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384 W.M~LLER-OsTEN: 2. keine ttautverletzung fiber der Fraktur, 3. eine Vorw61bung fiber dem Knoehendefekt, die im Fall 1 und 3 pulsierte, 4. ein normaler Liquorstatus und 5. Fehlen von neurologischen Ausfallerscheinungen. a b Abb.3a und b. Fail 3. l~Sntgenkontrollen 2 Wochen und 6 Monate post operationem zeigen die passende Position der Knochenplastik Eine Commotio cerebri best~nd lediglich im letzten FM1. Nur im 1. Fall lag eine Meningocele spuria traumatica im Sinne BILL~OT~S vor. Die beiden anderen fallen insofern aus dem Rahmen, als es sich jeweils um einen reinen I-Iirnprolaps ohne Liquorinhalt gehandelt hat. Nach dem Schrifttum kommt der Hirnprolaps bei einer wachsenden Fraktur auBerordentlieh selten vor. In diesen F~llen kann nur die Operation erfolgreich sein. 53. Die Chirurgie im Spannungsfeld zwischen Tradition und Fortschritt W. M~ER-OsTE~-Hamburg Inmitten eines allgemeinen Umschichtungsprozesses yon noch un- iibersehaubarem AusmaB wird auch in der ehirurgischen Ausbildung und Berufsausfibung eine immer stgrkere Polaritiit zwischen den Vor- stellungen yon gestern und den Wfinsehen yon morgen spfirbar.

Die Chirurgie im Spannungsfeld zwischen Tradition und Fortschritt

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384 W . M ~ L L E R - O s T E N :

2. keine t tautverletzung fiber der Fraktur, 3. eine Vorw61bung fiber dem Knoehendefekt, die im Fall 1 und 3

pulsierte, 4. ein normaler Liquorstatus und 5. Fehlen von neurologischen Ausfallerscheinungen.

a b Abb.3a und b. Fail 3. l~Sntgenkontrollen 2 Wochen und 6 Monate post operationem zeigen die

passende Position der Knochenplastik

Eine Commotio cerebri best~nd lediglich im letzten FM1. Nur im 1. Fall lag eine Meningocele spuria traumatica im Sinne BILL~OT~S vor. Die beiden anderen fallen insofern aus dem Rahmen, als es sich jeweils um einen reinen I-Iirnprolaps ohne Liquorinhalt gehandelt hat. Nach dem Schrifttum kommt der Hirnprolaps bei einer wachsenden Fraktur auBerordentlieh selten vor. In diesen F~llen kann nur die Operation erfolgreich sein.

53. Die Chirurgie im Spannungsfeld zwischen Tradition und Fortschritt

W. M~ER-OsTE~-Hamburg

Inmit ten eines allgemeinen Umschichtungsprozesses yon noch un- iibersehaubarem AusmaB wird auch in der ehirurgischen Ausbildung und Berufsausfibung eine immer stgrkere Polaritiit zwischen den Vor- stellungen yon gestern und den Wfinsehen yon morgen spfirbar.

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Gewfl3 kennt die Medizin sehon lange -- wie tier Medizin-Historiker LICHTE~T~AL~ es ausdrfickt -- Systole und Diastole, Festhalten und bewul3tes Neuentdecken der Vergangenheit auf der einen Seite und wilde Fortschritte unter Verzieht auf jegliehes Traditionale auf der andern.

Hier aber seheint sich eine Entwicklung anzubahnen, die fiber dieses heilsame Auf und Ab hinausgrefft mad Sehritt fast mit den fibrigen unsere Welt ver/~ndernden wissensehaftliehen und auSerwissensehaft- lichen Umw/~lzungen.

Eines der beherrsehenden Momente in unserem Bereieh ist das un- aufhaltsam seheinende Zerbreehen gewaehsener Einheiten, der Drang zur Vereinzelung, zu immer fortschreitender Spezialisierung im Begriff und in der Institution.

