichen Verhaltnissen befinden sollen. Aber woran werden diese Verhaltnisse gemessen? Offensichtlich muB man auf irgendeinen Wohlfahrtsindikator Bezug nehmen. Wenn das Einkommen als ein solcher Indikator benutzt wird, dann ist die Einkommensbesteuerung angebracht. Wenn zwei Personen das gleiche Lohneinkommen haben, A jedoch spart und B nicht, dann erhalt nur A ein zusatzliches Zinseinkommen. Folglich zahlt nur A gerechtfertigterweise eine zusatzliche Steuer. Unter diesem Gesichtspunkt trifft John Stuart Mills Klage (die von vielen anderen einschlieBlich Irving Fisher wiederholt wurde) nicht zu, daB die Besteuerung von Zinseinkunften eine Doppelbesteuerung darstellt. Zinseinkommen ist zusatzliches Einkom- men; wiirde es nicht besteuert, ware das Lohneinkommen iiberbelastet. Warum sollte es eine Rolle spielen, ob der Vermogenszuwachs in Form von Lohn- oder Zinseinkunften erfolgt? Wenn uberhaupt, so verdiente das Lohneinkommen eine niedrigere Besteuerung, da sein Erwerb traditionell als muhevoller angese- hen wird.

    Soweit das traditionelle Pladoyer fur die Einkommensteuer, der ich mich zusammen mit Neumark und vielen anderen aus der Einkommensteuergenera- tion verschrieben hatte. Aber man kann die Dinge auch anders sehen. Der Einkommenserwerb ist nicht der Endzweck okonomischer Aktivitaten. End- zweck ist die Bediirfnisbefriedigung durch die Einkommensverwendung. Sollte der Wohlfahrtsindikator deshalb nicht besser durch die Wohlfahrt bestimmt werden, die aus der konsumtiven Einkommensverwendung resultiert? Zwei Personen, die mit gleichem Einkommen, definiert a la Schanz-Haig-Simons, anfangen, haben das gleiche Konsumpotential. Person A, die erst spart und

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    dann entspart, stellt fest, daB ihr Gesamtkonsum groBer ist als der von Person B, die ihr Einkommen sofort verbraucht. Der Gegenwartswert ihres Konsum- potentials ist jedoch gleich. Gleichfalls ausgedriickt in Gegenwartswerten, sollten sie dann auch die gleiche Steuer bezahlen. Dieses Ergebnis erzielt man durch eine Konsumsteuer, nicht aber durch eine Einkommensteuer. A 's Ge- samtsteuer ist zwar hoher, wird zum Teil jedoch spa ter entrichtet und hat daher den gleichen Gegenwartswert. Unter bestimmten vereinfachenden Annahmen kann dieses Ergebnis, vielleicht erstaunlicherweise, auch durch eine Steuer auf die Lohneinkunfte erzielt werden, z.B. durch eine Einkommensteuer, von der Zinseinkiinfte ausgenommen sind.

    In reiner Form ist diese Argumentation bestechend, aber sie trifft nur unter ziemlich unrealistischen Voraussetzungen zu. Vor allem muB man annehmen, daB das gesamte Einkommen wahrend der Lebenszeit verbraucht wird. Sobald Geschenke und Erbschaften moglich sind, mussen sie in die Bemessungsgrund- lage der Konsumsteuer einbezogen werden, da sonst die Regel ,,Gleichbehand- lung gleicher Konsummoglichkeiten" verletzt wird. AuBerdem mussen voll- kommene Kapitalmarkte und GewiBheit bezuglich der zeitlichen Verteilung der Einkommensstrome unterstellt werden. Weiterhin muBte die Besteuerung auf Lebenszeitbasis erfolgen, so daB friihere Steuerzahlungen bei einer Anderung der Steuersatze angepaBt werden miiBten. Auch waren erhebliche Ubergangs- probleme zu losen. SchlieBlich erfaBt weder die Einkommens- noch die Kon- sumbesteuerung die Freizeit. Beide Steuern erfullen daher nicht die Forderung, daB Personen mit gleichen Moglichkeiten bezuglich ihres Guter- plus Freizeit- konsums die gleiche Steuer bezahlen sollen. Individuen mit gleichen Lohnsat- zen, aber unterschiedlichen Freizeitpraferenzen sollten im perfekten System die gleichen Steuerbetrage entrichten.

    Soviel zu den grundlegenden theoretischen Fragen. Erganzend sind noch einige mehr praktische und sogar politische Aspekte des Problems zu erwah- nen. Ich zogere nicht, dies zu tun, denn ich befinde mich damit voll und ganz in Neumarks Tradition.

    Als erstes ist zu fragen, wie der Wechsel von der Einkommen- zur Konsum- steuer die Progression des Steuersystems beeinflussen wurde. Wie bereits gesagt, bot die Einkommensteuer den besten Ansatzpunkt fur die Steuerpro- gression, wahrend Konsumsteuern im groBen und ganzen regressiv gewesen sind. Dies wiirde sich andern, wenn die Konsumsteuer die Gestalt einer progressiven und subjektiven allgemeinen Ausgabensteuer annahme anstelle der objektiven Einzelhandelsumsatz- oder Mehrwertsteuern. Zumindest prinzi- piell kann eine allgemeine Ausgabensteuer ebenso progressiv ausgestaltet werden wie eine Einkommensteuer. Kaldors urspriinglicher Vorschlag ging tatsachlich in diese Richtung. Ich bezweifele aber, daB die Dinge sich so entwickeln wiirden, zumal Befurworter der Konsumbesteuerung mehr fur eine steuerliche Entlastung der Ersparnis bei der Einkommensteuer einzutreten scheinen als fur die konsequente Einfiihrung der KALDORschen Ausgaben- steuer.

