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NATUR WlSSENSCHAFTEN O0 Der patentrechtliche Schutz biotechnischer Entwicklungen Uwe Fitzner Am Eichf6rstchen 2 a, D-40885 Ratingen-Lintorf Patents can be granted with respect to microbiological processes and products therefrom. In principle it is necessary to deposit a culture of the microorganisms at a recognized depository institution. The deposited culture is available upon request to any person from the date of publication of the patent application. Consequently, there is a great risk that the applicant's product is used by other people. D ie stt~rmische Entwicklung der Technik in den letzten zwei Jahrzehnten hat eine Revolution auf industriellem Gebiet eingeleitet. Mikro- prozessoren, 1970 noch unbekannt, haben Technik, For- schung und Gesellschaft tiefgreifend ver~indert. Zugleich haben mikrobiologische Verfahren in den 70er Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Sie wer- den in Zukunft in vielen Lebensbereichen neue Per- spektiven 6ffnen, wobei vor allem die Gentechnik eine wesentliche Rolle spielen wird. Der Patentschutz mikrobiologischer Verfahren und Erzeugnisse wird daher for Industrie und Forschung immer wichtiger werden. Als wichtigste Ziele und Aufgaben des Patentwesens gelten: • das Anspornen der sch6pferisch veranlagten Men- schen zu erfinderischer Tfitigkeit; • das Absichern jeder technischen Weiterentwicklung dutch Schutzmagnahmen; • das Einordnen der Neuerungen in ein fibersichtli- ches, nach Fachgebieten unterteiltes System der patentrechtlichen Dokumentation; • das Erreichen einer breiten Publizit~it der techni- schen Neuerung; • das Einr~iumen einer zeitlich begrenzten Monopol- stellung ft~r den Erfinder oder seinen Rechtsnachfol- ger als Belohnung ftir die Ver6ffentlichung seiner Erfindung; • das Verbot for Dritte, die Erfindung wfihrend des Bestehens des Schutzrechtes zu benutzen [1, 2]. Der Gesetzgeber hatte im Jahre 1877 bei der Schaffung des Patentgesetzes nur an Erfindungen gedacht, die der klassischen Technik zuzurechnen sind, jedoch nicht an solche, die die belebte Natur zum Gegenstand haben. Der Einsatz lebender Organismen auf dem Gebiet der Technik l~igt einige Gesichtspunkte im Hinblick auf mikrobiologische Verfahren in ganz neuem Licht 410 Naturwissenschaften 80,410-416 (1993) © Springer-Verlag 1993

Der patentrechtliche Schutz biotechnischer Entwicklungen

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Page 1: Der patentrechtliche Schutz biotechnischer Entwicklungen

NATUR WlSSENSCHAFTEN

O 0

Der patentrechtliche Schutz biotechnischer Entwicklungen

Uwe Fitzner

Am Eichf6rstchen 2 a, D-40885 Ratingen-Lintorf

Patents can be granted with respect to microbiological processes and products therefrom. In principle it is necessary to deposit a culture of the microorganisms at a recognized depository institution. The deposited culture is available upon request to any person from the date of publication of the patent application. Consequently, there is a great risk that the applicant's product is used by other people.

D ie stt~rmische Entwicklung der Technik in den letzten zwei Jahrzehnten hat eine Revolution auf industriellem Gebiet eingeleitet. Mikro-

prozessoren, 1970 noch unbekannt, haben Technik, For- schung und Gesellschaft tiefgreifend ver~indert. Zugleich haben mikrobiologische Verfahren in den 70er Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Sie wer- den in Zukunft in vielen Lebensbereichen neue Per- spektiven 6ffnen, wobei vor allem die Gentechnik eine wesentliche Rolle spielen wird. Der Patentschutz mikrobiologischer Verfahren und Erzeugnisse wird daher for Industrie und Forschung immer wichtiger werden. Als wichtigste Ziele und Aufgaben des Patentwesens gelten:

• das Anspornen der sch6pferisch veranlagten Men- schen zu erfinderischer Tfitigkeit;

• das Absichern jeder technischen Weiterentwicklung dutch Schutzmagnahmen;

• das Einordnen der Neuerungen in ein fibersichtli- ches, nach Fachgebieten unterteiltes System der patentrechtlichen Dokumentation;

• das Erreichen einer breiten Publizit~it der techni- schen Neuerung;

• das Einr~iumen einer zeitlich begrenzten Monopol- stellung ft~r den Erfinder oder seinen Rechtsnachfol- ger als Belohnung ftir die Ver6ffentlichung seiner Erfindung;

• das Verbot for Dritte, die Erfindung wfihrend des Bestehens des Schutzrechtes zu benutzen [1, 2].

