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Die Anpassungsproblematik in der Bundesrepublik Deutschland und im internationalen Vergleich Von Bernd von Maydell, Berlin I. Vorbemerkung Gegenstand dieses Referats soil primar die Anpassungsregelung filr Altersrenten in der gesetzlichen Rentenversicherung sein. Dariiber hin- aus sullen vor allem auf der Gruntllage der auslandischen Referate, die wir gehiirt haben, einige rechtsvergleichende Uberlegungen zur An- passungsproblematik angeschlossen werden. Diese Problematik, die im Rahmen des Seminars fiir den Bereich der Altersrenten untersucht werden soli, stellt sich fiir alle Geld- leistungen. Eine Beschrankung der Betrachtung nur auf die Alters- renten ist daher zu eng, zumal auch andere Geldleistungen dem Zweck, den Bedarf im Alter zu sichern, dienen kiinnen. Daher soil zunachst die allgemeine Anpassungsproblematik, wie sie with in anderen Rechts- bereichen auftritt, untersucht werden. Eine solche Erweiterung des Blickwinkels verspricht nicht nur eine vertiefte Erkenntnis des Unter- suchungsobjekts, sie entspricht auch ganz konkreten Bediirfnissen, da die Alterssicherung in der Bundesrepublik nicht nur durch die gesetz- lithe Rentenversicherung, sondern auch , durch Offentlich-rechtliche Pen- sionen, arbeitsrechtllche Zusatzrenten und private Lebensversicherun- gen, urn nur einige Instrumente der Alterssicherung zu nennen, gewahr- leistet wird'. Sowohl im Gesamtinteresse wie im Interesse des ein- zelnen alten Menschen idiirfen die verschiedenen Alterssicherungs- systeme nicht getrennt gesehen werden. Das gilt auch fill. die Dynami- sierungsregelung; es wird im einzelnen noch zu zeigen sein, wie sich eine isolierte Betrachtung in den verschiedenen Bereichen auswirken kann. 1 Zur Analyse des Gesamtsystems unserer Alterssicherung vgl. v. Maydell, Basisversorgung (Beamtenpension und Altersruhegelder der gesetzlichen Rentenversicherung) und Ergãnzungsversorgungen (Zusatzversorgungen im &fentlichen Dienst und in der gewerblichen Wirtschaft, einschlieBlich der Privatversicherung), in: Band XVII der Schriftenreihe des Deutschen Sozial- gerichtsverbandes, S. 24 ff.

Die Anpassungsproblematik in der Bundesrepublik Deutschland und im internationalen Vergleich

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Die Anpassungsproblematik in der Bundesrepublik Deutschlandund im internationalen Vergleich

Von Bernd von Maydell, Berlin

I. Vorbemerkung

Gegenstand dieses Referats soil primar die Anpassungsregelung filrAltersrenten in der gesetzlichen Rentenversicherung sein. Dariiber hin-aus sullen vor allem auf der Gruntllage der auslandischen Referate, diewir gehiirt haben, einige rechtsvergleichende Uberlegungen zur An-passungsproblematik angeschlossen werden.

Diese Problematik, die im Rahmen des Seminars fiir den Bereichder Altersrenten untersucht werden soli, stellt sich fiir alle Geld-leistungen. Eine Beschrankung der Betrachtung nur auf die Alters-renten ist daher zu eng, zumal auch andere Geldleistungen dem Zweck,den Bedarf im Alter zu sichern, dienen kiinnen. Daher soil zunachst dieallgemeine Anpassungsproblematik, wie sie with in anderen Rechts-bereichen auftritt, untersucht werden. Eine solche Erweiterung desBlickwinkels verspricht nicht nur eine vertiefte Erkenntnis des Unter-suchungsobjekts, sie entspricht auch ganz konkreten Bediirfnissen, dadie Alterssicherung in der Bundesrepublik nicht nur durch die gesetz-lithe Rentenversicherung, sondern auch ,durch Offentlich-rechtliche Pen-sionen, arbeitsrechtllche Zusatzrenten und private Lebensversicherun-gen, urn nur einige Instrumente der Alterssicherung zu nennen, gewahr-leistet wird'. Sowohl im Gesamtinteresse wie im Interesse des ein-zelnen alten Menschen idiirfen die verschiedenen Alterssicherungs-systeme nicht getrennt gesehen werden. Das gilt auch fill. die Dynami-sierungsregelung; es wird im einzelnen noch zu zeigen sein, wie sicheine isolierte Betrachtung in den verschiedenen Bereichen auswirkenkann.

1 Zur Analyse des Gesamtsystems unserer Alterssicherung vgl. v. Maydell,Basisversorgung (Beamtenpension und Altersruhegelder der gesetzlichenRentenversicherung) und Ergãnzungsversorgungen (Zusatzversorgungen im&fentlichen Dienst und in der gewerblichen Wirtschaft, einschlieBlich derPrivatversicherung), in: Band XVII der Schriftenreihe des Deutschen Sozial-gerichtsverbandes, S. 24 ff.

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II. Zur Anpassungsproblematik allgemein

1. Nominalismus und Verbot von Wertsicherungsklauseln (§ 3 WahrG)

a) Bei jeder Inflation, such bei der schleichenden mit relativ geringenjahrlichen Entwertungsraten, stelit sich bei Geldschulden die Frage,ob der ursprUnglich geschuldete Geldbetrag zur Erfilllung ausreichtoder ob eine Anpassung notwendig ist 2. Diese Frage wird herkOmm-licherweise in der Bundesrepublik Deutschland mit dem Hinweis aufden Nominalismus beantwortet, wonach Geklschulden stets mit demBetrag van Wahrungseinheiten zu begleichen sind, auf den sie lauten,ohne .daf3 es ,auf die Kaufkraft der Wahrungseinheit ankdme. DieserGrundsatz wird auch 'durch die Formel „Mark = Mark" gekennzeich-net.

Allerdings gilt der strikte Nominalismus nur fiir die Geldsummen-schulden, die von Anfang an durch eine bestimmte Anzahl von Wah-rungseinheiten fixiert werden. Etwas anderes gilt fiir die sog. Geld-wertschulden; dazu gehoren vor allem Unterhalts- und Schadensersatz-anspriiche. Bei diesen Anspriichen wird die geschuldete Geldsummedurch den Unterhalts- oder Schadensersatzbedarf ,bestimmt. Bei einerVerminderung der Kaufkraft ist naturgem5.13 ein hiiherer Betragerforderlich, um den Unterhalt abzudecken oder den entstandenenSchaden auszugleichen.