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  • Der gegenwdrtige Stand der Theorie der Besteuerung 33

    AuBerdem ist es verlockend, aber irrefuhrend, wenn die gegenwartig ange- wandte Einkommensteuer mit all ihren Mangeln mit einer idealisierten und bislang unerprobten Ausgabensteuer verglichen wird. Einige Hauptschwierig- keiten mit der Einkommensteuer - vor allem die Behandlung der Vermdgens- wertzuwachse und der Abschreibungen - werden durch die Konsumsteuer sicherlich umgangen, ebenso wie das Problem der Integration der Besteuerung naturlicher und juristischer Personen. Aber es bleibt abzuwarten, welche neuen Schwierigkeiten bei der Ausgabensteuer auftauchen wurden, welche Schlupf- locher in Form von steuerfreiem Konsum sich auftun usw. Wie neuere Studien zeigen (Treasury's Blueprints, MEADE-Report und der jungste Brookings Ta- gungsband), beginnt man gerade erst, sich mit diesen Fragen zu beschaftigen. Letzten Endes hatte ich nichts dagegen einzuwenden, es einmal mit einer personlichen Ausgabensteuer zu versuchen, und zwar als partieller Ersatz fur und als Erganzung zur Einkommensteuer, allerdings nur in Verbindung mit einer Einkommensteuer mit erweiterter Bemessungsgrundlage. Ich bin aber dagegen, die Einkommensteuer durch eine Entlastung der Ersparnis zu verfal- schen.

    II. Inflation

    Die Einkommensteuer hat auch unter dem EinfluB der Inflation gelitten. Zum einen fuhrten Freibetrage und progressive Tarife, die sich auf die nomi- nale Einkommenshohe beziehen, zu steigenden effektiven Steuersa tzen in bezug auf das Realeinkommen. Nimmt man an, daB die Preise fur die staatlichen Giiterkaufe in demselben MaBe steigen wie das allgemeine Preisniveau, dann steigen die Einnahmen starker, als es fur die Aufrechterhaltung des realen Ausgabenniveaus notwendig ist. Dadurch wird die Regierung in die Lage versetzt, einen BudgetuberschuB zu bilden und einen Beitrag zur Inflations- bekampfung zu leisten. Wir haben es hier mit der traditionellen Rechtfertigung der ,,built-in flexibility" in Zeiten der Inflation zu tun. Dabei ist unterstellt, wie Neumark und andere betont haben, daB die gestiegenen Einnahmen sich nicht in steigenden Ausgaben niederschlagen - eine Annahme, die leider nicht so offensichtlich ist, wie die ,,Functional Finance" es darstellte. AuBerdem kann der effektive Anstieg der Steuersatze, der sich unter dem EinfluB der Inflation ergibt, den Progressionsverlauf in einer Weise andern, die gar nicht das Ergebnis einer diskretionaren Steueranderung gewesen ware. Aus diesen Grun- den wird der Tarifindexierung erhohte Aufmerksamkeit geschenkt. Bei hohen Inflationsraten wird eine solche MaBnahme unvermeidlich, aber auch bei schleichender Inflation spricht vieles dafur.

    Wahrend die Frage der Tarifindexierung relativ unproblematisch ist, ergeben sich schwierigere Fragen in bezug auf die Steuerbemessungsgrundlage. Diejeni- gen unter uns, die aus Grunden der steuerlichen Gerechtigkeit das Prinzip der Einkommensbesteuerung vertreten, miissen zweifellos zugeben, daB das Ein-

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    kommen in realen GroBen definiert werden miiBte. Wenn sich mein Lohnein- kommen parallel zu den Preisen verdoppelt, ist mein Realeinkommen gleich geblieben. Deswegen sollte mein realer Steuersatz unverandert bleiben. Bei proportionalen Steuersatzen ergibt sich dies von selbst - meine Steuerschuld verdoppelt sich mit dem Einkommen. Bei Lohneinkommen besteht das Pro- blem folglich nur in der bereits erwahnten Steuerprogression und in der Indexierung des Tarifs. Anders ist es bei Kapitaleinkunften und bei der Bewertung von Vermogensbestanden. Hier ergeben sich zwei weitere Schwie- rigkeiten : die Behandlung der Zinseinkiinfte und der Abschreibungen.

    Die Zinseinkiinfte des Gldubigers werden auf der Grundlage des Nominal- zinssatzes besteuert; tatsachlich sollte jedoch nur der reale Zinssatz (d.h. der Nominalzinssatz minus Inflationsrate) zugrunde gelegt werden. Oder, anders ausgedriickt, die Nominalverzinsung sollte zwar voll besteuert, die Verminde- rung des realen Vermdgens jedoch als negatives Einkommen abgezogen wer- den. Ohne solche Korrekturen konnte die nominate Besteuerung sehr wohl eine Realverzinsung zunichte machen oder gar mehr als das. Aus denselben Griin- den vermindert sich fur den Schuldner der Realwert seiner Verpflichtung; dieser Gewinn sollte seinem Einkommen zugeschlagen werden. Der Fiskus wurde auf der Glaubigerseite Einnahmen verlieren, auf der Schuldnerseite gewinnen.

