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Die deutsche chemische Industrie 2030 VCI-Prognos-Studie – Update 2015/2016

Die deutsche chemische Industrie 2030 - vci.de · Er löst den Außenhandel als Wachstumsmotor der ... sich aber leicht ab. Demgegenüber steigt der Anteil nach ... Die Gründe sind

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Die deutsche chemische Industrie 2030 VCI-Prognos-Studie – Update 2015/2016

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Erstellt durch den Verband der Chemischen Industrie e. V. unter Mitarbeit der Prognos AG.Federführung durch den Ausschuss für Wirtschafts- und Marktanalysen.Mitglieder des Ausschusses für Wirtschafts- und Marktanalysen: Dr. Peter Westerheide (BASF SE, Projektleitung), Birgitta Schlief (BASF Personal Care and Nutrition GmbH), Dr. Reinhold Maeck (Boehringer Ingelheim GmbH), Dr. Thomas Sunderbrink (BP Refining & Petrochemicals GmbH), Bernhard Forschler (Celanese Europe B. V.), Robert Kolb (Clariant Produkte (Deutschland) GmbH), Christoph Ragginger (Covestro Deutschland AG), Sabine Klages-Büchner (DuPont Deutschland Holding GmbH & Co. KG), Natasa Nikolic (Evonik Industries AG), Dr. Thomas Roick (Lanxess Deutschland GmbH, Ausschussvorsitzender)

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Inhalt

Executive Summary 4

Einleitung 6

Weltwirtschaftliches Umfeld 9

Die globalen Megatrends 9

Wachsende und alternde Weltbevölkerung 9

Globalisierung verliert an Tempo 10

Schnellere Verbreitung von Technologien und Wissen 11

Kein Engpass bei Energie und Rohstoffen bis 2030 12

Umwelt- und Klimaschutz gewinnen weltweit an Bedeutung 14

Staatsverschuldung hemmt Wachstum 15

Weltwirtschaftliche Dynamik lässt allmählich nach 16

Industrialisierung der Schwellenländer hält an 18

Chemische Industrie global 20

Schiefergas führt zur Renaissance der US-Chemie 21

EU-Chemie wächst dank innovativer Spezialchemie und Pharmazeutika 22

Entwicklung in Deutschland bis 2030 24

Binnenwirtschaft gewinnt an Bedeutung 24

Industrie bleibt zentrale Stütze der deutschen Wirtschaft 25

Wachstumschancen für die deutsche Chemie 27

Chemieindustrie bleibt ein attraktiver Arbeitgeber 31

Deutsche Chemie wird immer effizienter 32

Diversifizierung der Rohstoffbasis wird vorangetrieben 34

Forschungsetats werden erhöht 35

Investitionszurückhaltung hält an 37

Fazit 39

Alternativszenarien 41

Projektansatz und Methodik 49

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis 51

INHALT

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Executive Summary

Executive SummaryDie Weltwirtschaft steht vor neuen Herausforderungen. Der Wachstumsmotor China ist ins Stottern geraten. Große Volks­wirtschaften wie Brasilien und Russland befinden sich in einer Rezession. Nicht zuletzt sieht sich die Europäische Union mit der Bewältigung der Flüchtlingskrise und der Unsicherheit über den Verbleib von Großbritannien in der EU konfrontiert. Die Schuldenkrise in Griechenland ist ebenfalls noch nicht ausgestanden.

Zu diesen aktuellen Entwicklungen kommen langfristige Megatrends hinzu, die die Weltwirtschaft beeinflussen. Die Weltbevölkerung wächst. 2030 werden nach Schätzungen der UN 8,5 Milliarden Menschen auf der Welt leben (2013: 7,2 Milli­arden). Dadurch steigt global die Nachfrage nach Nahrung, Gütern und Dienstleistungen, aber auch das Angebot an Ar­beitskräften. Das Bevölkerungswachstum entfällt zu 90 Pro zent auf Afrika und Asien, während es in den Industrieländern sta­gniert und die Gesellschaften rasch altern. Das g lobale Be­völkerungswachstum wirkt sich positiv auf das Wachstum der Weltwirtschaft aus, stellt aber auch einige Regionen vor große Herausforderungen.

Ein weiterer Trend und Wachstumstreiber ist die schnellere Verbreitung von Technologie und Wissen. Durch Technologie­transfer können viele Länder rasch von innovativen Technologien profitieren. Künftig wird es keinem Land gelingen, einen technologischen Vorsprung lange Zeit für sich allein bean­spruchen zu können. Dadurch nimmt der Innovationsdruck zu. Zudem werden Digitalisierung und Vernetzung die Wirt­schaft in den kommenden Jahren grundlegend verändern. Wie zuvor schon Dampfmaschine, Elektrizität und Computer wird nun durch die Digitalisierung eine neue Phase der in­dustriellen Revolution ausgelöst (Industrie 4.0). Sie erfasst ganze Wertschöpfungsketten und wird nicht vor den Che­mieunternehmen haltmachen. Das ermöglicht branchenüber­greifende Innovationen, die das Potenzial haben, bewährte und erprobte Geschäftsmodelle zu erweitern, aber auch zu ersetzen. Die Grenzen zwischen Industrie und Dienstleis­tungssektor werden dadurch allmählich verschwimmen – bereits heute ist dies zu beobachten.

Anders als von vielen Experten erwartet, wird es im Pro­gnosezeitraum keinen Engpass bei Energie und Rohstoffen geben. Neue Fördertechnologien (Fracking) und der Wett­bewerb unter den ölfördernden Staaten haben bereits seit 2014 zu einem Überangebot an Öl und Gas geführt, das einen rapiden Verfall der weltweiten Preise für fossile Energieträ­ger nach sich zog. Mittelfristig wird der Ölpreis zwar wieder steigen. Im Prognosezeitraum bleibt Rohöl dennoch deutlich günstiger als noch in der Vorgängerstudie angenommen. Die Wettbewerbsfähigkeit der Chemie und das Wachstum Europas werden dadurch insgesamt gestärkt.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen hat der VCI seine Studie „Die deutsche chemische Industrie 2030“ aktualisiert. Ziel ist es, die Zukunft der Branche in einer Welt des Umbruchs mit einem realistischen Szenario zu beschrei­ben. Die Leitfragen der aktualisierten Zukunftsstudie waren: Wie wird der weltweite Chemiemarkt im Jahr 2030 aussehen? Und wie stellt sich die chemisch­pharmazeutische Industrie in Deutschland darauf ein?

Dynamisches Wachstum der globalen ChemienachfrageDie Weltwirtschaft wird in den kommenden Jahren ihre der­zeitige Schwächephase überwinden. Nach den aktuellen Pro­jektionen wächst die Weltwirtschaft bis 2030 durchschnittlich um 2,5 Prozent pro Jahr. Das ist in etwa die gleiche Dynamik wie im Zeitraum von 2000 bis 2013 – auch wenn dieser Ver­gleich wegen der Finanzkrise relativiert werden muss.

Allerdings haben sich die Aussichten gegenüber der Vor­gängerstudie leicht eingetrübt. Die Weltwirtschaft wird weniger stark zulegen als noch in der ersten Studienfassung prognos­tiziert (+ 3,0 Prozent). Vor allem das langfristige Wachstumspo­tenzial für China und viele Schwellenländer hat sich nach den neuen Berechnungen abgeschwächt. Auch für die USA geht die aktualisierte Studie nun von niedrigeren BIP­Zuwächsen aus. In den betroffenen Ländern haben sich auch die Wachs­tumschancen für die Industrie und damit der Bedarf an Ma­schinen und Chemikalien abgeschwächt.

Deutschland kann bis 2030 von der weltwirtschaftlichen Dynamik profitieren. Die gesamte Wirtschaftsleistung (BIP) steigt bis 2030 um 1,3 Prozent pro Jahr. Den mit Abstand größten Wachstumsbeitrag liefert zukünftig der private Konsum. Er löst den Außenhandel als Wachstumsmotor der deutschen Volkswirtschaft ab. Auch die Investitionsschwäche wird allmählich überwunden. Die Industrieproduktion kann mit 1,4 Prozent pro Jahr etwas stärker zulegen als das BIP.

Die wesentlichen Wachstumstreiber sind in den einzelnen Regionen unterschiedlich: Während in den Schwellenländern das Bevölkerungswachstum, der Wohlstand und damit auch die Nachfrage nach Alltagsprodukten zunehmen, gewinnen in den Industrieländern Themen wie Energieeffizienz, Umwelt­schutz und regenerative Energien als Treiber an Bedeutung. Die veränderte Nachfragestruktur führt zu einem kräftigen Wachstum der Industrieproduktion und infolgedessen auch zu einer steigenden Nachfrage nach Chemikalien.

Die gute Nachricht der Studie lautet daher: Die Chemie ist ein dynamischer Wachstumsmarkt. Im Prognosezeitraum steigt die globale Chemienachfrage um 3,4 Prozent und damit schneller als die Industrieproduktion (3,2 Prozent) oder die Gesamtwirtschaft (2,5 Prozent).

Zukunftschancen für die deutsche ChemieDer weltweite Chemiemarkt ist bis 2030 ein dynamischer

Wachstumsmarkt. Er bietet Chancen für die deutsche chemisch­ pharmazeutische Industrie, an die Erfolge der Vergangen­ heit anschließen zu können – sofern die energiepolitischen Rahmenbedingungen in Deutschland und Europa die Wett­bewerbsfähigkeit der Branche nicht weiter schwächen. Der Wettbewerb nimmt an Intensität zu. Deshalb muss die Branche ihre Produktion in Zukunft noch stärker als bisher auf forschungsintensive Spezialchemikalien und Pharmazeutika ausrichten, um ihren Wettbewerbsvorteil zu halten und aus­zubauen. Sie wird den technologischen Fortschritt voran­treiben und auch die Chancen der Digitalisierung nutzen. Die deutsche Chemie kann mit hochwertigen Lösungen für an­spruchsvolle Kunden im Inland und allen Auslandsmärkten punkten. Sie wird dadurch auch künftig weiter wachsen – in

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Executive Summary

einem Verbund von Pharma, Basis­ und Spezialchemie. Nach den neuen Berechnungen wächst die deutsche Chemiepro­duktion im Prognosezeitraum um 1,5 Prozent pro Jahr.

Im Vergleich zur Vorgängerstudie fällt das Wachstum damit leicht niedriger aus. Grund hierfür ist vor allem die schwächere Dynamik auf wichtigen Auslandsmärkten. In der Basischemie hat sich darüber hinaus das Wettbewerbsumfeld stark verändert. Die im internationalen Vergleich hohen Rohstoff­ und Energie­kosten führen dazu, dass die deutsche Basischemie die Welt­märkte nicht vom Standort Deutschland aus beliefern kann. Der Produktionsverbund, eine der zentralen Stärken der deut­schen Chemie, bleibt aber erhalten. Der deutsche und euro­päische Chemiemarkt wird auch zukünftig mit Basischemikalien aus deutscher Produktion beliefert.

Rohstoffbasis verändert sichFossile Rohstoffe – darunter vor allem das Erdölderivat

Naphtha – werden bis 2030 der wichtigste Ausgangsstoff für die Branche bleiben. Ihr Anteil an der Rohstoffbasis schwächt sich aber leicht ab. Demgegenüber steigt der Anteil nach­wachsender Rohstoffe von derzeit 13 auf 18,5 Prozent (2030).

Um nachwachsende Rohstoffe stärker als heute in die Produktion zu integrieren, sind erhebliche Forschungsan­strengungen nötig. Im Zusammenspiel mit anderen Industrien müssen hierzu neue Wertschöpfungsketten aufgebaut werden. Diese Entwicklung ist aufwändig und geht nicht so schnell voran wie von vielen erhofft. Gerade in der Basischemie erscheint zum jetzigen Zeitpunkt eine signifikante Substitution der fossilen Rohstoffe durch nachwachsende Rohstoffe bis zum Jahr 2030 wenig wahrscheinlich. Die Verfügbarkeit und der Preis von nachwachsenden Rohstoffen bleiben wegen der Nutzungskonkurrenz (Ernährung vs. Rohstoff) auch zukünftig die limitierenden Faktoren.

Forschungsausgaben steigenForschung und Entwicklung sind nicht nur für die Ver­

änderung der Rohstoffbasis nötig. Besonders der globale Wettbewerb erfordert in Zukunft ein insgesamt höheres Innovations tempo. Hinzu kommt der steigende Bedarf an forschungs intensiven Spezialchemikalien. Daher wird die Branche ihre Forschungsausgaben von 10 Milliarden

Euro (2013) auf 16,5 Milliarden Euro im Jahr 2030 erhöhen. Der Anstieg fällt niedriger aus, als in der Vorgängerstudie erwartet worden war. Das liegt an dem insgesamt langsameren Wachstum der Chemieproduktion in Deutschland und an dem steigenden Wettbewerbsdruck auf den Forschungs standort. Andere Regionen und auch die Schwellenländer investieren stark in ihre Chemieforschung. In einigen Kundenbranchen verlagern sich die Produktions­ und Forschungs zentren immer stärker nach Asien. Die deutsche Chemieforschung folgt in Teilen dieser Entwicklung.

Investitionszurückhaltung in der ChemieDas langfristige Trendwachstum der Investitionen der

deutschen Chemie ist niedrig. Seit 1991 stiegen die Investitionen in Anlagen und Gebäude der Branche um durchschnittlich nur 0,2 Prozent pro Jahr – real gingen die Investitionen sogar um jährlich 1,6 Prozent zurück. Die Gründe sind vielschichtig: In den letzten Jahren hat die chemisch­pharmazeutische Industrie zum einen erhebliche Effizienzgewinne verzeichnet, was Produktionswachstum mit weniger Investitionen ermög­lichte. Zum anderen vollzog sich die zunehmende Spezialisierung von der kapitalintensiven Basischemie zu anderen Sparten, die weniger Sachanlageinvestitionen benötigen.

Hauptursache der Investitionszurückhaltung waren aber die im internationalen Vergleich hohen Energie­ und Roh­stoffpreise. Diese sind gerade in der energieintensiven Chemie industrie ein wichtiger Standortfaktor. Die Investitions­entscheidungen der Unternehmen fielen daher oftmals zugunsten ausländischer Standorte aus. So stiegen die Investi­tionen im Ausland seit vielen Jahren deutlich dynamischer als die Investitionen im Inland. Seit 2012 investiert die deutsche Chemie sogar überwiegend im Ausland.

Grundlegende Änderungen der Energie­ und Klimapolitik zeichnen sich weder in Berlin noch in Brüssel ab. Insofern werden die Unternehmen in Deutschland auch zukünftig höhere Energie­ und Rohstoffkosten schultern müssen als viele Wettbewerber. Häufig wechselnde energiepolitische Vorgaben und unzählige staatliche Eingriffe in den Energie­markt erzeugen eine anhaltend hohe Planungsunsicherheit in den Unternehmen – und damit Zurückhaltung bei Investitio­nen. Diese wird sich im Prognosezeitraum fortsetzen.

Intrinsische Stärken und gute Industriepolitik gefragt Die Aktualisierung der 2030-Studie zeigt: Deutschland bleibt auch in Zukunft einer der bedeutendsten Chemiestandorte der Welt. Diese Perspektive muss aber strategisch erarbeitet wer-den. Die Komponenten einer erfolgversprechenden Strategie für die Branche lauten: Chancen der Globalisierung nutzen, auf Spezialchemikalien und Pharma fokussieren, Innovationsoffen-sive starten, Ressourceneffizienz erhöhen, Rohstoffbasis diver-sifizieren und Produktivität steigern.

Die zweite Voraussetzung dafür, dass sich die deutsche Chemie auf den globalen Märkten mit ihren Produkten durch-setzen kann, sind die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingun-gen. Zwar sind in Brüssel und Berlin mit der Initiative „Better Regulation“ oder dem Bündnis „Zukunft der Industrie“ durch-aus positive Ansätze erkennbar. Aber darüber hinaus hat sich das politische Umfeld für industrielle Produktion kaum verbes-sert. Insbesondere die Energie- und Klimapolitik bleibt die

Achillesferse der deutschen Industrie. Denn Energiekosten sind ein wichtiger Faktor im globalen Standortwettbewerb. Die Nachteile des Standorts Deutschland bei den Energie- und Rohstoffkosten im Prognosezeitraum dämpfen die Entwick-lungsmöglichkeiten für die deutsche Chemieindustrie. Eine si-chere und bezahlbare Energieversorgung ist eine Zukunfts-frage für den Industriestandort. Daher plädiert der VCI für eine grundlegende Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes in der nächsten Legislaturperiode, die Ausbau und Preise wirt-schaftlich und kosteneffizient gestaltet.

Handlungsbedarf für die Politik besteht auch beim Thema Innovationsfähigkeit. Die VCI-Studie „Innovationen den Weg ebnen“ hat gezeigt, dass es eine Reihe von externen Hemm-nissen gibt, die den Weg innovativer Produkte vom Labor zum Markt unnötig erschweren. Hier messbare Fortschritte zu errei-chen zahlt sich für Unternehmen und Kunden aus.

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Einleitung

EinleitungDie chemische Industrie1 ist eine Schlüsselindustrie. Sie steht mit einem Großteil ihrer Produkte am Anfang vieler Wert­schöpfungsketten. Die Branche entwickelt Materialien für winzige Chips, die Smartphones oder Computer zu Höchstleistungen antreiben. Sie erzeugt Baustoffe für Häuser und Gebäude und entwickelt Medikamente. Das Bild moderner Fernseher wäre ohne die von der chemischen Industrie hergestellten Flüssig­kristalle längst nicht so scharf. Dank der Chemie bringen Windräder und Solaranlagen sauberen Strom, werden Autos und Flugzeuge immer leichter und Sportgeräte wie Skier oder Fahrräder leistungsfähiger und sicherer. Daher gilt: Den Wetter­bericht über das Smartphone checken, eine Kopfschmerztab­lette nehmen, in den Urlaub fliegen oder daheim die Bundesliga in HD­Auflösung schauen? Ohne Chemie? Unmöglich!

Über 80 Prozent der Erzeugnisse der deutschen Chemie gehen an industrielle Kunden. Die Branche ist damit Ausgangs­punkt und Innovationsmotor für viele Wertschöpfungsketten im In­ und Ausland. Chemieunternehmen arbeiten mit Ma­schinenbau, Elektroindustrie, Bauwirtschaft und Fahrzeugbau eng zusammen. Diese Partnerschaft führt zu hoher Leistungs­fähigkeit und Produktqualität. Die Stärke des Industrienetz­werkes macht Deutschland zu einer führenden Exportnation. In diesem System spielt die Chemie als Lieferant hochwertiger Lösungen eine zentrale Rolle für alle genannten Branchen.

Kaum eine andere Industrie bietet ein so großes Produkt­spektrum. In Deutschland entfällt rund ein Drittel der Produktion auf Basischemikalien. Hierzu zählen Düngemittel, Industrie­gase und andere anorganische Grundstoffe ebenso wie Primär­chemikalien (z.B. Ethylen, Propylen oder Benzol), organische Zwischenprodukte und Standardpolymere. Spezialchemikalien stellen mit knapp 40 Prozent den größten Anteil an der deut­schen Chemieproduktion. Zur Spezialchemie gehören Farben und Lacke, Pflanzenschutzmittel, Spezialkunststoffe, Additive wie beispielsweise Flammschutzmittel, UV­Schutzlacke und Lebensmittelzusatzstoffe, Klebstoffe, Seifen, Wasch­ und Rei­nigungsmittel sowie Kosmetika. Über ein Viertel der Chemie­produktion entfällt auf Pharmazeutika für Mensch und Tier. Eine enge Verknüpfung zwischen Pharma, Spezial­ und Basi s­ chemie gibt es nicht nur auf der gemeinsamen Grundlage von Molekülen für Wirk­ und Werkstoffe. Sie besteht auch aus intensiven Geschäftsbeziehungen der Unternehmen. Ohne die Produkte der Basischemie würden Pharma und Spezialche­mie in Deutschland schwieriger an Rohstoffe gelangen. An­dererseits ist die Basischemie auf die anderen Sparten als verlässliche Kunden angewiesen. Die breite Aufstellung der deutschen Chemie, die Chemieparks, in denen Verbund­ und Synergieeffekte über Unternehmensgrenzen hinweg intensiv genutzt werden, und nicht zuletzt enge Lieferbeziehungen mit nahezu allen Industriebranchen gehören zu den herausragen­den Stärken des Chemiestandorts Deutschland.

Das Konzept der Chemieparks – eine deutsche Erfindung – steigert zudem die Effizienz der Produktion. Der Standort­betreiber kümmert sich um zentrale Umweltschutzeinrichtungen und die komplette Infrastruktur für die ansässigen Unternehmen. Sein Service ermöglicht einen Verbund der Produktionsanlagen mit hoher Effizienz für Energie, Roh­ und Reststoffe.

Als Grundstoffindustrie ist die Chemie energie­ und roh­stoffintensiv. Viele chemische Reaktionen erfordern hohe Temperaturen. Zudem benötigt die Branche viel Strom – nicht nur für elektrolytische Verfahren wie die Chlorproduk­tion, sondern auch für den Betrieb der Produktionsanlagen. Ein Fünftel des Energiebedarfs des verarbeitenden Gewerbes ent­fällt auf die Chemiebranche. Die chemische Industrie setzt Energie träger auch als Rohstoff ein. Die Chemie baut größ­tenteils auf Kohlenstoffverbindungen auf. Wichtigste Roh­stoffquelle ist in Deutschland das Erdölderivat Rohbenzin (Naphtha). Darüber hinaus kommen Erdgas und nachwach­sende Rohstoffe aus Biomasse zum Einsatz.

Genauso vielfältig wie die Produkte sind die Unternehmen. In der öffentlichen Wahrnehmung dominieren die Weltkonzerne. Von den mehr als 2.000 Chemiebetrieben in Deutschland ist aber die überwiegende Mehrheit mittelständisch geprägt. Über 90 Prozent der Chemieunternehmen haben weniger als 500 Beschäftigte. Insgesamt stellen die rund 1.850 kleinen und mittleren Unternehmen weit über ein Drittel der Arbeits­plätze in der Branche. Und sie sind erfolgreich mit ihrer Ge­schäftsstrategie: Der Mittelstand trägt fast ein Drittel zum Gesamtumsatz der Branche bei. Einen derart leistungsstarken Mittelstand in der Chemie gibt es sonst nirgendwo auf der Welt. Mit ihren spezifischen Lösungen für die Kunden – vor allem Fein­ und Spezialchemikalien – sind unsere mittelstän­dischen Unternehmen den Wettbewerbern häufig einen Schritt voraus. Dadurch zählen sie nicht selten zu den globalen Marktführern auf ihrem Arbeitsgebiet.

Gemeinsam tragen Großunternehmen und Mittelstand mit ihrem Umsatz und ihren Investitionen maßgeblich zum Wohlstand Deutschlands bei. Die Branche erwirtschaftet als drittgrößte Industrie in Deutschland rund 11 Prozent des deutschen Industrieumsatzes. Die Chemie ist kapitalintensiv. Nahezu 12 Prozent aller Investitionen der Industrie werden in der Chemie getätigt. Darüber hinaus ist die Chemieindustrie ein wichtiger Arbeitgeber. In der Chemie arbeiten rund 463.000 Personen.2

Die herausragende Stellung der deutschen Industrie in der Welt ist nicht zuletzt auf Deutschlands Stärke als For­schungsstandort zurückzuführen. Durch kontinuierliche Produkt­ und Prozessinnovationen konnte sich die deutsche Chemie seit mehr als 100 Jahren im internationalen Wettbewerb behaupten. Innovationen bleiben auch in Zukunft ein not­wendiger Differenzierungsfaktor auf dem Weltmarkt. Als Zu­lieferer für andere Branchen ist die chemische Industrie mit ihren Patenten, neuen Produkten, Verfahren und dem Anwen­

1 Unter dem Begriff „chemische Industrie“ wird in der vorlie-genden Studie immer die gesamte chemisch-pharmazeuti-sche Industrie verstanden. Alle Kennzahlen beziehen sich, falls nicht anders angegeben, auf die Gesamtchemie.