Der fiir Geldsummenschulden geltende Norninalismus verhindert eineAnpassung grundsatzlich auch bei einer weitgehenden Entwertung; derGeldglaubiger kann sich insoweit — dies entspricht jedenfalls derh. M. — auch nicht auf den Wegf all der Geschaftsgrundlage berufen.Etwas anderes soil nur bei einem volligen Verfall der Wahrung gel-ten. Im einzelnen kann auf diese, allerdings heute nicht mehr unbe-strittene, Theorie bier nicht eingegangen werden 3 .

b) Der Rechtsverkehr, der sich auf diesen Nominalismus einstellenmuB, wird bei langfristigen Geldschuiden eine vertragliche Wertsiche-rung ,anstreben. Die Meglichkeit, soiche Klauseln zu vereinbaren, istjedoch durch § 3 WahrG beschrankt4. Diese Vorschrift verbietet Wert-sicherungsklauseln, die nicht von der Bundesbank genehmigt wordensind. Auch enter Beriicksichtigung der Rechtsprechung des Bundes-gerichtshofs, der das Verbot von Wertsicherungsklauseln in § 3 WahrGeng auslegt, stellt diese Vorschrift eine ethebliche Beschrankung desrechtsgeschaftlichen Verkehrs dar 5 .

2 Vgl. zu dieser Problematik v. Maydell, Geldschuld und Geldwert, 1974.3 Zur Kritik am Nominalismus vgl. v. Maydell (s. Fn. 2), S. 56 ff.

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2. Die Anpassung im Zivil- und Arbeitsrecht —insbesondere die Anpassung der betrieblichen Ruhegelder

und der Leistungen der Privatversicherung

a) Wahrend die Sozialleistungen, wie nachfolgend noch darzustellensein wird°, fast vollstandig dynamisiert sind, gilt dies fiir zivilrechtlicheGeidieistungen, aueh wenn sie zur Sicherung des Lebensunterhaltsbestimmt sind, nicht im gleichen MaBe. Ausgehend von dem Grund-satz des Nominalismus bedarf es besonderer Anpassungsklauseln, urnzu einer Anderung bestehender Zahlungsverpflichtungen zu kommen.Es fehlt damit eine Orientierung der Geldzahlungsverpflichtungen anbesonderen Indizes, wie dies etwa fur Italien mit der Kopplung zahl-reicher Leistungen, insbesondere auch der Arbeitsentgelte, an denLebenshaltungskostenindex typisch ist Immer dann, wenn Geldlei-stungen den regelmaBigen Lebensbedarf sichersteilen sollen, mul3 aberdoch eine entsprechende ErhOhung der Geidleistungen gewahrleistetsein. Filr die Arbeitsentgelte erfolgt these Anpassung durch regel-maBige LohnerhOhungen Burch die zumeist jahrlich neu zu verein-barenden Lohntarifvertrage. Die Tarifvertragsparteien in Deutschlandhaben nicht den Weg beschritten, lan.gerfristige Tarifvertrage mitautomatischen Anpassungsklauseln abzuschlieBen 7. Dem liegt auf derGewerkschaftsseite auch der Gedanke zugrunde, daB die jahrlichenLohnerhOhungen nicht nur ein Ausgleich fiir die igestiegenen Lebens-haltungskosten herbeifilhren, sondern dariiber hinaus eine ErhOhungdes Lebensstandards gewahrleisten sollen.

Filr Unterhaltsansprtiche ist, soweit es sich um Ansprilche von Kin-dern gegen die Eltern handelt, ein regelmaBiges Anpassungsverfahrendurch Verordnung geschaff en warden, so daB insoweit die Notwendig-keit von hauflgen Abanderungsklagen entfallts.

b) Fiir betriebliche Altersversorgungsleistungen fehlte urspriinglicheine generelle Anpassungsregelung. Soweit in der Versorgungszusagekeine Anpassung vorgesehen war und the Arbeitgeber eine soicheauch nicht von Fall zu Fall von sich aus vornahmen, blieb nur dieMOglichkeit einer Anpassung ureter Bezug auf das Institut des Weg-falls der Geschaftsgrundlage 9. Nach anlanglichem. Zagern hat das Bun-

4 Zu dieser Bestimmung siehe vor allem Diirkes, Wertsicherungsklauseln,8. Aufl. 1972.

5 Eine Aufhebung dieser Vorschrift ware daher wiinschenswert, vgl. dazuv. Maydell (s. Fn. 2), S. 402 ff.

6 Siehe nachfolgend unter III.7 Vgl. v. Maydell (s. Fn. 2), S. 164.8 Rechtsgrundlage ist, soweit es die ehelichen Kinder anbelangt, § 1612 a

Abs. 2 BGB; fiir nichteheliche Kinder vgl. § 1615 f BGB, wonach der Regel-unterhalt durch Rechtsverordnung festgesetzt wird, wobei veranderte wirt-schaftliche Verhaltnisse zu einer Anderung der Regelsatze fiihren.

9 Vgl. zum friiheren Rechtszustand v. Maydell (s. Fn. 2), S. 180 ff.

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desarbeitsgericht eine solche Maglichkeit in Anbetracht des Versor-gungszweckes des betrieblichen Ruhegeldes bejaht, ohne daB die extre-men Voraussetzungen einer vollstandigen Entwertung der Wahrungvorliegen miissen 1°. Diese Rechtsprechung hat der ,Gesetzgeber inso-fern weitergefiihrt, als er die Arbeitgeber zur regelmaBigen Uber-prufung der Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach jeweilsdrei Jahren und zu einer Entscheidung fiber die Anpassung nachbilligem Ermessen verpflichtete (§ 16 BetrAVG). Das Bundesarbeits-gericht11 hat filr die Ubergangszeit eine Anpassung in HOhe von 50 0/oder Geldentwertungsrate fiir angemessen erachtet. In neueren Ent-scheidungen12 wird — nach Ablauf der Ubergangszeit im Zusammen-hang mit dem Inkrafttreten des Gesetzes — auch eine voile Anpas-sung an die Steigerung der Lebenshaltungskosten gefordert.

Eine Anpassung an die Entwicklung der ',Ohne und Gehdlter kannjedoch nicht nach § 16 BetrAVG gefordert werden 13, ebenso auch nichteine Angleichung der Anwartschaften. Schwierigkeiten ergeben sichbei der Frage, welche Gesichtspunkte im Rahmen der Ermessensprn-fung fiber die Anpassung zu beriicksichtigen sind. Das BAG14 hat z. B.fiir unzuldssig erachtet, ,daB der Arbeitgeber eine Anpassung mit derBegriindung verweigert, Rente und betriebliche Altersversorgungsicherten ,dem Rentner bereits ein Einkommen, das Ober seinem Netto-einkommen als Arbeitnehmer liegt.