    Die zweite Schwierigkeit ergibt sich aus der steuerlichen Behandlung der Abschreibungen. Werden die Abschreibungen auf die Anschaffungskosten be- zogen, so wird ihr Realwert durch die Inflation vermindert und dadurch der effektive Steuersatz erhoht. Besser als eine Verkurzung der Abschreibungs- periode ware hier eine Indexierung der Abschreibungsbasis. Werden die Ab- schreibungen dem Lebenshaltungskostenindex gemaB indexiert, dann muBten die Unternehmungen aber auch die Verminderung des Realwerts ihrer Netto- verschuldung ihrem Einkommen zuschlagen. Kombiniert man die beiden KorrekturmaBnahmen, so werden sich manche Unternehmen besser, manche schlechter stellen.

    Solche Anpassungen sind nicht einfach vorzunehmen, so daB die Verbreitung der Inflation mit zur Unzufriedenheit mit der Einkommensteuer beigetragen hat. Eine Ausgabensteuer hingegen verlangt keine Bewertung von Vermogens- gegenstanden ; sie ist daher gegen Inflationswirkungen auf die Steuerbemes- sungsgrundlage gefeit. Als einziges Problem bleibt die Tarifindexierung, die relativ einfach zu bewaltigen ist. Die Befurworter der Einkommensteuer haben deshalb ein besonders starkes Interesse an der Uberwindung der Inflation.

    III. Gerechtigkeit versus Effizienz

    Ein weiterer Trend in der neueren Besteuerungsliteratur ist die Verlagerung des Schwergewichts von Gerechtigkeits- zu Effizienzfragen. Unsere Generation von Steuertheoretikern - ich meine hier Neumark ebenso wie mich selbst - hat die Gerechtigkeitsaspekte besonders hervorgehoben. Dazu gehort das Postulat

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    eines progressiven oder zumindest nicht regressiven Steuersystems genauso wie die Forderung nach horizontaler steuerlicher Gleichbehandlung. Wahrend wir uns bewuBt sind, daB die Frage der Steuerprogression letzten Endes ein Werturteil impliziert (z.B. iiber die Gestalt der sozialen Wohlfahrtsfunktion), ist die horizontale Gerechtigkeit fur uns vollig unumstritten. Ausgehend vom Einkommen als Indikator der Leistungsfahigkeit steht fur uns in gleicher Weise fest, daB das Einkommen als Gesamtzuwachs an Reinvermogen zu definieren ist. Immer wieder - wenn auch mit wenig Erfolg in der praktischen Politik - haben wir gefordert, daB Vermdgenswertzuwachse als steuerpflichtiges Ein- kommen gelten sollen, gleichgiiltig ob sie realisiert sind oder nicht, daB die Korperschaftsteuer in ihrer klassischen Form abgeschafft und in die Einkom- mensteuer integriert werden soil, und so weiter und so fort. Wir haben mit all dem recht gehabt, und es gibt nichts zu bereuen. Steuerliche Gerechtigkeit ist von fundamentaler Bedeutung fur die Akzeptierung eines Steuersystems durch die breite Offentlichkeit und mehr noch fur die Legitimitat einer demokrati- schen Gesellschaft.

    Diese zentrale Beschaftigung mit der Gerechtigkeit hat uns aber EfFizienz- iiberlegungen etwas zu leicht nehmen lassen. Gleichbehandlung von A und B bedeutet genau genommen nicht, daB beide gleiche Steuerbetrage zu zahlen haben. Es sollte bedeuten, daB beide gleiche hasten zu tragen haben. Wird eine Wertsteuer auf Gut X erhoben, so mogen beide den gleichen Betrag fur X ausgeben und daher die gleiche Steuer zahlen. Ihre Ausgaben vor Einfiihrung dieser Steuer mogen jedoch unterschiedlich gewesen sein, so daB sie eine unterschiedliche Steuerlast tragen. Gleichbehandlung sollte bedeuten, daB die gesamte EinbuBe an Konsumentenrente, also die Summe aus dem Viereck und dem Dreieck unterhalb der Nachfragekurve, gleich ist. Dasselbe gilt fur den Verlust an Produzentenrente im Falle der Einkommensbesteuerung. Identifi- ziert man gleiche Steuerlasten mit gleichen Steuerbetragen, so unterstellt man identische Nutzenfunktionen, eine selbstverstandlich unrealistische Annahme.

    Ein gutes Steuersystem sollte jedoch nicht nur horizontale Gerechtigkeit in diesem erweiterten Sinn gewahrleisten, sondern auch das notwendige Steuer- aufkommen mit einer minimalen ,,excess burden" erbringen. Das ist bekannt- lich das zentrale Anliegen der sogenannten ,,optimal taxation"-Theorie. Dieser Ansatz laBt sich zuriickfuhren auf Pigous altbekannte Frage nach der effizien- testen Kombination von Einzelverbrauchsteuersatzen unter der Vorausset- zung, daB eine Besteuerung der Freizeit aus praktischen Griinden unmoglich ist. Ramsey ,,verordnete" dann Steuersatze, die zu einer prozentual gleichen Verminderung aller nachgefragten Giitermengen fiihren. Man hat damit eine Kombination von Einzelverbrauchsteuern gefunden, durch die ein bestimmter Steuerbetrag von einer bestimmten Person mit dem geringsten Wohlfahrtsver- lust erhoben werden kann. Nimmt man weiter an, daB alle Menschen ahnliche Nutzenfunktionen haben, kann man diese Losung verallgemeinern und eine optimale Steuersatzkombination festlegen, die fur alle gilt. Forderungen nach vertikaler Gerechtigkeit kann man durch Einfiihrung einer sozialen Wohl-

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    fahrtsfunktion beriicksichtigen ; die horizontale Gerechtigkeit jedoch fallt unter den Tisch, da annahmegemaB alle Menschen ahnliche Nutzenfunktionen haben. Das Prinzip der Gleichbehandlung Gleicher hat ja nur dann inhaltliche Bedeutung, wenn es Ungleiche gibt.

