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194 NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 17 (4) 2008 „Wenn die Laubfrösche knarren, so magst du auf Regen harren” – obwohl sich diese Prophezeiung nur ausnahmsweise bestä- tigt, galt Hyla arborea lange Zeit als Wet- terfrosch. Der Laubfrosch zählt zu den Winzlingen unserer heimischen Froschlur- che. Die Körpergrößen ausgewachsener Tiere variieren in Mitteleuropa zwischen 40 bis 50 mm (Körpermasse zwischen 4,6 und 9,8 g). Mit oberseits gekörnter Haut und leuchtendem metallisch Grün avanciert der Laubfrosch zu den exotischen Erschei- nungsformen der mitteleuropäischen Fau- na. Charakteristisch sind die schwarzen, nach oben hin weißlich oder gelblich ge- säumten Streifen, die sich entlang der Kör- perseiten vom Nasenloch über das Trom- melfell bis in die Hüftregion erstrecken. Sie trennen die meist leuchtend-grüne Ober- seite von der hellen, weißlich-gelb gefärb- ten Unterseite. Nicht selten treten Farbtö- ne mit einem Schimmer ins Gelblich- oder Olivgrüne auf. Hin und wieder sind Fle- ckenmuster anzutreffen. Nach der Winter- ruhe oder unter Stress zeigen die Tiere auch bräunliche, graue oder blaue Farben. Darüber hinaus können extreme Tempera- turen, Luftfeuchte oder Erregungszustände eine Farbänderung verursachen. Im Ver- hältnis zur Körpergröße besitzt der Laub- frosch relativ lange Extremitäten, die ihm zugleich eine hervorragende Sprungkraft verleihen. Auffällig sind auch seine langen und kräftigen Finger, die eine Anpassung an die bevorzugten Aufenthaltsorte in Ge- hölzen und Buschgruppen darstellen. Ein- zigartig unter den heimischen Amphibien sind die Haftscheiben an den Finger- und Zehenspitzen. Diesen verdankt der Laub- frosch sein meisterhaftes Klettervermögen. Im Zusammenspiel mit der feuchten Bauchhaut und Adhäsionskräften klettert er mühelos senkrecht oder gar kopfüber an glattesten Strukturen oder haftet in Ruhe- position auf Blättern im Kronendach der Bäume. Laubfrösche begeben sich über- wiegend in den Nachmittags- und Abend- stunden auf Beutejagd. In milden Sommer- nächten sind sie auch nachts aktiv. Die Nahrungspalette ist breit und hängt in ers- ter Linie vom jeweiligen Lebensraum ab. Neben verschiedenen Fliegen- und Mü- ckenarten, bereichern Käfer (Bockkäfer, Rüssel-, Weich- und Marienkäfer), Ameisen, Wanzen sowie Spinnen, Ohrwürmer und sogar Nacktschnecken den Speisezettel. Die über lange Zeit blühenden Brombeer- gebüsche und Doldenblütler locken unzäh- lige Insekten an. Hier lauert der Laubfrosch seiner Beute auf. Ausgelöst durch Be- wegungen streckt er sich vor und schleu- dert die Zunge heraus, um das Insekt zu greifen. In Mitteleuropa ist mit dem Laubfrosch le- diglich ein Vertreter der relativ artenrei- chen, vor allem in den Tropen verbreiteten Familie (Hylidae: >650 Arten) heimisch. Noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts besie- delte der Laubfrosch weite Teile der Mark Brandenburg. Heute zählt er zu den Selten- heiten und wurde in der Roten Liste (LINNA- EUS, 1758) als stark gefährdet eingestuft. Entscheidende Rückgangsursachen jedoch waren die Intensivierung der Landwirtschaft, vor allem in den 1960er und 70er Jahren und die einhergehende Entwässerung und Strukturverarmung der Landschaft. Laub- frösche reagieren besonders sensibel auf Agrochemikalien. Ein weiteres Problem ist der zunehmende Straßenverkehr. Laubfrösche überwinden problemlos Amphibienzäune. Kleintiertunnel werden meist gemieden. Der Fischbesatz in vielen Kleingewässern dezi- miert Laich und Larven. Ursprünglich besiedelten Laubfrösche die dy- namischen Lebensräume der Flussauen. In Mitteleuropa sind diese Landschaften jedoch kaum noch zu finden. In einigen gewässer- reichen Regionen, wie beispielsweise der Uckermark, der Elbtalaue und in der Nieder- lausitzer Teichlandschaft zählt der Laubfrosch aber noch heute zu den Charakterarten. In Deutschland wurde Hyla arborea 2008 vom NABU (Naturschutzbund) und der DGHT (Deutsche Gesellschaft für Herpetolo- gie und Terrarienkunde) zum Froschlurch des Jahres gekürt. Mit dieser Aktion wird die von verschiedenen internationalen Natur- schutzorganisationen (u. a. IUCN) initiíerte Kampagne „Jahr des Frosches” unterstützt. Anlass sind die, im Vergleich zu anderen Wirbeltierklassen, extremen Bestandsrück- gänge der Amphibien. Mit seinem charakte- ristischen Ruf – einem weit tragenden „ägg, ägg, ägg” – bringt er sich vor allem nachts lautstark in die frühsommerlichen Frosch- konzerte ein. So entwickelte er sich nicht umsonst zum Sympathieträger und zur „Flaggschiff”-Art zahlreicher Naturschutz- projekte (z. B. NABU-Projekt „Ein König sucht sein Reich” in Niedersachsen). Ausgehend von den noch heute gut besie- Der Laubfrosch (Hyla arborea) LINNAEUS, 1758 – Froschlurch des Jahres 2008 delten Verbreitungszentren widmen sich auch in Brandenburg verschiedene Schutzprojekte der Erhaltung und Neu- anlage von Lebensräumen (MLUV: Ar- tenschutzprogramm für Rotbauchunke und Laubfrosch, im Druck). Der Wasser- rückhalt, die Neuanlage und die Sanie- rung von Gewässern unter dem Ge- sichtspunkt der Stabilisierung und Ver- netzung von Vorkommen stehen hierbei im Vordergrund. Grundlagen jeglicher Schutzmaßnahmen sind detaillierte Kenntnisse zur Verbrei- tung der Art. Fundpunkte werden daher im Brandenburger Artenkataster „Herpe- tofauna 2000” erfasst. Einmal im Jahr treffen sich die Herpeto- logen aus Berlin und Brandenburg zum Erfahrungsaustausch. Neue Mitstreiter/- innen sind jederzeit willkommen! Inte- ressierte können sich in der Naturschutz- station Rhinluch (Landesumweltamt Brandenburg) melden (Adresse s. u.): Anschrift des Verfassers: Dr. Norbert Schneeweiß Landesumweltamt Brandenburg Naturschutzstation Rhinluch Nauener Straße 68 16833 Linum [email protected] burg.de Fotos: N. Schneeweiß, G. Alscher (re. u.), G. Jennermann (re. o.) Laubfrosch auf einer Sitzwarte im Kronendach einer Buche Selten auftretende Blaufärbung

Der Laubfrosch (Hyla arborea) LINNAEUS, 1758 – Froschlurch ...€¦ · Der Laubfrosch (Hyla arborea) LINNAEUS, 1758 – Froschlurch des Jahres 2008 delten Verbreitungszentren widmen

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194 NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 17 (4) 2008

„Wenn die Laubfrösche knarren, so magstdu auf Regen harren” – obwohl sich dieseProphezeiung nur ausnahmsweise bestä-tigt, galt Hyla arborea lange Zeit als Wet-terfrosch. Der Laubfrosch zählt zu denWinzlingen unserer heimischen Froschlur-che. Die Körpergrößen ausgewachsenerTiere variieren in Mitteleuropa zwischen 40bis 50 mm (Körpermasse zwischen 4,6 und9,8 g). Mit oberseits gekörnter Haut undleuchtendem metallisch Grün avanciert derLaubfrosch zu den exotischen Erschei-nungsformen der mitteleuropäischen Fau-na. Charakteristisch sind die schwarzen,nach oben hin weißlich oder gelblich ge-säumten Streifen, die sich entlang der Kör-perseiten vom Nasenloch über das Trom-melfell bis in die Hüftregion erstrecken. Sietrennen die meist leuchtend-grüne Ober-seite von der hellen, weißlich-gelb gefärb-ten Unterseite. Nicht selten treten Farbtö-ne mit einem Schimmer ins Gelblich- oderOlivgrüne auf. Hin und wieder sind Fle-ckenmuster anzutreffen. Nach der Winter-ruhe oder unter Stress zeigen die Tiereauch bräunliche, graue oder blaue Farben.Darüber hinaus können extreme Tempera-turen, Luftfeuchte oder Erregungszuständeeine Farbänderung verursachen. Im Ver-hältnis zur Körpergröße besitzt der Laub-frosch relativ lange Extremitäten, die ihmzugleich eine hervorragende Sprungkraftverleihen. Auffällig sind auch seine langenund kräftigen Finger, die eine Anpassungan die bevorzugten Aufenthaltsorte in Ge-hölzen und Buschgruppen darstellen. Ein-zigartig unter den heimischen Amphibiensind die Haftscheiben an den Finger- undZehenspitzen. Diesen verdankt der Laub-frosch sein meisterhaftes Klettervermögen.Im Zusammenspiel mit der feuchtenBauchhaut und Adhäsionskräften kletterter mühelos senkrecht oder gar kopfüber anglattesten Strukturen oder haftet in Ruhe-position auf Blättern im Kronendach derBäume. Laubfrösche begeben sich über-wiegend in den Nachmittags- und Abend-stunden auf Beutejagd. In milden Sommer-nächten sind sie auch nachts aktiv. DieNahrungspalette ist breit und hängt in ers-ter Linie vom jeweiligen Lebensraum ab.Neben verschiedenen Fliegen- und Mü-ckenarten, bereichern Käfer (Bockkäfer,Rüssel-, Weich- und Marienkäfer), Ameisen,Wanzen sowie Spinnen, Ohrwürmer undsogar Nacktschnecken den Speisezettel.Die über lange Zeit blühenden Brombeer-gebüsche und Doldenblütler locken unzäh-lige Insekten an. Hier lauert der Laubfroschseiner Beute auf. Ausgelöst durch Be-wegungen streckt er sich vor und schleu-dert die Zunge heraus, um das Insekt zugreifen. In Mitteleuropa ist mit dem Laubfrosch le-diglich ein Vertreter der relativ artenrei-chen, vor allem in den Tropen verbreiteten

Familie (Hylidae: >650 Arten) heimisch.Noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts besie-delte der Laubfrosch weite Teile der MarkBrandenburg. Heute zählt er zu den Selten-heiten und wurde in der Roten Liste (LINNA-EUS, 1758) als stark gefährdet eingestuft.Entscheidende Rückgangsursachen jedochwaren die Intensivierung der Landwirtschaft,vor allem in den 1960er und 70er Jahrenund die einhergehende Entwässerung undStrukturverarmung der Landschaft. Laub-frösche reagieren besonders sensibel aufAgrochemikalien. Ein weiteres Problem istder zunehmende Straßenverkehr. Laubfröscheüberwinden problemlos Amphibienzäune.Kleintiertunnel werden meist gemieden. DerFischbesatz in vielen Kleingewässern dezi-miert Laich und Larven.Ursprünglich besiedelten Laubfrösche die dy-namischen Lebensräume der Flussauen. InMitteleuropa sind diese Landschaften jedochkaum noch zu finden. In einigen gewässer-reichen Regionen, wie beispielsweise derUckermark, der Elbtalaue und in der Nieder-lausitzer Teichlandschaft zählt der Laubfroschaber noch heute zu den Charakterarten.In Deutschland wurde Hyla arborea 2008vom NABU (Naturschutzbund) und derDGHT (Deutsche Gesellschaft für Herpetolo-gie und Terrarienkunde) zum Froschlurchdes Jahres gekürt. Mit dieser Aktion wird dievon verschiedenen internationalen Natur-schutzorganisationen (u. a. IUCN) initiíerteKampagne „Jahr des Frosches” unterstützt.Anlass sind die, im Vergleich zu anderenWirbeltierklassen, extremen Bestandsrück-gänge der Amphibien. Mit seinem charakte-ristischen Ruf – einem weit tragenden „ägg,ägg, ägg” – bringt er sich vor allem nachtslautstark in die frühsommerlichen Frosch-konzerte ein. So entwickelte er sich nichtumsonst zum Sympathieträger und zur„Flaggschiff”-Art zahlreicher Naturschutz-projekte (z. B. NABU-Projekt „Ein Königsucht sein Reich” in Niedersachsen).Ausgehend von den noch heute gut besie-

Der Laubfrosch (Hyla arborea) LINNAEUS, 1758 – Froschlurch des Jahres 2008

delten Verbreitungszentren widmen sichauch in Brandenburg verschiedeneSchutzprojekte der Erhaltung und Neu-anlage von Lebensräumen (MLUV: Ar-tenschutzprogramm für Rotbauchunkeund Laubfrosch, im Druck). Der Wasser-rückhalt, die Neuanlage und die Sanie-rung von Gewässern unter dem Ge-sichtspunkt der Stabilisierung und Ver-netzung von Vorkommen stehen hierbeiim Vordergrund.Grundlagen jeglicher Schutzmaßnahmensind detaillierte Kenntnisse zur Verbrei-tung der Art. Fundpunkte werden daherim Brandenburger Artenkataster „Herpe-tofauna 2000” erfasst. Einmal im Jahr treffen sich die Herpeto-logen aus Berlin und Brandenburg zumErfahrungsaustausch. Neue Mitstreiter/-innen sind jederzeit willkommen! Inte-ressierte können sich in der Naturschutz-station Rhinluch (LandesumweltamtBrandenburg) melden (Adresse s. u.):

Anschrift des Verfassers:Dr. Norbert SchneeweißLandesumweltamt BrandenburgNaturschutzstation Rhinluch Nauener Straße 6816833 [email protected]

Fotos: N. Schneeweiß, G. Alscher (re. u.),G. Jennermann (re. o.)

Laubfrosch auf einer Sitzwarte im Kronendach einer Buche

Selten auftretende Blaufärbung

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NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 17 (4) 2008 195

ImpressumHerausgeber: Landesumweltamt Branden-

burg (LUA)

Schriftleitung: LUA, Abt. Ökologie, Natur-schutz, Wasser; ServiceDr. Matthias HilleBarbara KehlAngela Hinzmann

Beirat: Thomas AvermannDr. Martin FladeDr. Lothar KalbeDr. Bärbel LitzbarskiDr. Annemarie SchaepeDr. Thomas SchoknechtDr. Frank Zimmermann

Anschrift: LUA, Schriftleitung NundLBbgSeeburger Chaussee 214476 PotsdamOT Groß GlienickeTel. 033 201/442 238E-Mail: barbara.kehl@

lua.brandenburg.de

ISSN: 0942-9328

Es werden nur Originalbeiträge veröffentlicht. Autorenwerden gebeten, die Manuskriptrichtlinien, die bei derSchriftleitung zu erhalten sind, zu berücksichtigen. Zwei Jahre nach Erscheinen der gedruckten Beiträgewerden sie ins Internet gestellt.Alle Artikel und Abbildungen der Zeitschrift unterlie-gen dem Urheberrecht. Die Vervielfältigung der Karten erfolgt mit Geneh -migung des Landesvermessungsamtes Brandenburg(GB-G 1/99).Namentlich gezeichnete Beiträge geben nicht unbe-dingt die Meinung der Redaktion wieder.

Redaktionsschluss: 17.11.2008

Layout/ Osthavelland-Druck Druck/ Velten GmbHVersand: Luisenstraße 45

16727 VeltenTel.: 0 33 04/3 97 40Fax: 0 33 04/56 20 39

Bezugsbedingungen:Bezugspreis im Abonnement: 4 Hefte – 12,00 Europro Jahrgang, Einzelheft 5,00 Euro.Die Einzelpreise der Hefte mit Roten Listen sowie derthematischen Hefte werden gesondert festgelegt.Bestellungen sind an das Landesumweltamt zu rich-ten.Diese Zeitschrift ist auf chlorfrei gebleichtem Papiergedruckt.

Titelbild: Ehemaliger Truppenübungsplatz Zehren-dorf (Lkr. Dahme-Spreewald)

Rücktitel: Winterstimmung im NSG Luchsee (Lkr.Dahme-Spreewald)

Fotos: W. Klaeber

Naturschutz und Landschaftspflege in BrandenburgBeiträge zu Ökologie, Natur- und Gewässerschutz

17. Jahrgang Heft 4, 2008

Inhaltsverzeichnis

REGINE AUSTER

100 Jahre Naturschutz in BrandenburgWilhelm Wetekamp und die Brandenburgische Provinzialkommissionfür Naturdenkmalpflege 1908 bis 1922 196

THILO HEINKEN

Welche populationsbiologischen und genetischen Konsequenzen hatHabitatfragmentierung für Pflanzen?Wissenschaftliche Grundlagen für ein Biotopverbundsystemfür Pflanzen in Brandenburg 201

DIETER BENKERT

Zur Problematik des Erkennens von Bestandesveränderungenund der Gefährdung von Pilz-Arten 209

FRANK ZIMMERMANN

Rote Listen werden noch objektiver – Anwendung der überarbeitetenMethodik in Brandenburg 214

MATTHIAS HILLE, THOMAS SCHOKNECHT, FRANK ZIMMERMANN

70 Jahre Naturschutzgebiete (NSG) Leue, Rauhes Luch,Fauler Ort und Stechlin-, Nehmitz- und Großer Krukowsee 216

KLEINE BEITRÄGE

Der Laubfrosch (Hyla arborea) LINNAEUS, 1758 – Froschlurch des Jahres 2008 194Neue Perspektiven für den „Zarth” 220

GEDANKEN – IDEEN – ERGEBNISSE

Rückgang des Schilfröhrichtes im gewässerreichen Stadtgebiet der StadtBrandenburg an der Havel und Möglichkeiten landschaftsplanerischerund naturschutzbehördlicher Gegensteuerung 222

RECHTS- UND VERWALTUNGSVORSCHRIFTEN 227

PERSÖNLICHES 227

JUBILÄUM 229

NACHRUF 229

KLEINE MITTEILUNGEN 230

IM LANDESUMWELTAMT NEU ERSCHIENEN 226

LITERATURSCHAU 208/215

Beilage zu Heft 4, 2008*

TORSTEN RYSLAVY, WOLFGANG MÄDLOW unter Mitwirkung von MAIK JURKE

Rote Liste und Liste der Brutvögel des Landes Brandenburg 2008

* Die Beilage wird separat an die Abonnenten versandt.

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196 NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 17 (4) 2008; 196-200

Vor 100 Jahren, am 17. Februar 1908, be-gann mit der Gründung der Brandenburgi-schen Provinzialkommission für Naturdenk-malpflege der staatliche Naturschutz inBrandenburg. Aus den bescheidenen An-fängen einer kleinen, nur wenige Mitgliederzählenden Kommission hat sich bis heute ei-ne weit verzweigte Naturschutzverwaltungentwickelt.

1 Aufbruch um 1900

150 Personen versammelten sich am 17.Februar 1908 anlässlich der Gründungsver-sammlung der Brandenburgischen Provinzi-alkommission für Naturdenkmalpflege imLichthof der Teltower Sparkasse in Berlin. AlsVortragsredner war Hugo Conwentz, Leiterder 1906 gegründeten Staatlichen Stelle fürNaturdenkmalpflege in Preußen, geladen(ANONYM 1908). Preußen hatte damit alserstes Land in Europa den Naturschutz zueiner staatlichen Aufgabe erhoben.Es war die Rede des Abgeordneten WilhelmWetekamp (Abb. 1) vor dem PreußischenAbgeordnetenhaus, die 1898 den Anstoßfür die Gründung der Staatlichen Stelle ge-geben hatte. Sehr zum Ärger der Ministeri-albürokratie störte er am 30. März 1898 diedritte Lesung des preußischen Etats mit ei-ner bahnbrechenden Rede. Er beklagte,dass der preußische Staat zwar seit länge-rem Denkmalpflege betreibe, es aber keineMittel und Einrichtungen für den Erhalt der„Denkmäler der Entwicklungsgeschichteder Natur” gäbe. Und er forderte die Ein-richtung großer Schutzgebiete nach demVorbild der Nationalparke in den USA. We-tekamp war der erste Abgeordnete, der dasAnliegen des Naturschutzes aus dem engenMilieu der Naturkundler und wissenschaftli-chen Experten herauslöste und dem Natur-schutz im Parlament eine politische Platt-form gab (FROHN 2006).Er stand mit seinen Forderungen zu dieserZeit keineswegs allein. Um 1900 gab es ei-nen Boom an Aktivitäten und Vereinsgrün-dungen, die sich unter den Begriffen Natur-schutz und Heimatschutz zu einer neuen ge-sellschaftlichen Bewegung formierten, aufdie der Staat in irgendeiner Weise reagierenmusste. 1899 wurde der Bund für Vogel-schutz durch die Württembergische Fabri-

kantengattin Lina Hähnle gegründet, derschon nach kurzer Zeit tausende Mitgliederin ganz Deutschland hatte. 1904 gründetesich unter maßgeblicher Beteiligung des Ber-liner Musikprofessors Ernst Rudorff der BundHeimatschutz (SCHMOLL 2004). Es warschließlich das von dem Botaniker HugoConwentz entwickelte Konzept der Natur-denkmalpflege, das sich als Kernstück für ei-nen staatlichen organisierten Naturschutzdurchsetzte. Der 1906 gegründeten Staatli-chen Stelle für Naturdenkmalpflege lag aller-dings ein unausgesprochener Kompromisszu Grunde, der lautete: „Naturschutz darfnichts kosten”. Zwar wurde die StaatlicheStelle mit einem Etat von 15.000 Mark fürdie Geschäftsführung ausgestattet, darüberhinausgehende Mittel für den Schutz oder

den Ankauf von bedrohten Flächen oderNaturdenkmalen standen ihr aber nicht zurVerfügung (FROHN 2006).Ungeachtet der zunächst schwierigen Rah-menbedingungen – Hugo Conwentz leitetedie Staatliche Stelle bis 1910 zunächst nurnebenamtlich neben seiner Tätigkeit alsMuseumsdirektor in Danzig – trieb er denorganisatorischen Aufbau der Naturdenk-malpflege unermüdlich voran.In Brandenburg erging bereits am 23. Janu-ar 1907 eine Verfügung der Regierung, Ab-teilung Kirchen und Schulwesen, an dieKreisschulinspektoren, auf den Kreislehrer-konferenzen das Thema Naturdenkmalpfle-ge zu behandeln. Am 4. Februar 1907 folg-te die Unterschutzstellung des Naturschutz-gebietes Plagefenn durch eine Verwaltungs-

WILHELM WETEKAMP, DER ENGAGIERTE NATURSCHÜTZER UND PÄDAGOGE, VERDIENT ES, AUFGRUND

SEINER PERSÖNLICHKEIT UND SEINER LEISTUNGEN NOCH MEHR ALS BISHER IM HISTORISCHEN BEWUSSTSEIN

DES BRANDENBURGER NATURSCHUTZES FEST VERANKERT ZU WERDEN.

REGINE AUSTER

100 Jahre Naturschutz in BrandenburgWilhelm Wetekamp und die Brandenburgische Provinzialkommission fürNaturdenkmalpflege 1908 bis 1922Schlagwörter: Naturschutzgeschichte, Provinzialkommission, Brandenburg, Naturdenkmal, Verunstaltungs-

verordnungen

Abb. 1

Wilhelm Wetekamp(1859–1945)

(Alle Abbildungenstammen aus demArchiv des Hausesder Natur, Potsdam)

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REGINE AUSTER: 100 JAHRE NATURSCHUTZ IN BRANDENBURG – WILHELM WETEKAMP ... 197

anordnung des preußischen Ministeriumsfür Landwirtschaft, Domänen und Forstenund am 28. Februar 1907 verfügte dieses,dass die Naturdenkmäler in den Wälderndurch die Oberförstereien zu erfassen seien.Entscheidend war die Verabschiedung von„Grundsätzen für die Förderung der Natur-denkmalpflege in den Provinzen” am 30.Mai 1907 durch den preußischen Ministerder geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-angelegenheiten. Mit dieser Verordnungwurde die Grundlage für die Bildung vonProvinzialkommissionen geschaffen. Am 27.Juli 1907 fand eine erste Vorbesprechungvon Hugo Conwentz mit dem Oberpräsi-denten der Provinz Brandenburg, Augustvon Trott zu Solz, statt. Am 17. Februar1908 erfolgte dann während der Sitzungs-periode des Provinziallandtages in Berlin dieoffizielle Gründung (KLOSE 1933).

2 BrandenburgischeProvinzialkommission fürNaturdenkmalpflege

An der Spitze der Brandenburgischen Pro-vinzialkommission stand der Oberpräsidentder Provinz Brandenburg, August von Trottzu Solz, der an der Gründungsversammlungauf Grund von Krankheit aber selbst nichtteilnahm. Er wurde durch OberpräsidialratJoachim von Winterfeldt-Menkin vertreten.Zum Geschäftsführer der Kommission wur-de Wilhelm Wetekamp, Gymnasiallehrerund Schuldirektor in (Berlin)-Schöneberg,berufen. Der Kommission gehörten fernerProf. Karl Eckstein, Professor für Zoologiean der Forstakademie Eberswalde, Dr. Paul

Graebner, Kustos am Botanischen Garten inBerlin und Prof. Hugo Jentsch, Vorsitzenderder Niederlausitzer Gesellschaft für Anthro-pologie und Altertumskunde in Guben, an.Landesdirektor Freiherr Otto von Manteuf-fel, Graf von der Schulenburg, Lieberose,und Präsidialrat Winterfeldt repräsentiertendie Verwaltungsebene bzw. den Provinzial-landtag. Als Vertreter des Lehrerverbandeswurde Lehrer Otto in die Kommission beru-fen. Prof. Albrecht Penck war Geographund Geologe. Er hatte an der UniversitätWien die sogenannte Wiener Schule derphysischen Geographie zu internationalerBedeutung gebracht. Er lehrte ab 1906 inBerlin und war später Rektor der Friedrich-Wilhelms-Universität (heute Humboldt-Uni-versität). Paul von Stünzner war Vorsitzen-der des Märkischen Forstvereins und alsHofkammerpräsident ab 1900 für den forst-lichen Besitz des preußischen Hofes zustän-dig. Der Kommission gehörte auch FritzGraf von Schwerin, Gutsbesitzer aus Mär-kisch-Wilmersdorf und langjähriger Vorsit-zender der Deutschen Dendrologischen Ge-sellschaft, an. Prof. Gustav Wahnschaffe warLandesgeologe und leitete ab 1903 dieFlachlandkartierung der Preußischen Geolo-gischen Landesanstalt (Anonym 1908).Damit waren sowohl von Seiten der Wissen-schaft als auch der Verwaltung Spitzenver-treter in die Provinzialkommission eingebun-den, eine Strategie, die Conwentz auch inanderen Provinzen erfolgreich umsetzenkonnte. Es zeigte sich somit, dass der Natur-schutz von Seiten des Staates hohe Wert-schätzung genoss, andererseits war aberauch unverkennbar, dass diese doch ehersymbolischer Art war. Die Brandenburgische

Provinzialkommission erhielt keine amtlichenBefugnisse und arbeitete rein ehrenamtlich.Immerhin bewilligte der Provinziallandtagfür ihre Tätigkeit 3.000 Mark (Abb. 2, 3).Bis zur ersten Konferenz für Naturdenkmal-pflege in Preußen, die Hugo Conwentz imDezember 1908 durchführte, entstandensechs Provinzialkommissionen, wobei dieBrandenburger Kommission die dritte war,die nach den Kommissionen in Schlesienund Westpreußen gegründet wurde. Es gabzu diesem Zeitpunkt auch bereits ein Orts-komitee für Naturdenkmalpflege in derStadt Brandenburg (Havel). Der dortige His-torische Verein hatte die Naturdenkmalpfle-ge in seine Satzung aufgenommen. Es warvor allem der Lehrer Dr. Diederichs, der sichfür den Naturschutz zu engagieren begann.Diederichs nahm zusammen mit WilhelmWetekamp an der ersten Konferenz für Na-turdenkmalpflege in Preußen teil, die mit 15Teilnehmern auf die damals durchaus nochüberschaubare Größe des staatlichen Natur-schutzes verwies (ANONYM 1909).