Etwas ,anderes muB allerdings dann gelten, wenn eine Gesamtver-sorgungszusage getroffen warden 1st, wie dies haufig der Fall ist. Beisolchen Zusagen, die eine feste summenmdBige Begrenzung der ,Gesamt-versorgung vorsehen kOrmen, kOnnte die Leistung des Arbeitgebersdurch laufende Anpassung der gesetzlichen Renten immer weiter aus-gehOhlt werden and damit gleichzeitig das Versorgungsniveau desRentners sich real verschlechtern. Fur these Falle hat der Gesetzgeber,wiederum an eine vorangegangene Rechtsprechung des Bundesarbeits-gerichts ankniipfend, eine besondere Regelung in § 5 BetrAVG geschaf-fen, das Verbot der sag. Auszehrung.

c) Besondere Probleme ergeben sich auch bei den Berniihungen,Leistungen der Privatversicherung an die Geldentwertung anzupas-sen15. Bedeutsam ist dies vor allem fiir die Lebensversicherung. Da

io So zuerst BAG v. 30. 3. 1973, AP Nr. 4 zu § 242 BGB Ruhegehalt-Geld-entwertung.

11 BAG v. 15. 9. 1957, SAE 1978, 218 mit Anm. von Konzen.12 So vor allem BAG v. 17. 1. 1980 — 3 AZR 614/78.13 Kritisch dazu Schulin, Fragen der Anpassung von Betriebsrenten, insbe-

sondere das Problem der betriebezogenen Dynamisierung, ZfA 1979, 139 ff.;vgl. auch Sonne, Die Anpassung betrieblicher Ruhegelder, Diss. Miinchen,1978.

14 So BAG v. 17. 1. 1980 — 3 AZR 614/78 und 3 AZR 1107/78.

Anpassung von Sozialleistungen an wirtschaftliche Veranderungen 301

das AusmaB der Inflation unbekannt ist, kann im Rahmen von Lei-stungen, die durch das Kapitaldeckungsverfahren finanziert werden,eine automatische Anpassung an Steigerungen der Liihne oder an Ver-anderungen der Preise nicht garantiert werden. Wohl aber ist es meg-lich, den Versicherungsanspruch ftir den Zeitpunkt des Versicherungs-falles (d. h. die Anwartschaft) jeweils urn vorherbestimmte Prozent-satze zu erhOhen, wobei diese Erhahung auch entsprechend den in-zwischen eingetretenen Inflationsraten erfolgen kann. Eine solcheErhiihung der Versicherun,gssumme verlangt jedoch, da die Versiche-rungsdauer kiirzer ist, eine tiberproportionale Erhähtmg der Pramie.Immerhin ist auf diesem Wege eine gewisse Anpassung der Versiche-rungssummen maglich, wobei die Versichertendividende eine nichtunbedeutende Rolle spieltH.

Anders verhalt es sich mit der Anpassung nach Eintritt des Ver-sicherungsfalles. Soweit eine Verrentun,g der Versicherungssummeerfolgt, bleibt die HOhe dieser Rente grundsatzlich unverandert. Allen-falls kame eine — allerdings ibegrenzte und in keinem unmittelbarenVerhaltnis zur Entwertung stehende — Erhiihung durch eine Beteili-gung bei den Ausschilttungen der Versichertendividende in Betracht,soweit eine solche Beteiligung fiir den Personenkreis, bei dem derVersicherungsfall schon eingetreten ist, vorgesehen ist.

3. Die Anpassung der Beamtengehtilter und der Pensionen

Aus dem Alimentationsprinzip folgt, daB die Beamtengehalter beieiner Geldentwertung und auch bei einer ErhOhung des allgemeinenLebensstandards erhOht werden miissen. Eine Automatik oder emu be-stimmtes gesetzliches Verfahren fiir eine solche Anpassung bestehtjedoch nicht. In der Praxis hat sich eine weitgehende Angleichung andie Entwicklung der LOhne und Gehalter der Arbeiter und Angestelltenim Offentlichen Dienst ergeben.

Fiir die Pensionsempfanger wird durch § 70 des BeamtVG bestimmt,daB die Pensionen entsprechend den Dienstbeztigen der aktiven Beam-ten anzupassen sind. Damit wird ein Gleichklang zwischen der Anpas-sung der Besoldtmg und den Pensionen hergestellt.

15 Vgl. dazu z. B. von Den ffer, Lebensversicherung und Inflation — inter-national gesehen, ZVersWiss 1973, 195; v. Maydell (s. Fn. 2), S. 252 ff. Mitdieser Problematik hat sich der A. I. D. A. — KongreB 1970 befaBt, vgl. dasdeutsche Landesreferat von Reimer Schmidt u. a., ZVersWiss. 1970, 63 ff.

16 Siehe Anm. 15; ferner v. Maydell, Rentendynamik als Unterscheidungs-kriterium zwischen gesetzlicher Rentenversicherung und privater Lebensver-sicherung? ZfS 1966, 89.

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III. Die Anpassung von Sozialleistungen in der BundesrepublikDeutschland unter besonderer Beriicksichtigtmg der Altersrenten

1. Allgemeine Regeln

a) Im AnschluB an die Rentenreform des Jahres 1957, die u. a. dieDynamisierung der Altersrenten zum Inhalt hatte, sind fast alle ldn-gerfristigen Geldleistungen der sozialen Sicherheit dynamisiert wor-

Diese verschiedenen Regelungen sollen hier nicht im einzelnendargestellt werden. Vielmehr kOrmen nur die durchgangigen Frage-stellungen, die sich bei diesen Regelungen allgemein ergeben, aufge-zeigt werden; in .diesem Zusarnmenhang werden einzelne dieser Be-stimmungen gleichsam zur Verdeutlichung beispielhaft erwahnt wer-den. Eine Darstellung der Anpassungsregelungen im einzelnen erfolgtfiir die Dynamisierung der gesetzlichen Altersrenten (vgl. nachfol-gend unter 2.).

b) Das Bediirfnis nach Anpassungsregeln stellt sick nur bei Sozial-leistungen in Form von Geldansprilchen. Sach- und Dienstleistungen,z. B. die arztliche Versorgung oder die Versorgung mit Arzneimitteln,bediirfen such im Palle einer Geldentwertung keiner Anpassung. DieTeuerung wirkt sich nur insofern aus, als der Sozialleistungstrdger ho-here Aufwendungen filr die Sach- und Dienstleistungen machen mull.Der Sozialleistungsempfanger und seine Anspriiche bleiben. — siehtman von der mOglichen ErhOhung der Beitrage in der Sozialversiche-rung ab unberiihrt.

c) Bei der Anpassung von Geldleistungen, insbesondere such von So-zialleistungen ist zwischen der Aktualisierung der Anwartschaften undder Anpassung der laufenden Leistungen zu unterscheiden. Durch dieAktualisierung der Anwartschaften wird sichergestellt, daB die Lei-stung im Zeitpunkt ihrer Gewahrung den aktuellen wirtschaftlichenVerhâltnissen entspricht, wahrend durch die Anpassung der laufendenLeistung die nach dem Beginn der Leistung eintretendenden wirtschaft-lichen Anderungen beriicksichtigt werden. Damit nicht die ZufAllig-keit des Leistungsbeginns fiber die HOhe der Leistung entscheidet, istes sozialpolitisch wiinschenswert, Aktualisierung der Anwartschaftenund Anpassung der laufenden Renten nach denselben BezugsgrOBenauszurichten.