2 In diesem Bericht werden, falls nicht anders angegeben, Kennzahlen des Prognos-Modells verwendet. Die Daten stammen aus der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR). Die Wertangaben sind real (in Preisen und Wechsel-kursen von 2010). Dadurch kann es zu Abweichungen ein-zelner Kennzahlen von der VCI-Berichterstattung kommen.

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Einleitung

dungs­Know­how ein Innovationsmotor mit hohem Multipli­katoreffekt. Die Chemie (ohne Pharma) steuert jedes fünfte Patent mit branchenübergreifender Bedeutung in Deutschland bei. Sie entwickelt und verbessert beständig Materialien und innovative Vor­ und Endprodukte.

Mit der wachsenden Weltbevölkerung steigt auch der Bedarf an Produkten für klimaschonende Energieerzeugung, mehr Nahrung, sauberes Wasser, Medikamente, Kommunika­tionsmittel und umweltgerechte Mobilität. Darauf richten die deutschen Chemieunternehmen ihre Geschäftsstrategie und Forschungsprojekte schon seit geraumer Zeit aus. Die che­misch­pharmazeutische Industrie in Deutschland ist mit ihren Kompetenzen ein zentraler Innovationstreiber, solche globalen Herausforderungen für eine nachhaltige Entwicklung zu be­wältigen. Gleichzeitig trägt unsere Initiative Chemie3 dazu bei, Nachhaltigkeit als gelebtes Leitbild in der gesamten Branche zu verankern. Wirtschaftlicher Erfolg, ökologische Verantwor­tung und soziale Gerechtigkeit sind die Säulen, auf denen dieses Selbstverständnis ruht.

Deutschland ist – gemessen am Umsatz – nach China, den USA und Japan die viertgrößte (2013) Chemienation der Welt. Chemische Erzeugnisse „Made in Germany“ sind weltweit gefragt. Die deutsche Chemieindustrie ist seit vielen Jahren Exportweltmeister. Die Branche erschließt die globalen Märkte nicht nur über Exporte, sondern auch über Produk­tionsstätten in den meisten Ländern der Welt.3

Der globale Wettbewerb hat auch in der Chemie enorm Fahrt aufgenommen. In Asien forcieren China, Indien und Korea massiv den Ausbau von Forschung und Wissenschaft. Bereits heute kommen 40 Prozent aller chemischen Erfindun­gen aus Asien. In den rohstoffreichen Ländern entstehen Jahr für Jahr neue Produktionsanlagen vor allem in der Basische­mie. Dadurch ergibt sich neue Konkurrenz für die traditionsreiche deutsche Chemie.

Deutschland ist heute ein attraktiver und wettbewerbsfä­higer Chemiestandort. Die Studie „Die Wettbewerbsfähigkeit des Chemiestandorts Deutschland im internationalen Ver­gleich“4 des Wirtschaftsforschungsinstituts Oxford Economics zeigt aber, dass der Chemiestandort Deutschland seit 2008 an Wettbewerbsfähigkeit verloren hat. Das ist beunruhigend, weil dadurch das Wachstum gedämpft wird und Investitions­entscheidungen zunehmend zugunsten ausländischer Stand­orte getroffen werden. Und es stellt sich zunehmend die Frage, ob die deutsche Chemie bis 2030 in der Erfolgsspur bleibt.

Ebenfalls beunruhigend ist, dass das Wachstum der deut­schen Chemie in den zurückliegenden Jahren gering war. Nach der Weltwirtschaftskrise des Jahres 2008/2009 hat sich die deutsche Chemie zwar rasch wieder erholt. Aber seit 2011 konnte die Produktion kaum noch ausgeweitet werden. Kann diese Wachstumsschwäche in den kommenden Jahren über­wunden werden? Und wenn ja, wie? Auch mit diesen Fragen beschäftigt sich die vorliegende Studie. Sie zeigt das langfris­tige Wachstumspotenzial der Branche in Deutschland auf.

Der vorliegende Bericht ist eine Aktualisierung der VCI­Prognos­Studie „Die deutsche chemische Industrie 2030“5. Er berücksichtigt die aktuellen Entwicklungen nach 2011 wie bei­spielsweise die Wachstumsabschwächung der Schwellenlän­der oder den Preisverfall beim Rohöl. Die Studie bietet eine umfassende und konsistente Langfristprognose für die Welt­

wirtschaft, die Entwicklungen in Deutschland und Europa, den Strukturwandel in der Industrie bis hin zu den Entwicklun­gen in einzelnen Chemiesparten. Die Prognose zukünftiger Entwicklungen bietet die Möglichkeit, Stärken und Schwä ­chen der deutschen Chemie aufzudecken und Chancen und Risiken für die Branche zu identifizieren, die sich aus grundle­genden wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ökologischen Entwicklungen ableiten. Neben den Ergebnissen ist uns das vertiefte Verständnis über Wirkungszusammenhänge wichtig.

Die Erstellung eines Zukunftsszenarios ist immer eine „Wenn­dann“­Analyse. In der vorliegenden Studie wurde zunächst nur das Basisszenario aktualisiert. Hierin ist die Kon­stellation von Faktoren für das Chemiegeschäft unterstellt, die VCI und Mitgliedsunternehmen für die wahrscheinlichste halten. Je nachdem, welche Annahmen man für die Ent­wicklung der wichtigen Treiber des Chemiegeschäfts trifft, ergeben sich abweichende Szenarien.

Bereits das Basisszenario zeigt einen großen Handlungs­bedarf für die Akteure auf. Denn Unternehmen, Gesellschaft und die Politik gestalten die Zukunft der Chemieindustrie in Deutschland. Die Studie soll hierfür einen Orientierungsrah­men geben. Unternehmerische Entscheidungen, beispiels­weise über Forschungsschwerpunkte oder Investitionen, werden auf Grundlage von Erwartungen über die Zukunft ge­troffen. Eine fundierte Langfristprognose bildet daher den notwendigen Rahmen für die Optimierung der strategischen Ausrichtung der Unternehmen. Gleichwohl geht der Anspruch der Studie über die Branche hinaus: Wir wollen auf Basis der Ergebnisse auch Politik und Gesellschaft zu einem Dialog über die Zukunft Deutschlands einladen. Die heute getroffe­nen politischen Entscheidungen werden sich auf die gesamte Wirtschaft und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen In­dustrie auswirken. Vor diesem Hintergrund leistet der VCI mit der aktuellen Studie einen Beitrag, der durch fundierte Argu­mente und Zahlen zum Dialog über die Zukunft Deutschlands anregt.

3 Die Kennzahlen in dieser Studie beziehen sich – falls nicht anders angegeben – auf die in Deutschland produzierenden Chemieunternehmen. Die ausländischen Töchter deutscher Chemieunternehmen sind nicht eingerechnet. Aussagen zur Wettbewerbsfähigkeit beziehen sich immer auf den Chemie-standort Deutschland und nicht auf die Unternehmen. 4 „Die Wettbewerbsfähigkeit des Chemiestandorts Deutsch-land im internationalen Vergleich“, VCI 2014, abrufbar unter https://www.vci.de/vci/downloads-vci/publikation/bericht-zur-vci-oxford-economics-studie-wettbewerbsfaehigkeit-chemie-standort-deutschland.pdf, „Evolution of competitiveness in the German chemical industry: historical trends and future prospects“, Oxford Economics 2014, abrufbar unter https://www.vci.de/vci/downloads-vci/publikation/vci-oxford-economics-report-evolution-of-competitiveness-in-german-chemical- industry.pdf 5 „Die deutsche chemische Industrie 2030“, VCI 2013, abrufbar unter https://www.vci.de/vci/downloads-vci/publikation/lang-fassung-prognos-studie-30-01-2013.pdf

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Weltwirtschaftliches Umfeld

Weltwirtschaftliches UmfeldWie sich die chemische Industrie in Deutschland bis zum Jahr 2030 entwickelt, wird maßgeblich von den weltwirt­schaftlichen Entwicklungen und den wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen mitbestimmt. Treiber für die Entwick­lung sind Megatrends, die nicht zwangsläufig ökonomischer Natur sein müssen. Ohne ein Wissen und eine Einschätzung darüber, in welche Richtung sich die zentralen Treiber entwi­ckeln werden, ist ein Ausblick auf die zukünftigen Entwick­lungen nicht möglich. Im Folgenden werden daher zunächst die globalen Megatrends aufgezeigt, bevor die daraus resul­tierende Entwicklung der Weltwirtschaft und der deutschen Wirtschaft dargestellt wird.

Die globalen MegatrendsHäufig werden Prognosen durch unwahrscheinliche, aber

in ihrer Wirkung extreme Ereignisse wie Naturkatastrophen, kriegerische Auseinandersetzungen oder technologische Sprünge überholt. Dennoch erlauben langfristige Entwick­lungstendenzen wichtiger ökonomischer Rahmendaten empi­risch gestützte Aussagen über die Zukunft. Für die Prognose wurden auf Grundlage aktueller Trends, sich abzeichnender Entwicklungen, vorhandener Studien und Expertenwissen An ­nahmen zu der Entwicklung der zentralen Treiber – Demogra­fie, Globalisierung, Technologie und Humankapital, Energie und Ressourcen, Umwelt und Klima sowie Staatsfinanzen und Konsolidierung – getroffen. Im Ergebnis zeigen sich sechs

Megatrends, die die Entwicklung der Weltwirtschaft in den kommenden Jahren maßgeblich beeinflussen werden.

WACHSENDE UND ALTERNDE WELTBEVÖLKERUNGDas globale Bevölkerungswachstum bleibt in den kom­

menden Jahren ein zentraler Wachstumstreiber für die Welt­wirtschaft. Bis zum Jahr 2030 steigt nach Schätzungen der Vereinten Nationen (UN) die Weltbevölkerung von 7,2 Milli­arden in 2013 auf 8,5 Milliarden Menschen. Dies entspricht einem jährlichen Wachstum von 1 Prozent. Entsprechend dynamisch wird die weltweite Nachfrage nach Nahrung, Gütern und Dienstleistungen zulegen. Gleichzeitig wächst auch das globale Arbeitskräfteangebot. Allerdings fällt dieser Zuwachs aufgrund der gleichzeitigen Alterung der Welt­bevölkerung weniger stark aus.

Dynamik und Divergenz prägen die weltweiten demogra­fischen Entwicklungen im 21. Jahrhundert: Das globale Bevöl­kerungswachstum bis 2030 beruht beinahe zu 90 Prozent auf der Bevölkerungsentwicklung der Schwellenländer in Afrika und Asien. Besonders dynamisch wächst die Bevölkerung in Indien. Bis 2030 wird die indische Bevölkerung um jährlich 1 Prozent zulegen und damit auf gut 1,5 Milliarden Menschen anwachsen. Demgegenüber schwächt sich das Bevölkerungs­wachstum in China infolge der Ein­Kind­Politik deutlich ab. Über den gesamten Prognosezeitraum wächst die chinesische Bevölkerung nur noch um 0,3 Prozent pro Jahr. Infolge dieser gegen läufigen Entwicklungen löst Indien China im kommen­

ABB. 1: WELTBEVÖLKERUNG WÄCHST – LEBENSERWARTUNG STEIGTBevölkerung im Jahr 2030, in Millionen

In allen Ländern steigt die Lebenserwartung und damit der Anteil der Personen über 64 Jahre. Die Weltbevölkerung wächst vor allem in den Schwellenländern. In Griechenland, Japan, Russland, Polen, Portugal, Spanien und Deutschland schrumpft die Bevölkerung.Quelle: Vereinte Nationen 2015

10,1

9,7

133,8

121,0

43,7

37,5

79,3

53,0

1.453,3

70,7

65,170,7

222,7

19,8 40,2

358,8

86,8144,0

46,9 1.476,3

58,1

10

Weltwirtschaftliches Umfeld

den Jahrzehnt als bevölkerungsreichstes Land der Erde ab. Russland bildet unter den Schwellenländern eine Ausnahme. Die russische Bevölkerung schrumpft, so dass 2030 deutlich weniger Menschen in Russland leben werden als noch im Jahr 2013.

In den Industrieländern6 stagniert die Bevölkerungs­entwicklung nahezu (+ 0,2 Prozent p.a.). Insgesamt wird der Anteil der Menschen, die in Industrieländern leben, von heute 17 Prozent auf 15 Prozent im Jahr 2030 zurückgehen. Inner­halb der Gruppe der Industrieländer zeigen sich große Un­terschiede in der Bevölkerungsentwicklung. Vor allem die Vereinigten Staaten, aber auch Australien, die Schweiz oder Norwegen zeichnen sich durch einen deutlichen Bevölke­rungszuwachs aus. Insbesondere aufgrund der hohen Zu­wanderungszahlen wächst die Bevölkerung der USA bis 2030 um jährlich 0,7 Prozent. Die Bevölkerung der Europä ischen Union wird hingegen nur um 0,1 Prozent pro Jahr wachsen können. In Japan schrumpft die Einwohnerzahl sogar über den gesamten Prognosezeitraum. 2030 werden dort 6,3 Millionen Menschen weniger leben als heute.

Im Zuge einer zunehmenden Lebenserwartung wird die Weltbevölkerung insgesamt altern. Heute leben rund 840 Millionen Menschen auf der Erde, die älter als 60 Jahre sind. Dies entspricht einem Anteil von knapp 12 Prozent an der gesamten Weltbevölkerung. Bis 2030 wird dieser Anteil auf 16,5 Prozent ansteigen. Damit werden dann 1,4 Milliar­den Menschen älter als 60 Jahre sein. Nicht nur beim Be­völkerungswachstum, sondern auch bei der Alterung der Bevölkerung zeigen sich große regionale Unterschiede: Vor allem in den Industrieländern, aber auch in China wird die Bevölkerung schnell altern, während in den anderen Entwick­lungs­ und Schwellenländern der Anteil älterer Menschen deutlich langsamer steigt.

Unter dem Strich lässt sich festhalten, dass die Bevölke­rung in Ländern mit hohem Wohlstandsniveau schneller altert und kaum noch wächst, während in den Entwicklungs­ und Schwellenländern die Bevölkerung kaum altert und rasant wächst. Die Industrieländer stehen daher vor der Heraus­forderung, dass das Arbeitskräftepotenzial sinkt und ein Fachkräftemangel droht. Gleichzeitig müssen die sozialen Sicherungssysteme (Alterssicherung, Gesundheitssystem, Pflege) stark zunehmende Lasten bewältigen. In den Ent­wicklungs­ und Schwellenländern hingegen wird es immer schwieriger, die Versorgung der Menschen mit Gütern und Dienstleistungen sicherzustellen. Noch schwieriger ist es, für die wachsende Bevölkerung ausreichend Jobs zu schaffen. Vor diesem Hintergrund wird das Nord­Süd­Gefälle bei den Pro­Kopf­Einkommen weitgehend bestehen bleiben.

Das Wohlstandsgefälle, kriegerische Auseinandersetzun­gen und die unterschiedliche Bevölkerungsdynamik werden in den kommenden Jahren weiterhin Migrationsbewegungen auslösen, deren Richtung und Stärke sich nur schwer prognos­tizieren lässt. Deutschland konnte in den letzten Jahren seine Attraktivität als Zuwanderungsland steigern, wenngleich ein Teil der hohen Zuwanderung in den vergangenen Jahren auch der sich nun langsam stabilisierenden Wirtschaftskrise im Euroraum geschuldet war. Auch in den Jahren bis 2030 kann der durch die niedrigen Geburtenraten verursachte Bevölke­rungsrückgang durch Migration abgeschwächt werden. Damit haben sich die Perspektiven gegenüber der Ausgangsstudie

deutlich verändert. Die jüngsten bedeutsamen Flüchtlings­ströme sind allerdings in den Bevölkerungsprognosen noch nicht enthalten. Die Auswirkungen der Flüchtlingskrise auf die Entwicklung in Deutschland konnten daher im Rahmen dieser Studie noch nicht quantifiziert werden. Aus heutiger Sicht ist es aber wenig wahrscheinlich, dass sich im Hinblick auf das Arbeitskräftepotenzial die grundsätzlichen heute erkennbaren Entwicklungstendenzen ändern.

Insgesamt wirkt sich die steigende Weltbevölkerung positiv auf das Wachstum der Weltwirtschaft aus. In den Schwel len­ländern werden mehr Menschen leben und konsumieren, gleichzeitig aber auch dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Die Industrieländer profitieren ihrerseits von dieser Entwicklung, da sie zunehmend mehr in diese Re gionen exportieren und von dort günstigere Vorleistungen importieren können. Gleichzeitig kann die Einwanderung aus den Schwel­lenländern dem drohenden Fachkräftemangel entgegenwirken.

GLOBALISIERUNG VERLIERT AN TEMPODie Globalisierung war in den beiden zurückliegenden

Jahrzehnten einer der stärksten Treiber für eine prosperie­rende Weltwirtschaft. Die internationale Arbeitsteilung nahm seit Mitte der 90er Jahre rasant zu. Der globale Handel wuchs von 2000 bis 2013 mit durchschnittlich rund 4,5 Prozent pro Jahr deutlich dynamischer als die Weltwirtschaft (2,5 Prozent p.a.). Diese Entwicklung war durch fünf Sonderfaktoren be­günstigt:

Adie Integration Chinas in die Weltwirtschaft, Adie Transformation des ehemaligen Ostblocks, Aden durch den Industrialisierungsprozess der Schwellenlän­der hervorgerufenen Ressourcenhunger, Aden durch Rohstoffexporte ausgelösten Reichtum der Roh­stoffländer, Aden Abbau von Handelsschranken und Kapitalverkehrskon­trollen.

Nach der Weltwirtschaftskrise 2008/2009 hat sich der Welthandel von den Rückschlägen zwar wieder rasch erholt. Seither wuchs er aber nur noch geringfügig schneller als die Weltwirtschaft. Das zeigt sich auch im Chemiegeschäft, denn das Verhältnis aus Weltchemiehandel und Weltchemieumsatz stagniert seit einigen Jahren. Die lokale Produktion gewinnt mit der Industrialisierung der Schwellenländer an Bedeutung, weil sich internationale Lohnpreisdifferenzen weiter angegli­chen haben. Zudem sinken die Transportkosten kaum noch und für innovative Produkte wird die Nähe zum Kunden zu­nehmend wichtiger.

Die Handelspolitik spielt auch zukünftig eine wichtige Rolle. Allerdings wird der Abbau von Handelshemmnissen und Kapitalverkehrskontrollen im Vergleich zu den vorangegan­genen Jahrzehnten insgesamt deutlich an Dynamik verlieren.

6 Unter Industrieländern werden in der Studie im Wesentlichen die „advanced economies“ im Sinne der Definition des Inter-national Monetary Fund (https://www.imf.org/external/pubs/ft/weo/2015/02/weodata/groups.htm) verstanden. China zählt hingegen in der Studie zu den Schwellenländern. Weitere Länder in dieser Gruppe sind: Argentinien, Brasilien, Chile, Indien, Mexiko, Russland, Südafrika und die Türkei.

11

Weltwirtschaftliches Umfeld

Die Wahrscheinlichkeit einer umfassenden multilateralen Han­delsliberalisierung und einer substanziellen Weiterentwick­lung der Welthandelsordnung ist gesunken. Gründe hierfür liegen in einer zunehmend multipolaren Weltwirtschaft ei­nerseits und der Erweiterung des handelspolitischen Spiel­feldes um nichtökonomische Dimensionen andererseits. Vor diesem Hintergrund wurde bis 2030 nur eine graduelle Weiterentwicklung des internationalen Handelsregimes un­terstellt. Diese wird von vier Phänomenen begleitet, die in un­terschiedlicher Richtung auf den Welthandel wirken:

ARegionale Integrationsbemühungen werden – zum Teil er­folgreich – zunehmen. Während im asiatisch­pazifischen Raum durch neue Abkommen pragmatisch die Integration vertieft werden wird, droht die EU hier ins Hintertreffen zu geraten, weil die Vorteile einer stärkeren wirtschaftlichen Integration im gesellschaftspolitischen Diskurs nicht hinrei­chend priorisiert werden. ADie Abschwächung des Wachstums in den Industrie­ und einigen Schwellenländern, die Schwäche der multilateralen Institutionen sowie die stärkere Gewichtung ökologischer gegenüber ökonomischen Zielen werden sich in protekti­onistischen Tendenzen manifestieren. Auch wenn es keine Protektionismus­Spirale wie in den 1930er Jahren geben dürfte, wird sich dies bremsend auf den Freihandel auswir­ken. ADer technologische Wandel insbesondere durch die Digi­talisierung wird dazu führen, dass verstärkt Wissen sowie Daten und Designs an Stelle von Fertigwaren gehandelt und zudem Investitionen an Gewicht gewinnen werden. Die daraus resultierende Verlangsamung der Handelsdynamik wird dabei mehr Komponenten­ und Konsumgüterhersteller und weniger Materialtechnologien wie die Chemie betref­fen. Hier könnte der Handel durch die Digitalisierung sogar zunehmen – so wäre z.B. eine additive Fertigung auf hoch ­wertige Materialien angewiesen. Aber die genauen Effekte sind noch mit hoher Unsicherheit behaftet.

ADie Weltordnung befindet sich im Umbruch. Es besteht die große Gefahr, dass sich Staaten oder gar Regionen zu­nehmend in Kriege und Bürgerkriege verwickeln oder sich „failed states“ politisch wie auch wirtschaftlich isolieren und weitgehend abseits vom internationalen Handelssystem stehen. Dies hätte zur Folge, dass die Bedeutung dieser Länder oder Regionen am Welthandel – als Kunden und Lieferanten – sinkt. Diese Gefahr ist insbesondere im Nahen Osten und in Teilen Afrikas am größten. A Im Vergleich zur multilateralen Handelsliberalisierung spielen zwischenstaatliche Handelsabkommen auch zukünf­tig die größere Rolle (TTIP, CETA, TPP, diverse asiatische Freihandelsabkommen etc.). Derzeit lässt sich das Ergebnis der Verhandlungen zum transatlantischen Freihandelsab­kommen noch nicht vorhersehen. Der Widerstand gegen einzelne Teilbereiche des Verhandlungspaketes ist groß. Im Rahmen der Studie haben wir unterstellt, dass die Ver­handlungen erfolgreich abgeschlossen werden. Dadurch werden die Handelsbeziehungen zwischen den USA und der EU belebt und das Wirtschaftswachstum gestärkt. Aller­dings wird es voraussichtlich im Bereich der regulatorischen Kooperation und des Abbaus nichttarifärer Handelshemm­nisse nur kleine Fortschritte geben, so dass ökonomische Potenziale ungenutzt bleiben.

In der Summe erwarten wir, dass der globale Handel mit Waren und Dienstleistungen weiterhin schneller wachsen wird als die weltweite Wirtschaftsleistung. Im Zeitraum 2013 bis 2030 wachsen die weltweiten Exporte um durchschnittlich 3,6 Prozent pro Jahr. Der Prozess der Globalisierung setzt sich damit fort. Das relative Expansionstempo (Welthandel/Welt­BIP) wird jedoch nicht mehr an Größenordnungen anknüpfen, wie sie in den Jahren vor der Finanzkrise üblich waren. Die Bedeutung des Welthandels als Wachstumstreiber der Welt­wirtschaft nimmt ab.

SCHNELLERE VERBREITUNG VON TECHNOLOGIEN UND WISSENDer technologische Fortschritt und die Zunahme des

Wissens bleiben wichtige Treiber für die weltwirtschaftliche Entwicklung. Technologische Innovationen diffundieren im Zuge einer zunehmenden weltweiten Arbeitsteilung und der Digitalisierung immer schneller um den gesamten Erdball. Keinem Land wird es gelingen, über eine längere Zeitspanne einen technologischen Vorsprung aufrechtzuerhalten. Innova­tionen werden so das Wachstum der Weltwirtschaft in vielen Ländern fördern.