2.1 Gründung von BezirkskomiteesAb 1911 begann die Bildung von Bezirksko-mitees für die Regierungsbezirke Potsdamund Frankfurt (Oder) (ANONYM 1908). InPotsdam übernahm der Gutsbesitzer GrafWichard Hugo von Wilamowitz-Möllendorfaus Gadow in der Prignitz den Vorsitz,Kaufmann Krause aus Wittenberge wurdeGeschäftsführer. Das Komitee wurde aberkaum aktiv. Wilamowitz-Möllendorf starbbereits 1916 in Bagdad (ANONYM 1921).Auch wenn er für den Brandenburger Na-turschutz offensichtlich keine größeren Ak-tivitäten entfaltete, erwarb er sich doch Ver-

Abb. 2

Die Mitglieder der Brandenburgischen Provinzialkommission 1908

Abb. 3

Von 1908 und 1920 gab die Brandenburgische Provinzialkommissi-on für Naturdenkmalpflege acht Mitteilungshefte heraus.

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198 NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 17 (4) 2008

dienste. Wilamowitz-Möllendorf engagiertesich im Deutschen Verein zum Schutz derVogelwelt und erreichte gemeinsam mitHans Freiherrn von Berlepsch aus Seebach(Thüringen), dass der Memmert in derNordsee als Vogelschutzgebiet gesichertwerden konnte.Für den Regierungsbezirk Frankfurt (Oder)wurde am 4. Dezember 1911 ein Bezirksko-mitee gegründet, dessen Geschäftsführungder Gymnasiallehrer Prof. Nickel übernahm.Das Komitee hatte 23 Mitglieder, vornehm-lich Lehrer, aber auch Forst- und Verwal-tungsbeamte. Bemerkenswert ist, dass indiesem Regierungsbezirk der Naturschutzbereits bis auf Kreisebene verankert und fürelf Kreise Lehrer als Vertrauensmänner er-nannt wurden (Mitteilungen der Branden-burgischen Provinzialkommission für Natur-denkmalpflege 1914). Aus heutiger Sichtwurde damit erstmals ein System von regio-nalen Naturschutzbeauftragten begründet.Das Bezirkskomitee Frankfurt (Oder) exis-tierte bis 1921 und stellte dann infolge feh-lender finanzieller Unterstützung seitens derVerwaltung seine Tätigkeit ein. Auch dasoben erwähnte Ortskomitee für Naturdenk-malpflege in Brandenburg (Havel) bestandnur bis zum Ende des Ersten Weltkrieges(KLOSE 1933).Es gab eine ganze Reihe von heimatkundli-chen und historischen Vereinen in Branden-burg, die nach 1908 die Naturdenkmalpfle-ge in ihre Satzungen aufnahmen. Dies ver-deutlicht nachdrücklich, dass der Natur-schutz in seiner Gründungsphase auf breitegesellschaftliche Resonanz stieß und nichtauf das Milieu der Naturkundler und Natur-wissenschaftler beschränkt blieb. Mit der In-tegration des Naturschutzes in bereits be-stehende Vereinsstrukturen waren so auchauf örtlicher Ebene zahlreiche Aktivitäten zuverzeichnen.Bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges etab-lierte sich damit in Brandenburg der Natur-schutz wie überall in Deutschland in einerGrauzone zwischen staatlicher Verpflich-tung und gesellschaftlicher Selbstorganisati-on. Die Übertragung amtlicher oder halb-amtlicher Aufgaben an Vereine und ehren-amtlich im Naturschutz tätige Personenband diese in staatliches Handeln ein undmachte sie damit in gewisser Weise beein-flussbar. Da der Staat aber prinzipiell weiter-hin Wirtschaftsinteressen Vorrang vor Aufga-ben der Naturbewahrung einräumte, zeich-nete sich ab, dass trotz dieser EinbindungKonflikte zwischen dem Staat und der orga-nisierten Naturschutzszene vorprogrammiertwaren (FROHN 2006).

3 Wilhelm Wetekamp –Pädagoge undNaturschützer

Wilhelm Wetekamp wurde am 4. Septem-ber 1959 in Lippstadt (Westfalen) geboren.Er studierte in Berlin, in Jena und BreslauNaturwissenschaften. In Breslau lernte erHugo Conwentz kennen. Von 1894 bis

1903 gehörte er als Abgeordneter der Frei-sinnigen Volkspartei dem Preußischen Ab-geordnetenhaus an. Wetekamps Interessenwaren breit gefächert. Er engagierte sichschulpolitisch als Mitglied des Vereins fürSchulreform und war 1903 Mitbegründerder Esperanto-Gruppe Berlin. Ab 1903 baute Wilhelm Wetekamp dasWerner-Siemens-Realgymnasium in (Berlin)-Schöneberg auf, dessen Direktor er 1906wurde. 1919 übernahm er im PreußischenMinisterium für Wissenschaft, Kultur undVolksbildung die Leitung des Dezernats fürSchülerselbstverwaltung. Neben seiner be-ruflichen Tätigkeit engagierte sich Wete-kamp über viele Jahre für den Natur- undHeimatschutz. Von 1907 bis zu dessen Auf-lösung 1920 war er zweiter Vorsitzender desZweigvereins Brandenburg des Bundes Hei-matschutz. Parallel dazu war von 1908 bis1922 als Geschäftsführer der Brandenburgi-schen Provinzialkommission für Naturdenk-malpflege tätig. Bis 1932 engagierte er sichdann noch als Beauftragter für die branden-burgischen Bodenaltertümer.

3.1 Das Werner-Siemens-RealgymnasiumDas Werner-Siemens-Realgymnasium wur-de von Wilhelm Wetekamp nach dem re-formpädagogischen Frankfurter Lehrplanaufgebaut. Wetekamp strebte ein aufge-klärtes Denken und eine Abkehr von Drillund Untertanengeist an. Die Schwerpunktelagen auf dem Hand- und Werkunterrichtsowie auf einer lebendigen, praxisnahenUnterrichtsgestaltung. 1909 führte WilhelmWetekamp als erster in Preußen eine Schü-lervertretung an der Schule ein. Er fördertedie Gründung von Schülervereinen. Schul-feste, Schulfahrten und Schülertheaterinsze-nierungen waren fester Bestandteil des pä-dagogischen Programms. Wilhelm Wete-kamp veröffentliche 1908 das pädagogischeFachbuch „Selbstbetätigung und Schaffens-freude in Erziehung und Unterricht”, das inmehreren Auflagen erschien.Das liberale Werner-Siemens-Realgymnasi-um war, wie das umliegende BayerischeViertel, ein Magnet für jüdische Familien.Mehr als die Hälfte der Schüler waren zu

dieser Zeit jüdischen Glaubens. Sie kamennicht nur aus dem unmittelbaren Umfeldder Schule, sondern auch aus entfernterenStadtgebieten. Im Mai 1935 wurde dasGymnasium von den Nationalsozialistenaufgelöst. Heute befindet sich in dem Ge-bäude die Georg-von-Giesche-Realschule(WIKIPEDIA 2008).

4 Erste Schutzmaßnahmen

Ausgangspunkt für das von Hugo Con-wentz entwickelte Konzept der Naturdenk-malpflege war die Inventarisierung forstbo-tanisch bemerkenswerter Bäume undBaumbestände, von der wesentliche Impul-se für den Baumschutz ausgingen. Con-wentz setzte von Anfang an auf eine engeZusammenarbeit mit der Forstverwaltung,die sich den neuen Ideen des Naturschutzesgegenüber durchaus aufgeschlossen zeigteund angesichts zunächst fehlender Natur-schutzstrukturen von Anfang an auch aufeigenständiges Handeln setzte. Bereits imFebruar 1907 wurde mit der Unterschutz-stellung des Plagefenns bei Chorin mit einerGröße von 177 Hektar ein für damalige Ver-hältnisse durchaus weiträumiges Gebiet ge-sichert. In einer ganzen Reihe von Oberförs-tereien gab es dann weitere Schutzmaßnah-men, die vor allem dem Schutz urwüchsigerBestände und bemerkenswerter Bäume gal-ten, aber auch der Bewirtschaftung vonUferpartien sowie von landschaftlich reiz-vollen Waldteilen im Plenterbetrieb (ANO-NYM 1908).

4.1 NaturdenkmaleDie Brandenburgische Provinzialkommissi-on, die bis 1926 auch für Berlin zuständigwar, stellte sich anfangs zwei durchaus be-scheidene Ziele. Zum einen das „Interessefür die Sache” der Naturdenkmalpflege we-cken, zum anderen „die Inventarisierungder Naturdenkmäler in die Wege zu leiten”.Zu diesem Zweck wurden Fragebogen anüber 1.500 Behörden und Privatpersonenversandt, in denen die Naturdenkmale all-gemeiner Art, die des Erdbodens, der Pflan-

Abb. 4

Bischofsstein

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REGINE AUSTER: 100 JAHRE NATURSCHUTZ IN BRANDENBURG – WILHELM WETEKAMP ... 199

zenwelt und der Tierwelt vermerkt werdensollten. Das Ergebnis dieser ersten Erfas-sungsaktion war einigermaßen ernüchternd– es kamen nur ganz wenige Fragebogenzurück (ANONYM 1909).Angesichts dieser Situation sah sich WilhelmWetekamp offenkundig gezwungen, selbstaktiv zu werden, um wenigsten einen teil-weisen Überblick über mögliche Schutz-objekte zu erlangen. Er wandte sich den geo-logischen Naturdenkmalen zu und beganndie im Land vorhandenen Findlinge zu erfas-sen, die durch die intensive Bautätigkeit, aberauch durch den Gebrauch als Denkmale vie-lerorts gefährdet waren. Wetekamp bereisteBrandenburg vor allem in den Schulferien. Eswird berichtet, dass er auch bei Eis undSchnee nie im Mantel anzutreffen war. Erhatte aber meist seinen Regenschirm dabei,der ihm als Messinstrument für die Findlingegute Dienste leistete. Wilhelm Wetekamperfasste 179 Findlinge. Die Ergebnisse seinerForschungen veröffentlichte er 1917 in denBeiträgen zur Naturdenkmalpflege, eineweitere Übersicht erschien 1924 im Märki-schen Heimatbuch (Abb. 4, 5). Anzumerken ist, dass erst 20 Jahre später,1928, eine Neuaufnahme der Naturdenk-male in Brandenburg vorgenommen wurde.Anders als vor dem Ersten Weltkrieg warnun ein hoher Rücklauf der Fragebögen zuverzeichnen. Hans Klose, seit 1923 Nachfol-ger Wetekamps als Geschäftsführer der Pro-vinzialkommission, gelang es, zeitweilig ei-nen Referendar aus dem Schuldienst für dieBearbeitung der Naturdenkmallisten einzu-setzen. Bei dieser zweiten Inventarisierungwurden etwa 5.000 Naturdenkmale erfasst.Davon waren Ende der 1920er Jahre jedoch

Abb. 8

Die Heimatschutzbewegung kämpfte gegen die Verschandelung derLandschaft mit Reklameschildern.

Abb. 7 Uferverbauung am Wannsee um 1900

Abb. 6

Karte der durch Verunstaltungsverordnungen seit 1909 geschützten Landschaftsteile undSeeufer in Brandenburg

Abb. 5

Als Naturdenkmale wurden vor allem alte eindruckvolle Bäumegeschützt.

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200 NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 17 (4) 2008

nur 320 Einzelbäume und Baumgruppen in13 Landkreisen durch Verordnungen ge-schützt. Eine zentrale Kartierung der Natur-denkmale erfolgte damals nicht, da die not-wendigen Messtischblatt-Koordinaten vonden Bearbeitern der Fragebögen häufignicht übermittelt wurden. Eine Ausnahmebildeten lediglich die Forstkarten, in die allekartierbaren Naturdenkmäler und zu schüt-zende Bestände eingetragen waren (KLOSE

1933). Nach Verabschiedung des Reichsna-turschutzgesetzes 1935 kam es verstärkt zuUnterschutzstellungen von Naturdenkmalen.Dies war, wie deutlich wird, allerdings nichtnur den neuen gesetzlichen Grundlagen zu-zuschreiben, sondern ebenso der Tatsache,dass in den Jahren zuvor überhaupt die Vo-raussetzungen dafür geschaffen wurden.

4.2 VerunstaltungsverordnungenEs waren nicht nur Naturdenkmale, auf diesich das Interesse der BrandenburgischenProvinzialkommission richtete. Weitaus um-fangreicher und bedeutender waren die ers-ten Landschaftsschutzverordnungen, die aufGrundlage des 1907 verabschiedeten Geset-

zes gegen die Verunstaltung von Ortschaf-ten und landschaftlich hervorragenden Ge-genden sowie eines bereits seit 1902 gelten-den Gesetzes gegen Reklameschilder erlas-sen wurden. Das Verunstaltungsgesetz warein früher Erfolg der Heimatschutzbewe-gung und im Kern ein Denkmalschutzgesetz.Der § 8 des Gesetzes bot aber die Möglich-keit, durch Verschandelung mit Reklame-schildern oder durch Bebauung gefährdeteLandschaftsteile außerhalb von Ortschaftenunter Schutz zu stellen. In Brandenburg wur-den ab 1909 etwa 50 Verunstaltungsverord-nungen erlassen, darunter großflächigeSchutzverordnungen für die MärkischeSchweiz und den Spreewald. Besonders be-deutsam war, dass mit Hilfe der Verordnun-gen erstmals systematisch versucht wurde,Seeufer vor Verbauung zu schützen, um siefür Erholungszwecke zu sichern. Hinter-grund war das explosionsartige WachstumBerlins und der damit verbundene Bauboom,dem mehr und mehr Waldflächen und See-ufer zum Opfer fielen. Der Naturschutz inBerlin und Brandenburg war damit nicht nur,wie von Conwentz angestrebt, wissen-

schaftlich ausgerichtet, sondern von Anfangan gleichermaßen sozialpolitisch orientiert(AUSTER 2006) (Abb. 6, 7, 8).

5 Ausblick

Wilhelm Wetekamp übergab Ende 1922 dasAmt des Geschäftsführers der Brandenbur-gischen Provinzialkommission an Hans Klo-se. Er blieb aber der Nestor des märkischenNaturschutzes. Ob auf den märkischen Na-turschutztagen (1924 bis 1930) oder demersten Treffen der Brandenburgischen Na-turschutzbeauftragten 1935, Wilhelm We-tekamp blieb dem Naturschutz bis ins hoheAlter eng verbunden. 1939, zu seinem 80.Geburtstag, ehrten in ihn seine langjährigenMitstreiter mit einem Gemälde, das seinenPlatz in der Reichsstelle für Naturschutz ne-ben dem Porträt von Hugo Conwentz fand(ANONYM 1939). Welche konkrete Positioner zum Nationalsozialismus einnahm, konn-te bisher noch nicht geklärt werden. Vielesdeutet aber darauf hin, dass er aufgrundseiner linksliberalen Grundausrichtung an-ders als andere, völkisch ausgerichtete Na-turschützer, nicht zu den glühenden Anhän-gern der NS-Bewegung zählte.Wilhelm Wetekamp starb im Alter von 85Jahren im März 1945 in Berlin. Der enga-gierte Naturschützer und Pädagoge ver-dient es aufgrund seiner Persönlichkeit undseiner Leistungen, noch mehr als bisher imhistorischen Bewusstsein des BrandenburgerNaturschutzes fest verankert zu werden.

Literatur:AUSTER, R. 2006: Schutz den Wäldern und Seen! DieAnfänge des sozialpolitischen Naturschutzes in Berlinund Brandenburg. In: GRÖNING, G., WOLSCHKE-BUHLMANN, J. 2006: Naturschutz und Demokratie!?CGL-Studies 3. Verlag Meidenbauer München 2006.155-167FROHN, H.-W. 2006: Naturschutz macht Staat. Staatmacht Naturschutz. Von der Staatlichen Stelle fürNaturdenkmalpflege in Preußen bis zum Bundesamtfür Naturschutz 1906 bis 2006 – eine Institutionen-geschichte. In: FROHN, H.-W. 2006: Natur und Staat.Staatlicher Naturschutz in Deutschland 1906-2006.Bonn-Bad Godesberg. 85-313KLOSE, H. 1933: 25 Jahre Brandenburgische Natur-denkmalpflege. In: Naturdenkmalpflege und Natur-schutz in Berlin und Brandenburg. Heft 16, S. 170-199MÄRKISCHES HEIMATBUCH, Berlin 1924, Hartmann-Verlag. 92-95MITTEILUNGEN DER BRANDENBURGISCHEN PROVINZIAL-KOMMISSION FÜR NATURDENKMALPFLEGE, Heft 1, Berlin1908, S. 2 ff.; Heft 2, Berlin 1909, S. 18 ff.; Heft 8,Berlin 1921. TitelseiteMITTEILUNGEN DER GESCHÄFTSSTELLE DES KOMITEES FÜR

NATURDENKMALPFLEGE IM REGIERUNGSBEZIRK FRANKFURT A.O.,Heft 1, April 1914. 1 ff.ohne Autor 1939: Arbeitsgemeinschaft für märki-schen Naturschutz e.V. Berlin. 250-251SCHMOLL, F. 2004: Erinnerung an die Natur. Die Ge-schichte des Naturschutzes im Deutschen Kaiserreich.Campus-Verlag, Frankfurt New York. 113-178 und387-458www.wikipedia.de 2008: Wilhelm Wetekamp,Werner-Siemens-Realgymnasium

Anschrift der Verfasserin:Regine AusterFörderverein Haus der NaturArbeitskreis NaturschutzgeschichteLindenstraße 3414467 Potsdam

Abb. 9

Teilnehmer des 4. Märkischen Naturschutztages 1928 in Frankfurt (Oder)

Abb. 10

Luftkurort Lychen, das märkische Interlaken (Luftaufnahme)

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NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 17 (4) 2008; 201-208 201

Zusammenfassung

Neben dem Habitatverlust gelten Konse-quenzen der Habitatfragmentierung seit den1990er Jahren als wesentliche Ursache derGefährdung von Pflanzen und stehen damitnun auch im Fokus des botanischen Arten-schutzes. Der vorliegende Beitrag gibt einenÜberblick über den Stand der populationsbio-logischen und -genetischen Forschung undversucht abzuschätzen, welche BedeutungHabitatfragmentierung und die dadurchentstehenden kleinen, isolierten Populatio-nen auf heimische Pflanzenarten haben kön-nen. Als wesentliche und offenbar sehr weitverbreitete negative Effekte werden Zu-fallsereignisse, Randeffekte, Bestäuberlimi-tierung, Gendrift und Inzuchtdepressionidentifiziert. Zusammen mit verringerterHabitatqualität durch Eutrophierung, Ent-wässerung oder Nutzungsänderung wirkensie zumeist negativ auf die Fitness der Indi-viduen und Populationen und erhöhen soderen Aussterberisiko. Dieser negative Effektkleiner Populationen auf die individuelle Fit-ness wird unabhängig von der Ursache alsAllee-Effekt bezeichnet. Eine durch einenBiotopverbund geförderte Metapopulations-dynamik kann das dauerhafte Aussterbenvon Pflanzenpopulationen verhindern undmindert die negativen genetischen Effekteder Habitatfragmentierung über einen er-höhten Genfluss durch Pollen und Samen.Die bisherigen wissenschaftlichen Studienin Mitteleuropa beruhen allerdings in über-proportionaler Weise auf bestimmtenPflanzenfamilien (Gentianaceae, Primu-laceae), Habitaten (Trocken- und Mager-rasen, Wirtschaftsgrünland), insekten- undobligat fremdbestäubten sowie weitgehendauf sexuelle Fortpflanzung angewiesenenArten, während etwa über Grasartige,Ruderalpflanzen, wind- und selbstbestäubtesowie an vegetative Fortpflanzung an-gepasste Arten nur wenige Erkenntnisse vor-liegen. Gerade diese und Pflanzenarten mithohem Ausbreitungspotenzial müssen abernach derzeitigem Wissensstand als wenigersensitiv gegenüber Habitatfragmentierungeingestuft werden. Auf diesen Befundenaufbauend, werden für die Naturschutzpraxis

Biotoptypen hinsichtlich ihrer Sensitivitätgegenüber Habitatfragmentierung klassi-fiziert und ein auf biologischen Merkmalenbasierender Kriterienkatalog zur Auswahlvon Zielarten des Biotopverbunds vor-gestellt. Schließlich wird erörtert, was beiMaßnahmen zur Regeneration kleiner bzw.bereits ausgestorbener Populationen zu be-achten ist; es werden allgemeine Folgerun-gen zur Ausgestaltung eines Biotopverbunds-konzepts für Pflanzen gezogen.

1 Einleitung

Insbesondere die Aufgabe extensiverNutzungsformen, die Grundwasserab-senkung bzw. Entwässerung, der Flächen-verbrauch durch Siedlung und Verkehrsowie flächendeckende Säure- und Stick-stoffdeposition haben in den vergangenenJahrzehnten in Mitteleuropa zum massivenVerlust von Habitaten und damit zum Rück-gang vieler Pflanzenarten geführt. Dabeisind Habitate von Pflanzenpopulationenzum Teil vollständig vernichtet, aber auchzahlreiche weiterhin bestehende Habitatedegradiert worden. Auf diese Entwicklungenrichtet sich bisher das Hauptaugenmerk desNatur- und botanischen Artenschutzes.Gleichzeitig kann aber auch die Fragmen-tierung der verbliebenen Habitate ein Schlüs-selfaktor für den Rückgang von Pflanzenartensein (YOUNG & CLARKE 2000). Sie hat dreiwesentliche, für Pflanzenpopulationen wirk-same Komponenten (vgl. SAUNDERS et al.1991): Mit der Größe der Fragmente sinkendie Populationsgrößen, und durch dasgrößere Verhältnis vom Umfang zur Flächen-größe steigen die sog. Randeffekte, d. h. die(negative) Beeinflussung der Habitate durchumgebende Flächen. Außerdem erhöht sichmit dem Habitatverlust der Isolationsgrad dereinzelnen Habitate, d. h. ihre Entfernung zumnächsten Fragment bzw. zu den nächstenPopulationen der in ihm lebenden Arten. Ein Beispiel für anthropogene Habitatfrag-mentierung sind die ehemals zusammenhän-genden, in den meisten Regionen Mitteleu-ropas heute jedoch isoliert in der Agrarland-schaft liegenden Waldflächen. In Branden-

burg dauert diese Fragmentierung schonJahrhunderte an. Es hat in den letzten 200Jahren einen – regional unterschiedlichen –Landschaftswandel mit Habitatverlusten und-gewinnen gegeben, aus dem eine Verän-derung von Fragmentgrößen und Isolations-graden resultierte (WULF & SCHMIDT 1996).Im 19. und 20. Jahrhundert ist allgemein einemassive Fragmentierung von Magerrasen-Biotopen zu verzeichnen (z. B. HONNAY et al.2007). Seit dem 2. Weltkrieg wurde artenrei-ches Feuchtgrünland selbst innerhalb vonSchutzgebieten extrem fragmentiert (z. B.DIERSCHKE & WITTIG 1991).Für den Natur- und Artenschutz ist es wichtigabzuschätzen, welche Effekte Habitatfrag-mentierung auf noch bestehende Pflanzen-populationen hat. Konkret stellen sich für dieNaturschutzplanung bzw. das Managementvon Schutzgebieten die Fragen, ob dieverbliebenen Habitate auch bei optimalerPflege für das langfristige Überleben isolierterPflanzenpopulationen ausreichen und welcheMaßnahmen ggf. zur Biotopvernetzungnotwendig sind. Erste wissenschaftliche Stu-dien zur Bedeutung der Habitatfragmen-tierung entstanden seit WILCOX & MURPHY

(1985); seit den 1990er Jahren ist sie zueinem der dominierenden Themen der wis-senschaftlichen Naturschutzbiologie gewor-den. Seit geraumer Zeit werden auchAnstöße zur Übertragung der Erkenntnisse indie Naturschutzpraxis gegeben (z. B. AMLER

et al. 1999). Der vorliegende Beitrag gibt fürdie Praxis einen aktuellen Überblick über denStand der Forschung, wobei sowohl die demRückgang von Pflanzenarten zugrundeliegenden Mechanismen angesprochen, alsauch die Bedeutung der Habitatfragmen-tierung evaluiert werden soll. Außerdemsollen die weltweit gewonnenen Erkennt-nisse für Brandenburg regionalisiert und eineerste Entscheidungshilfe für die Auswahl vonZielarten für ein Biotopverbundsystem fürPflanzen geliefert werden.

DIE FRAGMENTIERUNG VON LEBENSRÄUMEN GILT NEBEN IHREM VERLUST ALS EINE DER WICHTIGSTEN URSACHEN

DES ARTENRÜCKGANGS. NICHT ALLE PFLANZENARTEN UND HABITATE SIND BETROFFEN. KONKRETE VORGABEN

FÜR BIOTOPVERBUNDSYSTEME BLEIBEN TROTZ INTENSIVER FORSCHUNG SCHWIERIG.

THILO HEINKEN

Welche populationsbiologischen und genetischen Konsequenzen hatHabitatfragmentierung für Pflanzen?Wissenschaftliche Grundlagen für ein Biotopverbundsystem für Pflanzenin Brandenburg1

Schlagwörter: Allee-Effekt, Aussterberisiko, Bestäuberlimitierung, Gendrift, Inzucht, Metapopulationskon-zept, Randeffekt, Sensitivität von Biotoptypen und Pflanzenarten, Zielarten

1 Ausführliche Fassung eines Vortrags anlässlich desWorkshops „Biotopverbundsysteme für Pflanzen– wissenschaftliche Grundlagen, rechtlicher Rah-men und planerische Umsetzung” am 7. Novem-ber 2007 in der Landeslehrstätte für Naturschutzund Landschaftspflege Lebus.

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202 NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 17 (4) 2008

2 Populationsbiologischeund genetischeGrundlagen

Habitatfragmentierung hat zunächst kleine,voneinander isolierte Pflanzenpopulationenzur Folge. Ein kompliziertes Gefüge von Ef-fekten bedingt letztlich deren erhöhtesAussterberisiko (Abb. 1). Populationen kön-nen allein durch nicht vorhersagbare Zu-fallsereignisse aussterben (LANDE 1998). Zudiesen „stochastischen” Faktoren gehörenkatastrophale Ereignisse wie Feuer oderÜberschwemmungen, die zufällige Variationder physikalischen oder biologischenUmwelt wie z. B. Niederschlag oder Her-bivorie („Umweltrauschen”), aber auch diezufällige Variation der Abfolge von Geburtenund Todesfällen in den Populationen („de-mographisches Rauschen”).Theoretische Überlegungen wie auch ver-schiedene Studien (z. B. FISCHER & STÖCKLIN

1997, MATTHIES et al. 2004) verdeutlichen,dass stochastische Faktoren viel eher inkleinen als in großen Pflanzenpopulationenwirksam werden können. Meist kommt esdabei zum direkten Aussterben einer Popu-lation, es kann aber auch ihre Fitness (s. u.)soweit reduziert werden, dass dies nachfol-gend ihre Auslöschung zur Folge habenkann.Mit welchen weiteren, zu einem erhöhtenAussterberisiko führenden Problemen sindnun kleine, isolierte Pflanzenpopulationenkonfrontiert? Für den Naturschutz sindzunächst nur die in Abb. 1 dargestellten, in-nerhalb von Jahren bis maximal Jahrzehntenwirksamen Kurzzeiteffekte von Bedeutung.Sie führen sämtlich zu einer reduzierten Fit-ness in den Populationen. Fitness ist ins-besondere die Fortpflanzungsleistung einesIndividuums im Laufe seines gesamtenLebens. Die Folge können dann niedrigePopulationswachstumsraten sein, bei denendie Tochtergenerationen in ihrer Individuen-zahl dauerhaft hinter derjenigen der Eltern-generationen zurückbleiben und die letzt-lich das Aussterben einer Population zurFolge haben. Langfristig, d. h. über Jahr-hunderte und darüber hinaus, muss jedochauch mit einer Abnahme des evolutionärenPotenzials und damit der Anpassungs-fähigkeit an eine geänderte Umwelt (z. B.Klimawandel!) gerechnet werden (LEIMU etal. 2006).Am Standort treten zunächst sog. „Allee”-Effekte auf, die nach dem amerikanischenÖkologen W. C. ALLEE (1885-1955) benanntund ursprünglich bei Tierpopulationenbeschrieben wurden. Darunter versteht manden negativen Effekt von kleinen Populatio-nen (oder geringen Individuendichten) aufdie Fitness des Individuums. Ob eine unter-schiedliche genetische Konstitution oderaber die Umwelt (andere populationsbiolo-gische oder abiotische Faktoren wie dieHabitatqualität, s. Abb. 1) hinter einemAllee-Effekt stehen, kann durch eine Feld-studie allein nicht entschieden werden.Hierfür müssen Experimente in einer ein-heitlichen Umwelt (Gewächshäuser oder

Versuchsfelder in Botanischen Gärten) an-geschlossen werden (Abb. 2): Unterscheidetsich die Fitness der Nachkommen untergleichen Standortbedingungen nicht mehr,so variierte am natürlichen Standort um-weltbedingt nur der Phänotyp. Bleibendagegen Unterschiede in der Fitness beste-hen, liegen tatsächlich unterschiedlicheGenotypen und damit genetische Verän-derungen zu Grunde (z. B. FISCHER & MATTHIES

1998).Randeffekte, die wichtigsten abiotischenKonsequenzen der Habitatfragmentierung,können z. B. ein abweichendes Mikroklimaoder Nährstoffeinträge aus umgebenden,intensiv bewirtschafteten Flächen sein(SAUNDERS et al. 1991, LIENERT 2004).Der wichtigste und am besten untersuchte

Effekt der Fragmentierung auf biotische In-teraktionen betrifft die Bestäuber. Bei derBestäuberlimitierung wirkt sich ein Rück-gang des Besuchs von Blüten – etwa weilkleine Pflanzenpopulationen für Bestäubernicht attraktiv sind oder bestimmte Bestäu-bergruppen keine ausreichenden Lebens-räume mehr vorfinden – auf die Fitnessder Pflanzen aus, indem diese wenigerSamen produzieren (z. B. STEFFAN-DEWENTER

& TSCHARNTKE 1999). Pflanzen können aberauch von Herbivoren oder Pathogenen be-fallen werden, deren Populationen ebenfallsvon der Habitatfragmentierung beeinflusstwerden: Je größer die Population einerPflanzenart ist, desto höher ist oft auch dieWahrscheinlichkeit, dass auf diese Artspezialisierte Herbivore, wie z. B. Samen

Abb. 1

Überblick über die wichtigsten potenziellen Effekte der Habitatfragmentierung auf Pflanzen(nach LIENERT 2004, stark verändert)

Schwarz: abiotische Faktoren; grün: „populationsbiologische” Faktoren; blau: genetische Faktoren. + : positiver/erhöhender Effekt, – : negativer/reduzierender Effekt, ± : positive und negative Effekte möglich, nähere Erläuterungim Text

Abb. 2

Nur Experimente in gemeinsamer Umwelt können genetische von habitatspezifischenUrsachen von Allee-Effekten trennen.