Sehon im Studium wird der Untersehied zwisehen Bildung und Aus- bildung immer mehr vertieft. An die Stelle der humanistischen Allge- meinbildung des Arztes ist die rein fachliehe Ausbildung getreten. Da$ sie wahrend der faeh~rztlichen Weiterbildung im Vordergrund steht, ist unausweiehlieh; da$ sieh diese Entwieklung abet bereits im Studinm durehzusetzen beginnt, ist bedauerlieh. Damit geht a.1]m~hlieh eines tier leundamente jedes geistigen Berufes verloren.

Mit Reeht empfiehlt der Wissensehaftsrat, aueh unter den heutigen Verh/~ltnissen ,,fachliehe Bildung und mensehliehe Bildung zu ver- einen". Wie tier die Kluft zwisehen diesen traditionellen Ansiehten und den zweekgebundenen Wiinsehen tier Jugend ist, beweist ein Aussehnitt aus einer Denkschrfft des Verbandes Deutseher Studentenschaften: ,Wit sehreiben tier Wissensehaft nieht mehr universMe und ethisehe, eharakterbildende und pers6nliehkeitsformende Kraft zu." Und welter heist es darin: ,,Die Hoehsehule, die mit den Studenten wissenschaftlieh arbeiten will, mu$ jede erzieherisehe Einwirkung aus ihrer eigenen Arbeit aussehalten." Hier zeigt sieh mehr als ein Generationenproblem. Hier wirkt sieh alas aus, was mit U. S o ~ M A ~ r ,,Einfibung des Un- gehorsams in Deutschland" genannt wird.

Da$ zugleieh aueh an der Struktur der Universit/~t und der Fakult/iten ebenso wie an tier Form des studentisehen Unterriehts und des Studien- ablaufs einschneidende Ver/inderungen erwogen werden, ist kennzeieh- nend ffir das Ausma$ der Unruhe, in die selbst die traditionale akade- mische Ordnung geraten ist.

Es ist erstaunlieh und erfreulieh, da$ aueh die Faeharzt-Weiterbildung unter dem unausweiehliehen Ans~o$ der EWG-Vertr/~ge in neue Bahnen gelenkt wird. Im Interesse der Erhaltung des Niveaus mfissen wit alas Ausbildungsprogramm erweitern, die Anforderungen erhShen und am Schlu$ einen Bef/~higungsnaehweis verlangen.

25 Langenbecks Arch. klin. Chit., Bd. 816 (Kongrei~bericht)

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386 Wo~V~ULLER-OsTE~:

Hier scheinen sich zwei Aufgaben kontr~r gegenfiberzustehen. Der aus wissensehaftliehen und materiellen Grfinden ansteigende Bedarf an Assistenten erfordert es, die arbei~s- und entbehrungsreiehe Chirurgie den jungen Medizinern wieder attraktiv zu maehen. Das setzt weitaus bessere Zukunftsehaneen ffir den chirurgisehen Naehwuchs voraus. Solange aber nur ganz wenige fiberhaupt selbst~ndige Stellungen be- kommen l~6nnen, ist nieht einmal die hervorragende faehliche Eignung eine siehere Gew~hr ffir die Erreiehung des ers~rebten Berufsziels.

Dieses Spannungsfeld ist nut aufzulSsen, wenn es geling~, mit ttilfe einer auf 1 Jahr verl~ngerten Pfliehtzei~ ffir den Medizinalassistenten (oder besser: ffir den an seine Stelle zu se~zenden Pflichtassistenten) das chirurgisehe Krankenhaus veto Assistentenmangel zu befreien, andererseits aber einer kleineren Zahl ausgesuehter und auf Eignung getesteter Faeharzt-Anw~rter nach hochqualifizierter Ausbildung eehte Zukunfts~ussichten zu ersehlie~en.

Unter all den sehweren Problemen, die uns die unausweiehliehen Spezi~lisierungstendenzen auferlegen, erseheint hinsiehtlich der Aus- bfldung die Tendenz zur Unterteilung des Fachgebietes in mehrere Sonderbereiehe am meisten spannungsgeladen.

