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Der Gesang des Lebens

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Nr. 1575

Der Gesang des Lebens

Ein Meistersänger kehrt zurück -und ein Sotho spinnt Intrigen

von Robert Feldhoff

Den ehemaligen Zellaktivatorträgern läuft die Zeit davon. Jedenfalls wissen sie imFrühjahr 1173 NGZ längst, daß die ihnen von ES zugestandene Lebensspanne dra-stisch verkürzt wurde. Schuld daran ist offenbar der gestörte Zeitsinn der Superintelli-genz, die, wie man inzwischen weiß, einen schweren Schock davongetragen hat.

Sowohl den Planeten Wanderer als auch den Zugang zu ES zu finden, um der Su-perintelligenz zu helfen, darum bemühen sich Perry Rhodan und seine Gefährten seitlangem. Denn nur wenn sie erfolgreich sind, können sie hoffen, ihre lebenserhalten-den Geräte, die inzwischen den Besitzer gewechselt haben, zurückzuerhalten.

Gegenwärtig finden die Bemühungen unserer Protagonisten an zwei Schauplätzenstatt. Während Perry Rhodan, Atlan und Gucky Andromeda bereisen, wo ES in derVergangenheit deutliche Zeichen gesetzt hat, sind Alaska Saedelaere und Siela Cor-rel, sowie Salaam Siin und Stalker quasi als Vorauskommando der ROBIN in Estartuunterwegs, um von der Superintelligenz gleichen Namens etwas über ES zu erfah-ren.

Während die beiden vom Medo-Schiff MUTTER in große Schwierigkeiten geraten,kommen Stalker und Salaam Siin gut voran. Der Meistersänger erregt jedoch Aufse-hen - er komponiert den GESANG DES LEBENS …

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Die Hautpersonen des Romans:Salaam Siin - Der Ophaler in seiner Heimat Stalker - Der Ex-Sotho spinnt wieder Intrigen QionLanaa - Panish Panisha von Mardakaan Vogan Dool - Ein Singlehrer von Zaatur

1.

Rückblick: Die Sterne.Billionen strahlend heller, verschiedenfar-

biger Punkte … Ein paar davon hatte er ausder Nahe gesehen und bewundert. Zu eini-gen hatte er eine Beziehung entwickelt, diezu definieren ihm unmöglich war, andereSysteme wiederum waren nur Durchgangs-station gewesen. Doch der Anblick der Ster-ne in ihrer Gesamtheit war etwas, das seinHerz oft heftig pochen ließ. Dann richtete erseine Sehknospen auf immer neue, fernePunkte und stellte sich vor, dort existiere Le-ben.

Ja, das Leben …Neben den Sternen das zweite große

Wunder, das das Universum denen bot, diees durchstreiften. Immer dort, wo Sterne imgesamten Wellenspektrum ihre Strahlungausschütteten, wo es Licht, Warme und Pla-neten gab, entstand die Voraussetzung fürLeben. Eine Voraussetzung, die nur allzuselten genutzt wurde. Das Chaos stand jederOrganisation entgegen.

Aber das Universum war groß. Ver-schwendung war sein Prinzip. Und immerblieb genügend übrig, immer wieder ent-stand allen Widrigkeiten zum Trotz derKeim, aus dem Leben wachsen konnte. Aussolchen Prozessen war auch seine Rasse her-vorgegangen, dachte Salaam Siin. Der Ur-schlamm, die erste Zelle, die erste Melodie.Wo immer Ordnung entstand, trachtete siedanach, sich zu vermehren.

Salaam Sun ließ einen klagenden Mollak-kord verklingen.

Rings um die HARMONIE funkelten inall ihrer Pracht die Sterne von Estartu unddie Sterne anderer, weit entfernter Galaxien.So viel Krieg herrschte dort draußen. Nam-baq siwa, der Gesang des Todes, erfüllteselbst den Raum zwischen den Planeten. Er

wünschte, er hatte all die Intelligenzen hier-her auf die obere Plattform der HARMONIEmitnehmen, und ihnen den Sternenhimmelzeigen können. Dann, so dachte er, mußteder Krieg ein Ende nehmen.

Dann hatte der Kosmische Gesang eineneue Melodie Salaam Siin war ein Träumer.Ein einsamer Träumer zumal, den in diesenMinuten nichts aus seiner Versunkenheitschreckte. Manchmal war er sicher, daß erden Kosmischen Gesang geradezu hörenkonnte; und einen solchen Moment erlebteer nun. Was wäre, wenn er dem Gesang desTodes einen Gesang des Lebens entgegen-setzte? Wurde das eine Änderung bewirken?

Nicht, solange er am Leben war. Auchnicht, solange ES und ESTARTU, die bei-den Superintelligenzen, ihre Reiche regier-ten. Aber irgendwann in ferner Zukunft, sostellte sich der Meistersänger vor, mußte dieSaat einer Lebensmelodie aufgehen. Dannwußten alle um das Wunder. Dann waren al-le den Sternen und dem Leben nahe.

Dann wäre der Krieg unmöglich gewor-den. Nicht, weil jeder um die Konsequenzenwußte, weil die Wesen Verständnis für ihreNachbarn entwickelt hatten. Sondern weildann jeder die Sehnsucht in sich trug.

Eine fürchterliche Stimme war es, die ihnaus seiner selbst gewählten Versunkenheitriß. Die Stimme sprach Sothalk, die Spracheder Ewigen Krieger von Estartu. Die Kriegerexistierten zwar nicht mehr, soviel wußtensie, doch keiner konnte genau sagen, wieviele vom früheren Unterdrückungssystemin den zwölf Galaxien überlebt hatten.

Sothalk war eine harte Sprache.Die Laute klangen barbarisch. In den lan-

gen Jahren, die er mit den Menschen und inder Milchstraße verbracht hatte, war er viel-fältiger Schönheit begegnet. Aber die Spra-che der Krieger drückte hauptsächlich Ge-walt aus. Viele Worte für den Krieg, abernur wenige für Ethik oder Kunst. Und den-

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noch war es die Sprache, in der er frühereinmal gesungen hatte. Früher … Als er aufMardakaan die Singschule Nambicu ara wa-da gegründet hatte.

Aber das war lange her, mehr als sieben-hundert Jahre.

Niemand außer den Computerspeichernwürde dort mehr seinen Namen kennen.Oder doch? Hatte die kurze Zeit seines Wir-kens genug Eindruck hinterlassen, daß manihn zu den Großen Sängern erhoben hatte?Dann wären seine Kompositionen heute Be-standteil dessen, was jeder ophalische Sän-ger oftmals zu hören bekam; ein Teil dergroßen Lehrstücke, wieder und wieder auf-geführt in den Akustikdomen.

»Hörst du mir überhaupt zu, Salaam Siin?Einmal mußt du mir verzeihen! Einmal mußtdu einsehen, daß ich nur getan habe, wozuman mich gezwungen hat! Erinnerst du dichan den langen Flug mit der ROBIN? Vonder Milchstraße bis vor die Tore von Estar-tu?«

»Ich erinnere mich gut«, sang er gegenseinen Willen.

»Dann weißt du, wie ich behandelt wur-de! Ständig wurde ich mit Mißtrauen ver-folgt! War es da ein Wunder, daß ich be-gann, mich zu wehren? Man nennt micheinen Intriganten. Aber das ist nicht wahr.Ich bin lediglich einer, der interpretiert!«

Salaam Siin wandte müde den Kopf, derauf einem langen, ausfahrbaren Hals saß.Seine Augenknospen richteten sich auf dieGestalt, die vor ihm stand. Stalker, mit vol-lem Namen Sotho Tal Ker, hatte die un-schuldigste Miene aufgesetzt, die seinem ge-panzerten Drachengesicht mit den Dreieck-saugen zur Verfügung stand.

Und Salaam Siin wäre beinahe darauf her-eingefallen.

»Du bist ein Meister der Verdrehung«,antwortete er mit aufkommendem Zorn.»Manchmal glaube ich, die Lüge ist deinezweite Natur. Selbst wenn du mit der Wahr-heit an dein Ziel kämst, du würdest dennochden Umweg über die Lüge wählen.«

Wuchtige Baßtöne durchsetzten seinen

Gesang, und er steuerte die psionische Kom-ponente so, daß ein leichter Überzeugungs-effekt entstand. Jedes andere Lebewesenhätte mit Reue und Verständnis reagiert.Nicht so Stalker - der andere drehte denSpieß einfach um, weil er gegen psionischeImpulse immun war. Der Sotho erzeugteSchuldbewußtsein in ihm, dem Sänger.

Es war das erste Mal seit dem 15. Dezem-ber 1172 NGZ, daß sich Salaam Siin zu ei-ner Diskussion mit Stalker hinreißen ließ.Seit dem Datum, da Stalker versucht hatte,die ROBIN mit Alaska Saedelaere, RonaldTekener und Dao-Lin-H'ay an Bord zu ka-pern. Der Plan war fehlgeschlagen, doch alsErsatz hatte Stalker die HARMONIE kapernkönnen. Und seitdem waren die zwei unter-wegs nach Estartu. Salaam Siin war der Pi-lot, und Stalker war der Kapitän. Ein ophali-scher Meistersänger lebte für den Frieden.Selbst wenn er um sein Schiff hätte kämpfenwollen, er hätte nur verloren. Daher herrsch-te zwischen ihnen beiden ein Status quo. Sa-laam Siin widersetzte sich nicht, doch ersprach weder gern mit Stalker, noch half erihm.

Stalker breitete die knochigen Arme aus.»Habe ich dir je etwas zuleide getan, Sän-

ger? Nein! Gewiß, ich habe den Kurs be-stimmt. Aber war es nicht auch dein Ziel,die zwölf Galaxien zu erreichen? Wenn dieROBIN und MUTTER ankommen, werdensie ziellos umherfliegen. Wenn wir dagegenda sind, steuern wir geradewegs aufs Zielzu. Bedenke, wer ich bin! Ein naher Ver-trauter der Superintelligenz ESTARTU!«

»Ach!«Salaam Siin ließ einen höhnischen Ak-

kord folgen, dann eine verspielte Melodie,die in einer fürchterlichen Dissonanz endete.Mit anderen Worten, er glaubte dem Sothokeine einzige Silbe.

»Seit wann bist du ein Vertrauter ESTAR-TUS? Du wirst nicht erwarten, daß ich michderart täuschen lasse!«

»O doch«, erklärte Stalker feierlich.»Denn es handelt sich nicht um eine Täu-schung. Es ist wahr, ich habe mich am

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Shant-Tor nicht als Sotho, sondern als Pte-rus zu erkennen gegeben. Daraufhin nahmman uns beide fest. Dieser Fehler aber ent-springt ganz anderen Motiven, als du denkst.Ich wußte sehr wohl über die Rolle der Pte-rus nach dem Fall der Ewigen Krieger Be-scheid. Aber nur eine Zeitlang … Um genauzu sein, etwa zweihundert Jahre. Währenddieser Zeit war ich für ESTARTU tätig.«

»Ach!« höhnte Salaam Siin. Er glaubtekein Wort. Dazu kannte er den Intrigantenzu gut. »Aber das erklärt noch immer nichtdeinen Fehler.«

Stalker tat gekränkt. »Bedenke, daß ichmehr als fünfhundert Jahre abwesend war.Ich habe damit gerechnet, daß die Pteruswieder in ihre ursprünglich tragende Rollehineinwachsen. Außerdem, was hätte ich tunsollen? Ich sehe nun mal wie ein Pterusaus.«

»Das ist wahr.«»Und der Lebensweg eines Sothos geht

einen kleinen Tormeister nichts an. Liebernahm ich eine gewisse Verzögerung inKauf. Du kannst dich von meiner Ehrenhaf-tigkeit überzeugen, sobald wir in den zwölfGalaxien sind. Dann suchen wir ESTARTU.Ich werde uns nach dem Transfer durch dasCharimchar-Tor nicht nur ein Permit besor-gen, das uns den Zutritt zum Dunklen Him-mel gewährt, ich werde dir auch eine Ge-schichte erzählen …«

»Eine Lügengeschichte?«»Diesmal die reine Wahrheit. Ich schwöre

es. Du, Meistersänger, bist der erste, der vonmeinen Taten nach dem Untergang des Krie-gerkults hören soll. Aber dafür verlange ichetwas von dir, Salaam Siin!«

Der Ophaler wackelte nachdenklich mitdem Kopf. Seine Sinnesknospen warensämtlich auf den Sotho gerichtet, der vorihm als Ausbund an Glaubwürdigkeit zu er-scheinen versuchte.

Und in sich spürte Salaam Siin plötzlicheine so überwältigende Neugierde, daß ernicht anders konnte. Eine Geschichte Stal-kers wäre auch eine Geschichte der zwölfGalaxien.

»Der Handel gilt«, sang er. »Nenne deineForderung!«

»Es ist fast nichts.« Sotho Tal Ker zeigteüberdeutlich seine Freude; er war das We-sen, dem man nichts übelnehmen konnte.Der, der sein Leben lang Ränke geschmiedethatte und noch am Leben war, obwohl erimmer die Brennpunkte der Gefahr gesuchthatte. »Du wirst mir meine Bitte leicht erfül-len können, Sänger«, beteuerte er. »Ichmöchte nur, daß du aus freien Stücken mitmir zusammenarbeitest. Ich will noch eineWeile länger den Kurs der HARMONIE be-stimmen - trotzdem aber sind wir zwei Ver-bündete, gleichberechtigte Partner! Wir flie-gen einige markante Punkte in Estartu an.Das wird auch für dich von höchstem Inter-esse sein.«

»Welche Punkte?«»Zunächst die Galaxis Muun. Muun ist

die Heimat der Pterus, also indirekt auchmeine. Ich will wissen, was aus ihnen ge-worden ist.«

»Mir würde Siom Som eher passen«, gabSalaam Siin mit einer ironischen Melodiezurück. »Das wäre meine Heimat.«

Stalker ließ sich nicht provozieren. »Dusollst deinen Willen bekommen«, meinte ergroßmütig, und setzte hinzu: »Nachdem wirMuun besucht haben. Nur dort bekommenwir das Permit für den Zugang zum DunklenHimmel. Übrigens war ich derjenige, der da-für gesorgt hat, daß viele ophalische Sing-schulen in Muun angesiedelt wurden … Wirwerden beide Ziele miteinander verbinden.Die Singschulen von Muun interessierendich doch?«

Salaam Siin stieß einen überraschten Ak-kord aus.

»Das ist nicht wahr!« rief er.»Doch. Eine der größten davon steht auf

dem Planeten Leenaia, der unser erstes Zielsein wird.«

Der Meistersänger dachte lange nach. EinSotho Tal Ker verteilte keine Geschenke,das wußte er genau. Die Singschulen jeden-falls waren bestenfalls ein Köder für ihn, derso lange keinen seiner Rasse mehr gesehen

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hatte.»Und warum das?« fragte er.Stalker zeigte eine Art menschliches

Grinsen. »Auf keinen Fall«, so erklärte er,»will ich dir die Spannung nehmen. Um sogrößer wird die Freude sein.«

Salaam Siin war gewiß nicht das, was dieMenschen einen Dummkopf nannten. Ab-warten, dachte er, bis sie die wahren Tönehören. Und noch etwas fiel ihm ein. Es wa-ren die Worte, die Stalker direkt nach derKaperung der HARMONIE zu ihm gesagthatte. Ich hätte mich aufrichtiger verhaltensollen. Dann hätte ich mich viel früher aufden Weg machen können. Aber es ist andersgekommen, und es hat viel mehr Spaß ge-macht.

Niemand verstand es wie Stalker, dieGrenze zwischen Lüge und Wahrheit zu ver-wischen. Er mußte auf der Hut sein.

In der Zentrale der HARMONIE warteteder Nakk Taruane mit seinen beidenKampfrobotern.

Das Shant-Tor in der Galaxis Vilameschhatte sie zunächst ins Chargonchar-Tor,dann hierher zum Charimchar-Tor abge-strahlt. Alle drei Stationen bildeten Teil-stücke einer Transmitterstrecke zwischenEstartu und der Milchstraße, und der Nakkhatte die Aufgabe gehabt, sie sicher durchdie Tore zu lotsen. Schon früher, zur Zeitdes Kriegerkults, hatten Nakken die Heraldi-schen Tore gesteuert. Aber Taruane war,noch mehr: Er war ein Wächter. Stalker warfdem Schneckenwesen immer öfter wütendeBlicke zu. Ihm - und den beiden Robotern,die unbeweglich im Hintergrund der Zentra-le standen.

Taruane ruderte mit den metallenen Ar-men seiner Sprech-Sicht-Maske. »Ich habeeine Nachricht für dich«, sagte er.

Salaam Siin blieb stehen. Die künstlichenGeräusche, die der Nakk von sich gab, belei-digten sein Klangempfinden. »Ich höre.«

»Tormeister Alophos wünscht dich zu se-hen. Nur dich, nicht den Pterus.«

»Ich werde kommen«, sang er.Noch in derselben Stunde brach er auf.

Die HARMONIE stand in einem der zahllo-sen Hangars des Charimchar-Tores. Drau-ßen zweigten aus einer Halle mehr als einDutzend Gänge ab. In einem solchen Bau-werk konnte man sich leicht verlaufen, aberüberall an den Wänden fand er Hinweis-schilder in Sothalk; er richtete sich konse-quent nach dem Symbol, das für »obersteFührung« stand.

Das Innere des Tores barst vor Leben. Esgab sogar Märkte, farbenfrohe Passagen undFreizeitparks. Erst kurz vor dem Ziel hieltendrei Vogelwesen ihn an. Es waren Somer.Sie bildeten das Hauptvolk der Galaxis SiomSom, und außerdem unterstand ihnen dieLeitung der Heraldischen Tore.

»Wohin willst du?«»Zu Alophos!« sang Salaam Sun. Er legte

in seine Worte so viel psionische Unterma-lung, daß keiner der Somer auf die Ideekam, etwas daran wäre nicht Rechtens.

»Laßt ihn«, raunte das eine der Vogelwe-sen. »Seht ihr nicht, daß er ein Ophaler ist?Er macht keinen Ärger.«

Salaam Siin ging unbehelligt weiter. EinSekretär brachte ihn direkt zum Tormeister.

»Ich grüße dich, Alophos!«Vor ihm stand ein hochgewachsener So-

mer, der sich besonders durch die Farbe sei-nes Kopfflaums von seinen Artgenossen un-terschied. Kein Dunkelgrau oder Hellgrau;statt dessen zog sich ein weißer Streifendurch tiefes Schwarz. Die Färbung ist künst-lich, dachte Salaam Siin. Vielleicht ein Zei-chen von Eitelkeit.

»Ah … Ich grüße dich ebenfalls, SalaamSiin! Es ist schön, deinen Gesang zu hören.«

»Das freut mich.«»Ich sage das nicht ohne Grund. Du bist

mit dem Pterus unterwegs, der sich Stalkernennt. Das ist schlechte Gesellschaft! MeinRat lautet: Trenne dich von ihm! Aber ichhabe dir so etwas nicht zu sagen.«

»Warum hast du mich dann kommen las-sen?«

»Weil ich dir etwas geben will. Ab soforterhält dein Schiff von mir ein Permit für dasCharimchar-Tor. Die HARMONIE darf uns

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verlassen, wann immer ihr wollt.«»Und was ist mit Taruane?«»Er bleibt selbstverständlich an Bord. Der

Tormeister des Absantha-Tors wird dannentscheiden, wie es weitergeht.«

»Das Absantha-Tor«, meinte der Meister-sänger. Die Melodie, in die er das Wort klei-dete, klang ebenso wehmütig wie hoffnungs-froh. »Dieses Tor liegt bereits in Estartu,nicht wahr?«

»Ja. In der nördlichen Peripherie von Ab-santha-Gom. Hier ist dein Permit. Gib dieDaten in die Syntronik deines Schiffes ein!«

Alophos warf dem Ophaler einen kleinenSpeicherkristall zu. Salaam Siin fing ihn ge-schickt mit drei Greifbüscheln auf, dann ver-staute er den kleinen Schatz in einer Tascheseines Anzugs.

»Stalker! Es kann losgehen!«Sotho Tal Ker kam wie der Blitz herange-

schossen. Es war immer wieder erstaunlichanzusehen, welche Energien in dem gepan-zerten Körper steckten.

»Wie meinst du das, Freund?«Der Meistersänger pfiff absichtlich schief.

»Freunde sind wir noch lange nicht. Partner,vielleicht. Aber zur Sache: Ich habe ein Per-mit von Alophos bekommen. Es steckt be-reits in der Syntronik. Wir können jederzeitaufbrechen. Das wird dich freuen, nichtwahr?«

»Meine Freude ist so groß wie meine Eh-renhaftigkeit«, versicherte der Pterus-Klonallen Ernstes.

Ob die Doppeldeutigkeit seiner Worteihm überhaupt auffiel, wußte Salaam Siinnicht, doch er hatte nicht die Absicht, sichjetzt noch mit Nebensächlichkeiten aufzu-halten. Der Sänger suchte ohne Stalker dieZentrale auf. Von dort aus gab er der Syn-tronik Befehl, das Abflugmanöver vorzube-reiten.

Seine nachdenklichen Blicke galten Ta-ruane. Der Nakk wußte mit Sicherheit überdas Permit Bescheid; aber er zeigte nichtsdavon. Nakken waren anders als alle Wesensonst. Sie dachten in fünfdimensionalen Be-reichen. Man mußte sich jedesmal wundern,

wenn sie sich mit den Belangen der»Niederen« abgaben, und Taruane bildete dakeine Ausnahme.

»Ein Anruf geht ein«, meldete die Syntro-nik. »Von MUTTER!«

»Durchstellen!« befahl Salaam Siin auf-geregt.

Das Medoschiff MUTTER mit Alaska Sa-edelaere und Siela Correl an Bord war ihnendie ganze Zeit gefolgt. Sie alle wollten nachEstartu. Die einen auf der Suche nach derSuperintelligenz, die ES helfen sollte, Sa-laam Siin im Grunde von Heimweh getrie-ben. Und Stalker? Was war das Motiv desSothos?

Auf dem großen Bildschirm erschienplötzlich Siela Correl.

»Ich grüße dich!« sang der Ophaler er-freut. »Ich hoffe, ihr werdet gut behandelt.Oder braucht ihr Hilfe?«

»Hilfe nicht«, meinte Sie. »Aber wie wärees mit Zusammenarbeit?«

Salaam Siin blies den Membrankranz, deram Ansatz seines Halses saß, zu einer Folgeschuldbewußter Töne auf. »Keine Zusam-menarbeit«, sang er. »Leider.«

»Wegen Stalker?«»Ich bin nicht mehr seine Geisel. Wir sind

Partner geworden.«»Partner?« fragte Siela Correl abfällig zu-

rück. »Man kann nicht der Partner diesesSothos sein. Nur sein Werkzeug. Niemandist mehr.«

Im Grunde hat sie recht, dachte SalaamSiin, und er würde es keine Sekunde langvergessen. Dennoch sagte er: »Ich habe vor,mit ihm zuerst in die Galaxis Muun unddann zu meinem Volk in der Eastside vonSiom Som zu fliegen.«

Der Meistersänger spürte den Drang, sichzu rechtfertigen. Doch je länger er sang, de-sto weniger gelang es ihm. Immerhin verein-barten sie für später einen Treffpunkt; Mar-dakaan oder Zaatur, auf einer dieser Weltenwürden sie sich wiedersehen.

Dann schaute er argwöhnisch den NakkenTaruane an. Woran lag es, daß dem Medo-schiff MUTTER so viele Schwierigkeiten

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gemacht wurden? Wirklich nur daran, daßAlaska und Siela Gorims waren, Fremde inEstartu? Oder hatten die Nakken aus derMilchstraße mit ihren hiesigen ArtgenossenKontakt aufgenommen? Wußten Taruaneund die anderen, was die Terraner bezweck-ten?

Aber Salaam Siin hatte keine Möglich-keit, ungehört zu sprechen.

»Ich warne euch vor den Nakken!« rief erdeshalb nur. »Seht euch vor!«

Der Meistersänger eröffnete ihr und Alas-ka gegen seine Absicht noch, daß sie einPermit erhalten hatten, dann unterbrach erdie Verbindung. Mehr gab es nicht zu sagen.

In diesem Augenblick betrat Stalker dieZentrale.

»Kann es losgehen?« fragte der Pterus-Klon. Er hatte zur Feier des Tages seine vol-le Kleidung angelegt. Die Kombination warwulstig und wirkte um seine knochigenGlieder aufgeplustert, darum geschlungenhatte er Stoffbahnen in Grün, Rot, Gelb undBlau. Auf seinem Kopf waren die Bahnen zueinem Kranz zusammengeknotet.

»Wir sind soweit«, antwortete Salaam Si-in.

Keiner von Stalkers Blicken entging ihm;besonders nicht die in Richtung Taruane undder Roboter. Aber Stalker stand nur reglosda und beobachtete, was sich tat. Sein Kno-chenkopf drehte sich mehrmals um dreihun-dertsechzig Grad vor und zurück, so als wol-le er alle genau im Auge behalten.

Salaam Siin steuerte die HARMONIE ausdem Hangar hinaus in den freien Raum. AufBild- und Orterschirmen erkannte er dasganze Ausmaß des Charimchar-Tors-, dasriesige Dreieck mit dem kreisförmigenTransmitterfeld darüber.

Dennoch wählte er einen Kurs, der zu-nächst einmal vom Tor wegführte.

»Was ist los?« wollte Stalker wissen.»Warum hältst du uns auf, Sänger?«

»Weil etwa zwei Dutzend Schiffe vor unsan der Reihe sind«, gab der Ophaler mit ei-ner ungeduldigen Melodie zurück. »Ichschließe mich ans Ende der Warteschleife

an.«»Wozu?« meinte Stalker arrogant. »Wir

haben ein Permit.«»Das haben die anderen auch.«Darauf gab der andere keine Antwort

mehr. Es dauerte knapp zwei Stunden, bissie an der Reihe waren. Zwischendurch sen-dete das Tor nicht nur, sondern es empfingüber Distanzen von vier Millionen Lichtjah-ren mehrmals Raumschiffe. Gut zu sehen,daß das Tor einwandfrei funktionierte. Sa-laam Siin hatte wenig Lust, auf ewig imHyperraum festzuhängen.