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THILO HEINKEN: WELCHE POPULATIONSBIOLOGISCHEN UND GENETISCHEN KONSEQUENZEN HAT HABITATFRAGMENTIERUNG FÜR PFLANZEN? 203

fressende Insektenlarven vorkommen. Dasführt dann zu einem stärkerem Befall derFrüchte und damit geringerer Fitness derPflanzen (z. B. KÉRY et al. 2001). Umgekehrtkann der Befall in kleinen Populationen aberauch stärker sein, etwa wenn mobile Artendort ihre Eier in größerer Dichte ablegen (z.B. ELZINGA et al. 2005).Entscheidend für das Verständnis popula-tionsbiologischer Vorgänge in der fragmen-tierten Landschaft ist das von LEVINS (1969)eingeführte und nachfolgend vielfach er-weiterte Metapopulationskonzept. Ur-sprünglich für Tierpopulationen entwickelt,hat es sich auch in der botanischenNaturschutzbiologie als sinnvoll erwiesen(POSCHLOD 1996). Unter einer Metapopula-tion versteht man eine Gruppe von Teilpo-pulationen, die untereinander in ein-geschränktem Genaustausch stehen (s.Abb. 3). Dabei besteht die Möglichkeit,

dass Teilpopulationen aussterben, aber auchan gleicher oder anderer Stelle durchWieder- bzw. Neuansiedlung entstehen.Anders als Tiere sind Pflanzen nicht be-weglich; hier erfolgt der Austausch vonGenen zwischen Populationen (Genfluss)im Wesentlichen über den Transport vonPollen (Bestäubung) oder die Ausbreitungvon Samen. Damit entscheiden neben demräumlichen Isolationsgrad die Art des Pol-lentransports und das Ausbreitungspoten-zial über die genetische Isolation vonPflanzenpopulationen. Genfluss über großeDistanzen ist bei Pflanzen eher die Aus-nahme als die Regel (s. LIENERT 2004). Eineintakte Metapopulationsdynamik kannlokales Aussterben durch Zufallsereignisseoder genetische Effekte der Habitatfrag-mentierung (s. u.) kompensieren oder zu-mindest abmildern (Abb. 1). Untersuchun-gen zur Metapopulationsdynamik auf der

Landschaftsebene und über längereZeiträume existieren bei Pflanzen allerdingsbisher kaum.Eine wichtige genetische Konsequenz klei-ner und isolierter, nicht oder nur unzure-ichend in eine Metapopulation eingebun-dener Populationen ist die Gendrift odergenetische (Zufalls-)Drift (WRIGHT 1931,HARTL & CLARK 1989). Hierunter verstehtman die zufällige Änderung der Verteilungvon Genen bzw. Allelfrequenzen bzw. denVerlust von Allelen von den Eltern zu ihrenNachkommen in kleinen Populationen(Abb. 4). Gendrift kann sowohl durch dieFragmentierung ehemals großer Populatio-nen als auch bei der Gründung neuer Popu-lationen durch wenige Individuen auftreten(„bottleneck effect”; Rest- bzw. Gründer-population in Abb. 4). Die aufgezeigtenVorgänge können parallel in verschiedenenPopulationen stattfinden. Dann reduziertGendrift nicht nur die genetische Variabilitätinnerhalb von Populationen („genetischeErosion”), sondern erhöht auch die genetis-che Differenzierung zwischen Populationen.Während die Verfügbarkeit von Partnern in-nerhalb von Populationen reduziert (s. In-zuchtdepression) und die Wahrschein-lichkeit der Fixierung (negativer) Mutatio-nen erhöht wird, ist die Gendrift in isoliertenPopulationen auch ein wichtiger Evolutions-faktor für die Herausbildung unter-schiedlicher Sippen.Die Reduktion genetischer Variabilität in unddie genetische Differenzierung zwischenfragmentierten Habitaten sind für zahlreichePflanzenarten unter Benutzung verschiede-ner molekularer Marker nachgewiesen wor-den, wobei die genetische häufig mit der ge-ographischen Distanz und damit dem Isola-tionsgrad steigt. Plakativ lassen sich die Fol-gen genetischer Drift bei diözischen und beiselbstinkompatiblen Pflanzen demonstrie-ren: In kleinen Populationen (unter etwa200 Individuen) treten teilweise massiveAbweichungen vom 1:1-Verhältnis der Ge-schlechter oder von Inkompatibilitätstypenauf. Wenn nur wenige weibliche Pflanzenoder wenige Individuen eines – zur Bestäu-bung des anderen notwendigen – Inkom-patibilitätstyps vorhanden sind, ist dieFortpflanzung stark reduziert (SOLDAAT et al.1997, KÉRY et al. 2003). Die zweite genetische Konsequenz isolierterPopulationen ist die Inzuchtdepression(CHARLESWORTH & CHARLESWORTH 1987).Hierunter versteht man negativeAuswirkungen auf die Fitness durch diePaarung von Verwandten. Inzucht ist umsowahrscheinlicher, je kleiner eine Populationist. Ursachen können z. B. eine erhöhte Ho-mozygotie, die Anhäufung und Expressionschädlicher rezessiver oder der Verlust vi-taler Allele sein. Inzuchtdepression kannsich in geringerem Samensansatz, aber aucheinem geringerem Ausbreitungspotenzialder Samen oder einer geringeren Über-lebenswahrscheinlichkeit der Nachkommenniederschlagen. Sie tritt vor allem bei selbst-kompatiblen, aber gewöhnlich fremdbe-stäubten Pflanzen auf; bei obligaten Selbst-

Abb. 3

Vereinfachtes Schema zum Metapopulationskonzept bei Pflanzen. Die Dicke der Pfeile gibtdie Wahrscheinlichkeit eines Prozesses wieder. In stärker fragmentierten Populationen, diekeine Metapopulation bilden, können geeignete Habitate nicht besiedelt und stochastischeAussterbeereignisse nicht durch Wiederbesiedlung ausgeglichen werden.

Abb. 4

Gendrift in kleinen Po-pulationen. Die Kreiserepräsentieren Pflanzen-individuen einer Art mitunterschiedlichen Geno-typen bzw. Allelen (Aus-prägungen eines Gens).Kleine Populationen nachHabitatfragmentierungoder Kolonisation neuer,isolierter Wuchsorte sinddurch eine Verschiebungder Allelfrequenzen undteilweise auch eine Re-duktion an Allelen bzw.Genotypen charakteri-siert. Je länger, d. h.über je mehr Generatio-nen eine Populationklein bleibt, desto stärk-er wird die Gendrift.

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204 NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 17 (4) 2008

befruchtern kommt sie nicht vor. Allee-Effekte bzw. ein erhöhtes Ausster-berisiko haben häufig nicht nur eine dergenannten, sondern kombinierte Ursachen,die sich gegenseitig zu einem „Extinktions-strudel” verstärken können (LEIMU et al.2006, BEREC et al. 2007). Mehrfach konnteder gleichzeitige negative Effekt unter-schiedlicher Faktoren in kleinen, fragmen-tierten Populationen nachgewiesen werden:So kann geringer reproduktiver Erfolgsowohl auf Bestäuberlimitierung als auch aufgenetische Faktoren zurückzuführen sein (z.B. KOLB 2005). Auch die Kombinationgenetischer Faktoren mit schlechterer Habi-tatqualität wie eutrophierten Standorten istoffenbar häufig (s. VERGEER et al. 2003).

3 Konsequenzen derHabitatfragmentierung:weltweite Trends

Für alle genannten ökologischen undgenetischen Faktoren sind negative Konse-quenzen für kleine, fragmentierte Populatio-nen durch Forschungsbeispiele an mitteleu-ropäischen Pflanzenarten belegt. Aber sinddies Einzelbeispiele, oder haben wir es mitgenerellen Phänomenen zu tun? Drei jüngstpublizierte Meta-Analysen, die auf der quan-titativen weltweiten Analyse von Unter-suchungen zum Themenkomplex beruhen,geben hier Hinweise:Die Auswertung von 54 Studien zur Bestäu-berlimitierung über insgesamt 89 Pflan-zenarten ergab, dass die Fortpflanzung in-sektenbestäubter Arten generell durch Habi-tatfragmentierung negativ beeinflusst wird(AGUILAR et al. 2006). SelbstinkompatibleArten waren dabei stärker betroffen als selbst-kompatible, aber die negativen Effektewaren in verschiedensten Habitaten (boreale,temperate und tropische Wälder, Gebüsche,Grasland) und auch bei Pflanzenarten, dienicht auf bestimmte Bestäubergruppenspezialisiert sind, wirksam.Genetische Konsequenzen kleiner Populatio-nen wurden auf der Basis von 53 Publikatio-

nen über insgesamt 52 Pflanzenartenanalysiert (HONNAY & JACQUEMYN 2007).Generell gab es eine signifikante, positiveBeziehung zwischen der Populationsgrößeund der genetischen Diversität, d. h. der Ver-lust von Allelen spielt in kleinen Populationeneine wichtige Rolle. Dies betraf auskreuzende(selbstkompatible wie selbstinkompatible) instärkerem Maße als sich überwiegend durchSelbstbefruchtung fortpflanzende Arten.Überraschenderweise waren (relativ) häufigeArten mindestens genauso stark genetischverarmt wie seltene. Daraus folgern die Au-toren (ohne allerdings Fitnesseffekte unter-sucht zu haben), dass eine viel größereAnzahl von Arten negativ von Habitatfrag-mentierung betroffen sein könnte als bisherangenommen.Schließlich wurden 105 Studien über insge-samt 60 Pflanzenarten auf Beziehungenzwischen Populationsgröße, Fitness undgenetischer Variation ausgewertet (LEIMU etal. 2006). Generell ergaben sich positiveBeziehungen zwischen der Populations-größe und der Fitness des Individuumssowie der Populationsgröße und dergenetischen Variabilität. Das bringt mit sich,dass auch eine positive Korrelation zwischengenetischer Variabilität und Fitness in einerPopulation existiert. Regional seltene Artensind dabei stärker als häufigere betroffen.Ein Unterschied zwischen selbstkompatiblenund selbstinkompatiblen Arten bestanddagegen – anders als bei den anderenMeta-Analysen – kaum. Die meisten Effekteauf die Fitness wurden nur am Standortgemessen, doch da keine signifikantenUnterschiede zwischen Feld- und Gartenex-perimenten bestanden, folgern LEIMU et al.(2006), dass genetische Effekte und nichtdie Habitatqualität (!) die vorherrschendeUrsache geringerer Fitness in kleinenPflanzenpopulationen sind (s. a. FRANKHAM

2005).Negative Auswirkungen von Habitatfrag-mentierung (kleine Populationen, starkeräumliche Isolation) auf die Fitness, insbe-sondere die sexuelle Fortpflanzung, scheinenalso – unabhängig von der Habitatqualität –

bei Samenpflanzen ein generelles Phänomenzu sein. Dies scheint unabhängig vom Habi-tattyp zu sein und gilt insbesondere für(a) seltene Arten (i. d. R. stärker fragmen-tiert), (b) (noch) relativ häufige Habitat-spezialisten, (c) kurzlebige Arten (hohe Be-deutung sexueller Fortpflanzung, rasche Gen-drift), (d) auskreuzende, insbesondere selbst-inkompatible Arten (Gendrift, Inzuchtdepres-sion, starke Abhängigkeit von Pflanze-Bestäuber-Interaktion). Inwieweit ein unter-schiedliches Ausbreitungspotenzial, also dieFähigkeit mit Samen oder anderen Diasporenentfernte Habitate zu erreichen, eine Rollespielt, ist bisher nicht analysiert worden.Dabei ist aber zu bedenken, dass sich dieReaktionen auf Habitatfragmentierung zwi-schen einzelnen Pflanzenarten oder aucheinzelnen Habitaten stark unterscheidenkönnen, d. h. häufig fehlten in StudienEffekte, oder es wurden sogar gegenteiligeregistriert. Weiterhin bleibt offen, ob die inden populationsbiologischen Forschungengemessenen, oft nur mäßig signifikantenFitnesseffekte (meist die Samenproduktion)tatsächlich relevant für das Überleben vonPopulationen sind. Schließlich ist zu fragen,ob die Auswahl der Arten in den Studienrepräsentativ in Bezug auf untersuchteBiotoptypen und biologische Merkmale derPflanzenarten ist.

4 Abschätzung generellerTrends für Mitteleuropa

In die folgende Auswertung zur Ein-schätzung der Situation in Mitteleuropa gin-gen alle in den Meta-Analysen von AGUILAR

et al. (2006), LEIMU et al. (2006) und HON-NAY & JACQUEMYN (2007) verwendeten Stu-dien aus Deutschland, der Schweiz, denNiederlanden, Belgien, Dänemark undTschechien ein. Zusätzlich wurde eineRecherche im „Web of Science” für dieJahre 2005-2007 vorgenommen (Stich-worte: „fitness”, „habitat fragmentation”,„herbivory”, „plant”, „population”, „polli-nator/pollination”) und einige weitere mirbekannte Publikationen einbezogen. Dem-nach wurden bis einschließlich 2007 in Mit-teleuropa 74 Pflanzenarten hinsichtlich po-pulationsbiologischer und genetischer Effektevon Habitatfragmentierung untersucht.Die Familienzugehörigkeit (Abb. 5A) vermit-telt auf den ersten Blick eine recht gleich-mäßige Abdeckung der in Deutschlandheimischen Pflanzenfamilien, was für einehohe Repräsentativität der Untersuchungenspräche (die scheinbar geringe Repräsen-tanz der Rosengewächse (Rosaceae) ist ins-besondere durch die 309 Rubus-Arten derverwendeten BIOLFLOR-Datenbank vonKLOTZ et al. 2002 bedingt). Auffällig ist aber,dass hemiparasitische, jetzt zu den Sommer-wurzgewächsen (Orobanchaceae) gerech-nete Braunwurzgewächse (Scrophulari-aceae), Orchideen (Orchidaceae) undKreuzblütler (Brassicaceae) im Verhältnis zuihrem Anteil an der deutschen Flora sehr oftuntersucht wurden. Viele Erkenntnisse

Abb. 5

Vergleich der Flora Deutschlands (KLOTZ et al. 2002, n = 3569) und der auf populationsbio-logische und genetische Effekte von Habitatfragmentierung in Mitteleuropa untersuchtenArten (n = 74)A: Familienzugehörigkeit. B: Habitatbindung (Flora Deutschlands: Mehrfachnennungen; n = 7451) bzw. unter-suchte Habitate (Studien)

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THILO HEINKEN: WELCHE POPULATIONSBIOLOGISCHEN UND GENETISCHEN KONSEQUENZEN HAT HABITATFRAGMENTIERUNG FÜR PFLANZEN? 205

beruhen zudem auf Arten von zwei kleinen,für populationsbiologische Untersuchungensehr gut geeigneten Pflanzenfamilien, denPrimel- (Primulaceae) und Enziangewäch-sen (Gentianaceae). Auf der anderen Seitewurden mit den Grasartigen der Poaceaeund Cyperaceae zwei der größten Pflanzen-familien bisher praktisch nicht getestet.Auch über Farnpflanzen liegen bisher keineErkenntnisse vor.Die Verteilung der Studien über die Biotop-typen entspricht ebenfalls nicht ihren An-teilen an der Flora Deutschlands (Abb. 5B):Über 40 % der Untersuchungen wurden inTrocken- bzw. Magerrasen einschließlichihrer Säume durchgeführt. ArtenreichesWirtschaftsgrünland und oligotropheMoore (meist Kalkflachmoore) – also starkim Fokus des Naturschutzes stehendeBiotope mit zahlreichen gefährdeten Arten– sind ebenfalls stark überrepräsentiert.Demgegenüber sind Arten der Acker- undRuderalstandorte, Gebüsche und Wälder,Felsen und alpinen Rasen – also vergleichs-weise wenig oder bereits natürlicherweisestark fragmentierte Habitate – bisher kaumauf Fragmentierungseffekte untersuchtworden.Die Analyse von Artmerkmalen zeigt, dassdie bisherigen Erkenntnisse fast aus-schließlich auf insektenbestäubten Artenberuhen (Abb. 6A), während Windbestäu-ber (für die im Allgemeinen größere Trans-portdistanzen der Pollen und damit einhöherer Genfluss angenommen wird) undinsbesondere obligate Selbstbestäuber (diekeine Partner zur Fortpflanzung benötigenund keine negativen genetischen Konse-quenzen erleiden können) bisher kaum un-tersucht wurden. Weiterhin sind diözischeund selbstinkompatible Arten, die Partnerzur Fortpflanzung benötigen und anfälligerfür genetische Drift sind, überrepräsentiert

(Abb. 6B). Apomikten wie Alchemilla-, Hie-racium-, Rubus- und Taraxacum-Arten, dieohne sexuelle Vorgänge Samen bilden kön-nen, die der Mutterpflanze genetisch glei-chen und immerhin 18 % der deutschenFlora ausmachen, sind bei den bisherigenStudien gänzlich unberücksichtigt ge-blieben. Schließlich wurden die meisten Stu-dien an Pflanzenarten vorgenommen, diesich ausschließlich oder fast ausschließlichsexuell fortpflanzen (Abb. 6C), während eingroßer Teil unserer Flora über eine aus-geprägte Fähigkeit zu klonalem Wachstumund klonaler Fortpflanzung verfügt. Ins-besondere die zahlreichen Arten, die mittelslanger Ausläufer, Rhizome oder Wurzel-sprosse unbegrenzt wachsen können(„Guerilla-Strategie”), sind vermutlich viel-fach an eine untergeordnete Rolle sexuellerFortpflanzung angepasst.Für Mitteleuropa liegt also eine Verzerrungin der Auswahl der Untersuchungsobjektezugunsten bestimmter, mutmaßlich beson-ders sensitiver Arten bzw. Biotope vor. DassStudien über Fragmentierung und Popula-tionsgröße bis heute überwiegend auf ehe-mals weit verbreitete, in jüngerer Zeitzunehmend durch Habitatreduktion aufRestpopulationen geschrumpfte und ge-fährdete Arten fokussiert wurde (s. auchLIENERT 2004), ist aus der Entwicklung derForschungsrichtung verständlich. VielePflanzen haben sich aber über langeZeiträume in natürlicherweise kleinen, frag-mentierten Populationen evolviert und sindbestens an ein Überleben in entsprechen-den Habitaten angepasst (LIENERT 2004).Dazu können z. B. klonale Reproduktion,Selbstbefruchtung, Unabhängigkeit von In-sekten als Bestäubern, Samenbanken imBoden zur Überdauerung ungünstigerBedingungen oder ein hohes Ausbrei-tungspotenzial beitragen. So mehren sich in

den vergangenen Jahren auch populations-biologische Arbeiten, in denen keine nega-tiven populationsbiologischen oder geneti-schen Effekte von Habitatfragmentierungnachgewiesen werden. Dies betrifft etwaEiszeitrelikte, die in kleinen Populationenlange Zeiträume überdauert haben (s. DAN-NEMANN 2000), windbestäubte Arten (OOST-ERMEIJER & DE KNEGT 2004) oder Waldbo-denpflanzen, die sich häufig durch lan-glebige Klone auszeichnen (HONNAY et al.2005). Gänzlich den allgemeinen Trendsentgegengesetzt müssen sich auch Neo-phyten verhalten, die in den ausgewertetenStudien ebenfalls nicht enthalten sind undderen Populationen in ihrem invasiven Arealmeist nur auf wenige Individuen zurück-gehen. So stellen offenbar alle mitteleuro-päischen Populationen des aus dem Kauka-sus stammenden Seltsamen Lauchs (Alliumparadoxum) einen einzigen Klon dar(HEINKEN et al., in Vorb.). Er geht vermutlichauf eine einmalige Einführung im 19. Jahr-hundert in Prag zurück und breitet sichderzeit vor allem im Raum Berlin-Potsdamrasch aus. Er bildet in Mitteleuropa keineSamen und breitete sich demnach alleinvegetativ durch Brutzwiebeln aus. Gene-tische Variabilität ist für solche Arten keineVoraussetzung für eine hohe Fitness. Es gibt also viele Hinweise, dass die generelleBedeutung der Habitatfragmentierung fürdas Aussterberisiko von Pflanzenpopulatio-nen in Mitteleuropa deutlich geringer unddifferenzierter ist, als es die meisten Einzel-studien und die genannten Meta-Analysensuggerieren. Damit tritt die Zerstörung undDegradierung von Habitaten (Habitatqua-lität in Abb. 1) als wesentliche Ursache kleinerPflanzenpopulationen (s. auch VERGEER et al.2003) wieder stärker in den Vordergrund –eine sorgfältige Bewertung einzelnerPflanzenarten und ihrer Merkmale bleibterforderlich.

5 Folgerungen für dieNaturschutzpraxis

Biotopverbundsysteme, wie sie durch dieNovellierung des Bundesnaturschutzgeset-zes (BNatSchG vom 25.3.2002) auf jeweilsmindestens 10 % der Landesfläche gefor-dert werden, sollen die negativen Effekteder anthropogenen Fragmentierung vonLebensräumen kompensieren. Eine ersteKonzeption für den Biotopverbund in Bran-dendenburg wurde, basierend auf denErgebnissen des Bund-Länder-Arbeitskrei-ses „Länderübergreifender Biotopverbund”(BURCKHARDT et al. 2004) bereits erarbeitet(ZIMMERMANN 2007). Welche konkretenKriterien ergeben sich im Bereich der Gefäß-pflanzen aus dem Stand der Forschung (a)für die Auswahl geeigneter Flächen für denBiotopverbund und (b) für das Zielarten-konzept, also die Auswahl von Arten, die inbesonderer Weise auf die Erhaltung oderWiederherstellung räumlicher oder funk-tionaler Beziehungen in der Landschaftangewiesen sind?

Abb. 6

Vergleich einiger Artmerkmale zur Fortpflanzung der Flora Deutschlands (KLOTZ et al. 2002,n = 3569) und der auf populationsbiologische und genetische Effekte von Habitatfragmen-tierung in Mitteleuropa untersuchten Arten (n = 74)A: Bestäubungstypen (Flora Deutschlands: ohne Farnpflanzen und obligate Apomikten, n = 3483), B: Diözie undSelbst-Inkompatibilität bei monözischen und zwittrigen Arten, C: Vorherrschender Fortpflanzungstyp

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206 NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 17 (4) 2008

Die Überlegungen zur notwendigen Anpas-sung von Arten an die natürliche Fragmen-tation ihrer Habitate sowie die Verteilungder nachweislich negativ von Habitatfrag-mentierung betroffenen Pflanzen (Abschnitt4) ermöglichen eine grobe Klassifizierungvon Biotoptypen in drei Sensitivitätsgrade(s. Tab. 1). Biotopverbund sollte sich dem-nach zunächst auf die artenreichen, in derNaturlandschaft oder der historischen Kul-turlandschaft ehemals weit verbreiteten,heute häufig bis auf kleinste Restbeständein Schutzgebieten vernichtete Habitatefokussieren (Kategorie 1). Bei vielen an-deren schutzbedürftigen Biotoptypen dürftedie Bedeutung eines (oft auch gar nicht re-alisierbaren) Biotopverbunds dagegen imVergleich zur Erhaltung der Habitatqualitätzu vernachlässigen sein (Kategorie 2). Hier-zu zählen auch viele vorübergehendeLebensräume wie Schlagfluren, Sandtrock-enrasen und Schlammfluren. In Kategorie 3enthaltene Biotoptypen sind nicht nurgroßflächig bzw. gut vernetzt vorhanden,sondern häufig auch artenarm mitVorherrschaft weit verbreiteter Arten. Diegenerelle Empfindlichkeit einzelner Biotop-typen könnte sicherlich über eine systema-tische Analyse ihrer charakteristischenPflanzenarten präzisiert werden, dochfehlen Analysen hierzu.Letztlich werden also artspezifischeKonzepte als Grundlage für Maßnahmenbenötigt. Ein Kriterienkatalog zur Auswahlvon Zielarten des Biotopverbunds ist inTabelle 2 zusammengestellt. In diesen gin-gen die in den Abschnitten 3 und 4 heraus-gearbeiteten Artmerkmale zur Seltenheit,zum Lebenszyklus, zur Bestäubung und zurArt und Bedeutung der sexuellen Fort-pflanzung ein. Ergänzende, in den bisheri-gen Untersuchungen nur unzureichendberücksichtigte Überlegungen seien im Fol-genden dargelegt: Entscheidend für denGenfluss zwischen isolierten Populationen

Abb. 7

Beispiele für schon in der Naturlandschaft stark isolierte Biotope, deren Pflanzenarten ganz überwiegend an diese Bedingungen angepasstsein sollten:

7a:

Mesotrophes Moor im Schlaubetal;Verlandungszone mit Schwingrasen und Kiefern-Moorgehölz

Foto: F. Zimmermann

7b:

Binnensalzstelle bei Sülldorf in Sachsen-Anhalt mit Strand-Aster(Aster tripolium) im Vordergrund und Queller (Salicornia europaea)im Hintergrund Foto: T. Chrobock

Tabelle 1: Mutmaßliche Sensitivitätsgrade der Flora mitteleuropäischer Biotoptypen gegenüber populationsbiologischen und genetischen Effekten der Habitatfragmentierung

1. Anthropogen fragmentierte Habitate: Biotopverbund prioritärKleinseggenriede, Zwergstrauchheiden, Kalkmagerrasen, kontinentale Trockenrasen, artenreiches Feucht- undFrischgrünland, zonale Laub- und Nadelwälder, artenreiche Äcker?