Der Gesetzgeber hatte im Jahre 1877 bei der Schaffung des Patentgesetzes nur an Erfindungen gedacht, die der klassischen Technik zuzurechnen sind, jedoch nicht an solche, die die belebte Natur zum Gegenstand haben. Der Einsatz lebender Organismen auf dem Gebiet der Technik l~igt einige Gesichtspunkte im Hinblick auf mikrobiologische Verfahren in ganz neuem Licht

410 Naturwissenschaften 80,410-416 (1993) © Springer-Verlag 1993

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Patentierungsvoraussetzungen

Erfindung Neuheit erfinderische gewerblJehe Tfitigkeit Anwendbarkeit

Fig. 1. Allgemeine Voraussetzungen des Patentschutzes

erscheinen. Hier wird versucht, anhand der Rechtspre- chung und der Literatur darzulegen, inwieweit die tech- nische Erfindung auch das Gebiet der Biologie ein- schliel3t.

Allgemeine Voraussetzungen des Patentschutzes nach geltendem Recht

Ein Patent kann unter der Voraussetzung erteilt wer- den, dab die Erfindung neu ist, auf einer erfinderischen T~itigkeit beruht und sich gewerblich verwerten 1N3t (Fig. 1). Der Begriff Erfindung wurde im Gesetz nieht definiert. In Literatur [3-5] und Rechtspreehung [6, 7] besteht jedoeh tiber die wesentliehen Merkmale des Begriffs Erfindung Einigkeit: Die Erfindung muB sich auf das Gebiet der Teehnik beziehen, eine technische Regel enthalten sowie wiederholbar, ausftihrbar, fertig und die L/Jsung eines teehnisehen Problems sein (Fig. 2). Sie daft nieht zu den nicht-technisehen Erfindungen im Sinne des § 1 Abs. 2 PatG geh6ren. Insbesondere ist die bloBe Entdeckung demgem/iB nicht patentf~ihig, denn sie besteht lediglich im Auffinden von etwas Vorhande- nem, das bisher nicht bekannt oder der Kenntnis des Menschen wieder entschwunden war [8]. Der Begriff Technik, worunter Naturbeherrschung ver- standen wird, wurde mit fortschreitender Entwicklung erheblich ausgeweitet. Die Lehren der klassischen Phy- sik oder Chemie reichen hiernach als Abgrenzungskri- terien nicht mehr aus; denn die Ausnutzung biologi- scher Gesetzm~iBigkeiten geh6rt heute unbestritten zur Technik im patentrechtlichen Sinn. Die Rechtspre- chung [9-11] hat dementsprechend die Biologie in den Begriff technische Erfindung einbezogen.