Stellt die Einengung des ehirurgischen Horizonts eines ]ungen Assi- stenten, wie sie die bereits bestehende Spezialisierung in den grol~en Kliniken unausweiehlich mit sieh bringen mut~, ffir seine Berufsaus- siehten schon jetzt eine irreparable Sch&digung dar, so wird slch das in Zukunft noeh verst&rken. Solange veto chirurgisehen Chefarzt mittlerer und kleinerer Krankenhguser in Deutschland verlangt wird, dal~ er ein Allround-Chirurg ist, solange wird man es sich sehr sorgf~ltig iiberlegen mfissen, ob man durch besondere Ausbildungsvorsehriften den Weg zur Isolierung weiterer chirurgiseher Teilgebiete ebnen sell, auch wenn sie vorerst noch im Verband der Chirurgie bleiben. Im Spannungsfeld zwi- sehen bereehtigten akademisehen Wfinsehen und unab~nderliehen praktischen Gegebenheiten ist nur leidenschaftslose Saehliehkeit geboten.

Die gewfinsehte Eigenst~ndigkeit ehirurgiseher Teilgebiete sollte nur im unauflSsliehen Rahmen des gesamten Faehs diskutierbar sein. Eine Verselbst~ndigung beispielsweise der Unfall-Chirurgie ist genauso abzulehnen wie ihre Teilung in eine Traumatologie des Bewegungs- apparates und eine solehe der KSrperhShlen.

Im Zuge der umfassenden Neuregelungen haben auch die bisherigen meist k8nstlich herbeigefiihrten z&hlreiehen Faehgebiets-~berschneidun- gen, unter denen gerade wir Chirurgen leiden, keinen Platz mehr. Auch in diesem Zusammenhang erw~hne ich die Unfall-Chirurgie. Die Freihei~ der Forsehung ist nicht gleichzusetzen mit einer Freiheit der Berufs- ausfibung.

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Im Rahmen der Ausbfldung wird die Polarit/~t zwischen gestern und morgen schliel]lich noch durch eine Erkenntnis verdeutlicht, die -- bisher wenig beachtet -- ffir den einzelnen yon weittragender Bedeutung sein kann, die Tatsache n/~mlich, dab eine Ausbfldung zum Chirurgen nich$ unbedingt identisch is$ mit einer Ausbfldung zum Facharzt. DaB der Facharzt ffir Chirurgie als Chefarzt oder Belegarzt oder niedergelasse- ner Arzt au]~er seiner Chirurgie noch viele Dinge standesrechtlicher und sozialmediziniseher Natur beherrsehen muG, die nur allein mit seinem Berufzusammenh/~ngen und deren Kenntnis ffir ihn unter Umst/~nden ent- seheidend is$, davon erf/~hrt er w/~hrend seiner Ausbfldung meist nichts.

Die Ahnungslosigkeit vieler junger Chirurgen, die sie ~eden ihnen vorgelegten Chefarzt-Vertrag kritiklos unterschreiben nnd damit nicht nut sich selbst, sondern vor allem auch ihrem Stand den sehlechtesten Dienst erweisen l/iBt, die sie in eigener kassen/~rztlieher T/itigkeit zu Fehlern, die sie selbst und auch wieder die Gemeinschaft der Chirurgen belasten, verfiihrt, ist ebenso unbegreiflieh wie erschreckend.

Itier allerdings sollte mit einer sctflechten Tradition gebroehen werden. Der Student und der Facharzt-AnwKrter miissen in ihrer Aus- bfldung viel mehr yon dem lernen, was sp/~ter ihre gesellsehaftliche, rechtliche und wirtschaftliche Existenzgrundlage darstell$.

Die chirurgische Beru/sausiibung ist in besonderem Maf]e in dieses Spannungsfeld zwischen Tradition und Fortschritt gestellt. Zu allen Zeiten wurde das Gesicht der Chirurgie gepr/igt yon den fiberragenden Pers6nlichkeiten, die als unbestrittene Autorit/~ten ihres Faehes die Chirurgie ebenso wie ihre Klinik beherrschten, deren Wor$ galt und deren Beispiel verpflichte~e.