    Das HEGELsche Pendel schwingt also zuriick : Wahrend friiher die horizontale Gerechtigkeit auf Kosten von Effizienziiberlegungen betont wurde, steht jetzt die Effizienz zulasten der horizontalen Gerechtigkeit im Vordergrund. So wird z.B. vorgeschlagen, daB Erstverdiener hoher als Zweitverdiener besteuert werden sollen, da ihr Arbeitsangebot weniger elastisch ist; der Verbrauch von Salz sollte hoher besteuert werden als der von Speiseeis, weil die Nachfrage nach Salz weniger elastisch ist. Individuen mit gleichen okonomischen Mog- lichkeiten sehen sich also mit verschiedenen Steuerbetragen konfrontiert. Die sich ergebenden Differenzen sind so bestimmt, daB die ,,excess burden" minimiert wird. Sobald man unterschiedliche Nutzenfunktionen zulaBt, sind diese Differenzen aber nicht dieselben, die zur Herstellung der horizontalen Gerechtigkeit notwendig waren. Es gibt hier also einen Konflikt zwischen Zielsetzungen. Dieser Konflikt kann nur dadurch gelost werden, daB man die horizontale Gerechtigkeit als ein ,,soziales Gut" in die soziale Wohlfahrtsfunk- tion einfiigt. Nur dann wird die Besteuerung wirklich optimal.

    IV. Besteuerung und Wachstum

    Eine weitere, heiB umstrittene Frage der aktuellen Diskussion betrifft den EinfluB der Steuerpolitik auf das wirtschaftliche Wachstum. Insbesondere in den Vereinigten Staaten rangiert dieses Problem mittlerweile an erster Stelle. Rein theoretisch herrscht die Auffassung vor, daB eine Steuer auf Zinseinkom- men die Sparrate unter ihr optimales Niveau druckt, da die Sparer im Optimum ihre Zeitpraferenzrate dem Nettozinssatz (Zinssatz nach Steuerabfuhrung) anpassen, wahrend die sozial optimale Zeitpraferenzrate - sie entspricht der Realertragsrate - mit dem Bruttozinssatz ubereinstimmen miiBte. Nimmt man ferner an, daB die geplanten Investitionen automatisch der ex ante-Ersparnis entsprechen, dann verursacht ein zu geringes Sparvolumen eine zu niedrige Investitionsrate. Dieses Problem konnte behoben werden, so wird argumen- tiert, wenn man zu einer Konsumsteuer iiberginge. Eine andere Auffassung besagt, daB das Problem des unzureichenden Wachstums nicht so sehr bei der verminderten Ersparnis als bei den unzureichenden Investitionsanreizen zu suchen ist und daB die Gewinnbesteuerung durch ihren negativen EinfluB auf die Nettoertragsrate die Investitionsanreize ubermaBig beeintrachtigt.

    Fur die Steuerpolitik ist es ein erheblicher Unterschied, ob man der einen oder der anderen Auffassung zuneigt. Falls die Ersparnis zu gering ist, kann man dem Problem durch vermehrte private und offentliche Ersparnis begeg- nen. Zumindest theoretisch gibt es aber keinen Grund, nur um Sparanreize zu schaffen, das Prinzip der ,,comprehensive tax base" im Rahmen der Einkom-