Nach dem Patentgesetz gilt eine Erfindung als neu, wenn sie nicht zum Stand der Technik geh6rt. Der Stand der Technik umfa6t alle Kenntnisse, die irgend- wann vor dem Tag der Patentanmeldung in der Welt in irgendeiner Weise der Offentlichkeit zug~tnglich gemacht wurden. Far die Beurteilung, ob eine erfinderische Tiitigkeit vor- liegt, ist entscheidend, ob die Erfindung ftir einen mit dem Stand der Technik vertrauten Fachmann nahelag. DemgemN3 kann das, was ein Durchschnittsfachmann des betreffenden technischen Sondergebiets zu leisten im Stande ist, nicht als erfinderisch angesehen werden [121. Die gewerbliche Anwendbarkeit ist schlieBlich zu beja- hen, wenn der Gegenstand der Erfindung auf irgendei- nem gewerblichen Gebiet einschlie61ich der Landwirt- schaft hergestellt und benutzt werden kann [3]. Grunds~tzlich kann Patentschutz ftir Verfahren und fiir Saehen gew~ihrt werden (Fig. 3). Zu den Verfahrenspa- tenten geh6ren die Herstellungs- und Arbeitsverfahren, zu den Sachpatenten Erzeugnisse, Vorrichtungen und Anordnungen. Verwendungspatente bilden eine Unter- gruppe der Herstellungs- und Arbeitsverfahrenspa- tente. Hier umfaBt der Schutz nur die Verwendungs- m6glichkeiten, ist somit enger als der von Herstellungs- oder Arbeitsverfahren. Denn der Patentschutz der Ver- fahrenspatente erstreckt sich auch auf die durch das Verfahren hergestellten Erzeugnisse. Am breitesten ist der Schutzumfang von Sachpatenten, der alle Herstel- lungs- und Verwendungsm6gliehkeiten ftir die geschiitzte Sache umfaBt [3, 8].

Erfindungen auf dem Gebiet der Biologie

Gesetzliche Grundlagen

§§ 2 Nr. 2, 5 Abs. 2 PatG regeln, welche biologischen Erfindungen nicht patentiert werden k6nnen (Fig. 4). § 2 Nr. 2 PatG lautet u. a.: ,,Patente werden nicht erteilt fiir ... 2. Pflanzensorten oder Tierarten sowie ftir im wesentli- chen biologische Verfahren zur Ztichtung yon Pflanzen oder Tieren. Diese Vorschrift ist nicht anzuwenden auf

Erfindung

~ 6 s u n g T e c h ~ ~ s f L i h r b a r I fertig I eines

Problems Fig. 2. Merkmale f~r das Vorliegen einer Erfindung

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Page 3: Der patentrechtliche Schutz biotechnischer Entwicklungen

Patentkategorien

L Verfahren ] Sachen 1

Gerfite, Stoffe Schaltungen,

Apparate Fig. 3. M6gliche Gegenst~inde des Patentschutzes

mikrobiologisehe Verfahren und auf die mit Hilfe dieser Verfahren gewonnenen Erzeugnisse sowie auf Erfin- dungen von Pflanzensorten, die ihrer Art nach nicht im Artenverzeichnis zum Sortenschutzgesetz aufgefiihrt sind, und von Verfahren zur Ziichtung einer solchen Pflanzensorte." Fiir Pflanzensorten oder Tierarten sowie fiir ,,ira wesentlichen biologische Veffahren zur Ztichtung von Pflanzen oder Tieren" kann infolgedessen kein Patent erteilt werden. Erfindungen, die andere als im wesentlichen biologi- sche Verfahren zur Ziichtung yon Tieren und deren Erzeugnissen, n~imlich die mit Hilfe technischer Verfah- ren erzeugten Tiere, betreffen, sind dagegen nicht von der Patentierung ausgeschlossen [11]. Hierzu z~ihlen beispielsweise die Methoden der Gentechnik [14]. Ebenso sind im wesentlichen biologische Verfahren mit Hilfe von Tieren zur Herstellung von Erzeugnissen patentf~ihig. Nach einer Entscheidung des Europ~i- ischen Patentamtes k6nnen auch Tiere, jedoch nicht Tierarten geschtitzt werden [14]. Ftir den Bereich der Pflanzenzucht wurde durch das Sortenschutzgesetz ein spezifischer Schutz geschaffen [13]. F~ir nicht im wesentlichen biologische Verfahren zur Ztichtung yon Pflanzen und fiir allgemein verwendbare Ziichtungsverfahren, die nieht lediglich der Ziichtung einer einzelnen Sorte dienen, kann ein Patent erteilt werden. Dies gilt auch fiir alle Erfindungen yon Pflan- zensorten und fiir die Verfahren zur Ziichtung derarti- ger Pflanzensorten. Ebenso sind biologische Verfahren, die nicht der Zucht yon Pflanzen dienen, patentf~ihig, d.h. Verfahren zur Herstellung yon Erzeugnissen mit Hilfe h6herer Pflanzen mit Ausnahme der Pflanze selbst. Die unmittelbaren Erzeugnisse dieser Verfahren werden gem~i6 § 9 S. 2 Nr. 3 PatG geschiitzt. Pflanzen- und Tierziichtungsverfahren sind demnach patentrecht- lich schiitzbar, wenn es sich nicht um ,,im wesentlichen biologische Verfahren" handelt [8]. Patentschutz kann aber ftir mikrobiologische Verfahren gew~ihrt werden. Ebenso ki3nnen Mikroorganismen als