2. Bereits in der Naturlandschaft oder der historischen Kulturlandschaft stark fragmentierte Habitate: Biotop-verbund vermutlich von untergeordneter BedeutungBinnensalzstellen, Schwermetallrasen, stehende Gewässer/Verlandungsvegetation, Quellfluren, Hochmoore/ombotrophe Kesselmoore, Bruchwälder, Waldlichtungsfluren, Vegetationskomplexe trockener Waldgrenz-standorte, Sandtrockenrasen (v. a. Pionierbestände), Felsrasen, viele Ruderalfluren (Pionierbestände)

3. Kaum oder nicht fragmentierte Habitate: Biotopverbund nicht notwendigMeeresküsten, Fließgewässer einschließlich ihrer Ufer und intakter Auenvegetation1, alpine Rasen, Intensiv-grünland, nitrophile Säume, intensiv bewirtschaftete Äcker, ruderale Säume

1 Verbundmaßnahmen im Sinne der Durchgängigkeit der Gewässer sowie Habitatgestaltung der umgebendenAuen notwendig

Tabelle 2: Kriterienkatalog zur Identifikation von Pflanzenarten, die mutmaßlich gegenüber Habitatfragmentierung sensitiv sind. Erläuterung s. Text (Abschnitte 3, 4 und 5).

Mutmaßlich sensitive Arten: Mutmaßlich wenig sensitive Arten: Referenzen

Selten Häufig LEIMU et al. (2006)aber: HONNAY & JACQUEMYN (2007)

Gefährdet(rezente Fragmentierung)

Nicht gefährdetGITZENDANNER & SOLTIS (2000)

Habitatspezialisten (im weiteren Sinn)

An kleine Populationen angepassteHabitatspezialisten; Generalisten

DANNEMANN (2000)LIENERT (2004)

Arten stabiler Lebensräume Arten ephemerer/dynamischer Le-bensräume

Kap. 5

Kurzlebig Langlebig FISCHER & STÖCKLIN (1997)HONNAY & BOSSUYT (2005)

Nicht ausgeprägt klonal Ausgeprägt klonal (v. a. „Guerilla”-Typ klonalenWachstums)

HONNAY & BOSSUYT (2005)Kap. 4

Hohe Bedeutung sexuellerFortpflanzung

Geringe Samenbildung und Kei-mung

Kap. 4

Selbstinkompatible, auskreuzende,diözische

Selbstbestäuber, Apomikten AGUILAR et al. (2006)LEIMU et al. (2006)HONNAY & JACQUEMYN (2007)SOLDAAT et al. (1997)

Insektenbestäubung:kleine Bestäuber, enges Spektrum

Insektenbestäubung:große Bestäuber, weites Spektrum

STEFFAN-DEWENTER & TSCHARNTKE

1999)ABER: AGUILAR et al. (2006)

Windbestäubung: kleine Populatio-nen, ± geringe Pollenproduktion

Windbestäubung: generell OOSTERMEIJER & DE KNEGT (2004)STEVEN & WALLER (2007)

Geringes Ausbreitungspotenzial(Ameisen, keine Anpassungen)

Hohes Ausbreitungspotenzial (Wind, Großsäuger, Vögel)

LIENERT (2004)Kap. 5

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THILO HEINKEN: WELCHE POPULATIONSBIOLOGISCHEN UND GENETISCHEN KONSEQUENZEN HAT HABITATFRAGMENTIERUNG FÜR PFLANZEN? 207

sind der Transport von Pollen sowie dieAusbreitung von Samen oder anderen Dia-sporen (Abb. 1), die auch direkt die Ausster-bewahrscheinlichkeit von Populationen be-einflusst (Abb. 3).Die Potenziale für Pollentransport und Aus-breitung sind nicht nur von der Pflanzenart,sondern auch vom Landschaftskontext ab-hängig. Vor allem kleine Bestäuber habenAktionsradien von weniger als 1 km (STEFFAN-DEWENTER & TSCHARNTKE 1999, s. auch LIENERT

2004). Pflanzen mit Spezialisierung auf kleineBestäuber wären demnach besonders vongenetischen Effekten der Habitatfragmen-tierung betroffen. Windbestäubung ist zwarprinzipiell über sehr viel größere Distanzenmöglich, wird aber bei geringen Individuen-dichten (also bei Seltenheit) sehr un-wahrscheinlich, weil sie nicht gezielt erfolgt(STEVEN & WALLER 2007). Insektenbestäu-bung zwischen Pflanzenpopulationen dürftevor allem dann unterbrochen werden, wennzwischen ihnen eine „feindliche”, weitge-hend blütenlose Landschaftsmatrix liegt(STEFFAN-DEWENTER & TSCHARNTKE 1999, MEY-ER et al. 2007).Das Ausbreitungspotenzial von Pflanzenwird meist über die Morphologie ihrerSamen bzw. Früchte beurteilt. So wird beiArten mit Fruchtfleisch davon ausgegan-gen, dass sie durch verschiedene Vögel undSäugetiere mit großen Aktionsradien häu-figer über Distanzen von bis zu mehrerenKilometern transportiert werden (Endozoo-chorie). Fernausbreitung kann auch fürgroße, fettreiche Früchte, die etwa vonEichelhähern als Vorräte gesammelt werden(Dyszoochorie), Klettfrüchte (Epizoochorie),durch Haarschirme, Flügel oder winzigeGröße flugfähige Diasporen (Anemochorie)oder mit in Fließgewässern schwimmendenDiasporen (Hydrochorie) angenommenwerden. Demgegenüber würden die Trans-portdistanzen bei der Nahausbreitung vonDiasporen ohne solche Anpassungen seltenüber einige Meter hinausreichen. Die tat-sächlichen Vorgänge auf der Landschaft-sebene sind aber wesentlich differenzierter:Untersuchungen zur Endo- und Epizoo-chorie bei Haustieren in extensiven Weide-landschaften (z. B. FISCHER et al. 1995) odergrößeren Wildtieren (z. B. HEINKEN et al.2005) haben gezeigt, dass viele morpholo-gisch offenbar kaum an eine Fernausbre-itung angepasste Arten auch häufig vondiesen Tieren transportiert werden, ins-besondere viele Gräser und kleinsamigeKräuter. Viele typische Waldbodenpflanzenverfügen aber beispielsweise nicht über eineeffektive Fernausbreitung durch Tiere. Diemeisten Arten vorübergehender Leben-sräume wie Schlagfluren, Sandtrockenrasenund Schlammfluren dürften generell überein großes Ausbreitungspotenzial in Raumund/oder in Zeit (Samenbanken) verfügen.Beispiele für Zielarten des Biotopverbundsaus der Flora Brandenburgs, die viele der inTab. 2 genannten Kriterien erfüllen, wärenetwa Karthäuser-Nelke (Dianthus carthu-sianorum), Zottige Fahnenwicke (Oxytropispilosa), Sumpf-Herzblatt (Parnassia palus-

tris), Wiesen-Primel (Primula veris), GraueSkabiose (Scabiosa canescens), Steppen-Sesel (Seseli annuum) und Teufelsabbiss(Succisa pratensis); für einige von ihnen sindin anderen Regionen bereits negative Effekteder Habitatfragmentierung nachgewiesenworden. Weniger sensitiv dürften dagegenandere seltene bzw. gefährdete Arten seinwie Breitblättriges Knabenkraut (Dacty-lorhiza majalis: Windausbreitung staubfei-ner Samen), Salzbunge (Samolus valerandi:natürliche Isolation eines seltenen Habitat-spezialisten), Pfriemengras (Stipa capillata:Windbestäubung, epizoochor, Pioniereigen-schaften), Sumpf-Löwenzahn (Taraxacumpalustre-Gruppe: effektive Windausbrei-tung, apomiktisch) und Moor-Greiskraut(Tephroseris palustris: Windausbreitung,vorübergehende Standorte). Über das Zielartenkonzept hinaus stellt sichdie Frage, wie groß Pflanzenpopulation seinmüssen, um mit hoher Wahrscheinlichkeitlangfristig – z. B. über 100 Jahre – über-leben zu können. Als Faustregel aus mathe-matischen Modellen bzw. Monitoring vonPopulationen über längere Zeiträume geltenca. 100 bis 500 (s. LIENERT 2004), möglicher-weise aber auch einige tausend repro-duzierende Individuen (NUNNEY & CAMPBELL

1993, TRAILL et al. 2007). Letztlich ist eineexakte Festlegung aber auch hier nichtmöglich und die Untergrenze stark Art-spezifisch (z. B. LIENERT 2004, MATTHIES et al.2004, TRAILL et al. 2007). Langfristiges, in-tensives populationsbiologisches Monito-ring von möglichst vielen Arten kann unsereKenntnisse untermauern. Eine weitere praxisrelevante Frage ist, in-wieweit im Rahmen des speziellen Arten-schutzes Maßnahmen zur „genetischenRettung” isolierter und genetisch stark ver-armter Kleinstpopulationen angezeigt sind.Die Erhöhung der genetischen Variabilitätist dabei durch künstliche Bestäubung mitPollen oder durch Einbringen von Samenaus anderen Populationen denkbar. Es gibtNachweise positiver Effekte eines solchenkünstlichen Genflusses auf die Fitness vonPopulationen bzw. Individuen (z. B. BOSSUYT

2007). Zu beachten ist aber, dass künstli-cher Genfluss auch die Fitness reduzierenkann, wenn Pflanzenpopulationen optimalan die Bedingungen ihres Wuchsortesangepasst sind (Auskreuzungsdepression alsgegenläufiger Effekt zur Inzuchtdepression).Hinweise darauf gibt es ebenfalls in Mit-teleuropa (FISCHER & MATTHIES 1997, RAABO-VA et al. 2007). Exakte Hinweise zu maxi-malen Distanzen und Habitatunterschiedenbei solchen Maßnahmen können nichtgegeben werden (vgl. LIENERT 2004); insge-samt sollte aber künstlicher Genfluss überzu große Distanzen vermieden werden.Schließlich stellt sich die Frage, wie dieWiederausbringung lokal oder regional aus-gestorbener Pflanzenarten, z. B. aus Erhal-tungskulturen gefährdeter Pflanzen (BURKART

& VON DEN DRIESCH 2006), zu handhaben ist.Bei Saatmischungen etwa im Rahmen vonAusgleichs- und Ersatzmaßnahmen ist inzwis-chen allgemein akzeptiert, dass möglichst nur

gebietsheimisches Saatgut aus gesichertenHerkünften verwendet werden sollte (z. B.NICKEL 2003). Auch für die Wiederaus-bringung als letztendliches Ziel von Erhal-tungskulturen kommen natürlich nur Her-künfte aus der Region in Frage. Bisher gibt eshier kaum Erfahrungen (LIENERT 2004). Klarist, dass eine solche Maßnahme sind nursinnvoll ist, wenn ein ehemaliges Habitatwieder so in seiner Qualität hergestelltwurde, dass der Grund für das Aussterbender Population nicht mehr besteht.Neben den genannten Kriterienkatalogenund Überlegungen sind einige grundsätz-liche Folgerungen für die Naturschutzpraxismöglich:• Von Biotopverbundmaßnahmen sind in

der Regel keine negativen Effekte fürden botanischen Artenschutz zu er-warten.

• Spezielle Artenschutz- und Biotopver-bundmaßnahmen für größere, stabilePopulationen gehen vor.

• Die Landschaftsdynamik (Habitat-verteilung) ist bei natürlicherweise sta-bilen Biotopen wie etwa zonalen Laub-wäldern gering zu halten (HONNAY et al.2005)

• Die die Zielbiotope umgebende Land-schaftsmatrix ist divers zu gestalten, umBestäuberpopulationen zu unterstützenund die Matrix für sie durchlässiger zumachen (MEYER et al. 2007).

• Insbesondere bei Landschaftszerschnei-dung sind Migrationsmöglichkeiten fürGroßsäuger als Ausbreitungsvektorenzu erhalten bzw. zu verbessern (HEINKEN

et al. 2005).• Ausbreitungsprozesse in der Landschaft

sind zu fördern, etwa durch mit derTranshumanz vergleichbare Beweidungs-konzepte, Übertragung von Mahd-gut und Nutzung von ungereinigtenMähmaschinen auf unterschiedlichenFlächen bei Pflegemaßnahmen.

Dennoch muss als – vielleicht ernüchterndes– Fazit festgehalten werden: Trotz inzwi-schen etwa 15 Jahren intensiver Forschungin verschiedenen Arbeitsgruppen vor allemin der Schweiz, den Niederlanden, Belgienund Deutschland ist es offenbar noch nichtmöglich, konkrete, planerisch umsetzbareHandlungsanweisungen zur Vernetzungvon Biotopen – etwa notwendige Größenoder Flächenanteile, maximale Entfernun-gen zwischen einzelnen Habitaten oderMindestgrößen zu vernetzender Pflanzen-populationen – aus den bisherigen Ergeb-nissen abzuleiten.

LiteraturAGUILAR, R.; ASHWORTH, L.; GALETT, L. & AIZEN, M. A.2006: Plant reproductive susceptibility to habitatfragmentation: review and synthesis through a meta-analysis. Ecology Letters 9: 968-980AMLER, K.; BAHL, A.; HENLE, K.; KAULE, G.; POSCHLOD, P.;SETTELE, J. (Hrsg.) 1999: Populationsbiologie in derNaturschutzpraxis: Isolation, Flächenbedarf undBiotopansprüche von Pflanzen und Tieren. Stuttgart(Hohenheim). Ulmer. 336 S.BEREC, L.; ANGULO, E.; COURCHAMP, F. 2007: MultipleAllee effects and population management. TrendsEcol. Evol. 22: 185-191BOSSUYT, B. 2007: Genetic rescue in an isolated

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208 NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 17 (4) 2008

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Anschrift des Verfassers:PD Dr. Thilo HeinkenUniversität PotsdamInstitut für Biochemie und BiologieBiodiversitätsforschung/Spezielle BotanikMaulbeerallee 114469 PotsdamE-Mail: [email protected]

WIESNER, J.; KLAUS, S.; WENZEL, H.; NÖLLERT,A., WERRES, W. & WOLF, K. 2008:Die EG-Vogelschutzgebiete Thüringens.Naturschutzreport 25. 360 S., zahlr. Farbfo-tos, Karten, Tabellen. Jena.ISSN 0863-2448. 15 Euro

Mit der Meldung von 44 EU-Vogelschutz-gebieten hat im Jahr 2007 auch Thüringenseine „Hausaufgaben“ gegenüber der EU-Kommission erfüllt. Der Anteil der „SpecialProtected Areas“ (SPA) erhöhte sich damitvon 2,8 auf 14,3 % der Landesfläche. DerBand zeigt, dass Thüringen mit seiner Vogel-welt einiges zu bieten hat. In ansprechenderAufmachung wird er im Rahmen einer be-währten Schriftenreihe präsentiert. Den Ein-stieg bildet die Beschreibung des Fachkon-zeptes, das zur Auswahl und Abgrenzungder Gebiete geführt hat. Den 25 Brutvogel-arten des Anhang 1 der EU-Vogelschutz-

richtlinie VSchRL), die maßgeblich in dieAbwägung eingegangen sind, ist der an-schließende Abschnitt mit ca. 2-3 Seiten jeArt und vielen schönen Fotos gewidmet.Dargestellt sind jeweils Bestandssituation,Schutzmaßnahmen sowie eine Verbreitungs-karte auf TK25-Quadrantenbasis. Warumdiese bei einem Teil der Arten fehlt, er-schließt sich nur beim Birkhuhn, das nurnoch ausnahmsweise Brutvogel ist. Fast dreiViertel des Buches nimmt die Darstellung der44 SPA ein. Für jedes einzelne werden zu-nächst allgemeine Angaben aufgeführt(Lage, Größe, Naturraum etc.) und die rele-vanten Arten nach Anhang 1 der VSchRLinkl. ihrer Bestandsgröße aufgelistet. Es folgtjeweils eine Beschreibung des Gebietes undseiner Vogelwelt sowie der Entwicklungs-ziele. Übersichtliche Kartendarstellungen –der Gebietsgröße angepasst – bei unter-schiedlichen Maßstäben sowie Farbfotos

runden die Vorstellung der Gebiete ab. DenAbschluss des Buches bilden einige statis-tische Zusammenfassungen. Hier gibt es ei-nige Wiederholungen zum Anfang (vgl. z. B.S. 14 und 337), während ich ein wichtigesstatistisches Kriterium vergeblich gesuchthabe: den Anteil des Thüringer Bestandesder einzelnen Brutvogelarten am gesamt-deutschen Bestand. Daraus hätte manschnell erkennen können, für welche ArtenThüringen eine besondere regionale Verant-wortung hat. Für Behörden, Planer, Ver-bandsmitarbeiter, Politiker etc. in Thüringenist das Buch besonders wertvoll, für natur-kundlich Interessierte eine schöne Orientie-rung, informativ und von vergleichendemInteresse – oder aber etwas zum Appetit-anregen.

Dr. T. Langgemach, LUA Ö2, Staatliche Vo-gelschutzwarte

LITERATURSCHAU

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NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 17 (4) 2008; 209-213 209

1 Vorbemerkungen

Das Anliegen, einen Vortrag über die Pilzefür eine Vortragsveranstaltung über „Wen-degewinner” und „Wendeverlierer” inBrandenburg bei Tieren und Pflanzen einzu-bringen, bereitete dem Referenten einigesKopfzerbrechen: Pilze sind eben ganz an-ders als Tiere und Pflanzen und werden da-her neuerdings nicht von ungefähr einemeigenen Organismenreich (Regnum) zuge-ordnet. Was Inventarisierung der Arten undRegistrierung von Bestandesveränderungenbei Pilzen so schwierig macht, sind derenimmense Artenzahl, ihre meist versteckteLebensweise, die begrenzten Erscheinungs-zeiten der Fruchtkörper sowie deren außer-ordentliche Variabilität. Gerade deshalbmochte aber doch der Versuch angeratensein, diese Zusammenhänge mehr ins Be-wusstsein zu rücken. Also sei hier versucht,in gebotener Kürze darzustellen, was Pilz-freunde und Mykologen bewegt und be-schränkt, erfreut und manchmal auch zurVerzweiflung bringen kann.

2 Wie viele Pilz-Arten gibtes auf der Erde bzw. inDeutschland oder inBerlin-Brandenburg?

Das weiß niemand, es gibt nur vage Hoch-rechnungen. Aber dass es sehr sehr vielesind, das weiß man. Berufene Fachleute ha-ben versucht, solche Schätzungen vorzuneh-men. Eine „konservative” Schätzung gehtdavon aus, dass es auf der Erde ungefähr 1,5Millionen von Pilz-Arten geben könnte; da-mit wären die Pilze neben den Arthropodendie artenreichste Organismengruppe.Allein für die Ascomycota wären nachHAWKSWORTH & MOUCHACCA (1994) 62.000Gattungen mit 669.000 Arten zu erwarten;die Autoren wiesen darauf hin, dass nur ca.1.700 Arten pro Jahr neu beschrieben wür-den. HAWKSWORTH (1991) hatte die Hypo-these aufgestellt, dass zu diesem Zeitpunktnur 5 % der existierenden Arten beschrie-ben worden waren.Diese Zahlen sprechen für sich. Zwar ist derKenntnisstand in Mitteleuropa relativ bes-ser, aber dennoch haben wir es auch hiermit einer gewaltigen Übermacht zu tun, diezudem mit uns Versteck spielt. Auch wenn

kürzlich noch wieder in der Tageszeitungaus berufenem Munde empfohlen wurde,Pilze „über der Wurzel” abzuschneiden, umden Bestand zu schonen: Pilze sind keinePflanzen und haben natürlich keine Wur-zeln. Es ist eben doch noch weithin unbe-kannt, dass wir es üblicherweise nur mitdem meist kurzlebigen fruktifizierenden Teildes Pilzes zu tun haben. Der eigentlichePilzorganismus, das Myzelium, durchziehtweithin das Substrat, den Erdboden, totesHolz, aber auch Pflanzenteile wie Blätter,Früchte, Samen, und bleibt zumeist unbe-achtet oder gibt sich allenfalls als meistweißliches Geflecht zu erkennen. Zur Frukti-fikation, d. h. zur Ausbildung der reproduk-tiven Organe, kommt es meist nur zu be-grenzten Zeiten und bei günstigen Entwick-lungsbedingungen, oft nur an wenigen Ta-gen und an mehr oder weniger verborge-nen Stellen und in manchen Jahren über-haupt nicht. Die Aussicht also, das zu fin-den, was wir landläufig als Pilz bezeichnen,ist besonders bei selteneren Arten und sol-chen mit weniger auffälligen Fruchtkörpernsehr gering.Haben wir aber interessant erscheinende„Pilze” gefunden, so werden wir beim Iden-tifizierungsversuch mit dem Problem kon-frontiert, dass die meisten Arten in Abhän-gigkeit von Standorts- und Entwicklungsbe-dingungen eine erstaunlich breite Variabili-tät aufweisen, so dass die Diskussion „ister’s oder ist er’s nicht” zu den alltäglichenDebatten auch unter erfahrenen Pilzken-nern gehört.An dieser Stelle tritt noch ein weiterer Eng-pass in Erscheinung: die Verfügbarkeit vonBestimmungshilfen. Zwar gibt es eine ganzeReihe guter Bestimmungsbücher, aber de-ren Benutzung setzt doch beträchtliche Er-fahrung und zumeist auch eine mikroskopi-sche Ausrüstung voraus. Dennoch: für man-che besonders schwierigen Gattungen gibtes kaum modernere taxonomische Bearbei-tungen bzw. solche sind nur in nicht leichtzugänglicher Spezialliteratur zu finden. Undweiterhin, angesichts der obigen Ausfüh-rungen nicht überraschend, nicht seltenexistieren Bearbeitungen mit unterschiedli-chen Auffassungen nebeneinander. Statt eines einzelnen Bestimmungsbuchesbenötigte man also eigentlich eine ganze,umfangreiche und ständig zu aktualisieren-de Fachbibliothek. Ach du armer Pilzfreund!

3 Zur aktuellen Situation dermykotaxonomischenForschung

Aus dem vorstehenden Abschnitt wirddeutlich, dass das Erlangen fundierterKenntnis auch nur einer bestimmten Pilz-Gattung sehr viel Ausdauer und langjährigeintensive Beschäftigung voraussetzt; keineguten Voraussetzungen für eine solche The-matik in einer Zeit, die auf schnelle und ge-winnbringende Ergebnisse ausgerichtet ist.Es nimmt daher nicht wunder, dass es nurnoch wenige universitäre Einrichtungengibt, die auch diese taxonomische For-schung pflegen; es sei denn, es winktendoch mal wirtschaftlich nutzbringende Er-gebnisse. Internationales Aufsehen erregen(und Geldtöpfe erschließen) kann man dortfast nur noch mit molekularbiologischenAnalysen; die ihrerseits ja aber eine geklärtetaxonomische Position der getesteten Artenvoraussetzten! Das ist besonders bedauer-lich vor dem Hintergrund des gewaltigenDefizits bei der Erforschung der Pilzflora derErde. Es fällt schon seit längerem auf (und nichtnur in Deutschland), dass bedeutende Er-gebnisse auf diesem Gebiet vor allem vonPilzfreunden vorgelegt werden, die sich ihrumfangreiches Wissen autodidaktisch ange-eignet haben und langfristig und unter Ein-bringung von sehr viel Freizeit und unterbeträchtlichem materiellen Aufwand sowiemit großem Enthusiasmus an der Erfor-schung der Pilzflora arbeiten. Das ist wieanderswo auch in Berlin und Brandenburgder Fall, wo die Unis um den Elite-Statusstreiten und von „Amateuren“ neben vie-lem anderen kürzlich so bedeutende Werkewie das „Pilzkompendium” von LUDWIG

(2001, 2007) und ein „Bestimmungsschlüs-sel für Blätterpilze und Röhrlinge in Europa”von GRÖGER (2006) erschienen sind; ganzwichtige Meilensteine weit über Berlin-Brandenburg hinaus!

DIE PILZE SIND EIN EIGENES ORGANISMENREICH MIT BESONDERER BIOLOGIE UND GROSSER,NOCH UNGENÜGEND BEKANNTER ARTENZAHL.AUCH IN BERLIN UND BRANDENBURG BEMÜHEN SICH ZAHLREICHE PILZFREUNDE,DEN GEHEIMNISSEN DER PILZE AUF DIE SPUR ZU KOMMEN.

DIETER BENKERT

Zur Problematik des Erkennens von Bestandesveränderungen und derGefährdung von Pilz-Arten1

Schlagwörter: Artenzahl, Ökologie, Vorkommen, Verbreitung, Bestandesveränderungen, Gefährdung

1 nach einem Vortrag anlässlich der 11. NABU-Na-turschutztagung zum Thema „Eine Bilanz desBiotop- und Artenbestandes – 17 Jahre nach derWende” am 8.9.2007 in Potsdam

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210 NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 17 (4) 2008

4 Erforschung der märkischenPilzflora

Welche Konsequenzen sich aus den vorge-nannten Fakten für die Taxonomie der Pilze,für die Erarbeitung von Bestimmungsschlüs-seln und für Inventarisierungen kleiner odergrößerer Gebiete ergeben und schließlichauch für das Registrieren von Veränderun-gen des Artenbestandes bzw. für den Ge-fährdungsgrad einzelner Arten, kann mansich leicht ausrechnen.Pilzfreunde müssen also kleinere Brötchenbacken als z. B. Ornithologen oder auch Bo-taniker und in ihren Aussagen bescheidenersein. Aber: was auf der einen Seite dieSchwierigkeiten ausmacht, bietet auf deranderen Seite den ganz besonderen Reiz,noch sehr viel Neues entdecken zu könnenund den Pilzen „hinter ihre Schliche zukommen”. So geben wir Pilzfreunde uns al-le Mühe, gemeinsam immer tiefer in die ge-heimnisvolle Welt der Pilze einzudringen. Dazu bedarf es der Einbeziehung und Quali-fizierung vieler Naturfreunde und einer gutenKooperation der organisierten Pilzfreunde.

4.1 Organisationsformen im Gebiet Ber-lin/Brandenburg

Seit 1993 gibt es die Interessengemein-schaft Märkischer Mykologen beim Natur-schutzbund Deutschland (NABU), Landes-verband Brandenburg, in Fortsetzung der1982 an der Humboldt-Universität unterdem Dach des Kulturbundes gebildetenMykologischen Arbeitsgemeinschaft (seit1982 auch gezielte Dokumentation allerwichtigen Pilzfunde aus dem Gebiet undAnlage eines Pilzherbariums). In diesemRahmen gibt es regelmäßige Treffen undjährliche Arbeitstagungen (BENKERT 1994).In Berlin hat sich außerdem ein sehr aktiverPilzkundeverein für Berlin und Branden-burg gebildet (regelmäßige Treffen, Vorträ-ge, Exkursionen); M. Schmidt als dessenLeiter hat die aufwendige Arbeit einer da-tenmäßigen Auswertung der Literaturanga-ben aus dem Gebiet sowie der aktuellen Be-obachtungen übernommen.Eine enge Zusammenarbeit besteht auchmit dem Brandenburgischen Landesver-band der Pilzsachverständigen e. V. (Tref-fen, Exkursionen, Tagungen).Hauptziel unseres gemeinsamen Bemühensist die

4.2 Inventarisierung der märkischenPilzflora

Schon in Vorbereitung für die erste Rote Lis-te der Pilze in Brandenburg hatte ich eineerste Checkliste der Makromyzeten erarbei-tet, die aber nicht publiziert wurde. Eine in-zwischen sehr viel umfangreicher geworde-ne Liste mit den Erfahrungen aus ca. 25Jahren soll demnächst publiziert werden.Gegenwärtig sind für das Gebiet ca. 2.500Arten von Makromyzeten (Großpilzen) mithinreichender Sicherheit erfasst worden.Das ist schon ein beträchtlicher Fortschritt,denn es entspricht etwa der Artenzahl, dieseinerzeit (KREISEL 1987) für das Gesamtge-

biet der DDR registriert worden ist. Es istdennoch keine Frage, dass mit dieser Zahlerst ein bescheidener Teil des tatsächlichenBestandes erfasst worden ist. Jährlich kom-men weitere Arten dazu; auch nicht wenigefür die Wissenschaft neue Arten konntenerstmalig aus dem Gebiet Berlin/Branden-burg beschrieben werden und besitzen so-mit hier ihren locus typicus. Die Aktivitäten der Pilzfreunde betreffenverständlicherweise ganz überwiegend diesogenannten Großpilze (Makromyzeten).Sehr erfreulich ist daher, dass nun auch dasHeer der meist unscheinbaren Mikromyze-ten bei uns durch einen kleinen Kreis vonSpezialisten wieder Aufmerksamkeit findet,vor allem sind schon die Phytoparasiten in-tensiv bearbeitet worden (vgl. z. B. JAGE etal. 2006).Die noch unvollständige Erfassung des glo-balen Gesamtartenbestandes der Pilze so-wie des Merkmalskomplexes und der Diffe-renzierungsmerkmale der einzelnen Artenbringt eine erhebliche Erschwernis für unsPilzfreunde mit sich: Fast alle was wir ge-funden und benannt haben, muss immerwieder auf den Prüfstand, weil ständig ak-tuelle taxonomische Bearbeitungen neueAuffassungen und neue Benennungen mitsich bringen (nicht selten mehrere konkur-rierende nebeneinander). In diesem Zusammenhang gewinnenSammlungen von Pilzexsikkaten eine großeBedeutung, denn nur durch deren meistaufwendige mikroskopische Untersuchungist es in vielen Fällen möglich, frühere Fundeeiner aktuellen taxonomischen Konzeptionzuzuordnen.Diesbezüglich von unschätzbarem Wert istdas Pilzherbar des Botanischen Museumsder Freien Universität in Berlin-Dahlem, indem sich umfangreiche Sammlungen mitBelegen auch solcher Mykologen befinden,die auch oder bevorzugt im märkischen Ge-biet gesammelt haben wie Otto Jaap, PaulHennings, Wilhelm Kirschstein, Karl Oster-wald, Paul und Hans Sydow u.a., darunterviele Typus-Belege. Daneben existieren hierauch mehrere aktuelle Sammlungen. Außer-dem haben mehrere, meist mehr oder weni-ger spezialisierte Pilzfreunde private Pilz-Herbarien angelegt.