Ungleich schwerer war die Stellung der Chirurgen, denen zwar fach- liches K6nnen, aber nicht das Glfick der grol~en Pers6nlichkeit geschenkt war. Hier hielt das Amt den Mann. Die Position gab dem Unsieheren das unsichtbare Korsett.

Je tz t beginnt diese Welt der traditionalen Ordnungen zu zerbrechen und mat der Aufl6sung der insti~utionellen Gebundenheit erfolgt die Freisetzung der eigenen Verantwortung. ]:)as,,Personale Zeitalter" -- wie es der Soziologe DIV, TRIC~ "CON O]~EN darstellt -- setzt andere Normen.

Der ,,traditionsgelenkte" Arzt mit seinen Vorstellungen vom huma- nit/~ren Auftrag zur Heflung des kranken Menschen steht dem Natur- wissenschaftler gegenfiber, dessen Rfis$zeug Laboratorium und Technik sind und der in der Ergrfindung des Details und der Beseitigung des Krankheitsherdes seine Aufgabe sieht. Diese eehte Spannung daf t nieht zur fixierten Antithese werden.

Der Chirurg, der in der juristischen Sicht vom ,,Messersteeher" zum ,,Iteilbehandler" avancieren soll, ger/s in eine Spannung zwisehen /~rztliehem Denken and abstrakten Rechtsvorstellungen. Die ~ber-

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bewertung des Gedankens der persSnliehen Entseheidungsfreiheit des Kranken zwingt den Chirurgen, nieh~ mehr allein Salus aegroti, sondern besonders aueh Voluntas aegroti zum hSehsten Gesetz zu erheben.

Im gleiehen Augenbliek erleide~ sein Ansehen -- trotz aller relativen Anerkennung -- im gesamten eine nieht zu fibersehende Abwertung. Krankheit , immer mehr nieht als Sehicksal, sondern als GetriebestSrung angesehen, muB ebenso beseitigt werden wie eine Masehinenpanne; gelingt es nicht, so wird in zunehmendem Ma~e darin ein ~rztlieher Fehler gesehen, der Sehadenersa~zw/insehe weckt.

Diese zum Glfiek noeh vereinzelte Einstellung zu Krankheit und Arzt wird gefSrdert dureh eine Ubersehwemmung der 0ffentliehkeit mi~ h~ufig halb oder ganz miBverstandenen 1Keldungen und den Arzt bewul~t oder unbewuB~ diskreditierenden Naehriehten.

Aueh in der inneren Ordnung des ehirurgisehen Krankenhauses zeichnen sich erhebliche Wandlungen ab. Hier steht das bisherige hierar- ehische System in zunehmender Spannung zu dem immer starker ge- fSrderten Zusammenspiel mehr und mehr selbs~ndiger Mi~arbeiter. Ffihrung, entldeide~ vieler Attribute der Stellung, wird zur Kunst der NIensehenbehandlung. Anstelle der Hierarehie alten S~fls t r i t t die , ,0berzeugungs-Hierarehie".

Es war sehon immer d~s Zeiehen des geborenen Chefs, beim Unter- gebenen die Selbs~ver~ntwortung zu wecken, ihn dureh Vertrauen zum Mitarbeiter zu erheben und die Zusammenarbei~ mit dem selbst~ndig Denkenden zu pflegen. Im gegebenen Umfang Partnersehaft ans~elle der Dominanz zu setzen, ohne die A u ~ o r i ~ des Ffihrenden zu verlieren, is~ eine F~higkei~, die mi~ der Beherrschung der Chirurgie nieh~ au~oma~iseh miterworben worden is~ -- in der ,,vaterlosen Gesellsehaft" -- wie MmrscHv,~LIC~ sie sieht -- eine sehwere Aufgabe.