solche geschtitzt werden, weil mikrobiologische Ziich- rungs- und Mutationsverfahren zu den technischen Erfindungen geh6ren.

Oberblick iiber die Entwicklung der Rechtsprechung

Die Patentierbarkeit biologischer Erfindungen schei- terte lange Zeit an dem Begriff gewerbliche Verwert- barkeit [15]. Das Reichspatentamt [16] war der Ansieht, dab eine gewerblich verwertbare Erfindung nut dann vorliege, wenn es sich um eine mechanisehe oder che- mische Bearbeitung oder Verarbeitung von Rohstoffen handle. Im Laufe der Zeit bildete sich jedoch die Praxis heraus, auch Patente auf den Gebieten der Landwirt- schaft, des Brauwesens und der Zuckerindustrie zu erteilen. Nach der Ausdehnung des Begriffs gewerbli- che Verwertbarkeit wurde auch der Begriff Technik auf die lebende Natur ausgedehnt. Beispielsweise wurden Patente fiir die Antibiotika-Herstellung erteilt, obwohl viele der fiir technische Erfindungsgegenst~inde entwik- kelten Rechtsgrunds~itze hierfiir nicht zutreffen. Man hatte sich zun~ichst gescheut, fiir die Antibiotika Sach- patente zu erteilen. Zur Patentierung wurden dann die gleichen Grunds~itze herangezogen wie fiir chemische Analogieverfahren. Danach muBten erstens eine erfin- derische Tfitigkeit vorliegen (z. B. das Auffinden des antibiotischen Grundmaterials oder das Ziichten eines Mikroorganismus) und zweitens eine fortschrittliche Wirkung vorhanden sein (z.B. der pharmazeutische oder therapeutische Erfolg der Antibiotika bei der Ver- wendung). Die Analogieschritte, also die selbstver- st~indlichen Magnahmen, die bei der Antibiotika-Her- stellung getroffen werden, galten als nicht patenff~ihig. Die Grundlage fiir die Anerkennung als patentf~ihige Erfindung ist demnach das Auffinden des Mikroorga- nismus. Das Wissen, wie ein neues Ausgangsmaterial entdeckt worden bzw. zustande gekommen ist, ist die Voraussetzung fiir die Nachpdifbarkeit der Erfindungs- eigenschaften [8].

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Herstellung

biologische Erfindung

I verfahren ]

Z~)chtuno

von Stoffen

unter Verwendung von

Mikroorganismen

tierischen oder

pflanzJichen Zellen

Viren

Enzymen

I von

Organismen

Sachschutz 1

von Organismen~ erzeugte Stoffe~

Organismen

Fig. 4. MOgliche Gegenstfinde des Patent- schutzes biologischer Erfindungen

Mit zunehmendem Fortschritt in der Wissenschaft setzte nach dem 2. Weltkrieg eine Neuorientierung in der Rechtsprechung ein. Der Bundesgerichts- hof befa6te sich seit Beginn der 60er Jahre mehrfach mit der Problematik von Erfindungen auf biologi- schem Gebiet. Eine grunds~tzliche Entscheidung [17] beztiglich der biologischen Verfahren betrifft die Zucht einer Rose. Das Gericht erkl~irt die Patentertei- lung als statthaft, obwohl die beschriebene Zucht der neuen Rose wegen der gentechnischen Verfinderungen nicht mit Sicherheit wiederholbar ist. Eine zweite wichtige Entscheidung [9] betrifft die Tierzucht. Hier wies der Bundesgerichtshof zwar die Patenterteilung zuriick, entwickelte jedoch eine neue Definition des Begriffs technische Erfindung, nach der auch das Gebiet der Biologie in den Bereich der Technik einbe- zogen wurde. Die Erkenntnisse der Wissenschaftler, dab auch in der belebten Natur Vorgfinge nach kausa-