4.3 Verbreitung und Bestandesverände-rungen von Pilz-Arten in der Mark

Es ist aber für uns nicht nur wichtig, die inder Mark vorkommenden Pilz-Arten zu re-gistrieren. Wir wollen natürlich auch wissen,wie häufig sie sind, wie ihre Verbreitung imGebiet ist, auf welchen Standorten bzw.Substraten sie vorkommen (also ihr ökologi-sches Verhalten kennenlernen). SolcheKenntnisse sind auch Voraussetzung dafür,dass wir Bestandesveränderungen und ge-gebenenfalls auch eine Bestandesgefähr-dung zu erkennen vermögen.Dies wäre eigentlich eine Aufgabe für Hun-dertschaften geschulter Mykologen. In Er-mangelung solcher Heerscharen tragen wirseit vielen Jahren geduldig alle Einzelbeo-bachtungen zusammen. Die Fundortkarteien

bzw. -dateien enthalten doch bereits überhundert Namen von Beobachtern einzelneroder auch zahlreicher bemerkenswerterPilzfunde. Hinsichtlich der Verbreitung imGebiet liegen somit immerhin für einigeHundert auffälligerer und relativ sicher er-kennbarer Arten genügend Einzelbeobach-tungen vor, so dass Verbreitungskarten fürdas Gebiet von Berlin/Brandenburg mit ei-nem genügenden Aussagewert angefertigtwerden konnten. Zahlreiche dieser Kartensind inzwischen auch publiziert worden,meist eingeflossen in Verbreitungskartengrößerer Gebiete (DDR-, Ostdeutschland-und Deutschland-Kartierung (publiziert inHercynia, Gleditschia, Boletus, Z. Mykol.,Verh. Bot. Ver. Berlin/Brandenburg).Das Fernziel sollte zwar schon sein, über alleArten so detaillierte Informationen zusam-menzutragen, ganz erreichbar wird diesaber nie sein.

4.4 Das Problem der Registrierung vonBestandesveränderungen

Noch anspruchsvoller und schwieriger istdie Beobachtung von Veränderungen, vonAusbreitung oder Rückgang der einzelnenArten, setzt dies doch eine annähernd flä-chendeckende Beobachtungskapazität vo-raus; das Gebiet von Berlin und Branden-burg umfasst immerhin ca. 1.000 Mess-tischblatt-Quadranten. Für eine Reihe vonArten konnten dennoch derartige Prozessekartographisch verdeutlicht werden. Dabeihandelt es sich in allen Fällen um Arten, dieinfolge von Größe, Auffälligkeit und Dauer-haftigkeit der Fruchtkörper die Aufmerk-samkeit zahlreicher Pilz- und Naturfreundefinden und bei denen eine geringe Ver-wechslungsmöglichkeit besteht. Hierzu zäh-len besonders größere, holzbewohnende„Porlinge” und zahlreiche Arten der Gaste-romyzeten (Bauchpilze), die infolge ihrerGröße, auffälligen Gestalt und lederigenKonsistenz bzw. lebhaften Färbung oft ge-sammelt und mitgebracht werden. Beispiele von beobachteten Bestandesver-änderungen:Bei den Erdsternen (Geastrales), die wegenihrer merkwürdigen Gestalt zu den meistgesammelten (Nichtspeise-) Pilzen zählen,kann man zwei sehr unterschiedliche ökolo-gische Gruppen unterscheiden. Eine Gruppe

Abb. 1

Heide-Erdstern (Geastrum schmidelii); Bran-denburg, NSG Zeisigberg bei Lebus

Foto: W. Klaeber

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DIETER BENKERT: ZUR PROBLEMATIK DES ERKENNENS VON BESTANDESVERÄNDERUNGEN UND DER GEFÄHRDUNG VON PILZ-ARTEN 211

ist an offene, warme, meist basiphile undstickstoffarme Trockenrasen-Standorte an-gepasst und wie diese rückläufig und ge-fährdet, z. B. Geastrum schmidelii (Heide-Erdstern; Abb. 1). Eine andere Gruppe größerer, zumindeststickstofftoleranter Arten hat sich regelrechtals Kulturfolger entwickelt und sich ganzbesonders in Siedlungsräumen in den ver-gangenen Jahrzehnten stark ausgebreitet,wie in Verbreitungskarten deutlich zumAusdruck kommt (BENKERT 2003); das be-trifft z. B. den Halskrausen-Erdstern (G. tri-plex; Abb. 2), den Rötenden Erdstern (G.rufescens; Abb. 3) und den Kragen-Erdstern(G. striatum; Abb. 4).Ebenfalls anhand von Verbreitungskartenkonnte die Ausbreitung einer Reihe vonPilz-Arten über einen Zeitraum von 4 Jahr-zehnten verfolgt werden, darunter so volks-tümliche Arten wie Judasohr (Auriculariaauricula-judae) und Riesenbovist (Calvatiagigantea; Abb. 5). Auch die Ausbreitung desmarkanten Sternstäublings (Mycenastrumcorium; Abb. 6) in der Mark konnten wirvon seinem ersten Auftreten an verfolgen.Besonders eindrucksvoll ist der Fall von Di-plomitoporus flavescens (Gilbende Nadel-holztramete; Abb. 7), einem Kiefernholz be-siedelnden Porling, der erst 1974 erstmals inBrandenburg registriert wurde und gegen-wärtig in den Kiefernforsten allgemein ver-breitet ist sowie manchmal sogar als Mas-senpilz auftritt (BENKERT 2004).Gegenwärtig erleben einige weitere holzbe-siedelnde Porlinge eine auffällige Ausbrei-tung: Ischnoderma benzoinum (Schwarzge-bänderter Harzporling; auf Nadelholz), I. re-sinosum (Laubholz-Harzporling; auf Laub-holz) und Coriolopsis trogii (Blasse Bors-tentramete; besonders auf Pappelholz). DieUrsachen wissen wir nicht, möglicherweisesind aber doch schon auch Klimaverände-rungen mit im Spiel.Mit Aufmerksamkeit verfolgen wir auch dieweitere Ausbreitung zweier aus Nordameri-ka eingewanderter Hundsruten-Arten (Mu-tinus ravenelii; Himbeerrote H. und M. ele-gans; Vornehme H.). M. ravenelii wurde in-nerhalb der Mark erstmalig 1968 in Berlinund M. elegans ebenfalls in Berlin 1982 be-obachtet (BENKERT & JENTSCH 1985); Berlin istsicherlich für viele Einwanderer (Pflanzenund Pilze) das Eingangstor in die Mark ge-wesen. Die beiden Arten fallen neben ihremunangenehmen Geruch durch die eigenarti-ge Gestalt und die leuchtend rote Farbe aufund finden auch deshalb oft Beachtung,weil sie bevorzugt in Parks und Gärten auf-treten und offensichtlich auch durch Ver-kauf und Tausch von Pflanzen weiterver-breitet werden. Beide Arten werden übri-gens leicht verwechselt, weshalb zur Bele-gung von Neufunden die Anfertigung einesExsikkates wünschenswert ist.Ihrer eigenartigen und auffälligen Form undFarbe wegen werden auch Vorkommen derbei uns nicht heimischen Roter Gitterling(Clathrus ruber; Abb. 8) und Tintenfischpilz(C. archeri; Abb. 9) aufmerksam registriert.Ersterer kommt seit längerem in Berlin vor

Abb. 2

Halskrausen-Erdstern (Geastrum triplex); Brandenburg, Müncheberger Hinterheide

Foto: W. Klaeber

Abb. 3

Rötender Erdstern (Geastrum rufescens); Sachsen-Anhalt, im Huy Foto: W. Klaeber

Abb. 4

Kragen-Erdstern (Geastrum striatum); Berlin, Glienicker Park Foto: V. Kummer

Page 19: Der Laubfrosch (Hyla arborea) LINNAEUS, 1758 – Froschlurch ...€¦ · Der Laubfrosch (Hyla arborea) LINNAEUS, 1758 – Froschlurch des Jahres 2008 delten Verbreitungszentren widmen

212 NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 17 (4) 2008

(offensichtlich ohne sich weiter auszubrei-ten), letzterer wurde 1987 erstmalig in derMark beobachtet, danach aber nur nochwenige Male gefunden. Da der Tintenfisch-pilz sich auf einer längeren „Wanderung”bis nach Mitteleuropa ausgebreitet hat,rechnen wir auch mit einer weiteren Aus-breitung in Brandenburg und warten ge-spannt auf weitere Fundmeldungen.Ein sehr eigenartiger Fall ist das Auftretenvon Caloscypha fulgens im Jahre 1985,zwar „nur” ein Becherling, aber seinerschönen Farbe und einer charakteristischenBlaugrün-Verfärbung wegen („LeuchtenderPrachtbecher”; Abb.10) sehr auffallend. DieArt ist als Bewohner alpiner Kalklandschaf-ten bekannt. Daher erschien ein 1985 ge-meldeter Fund aus Brandenburg zunächstals sehr zweifelhaft. Erstaunlicherweise er-wies sich der mir zugegangene Beleg aberals richtig bestimmt. Dann folgten Schlagauf Schlag weitere Überraschungen: Ich er-hielt Funde aus Calau, Naumburg, Merse-burg, Nebra, Gera, sämtlich im April 1985gefunden, die meisten zwischen 18. und21. April. Danach war die Pracht zu Endeund die Art ist m. W. seitdem an allen die-sen Orten nicht wieder beobachtet worden,in Ostdeutschland nur wenige Male (z. B.2004 in Berlin). Was war da los? Ein sponta-nes Reisefieber kann diese Erscheinungnicht erklären. Mir erscheint als einzige Er-klärungsmöglichkeit, dass die Art eigentlichimmer hier gewesen ist (und dann wahr-scheinlich auch immer noch hier ist), aber inGestalt einer unauffälligen anamorphenForm (Geniculodendron pyriforme). Dannmüsste man annehmen, dass im Jahre 1985besondere ökologische Bedingungen dieAusbildung der teleomorphen Form ermög-licht haben. Das wieder würde implizieren,dass noch manch anderer verdeckter Gastbei uns leben könnte und vielleicht einesgünstigen Jahres sein wahres Gesicht zeigt.Noch eines lehrt uns dieser Fall: Wenn dieTeleomorphe von Caloscypha fulgens sounscheinbar gewesen wäre wie so viele an-dere kleine Becherlinge, wüssten wir wohlbis heute nichts vom hiesigen Vorkommender Art.

5 Gedanken zu Gefährdungund Schutz von Pilzen

Ein wesentliches Moment unseres Bemü-hens um die Erfassung der Großpilze derMark ist natürlich auch die Aufklärung derökologischen Bindungen der einzelnen Ar-ten, deren Kenntnis zugleich wichtige Vo-raussetzung für die Beurteilung ihrer Ge-fährdung und damit für deren Schutz ist.Rote Listen, bei uns in den 70er Jahren auf-gekommen, hatten eine ganz überraschen-de Resonanz. Schutzanträge, die zuvorwohl nur mitleidig belächelt worden wären,hatten plötzlich in den Amtsstuben einendurchschlagenden Erfolg, wenn ein Rote-Liste-Status im Spiel war. Mich verdross sei-nerzeit aber, dass daraus fast nur die „spek-takuläreren” Lebewesen wie Kleinsäuger,

Fledermäuse, Greif- und Wasservögel, beiPflanzen vor allem die Orchideen Nutzenzogen und dass die „Kleinen”, in diesemFall die sogenannten Kryptogamen, wiedereinmal außen vor blieben. Deshalb habe ichsolche Listen auch für Pilze und Moose initi-iert. Heute bin ich zu der Ansicht gelangt,dass es zwar sinnvoll ist, auch die Pilze inRoten Listen berücksichtigt zu sehen –schon um der wissenschaftlichen Dokumen-tation von Bestandesveränderungen wegen– dass man wegen der Andersartigkeit derPilze konkret für den Pilzschutz damit abernicht viel bewirken kann. Es ist auch wenigsinnvoll, bestimmte Pilzarten unter Natur-schutz zu stellen, es sei denn aus symboli-schen Gründen. Auch Sammelverbote kön-nen nach meiner Überzeugung wenig be-wirken.Der beste und wohl einzig wirksame Weg,der Pilzwelt Schutz zu gewähren, ist die Er-haltung einer großen Standortvielfalt, d. h.ein Mosaik möglichst vieler Pflanzengesell-schaften bzw. Biotope zu gewährleisten. Es

Abb. 5

Riesenbovist (Calvatia gigantea); Branden-burg, Suckower Forst Foto: W. Klaeber

Abb. 6

Sternstäubling (Mycenastrum corium); Brandenburg, Alt Stahnsdorf

Foto: W. Klaeber

Abb. 7

Gilbende Nadelholztramete (Diplomitoporus flavescens); Brandenburg, Unterspreewald,Wutscherogge Foto: V. Kummer

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DIETER BENKERT: ZUR PROBLEMATIK DES ERKENNENS VON BESTANDESVERÄNDERUNGEN UND DER GEFÄHRDUNG VON PILZ-ARTEN 213

wäre zu empfehlen, ein System nicht zukleiner komplexer Naturräume mit mög-lichst vielen unterschiedlichen Biotopen inunterschiedlichen Entwicklungsstadien ein-zurichten, mit einer Vielzahl von Pflanzenar-ten, von Moosen bis zu Gehölzen, d. h. denPilzen ein breit gefächertes organischesNahrungsangebot bereitzuhalten; damitwürde mit Sicherheit auch einer optimalenVielfalt von Groß- und Kleinpilzen Lebens-raum geboten und gleichzeitig auch einergroßen Zahl anderer Kleinlebewesen. Essollte dabei bedacht werden, dass es kaumeine Pflanzengattung gibt ohne oft sogareiner Vielzahl spezifisch angepasster Pilz-Ar-ten (sei es saprophytisch, parasitisch odersymbiontisch). Die Pilze würden solche Oa-sen zu finden wissen, ohne dass sie dort an-gesiedelt werden müssten. Ein solchesSchutzgebiet würde natürlich zur Erhaltungder komplexen Struktur auch sorgfältiger,sachkundiger Pflegemaßnahmen bedürfen.

6 Zur Situation der Pilze inder Nachwendezeit

Abschließend soll noch kurz auf die Fragenach Auswirkungen der Wende auf Bestan-desentwicklungen auch der Pilze (dies warja das Motto der Vortragstagung) einge-gangen werden. Da die Wende auch be-trächtliche Auswirkungen auf Natur undLandschaft mit sich gebracht hat, sindselbstverständlich auch die Pilze davon be-troffen worden. Es ist aber die Frage, in wel-chem Umfange solche Veränderungen an-gesichts der besonderen Lebensweise derPilze und unseres bescheidenen Kenntnis-standes (wie vorstehend kurz dargestellt)auch registriert werden konnten.Aus meiner Sicht gibt es aber doch einigeBeobachtungen, die nicht unbedeutendeVeränderungen auch der „Funga” erkennenlassen. An erster Stelle könnte die Rückkehr zahlrei-cher Mykorrhizapilze in unsere Kiefernfors-ten hervorgehoben werden. Luftverunreini-gungen bzw. die Stickstoffdüngung aus derLuft hatten ganz offensichtlich das symbio-tische Verhältnis zwischen Ektomykorrhiza-Bildnern wie zahlreichen Röhrlingen und denBäumen, insbesondere Pinus sylvestris,nachhaltig gestört und die stärker exponier-ten epiphytischen Flechten und Moose weit-gehend verschwinden lassen. Inzwischensind die Mykorrhizapilze wie die terrestri-schen Stachelpilze, z. B. der Kiefern-Habicht-spilz (Sarcodon squamosus), ebenso zurück-gekehrt wie vielerorts die epiphytischenMoose und Flechten (vgl. z. B. OTTE 2002).Die Unterbindung von Luftverunreinigun-gen kann jedoch auch den umgekehrten Ef-fekt haben. Im Leegebiet der RüdersdorferKalkwerke waren in den Waldgebieten nachStrausberg hin eine ganze Reihe für Bran-denburg sehr seltener oder sogar einmaligerkalkliebender Pilze gefunden worden. Siesind dort offensichtlich verschwunden.Ein auch für die Pilzflora relevantes Phäno-men ist das in jüngster Zeit weitgehende

Verschwinden von Brandstellen in denWaldgebieten. Es gibt eine größere Anzahlvon Pilzarten, die fast ausschließlich nacheinem Brand auftreten und inzwischen sehrselten geworden sind. Diese pyrophilen Pil-ze treten auf den Brandstellen in mehrerenSukzessionsphasen auf. Die aktuelle Diskus-sion über eine neue Rote Liste der Pilze fürdie BRD hat mir gezeigt, dass dies kein re-gionales Phänomen ist, sondern dass auchin westlichen Bundesländern die Brandstel-lenpilze als gefährdete Arten betrachtetwerden.Zum Abschluss sei noch ein ausgesprochenpositiver Wendeeffekt genannt: Westberlinist keine Insel mehr. Wir können nun mitden zahlreichen Berliner Pilzfreunden ge-meinsam unser märkisches Revier erfor-schen, und das Botanische Museum in Dah-lem mit seinen Pilzsammlungen und seinerreichen Bibliothek ist uns wieder zugänglich.

DanksagungMein Dank gilt allen Pilzfreunden, die durchihre Beobachtungen zum gegenwärtigenStand unseres Wissens beigetragen habensowie den Herren Wolfgang Klaeber undDr. Volker Kummer für die Bereitstellungvon Dias und Herrn Erhard Ludwig für dieErlaubnis, sein Aquarell von Caloscypha ful-gens verwenden zu dürfen.

LiteraturBENKERT, D. 1994: Interessengemeinschaft MärkischerMykologen. Boletus 18 (4): 125-126BENKERT, D. 2003: Berlin und die Mark Brandenburg –ein Paradies für Erdsterne (Geastrales). Verh. Bot. Ver.Berlin Brandenburg 136: 231-268BENKERT, D. 2004: Die Mark Brandenburg, auch einEinwanderungsland für Pilze. Verh. Bot. Ver. BerlinBrandenburg 137: 489-514BENKERT, D. & JENTSCH, H. 1985: Mutinus ravenelii undM. elegans in Brandenburg. Gleditschia 13 (2): 231-234 GRÖGER, F. 2006: Bestimmungsschlüssel für Blätter-pilze und Röhrlinge in Europa, Teil 1. Hauptschlüssel;Gattungsschlüssel; Artenschlüssel für Röhrlinge undVerwandte, Wachsblättler, hellblättrige Seitlinge,Hellblättler und Rötlinge. Regensb. Mykol. Schr. 13:1-638HAWKSWORTH, D.L. 1991: The fungal dimension ofbiodiversity: magnitude, significance, and conservati-on. Mycological Research 95: 641-655HAWKSWORTH, D.L. & MOUCHACCA, J. 1994: Ascomy-cete systematics in the nineties; in: HAWKSWORTH,D.L., Ascomycete Systematics. Problems andPerspectives in the Nineties. Plenum Press. New York,London: 3-11JAGE, H.; KUMMER, V.; ILLIG, H. & PETRICK, W. 2006:Beitrag zur Kenntnis phytoparasitischer Kleinpilze inder Niederlausitz (Land Brandenburg) - Teil 2. Verh.Bot. Ver. Berlin Brandenburg 139: 195-274KREISEL, H. (Hrsg.) 1987: Pilzflora der DeutschenDemokratischen Republik. Basidiomycetes (Gallert-,Hut- und Bauchpilze). G. Fischer Verl. Jena. 281 S.LUDWIG, E. 2001: Pilzkompendium. Bd.1. Die kleine-ren Gattungen der Makromyzeten mit lamelligemHymenophor aus den Ordnungen Agaricales,Boletales und Polyporales. 758 S. + Abb.-Bd. IHW-Verl. EchingLUDWIG, E. 2007: Pilzkompendium. Bd. 2. Die größe-ren Gattungen der Agaricales mit farbigemSporenpulver (ausgenommen Cortinariaceae). 723 S.+ Abb.bd. Fungicon-Verl. Berlin OTTE, V. 2002: Untersuchungen zur Moos- undFlechtenvegetation der Niederlausitz. Ein Beitrag zurBioindikation. Peckiana 2: 1-340

Anschrift des Verfasssers:Dr. Dieter BenkertSiemensstraße 914482 [email protected]

Abb. 8

Roter Gitterling (Clathrus ruber); Berlin, Ar-boretum Baumschulenweg

Foto: D. Benkert

Abb. 9

Tintenfischpilz (Clathrus archeri); Branden-burg, Potsdamer Wildpark

Foto: D. Benkert

Abb. 10

Leuchtender Prachtbecher (Caloscypha ful-gens); Berlin, „Roter Dudel”

Aquarell: E. Ludwig

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214 NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 17 (4) 2008; 214-215

1 Einleitung

Das seit nunmehr über 30 Jahren erfolgreichetablierte Naturschutzinstrument „Rote Lis-ten” (RL) hat seit der ersten Einführungzahlreiche methodische Überarbeitungenerfahren und wurde dabei stärker objekti-viert. Immer häufiger werden Rote Listenals „Barometer” oder „Fieberthermometer”der Biodiversität bezeichnet, dokumentierensie doch in sehr eindrucksvoller Art undWeise die immer weiter zunehmende Be-drohung vieler Pflanzen- und Tierarten so-wie ganzer Lebensräume. Ziel der methodi-schen Fortschreibung Roter Listen ist nebeneiner möglichst vollständig von subjektivenEinschätzungen befreiten Einstufung vor al-lem auch die Vereinheitlichung der ange-wandten Kritierien unter Anwendung inter-national anerkannter Kriteriensysteme(IUCN). Auch in Brandenburg wurden dieEinstufungskriterien mehrfach der jeweilsaktuellen Methodik angepasst. Vor 11 Jah-ren erfolgte mit der Neuauflage der RotenListe für Vögel (DÜRR et al. 1997) in Bran-denburg erstmals die Umstellung auf dasIUCN-Kriteriensystem, welches danach beider Erstellung Roter Listen für insgesamt 14Artengruppen konsequent angewandt wur-de (vgl. ZIMMERMANN 1997, 2007).Dem internationalen Trend folgend, wurdedie Methodik der Erstellung Roter Listen inden letzten Jahren auch in Deutschland er-neut diskutiert und umfassend überarbeitet(LUDWIG et al. 2006). In Bund-Länder-Ar-beitsgruppen unter fachlicher Koordinationdes Bundesamtes für Naturschutz (BfN) er-folgt seitdem die Überarbeitung aktuellerRoter Listen für zahlreiche Artengruppen.Die Veröffentlichung soll in mehreren Bän-den in rascher Folge realisiert werden, derAnfang wurde mit der aktuellen Roten Listeder Vogelarten Deutschlands gemacht (SÜD-BECK et al. 2007). Mit der diesem Heft beiliegenden Roten Lis-te der Vogelarten Brandenburgs (RYSLAVY &MÄDLOW 2008) wird die erneute methodi-sche Fortschreibung auch in Brandenburgeingeführt und auch in den künftig erschei-nenden Roten Listen für verschiedene Ar-tengruppen angewandt werden. Abgese-hen von der zweifelsfrei fachlich notwendi-gen Objektivierung der Einstufungskriterienhat die erneute Kriterienumstellung aller-dings auch Nachteile. Der Vergleich derAussagen zur Gefährdungssituation in denaktuellen Roten Listen mit der in ihren Vor-gängern dargestellten Gefährdung wird er-

heblich erschwert. Da die Umstufung vielerArten in erster Linie auf der konsequentenAnwendung der neuen Einstufungskriterienund oft nicht auf tatsächlichen Bestandsver-änderungen beruht, haben beispielsweiseVergleiche der prozentualen Anteile der ein-zelnen – als solche unveränderten – Gefähr-dungskategorien praktisch kaum noch ei-nen Sinn. Solche Vergleiche können viel-mehr zu völlig falschen Aussagen undSchlussfolgerungen führen und sollten da-her weitgehend vermieden werden.

2 Grundsätze des überarbei-teten Kriteriensystems

Während die Kategorien der Roten Listenbeibehalten werden, sind künftig bei derEinstufung vier wesentliche Kriterien heran-zuziehen (in Anlehnung an LUDWIG et al.2006):• aktuelle Bestandssituation: Betrachtet

werden möglichst neue, höchstens aber25 Jahre alte Daten.

• langfristiger Bestandstrend: Betrachtetwerden Daten aus den letzten ca. 50 bis150 Jahren.

• kurzfristiger Bestandstrend: Betrachtetwerden nur Daten aus den letzten 10bis max. 25 Jahren.

• Risikofaktoren: Betrachtet werden (ausaktuellen Daten) diejenigen Faktoren,deren Wirkung begründet erwartenlässt, dass die Bestandsentwicklung inden nächsten zehn Jahren negativ seinwird.

Einem standardisierten Einstufungsschemafolgend (siehe in LUDWIG et al. 2006) wirdnach Einschätzung der Bestandssituationund der lang- und kurzfristigen Bestand-strends die Einstufung in eine Gefährdungs-kategorie vorgenommen. Liegen einer odermehrere Risikofaktoren vor, die für jede Ar-tengruppe ggf. spezifisch aufzulisten und zubeurteilen sind, kann dies zur Einstufung ineine höhere Gefährdungskategorie führen.Außerdem können jeweils artgruppenspezi-fisch bestimmte Sonderfälle definiert wer-den, die die Umstufung in eine andere Ge-fährdungskategorie abweichend vom vor-gegebenen Schema zulassen. Dies ist jedochgrundsätzlich detailliert zu begründen undzu dokumentieren, um keinen subjektivenEinschätzungen Raum geben zu können.Wesentliche fachliche Grundlage für die Er-stellung Roter Listen ist und bleibt eine sorg-fältige Gefährdungsanlalyse für jede einzel-ne, anhand einer für jede Artengruppe zuerstellenden Referenzliste ausgewählte Art.Die möglichst exakte Ermittlung der auf die

ROTE LISTEN DOKUMENTIEREN ALS „BAROMETER“ DER BIODIVERSITÄT IN SEHR EINDRUCKSVOLLER ART UND WEISE

DIE IMMER WEITER ZUNEHMENDE BEDROHUNG VIELER PFLANZEN- UND TIERARTEN SOWIE GANZER LEBENSRÄUME.