Endlich war es soweit.»Wir haben den Impuls erhalten«, sang

der Ophaler. »Es geht los. - Taruane! Si-cherst du den Transfer ab?«

Salaam Siin drehte sich zu demSchneckenwesen um, das aus dem Hinter-grund jede Aktion zu beobachten schien.Doch der Nakk schwieg; und der Sängerhatte auch keine Antwort erwartet. Das ehe-malige Netzgängerschiff HARMONIE nahmlangsam Fahrt auf. Dort vorn öffnete sichdas kreisrunde Feld, das sie gleich durchflie-gen würden. Drei Minuten bis dahin.

Und in dieser Sekunde geschah es.Stalker begann, Stück um Stück an Tarua-

ne heranzurücken. Dann aber explodierte derPterus-Klon förmlich. Er beschleunigteschneller, als Salaam Siin es selbst mit ei-nem Kampfanzug geschafft hätte, undsprang mit den Beinen voran auf Taruanezu.

Der Nakk bewegte sich nicht.Er hätte auch keine Zeit dazu gehabt,

ebensowenig wie Salaam Siin. Fürchterli-cher Lärm erfüllte einen Atemzug lang dieZentrale. Und im nächsten Augenblick sahder Ophaler, daß Taruane noch am Lebenwar, daß aber der erste seiner Roboter alsverbeulter Haufen Schrott am Boden lag.

Der zweite fand noch Gelegenheit, seineWaffenarme anzuheben. Ein Schuß jedochlöste sich nicht. Stalker war über dem Ro-bot, bevor Salaam Siin noch begriffen hatte,was geschah. Die gegeneinander bewegli-chen Knorpel des Klons verschoben sich wie

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rasend; die gelb glühenden Augäpfel tanztenauf und ab. Und kurz darauf lagen beide Ro-boter funktionsunfähig nebeneinander.

»Was …«Stalker hörte nicht. Der ehemalige Sotho

griff sich Taruane, als wiege der massigeNakk nicht mehr als eine Feder. Mit seinerLast raste der Pterus-Klon zum Antigrav-schacht.

Salaam Siin stand sekundenlang wie vomDonner gerührt. Dann erst stürzte er vor undschaute in den Schacht hinein. Stalker kehrtebereits zurück - und zwar allein.

»Was hast du getan?« pfiff Salaam Siinfassungslos.

»Ich habe Taruane vom Schiff entfernt.«Stalker wirkte blasiert und selbstzufrieden;er ließ sich anmerken, wie sehr der Kampfihm Freude bereitet hatte. »Jetzt sind wir dielästige Aufsicht los.«

»Hast du ihn getötet?«»Nein. Nur aus dem Schiff geworfen. Sei-

ne Rüstung verfügt über Sauerstoff, er wirdnicht sterben. Auf, Sänger! Verschwindenwir, bevor die Verbindung abgeschaltetwird! Dann würden wir in Schwierigkeitengeraten, fürchte ich.«

»Die du provoziert hast!« antwortete derOphaler mit einem zornigen Paukenschlag.

»Zweifellos! Aber es war notwendig. -Schluß jetzt! Beschleunigung! Bevor es zuspät ist!«

Salaam Siin hatte keine Wahl. Die HAR-MONIE schoß mit höchster Triebwerkslei-stung nach vorn. In meisterhafter Manierhatte der Klon vollendete Tatsachen ge-schaffen.

Am meisten taten ihm Alaska Saedelaereund Siela Correl leid. Für die beiden wurdees jetzt noch schwerer.

Und da vorn war auch schon das Feld.Ein paar hundert Meter Abstand, ständig

schrumpfend. Plötzlich riß ein Traktorfelddas scheibenförmige, vierzig Meter durch-messende Schiff heran. Den eigentlichenTransmittervorgang spürten sie nicht einmal.Salaam Siin hatte nur das Gefühl, eine Se-kunde lang neben sich zu stehen, dann er-

reichten sie das Ziel.Auf den Schirmen erschien ein Abbild des

Absantha-Tors. Es handelte sich um ein rie-siges, sternförmiges Gebilde aus goldgelbemMaterial. Sosehr ihn der Anblick sonst inEuphorie versetzt hätte - diesmal fühlte sichSalaam Siin bedroht. Dies war Estartu! DasOogh-System im Reich der zwölf Galaxien!Und sie betraten es als Gejagte.

»Vergiß nicht, Sänger«, säuselte SothoTal Ker, »daß Alophos schon in diesem Au-genblick mit dem hiesigen Tormeister Kon-takt aufnehmen könnte.«

Den Rest ließ Stalker offen.Aber Salaam Siin hatte auch so verstan-

den, denn Sekunden später formierte sich ei-ne Abfangflotte. Die HARMONIE jedochnutzte ihre Ausgangsgeschwindigkeit. DasSchiff beschleunigte mit höchsten Werten,und Sekunden später riß der Metagrav es inden Hyperraum. Sie hatten es geschafft.

2.

Stalker berichtet.»In zwölf Galaxien brach alles zusam-

men, was vorher in Zehntausenden von Jah-ren geschaffen wurde … Die Zeit der Ewi-gen Krieger neigte sich ihrem Ende zu. Undich, der ich vom Sotho Tyg Ian besiegt undzum Krüppel geschlagen worden war, kehrtestill und leise nach Estartu zurück. Es warnicht meine Absicht, erkannt zu werden. EinSotho hätte damals nicht hoch im Kurs ge-standen. Und ich wollte Gutes bewirken, ichwollte helfen, die Völker der Galaxien aufden rechten Weg zu bringen.

Daher wählte ich die Arbeit im Hinter-grund; so, wie es meine Art ist.

Zunächst bereiste ich alle zwölf Galaxien.Die Wunder waren in erbärmlichem Zu-stand. Einige waren vernichtet, andere inAuflösung begriffen. Die Heraldischen Torevon Siom Som, die Orphischen Labyrinthevon Trovenoor … Was war geblieben vonder einstigen Herrlichkeit? In Absantha-Shad die Stygischen Netzfischer, dann derReigen der singenden, tanzenden Module

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von Syllagar. Nie wieder habe ich die Stro-boskopischen Danaiden von Mujadjh gese-hen, ebensowenig die Smaragdenen Schlüs-selmonde von Palcaquar. Und was ist dieGalaxis Urumbar ohne die Goldregenma-cher? Erendyra ohne seine Elysischen Rin-ge? Ich sage dir, Salaam Siin, diese Reisewar schmerzlich für mich.

Nichts blieb übrig von den Wundern Est-artus.

Jedenfalls war das der erste Anschein.Denn die Heraldischen Tore von Siom Somließen sich nach einem Umbau weiterhin alsTransmitteranlagen verwenden, auch wenndie Kalmenzone allmählich erloschen war.Und die Verlorenen Geschenke der Hesperi-den zogen noch immer durch Muun.

Zunächst aber blieb mir keine Zeit, michdarum zu kümmern.

Als letzter der Ewigen Krieger war Ijarkoram Leben geblieben. Er wurde das Werk-zeug, dessen ich mich bedienen wollte. Ichließ Ijarkor in die Galaxis Muun ziehen undim Interesse der Völker wirken. Denn be-denke, Meistersänger: Alles war im Unter-gang begriffen. Und nur wenige stemmtensich anfangs dem entgegen. Es fehlte anRaumschiffen und an Organisation. In allerBescheidenheit darf ich sagen, daß es mir zuverdanken ist, wenn die zwölf Galaxiennicht dem Untergang anheimfielen.

Ijarkor siedelte - auf meine Initiative hin!- die Ophaler als Helfer in Muun an. DieSänger wirkten auf die Wesen ein, aufzu-bauen, nicht zu zerstören. Und mit ihrer Hil-fe scheiterte auch der Versuch der Singuva,die Macht zu übernehmen. Die Singuvawurden in einer langen Zeit der Irrungenund des Krieges verfolgt und vernichtet.

Bald begannen wir, zum Wiederaufbaudie Verlorenen Geschenke einzusetzen. Ijar-kor spürte eine Scheu davor, doch er hattenicht die Kraft, sich meinen Ratschlägen zuwidersetzen. Er war das Aushängeschild, ichder Denker im Hintergrund. Lediglich derDesotho Veth Leburian stellte eine Heraus-forderung für mich dar. Doch wir standenauf derselben Seite, und ich mußte die Zeit

für mich arbeiten lassen, um auch ihn zu ei-nem Helfer und Befehlsempfänger zu degra-dieren. Zu einem wichtigen, mächtigen Hel-fer allerdings. Der Desotho wurde zumSymbol für die neue Zeit.

Ich aber war der wahre Erbe der Superin-telligenz ESTARTU!

Ijarkor starb. Die letzten Jahre seines Le-bens hatte er schon als Dichter und Sängerdie Galaxien bereist. Die öffentliche Reprä-sentation verlagerte ich folglich zunehmendauf den Desotho und auf die Ophaler undSomer. Letztere wurden von mir für ihreneue Aufgabe auserwählt. Die Pterus hieltich zurück. Man mißtraute ihnen; das zu be-heben gelang nicht einmal mir. Aber ich leg-te den Keim, um für spätere Zeiten eine Än-derung herbeizuführen. Nun, wie wir amShant-Tor sehen mußten, ist diese Saat nichtaufgegangen. Jedenfalls nicht bei den So-mern.

Mein getreuer Boradyn hat damals ver-sagt.

Veth warf mir vor, daß meine persönlicheMacht ins Unermeßliche wuchs. Aber dasstimmte nicht. Ich habe die Verlorenen Ge-schenke der Hesperiden allein zum Wohl derzwölf Galaxien genutzt. Leburian konnte dasnicht glauben. Er wollte es nicht. DasSchicksal des KLOTZES ist das beste Bei-spiel für seine Wankelmütigkeit. Er war einNiemand gegen mich.

In jener Zeit kehrte ESTARTU zurück.Sie gab mir einen Auftrag, aber sie folgteauch gleichzeitig dem Willen des Desothos.Ich trat eine weite Reise an, war Botschafterund Spion zugleich. Meine erste Station wardie Milchstraße, die ich von einem undurch-dringlichen Wall umschlossen vorfand. Un-durchdringlichkeit jedoch ist ein Begriff,den ich niemals akzeptieren kann. Alsonutzte ich die Macht der Verlorenen Ge-schenke, um mir Zutritt zu verschaffen. Fürspätere Gelegenheiten legte ich mehrere De-pots an, wo ich High-Tech aus Muun lager-te. Es kam mir zustatten, daß ich mir in denPterus, Ophalern und Somern wertvolleFreunde herangezogen hatte.

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Ich schuf in der Milchstraße eine Macht-basis, deren Position nur mir allein bekanntwar. Diese Mittel waren es nun, die mir er-laubten, Monos auf die Spur zu kommen.Existierte eine Verbindung zu ES und EST-ARTU? Noch wußte ich es nicht. Aber ichfand heraus, daß der Erzeuger Monos' mitTaurec identisch war, einem Wesen von jen-seits der Materiequellen. Darüber kannst dunicht viel wissen, Meistersänger. Aber glau-be mir, daß hier selbst das Ende meinerMachtmittel gekommen war. Niemand for-dert ungestraft die Kosmokraten heraus.

Die Barriere um die Milchstraße blieb be-stehen. ESTARTU jedoch fühlte eine Ver-bundenheit zu den Völkern dieser Galaxis.So, wie diese versucht hatten, ihr beizuste-hen, stand nun ESTARTU den Völkern bei.Kannst du das erfassen, Salaam Siin? Wärees nicht wichtiger gewesen, ESTARTU hättesich nach ihrem Erwachen allein um die ei-gene Mächtigkeitsballung gekümmert? Wel-che Großmut, welche Dankbarkeit steckthinter ihrem überaus weisen Verhalten! Inder Abwesenheit von ES sandte sie einenmächtigen Helfer in die Milchstraße. DieserHelfer war ich, und der Kampf gegen dieUnterdrückung war im Grunde mein Werk.

Ja, Salaam Siin. Nun bist du der erste, derum die wahren Hintergrunde weiß. Du bisterstaunt? Zu Recht, sage ich, denn nun mußtdu Abbitte leisten. Stalker, der Intrigant,hieß es immer nur. Dabei müßte man michStalker, den Retter, nennen …«

3.

Gegenwart:Was die 1,5 Millionen Lichtjahre lange

Reise nach Muun so interessant machte, wa-ren Stalkers Erzählungen. Zwar konnte sichSalaam Siin denken, daß nicht alles darinder Wahrheit entsprach. So leichtgläubigwar er nicht mehr. Doch wenn man nur dieHälfte stehen ließ, ergab sich noch immerein imposantes Bild.

Leider fehlten die letzten fünfhundert Jah-re. Seit der Rückkehr der Superintelligenz

ESTARTU mußte sich viel verändert haben.Denn jetzt hatte Salaam Siin erstmals einenkonkreten Hinweis darauf gehört, daß EST-ARTU zurückgekehrt war. Die Expeditionder Galaktiker hatte demnach Aussicht aufErfolg. Nur eines war ihm noch unklar: Stal-ker hatte versprochen, ein Permit zur Reisenach Etustar zu besorgen. Was aber wollteder Pterus-Klon wirklich von der Superintel-ligenz? Sein Interesse an ES nahm SalaamSiin dem anderen nicht ab.

Und noch etwas bereitete Salaam SiinKopfzerbrechen.

Je näher sie Muun und dem Planeten Lee-naia rückten, desto unruhiger wurde Stalker.An sich war daran nichts Besonderes, dochin diesem Fall entsprang die Unruhe einertiefen Angst, die Stalker zu verbergen such-te. Der Ophaler bemerkte es trotzdem, seinGespür war fein entwickelt.

Warum diese Angst?Was verbarg Stalker noch?Er verließ die Zentrale und hockte sich

auf den oberen Schüsselrand seines Schiffes.Die Projektoren vermittelten ihm ein Bildendloser Wüstenlandschaft, in deren Mitte ersitzen und einfach ausruhen konnte. Nebenihm begann ein ausgetretener Pfad, dereinen Kilometer entfernt irgendwo in denHügeln endete.

Salaam Siin sang den tiefsten Ton, densein Membrankranz hervorzubringen im-stande war. Sekunden später fielen die Psi-Projektoren der HARMONIE ein. Aus derStille entstand der Gesang eines ophalischenChores. Es handelte sich um eine Komposi-tion, die er Belku na sacca genannt hatte, dieHarmonie des Lebens. Zu seiner Zeit war erder einzige Ophaler gewesen, der ohneChorunterstützung den Nambaq siwa hattesingen können, die Harmonie des Todes.Und jetzt arbeitete er am genauen Gegen-stück.

Der Gedanke daran beschäftigte ihn schonlange. Nambaq siwa konnte den Tod brin-gen. Einen Gesang, der Leben bringen konn-te, gab es nicht. Sehr wohl aber eine Hymne,die den Völkern vom Leben berichtete. Die

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Aufgabe war so groß, daß selbst Salaam Siindaran verzweifelt wäre - hätte er nicht so oftfestgestellt, daß Ophaler über sich hinaus-wachsen konnten. Er hatte das Gerüst. DieIdee stand. Aber noch fehlten ihm die Klän-ge.

Mit voller Absicht versetzte sich der Mei-stersänger in einen Zustand halbbewußterDämmerung. Doch immer wieder trieb seinGesang in bekannte Bereiche ab. Der Ge-sang der Heraldischen Tore von Siom Som,Wahrheitsgesänge, Oden an die Wunder vonEstartu, Variationen seiner eigenen Musik.Nein, das war es nicht.

»Salaam Siin!«Ärgerlich verschloß er mit seinen Greif-

büscheln die Hörorgane.Doch die Stimme drang trotzdem zu ihm.»Sänger! Es ist soweit! Wir sind da! Lee-

naia!«Nun erst schaute er auf und sah vor sich

Stalker stehen. Ein unzufriedener Akkordließ die Illusion der Wüstenlandschaft vorseinen Augen verlöschen. Statt dessen er-füllte die Schwärze des Weltraums seinBlickfeld, durchbrochen von den MillionenLichtpunkten der Galaxis Muun. Und in kur-zer Entfernung tauchte die halb beleuchteteKugel eines Planeten auf.

Leenaia war der zweite Planet der SonneOghana. Sein Durchmesser betrug rund25000 Kilometer, die Schwerkraft 1,45 g.Eine dichte Wolkendecke hüllte den Plane-ten lückenlos ein. Darunter zeigten die In-strumente seines Schiffes atembare Sauer-stoffatmosphäre an, jedoch stellenweisedurchsetzt mit halluzinogenen Gasen.

»Du mußt Leenaia doch kennen«, meinteer zu Stalker, »wenn du ausgerechnet hier-her willst. Was weißt du darüber?«

»Ich bin ein paarmal hiergewesen«, ant-wortete der Klon ausweichend. In seinemEchsengesicht zuckte etwas, die fünffingri-gen Hände bewegten sich unruhig. »Da un-ten sollten einst umweltangepaßte Pterus ge-züchtet werden. Als organische Kampfma-schinen, mußt du wissen. Wenn alles wiefrüher ist, leben sie auch heute noch hier. Sie

sind inzwischen ungefährlich geworden. Dubrauchst keine Angst zu haben, Sänger.«

»Und die Ophaler?«»Ich führe die HARMONIE direkt dort-

hin, wo die Singschule erbaut wurde.«Im folgenden gab Stalker der Schiffssyn-

tronik genaue Anweisungen. Sie flogen eineStelle nahe dem Äquator an, die sich für Sa-laam Siins Sinne in nichts von anderen Or-ten auf Leenaia unterschied.

Und je näher sie rückten, desto mehrnahm Stalkers Unruhe zu.

Jetzt durchbrachen sie die Wolkendecke.Unter ihnen erstreckte sich eine ungebändig-te Urweltlandschaft voller Vulkane und stel-lenweise von schroffen Gebirgen durchbro-chen. An manchen Stellen ergossen sich rei-ßende Flüsse aus den Hochtälern in die Nie-derungen. Und nirgendwo war auch nur dasgeringste Anzeichen von Zivilisation zu er-kennen. Das paßte vielleicht zu Pterus, nichtaber zu Ophalern, ganz und gar nicht. SeineRasse gehörte nicht zu denen, die jede Flä-che mit Beton und Plastik überziehen muß-ten - aber ein Kulturvolk waren die Ophalerdoch.

»Keine Spuren«, summte er leise und fastohne psionischen Beiklang. »Ich sorge mich,Stalker.«

»Ach was! Dahinten ist es! Hinter demnächsten Bergzug!«

Und tatsächlich: Hinter der natürlichenBarriere sah der Meistersänger schmaleRauchfäden aufsteigen. Es waren minde-stens hundert davon. Unter ihnen erstrecktesich eine kleine Siedlung. Wenn Salaam Siinerwartet hatte, eine Stadt vorzufinden, sah ersich von Grund auf getäuscht. Es war tat-sächlich nicht mehr als eine Siedlung, was erdort zu sehen bekam. Die Anzahl der Stein-häuser betrug etwa dreihundert, dazwischenführten nicht Straßen, sondern Wege ent-lang. Am nördlichen Ende standen dreigroße Gleiter. Im Zentrum hatte man einenBrunnen gebaut, und im Osten der Siedlungerstreckte sich ein Ruinenfeld, das von ei-nem einst weitläufigen Bauwerk stammte.

»Merkwürdig«, meinte Sotho Tal Ker.

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Seine Augen suchten hektisch die Bildschir-me auf Bewegungen ab. »Ktesta hätte heuteviel größer sein sollen. Die Größe ist iden-tisch mit damals, als ich das letzte Mal her-kam. Bis auf …«

Stalker unterbrach sich mitten im Satz.Salaam Siin fragte nicht nach. Er wußte,

er hatte nicht die geringste Chance, aus demanderen etwas herauszuholen.

Nun endlich erkannte auch der Sänger un-ten die ersten Bewegungen. Ein paar ver-schreckte Gestalten wagten sich langsam ausden Steinhäusern. Aus der Höhe erkannte ernicht, um was es sich handelte - und er ver-zichtete darauf, eine Vergrößerungsschal-tung einzusetzen.

Mit aller Vorsicht ging die HARMONIEam nördlichen Ende der Siedlung neben denGleitern nieder. Sie hatten nicht die Absicht,jemanden zu erschrecken.

»Gehen wir hinaus«, sang der Ophaler.»Schauen wir uns die Leute an. Und ich bingespannt, wie du uns hier ein Permit für denDunklen Himmel besorgen willst.«

»Das wüßte ich jetzt selber gern«, mur-melte Stalker.

Salaam Siin legte einen Schutzanzug an,dann stiegen sie durch die Schleuse hinaus.Am Ortsrand erwartete sie schon ein Dut-zend Leute. Es waren Pterus. Im Grunde sa-hen sie aus wie Stalker: mit extremem Hohl-kreuz, vorgewölbtem Brustkorb und Becken,einem verknöcherten Gesäß und nach hintenragenden Schultern. Alle Gelenke sahennach Chitin aus, und ein durchsichtiger Filmschien den ganzen Körper zusammenzuhal-ten. Ihre schnabelähnlichen Münder standenoffen, in den dreieckigen Augenöffnungenblitzte es gelblich.

Nur wesentlich gedrungener als Stalkerwaren die Leenaia-Pterus. Nicht größer alsetwa einssechzig, dafür breiter und kompak-ter gebaut.

»Ich sehe keine Ophaler«, summte Sa-laam Siin.

»Warte, vielleicht kommen sie noch.«Stalker war der erste, der auf die Pterus

zustolzierte. Er hob die Arme in einer groß-

artigen, alles umfassenden Geste. Es sahaus, als wolle er diese Welt, die er lange ver-loren hatte, wieder in Besitz nehmen.

»Meine Brüder!« rief er auf Sothalk.»Meine Freude, euch wiederzusehen, kenntkeine Grenzen!«

Salaam Siin und Stalker erreichten jetztden Rand der Siedlung. Die Anzahl der Pte-rus wurde immer größer; aus allen Richtun-gen kamen sie nun. Eine ganze Menge hattesich zwischen den Ausläufern des nahen Ge-birges verborgen, andere erschienen wie hin-gezaubert vor den Wänden ihrer Steinhäu-ser. Sie wirkten ängstlich, mißtrauisch - undkampfbereit.

Salaam Siin stimmte einen kaum hörbarenGesang an. Er pumpte seinen Membran-kranz zur vollen Größe auf und ließ einepsionische Melodie erklingen, die den Pterusalle Angst nehmen sollte. Die Wesen ent-spannten sich allmählich. Eines löste sichsogar aus den Reihen der anderen und trateinen Schritt heraus.

»Mein Name ist Limet«, sagte der Ge-drungene. »Ich bin der Nisha von Ktesta.Was führt euch hierher?«

Stalker schüttelte in einer menschlichenGeste ungläubig den Kopf. »Erkennt ihrmich denn nicht? Ich bin Sotho Tal Ker! Ichbin zurückgekommen! Nun will ich sehen,was aus meiner Kolonie geworden ist!«

»Sotho Tal Ker? Wer soll das sein?«Stalker blieb stehen und schnappte nach

Luft.»Ihr habt mein Wirken vergessen? Nach

fünfhundert Jahren schon?«Limet änderte seine abwehrende Haltung

nicht. »Fünfhundert Jahre sind eine langeZeit. Während dieser Spanne ist hier viel ge-schehen.«

»Was?« Stalker kämpfte sichtlich um sei-ne Fassung, bekam sich aber immer besserin den Griff. »Bitte, berichte!«

»Vor ein paar hundert Jahren tauchte hiereine Einheit der Hauri auf. Nachfahren vonÜberlebenden aus dem KLOTZ, falls dir dasetwas sagt, Sotho.« Limet betonte den Be-griff so eigentümlich, als glaube er, einen

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Geisteskranken vor sich zu haben. »Ktestawurde fast völlig zerstört. Davon haben wiruns nie wieder erholt. Ein Teil des Orteswurde wieder aufgebaut. Aber der Hauptteilder Pterus zog nach Süden, in gemäßigteresKlima. Wir sind nur noch ein Haufen Ver-sprengte.«

»Leben keine Ophaler mehr hier?«»Nein. Sie sind alle weg.«»Und die Singschule?«»Wurde völlig zerstört. Ihr müßt die Rui-

nen doch gesehen haben.«»Ja, das haben wir.« Mit einemmal wirkte

Stalker fast gelöst, als sei eine große Lastvon ihm genommen. »Wir würden die Rui-nen gern besichtigen, wenn es möglich ist.«

»Das läßt sich machen«, meinte Limet.»Schließen wir ein Geschäft ab. Ich zeigeeuch, was ihr wollt. Dafür laßt ihr ein paarsyntronische Bausteine da. Unsere Gleitermüssen repariert werden.«

Stalker stimmte sich durch einen kurzenSeitenblick mit Salaam Siin ab; dann erstsagte er zu. »In Ordnung, Nisha. Zeige unsdie Ruinen.«

Die Pterus zerstreuten sich wieder undgingen an ihre Arbeit. Nur Limet blieb zu-rück. Der Nisha, was immer das bedeutenmochte, drehte sich um und führte sie kom-mentarlos durch die Siedlung.

Salaam Siin mit seinen kurzen Beinenhatte Mühe, Schritt zu halten. Nirgendwohier war Metall zu sehen; die Häuser bestan-den ganz aus behauenem Stein und natürli-chem Mörtel. Die Fenster ähnelten Scharten.Sie waren nicht verglast, ließen also Hitze,Kälte und Niederschlag gleichermaßen ein-dringen. In der Ecke eines Hofes erkannteder Sänger Tierkadaver. Es waren sowohlFleischtiere als auch Räuber mit fürchterli-chem Gebiß darunter.

»Warte, Limet!« forderte Salaam Siin denPterus mit einer freundlichen Melodie auf.»Vielleicht erkennst du, daß ich aus demVolk der Ophaler stamme. Deshalb mein In-teresse: Was wurde damals aus meinen Art-genossen?«

»Die Hälfte wurde getötet. Sie hatten ver-

sucht, die Hauri mit einem Chorgesang unterKontrolle zu bringen. Das gelang auch, aberder Kommandant der Einheit hatte sich ab-gesichert. Sobald im Verhalten der Mann-schaften eine irreguläre Änderung eintrat,nahm die Schiffssyntronik die Singschuleautomatisch unter Feuer. Wer überlebt hat,wurde später abgeholt. Nach Mardakaan,glaube ich. Ja, so hieß die Welt.«

Mehr gab es im Augenblick nicht zu sa-gen.

Sie hatten die Siedlung durchquert.Vor ihnen lag das Ruinenfeld. Auf einer

Grundfläche von zweihundert mal fünfhun-dert Meter stand kaum eine Wand mehr. An-hand einiger Plastik- und Metallreste er-kannte Salaam Siin den groben Grundrißver-lauf. Dort drüben der Kreis, da hatte derAkustikdom gestanden. Und das schmale,langgestreckte Rechteck hatte früher einmaldie Schüler beherbergt.