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    mensbesteuerung aufzugeben. Das gewiinschte Sparniveau konnte auch durch einen geanderten ,, policy mix" angestrebt werden, indem die Fiskalpolitik rigider und die Geldpolitik lockerer gehandhabt wird. Natiirlich unterscheiden sich die Verteilungswirkungen beider Strategien. Im Falle der steuerlichen Sparanreize in der Bundesrepublik Deutschland (die, wie ich gehort habe, (iberwiegend dem Bausparen gelten), kommen die Vorteile eher den unteren und mittleren Einkommensschichten zugute als in den Vereinigten Staaten, wo steuerliche Anreize zum Hausbau oder -erwerb durch die Abzugsfahigkeit von Hypothekenzinsen vom zu versteuernden Einkommen gewahrt werden. Schwieriger gestaltet sich freilich das Problem, wenn man der anderen Auffas- sung zuneigt, wonach die Investitionen zu gering ausfallen. Zielt man vornehm- lich auf private Investitionstatigkeit ab, kann der Effekt steuerlicher MaBnah- men nicht ohne weiteres durch eine geanderte Zusammensetzung von Fiskal- und Geldpolitik kompensiert werden. Man muB in diesem Falle steuerliche Investitionsanreize schaffen. Dabei entsteht jedoch die Frage, wie man dies ohne Verzerrungen der Investitionsentscheidungen und mit der geringsten EinbuBe an steuerlicher Gerechtigkeit erreichen kann. Die Diskussion iiber eine in diesem Sinne neutrale Steuerpolitik konzentriert sich auf die komparati- ven Vorteile von degressiven Abschreibungen, Investitionsabziigen und Sonderab- schreibungen. Die richtige Losung scheint darin zu liegen, fur einen gewissen Teil der Investitionskosten eine sofortige Abschreibungsmoglichkeit einzurau- men und den Rest auf die okonomische Lebensdauer des Investitionsprojekts zu verteilen. Allerdings kann die Theorie der steuerlichen Investitionsanreize nicht besser sein als die zugrundeliegende Theorie iiber das Investitionsverhal- ten. Wie auf fast alien Gebieten der Steuertheorie orientieren sich derzeit auch hier die theoretischen Uberlegungen am Konzept vollkommener Kapitalmarkte und gewinnmaximierender Investoren. Sowohl Marktunvollkommenheiten als auch die Frage, ob Investitionsentscheidungen durch das Management oder durch die Kapitaleigner getroffen werden, finden bei diesen Uberlegungen kaum Berucksichtigung. Hinzu kommt, daB dem Verlustausgleich und dem Risikoverhalten in der aktuellen Diskussion keine Bedeutung mehr beigemes- sen wird. Das gilt auch fur die einstige und jetzt weitgehend iibersehene Erkenntnis, daB eine Gewinnbesteuerung nicht unbedingt die Investitionstatig- keit beeintrachtigt, sofern ein vollstandiger steuerlicher Verlustausgleich einge- raumt wird. Demgegeniiber richtet sich in jiingster Zeit das Interesse wiederum auf die Theorie der Finanzmarkte, die auch fur die Analyse der Steuerwirkun- gen Hilfestellungen erwarten laBt. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Hypothese, daB marginale Investitionsentscheidungen der Kapitalgesellschaf- ten von den Kosten des Fremd- und nicht des Eigenkapitals abhangig sind. Da Schuldzinsen vom steuerpflichtigen Einkommen abzugsfahig sind, hatte in diesem Falle eine Gewinnbesteuerung keinen nennenswerten EinfluB auf mar- ginale Investitionsentscheidungen.

    Trotz alledem gibt es offenbar einen grundsdtzlichen Konflikt zwischen steuer- lichen Investitionsanreizen und pr ogres siver Besteuerung. Das ist dem Umstand

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    zuzuschreiben, daB Investitionsentscheidungen iiberwiegend von Beziehern hoher Einkommen getroffen werden und damit die Anreizwirkungen von dem fur sie hohen Marginalsteuersatz abhangen. Deshalb hat die Diskussion iiber steuerliche Anreize auch eine erhebliche politische Dimension, zumal bislang kaum Bemiihungen zu beobachten sind, neue Methoden steuerlicher Anreize zu entwickeln, die diesen Grundkonflikt minimieren konnten. Es wird immer wieder behauptet, daB jedermann daran gelegen sein musse, Investitionsanreize zu schaffen, da von den Vorteilen einer erhohten Produktivitat jedermann profitiere. So wahr diese Behauptung auch sein mag, es bleibt trotzdem die weitere Frage, wer die Kosten (gemessen an der gestiegenen Steuerlast) tragen soil. Strittig sind auch die Meinungen dariiber, in welchem MaBe Unterschiede im Produktivitatswachstum in verschiedenen Landern tatsachlich dem EinfluB der Steuerpolitik zuzuschreiben sind - eine komplizierte Frage, die ich hier nicht weiterverfolgen will.

    V. Inzidenztheorie

    Die Inzidenz der Besteuerung nimmt, schon seit Quesnay, einen hervorra- genden Platz in der Steuertheorie ein und soil deshalb auch in diesem Uberblick nicht fehlen. Tatsachlich war die steuerliche Inzidenzlehre entweder der wich- tigste Gegenstand der okonomischen Theorienbildung, wie etwa bei Smith und Ricardo, oder zumindest ein beliebter Tummelplatz fur theoretische Exerzi- tien, wie bei Cournot, Edgeworth und Marshall. Die Geschichte der Inzidenztheorie ist weithin eine Geschichte der allgemeinen okonomischen Theorie. Es kann daher nicht verwundern, daB in neueren Beitragen zur Inzidenztheorie allgemeine Gleichgewichtsmodelle, Wachstumsmodelle und okonometrische Modelle Verwendung finden.

    Die Grundaussage der Inzidenztheorie im klassischen Modell war denkbar einfach. Arbeit, die nur mit dem Existenzminimum entlohnt wird, kann nicht besteuert werden. Dasselbe gilt fur Giiter des Grundbedarfs, deren Konsum zur Erhaltung der Arbeitskraft dient. Luxusgiiter und okonomische Renten sind daher die wesentlichen Steuerquellen, wobei Gewinne nur mit der Folge stagnierenden Wachstums besteuert werden konnen, bis schlieBlich ein statio- narer Zustand erreicht wird. Mit dem Ersatz dieser einfachen Theorie durch die Grenzproduktivitatstheorie der Faktorentlohnung verschwammen auch die eindeutigen Aussagen uber die Inzidenz verschiedener Steuerarten. In der Folgezeit begann man, unvollkommene Markte in die Betrachtung einzubezie- hen, und damit verlagerte sich der Interessenschwerpunkt auf mehr partialana- lytische Fragestellungen. Die in jungster Zeit zu beobachtende Riickwendung zu allgemeinen Gleichgewichtskonzepten hat sicherlich ihre Vorteile, wobei die neueren Einsichten in die Inzidenz der Grund- und Korperschaftsteuer beson- ders hervorragen. Allgemeine Gleichgewichtsmodelle basieren jedoch in aller Regel auf der Annahme eines vollstandigen Konkurrenzsystems und gewinn-