Der technologische Entwicklungsstand steigt im Progno­sezeitraum stetig. Die Digitalisierung (u.a. auch Industrie 4.0 genannt) ist einer der mächtigsten Treiber hinter dieser Ent­wicklung. Ihre Bedeutung nimmt in sämtlichen Lebens­ und Wirtschaftsbereichen zu. Auch in der Chemie steht ein umfas­sender Strukturwandel bevor. Durch die Digitalisierung werden disruptive Innovationen möglich, die das Potenzial haben, bewährte und erprobte Geschäftsmodelle zu erweitern oder aber auch zu ersetzen. Das Wettbewerbsumfeld wird sich aufgrund beschleunigter Innovationszyklen und neuer Wett­bewerber verschärfen. Letzteres ist bereits heute zu beobachten.

Gleichzeitig ermöglichen neue Technologien die Opti­mierung von Prozessen, die Erschließung neuer Geschäfts­felder und die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. In der

ABB. 2: GLOBALISIERUNG VERLIERT AN SCHWUNGAnteil des weltweiten Handels (Exporte und Importe) am globalen BIP in Prozent, CAGR 2000–2013 und 2013–2030

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45

20102005 2025 2030

+0,8%

+2,0%

202020152000

Die Globalisierung wird sich fortsetzen. Auch in Zukunft wächst der Handel stärker als die globale Wirtschaftsleistung. Aber die Bedeutung des Welthandels als Wachstumstreiber der Welt-wirtschaft wird abnehmen.

12

Weltwirtschaftliches Umfeld

Chemie ist davon auszugehen, dass insbesondere datenge­steuerte Produktionsprozesse weiter ausgebaut werden. Die Digitalisierung wird zwar in der Chemie im Prognosezeitraum nicht zu technologischen Sprüngen führen. Vielmehr wird sich durch die stetige Verbreitung in den Unternehmen die Ge­schwindigkeit technologischer Innovationen erhöhen. Die Folgen sind eine Zunahme der Arbeitsproduktivität und der Ressourceneffizienz sowie Güter und Dienstleistungen mit zunehmendem Kundennutzen. Die Beziehung der Chemiein­dustrie zu ihren Abnehmern wird deutlich enger. Die Grenzen zwischen Produkt und Dienstleistung verschwimmen zuneh­mend. Im Bereich der Agrochemie sind derartige hybride Angebote bereits Wirklichkeit.

Die Industrieländer, allen voran die USA und die Länder der Europäischen Union, bleiben die Innovationsmotoren der Weltwirtschaft. Doch einige Schwellenländer, hier vor allem China, holen kräftig auf. Im Jahr 2000 kamen 93 Prozent der FuE­Aufwendungen aus den Industrieländern. 2013 waren es bereits 10 Prozentpunkte weniger. Am Ende des Progno­sezeitraums werden schätzungsweise nur noch 70 Prozent der FuE­Aufwendungen von den Industrieländern erbracht werden. Über ein Fünftel der weltweiten Aufwendungen wird dann allein aus China kommen. China liegt damit vor der EU. Während die USA kaum Anteile an den weltweiten FuE­Aus­gaben verlieren, geht der Anteil der EU – trotz Aufstockung der FuE­Budgets – deutlich zurück.

Deutschland ist insgesamt ein guter Innovationsstand­ort. Im internationalen Standortvergleich belegt Deutsch­land Platz 5.7 In Zukunft wird das Bildungssystem angesichts der demografischen Entwicklung und der Zuwanderung als Standortfaktor immer wichtiger. Deutschland konnte sein Bildungssystem in den vergangenen Jahren verbessern. Hier besteht aber weiterhin Handlungsbedarf. Deutschland verfügt auch zukünftig über eine gute Hoch­ und Fachhoch­

schulausbildung sowie über eine betriebliche Ausbildung, die die Qualifizierung von Fachkräften sichert.

Im Prognosezeitraum erhöht sich hierzulande die Bildungs­beteiligung und die Durchlässigkeit des Bildungs systems nimmt zu. Das bedeutet, der Anteil der Hochschulabsolventen und hochqualifizierten Facharbeiter steigt, die Abbrecher­quote sinkt und die Mitarbeiter werden für lebenslanges Lernen sensibilisiert. Zusätzliches Potenzial wird durch die stärkere Integration von Frauen und älteren Personen in den Arbeitsmarkt generiert. Eine moderate Zuwanderung von Fachkräften wird in den kommenden Jahren die Leistungsfä­higkeit in Deutschland stärken.

Allerdings ist für den Prognosezeitraum auch unterstellt, dass Deutschland seine staatliche Forschungsförderung nicht ausdehnen wird. Die Hightech­Strategie konzentriert sich wei­terhin auf die Projektförderung, die ohne umfangreiche Auf­stockung fortgeführt wird. Zusätzliche Anreize für erhöhte FuE­Ausgaben unterbleiben. Eine steuerliche Forschungs­förderung ist im Prognosezeitraum nicht unterstellt. Unter diesen Annahmen wird der gesamtwirtschaftliche FuE­Anteil am BIP auch 2030 noch bei knapp unter 3 Prozent liegen.

KEIN ENGPASS BEI ENERGIE UND ROHSTOFFEN BIS 2030Mit dem Wirtschaftsboom in den Schwellenländern stieg

seit 2000 der Verbrauch von Rohstoffen und Energieträgern stetig. Die Lieferanten reagierten nicht im gleichen Umfang mit Produktionserhöhungen. Bis 2008 trieb das den Rohöl­preis immer höher. Erst im Verlauf der Wirtschaftskrise wurde dieser Aufwärtstrend gestoppt. In der Krise übertraf das Angebot die Nachfrage nach Rohstoffen. Allerdings ließ die baldige Erholung der Konjunktur die Nachfrage und damit den Preis schnell wieder steigen. Während sich die meisten Rohstoffpreise in den Jahren 2011 bis 2013 nahezu konstant entwickelten, brach der Ölpreis Rekorde. Befeuert wurde dies durch die politischen Unruhen im Nahen Osten und Spannun­gen um das iranische Atomprogramm.

ABB. 4: DER ÖLPREIS WIRD NUR MODERAT STEIGENÖlpreis im Jahresdurchschnitt, in US-Dollar je Barrel (real)

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40

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2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030

Gründe für den nur moderaten Ölpreisanstieg: Ausweitung des Angebotes (Schieferöl in den USA und Kanada, Wiederauf-nahme der iranischen Ölexporte) sowie Steigerung der Energieeffizienz. Quellen: Feri, IEA, VCI

7 „acatech-BDI Innovationsindikator“ 2015.

ABB. 3: SCHWELLENLÄNDER WERDEN INNOVATIVERAnteile der Industrie- und Schwellenländer an den gesamtwirt-schaftlichen realen FuE-Ausgaben in Prozent

6,7%

93,3%

2030

29,6%

70,4%

2013

17,0%

83,0%

2000

Industrieländer

Schwellenländer

Der Innovationswettbewerb der Länder wird an Intensität gewinnen. In Zukunft werden Forschung und Entwicklung nicht mehr nur eine Domäne der Industrieländer sein. Auch die Schwellenländer verstärken ihre FuE-Anstrengungen.

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Weltwirtschaftliches Umfeld

Eine zentrale Annahme der Vorgängerstudie war, dass Energie und Rohstoffe zunehmend knapper und damit teurer werden. Damals lautete die Langfristprognose der Interna­tionalen Energieagentur (IEA): Der Ölpreis wird bis 2030 auf real 135 US­Dollar pro Barrel steigen. Nominal bedeutete das einen Anstieg auf 240 US­Dollar pro Barrel. Diese Annahme kann vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen an den internationalen Rohstoffbörsen nicht aufrechterhalten werden.

Die Hauptursachen des aktuellen Preisverfalls bei Energie und anderen Rohstoffen liegen auf der Angebotsseite. Hohe Rohstoffpreise hatten in Verbindung mit der Erwartung knapper werdender Ressourcen einen Investitionsboom im Bergbau und in der Öl­ und Gasindustrie ausgelöst. Zudem ermöglichte der technologische Fortschritt die Erschließung neuer und bisher nicht wirtschaftlich nutzbarer Lagerstätten. Mit Hilfe von Fracking ist mittlerweile nicht nur in den USA die wirtschaftliche Exploration von Schiefergas und Schieferöl möglich. Neue Technologien führen nicht nur zu einer Aus­weitung des Angebots, sondern auch zu einer Zunahme der verfügbaren Reserven. Vor diesem Hintergrund geht die vor­liegende Studie nun davon aus, dass Energie und Rohstoffe trotz steigender Nachfrage und geopolitischer Unsicherhei­ten im Prognosezeitraum ausreichend verfügbar und relativ günstig sein werden.

Und dennoch: Der seit Mitte des Jahres 2014 zu beobach­tende Rohölpreisverfall ist deutlich überzeichnet. Weder die Ölindustrie noch die OPEC­Länder oder Brasilien und Russland können auf Dauer mit Ölpreisen zwischen 30 und 50 US­Dollar je Barrel auskommen. Die Entscheidung der OPEC, ihr Produktionsziel in den Jahren 2014 und 2015 beizubehalten, hat bei den anderen ölfördernden Ländern bereits zu einem Investitionsrückgang bei der Erschließung neuer Öl­ und Gas­quellen geführt. Hinzu kommt, dass innerhalb der OPEC die Fördermengen nur im Iran und im Irak gesteigert werden können. Doch beide Länder haben wegen der instabilen Lage Schwierigkeiten, die notwenigen Investitionen zu mobi lisieren.

Mittelfristig wird der Ölpreis voraussichtlich wieder steigen. Für den Prognosezeitraum wird basierend auf dem „IEA new policies scenario“ (Stand Sommer 2015) ein Ölpreisanstieg auf 109 US­Dollar (real) je Barrel bis 2030 unterstellt. Inflationiert mit der Preisentwicklung des Bruttoinlandspro dukts der USA ergibt sich für 2030 ein nominaler Preis von 145 US­Dollar je Barrel.

Auch die Nachfrageseite spricht für moderat steigende Ölpreise. Zwar dürfte der weltweite Energie­ und Rohstoff­bedarf in den kommenden Jahren weiter zunehmen. Der Zuwachs wird aber deutlich langsamer ausfallen als im zu­rückliegenden Jahrzehnt. Der Grund: Die Dynamik der Welt­wirtschaft schwächt sich zukünftig ab und nicht nur in Europa werden sich vermehrt energie­ und rohstoffeffizientere Pro­duktionsweisen durchsetzen. Zudem wird China, das Land mit dem größten Ressourcenverbrauch, nach der Phase der rasanten Industrialisierung zukünftig verstärkt im Dienstleis­tungssektor wachsen und seine Produktion ressourcenscho­nender ausrichten.

Die Rohstoffpreise bleiben aber wegen der Investitions­zyklen im Öl­ und Gasgeschäft extrem volatil. Die Ökonomen sprechen von Schweinezyklen: In Zeiten niedriger Preise wird kaum investiert. Ölfelder versiegen und das Angebot sinkt. Das lässt die Preise steigen. Die steigenden Preise wiederum führen zu einer Ausweitung der Investitionen, bis die Preise wegen eines Überangebots wieder sinken. Dann beginnt das Spiel von neuem. Diese Volatilität der Rohstoffpreise wird durch die Finanzmärkte verstärkt. Die daraus resultierende Planungsunsicherheit ist für Industrieunternehmen ein großes Risiko.

Im Unterschied zum Ölmarkt werden Gaspreise bis heute stark von regionalen Einflüssen geprägt. Das ist eine Folge der hohen Investitionskosten für große Pipelines und Liquified­ Natural­Gas­(LNG­)Versorgungsketten, die den Gastransport über größere Entfernungen aufwendig und betriebswirtschaft­lich riskant machen.

Das zusätzliche Angebot von Schiefergas sorgt in den USA vermutlich noch bis in die 2030er Jahre für im inter­nationalen Vergleich niedrige Gaspreise und zunehmende LNG­Exporte. Japan und Südkorea, die weltgrößten LNG­ Importeure, besitzen dagegen einen geografischen Nachteil und sind mangels eigener Rohstoffe auf verlässliche Gas­lieferungen zu international relativ hohen Preisen angewiesen. Die europäischen Gaspreise liegen zwischen den hohen Im­portpreisen Japans und den niedrigen Gaspreisen in den USA. Europa profitiert vom Wettbewerb zwischen russischem und norwegischem Pipelinegas und einem zunehmenden LNG­Angebot. Heute ist in Deutschland das Gas rund dreimal teurer als in den Vereinigten Staaten.

Generell ist von einer weiterhin günstigen Versorgungs­lage im globalen Gasmarkt auszugehen. Künftig werden stei­gende LNG­Exporte aus Australien und den USA für einen Preisdeckel sorgen. Ein steiler Preisanstieg in Europa ist damit aus heutiger Sicht unwahrscheinlich. Auch auf lange Sicht werden Europa und Asien allerdings nicht das niedrige Preis­niveau der USA erreichen.

Der Strompreis ist ebenfalls regional unterschiedlich. Für Endkunden setzt er sich aus verschiedenen Komponenten zusammen. Neben den Kosten für die Stromerzeugung und ­bereitstellung sind auch Abgaben, Umlagen sowie Steuern

ABB. 5: SEIT 2010 PREISUNTERSCHIEDE BEI ERDGASPreisvergleich Erdgas USA - Europa - Japan, Referenzpreise der Handelspunkte in Euro/MWh

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2000 2005 2010 2015

EuropaUSA

Japan (LNG)

Der Schiefergasboom sorgte in den USA für niedrige Gas-preise. Japan und Europa müssen hingegen Erdgas teuer importieren. Quellen: Worldbank, VCI

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Weltwirtschaftliches Umfeld

große Kostenblöcke. In Deutschland haben die Ener giewende und der Ausbau der Leitungsnetze die Strompreise extrem ver­teuert. Die deutsche Industrie muss rund 50 Prozent mehr für den Strom bezahlen als Unternehmen in den USA. Auch im europäischen Vergleich belegt der Industriestrompreis in Deutschland einen Spitzenwert. Unternehmen der energie­intensiven Industrien erhalten daher Ermäßigungen oder Kompensationen für Belastungen, die sie durch Umlagen im Rahmen des Erneuerbare­Energien­Gesetzes und Re gelungen zu Kraft­Wärme­Kopplung, Stromsteuern und Netzentgelten in besonderem Maße zu tragen haben. Eine Reduzierung der Ausnahmeregelungen in Deutschland würde energieintensive Unternehmen aufgrund des starken Ausbaus der erneuerba­ren Energien und der damit verbunde nen höheren Gesamt­kosten, die umgelegt werden, deutlich mehr belasten als in den Vergleichsländern. Bis 2030 werden die Divergenzen bei den Strompreisen erhalten bleiben. Gleichzeitig wird in der Studie unterstellt, dass energieintensive Industrien weiterhin von Ausnahmeregelungen profitieren können.

UMWELT- UND KLIMASCHUTZ GEWINNEN WELTWEIT AN BEDEUTUNG

Das Wachstum der Weltwirtschaft in der zurückliegenden Dekade ging mit zunehmendem Ressourcenverbrauch und steigender Umweltverschmutzung einher. Insbesondere die Emissionen von Treibhausgasen wuchsen in den zurücklie­genden Jahren rasant. Sie sind hauptverantwortlich für die globale Erwärmung. Der damit einhergehende Klimawan­del ist bereits heute in Form von häufigen Naturkatastrophen, dem Anstieg des Meeresspiegels und extremen Wetterereig­nissen spürbar. Der größte Wachstumsbeitrag zur Umwelt­verschmutzung kam aus den Schwellenländern. Vor allem die rasante Industrialisierung Chinas hat die Treibhausgasemissi­onen in die Höhe schnellen lassen. Demgegenüber hat sich durch den technologischen Fortschritt und durch eine ambi­tionierte Klimapolitik in den Industrieländern das Wirtschafts­wachstum weitgehend von den CO2­Emissionen entkoppelt.

Im Prognosezeitraum wird der politische und gesell­schaftliche Stellenwert des Umwelt­ und Klimaschutzes weiter steigen – auch über Europas Grenzen hinaus. Bei der UN­Klimakonferenz in Paris haben am 12. Dezember 2015 alle 195 Vertragsstaaten einem neuen globalen Abkommen zu­gestimmt. Das Pariser Abkommen und die begleitenden Ent­scheidungen bilden ein anspruchsvolles Klimaregime für die Zeit ab 2020 mit universeller Geltung und völkerrechtlichen Pflichten. Erstmals vereinbarten Industrie­ und Schwellenlän­der, dass alle gemeinsam gegen den Klimawandel vorgehen. Die Industriestaaten werden zwar auch zukünftig die Haupt­verantwortung tragen. Doch nun wurden auch den Entwick­lungs­ und Schwellenländern Pflichten auferlegt. Damit trägt das Abkommen der Tatsache Rechnung, dass vor allem die sehr dynamische wirtschaftliche Entwicklung vieler Schwellen­länder den Anstieg von CO2­Emissionen beschleunigt hat. Bereits heute ist China für knapp 27 Prozent der globalen CO2­Emissionen verantwortlich und damit der weltweit größte Emittent.

Obwohl sich global im Bewusstsein die Notwendigkeit von Umwelt­ und Klimaschutz durchzusetzen beginnt, bleibt die Asymmetrie bei der Umsetzung bestehen. Außerhalb Europas entscheiden sich die Nationen meist nur dann für Umwelt­ und Klimaschutz, wenn er wirtschaftlich vertretbar ist. Das Klimaschutzabkommen sieht daher vor, dass Schwellen­ und Entwicklungsländer von den Industrieländern durch Technologietransfer und finanzielle Hilfen unterstützt werden. Die Industrieländer sollen hierzu ab 2020 jährlich 100 Milliar­den US­Dollar bereitstellen.

Die EU sieht sich weiterhin als Vorreiter beim Klimaschutz und hat sich daher weltweit die ehrgeizigsten Klimaschutz­ziele gesetzt. Wichtige Klimaschutzinstrumente sind in Europa der Emissionshandel, die Energiesteuern und die Förde­rung erneuerbarer Energien. Diesen Instrumenten ist eines gemeinsam: Sie verteuern den Energieverbrauch. So sollen Anreize zu mehr Energieeffizienz gesetzt werden. Das hat bremsende Effekte auf die europäische Chemie. Hohe und steigende Energiepreise führen in der energieintensiven In­dustrie zu einer Investitionszurückhaltung und begünstigen den Aufbau von Produktionskapazitäten in Weltregionen mit niedrigeren Energiekosten. Um die Abwanderung industriel­ler Produktion aus Europa zu verhindern, gibt es Ausnahmen für besonders energieintensive Produktionsanlagen. Für den Prognosezeitraum wird unterstellt, dass die EU und Deutsch­land an dieser Politik prinzipiell festhalten. Gegenwärtig wird eine Novellierung der Emissionshandelsrichtlinie für den Zeitraum ab 2021 bis 2030 verhandelt. Im Basisszenario ist unterstellt, dass die angestrebte Reform des europäischen Emissionshandels nicht zu signifikanten Kostensteigerungen für Unternehmen führen wird. Für Deutschland wurde darüber hinaus ein Beibehalten des Erneuerbare­Energien­Gesetzes, der Ausnahmeregelungen und des Atomausstiegs unterstellt.

Das zunehmende Bewusstsein der Bürger für Klimaschutz und eine nachhaltige Produktionsweise steigert die Nach­frage nach umwelt­ und klimafreundlicheren Gütern und be­schleunigt so in einigen Wirtschaftszweigen das Wachstum. Beispielsweise profitiert der Maschinenbau von der hohen Nachfrage nach Windkraftanlagen und die Automobilindus­trie sieht Marktchancen bei der Elektromobilität. Auch die chemische Industrie kann als Impulsgeber für den Klima­

ABB. 6: EUROPA BLEIBT VORREITER BEIM KLIMASCHUTZEntwicklung der energiebedingten CO2-Emissionen nach Regionen, in Gigatonnen

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2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030

ChinaUSA

Rest der Welt

EU 28

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3,7

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6,4

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6,0

19,4

4,9

11,4

2,7

Bis 2030 wird China seine CO2-Emissionen weiter steigern. Das nachlassende Wachstum und das steigende Umweltbewusst-sein werden den Anstieg zukünftig aber verlangsamen. Quellen: BP Statistical Review of World Energy; OECD; VCI

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Weltwirtschaftliches Umfeld

und Umweltschutz von dieser Entwicklung profitieren. In vielen Anwendungen und Kundenbranchen ist auf Grundlage bestehender Trends auch zukünftig von einer steigenden Chemieintensität auszugehen (z.B. Gebäudedämmung, Leichtbaukonzepte, Elektroantriebe in der Automobilindustrie).

STAATSVERSCHULDUNG HEMMT WACHSTUMDas Wachstum der vergangenen Jahrzehnte wurde nicht

unerheblich durch die Aufnahme privater und staatlicher Schulden finanziert. Angesichts der hohen Verschuldung, vor allem der öffentlichen Haushalte in vielen Industrielän­dern, wird sich dieser Kurs nicht fortsetzen lassen. Die hoch verschuldeten EU­Länder werden den eingeschlagenen Kurs der Haushaltskonsolidierung prinzipiell beibehalten. Aktuell gibt es zwar wegen der Flüchtlingskrise, der Schuldenkrise (Griechenland), der Diskussion über den Status Großbritan­niens und des Aufstiegs rechts­ und linkspopulistischer EU­kritischer Parteien Zweifel am Fortbestand der Europäischen Union. Unsere Projektionen gehen jedoch von der Annahme aus, dass EU und Eurozone in ihrer jetzigen Form bis 2030 bestehen bleiben, es aber keine weitere substanzielle Ver­tiefung und Erweiterung gibt.

Griechenland wird die Auflagen der Kreditgeber umsetzen und in der Eurozone verbleiben. Allerdings wird hierzu im Prognosezeitraum ein Schuldenschnitt erforderlich sein. Deutschland konsolidiert wegen der Schuldenbremse deutlich schneller als viele europäische Nachbarländer. Die Geldpolitik der Zentralbank trägt durch ein niedriges Zins­niveau erheblich zur Haushaltskonsolidierung bei, denn dies senkt die Zinslast der Schuldner erheblich. Gleichzeitig sorgt die EZB durch den vermehrten Kauf von Staatsanleihen und extrem niedrige Leitzinsen dafür, dass sich die EU­Länder immer wieder neu verschulden können. Modellseitig führen hohe Schuldenstandsquoten zwar zu Risikoaufschlägen auf Staatsanleihen, aber diese bleiben auch für hoch verschuldete Euroländer wegen der EZB­Programme und des Rettungs­schirms (ESM) insgesamt niedrig. Dies mindert aber

den Zwang zu fiskalischer Konsolidierung und den Reformeifer. Infolgedessen bleibt das Konsolidierungstempo insgesamt niedrig, so dass viele EU­Länder auch 2030 noch Staatsschul­denstände oberhalb der im Maastricht­Vertrag vorgesehenen Obergrenze von 60 Prozent des BIP aufweisen werden.

Auch die USA werden ihre Schuldenstandquote reduzie­ren, wenngleich mit weniger drastischen Einsparungen als in den europäischen Krisenländern. Ausgabenseitig hat auch die US­Regierung bereits mit der Konsolidierung der Staatsfi­nanzen begonnen. Und eine weitere Verschärfung des Konso­lidierungskurses ist wahrscheinlich. Japan ragt durch riesige Staatsschulden aus dem Ländervergleich heraus. Da die Gläu­biger aber vor allem Inländer sind und die Forderungen in Yen bestehen, ist der Konsolidierungsdruck entsprechend gering. Zudem zahlt der Staat wegen der Nullzinspolitik der japanischen Notenbank kaum Zinsen. Die japanische Regie­rung versucht daher, zunächst durch expansive Fiskalpoli­tik die Wirtschaft anzukurbeln. Die Konsolidierung wird in die Zukunft verschoben. Die Studie geht davon aus, dass es Japan erst nach 2030 gelingen wird, die Schuldenstands­quote zurückzuführen.