»Sonst ist nichts mehr übrig?« wollteStalker von ihrem Führer wissen. »Nichteinmal das Archiv der Schule?«

»Nein. Nichts.«»Dann danken wir dir, Limet. Wir fliegen

wieder ab.«»Vergeßt nicht die syntronischen Baustei-

ne!«Niemand fand sich zum Abschied der bei-

den Besucher ein. Aber Salaam Siin hattedas bei der Mentalität der hiesigen Pterusnicht anders erwartet.

Am besten, man ließ sie einfach in Ruhe.Er reichte Limet noch einen Beutel mitkleinsten Schaltbauteilen, dann zog er sichzu Stalker in die HARMONIE zurück.

»Das war ein Reinfall«, meinte der Sän-ger traurig.

»Ich hatte so gehofft, hier Ophaler anzu-treffen.«

»Auch meine Erwartungen wurden ent-täuscht.«

Während das Schiff abhob und senkrechtnach oben in den Himmel von Leenaia stieg,starrten sie beide auf die Schirme.

Und während Salaam Siin seiner schlech-ten Stimmung mit einem Mollgesang freien

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Lauf ließ, schien Stalker so gelöst wie seitlanger Zeit nicht mehr. Regelrecht froh, auswelchem Grund auch immer.

Indessen beschäftigten düstere Gedankenden Ophaler mehr, als ihm lieb war.

»Eine Frage, Stalker. Weshalb hast dunach dem Archiv der Singschule gefragt?Was hofftest du da zu finden? Oder war esnicht Hoffnung, sondern eher Furcht?«

Stalker zuckte sichtbar zusammen. Sa-laam Siin hatte ins Schwarze getroffen.

»Oh … Du weißt, welch großartigen Mei-stersänger das Volk der Ophaler damals mitdir verloren hat. Gewiß sind zahllose Lobge-sänge auf dich entstanden. Die hätten dichdoch interessiert, wären sie hier vorhandengewesen, nicht wahr? Außerdem die uraltenGesänge auf den Desotho Veth Leburian,auf Ijarkor …«

»Und auf dich? Auf den Sotho Tal Ker?«»Vielleicht«, antwortete Stalker unbe-

wegt. »Vielleicht auch das. Aber ich standnie sehr im Vordergrund.«

4.

Stalker war absolut davon überzeugt, daßes ohne ein zusätzliches Permit nicht mög-lich sei, in den Dunklen Himmel nach Etu-star vorzustoßen. Und wenn doch, so hättedie Superintelligenz ohne eine Legitimationmit ihnen keinen Kontakt aufgenommen.Aber was auch immer sie in Muun anstell-ten, auf keiner der Welten wurde Stalker alsehemaliger Sotho wiedererkannt.

Sie besuchten zunächst ein paar kleinePterus-Welten, dann die Höllenwelt Singu,die Heimat der ausgerotteten Animateure,und schließlich das Veeda-System. Hier aufdem Planeten Anamuun war das Volk derPterus entstanden. Niemand jedoch kannteden Sotho Tal Ker. Am Ende stimmte Stal-ker entmutigt zu, das notwendige Permit inSalaam Siins Heimat zu besorgen.

Sie benutzten keine Heraldischen Tore fürden Flug nach Siom Som. Übereinstimmendhatten sie beschlossen, lieber auf konventio-nelle Art zu fliegen. Es war selten genug,

daß ihre Meinungen sich deckten; und Sa-laam Siin war der Diskussionen müde. Anden Toren wollten sie sich nicht sehen las-sen, bevor nicht etwas Gras über die Sachemit Taruane gewachsen war.

Die Stimmung während der Reise warschlecht. Erstmals erlebte Salaam Siin denFall, daß Stalker eine Entwicklung nicht soeinfach wegsteckte. Was hatte der anderesich erhofft? Aber war es nicht wirklich son-derbar, schon nach nicht einmal tausend Jah-ren vergessen zu sein? Für eine galaktischeGeschichtsschreibung waren tausend Jahrewenig.

Natürlich - Stalker hatte aus dem Hinter-grund gewirkt. Was aber nicht hieß, daß nie-mand von ihm Notiz genommen hätte. Spä-tere Generationen erkannten im allgemeinenrecht gut, wie sich die Dinge wirklich abge-spielt hatten.

Während des Fluges dachte Salaam Siinoft an Mardakaan, den Planeten der Spiele.Er dachte an seine Artgenossen und an dievielen Melodien, die er in der Milchstraßekennengelernt hatte. Siom Som dagegen wareine Galaxis fast ohne Musik. Nur die Opha-ler bildeten eine Ausnahme. Ein traurigesBild im Grunde und ein guter Hinweis dar-auf, was der Kriegerkult in der Vergangen-heit angerichtet hatte.

Gegen Ende der Reise verdrängte SalaamSiin die gedrückte Stimmung.

War er es, der traurig zu sein hatte? Nein!Er würde sein Volk wiedersehen! Zum er-stenmal seit langer Zeit würde er echteophalische Chöre hören, zum erstenmal seitvielen Jahren Wesen gegenüberstehen, dieaussahen wie er. Er pumpte seinen Mem-brankranz auf und erzeugte die kicherndenGeräusche, die er bei den Menschen gelernthatte. Er freute sich. Niemand hatte dasRecht, ihm diese Freude zu nehmen.

Sollte Stalker doch sehen, wie er ohneMitleid klarkam.

Einmal noch ging Salaam Siin schlafen,dann hatten sie das Ende der Reise erreicht.Als die HARMONIE in den Normalraumzurückfiel, fand das bereits in Siom Som

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statt. Dies war die ehemalige Galaxis desKriegers Ijarkor. Damals hatten die Ophalerein kleines Sternenreich von 250 LichtjahrenDurchmesser beherrscht. Es lag in der East-side, mit dem Planeten Mardakaan als Zen-trum. Und wiederum am Rand dieser Zone,in der tiefsten galaktischen Provinz, war Sa-laam Siin geboren.

»Worüber denkst du nach, Sänger?«Er schaute von den Schirmen auf und

richtete seinen Blick nach oben, in Stalkersundurchdringliche Miene. »Über meine Hei-mat«, sang er schwermütig. »Einerseits istFreude in mir. Auf der anderen Seite spüreich jetzt, da es soweit ist, Furcht.«

»Ich verstehe«, gab Stalker zurück. »Dudenkst, es könnte dir genauso gehen wiemir.«

»Daß ich vergessen bin? Ja, vielleicht istes das. Du mußt eines über mein Volk wis-sen: Nur der, der nach seinem Tod in denKreis der Großen Sänger aufgenommenwurde, erlangt Unsterblichkeit. Nur seineMelodien werden auch nach langer Zeitnoch gesungen.«

»Unsterblichkeit?« fragte der ehemaligeSotho. »Ist es das, wonach du strebst?«

»Ja, das ist es. Streben wir danach nichtalle? Nicht auch du?«

Salaam Siin wußte nicht, woran es lag;aber er war sicher, daß sich nach diesenWorten etwas in Stalkers Gesicht veränder-te. Bei einem Menschen hätte er gedacht, erwürde Tränen sehen, doch in Stalkers Fallwar es ganz anders. Die dreieckigen Augenverengten sich, der orangefarbene Schimmerder Pupillen wurde dunkler, und das fliehen-de Kinn mit dem schnabelartigen Mund ver-spannte sich.

»Gibst du mir keine Antwort, Stalker?«Der andere schwieg lange. »Ich wüßte

nicht, was dich das anginge«, versetzte erdann auf Sothalk.

Doch Salaam Siin ließ nicht locker. »Wiealt bist du, Stalker? Und wie alt kann ein So-tho werden? Oder ist das ein Geheimnis?«

Der Pterus-Klon wandte sich abrupt abund stürmte aus der Zentrale.

Nachdenklich ließ sich Salaam Siin ineinen Sessel sinken. Dann brummte er einenAkkord der Frustration, schüttelte nachMenschenart den Kopf und wies die Syntro-nik an, den schnellsten Kurs nach Zaatur zuberechnen. Zaatur - so hieß sein Heimatpla-net, den er so früh verlassen hatte. Dort wür-de er sich menschliche Gesten rasch abge-wöhnen. Dort konnte er wieder lernen, einOphaler zu sein.

Von oben bot Zaatur denselben Anblickwie Dutzende anderer Planeten auch, die ergesehen hatte. Aber Salaam Siin hatte einsonderbares Gefühl. Es war, als spüre erförmlich die Nähe seines Volkes. Und erhörte etwas. Allerdings waren es nicht seineOhren, die da reagierten, sondern vielmehrsein Membrankranz. Dort auf Zaatur sangenviele Stimmen. Der Chor war zwar nicht ge-richtet, doch er strahlte hoch bis in dieHARMONIE.

Eine Wachstation stoppte ihren Flug.Sie erhielten Anweisung, in einen weiten

Orbit zu gehen.»Salaam Siin!« rief Stalker. »Ein Anruf!

Soll ich sprechen?«»Nein. Das erledige ich selber.«Der Sänger aktivierte mit einem kurzen

Tonsignal den großen Holoschirm. DerOberkörper eines Wesens erschien. Es warein Ophaler. Wie lange hatte er diesen An-blick vermißt!

Der andere war um die einsdreißig groß,lag also im Durchschnitt. Die Borkenhautwar knallrot, mit dem typischen leicht ange-grauten Stich hohen Alters. Allerdings warder Ophaler keineswegs altersschwach; dasbewies die Art, wie er seinen Teleskophalsaufmerksam zur vollen Länge von achtzigZentimeter ausgefahren hatte.

Zunächst empfing Salaam Siin einen prü-fenden Blick - dann schwoll der Membran-kranz seines Gegenübers an.

»Ich grüße dich, Fremder!« sang der Alte.Er gab sich alle Mühe, aus den simplenWorten eine wunderschöne Melodie zu for-men. »Darf ich nach dem Grund eures Be-suchs auf Zaatur fragen?«

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Salaam Siin bekam sekundenlang keinenTon heraus. Er hörte zwar die Ungenauig-keiten in der Melodie; es war eben kein be-sonders guter Sänger, der da mit ihm Kon-takt aufgenommen hatte. Zudem übertrugder Funk nicht den wahren psionischen Zau-ber ophalischen Gesangs, so daß die Gruß-melodie natürlich schal und nichtssagendgeklungen hatte. Aber es war der Gesang ei-nes Ophalers, und diese Tatsache wog allesandere auf.

»Ich grüße dich ebenfalls! Mein Name istSalaam Siin. Einst war ich der Leiter derSingschule Nambicu ara wada auf Marda-kaan. Und nun kehre ich nach einer Ewig-keit der Wanderschaft zurück in meine Hei-mat.«

Der tonnenförmige Rumpf des Alten er-zitterte. Seine Tentakelarme bewegten sichin unkontrollierter Hast, obwohl es nicht dasgeringste zu tun gab.

»Du bist Salaam Siin?« brachte der ande-re schließlich heraus. »Das … das ist un-möglich …«

»Ich versichere dir, daß ich es bin.«»Warte. Ich gebe dir in ein paar Minuten

wieder Bescheid.«Das Bild im Holoschirm erlosch. Salaam

Siins Blick irrte durch die Zentrale derHARMONIE, immer wieder zu Stalker undzum Schirm zurück. Die kurze Frist wurdeihm so lang, als befände er sich in Lebens-gefahr.

Plötzlich erhellte sich der Holoschirmwieder. Der Alte starrte ihn prüfend an.

»Vielleicht bist du es. Aber ich bin nurein kleiner Kontrollflieger. Ich werde dieseEntscheidung nicht treffen. Ich soll dir fol-gendes sagen: Der Sänger wird gebeten, ineiner Stunde auf dem Raumhafen von Mer-bipur zu landen. Dort wird der SinglehrerVogan Dool ihn prüfen.«

»Warum erst in einer Stunde?« fragte Sa-laam Siin zurück.

»Wenn du wirklich einer der Großen Sän-ger bist, mußt du es wissen.«

Der Schirm erlosch. Er saß lange in sei-nem Sessel, ohne zu wissen, was er jetzt tun

sollte.»Salaam Siin?« Stalker hatte sich mit sei-

ner vollen Größe von zwei Metern vor demOphaler aufgebaut. »Dieser niedere Kontrol-leur hat gesagt, du wüßtest um die Bedeu-tung der Wartezeit.«

»Ja«, sang er, »das weiß ich auch. DieQualität eines Sängers erweist sich erst imgemeinsamen Gesang mit einem Chor. Ichhabe Angst, Stalker. Ich bin lange fort gewe-sen. Ich habe keine Zeit, den ophalischenGesang langsam wieder zu lernen. Aber daunten wartet ein ganzer Chor auf mich.«

Die HARMONIE ging am Rand der Tag-seite Zaaturs nieder, in einem Gebiet, in demdie Sonne gerade aufgegangen war. DerSyntron hatte die Lage des Raumhafens vonMerbipur rasch ermittelt. Nicht mehr alsneun Schiffe- standen dort unten. Raumfahr-zeuge waren Mangelware in den zwölf Gala-xien. Zu nahe war noch die kosmische Kata-strophe, die das psionische Netz für estarti-sche Raumschiffe unpassierbar gemacht hat-te. Normaler Antrieb hatte damals kaum exi-stiert. Es war nicht möglich, in weniger alstausend Jahren einen gigantischen Nachhol-bedarf wettzumachen.

Nur eine Stelle des Hafens sah belebt aus.Es handelte sich um einen Bereich nahe derLeitstation, wo einige hundert Gestalten zu-sammengekommen waren.

»Da unten herrscht ein ziemlicher Auf-lauf«, stellte Stalker fest.

»Ja.«Salaam Siin stellte mit einiger Besorgnis

fest, daß der Leitstrahl sie direkt auf dieMenge zusteuerte.

»Eine Bitte, Sänger …«»Was ist denn?« Er war kaum in der La-

ge, sich jetzt auf Stalkers Worte zu konzen-trieren. Und er fühlte, daß Stalker genaudeshalb jetzt mit ihm sprach, weil er in die-sem Augenblick von Salaam Siin nahezu al-les haben konnte.

»Ich möchte dich um einen Gefallen bit-ten. Nachdem in der Galaxis Muun, untermeinem eigenen Volk, niemand mehr mei-nen Namen kannte, will ich keine weitere

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Enttäuschung mehr erleben. Die Ophalersollen nicht wissen, daß ich ein Sotho bin.«

Nun wandte der Meistersänger doch nocherstaunt den Hals. »Ich verstehe nicht«, sanger. »Warum plötzlich so bescheiden?«

Stalker sah aus, als wolle er jeden Mo-ment zusammenbrechen. »Hast du nicht einbißchen Verständnis?« klagte er laut. Ausgroßen Augen schaute er Salaam Siin bit-tend an. »Ich ertrage es nicht, weiterhin einNiemand zu sein. Dann bin ich lieber derSotho Tal Ker, der aus dem Hintergrundoperiert. So werde ich wenigstens ernst ge-nommen. Niemand sieht mich krumm an,weil er mich für einen Wichtigtuer hält.«

Die Miene des Klons wirkte so herzerwei-chend, daß Salaam Siin keine Wahl hatte.»Also gut«, meinte er. »Ich werde dich ein-fach nur als Stalker vorstellen.«

Die Miene des Klons schlug von einer Se-kunde zur anderen in Triumph um. »Sehrgut, damit ist mir gedient.«

Salaam Siin hörte seinem Begleiter keineSekunde länger zu. In diesem Augenblicksetzte die HARMONIE auf. In der Tat,ringsum hatte sich die Menge auf dreihun-dert Ophaler vergrößert. Und auf den Bild-schirmen sah es so aus, als wachse die An-zahl mit jeder Sekunde.

»Ich werde hinausgehen«, verkündete er.Salaam Siin erhob sich und schritt auf

wackligen Beinen zum Antigravschacht.Stalker folgte ihm in einiger Entfernung.

»Schleuse auf!« zischte er.Von einer Sekunde zur anderen hüllte ein

unglaublich dichter, psionisch aufgeladenerKlangteppich ihn ein. Seine Borkenhautschien jeden einzelnen Ton in sich aufzusau-gen, und in den Sinnesknospen entstand einseltsames Kribbeln. Der Geist war langsam -aber der Körper wußte genau, wohin er ge-hörte.

Allmählich legte sich der Geräuschpegel.Sie sahen ihn jetzt.Salaam Siin gab keinen Ton von sich, bis

jedermann schwieg. Er pumpte zunächst sei-nen Membrankranz auf, dann intonierte ermit aller Sorgfalt: »Mein Name ist Salaam

Siin. Und ich habe mich seit langer Zeit aufdiesen Augenblick gefreut.«

Er hatte allen psionischen Ausdruck inseine Stimme gelegt, über den er verfügte.Und das war damals, zur Zeit der EwigenKrieger, mehr als bei jedem anderen seinesVolkes gewesen. Auch heute noch? Aus derMenge prallte Resonanz zu ihm zurück; einRaunen lief durch die Reihen der Ophaler.Sie sahen zu ihm auf, als erwarteten sie, dasWirken einer Gottheit demonstriert zu be-kommen.

Endlich löste sich ein Ophaler mit blaßro-ter Hautfarbe aus einer Gruppe, die ganzvorn stand, nahe an der HARMONIE. Derandere war mit nur einem Meter Größe sehrklein. Das jedoch machte er durch besondereKörperfülle wett. Die Ophaler in seinemUmkreis hielten zu jeder Zeit respektvollAbstand.

»Ich bin der höchste Singlehrer von Zaa-tur«, sang er. »Mein Name ist Vogan Dool.Laß dir sagen: Ich habe nie zuvor eine Stim-me gehört, die wie deine klingt. Ob du aberwirklich Salaam Siin bist, mußt du bewei-sen. Bist du es, wirst du auch wissen, wie.«

Vogan Dool stimmte eine leise Melodiean. Jeder Ton war in seiner Stärke exakt be-rechnet und kam präzise. Früher hatte Zaaturals hinterste Provinz gegolten, nicht einmalimstande, einen guten Chor zusammenzu-bringen. Doch wenn es heutzutage Sängerwie diesen hier gab, mußte sich einiges ge-ändert haben.

Salaam Siin lauschte aufmerksam. Je län-ger er zuhörte, desto mehr schwand seineNervosität und machte Euphorie Platz. Doolhatte den Gesang der Heraldischen Tore vonSiom Som eingeleitet, und nacheinander ka-men die Ophaler in seiner Nähe mit leisenStimmen hinzu. Bald sangen mindestenshundert Personen. Der Chor verlor an musi-kalischer Präzision - aber gleichzeitig hatteer so sehr an psionischer Kraft gewonnen,daß sich Salaam Siin wie in einem Ozeanaus Sinneseindrücken fühlte.

Vogan Dools Stimme blieb dominant.Aber den leitenden Part hatte er nicht

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übernommen. Noch fehlte der Sänger, derdem Gesang die Präzision zurückgab, derRichtung und Ausdruck des Gesangs be-stimmte.

Salaam Siin fiel leise summend ein. DieHeraldischen Tore … Er erinnerte sich nochso gut daran, als wäre es erst ein paar Wo-chen her. Sie hatten immer schon die estarti-schen Wunder gepriesen, und heutzutagehatte das Volk der Ophaler nichts von seinerFähigkeit eingebüßt.

Allmählich pumpte er seinen Membran-kranz zu halber, dann erst zu voller Leistungauf. Und als er sicher war, im Chor der Sän-ger mithalten zu können, wechselte er abruptdie Stimmlage. Nun sang er fordernd, diri-gierend. Er war der Meistersänger. Er hattedie Nambicu ara wada gegründet, eine derberühmtesten Singschulen von Mardakaan.Und er war demzufolge der, dem sich imChor alle zu beugen hatten.

Die Ophaler von Zaatur sangen lauter,dann mit voller Kraft. Doch seine Stimmedrang mühelos durch den Klangteppich ausmehreren hundert Kehlen. Bestimmte Fre-quenzen, bestimmte Tonhöhen blieben im-mer für den Singlehrer frei. Der Gesangkonnte noch so laut sein, er war selbst mitleisen Tönen immer hörbar. Jeder Blick hingan ihm. Salaam Siin steigerte allmählich dieIntensität des Gesangs - alle anderen hattenkeine Wahl, als ihm darin zu folgen. Die er-sten Sänger verstummten, weil ihnen diepsionische Kraft fehlte. Aber jetzt erst ließer den Gesang der Heraldischen Tore vonSiom Som langsam in das übergehen, wasVogan Dool von ihm gefordert hatte.

Den Beweis.Die Melodie, die Salaam Siin eigentlich

nie wieder hatte singen wollen.Die Klänge des vielstimmigen Satzge-

sangs verloren an Schönheit. Statt dessenführte er die Stimmen an eine monotone,fast brutale Tonart heran. Niemand, der nochim Chor war, konnte jetzt zurück. SalaamSiin hatte sie gepackt. Dies war der Nambaqsiwa, die Harmonie des Todes. Mit dieserMelodie konnte er quälen, verletzen - oder

töten.Er hatte den furchtbaren Zauber des Nam-

baq siwa schon oft erlebt. Deshalb wußte er,wie schwer es war, sich daraus zu lösen.Schon jetzt bereitete der psionische Anteilihm körperliche Schmerzen. Die Ophalerunter ihm krümmten sich. Es war Zeit, auf-zuhören.

Hätte er den Chor nun sich selbst überlas-sen, Vogan Dool und seine Leute hätten sichbinnen weniger Minuten selbst umgebracht.Aber Salaam Siin brach den Zauber durcheine Tonleiter, die unmerklich wieder zumGesang der Heraldischen Tore zurückführte.

Und nach zehn Minuten ließ er die Kom-position mit traurigen Akkorden ausklingen.Der Chor verstummte, in den Gesichtern derLeute stand Erschöpfung.

Sie alle starrten hoch zu ihm.»Du bist es«, sang Vogan Dool schließ-

lich in die Stille. »Salaam Siin, einer derletzten großen Meistersänger. Wir habenlange auf dich gewartet.«

»Stalker!« Salaam Siin hatte sich umge-wandt und sah den ehemaligen Sotho bittendan. »Ich möchte, daß du mich eine Weile al-lein läßt. Du kannst in der HARMONIE ab-warten. Zuerst möchte ich meine Heimat-welt wiedersehen. Dann denken wir daran,das Permit zu beschaffen.«

»Wie du möchtest«, antwortete Stalkerfast unterwürfig. Er sah aus, als sei er froh,wenn niemand ihm Beachtung schenkte. Ab-rupt drehte er sich um und verschwand imBauch der vierzig Meter durchmessendenScheibe.

Hinter ihm fuhr die Schleuse zu.Salaam Siin wandte sich wieder seinen

Artgenossen zu. Zwar war er es inzwischengewohnt, wie ein Wunder der Natur angese-hen zu werden - aber so schlimm war es sel-ten gewesen. Der Meistersänger betrat überdie Rampe den Boden und näherte sich Vo-gan Dool.

»Bring mich hier weg!« sang er. »Ichmöchte allein mit dir reden.«

Der füllige Ophaler pfiff bestätigend.»Ganz in der Nähe steht ein Gleiter.«

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Sie bahnten sich einen Weg durch diestaunende Menge. Von allen Seiten trafenihn Akkorde voller Psionik. Wo immer Sa-laam Siin auf dem Weg Zeit fand, fiel er mitein paar begleitenden Tönen ein: Das warseine Art der Freundlichkeit. Und jenseitsder leeren Straßen begannen die Wohnflä-chen der Stadt Merbipur. Von hier hatte maneinen wunderbaren Blick über weite Gebäu-dezeilen, über Handelsviertel und die fla-chen Kuppeln der Energieversorgung.

»Dahinten steht der Gleiter.«Salaam Siin bestieg mit Vogan Dool ein

tropfenförmiges Fahrzeug, das mit den Mo-dellen von früher nicht mehr viel gemeinhatte. Während der nächsten halben Stundeflogen sie ziellos durch die Stadt. Der Mei-stersänger sog alle Eindrücke begierig insich auf; einerseits boten die Ophaler in ih-rem Alltagsleben keinen anderen Anblickals andere Völker anderer Galaxien auch.Aber etwas war dennoch anders. Überallhingen Tone in der Luft. Es war wie in ei-nem feuchten, heißen Dschungel.

»Was kann ich für dich tun, Salaam Si-in?«

»Zunächst möchte ich, daß du mir eineFrage beantwortest. Es ist mehr als sieben-hundert Standardjahre her, seit ich Estartuverlassen habe. Und nun komme ich zurück,und niemand wundert sich. Daß mein Namenoch bekannt ist, verstehe ich. Nicht aber,daß ihr überhaupt in Erwägung zieht, ichkönnte es wirklich sein. Erkläre das!«

Vogan Dool stieß einen belustigten,schrillen Laut aus. »Du hast natürlich recht«,sang er. »Einem normalen Ophaler hättenwir das auch nicht geglaubt. Aber du bistSalaam Sun. Deine Rückkehr wurde unsprophezeit.«

»Prophezeit? Ich glaube nicht an Zaube-rei.«

»Das hat mit Zauberei nichts zu tun«, ant-wortete der andere, »sondern mit einer An-weisung des Panish Panisha von Mardakaan.Genauer gesagt, des damaligen Panish Pa-nisha, denn die Sache ist schon ein paar hun-dert Jahre her. Uns auf Zaatur wurde gesagt,

es bestünde die Möglichkeit deiner Rück-kehr. Du würdest irgendwann den Planetendeiner Geburt aufsuchen. Dann sollen wirNachricht an Mardakaan geben, damit derPanish Panisha dich begrüßen kann. Inzwi-schen tun wir für dich, was wir können. Wirstellen keine Fragen.«

»Aber … niemand wußte, daß ich sieben-hundert Jahre überstehen würde!«

»Ich kann nur wiedergeben, was uns ge-sagt wurde. Ich nehme an, der Panish Panis-ha weiß auf alles Antwort.«

»Du hast ihm Bescheid gegeben?«»Meine Assistenten erledigen das für

mich. Qion Lanaa ist der heutige Leiter derNambicu ara wada. Er ist auf dem Weg hier-her. Morgen wird er da sein.«

Vogan Dool umschmeichelte ihn mit einpaar freundlichen Akkorden. »Bitte sei nichtzornig, daß ich dir nicht mehr sagen kann,weil ich nicht mehr weiß. Zum Ausgleichkönnte ich dir etwas zeigen.«

»Was?«»Die größte Errungenschaft der Ophaler

nach dem Fall des Kriegerkults. Der Estarti-sche Dom von Zaatur. Ein solcher Domsteht inzwischen auf den meisten Ophaler-welten. Der größte natürlich auf Marda-kaan.«

»Ich will es sehen«, sang Salaam Siin,plötzlich aufgeregt. Estartischer Dom …Wie das klang! Natürlich, das Volk der Sän-ger war nun von den Fesseln des Krieger-kults befreit. Es mußte Techniken hervorge-bracht haben wie keine Generation der Ver-gangenheit.