Die Spezialisierung is~ eines der Fermente, das eine Umges~altung in der Organisation des Krankenhauses herbeifiihren wird. So werden sieh die mit Reeht Selbst~ndigkeit fordernden Teflgebiete der Chirurgie als parallele S~ulen unter weitgehender adm~nistrativer Verselbst~ndi- gung nebeneinanderreihen.

Bei der groBen Neigung, Selbst~ndigkei~ in jeder IIinsieh~ zu doku- men~ieren und auf Autonomie keinesfalls zu verzieh~en, wird es aller- dings besonderer Eigensehaften bediirfen, diese Teilgebiete so in der allen gemeinsamen ehirurgisehen Klinik zu gruppieren und zusammen- zufassen, da~ eine wirkliehe Gemeinsehaftsarbei~ gew~hrleistet und ein Gegeneinander vermieden wird. Hier stehen zwei Kr~fte in einem Wider. strei~ yon hSehster Brisanz.

Wieweit die Verbindung zwisehen Forsehung, Lehre und Klinik in der Universit~t in der bisherigen l~orm aufreehterhalten bleiben kann, ist ein weiteres Problem, das hier nut angedeutet werden soll.

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Fiir die mittleren und kleineren Krankenh~user sind die zentrifugalen Entwicklungen der Chirurgie Existenzfragen. Ein kleines Haus mit 3, 4, 5 parallelen chirurgischen Chef~rzten ist ebenso wenig lebensf~hig wie diese Chef/~rzte selbst. Die Tendenz fiihrt also mehr und mehr zum Schwerpunkt-Krankenhaus auf der einen, zum Beleg-Krankenhaus auf der anderen Seite.

Ein weiteres Problem ergibt sich aus dem Uberangebot yon quali- fizierten Bewerbern selbst bei kleinen chirurgisehen Abteilungen, das die Interessenten allzu leicht dazu verffihrt, sieh gegenseitig zu unterbieten und damit die wirtschaftliche Situation des ganzen Standes mal]geblich zu verschlechtern. Sie verf/ihrt den Krankenhaustr~ger ebenso dazu, bei tier Answahl ~ugerhalb des Faehlichen liegende Momente zu berfick- sichtigen.

Ein weiteres Spannungsfeld von groger Gef/s entsteht aus dem wachsenden Mil~verh/tltnis zwisehen dem AusbildungsfiberschuB und der geringen Zahl verf/igbarer Chefarzt-Stellen. Schon ]etzt sind 250/0 mehr Chirurgen niedergelassen als in se]bst~ndiger leitender Krankenhaus- Stellung. Das ist fiir den weitaus grSf~ten Teil der iiberwiegend tadellos ausgebildeten Chirurgen eine ganz unvorhergesehene Entwieklung ihres persSnliehen Schieksals, ein unvertretbarer Verzieht auf Anwendung erworbener Kenntnisse und F/thigkeiten mit auch ffir die Allgemeinheit gef/~hrliehen Folgen und sehlieglleh eine inflation/~re Existenzbedrohung ffir den ganzen Stand mit allen wissenschaftliehen und wirtsehaftllehen Konsequenzen. Auch diese Entwicklung ist -- obwohl einfaeh vorher- zusehen -- bisher unkontrolliert abgelaufen.

Inmitten der Antithese zwisehen Universalismus nnd Spezialisierung, inmitten all der Probleme um Arzt und Krankenhaus, um Abwertung des/~rztliehen Ansehens nnd Gef/~hrdung des Vertrauens steht der kranke Menseh, der Hilfe braueht. Er kann sich in dem Irrgarten der Speziali- t/~ten nieht zureehtfinden. Er sueht zwar auch den guten Saehkenner, er sucht vor allem aber den guten Arzt und trifft mit der Wahl seines Chirurgen eine lebenswiehtige Entseheidung.