d) Eine weitere wichtige Unterscheidung hinsichtlich der Anpassungs-problematik besteht zwischen langfristigen und kurzfristigen Geldlei-stungen. Bei letzteren stein sich die Notwendigkeit einer Anpassungnicht, jedenfalls nicht, solange die Inflationsrate gewisse Grenzen nicht

17 Vgl. v. Maydell (s. Fn. 2), S. 226 ff.

Anpassung von Sozialleistungen an wirtschaftliche Veranderungen 303

ilbersteigt. DemgemaB fehlte urspriinglich z. B. beim Krankengeld dergesetzlichen Krankenversicherung und beim Ubergangsgeld in der ge-setzlichen Unfallversichertmg eine Anpassungsregelung. Allerdings istdie Tendenz festzustellen, such fiir mittelfristige Leistungen eine An-passung dann vorzunehmen, wenn diese Leistungen nicht nur voritber-gehend gewahrt werden. So wird z. B. nunmehr das Krankengeld (§ 182Abs. 8 RVO) und das tbergangsgeld (§ 561 RVO) nach Ablauf einesJahres seit dem Ende des Bemessungszeitraurns an,gepaBt; der Umfangder Anpassung richtet sich nach dem Vom-Hundert-Satz, um den diegesetzlichen Altersrenten erhOht sind. Eine Ahnliche Regelung findetsick z. B. fiir des Arbeitslosengeld (§ 112 a AFG) and das Unterhalts-geld (§ 44 Abs. 7 AFG).

e) Den wiederkehrenden Geldleistungen kann man die einmaligenZahlungen gegeniiberstellen. Bei ihnen stellt sich nur die Notwendig-keit einer Aktualisierung der Anwartschaft. Dies kann, sofern die Lei-stungen ihrer HOhe nach im Gesetz fixiert werden, von Fall zu Fallgeschehen; es ist aber such moglich, dal3 die einmaligen Leistungen aufder Grundlage von variablen Werten jeweils berechnet werden. Sobetragt z. B. das Sterbegeld in der gesetzlichen Krankenversicherungdas 20-fache des Grundlohns (§ 201 RVO), also eines variablen Wertes.

f) Die Anpassung der Sozialleistungen kann sich an verschiedenenwirtschaftlichen Werten orientieren. Wichtige Bezugspunkte sind vorallem die Lohnentwicklung and die Preisentwicklung. ErhOht man dieSozialleistungen entsprechend den Lohn- und Gehaltssteigerungen, sobeteiligt man die Sozialleistungsemplanger idamit an einer mOglichenErhOhung des Lebensstandards, sofern ndmlich die LohnerhOhungenfiber der Preissteigerungsrate Regan. Wenn die Beziige der Soziallei-stungsempfanger nicht in demselben MaBe wie die Arbeitsentgelte mitAbgaben (Steuern und Beitrdgen) belastet sind, so wird die Anpassungentsprechend der ErhOhung der BruttolOhne und Gehalter zu einer imVergleich zu den aktiven Arbeitnehmern iiberproportionalen Steige-rung der Nettoeinkommen der Renten fiihren.

Die Anpagsung der Sozialleistungen kann .auch an der Preisentwick-lung ,orientiert werden. In diesem Falle wird erreicht, daB die den Emp-fdngern zur Verfiigung stehende reale Kaufkraft nicht vermindertwird, eine Beteiligung an einer moglichen Steigerung des Lebensstan-dards erfolgt nicht. SchlieBlich ist es mOglich, daB eine dieser beidenGrO13en im Zusammenwirken mit anderen wirtschaftlichen Werten zumAusgangspunkt fiir die Anpassung gewahlt wird.

In der Bundesrepublik Deutschland hat sich die Entwicklung derBruttolOhne und •Gehalter als Bezugspunkt durchgesetzt. Die Preis-

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entwickiung ist nur noch fiir die Festsetzung der Regelsatze bei der So-zialhilfe insofern von Bedeutung, als diese Regelsatze nach den jewei-ligen Preisen eines bestimmten Warenkorbes (Bedarf einer Person anGiltern und Dienstleisturigen in einer bestimmten Bezugsperiode) fest-gesetzt werden.

g) Ganz unterschiedlich kann. auch ,das Anpassungsverfahren ausge-staltet werden. In der Regel unterscheidet man zwischen einer auto-tomatischen, einer halbautomatischen und einer Anpassung von Fallzu Fall. Zwischenstuf en sind •denkbar. So ist z. B. maglich, daB ohne einbestimmtes Anpassungsverfahren die Anpassung von Fall zu Fall durchstandige tbung zur Regel wird und damit — zumindest tatsdchlich —einer vollautomatischen Anpassung ahnelt.

Kennzeichnend fiir das deutsche Sozialversicherungsrecht ist, daB dieAnwartschaften vollautomatisch durch entsprechende Ausgestaltung derErstberechnung der Leistungen (z. B. Rentenformel) angeglichen wer-den. Das gilt, angefangen von der Rentenversicherung -fiber die Unfall-versicherung fast durchgfingig, insbesondere auch fiir die kurzfristigenund einmaligen Leistungen. Dagegen erfalgt die Anpassung der laufen-den Leistungen zumeist nicht vollautomatisch, sondern aufgrund einerjeweiligen Entscheidung des Gesetzgebers, d. h. also durch ein beson-deres Anpassungsgesetz, wobei die AuslOsungfaktoren fiir die Anpas-sung im Gesetz genannt werden, der Gesetzgeber aber hinsichtlich desUmfangs der Anpassung ein Ermessen hat. Dies gilt jedenfalls fiir diegesetzliche Rentenversicherung, auf die im einzelnen nachfolgend ein-gegangen wird". Etwas anderes gilt fiir die Unfallversicherung seit dem21. RAG v. 25. 7. 1978 19. Seit dem 1. 1. 1979 werden the Renten dergesetzlichen Unfallversicherung automatisch angepat. Der Anpassungs-faktor wird durch Rechtsverordnung der Bundesregierung festgestellt.Eine wesentlich schwdchere Anpassungsverpflichtung findet sick inanderen Sozialleistungsbereichen; so wird der Gesetzgeber im BAFOG(§ 35) nur verpflichtet, in zeitlichen Abstanden von 2 Jahren eine An-passung zu priden. Wie die Erfahrung zeigt, hat der Gesetzgeberdiesen Spielraum in der Vergangenheit so genutzt, daB er wegen derFinanzlage des B .undeshaushalts eine Anpassung unterlassen hat. EineAnpassungsregelung fehlt ganz fiir das Kindergeld, das nur von Fallzu Fall — unregelmaBig — erhOht wird.