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  • Der gegenwdrtige Stand der Theorie der Besteuerung 39

    maximierenden Verhaltens. Nur auf der Grundlage dieser vereinfachenden Annahmen lassen sich die Ergebnisse der allgemeinen Gleichgewichtsanalyse relativ einfach ableiten. Modelle vom HARBERGER-Typ zur Inzidenz der Korperschaft- und Grundsteuer sind deshalb dann und nur dann von Wert, falls die in ihnen unterstellte Pramisse vollkommener Kapitalmarkte tatsach- lich zutrifft. Der Vorteil von Partialmodellen liegt darin, daB sie es gestatten, alternative Marktstrukturen leichter zu beriicksichtigen. Das halte ich fur sehr wichtig.

    Ferner findet man neuerdings in der Inzidenztheorie Anwendungen neoklas- sischer Wachstumsmodelle. Das Augenmerk richtet sich dabei auf die langfri- stige Inzidenz von Steuern auf Kapitaleinkiinfte und Ersparnisse verglichen mit Steuern auf Lohneinkiinfte und Konsumausgaben. In gewisser Weise bedeutet dies eine Riickkehr zur RiCARDiANischen Tradition, heute natiirlich auf der Grundlage einer neuen Verteilungstheorie. Steuern, die die Kapitalbildung und das okonomische Wachstum beeintrachtigen, fuhren auch zu einer Verringe- rung der Faktoreinkiinfte. Unterstellt man eine CoBB-DouGLAS-Produktions- funktion, so werden alle Faktoranteile in gleicher Weise belastet. Ersetzt man daher eine Steuer auf Kapitaleinkunfte durch eine Steuer auf Lohneinkiinfte, profitieren davon die Lohneinkommensbezieher zwar kurzfristig, langfristig kann sich jedoch ein verringerter Netto-Lohnsatz einstellen. Im Rahmen eines einfachen Modells vom SoLOW-Typ ist die gleichgewichtige Wachstumsrate des Einkommens weiterhin eine Funktion der Wachstumsrate des Arbeitsange- bots, und zwar unabhangig von der verwendeten Steuerart.

    Auch dies ist wieder eine interessante Erweiterung der Inzidenztheorie. Doch vieles hangt davon ab, wie schnell sich die Anpassungsprozesse vollziehen, wie weit der in Frage kommende politische Planungshorizont bemessen sein soil und ob die Inzidenz in Veranderungen der relativen Anteile oder der absoluten Betrage ausgedriickt wird. Und wie bereits oben festgestellt, ist auch die Inzidenztheorie nicht besser als die ihr zugrundeliegende okonomische Theorie. M.E. stellt die neoklassische Wachstumstheorie eine notwendige Anderung des kurzfristigen keynesianischen Modells mit konstantem Kapitalstock dar. Doch ich bin nicht sehr gliicklich damit, die Moglichkeit eines variierenden Kapital- stocks verkniipft zu sehen mit der neoklassischen Annahme eines vollstandig flexiblen und stetig funktionierenden Systems.

    Am meistversprechenden sind vielleicht die neueren Versuche, aus Simulatio- nen von okonometrischen Modellen Erkenntnisse iiber die Steuerinzidenz zu gewinnen. Wiederum konnen die Ergebnisse nicht besser sein als die zugrunde- liegenden Modelle. Und auch mit der Simulationstechnik ist man erst am Anfang. Die anfanglichen Versuche unterstellten noch meist fixe Produktions- koeffizienten und beriicksichtigten nur sehr grob die Nachfrage- und Angebots- elastizita ten. Dariiber hinaus sind auch sie kurzfristiger Natur und unterstellen vollstandige Markte. Ihre ersten Ergebnisse sollte man daher nicht allzu ernst nehmen. Immerhin, der Versuch ist gutzuheiBen. Der okonometrische Ansatz hat gegeniiber den friiheren empirischen Ansatzen zur Abschatzung der Inzi-

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  • 40 Richard A. Musgrave

    denz, wie sie etwa von Pechman und mir unternommen wurden, den Vorteil, daB er es ermoglicht, sowohl die von der Entstehungs- als auch die von der Verwendungsseite ausgehenden Wirkungen zu erfassen und ihre Interaktion in einem allgemeinen Gleichgewichtssystem aufzuzeigen. Gleichzeitig haben aber diese Modelle den Nachteil, daB sich mit ihnen keine alternativen Annahmen iiber die Inzidenz in unterschiedlichen Marktstrukturen testen lassen. Wir haben versucht, einen Vergleich der beiden Ansatze anzustellen; wie es scheint, unterscheiden sie sich weniger als erwartet.