FRANK ZIMMERMANN

Rote Listen werden noch objektiver – Anwendung der überarbeitetenMethodik in BrandenburgSchlagwörter: methodische Fortschreibung der Roten Listen, Bestandstrend, Risikofaktoren

Abb. 1

Der Rundblättrige Sonnentau (Drosera rotundifolia) ist als Art der Vorwarnstufe vergleichs-weise gering gefährdet. Foto: F. Zimmermann

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FRANK ZIMMERMANN: ROTE LISTEN WERDEN NOCH OBJEKTIVER – ANWENDUNG DER ÜBERARBEITETEN METHODIK IN BRANDENBURG 215

LiteraturDÜRR, T.; MÄDLOW, W.; RYSLAVY, T. & SOHNS, G. 1997:Rote Liste und Liste der Brutvögel des LandesBrandenburg. Natursch. u. Landschaftspfl. Bbg. 6 (2)Beilage. 31 S.GRUTTKE, H. 2004: Grundüberlegungen, Modelle undKriterien zur Einschätzung der Verantwortlichkeit -eine Einführung. In: BfN (Hrsg.): Ermittlung derVerantwortlichkeit für die Erhaltung mitteleuropäi-scher Arten. Natursch. Biol. Vielfalt 8: 7-23LUDWIG, G.; HAUPT, H.; GRUTTKE, H. & BINOT-HAFKE, M.2006: Methodische Anleitung zur Erstellung RoterListen gefährdeter Tiere, Pflanzen und Pilze. BfN-Skripten 191. Bonn-Bad Godesberg. 97 S.RYSLAVY, T. & MÄDLOW, W. 2008: Rote Liste und Listeder Brutvögel des Landes Brandenburg 2008.Natursch. Landschaftspfl. Bbg. 16 (3) Beilage.SÜDBECK, P.; BAUER, H.-G.; BOSCHERT, M.; BOYE, P. &KNIEF, W. [Nationales Gremium Rote Liste Vögel]2007: Rote Liste der Brutvögel Deutschlands. 4.Fassg. 30. November 2007.ZIMMERMANN, F. 1997: Neue Rote Listen in Branden-

burg – Notwendigkeit – Stellenwert – Kriterien.Natursch. Landschaftspfl. Bbg. 6 (2): 44-48ZIMMERMANN, F. 2007: 10 Jahre Rote Listen gefährde-ter Tier- und Pflanzenarten in Brandenburg nachneuen Kriterien – Bilanz und Ausblick. Natursch.Landschaftspfl. Bbg. 16 (1): 7-14ZIMMERMANN, F.; DÜVEL, M. & HERRMANN, A. 2007:Biotopkartierung Brandenburg. Bd. 2 Beschreibungder Biotoptypen unter besonderer Berücksichtigungder nach § 32 BbgNatSchG geschützten Biotope undder Lebensaumtypen des Anhangs 1 der FFH-Richtlinie. Hrsg.: Landesumweltamt Brandenburg.Potsdam: 474-503

Anschrift des Verfassers:Dr. Frank ZimmermannLandesumweltamt Brandenburg/Ö2Seeburger Chaussee 214476 [email protected]

Abb. 2

Waldeidechse Foto: W. Klaeber

gefährdeten Arten einwirkenden Gefähr-dungsursachen ist sowohl für die Einstufungals auch die Ableitung des naturschutzfachli-chen Handlungsbedarfs unabdingbar. Au-ßerdem sollte grundsätzlich auch die Verant-wortlichkeit für die Erhaltung jeder einzelnenArt in Anlehnung an GRUTTKE (2004) analy-siert und bewertet werden, da dies vor allemfür die Beurteilung des Handlungsbedarfsvon herausragender Bedeutung ist. DieWirksamkeit des Instrumentes Rote Listelässt sich dadurch erheblich erweitern, kön-nen doch so auch gering gefährdete odersogar aktuell bei uns ungefährdete Arten ge-zielt in den Fokus von Naturschutzbemü-hungen gerückt werden.

3 Wie geht es weiter mitRoten Listen inBrandenburg?

Nach der neuen Roten Liste der Biotopty-pen (in ZIMMERMANN et al. 2007) und dermit diesem Heft erscheinenden Neufassungder RL Vögel in den nächsten Jahren Über-arbeitungen bzw. Erstauflagen der RotenListen Brandenburgs für weitere Artengrup-pen in Bearbeitung:• Eintagsfliegen• Wespen und Bienen• Pflanzengesellschaften (erscheint voraus-

sichtlich 2009)Für folgende weitere Artengruppen bestehtaus fachlicher Sicht in den folgenden Jahrenein erheblicher Bedarf für die Überarbeitung(letzte Bearbeitung 1992 bzw. 1993!):• Säugetiere• Mollusken• Armleuchteralgen• FlechtenAußerdem sollen schrittweise weitere Ar-tengruppen einer Überarbeitung hinsichtlichder aktuellen Kriterien unterzogen werden,für die Rote Listen nach der ersten Kriterien-umstellung in Brandenburg (1997) erschie-nen sind (z. B. Fische, Schmetterlinge, Käfer,Heuschrecken). Eine baldige grundsätzlicheÜberarbeitung der in den letzten 5 Jahrenerschienenen Listen (z. B. Moose, Amphi-bien/Reptilien, Gefäßpflanzen) ist hingegennicht erforderlich.

LITERATURSCHAU

Auf dem Wege - 10 Jahre Naturpark Dah-me-HeideseenJahreBuch 2009

Das „JahreBuch 2009” zur Natur und Land-schaft des Dahmelandes liegt druckfrischvor – nicht nur zur Freude der Sammler, diejetzt bereits zehn Bände haben(!), sondernauch zur Freude aller Natur- und Naturpark-Freunde. Woche für Woche können sie einneues Kalenderblatt mit schönen, interessan-ten und romantischen Motiven genießen underhalten dazu viele fachliche Informationen,dieses Mal sogar auf dem Kalenderblatt. „Das Zehnte zum Zehnten” – so schreibt

Hans Sonnenberg eingangs in dem allseitsbekannten und beliebten Jahreskalender-Buch des Naturschutzbundes Deutschland,Regionalverband „Dahmeland” und desNaturparkes Dahme-Heideseen, Landesum-weltamt Brandenburg.Dazu werden die 10 Jahrebücher in ihreransprechenden Gestaltung noch einmal imBild vorgestellt.Es gibt wohl keinen Betrachter, der nichtHochachtung vor dieser kontinuierlichenLeistung über eine ganze Dekade hinwegund Freude über den nun schon vertrautenJahresbegleiter verspürt.Wie alle Jahre von Anfang an, widmet sich

auch das Jahrbuch 2009 mit den Wochen-Kalenderblättern in seinem Beitragsteil derNatur und Landschaft des Dahmelandes mitaktuellen, historischen, naturwissenschaft-lichen und kulturellen Texten. Die Vielfaltder Themen ist immer wieder spannend undlädt dazu ein, selbst einmal alles vor Ort inAugenschein zu nehmen.

Zu erhalten unter der Adresse:Naturschutzzentrum PrierosArnold-Breithor-Straße 8OT Prieros15754 Heidesee

B. Kehl

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216 NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 17 (4) 2008; 216-219

Bis 1938 gab es auf dem Territorium desheutigen Brandenburgs 14 Naturschutzge-biete. Im selben Jahr, vor 70 Jahren, wurdenper Verordnung des Regierungspräsidentenin Potsdam mit „Leue”, „Rauhes Luch”,„Großer Stechlin-, Nehmitz- und GroßerKrukowsee” und „Fauler Ort” vier neueNaturschutzgebiete festgesetzt.

1 NSG „Großer Stechlin,Nehmitz- und GroßerKrukowsee”

Das wohl bekannteste unter diesen ist dasGebiet „Großer Stechlin, Nehmitz- undGroßer Krukowsee” u. a. durch den Stechlinselbst, der Theodor Fontane zu dem gleich-namigen Roman inspirierte, aber auch durchseine eher traurige Berühmtheit als Wasser-auffang- und Durchlauf für den Kühlkreis-lauf des ersten Kernkraftwerkes der DDR.Den Bau und die Inbetriebnahme in den60er Jahren in einem der sensibelstenÖkosysteme und inmitten eines Natur-schutzgebietes konnten Naturschützer nichtverhindern. Bau und Betrieb des KKW warenfür den Stechlinsee und das Ökosystemschlicht eine Katastrophe, für die Limnologieund Ökosystemforschung allerdings einMeilenstein. Geradezu skurril erscheint esaus heutiger Sicht, dass in der Folge desKernkraftwerksbaues die Ökosystemfor-schung für den Naturschutz einen regel-rechten Anschub erhielt und ihr zum Auf-

schwung verhalf, wie sonst nirgends in derDDR. Es entstand eines der renommiertesten– auch international anerkannten – limnolo-gischen Forschungsinstitute, das bald welt-weit führend auf diesem Gebiet wurde.CASPER (1974) schrieb u. a.: „… das Stechlin-see-System ist im Grunde genommen biolo-gisch „gesund” und daher ein sehr empfind-licher Reaktor auf Störungen aus seinerUmgebung.” Und an anderer Stelle: „... derStechlin, bietet sich … für die Modellierungbiologischer Prozesse, für die Analyse desUrsache-Wirkung-Gefüges in Ökosystemenin einem besonders erfolgversprechendemMaße an.” Das Naturschutzgebiet selbstwurde in den späteren 70er Jahren, als dieUmweltforschung auch in der DDR stärkerFuß fasste, als Monitoringfläche für saubereLuft ausgewählt. Das Naturschutzgebiet„Stechlin-, Nehmitz und Großer Krukowsee”gehörten damit zu den best. untersuchtenSeenökosystemen weltweit (Abb. 1, 2).„... Da lag er vor uns, der buchtenreicheSee, geheimnisvoll, einem Stummen gleich,den es zu sprechen drängt. Aber die un-gelöste Zunge weigert ihm den Dienst undwas er sagen will, bleibt ungesagt. Und nunsetzten wir uns an den Rand eines Vor-sprunges und horchten auf die Stille. Dieblieb, wie sie war: kein Boot, kein Vogel;auch kein Gewölk. Nur Grün und Blau undSonne. ...” Theodor FontaneVon diesem landschaftlichen Reiz und seinerSchönheit hat der Stechlinsee bis heute mitAusnahme des zunehmenden Tourismus

und damit fehlender Stille kaum etwas ver-loren (Abb. 3). Jedoch ist das von J. Caspervor Inbetriebnahme des Kernkraftwerk(KKW) noch als „gesundes Ökosystem”bezeichnete Stechlinsee-Gebiet biologisch„krank”. Neben dem KKW gab es zusätz-lich noch eine Vielzahl von Faktoren, vondenen etliche bereits ausgeschaltet sind, diein dieses sensible Ökosystemgefüge hinein-wirkten. Dazu gehörten u. a. der Zuflussaus dem hocheutrophen Dagowsee, diefehlende zentrale Kläranlage für den OrtNeuglobsow, ein großer Campingplatz,Parkplätze und die Tauchbasis. Noch heute, nach weit mehr als 20 Jahrenstillgelegtem KKW, und dessen in den 90erJahren begonnenen Rückbau, sind drama-tische Auswirkungen nicht nur spürbar, son-dern setzen den Prozess einer wohl irrepara-blen Entwicklung des Sees fort. Der einstoligotrophe See ist heute nur noch alsschwach mesotroph einzustufen und dieQualität, u. a. indiziert an der Sichttiefe,sinkt weiter.Ob es jemals gelingen wird, den Stechlinseewieder zu einem oligotrophen See zu rena-turieren und die Fehler der Vergangenheitzu korrigieren, bleibt zu hoffen. Vielleichtgelingt es der modernen Süßwasserlimnolo-gie, die quasi ihren Aufschwung am Stechlinerfuhr, hierzu einen Weg aufzuzeigen. Dannwäre auch der mit seinen verheerenden Fol-gen für den See krank machende Kreislauf,ausgelöst vom Kühlwasserstrom des KKWunterbrochen und durch eine Entwicklung

Abb. 1

NSG Stechlin – Nehmitzsee, Nordteil (Aufnahme Mai 1975) mitdem Auslaufkanal des Kühlwassers vom KKW Rheinsberg,

Foto: Archiv für Landschaftspflege und Naturschutz (ILN), W. Scheffler

Abb. 2

Gebäude des Limnologischen Forschungsinstitutes, AußenstelleStechlinsee, in Neuglobsow (Aufnahme: 1977)

Foto: Archiv ILN, W. Scheffler

TROTZ IHRER UNTERSCHIEDLICHEN AUSSTATTUNG UND ENTWICKLUNG SPIEGELN DIESE SEIT 70 JAHREN BEDEUTENDEN

NATURSCHUTZGEBIETE IN UNTERSCHIEDLICHSTER WEISE AUCH EIN STÜCK GESCHICHTE DES NATURSCHUTZES WIDER.

MATTHIAS HILLE, THOMAS SCHOKNECHT, FRANK ZIMMERMANN

70 Jahre Naturschutzgebiete (NSG) Leue, Rauhes Luch, Fauler Ort undStechlin-, Nehmitz- und Großer KrukowseeSchlagwörter: NSG Großer Stechlin, Nehmitz- und Großer Krukowsee, NSG Leue, Fauler Ort, Melzower

Forst, Stechlin-, Nehmitz- und Großer Krukowsee

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MATTHIAS HILLE, THOMAS SCHOKNECHT, FRANK ZIMMERMANN: 70 JAHRE NATURSCHUTZGEBIETE (NSG) LEUE, RAUHES LUCH ... 217

abgelöst, die am Ende wieder zu einemgesundenden Stechlinsee-System führt. Die hervorragende Naturausstattung desNSG wurde bereits in einem Beitrag vonSCHEFFLER (1999) zum 60-jährigen Bestehenumfassend gewürdigt. Ende 2002 wurde dasGebiet schließlich auf eine Fläche von 7.980ha erweitert und ist in dieser Abgrenzungauch als FFH- und Vogelschutzgebiet Be-standteil des europäischen Schutzgebietssys-tems NATURA 2000. Seit 2003 ist das Ge-biet Teil des Naturparks „Stechlin-RuppinerLand”. In den Jahren 2001 bis 2005 war dasNSG Stechlin Gegenstand eines umfang-reichen EU-LIFE-Projektes. In dessen Rah-men ging es in erster Linie um die Sanierungverschiedener schädigender Auswirkungender vorangegangenen Jahrzehnte auf dieempfindlichen Ökosysteme (vgl. LÜTKEPOHL

& FLADE 2004). In diesem Zusammenhangerfolgte jedoch auch eine aktuelle Bestands-aufnahme und Bewertung verschiedenerOrganismengruppen und Lebensräume desGebietes.

Durch die Einbeziehung weiterer nährstoff-armer Klarwasserseen (z.B. Wittwesee, Gr.und Kl. Tietzensee, Roofensee, Peetschsee)hat das Gebiet noch mehr als bisher an bun-des- und europaweiter Bedeutung für dieErhaltung des FFH-Lebensraumtyps 3140gewonnen. Zwar gehört der berühmte Stech-linsee auch heute noch zu den sauberstenSeen Norddeutschlands, befindet sich ak-tuellen Untersuchungen zufolge aufgrund derNachwirkungen der früheren negativen Ein-flüsse derzeit in schwach mesotrophem Zu-stand. Frühere floristische Besonderheitenunter den Wasserpflanzen wie das RötlicheLaichkraut (Potamogeton ritilus, früher imRoofensee) oder das Kleine Nixkraut (Najasminor) sind leider verschwunden. Auch einigeoligo- bis mesotraphente Armleuchteralgen(z. B. Chara aspera, Ch. filiformis) sowieLaichkrautarten (Potamogeton compressus, P.alpinus) sind deutlich zurückgegangen(BUKOWSKY & SPIEß 2004). Mehrere meso-troph-sauere Kessel- und Verlandungsmoorewie z.B. der Große und Kleine Barschsee und

das Moor am Steutzensee sind auch heutenoch weitgehend intakt. Ein knappes Drittelder Fläche des NSG-Stechlin in seiner heuti-gen Ausdehnung wird von artenreichenBuchenwäldern (überwiegend Drahtschmie-len-Buchenwald, FFH-LRT 3130) einge-nommen, die einen hohen Totholzanteilaufweisen. Insgesamt kommen im Gebiet15 FFH-Lebensraumtypen und 14 Arten desAnhangs II der FFH-Richtlinie vor.Für verschiedene Gruppen von Tierarten hatdas NSG Stechlin besondere Bedeutung.Hervorzuheben ist dabei das Vorkommen derFontane-Maräne (Coregonus fontanae), beider es sich aktuellen Untersuchungen zufolge(SCHULZ & FREYHOF 2003) um eine eigen-ständige, entwicklungsgeschichtlich sehrjunge Art handelt.

2 NSG Leue

Das nur 3,7 ha große, ca. 10 km südlich vonKönigs Wusterhausen unmittelbar an derAutobahn A13 liegende NSG Leue wurde1938 aufgrund des außerordentlichen Reich-tums an seltenen Moorpflanzen unter Schutzgestellt. Damals zeichnete sich das Moorge-biet v. a. durch eine gut ausgebildete Zwi-schenmoorvegetation aus, in der die GrüneWollgras-Torfmoosgesellschaft (Sphagno re-curvi-Eriophoretum vaginati HUECK 1929)dominierte. Bereits zu dieser Zeit unterlag dasGebiet verschiedenen Gefährdungen, vorallem durch die Zerschneidung des ur-sprünglichen Moorgebietes durch den Bauder Autobahn A13 im Jahre 1936. Durchzeitweise Nutzung von Teilflächen alsWiesen, Fischbesatz im Restsee sowie an-thropogene Grundwasserabsenkungen hatsich die Vegetation bis heute deutlich verän-dert, wie vegetationskundliche Untersuchun-gen von HEINKEN (1995) zeigen. Die offeneMoorvegetation hat sich in großen Teilen zuKiefern-dominierten Moorwaldstadien ge-wandelt. Bei der FFH-Gebietsmeldung imJahr 2000 wurden die südlich angrenzendenFlächen um den Wilden See mit ähnlichenVegetationseinheiten einbezogen und dasGebiet somit auf 51 ha erweitert. In diesenErweiterungsflächen sind aktuell die Vegeta-tionseinheiten der offenen Moore, die einstzur Unterschutzstellung der Leue geführthaben, noch besser erhalten. Der 6-streifigeAusbau der A 13 war mit weiteren negativenAuswirkungen auf das Gebiet verbunden.

3 NSG Rauhes Soll

Am 26.02.1938 wurde das Rauhe Soll ineiner Größe von 3,1 ha durch denRegierungspräsidenten Potsdam mit einemallgemeinen Verbotskatalog zum Schutzvon Pflanzen, Tieren und dem Boden alsNaturschutzgebiet festgesetzt. Unberührtvon den Verboten blieben zur damaligenZeit die Nutzung einer Viehtränke imsüdlichen Bereich und die zur Erhaltung vonHecken notwendigen Maßnahmen.Im Jahre 1980 wurde von der ILN Arbeits-

Abb. 3

Herbstaspekt am Stechlin (25.10.2008) Foto: B. Kehl

Abb. 4

Ästiger Stachelbart (He-ricium clathroides), einseltener Pilz, der aufAltholz in naturnahenWäldern angewiesen ist– hier auf einem liegen-den Stamm einer Bucheim NSG Stechlin

Foto: M. Hille

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218 NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 17 (4) 2008

gruppe Potsdam der Vorschlag an den Kreisherangetragen, das Gebiet in ein Flächen-naturdenkmal umzuwandeln. Im Handbuchder Naturschutzgebiete (FISCHER et al.1982)wird es deshalb nicht behandelt. DerVorschlag wurde aber offensichtlich nichtrealisiert. Im Beschluss Nr. 0046-13/81vom 15.07. 1981 des Kreistages des KreisesPritzwalk (Programm zur planmäßigenGestaltung der sozialistischen Landeskulturim Kreis Pritzwalk) wird das Rauhe Soll alsNSG, das naturwissenschaftlichen Beobach-tungen dient, wieder genannt.Im Schutzgebietsarchiv des Landesum-weltamtes befinden sich Unterlagen aus demJahre 1935 mit einer Bestandsaufnahme derGefäßpflanzen- und Brutvogelarten sowieeinem Kostenvoranschlag zum Bau eines Za-uns um das Soll und die Pflanzung einerHecke mit Pappeln, Birken und Ebereschen.Die angesetzten Kosten beliefen sich ein-schließlich einer Neuvermessung der Grenzenauf 600,50 RM. Das Moor wurde als relativtrocken beschrieben. Seggenbülten warenüber 1 m hoch und 60 cm stark. Im RauhenSoll wuchsen seinerzeit junge, frühzeitig ab-sterbende Birken, Wollgras, Torfmoose,Sumpfblutauge Fieberklee und Arten der re-icheren Übergangsmoore wie Gilbweiderich,Helmkraut, Sumpfhaarstrang u. a. In denGräben und im „Teich” fanden sich dichteBestände der Wasserfeder.Nach der Unterschutzstellung wurden dannauch tatsächlich Weißdorn, Grauerlen,Moorbirken und Wacholder gepflanzt, umder Vogelwelt Verstecke und Nistgelegen-heiten zu bieten. In einer Beschreibung ausdem Jahre 1958 wird eine Hecke aus Weiß-dorn und Grauerlen erwähnt. Der Teich be-fand sich in stark fortgeschrittener Verlan-dung, man konnte die SukzessionsreiheSteifseggenried-Weidengebüsche-Erlen-bruch beobachten. Ein hoher Anteilabgestorbener Bäume deutete damals auf

steigende Wasserstände während der vor-angegangenen letzten Jahre. Das Gros derin den 30er Jahren genannten Arten war of-fensichtlich noch vorhanden.Auch noch im Jahr 1965 existierten dieHeckenpflanzungen um das Soll. Es wirdaußerdem auf die Reste eines Torfmoos-Wollgras-Moorbirken-Bruches im Zentrumdes Moores hingewiesen. Der Teich fiel indieser Zeit offensichtlich periodisch trockenund die Arten der reicheren Übergangs-moore waren verbreitet anzutreffen. Denausgedehntesten Teil der Moorvegetationbildete ein Steifseggenried.In dem Entwurf eines Pflegeplans aus demJahr 1993 wurde eine weit fortgeschrittene

Verbuschung durch Weidenarten und einesich stark ausbreitende Vegetation ausBrennnesseln und Brombeeren festgestellt.Um der offensichtlichen Eutrophierung ausden umliegenden Ackerflächen zu begeg-nen, sollte ein Schutzstreifen von 20 bis 50 min Grünland umgewandelt werden. Einweiteres Entwicklungskonzept aus dem Jahr2001 zeichnet dasselbe Bild.Im Jahr 2003 wurden Sanierungsarbeiten imGebiet durchgeführt. Die Gräben und der„Teich” wurden ausgebaggert. Weidenge-büsche, Brennnessel- und Brombeergestrüppwurden gerodet.Derzeit dominieren in den WasserflächenFlutender Schwaden (Glyceria fluitans) undWasserfeder (Hottonia palustris), dazu dasflutende Moos Leptodictyum riparium.Weitere Arten sind Wasser-Knöterich (Poly-gonum amphibium), Schwimmendes Laich-kraut (Potamogeton natans), Wasserfenchel(Oenanthe aquatica), Flammender Hahnen-fuß (Ranunculus flammula). Die bei derSanierung entstandenen mineralischen Roh-böden werden von Beständen der Flatter-binse (Juncus effusus) und des Gilbweide-richs (Lysimachia vulgaris) eingenommen.Der zentrale Torfkörper des Rauhen Sollsliegt etwa 0,5 m über dem Wasserspiegel.Er ist zu großen Teilen mit Grauweiden- undBirkengebüschen bewachsen (Abb. 5).Die hier dargestellte Zeitaufnahme zeigt,dass die objektive Bewertung eines Land-schaftsausschnittes sehr schwer ist. Es wirddeutlich, dass in den 80 Jahren seit Aus-weisung des Gebietes kräftige Schwankun-gen des Wasserspiegels stattgefunden haben.Das Verschwinden der oligo- bis meso-traphenten Moorvegetation und im Gegen-zug die Ausbreitung von Brombeeren undBrennesseln spiegelt eine kräftige Eutro-phierung seit den 60er Jahren wieder. Die Sanierungsmaßnahmen haben zu neuen

Abb. 5

Kleingewässer im Rauhen Soll fünf Jahre nach der Sanierung Foto: T. Schoknecht

Abb. 6

Totholzreiche Zerfallsphase mit reicher Verjüngung von Buche und Bergahorn

Foto: T. Schoknecht

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MATTHIAS HILLE, THOMAS SCHOKNECHT, FRANK ZIMMERMANN: 70 JAHRE NATURSCHUTZGEBIETE (NSG) LEUE, RAUHES LUCH ... 219

Wasserflächen geführt und damit den Habi-tatwert des Gebietes u. a. für Amphibien-,Libellen- und Vogelarten deutlich erhöht.Nährstoffe konnten durch das Ausbaggernentfernt werden. Die Wasserversorgung derTorfe und der Moorvegetation ließ sichmit den Renaturierungsmaßnahmen nichtverbessern.

4 NSG Fauler Ort

Mit der Verordnung des Regierungspräsi-denten in Potsdam über das Naturschutzge-biet Fauler Ort in der Staatsforst Gramzow,Kreis Angermünde wurde am 31. Mai 1938einer der besonders naturnahen Ausschnitteder nordostdeutschen Buchenwälder in einerGröße von 18,92 ha rechtlich geschützt.Durch die Verordnung wurde eine wirt-schaftliche Nutzung unterbunden. Unbe-rührt blieben waldbauliche Maßnahmen, diemit der Sicherung des Schutzgebietes im Ein-klang standen sowie die Nutzung der in dieForstabteilung 2b eingebrachten Eschen.Dem rund 250-jährigen Buchenbestandwaren zu dieser Zeit einzelne 400-jährigeBuchen beigemischt.Behandlungsrichtlinien des Rates des Bezirkesaus den Jahren 1969 und 1974 ordnen allenFlächen die Bewirtschaftungsgruppe 1.3 derDienstanweisung Nr. 12/66 des StaatlichenKomitees für Forstwirtschaft der DDR zu.Das bedeutet, dass die Bestände nichtgenutzt werden durften.Mit Beschluss des Bezirkstages Neubran-denburg vom 13.3.1989 wurde das Gebietum 10 ha vergrößert. Die Verordnung zumBiosphärenreservat Schorfheide-Chorin vom12.9.1990 sichert den Faulen Ort als Be-standteil des NSG Melzower Forst. Inner-halb dieses NSG wird das Totalreservat auf78,6 ha vergrößert.Im Jahr 1952 galt das Gebiet als noch guterhalten, obwohl die Entnahme einzelner al-ter Bäume das Landschaftsbild veränderthatte. Aus dem Jahr 1959 stammt einBeschluss des Jagdbeirates des Bezirks

Neubrandenburg, der die Wilddichte inWaldschutzgebieten wie u. a. dem FaulenOrt festlegt. Angestrebt waren je 100 ha0,5 Stück Rotwild, 1 Stück Damwild, 1,5Stück Rehwild, bei Abwesenheit von Dam-und Rotwild 3 bis 4 Stück Rehwild.Weitere Hinweise zu Nutzung gibt es leideraußer einer vermutlich aus den 1960erJahren stammenden, nicht datierten An-merkung (ohne Autor), nach der im damals210- bis 250-jährigen Buchenbaumholzkeine wirtschaftlichen Maßnahmen durch-geführt wurden (bis auf die Aufarbeitungvon Windwurf). Es wurde empfohlen, auchden Trocknisanfall nicht zu entfernen. 1975wurden einige Bäume entlang der BahnlinieBerlin-Prenzlau zur Verkehrssicherung ein-geschlagen.Die sehr detaillierte vegetationskundlicheBeschreibung des Gebietes im Handbuchder Naturschutzgebiete der DDR (JESCHKE etal. 1980) trifft auch heute noch weitestge-hend zu.Schutzziel ist die Erhaltung eines Perlgras-Buchenwaldes (Melico-Fagetum) in natur-naher Ausbildung als Totalreservat. Eingroßer Teil der Bestände hatte zu diesemZeitpunkt die Optimalphase seiner Entwick-lung bereits überschritten und war in dieZerfallsphase eingetreten. In der Verjün-gung findet, nicht überall, aber dochgroßflächig, ein Baumartenwechsel unterstarker Ausbreitung des Berg-Ahorns statt.Diese kurze Chronologie zeigt, dass letztlichetwa 30 bis 40 Jahre vergehen mussten, biseiner der wertvollsten Waldbestände Bran-denburgs endgültig der direkten Nutzungentzogen werden konnte. So unterschiedlich in der Ausstattung undihrer Entwicklung, spiegeln diese nunmehrseit 70 Jahren bestehenden Naturschutzge-biete in unterschiedlichster Weise auch einStück Geschichte des Naturschutzes undseiner Arbeit wider. So stellt das heutigeNSG Stechlin in seiner Gesamtheit mit Er-weiterungen um den berühmten Stechlin-see, der wegen seiner verhängnisvollen„KKW-Epoche” unter nachhaltigen Spätfol-

gen leidet, trotzdem insgesamt einen her-ausragenden und wertvollen Bestandteil imeuropäischen Netz NATURA 2000 dar. Mitden Forschungsarbeiten im NSG Stechlinbegann eine Phase, in der Wissenschaft undÖkosystemforschung im Naturschutz Ein-zug hielten und das Naturschutzgebiet alsFreilandlabor und praktische Modellierre-gion fungierte. Der Faule Ort nahm eine insgesamt positiveEntwicklung. Es fanden seit der Unter-schutzstellung keine nennenswerten wirt-schaftlich motivierten Nutzungen statt. DasTotalreservat ist in zwei Schritten deutlichvergrößert worden und heute kein eigen-ständiges NSG mehr sondern Bestandteil desmit der Ausweisung des Biosphärenreser-vates Schorfheide-Chorin entstandenen NSGMelzower Forst.Die in erster Linie dem Schutz von Moorendienenden NSG Leue und Rauhes Soll stellen,die dem allgemeinen Trend folgend, typischeBeispiele für Probleme in Naturschutzge-bieten durch Eutrophierung, Wasserabsen-kung und Klimawandel dar. Die Leue, imSchutzgebietssystem NATURA 2000 als FFH-Gebiet nochmals erweitert sowie das kleineRauhe Soll werden im ständigen „Kampf”gegen die weitere Verlandung quasi nur nochdurch den „Tropf” von Maßnahmen amLeben gehalten. Ähnlich stellt sich die Situa-tion heute in vielen Mooren dar.