Der Flug führte aus Merbipur hinaus. Vo-gan Dool beschleunigte den Gleiter aufHöchstgeschwindigkeit, dann ging es mehrals eine Stunde lang einfach nur geradeaus.Unter ihnen zogen die typischen Einödenvon Zaatur vorbei, immer wieder aber auchdichtbegrünte Gebiete. Und irgendwannwuchs inmitten einer unbevölkerten Ebeneein Bauwerk auf. Es war nicht hoch, höch-stens fünfzig Meter. Die Form unterschiedsich wenig von der gewöhnlicher Akustik-dome, in denen die Ophaler ihre großen Ge-

20 Robert Feldhoff

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sänge aufführten.Erst aus der Nähe entstand ein etwas an-

derer Eindruck.Vogan Dool landete den Gleiter, und Sa-

laam Siin ließ sich von ihm in den Dom füh-ren. Ein niedriges Wartegebäude diente alsPortal. Hier standen lange Holzbänke, dienoch nie jemand benutzt hatte. Jedenfallsglänzten sie ebenso wie der polierte Steinbo-den.

Den eigentlichen Dom bildete eine großeKuppel. Salaam Siin fuhr den Hals auf volleLänge aus. Seine Sinnesknospen bemerktenim Dach eine Hauptkuppel, als Ring darum-gruppiert acht kleinere Wölbungen. Probe-weise sang er eine bedeutungslose Melodie,wie sie ihm gerade in den Sinn kam. Die Tö-ne verloren sich in den Wänden. Keine Re-flexion, es handelte sich um einen schallto-ten Raum. Alles war wie in jedem normalenAkustikdom.

Schwer enttäuscht wandte er sich VoganDool zu.

»Was soll das sein, ein Estartischer Dom?Ich finde keine Besonderheit!«

»Sieh das Material der Wände!«Salaam Siin trat nahe an die nächste

Wand heran. Er ließ seine Greifbüschel mitden empfindlichen Enden langsam über dieFläche wandern. Sicher, so glatten Stein hat-te er selten berührt. Das allerdings war alles.

»Ich verstehe nicht.«»Du wirst noch verstehen. Die Baumeister

nennen das Material ›Lebensstein‹. Es gibtnur eine Fundstelle im bekannten Univer-sum, und zwar auf Mardakaan.«

Salaam Siin wandte sich ab und verließden Dom. Draußen war die Sonne Asuk eingutes Stück am Himmel emporgeklettert.Noch eine Nacht, dann konnte er den PanishPanisha Qion Lanaa persönlich befragen.Denn Fragen hatte er inzwischen eine ganzeMenge.

Die Nacht verbrachte er mit schwerenAlpträumen in der HARMONIE. SeinFreund Beodu, der Attavenno, war lange tot,der Mausbiber Gucky in der Milchstraße zu-rückgeblieben. Und Stalker zählte nicht als

Freund, weil er nur seine eigenen Ziele ver-folgte. So hatte er niemanden, mit dem er re-den konnte.

Am nächsten Morgen meldete die Schiffs-syntronik die Landung eines kleinen Diskus-raumers. Salaam Siin zog rasch eine Kombi-nation über. Dann hastete er hinaus, über dasheute verlassene Landefeld in die Leitstati-on. Neben Vogan Dool wartete dort einzweiter Ophaler, und Salaam Siin filterteschon von weitem aus ihrer leisen Unterhal-tung einen kraftvollen Psi-Ton aus.

Der Fremde war Qion Lanaa, kein Zwei-fel.

Normale Ophaler verfügten nicht über ei-ne Stimme wie diese.

Der andere war ebenso groß wie SalaamSiin, also etwa eineinhalb Meter, und wirktegegen den dicklichen Dool wie ein einzigesBündel aus Muskulatur. Seine Tentakelarmewaren doppelt so dick wie normal, die Greif-büschel dagegen fein ausgebildet. Und aufdem Kugelkopf saßen Sinnesknospen in sogroßer Anzahl, daß man sich nicht vorstellenkonnte, Qion Lanaa entginge auch nur diewinzigste Regung.

»Ich grüße dich, Salaam Siin!« sang derandere. »Man nennt mich den Panish Panis-ha von Mardakaan, den Lehrer der Lehrer.Mein Name ist Qion Lanaa. Wir haben langeJahre auf dich gewartet.«

Salaam Siin horchte dem Klang der Stim-me sorgfältig nach. Nach langer, bedächtigerPause erwiderte er: »Ich grüße dich eben-falls! Wir werden uns viel zu erzählen ha-ben, denke ich.«

»Du hast recht. Aber es gibt Dinge, vondenen dürfen nur wir zwei wissen. Bitte, ge-dulde dich ein paar Minuten!«

Vogan Dool führte sie in einen der höch-sten Türme der Stadt, dann ließ der Zaaturerdie beiden allein. Von hier aus hatte maneinen weiten Blick über die Häuser undStraßen. Und ganz am Rand des Blickfeldsendete die Stadt Merbipur; dort breitetensich Äcker aus.

Ein Roboter schwebte mit sprudelndenGetränken herein. Zunächst brauchte Salaam

Der Gesang des Lebens 21

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Siin ein paar Sekunden, bis er sich an denbitteren Geschmack wieder gewöhnt hatte,dann jedoch konnte er nicht genug bekom-men.

Qion Lanaa summte einen belustigtenTon. »Es sieht so aus, als hättest du langekeinen Chuchoon mehr getrunken. Ich lasseeine ganze Karaffe bringen.«

Kurz darauf stand auf dem Tisch minde-stens ein ganzer Liter. Doch Salaam Siinwar der Durst vergangen.

»Es ist lange her. Das stimmt. Und es hörtsich so an, als ob du das genauso gut wüß-test wie ich, Panish Panisha. Vogan Dool hatmir gegenüber angedeutet, man würde seitlanger Zeit auf mich warten. Aber ich fragemich, wie das sein kann. Du weißt, wann ichverschwunden bin?«

»Natürlich. Es ist etwa 730 Standardjahreher.«

»Und du weißt, daß kaum ein Ophaler äl-ter als zweihundert Jahre wird. Wie alsokannst du glauben, ich sei wirklich SalaamSiin? Vogan Dool hat von einer Prophezei-ung gesprochen, doch ich weiß nicht, wasich damit anfangen soll. Die Wahrheit kannkeiner von euch kennen.«

»Wie sieht diese Wahrheit aus?« versuch-te Qion Lanaa vorsichtig, ihn auszuhorchen.»Was ist geschehen?«

Salaam Siin ließ sich bereitwillig daraufein. Aus dem Stegreif stellte er einen langenGesang zusammen, der seine Rolle beimSturz des Kriegerkults, dann den Zeitsprungder Galaktischen Flotte und schließlich seineAbenteuer mit den Menschen schilderte. Ei-ne Stunde verging so. Er hatte seinen Mem-brankranz zu voller Leistungskraft aufge-pumpt. Sein Zuhörer war kein Unbegabter;im Gegenteil, für den heutigen Panish Panis-ha gab er sich die größte Mühe seit langem.

Als die psionische Melodie verstummtwar, sang Lanaa: »Du hast mehr erlebt, alsich mir je vorstellen könnte. Aber nun willich dein Vertrauen belohnen. Du erfährstvon mir ohne jeden Rückhalt, was ich weiß.Es beginnt mit dem Auftauchen eines seltsa-men Fremden …«

»Wann war das?«»Vor ein paar hundert Jahren. Zu dem

Zeitpunkt hielt jeder dich für tot. Der Nam-baq siwa war noch immer wohlbekannt,doch da es sich um einen der verbotenen,tödlichen Gesänge handelte, war niemandmehr imstande, diesen Gesang zu kopieren.«

»Trotzdem, ihr habt wieder von mir ge-hört, richtig?« Salaam Siin lehnte sich gegendas Fenster, schaute lange über die Gebäudeder Stadt und nippte an seinem Chuchoon,bevor die eingeschlossenen Gasperlen ent-weichen konnten. Er lauschte so genau, wieer nur konnte. Ihm entging nicht der gering-ste Unterton, der auf Lüge hätte hinweisenkönnen.

»So ist es. Eines Tages kam zu den Opha-lern ein Sänger namens Barcus Moon. Erwar an Stimmkraft allen anderen Ophalerndieser Zeit weit überlegen, selbst dem dama-ligen Panish Panisha. Und Barcus Moon ließdie Verehrung des Salaam Siin wieder aufle-ben. Er sagte voraus, du würdest wiederkeh-ren, selbst wenn es eine lange Zeit dauernsollte. Und du würdest dem Volk der Opha-ler das bringen, woran es ihm noch zur Er-füllung seiner Bestimmung mangele. Da erder beste Sänger seiner Zeit war, glaubteman ihm.«

»Und worin sollte dieser Mangel beste-hen?«

»Davon hat Barcus Moon nichts gesun-gen. Er sagte überhaupt sehr wenig. Bevordie damaligen Ophaler ihn noch zu ihremPanish Panisha machen konnten, ver-schwand er. Nicht die geringste Spur bliebzurück. Barcus Moon wurde nie wieder ge-sehen.«

Qion Lanaa hatte die Komposition seinerErzählung so angelegt, daß der Höhepunktnoch nicht erreicht war.

»Und?« fragte der Meistersänger vollerSpannung. »Was geschah dann?«

»Der Panish Panisha ließ nach BarcusMoon forschen. Wie du weißt, Salaam Siin,existieren bestimmte Silbenregeln, wonachein ophalischer Name zusammengesetztwird. Diese Regeln sind je nach Planet, je

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nach Landstrich unterschiedlich. Die ersteSilbe deines Namens, das Sal, kennt mannur auf Zaatur, während zum Beispiel Qionnur auf meinem Heimatplaneten vor-kommt.«

»Das weiß ich alles!« pfiff Salaam Siinungeduldig. »Ich war lange fort, aber ich ha-be nicht alles vergessen.«

»Die Ausführungen sind notwendig, glau-be mir. Jetzt komme ich zur Geschichte zu-rück. Der Panish Panisha stellte nämlichfest, daß es im gesamten ophalischen Ster-nenreich keinen Planeten gibt, auf dem dieKombination Barcus Moon entstehen kann.Und es gab im ganzen Reich keine einzigeSyntronik, die Moons persönliche Merkmalegespeichert hätte.«

»Das ist unmöglich.«»So dachte auch der Panish Panisha. Bar-

cus Moons Auftauchen geriet bald in Ver-gessenheit, weil es zur Geheimsache erklärtwurde. Nicht aber seine Prophezeiung - seit-dem warten wir auf dich.«

»Aber wer war er?« fragte Salaam Siin.»Wir glauben«, sang Qion Ladaa, »es war

ein Bote der ESTARTU. Über diese Ge-schichte weiß jeweils nur der Panish Panishaunseres Volkes Bescheid. Erzähle sie nie-mandem. Auch nicht Vogan Dool.«

Salaam Siin machte sich wie betäubt aufden Rückweg in sein Schiff. Für den Abendhatte der Panish Panisha ein großes Fest-mahl für tausend Leute organisiert, zu Ehrendes berühmten Rückkehrers. Bis dahin hatteer noch etwas Zeit. Die nämlich brauchte erauch, weil in seinem Kopf tausend Gedan-ken ungeordnet herum schwirrten.

Jemand hatte seine Rückkehr vorausge-sagt. Wer? Wenn überhaupt jemand vondem Zeitsprung gewußt hatte, so mit Sicher-heit eine Superintelligenz vom Range derESTARTU. Und da ESTARTU sich gern imHintergrund hielt, paßte die Sache mit Bar-cus Moon sehr gut. Doch selbst wenn all daswahr sein sollte, welche Rolle spielte er, Sa-laam Siin? Weshalb wurde er erwartet? DerMeistersänger hatte einfach nur in die Hei-mat zurückkehren wollen. Er hatte sehen

wollen, wie die Entwicklung seines Volkesverlaufen war, und hätte dann seine Reisefortgesetzt.

Und nun?In der Zentrale fand er Stalker. Der andere

fragte über die öffentlichen Komleitungensoviel ophalisches Geschichtswissen ab, wieer bekommen konnte. Beim ersten Geräuschfuhr er herum, als habe Salaam Siin ihn beietwas Verbotenem ertappt.

»Was kann ich für dich tun, Sänger?«»Du könntest mich heute Abend beglei-

ten.«»Das möchte ich lieber nicht.«»Aber es hat keinen Sinn, wenn du dich

noch länger hier vergräbst.«»Ich bin nur bescheiden, das solltest du

wissen! Neben dir bin ich hier ein Nie-mand!«

»Du hast Angst!« warf Salaam Siin ihmvor.

»Aus welchem Grund?« Stalker gab sichden Anschein größter Verwunderung.»Wenn du mich so drängst, begleite ich dichselbstverständlich.«

»Dann ist es gut …«Gegen Abend bestiegen sie einen Gleiter

und näherten sich dem Gebäude, in dem ermit Qion Lanaa gesprochen hatte. Mehr alshundert Ophaler standen in der mildenAbendluft draußen und vertrieben sich mitpsionischen Gesängen die Zeit. Sie alle wa-ren prächtig gekleidet, in den typisch mehr-teiligen Gewändern des Planeten, in den ver-schiedensten Farben und mit bunten Mu-stern.

Ophaler liebten solche Feste.Und Salaam Siin war die Hauptperson.Er und Stalker landeten den Gleiter ganz

am Ende einer langen Reihe, dann bahntensie sich durch das Gedränge einen Weg insGebäude. Der Pterus-Klon erregte kaumAufmerksamkeit. Dagegen war Salaam Siinständig Teil der Gesänge ringsum; er fügteallen Melodien zumindest einen Akkord hin-zu, und manchmal verweilte er sogar für einpaar Sekunden und stimmte fröhlich ein.

Für kurze Zeit vergaß er die nagenden

Der Gesang des Lebens 23

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Gedanken. Doch als sie den Zugang erreichthatten, erwarteten sie bereits Qion Lanaaund Vogan Dool. Die beiden waren ein selt-sames Paar: Dool der fette, kleine Singlehrermit der blaßroten Haut, Lanaa dagegen einAusbund an stimmlicher und körperlicherKraft.

»Ich freue mich, daß du gekommen bist!«sang der Panish Panisha. Dann wandertesein Blick weiter zu Salaam Siins Begleiter,den bisher niemand sonst zur Kenntnis ge-nommen hatte. »Aber wer ist der Pterus ne-ben dir?«

»Mit ihm bin ich gekommen. Sein Nameist Stalker.«

»Er ist ungewöhnlich groß.«In Lanaas Stimme lag ein deutlich hörba-

res Mißtrauen - deutlich für ophalische Hör-organe, nicht aber für Stalker selbst. Derehemalige Sotho verbeugte sich tief und sag-te: »Es ist eine große Ehre, euer Fest besu-chen zu dürfen. Die Gesänge der Ophalersind von unvergleichlicher Schönheit!«

»Du hast schon oft Ophaler singen hö-ren?«

»Nein, dies ist das erste Mal«, antworteteStalker. »Natürlich abgesehen von dem Mei-stersänger Salaam Siin.«

Für den Augenblick gab sich Qion Lanaadamit zufrieden. Gemeinsam mit VoganDool führte er Salaam Siin; und Stalkerdurch die Räumlichkeiten. Gegen heutemorgen hatte sich praktisch alles verändert,was hatte verändert werden können; selbsteinige der Wände waren nun bunt gestri-chen, überall hingen glitzernde Schmuck-streifen, die niedrigen Sitzgelegenheiten derOphaler waren zu Dutzenden aufgestellt.

Mehrere Chöre hatten zu Salaam SiinsEhren kurze Gesänge einstudiert. Immerwieder wurden die Ereignisse von vor sie-benhundert Jahren geschildert, seine Jugendauf Zaatur, die ersten Erfolge in den Sing-schulen von Mardakaan.

Stalker setzte sich zwischendurch ab undging seine eigenen Wege. Doch der Pterus-Klon verließ das Fest nicht. Vielmehr nutzteer die Gelegenheit, sich jeden Winkel des

Gebäudes anzusehen. Fünf- oder sechsmallief Salaam Siin ihm wieder über den Weg;dann saß Stalker jedesmal vor einer der Syn-troniken und fragte Daten ab.

Irgendwann zogen Salaam Siin, VoganDool und Qion Lanaa sich in einen ruhigenRaum zurück.

Vogan Dool sang: »Du hörst, wie sie dichverehren, Salaam Siin. Und genauso geht esmir. Laß mich dein Diener und Begleitersein, solange du auf Zaatur oder anderenWelten des ophalischen Sternenreichsweilst! Ich könnte viel lernen, und ich könn-te dir von Nutzen sein.«

Irritiert wanderte Salaam Siins Blick zuQion Lanaa. Er war fest davon überzeugt,daß der Panish Panisha etwas damit zu tunhatte. Dennoch sang er: »Ich bin einverstan-den, Vogan Dool. Vielleicht benötige ichwirklich einen Vertrauten und Helfer.«

Dool brach in jubelnden Gesang aus. UndQion Lanaa nutzte die Gelegenheit, denRaum vor Salaam Siin und seinem neuenDiener zu verlassen.

Er wolle sich um das Mahl kümmern, sosagte er; in wenigen Minuten sei es soweit.

Draußen wartete einer der vielen Chöreauf sie. Salaam Siin ließ auch diese Lobprei-sung geduldig über sich ergehen, denn mehrwar es inzwischen nicht, weil selbst ophali-scher Gesang im Übermaß an Reiz verlor.Zehn Minuten später war das Festmahl an-gerichtet. Von draußen und von allen Seitenstrebten die Gäste dem großen Saal zu. Wieein großes Hufeisen waren hier lange Tischeangeordnet, überladen mit Speisen und Ge-tränken, die man nur auf Zaatur bekommenkonnte. Salaam Siin erkannte manches Ge-müse, das er seit seiner Jugend nicht mehrgegessen hatte.

»Dort vorn ist dein Platz, in der Mitte!«Vogan Dool drängte ihn auf den erhöhten

Sessel zu, der von Ophalern umlagert wurde.Aber plötzlich schob ein kräftiger Arm denneuen Diener beiseite.

Es war Stalker.»Ich muß dich sprechen, Sänger.«»Was ist los?«

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»Nicht hier. Allein.«»Das geht nicht.«»Doch, es geht. Ich habe nebenan einen

kleinen Konferenzraum gefunden.«Stalker faßte ihn an einem seiner Armpaa-

re und zog Salaam Siin mit sanfter Gewaltzur Seite. Die Gäste summten böse - dochdarum kümmerte sich der ehemalige Sothonicht. Wenn er wollte, konnte Stalker einerespekteinflößende Erscheinung sein.

Salaam Siin ergab sich in sein Schicksal,schon um keinen Zwischenfall zu provozie-ren.

Mit kaum sichtbarem Kraftaufwand schobStalker einen Schrank beiseite, der den Zu-gang zu einem kleinen, ungeschmücktenRaum verdeckte. Hier standen lediglich einpaar Stühle, ein Tisch und eine Syntronik.Keiner der Ophaler folgte ihnen, nicht ein-mal Vogan Dool. Nur ihre Stimmen drangennoch als gedämpftes Gewirr herein.

»Ich hoffe«, sang Salaam Siin, »daß dumir das erklären kannst.«

»Das kann ich, Sänger. Du solltest mirlieber dankbar sein.«

»Wofür? Für diesen peinlichen Auftritt?«»Auch das. Ich war nämlich anwesend,

als Qion Lanaa vor ein paar Minuten denFestsaal betreten hat. Er hat sich von einemder anderen Sänger etwas geben lassen, wasich nicht erkennen konnte. Welcher Platz istfür dich vorgesehen, Salaam Siin? Der in derMitte?«

»Ich denke schon.«»In dem Fall hat Qion Lanaa dir etwas ins

Essen geschüttet.«Salaam Siin stand ein paar Sekunden lang

wie vom Donner gerührt. Dann pfiff er mitaller Inbrunst: »Du hast den Verstand verlo-ren, Stalker! Wie kannst du es wagen, solcheine Beschuldigung auszusprechen?«

»Weil ich es gesehen habe«, meinte derehemalige Sotho nüchtern.

Salaam Siin gab einen Paukenschlag derEntrüstung von sich. »Du ärgerst dich nurdarüber, daß Lanaa dir Mißtrauen entgegen-bringt. Das ist es! Kaum setzt du einen Fußauf diesen Planeten - und schon agierst du

als Intrigant!«»Du täuschst dich, Salaam Siin …«»Denkst du? Und wenn Lanaa etwas in

mein Essen getan hat, wird es sich höchst-wahrscheinlich um Gewürze handeln.«

Salaam Siin drehte sich abrupt um undstürzte zur Tür hinaus. Er ließ sich vom Ju-bel der Gäste in Empfang nehmen und umdie Tische herum zu seinem Platz führen.Sekunden später eröffnete der Panish Panis-ha das Mahl.

Zunächst schaute Salaam Siin mißtrauischauf die Schüsseln vor ihm. Doch in dersel-ben Sekunde schalt er sich einen Narren. Erwar zu klug, Stalkers Intrigen weiterhin zumOpfer zu fallen. Nicht bei seinem eigenenVolk. Und als er die ersten Bissen gekostethatte, genoß er das Mahl mehr als alle ande-ren der letzten dreißig Jahre.

Eine Stunde später legte sich das Klingender Melodien. Die Gäste waren satt.

»Was wirst du nun unternehmen?« fragteQion Lanaa in leisem Ton.

»Mein Ziel ist es, gemeinsam mit Stalkerzu ESTARTU vorzudringen. Dazu brauchenwir ein Permit zum Dunklen Himmel, zumPlaneten Etustar. Ich hoffe, du als PanishPanisha von Mardakaan kannst mir diesesPermit verschaffen.«

»Wenn du nach Mardakaan kommst, ver-suche ich es«, antwortete Qion Lanaa. »DerPanish Panisha ist immer einer der wenigenin ganz Siom Som, die von ESTARTU wis-sen. Aber was unternimmst du, wenn du un-sere Beschützerin gefunden hast?«

»Ich denke, daß ich die zwölf Galaxiendanach wieder verlassen werde. Zumindestfür einige Zeit. Du hättest wie ich die Milch-straße oder Andromeda bereisen sollen, Qi-on Lanaa. Dort hat jedes Volk seine Melodi-en, seine Rhythmen. Ich bin ein Forscher ge-worden, mich hält es hier nicht. Es wird inmeinem Leben eine bestimmte Kompositiongeben, die ich vollenden muß, das sollst dunoch wissen. Und wie kann ich sie vollen-den, indem ich unter meinesgleichen lebe?

Habe ich wirklich schon alle Vielfalt ge-sehen? Oder genug? Daran zweifle ich.«

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»Manchmal muß man nicht sehen.Manchmal muß man nur begreifen.«

Was hatte Qion Lanaa damit sagen wol-len?

Die Miene des anderen war undurchdring-lich. Doch gerade das war es, was SalaamSiin zu denken gab. Ringsum zeigten alle,die das Gespräch mit angehört hatten, großeBetroffenheit über die Pläne des Meistersän-gers. Nur nicht Qion Lanaa.

Der Abend ging besinnlich zu Ende. Sa-laam Siin hörte sehr genau hin, doch er ver-nahm in den Gesängen der Ophaler nichtden geringsten Mißton. Sie alle waren vielzu glücklich, ihn wiederzusehen, als daß sieein. Wort der Kritik geäußert hätten. Dabeiwar der Meistersänger von den Galaktikerneher Offenheit gewohnt - und diese Offen-heit vermißte er noch von den Mitgliedernseiner Rasse. Kein Wunder, dachte er. Jahr-tausendelang hatten die Ophaler zum Ruhmder Ewigen Krieger gesungen und gelogen.Nun hatten sie die Lüge durch die Schönheitersetzt - aber waren zur Wahrheit noch nichtvorgedrungen.

Salaam Siin verließ das Fest spät.Seine Träume drehten sich immer wieder

um den seltsamen Estartischen Dom, den erbesichtigt hatte. Das scheinbar glatte Materi-al gewann in seiner Phantasie ungeheuerli-che Eigenschaften. Die Wände rückten ringsum ihn immer näher, erdrückten ihn, sogenihn dann in einem wunderbaren Vorgang insich auf. Angst und Euphorie mischten sichin seinem Geist.

Und plötzlich erwachte er.Ophaler schwitzten selten; doch diesmal

sonderte jede einzelne Drüse seines KörpersFlüssigkeit ab. Die Bespannung seiner Liegehatte sich mit Wasser vollgesogen. Er hatteungeheuren Durst. Wenn er nicht bald etwaszu trinken bekam, mußte er verdursten.

Aber Salaam Siin konnte sich nicht erhe-ben. Er wollte Hilfe rufen, doch aus seinemMembrankranz drang nicht der leiseste Ton.Die Psi-Komponente stand zur Verfügung,nicht jedoch der Schall. Stalker! War derehemalige Sotho für seinen Zustand verant-

wortlich? Nein … Salaam Siin richtete seineAugenknospen auf die dunkle Decke. BunteFunken tanzten, außerdem nahmen, seineHörorgane ein allgegenwärtiges Rauschenauf. Er war sicher, daß er nicht mehr träum-te. Vielleicht phantasierte er, aber er warwach.

Salaam Siin bekam keine Luft mehr.Sekundenlang setzte sein Atem ganz aus,

dann erst pumpten seine Lungen in flachenZügen etwas Sauerstoff in den Körper.

Und in seinem Inneren entstand eine Me-lodie. Der Sänger wußte nicht, woran es lag- doch ausgerechnet in diesem unpassend-sten aller Momente mußte er an seinen Bel-ku na sacca denken. Die Harmonie des Le-bens. Etwas, das er insgeheim als sein Ver-mächtnis betrachtete. Diesen einen Gesangwollte er nach seinem Tod den Ophalernund allen anderen, die hören konnten, hinter-lassen.

Nacheinander zogen Fragmente seinerMelodie an ihm vorbei. Die Unvollkommen-heit seines Konzepts wurde ihm bewußt. Soging es nicht, das begriff er in diesen Mo-menten besser denn je.