len Gesetzm~6igkeiten ablaufen und diese sich mathematisch nachstellen lassen, erm6glichten eine Ausdehnung des Patentschutzes auf biologische Prozesse. Heute ist es unstreitig, dab auch Erfin- dungen, die auf biologischen oder physiologi- schen Gesetzm~i6igkeiten aufbauen, technische Leh- ren sind. In einer Entscheidung vom 11. Mfirz 1975 [18] befa6te sich der Bundesgerichtshof speziell mit dem Patent- schutz ft~r mikrobiologische Verfahren. Es war zu unter- scheiden, ob eine B~ickerhefe, ihr Zuchtverfahren und ihre Verwendung als Trockenhefe dem Patentschutz unterliegen k6nnen. Im Prinzip darf hiernach ffir auf Mikroorganismen bezogene Verfahren Schutz erteilt werden, weil mikrobiologische Zfichtungs- und Muta- tionsverfahren zu den technischen Erfindungen geh6- ren. Inzwischen ist auch der Sachschutz far Mikroorga- nismen anerkannt.

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Page 5: Der patentrechtliche Schutz biotechnischer Entwicklungen

Erfindung

mikrobiologische Erfindungen

i allgemeine Voraussetzungen Hinterlegung

~---Neuheit LerlTnt~;~;it he Ag:e:d~ia;hk:it

Freigabe

Fig. 5. Besondere Voraussetzungen ftir den Schutz mikrobiologischer Erfindungen

Nicht patentierbar sind dagegen Organismen, die in der Natur vorkommen und nicht dutch ein spezielles ZOch- tungsverfahren gewonnen werden. Es sollen die in der Natur vorkommenden Organismen fur jedermann ver- fOgbar sein. In jt~ngerer Zeit wurden auch Erfindungen auf dem Gebiet der Gentechnologie dem Patentschutz zug~ing- lich gemacht. Nach Ansicht des Europ~iischen Patent- amtes [14] kann bei solchen Entwicklungen allerdings besonderer Anla6 bestehen, im Einzelfall zu pr0fen, ob in den gentechnischen Verfahren oder Produkten ein Verstog gegen die 6ffentliche Ordnung oder die guten Sitten zu sehen ist. Im Veffolg der Entwicklung der Gentechnik werden Patente auch fur Bestandteile von Organismen erteilt, z.B. Plasmide als isolierte DNA-Derivate.

Besondere Voraussetzungen

W~ihrend in anderen Bereichen der Technik das Objekt der Erfindung durch eine Beschreibung, Formeln und Zeichnungen so dargestellt werden kann, dab es mit Hilfe dieser Mitteilungstr~iger identifizierbar ist, trifft dies so allgemein nicht zu, wenn Organismen Objekt der Erfindung sind. Diese lassen sich in der Patentan- meldung in aller Regel nicht so beschreiben und bildlich darstellen, dab allein hiernach ihre Identifizierung m6glich w~ire. Zudem sind biologische Verfahren in aller Regel for den Fachmann nicht ohne erfinderisches Zutun nacharbeitbar, wenn der Organismus nicht zur VerfOgung steht.

H i n t e r l e g u n g

Wenn die Erfindung einen nicht bekannten Organismus darstellt oder von einem solchen Gebrauch macht, mug dieser sp~itestens zngleich mit der Anmeldung an einer zur langfristigen Aufbewahrung geeigneten Stelle hin- terlegt und in der Patentanmeldung die Hinterlegungs- stelle angegeben werden (Fig. 5) [18, 19]. Der Hinterle-