Während die Industrienationen hoch verschuldet sind, stehen die meisten Schwellenländer vergleichsweise gut da. Die Staatsverschuldung beträgt dort im Schnitt nur 40 Prozent des BIP. Und der Verschuldungsgrad vieler Schwellenländer ist seit der Finanzkrise stabil geblieben. Allerdings täuscht dieser Befund. Zum einen gibt es in vielen Ländern das Phänomen versteckter Staatsschulden. Versteckte Schulden entstehen beispielsweise dann, wenn die Verschuldung von Staatsunternehmen nicht im Staatssektor ausgewiesen wird. Zum anderen ist in vielen Schwellenländern der Privatsektor hoch verschuldet. Sofern sich die Länder in anderen Währun­gen – vor allem dem US­Dollar – verschuldet haben und die eigenen Währungen zuletzt kräftig abwerteten, werden die aus den Schulden resultierenden Zinszahlungen insbesondere in Verbindung mit der Zinswende der US­Notenbank zuneh­mend zum Problem.

Die Rezession in Brasilien und Russland sowie die Wachs­tumsabschwächung in China zeigen, dass das Wachstums­modell der vergangenen Jahrzehnte nicht mehr trägt. Rohstoffreiche Schwellenländer haben in der Vergangen­heit zwar große Devisenreserven angesammelt, doch diese schrumpfen angesichts der niedrigen Ölpreise und schwäche­rer Rohstoffnachfrage rasant. Eine Folge davon ist, dass der Investitionsboom der vergangenen Jahre in vielen Schwellen­ländern jäh beendet wurde. Auch die Schwellenländer sind gezwungen zu konsolidieren, weil der hohe Schuldendienst in Verbindung mit wegbrechenden Deviseneinnahmen aus dem Rohstoffgeschäft das Wachstum dämpft. Es ist allerdings zu erwarten, dass in den betroffenen Ländern die Konsolidie­rungspläne zeitlich gestreckt werden, um die politische Stabi­lität aufrechtzuerhalten.

Insgesamt hemmt der Konsolidierungszwang bis 2030 das weltwirtschaftliche Wachstum und schränkt die finanz­ und wirtschaftspolitischen Spielräume deutlich ein. Langfristig führt die Haushaltskonsolidierung allerdings auf einen nach­haltigeren Wachstumspfad.

ABB. 7: KONSOLIDIERUNGSDRUCK HÄLT AN Schuldenstandsquoten ausgewählter Länder in Prozent des Bruttoinlandsprodukts

144

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JapanUSAItalienFrankreichGroß-britannien

Deutschland

20132030

2000

Der Konsolidierungsdruck besteht fort. Die meisten Länder werden versuchen, den eingeschlagenen Kurs der Haushalts-konsolidierung fortzusetzen und ihre Staatsverschuldung zurückzufahren. Dies wird zunächst das Wachstum bremsen.

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Weltwirtschaftliches Umfeld

Weltwirtschaftliche Dynamik lässt allmählich nach

Die zukünftige Entwicklung der Weltwirtschaft wird auch immer an ihrer bisherigen gemessen. Hierfür sind weniger die von der Finanzkrise beeinflussten Jahre maßgeblich als vielmehr die Dekade zuvor. Diese war geprägt von dem Eintritt des ehemaligen Ostblocks und Chinas in den Welt­markt sowie einem massiven Anstieg der Vermögenspreise in wichtigen Industrieländern. Diese Einflüsse waren singulä­rer Art oder wirkten nicht dauerhaft. Im Ergebnis trugen sie, ungeachtet anderer länderspezifischer Besonderheiten, ent­scheidend zu dem vergleichsweise großen Wachstum in den meisten Ländern in der Dekade vor der Finanz­ und Wirt­schaftskrise bei.

Die Finanzkrise 2008/2009 selbst zog dann allerdings er­hebliche Einbrüche im Weltwirtschaftsgefüge nach sich, von denen sich die meisten Länder dank massiver finanz­ und geldpolitischer Stützungsmaßnahmen überraschend schnell erholten. Anschließend begann jedoch eine weltwirtschaft­liche Schwächephase. An deren Beginn stand die Eurokrise, die in Europa eine erneute Rezession auslöste, von der sich viele Länder nur langsam erholen. Zudem sieht sich die Euro­päische Union mit der Bewältigung der Flüchtlingskrise und der Unsicherheit über den Verbleib von Großbritannien in der EU konfrontiert. Die Schuldenkrise in Griechenland ist eben­falls noch nicht ausgestanden. Auch der Wachstumsmotor China geriet ins Stottern. Und Schwellenländer wie Brasilien und Russland rutschten in eine tiefe Rezession.

Diese Schwächephase der Weltwirtschaft kann im Pro­gnosezeitraum überwunden werden. Das Bruttoinlandspro­dukt der Welt wächst von 2013 bis 2030 im Durchschnitt um 2,5 Prozent pro Jahr und knüpft damit scheinbar nahtlos an die Dynamik vor 2013 an. Von der Jahrtausendwende bis zum Jahr 2013 wuchs die Weltwirtschaft ebenfalls mit 2,5 Prozent pro Jahr. Allerdings war die globale Dynamik zwischen 2000 und 2013 wegen der Weltwirtschaftskrise 2008/2009 unge­wöhnlich niedrig. Bis 2008 lag das globale Wachstum noch

bei rund 3 Prozent pro Jahr. Zudem haben sich die Aus­ sichten gegenüber der Vorgängerstudie eingetrübt. Die Weltwirtschaft wird im Prognosezeitraum weniger stark zulegen als noch in der ersten Studienfassung angenommen (+ 3,0 Prozent).

Vor allem für die Schwellenländer hat sich das langfris­ tige Wachstumspotenzial nach den neuen Berechnungen abgeschwächt. Sie wachsen im Prognosezeitraum zwar um durchschnittlich 4,5 Prozent pro Jahr. In den Jahren 2000 bis 2013 lag die Dynamik aber noch bei 6,3 Prozent. Dies ist eine Wachstumsabschwächung um fast 2 Prozentpunkte. In den Industrieländern insgesamt wird sich das Wachstum hingegen von 1,5 Prozent (2000–2013) auf 1,7 Prozent (2013 bis 2030) leicht beschleunigen. Da in den Industrieländern die krisenbeding ten Einbrüche besonders stark waren und die Erholung deut lich langsamer verlief als im Rest der Welt, ist diese Beschleunigung aber weniger erfreulich, als es auf den ersten Blick scheint. Das zukünftige Wachstum der Industrie­länder hat sich sowohl im Vergleich zum Zeitraum vor 2008 (+ 2,5 Prozent) als auch im Vergleich zur Vorgängerstudie (+ 2,2 Prozent) abgeschwächt.

Unter dem Strich wird sich die Wachstumsdynamik der Industrie­ und Schwellenländer im Prognosezeitraum durch die zunehmende Konvergenz des Wohlstandsniveaus beider Gruppen sowie durch das Auslaufen des Investitionsbooms in China annähern. Dennoch bleibt ein Wachstumsgefälle, so dass die Industrieländer weiter an Bedeutung verlieren.

EUROPÄISCHE UNIONDie europäische Wirtschaft hat die durch die Eurokrise

ausgelöste Rezession überwunden. In einigen Ländern wirken sich die Strukturreformen bereits positiv auf das Wachstum aus. Der Rettungsschirm greift und auch bei der Koordinie­rung der europäischen Fiskal­ und Wirtschaftspolitik ist man ein gutes Stück vorangekommen. Rückenwind für die EU­Wirtschaft kam zuletzt vom schwachen Euro und vom nied­rigen Ölpreis. Allerdings blieb die Erholung bisher kraftlos.

ABB. 8: SCHWELLENLÄNDER GEWINNEN AN GEWICHTGlobales BIP-Wachstum, CAGR 2000–2013 und 2013–2030,Anteile in Prozent

+2,5%

2030

+2,5%

72,7%

17,2%

82,8%

2000 2013

27,3%

37,4%

62,6%

Industrieländer

Schwellenländer

Während die Schwellenländer, insbesondere China, Weltmarkt-anteile hinzugewinnen, schrumpft der Anteil der Industrielän-der am globalen Bruttoinlandsprodukt. Den USA gelingt es allerdings, ihre Spitzenposition zu verteidigen.

ABB. 9: REFORMEN ZAHLEN SICH AUSBIP-Entwicklung in den europäischen Krisenländern,Index 2007 = 100

60

70

80

90

100

110

120

130

2007 2010 2013 2016 2019 2022 2025 2028 2030

Portugal Spanien Griechenland Italien Irland

Die Konsolidierungsbemühungen und die Strukturreformen hemmen zwar kurzfristig das Wachstum, zahlen sich aber mittelfristig aus. Nur Griechenland steckt in einer tiefen Krise, die bis Mitte der 2020er Jahre anhält.

17

Weltwirtschaftliches Umfeld

Daran wird sich in den kommenden Jahren wohl auch nichts ändern. Das Wachstumstempo der Europäischen Union bleibt im Prognosezeitraum mit 1,6 Prozent pro Jahr hinter dem Wachstum der Vereinigten Staaten (2,1 Prozent pro Jahr) zurück. Damit liegt das Wachstum zwar 0,4 Prozentpunkte über dem Wachstum der vergangenen Dekade (2000 bis 2013). Wegen der Finanz­ und Eurokrise hinkt dieser Vergleich jedoch. Vor 2008 war das Wachstum der EU mit rund 2 Pro ­ zent pro Jahr erheblich höher als im Prognosezeitraum. Neben dem geringen Bevölkerungswachstum und der spür­baren Alterung wirkt sich zukünftig vor allem die fiskalische Konsolidierung negativ auf das Wachstum aus. Politisch mo­tivierte Diskussionen um den Fortbestand der EU, wie aktuell der drohende Austritt Großbritanniens aus der EU, bremsen das Wachstum zusätzlich. In der Studie gehen wir aber insge­samt von einem Fortbestand der Europäischen Union in der jetzigen Form aus.

Zwischen den einzelnen Mitgliedsländern wird es im Pro­gnosezeitraum weiterhin deutliche Unterschiede in der wirt­ schaftlichen Entwicklung geben. Die EU 15, die derzeit ge ­ messen am Bruttoinlandsprodukt für über 92 Prozent der Europäischen Union steht, wird im Prognosezeitraum im Durchschnitt um jährlich 1,5 Prozent wachsen. Am stärksten wachsen Belgien und Schweden. Für Spanien und Portugal haben sich die Perspektiven deutlich aufgehellt. Die Struk­tur reformen der vergangenen Jahre zahlen sich aus. Eine Ausnahme bildet Griechenland. Hier wird das Vorkrisenniveau beim Bruttoinlandsprodukt im Prognosezeitraum noch nicht wieder erreicht.

In den mittel­ und osteuropäischen Beitrittsländern wird sich mit einer durchschnittlichen Wachstumsrate von 2,3 Pro­ zent pro Jahr der Angleichungsprozess fortsetzen – allerdings deutlich verlangsamt gegenüber der vorangegangenen Dekade. Im den Jahren 2000 bis 2013 betrug das durch­schnittliche BIP­Wachstum in der Region noch 3,2 Prozent pro Jahr. Wachstumsspitzenreiter im Prognosezeitraum sind die Slowakei und Polen. Der Anteil der Beitrittsländer an der EU erhöht sich von derzeit 7,6 Prozent auf 8,6 Prozent im Jahr 2030.

VEREINIGTE STAATENDas Wachstum des Bruttoinlandsprodukts wird nach

den neuen Berechnungen langfristig etwa 2,1 Prozent pro Jahr betragen. Die Vorgängerstudie war noch von einem Wachstum der US­Wirtschaft von 2,8 Prozent ausgegan­gen. Die jüngsten Turbulenzen bei den Rohölpreisen haben gezeigt, wie anfällig das auf dem Schiefergasboom beru­hende Wirtschaftsmodell der US­Ökonomie ist. Trotz der Wachstumsabschwächung wächst die US­Wirtschaft zu­künftig dynamischer als die EU und die Vereinigten Staaten bleiben bis 2030 die größte Volkswirtschaft der Welt. Dabei profitieren sie von einer positiven Bevölkerungsentwicklung, günstigen Energie­ und Rohstoffpreisen und ihrer in vielen Bereichen vorhandenen Technologieführerschaft, beispiels­weise im so wichtigen Zukunftsmarkt der Informationstechnik. Außerdem verfügen die USA über einen insgesamt großen Wirtschaftsraum, den sie über Handelsabkommen wie TPP (Transpazifische Partnerschaft) oder TTIP (Transatlantisches Freihandelsabkommen) noch vergrößern wollen. Daneben verfolgen die USA auch strategische Interessen. Gerade für

den Pazifikraum gilt, dass die Boomregion der Welt nicht allein China überlassen wird.

Der US­Dollar bleibt langfristig die Weltleitwährung, er verstärkt sogar seine Position noch. Der Euro wird in einem Wirtschaftsraum emittiert, dessen Wachstumstempo kurz­ wie langfristig spürbar unter dem der Vereinigten Staaten liegen wird. Zudem haben die Staatsschuldenkrise in Griechen­ land und die dadurch hervorgetretenen Konstruktionspro­ bleme der Eurozone das Vertrauen in den Euro eingeschränkt. Der chinesische Renminbi wird zwar im asiatischen Raum eine größere Bedeutung erlangen und sich nach Einbeziehung der Währung in den Korb der Sonderziehungsrechte des IWF auch auf globaler Ebene stärker etablieren. Er wird aber nicht den US­Dollar in seiner Rolle als Weltleitwährung ablösen können. Für die internationalen Kapitalströme bleiben die Vereinigten Staaten das deutlich attraktivere Ziel.

BRASILIENBrasilien erreicht im Prognosezeitraum ein Wachstum von

3 Prozent pro Jahr. Dabei geht die Prognose davon aus, dass die aktuellen Probleme mittelfristig gelöst werden. Die jet­zige Regierung hat zwar durch Sozialprogramme Brasilien gerechter gemacht. Jedoch wurde auch Brasiliens Abhängig­keit von Rohstoffexporten vertieft und nichts für die internati­onale Wettbewerbsfähigkeit getan, das heißt, Bildung, Sicher­heit und Infrastruktur wurden vernachlässigt. Ebenso wurde die Reform des politischen Systems versäumt, das privatwirt­schaftliche Wahlkampffinanzierung zulässt – Hauptgrund für die zurzeit zu beobachtende ausufernde Korruption.

Die Voraussetzungen für ein dynamisches Wachstum sind aber nach wie vor gut. Brasiliens wachsende Bevölkerung und eine größer werdende Mittelschicht fördern den Ausbau von konsumnahen Industrieprodukten und Dienstleistungen. Ein steigendes Wohlstandsniveau führt dabei zu einem Ausbau des privaten Konsums und macht Brasilien zu einem interes­santen Binnenmarkt.

Ebenso besitzt das Land große Rohstoffvorkommen, die es nutzen kann, um seine Bedeutung als Rohstoffexporteur auszubauen. Mittelfristig wird Brasilien seine Attraktivität als Investitionsstandort wiedererlangen und im Prognosezeit­raum erhalten.

CHINA UND INDIENChina steuert mit einem durchschnittlichen Wachstum

von 5,6 Prozent pro Jahr mehr als ein Drittel zum gesamten Anstieg des Bruttoinlandprodukts der Welt bis 2030 bei. Auf mittlere und lange Sicht gelingt es China jedoch nicht, das hohe Wachstumstempo der Vergangenheit aufrechtzu­erhalten. Vor allem die demografischen Probleme, die ihren Ursprung in der Ein­Kind­Politik des Landes haben, werden langfristig das Wirtschaftswachstum dämpfen. Chinas bis­heriges Wachstumsmodell stößt jedoch nicht allein wegen der alternden Bevölkerung an seine Grenzen. Daneben wird sich das stark exportgetriebene chinesische Wachstum auch infolge von Sättigungstendenzen beim Kapazitätsaufbau, einer sinkenden Nachfragedynamik aus den Industrieländern, abnehmenden Lohnkostenvorteilen, wachsenden Umweltpro­blemen und einer realen Aufwertung des Renminbi abschwä­chen. Zudem dürfte auch im Reich der Mitte künftig stärker

18

Weltwirtschaftliches Umfeld

rentabilitätsgetrieben investiert werden. Dadurch lässt die Investitionstätigkeit insgesamt nach. Dies hemmt zwar in der kurzen bis mittleren Frist das Wachstum. Langfristig tragen rentabilitätsorientierte Investitionen allerdings dazu bei, den Wachstumspfad zu stabilisieren. Darüber hinaus steht ein Wechsel des Wachstumsparadigmas vom Export zu mehr Binnennachfrage bevor. Dies hat auch Folgen für die Bedeu­tung von konsumorientierten wie industrienahen Dienstleis­tungen in der Volksrepublik. Der Anteil der Dienstleistungen am Bruttoinlandsprodukt steigt bis zum Jahr 2030 weiter an.

Dazu gilt es, neben dem zeit­ und kostenintensiven Aufbau sozialer Sicherungssysteme auch die politische Stabilität aufrechtzuerhalten und den steigenden Ansprüchen einer wachsenden Mittelschicht bezüglich politischer Partizipa­tion, allgemeiner Lebens­ und Arbeitsbedingungen sowie Umwelt bewusstsein gerecht zu werden. Es ist davon auszuge­hen, dass China diese Herausforderungen zu einem Großteil meistern kann und bis 2030 als Konsumentenmarkt an Be­deutung gewinnen wird. Im Verlauf des Prognosezeitraums werden die Wachstumsraten des chinesischen Bruttoinlands­produkts angesichts dieser Herausforderungen damit jedoch merklich niedriger ausfallen.

Indiens Wirtschaft wird von 2013 bis 2030 um jährlich 5,2 Prozent zunehmen. Zweitweise liegen die indischen Zu­wachsraten über denen Chinas. Langfristig macht sich in Indien die günstigere Bevölkerungsentwicklung und damit das größere Arbeitsangebot bemerkbar. Die allmähliche Ver­ringerung der Bürokratie, die Verbesserung der Infrastruktur sowie der Abbau von Handels­ und Investitionshemmnissen liefern positive Impulse für das indische Wachstum.

Obwohl in China und Indien das Wachstumstempo der Wirtschaft im gesamten Prognosezeitraum mehr als doppelt so hoch wie das der Vereinigten Staaten ist, beträgt das Pro­Kopf­Einkommen 2030 immer noch nur 21 Prozent (China) bzw. 5 Prozent (Indien) in Relation zum US­Niveau. Der absolute Abstand vergrößert sich sogar weiter von heute 34.000 auf 38.000 Euro in China und von 37.000 auf 46.000

Euro in Indien – die Wohlstandsunterschiede zwischen Indus­trie­ und Schwellenländern nehmen in absoluter Betrachtung weiter zu.

Die divergierenden Entwicklungen der einzelnen Länder im Prognosezeitraum verändern die ökonomische Landkarte nachhaltig. Die meisten Industrieländer – allen voran die Länder Westeuropas und Japan – verlieren Anteile an die aufstreben­ den Schwellenländer. Chinas Anteil am Bruttoinlandsprodukt aller betrachteten Länder steigt von heute 12,4 Prozent auf 20,4 Prozent im Jahr 2030. Indien kann seinen Anteil am welt­weiten Bruttoinlandsprodukt von 3,3 auf 5 Prozent steigern. Dagegen sinkt der Anteil der Europäischen Union von 28 auf knapp 24 Prozent, auch der deutsche Anteil geht um einen Prozentpunkt auf knapp 5 Prozent zurück. Das Expansions­tempo der Vereinigten Staaten reicht nicht aus, um dessen Anteil an der globalen Wirtschaftsleistung zu halten – er sinkt von 26 auf 24,4 Prozent.

Industrialisierung der Schwellenländer hält anDie Nachfragestrukturen auf den globalen Märkten

werden sich bis 2030 deutlich verändern. In den Schwellen­ländern wird die Nachfrage überwiegend vom Bevölkerungs­wachstum und dem zunehmenden Wohlstand getragen. In den Industrieländern verändert sich die Nachfrage durch neue Anforderungen hinsichtlich einer steigenden Energie­effizienz, eines zunehmenden Umweltbewusstseins der Kon­sumenten, des Einsatzes regenerativer Energien, aber auch einer alternden Bevölkerung. Die Teilhabe neuer Käufergrup­pen am globalen Konsum und die veränderte Nachfrage­struktur erfordern weiteren Kapazitätsaufbau in der Industrie. Die industrielle Wertschöpfung wird bis 2030 über alle 42 Länder hinweg mit 2,9 Prozent pro Jahr stärker wachsen als das Bruttoinlandsprodukt, also die gesamte Wertschöpfung aller Länder. Diese überdurchschnittliche Wachstumsdyna­mik der Industrie auf aggregierter Ebene erklärt sich fast aus­schließlich aus dem bis 2030 stark zunehmenden Gewicht der Schwellenländer, welche aktuell einen vergleichsweise hohen Industrieanteil aufweisen. Auf Ebene der einzelnen Länder überwiegen diejenigen Fälle mit einem sinkenden Anteil der Industrie an der gesamten Wertschöpfung des jeweili­gen Landes. Positive Ausnahmen sind hier vor allem Länder mit einer stark schrumpfenden Bevölkerung, in denen die Exporte relativ zur Inlandsnachfrage an Bedeutung gewinnen und damit auch die exportorientierten Industriebranchen.

Die Weltindustrieproduktion8 wächst bis zum Jahr 2030 um 3,2 Prozent pro Jahr. Spitzenreiter mit Zuwachsraten von knapp über 4 Prozent pro Jahr sind das Textil­ und Be­kleidungsgewerbe sowie die Elektroindustrie. Die globale Dynamik dieser Branchen ergibt sich vor allem aus dem hohen und weiter wachsenden Gewicht Chinas. Der Maschi­nenbau und die Chemieindustrie folgen mit ebenfalls über­durchschnittlichen Zuwachsraten auf den Plätzen drei und vier. Das Wachstum der globalen Chemieproduktion ist neben der hohen Dynamik der Schwellenländer auf eine stei­gende Chemieintensität bei den Abnehmerbranchen zurück­zuführen.

8 Die Wachstumsraten der Produktion liegen u. a. aufgrund einer steigenden Vorleistungsquote über denen der Wert-schöpfung/Bruttowertschöpfung (BWS).

ABB. 10: WACHSTUMSMODELL IN CHINA ÄNDERT SICHVerwendungsstruktur des chinesischen Bruttoinlandsprodukts in Prozent

46,4%

60,5%

51,9%

30,6%

8,8%

2000-2013

1,7%

2013-2030

InvestitionenKonsum(priv. + staatlich)Außenbeitrag

Das chinesische Wachstum wird in Zukunft stärker vom Konsum getragen. Darüber hinaus wird in China zukünftig stärker rentabilitätsgetrieben investiert. Dadurch lässt die Investitionstätigkeit insgesamt nach.

19

Weltwirtschaftliches Umfeld

Die internationale Arbeitsteilung wird weiter zunehmen. Wertschöpfungsketten werden internationaler. Insbeson­dere in Asien nimmt die Verflechtung zwischen den Volks­wirtschaften weiter zu. In diesen Ländern wächst die Industrie besonders dynamisch. Viele Nationen haben durch die Wirt­schaftskrise erkannt, dass ein industrieller Kern essenziel­ler Bestandteil einer Volkswirtschaft ist. In Nordamerika und Europa gelingt es vor diesem Hintergrund besser als in den vorangegangenen Dekaden, industrielle Aktivitäten zu halten und die Industrie zu revitalisieren. Die Industrieländer werden sich zunehmend auf hochwertige Produkte konzentrieren und die weitere Verschiebung der Wertschöpfung Richtung Asien und Lateinamerika damit verlangsamen. Unter dem Strich hält die Verschiebung der industriellen Wachstumszentren in die Schwellenländer bis 2030 an, jedoch mit deutlich geringerem Tempo als noch in der vergangenen Dekade.