LiteraturBUKOWSKY, N. & SPIEß, H.-J. 2004: DIE PFLANZENWELT

DER SEEN. IN: LÜTKEPOHL, M. & FLADE, M. (Hrsg.) 2004:Das Naturschutzgebiet Stechlin. Verl. Natur & Text inBrandenburg. Rangsdorf: 72-79CASPER, S. J. 1974: Die Aufgaben der limnologischenForschung im Naturschutzgebiet Stechlin. Natur-schutzarb. Berl. Bbg. 10 (2): 34-36FISCHER, W.; GROßER, K. H.; MANSIK, K.-H. & WEGNER,U. 1982: Naturschutzgebiete der Bezirke Potsdam,Frankfurt (Oder) und Cottbus sowie der Hauptstadtder DDR Berlin in Fontane, T. 1919: Wanderungendurch die Mark Brandenburg. Erter Teil. DieGraffschaft Ruppin. Cotta´sche Buchhandl.: 343HEINKEN, A. 1995: Vegetationskundliche Unter-suchungen zur Erweiterung des NSG Leue(Ostbrandenburg). Unveröff. Dipl.-Arb. Freie Uni-versität Berlin. 143 S.JESCHKE, L.; KLAFS G.; SCHMIDT, H.; STARKE, W. 1980:Naturschutzgebiete der Bezirke Rostock, Schwerinund Neubrandenburg. In WEINITSCHKE, H. (Hrsg.)1980: Handbuch der Naturschutzgebiete derDeutschen Demokratischen Republik. Bd. 1, 2. Aufl.:287-289LÜTKEPOHL, M. & FLADE, M. (Hrsg.) 2004: DasNaturschutzgebiet Stechlin. Verl. Natur & Text inBrandenburg. Rangsdorf. 276 S.SCHEFFLER, E. 1999: 60 Jahre Naturschutzgebiet„Stechlin”. Natursch. Landschaftspfl. Brg. 8 (2): 42SCHULZ, M. & FREYHOF, J. 2003: Coregonus fontanae,a new spring-spawning cisco from Lake Stechlin,northern Germany (Salmoniformes: Corigonidae).Ichthyological Exploration of Freshwaters 14 (3): 209-216WEINITSCHKE, H. 1982 (Hrsg.): Handbuch derNaturschutzgebiete der Deutschen DemokratischenRepublik. Bd. 2., 2. Aufl.: 18

Anschrift der Verfasser:Dr. M. HilleDr. T. SchoknechtDr. F. ZimmermannLandesumweltamt BrandenburgSeeburger Chaussee 214476 Potsdam, OT Groß Glienicke

Abb. 7

Buchen-Schleimrübling (Oudemansiella mucida) ein charakteristischer Pilz unserer Buchen-wälder Foto: M. Hille

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220 NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 17 (4) 2008

1 Einleitung

Im Jahr 2007 erfolgte im Bereich des Natur-schutz- (NSG) und FFH-Gebietes Zarth einKauf von 254 ha Eigentum der Stadt Treuen-brietzen durch das Vogelschutz-Komitee e. V.mit dem Ziel einer dauerhaften Sicherung desGebietes für den Naturschutz. Es wurde hier-mit die Voraussetzung für den Erhalt eineslandesweit bedeutsamen historischen Wald-standortes (Abb. 1) und die mittelfristigeStabilisierung des Wasserhaushaltes in einemHangquell- und Durchströmungsmoor imNaturpark Nuthe-Nieplitz geschaffen.

2 Gebietszustand

Der Zarth ist ein ca. 260 ha großer Komplexaus Feuchtwäldern verschiedener Ausprä-gung sowie ca. 50 ha Feuchtwiesen undSeggenrieden, die aus mehr als 15 Einzelflä-chen bestehen. Es ist neben dem Schöben-dorfer Busch der größte naturnah erhalteneFeuchtwaldkomplex im westlichen BarutherUrstromtal (vgl. KRAUSCH 1995). Das Gebiet weist eine fast durchgehendeGeländeneigung in nördliche Richtung auf.Die Höhendifferenz zwischen den Quellwas-seraustritten auf ca. 60 m NHN und demnördlichen Rand der Moorverbreitung auf50 m NHN beträgt 10 m auf 2 km Länge.Das gesamte durch Quellwasserzustrom,Moorsubstrat (BOHL 1997), Feuchtwälderund umgebende Grünlandnutzung geprägteGebiet hat eine Größe von ca. 400 ha.Dominierende Waldbiotope auf den Moor-standorten sind Erlen-Bruchwälder mit Prä-gung durch Quell- und Überrieselungs-wasser sowie Erlen-Eschen-Wälder. Der Grundwasserzustrom erfolgt aus densüdlichen angrenzenden Höhenlagen desNiederen Fläming. Hauptvorfluter ist das

Wendewasser, das aus vier Quellbächen ge-speist wird. Hydrologisch prägend sind aberv. a. die künstlichen Gräben im Nordbereich(Kanal der Freiheit) und das ausgebaute Bar-denitzer Fließ, das den Zarth am Ostrandtangiert. Ein zusätzliches Binnengrabensys-tem existiert im Zarth nicht. Ein ausgebautesWegenetz ist nicht vorhanden. Die einzig be-fahrbare Erschließung erfolgt über einen ca.3 km langen Weg in Ost-West-Richtung.Historische Kartenwerke und ältere Luftbil-der (vgl. BOHL 1997) belegen eine mehrereJahrhunderte lange Wiesennutzung auf ca.80% des Zarth. Eine dauerhafte Bewaldungist für die südlichen und östlichen Quell-regionen sowie den nordöstlichen Bereich aufMineral- und Anmoorboden anzunehmen.Hier finden sich heute Reste von Nieder- undHutewäldern mit tw. sehr alten Stieleichen,Ulmen und Hainbuchen. Die Standortvielfalt und die trotz Entwässe-rungsmaßnahmen vergleichsweise guteWasserversorgung der Wälder und Wiesenzog bereits vor Jahrzehnten Naturschützerund Besucher an. Vegetationskundliche Un-tersuchungen nahmen FREITAG & KÖRTGE

(1958) sowie BOHL (1997) und LINDER

(2007a) vor. Eine intensive Gebietsbetreu-ung und Untersuchung (PRINKE 2000) er-folgt seit vielen Jahren durch E. Prinke. Die Avifauna wird seit Mitte der 70er Jahredurch Peter Schubert erfasst. Seit 1999 wirddie Gebietsbetreuung durch die Naturwachtund Verwaltung des Naturparks Nuthe-Nie-plitz unterstützt. Bemerkenswert ist nebendem Artenreichtum von 92 Brutvögeln v. a.das Vorkommen von 5 Spechtarten (incl.Mittelspecht als „Urwaldart”), den Feucht-waldarten Kranich, Schwarzstorch, Wald-wasserläufer, Waldschnepfe sowie Wespen-bussard, Baumfalke, Rot- und Schwarzmilan(SCHUBERT 2006).Eine aktuelle Vegetationserfassung erfolgtedurch LINDER (2007b) für die Offenflächen.Dabei wurden 249 Farn- und Blütenpflan-zen (40 Rote-Liste-(RL)-Arten) sowie 14Moose (1 RL-Art) nachgewiesen. Von denFeuchtwiesen-Orchideen Breit- und Steif-blättriges Knabenkraut wurden über 3.000Pflanzen gezählt, bei Dactylorhiza incarnatanur ca. 60. Diese artenreichen Flächen wer-den seit vielen Jahren durch extensive Nut-zung mit angepasster Technik bewirtschaf-tet (vgl. PÄPKE 2005).Fast das gesamte Naturschutzgebiet be-inhaltet nach § 32 BbgNatSchG besondersgeschützte Biotoptypen. Im Standard-Da-tenbogen für die FFH-Gebietsmeldung sindneben den basiphilen Pfeifengraswiesen

(FFH-LRT 6410) noch die LebensraumtypenFlüsse ... mit Vegetation des Ranunculionfluitans ... (3260), feuchte Hochstaudenflu-ren (6430), kalkreiche Niedermoore (7230),Stieleichen-Hainbuchenwald (9160) sowieAuen-Wälder mit Alnus glutionosa und Fra-xinus excelsior (91E0) aufgeführt. Der An-teil der FFH-Lebensraumtypen am FFH-Ge-biet umfasst ca. 43%.Insbesondere die Vegetation der kalkreichenNiedermoore ist heute nur noch auf kleins-ter Fläche vorhanden. Viele Charakterartendieses ökologischen Moortyps sind im Ge-biet ausgestorben. Dies betrifft v. a. Arten,die hohe Ansprüche an den Wasserstandstellen und auf Pfeifengraswiesen nichtdauerhaft durch Pflege erhalten werdenkönnen. Auch die dem FFH-Lebensraumtyp91EO zuzurechnenden Auenwälder aufQuell- und Durchströmungsmoor kamen imZarth vermutlich in größerer Flächenaus-dehnung vor. Im Moorschutzrahmenplan(NATURSCHUTZFONDS & LUA 2007) ist derZarth in die Kategorie 2a (erheblich gestörteBraunmoosmoore) und teilweise 2c (natur-nahe Durchströmungs-, Quell- und Hang-moore) eingestuft. Er zählt damit zu denwertvollen sensiblen Mooren in Branden-burg, für die mittelfristig Maßnahmen zurMoor-Revitalisierung durchgeführt werdensollen. Der Moorschutzrahmenplan wendetsich hierbei als Konzeption und Handlungs-empfehlung an alle interessierten und zu-ständigen Institutionen und Personen. DerNaturSchutzFonds und das Landesumwelt-amt sind bei der Umsetzung des Moor-schutzrahmenplans auf Unterstützung an-gewiesen.

3 Aktuelle Entwicklung

Der Zarth befand sich bis zum Jahr 2007 zuca. 95 % im Kommunaleigentum der StadtTreuenbrietzen. Im Jahr 2004 wurde einGrundstücksverkauf von 254 ha und ca. 30Flurstücken öffentlich ausgeschrieben. Bis2006 fehlten jedoch akzeptable Gebote.Wertmindernd für potenzielle Käufer schienneben dem gesetzlichen Schutzstatus v. a.ein langfristiger Jagdpachtvertrag (bis 2019)zu sein.Dem Ministerium für Ländliche Entwick-lung, Umwelt und Verbraucherschutz Bran-denburg (MLUV) stehen für die Ausübungdes Vorkaufsrechtes in Schutzgebieten nurbegrenzte Finanzmittel zur Verfügung. Einereine Flächensicherung ohne darauf basie-rende Maßnahmen ist für potenzielle Pro-

KLEINE BEITRÄGE

JENS THORMANN

Neue Perspektiven für den „Zarth”Schlagwörter: historischer Waldstandort, Hangmoor, Quellmoor, FFH-Gebiet, Flächensicherung, Naturpark

Nuthe-Nieplitz, Landschaftswasserhaushalt

Abb. 1

Totalreservat mit Stieleichen-Hainbuchen-wald (9.12.2005) Foto: S. Bohl

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NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 17 (4) 2008 221

jektträger auch über die sonst üblichen För-derinstrumente nicht förderfähig. Die Projektgruppe Moorschutz im Landes-umweltamt bemühte sich daher um die Ak-quisition eines Käufers aus dem Natur-schutzbereich, der bereit ist, die für alle wei-teren Maßnahmen essentielle Flächensiche-rung zu realisieren. Mit dem Vogelschutz-Komitee e. V. (VsK) war ein solcher Käufergefunden. Das Vsk mit Sitz in Göttingen undHamburg ist seit einigen Jahren auch inBrandenburg (u. a. Rhinluch) aktiv. Bereitsnach einer Gebietsbegehung und Kenntnisder Rahmenbedingungen war das Vsk zu ei-nem Engagement bereit. Im Jahr 2007 wur-de nach relativ kurzer und einvernehmlicherVerhandlung mit der Stadt Treuenbrietzender Verkauf vollzogen. In der Folgezeit er-folgten bereits einige Arrondierungen.Der Erhalt des Zarth für den brandenburgi-schen Naturschutz, die Bürger und Bürge-rinnen der Stadt Treuenbrietzen und die Be-sucher des Naturparks ist das erklärte Ziel.

4 Ausblick

Die erfolgte Flächensicherung eröffnet neuePerspektiven für die Stabilisierung des Was-serhaushaltes im Zarth und kann Planungs-sicherheit für den Erhalt der vegetationskund-lich hochwertigen Offenflächen schaffen.Die wichtigsten naturschutzfachliche Zielefür den Zarth werden zwischen dem VsKund den Fachbehörden abgestimmt. Dieskönnen u. a. sein:• Schaffung von Planungssicherheit für die

Nutzung und Pflege der Feuchtwiesen• Verbesserung der Durchgängigkeit der

natürlichen Fließgewässer für Fische undMakrozoobenthos durch Umbau vonStaueinrichtungen und Rohrdurchlässen

• Rückbau künstlicher Fließgewässer durchpunktuelle Staueinrichtungen und Ver-füllungen in Abhängigkeit vom Gefälle

• Redynamisierung der natürlichen Fließge-

wässer durch Unterlassen der Unhaltungund Einbau von Totholz

• Revitalisierung der Quellbereiche amSüdrand des Gebietes

• weitestgehender Verzicht auf Holzein-schlag und Erweiterung der ungenutz-ten Waldbereiche unter Berücksichti-gung der Niederwaldbereiche

• Gewährleistung einer weiterhin behut-samen Erholungsnutzung im Zarth

• Entwicklung von hydrologischen Bedin-gungen, die Moorerhalt und auf Teilflä-chen auch Moorwachstum ermöglichen.

Innerhalb des Zarth sollte die Definition deslangfristigen Entwicklungszieles erst nachGelände- und Gewässervermessungen so-wie genauer Kenntnis der Grundwasserver-hältnisse erfolgen. Insbesondere ist zu erör-tern, welche Flächen durch Pflege und an-gepasste Nutzung zu erhalten sind, wo diestechnisch und finanziell langfristig realisier-bar ist oder wo ein erhöhter Wasserrückhaltwieder ein Moorwachstum, evtl. kleinflä-chig natürliche Offenlandbiotope der kalk-reichen Niedermoore oder auch naturnaheQuellwälder und Auenwälder auf Durch-strömungsmoor gewährleisten kann. Mit der Agrarstrukturellen Entwicklungspla-nung (AEP) Landschaftswasserhaushalt imGebiet der oberen Nieplitz und des Bardenit-zer Fließes (IDAS 2005 und tw. MELIOR 1994)liegen bereits Grundlagenplanungen vor. DasSystem der Gräben und Fließe ist relativ guterfasst und überschaubar. Eine grundlegendeStabilisierung des Wasserhaushaltes kannaber nur erfolgen, wenn auch ein erhöhterWasserrückhalt im Grundwasser-Abstrombe-reich nördlich des Zarth sowie in den Quell-regionen südlich des Zarth erfolgt. DieseBereiche befinden sich außerhalb des Schutz-gebietes. Hier gilt es für die Zukunft, mitEigentümern und Landnutzern eine einver-nehmliche Lösung zu finden. MöglicheFinanzierungen von Flächensicherung, Ent-schädigung und Nutzungsextensivierungenkönnten über naturschutzrechtliche Kom-

pensationsverpflichtungen, über die Richtli-nie zur Förderung der integrierten ländlichenEntwicklung (ILE) und LEADER – Teil F Maß-nahmen zum Erhalt des natürlichen Erbessowie durch eine Förderung der Stiftung Na-turSchutzFonds erfolgen. Aufgrund der fast im gesamten Gebiet vor-handenen Neigung der Moor- und Gelän-deoberfläche könnte ein erhöhter Wasser-rückhalt für den Zarth durch Nutzungsex-tensivierung im Umfeld möglich werden. Ei-ne Flächenvernässung bis zur Aufgabe derlandwirtschaftlichen Nutzung ist auf Grundder geohydrologischen Rahmenbedingun-gen weitestgehend nicht zu befürchten. Während Maßnahmen innerhalb des Zarthund den südlichen Quellbereichen als mit-telfristig umsetzbar erscheinen, bedarf dieEntwicklung einer „hydrologischen Puffer-zone” nördlich des Zarth einer umfangrei-cheren Abstimmung und Planung.Die Projektgruppe Moorschutz im LUA un-terstützt die Träger von derartigen Projektenbei der Maßnahmenplanung, Datenrecher-che, Kostenschätzung und Antragstellung.

LiteraturBOHL, S. 1997: Landschaftsökologische Entwicklungvon Niedermoorgrünland an einem Beispiel imBaruther Urstromtal. Dipl.-Arb. FH Eberswalde).Unveröff.FREITAG, H. & KÖRTGE, U. 1958: Die Pflanzengesell-schaften des Zarth bei Treuenbrietzen. Wiss. Z. Päd.HS Potsdam. 4 (1): 29-53IDAS Planungsgesellschaft mbH 2005: Agrarstruk-turelle Entwicklungsplanung (AEP) Verbesserung desLandschaftswasserhaushaltes im Gebiet der oberenNieplitz und des Bardenitzer Fließes. Im Auftr. LVLFBrieselangKRAUSCH, H.-D. 1995: Wandlungen der Landschaftund Vegetation im Baruther Urstromtal bei Treuen-brietzen. BfN. Schr.-R. Vegetationskde. 27: 279-288LINDER, W. 2007a: Naturschutz- und FFH-GebietZarth. Vegetationskundliche Dauerflächen Unter-suchung 2001 und 2007. Im Auftr. LandesumweltamtBrandenburg Abt. GR, Nuthetal. 25 S.LINDER, W. 2007b: Terrestrische Biotop- undLebensraumkartierung im FFH-Gebiet 40 Zarth – Nachkartierung der Offenlandflächen-Biotope undPflanzenarten der Offenflächen. Im Auftr. LUA

BrandenburgMELIOR INGENIEURBÜRO (Hrsg.) 1994: Gutachten zurWasserregulierung im Naturschutzgebiet „GroßerZarth”. Unveröff.PÄPKE, A. 2005: Vertragsnaturschutz im NSG „Zarth”bei Treuenbrietzen. Auswertung/schriftliche Doku-mentation im Rahmen der Effizienzkontrolle für dieJahre 2004/2005. Im Auftr NP Nuthe-Nieplitz. 40 S.PRINKE, E. 2000: Floristische Biotopkartierung imBereich der Quellhorizonte von Wendewasser undKupfergraben am Südrand des NSG Zarth beiTreuenbrietzen. Pechüle; einsehbar in der Naturpark-verwaltungSCHUBERT, P. 2006: Semi-quantitative Übersicht derBrutvögel im NSG „Zarth” und angrenzender Berei-che (2003-2005). Unveröff., einsehbar in der Natur-parkverwaltungSTIFTUNG NATURSCHUTZFONDS BRANDENBURG & LUABRANDENBURG 2007: Der Moorschutzrahmenplan –Prioritäten, Maßnahmen und Liste sensibler Moore inBrandenburg mit Handlungsvorschlägen. 48 S.

Anschrift des Verfassers:Jens ThormannLandesumweltamt BrandenburgReferat RW 6Seeburger Chaussee 214476 Potsdam (OT Groß Glienicke)Abb. 3 Übersicht der erfolgten Flächensicherung

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222 NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 17 (4) 2008

Das Landschaftsschutzgebiet BrandenburgerWald- und Seengebiet wurde am 25. 2.1992durch das Land Brandenburg mit einerFlächengröße von rund 9.985 ha aus-gewiesen. Schutzzweck ist unter anderem dieFunktionsfähigkeit des Wasserhaushaltesund der Wasserqualität der Still- undFließgewässer einschließlich ihrer Uferzonenund die Lebensraumfunktion der Röhrichte.Gleichzeitig soll die abwechslungsreicheLandschaftsstruktur und die Erhaltung undEntwicklung des Gebietes wegen seinerbesonderen Bedeutung für die naturnaheErholung im Einzugsbereich des Ballungs-raumes Berlin-Potsdam gefördert werden. Inder Schutzgebietsverordnung wurde unter§ 4 Abs. 1 Nr. 5 festgeschrieben, dass es ver-boten ist, wasserseitig in Röhrichte einzudrin-gen, an Bundeswasserstraßen ist es darüberhinaus nicht erlaubt, sich Röhrichten wasser-seitig dichter als 5 m zu nähern. Im Gebiet

sind die nach Flora-Fauna-Habitat(FFH)-Richtlinie geschützten Vorkommen des Fisch-otters und des Bibers nachgewiesen, als ge-schützte Fischarten sind Bitterling, Rapfenund Steinbeißer dokumentiert (MELF 2002).Innerhalb dieses Schutzgebietes befindensich auch Teile des FFH-Gebietes MittlereHavel, dessen Schutzgegenstand größtenteilsHavelseen, Havelflussabschnitte und derenröhrichtbestandene Ufer umfasst sowie dasNaturschutzgebiet und FFH-Gebiet Gränert.Die Havel und ihre Seen gehören zudem zurBundeswasserstraße.Bereits 1992 stellte WESEMÜLLER fest, dassbereits 13 Jahre über Befahrensregelungenfür Schutzgebiete an Bundeswasserstraßenkontrovers diskutiert wird und Instrumentezur Durchsetzung von Naturschutzzielen aufBundeswasserstraßen schlecht greifen bzw.nicht konsequent angewandt werden. In dem folgenden Statusbericht soll be-

schrieben werden, welche Nutzungsan-forderungen, aber auch welche Möglichkei-ten für naturschutzbehördliches Handeln ineinem gewässerreichen Gebiet bestehen.Mit der Diplomarbeit von DÖRING & HÖLZL

(2006) wurde der Nachweis des zuerst vonlangjährig tätigen örtlichen Naturschützernbeobachteten, aber nicht verifizierten Schilf-rückganges für die westliche Seenplatte desStadtgebietes über einen Zeitraum von rund65 Jahren erbracht. Mittels Luftbildvergleichs der Schilfflächenim Zeitraum von 1958 bis 2003 wurde eindurchschnittlicher Rückgang von 41 % desSchilfröhrichts ermittelt, in Einzelfällen lagder Rückgang bei über 70%.Eine monokausale Erklärungskette fürdiesen Rückgang wurde bereits im Vorfeldder Ausschreibung der Diplomarbeit durchdie untere Naturschutzbehörde ausge-schlossen und konnte auch im Rahmen derArbeit nicht erbracht werden. Die Untersuchungsbereiche der Diplomarbeitliegen ausnahmslos im Landschaftsschutzge-biet Brandenburger Wald- und Seengebiet.FLADE (2007) misst diesem Landschafts-schutzgebiet für den Naturschutz aufgrundder Feuchtbiotopausstattung bundesweiteBedeutung zu. SCHERFOSE (2007) nennt inseiner Kurzcharakterisierung bundesweit na-turschutzfachlich bedeutsamer Gebiete fürdas Land Brandenburg eine besondere Ver-antwortung zur Erhaltung von Röhrichten.Zum Ausdruck kam diese Schwerpunktle-gung im nationalen Schutzgebietssystemzuletzt in der Nachmeldung der Röhrichteder Brandenburger Havelseen im FFH-Nach-meldeverfahren des FFH-Gebietes MittlereHavel Ergänzung.Hervorgehoben wurden im Ergebnis derDiplomarbeit folgende maßgebliche Wirk-faktoren, die sich in ihren gemeinsamen Ef-

GEDANKEN – IDEEN – ERGEBNISSE

ANETTE VEDDER

Rückgang des Schilfröhrichtes im gewässerreichen Stadtgebiet der StadtBrandenburg an der Havel und Möglichkeiten landschaftsplanerischerund naturschutzbehördlicher Gegensteuerung

Gedanken - Ideen - ErgebnisseNaturschutz vor Ort

Liebe Leserinnen und Leser,

Naturschutz vor Ort, wie er in den ver-schiedenen Behörden, wie z. B. Straßen-bau-, Landnutzungs-, Planungs- und Na-turschutzbehörden auf Kreisebene und inden Kommunen oder in den Planungsbü-ros tagtäglich stattfindet, erfordert hoheSach- und Rechtskenntnis, genaue Infor-mationen von der Lage und den Bedingun-gen vor Ort sowie vielfältige Erfahrungenin der Umsetzung gesetzlicher Vorgaben.

Hier liegt ein großes Potenzial an Erfahrun-gen und Kreativität, von dem auch andereprofitieren können, wenn dieses Wissen andie Stellen gelangt, wo es benötigt wird undangewendet werden kann. Gerade Erfah-rungen vor Ort sind für eine erfolgreiche Na-turschutzarbeit oft sehr überzeugend undeffektiv nutzbar neben neuen fachlichen Er-kenntnissen.In den verschiedenen Kreisen treten oft dieähnlichen oder gleichen Problemfälle auf undbieten die Chance, von Erfahrungen andererzu profitieren. Lösungen, die aus der Arbeitentwickelt wurden, tragen den Praxistest undsomit die Erfolgsgarantie schon im Gepäck.

„Naturschutz und Landschaftspflege inBrandenburg” möchte diese Erfahrungenstärker einbeziehen, solche Beiträge veröf-fentlichen und unserem Leserkreis für dieberufliche Arbeit oder für das Ehrenamtauf diesem Wege zur Verfügung stellen.

Deshalb bitten wir all diejenigen, die sichim Naturschutz engagieren, ihre Erfahrun-gen, hier in dieser Rubrik darzustellen. Schriftleitung und Redaktion wollen hel-fen, diese „Schätze” gemeinsam mit denAutoren zu „heben”.

Ihre Schriftleitung

Abb. 1

Luftbild von der Seenplattedes Landschaftsschutzgebie-tes Brandenburger Wald-und Seengebiet. In diesemGewässerrevier fand dieUntersuchung zum Schilf-rückgang statt.

Foto: StadtverwaltungBrandenburg an der Havel

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NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 17 (4) 2008 223

fekten mit unterschiedlicher Wirkintensitätund -dauer negativ auf das Wachstum derSchilfgürtel auswirken:- mechanische Beschädigung durch

Bootsverkehr, Badebetrieb, Schifffahrt,Schwemmgut, Eisgang

- Landnutzung der Uferbereiche (Steg-anlagen, Wege)

- Staubewirtschaftung der Havel- Schilfeigenschaften- biotische Einflüsse (Blaualgentoxine, In-

sekten, Pilze)- Gewässerverschmutzung- GrundwasserförderungDÖRING & HÖLZL (2006) beschreiben 21 Ur-sachen für den Schilfrückgang. Eineeinzelne Hauptursache konnte nicht ein-deutig identifiziert werden. Im Ergebniswurde festgestellt, dass das Wuchspotentialfür Schilfröhricht aufgrund des historischenVergleichs weitaus größer ist als der heutigeBestand. In der gesamten EU wird seit über50 Jahren der Schilfrückgang beobachtet(DÖRING & HÖLZL 2006). Die Empfehlungder Diplomarbeit zielt auf zusätzlicheSchutzmaßnahmen für das Schilf gegendie beeinflussbaren Faktoren, wie z. B. denBootsverkehr, ab (Abb. 3).Die Ergebnisse der Diplomarbeit liefern denbehördlichen Praktikern ein aussage-kräftiges Ergebnis, dass umfangreichererFolgestudien und Planungen hinsichtlich dergenauen Ursache-Wirkverhältnisse bedarf,

um neben augenscheinlichen Sofortmaß-nahmen genaue Ziele für weitergehendeMaßnahmen in der Verwaltungspraxis fest-legen zu können. Nachfolgend seien die aus der Arbeit resul-tierenden Fragestellungen aus der Sicht derVerwaltungspraxis kurz benannt, die esgenauer zu untersuchen gilt:- Welche Bootsdichte kann auf unseren

Seen als umweltverträglich angesehenwerden?