gung sind aber nicht nur die Organismen als solche, sondern auch z.B. Plasmide oder Kombinationen der Form Mikroorganismus (Wirt)/Plasmid zug~nglich. Die Angabe der Hinterlegungsstelle und der Hintefle- gungsnummer kann die Beschreibung jedoch nicht ersetzen. Sie ist lediglich ein Notbehelf, der dem Erfin- der die zur Patentierung erforderliche einwandfreie Identifizierung eines bisher in der Literatur nicht beschriebenen und auch durch morphologische oder physiologische Kennzeichen bzw. biochemische Para- meter nicht beschreibbaren Organismus erleichtern soll. Die vorherige Hinterlegung und die Mitteilung hierOber befreit den Anmelder also nicht vonder Ver- pflichtung, alles in seinen Krfiften Stehende zu tun, um den Organismus mit herk6mmlichen Mitteln so ersch6pfend wie m6glich zu charakterisieren. Nach den von der Rechtsprechung [18] entwickelten Grundsfitzen soll die Hinterlegung bei einer wissen- schaftlich anerkannten Stelle erfolgen, gleichgfiltig ob diese ihren Sitz im In- oder Ausland hat. Da die Hinter- legung des Organismus an die Stelle einer Beschrei- bung der Erfindung tritt bzw. diese erggnzt, sind die Modalit~iten an dem Zweck auszurichten, der mit den Patentanspr0chen und der Beschreibung der Erfindung verfolgt wird. Sie mug sicherstellen, dab der hinterlegte Organismus den Erteilungsinstanzen jederzeit zugang- lich ist; hierzu ist eine unwiderrufliche Erkl~irung gegenfiber der Hinterlegungsstelle vorgeschrieben. Bei der Hinterlegungsstelle mug Vorsorge getroffen sein, dab das biologische Material der Fachwelt auch noch eine angemessene Frist nach der Laufzeit des beanspruchten Patentes zur Nacharbeitung der gesch0tzten Erfindung zur Veff0gung steht, und zwar auch fur den Fall, dab es nach der Ver6ffentlichung der Anmeldung nicht zu einer Patenterteilung kommt. Eine nahere Regelung enthfilt der Budapester Vertrag [20] fiber die internationale Anerkennung der Hinterle- gung yon Mikroorganismen for die Zwecke von Patent- erteilungsverfahren. Dieser Vertrag regelt die Kompe- tenzen der international anerkannten Hinterlegungs- stellen, was bei einer Unterbrechung der Hinterlegung geschieht und wie lange die Hinterlegung dauern soll.

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Er verpflichtet die Vertragsstaaten, internationale Hin- terlegungsstellen mit der Wirkung anzuerkennen, dab der Anmelder mit der Hinterlegung bei einer dieser Hinterlegungsstellen die Bedingung gegenfiber allen Vertragsstaaten erfollt. Er erm6glicht ferner eine Neu- hinterlegung, falls die erste Hinterlegung aus techni- schen Grfinden unterbrochen wurde. In einer Ausfoh- rungsverordnung ist das Verfahren bei Hinterlegung und Neuhinterlegung geregelt, unter anderem die Auf- bewahrung eines Organismus fiber 30 Jahre. Diese Regelung entspricht der vom Bundesgerichtshof ent- wickelten Rechtsprechung [18], wonach ftir die Dauer der Hinterlegung 5 Jahre nach der letzten Anfrage um Aush~indigung einer Probe, mindestens jedoch 25 Jahre als angemessen angesehen wurden. In einigen Fallen ist die Hinterlegung jedoch nicht erforderlich, z.B. wenn es sich um einen bekannten Organismus handelt, der allgemein zug~inglich ist. Das betreffende Verfahren ist hinsichtlich des Ausgangsma- terials und des angestrebten Endprodukts hinlanglich konkretisiert und damit ausreichend offenbart, wenn die Art und Weise, wie mit dem Organismus zu verfah- ren ist, beschrieben und die betreffende Nomenklatur des Organismus eindeutig bezeichnet ist. Mikrobiologische Verfahren, deren Durchfohrbarkeit nicht auf eine Spezies beschr~inkt ist, brauchen eben- falls nicht durch Hinterlegung abgesichert zu werden, sofern mindestens eine bekannte Mikroorganismenart verwendbar ist [21]. Gleiches gilt for Erfindungen, bei denen es sich um Einrichtungen oder mikrobiologische Verfahren zur Konservierung, Gefriertrocknung, Auf- bewahrung usw. handelt. Solche Verfahren sind auf ver- schiedene Organismen anwendbar. Der Kern der Erfin- dung liegt hier nicht in der Wahl oder in der spezi- fischen Eigenschaft eines bestimmten Organismus. Fer- her brauchen keine Organismen hinterlegt zu werden, die bereits hinterlegten Organismen analog sind. Ana- log bedeutet, dab zwei ~ihnliche Stfimme der gleichen Art zu einem gleichen Ergebnis fohren, d.h. bei einem Fermentationsverfahren unter gleichen Bedingungen das gleiche Stoffwechselprodukt erzeugen [8].