Sein Körper verkrampfte sich, die Tenta-kelpaare zuckten in hilflosem Schmerz. At-men, Luftholen. Erstmals spürte er förmlicheinen Teil der Fehler, die er begangen hatte.Belku na sacca war Musik für alle, nicht nurfür Sänger. Jeder mußte sie verstehen kön-nen, auch solche, die nicht über ein Gehörverfügten, die nur die Psionik spürten. Sa-laam Siin hatte eine Botschaft zu übermit-teln; und es war sein größtes Ziel, diese Bot-schaft jedermann zugänglich zu machen.

Töne entstanden.Salaam Siin formte sie mit schwindendem

Bewußtsein zu kurzen Takten.Kurz darauf verließen ihn endgültig die

Kräfte, doch bevor er in tiefen Schlaf fiel,merkte er noch, daß sich seine Atmung wie-der normalisierte.

5.

Am nächsten Morgen erwachte er völlig

26 Robert Feldhoff

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entkräftet. Salaam Siin erhob sich zunächstnicht, sondern rief den Zimmerservo zu Hil-fe. Er ließ sich Wasser und Nahrung an dieLiege bringen, anschließend ein Stärkungs-mittel. Erst eine Stunde später fühlte sich derMeistersänger wieder kräftig genug.

Stalker hatte die HARMONIE bereits ver-lassen. Eine Nachricht über seinen Aufent-haltsort gab es nicht; wahrscheinlich schauteer sich auf Zaatur um.

Salaam Siin selbst suchte zu Fuß die Leit-station des Raumhafens auf. Dort traf er Vo-gan Dool und den Panish Panisha.

»Wie geht es dir?« fragte Qion Lanaa.»Nicht gut«, sang er ehrlich. »Ich habe

schlecht geträumt.«In diesem Augenblick hatte er das Gefühl,

Lanaa reagiere mit verborgener Befriedi-gung … Aber es mußte ein Irrtum sein.

»Ich verlasse Zaatur jetzt«, kündigte derPanish Panisha an. »Ich habe nur noch dar-auf gewartet, mich von dir zu verabschieden.Sei in fünf Tagen auf Mardakaan. Ich werdezunächst ein großes Wettsingen zu deinenEhren veranstalten, anschließend reden wirdarüber, wie sich dein wichtigstes Problemlösen läßt. Wir werden einen Weg zu EST-ARTU finden.«

Ein paar Minuten später startete der Dis-kusraumer mit Lanaa an Bord. Sekundenspäter war das Schiff in Zaaturs Himmelverschwunden. Salaam Siin ließ sich denganzen Tag von Vogan Dool herumführen.Wenn er in fünf Tagen eintreffen sollte, blie-ben noch drei Tage Zeit. Aus Langeweilebesichtigte er seinen Heimatort. An dasHaus seiner Geburt hatte er viele Erinnerun-gen; der ständige psionische Klangteppich,den die Mitglieder seines Haushalts verbrei-tet hatten, das allzu kurze Gefühl der Gebor-genheit. Natürlich veranstalteten auch dortdie Ophaler ein großes Fest zu seinen Ehren.Aber Salaam Siin war der Feste müde.

Stalker kehrte noch später in die HAR-MONIE zurück als er.

Und am nächsten Morgen, als der Sängerden Pterus-Klon suchte, war dieser schonwieder spurlos verschwunden.

»Vogan Dool, du mußt mir einen erstenGefallen erweisen.«

»Was immer du befiehlst«, antwortete derandere mit unterwürfiger Melodie.

»Ich will wissen, wohin Stalker ver-schwindet. Bitte, finde es für mich heraus!Hier auf Zaatur kann er sich nicht verbergen.Aber ich will nicht, daß er mich erkennt,wenn ich ihm folge. Deshalb bist du derRichtige für diesen Auftrag. Lege andereKleidung an, sonst wird er mißtrauisch.«

Vogan Dool wackelte zweifelnd mit sei-nem langen, ausgefahrenen Hals. »Er ist einPterus. Du überschätzt ihn.«

»Nein!« Salaam Siins Ausruf war einschneidender Akkord. »Ich kenne Stalker!Du wirst ohne meine Erlaubnis kein einzigesWort mehr mit ihm reden! Verstehst du?Nicht ohne mein Beisein! Bilde dir niemalsein, daß du Stalker gewachsen wärst!«

Salaam Siin schickte Dool auf die Suche.Doch er wartete bis zum nächsten Tag, biser Antwort erhielt. »Nun?« fragte er denSinglehrer von Zaatur aufgeregt. »Was hastdu herausgefunden?«

»Er sitzt im zentralen Archiv von Zaatur.Ich habe die Verwalter gefragt; zunächst hatStalker sich sämtliche verfügbaren Datenüber einen Planeten namens Leenaia be-schafft. Das ist ein Planet in der GalaxisMuun, mußt du wissen …«

»Ich weiß darüber Bescheid! Weiter!«Vogan Dool hob voller Überraschung den

Kopf. »Du weißt …? Aber den Rest kannstdu nicht wissen. Stalker hat auf Zaatur we-nig über Leenaia herausgefunden. Also hater über den Rundruf der Archive nachge-forscht. Er hat herausgefunden, daß das Ar-chiv von Leenaia damals nach Mardakaangerettet wurde. Es handelt sich um mehr alstausend Gesänge. Man könnte daraus die ge-samte Vergangenheit des Planeten rekon-struieren.«

»Speicherkristalle?«»Ja.«»Und hatte Stalker die Möglichkeit, die

Kristalle abzuhören?«»Nein, dazu muß er persönlich nach Mar-

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dakaan.«Salaam Siin summte nachdenklich, dann

befahl er: »Sobald Stalker hier auftaucht,wirst du dich unter einem Vorwand von hierentfernen. Du läßt die Gesänge von Leenaiafür die Öffentlichkeit sperren. Ist das mög-lich?«

»Gewiß.«»So, daß nur ich oder du die Sperre aufhe-

ben können?«»Mir als Singlehrer dürfte auch das mög-

lich sein.«»Gut. Irgendwann muß Stalker sein Ge-

heimnis preisgeben. Dann werde ich einigesmehr verstehen.«

Eine halbe Stunde später traf mit einemGleiter der ehemalige Sotho ein. VoganDool verabschiedete sich für einige Zeit,und als er zurückkehrte, starteten sie zu drittnach Mardakaan.

Der Flug nahm zwei Tage in Anspruch,wie vorausgesehen. Normalerweise hätteman die Strecke natürlich viel schnellerschaffen können. Doch Salaam Siin bestanddarauf, mehreren Planeten des ophalischenSternenreichs einen kurzen Besuch abzustat-ten. Er stellte keine großen Weiterentwick-lungen fest. Zwar war der Kriegerkult zer-stört - doch einmal mehr erwies sich, daß inweniger als tausend Jahren keine großenSprünge zu erwarten waren.

Die Nachricht über seine Rückkehr hattesich wie ein Lauffeuer verbreitet. Mit derLandung der HARMONIE ergriff die Plane-ten jeweils ein regelrechtes Fieber. SalaamSiin hatte nie länger als eine Stunde Zeit, bisrings um ihn unbeschreiblicher Trubel los-brach.

Am zweiten Tag verzichtete er auf weite-re Besuche. Statt dessen zog er sich lieberauf die Projektorschüssel seines Schiffes zu-rück und komponierte. Das, was in der letz-ten Nacht auf Zaatur plötzlich an Melodie-fragmenten in ihm entstanden war, verlangtenach Ordnung. Er machte Fortschritte, ge-wiß, aber noch sah er nicht die geringsteChance, seine Harmonie des Lebens zuvollenden.

Zum verabredeten Datum erreichten sieMardakaan.

Der Planet kreiste als einziger Trabant umdie rote Riesensonne D'haan. Sie lag imZentrum des ophalischen Sternenreichs; hierkreuzten sich die Routen der wenigen Passa-gier- und Handelsschiffe. Mardakaan ver-fügte lediglich über eine dünne Sauerstoffat-mosphäre. Ausgedehnte Wüsten und Geröl-lebenen wechselten sich mit niedrigen Ge-birgen ab, Wasser oder Leben kamen nurselten vor. Die Ausnahme bildete natürlichdie Zivilisation der Ophaler. Ihr Mittelpunktwar die Südpolstadt Mardakka. Aufgrundder dünnen Atmosphäre umschloß einePrallfeldkuppel das gesamte Gelände - frü-her mit einem Durchmesser von hun-dertzwanzig und einer Höhe von fünf Kilo-metern. Heutzutage hatte man den Durch-messer fast verdoppelt. Rings um die Stadterstreckten sich künstliche Äcker und Seen.

Die HARMONIE funkte um Landeerlaub-nis.

Man wies ihnen einen Platz am Rand desRaumhafens zu, jedoch in unmittelbarer Nä-he der Kontrolltürme. An diesem Tagherrschte reger Raumschiffsverkehr - einUmstand, den Salaam Siin beim besten Wil-len nicht erwartet hätte. Weshalb das? Min-destens dreißig der heutzutage typischenDiskusraumer starteten oder landeten gera-de. Allerdings gab es kein einziges Raum-fahrzeug, das einfach nur geparkt stand. Allewaren in Bewegung oder wurden gerade ge-wartet. Je tiefer sie gingen, desto mehrwuchs die Stadt zu kaum überschaubarerGröße an. Genauso hatte er sich bei seinemersten Besuch gefühlt; damals als hoff-nungsvoller Sänger ohne Namen.

»Gehen wir«, schlug er vor.Hinter ihm folgten Vogan Dool und Stal-

ker.Als er die Schleuse öffnete, empfing ihn

bereits ein psionischer Chor. Die Grußmelo-die war ein Satzgesang für hundert Ophaler,den er noch von früher kannte. Sie wurdeGesang der neuen Taten Ijarkors genannt;und Salaam Siin stellte mit Freude fest, daß

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sie von den Taten Ijarkors nach dem Fall derKrieger berichtete. Mit dem Tod des Dich-ters Kor endete der Gesang.

Aus der farbenfrohen - Schar trat der Pa-nish Panisha hervor.

»Wir grüßen dich, Salaam Siin!« sang er.»Alle Ophaler von Mardakka sind stolz,einen Meistersänger deiner Klasse in ihrenReihen zu haben. Darf ich dich und deineBegleiter zu euren Unterkünften führen?«

Die Fahrt war nur kurz gewesen. IhreHerberge lag so nahe am Hafen, daß sieauch zu Fuß hätten gehen können. Stalkerhatte sich rasch verabschiedet, und SalaamSiin wartete nun auf die Rückkehr des Pa-nish Panisha. Zum Glück hatten sie Ruhehier; Mardakka bot wesentlich mehr Anony-mität als eine Stadt der kleinen Kolonien.

»Benötigst du heute noch meine Dien-ste?« fragte Vogan Dool.

»Ich denke nicht«, antwortete Salaam Si-in. »Ich erwarte Qion Lanaa. Er wird mir dieStadt zeigen. Ich nehme an, du hast Bekann-te hier.«

»Das stimmt. Ich würde gern meine ehe-maligen Lehrer besuchen.«

»Amüsiere dich gut.«Dool verschwand irgendwo zwischen den

Häusern, die man vom Fenster aus sehenkonnte, und ein paar Minuten später traf Qi-on Lanaa ein.

Ihr Fahrzeug war ein kleiner Gleiter. DieStadt hatte sich sehr verändert.

Von den Symbolen der Macht war wenigübriggeblieben. Wo früher riesige Gebäudeden Troß des Ewigen Kriegers Ijarkor beher-bergt hatten, standen nun kleine Wohntürmemit Gärten ringsum. Die Energiezentralenwaren gut gewartet, liefen aber nur nochteilweise. Und überall waren Herbergen ausdem Boden geschossen. Unzählige Gleiterflogen herum, in wimmelndem Verkehrdurch die Hauptverkehrsadern der Stadt. Anjeder zweiten Ecke standen Akustikdome,die Gebäudekomplexe gehörten zu Sing-schulen.

»Welchem Zweck dient Mardakka heu-te?« fragte Salaam Siin.

»Heutzutage bilden wir so viele gute Sän-ger aus, wie wir nur können. Wir glauben,daß ESTARTU dem Volk der Ophaler einenspeziellen Platz zugewiesen hat. Wir sinddie, die eines Tages den Frieden von SiomSom garantieren sollen; also benötigen wirviele gute Chöre. Viel mehr, als es früherder Fall war. Die Nambicu ara wada übri-gens ist nach wie vor die größte und bedeu-tendste der Schulen.«

»Und ganz Mardakka dient diesem Ziel?«»Hauptsächlich«, schränkte Qion Lanaa

ein. »Natürlich wird hier auch Verwaltungs-arbeit für das Sternenreich der Ophaler ge-leistet. Hier stehen die großen Archive. Undhier steht noch etwas, das ich dir zeigenmöchte.«

»Was ist es?«»Der Estartische Dom des Planeten«, sang

Qion Lanaa voller Ehrfurcht.Salaam Siin strich nervös über seine Bor-

kenhaut. Die Oberfläche fühlte sich heutespröde an - und er hatte keine Ahnung, wes-halb die Erwähnung des Domes ihn plötzlichaus dem Gleichgewicht brachte. Daran warnichts Außergewöhnliches. Nichts! Nur einDom wie alle anderen.

Nach zwanzig Minuten Flug erreichtensie ein weites, spärlich bebautes Areal. Sa-laam Siin erinnerte sich, daß ungefähr hierfrüher Ijarkors Stadtquartier gestanden hatte.Offenbar war das Gelände eingeebnet undfür einen bestimmten Zweck reserviert wor-den. Und an diesem Zweck bestand keinZweifel: Zentrum des Areals war der Domin der Mitte. Die Höhe des Gebäudes betrugmehr als zweihundert Meter, der Durchmes-ser etwa fünfzig.

Qion Lanaa landete ihren Gleiter unmit-telbar am Portal.

»Komm!« sang er. »Das wird dich inter-essieren.«

Sie betraten den Dom durch eine riesigeTür. Zunächst passierten sie ein paar Sälemit den üblichen Holzbänken. Hier hattenmindestens zweitausend Ophaler Platz.Dann erst betraten sie den eigentlichenDom. Von innen wirkte die Hauptkuppel ge-

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waltig mit ihrem riesigen Durchmesser undden zweihundert Metern Höhe. Acht Neben-kuppeln gruppierten sich wie auf Zaatur imKreis darum.

Probeweise pumpte Salaam Siin seinenMembrankranz auf und summte eine leiseMelodie. An den Wänden verloren sich dieGeräusche, weil jeder Akustikdom einenschalltoten Raum ohne Reflexe bildete. Soblieb nur der reine Gesang bestehen, diePsionik kam ohne Verfälschungen zur Gel-tung. Allerdings mußte man in einem Dommit absoluter Präzision singen. Jeder Fehlerstach aus dem Bild heraus.

»Ich stelle nichts fest, was ungewöhnlichwäre«, sang er. »Weshalb hast du mich her-gebracht?«

»Dies ist der größte Estartische Dom imganzen ophalischen Sternenreich. Du hastvielleicht schon gehört, daß er ganz aus Le-bensstein besteht. Wir finden das Materialam Äquator, nur eine einzige Förderstelle,geringe Mengen. Es hat hundert Jahre ge-dauert, bis dieser Dom hier stand.«

»Hundert Jahre?« Salaam Siins Antwortwar ein staunender Dreiklang.

»Ja. Und jetzt ist der Augenblick gekom-men, da ich dich über das Geheimnis aufklä-ren werde. Der Erfinder der EstartischenDome war ein Ophaler namens Lava Aag -einer der größten ophalischen Wissenschaft-ler überhaupt. Er ist seit über vierhundertJahren tot. Ich habe im nachhinein über ihnNachforschungen anstellen lassen …«

In Salaam Siin breitete sich eine Ahnungaus. Seine Sinnesknospen brannten vorplötzlicher Erregung, seine Muskeln pump-ten in heftigen Stößen Körperflüssigkeit.»Nachforschungen weshalb? Wegen seinesNamens?«

Qion Lanaa lachte melodiös. »Das istrichtig. Lava Aag ist ein Name, der nirgend-wo auf den Planeten der Ophaler entstehenkann. Und die Spur seiner Geburt verliertsich irgendwo - so wie bei Barcus Moon.«

»Dann … dann muß ein bestimmtes Ge-heimnis diese Dome umgeben!«

»Du hast recht, Meistersänger. Die Estar-

tischen Dome sollen nicht nur schalltoteRäume für Singwettbewerbe sein. Sie dienenvielmehr der Verstärkung unseres Gesangs.Was hier gesungen wird, nimmt man noch ingroßer Entfernung wahr.«

»Ist das ein Fortschritt?« fragte SalaamSiin skeptisch. »Schon seit jeher ist es so,daß ein Ophalerchor nur groß genug seinmuß. Dann reicht unser Gesang mehrereLichtjahre weit.«

»Das heutige Ziel ist ein anderes. Ich sag-te dir, unser Volk ist ausersehen, ganz SiomSom Frieden zu bringen. Das war eine Lüge.Die Eingeweihten sind wenige; du wirst abheute einer von sechs Sängern, die den wah-ren Plan kennen. Wir wollen nicht nur aufSiom Som, sondern auf alle zwölf GalaxienEinfluß nehmen. Nicht von heute auf mor-gen, gewiß nicht. Aber im Verlauf von tau-send oder zweitausend weiteren Jahren.Vielleicht noch länger, wer weiß.«

»Zweitausend Jahre …«, hauchte SalaamSiin. »Wer denkt in solchen Zeiträumen?«

»Du kannst dir denken, wer. Niemand vonuns Sterblichen weiß, ob der Plan gelingt,aber wir werden es versuchen.«

»Gehört noch mehr dazu als nur die Do-me?«

»Natürlich!« sang der Panish Panisha.Seine Stimme verlor sich im schalltoten Le-bensstein der Wände. »Die Bauwerke alleinsind wertlos. Wir müssen zunächst jedemeinzelnen Dom seine Persönlichkeit geben,damit ein großes Netz entsteht. Dazu werdenseit langer Zeit die besten Sänger unseresVolkes ausgewählt. Auf der Höhe ihresKönnens erhalten sie vom jeweiligen PanishPanisha das Nanaado-Medikament.«

»Diesen Namen habe ich nie gehört.«»Natürlich nicht. Er ist ebenfalls nur we-

nigen Eingeweihten bekannt. Ich bitte dich,niemandem gegenüber einen Ton verlautenzu lassen. Auch nicht bei Vogan Dool oderdeinem Freund Stalker.«

»Stalker ist nicht mein Freund«, sang Sa-laam Siin ablehnend.

»Dann ist es um so besser. Denn dasNanaado ist unser größtes Geheimnis, übri-

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gens ebenfalls mit dunkler Herkunft. EinMeistersänger, der es erhält, wird innerhalbweniger Tage in einen besonderen körperli-chen Zustand versetzt. Die Kräfte schwin-den, doch der Geist erlangt unglaublicheKräfte, damit auch die psionische und sän-gerische Leistung. Und auf dem Höhepunktlöst sich der Geist vom Körper. Die Hüllestirbt - und die Persönlichkeit eines solchenSängers geht in den Estartischen Dom ein.«

Salaam Siin brachte nur ein paar ungläu-bige Melodiefragmente heraus, so über-rascht war er. »Das kann nicht sein, QionLanaa.«

»Warum nicht? Die Ophaler sind ein Volkvoller Psionik. Wir nutzen nur einen Bruch-teil unserer Fähigkeiten!«

»Aber nicht das. Es ist unmöglich.«»Keineswegs! Es gibt Vorbilder dafür.

Wir kennen mehrere Beispiele beseelterBauwerke. Die Synthese zwischen Geist undMaterie ist schon oft vollzogen worden, wirsind nur Nachahmer.«

Salaam Siin widersprach nicht mehr; dennin diesem Augenblick fielen ihm selbst zweiParallelen ein. Atlan hatte ihm vom DomKesdschan auf Khrat erzählt, mit dem Geistvon Rittern der Tiefe, und von der Stahlfe-stung Titan, in die einst ein Mann namensLeticron eingegangen war.

Lanaa fuhr fort: »Sobald ein Sänger dasEndstadium erreicht hat, kommen alle Sing-lehrer des Reiches zusammen und bildenden Todeschor. Sie wissen, was geschehenwird, doch sie wissen nicht, auf welche Wei-se. Schon mehr als zwanzig Estartische Do-me sind bisher beseelt worden. Das sindzehn Prozent.« »Mehr als zwanzig?« SalaamSiin ließ den Blick seiner Sehknospen überdie glatten Wände wandern. »Auch dieserhier?«

»Ja. Der Estartische Dom von Mardakkaist der einzige, der einmal drei Bewußtseinetragen soll. Zwei davon sind bereits in denLebensstein übergegangen. Du kannst siefühlen, wenn du willst.«

»Wie?«Qion Lanaa pfiff ein paar geheimnisvolle

Laute. Dann jedoch sang er: »Durch einfa-chen Körperkontakt. Die Sänger werden dei-ne Nähe spüren. Es sind Miic Deinen undVersa Cameen. Sie waren berühmte Singleh-rer zu ihrer Zeit.«

Salaam Siin bewegte sich gegen seinenWillen; er wäre am liebsten in der Mitte desDomes stehengeblieben und hätte nur abge-wartet. Doch seine kurzen Beine bewegtensich wie von selbst auf den Rand der Kuppelzu. Miic Deinen und Versa Cameen. Wardas möglich, was der Panish Panisha soebenbehauptet hatte? Oder saß Salaam Siin ei-nem gigantischen Schwindel auf?

Vorsichtig streckte er einen seiner Tenta-kelarme aus.

Die Greifbüschel tasteten über kalten,glatten Lebensstein. Und tatsächlich war daetwas wie eine elektrische Spannung. Dasjedenfalls war es, woran Salaam Siin sofortdenken mußte, denn durch seine Nervenkno-ten strömten undefinierbare Impulse. Erkonnte nicht anders, er mußte mit allenGreifbüscheln zugleich den Stein spüren.

In dem Augenblick durchfuhr ein Krampfseinen Körper.

Ich bin Versa Cameen.Es war ein mentaler Satz, den er nicht mit

den Hörorganen, sondern durch die Hautaufgenommen hatte.

»Mein Name ist Salaam Siin!« summte erleise, aber mit so intensiver Psionik wie nurmöglich.

Keine Antwort.Versa Cameen konnte nicht antworten,

das begriff er in diesem Augenblick. Es warnicht das komplette Bewußtsein, das den Le-bensstein beseelt hatte, sondern die Essenzeiner Seele, die Persönlichkeit. Salaam Siinfühlte Cameens sängerische Kraft, die Präzi-sion seiner Töne … Von ihm ging eineFriedfertigkeit aus, wie Salaam Siin sie sel-ten zuvor gespürt hatte, höchstens noch beiden Friedensstiftern der Milchstraße.

Aber noch eine zweite Kraft erfüllte denEstartischen Dom. Es war der Geist desSinglehrers Miic Deinen. Deinens Persön-lichkeit war eher zurückhaltend, jedoch

Der Gesang des Lebens 31

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ebenso makellos. Gemeinsam bildeten diebeiden eine Kraft, die auf Salaam Siin unge-heure Anziehungskraft ausübte.

Die Krämpfe in seinem Körper verstärk-ten sich.

Salaam Siin bekam Atemnot - so wie injener Nacht in der HARMONIE. Er hattedas Gefühl, als käme sein Kreislauf völligzum Stillstand, als könne er keinen seinerTentakelarme auch nur um einen Zentimeterheben. Gerade spürte er noch, wie sein Kör-per schlaff an der Wand zusammensackte,schon wich aus seinem Körper jedes Gefühl.

Qion Lanaa mußte helfen.Lanaa!Salaam Siin hatte rufen wollen. Vergeb-

lich, weil sein Membrankranz stillag.Der Panish Panisha beobachtete lediglich,

dessen war sich Salaam Siin aus irgendei-nem Grund völlig sicher. Er hätte sterbenkönnen, ohne daß Lanaa auch nur einen Me-dorob gerufen hätte.

Ich bin Miic Deinen.Da war auch die Stimme des zweiten

Meistersängers, und Salaam Siin vergaß voneiner Sekunde zur anderen die Lage seinesKörpers völlig.

Ich höre Musik in dir, Fremder.Salaam Siin wollte antworten, aber er

konnte es nicht. Miic Deinen und Versa Ca-meen lockten aus ihm nur die Melodien her-vor, die seinen Geist erfüllten, schickten siedurch die ungeheuer komplexe Struktur desEstartischen Domes und filterten diejenigenAnsätze heraus, die den größten Wert ver-sprachen. Nambaq siwa, die Harmonie desTodes, erklang plötzlich. Die verboteneChromatik erfüllte den Lebensstein des Do-mes bis in den hintersten Winkel. Ein feines,kaum wahrnehmbares Beben breitete sichaus, das er nur deshalb spürte, weil seinGeist ab jetzt mit dem Stein verbunden war.

Stoppt das! dachte er verzweifelt. Ihrmüßt doch hören, was ihr tut!

Gewöhnliche Sänger hätten dem Nambaqsiwa in diesem Stadium nicht mehr entkom-men können, doch Deinen und Cameen hat-ten ein zu hohes sängerisches Niveau er-

reicht. Sie ließen den Gesang in eine neue,ungefährliche Tonart münden. ForschendeTöne durchdrangen Salaam Siin bis auf denGrund seines Gedächtnisses, längst verges-sene Gesänge wurden zutage gefördert.Doch den größten Eindruck hinterließ das,was ganz zuoberst lag - wie ein Echo hörteer Fragmente seiner Harmonie des Lebens.

Immer dort, wo Sterne im gesamten Wel-lenspektrum ihre Strahlung ausschütteten,wo es Licht, Wärme und Planeten gab, ent-stand die Voraussetzung für Leben. EineVoraussetzung, die nur allzu selten genutztwurde. Das Chaos stand jeder Organisationentgegen …

Hätte er dieses Wunder nur allen Wesennahebringen können! Aber Salaam Siin warmit tiefer Verzweiflung davon überzeugt,daß Krieg und Tod längst den Ursprung desLebens an Bedeutung übertroffen hatten.Miic Deinen und Versa Cameen waren se-kundenlang nicht imstande, seiner Verzweif-lung etwas entgegenzusetzen - doch dannströmten ihnen aus dem Dom selbst Kräftezu.