TEXTIL- UND BEKLEIDUNGSGEWERBEIn der kundennahen Industrie des Textil­ und Bekleidungs­

gewerbes wird sich das Wachstum in den kommenden Jahren gegenüber der vergangenen Dekade leicht abschwächen, dennoch bleibt das Wachstum immer noch hoch. Die Pro­duktion von Textilien wächst mit 4,3 Prozent pro Jahr. Die Textilproduktion wird weltweit überwiegend durch die starke Endkundennachfrage aus den Schwellenländern getrieben. In den Industrieländern geht hingegen der Trend zu umwelt­freundlicheren Textilprodukten.

Die globale Produktionsdynamik ergibt sich vor allem aus der Entwicklung in den Schwellen­ und Entwicklungsländern. Deren Anteil an der weltweiten Textilproduktion steigt von derzeit knapp 72 Prozent auf 84 Prozent im Jahr 2030. Der chi­nesische Anteil wird 2030 noch bei 66 Prozent liegen, obwohl sich die Textilproduktion allmählich in andere asiatische Länder mit niedrigeren Personalkosten verschiebt. In Indien und der Türkei wächst die Textilindustrie dynamisch. China hingegen ist bestrebt, den großen Binnenmarkt vor allem aus heimischer Produktion zu beliefern.

GUMMI- UND KUNSTSTOFFWARENAuch die Produktion von Gummi­ und Kunststoffwaren

verläuft im Prognosezeitraum mit etwas geringerer Dynamik als noch in der vergangenen Dekade. Die Branche wächst aber im Vergleich mit anderen Branchen immer noch dyna­misch, wenngleich das Wachstum leicht unter dem Durch­schnitt der Industrie liegt. Die Produktion der Gummi­ und Kunststoffwaren wird bis 2030 um 3,1 Prozent pro Jahr aus­gedehnt. Die Herstellung von Gummi­ und Kunststoffwa­ren ist stark an die industrielle Gesamtproduktion und damit an ihre Abnehmerindustrien gekoppelt. Die Schwellenländer werden im Jahr 2030 mit einem Anteil an der Weltproduktion von knapp 53 Prozent eine signifikante Rolle spielen. Treiber für die weltweite Produktionsentwicklung ist u.a. der weiter­hin hohe Nachholbedarf der Schwellenländer im Konsum. Die Verwendung von Gummi­ und Kunststoffwaren pro Einwohner liegt in den Schwellenländern noch deutlich unter der Ver­wendungsquote Europas oder der USA. Selbst in China mit seinem starken Wachstum bleibt die Verwendungsdichte auf einem geringeren Niveau als in Europa. In den Industrielän­dern setzt sich der Innovations­ und Substitutionstrend fort. Ebenso steigt insbesondere in Europa die Nachfrage aus der Bauindustrie aufgrund energetischer Anforderungen.

MASCHINENBAUDer Maschinenbau wird bis 2030 weltweit jährlich um

3,6 Prozent pro Jahr zulegen können. Damit liegt die wirt­schaftliche Dynamik leicht über dem Durchschnitt des verar­beitenden Gewerbes. Ein Vergleich mit dem Zeitraum 2000 bis 2013 zeigt, dass allerdings auch im Maschinen bau die konjunkturelle Dynamik insgesamt etwas nachlässt.

Getrieben werden die Produktionssteigerungen im Ma ­ schinenbau primär von einer Ausweitung und Erneuerung der Kapazitäten der Industrieproduktion, auch im Rahmen der weiter fortschreitenden Automatisierung der Produk­tion. Zudem lässt auch die zunehmende Urbanisierung und der damit einhergehende Ausbau der Infrastruktur (u. a. Wasser­ und Abwassersysteme, Pumptechnik und das Straßen­ und Schienennetz) die Produktion im Maschinenbau weiter wachsen. In den Industrieländern wird die Nachfrage nach Maschinenbauerzeugnissen unter anderem durch den Ausbau der regenerativen Energieerzeugung getrieben.

In der Länderbetrachtung zeigt sich auch im Maschinen­bau eine ausgeprägte Dynamik der asiatischen Produktion. In Indien und China wächst der Industriezweig dynamisch. In China wird zukünftig ein Großteil des Inlandsbedarfs an Maschinen aus nationaler Produktion beliefert. Der chinesi­sche Maschinenbau wächst im Prognosezeitraum im Durch­schnitt um 5,4 Prozent pro Jahr. Damit fällt das Wachstum im Land der Mitte zwar deutlich schwächer aus als in der Vorde­kade, es liegt aber signifikant über dem globalen Wachstum. Der indische Maschinenbau spielt im globalen Vergleich nicht die Rolle Chinas, kann jedoch ebenfalls ein dynamisches Wachstum von 5,4 Prozent pro Jahr bis zum Jahr 2030 verbuchen. Dann liegt der Anteil Indiens an der globalen Maschinenproduktion bei rund 3 Prozent. China kommt hingegen auf 46 Prozent. Zusammen mit den übrigen Schwel­lenländern liegt der Anteil bei rund 57 Prozent. In der Euro­päischen Union wächst der Maschinenbau mit 2,2 Prozent pro Jahr schneller als im Zeitraum 2000 bis 2013. Diese Entwick­

ABB. 11: VERLANGSAMUNG IN ALLEN BRANCHENGlobale Entwicklung der realen Produktion der Branchen, CAGR 2013–2030, in Prozent

2,6

3,0

3,1

3,4

3,6

4,2

4,3

3,2

3,9

5,6

5,5

3,9

7,1

8,0

8,5

6,2

Baugewerbe

Fahrzeugbau

Gummi- undKunststoffwaren

Chemie/Pharma

Maschinenbau

Elektronikindustrie

Textil- und Be-kleidungsgewerbe

Industrie insg.

2013-20302000-2013

Die Industrialisierung schreitet voran. Global wächst die Industrie weiterhin schneller als die Gesamtwirtschaft. Die Wachstums-dynamik lässt aber im Zuge der gesamtwirtschaftlichen Ver - langsamung deutlich nach.

20

Weltwirtschaftliches Umfeld

lung ist allerdings auch durch die Weltwirtschaftskrise in den Jahren 2008/2009 verzerrt, die den Maschinenbau besonders stark getroffen hat.

FAHRZEUGBAUIm weltweiten Fahrzeugbau liegt die wirtschaftliche

Dynamik im Prognosezeitraum mit 3 Prozent pro Jahr leicht unter dem Industriedurchschnitt. Das Wachstum fällt damit deutlich auch langsamer aus als im Zeitraum 2000 bis 2013, in dem die jährlichen Produktionssteigerungen noch bei 5,6 Prozent lagen.

Die Automobilindustrie steht in den nächsten Jahrzehn­ten vor einem gewaltigen Wandel. Es entstehen neue Märkte. China, Indien und Brasilien sind und werden die Märkte der Zukunft sein. Nicht nur im Konsum, sondern auch in der Pro­duktion. Und auch Südostasien bietet ein großes Potenzial. Die Verkehrsdichte in diesen Ländern ist deutlich geringer als in den industrialisierten Staaten. Zudem steigt das Einkommen stärker und damit wächst auch die potenzielle Zielgruppe. Im Regionalvergleich zeigt sich, dass die Fahr­zeugproduktion insbesondere in den Schwellenländern dy­namisch wächst. Der Fahrzeugbau profitiert dort von der wachsenden Mittelschicht, die zunehmend Autos kauft. In der Folge können diese Länder Weltmarktanteile hinzuge­ winnen.

Dennoch werden auch im Jahr 2030 über 60 Prozent der Weltfahrzeugproduktion in den Industrieländern statt­finden. Hier steigt die Nachfrage nach Fahrzeugen ebenfalls weiter. Aber die Käufergruppen verändern sich. In der wach­senden Mittelschicht führt beispielsweise der Wunsch nach Karriere zu einem immer späteren Zeitpunkt der Familienpla­nung. Dadurch verschiebt sich auch die Anschaffung eines famili entauglichen Autos immer weiter nach hinten. Vor allem in den Großstädten geht der Trend weg vom Führerschein. Eine Lösungsmöglichkeit ist das Carsharing, also das Teilen eines Autos. Dadurch entstehen neue Geschäftsfelder wie alternative Mobilitätsangebote, vernetzte Fahrzeuge oder in

der Zukunft auch das fahrerlose Fahren. Strengere Umweltge­setze und höhere Sicherheitsanforderungen treiben nicht nur die Kosten nach oben. Gefragt sind Innovationen bei alterna­tiven Antriebstechnologien und PKWs mit geringerem Ver­brauch.

ELEKTROTECHNIKDynamisch wächst trotz einer Verlangsamung gegen­

über dem historischen Wachstum die Elektrotechnik mit einer durchschnittlichen jährlichen Steigerungsrate von 4,2 Prozent pro Jahr. Sie kann damit ihren Anteil an der globalen Indus­trieproduktion weiter ausbauen.

Ein wachsender Wohlstand in den Schwellenländern erhöht die Nachfrage nach Konsumelektronik. Zudem schrei­tet die Verbreitung von Mobilfunk und Internet infolge zuneh­mender globaler Vernetzung und Nutzung digitaler Medien, wie beispielsweise Social Media, mobiles Internet, Cloud­Computing, weiter voran. Auch in Autos der Klein­ und Mit­telklasse werden zunehmend Assistenzsysteme verbaut. Die Vernetzung im Automobil nimmt stark zu (Connected Cars, Connected Driving). All dies erhöht die Nachfrage nach Pro­dukten aus der Elektrotechnik.

Stärker noch als in anderen Bereichen führen Perfor­manceverbesserungen in der Elektrotechnik zu fortlaufen­den Innovationen, beispielsweise für Displays und Halbleiter, und zur Ablösung etablierter Technologien. Ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit ist der Ersatz der klassischen Fernsehröhre durch LCD­Fernseher, die schon wenige Jahre später durch LED­Fernseher abgelöst wurden. Jetzt steht die OLED­Technologie in den Startlöchern, ist aber aktuell vor­zugsweise in kleineren Bildschirmen zu finden. Auch zukünftig muss mit ähnlichen – teils disruptiven – Innovationen gerech­net werden.

Besonders dynamisch wächst die Elektrotechnik in den asiatischen Ländern China, Indien, Südkorea. Der Anteil dieser drei Länder an der Weltproduktion liegt im Jahr 2030 bei 54 Prozent. Trotz eines Wachstumsrückgangs im Vergleich zur vergangenen Dekade sind auch die Vereinigten Staaten weiterhin ein wichtiger Standort für die Elektroindustrie. Die US­amerikanische Elektrotechnik wächst im Prognosezeit­raum immer noch im Durchschnitt um 3,1 Prozent pro Jahr. Ihr Anteil an der weltweiten Produktion sinkt zwar von derzeit 18 auf 15 Prozent, damit bleiben die Vereinigten Staaten aber immer noch nach China der zweitwichtigste Produzent von Elektronikprodukten.

Chemische Industrie globalDie weltweite Nachfrage nach chemischen Erzeugnissen

steigt im Prognosezeitraum weiter an. Gegenüber der Vor­gängerstudie fällt die Dynamik des Nachfragewachstums al­lerdings geringer aus. Ursächlich dafür ist das jetzt geringer ausfallende Wachstum der Weltwirtschaft und damit der Kun­denindustrien.

Die Trends, die die Chemienachfrage treiben, gelten jedoch weiterhin: Zum einen steigt die Nachfrage aus den Schwellenländern – vor allem aus Asien. Dort spielen die wachsende Bevölkerung und der zunehmende Wohlstand der Mittelschicht eine treibende Rolle. Zum anderen wächst die Chemienachfrage auch in den Industrieländern. Dort findet weniger ein Volumenwachstum statt als vielmehr eine Nach­

ABB. 12: CHINAS CHEMIE GEWINNT WEITER ANTEILEGlobale Chemie- und Pharmaproduktion in Mrd. Euro, Anteile in Prozent, CAGR 2013–2030

44,8%

2013

19,2%

15,9%5,5% 5,2%

6.480

3.667

21,0%

33,4%

2030

18,6%

12,1%3,2%

3,8%

17,5%

+3,4%

Rest SchwellenländerRest IndustrieländerJapanDeutschlandUSAChina

China kann als Folge seiner stark steigenden Nachfrage nach chemischen Erzeugnissen weitere Anteile an der globalen Produktion hinzugewinnen. Der Zugewinn geht dabei überwiegend zu Lasten der Industrieländer.

21

Weltwirtschaftliches Umfeld

frageverschiebung zugunsten hochwertiger und hochpreisi­ger innovativer Chemikalien. Darüber hinaus kann die Chemie davon profitieren, dass die Chemieintensität in den Endpro­dukten über die Zeit bei vielen Kundenbranchen zunehmen wird. Im Fahrzeugbau werden beispielsweise durch Elektro­mobilität und Leichtbau künftig mehr Spezialchemikalien benötigt. Im Baugewerbe gewinnen chemische Produkte durch zunehmende Gebäudeisolationen an Bedeutung, während der vermehrte Einsatz von Solarzellen die Chemie­intensität in der Elektrotechnik hochtreibt. Auch für eine um­weltfreundliche Stromerzeugung wird Chemie benötigt. Kein Hochleistungs­Windrad könnte ohne Chemieinnovationen funktionieren. Und letztlich benötigt eine wachsende und alternde Weltbevölkerung innovative Medikamente. Dadurch ergeben sich für die Pharmaunternehmen Wachstumschan­cen. Insgesamt gelingt es der chemischen Industrie damit, ihre Position als wichtiger Vorleistungslieferant zu behaupten und teilweise sogar auszubauen.

Dank der guten Nachfrageentwicklung steigt die welt­weite Chemieproduktion in den Jahren 2013 bis 2030 mit durchschnittlich 3,4 Prozent pro Jahr und damit immer noch dynamischer als die Industrieproduktion insgesamt. Neue Produktionskapazitäten werden auch zukünftig in Regionen mit starkem Nachfragewachstum – insbesondere in weiten Teilen Asiens – aufgebaut. Die Produktion folgt damit zu einem großen Teil der Nachfrage. Sie orientiert sich jedoch auch an der Verfügbarkeit der Rohstoffe. Daher findet in den kommenden Jahren ein starker Kapazitätsaufbau in rohstoff­reichen Ländern statt – beispielsweise im Nahen Osten, den rohstoffreichen Staaten Lateinamerikas und in den USA. In den USA führte der Shale­Gas­Boom zu einem kräftigen Ka­pazitätsaufbau, der sich in den kommenden Jahren, wenn­gleich etwas abgeschwächt, fortsetzt. Insgesamt wird die Chemieproduktion in den Schwellenländern mit einer durch­schnittlichen Rate von 4,8 Prozent pro Jahr deutlich schneller wachsen als in den Industrieländern (1,9 Prozent pro Jahr).

In der Länderstruktur zeigt sich im Prognosezeitraum eine deutliche Verschiebung: China kann als Folge seiner massiv steigenden Nachfrage nach chemischen Erzeugnissen und des damit einhergehenden Ausbaus der eigenen Produkti­onskapazitäten weitere Anteile an der globalen Produktion hinzugewinnen. Die chinesische Chemieproduktion wächst bis 2030 durchschnittlich um 5,2 Prozent pro Jahr. Bereits heute ist China der größte Chemieproduzent der Welt. Zum Ende des Prognosezeitraums dominiert China das globale Chemiegeschäft mit einem Anteil von knapp 45 Prozent jedoch noch deutlicher. Die anderen Schwellenländer können aufgrund der Dominanz Chinas trotz des historisch hohen Ka­pazitätsausbaus nur geringe Anteilsgewinne verbuchen.

Der Bedeutungszuwachs Chinas geht im Wesentlichen zu Lasten der Industrieländer. Trotz eines Anteilsverlusts bleiben die Vereinigten Staaten und Deutschland auch 2030 bedeu­tende Chemieproduzenten. Die Vereinigten Staaten profi­tieren dabei künftig verstärkt von der Shale­Gas­Produktion und einem dynamischen Wachstum der heimischen Kunden. Ihre Chemieproduktion wächst mit 2,3 Prozent pro Jahr und damit dynamischer als der Durchschnitt der Industrieländer. Der Anteilsverlust beläuft sich bis 2030 auf etwas mehr als 3 Prozentpunkte, so dass die Vereinigten Staaten mit einem Anteil an der globalen Chemieproduktion von 17,5 Prozent

im Jahr 2030 immer noch der zweitwichtigste Chemieprodu­zent der Welt bleiben. Japans Chemieindustrie kann im Pro­gnosezeitraum kaum noch zulegen. Entsprechend verliert das Land deutlich Weltmarktanteile. Im Jahr 2030 ist die japani­sche Chemieindustrie nur noch der fünftgrößte Produzent von Chemikalien und Pharmazeutika. Indiens Chemieindustrie baut hingegen mit einem Wachstum von 5,4 Prozent kräftig Weltmarktanteile aus und schiebt sich im Jahr 2030 auf Platz drei vor. Deutschland kann seinen vierten Platz halten.

Die Globalisierung der chemischen Industrie wird sich in den kommenden Jahren fortsetzen. Der Außenhandel mit chemischen Produkten wird auch in Zukunft einen hohen Stel­lenwert haben. Trotz des Kapazitätsaufbaus werden viele Schwellenländer ihre stark wachsende Chemienachfrage nicht aus heimischer Produktion decken können. Hier bieten sich Wachstumschancen für die Industrieländer, die dadurch das niedrige Nachfragewachstum im Inland kompensieren können. Insgesamt bleiben die Industrieländer daher ein be­deutender Produktionsstandort für die Chemie.

SCHIEFERGAS FÜHRT ZUR RENAISSANCE DER US-CHEMIEDas reale Produktionsvolumen der US­Chemie steigt von

768 Milliarden Euro in 2013 bis zum Jahr 2030 um 48 Prozent auf 1,1 Billionen Euro. Mit durchschnittlich 2,3 Prozent pro Jahr wächst die Chemieproduktion damit dynamischer als die In­dustrieproduktion (+ 2 Prozent) oder die Gesamtwirtschaft (+ 2,1 Prozent). Damit wird sich das Wachstum in der US­Che­mie gegenüber dem Zeitraum 2000 bis 2013 beschleunigen. Durch Shale­Gas wurde ein Investitionsboom ausgelöst, der zwar in der jüngsten Vergangenheit zunächst alte Anlagen substituierte, in Zukunft aber neue, deutlich effizientere und größere Anlagen hervorbringen wird. Anfang der 2020er Jahre wird dieser Aufbau weitgehend abgeschlossen sein und die Zu­wachsraten bei den Investitionen werden sich normalisieren. Die Verfügbarkeit von günstiger Energie verbessert die Wett­bewerbsfähigkeit der Chemieindustrie deutlich – gerade in den energieintensiven Grundstoffsparten. Die Produktion in

ABB. 13: AUSBAU DER US-BASISCHEMIEUS-Chemieproduktion in Mrd. Euro, Anteile in Prozent, CAGR 2013–2030

17,3% 36,2%

18,6%

2013

768

46,6%

36,1%

2030

1.134

45,3%

+2,3%Basischemie

Spezialchemie

Pharma

Im Zuge des Shale-Gas-Booms baut die US-Chemie die Produktion von chemischen Grundstoffen aus. Günstige Energie verbessert die Wettbewerbsfähigkeit deutlich – gerade in den energieintensiven Grundstoffsparten.

22

Weltwirtschaftliches Umfeld

der Basischemie kann im Prognosezeitraum sogar um 2,7 Prozent pro Jahr ausgeweitet werden.

Von den günstigen Strompreisen profitiert auch die übrige Industrie. Im Prognosezeitraum kann das verarbei­tende Gewerbe mit einer durchschnittlichen Wachstums­rate von 2 Prozent pro Jahr zulegen. Besonders dynamisch wachsen wichtige Abnehmerbranchen der chemischen In­dustrie wie der Fahrzeugbau, die Elektrotechnik oder der Maschinenbau. Hierdurch steigt die Inlandsnachfrage nach Chemikalien kräftig.

Die US­Chemie produziert aber nicht nur für den lokalen Markt. Durch die hohe Wettbewerbsfähigkeit steigen die Exporte von derzeit real 127 Milliarden Euro auf 195 Milliar­den Euro im Jahr 2030. Dies entspricht einer Wachstumsrate von 2,5 Prozent pro Jahr. Dabei sind insbesondere Basische­mikalien weltweit gefragt. Die Exporte von Basisprodukten steigen im Prognosezeitraum mit 3,1 Prozent pro Jahr dyna­mischer als die übrigen Chemieexporte. Dabei gehen diese Produkte hauptsächlich nach Lateinamerika und nach Asien.

Durch die robuste Inlandsnachfrage steigen auch die Importe. Dabei importieren die Vereinigten Staaten haupt­sächlich Spezialchemikalien und Pharmazeutika. Das Import­volumen chemischer Erzeugnisse steigt mit durchschnittlich 2 Prozent pro Jahr von heute real 124 Milliarden Euro auf 174 Milliarden Euro im Jahr 2030. Da die Exporte dynamischer wachsen als die Importe, gelingt es den Vereinigten Staaten bis zum Jahr 2030, den Außenhandelsüberschuss mit Chemi­kalien von derzeit 3 Milliarden Euro auf 21 Milliarden Euro aus­zuweiten. Die größten Zuwächse finden dabei im Bereich der Basischemie statt, aber auch die Spezialchemie kann ihren Überschuss ausweiten. Im Gegensatz dazu vergrößert sich das Defizit bei Pharmazeutika.

Im Jahr 2013 beschäftigte die chemische Industrie in den Vereinigten Staaten über 1,2 Millionen Menschen. Dies entspricht einem Anteil von 0,8 Prozent der gesamt­wirtschaftlichen Beschäftigung und 8,3 Prozent der in der amerikanischen Industrie beschäftigten Personen. Im Pro­

gnosezeitraum wird die Beschäftigung zwar um 0,3 Prozent pro Jahr sinken, aber damit haben im Jahr 2030 immer noch über 1,1 Millionen Menschen ihren Arbeitsplatz in der US­Chemie.

EU-CHEMIE WÄCHST DANK INNOVATIVER SPEZIALCHEMIE UND PHARMAZEUTIKA

In der Europäischen Union steigt – wie in den übrigen Industrieländern auch – insbesondere die Nachfrage nach höherwertigen Chemikalien. Neben einem Wachstumseffekt durch höherwertige Chemikalien erhöht sich die Chemie­intensität in einigen Kundenbranchen, so dass in diesen Bereichen auch mengenmäßig mehr nachgefragt wird. Ins­gesamt steigt die europäische Binnennachfrage jedoch weniger stark als die globale Chemienachfrage.

Viele der europäischen Volkswirtschaften sind gut in den internationalen Handel integriert und profitieren daher auch vom Nachfragewachstum in den Schwellenländern und den USA. Die Chemieexporte in die Länder außerhalb der Euro­päischen Union (Extra­EU) werden im Prognosezeitraum um mehr als ein Drittel auf real 321 Milliarden Euro im Jahr 2030 steigen. Dies entspricht einer Wachstumsrate von 1,9 Prozent pro Jahr.

Im weltweiten Vergleich kann sich die Chemieindustrie in der Europäische Union mit einem jährlichen Wachstum von 1,7 Prozent behaupten. Zwar verliert sie in den kommenden Jahren mit einem Rückgang von rund 5 Prozentpunkten weiter Weltmarktanteile. Im Jahr 2030 liegt ihr Anteil dann bei knapp 17 Prozent. Der Rückgang fällt aber nicht so stark aus wie in den Jahren 2000 bis 2013, in denen die Europäische Union noch 7,2 Prozentpunkte verloren hatte.