Wie das Beispiel der AusbildungsfOrderung zeigt, kann der Gesetz-geber das Anpassungsverfahren far einen Sozialleistungsbereich auto-nom gestalten, er muB dies sogar, wenn unterschiedliche Anpassungs-verfahren und Anpassungsmastabe gelten sollen. Soweit die Sozial-

18 Siehe nachfolgend unter 2.18 BGB1. 1978 I, S. 1089.

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leistungen nach einheitlichen Kriterien angepaBt werden sollen, kannder Gesetzgeber auch so vorgehen, ,daB er ein Anpassungsverfahrengleichsam als Leitverfahren ausgestaltet und fiir andere Sozialleistungs-bereiche anordnet, daB die im Ausgangsverfahren ermittelten Anpas-sungssatze Ubernommen werden miissen. Eine solche Leitfunktion hatdie Anpassungsregelung der gesetzlichen Rentenversicherung. Die dortfestgestellten Werte werden ftir fast al'le anderen Sozialleistungs-bereiche Ubernommen, wie die Krankenversicherung, die Arbeitslosen-versicherung, die Kriegsopferversorgung etc.

Zum Anpassungsverfahren geh8rt auch der Zeitabschnitt, in demdie Anpassungen vorzunehmen sind. Hier hat sich in der Bundes-republik Deutschland die jahrliche Anpassung allgemein durchgesetzt.

2. Spezialle überlegungen zur Anpassung der gesetzlichen Renten2°

a) Der Anpassung in der gesetzlichen Rentenversicherung kommtnicht nur wegen des genannten Volumens und der Zahl der erfaBtenPersonen eine Schliisselfunktion zu, sondern auch deshalb, weil derAnpassungssatz der gesetzlichen Rentenversicherung in den meistenanderen Sozialleistungsbereichen automatisch Ubernommen wird, so-welt es die Anpassung der laufenden Leistung anbelangt. Nachfolgendsoil jedoch zunachst die Aktualisierung der Rentenanwartschaf tenuntersucht werden.

b) Es geht darum, daB die Erstrenten den wirtschaftlichen Verhalt-nissen itn Zeitpunkt des Versicherungsfalles entsprechen sollen. Dieswird mit Hilfe der allgemeinen Bemessungsgrundlage im Rahmen derRentenformel erreicht21. Nachdem zunachst festgestellt worden ist, wiehoch das Erwerbseinkommen des Versicherten im Verhaltnis zumDurchschnittseinkommen aller Versicherten in jedem Jahr gewesen istund dann der Durchschnitt aus diesen einzelnen Prozentzahlen errech-net worden ist (Prozentsatz der persOnlichen Bemessungsgrundlage),wird these Prozentzahl, die die Gesamtarbeitsleistung des Versichertenin seinem Arbeitsleben zum Ausdruck bringt, auf die allgemeine Be-messungsgrundlage bezogen. Durch die allgemeine Bemessungsgrund-lage sullen die Lohn- und Gehaltsverhaltnisse im Zeitpunkt des Renten-falles zum Ausdruck gebracht werden; es soli damit gewahrleistet wer-den, daB die errechnete Rente aktualisiert lst, d. h. dem aktuellenLohn- und Gehaltsniveau entspricht. Allerdings 'bestimmt sich die all-

20 Vgl. dazu u. a. Schell, Dynamisierung gesetzlicher Altersrenten, 1979;Hippe, Das Problem der Bestandsrentenanpassung in den Rentenversicherun-gen der Arbeiter und der Angestellten, 1966.

21 Vgl. dazu Schewe u. a., Vbersicht fiber die soziale Sicherung, 10. Aufl.1977, S. 84 ff.

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gemeine Bemessungsgrundlage nicht nach dem Durchschnittsentgeltslier Versicherten im letzten Jahr vor .dem Versicherungsfall (so in dergesetzlichen Unfailversicherung), sondem nach den Durchschnittsent-gelten in den letzten drei Jahren zuvor. Frillier lag noch ein weiteresKarenzjahr zwischen dem Jahr des Versicherungsfalles und den dreiJahren, die fiir die Berechnung der ailgemeinen Bemessungsgrundlagezugrundegelegt werden. Dieses Karenzjahr ist durch das 20. Renten-anpassungsgesetz (RAG) entfallen22. Praktisch hat rich die Entscheidungdes Gesetzgebers, statt eines Jahres diese drei Referenzjahre zu wdh-len, in Anbetracht der stetig ansteigenden LOhne und Gehdlter retar-dierend auf die Aktualisierung der Rentenanwartschaf ten ausgewirkt.Die allgezneine Bemessungsgrundlage 'age nâmlich hiiher, wenn je-weils das letzte Jahr al's BezugsgrOBe zugrundegelegt wiirde. Hinsicht-lich der Griinde fiir die Wahl der Idreijàhrigen Referenzperiode undhinsichtlich der Frage, ob diese Regelung wirtschaftspolitisch und sozial-politisch wiinschenswert ist, kann auf die nachfolgenden Ausfiihrungenvon Schmtih123 verwiesen werden.

c) Die Bestandsrenten werden seit der Rentenreform des Jahres 1957jahrlich durch ein besonderes Gesetz angepaBt. Inzwischen hat es21 Rentenanpassungsgesetze gegeben. § 1272 Abs. 1 RVO in der heuti-gen Fassung bestimmt, daB bei Veranderungen der allgemeinen Bemes-sungsgrundlage, die auf der Grundlage der Durchschnittsentgelte ineiner Referenzperiode von drei Jahren berechnet wird, die Renten an-zupassen sind. Anpassungszeitpunkt war bis 1972 jeweils der 1. Januar.Durch das Rentenreformgesetzt 1972 wurde die Anpassung auf den1. Juli vorgezogen. Diese Regelung gait bis zum Jahre 1977. Das20. RAG24 verlegte den Anpassungszeitpunkt wieder auf den 1. Januar,so daB zwischen 19. (zum 1. 7. 1977) and 20. Anpassung (zum 1. 1. 1979)18 Monate lagen.

AuslOsungsfaktor fiir die Anpassung ist die Verdnderung der allge-meinen Bemessungsgrundlage, wie sich aus § 1272 RVO ergibt. Damitist jedoch nicht gesagt, daB diese GrOBe auch den Umfang der Anpas-sung bestimmen miisse. Die alte Fassung des § 1272 RVO rah noch vor,daB bei der HOhe der Anpassung neben der Entwicklung der Brutto-entgelte auch andere wirtschaftliche GrOBen beriicksichtigt werden soll-ten. Tatsachlich rind jedoch bis zum 20. RAG stets die Renten ent-sprechend der Anderung der allgemeinen Bemessungsgrundlage erhOhtworden. Erst durch das 21. RAG 25 sind fiir die Jahre 1979, 1980 und1981 niedrigere Sdtze, namlich 4,5 0/0, 4 °/o und 4 0/0 bestimmt worden,

22 BGB1. 1977 I, S. 1040.23 Siehe nachfolgend S. 315 ff.24 Siehe Anm. 22.25 Siehe Anm. 19.

Anpassung von Sozialleistungen an wirtschaftliche Verânderungen 307

wobei auch die Rentenformel fiir die Zugangsrenten in diesen Jahrenentsprechend ausgestaltet worden ist.