Salaam Siin komponierte wieder. Ein paarder Fragmente, die er erschaffen hatte, fügteer zu unvollkommenen Melodiebögen zu-sammen. Als er die Dynamik der ersten Tö-ne spürte, erschauerte er innerlich.

Das Universum war groß. Verschwen-dung war sein Prinzip. Und immer blieb ge-nügend übrig, immer wieder entstand allenWidrigkeiten zum Trotz der Keim, aus demLeben wachsen konnte. Der Urschlamm, dieerste Zelle, die erste Melodie. Wo immerOrdnung entstand, trachtete sie danach, sichzu vermehren. Davon berichtete der Belkuna sacca. Vom Werden und vom Wunder.

Doch etwas entzog ihm die Grundlageseiner Schöpfungskraft. Deinen und Cameenentfernten sich immer weiter von ihm, bis erihre Gegenwart kaum noch wahrnahm.

Dafür spürte er mit um so stärkerer Qualseinen ausgelaugten Körper. In der Tat, erwar an der Wand zusammengesunken, undsein Hals war in unmöglichem Winkel zwi-schen Tonnenkörper und einem Tentakel-

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paar eingeklemmt. Salaam Siin wimmerte.»Lanaa …«Endlich griff der andere zu. Der Panish

Panisha faßte vorsichtig unter seinen Kör-per, dann trug er Salaam Siin zum Gleiter.

Der Meistersänger brauchte ein paar Mi-nuten, bis er im Kopf wieder klar wurde.Aus der Medoausrüstung verabreichte derPanish Panisha ihm ein Stärkungsmittel mitWasser - und von jetzt an erholte sich Sa-laam Siin rasch.

»Danke«, flüsterte er bald. »Aber warumhast du mir nicht gleich geholfen?«

»Weil das dein zweiter Naado war. Ichnehme an, du hast mit den beiden Geisterndes Doms gesungen.«

»Das … das ist richtig.«Salaam Siin richtete sich mühevoll im

Sessel auf. Er starrte hinaus in die Ödnis desPlaneten Mardakaan. D'haan war eine rie-senhafte, blendend grelle Scheibe im trübenHimmel, während sich hinter ihnen der Est-artische Dom erhob. Ihm war noch immerkalt. Und außerdem hatte er jetzt begriffen,was wirklich vor sich ging.

»Ich soll der nächste Sänger sein, nichtwahr? Du willst, daß mein Bewußtsein alsdrittes in den Dom eingeht.«

»Ja. Deshalb wurde uns deine Rückkehrprophezeit. Du bist der, der dem Dom vonMardakka seine Seele geben soll. Du, Sa-laam Siin, wirst die Seele des Planes sein.Du bist der, der zweihundert ophalischeChöre in zweihundert Estartischen Domenvereinen kann. In tausend oder zweitausendJahren, wenn alle heute Lebenden längst totsind, lebt deine sängerische Kraft weiter. Ichhabe dir auf Zaatur das Nanaado verab-reicht.«

Salaam Siin fühlte sich wie betäubt. Erhatte oft Angst vor dem Tod gehabt, hattesich jedoch in Begleitung seiner FreundeGucky, Beodu und Atlan immer wieder ret-ten können. Und nun, da es soweit war, fühl-te er statt Furcht nur eine Leere in seinemKopf. Nicht einmal Melodien hörte er.

Stalker hatte recht gehabt. Lanaa hatte et-was in sein Essen gegeben, und er hatte dem

Pterus-Klon nicht glauben wollen. Das räch-te sich jetzt. Doch er wußte nicht einmal, ober traurig oder zornig sein sollte.

»Wie lange noch?« fragte er leise.»Ein paar Tage höchstens. Das war dein

zweiter Naado. Der vierte wird deinen Kör-per töten und den Geist freisetzen. Seit mei-ner Rückkehr nach Mardakaan sind sämtli-che Schiffe des Reiches unterwegs, um denTodeschor zu sammeln. Es gibt nicht vieleSchiffe in unserem Reich, und sie alle wer-den eigentlich benötigt. Ophaler werdensterben, damit dein Chor komplett ist.«

Salaam Siin stöhnte laut auf. Er begriffdas alles nur zur Hälfte.

»Warum hast du nicht vorher mit mir ge-redet?«

»Hättest du auf mich gehört? Dieses Risi-ko war zu groß. Du darfst uns nicht wiederverlassen, weil mit dir der Plan steht undfällt.«

»Es wäre ein anderer wie ich gekom-men.«

»Aber wann, Salaam Siin? Wir habenfünfhundert Jahre gewartet. Denke daran,daß es nicht mein Plan ist. Denke an LavaAag und Barcus Moon.«

Ja, Qion Lanaa hatte recht. Salaam Siinlehnte sich in seinem Sitz zurück. Er warentsetzlich müde.

6.

Der dritte Naado stellte sich zwei Tagespäter ein. Diesmal war ausgerechnet Stalkeranwesend, als es passierte. Salaam Siin trau-te dem anderen ohnehin nicht, deshalb fühlteer sich in den ersten Sekunden völlig ausge-liefert. Aber der Augenblick verging rasch.Er verlor den Kontakt zur Realität und ver-senkte sich unter schweren Krämpfen in sei-ne Komposition. Denn eines wußte er ge-nau: Seine Harmonie des Lebens mußtenoch vor dem entscheidenden Momentvollendet werden.

Stalkers Mühen spürte er hin und wiederaus weiter Ferne. Sein Körper wurde ange-hoben und transportiert. Aber er kümmerte

Der Gesang des Lebens 33

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sich nicht darum.Die Melodiebögen erhielten endlich Sinn.

Je länger er in diesem Stadium verweilte, jeschwerer die Krämpfe ihn schüttelten, destorascher flossen ihm die Töne zu. Sie warenteilweise schon immer in ihm gewesen, undden Rest hatte er sich auf seinen Reisen er-worben. Es war ein qualvoller Prozeß. Wäreer bei Bewußtsein gewesen, er hätte zwi-schendurch innehalten und Pause machenkönnen. So aber litt er in kaum erträglichemMaß unter seinem zwanghaften Schöpfer-drang. Furchtbare Schmerzen quälten ihn.War das schon der Tod? Nein, nur dieWucht der Töne …

Salaam Siin stand die Aufgabe bevor, dar-aus eine Einheit zu formen.

Die Harmonie des Lebens.Nun hatte er alles beisammen.Nur der letzte Funke fehlte noch.Immer wieder ließ der Meistersänger die

Musik durch seinen Geist klingen, und je-desmal stellte er einen nicht definierbarenMakel fest.

Was es war? Er hatte keine Ahnung.»Sänger! Hörst du mich?« wisperte eine

Stimme.Nicht jetzt, nur nicht jetzt! Nicht so kurz

vor dem Ziel!Aber die Stimme drängte mit jeder Sekun-

de weiter in sein Bewußtsein.»Salaam Siin! Kannst du mich hören? Ich

sorge mich, Salaam Siin! Du bist der, derdas Permit zum Dunklen Himmel beschaf-fen muß! Du darfst nicht sterben!«

Seine Sinnesknospen nahmen ihre Tätig-keit wieder auf. Schmerzen erfüllten jedeFaser des Körpers, seine rote Borkenhautwar blaß und noch rissiger als vorher gewor-den. Salaam Siin wurde bewußt, wie kranker aussah - aber das, so dachte er, war keinWunder für einen Sterbenden.

Aus dem Nebel tauchte Stalkers Gesichtauf. Die dreieckigen Augen leuchteten inscheinbarer Besorgnis, seine Brauenwülstewarfen lange Schatten auf das Drachenge-sicht. Im Hintergrund blitzten die klinischsauberen Einrichtungen der Medozelle.

»Ich hasse deine Stimme«, sang SalaamSiin leise. »Das habe ich dir nie gesagt. Aberdein Sothalk ist so häßlich, daß…«

»Ja?« meinte Stalker ohne jede Regung.Sein spitzer Schädel wirkte plötzlich dro-

hend, das Hohlkreuz spannte sich mit furcht-barer Wucht.

Aber nein, dachte Salaam Siin, er phanta-sierte.

»Wie dem auch sei, Sänger: Ich hoffe,daß es dir wieder besser geht. Was war los?«

»Nur ein vorübergehendes Unwohlsein.Du brauchst dir keine Sorgen um das Permitzu machen.«

»Das beruhigt mich«, entgegnete der ehe-malige Sotho mit falscher Freundlichkeit.»Du weißt, wie sehr es mir darauf ankommt.Nun gut. Wenn du dich besser fühlst, kannich mich um meine Angelegenheiten küm-mern.«

Welche das allerdings waren, setzte Stal-ker nicht hinzu. Irgend etwas mußte es mitLeenaia zu tun haben, doch Salaam Siin hat-te jetzt nicht die Kraft, sich an Nichtigkeitenaufzureiben.

Auch die Sache mit den Estartischen Do-men verschwieg er. Sein Begleiter würde nieetwas davon erfahren. Ebensowenig wieAlaska Saedelaere, Siela Correl oder RoiDanton, wenn sie einander tatsächlich nocheinmal trafen.

Salaam Siin hielt sich stundenlang in derNähe des Raumhafens auf. Vom Dach eineshohen Gebäudes aus beobachtete er, wie inrascher Folge Raumschiffe aus dem Himmelfielen, Delegationen von Ophalern absetztenund wieder starteten. Er hätte gern jeden ein-zelnen Passagier begrüßt - doch im Augen-blick verspürte er ein übermächtiges Bedürf-nis nach Einsamkeit.

Hier oben hörte niemand die Töne, die erhin und wieder von sich gab. Nur VoganDool - aber der war ohne Bedeutung. VieleStunden vergingen. Er summte hin und wie-der Bruchstücke seiner Komposition, dochhatte sich nichts grundlegend verändert. Derletzte, geniale Funke fehlte.

»Meistersänger!«

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Er drehte sich um und sah hinter ihm sei-nen blaßhäutigen, fetten Diener. »Ja? Wa-rum störst du mich?«

»Ich habe eine Nachricht bekommen«,sang der andere respektvoll. »In genau einerStunde wird das letzte der Schiffe landen.Dann sind die Singlehrer komplett auf Mar-dakaan angekommen.«

»Und dann?«»Man wird ein Konzert für dich veranstal-

ten«, kündigte Vogan Dool an.»Im Estartischen Dom, nicht wahr?«»Ja.«Salaam San wußte genau, daß Dool nicht

in allen Einzelheiten über den wahren Planinformiert war. Trotzdem fragte er: »Undweißt du auch, was dann geschehen wird?«

Der Singlehrer von Zaatur wackelte unsi-cher mit dem lang ausgefahrenen Hals. »Dasweiß ich. Du wirst sterben.«

»Macht dich das nicht traurig?«»Weshalb? Ist der Tod so schrecklich für

dich?«»Vielleicht nicht … Aber was denkst du,

zu welchem Zweck ich sterben werde?«»Wir Singlehrer gehören zu den wenigen,

die von ESTARTU wissen. Jedenfalls die,die nach Mardakaan eingeladen wurden.Und wir glauben, daß unsere besten Sängerin den Estartischen Domen aufgehen.«

»Aber wozu das?«»Damit unsere Musik für die Ewigkeit

konserviert wird, denke ich.«Salaam Siin summte deprimiert und ließ

ihn in dem Glauben.Die beiden Ophaler schwiegen lange. Sie

starrten in den Himmel, bis nach einer Stun-de der letzte Diskus gelandet und anschlie-ßend wieder im Himmel von Mardakaanverschwunden war. Nur noch ein paar Stun-den, dachte der Meistersänger. Dann lag derdiesseitige Teil seiner Existenz hinter ihm.All die Feste, all die unbekannten Melodien,die Kulturen der Völker. Es fiel ihm so un-glaublich schwer, Abschied zu nehmen. Inden letzten Stunden hatte er sich in einensonderbaren Zustand innerlicher Betäubunghineingesteigert. Er war noch nicht soweit,

er hätte seinem Volk noch vieles geben kön-nen. Aber Qion Lanaa hatte ihm das Nanaa-do-Medikament verabreicht. Es war zu spät.

Gemeinsam mit Dool verließ er das Hausund suchte die HARMONIE auf. Wem soll-te sein Schiff gehören, wenn es vorbei war?Es brauchte einen guten Herrn - jemandenwie Alaska Saedelaere. Der dürre Menschwar der, der ihn damals als kleinen Sängerzu den Gängern des Netzes geholt hatte. Au-ßerdem kannte Alaska Saedelaere die Ein-samkeit. Die Einsamkeit nämlich war es, dieder Ophaler mit ihm gemein hatte. AuchGucky und Beodu hätten ihm niemals überdas Gefühl hinweghelfen können, im Grun-de isoliert zu sein, und hier in Siom Som sahes kein bißchen anders aus. Von den ge-wöhnlichen Sängern hatte er sich viel zuweit entfernt.

Doch Alaska Saedelaere schied von vorn-herein als Erbe aus.

Ein Ophaler mußte es sein, ein Sänger. Erkonnte den Gedanken nicht ertragen, daß dersyntronische Chor der HARMONIE für im-mer brachliegen sollte.

Nur wer? Qion Lanaa? Vogan Dool? Kei-ner von beiden hatte das Format. Oder erwürde die HARMONIE ihren neuen Besit-zer selbst aussuchen lassen. Sobald einOphaler mit Talent erschien, der den Nam-baq siwa beherrschte, durfte er das Schiff inBesitz nehmen, Und wenn es bis dahin Jahr-hunderte dauern mochte, egal. Die HAR-MONIE hatte keinen mittelmäßigen Besitzerverdient.

Am allerwenigsten gönnte er sein SchiffStalker. Diebstahl war in diesem Fall ausge-schlossen: An der Syntronik würde sich derehemalige Sotho die Zähne ausbeißen. SeineKriegskiste hatte er verloren und damit auchseine Machtmittel.

Hätte Salaam Siin nur mit Saedelaere re-den können. Der Terraner hätte wie immereinen Ausweg gewußt.

Allein begab er sich in die Projektor-schüssel des Schiffes. Er brachte leise Tönehervor und baute darum eine kümmerlicheMelodie.

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Seine Gedanken wanderten unwillkürlichin eine wenig angenehme Richtung. Wiewürde es sein - als körperloses Bewußtsein,zusammen mit Miic Deinen und Versa Ca-meen? Eine ewige Qual, bis eines Tages dieDome zerstört wurden oder verfielen? Oderimmerwährende Euphorie, stets derselbeGeisteszustand über Jahrtausende hinweg?Vielleicht würden sie auch einfach nur sin-gen. Drei Meistersänger. Möglicherweisekonnten sie eine neue Ebene des Lebens er-reichen und als Geistwesen durch den Kos-mos streifen.

Oder nichts von alledem. Womöglich sahdie Wahrheit viel phantastischer aus.

Salaam Siin merkte nicht, wie die Zeitverging.

Als Qion Lanaa ihn rufen ließ, war esAbend geworden.

7.

Dahinten kam das Bauwerk in Sicht. In-mitten des kaum bebauten Areals, das in ei-ner Riesenstadt wie dieser gleichzeitig alsLuxus und Verschwendung erschien, erhobsich der Estartische Dom von Mardakka.Davor stand eine große Menge von Perso-nengleitern. Mindestens hundert waren es,und ein paar davon sahen so groß aus, daßbestimmt mehrere Leute damit gekommenwaren.

Vogan Dool steuerte den Gleiter nahe ansPortal.

Salaam Siin selbst hatte sich so schwachgefühlt - in diesen Augenblicken hatte ereinen Begleiter nötig.

Niemand zu sehen.Sie ließen den Gleiter stehen und traten

durch das riesige Portal. Salaam Siin fühltesich wie betäubt. Er war gekommen, um hierzu sterben, das durfte man nicht vergessen.Kälte durchdrang seine Haut und kroch indie Tiefe seines Körpers, doch er wußtenicht, ob daran nicht allein sein seelischerZustand schuld war.

Von fern nahm er jetzt die ersten psioni-schen Schwingungen wahr. Irgendwo dort,

hinter den nächsten Türen, sangen mehrerePersonen. Jeglicher Schall wurde vom Le-bensstein absorbiert, während die Psi-Wellen ihre normale Reichweite entwickel-ten. In den Nebenräumen standen die lan-gen, polierten Holzbänke. Doch heute sahensie im Gegensatz zu seinem ersten Besuchbenutzt aus. Kleidungsstücke waren liegen-geblieben, und staubige Fußabdrücke zeig-ten, daß sich hier viele Personen aufgehaltenhatten. Am hinteren Ende der Bankreihenarbeitete ein kopfgroßer Reinigungsroboter.Die vorderen Düsen saugten nach herkömm-licher Methode den Schmutz ein, sein Hin-terteil polierte mit Bürsten Holz und Bodennach.

»Komm, Salaam Siin!« bat sein Diener.»Sie warten auf dich.«

»Ja, ich komme.« Die paar Meter bis zurletzten Tür wurden zu einer Ewigkeit.»Wirst du auch im Todeschor mitsingen,Vogan Dool?«

»Natürlich. Ich bin keiner der guten Sing-lehrer, schon gar kein Meistersänger. Aberdu mußt nicht fürchten, daß ich falsche Tönesinge.«

Salaam Siin pfiff sarkastisch. »Dann binich beruhigt.«

Er streckte zwei seiner Tentakelarme ausund stieß damit das Portal auf. Eine halbeSekunde lang nahm er noch die Klangviel-falt ungeordneter Gespräche wahr, dann ver-stummte jede Äußerung. Vor ihm standenauf engem Raum gedrängt zweihundertOphaler. Sie alle hatten feierliche Gewänderangelegt. Violette und grüne Schärpenspannten sich über weißen Stoff. Ihre Hälsewaren zur vollen Länge von bis zu achtzigZentimetern ausgefahren, und die kleinstenOphaler stellten sich zusätzlich noch auf dieSeitenballen ihrer Füße.

»Ich grüße dich, Salaam Siin!«Aus der Mitte des Chores war der Panish

Panisha vorgetreten. »Bist du bereit?«»Ja. Ich habe keine Wahl, nicht wahr?«»Ich wünschte«, sang Qion Lanaa ta-

delnd, »du würdest solche Worte nicht vorden vielen Sängern sprechen, die deinetwe-

36 Robert Feldhoff

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gen hierhergekommen sind.«Salaam Siin schaute die vielen Leute an -

und ihm wurde klar, daß Lanaa völlig rechthatte. Was brachte es, den Sängern ihr Welt-bild zu zerstören? Ab heute waren sie dieLebenden, er dagegen endgültig Legende.

Lanaa trat vor und geleitete den Meister-sänger in die Mitte des Doms. Anschließendstellten sich die übrigen Sänger in einer bo-genförmigen Formation auf, wobei VoganDool ganz in seiner Nähe blieb. Er stach alseinziger durch seine Straßenkleidung ausden Reihen des Todeschors heraus.

Jeder Schritt klang dumpf, Worte ohnepsionischen Beiklang verstummten im Kon-takt mit den Wänden.

Lanaa hob alle sechs seiner muskulösenArmpaare gleichzeitig in die Höhe. Nunherrschte überall völlige Stille, jeder Opha-ler hatte seine Sinnesknospen auf den PanishPanisha gerichtet, der nahe bei Salaam Siinim Innern des Bogens stand.

Und aus Lanaas Membrankranz drang ei-ne leise Melodie.

Salaam Siin wurde schon bei den erstenTönen schlecht. Diese Melodie hatte er niezuvor in seinem Leben gehört. Es mußte eingänzlich neuer Gesang sein. Nach wenigenSekunden stellte er enge Verwandtschaftzum Nambaq siwa fest. Auch dieser Gesanggehörte zu den verbotenen Chromatiken, diebesser niemand je in Töne faßte. Aber keinerder Singlehrer zeigte eine Reaktion - nur er,der das Nanaado-Medikament in sich hatte.Die Melodie wirkte wie ein organischer Ka-talysator. Salaam Siin spürte, wie er demendgültigen Zusammenbruch entgegenge-trieben wurde. So meisterhaft handhabte Qi-on Lanaa seinen Membrankranz jetzt, daßsich Salaam Siin fragte, weshalb statt seinernicht Lanaa in den Dom einging.

Aber im Endeffekt fehlten noch immerdie kleinen Glanzlichter. Die nämlich konntenur ein Meistersänger mit viel Erfahrungsetzen.

Allmählich pegelte sich der psionischeDruck an einer bestimmten Grenze ein; Sa-laam Siin ertrug das Maß noch, doch die

Vorgänge in seinem Körper kamen zu keinerZeit zum Stillstand. In ihm geschah etwas.Er starb. Er fühlte keinen Schmerz, nur dieseÜbelkeit, doch der Kontakt zum eigenenKörper ging ihm immer mehr verloren.

Als der Meistersänger zum erstenmal einwenig schwankte, warf ihm Lanaa einenprüfenden Blick zu. Daraufhin ließ die psio-nische Wucht ein bißchen nach, und SalaamSiin fing sich wieder.

Der Panish Panisha gab seinem Gesangeine freudige Färbung. In diesem Augen-blick begann er, Worte hinzuzufügen. Lanaaberichtete von den Zeiten des PermanentenKonflikts, als Salaam Siin geboren wurde.Niemand hatte zu diesem Zeitpunkt ahnenkönnen, daß ebendieser Sänger einmal großeKarriere machen sollte, daß er an der Stille-gung der Heraldischen Tore von Siom Somund dem Fall des Ewigen Kriegers Ijarkormitwirken würde.

Lanaas Melodie wurde zu einem Helden-gesang alter Prägung. Er baute jedes einzel-ne Detail, das er wahrscheinlich in mühsa-mer Kleinarbeit recherchiert hatte, in seinenGesang ein. Eine halbe Stunde verging. Sa-laam Siins Zustand wurde schlimmer, wäh-rend Lanaa von seinem Einstieg in die Sing-schule Belku namtal berichtete. Ode an denKampf … Er erinnerte sich so genau. SeinRivale Kaieng Proo, dann die Zeiten alsTroubadour zunächst in ganz Mardakaan,später nur auf den ophalischen Welten.

Woher der Panish Panisha allerdings vonden Gängern des Netzes erfahren hatte,wußte er beim besten Willen nicht. Lanaakannte sogar Alaska Saedelaeres Namen. Erberichtete von Perry Rhodan und den Que-rionen, die eine Zeitlang seine entferntenWeggefährten gewesen waren.

Die folgenden Ereignisse entsprachenwieder allgemeiner Kenntnis: Salaam Siinhatte die Singschule Nambicu ara wada ge-gründet, der heute Qion Lanaa selbst vor-stand, und anschließend am Sturz der Heral-dischen Tore mitgewirkt.

Danach jedoch glitt der Gesang in reineSpekulation ab; ergänzt durch die Tatsache,

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daß den Ophalern seine Rückkehr prophe-zeit worden war.

In diesen Sekunden war Salaam Siin bei-nahe bereit zu sterben. Der Tod hatte für ihnan Schrecken verloren. Und war nicht derAusdruck »Tod« in diesem Zusammenhangvöllig falsch? Es ging ja nur um seinen Kör-per, nicht um seinen Geist. Die Mauern desDomes rückten in seiner Vorstellung nahean ihn heran. All die anderen existiertennicht mehr, nur er, der Lebensstein - und diebeiden Bewußtseinsinhalte des Domes, MiicDeinen und Versa Cameen.

Sie lockten ihn.Sie spürten seine Unsicherheit, und sie

versprachen so viel, daß seine Ängste dahin-schmolzen. Es konnte so leicht sein. DieseÜbelkeit in seinem Innersten … Würde ergegen den vierten Naado nicht mit allerMacht ankämpfen, er hätte wahrscheinlichnichts gespürt als eine alles verdrängendeEuphorie. Lanaas Melodie hätte jede Be-drohlichkeit verloren, jeder Ton hätte ihn le-diglich dem erwünschten Schicksal nähergebracht.

So aber erlebte er schlimme Qual.Und plötzlich mischten sich falsche Töne

in den Gesang.Salaam Siin durchfuhr ein heftiger

Schmerz. Seine Atemwege fühlten sich aus-gedörrt an, wie in viel zu heißem Klima,sein Kreislauf schwankte und wäre fast ganzzusammengebrochen.

Da war der falsche Ton wieder.Eigentlich handelte es sich mehr um eine

falsche Psi-Frequenz - denn eine akustischeQuelle hätten die versammelten Singlehrerbinnen Sekundenbruchteilen geortet. Abernein, der Störer war inmitten des Bogensnicht auszumachen.

Qion Lanaa fuhr seinen Hals auf volleLänge aus und starrte in die Runde. Dochkeiner der Ophaler machte die geringste ver-dächtige Bewegung.

Kurz entschlossen stockte Lanaa mittenim Gesang. Von einer Sekunde zur anderenherrschte entsetzte Ruhe im Dom.

»Wer da mit Absicht falsch singt, soll

vortreten und seine Gründe nennen! Aberich dulde nicht, daß diese wichtigste Stundeseit Jahrhunderten gestört wird! Ich werdeeuch notfalls alle aus dem Dom werfen las-sen! Dann führe ich die Zeremonie allein zuEnde!«

Tumult brach aus. Niemand hatte sich ge-meldet, natürlich nicht. Deshalb wandten al-le anwesenden Ophaler hektisch die Köpfeund versuchten, den Störenfried auf dieseuntaugliche Art ausfindig zu machen.

Lediglich Salaam Siin nutzte die Zeit aufseine Weise. Er war noch nicht soweit, erspürte ohne den treibenden Gesang durchausnoch Kräfte in sich. Allmählich kehrte in dieEnden seiner Greifbüschel wieder ein wenigGefühl zurück.

Am Rand seines Blickfeldes öffnete sichplötzlich eine Tür. Salaam Siin wandte unterunsäglichen Mühen den Kopf. Er sah einenkleinen Ophaler, der geduckt hereingehuschtkam, durch die Reihen der Singlehrer dräng-te und sich Qion Lanaa zuwandte.

Im ungeordneten Klangteppich der Ge-spräche ringsum verstand Salaam Siin keinWort; doch er bemerkte, wie Qion Lanaaseine Aufmerksamkeit trotz des kleinenOphalers immer mehr ihm zuwandte.

Schließlich ließ der Panish Panisha denanderen gehen. Lanaa breitete in einerhilflosen Geste die Arme aus. Vor unter-drückter Wut hätte er sich fast das Festge-wand vom Leib gerissen.

»Salaam Siin, etwas ist geschehen. Esgeht um deinen Freund Stalker. Er ist ver-haftet worden.«

»Verhaftet?« sang Salaam Siin mit dün-ner, kraftloser Stimme.