Wettbewerbsvorteile hat die EU­Chemie durch die länder­übergreifende Verbundstruktur. Effiziente Verbundstand orte oder regionale Produktionsverbünde in Clustern oder Chemie­parks helfen, einen Teil des Wettbewerbsnachteils, der durch die höheren Energie­ und Rohstoffkosten entsteht, zu kom­pensieren. Der Chemieverbund bleibt auch im Prognosezeit­raum insgesamt erhalten. Die bestehenden Anlagen haben sich mittlerweile weitgehend amortisiert. Die Branche inves­tiert zwar kontinuierlich in den Erhalt und moderaten Ausbau bestehender Anlagen (Debottlenecking). Neue, große und effizientere World­Scale­Anlagen werden in dem fortbeste­henden energiepolitischen Umfeld allerdings nicht gebaut. Dies ist im weltweiten Wettbewerb ein Nachteil.

In der Spartenbetrachtung zeigt sich, dass insbeson­dere die Basischemie stark an Wettbewerbsfähigkeit einbüßt. Diese Sparte kann im Prognosezeitraum nur um 0,5 Prozent pro Jahr wachsen. Hohe Rohstoff­ und Energiekosten in Kom­bination mit starken Wettbewerbern in den USA und im Nahen Osten führen mittelfristig dazu, dass das Wachstums­potenzial gering ist. Die Wettbewerbsfähigkeit dieser Sparte steht auch in Zukunft – bedingt u.a. durch eine sehr ambiti­onierte Klimapolitik – konstant unter Druck. Für die europä­ische Basischemie bedeutet dies, dass die Exportdynamik gering ist und der Importdruck steigt. Bis zum Jahr 2030 können die Basischemieexporte der EU in Länder außerhalb der Union nur um 0,3 Prozent pro Jahr zulegen. In einigen Teilbereichen der Basischemie sind die Exportvolumina sogar rückläufig (Petrochemikalien und Standardpolymere). Demge­genüber steigen die Basischemieimporte von außerhalb der

ABB. 14: US-CHEMIE WIRD WETTBEWERBSFÄHIGERAußenhandel der US-Chemie- und -Pharmaindustrie in Mrd. Euro, CAGR 2013–2030

3

124127

21

174

195

AH-Saldo

+2,5%

Exporte

+2,0%

Importe

20132030

Die US-Chemie produziert nicht nur für den lokalen Markt. Insbesondere Basischemikalien sind weltweit gefragt. Die Exporte von Basisprodukten steigen im Prognosezeit-raum dynamischer als die übrigen Chemieexporte.

23

Weltwirtschaftliches Umfeld

EU mit 1 Prozent pro Jahr deutlich an. Zunehmend drängen Basischemikalien aus dem Nahen Osten und teils auch aus nordamerikanischer Produktion auf den europä ischen Markt. Der Außenhandelssaldo bleibt im Prognosezeitraum zwar positiv, schmilzt aber deutlich ab. Die europäische Basische­mie produziert überwiegend für die heimische Produktion.

Positiver entwickeln sich hingegen die Spezialchemi­kalien. Hier geht die Prognose von einem dynamischen Wachstum bis 2030 von 1,9 Prozent pro Jahr aus. Forschungs­intensivere und höherwertige Spezialchemikalien gewinnen künftig an Bedeutung. Dabei handelt es sich in der Regel um kleinvolumige und innovative Chemikalien und Zubereitun­gen, die in enger Abstimmung mit den Kundenindustrien ent­wickelt werden. Innovationen, eine Stärke der europäischen Chemie, sind der Treiber dieser Sparte. Eine hohe Außenhan­delsdynamik sowie ein deutlich geringerer Importdruck als in der Basischemie ermöglichen steigende Außenhandelsüber­schüsse und damit eine dynamische Entwicklung der Produk­tion. Der Außenhandelsüberschuss mit Ländern außerhalb der EU steigt von derzeit 29 Milliarden Euro auf real 40 Milliar­den Euro im Jahr 2030.

Ebenfalls dynamisch wächst das Pharmageschäft – eine weitere Stärke der europäischen Chemie. Eine weltweit wach­ sende und alternde Bevölkerung führt zu einer steigenden Nachfrage nach pharmazeutischen Produkten. Auch der zu­ nehmende Wohlstand und die wachsende Mittelschicht in den Schwellenländern führen zu steigenden Ausgaben für Medikamente und Life­Science­Produkte. Europäische Phar­ mazeutika sind weltweit gefragt. Die Extra­EU­Exporte können im Prognosezeitraum dynamisch zulegen (+ 2,4 Prozent pro Jahr). Die Importe – hauptsächlich von Vorprodukten – legen nur um 2 Prozent zu. In der Folge steigt auch der Außenhan­delsüberschuss bis 2030 um mehr als 60 Prozent.

Der Ländervergleich zeigt ein dynamisches Wachstum in den osteuropäischen Staaten der EU. Hier liegen die Wachs­tumsraten in vielen Ländern über dem EU­Durchschnitt. Über die Jahre haben sich hier teils ernstzunehmende Wettbewer­

ber der „klassischen“ Chemienationen entwickelt. Dennoch schwächt sich das Wachstum gegenüber der Vordekade ab. Nach erfolgreicher Transformation der osteuropäischen Länder kommt der dynamische Kapazitätsaufbau allmählich zum Erliegen.

Trotz der Wachstumsunterschiede zwischen den euro­pä ischen Ländern zeigt sich die Länderstruktur bis 2030 ver­gleichsweise konstant. In den Top 5 ändert sich gegenüber dem heutigen Stand nichts. Deutschland wird auch im Jahr 2030 mit einem Anteil von knapp 23 Prozent die europäische Chemieproduktion anführen. Mit Abstand folgen Frankreich, Italien, Irland und Großbritannien. Belgien kann zwei Rangplätze hinzugewinnen und landet auf Platz sechs. Spanien und die Niederlande verlieren jeweils einen Platz und erreichen die Plätze sieben bzw. acht.

Die EU­Chemie ist und bleibt ein wichtiger Arbeitgeber. In der europäischen Chemieindustrie arbeiteten im Jahr 2013 rund 1,7 Millionen Menschen. Dies entsprach einem Anteil von 5,5 Prozent der in der Industrie tätigen Personen bzw. 0,8 Prozent der gesamtwirtschaftlich Beschäftigten. Die mit Abstand meisten Beschäftigten hatte die deutsche Chemie. Ihr Anteil an der EU­weiten Beschäftigung der Branche lag 2013 bei 27,2 Prozent. Es folgt Großbritannien mit einem Anteil von 12 Prozent und Italien mit 10,4 Prozent. In der Euro päischen Union wird im Zuge von Produktivitäts­steigerungen die Beschäftigung im Prognosezeitraum um 0,6 Prozent pro Jahr sinken, so dass im Jahr 2030 etwas mehr als 1,5 Millionen in der europäischen Chemieindustrie arbeiten werden.

ABB. 15: AH-SALDO DER EU-CHEMIE WÄCHST WEITERAußenhandel der EU-Chemie- und -Pharmaindustrie in Mrd. Euro, CAGR 2013–2030

96

139

234

136

185

321

+1,9%

AH-SaldoExtra-EU ImporteExtra-EU Exporte

+1,7%

20302013

Die europäischen Chemiestandorte sind gut in den internatio-nalen Handel integriert und profitieren daher auch vom globalen Nachfragewachstum. In der Basischemie nimmt der Importdruck hingegen deutlich zu.

ABB. 16: TOP 5 DER EU-CHEMIE UNVERÄNDERTChemie- und Pharmaproduktion in der Europäischen Union in Mrd. Euro, Anteile in Prozent, CAGR 2013–2030

1.092

34,9%

2030

+1,7%

8,6%

9,9%

10,3%

13,8%

22,5%

2013

815

33,5%

8,8%9,3%11,0%

14,1%

23,3%

FrankreichDeutschland

Italien

GroßbritannienIrland

Restliche EU 28

Deutschland wird auch im Jahr 2030 noch der wichtigste Chemieproduzent in der Europäischen Union sein. Da andere Länder aber dynamischer wachsen, verliert Deutschland leicht an Anteilen.

24

Entwicklung in Deutschland bis 2030

Entwicklung in Deutschland bis 2030Die langfristige Entwicklung Deutschlands wird wesentlich durch den demografischen Wandel, das weltwirtschaftliche Umfeld, die Rohstoff­ und Energiekosten sowie durch die in­ternationale Wettbewerbsfähigkeit bestimmt. Da die Euro­päische Union der wichtigste Handelspartner bleibt, ist das Fortkommen der deutschen Wirtschaft eng mit der Entwick­lung der Nachbarländer und der Europäischen Union ver­knüpft. Die Unsicherheit bezüglich der Zukunft von EU und Gemeinschaftswährung ist wegen der Schuldenkrise in Griechenland und des Referendums in Großbritannien über einen Verbleib in der EU groß. Zudem gefährdet die Flücht ­lingskrise wegen der Grenzkontrollen das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes. Die im Folgenden be­schriebenen Entwicklungen in Deutschland setzen einen Erhalt der Europäischen Union, den Fortbestand des Euro und einen funk tionierenden Binnenmarkt voraus.

Binnenwirtschaft gewinnt an BedeutungNach den neuen Projektionen wird die deutsche Wirt­

schaft bis 2030 um durchschnittlich 1,3 Prozent pro Jahr wachsen. Im Vergleich zu den vorangegangenen 13 Jahren wird sich das Wachstum sogar um 0,2 Prozentpunkte be­schleunigen. Dennoch bleibt die Dynamik im Vergleich zu den Entwicklungen vor der Weltwirtschaftskrise und im Ver­gleich zu der Wachstumsdynamik anderer europäischer Volkswirtschaften niedrig. Deutschland ist zukünftig weit davon entfernt, Wachstumslokomotive in Europa zu sein.

Ein Blick auf die Nachfragekomponenten des Brutto­inlandsprodukts zeigt, dass sich das Wachstumsmodell der deutschen Volkswirtschaft grundlegend ändert: Während Deutschland vor 2013 fast die Hälfte seines Wachstums seinen Exporterfolgen verdankte, wächst der Außenbeitrag im Pro­gnosezeitraum deutlich langsamer. Auch der Staatskonsum trägt weniger zum Wachstum bei als in der vergangenen

Dekade. Demgegenüber gewinnt die Binnenwirtschaft an Bedeutung. Das zukünftige Wachstum beruht vor allem auf einer Steigerung des privaten Konsums sowie einer leichten Ausweitung der Investitionstätigkeit.

Der Außenhandelsüberschuss nimmt zwar noch weiter zu, aber die Zeiten mit zweistelligen Wachstumsraten sind vorbei. Bei den Exporten wirkt sich vor allem die nachlassende Wachstumsdynamik in den Schwellenländern negativ aus. Weder das moderate Wachstum in Europa noch die Nach­frageentwicklung in den USA können dies kompensieren. Die Importe steigen mit der gleichen Dynamik wie die Exporte, so dass vom Außenbeitrag nur geringe Wachstumsbeiträge zu erwarten sind.

Der Beitrag des Staatskonsums zum Wachstum des Brut­toinlandsprodukts ist zukünftig ebenfalls niedrig. Hierbei wurden strukturelle Änderungen im Staatshaushalt unter­stellt. Wegen der guten Lage am Arbeitsmarkt können kon­sumtive Ausgaben des Staates teilweise zur Finanzierung der maroden Infrastruktur genutzt werden. Wegen der Haushalts­konsolidierung und der Schuldenbremse sinkt die Schulden­standsquote Deutschlands von heute rund 75 Prozent auf 55 Prozent im Jahr 2030. Der fiskalpolitische Spielraum bleibt daher weiterhin begrenzt.

Die Investitionen gewinnen für das Wachstum an Bedeu­tung. Allerdings auf sehr niedrigem Niveau. Von 2000 bis 2013 sind die Ausrüstungsinvestitionen in Deutschland kaum ge­wachsen. In dieser Zeit hat sich ein erheblicher Investitions­stau insbesondere bei der Verkehrsinfrastruktur ergeben, der sich zukünftig allmählich auflöst. Dennoch setzt sich die Inves­ titionsschwäche fort. Die Investitionen steigen bis 2030 nur leicht dynamischer als in der vergangenen Dekade. Und der Anteil der Investitionen am BIP sinkt von heute knapp 20 Pro­ zent auf rund 18 Prozent (2030).

Die weiterhin unzureichenden Rahmenbedingungen und die globalen Wachstumsperspektiven bremsen die private In­vestitionstätigkeit. Einige private Investitionen nehmen aber dennoch zu – beispielsweise im Wohnungsbau. Bis 2030 fehlen deutschlandweit neue Wohnungen. Ausnahmen sind ländliche Umgebungen. Der Grund: Die Nachfrage nach Sin­glewohnungen und der Zuzug in die Großstädte halten weiter an. Die staatlichen Investitionen bleiben schwach. Die Initia­tiven für mehr Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur der Bundesregierung wirken nur kurzfristig. Die sinkende Bevöl­kerungszahl dämpft gegen Ende des Prognosezeitraums die staatlichen Infrastrukturinvestitionen wieder. Dennoch über­trifft der Wert der Investitionen im Durchschnitt den Wert der Abschreibungen. Insgesamt wächst damit der Kapitalstock in Deutschland.

Wachstumstreiber Nr. 1 wird zukünftig der private Konsum sein. Auf ihn entfallen zukünftig fast 60 Prozent des deutschen Wirtschaftswachstums. Die günstige Entwicklung des privaten Konsums stützt sich auf niedrige Zinsen, das Entsparen der alternden Bevölkerung, tendenziell steigende Reallöhne und eine Stärkung der Kaufkraft durch niedrige Ölpreise. Die Kon­sumquote wird dadurch insgesamt steigen. Die Generation der Babyboomer wird verstärkt ihre Geldanlagen auflösen. Für die meisten zukünftigen Rentner wird es eine Notwen­

ABB. 17: WENIGER IMPULSE AUS DEM AUSLANDBIP-Wachstum in Deutschland in Prozent pro Jahr,Wachstumsbeiträge der Komponenten in Prozent

2013-2030

1,3

15,3%

14,0%

58,2%

12,5%

2000-2013

1,0

44,4%

3,9%

33,1%

18,7%

staatlicher Konsum

AußenbeitragInvestitionenprivater Konsum

In Deutschland wird die Binnenwirtschaft an Bedeutung gewinnen. Der private Konsum wird zur wichtigsten Säule für das gesamtwirtschaftliche Wachstum. Auch die Investitionen gewinnen trotz schwacher Dynamik an Bedeutung hinzu.

25

Entwicklung in Deutschland bis 2030

digkeit sein, ans Ersparte zu gehen. Denn angesichts der Alterung der Gesellschaft wird die schrumpfende Leistungs­fähigkeit der gesetzlichen Rente immer stärker durch private Vorsorge ausgeglichen werden müssen. Hinzu kommt, dass ältere Menschen mehr Geld für die Freizeitaktivitäten oder für die Pflege ausgeben. Der private Konsum profitiert aber auch noch von einer weiteren Folge der demografischen Entwick­lung: Das Arbeitskräfteangebot in Deutschland sinkt und lässt so die Reallöhne tendenziell steigen. Die Arbeitslosenquote erreicht 2030 einen Wert von unter 4 Prozent. Die Entgelt­erhöhungen lagen in den vergangenen Jahren über der Infla­tion. Dieser Trend wird sich im Prognosezeitraum fortsetzen.

Der demografische Wandel wirkt sich aber auch brem ­ send auf die Entwicklung der deutschen Volkswirtschaft aus. Denn der deutschen Wirtschaft droht eine Arbeitskräftelücke. Ein erheblicher Teil der heutigen Arbeitnehmer wird bis 2030 in den Ruhestand gehen und die Zahl der neu in den Arbeits­markt eintretenden Arbeitnehmer fällt deutlich geringer aus. Die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter sinkt von 53,1 Millionen auf 49,3 Millionen. Dies ist ein Rückgang von 0,4 Prozent pro Jahr. Dem dadurch entstehenden Arbeits­kräftemangel wird annahmegemäß durch entsprechende Maßnahmen wie beispielsweise die Erhöhung der Erwerbs­beteiligung von Frauen, eine Stärkung des Bildungsangebo­tes und vor allem eine arbeitsmarktbezogene substanzielle Netto­Zuwanderung entgegengewirkt. Die aktuelle Flücht­lingskrise ist in die Prognosen noch nicht eingerechnet, da derzeit völlig unklar ist, in welchem Umfang die Migranten in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Auch ist nicht absehbar, inwieweit die zunehmende Digitalisierung sich auf die Quantität der nachgefragten menschlichen Arbeitszeit auswirken wird.

Unter diesen Annahmen sinkt die Zahl der Erwerbstätigen bis 2030 nur um 0,2 Prozent pro Jahr. Das entspricht einem Rückgang von 1,2 Millionen Personen. Das gesamtwirtschaft­liche Arbeitsvolumen geht nur leicht zurück, da insbesondere für die aktuellen Teilzeitstellen steigende Arbeitszeiten un­terstellt sind. Es ist und bleibt aber eine zentrale Aufgabe der Politik, die hierfür notwendigen Rahmenbedingungen etwa für die Kinderbetreuung bereitzustellen und in dieser Hinsicht kontraproduktiven Steueranreizen entgegenzuwirken. Die ge­samtwirtschaftlich niedrigere Erwerbstätigenzahl wird in der Industrie dazu führen, dass der Personalbedarf nicht mehr überall gedeckt werden kann. Aber auch im Dienstleistungs­bereich wird es Personalengpässe geben, z. B. bei der Erzie­hung oder in Pflegeberufen. Polizei und Bundeswehr können schon heute nicht alle offenen Stellen besetzen.

Zudem werden sich die Anforderungen an die Arbeits­kräfte verändern. Die Arbeitswelt wandelt sich dabei nicht nur für neu einzustellende Arbeitskräfte, sondern vor allem auch für die bereits heute im Berufsleben stehenden Mitar­beiter. Insbesondere durch die Digitalisierung und Vernet­zung der Wirtschaft, durch neue Geschäftsmodelle und durch den technologischen Fortschritt werden neue Jobs mit verän­dertem Anforderungsprofil geschaffen, während gleichzeitig an anderer Stelle herkömmliche Arbeitsplätze verloren gehen. Der Wandel erfordert daher von Unternehmen und Mitarbei­tern hohe Flexibilität und Veränderungsbereitschaft. Ohne die notwendigen Veränderungen am Arbeitsmarkt und bei der Ausbildung droht ein qualifikatorischer „Mismatch“, der

den Arbeitskräftemangel verstärkt. Auch die Bedeutung von Umschulungen steigt.

Die Alterung der Gesellschaft führt aber nicht nur zu einer Arbeitskräftelücke, sondern lässt auch die Lohnzusatz­kosten real steigen. Denn im Jahr 2030 kommen auf einen Rentner zwei Erwerbstätige. Heute sind es dagegen noch 2,5 Arbeitskräfte. Zudem ist durch die Alterung der Bevölkerung von steigenden Ausgaben der Kranken­ und Pflegeversiche­rungen auszugehen. In diesem Umfeld haben insbesondere die Sozialpartner eine hohe Verantwortung für die Beschäf­tigungsentwicklung und die Wettbewerbsfähigkeit. In den Prognosen wurde unterstellt, dass die Lohnstückkosten der deutschen Industrie weitgehend stabil bleiben. Das bedeutet, dass die Löhne nicht stärker steigen als die Produktivität.

Industrie bleibt zentrale Stütze der deut-schen Wirtschaft

Dass Deutschland vergleichsweise positive langfristige Wachstumsperspektiven hat, ist vor allem auf den starken in­dustriellen Kern zurückzuführen. Hierzulande liegt der Indus­trieanteil am BIP mit mehr als 23 Prozent fast doppelt so hoch wie in den USA, in Frankreich oder Großbritannien. Zudem sind in Deutschland nahezu alle Branchen mit Unternehmen ver­treten, die zur internationalen Spitze gehören. Industriepro­dukte „Made in Germany“ genießen wegen hoher Qualität weltweit Anerkennung. Deutschland ist ein beliebter Standort für die Industrieproduktion, der auch ausländische Unterneh­men anlockt.

Die deutsche Industrie hat sich in vielen Wachstumsbe­reichen wie Energie­ und Ressourceneffizienz, Mobilität und Logistik, Klimaschutz und Umwelt sowie Gesundheit sehr stark positioniert. Entscheidend für den Erfolg der deutschen Industrie sind neben der Offenheit der Volkswirtschaft ihre hohe Innovations­ und Forschungstätigkeit sowie die starke industrielle Vernetzung. Damit konnten die deutschen Indus­trieunternehmen bisher in einem zunehmend wettbewerbsin­tensiven Umfeld erfolgreich bestehen.

ABB. 18: DEUTSCHLAND – ZUKUNFT DURCH INDUSTRIEAnteile der Industrie an der Bruttowertschöpfung wichtiger Länder in Prozent

18

20

24

0

12

16

14

22

10

20252015201020052000 20302020

Italien

Großbritannien

USA

JapanDeutschland

Frankreich

Deutschlands Stärke ist seine industrielle Basis. Die Industrie kann ihren hohen Anteil an der gesamten Bruttowertschöp-fung halten. Damit geht Deutschland auch in Zukunft einen anderen Weg als viele Industrieländer.

26

Entwicklung in Deutschland bis 2030

Der Anteil des verarbeitenden Gewerbes an der gesamt­ wirtschaftlichen Bruttowertschöpfung blieb in den vergan ­ g enen Jahren nahezu stabil bei rund 23 Prozent. Dies ist deut­ lich mehr als in anderen Industrieländern wie beispielsweise Frankreich, Großbritannien oder den Vereinigten Staaten. In diesen Ländern liegt der Anteil des verarbeitenden Gewerbes an der gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung zwischen 10 und 12 Prozent und damit bereits heute deutlich niedriger als in Deutschland.

Auch im Prognosezeitraum bleibt in Deutschland der Anteil der Industrie an der gesamten Wertschöpfung bis 2030 mit fast 23 Prozent konstant. Damit bleibt auch die Bedeu­tung der Industrie für das Wirtschaftswachstum in Deutsch­land hoch. Bedeutend größere Anteilsverluste verzeichnen die Industriebranchen beispielsweise in Frankreich, den USA und Großbritannien, wenngleich die Verluste dort nicht mehr so hoch ausfallen wie in der Vergangenheit.

Der Anteil des verarbeitenden Gewerbes an den Erwerbs­tätigen in der Gesamtwirtschaft nahm dagegen in der Ver ­ gangenheit ab. Heute liegt er bei rund 18 Prozent. Im Pro­ gnosezeitraum setzt sich dieser Trend moderat fort. Der Anteil an den Gesamterwerbstätigen in Deutschland sinkt auf etwas unter 16 Prozent. Die Kapitalintensität der Produktion wird zunehmen und rechnerisch für Produktivitätsfortschritte sorgen.

Eine dominante Rolle spielt das verarbeitende Gewerbe im Außenhandel. Zwar nahm der Anteil der Dienstleistungen am gesamten Handelsvolumen in den vergangenen Jahren spürbar zu. Gleichwohl dominiert nach wie vor der Güter­handel. Bei den Exporten liegt der Anteil des verarbeitenden Gewerbes bei fast 80 Prozent, bei den Importen bei nahezu 70 Prozent.

Bedingt durch den Rückgang des Arbeitskräftepotenzials und des zunehmenden Wettbewerbs werden Unternehmen vermehrt in produktivitätssteigernde Prozesse und Technologien sowie in die Aus­ und Weiterbildung ihrer Mitarbeiter investie­ren. Dies zeigt sich in der prognostizierten verstärkten Nach­frage nach hochqualifizierten Arbeitskräften der Branchen

und dem hohen Anteil des verarbeitenden Gewerbes an den Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE).

Die langfristigen demografischen, klimatischen und tech­nologischen Trends führen zu einer dynamischen Entwicklung innerhalb der Bereiche Energie­ und Ressourceneffizienz, Mo­bilität und Logistik, Klimaschutz und Umwelt. In Deutschland können davon besonders der Maschinenbau, der Kraftwagen­bau, die Elektroindustrie, die chemisch­pharmazeutische In­dustrie und die Kunststoffverarbeiter profitieren.