Das Anpassungsverfahren, das durch ein fOrmliches Gesetz abge-schlossen wird, wird durch einen RentenanpaRgungsbericht der Bundes-regierung und ein Gutachten des Sozialbeirats, eines besonders filrdiesen Zweck geschaffenen Beratungsgremiums (vgl. §§ 1274, 1275RVO), eingeleitet (§ 1273 RVO).

Das 21. RAG hat gezeigt, daB der Gesetzgeber auch durch die standige(bung in der Vergangenheit, die stets eine voile Anpassung gebrachthat, sich nicht gebunden ftihlt, daB also unser System, das lange alspraktisch vollautomatisch gehandhabt worden ist, letztlich doch als einhalbautomatisches System bezeichnet werden mu&

Da der Gesetzgeber die voile Anpassung in § 1272 RVO nicht vor-geschrieben hat, erubrigt sich die Frage, ob die Versicherten unter demAspekt des Plangewahrleistungsanspruths einen Anspruch auf einensolchen vollen Anpassungssatz geltend machen kOnnten22 .

3. Aktuelle Probleme der Rentendynamisierung

Auf die spezifischen Probleme der Rentenanpassung in ihrem Kon-text mit der Frage der Reform des Alterssicherungssystems wirdSchmahl in seinem Beitrag noch eingehen27. Hier sollen daher einigewenige Hinweise gentigen. Die Rentendynamik, the sich an der Ent-wicklung der Bruttoltihne und Gehalter orientiert, hat trotz der zeit-lichen VerzOgerung der Anpassung zu einem bestdndigen Anstieg derRentnereinkommen im Vergleich zu den Nettoeinkommen der aktivenArbeitnehmer gefiihrt, da die Belastungen der Bruttoarbeitsentgeltedurch die progressive Lohn- und Einkommensteuer und die steigendenSozialversicherungsbeitragsatze im Vergleich zu den nominalen Ein-kommen&steigerungen tiberproportiona1 gewachsen sind. Diese Entwick-lung stellt die Berechtigung des bisherigen Anpassungsverfahrens inFrage. Ein entscheidender Faktor bei der Reformdiskussion ist dartiberhinaus die finanzielle Entwicklung der Rentenversicherung und diedurch den Geburtenruckgang bedingte Verschlechterung der demogra-phischen Voraussetzungen fiir den Generationenvertrag.

Ganz entscheidende Bedeutung kommt bei den Reformilberlegungendem Umstand zu, daB unser Alterssichertmgssystem nicht ein Einheits-system ist, sondern sich aus verschiedenen Teilsystemen zusammen-

26 Zu dieser Problematik vgl. Gravert, Rechtliche Grundlagen dynamischerSozialversicherungsleistungen, insbesondere die plangesetzliche Rentendyna-mik, jur. Diss. Giittingen 1971.

27 Siehe nachfolgend S. 315 ff.

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setzt. Man spricht demgemal3 von einem 3-Schichten-Modell oder3-Saulen-Mode1129. Fiir die verschiedenen Teilsysteme ist die Anpas-sungsfrage unterschiedlich beantwortet. Das wird .besonders deutlich,wenn man z. B. die Bearntenversorgung einerseits und the Rentenver-sicherung zusammen mit betrieblicher Altersversorgung oder tarif-licher Zusatzversorgung andererseits miteinander vergleicht. Bei jederAnderung in einem Teitsystem wird man zu iiberprafen haben, wiesich dies auf die anderen Systeme auswirkt. Diese Interdependenz soilan zwei Beispielen verdeut•icht werden:

(1) Bei den Arbeitern und Angestellten des Offentlichen Dienstes wer-den die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung durch tarif-liche Zusatzversorgungssysteme bis zu einer ;Gesamtversorgungs-grenze aufgestockt. Diese Grenze ist in idem einschlagigen Tarif-vertrag ;dynamisch formuliert. Bleibt die Rentenanpassung hinterdieser dynamischen Entwicklung der Gesamtversorgungsgrenze zu-rack, muB die entsprechend hiihere Differenz idurch die Zusatz-versorgung, d. h. praktisch aus Steuermitteln aufgebracht werden.

(2) Beschrankt man die Rentenanpassung auf Sdtze unterhalb derErhOhung der Liihne und Gehdlter, so erhalt man eine sozialpoli-tisch unerwiinschte Differenzierung zu den Pensionen, denn diePensionen werden nach dem Beamtenversorgungsgesetz in dem-selben Umfange erhOht wie die Beziige der aktiven Beamten29 .Insofem ist also ein Gleichkiang zwischen der Einkommensent-wicklung der Aktiven und der Pensionare gewOhrleistet.

Die Liste dieser Ungereimtheiten lieBe sich verlangern. Die Beispiels-zeigen jedoch schon geniigend ;deutlich, ;daB •die verschiedenen

Teilsysteme in unserem Gesamtsystem der Alterssicherung nicht iso-liert •gesehen werden ktinnen. Dies gilt auch fiir die Frage der Anpas-sung, die sich in alien Teilsystemen stellt und zumindest miteinandervergleichbare LOsungen verlangt.

IV. Einige rechtsvergleichende Uberlegungen zurAnpassungsproblematik

1. Notwendige Selbstbescheidung

Eine rechtsvergleichende Analyse der Anpassungsproblematik setzteine griindliche Untersuchung der in den Vergleich einzubeziehendenRechtsordnungen voraus. Urn eine solche Analyse kann es hier nichtgehen; vieimehr soil versucht werden, auf der Grundlage der in den

28 Vgl. v. Maydell (s. Fn. 1), S. 24 ff.29 Siehe dazu den Bericht in der FAZ v 3. 4. 1980, S. 4.

Anpassung von Sozialleistungen an wirtschaftliche Verdnderungen 309

Landerberichten dargestellten verschiedenen nationalen Systeme einigeverbindende Linien aufzuzeigen, soweit sie auch fiir das deutsche Sozial-recht interessant sind. Dabei ist eine Vollstandigkeit weder erstrebtnoch iiberhaupt moglich.

Solche rechtsvergleichenden Uberlegungen dienen nicht in ersterLinie der Suche nach LösungsmOglichkeiten fiir die deutschen Pro-bleme. Sie kOnnen aber solche LOsungsmOglichkeiten erleichtern, indemdas Verstandnis fiir die grundsatzliche Fragestelltmg geweckt und ver-starkt wird.

2. Einzelaspekte in vergleichender Betrachtung

a) Generell ldBt sich aufgrund eines auch nur fliichtigen Blickes Oberdie Grenzen der Bundesrepublik sagen, daB die Anpassung von Sozial-leistungen auch im Ausland PrObleme und Schwierigkeiten bereitet 30 .Das gilt nicht nur fiir die westlichen. Demokratien. Wie das BeispielPolen zeigt, ergibt sich auch in sozialistisehen Staaten in Anbetrachtder Veranderung wirtschaftlicher Gegebenheiten, vor allem der Preise,die Frage, inwieweit die bislang statischen Sozialleistungen angepaBtwerden miissen.