»Ja. Er hat einen Einbruch begangen. DerBote sagt, er habe versucht, einen Teil desgroßen Archivs von Mardakka zu vernich-ten. Unersetzliche Speicherkristalle, ichkann das nicht verstehen.«

»Aber vielleicht ich. Hat der Bote gesagt,um welche Kristalle es sich handelt?«

Qion Lanaa gab einen überraschten Tonvon sich. »In der Tat, das hat er. StalkersZiel waren im Grunde völlig unbedeutende

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Daten. Die Geschichte einer Singschule, dielängst vernichtet wurde. Man hat sie niewieder aufgebaut.«

»Es ist eine Singschule in Muun, nichtwahr?«

Der Akkord, den Lanaa nun hervorbrach-te, ähnelte dem von eben, war aber sehr vielstärker. »Du hast recht! Woher weißt dudas? Es handelt sich um die Singschule vonLeenaia!«

»Das kann ich dir nicht sagen. Aber wirwerden die Zeremonie um ein paar Stundenaufschieben. Ich will erst mit Stalker reden.«

»Das ist unmöglich. Wir müssen jetzt undhier eine Entscheidung fällen.«

Salaam Siin spürte erstmals wirklichenÄrger auf den Panish Panisha in sich aufstei-gen. Und mit dem Ärger kehrte auch dieEntschlußkraft zurück, die er lange an sichvermißt hatte. »Was möglich ist oder nicht,bestimme ich. Es ist meine Uhr, die abläuft.Und du hast nicht den geringsten Einblick inmein Inneres. - Die Singlehrer sollen sichbereithalten.«

Mit diesen Worten verließ Salaam Siinden Estartischen Dom. Er fühlte sich nochimmer schwach, wie ein Greis. Doch biszum Gleiter stützte ihn Vogan Dool, und da-nach besserte sich mit zunehmender Entfer-nung zum Dom sein Befinden.

»Du weißt, wo es hingeht?« fragte derMeistersänger.

»Ja. Ich habe eure Unterhaltung mitge-hört. Das große Archiv von Mardakka istmir gut bekannt.«

Als sich Salaam Siin erstmals umdrehte,folgte kurz hinter ihnen ein zweiter Gleiter.Er war sicher, daß es sich um das Fahrzeugdes Panish Panisha handelte. Doch damitkonnte er sich jetzt in Gedanken nicht befas-sen. Seine ganze Aufmerksamkeit galt demKlon, mit dem er nach Estartu gekommenwar. Irgend etwas hatte ja geschehen müs-sen. Er hatte Stalker so lange außer acht ge-lassen, daß es sich gerächt hatte. Aber was,so dachte er sarkastisch, sollte man tun,wenn der Tod so nahe war? Wieviel zähltedann alles andere noch?

Immerhin verschaffte der Zwischenfallihm einen Aufschub. Den nämlich hatte Sa-laani Siin bitter nötig. Ein wenig hatte ihndie Pracht der Zeremonie geblendet, außer-dem der Stolz, ein so wichtiger Baustein ei-nes höheren Plans zu sein. Aber wer sagtedenn, daß es wirklich schon jetzt soweit seinmußte? Doch nur Qion Lanaa! Hätte er nurdas Nanaado nicht genommen. Aber jetztwar es zu spät.

Der Flug durch Mardakka weckte wüten-de Trotzgefühle in ihm. Zwar war er in derKanzel vom allgegenwärtigen Klangteppichabgeschnitten - doch er sog die Schönheitender Stadt förmlich in sich auf. All die blü-henden Gewächse, die Menge der Ophalerin ihren farbenfrohen Gewändern. Und dar-auf sollte er verzichten? Bevor er sich nachseiner Rückkehr überhaupt wieder daran ge-wöhnt hatte?

»Da vorn ist es«, sang Vogan Dool.Beim großen Archiv handelte es sich um

ein Gebäude, das auf den ersten Blick nied-rig wirkte. Dafür erstreckte es sich in mehre-ren Flügeln über eine Fläche, auf der dreiRaumschiffe hätten landen können. Sie gin-gen direkt vor dem Portal nieder. Vier robo-tische Wächter hielten sie auf. Der Leiterhatte den Verschlußzustand verhängt.

Das änderte sich erst, als hinter ihnen Qi-on Lanaa auftauchte. Nun hatten die dreiSänger überall Zutritt.

Ein Bediensteter führte sie durch die Gän-ge bis in einen speziell gesicherten Trakt.»Dort haben wir ihn untergebracht«, erklärteder Ophaler mit unsicheren Klängen. SeineStimme brach fast vor Ehrfurcht dem Be-such gegenüber. »Früher waren dies Studier-zimmer für Panisha von fremden Welten.Eines haben wir ausgeräumt und als Gefäng-nis hergerichtet.«

»Wie wird Stalker bewacht?« fragte Sa-laam Siin.

»Zwei Roboter mit Schutzschirmen«, er-klärte der Bedienstete eifrig. »Das ist in derTat notwendig. Er hat sich sehr gewehrt, be-vor wir ihn festnehmen konnten! Bis aufdiese beiden und die Torwächter hat er prak-

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tisch den gesamten Robotbestand des Ar-chivs vernichtet, und zwar ohne Waffe!«

»Unglaublich«, summte Qion Lanaa.»Das kann nicht sein.«

Salaam Siin erklärte: »Doch, das kann essehr wohl. Stalker verfügt über eine Upanis-had-Ausbildung.« Das war zwar höchstensdie halbe Wahrheit - doch mehr war derSänger nicht bereit preiszugeben. »Ich wer-de allein mit ihm reden. Ihr wartet hier.«

»Nein!« wehrte sich Lanaa mit einem har-ten, lauten Klang. »Ich will hören, was er zusagen hat!«

»Qion Lanaa, du strapazierst meine Ge-duld!« sang Salaam Siin gefährlich leise.»Ich bin der, der in den Dom eingehen soll.Denkst du nicht, daß mich das über deinenStand erhebt? Keine Angst, ich werde Stal-ker kein Wort erzählen. Aber das, was er zusagen hat, geht dich nichts an. Hier sindDinge berührt, über die du noch nichts wis-sen sollst.«

Lanaas Membrankranz blieb stumm.Also wandte sich Salaam Siin um und

schritt durch den Gang bis an die einzigeTür, vor der zwei Roboter Wache hielten.Den Sänger ließen sie passieren, nur denRaum hinter der Tür ließen sie keine Sekun-de aus den Optiken.

»Da bist du ja«, sang er.In der Zelle saß Stalker wie ein personifi-

ziertes Häuflein Elend. Die Wände warengrau und schmucklos, es gab keinen einzi-gen Einrichtungsgegenstand außer der Bank,auf der der ehemalige Sotho hockte.

Stalker hob mutlos ein wenig den Kopf.Dann aber verengten sich mißtrauisch seinePupillen. »Du siehst schlecht aus, SalaamSiin …«

»Kümmere dich nicht darum. Ich binnicht hier, um über mich zu reden.«

»Warum dann?« In Stalkers fremdartigerMiene keimte plötzlich Hoffnung. Der ande-re richtete sich auf und schaute mit hoff-nungsvoller Miene den Ophaler an. »Ja, jetztverstehe ich! Wir sind doch Freunde, Sän-ger, nicht wahr? Du bist gekommen, ummich hier herauszuholen!«

»Da täuschst du dich, Stalker. Wir sindkeine Freunde. Zunächst würde mich inter-essieren, ob du nicht ein Mörder bist.«

Stalker sprang auf, als habe er sich an derBank verbrannt. Doch Salaam Siin wich umkeinen Zentimeter vor der mächtigen Gestaltzurück.

»Wie kannst du mich einen Mörder nen-nen? Mich, der ich intelligentes Leben höherals alles andere achte?«

»Wenn du nur den Mund öffnest und dasWort Achtung aussprichst, klingt es wieHohn«, sang der Ophaler abfällig. »Ich fragemich, woran das liegt.«

»Ich kann dir keine Antwort geben«,meinte Stalker treuherzig.

»Aber ich. Du hast versucht, ins Archiveinzubrechen. Ich weiß auch, daß dein Zieldie Speicherkristalle des Planeten Leenaiawaren. Dieses Interesse habe ich schon aufZaatur bemerkt … Ein Sotho Tal Ker unter-nimmt nichts ohne Grund. Deshalb ließ ichdurch meinen Diener Vogan Dool die Kri-stalle für die Öffentlichkeit sperren. Ich habegehofft, daß du dich verraten würdest.«

»Also dir habe ich das hier zu verdan-ken.« Stalkers Geste umfaßte den kahlenRaum. Seine Stimme klang bitter, niederge-schlagen. »Ich könnte dich mit einem Schlagtöten, weißt du das? Es würde mich keineSekunde kosten. Die Roboter wären viel zulangsam. Nun, keine Angst, das verbessertmeine Lage auch nicht. Aber dennoch: Dirverdanke ich es, wenn ich Etustar nie errei-chen werde.«

Salaam Siin schwankte unter einem plötz-lichen Schwächeanfall. Er streckte ein paarseiner Arme zur Wand aus und stützte sichso.

»Nein«, korrigierte er den Sotho, »deineLage verdankst du dir selbst und deinen ewi-gen Intrigenspielen. Was war wirklich aufLeenaia? Du hast die Singschule angreifenund vernichten lassen, nicht wahr? Du warstes, der an meinen Artgenossen zum Mördergeworden ist. Und heute wolltest du dieSpuren deines Verbrechens beseitigen! Da-bei war all das längst vergessen. Du hast

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einen Fehler gemacht.«Stalker sah aus, als wolle er gegen seine

Versicherung den Sänger töten. Kein Zwei-fel, es wäre ihm ein leichtes gewesen; dochSalaam Siin hatte die Angst vor dem Todverloren.

»Du irrst vollkommen, Sänger! Ich bin fürdie Toten von Leenaia nicht verantwort-lich!«

»Aber was wolltest du dann mit den Kri-stallen?«

Stalker schwieg eine Weile. »Sie vernich-ten«, antwortete er dann.

»Warum?«»Das sage ich dir nicht.«»Du vergißt, daß ich mir die Aufzeich-

nungen nur ansehen muß, schon weiß ich al-les. Ich will es aber von dir hören, Stalker.Sage mir die volle Wahrheit; und wenn sicherweist, daß du unschuldig bist, will ich da-für sorgen, daß du doch noch irgendwienach Etustar kommst.«

Mit neuer Hoffnung hob der Pterus-Klonden Kopf. »Du meinst … das würdest dutun? Aber warum sprichst du nur von mir?Heißt das, du willst mich nicht mehr beglei-ten?«

»Genau das«, sang Salaam Siin mit einpaar düsteren Akkorden. »Aber frage michnicht nach dem Warum. Du wirst keine Ant-wort erhalten. Ich bleibe auf Mardakaan, wirsehen uns niemals wieder. Und nun berich-te! Denke an eines: Eine einzige Luge noch,dann werde ich dich in dieser Zelle verfau-len lassen!«

Stalker berichtet:»Ich habe dir schon einmal von meiner

Zeit in den zwölf Galaxien berichtet, Sänger.Und das meiste dessen, was du erfahrenhast, ist wahr. Jedenfalls gilt das für den er-sten Teil. Ich war es, der Ijarkor vorschobund aus dem Hintergrund die Entscheidun-gen traf. Und ich war es auch, der Ijarkordazu brachte, in Muun ophalische Singschu-len aufzubauen.

Die Pterus sind meine Artgenossen. Ichfühlte eine Verpflichtung ihnen gegenüber.So unendlich schwer fiel es ihnen, der Lehre

vom Permanenten Konflikt abzuschwören;und doch war es unumgänglich. Jedenfallsdann, wenn ich das Volk der Pterus rettenwollte. So also kamen die Ophaler in dieGalaxis Muun, als Helfende, auf meine In-itiative hin.

Die Verlorenen Geschenke der Hesperi-den waren unser größtes Machtmittel. Mitihrer Hilfe begann der Wiederaufbau derzwölf Galaxien. Ich lernte, die Geschenkefür meine Zwecke zu nutzen; doch meineZwecke und das Wohl Estartus, das war im-mer eins zu dieser Zeit.

Das schwöre ich dir, Salaam Siin. Zweiflenicht daran.

Nach Ijarkors Tod wuchsen die Spannun-gen zwischen dem Desotho und mir immermehr an. Er vertraute mir nicht, ich fühltemich dadurch herausgefordert. Ich wolltederjenige sein, durch dessen Mund ESTAR-TU mit den Volkern kommunizierte, ihrSprachrohr, ihr Vermittler. Doch das alleswar nicht genug. Ich erkannte, daß ich eineMachtbasis benötigte. Die Geschenke warendas Mittel dazu, so daß meine Aufbautätig-keit auch in Zukunft fruchten wurde.

Doch in meiner Sorge um alle Intelligenz-wesen, die mir teuer sind, ging ich einenSchritt zu weit.

Als ich von der Blockade der Milchstraßehörte, erwachte in mir ein Gefühl, von demich dachte, es sei in mir nicht vorhanden. Duund die Terraner, ihr wurdet es vielleichtSentimentalität nennen. Etwas verband michmit der Milchstraße. Es trieb mich dazu, dieNatur der Barriere aufzuklaren, den Erbauerzu enttarnen. Ich gab vor, auch hier im Auf-trag ESTARTUS zu handeln.

Ja, ich habe Monos gefunden. Und auchdie Spur in die Galaxis Truillau zu dessenVater Taurec.

Du wirfst mir vor, Sänger, ich hatte dieSituation zu meinem eigenen Wohl nutzenwollen. Du glaubst, ich wollte einen Paktmit Taurec zu meinem Vorteil! Aber das istnicht wahr, ich schwöre es! Meine Wegesind nicht gerade, sie fuhren manchmal nurmit Lug und Trug ans Ziel, doch immer ist

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das Ziel ein lauteres.Bedenke das, bevor du über mich ein Ur-

teil fällst.Wahrend ich in Truillau tätig war, deck-

ten die Ophaler, die ich selbst in Muun an-gesiedelt hatte, meinen Gebrauch der Ge-schenke auf. Mißbrauch, sagst du; doch sol-len wir uns wirklich um die Bezeichnungstreiten?

Ich war zu lange fort. Mein Ansehen hattegelitten. Die Ophaler hatten meine persönli-chen Depots überprüft und die Spuren mei-ner Tätigkeit gefunden. Gemeinsam mit demDesotho verhängten sie den endgültigenBann über mich. Ich durfte nicht mehr zu-rück. Nie haben sie die Bedeutung meinesTuns begriffen.

Selbst ESTARTU schien mich nun zuverschmähen. Die Somer verweigerten mirdie Reise nach Etustar. Überall, wo ich er-schien, wurde ich zum Gejagten.

Kannst du es dir wirklich vorstellen, wases für mich bedeutete? Unschuldig verbanntzu sein, ein Gesandter der Superintelligenz,aber mit gefesselten Händen? Du kannst esnicht, kleiner Meistersänger, gib dir keineMühe. Veth erhielt den Auftrag, mich ausden zwölf Galaxien zu verbannen. Ausge-rechnet er, der mir nie gewachsen war …

Auf dem Planeten Leenaia pflanzten mirdie Ophaler ein unsichtbares Toshin-Malein. Es war ein psionischer Abdruck, einge-brannt durch die Macht ihres Gesangs. JederMeistersänger sollte mich sofort als einenVerbannten erkennen, würde ich es jemalswagen, die zwölf Galaxien wieder zu betre-ten.

Warum du davon nie etwas bemerkt hast,Sänger? Nun, das ist einfach. Es gelang mirmit den Jahrhunderten, den Abdruck verb-lassen zu lassen. Zurückgeblieben ist in mirnur das ständige Gefühl, ein Geächteter zusein. Davon kann ich mich nicht befreien,was immer ich auch tue.

Aber ich greife vor. Denn das war nochnicht alles. In einem letzten, verzweifeltenVersuch pilgerte ich nach Etustar, auf dieWelt der Eidos und Morphe. Ich bat EST-

ARTU um Vergebung, um eine Möglichkeitzur Rückkehr, und sei es als der niedersteDiener. Vergebens … Ich mußte gehen.

Die einzige Zuflucht, die mir blieb, bilde-ten die Galaxien, über die ES herrscht. Dochich dachte nicht daran aufzugeben, nochnicht. Einiges war mir an High-Tech-Geräten geblieben, und diese Macht-mittel setzte ich ein, um die Singschule vonLeenaia zu erstürmen. Ich schwöre dir, eshat nicht einen einzigen toten Sänger gege-ben. Mein Ziel waren nur die Aufzeichnun-gen, die vom Toshin-Mal für den Sotho TalKer berichten.

Aber so wie heute bin ich an meinem Zielgescheitert. Das eigentliche Vernichtungs-werk stammt von den Hauri. Ich habe es ge-nau wie du erst vor kurzer Zeit erfahren.Deshalb war ich zunächst erleichtert; ichdachte, die Spuren meiner Schmach wärenlängst getilgt. Ein Irrtum, der mir schon baldbewußt wurde.

Allmählich beginnst du, mich zu verste-hen, nicht wahr? Interessiert dich noch derRest? Meine Machtmittel waren damalsnämlich keineswegs erschöpft: Auch dieKriegskiste stammt noch aus dem Fundusder Geschenke, du hast es erraten.

Doch alles war zu wenig. Ich habe es niegeschafft, als Freier in die zwölf Galaxienzurückzukehren. Dies ist mein letzter Ver-such. Ich muß Etustar erreichen, um ein letz-tes Mal Gnade zu erbitten. Vielleicht hilftdie Tatsache, Sänger, daß auch ich mich fürES einsetze.

Weit mehr als siebenhundert Jahre sindseit damals vergangen. Denkst du nicht, daßeine so lange Zeit genug der Strafe ist?«

9.

Salaam Siin wurde von einer Sekunde zuranderen von solch heftigen Krämpfen ge-schüttelt, daß er auf der Stelle zusammen-brach.

»Nein, Stalker … Bleib weg! Ich kümme-re mich um dich!«

Zwischen den Robotern hindurch kroch er

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auf den Gang hinaus. Dool und Lanaa sahenihn erst Sekunden später - doch dann rea-gierten sie und kamen mit besorgten Rufenheran.

»Was ist los, Salaam Siin?« Der PanishPanisha warf einen zornigen Blick in dieZelle. »Dafür werde ich ihn töten lassen!«

»Nein, Lanaa«, summte Salaam Siin mitMühe. »Helft mir auf, los!«

Die beiden Ophaler faßten ihn unter je-weils zwei Armpaaren und hoben ihn auf diekurzen Beine. Salaam Siin atmete erleichtertauf. Im Stehen waren die Schmerzen leichterzu ertragen. »Weg von hier, ich muß zumDom.«

Sie erreichten in lächerlich geringemTempo die Gleiter. Diesmal benutzten sie zudritt Lanaas Fahrzeug.

»Versteht ihr jetzt?« sang Salaam Siin soleise, als läge er bereits im Sterben. Sein Ku-gelkopf war an Sitz und Glaswand gelehnt,die Greifbüschel zitterten kraftlos. »Das istder vierte Naado, ich kann es nicht längeraushalten. Stalker ist unschuldig. Erinnerstdu dich noch an dein Versprechen, Qion La-naa?«

»An welches Versprechen?« fragte derPanish Panisha erstaunt zurück.

»Du wolltest dafür sorgen, daß wir nachEtustar kommen. Dieses Versprechen giltauch für Stalker allein.«

»Für ihn?« brauste der andere auf. »Füreinen Saboteur? Er wollte das Archiv ver-nichten! Die Daten und Gesänge sind uner-setzlich für unser Volk!«

»Nur ein Teil wäre vernichtet worden«,korrigierte Salaam Siin mühevoll. »Und erhatte seine Gründe. Also, gilt es?«

»Es gilt.«Draußen huschten die Gebäude der Rie-

senstadt so schnell an ihm vorbei, daß erEinzelheiten kaum erkennen konnte. All diebunten Wände wirkten jetzt blaß und un-scheinbar. Zwanzig Minuten dauerte derFlug - eine halbe Ewigkeit. Jede Sekundekämpfte der Meistersänger um sein Leben.Wenn er schon sterben mußte, dann im Est-artischen Dom; dann wollte er sein Bewußt-

sein in den Lebensstein retten.In ihm klangen immer wieder Melodie-

fragmente auf. Die Harmonie des Lebens,sein Belku na sacca. Das war die Botschaft,die er irgendwann in ferner Zukunft denVölkern bringen wollte. Akkorde und psio-nische Arrangements füllten sein Denkver-mögen in diesen Sekunden fast zur Gänzeaus. Aber er spürte eines: Wenn er jetzt derAnziehungskraft des Gesangs nachgab, wür-de er den Dom nicht mehr erreichen.

»Wann sind wir da?« flüsterte er.Vogan Dool strich mit seinen Greifbü-

scheln über Salaam Siins rauhe Borkenhaut.»Gleich. Ich kann den Dom schon sehen.«

Für Salaam Siin vergingen dennochEwigkeiten. Dann endlich hoben ihn Doolund Lanaa aus dem Gleiter.

»Laßt mich jetzt. Ich will aus eigenerKraft gehen.«

Paradoxerweise war es so, daß der An-blick des Domes ihm wieder Kraft gab. Keineinziger der über hundert Gleiter war ver-schwunden, der weiße Lebensstein der Mau-ern leuchtete matt im Schein der Riesenson-ne D'haan.

Mit wackligen, jedoch immer längerenSchritten durchquerte Salaam Siin die leerenSeitengebäude des Domes. Lanaa und seinDiener Vogan Dool folgten direkt hinterihm. Voraus öffnete sich die Tür. Und dastanden noch immer die Singlehrer desOphalischen Sternenreichs, gekleidet in ihrefeierlichen Roben, mit bunten Schärpen be-hängt.

Doch Salaam Siin spürte sofort, daß ihreStimmung sich vollständig ins Gegenteilverkehrt hatte. Etwas war geschehen. Vonandächtiger Rührung keine Spur mehr, dieSänger befanden sich in hellem Aufruhr. DieUrsache begriff er erst, als sie den eigentli-chen Dom betreten hatten.

Einer der Singlehrer löste sich aus denReihen. Sein Gewand unterschied sich inkeiner Weise von denen der anderen, dochsonst war alles an ihm ungewöhnlich. SeineHaut schimmerte ins Bläuliche, seine Arm-tentakel waren viel zu lang, und schon ohne

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ausgefahrenen Hals war er sicherlich ein-sachtzig groß. »Mein Name ist Binam Zii-vic. Ich spreche zu dir, Qion Lanaa, aberauch zu dir, Salaam Siin. Wir haben einengroßen Fehler begangen! Salaam Siin darfnicht in den Estartischen Dom eingehen. Da-für ist es viel zu früh.«

Der Panish Panisha reagierte, bevor Sa-laam Siin den Sinn der Worte noch erfaßthatte. Er trat vor und fixierte den Blick sei-ner Sehorgane auf Ziivic.

»Bist du der, der vor einer Stunde falschgesungen hat?«

»Ja«, antwortete Ziivic mit festem Ton,»ich bekenne mich dazu.«

Qion Lanaa zögerte ein paar Sekundenmit der Antwort. Schließlich sagte er: »Ichverzichte darauf, dich sofort zu töten. Stattdessen räume ich dir die Möglichkeit ein,dich zu verteidigen. Sprich! Aber beeiledich, Salaam Siin hat nicht mehr viel Zeit!«

Salaam Siin zog mit aller Kraft, die ernoch hatte, Vogan Dool beiseite. Niemandachtete in diesem Augenblick auf sie. Dannraunte er leise: »Ich will, daß du etwas fürmich tust, ohne Fragen zu stellen. Wirst dudas?«

»Selbstverständlich.«»Du gehst zum Gleiter des Panish Panisha

zurück und nimmst Funkkontakt mit demgroßen Archiv von Mardakka auf. Frage dieSyntronik, von welchem Planeten der NameBinam Ziivic stammt. Rasch! Ich muß eswissen!«

Der kleine, fette Ophaler schaute ver-ständnislos, doch er folgte der Anweisungohne Kommentar. Sekunden später war erdurch das Portal verschwunden.

Indessen sang Ziivic: »Panish Panisha, ichhabe alle Singlehrer und Meister, die hieranwesend sind, mit Argumenten auf meineSeite gebracht. Nirgendwo in den GalaxienEstartus hat sich eigenständige Musik ent-wickelt. Wie aber wollen wir den Völkernvon Verständigung singen, wenn wir nur aufunseren eigenen Horizont beschränkt sind?Die Ophaler sind zu sehr Bewohner einesPlanetenreichs, zu wenig Bürger einer Gala-

xiengruppe. Wer soll uns glauben?«»Davon verstehst du nichts«, wehrte Qion

Lanaa ab. »Du kennst nicht den ganzenPlan.«

»Aber ich kenne jetzt Salaam Siin. Er istder erste Ophaler, der andere als die zwölfGalaxien bereist hat. Er hat unserem Volkunendlich viel zu geben! Er darf nicht in denDom eingehen, bevor er nicht seine ganzeMusik an uns vermittelt hat! Von diesen Im-pulsen würden die Ophaler noch tausendJahre zehren. Kein anderer hat solche Reisenunternommen, und es wird auch nie wiederjemand wagen, das zu tun. Wir Ophalerbrauchen die Nähe unseres Volkes. Wir sindkeine Gänger zwischen den Galaxiengrup-pen!«

Qion Lanaa zuckte hilflos mit den Arm-paaren; Salaam Siin konnte sehen, daß Zii-vics Argumente stachen.

»Daran habe ich auch selbst schon ge-dacht …« In Lanaa tobte ein fürchterlicherWiderstreit der Gefühle. Auf der einen Seitehatte sich der Panish Panisha längst festge-legt, und jede Kehrtwendung wäre gleichbe-deutend mit dem Verlust seiner Autorität ge-wesen. Andererseits war er Ziivics Charismalängst erlegen. Hilflos schwenkte er seineArmpaare in alle Richtungen. »Du hast si-cher recht, ich war voreilig. Aber was sollenwir tun? Er hat das Nanaado längst erhal-ten!«

»Was zählt das Medikament? Wichtig istSalaam Siins Wille! Ich sage euch, seht denMeistersänger an! Er ist nicht bereit, nochlange nicht!«

Salaam Siin wußte, daß er jetzt hätte sin-gen müssen - doch er fand nicht die Kraftdazu. Also hörte er nur stumm, was Lanaaund Ziivic zu sagen hatten.