Diese Leitbranchen sind die Treiber der Industrieproduk­tion in Deutschland. Es zeichnet sie eine hohe internationale Wettbewerbsfähigkeit aus. Sie können einen Anstieg ihrer Produktion um 1,9 Prozent pro Jahr bis 2030 verbuchen, während die Industrie insgesamt um 1,4 Prozent wächst. Ins­gesamt bleibt das Wachstum der Industrie damit etwas höher als das Wachstum der Gesamtwirtschaft.

Am dynamischsten entwickelt sich die Elektroindustrie, gefolgt vom Fahrzeug­ und Maschinenbau. Die Elektroindus­trie profitiert von einer rapide wachsenden Nachfrage nach hochwertigen elektronischen Produkten insbesondere aus China sowie von zunehmend neuen Anwendungsmöglich­keiten von computergesteuerter Technik, unter anderem im Zuge der Digitalisierung. Der Fahrzeugbau wird neben seiner Innovationskraft auch durch die Produktion von Fahrzeugen für den Schienenverkehr gestützt. Hier steigt die globale Nachfrage durch eine zunehmende Bedeutung umweltver­träglicher Transportmöglichkeiten und aufgrund einer dyna­mischen Entwicklung des grenzüberschreitenden Handels. Für die innovationsstarke Pharmabranche verbessert sich aufgrund der zunehmenden Alterung der deutschen und der globalen Bevölkerung die Absatzposition. Wettbewerbsdruck kommt dabei allerdings unter anderem von Generika­Herstel­lern sowie aus Ländern mit geringeren Produktionskosten. Die chemische Industrie und der Maschinenbau können sich aufgrund ihrer Innovationskraft sowie des hohen Produktspe­zialisierungsgrades auch in Zukunft in einem zunehmend wettbewerbsintensiven Umfeld behaupten.

Insbesondere die Elektroindustrie und der Fahrzeugbau steigern bis 2030 ihren Anteil an der Wertschöpfung im ver­arbeitenden Gewerbe. Im Kraftwagenbau setzt sich damit eine Entwicklung fort, die bereits vor 2013 zu beobachten war. Der Wertschöpfungsanteil im Maschinenbau nimmt bis 2030 ebenfalls zu. Die Anteile in der Chemieindustrie und bei den Kunststoffverarbeitern bleiben dagegen konstant. Insgesamt ist der Fahrzeugbau auch in Zukunft die wichtigste Branche der deutschen Industrie, gemessen am Beitrag zur Brutto­wertschöpfung im verarbeitenden Gewerbe, gefolgt vom Maschinenbau und der Elektroindustrie. Die Chemie folgt auf Rang vier.

Die Zunahme der Wertschöpfung wird trotz eines Rück­gangs der Erwerbstätigen generiert. So ist die Zahl der Er­werbstätigen in allen Branchen im Jahr 2030 geringer als 2013. Damit setzt sich ein Trend der Vergangenheit fort.

ABB. 19: LEITBRANCHEN SIND TEMPOMACHERIndustrieproduktion in Deutschland, CAGR 2013–2030, Anteile in Prozent

+1,4%

2030

33,1%

66,9%

2013

37,5%

62,5%

restliche IndustrieLeitbranchen

Wachstumstreiber der deutschen Industrie sind ihre Leitbran-chen – der Fahrzeugbau, die Elektroindustrie, der Maschinen-bau, die Chemie- und Pharmaindustrie und die Kunststoffver-arbeiter. Die Bedeutung dieser Branchen wird sich erhöhen.

27

Wachstumschancen für die deutsche Chemie

Wachstumschancen für die deutsche ChemieDas reale Produktionsvolumen der deutschen Chemie steigt von 190 Milliarden Euro im Jahr 2013 bis zum Jahr 2030 um 30 Prozent auf 246 Milliarden Euro. Mit durchschnittlich 1,5 Pro­ zent pro Jahr wächst die Chemieproduktion damit etwas dynamischer als die Industrie oder die Gesamtwirtschaft. Das Wachstum wird sich aber im Vergleich zur historischen Entwicklung leicht abschwächen. Von 2000 bis 2013 stieg die deutsche Chemieproduktion noch um 1,8 Prozent pro Jahr. Auch mit dem globalen Chemiewachstum kann die deutsche Chemie im Prognosezeitraum nicht Schritt halten, denn welt­ weit wird die Chemieproduktion bis 2030 um 3,4 Prozent pro Jahr zulegen. Trotz eines Anteilsverlusts von 1,4 Prozentpunk­ten bleibt Deutschland der viertgrößte Chemieproduzent der Welt.

Die deutsche Chemie ist mit ihrer starken Pharmasparte, der innovativen Spezialchemie und den hocheffizienten Pro­duktionsanlagen der Grundstoffchemie international wett­bewerbsfähig. Zu den Stärken zählen vor allem die hohe Innovationskraft, die Verbundproduktion, die Chemieparks und das starke deutsche Industrienetzwerk. Aktuell ist die Bundesrepublik Exportweltmeister im Chemikalienhandel und eines der wenigen Länder mit einem Außenhandels­ überschuss im Chemiesektor. Dieser betrug im Jahr 2013 real 51 Milliarden Euro. Damit trug die Branche in erheblichem Umfang zum gesamten deutschen Außenhandelsüberschuss bei. Die Chemie ist eine der Kernbranchen der deutschen In­dustrie und sichert im Verbund mit anderen industriellen Leitbranchen Wachstum und Wohlstand der deutschen Volks­wirtschaft.

Deutschland wird auch zukünftig vom hohen Wachstum der globalen Chemiemärkte profitieren. Die Chemieexporte Deutschlands steigen bis zum Jahr 2030 um 1,7 Prozent pro Jahr. Das Exportwachstum fällt aber wegen der globalen Wachstumsabschwächung schwächer aus als in der Vorgän­gerstudie. Im Inland wächst die Nachfrage nach chemischen Erzeugnissen mit 1,5 Prozent pro Jahr etwas langsamer als die Ausfuhren. Dies hat zur Folge, dass die Exportabhängig­keit im Prognosezeitraum steigt. Wurden im Jahr 2013 noch 82 Prozent der Gesamtproduktion exportiert, so sind es zum Ende des Prognosezeitraums bereits 84 Prozent. Neben der Exportquote steigt auch das absolute Exportvolumen um 51 Milliarden Euro auf knapp 207 Milliarden Euro im Jahr 2030.

Die Zahlen belegen aber auch, dass der Chemiestand­ort Deutschland Probleme mit der Wettbewerbsfähigkeit hat. Bereits in der Vergangenheit waren die deutschen Chemie­ausfuhren weniger stark gestiegen als die Exporte anderer Länder. Die Folge war ein Anteilsverlust Deutschlands an den Weltchemieexporten, der vor allem auf eine sinkende At­traktivität Deutschlands für die Chemieproduktion zurück­zuführen war. Hierfür waren vor allem die im internationalen Vergleich hohen Rohstoff­ und Energiekosten verantwort­lich. In Zukunft wird sich hieran voraussichtlich nichts Grund­legendes ändern. Daher wächst der deutsche Chemieexport auch zukünftig langsamer als die Weltchemieexporte, so dass Deutschland trotz der Exporterfolge bis 2030 weiter Chemie­Welthandelsanteile verlieren wird. Es besteht also weiterhin industriepolitischer Handlungsbedarf.

Das zeigt auch ein Blick auf die Chemieimporte. Vor allem in den Schwellenländern sind neue Wettbewerber hinzuge­kommen und die wieder erstarkte US­Chemie macht sich bereit, verstärkt auf den europäischen Markt zu drängen. Der Importdruck auf Deutschland nimmt daher bis 2030 zu. So steigt das Importvolumen chemischer Erzeugnisse im Prognosezeitraum von 105 Milliarden Euro auf etwas mehr als 138 Milliarden Euro. Dies entspricht einem Zuwachs von 1,7 Prozent pro Jahr. Import­ und Exportdynamik halten sich damit die Waage. Der Anteil der Importe an der Inlandsver­sorgung steigt. Die Importquote erhöht sich von 75 Prozent im Jahr 2013 auf 78 Prozent in 2030.

Trotz steigender Konkurrenz kann sich die deutsche Chemie auch in Zukunft auf den globalen Chemiemärkten behaupten. Die Handelsbilanz Deutschlands mit chemischen Produkten bleibt im Prognosezeitraum positiv. Der Außen­handelsüberschuss kann sogar noch leicht ausgebaut werden. Er steigt bis 2030 um 34 Prozent auf gut 68 Milliarden Euro. Dies ist aber vor allem dem Pharmageschäft zu verdanken, während bei Basischemikalien der Außenhandelssaldo bis 2030 ins Minus rutscht.

Zu den wichtigsten Abnehmern deutscher Chemiepro­dukte im Ausland gehören heute vor allem europäische Länder und die USA. Bis 2030 steigen die deutschen Exporte nach China kräftig, so dass die Volksrepublik zukünftig hinter der EU und den USA drittwichtigster Abnehmer für deutsche Chemieprodukte sein wird. Zwar wird China zukünftig einen immer größeren Teil seines Chemiebedarfs aus heimischer Produktion decken. Die im internationalen Vergleich hohen Wachstumsraten der chinesischen Wirtschaft eröffnen deut­schen Chemieexporteuren dennoch Wachstumschancen – vor allem für Pharmazeutika und Spezialchemikalien. Allerdings bleibt die Exportstruktur auch in Zukunft stark auf Europa fokussiert. Im Jahr 2030 gehen knapp 57 Prozent der deutschen

ABB. 20: CHEMIE WÄCHST ÜBERDURCHSCHNITTLICH Durchschnittliche jährliche Wachstumsraten von BIP, Industrie- und Chemieproduktion in Prozent

1,3

1,0

1,4

1,7

1,5

1,8

2000-2013 2013-2030

BIPIndustrieChemie/Pharma

Das Wachstum in der deutschen Chemieindustrie wird bis 2030 zwar schwächer ausfallen als in der Vergangenheit. Aber die Wachstumsraten werden immer noch über dem Industriedurch-schnitt und über dem BIP-Wachstum liegen.

28

Wachstumschancen für die deutsche Chemie

Chemieausfuhren in die Mitgliedstaaten der Europäischen Union.

Der Bedeutungszuwachs des Außenhandels ist nicht die einzige Veränderung in der Verwendungsstruktur der deut­schen Chemieproduktion. Auch bei der Struktur der Inlands­verwendung findet ein Wandel statt. Während der Anteil der Investitionen an der inländischen Verwendung nahezu unver­ändert bleibt, nimmt die Bedeutung des privaten Konsums im Zuge der demografischen Entwicklung zu. 2013 kam ein Fünftel der Inlandsnachfrage nach chemischen Erzeugnissen von privaten Haushalten. Bis 2030 steigt dieser Anteil auf ein Viertel. Rund 70 Prozent davon entfallen auf Pharmazeutika. Auch die Bedeutung des staatlichen Konsums wird zulegen. Der Anteil steigt wegen der wachsenden Nachfrage nach Pharmazeutika im Gesundheitswesen um einen Prozentpunkt auf 10 Prozent.

Durch die starke Verflechtung innerhalb der deutschen Industrie und durch eine steigende Chemieintensität in vielen Kundenbranchen wird die Nachfrage der Industrie nach che­mischen Produkten zwar insgesamt zulegen und die inländi­sche Nachfrage bleibt mit deutlichem Abstand die wichtigste Verwendung der deutschen Chemieproduktion. Allerdings wird der Anteil von derzeit 53 Prozent auf 50 Prozent sinken. Dieser leichte Bedeutungsverlust ist auf das schwache Wachstum einiger chemieintensiver Branchen wie beispiels­weise der Metallerzeugung und ­bearbeitung, aber auch der Papierherstellung zurückzuführen. Hinzu kommt, dass auch bei den Verkäufen an industrielle Kunden die ausländische Konkurrenz zunimmt.

Die Verflechtung innerhalb der chemischen Industrie nimmt durch den zunehmenden Importdruck bei Basische­mikalien ebenfalls leicht ab. Dennoch wird die Inlandsnach­frage der Branche auch zukünftig primär aus der chemischen Industrie selbst stammen. Die Integration der Chemiesparten untereinander ist dabei als eine deutsche Besonderheit und als zentraler Wettbewerbsvorteil zu begreifen. Deutschland bleibt bis 2030 eines der wenigen Länder, die sowohl eine

starke Basischemie als auch eine große Spezialchemie haben. Dies ermöglicht eine enge Abstimmung und Zusammenar­beit der Chemiesparten untereinander. Begünstigt wird diese Entwicklung durch Chemieparks und Verbundstandorte, in denen unterschiedliche Unternehmen bzw. Betriebe koope­rieren und Verbundeffekte nutzen können.

Neben der Chemie selbst fragen auch die Kunststoffver­arbeitung sowie der Fahrzeugbau chemische Erzeugnisse in großem Umfang nach. Mit steigendem Elektronikanteil und dem vermehrten Einsatz von Polymeren im Fahrzeugbau gewinnen chemische Erzeugnisse hier an Bedeutung. Höhere Chemieintensitäten zeigen sich allerdings nicht nur im Fahr­zeugbau, sondern unter anderem auch im Baugewerbe und in der Elektrotechnik. So spielt die chemische Industrie im Baugewerbe durch zunehmende Gebäudeisolierung eine immer wichtigere Rolle, während der vermehrte Einsatz von Brennstoff­ und Solarzellen die Chemieintensität in der Elek­trotechnik hochtreibt. Darüber hinaus lassen neue Anwen­dungsgebiete im Bereich des Klima­ und Umweltschutzes neue Nachfrage entstehen. Die Erhöhung des Anteils erneu­erbarer Energien an der Stromversorgung in Deutschland ist nur durch den Einsatz hochwertiger chemischer Produkte bei der Herstellung von Windkraftanlagen und Photovoltaikmo­dulen möglich.

Die deutsche chemische Industrie produziert chemi­ sche Erzeugnisse auf ganz unterschiedlichen Stufen der Wertschöpfungskette. Sowohl Basischemikalien als auch Spezial chemikalien und Pharmazeutika werden in Deutschland her ge stellt. Knapp 34 Prozent der chemischen Gesamt pro­duktion entfallen auf Basischemikalien. Die Spe zial chemikalien weisen mit 39 Prozent einen etwas höheren Anteil auf. Phar­mazeutika haben mit 27 Prozent den geringsten Anteil.

Die Wachstumspotenziale für die einzelnen Chemiespar­ten sind unterschiedlich. Die größte Dynamik weist zukünftig das Pharmageschäft auf. Aber auch den Herstellern von in­novativen Spezialchemikalien bieten sich im In­ und Ausland gute Wachstumschancen. Demgegenüber hat die Basis­

ABB. 21: FOKUS AUF SPEZIALCHEMIE UND PHARMAReale Produktionswerte der deutschen Chemieindustrie in Mrd. Euro, Anteile der Sparten in Prozent, CAGR 2013–2030

190

246

2013

31,5%

40,9%

2030

+1,5%

27,6%

39,3%

26,9%

33,8%

Pharma

Spezialchemie

Basischemie

In der Chemieindustrie wird es zu Verschiebungen in der Produktionsstruktur kommen. Die Basischemie wird an Bedeutung verlieren. Die Anteile von Spezialchemikalien und Pharmazeutika am Produktionswert werden zunehmen.

ABB. 22: PHARMAZEUTIKA SIND WELTWEIT GEFRAGTHandel mit pharmazeutischen Erzeugnissen aus Deutschland in Mrd. Euro, CAGR 2013–2030

21

39

60

35

53

88

AH-SaldoExporte

+2,3%

+1,8%

Importe

2030

2013

Der Markt für Pharmazeutika wächst weltweit dynamisch. Durch ihre Innovationsstärke kann die deutsche Pharmaindus-trie davon profitieren. Ihre Produkte sind weltweit gefragt. Der Außenhandelssaldo steigt.

29

Wachstumschancen für die deutsche Chemie

chemie trotz hocheffizienter Anlagen ein Problem mit den Energie­ und Rohstoffkosten, die den Importdruck steigen lassen. Sie kann daher im Prognosezeitraum ihre Produktion nur noch leicht ausweiten. Vor diesem Hintergrund nimmt die Bedeutung von Spezialchemikalien und Pharmazeutika an der deutschen Chemieproduktion im Prognosezeitraum zu. Die Basischemie verliert dagegen Anteile. Die deutsche che­mische Industrie wird trotz dieser Spezialisierung auch 2030 noch diversifiziert und auf sämtlichen Fertigungsstufen ver­treten sein.

PHARMADas größte Wachstumspotenzial der Branche wird im

Pharmabereich liegen. Die stark alternde Bevölkerung in den Industrieländern und die wachsende und ebenfalls alternde Bevölkerung in den Schwellenländern werden die weltweite Nachfrage nach pharmazeutischen Erzeugnissen zur Bekämp­fung etwa von Alzheimer und Arthritis kräftig steigen lassen. Der veränderte Lebensstil und die zunehmende Urbanisie­rung der Schwellenländer begünstigen zudem die Verbrei­tung von Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck und Adipositas. Krebs und Herzerkrankungen werden auch in den Schwellenländern die signifikanten Todesursachen werden. Hinzu kommt insbesondere in den Industrienationen ein steigendes Gesundheitsbewusstsein breiterer Bevölke­rungsschichten. Das lässt beispielsweise die Nachfrage nach Nahrungsergänzungsmitteln und Pflegemitteln steigen.

Der zunehmende Wohlstand und die wachsende Mittel­schicht in den Schwellenländern führen weltweit zu steigen­den Ausgaben im Gesundheitswesen. Die Regierungen sehen sich mit steigenden Kosten konfrontiert. Die Bemühungen von staatlicher Seite, im Gesundheitswesen Kosten zu sparen, werden daher weiter zunehmen. Das setzt die Hersteller von pharmazeutischen Produkten unter Druck. Auf der anderen Seite werden Regierungen, Krankenkassen und andere Kos­tenträger die Verbraucher verstärkt zu mehr Prävention

anhalten. Dort entstehen neue Geschäftsfelder für die Life­Science­Branche.

Die deutsche Pharmaindustrie kann aufgrund ihrer starken Innovationsorientierung und ihrer hohen Wettbe­werbsfähigkeit von dieser Entwicklung profitieren. Pharma­zeutika erzielten im Jahr 2013 ein Produktionsvolumen von 51 Milliarden Euro. Im Prognosezeitraum wird die deutsche Pharmaproduktion mit durchschnittlich 2,5 Prozent pro Jahr dynamischer wachsen als die Branche insgesamt. Bis zum Ende des Prognosezeitraums steigt das Produktionsvolumen auf nahezu 78 Milliarden Euro. Damit ist 2030 die Bedeutung der Pharmazeutika größer als jene der Basischemie.

Deutsche Pharmaprodukte sind dabei weltweit gefragt. Die Exporte steigen mit einem jährlichen Wachstum von 2,3 Prozent kräftig. Die Inlandsnachfrage steigt auch dyna­misch um 2 Prozent pro Jahr. Die Importe nehmen dagegen etwas schwächer zu. Damit verringert sich in der Pharmain­dustrie der Importdruck und der Außenhandelssaldo steigt deutlich.

SPEZIALCHEMIEForschungsintensive und höherwertige Spezialchemika­

lien gewinnen zukünftig Produktionsanteile hinzu. Zur Spe­zialchemie zählen Spezialkunststoffe (z.B. Polycarbonat oder Chemiefasern), Konsumchemikalien (Wasch­, Reinigungs­ und Körperpflegemittel), Farben und Lacke sowie Pflanzenschutz­mittel. Das größte Teilsegment bildet aber die Gruppe der „anderen Spezialitäten“. Dabei handelt es sich um kleinvolu­mige, innovative Chemikalien und Zubereitungen, die speziell für industrielle Kunden entwickelt werden. Innovationen sind daher der wesentliche Treiber in der Spezialchemie. Der Wis­sensvorsprung der deutschen chemischen Industrie sichert die Wettbewerbsposition bei den Spezialchemikalien. Eine hohe Außenhandelsdynamik sowie geringerer Importdruck als bei den Basischemikalien ermöglichen hohe Außenhan­delsüberschüsse und eine dynamische Entwicklung der Pro­duktionsvolumina.

Neben den Großunternehmen, die Spezialchemikalien überwiegend im Produktionsverbund mit Basischemikalien herstellen, findet man in der Spezialchemie viele mittelstän­dische Unternehmen. Sie können besonders flexibel auf sich verändernde Kundenwünsche reagieren. Im Chemiemittel­stand gibt es viele „hidden champions“, die in ihrem spezifi­schen Marktsegment Weltmarktführer sind. Der Mittelstand ist auf eine Versorgung mit qualitativ hochwertigen Grund­chemikalien angewiesen und er bezieht seine Vorprodukte bevorzugt von deutschen und europäischen Lieferanten.

Die deutsche Spezialchemie erzielte im Jahr 2013 ein Produktionsvolumen von 74,5 Milliarden Euro. Im Prognose­zeitraum wird sie mit durchschnittlich 1,8 Prozent pro Jahr dynamischer wachsen als die Chemie insgesamt. Bis zum Ende des Prognosezeitraums steigt das Produktionsvolumen auf 100 Milliarden Euro.

Im Prognosezeitraum werden die deutschen Exporte von Spezialchemikalien um durchschnittlich 1,8 Prozent pro Jahr zunehmen, denn Spezialchemikalien „Made in Germany“ sind weltweit gefragt. Viele Spezialchemikalien wurden auf die Be­dürfnisse der deutschen Industrie optimiert. Die industriel­len Kunden profitierten von hochwertigen und innovativen Chemikalien, mit denen sie ihrerseits qualitativ hochwertige

ABB. 23: SPEZIALCHEMIE WÄCHST DYNAMISCHReale Produktionswerte von Spezialchemikalien in Deutschland in Mrd. Euro, Anteile in Prozent, CAGR 2013–2030

21,6%

47,7%

100,5

30,0%

30,7%74,5

47,5%

22,5%

+1,8%

20302013

InlandsnachfrageEU ExporteExtra-EU Exporte

Die Produktion von Spezialchemikalien wird bis zum Jahr 2030 überdurchschnittlich wachsen. Dabei bleibt die Nachfrage aus dem Inland und aus Europa für die Branche von hoher Bedeutung. Noch dynamischer wachsen die Extra-EU-Exporte.

30

Wachstumschancen für die deutsche Chemie

Produkte herstellten. Dieser Innovationsverbund führt dazu, dass viele industrielle Kunden deutscher Spezialchemieher­steller ihren Lieferanten auch dann die Treue halten, wenn sie selbst im Ausland produzieren. Die deutsche Spezialche­mie kann daher von der Globalisierung deutscher Industrie­unternehmen profitieren. Allerdings setzt dies voraus, dass die Kunden ihre Produkte auch zukünftig in Deutschland und gemeinsam mit den Chemielieferanten entwickeln werden.

Auch die Inlandsnachfrage entwickelt sich mit einem durchschnittlichen Wachstum von 1,6 Prozent pro Jahr dy­namisch. Im Inland profitieren deutsche Produzenten vom engen Industrieverbund in Deutschland, der die Nähe zu den Kunden und damit auch den Absatz sicherstellt. Die Importe steigen mit 1,6 Prozent pro Jahr genauso wie die Inlandsnach­frage. Der Importdruck auf die Spezialchemie bleibt damit relativ gering. Der Außenhandelsüberschuss wächst um über 45 Prozent auf 33 Milliarden Euro.

BASISCHEMIEDie deutsche Basischemie ist bei weitem keine homogene

Gruppe. Sie beinhaltet die anorganischen Grundstoffe, Petro­chemikalien, organische Zwischenprodukte, Standardpoly­mere und Düngemittel. Organische Zwischenprodukte sind das mit Abstand bedeutendste Segment innerhalb der deutschen Basischemie. Auf diese Sparte entfallen rund 45 Prozent der Basischemieproduktion. Basischemikalien werden in einem engen Produktionsverbund, der sich oftmals über mehrere Unternehmen erstreckt, hergestellt. Daher pro­fitiert die Basischemie besonders von den Chemieparks und der Einbindung in Verbundunternehmen sowie von der räum­lichen Nähe zu anderen Chemieunternehmen bzw. Chemie­betrieben. Die aus der Verbundproduktion resultierende hohe Ressourceneffizienz ist die zentrale Stärke der deut­schen Basischemie.