    Nicht vergessen werden darf die Erweiterung der Inzidenzanalyse um die Ausgabenseite der Budgetpolitik. Das ist sicherlich ein notwendiger Schritt. Unser Interesse an den primaren Verteilungswirkungen der Staatsaktivitat gilt letztlich immer dem Netto-Effekt, d.h. dem fiskalischen Residuum aus Steuer- belastung und Ausgabenvorteilen. Bei Transferzahlungen ist es offenkundig: Als negative Steuern ist ihre Inzidenz in gleicher Weise zu behandeln wie die Inzidenz der Steuern. Analog zur Theorie der Steueriiberwalzung konnte man fur sie auch eine Theorie der ,,Transfererheischung" (benefit snatching) entwik- keln. Wesentliche Verteilungsanderungen gehen in der Tat auf Transferzahlun- gen und nicht auf Steuern zuriick, da Transferzahlungen iiberwiegend den Beziehern geringer Einkiinfte zugute kommen, wahrend die Steuern insgesamt nahezu proportional verteilt sind. Ein vollstandiges Bild erhalt man freilich nur unter EinschluB der dffentlichen Dienstleistungen. Bei diesen sind Inzidenzaus- sagen weit weniger eindeutig. Zunachst muB man die Vorteile personell zurechnen, und dann verbleibt noch das Problem ihrer Bewertung. Sollte man sie nach ihren Entstehungskosten oder danach bewerten, was die NutznieBer dafur zu bezahlen bereit waren? Unterstellt man letzteres, ist der gesamte Verteilungseffekt der Staatsaktivitat weniger redistributiv als unter der ersten Annahme (einer Bewertung nach Entstehungskosten).

    VI. Besteuerung und die Theorie der dffentlichen Gtiter

    Damit komme ich zu einem anderen Thema, das zumindest erwahnt werden sollte, namlich zum Verhaltnis der Theorie der Besteuerung zur Theorie der offentlichen Giiter. Unglucklicherweise ist die Verbindung zwischen beiden Theorien in der Entwicklung der Theorie offentlicher Giiter nach Wicksell ganz oder wenigstens zum groBten Teil verlorengegangen. Die Theorie offent- licher Giiter in der SAMUELSONschen Formulierung hat sich iiberwiegend mit den Effizienzbedingungen fur die Bereitstellung dieser Giiter beschaftigt. Das war eine wichtige Erweiterung des Konzepts der PARETO-Optimalitat und ist fur die moderne Finanztheorie von wesentlicher Bedeutung. Aber mit der Annahme eines allwissenden Planers, der die Allokation der Ressourcen de novo vornimmt und mit alien Informationen beziiglich der individuellen Praferenzen ausgestattet ist, verweist uns dieser Ansatz auf eine Finanztheorie, in der die Moglichkeit von Budgetplanung und Besteuerung nicht vorkommt.

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  • Der gegenwdrtige Stand der Theorie der Besteuerung 41

    Dieses Modell vernachlassigt mit anderen Worten die Funktion der Besteue- rung im Sinne eines Instruments zur Losung des Free-Rider-Problems und zur Offenlegung der Praferenzen. Wicksell und Lindahl waren sich dieser Funk- tion der Steuern wohl bewuBt, und ich habe versucht, ihre Denkrichtung weiter zu verfolgen, indem ich die Theorie der offentlichen Giiter einer realistischeren Situation angcpafit habe. In diesem Zusammenhang betrachte ich meine Unterscheidung zwischen der Allokations- und Distributionsfunktion des Bud- gets noch immer als analytisch gultig und konzeptionell fruchtbar. Eine Theorie der offentlichen Ausgaben und Steuern fur das Budget der Alloka- tionsabteilung verlangt natiirlich eine Theorie der Besteuerung nach dem Aqui- valenzprinzip, und es bleibt noch viel zu tun, um eine derartige Theorie zu entwickeln. Neuere Versuche, ein gegen falsche Praferenzangaben abgesicher- tes Wahlsystem zu entwickeln, die sogenannte CLARKE-Steuer, bedeuten einen interessanten Schritt in diese Richtung.

    VII. Internationale Aspekte

    Zum AbschluB noch ein Wort zu den internationalen Aspekten der Steuer- theorie. Auch auf diesem Gebiet waren Neumarks Beitrage von entscheidender Bedeutung. Die Beschaftigung mit den internationalen Beziigen der Steuer- theorie ist in den letzten Jahren enorm gestiegen. Es handelt sich dabei insbesondere um (1) Probleme der steuerpolitischen Integration im Gemeinsa- men Markt und (2) die gestiegene Bedeutung internationaler Kapitalstrome. Besonders der zweite Punkt wird nach wie vor lebhaft diskutiert.

    Zunachst jedoch zu der Integration oder Harmonisierung der Steuerpolitik im Gemeinsamen Markt. Im Anfangsstadium der Diskussion wurde besonderer Nachdruck auf die Harmonisierung der Verbrauchsteuern gelegt. Analysiert man dieses Problem im Rahmen fester Wechselkurse, so konnen Steuern nach dem Ursprungslandprinzip mit Hilfe von Exportruckvergutungen in Steuern nach dem Bestimmungslandprinzip umgewandelt werden, um Verzerrungen des Warenhandels zu vermeiden. Dies erfordert jedoch die Aufrechterhaltung von Steuergrenzen, ein Ubel, das man gerade im Gemeinsamen Markt mit seinem einheitlichen AuBenzoll abschaffen wollte. Als eine Losung wurde dann die Harmonisierung der Mehrwertsteuer angestrebt, obwohl damit eine gewisse Einschrankung der politischen Gestaltungsfreiheit der Mitgliedslander verbun- den ist. Dieser ProzeB ist bereits weit fortgeschritten. Gleichzeitig verlor jedoch die stillschweigende Voraussetzung fester Wechselkurse an praktischer Bedeu- tung. Unterstellt man als anderes Extrem ein System vollkommen flexibler Wechselkurse, waren Exportruckvergutungen unangebracht. Sofern Steuern nach dem Ursprungslandprinzip nicht zwischen Inlandsumsatzen und Expor- ten diskriminieren, treten keine storenden Wirkungen auf die Wahl des Pro- duktionsstandortes auf.