»Schluß mit den nutzlosen Argumenten!«befahl der Panish Panisha, die Stimme gefe-stigt von wiedergefundener Sicherheit. »Erstirbt, begreift das! Und wir sind hier, umihm den Übergang zu erleichtern!«

»Nein!« widersprach Ziivic mit einemdonnernden Akkord, dessen psionischeWucht scheinbar die Wände zum Erzittern

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brachte. Seine Persönlichkeit reduzierte denPanish Panisha auf einen simplen Handlan-ger. Ziivic legte so viel Überzeugungskraftin seinen Gesang, daß selbst die versammel-ten Lehrer dagegen keine Chance hatten.Wie war das möglich? Ein Sänger dieserKlasse, den niemand kannte?

»Dies ist der beste Chor, den es seit vielenhundert Jahren gegeben hat! Wir dürfen Sa-laam Siin nicht über die Schwelle drücken.Wir wollen den Anker bilden, der ihn im Le-ben hält! Du, Qion Lanaa, mußt unser Füh-rer sein. Zeigen wir ihm das Leben, wenn erim Naado sterben will! Wir brauchen Sa-laam Siin! Wenn sein Geist den Körpernicht verläßt, wird der Körper am Lebenbleiben!«

Alle Blicke wandten sich nun dem Mei-stersänger zu.

Erneut stieg Übelkeit in ihm auf, unddiesmal war er sicher, daß er es nicht längerertragen konnte. »Stellt euch auf«, bat er.»Ich … will es versuchen. Ich will leben.«

Unter Qion Lanaas Führung bildeten dieSinglehrer des Reiches erneut den Bogen,den er schon kannte.

Und als sekundenlang Verwirrungherrschte, kam Vogan Dool durch die Türhereingestürzt. »Salaam Siin!« flüsterte eraufgeregt. Niemand anders konnte ihn ver-stehen. »Ich habe getan, was du gesagt hast!Aber ich verstehe das Ergebnis nicht! DieSyntronik sagt, der Name Binam Ziivicdürfte eigentlich gar nicht existieren. Wie istdas möglich? Es tut mir leid, ich kann dirkeine bessere Auskunft geben.«

Salaam Siin entspannte sich ein wenig.»Sehr gut«, sang er leise. »Du hast mir mehrgeholfen, als du dir überhaupt vorstellenkannst.«

Lava Aag, Barcus Moon und nun BinamZiivic. Wäre er ein Mensch gewesen, Sa-laam Siin hätte jetzt gelächelt. So aber bliebihm nur der Blick auf Ziivies markante Ge-stalt, die mit einemmal aus den Reihen derSinglehrer wie ein Fremdkörper hervorstach.Fast schien es ihm, als lese der andere seineGedanken.

Von einer Sekunde zur anderen bekam erkeine Luft mehr. Das Nanaado kreiste in sei-nen Adern wie kochendheißes Wasser. Je-desmal, wenn die Anfälle einen Höhepunkterreichten, erzitterte sein ganzer Körper. ImStehen vermochte er die Tortur nicht mehrzu ertragen, und so ließ er sich zu Bodensinken. Der Rumpf lag schwer wie ein Ton-nengewicht auf dem harten Boden ausge-streckt.

Niemand dachte daran, ihm eine Unterla-ge zu verschaffen - aber die brauchte er oh-nehin nicht mehr. Nach und nach verlor erjedes Körpergefühl. Wenige Sekunden spä-ter spürte er seine Greifbüschel nicht mehr,dann waren die kurzen Beine und schließlichsogar der Kopf an der Reihe. Nur seine Bor-kenhaut brannte noch. Und durch die Parti-en, die den Lebensstein unter ihm berührten,ging ein undefinierbarer Strom von Kräftenauf ihn über.

Qion Lanaa gab dem Chor das Einsatzzei-chen. Zum Glück konnte Salaam Siin nochhören - sogar besser denn je, wie er dachte.Die Melodie entwickelte sich aus einemsachten, schmeichelnden Akkord. Bald je-doch trat der Druck der Psi-Komponenteklar in den Vordergrund. Diesmal war eskein Todeschor. Qion Lanaa verzichteteganz auf seine treibenden Spitzen. Es warein Chor des Lebens, ein Gesang von unver-gleichlicher Schönheit.

Doch Schönheit allein nützte ihm über-haupt nichts.

Salaam Siin spürte die Schmerzen, über-all, immer stärker mit jeder Sekunde.

Er schrie.Jedenfalls glaubte er, daß er das tat, denn

in den Gesang mischte sich ein unkontrol-liertes Geräusch, das nur aus seinem eigenenMembrankranz stammen konnte.

Der Strom von Kräften aus dem Lebens-stein … Da war das Gefühl wieder, mitplötzlich verzehnfachter Stärke.

Es ist kein Tod, den du erleidest. Wir sin-gen den ganzen Tag. Wir sind glücklich,Sänger! Komm zu uns, weshalb wehrst dudich? Dann sind wir drei … Drei in einem

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unendlichen Dom, im Zentrum eines Netzes,das zweihundert Planeten umfassen wird.Und bedenke, welche Macht wir gewinnenwerden, Sänger! Als Lebender singst du ver-geblich, dein Einfluß ist begrenzt. Als Geistohne Körper stehen dir irgendwann diezwölf Galaxien offen …

Salaam Siin nahm die Worte als klingen-de Melodie in seinem Bewußtsein wahr.Aber er spürte auch die Sehnsucht, die un-endliche Langeweile, die dahinter stand.Von den fremden Rhythmen und der frem-den Musik anderer Völker wußten Miic Dei-nen und Versa Cameen nichts. Doch waswar wichtiger? Die Entwicklung des ophali-schen Volkes? Oder der innere Friede zwei-er Körperloser, die ohnehin nur noch alsWerkzeug dienen sollten? Die kein eigenesLeben mehr hatten, keinen Zugang zu neuenEindrücken; und bis zur Fertigstellung desNetzes jeder sinnvollen Tätigkeit beraubtwaren?

Die Schmerzen brachten ihn um.Du täuschst dich, Sänger. Komm zu uns

und stelle es fest.Salaam Siin wollte sich krümmen, doch

mit dem Gefühl war auch die Körperkontrol-le verlorengegangen.

Nur die Stellen, an denen seine Haut denBoden berührte, existierten noch für ihn. Inseiner Vorstellung wurden aus ein paar Qua-dratzentimetern riesige Pforten. Er konnteden Schritt tun, er mußte es nur noch wollen.Das Nanaado pulsierte. Hätte jetzt Qion La-naa ihn mit verbotenen Gesängen attackiert,er hätte nicht mehr widerstehen können.

So aber blieben dem Meistersänger alsAnker die Gesänge. Der Panish Panishaführte seinen- Chor geschickt zu höchstenLeistungen. Keiner der Sänger brachte auchnur den geringsten falschen Ton hervor. Siealle ergänzten sich in ihrer sängerischenWirkung. Eine kleine Gruppe bildete denHintergrund der Baßfrequenzen, andere er-zeugten in exakt gegenläufigem Rhythmusscharfe, beißende Geräusche, die nur deswe-gen in Salaam Siins Hörknospen keinenSchmerz verursachten, weil das Gros der

Sänger eine Melodie darüberlegte.Und Qion Lanaa sang die Solostimme.Der Panish Panisha brachte die Leistung

seines Lebens.Doch es war alles zuwenig.Komm zu uns, Sänger! Wir erwarten

dich! Wir sind dein Leben, wir im Dom derESTARTU. Hier bist du deiner Bestimmungnahe …

Salaam Siin starb. Er spürte, daß seineOrgane nur noch mit geringster Kraft arbei-teten, daß der Kreislauf der Körperflüssig-keiten kurz vor dem Zusammenbruch stand.Dann, so dachte er bedauernd, wäre all dieMühe des Chors vergebens. Dabei hätte erdiesem Gesang gern noch tagelang zugehört.Nur Ophaler konnten so etwas hervorbrin-gen, sein Volk als einziges im Universum.

Unverhofft überlagerte etwas Lanaas So-lostimme.

Salaam Siin wurde aus seiner Lethargiegerissen.

Diese Frequenzen erkannte er wieder. Eswar dieselbe mit psionischem Druck ange-reicherte Stimme, die schon einmal die Ze-remonie unterbrochen hatte. Binam ZuvielDiesmal jedoch war die Absicht des Frem-den eine andere. Sein Gesang bewegte sichgenau entgegengesetzt der Melodie, mit derQion Lanaa den Meistersänger zu haltenversuchte.

Sänger! Wir warten … komm … komm…

Miic Deinen und Versa Cameen traten inden Hintergrund. Was hatte Ziivic vor?

Wie auch immer, das Ergebnis schmerztefurchtbar in Salaam Siins Hörorganen. Miteinemmal war der Chor ohne Führung. DieQualität des Chors sank von höchstem Ni-veau auf das, was selbst ein Dorfsänger mitseinen Schülern zustande gebracht hätte. La-naa versuchte, sich akustisch aus ZiivicsFesseln zu befreien, doch seine verzweifel-ten Versuche hatten keinerlei Aussicht aufErfolg.

Salaam Siin ertrug es nicht.Nicht dieses Vakuum! Er war ein Meister-

sänger; einer, der früher oft selber Chöre ge-

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führt hatte. Das Vakuum, wie er es nannte,übte einen ungeheuren Sog aus. Und in die-sem Moment erkannte er den Plan: Er konn-te nicht anders, als selbst die Lücke auszu-füllen, selbst die Solostimme zu übernehmenund den Gesang zu einem großartigen Ab-schluß zu bringen.

Sekundenlang kehrte in seinen Membran-kranz das Gefühl zurück. Und gleichzeitigder Schmerz - ein tonloses Krächzen war al-les, was er hervorbrachte. Das Nanaado krei-ste, dazu kam die Verlockung der körperlo-sen Sänger im Turm. Doch der Gesang ohneFührung wog bei weitem schwerer als dasalles zusammen.

Da kehrte das Gefühl erneut zurück.Salaam Siin spürte das Brennen in jeder

Kammer seines Membrankranzes. Aber erspürte auch die Luft, die in die Hohlräumeströmte, und jedes einzelne seiner vielentausend organischen Ventile.

Ein kraftvoller Ton lag unvermittelt in derLuft. Er konnte singen! Er konnte es noch,sogar halbtot und gegen die Störversucheaus dem Dom.

Salaam Siin paßte sich einfühlsam derTonlage des Chors an. Seine Stimme warvon genau der Art, die die anderen Sängerbrauchten. Und dann kam es genau umge-kehrt: Willig paßten sie sich seiner Stim-mung an und folgten ihm, wohin immer erdie Melodie auch treiben ließ.

Das Universum war groß, Verschwen-dung sein Prinzip. Und immer blieb genü-gend übrig, immer wieder entstand allenWidrigkeiten zum Trotz der Keim, aus demLeben wachsen konnte.

In ihm fügten sich die letzten Bruchstückeder Harmonie des Lebens zu einem Werkzusammen, worin erstmals jeder Ton zumanderen paßte. Dies war der Belku na sacca.Niemals hätte er sich träumen lassen, seineKomposition zu einem solchen Zeitpunktaufzuführen. Die Idee war aus der Not gebo-ren - aber welche Melodie war geeigneter,den Tod zu bekämpfen, als ausgerechnetdiese?

Die Lebensmelodie … Eine Saat, die ir-

gendwann in ferner Zukunft vielleicht auf-gehen und sich verbreiten würde. Dannwüßten alle um das Wunder. Dann wären al-le den Sternen und dem Leben nahe. Dannwäre der Krieg unmöglich geworden. Nicht,weil jeder um die Konsequenzen wußte,weil die Wesen Verständnis für ihre Nach-barn entwickelt hätten. Sondern weil dannjeder die Sehnsucht in sich trug …

Davon sang Salaam Siin.Von der endlosen Leere zwischen den

Planeten, von der endlosen Zahl der Wesenund ihrem Kampf um Leben. Und davon,daß sie es verdient hatten, den Kampf alsSieger zu beenden.

Endlich stimmten auch Miic Deinen undVersa Cameen, die Meistersänger aus demEstartischen Dom, in den Belku na saccaein. Salaam Siin spürte, wie mit vereintenKräften die Reichweite ihrer Psi-Kräftestieg. Zunächst geriet ganz Mardakaan in ih-ren Einflußpegel, dann die wenigen Raum-schiffe im Orbit. Immer weiter hinaus, überdie Grenzen des Systems hinweg. Wo wardas Leben? Salaam Siin spürte in diesen Se-kunden selbst die Sonne D'haan, die vielenLichtmonate ohne einen festen Punkt. Undnach einer Zeitspanne, die für ihn gleichbe-deutend mit einer Ewigkeit war, erreichtensie das Nachbarsystem. Mehr als drei Licht-jahre entfernt! Auch dort lebten Ophaler! Siealle hörten es, sie hörten die Botschaft undblieben in den Straßen stehen, um zu hor-chen.

Belku na sacca war ein Kosmischer Ge-sang. Ein Gesang, der etwas bewirken konn-te - wenn das Volk der Ophaler nur langegenug imstande war, ihn in den Kosmos hin-auszutragen.

Doch nun war der Chor an der Grenze sei-ner Kapazität angelangt. Die ersten Unsau-berkeiten schlichen sich ein, so daß der Mei-stersänger gezwungen war, die Intensitätschrittweise zurückzunehmen. Er hatte nurden Anfang gemacht. Wäre das Netz derEstartischen Dome nur schon bereit gewe-sen; doch was waren weitere tausend oderzweitausend Jahre Wartezeit, wenn es galt,

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eine solche Botschaft zu verbreiten?Seine Kräfte verließen ihn.Im Hintergrund war zu jeder Zeit Binam

Ziivics Einfluß spürbar gewesen. Nun abererlosch von einer Sekunde zur anderen die-ser Bestandteil des Gesangs, und Qion La-naa kehrte mit ganzer Macht in den Chor zu-rück. Dankbar verstummte Salaam Siin. Erlauschte nur noch darauf, wie Lanaa denChorgesang in leisen Akkorden enden ließ,dann öffnete er die Lider über seinen Sehor-ganen.

Der Sänger war am Leben.Die Pforten in dem Lebensstein hatten

sich geschlossen, der Boden unter ihm warnicht mehr als festes, tragfähiges Gestein.Eines Tages, so dachte er, würde er denSchritt in den Dom wagen. Doch das lagnoch in ferner Zukunft.

10.

Aus den Nebenräumen ließ Qion Lanaaeinen Medorobot kommen. Dennochbrauchte Salaam Siin mehr als zwei Stun-den, bis er wieder stehen konnte. Die Reihender Singlehrer hatten sich gelichtet; nur nochknapp ein Viertel von ihnen war anwesend.Sie alle warfen Salaam Siin scheue Blickezu und verschwanden aus Rücksicht einernach dem anderen. Nur der Panish Panishaund Vogan Dool blieben zurück.

»Wo ist Binam Ziivic?« fragte der Mei-stersänger.

Lanaa antwortete mit einem einzigen Ton:»Verschwunden.«

»Das habe ich erwartet.«»Ich bin bereit, noch heute von meinem

Amt als Panish Panisha zurückzutreten.«Die Tonlage des anderen klang so kläglich,so sehr nach Irrtum und Niederlage, daß inSalaam Siin unwillkürlich Mitleid erwachte.»Niemand wäre für die Würde und dieMacht, die damit verbunden ist, geeigneterals du. Dann kannst du Ziivic suchen las-sen.«

Salaam Siin gab eine beschwichtigendeMelodie von sich. »Wozu das? Ich möchte

nicht der Panish Panisha sein. Und die Su-che hat keinen Sinn.«

Gemeinsam verließen sie den EstartischenDom von Mardakaan. Ihr Gleiter war dereinzige, der noch draußen stand.

Lanaa aktivierte die Computerverbindungzum zentralen Rechner - und wandte sichanschließend nochmals Salaam Siin zu.

»Hier ist eine Nachricht für dich. Auf demRaumhafen ist ein kleines Schiff gelandet,das den Namen MUTTER tragt. Die Besat-zung behauptet, sie wäre mit dir bekannt. Essind Gorims, Fremde in Estartu.«

»Sie sind wirklich da?« sang Salaam Siinerfreut. »Ich werde sie sofort aufsuchen.Von MUTTER droht keinerlei Gefahr. Erin-nerst du dich an dein Versprechen? Daß dufür die Passage nach Etustar sorgen wirst?Stalker wird nicht allein fliegen. Ich gehemit ihm, bevor ich endgültig nach Marda-kaan zurückkehre, und wahrscheinlich auchdie Besatzung des fremden Schiffes.«

»Wie du willst«, sang der Panish Panishaergeben. »Ich habe nicht die Absicht, michmit dir zu streiten. Aber nimm zur Kenntnis,daß die Gorims meiner Ansicht nach nichtnach Etustar gehören.«

»Vergiß doch bitte das alte Gedankengut,Qion Lanaa. Es ist mein Wunsch, sie mitzu-nehmen. Du kannst das nicht beurteilen.«

»Dann kümmere ich mich darum, daßStalker in die HARMONIE gebracht wird«,versetzte der andere unmelodiös. »Du bistfür ihn verantwortlich, Salaam Siin. Wenn erweitere Verbrechen begeht, fällt das auf dichzurück.«

»Stalker wird stillhalten, dafür verbürgeich mich.«

Eine halbe Stunde später stand er alleinam Raumhafen. Und dort, in einem halbenKilometer Entfernung, war das Medoschiffgelandet. Salaam Siin ging mit ungutem Ge-fühl an Bord. Er fürchtete die Vorwürfe, dieihn erwarteten - und die zum Teil sogar be-rechtigt waren. Dabei hätte er nichts liebergetan, als zu essen, zu trinken, sich mit Sa-edelaere zu unterhalten und anschließend ei-ne Woche lang zu schlafen.

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Siela Correl und der Mann erwarteten ihnbereits.

»Du kannst dir vorstellen«, meinte AlaskaSaedelaere, »daß wir an dich eine MengeFragen haben.« Er lächelte distanziert undseufzte. Diese Miene kannte der Meistersän-ger genau. »Ich nehme an, eure Flucht amCharimchar-Tor war nicht deine Idee. Aberdu siehst sehr schwach aus, Salaam Siin. Alswenn du Ruhe brauchtest, bevor wir reden…«

»Wir hatten einen Wettstreit der Sänger«,log er. »Das war anstrengender, als ich je-mals gedacht hätte.«

»Einen Wettstreit? Und? Hast du gewon-nen?«

»Du hast eine falsche Vorstellung. Einensolchen Wettstreit gewinnt man nicht, mannimmt nur daran teil.« Er verstummte einpaar Sekunden lang, schaute erschöpft aufdie Kontrollen und setzte dann hinzu:»Jedenfalls sollte es so sein. Aber in diesemFall, denke ich, trifft deine menschlicheAusdrucksweise doch recht gut. Ja, ich habegewonnen.«

E N D E

Die ROBIN, die nicht die Transmitterstraße benutzen durfte und daher den langen Wegnach ESTARTU nehmen mußte, hat inzwischen ihr Flugziel erreicht. Was nun folgt, das ist ei-ne Sache für »Planetenspringer«…

DIE PLANETENSPRINGER - unter diesem Titel erscheint auch der nächste Perry Rhodan-Band. Der Roman wurde von Arndt Ellmer geschrieben.

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Computer: Stalker, das Geheimnis

Das große Volk der Pterus besteht aus mehrerenRassen So darf man sie wohl nennen ohne damit ge-gen die Regeln der biologischen Nomenklatur zu ver-stoßen Da gibt es die normalen Pterus, die auf Ana-muun beheimatet sind Es gibt - oder vielmehr gab -die Singuva, jene Zwergwesen, die man auch Anima-teure nannte und die eine Zeitlang die wahren Herr-scher der Mächtigkeitsballung Estartu waren. Es gabschließlich die Ewigen Krieger, eine höchst elitäreRasse, die jeweils nur aus wenigen Mitgliedern be-stand Da waren aber auch die Sothos, Produkte dergenetischen Ingenieurtechnik zwar aber nichtsdesto-weniger echte, organische Vertreter der Spezies Pte-rus. Die Sothos waren womöglich noch exklusiver alsdie Ewigen Krieger. Denn während diese immer vor-handen waren und nach ihrem Tode sofort durcheinen Nachfolger ersetzt wurden, schuf man jene nurzu besonderen Anlässen, und wenn der Anlaß ver-gangen, das Problem gelost war, durften sie ersatzlosdas Zeitliche segnen So einer ist also Sotho Tal Ker,genannt Stalker, der gegen Ende des Jahres 429NGZ in der Milchstraße auftaucht und alsbald galaxis-weit von sich reden macht. Man hat niemals - zumalvon Stalker selbst nicht - gehört, zu welchem Zwecker in die Milchstraße entsandt wurde. Aber es ist ge-wiß erlaubt, eine Analogie zu Sotho Tyg Ian zu sehender um die Mitte des Jahres 430 auf einer Welt desDunklen Himmels im Überlappungsbereich der Zwil-lingsgalaxien Absantha-Gom und Absantha-Shad sei-nen Erstauftritt hatte Sotho Tyg Ian, später Stygiangenannt, wurde eigens zu dem Zweck erschaffen, dieLehre vom Permanenten Konflikt in Regionen außer-halb des Reiches der Zwölf Galaxien, zumal in derMächtigkeitsballung des Überwesens ES zu verbrei-ten. Man geht wohl kaum falsch in der Annahme, daßStalker in ähnlicher Absicht angefertigt und ausge-schickt wurde. Das geht auch aus den Worten hervor,die Stygian seinem Artgenossen Stalker gegenüberäußert. Er habe versagt und müsse abgelöst werden.Ein Klon verläßt die Retorte mit vollständig ausgebil-detem, funktionsfähigem Gehirn, jedoch ohne Be-wußtsein. Dieses muß ihm erst eingepflanzt werden.Das Klon-Gehirn wird programmiert, in ganz ähnlicherWeise, wie ein Computer programmiert werden muß,bevor er in Betrieb genommen werden kann. Es be-steht kaum ein Zweifel daran, daß Sotho Tal Kers Ge-hirn zunächst die Grundlagen der Lehre vom Perma-nenten Konflikt, der (von den Singuva konstruierte}Bezug des Konflikts zu der von ESTARTU entwickel-ten Philosophie des Dritten Weges, sowie die Maßre-geln für sein Verhalten bei der Durchführung seinesAuftrags aufgeprägt worden sind. Es versteht sich vonselbst daß die Mentalprogrammierung auch zum Zielhat, dem frischgebackenen Sotho ein Höchstmaß anIntelligenz zu verleihen. Schließlich hat er, weit vonder Heimat entfernt, womöglich in feindlicher Umge-bung, die Belange des Kriegerkults zu vertreten. AlsMissionar in derart gewichtigen Dingen kann man nurein Wesen schicken, dessen Intelligenzquotient deut-lich über dem Durchschnitt liegt Ungeachtet seiner

beeindruckenden Intelligenz ist der Sotho nicht in derLage, den Geboten der Grundprogrammierung seinesBewußtseins zuwiderzuhandeln. Er muß seinen Auf-trag ausführen. Er kann dem Kriegerkult den Gehor-sam nicht aufsagen. Er besitzt nicht die Fähigkeit,über Sinn oder Unsinn der Lehre vom PermanentenKonflikt nachzudenken. Er akzeptiert den Konflikt alsetwas Naturgegebenes. Die Fortwahrende Auseinan-dersetzung ist für ihn unverzichtbarer Bestandteil desDaseins Daran gibt es nichts zu rütteln So sah derPlan es vor, und so war es einst Fehlschlage in derSotho-Produktion scheint es nicht gegeben zu habenSotho Tyg Ian zaudert nicht, wenn es darum geht, diePhilosophie des Kriegerkults zu vertreten und zu ver-breiten Nur bei Stalker scheint da etwas schief gegan-gen zu sein Nicht nur ist er insofern ein Anachronis-mus, als der Kriegerkult, für den er sich missionarischhatte betätigen sollen, längst den Bach hinabge-schwommen ist. Man erinnert sich überdies, daß Stal-ker von allem Anfang an die Interessen seines Auf-traggebers nur mit halbem Herzen, dafür mit um somehr Nachdruck die eigenen, privaten vertreten hat.

Seit jenen Tagen, als er in der Rolle des Warnerserstmals in der Milchstraße von sich reden machte,hat er einen vielfach gewundenen Weg zurückgelegt,und seine Person schillert bunter als eine Seifenbla-se, trügerischer als die Ölschicht auf dem Sumpf. Eshat den Anschein, als handele er nur noch im eigenenInteresse Rücksicht auf andere kennt er nicht. Er schi-kaniert und intrigiert und macht sich überall Feinde. Indiesen Tagen nimmt er an der ROBIN-Expeditionnach Estartu teil und erwirbt sich dabei keineswegsdie Sympathie der Mitreisenden. Man mochte ihn amliebsten ohne Schutzschirm im freien Weltraum aus-setzen. Aber irgendwie schafft er es doch immer wie-der, sich eines ausreichenden Maßes an Zuneigungzu versichern, so daß er ernsthaften Konsequenzenseines unverantwortlichen Verhaltens entgeht.

Was will Stalker? Warum läßt er keine Gelegenheitverstreichen, sich unbeliebt zu machen? Eine neueTheorie macht dieser Tage die Runde. Bei der Men-talprogrammierung von Stalkers Bewußtsein wurdeversucht, einen »Menschlichkeitsfaktor« einzubauender den Sotho in die Lage versetzen sollte, sich hin-dernisfrei mit den Galaktikern zu verständigen. Dabeimuß etwas schief gegangen sein. Der Faktor ist ent-artet Stalker ist im klassischen Sinne des Wortes gei-stesgestört. Der menschliche Faktor bewegt ihn dazu,den Völkern der Milchstraße helfen und beistehen zuwollen. Im Widerspruch dazu steht die auch heutenoch gültige Programmierung, die ihn dazu zwingenwill, die Lehre vom Permanenten Konflikt zu verbrei-ten Armer Stalker. Er will nur das Beste für die, mitdenen er zu tun hat. Aber infolge seiner Geistesstö-rung stellt er sich dabei so an daß er überall nur Ab-lehnung und Verachtung hervorruft. Irgendwie aber,so scheint's jedenfalls, macht sich seine Hilflosigkeitbemerkbar. Man kann ihn ablehnen und verachten,aber ihm ernsthaft und auf Dauer böse sein, das ge-lingt niemand. Wie gesagt es ist nur eine Theorie ob

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sich Stalkers unverfrorene Verhaltensweise wirklichmit einer Geistesstörung erklären laßt, wird die Zu-kunft erweisen.

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