Wahrend in der Bundesrepublik Deutschland die Ausgestaltung undModifikation der bereits bestehenden Anpassungsverfahren im Vorder-grund steht, geht es in manchen anderen Staaten noch urn die erst-malige Einfiihrung von Anpassungsverfahren. Dabei verlduft die Ent-wicklun,g haufig Mutlich wie in Deutschland, insofern, als zunachst fiirdie Altersrenten Regelungen geschaffen werden, wahrend — jedenfallsam Anfang — andere Sozialleistungen statisch bleiben. Man kOnnteinsoweit von einer Zwischenstufe in der Entwicklung der Anpassungsprechen. Diese Entwicklung laBt sich besonders deutlich in GroB-britannien aufzeigen, wo in verschiedenen Stufen immer neue Sozial-leistungen in die Anpassungsregelung einbezogen wurden31, ganz Um-lich wie dies auch in der Bundesrepublik der Fall gewesen ist.

Interessant 1st dabei, daB die Sozialleistungsbereiche mit regelmaBi-ger Dynamisierung in den verschiedenen Staaten nicht tibereinstimmen.So fehlt z. B. in Deutschland fiir das Kindergeld eine Anpassungsrege-lung, wie sie in Belgien — und Frankreich — besteht; in GroBbritan-nien werden dagegen — auch wiederum im Gegensatz zu den meistenanderen Staaten — die Sozialhilfeleistungen ebenso wie die Sozial-versicherungsrenten angepaBt.

30 Vgl. z. B. zur Rechtslage in der Schweiz, die nicht in den Vergleich imRahmen des Seminars einbezogen worden ist, Maurer, Schweizerisches So-zialversicherungsrecht, 1979, S. 317 ff.

31 Vgl. das Referat von Kaim-Caudle, in diesem Heft S. 283 ff.

20 Zeitschr. f. d. g. Versicherungsw. 2 - 3

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b) Die Ausgestaltung der Anpassungsregelungen richtet sich nach denZwecken, die damit verfolgt werden. Will man dem Empfanger vonSozialleistungen nur den einmal erreichten Lebensstandard sichern, soliegt es nahe, eine Anpassung an der Preisentwicklung auszurichten.So11 dagegen ein Anstieg des Lebensstandards der Erwerbstatigen auchden Rentnern zugute kommen, so empfiehlt sich eine Orientierung ander Lohnentwicklung. Wie das belgische Beispiel zeigt, ist auch eineKombination denkbar, indem eine vollautomatische Indexierung ent-sprechend der Preisentwicklung erfolgt und zusatzlich eine Anpassungan the Lohnentwicklung moglich ist32. Die Regelung in GroBbritannienzeigt clarilber hinaus, daB LOhne und Preise auch kumulativ als An-passungsmaBstab herangezogen werden kiinnen, wobei die jeweils star-ker gestiegene GraBe den Anpassungssatz bestimmt. DaB dies zu pro-blematischen Ergebnissen f(ihren kann, hat Kaim-Caudle33 dargelegt.

Mit dem Anpassungsinstrumentarium kiinnen aber auch andere Zieleverfolgt werden. So ist es z. B. moglich, durch eine Beschrankung derAnpassung auf die Mindestrenten zu einer schrittweisen Nivellierungdes Rentenniveaus zu gelangen. Ein Beispiel daiiir ist Polen. Allerdingswird nicht immer klar, inwieweit dieser Nivellierungseffekt ausdriick-lich angestrebt wird oder sich mehr oder weniger unbeabsichtigt ausdem gewahlten Verfahren ergibt.

Auch bei einer prozentualen Anpassung aller Leistungen ist derAspekt der Nivellierung oder weiteren Differenzierungen sozialpoli-tisch zu berucksichtigen, da die prozentuale Anpassung im Laufe derZeit den nominalen Abstand zwischen niedrigen und hohen Rentenimmer mehr vergrOBert34. Gelht man vom Nivellierungsgedanken aus,so lage es nahe, das Anpassungsverfahren dergestalt zu modifizieren,daB die Anpassungssatze fur niedrigere und hOhere Renten unter-schiedlich gestaltet werden. Wieweit solche am Bedarf orientiertenliberlegungen, wie sie in der sozialpolitischen Diskussion in der Bun-desrepublik Deutschland berets angestellt worden sind, sich mit demPrinzip der Lohnersatzrente vereinbaren lassen, erscheint allerdingsfraglich.

c) NaturgemaB ergeben sich bei dem Anpassungsverfahren in denverschiedenen nationalen Ordnungen erhebliche Unterschiede, da dieseVerfahren den Besonderheiten des jeweiligen Sozialsystems Rechnungtragen miissen.

32 Eine ahnliche Regelung findet sich in der Schweiz, wo eine regelmaBigeAnpassung der Renten an die Lohn- und Preisentwicklung alle zwei Jahrevorgesehen ist (vgl. dazu Maurer, s. Fn. 30, S. 318 f.).

33 Siehe oben S. 283 ff.34 Vgl. zu dieser Diskussion in Belgien van Langendonck, in diesem Heft

S. 263 ff.

Anpassung von Sozialleistungen an wirtschaftliche Veranderungen 311

(1) Fin- alle Systeme gilt, idaB zwischen Aktualisierung der Anwart-schaften und Anpassung der laufenden Renten zu unterscheidenist. Die Aktualisierung der Erstrenten erfolgt regelmãBig im Rah-men der Rentenformel (allgemeine Bemessungsgrundlage in derBRD; Aufwertung der Einkommen in einer Referenzperiode, dieder Rentenberechnung zugrundegelegt werden, wie dies z. B. inC) s t er r e ich und GroBbritannien der Fall 1st).

Dagegen ist filr die Anpassung der laufenden Renten ein beson-deres Anpassungsverfahren notwendig, ,das unterschiedlich aus-gestaltet sein kann. Diese Zweispurigkeit bringt die MOglichkeitmit sick, daB Anwartschaften und laufende Renten unterschiedlichangepat werden, wie das ,belgische Beispiel zeigt. Dies fiihrt aller-dings zu sozialpolitisch unerwiinschten Unterschieden in der Ren-tenhOhe je nach Eintritt des Rentenfalles bei sonst gleichen Vor-aussetzungen.

(2) Bei den Anpassungsverfahren' Mr die laufenden Renten kann manzwischen Anpassung von Fail zu Fall (Polen) und halbautomatischenAnpassungsverfahren (BRD, Osterreich, GroBbritannien) miter-scheiden. Wie das belgische Beispie135 zeigt, ist auch eine Kom-bination dergestalt moglich, daB eine vollautomatische Anpassungan die Preisentwicklung gekoppelt wird mit einer halbauto-matischen oder fallweisen Anpassung an die Entwicklung derLahne und Gehalter. Auch wenn die Tendenz in die Richtung etherautomatischen Anpassung weist, werden doch in einer solchenFestlegung auch Gefahren, insbesondere fiir die Finanzierung undfiir die Wirtschaftspolitik gesehen.