F r e i g a b e

Die Hinterlegung reicht jedoch nicht allein aus. Die Kultur mug auch Dritten frei zugfinglich sein (Frei- gabe), denn die Benutzung der Lehre durch andere ist trotz Ver6ffentlichung nur dann m6glich, wenn der Stamm selbst der Offentlichkeit zug~inglich ist. Der All- gemeinheit wird hier, anders als bei anderen Erfindun- gen, sozusagen die ,,ganze Fabrik" ausgehgndigt; durch ihre F~ihigkeit, sich selbst zu reproduzieren, genfigt eine einzige Zelle des ausgehfindigten Stammes, um damit eine grol3industrielle Produktion aufzuziehen. Die Ver- pflichtung, den hinterlegten Stamm freizugeben,

erscheint so gesehen hart; doch ohne die Freigabe wfir- den Anmeldungen auf dem Gebiet der technischen Mikrobiologie in der Regel keine Lehren zum techni- schen Handeln ffir die Allgemeinheit [18]. Die Hinterlegung des Stammes ist wesentlicher Bestand- teil der Offenbarung der Erfindung. Durch sie ist die Gewfihr dafor gegeben, dab der Organismus unberfihrt von einem weiteren Einflul3 des Anmelders dauernd zur Verfogung steht. Der Anmelder hat sich mit der Hinter- legung und der Freigabe unwiderruflich des Organismus begeben. Die von ihm gegebene technische Lehre und der yon ibm zur Verfogung gestellte Organismus erm6g- lichen unmittelbar die Weiterentwicklung der Technik und die Benutzung der patentierten Lehre. Insbesondere wird durch die MOglichkeit zum Bezug von Proben und zu ihrer natfirlichen Vermehrung der Organismus unbe- grenzt zum Allgemeingut. Nach der Rechtsprechung [22] wird die Wiederholbar- keit einer mikrobiologischen Erfindung durch die Hin- terlegung gew~ihrleistet. Die Wiederholbarkeit des Zfichtungsverfahrens braucht in einem solchen Fall daher nicht mehr gesondert nachgewiesen zu werden (Fig. 5). Erfindungen, die yon einem neuen Organismus Gebrauch machen, sind durch die Offenlegung und Aush~indigung einer Kultur sehr viel st~irker gef~ihrdet als alle anderen Erfindungen. Die Apparate und Beh~il- ter, in denen mikrobiologische Verfahren durchgefohrt werden, sind bei zahlreichen Firmen vorhanden, auch die erforderlichen Nfihrl6sungen und Erfahrungen im Umgang mit derartigen Kulturen. Die ausgeh~ndigte Kultur kann deshalb in der Regel ohne besonderen Aufwand genutzt werden. Es wird durchaus als Mil3- stand empfunden, dab der hinterlegte Organismus schon mit der Offenlegung der Anmeldeunterlagen an interessierte Dritte abzugeben ist. Im europfiischen Patenterteilungsverfahren ist daher vorgesehen, dab der Anmelder die Freigabe eines hinterlegten Organis- mus bis zur Bekanntgabe der Patenterteilung auf die Abgabe von Proben an einen Sachverst~indigen beschrfinken kann (sogenannte Expertenl6sung). Damit soll fOr den Zeitraum des Erteilungsverfahrens ein Mil3brauch durch Probennehmer verhindert wer- den. Der Sachverstfindige handelt im Auftrag des Antragstellers sozusagen als Vertreter der 0ffentlich- keit und ffihrt Untersuchungen sowie 12Iberprfifungen der Erfindung durch. Eine entsprechende Regelung gibt es im deutschen Recht jedoch nicht [1, 8].