- Welcher Abstand zum Schilf muss zurVerhinderung von mechanischen Schä-den durch Bootsfahrer eingehalten wer-den?

- Genetik und Schilf: Gibt es einengenetischen Unterschied der örtlichenWasser- und Landschilfvariietäten, diein Anbetracht sich wandelnder Umwelt-einflüsse zu schlechterer standörtlicherFitness der monoklonalen Schilf-bestände führt?

- Wie groß ist die Einflussgröße der überhundertjährigen Sedimentfalle der Seenauf das Wachstumsverhalten und dieStabilität des Schilfs und in diesemZusammenhang: Würde eine Schilf-mahd – wie seit über 100 Jahren imDonaudelta praktiziert – das Schilfwachs-tum wieder befördern helfen?

- Wie stark wirken sich erwärmteGewässereinleitungen und die klimabe-dingte Erwärmung der Gewässer auf dasSchilfwachstum und seine Stabilität aus?

- Gibt es einen absolut kritischen Ge-wässertemperaturwert, der nicht über-schritten werden sollte und welche Rollespielt in diesem Zusammenhang dieProblematik der Blaualgentoxine? WelcheHandlungsmöglichkeiten leiten sich da-raus für die Genehmigungspraxis ab?

Analog zum Klimaschutz bedarf es ver-schiedener Anstrengungen auf mehrerenEbenen und vieler Akteure am Gewässer,um das Problem einzugrenzen und entge-genzusteuern. Das Monitoring über historischen Luftbildver-gleich mittels GIS und die daraus abgeleiteteErmittlung des Schilfrückgangs liefert derörtlichen Naturschutzbehörde neben der nun

möglichen Beweisführung über den statt-gefundenen Rückgangsprozess auch dieMöglichkeit der argumentativen Ein-flussnahme auf künftige Entscheidungs-prozesse im Rahmen naturschutzfachlicherVerwaltungspraxis. Eine umweltökonomische Bestandsauf-nahme der Bedeutung und Wertigkeit derSchilfbestände für die örtliche Fischerei undfür den sich entwickelnden Wassertouris-mus als Naturkapital steht noch aus.Das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung desGewässerreviers ist ohne ein solidesökonomisches Konzept, das die fischerei-liche, gewässertouristische und industriell-gewerbliche Entwicklung an den Uferberei-chen mit einschließt, nicht zu erreichen. DÖRING UND HÖLZL (2006) stellten eineZunahme des Bootsverkehrs bei derFahrgastschifffahrt und im Freizeitboot-verkehr fest, bei der Berufsschifffahrt wurdeein rückläufiger Trend auf der Grundlageder Schleusenstatistik ermittelt.HAAS (2003) unterscheidet zwischen nauti-schen, technischen, ökologischen und psy-chologischen Kapazitätsgrenzen einesGewässers. Diese Kapazitätsgrenzen sindnicht deckungsgleich. Ein Segelboot magbei einer bestimmten Bootsdichte noch ger-ade manövrieren können, die mechanischeDauerwirkung auf das Schilf überschreitetjedoch ab einer gewissen Bootsdichte dieökologische Kapazitätsgrenze bereits, ohnedass wirkungsvoll ordnungsbehördlichgegengesteuert werden kann.Auch im Hinblick auf geplante Gewässeraus-bauten im Bereich des Plauer Sees im Rah-men des Projektes 17 ist es naheliegend,dass eine Zunahme des Bootsverkehrs insge-samt zu einer höheren Bootsdichte auf denüberwiegend von Freizeitbooten genutztenFlächen kommen wird. Im Rahmen anste-hender FFH-Verträglichkeitsprüfungen mussdiese anzunehmende Summation und Aus-weichbewegung der Wassersportler daher indie Eingriffsbewertung, Bilanzierung undAusgleichsmaßnahmenplanung mit ein-fließen.

Abb. 3

Bootsverkehr am Schilfgürtel des NSGWusterau Foto: K. Deutschmann

Abb. 4

Diese Anlage eines Magdeburger Wasser-sportvereines lag früher am Naturschutzge-biet Gränert und wurde nach Lenkung derUNB am Plauer Schloss im Bereich einervorbelasteten Uferzone neu errichtet

Foto: Stadtverwaltung Brandenburg an derHavel

Abb. 2

Rund um die HalbinselKirchmöser liegen im Land-schaftsschutzgebiet Bran-denburger Wald- und Seen-gebiet der Möersche See,der Breitlingsee, Plauer Seeund Wusterwitzer See, andenen die Untersuchungenzum Schilfrückgang statt-fanden. Bei diesen Röh-richtgebieten handelt es sichteilweise um FFH-Gebiete.Unten im Bild deutlicherkennbar: Schilfrückgangdurch Bootsliegeplatznut-zung im Bereich des Rund-baus, Uferstraße Kirchmös-er.

Foto: StadtverwaltungBrandenburg an der Havel

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224 NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 17 (4) 2008

Es ist zweifellos ein großes Problem für dieBerufsfischerei und für den Naturschutz,wenn Fisch-Gelegezonen im Schilf zuneh-mend zurückgehen und damit der Fischbe-stand insgesamt zurückgeht. Als weiteresProblem hat sich inzwischen die Überbauungvon Fisch-Winterlagern und die Inanspruch-nahme von Auszugsstellen der Fischerei,insbesondere für großes Fanggerät durchausgedehnte Bootssteganlagen erwiesen. InBezug auf den nachhaltigen Schutz von Win-terlagern und Fischgelegezonen sowie derBeseitigung von Wanderhindernissen für Fi-

schen lassen sich die Interessen der Fischerei-wirtschaft und des Naturschutzes häufig zurDeckung bringen. Im Hinblick auf die fi-schereiliche Nutzungsintensität der Gewässer,die Auswahl bestimmter Stegstandorte unddie Standorte bestimmter Reusen (z. B. imUmfeld von Biberburgen) ergeben sich jedochimmer wieder auseinanderstrebende Inter-essen, so dass man nicht von einer Interessen-gleichheit von Fischerei und Naturschutzsprechen kann. Eine der drei durch das FFH-Schutzregime erfassten Fischarten (Stein-beißer) unterliegt zudem einem erhöhtenPrädatorendruck durch zunehmenden Aalbe-satz.Längerfristig wird die bereits Jahrzehnte an-dauernde Verschlechterung des Gewässer-zustandes auch ein Problem für den sichentwickelnden örtlichen gewässergebunde-nen Tourismus, dann nämlich, wenn sich dieUferlandschaft nachhaltig verändert undnicht mehr dem erwarteten Charakter undder Landschaftsqualität der Havelregionentspricht. Hunderte kleine Einzelstege undAnlegestellen verschlechtern die Gesamtsitu-ation in der Regel erheblicher als eine gezieltgeplante größere Steganlage im vorbe-lasteten Siedlungsbereich. Allerdings be-stimmt letztendlich die absolute Zahl derBoote die Nutzungsintensität und ihreAuswirkungen auf Uferbiotope.Mittelfristig betrachtet wird sich die Ver-schlechterung der Landschaftsqualität aufden Wassertourismus vorerst nicht wachs-tumshemmend auswirken, da nicht davonausgegangen werden kann, dass dieserProzess von naturschutzfachlichen Laien inder Landschaft direkt abgelesen werdenkann.

Dem geschulten Blick entzieht sich dieStatusverschlechterung des Gewässerufer-zustandes, ersichtlich an der sich in vieleEinzelbulte auflösenden Uferschilfgrenzlinie,bereits heute nicht. Überall dort, wo inten-sive Steg- und Ufernutzungen stattfinden,geht das Schilf noch stark zurück.Weitergehende behördliche Einflussmög-lichkeiten für den Erhalt des Schilfröhrichtsauf lokaler Ebene erschließen sich überangepasste kommunale Planungsinstru-mente, zum Beispiel das Steganlagen-konzept der Stadt Brandenburg an der Havel,das Bestandteil des Wassertourismus-konzeptes der kreisfreien Stadt ist.Die untere Naturschutzbehörde der kreis-freien Stadt Brandenburg an der Havel istneben dem kommunal geführten Natur-schutzzentrum in der Fachgruppe Natur-schutz angesiedelt. In der FachgruppeNaturschutz werden zudem landschafts-planerische kommunale Aufgaben wahrge-nommen. Ein Produkt dieser kommunalenArbeit ist das Steganlagenkonzept der StadtBrandenburg an der Havel.Seit rund 10 Jahren wird im Bereich derSeen der Stadt Brandenburg an der Haveldas Steganlagenkonzept in die Entscheidun-gen der unteren Naturschutzbehörde inte-griert. Seit 2004 wurde das Konzept alsBestandteil der Wassertourismuskonzeptionvon der Stadtverordnetenversammlung be-schlossen und besitzt daher den Charaktereiner freiwilligen planerischen Selbstbin-dung der Kommune.Das Steganlagenkonzept unterscheidetzwischen drei landschaftplanerischen Kate-gorien hinsichtlich der Entwicklungsziele anden Gewässerufern der Havel und ihrer aus-gedehnten Havelseen:

ZulässigkeitszonenHier wird die Steganlagenerrichtungnaturschutzrechtlich nicht sanktioniert. Eshandelt sich hierbei um zumeist inner-städtische siedlungsgeprägte Bereiche, de-ren Bebauung mit Steganlagen mit geringenEingriffen aus naturschutzfachlicher Sichtverbunden ist. Ausnahmen gibt es aberauch hier: Dort, wo die Siedlungskante amGewässer endet, ausgedehnte Schwimm-blattgesellschaften vorkommen und dasgegenüberliegende Gewässerufer naturnahausgeprägt ist, kann der Eingriff gegebe-nenfalls aus Gründen des Biotop- und Gebi-etsschutzes oder des Landschafts- undOrtsbildes nicht zulässig sein. Ausnahmensind regelmäßig nur dann naturschutz-rechtlich möglich, wenn Gemeinwohlbe-lange den Belang des Naturschutzes über-wiegen. In einem konkreten Fall war einöffentlicher Bootsanleger möglich, eine pri-vate Verleihstation jedoch wurde abgelehnt.Eine Klage eines Naturschutzverbandesgegen die Genehmigung des öffentlichenAnlegers vor dem Verwaltungsgerichtscheiterte.Hier wird deutlich, dass das Vorhandenseineines Konzeptes zur Stegentwicklung dieBeurteilung des Einzelfalles durch diezuständigen Umweltbehörden nicht erspart.

Abb. 6

Tabuzone am Ostufer des Möserschen Sees Kirchmöser – zur Verbesserung der Situationhaben die untere Wasser- und Naturschutzbehörde hier 2007 zahlreiche Beseitigungsanord-nungen zum Schilfschutz verfügt.

Foto: UNB, Stadtverwaltung Brandenburg an der Havel

Abb. 5

Diese gewerblich genutzte Marina wurdean einem vorbelasteten Uferbereich ineiner Zulässigkeitszone errichtet - die Natur-schutzbehörde hatte hier hinsichtlich desStandortes keines erheblichen Bedenken.Durch gerichtliche Intervention des Fische-reiberechtigten erfolgte eine fischerei-verträgliche Planung der Ausdehnung derAnlage. Quantitative Grenzen für dieLiegeplatzzahl konnten behördlicherseitsaufgrund fehlender kommunaler Zielvor-gaben nicht vorgegeben werden.

Foto: Stadtverwaltung Brandenburg an derHavel

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NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 17 (4) 2008 225

RestriktionszonenBei der Restriktionszone bestehen ver-schiedene naturschutzfachliche Gründe, diedie Genehmigung von Stegen erschwerenund teilweise verhindern. Hierbei handelt essich um Ufer mit Vorbelastungen, die in un-terschiedlicher Qualität und AusdehnungSchilfröhrichte oder Wasserpflanzengesell-schaften aufweisen. Aber auch wasser-touristisch stark erschlossene Uferzonen wiez. B. Strände oder Promenaden, die auchweiterhin dem Schutz oder der Nutzungdurch die Allgemeinheit vorbehalten bleibensollen, zählen hierzu.Sollten im Einzelfall Genehmigungen erteiltwerden können, so handelt es sich hier inder Regel um Sammelbootsstege, wie sie zuDDR-Zeiten schon allein aufgrund derKnappheit der Baumaterialien und ausGemeinschaftsgründen bevorzugt wurdenund dort bereits zu der gängigen Verwal-tungspraxis gehörten, um die Uferzonenvor ungelenkten Entwicklungen zu scho-nen. Dabei war die Rolle der Binnenfischereiein stärkerer Belang, als sie es heute auf-grund des veränderten BrandenburgischenWasserrechtes ist.Auch das Naturschutzrecht bietet heute inder Verwaltungspraxis für diese Lenk-ungsaufgabe wenig Handhabe. Der unterenNaturschutzbehörde bleibt es somit weitest-gehend auf dem Verhandlungswege über-lassen, einen Sammelbootssteg gegebenen-falls in verkleinerter Form zu genehmigenoder den beantragten Einzelsteg abzu-lehnen. Das Steganlagenkonzept stellt hierim Rahmen des kommunalen Umweltrecht-es ein Gewicht dar, das in die Entscheidungmiteinbezogen werden kann. Aufgrund des beschriebenen Verfahrens-weges werden wesentliche personelleRessourcen in aufwändigen Genehmigungs-,Widerspruchs- und Klageverfahren auf-grund des hohen Gewässeranteiles amStadtgebiet gebunden.

TabuzonenDiese Bezeichnung erschließt sich auch demnaturschutzfachlichen Laien sofort. Das fürdiese ausgewiesenen Uferzonen beab-sichtigte planerische Ziel steht für den Vor-rang der Naturschutznutzung, hier dürfenkeine Steganlagen errichtet werden. Es han-delt sich hierbei zumeist um Uferzonen, dieüber ausgedehnte Schilfröhrichte oderSchwimmblattzonen verfügen und derenBestand nachhaltig gesichert werden mussund soll. In der Regel handelt es sich hierbeiauch um Uferzonen, die an Land frei vonBesiedlung sind und die zumeist im Land-schaftsschutzgebiet, häufig aber auch imEU-Schutzgebiet, im Naturpark Westhavel-land oder im Naturschutzgebiet liegen. DerBiotopschutz gilt hier wie ohnehin für allenaturnahen Gewässer. Die Tabuzone definiert daher eine Nutzungfür Naturschutzzwecke und ist landschafts-planerisch eine bislang wenig durchgesetzteKategorie, obwohl bereits die Erklärungeines Bauverbotes an Ufern gemäß § 48BbgNatSchG eine solche faktische Nutzung

an Land vorbereitet. Die Öffnungsklauseldieser Regelung über Ausnahmegenehmi-gungen und Befreiungen wirkt in der Praxisallerdings schwächer als die informelle kom-munale planerische Kategorie „Tabuzone”im Steganlagenkonzept. Die Erfahrungenmit diesem Konzept sind, insbesondere seitseiner kommunalen Verbindlichkeitser-klärung im Wassertourismuskonzept, über-wiegend positiv. Bislang konnten negativeEntwicklungen zusätzlicher Steganlagentrotz zunehmenden Nutzungsdruckes durchWassersportler vermieden werden. In eini-gen Bereichen konnten Rückbaumaßnah-men auch durch Heranziehen desKonzeptes als kommunale Planungsgrund-lage unterstützt werden.Vorhandene Ausnahmen beziehungsweiseAbweichungen von dem Konzept erklärensich durch bestehende Steganlagen ausDDR-Zeiten, deren Bestandsschutz einerÜberprüfung standhalten konnte und die zuDDR-Zeiten keine Befristung ihrer Zuläs-sigkeit erhalten hatten. Hier kann nur dieNotwendigkeit einer Komplettsanierungeinen Rückbau mit längeren Fristen einleiten.Die Verwaltungspraxis, dass Altsteganlagennur dann ihren Bestandsschutz erhalten kon-nten, wenn Sie exakt so existieren wie sie zuDDR-Zeiten genehmigt wurden, hat aller-dings zu einem durch den Systemwechselbedingten Rückbau verschiedener Anlagengeführt. Der Anstoß wird in der Regel durchdie Bundeswasserstraßenverwaltung gege-ben, die als Gewässereigentümer die abwei-chend errichtete Anlage feststellt und dies derunteren Wasser- und Naturschutzbehördemitteilt. Die Wasserstraßenverwaltung gehthier sowohl aus strom- und schifffahrt-spolizeilichen Gründen wie auch aus fiskalis-chen Gründen sehr konsequent an die Um-setzung der Prüfergebnisse heran.Beide untere Umweltbehörden prüfen nachihren Gesetzmäßgkeiten die Möglichkeiteiner Überführung dieser Anlagen inheutiges Wasser- und Naturschutzrecht. Istdies nicht möglich, wird auch bei abwei-chender (positiver) Entscheidung derWasserstraßenverwaltung die Beseitigungverfügt. Zum Abfangen größerer Härtenwird den Alteigentümern in der Regel einelange Frist zum Abbau eingeräumt. Damitwird es dem Bootseigentümer ermöglicht,sich um einen neuen Liegeplatz an einer

genehmigten Anlage in der Umgebung zubemühen.Das bislang vor einem groben Maßstab be-trachtet erfolgreiche Steganlagenkonzept be-darf vor dem Hintergrund des obengeschilderten Schilfrückganges einer Ver-feinerung und quantitativen Untersetzungder Liegeplatzkapazitäten. Diese Argumenta-tion lässt sich aus der aktuellen Einschätzungder unteren Naturschutzbehörde ableiten,dass eine bloße qualitative Lenkung des„ruhenden Bootsverkehrs” nicht wirksam zueiner Gegensteuerung einer zahlenmäßigenÜberentwicklung des Bootsbestandes in derRegion und den damit einhergehenden nega-tiven Folgen für die betroffenen sensiblenGewässerbiotope führen wird. Im planerischen Analogieschluss wurde da-her geschlussfolgert, dass, ähnlich wie es ineiner vielbefahrenen Innenstadt verkehrs-planerischer Voraussetzungen bedarf, umdie Verkehrsströme und den ruhendenVerkehr zu lenken, es auch der quantitativ-en Begrenzung der Liegeplätze für Booteauf dem Wasser bedarf. Eine rein fiskalischeLenkung der Zahl der Bootsliegeplätze inden Zulässigkeits- und Restriktionszonenwird aus naturschutzfachlichen Gründen alsnicht ausreichend bewertet. Es ist ausnaturschutzfachlicher Sicht für den Schadenan wassergebundenen Biotopen unerheb-lich, ob große oder kleine Boote das Schilfschädigen. Demgegenüber ist die absoluteZahl der Boote, die überhaupt das Gewässerpotentiell nutzen, eine Größe, die beein-flussbar ist und die Einfluss auf das Schilf-wachstum hat. Dementsprechend wird geschlussfolgert,dass sich eine quantitative Fortentwicklungdes Steganlagenkonzeptes als ein maßgeb-licher auf der unteren Verwaltungsebenebeeinflussbarer Parameter auf das Schilf-wachstum der Zukunft auswirken kann.Sollte die Verfeinerung des Konzeptes alsPlanungsleitlinie aus ökonomischer Sichtunterbleiben, so wird der bootsverkehrbe-dingte Anteil am Schilfrückgang aller Vo-raussicht nach weiter anhalten und durchProjekte an der Wasserstraße noch weiterverschärft. Der Summationseffekt ist dabeibei jeder Projektbeurteilung im Sinne derFFH-Verträglichkeitsprüfung sehr schwerabzuschätzen, da hinsichtlich des Schilf-wachstums keine monokausale Ursache-

Abb. 7

Tabuzone für Steganla-gen mit wertvollemSchilfbestand am öst-lichen Ufer des Wus-terwitzer Sees. DieserBestand wird inzwi-schen mit Bojenkettenvor regelmäßigem Be-fahren durch Sport-boote und Ankern ge-schützt.

Foto: K. Deutschmann

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226 NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG 17 (4) 2008

Wirkungs-Beziehung aufgezeigt werdenkann. Das Vorliegen einer solchen ökologi-schen Beziehung als Teil eines multifakto-riellen Problemkomplexes kann allerdingsnicht verneint werden. Daher bedürfenkünftig wasser- und naturschutzrechtlicheEntscheidungen am Havelgewässer aussa-gekräftiger Forschungsergebnisse und plan-erischer Vorgaben hinsichtlich des Einflussesder mechanischen Schädigung des Schilfesdurch den Bootsverkehr.Eine erfolgversprechende Langzeituntersu-chung zur Schilfentwicklung entlang derBundeswasserstraße wurde dazu an derHavel östlich der Stadt Brandenburg durchdie Bundesanstalt durch Gewässerkundebegonnen. Es wäre günstig, diese Unter-suchung auch in dem durch das Projekt 17beeinflussten Brandenburger Seenabschnittan der Havel westlich der Stadt Branden-burg durchzuführen – und zwar nicht erstnach Ausbau des Gewässers.Aufgrund der stärkeren Einflüsse wechseln-der Stauhaltung an der Havel unterhalbvon Brandenburg kann ein erheblichgrößerer Grad der Schilfschädigung durchWasserstandschwankungen, Kliffbildung undmechanische Einwirkungen im Vergleich zurOberhavel an der Unterhavel auch künftignicht ausgeschlossen werden.Auf lokaler Ebene kann die Einführung einesquantitativ untersetzten Steganlagenkon-zeptes als vorsorgender Umweltschutzkommuniziert werden, dieses muss jedochauf den übrigen Planungsebenen und in derRechtsetzung durch korrespondierendewasserwirtschaftliche Planungsziele unter-stützt werden. Ein lokal quantitativ untersetztes Steganla-genkonzept würde darauf abzielen, dassnur Boote, die über einen genehmigtenLiegeplatz verfügen und ein begrenztesKontingent an Gastbooten dauerhaft imGewässerrevier Brandenburger HavelseenPlatz finden würden. Eine darüber hinausentstehende Nachfrage an Plätzen müsstein anderen Revieren oder durch Leihbooteoder „Boot-sharing” befriedigt werden. Inder Regel dürfte diese Regelung des Ange-

bots an Liegeplatzen völlig ausreichen, denndie Liegedauer übersteigt ähnlich wie beiPrivat-PKW, bei der Großzahl der Boote dieZeit der aktiven Bewegung auf demGewässer um ein Vielfaches. OSTENDORP

(2004) beschreibt für das Bodenseegebiet,dass das durchschnittliche Boot pro Saison(Mai-September) lediglich 10 bis 100 Stun-den bewegt wird. Bereits jetzt besteht, sowird von der unteren Naturschutzbehördeder Stadt Brandenburg an der Havelangenommen, ein Überangebot von Liege-plätzen und damit Naturinanspruchnahme.Pro Boot muss eine Flächeninanspruch-nahme zwischen 35 bis 100 qm gerechnetwerden, dazu kommen noch 50 bis 100 qmfür Versorgungseinrichtungen an Land (OS-TENDORP 2004). Für die Inanspruchnahme von Wasserflächeerzielt die Bundesverwaltung nicht unerhe-bliche Pachteinnahmen. Für den Schutz derRöhrichte werden durch den Bund keinedirekten Zahlungen an die zuständigenNaturschutzbehörden gezahlt. Es wäre öko-logisch betrachtet nur konsequent, einen Teilder fiskalischen Einnahmen des Bundes fürBootsliegeplätze direkt wieder in den prakti-schen Schilfschutz vor Ort zu stecken, um dieexternen Umweltkosten des Bootsverkehrskompensieren zu können. Bleibt nur noch abzuwarten, ob in Zeitensteigender Energiepreise der Trend zum So-larboot oder zurück zum Kanu, Segel- undRuderboot geht. Aus der Sicht der Naturschutzverwaltunggibt es neben den ordnungsbehördlichenMöglichkeiten der Lenkung des aktivenBootsverkehrs, die für eine erfolgreiche Um-setzung eine größere Zahl an Mitarbeiternin der Ordnungsverwaltung oder den Ein-satz der Naturwacht auch außerhalb vonGroßschutzgebieten voraussetzen würde,die Möglichkeit der passiven Lenkung desBootsverkehrs über die Standorte und dieZahl der Bootsliegeplätze in den Zuläs-sigkeitszonen und Restriktionszonen desSteganlagenkonzeptes. Das analoge Kon-zept hat bereits im PKW-Verkehr in vielenInnenstädten funktioniert und dort zu mehr

Umweltqualität geführt. Wie die maximalzulässige Zahl an Liegeplätzen in demzukünftigen Steganlagenkonzept ermitteltwerden wird, bleibt einem umfassendenGutachten vorbehalten, dem sowohl ökolo-gische (Gewässerschutz, Naturschutz) wieauch ökonomische (Fischerei, Wassertouris-mus) Sachverhalte zugrunde liegen sollen.Praktische Schilfschutzmaßnahmen (Sper-rungen von Uferabschnitten mit Bojenket-ten oder Lahnungen) im Rahmen von Aus-gleichsmaßnahmen finanziert, sollten dieseKonzeptweiterentwicklung begleiten.Es muss nicht erst zum Verkehrsinfarkt wieauf manchen Berlin-nahen Seen kommen,um auf dem schönen Brandenburger Seen-revier gegenzusteuern, auf einen Versuchkommt es an.

LiteraturDÖRING, F. & HÖLZL, F. 2006: Entwicklung vonSchilfröhrichten und ihre Habitateignung für Vögel anSeen der Stadt Brandenburg an der Havel. Diplomarb.FH BernburgFLADE, M. 2007: Seen, Buchenwälder, Auen, Moore:Bundesweit bedeutsame Gebiete in Brandenburg. In:BfN-Schriften. Natursch. Biol. Vielfalt 43. 229 S.HAAS, H. 2003: Planungshandbuch für Sport-boothäfen und Marinas. Edition bnb. Bremen: 18-27MLUV (Hrsg.) 1999: Fische in Brandenburg. 2. Aufl.:68, 88OSTENDORP, W. 2004: Was haben wir aus demBodenseeufer gemacht ? – Versuch einer Bilanz. Schr.Ver. Gesch. Bodensee 122SCHERFOSE, V. 2007: Bundesweit bedeutsameLandschaftsausschnitte – Herleitung, Auswahlkrite-rien, Länderspezifika und Bilanzierung. In: BFN-Schriften. Natursch. Biol. Vielfalt 43. 17 S.WESEMÜLLER, H. 1992: Naturschutz und Bundes-wasserstraßen, Probleme der Befahrensregelung fürNaturschutzgebiete in Bundeswasserstraßen. InArbeitsgemeinschaft beruflicher und ehrenamtlicherNaturschutz. Jb. Natursch. Landschaftspfl. 47 108

Anschrift der Verfasserin:Anette VedderFachbereich IV Bauen und StadtentwicklungFachgruppe NaturschutzKlosterstraße 14 14770 Brandenburg an der [email protected]

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Ökologische Charakterisierung der wich-tigsten Brutgebiete für Wasservögel inBrandenburg (Hrsg. LandesumweltamtBrandenburg). 2008Studien und Tagungsberichte des Landes-umweltamtes. Band 57ISSN 0948-0838, 178 Seiten, Schutzge-bühr: 7,- Euro

Der Ende Oktober erschienene Band ist einErgebnisbericht eines Projektes des Förder-vereins Wasservogelökologie und Feuchtge-bietsschutz e. V., zusammengestellt von Dr.habil. L. Kalbe, unter Mitarbeit von M. Kör-ner.Einleitend werden die ökologischen Bedin-gungen Brandenburgs in ihrer Bedeutung

für Wasservögel dargestellt, eine Kategori-sierung ihrer Lebensräume vorgenommenund Auswahlkriterien für die wertvollstenWasservögel-Brutgebiete entwickelt. Auf ca. 130 Seiten erfolgt die Vorstellungder bedeutendsten Brutgebiete für Wasser-vögel im Lande mit- ökologischer Bewertung- allgemeinen Angaben- Beschreibung des Gebietes- Vorkommen von Wasservögeln sowie - ergänzenden Angaben (Gefährdung, Vor-schläge).Jedem Gebiet sind eine Karte und Fotos zu-geordnet.Literaturverzeichnis und Glossar beschließenden Band.