(3) In das Anpassungsverfahren werden bisweilen besondere Gremieneingeschaltet, wie der Sozialbeirat in der Bundesrepublik Deutsch-land und ein entsprechendes Beratungsgremium in Osterreich 35 .Sinn solcher Gremien ist es, die filr die Anpassungsentscheidungnotwendigen Daten aus der politischen Auseinandersetzung nachMOglichkeit herauszuhalten, indem die Zahlen von einer unab-hãngigen Stelle ermittelt werden. Indem die Sozialpartner ein-geschaltet werden, wird gleichzeitig gewffirleistet, daB fiber dieseZahlen ein breiter Konsens herbeigefiihrt wird. Ein solches Gre-mium fehlt z. B. in GroBbritannien. Dort wird die Uberpriifung,ob eine Lohn- oder Preissteigerung vorliegt, allein von dem Ar-beits- und Sozialminister vorgenommen, wobei dies, wie von Kaim-Caudle37 ,dargelegt worden ist, zu Rechtsstreitigkeiten fahren kann.

35 Vgl. van Langendonck (s. Fn. 34).30 Siehe dazu Tomandl, in diesem Heft, S. 229 ff.37 S. Fn. 31.

20•

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(4) Auch in anderer Hinsicht 1st das iisterreichische Beispiel, das ebenschon erwahnt wurde, interessant. Die 'Grundlage fiir die Anpas-sung ist eine grundsdtzliche Regelung im Gesetz, w5hrend diekonkrete Anpassung im Einzelfall durch Verordnung erfolgt 38. Da-durch wird das Gewicht der Grundsatzregelung im Gesetz ver-stärkt und diese Regelung der jahrlichen. politischen Auseinander-setzung entzogen. Anders verhdlt es sich in der BundesrepublikDeutschland, wo die jeweilige Anpassungsregelung durch ein Ge-setz erfolgt, das eine gleiche Qualitat hat, wie die grundsdtzlicheAnpassungsregelung in der RVO. Dies birgt die Versuchung filrden Gesetzgeber in sich, in dem jeweiligen Anpassungsgesetz u. U.die Grundsatzregelung je nach den ,Gegebenheiten zu modifizieren.Das Problem der Abstuftmg der verschiedenen Rechtsquellen fiirdie Anpassungsregelung stellt sick naturgemaB dann nicht, wenndie Anpassungsentscheidung ohne eine gesetzliche Grundsatzrege-lung von Fall zu Fall erfolgt, wie dies z. B. in Polen der Fall ist.

3. Koordination verschiedener Sicherungssysteme

Spezifische Probleme ergeben sich auch im Bereich der Anpassungdadurch, daB die Alterssicherung nicht durch ein einheitliches Lei-stungssystem gewahrleistet wird, sondern durch eine Vielzahl ver-schiedener Institutionen, deren Vielfalt durch das sag. 3-Saulen- oder3-Schichten-Modell nur unvolikommen gekennzeichnet wird.

Mechanismen und AusmaB der Anpassung in den verschiedenen Teil-systemen der Alterssicherung sind regelrnaBig tmterschiedlich, so ,daBsich nicht unbetrdchtliche Koordinationsprobleme stellen. Das gilt inDeutschland speziell fiir den Bereich der Zusatzversorgung der Arbei-ter und Angestellten des Offentlichen Dienstes, aber auch fiir diebetriebliche Altersversorgung. Ahnliche Fragen stellen sich auch in aus-landischen Staaten, wobei die Bestrebungen, das Alterssicherungs-system als Ganzheit zu sehen, doch z. T. bereits welter fortgeschrittensind. So wird z. B. in der Schweiz das 3-Sdulen-Modell durch die Bun-desverfassung festgeschrieben, wobei gleichzeitig dem Gesetzgeber einweitgehender Regelungsauftrag hinsichtlich der privatrechtlich organi-sierten Institutionen erteilt wird".

In GroBbritannien sind die privaten Betriebsrenten insoweit in dieAnpassungsregelung einbezogen, als den Betriebsrentensystemen auf-erlegt ist, den Mitgliedern eine Rente zu gewahren, die ebenso wie diestaatlichen Renten den Kaufkraftverlust ausgleichen". Diese Regelung

38 Vgl. dazu Tomandl (s. Fn. 36).39 Dazu Maurer (s. Fn. 30), S. 129.40 Vgl. dazu Kaim-Caudle (s. Fn. 31).

Anpassung von Sozialleistungen an wirtschaftliche Veranderungen 313

ist allerdings mit § 16 BetrAVG nicht vergleichbar, weil die Betriebs-renten in GroBbritannien haufig keine Zusatzsicherung darstellen, son-dern eine far den erfaBten Personenkreis bestehende Ersatzsicherung,die an die Stelle der gesetzlichen Rente tritt.

4. Anpassungsregelung als Teil des Gesamtsystems

Die vorangegangenen Uberlegungen haben gezeigt, daB die Anpas-sungsfrage nicht isoliert vom jeweiligen System gesehen werdenkann41 . Besonders deutlich wird dies bei dem Zusammentreffen ver-schiedener Sicherungsinstitutionen. Eine isolierte Aussage fiber be-sonders fortschrittliche oder entwickelte Anpassungsregelungen ist da-her nicht moglich. So besagt das Vorhandensein eines vollautomatischenAnpassungssystems nichts fiber das tatsdchliche Versorgungsniveau derRentner, wenn die Rentner nur einen geringen Prozentsatz des zuletztbezogenen Arbeitseinkommens als Rente erhalten. Auch eine Voll-automatik kann an diesem Ausgangspunkt nichts andern. Ebenso kanneine Orientierung an den Lahnen und Gehdltern, wie sie nach dendeutschen Vorstellungen empfehlenswert 1st, ,darn zu sozialpolitischfragwiirdigen Ergebnissen fiihren, wenn die Lohnsteigerung hinter derPreisentwicklung zuriickbleiubt. Auch die wirtschaftlichen Verhaltnissesind daher zur Beurteilung eines Anpassungssystems heranzuziehen.Dies andert nichts daran, daB die vergleichende Betrachtung der An-passungsregeln in verschiedenen Landern, wenn man diese Regelungennicht isoliert sieht, eine vertiefte Erkenntnis der Grundprobleme derAnpassung ermOglicht.

41 Dabei sind nicht nur die Vorschriften zu beriicksichtigen, die die Sozial-leistungen selbst regeln, sondern auch Regelungen aus anderen Bereichen,wie z. B. das Steuerrecht. Insoweit ergeben sich zusatzliche Unterschiede.Wahrend in der Bundesrepublik Deutschland die Altersrenten nur mit ihremErtragswert besteuert werden, unterliegen solche Renten in Grol3britannien,Belgien und Osterreich der Einkommensteuer wie sonstiges Einkommen.