    Die steuerliche Behandlung von Einkiinften aus Auslandsinvestitionen ist nach

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  • 42 Richard A. Musgrave

    wie vor Gegenstand heftiger Kontroversen. Zunachst erhebt sich die Frage, wie Neutralitat in bezug auf die Richtung der Kapitalstrome erzielt werden kann. Stellt man sich auf den Standpunkt weltweiter Effizienz, besteht die Losung in der Anrechnung auslandischer Steuern, so daB Einwohner des Landes A, die im Land B investieren, in B entrichtete Steuern gegen ihre Steuerschuld in A aufrechnen konnen. Betrachtet man hingegen die Effizienz aus der Sicht des kapitalexportierenden Landes, ist ein Steuerfreibetrag besser geeignet als eine Steueranrechnung. Der Grund dafur ist, daB dadurch das Bruttoeinkommen im Wohnsitzland mit dem Nettoeinkommen im Investitionsland marginal ausgeglichen wird. Eine Steueraussetzung, obwohl allgemein angewendet, ist mit Effizienzgesichtspunkten nicht vereinbar, ganz abgesehen vom Problem der Steueroasen, das dadurch geschaffen wird. Weitere, sehr komplizierte Proble- me entstehen beziiglich der Zuordnung von steuerpflichtigem Einkommen zu den Ursprungslandern, wenn sich die Geschaftstatigkeit von Unternehmen auf mehrere Lander erstreckt.

    Unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten stellt sich angesichts der internationa- len Verflechtungen die Frage, ob das Prinzip der Gleichbehandlung Gleicher auf die weltweiten Steuerverpflichtungen ausgedehnt werden oder sich nur auf die Steuerverpflichtungen im Wohnsitzland beziehen sollte. AuBerdem taucht das neue und schwierige Problem der Gerechtigkeit zwischen Staaten auf. Die Aufteilung der Steuerbemessungsgrundlagen auf Wohnsitzland und Ur- sprungsland ist fur die interstaatliche Einkommensverteilung von enormer Bedeutung; dieser Aspekt wurde bisher nur auf sehr pragmatische Weise behandelt. Uberhaupt nimmt die Komplexitat vieler Probleme der Steuer- theorie, die sich in einer geschlossenen Wirtschaft relativ einfach darstellen, ganz auBerordentlich zu, wenn man sie im internationalen Rahmen betrachtet. Es ist natiirlich leicht zu sagen, daB eine verniinftige Besteuerung der Einkiinfte aus Auslandsinvestitionen ein internationales Besteuerungssystem fur Kapital- einkiinfte erforderlich macht, aber ein solches System ist leider nicht in Sicht.

    Ich konnte diesen Uberblick iiber die neueren Fragen der Steuertheorie noch lange fortsetzen, muB aber nun zum Ende kommen. Es gibt gewiB keinen Mangel an Problemen und hoffentlich auch keinen Mangel an Losungen. In diesem Sinne sollte Neumarks Beitrag zur Finanzwissenschaft schon heute nicht nur daran gemessen werden, was er bereits bewirkt hat, sondern auch am diskontierten Wert (wohlgemerkt steuerfrei!) des Beitrags seiner heutigen und friiheren Arbeiten zu den wissenschaftlichen Auseinandersetzungen der Zu- kunft.

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    Article Contentsp. [29]p. 30p. 31p. 32p. 33p. 34p. 35p. 36p. 37p. 38p. 39p. 40p. 41p. 42

    Issue Table of ContentsFinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 39, H. 1 (1981), pp. 1-184Front MatterVorwortAnsprache eines Mitgliedes der frheren Fakultt [pp. 1-10]Fritz Neumark, Teacher and Reformer: A Turkish View [pp. 11-19]Fritz Neumark Nestor und Mentor der deutschen Finanzwissenschaft [pp. 20-28]Der gegenwrtige Stand der Theorie der Besteuerung [pp. 29-42]Model Building and Fiscal Policy: Then and Now [pp. 43-52]Steuerausflle und Steuerkredite: Ein Beitrag zur Zahlungsmoral der Steuerzahler [pp. 53-73]Ignorance and Merit Wants [pp. 74-78]Risiko-, Gewinn- und Finanzstrukturentwicklung in der Bundesrepublik: Anmerkungen zu den Diagnosen des Sachverstndigenrats [pp. 79-98]Zur Bedeutung von Abwasserabgabe und Entwsserungsgebhren fr die Effizienz der kommunalen Entwsserung [pp. 99-133]Kinder- und Alterslastenausgleich bei abnehmender Bevlkerung: Ein Diskussionsbeitrag [pp. 134-147]LiteraturPublic Expenditure Growth [pp. 148-157]ffentliche Finanzwirtschaft und Verteilung [pp. 158-164]

    BesprechungenReview: untitled [pp. 165-166]Review: untitled [pp. 166-169]Review: untitled [pp. 169-169]Review: untitled [pp. 170-171]Review: untitled [pp. 171-173]Review: untitled [pp. 173-175]Review: untitled [pp. 175-176]Review: untitled [pp. 176-177]Review: untitled [pp. 178-178]Review: untitled [pp. 178-179]Review: untitled [pp. 180-181]Review: untitled [pp. 181-183]Review: untitled [pp. 183-184]

    Back Matter