Der zerteilte und wieder zusammengesetzte Mensch -- so oft in spSttelnder Ubertreibung karikiert -- ist aueh eines, wahrscheinlieh eines der wichtigsten und zugleieh besorgniserregendsten Probleme in diesem Spannungsfeld. Solange der Chirurg universale chirurgisehe und /~rztliche Kenntnisse und F~higkeiten besitzt, wird er dem Kranken selbst dann der helfende Arzt bleiben, wenn er sich auf einzelnen Tei l -

gebieten eines speziallstischen Rates bedienen mug. Wenn aber die Spezialisierung ihrem eigentliehen Auftrag entspreehend fortsehreitet, dann wird immer mehr der /~rztliehe Koordinator fehlen. Nieht a m

Kranken behandeln, sondern den Kranken behandeln, mug /~rztliehe Aufgabe bleiben.

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390 MOLLE~-OsTE~ : Chirurgie im Spannungsfeld zwischen Tradition u. Fortschritt

Viele dieser Probleme, die hier in aller Kfirze nut angedeutet werden konnten, sind nieht Fragen der chirurgischen Wissensehaft, sondern des ehirurgischen Berufs - - eine erstaunliche Erkermtnis, weft sieh ]tier unbemerkt ein Komplex aufgetan hat, yon dessen Beherrsehung unsere berufliehe Zukunft abhangt. Da in der Universit/~t verstandlicherweise yon weir geringerer Bedeutung als im Krankenhaus und Praxis, wurde er vielfaeh bedenklich untersehatzt.

LIOHTE~THAEL~ sprieht mahnend davon, dab unser/~rztlieher Beruf gelitten hat, und fahrt fort: ,,So unglaublieh es erseheinen mag: Der arztliche Beruf als solcher ist das Opfer des wissenschaftlichen und sozialen Fortsehrit ts geworden."

Aus dieser Erkenntnis erwaehst ein wissensehaftlicher Auftrag besonderer Art, die sich andernden Grundlagen unseres Standes zu ergriinden und dabei zu helfen, sie zu festigen and zu sehiitzen. So ist neben die ehirurgisehe Wissenschaft gMehrangig ein anderer Zweig, die Lehre yore Beru] des Chirurgen getreten.

Es ist unsere Saehe, der ehirurgischen Jugend ein neues t Iaus zu bauen, in dem sie ungehindert arbeiten kann. Es ist unsere Verptlichtung, die Stellung des Arztes zu formen, die Position des Chirurgen zu be- s t immen und sie vor unerwfinschter Versehlechterung und Abwertung zu bewahren. Es liegt an uns, das Krankenhaus der Zukunft zu errichten und ffir die yon uns gut ausgebildeten Chirurgen auch Arbeitsm6glieh- keiten zu schaffen. Es ist schlieglieh auch unsere Aufgabe, unser Ver- h~ltnis zur 0ffentliehkeit neu zu gestalten. Zu allem bedarf es Mut, Aufgesehlossenheit und Bereitschaft zu sehr modernen, fast revolutio- n/~ren Methoden.

Hier wird sich erweisen, was auf dem Wege yon erstarrender Tradi- tion hinweg wirktieher t~ortschritt, was nut Fortschreiten ist.

Die sehwere Aufgabe der Neuorientierung und Festigung des Berufs hat der Berufsverband der Deutschen Chirurgen auf sieh genommen. Mit noeh schwaehen Kri~ften steht er einer Ffille yon Problemen gegentiber, die er nut bew/~ltigen kann, wenn er der aktiven Mitarbeit aller Chirurgen sieher sein kann. Denn seine Aufgabe ist unser aller Verpflichtang.

Die Analyse des gewaltigen Spannungsfeldes zwisehen gestern und morgen, in das die Chirurgie gestellt ist, muB unsere Generation fest verwurzelt in der Tradit ion dem Fortsehri t t aufgeschlossen zeigen.

Pr~isident: Ich darf darauf aufmerksam machen, dab je~z~ unmittelbar an- schlieBend der Berufsverband der Deutschen Chirurgen hier in diesem Saale tagt.

Ich schlieBe die wissenschaftliche Si~zung unserer Gesellschaft fiir heute.