Schlugbemerkung Biologische und gentechnische Verfahren und mit ihrer Hilfe hergestellte Erzeugnisse sind patentf~ihig. Neben der Erfollung der allgemeinen Voraussetzung for die

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Erlangung des Patentschutzes ist es auf dem Gebiet der Mikrobiologie n6tig, den Mikroorganismus zu hinterle- gen. Es ist unbestritten, dab die Hinterlegung als Mittel der Identifizierung, Offenbarung und Nacharbeitbar- keit von Erfindungen auf mikrobiologischem Gebiet unerl~iglich ist, obwohl es keine Gew~ihr daffir gibt, dab der hinterlegte Organismus seine Eigenschaften fiber lange Zeit beibeh~ilt. Durch die modernen Aufbewah- rungsmethoden ist jedoch zumindest eine hinreichende Wahrscheinlichkeit gegeben, dab der Organismus unverfindert erhalten bleibt. Umstritten ist die Freigabe von Mikroorganismen. Das h~ingt damit zusammen, dab eine offengelegte Erfindung nur den Entsch/idi- gungsanspruch nach § 33 PatG fiir den Anmelder er6ff- net, nicht jedoch Unterlassungs- und Schadensersatzan- sprfiche, die ihm bei dem erteilten Patent zustehen. Der Anmelder wird damit dem erheblichen Risiko aus- gesetzt, dab Dritte seine Erfindung benutzen, ohne dab ihm wirkungsvolle Gegenmittel vom Gesetz zur Verffi- gung gestellt werden. Der Anmelder handigt mit dem Organismus sozusagen die gesamte ,,Fabrik" aus. Dies k6nnte ihn yon der Offenlegung seiner Erfindung bzw. der Anmeldung seiner Erfindung abhalten, weil das Risiko des Mil3brauchs sehr grog ist. Das europ~iische Patentrecht bietet dagegen einen wei- terreichenden Schutz schon mit der Offenlegung. Es wgre zu begrfiBen, wenn auch im deutschen Recht die M6glichkeit geschaffen wfirde, den Organismus nur an einen neutralen Sachverst~indigen abzugeben, so dab

der Organismus der Offentlichkeit nur indirekt zug~ing- lich w~ire (sogenannte Expertenl6sung). Diese Rege- lung k6nnte MiBbriiuchen vorbeugen und zu verst~irk- ter Anmeldet~itigkeit anspornen.

1. Fitzner, U.: Branntweinwirtschaft 81, 109 2. Bernhardt, W., Krager, R.: Lehrbuch des Patentrechtes. M[in-

chen: Beck 1986 3. Hubmann, H.: Gewerblicher Rechtsschutz. Mtinchen: Beck

1981 4. Nirk, I., Bruchhausen, K.: Gewerblicher Rechtsschutz und

Urheberrecht. Diisseldorf-Stuttgart: Kohlhammer 1975 5. Fischer, F. B.: Grundziige des Gewerblichen Rechtsschutz.

K61n - Berlin - Bonn: Heymann 1986 6. R G Z 20, 40 7. BPatGE 10, 1 8. Fitzner, U.: Dissertation, FU Berlin 1983 9. B G H Z 52, 74 = NJW 69, 171 ~ M D R 69, 638 = BB 69, 1102

LM Nr. 32 zu § 1 PatG 10. B G H Z 67, 22 11. B G H G R U R 77, 152 12. Benkard, G.: Patentgesetz. Miinchen: Beck 1988 13. BGB1. I 1968, 429; BGB1. I 1977, 106 14. EPA Abl. 1980, 476 15. RG G R U R 33,289 16. RPA B1.05, 4 17. B G H G R U R 62, 577 18. B G H Z 64, 101 = NJW 75, 1025 = M D R 75,574 = BB 75,672

= LM Nr. 43 zu § 1 PatG 19. BPatGE 9, 150 20. G R U R Int. 78, 71 21. BPatG G R U R 72, 178 22. B G H G R U R 87,231

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