Im Gegensatz zur Spezialchemie ist in der Basischemie das Wachstumspotenzial in Deutschland bis 2030 aber gering. Das liegt vor allem an den im internationalen Vergleich hohen

Energie­ und Rohstoffkosten. Gas und Industriestrom sind in Nordamerika und im Nahen Osten erheblich günstiger als in Europa. Dieser Produktionskostenvorteil hat in den rohstoff­reichen Ländern nicht nur in der Öl­ und Gaswirtschaft einen Investitionsboom ausgelöst, sondern auch zu einem kräfti­gen Ausbau der Produktionskapazitäten für energieintensive Basis chemikalien geführt. Die dortige Produktion übersteigt die Inlandsnachfrage und drängt auf die Weltmärkte. Für die deutsche Basischemie bedeutet das eine geringere Export­dynamik, zunehmenden Importdruck und insgesamt niedrige­res Wachstum.

Eine ambitionierte Energie­ und Klimapolitik, die versucht, durch die Verteuerung von Energie die Industrie zu Effizienzsteigerungen zu zwingen, verschärft das Problem für die deutsche und europäische Basischemie. Um diesen Nachteil auszugleichen, sehen viele energiepolitische Instru­ mente Ausnahmen für die im internationalen Wettbewerb stehende energieintensive Industrie vor. Dadurch ist es in der Vergang enheit gelungen, eine Schrumpfung der Basischemie in Deutschland zu verhindern. Für die Prognose haben wir un­terstellt, dass diese Industriepolitik auch in Zukunft Bestand haben wird. Daher kommt es auch bis 2030 nicht zu einer Ab­wanderung der Basischemie.

Im Jahr 2013 hatten die Basischemikalien insgesamt ein Produktionsvolumen von 64 Milliarden Euro. Gegen Ende des Prognosezeitraums wird sich das Produktionsvolumen um 6 Prozent auf 68 Milliarden Euro erhöht haben. Dies entspricht einem durchschnittlichen jährlichen Zuwachs von 0,3 Prozent. Damit wächst die Basischemie nicht nur deutlich langsamer als die deutsche Chemie insgesamt, sondern auch deutlich verhaltener als die globale Basischemie.

Im internationalen Vergleich sind hohe Rohstoff­ und Energiekosten dafür verantwortlich, dass die deutsche Ba­sischemie kaum von der weltwirtschaftlichen Dynamik pro­fitieren kann. Wegen der zunehmenden Konkurrenz aus rohstoffreichen Ländern wächst das Exportgeschäft kaum. Bis zum Jahr 2030 steigen die deutschen Basischemieexporte lediglich um 0,3 Prozent pro Jahr. Gleichzeitig nimmt der Im­portdruck zu. Die deutschen Basischemieimporte steigen bis 2030 um jährlich 1,6 Prozent auf fast 41 Milliarden Euro. Die Folgen dieser gegenläufigen Entwicklung lassen sich in der Außenhandelsbilanz ablesen. Aus dem deutschen Außenhan­delsüberschuss mit Basischemikalien in Höhe von 7 Milliarden Euro wird bis 2030 ein Defizit von 300 Millionen Euro.

Der künftige Bedarf an Basischemikalien in Deutschland folgt dem erwarteten Wachstum der hier ansässigen Abneh­ merbranchen. Und das ist im internationalen Vergleich gering. Die inländische Nachfrage nach Basischemikalien wird bis 2030 nur um 1,1 Prozent pro Jahr zulegen. In den europä­ischen Nachbarländern ist die Dynamik kaum höher. Die deutsche Basischemie wird hauptsächlich für den deutschen und europäischen Chemieverbund produzieren.

Die Basischemie in Deutschland spielt für weiterver­arbeitende Chemie­ und Industriezweige aber eine große Rolle. Sie versorgt eine große Bandbreite an Branchen mit den für ihre Produktion notwendigen Grundstoffen – und zwar in räumlicher Nähe zur Weiterverarbeitung. Eine Sub­stitution der Basischemieproduktion in Deutschland oder Europa durch außereuropäische Importe ist zum heutigen Zeitpunkt nur schwer vorstellbar. Denn die entscheidenden

ABB. 24: HOHER IMPORTDRUCK IN DER BASISCHEMIEHandel mit Basischemikalien aus Deutschland in Mrd. Euro, CAGR 2013–2030

7,3

31,0

38,3

-0,3

40,640,3

+1,6%+0,3%

AH-SaldoImporteExporte

2030

2013

Die Basischemie in Deutschland gerät zunehmend unter Druck. Die Importe nehmen zu, während die Exporte stagnieren. Der Außenhandelssaldo kehrt sich ins Negative. Die deutsche Basischemie produziert überwiegend für den lokalen Markt.

31

Wachstumschancen für die deutsche Chemie

Wertschöpfungsschritte in der Basischemie erfolgen in inte­grierter Produktion. Dies hängt auch damit zusammen, dass viele Produkte der Basischemie (Ammoniak, Olefine) gasför­mig sind und sich damit schwer oder nur teuer transportie­ren lassen. Einzelne Produktionsstufen und Prozesse lassen sich nicht aus dem Produktionsverbund herauslösen, ohne der gesamten Chemie zu schaden. Das lässt sich am Beispiel Polyvinylchlorid (PVC) verdeutlichen.

PVC ist ein Standardpolymer, das u.a. durch seine Ver­wendung in Fußbodenbelägen oder Fensterprofilen bekannt ist. Für die Produktion benötigt man Ethylen und Chlor. Ethylen ist eine Petrochemikalie, die im Steamcracker herge­stellt wird. Chlor ist ein anorganischer Grundstoff, der elek ­ t rolytisch aus Kochsalz hergestellt wird. Beide Komponenten sind hochreaktiv und gasförmig. Sie lassen sich daher nur schlecht über große Strecken transportieren. Aus Chlor und Ethylen entsteht zunächst Vinylchlorid, ein organisches Zwi­schenprodukt, welches anschließend polymerisiert wird. Um PVC zu verwenden, werden weitere Spezialchemikalien benötigt, z.B. Stabilisatoren oder Farbpigmente. Wenn nun der Strompreis so hoch ist, dass sich die Chlorproduktion nicht mehr lohnt, wird mit großer Wahrscheinlichkeit auch kein PVC mehr hergestellt werden. Das beeinträchtigt auch die Geschäfte der Hersteller von Stabilisatoren oder Farb­pigmenten. Wahrscheinlich würden sogar PVC­Bodenbe­läge nicht mehr im Inland hergestellt, sondern importiert. Die Wertschöpfungskette erstreckt sich damit bis in die Kunden­branchen hinein.

Im Gegensatz dazu sind sowohl der Rohstoff Öl (Naphtha) als auch viele Endprodukte der chemischen Industrie (Flüs­sigkeiten bzw. Polymergranulate) leicht und kostengünstig zu transportieren. Da in Zukunft eher mit steigenden Transport­kosten zu rechnen ist, dürften sich die Clusterungstendenzen sowohl im Markt als auch am Bohrloch verstärken.

Es ist darüber hinaus eine Besonderheit der Chemiepro­duktion, dass Produkte der Spezialchemie nicht „neben“ den in großen Mengen hergestellten Basischemikalien produziert werden, sondern bei der Herstellung untrennbar mit ihnen verbunden sind, da sie aus ihnen hervorgehen. Es gibt also keinen Gegensatz zwischen innovativen Spezialitäten einer­seits und seit Jahrzehnten weitgehend unveränderten Stan­dardprodukten andererseits – vielmehr erhöht der Trend in Richtung höherwertiger Produkte/Stoffe auch den Bedarf an Basischemikalien und ermöglicht überdies eine ausreichende Auslastung der Produktionsanlagen.

Chemieindustrie bleibt ein attraktiver Arbeitgeber

Mit 463.400 Arbeitnehmern in 2013 ist die chemische Industrie einer der größten und attraktivsten Arbeitgeber in Deutschland. Die Branche stellt gut bezahlte und zukunfts­sichere Arbeitsplätze mit guten Arbeitsbedingungen zur Ver­fügung.

Im Vergleich zu anderen Industriebranchen zahlt die Che­mieindustrie überdurchschnittlich hohe Entgelte. Das Ent­geltniveau der Branche liegt knapp 25 Prozent über dem Industriedurchschnitt. Besonders Fachkräfte aus dem natur­wissenschaftlich­technischen Bereich sind das Kapital der Branche. Die Fachkräftesicherung hat für die Chemie tradi­tionell einen hohen Stellenwert. Daher wird systematisch in

die Aus­ und Weiterbildung des Nachwuchses investiert. So sichert und erhöht die Chemie fortwährend die Qualifikati­onsstandards ihrer Arbeitsplätze. Dies beinhaltet auch die finanzielle Unterstützung der naturwissenschaftlichen Bildung, die bereits seit den 1950er Jahren vom Fonds der Chemi­schen Industrie an Schulen und Hochschulen gefördert wird.

Zudem bilden die Unternehmen ihre zukünftigen Fach­kräfte selbst aus. Insgesamt werden rund 20.000 junge Menschen in der Chemie­ und Pharmaindustrie ausgebildet. Bei einer dreijährigen Ausbildungsdauer sind dies rund 6.500 neue Auszubildende pro Jahr. Die im 2014 neu gefassten Tarifvertrag „Zukunft durch Ausbildung und Berufseinstieg“ zwischen dem BAVC9 und der IG BCE10 vereinbarte hohe Anzahl der Ausbildungsstellen wurde in den vergangenen Jahren regelmäßig überschritten. Nach erfolgreichem Ausbil­dungsabschluss werden über 90 Prozent der Ausgebildeten übernommen. Damit bietet die Branche auch nach der dualen Ausbildung ihren Absolventen und Absolventinnen sehr gute Beschäftigungsperspektiven.

Insgesamt sind in den vergangenen 25 Jahren die Be­ legschaftszahlen jedoch auch in der chemischen Industrie rückläufig gewesen. Anfang der 1990er Jahre erfolgte ein Arbeitsplatzabbau zum einen aufgrund von Werksschlie­ßungen in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung. Ein anderer Grund waren Auslagerungen von beschäftigungsin­tensiven Bereichen aus den Kernunternehmen (Outsourcing von Kantinen, Entsorgung, Reinigung, Logistik, IT­Dienst­leistungen etc.), die damit statistisch nun anderen Branchen zugerechnet werden. Der rückläufige Trend bei der Beschäf­tigung konnte im Anschluss seit 2000 tendenziell gestoppt werden. Im Jahr 2009 war noch einmal krisenbedingt ein Be­schäftigungsrückgang zu verzeichnen, der in der Chemie aber schwächer ausfiel als im Industriedurchschnitt. Durch den Be­schäftigungsaufbau in den folgenden Jahren konnte dieser Rückgang vollständig ausgeglichen werden. Der Beschäfti­gungsstand ist heute höher als vor der Krise. Seit 2009 hat die Branche trotz wirtschaftlicher Flaute über 30.000 neue Stellen geschaffen, um u. a. einem drohenden Fachkräftemangel vor­zubeugen.

Dieser Beschäftigungsaufbau wird sich im Prognosezeit­raum nicht fortsetzen. Durch den technologischen Fortschritt und effizientere Strukturen, die vereinzelte Auslagerung von weiteren Unternehmensteilen, aber auch das Fortschreiten der digitalen Vernetzung wird die Zahl der Arbeitskräfte in der Branche bis 2030 um durchschnittlich 0,8 Prozent jährlich moderat zurückgehen. Mit knapp 401.000 Beschäftigten gehört die Chemieindustrie aber immer noch zu den wichti­gen Arbeitgebern in Deutschland.

Differenziert nach Basis­ und Spezialchemikalien sowie Pharmazeutika zeigt sich, dass der Beschäftigungsabbau nicht gleichmäßig auf die drei Bereiche verteilt ist. Der größte Teil des Arbeitsplatzrückgangs entfällt auf die Basischemie. Dies kann in erster Linie dem schwachen Wachstum zugeschrieben werden. Wettbewerbsnachteile bei den Energie­ und Roh­stoffkosten dämpfen das Wachstumspotenzial der Basische­mie. Die Produktion kann daher bis 2030 kaum ausgeweitet werden. Durch Stilllegungen einzelner Produktionsanlagen,

9 Bundesarbeitgeberverband Chemie e. V. (BAVC). 10 Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE).

32

Wachstumschancen für die deutsche Chemie

das „Up­Scaling“ von Bestandsanlagen sowie technologi­schen Fortschritt steigt zudem die Produktivität in dieser Sparte. Auch in der Spezialchemie und in der Pharmaindus­trie steigt die Produktivität bis 2030. Hier machen sich u. a. auch die Digitalisierung und Vernetzung bemerkbar. Zudem setzt sich die Auslagerung betrieblicher Prozesse in Dienst­leistungsunternehmen fort. Da diese beiden Sparten aber im Prognosezeitraum ein kräftiges Produktionsplus verzeichnen können, sinken die Belegschaftszahlen hier kaum.

Künftig werden auf eine offene Stelle in der Chemie weniger qualifizierte Bewerber kommen. Davon sind weniger die großen Chemieunternehmen in der Nähe der Ballungs­zentren betroffen als vielmehr der Mittelstand in der Fläche. Fachkräfteengpässe drohen zudem weniger bei den Hoch­schulabsolventen. Zwar steigt wegen der zunehmenden Spezialisierung der Branche und der damit verbundenen Erhöhung der Forschungsintensität der Bedarf an Akademi­kern in der Chemie. Da die Studienanfängerzahlen gerade in den naturwissenschaftlichen Fächern aber vielversprechend sind, wird es in der Chemie voraussichtlich nicht zu einem um­fangreichen Mangel an Chemikern und anderen Naturwis­senschaftlern kommen. Anders sieht es allerdings bei den Ingenieuren aus. Dort ist ein Engpass wahrscheinlich.

Die deutsche Chemie benötigt zukünftig vermehrt nicht­akademische Nachwuchsfachkräfte. Hierzu zählen insbeson­dere Produktionsberufe (z. B. Chemikant) sowie Berufe im gewerblich­technischen Bereich (z. B. Industrie­ und Anlagen­mechaniker, Elektroniker, Mechatroniker). Derzeit beginnen jährlich rund 6.500 junge Menschen ihre betriebliche Ausbil­dung in der deutschen Chemie. Dabei benötigt die Chemie gut ausgebildete Auszubildende. Allerdings stellen die Un­ternehmen heute fest, dass bei vielen Bewerbern die Qualifi­kation nicht ausreicht. Den Prognosen haben wir unterstellt, dass das deutsche Schulsystem die Bewerber zukünftig aus­reichend qualifiziert. Dies gilt insbesondere für die sogenann­ten MINT­Fächer, die für die Industrie besonders wichtig sind.

Deutsche Chemie wird immer effizienterDie Chemie ist energieintensiv. Viele chemische Prozesse

benötigen hohe Temperaturen. Beispielsweise findet das so­genannte „Steamcracken“, ein Prozess am Anfang vieler che­mischer Wertschöpfungsketten, bei Temperaturen von bis zu 800 Grad Celsius statt. In diesen Anlagen werden aus Roh­benzin wichtige Primärchemikalien wie Ethylen, Propylen oder Benzol hergestellt. Chemische Prozesse benötigen auch Strom. Elektrolytische Verfahren wie beispielsweise die Chlor­Alkali­Elektrolyse, bei der Kochsalz mit Hilfe von Strom zu Chlor und Natronlauge umgewandelt wird, erfordern große Strommengen. Die Energie ist hier integraler Bestandteil der Produktion und der Bedarf chemisch­physikalisch determi­niert. Oftmals sind die Produkte dieser chemischen Verfah­ren energiereicher als die eingesetzten Ausgangsstoffe. Viele Chemikalien speichern einen erheblichen Teil der ihnen bei der Synthese zugeführten Energie.

Die Chemie braucht darüber hinaus Energie als Betriebs­mittel für die Beleuchtung, den Betrieb von elektrischen Anlagen und Sicherheitssystemen, zum Kühlen, zum Heizen etc. In der Basischemie sind diese Energiekosten anteilsmäßig deutlich geringer als die Kosten für Energie, die direkt in che­mischen Prozessen verwendet werden. Anders in der Spezial­chemie und in der Pharmaindustrie. Hier fallen hauptsächlich Energiekosten für den Betrieb der Produktionsanlagen an. Bei den chemischen Verfahren selbst ist die benötigte Energie vergleichsweise fix.

Der Verbrauch von Energie ist mit hohen Kosten verbun­den. In den 10 Jahren vor 2013 stieg der Anteil der Energie­kosten an der Bruttowertschöpfung von rund 11 Prozent auf nahezu 15 Prozent. Geschuldet ist dies den steigenden Ener­giepreisen. Diese belegen im internationalen Vergleich eine Spitzenposition. Industriestrom ist in Deutschland rund 50 Prozent und Gas rund 200 Prozent teurer als in den Ver­einigten Staaten. Die deutsche Chemie kann derart große Nachteile bei den Energiekosten durch effizientere Produk­tionsverfahren nur zum Teil ausgleichen. Daher liegen die

ABB. 26: KEINE EFFIZIENZSPRÜNGE Energieverbrauch der deutschen Chemieindustrie seit 1990, Index 1990 = 100, CAGR 2013–2030

0

40

80

120

160

200

1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030

absoluter Energieverbrauchspezifischer Energieverbrauch

Produktionswert (real)

–0,1%

–1,5%

+1,5%

Grundlegende Änderungen der Energie- und Klimapolitik zeichnen sich nicht ab. Die daraus resultierende schwache Investitionsdyna-mik hemmt die Realisierung von Effizienzsprüngen. Quellen: Statistisches Bundesamt; VCI

ABB. 25: ENERGIEEFFIZIENZ STEIGT WEITEREnergieverbrauch der chemischen Industrie nach Sparten, Anteile in Prozent

67,5%

28,8%

66,9%

3,8%

20302013

4,2%

28,7%

Spezialchemie

Pharma

Basischemie -0,1%

Effizienzgewinne lassen sich vor allem in der Spezialchemie realisieren. Trotz Produktionswachstum steigt der Energiever-brauch in dieser Sparte nicht. In der Basischemie lassen sich hingegen kaum Effizienzpotenziale heben.

33

Wachstumschancen für die deutsche Chemie

Energiestückkosten der deutschen Chemie­ und Pharma in­dustrie rund 30 Prozent über denen der US­Konkurrenz. Die Auswirkungen lassen sich in der Investitionsstatistik ablesen. Während die Branche in den USA derzeit einen Investitions­boom erlebt, stagnieren hierzulande seit mehr als 20 Jahren die Investitionen in Chemieanlagen. Stattdessen investieren deutsche Chemieunternehmen lieber im Ausland.

Die hohe Energieeffizienz der deutschen Chemie hat viele Gründe. Ein wichtiger Baustein ist das Verbundsystem. Das Konzept der Chemieparks bzw. der Verbundunterneh­men – eine deutsche Erfindung – steigert die Effizienz der Produktion. Der Standortbetreiber kümmert sich um zentrale Umweltschutzeinrichtungen und die komplette Infrastruk­tur für die ansässigen Unternehmen bzw. Betriebe. Dies er­möglicht einen Verbund der Produktionsanlagen mit hoher Effizienz für Energie, Roh­ und Reststoffe. Zur Ressourcenef­fizienz und zur Klimaschonung trägt zudem die Stromeigen­erzeugung durch Kraft­Wärme­Kopplung bei. So wird auch eine optimale Versorgung der Industriestandorte nach ihren Wärme­ und Strombedürfnissen sichergestellt.

Trotz hoher Effizienz sind und bleiben hohe Energiekos­ten eine Bedrohung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Chemie. Davon ist nicht nur die energieintensive Basischemie betroffen. Weit über 50 Prozent der produzierten Güter liefert die Chemie im Inland an Unternehmen ihrer eigenen Branche. So wirken sich Energiepreise über die Wertschöpfungskette hindurch auch auf Unternehmen in der Spezialchemie oder der pharmazeutischen Industrie aus. Neben den Energie­kosten für den Betrieb ihrer Produktionsanlagen verteuern hohe Strom­ und Gaspreise die eingesetzten Vorprodukte aus der Basischemie. Zudem verschlechtern hohe Energie­kosten die Wettbewerbsbedingungen wichtiger heimischer Kundenindustrien und verringern zusätzlich die Kaufkraft der Endverbraucher. Die Absatzmöglichkeiten auf dem Heimat­markt werden dadurch für alle Chemie­ und Pharmaunter­nehmen beschränkt.

Insgesamt benötigt die deutsche Chemieindustrie der­ zeit jährlich rund 53,5 Terrawattstunden Strom, 80,4 Terra­wattstunden Gas und 63,4 Terrawattstunden andere Energie­träger wie Kohle und Mineralölprodukte. Bis 2030 werden Gas und Strom die wichtigsten Energieträger bleiben. Die regio­nalen Preisunterschiede werden daher auch zukünftig einen großen Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit der jeweiligen Chemienation haben.

Beim Gas wird die Preisschere etwas zugehen – Deutsch­land bleibt aber am oberen Rand. Auch der Strom wird in Deutschland teuer bleiben. Erneuerbare Energien wie Windkrafterzeugung und die Solarenergie drücken an den Strombörsen zwar tendenziell die Preise, weil die zusätz­lich erzeugte Kilowattstunde nichts kostet. Trotzdem wird der Strompreis steigen. Preisrisiken entstehen vor allem durch den teuren Ausbau der Stromnetze, der auf die Preise umgelegt wird, und für das Überführen von Braunkohlekraft­werken in die Kraftwerksreserve. Die Chemie in Deutschland wird somit – selbst unter der Annahme, dass die Entlastungs­regelungen beim EEG, der Stromsteuer und dem Emissi­onshandel für die energieintensive Industrie in Deutschland erhalten bleiben – mit Energiepreisen über dem internatio­nalen Durchschnitt zu rechnen haben.

Die Kosten werden steigen, obwohl der Energieverbrauch der Chemie bis zum Jahr 2030 nicht mehr wachsen wird. Damit setzt sich eine Entwicklung fort, die etwa 1993/1994 begann. Seitdem – abgesehen von leichten Schwankungen – stagniert der absolute Energieverbrauch der Branche. Vor allem das schwache Produktionswachstum der Basischemie führt zukünftig zu dem stagnierenden Energieverbrauch. Die Energieeffizienz, d.h. das Verhältnis von Produktion zu Ener­gieverbrauch, verbessert sich in der Basischemie nur leicht. Große Effizienzverbesserungen sind auch nicht zu erwarten. Ein Großteil des Energieverbrauchs ist in diesen Chemie­sparten nicht variabel. Brauchen chemische Verfahren bei­spielsweise bestimmte Temperaturen, wird auch technischer Fortschritt dies nicht ändern können. Die dafür notwendige Energie wird die Basischemie immer benötigen.

In der Spezialchemie ist zukünftig hingegen eine Ver­besserung der Energieeffizienz mit 1,8 Prozent pro Jahr zu beobachten. Anders als in der Basischemie brauchen die chemischen Prozesse dieser Sparte eine weniger große fixe Menge an Energie. Anteilig ist die Summe der Energiekos­ten, die durch Heizen, Kühlen etc. anfällt, deutlich größer. Hier sind noch Effizienzpotenziale zu heben. Das führt dazu, dass der absolute Energieverbrauch ebenfalls nicht weiter wächst, und dies, obwohl die Produktion in der Spezialchemie deutlich dynamischer wächst als in der Basischemie. Trotz der zunehmenden Fokussierung der Branche auf die Spezialche­mie im Prognosezeitraum wird 2030 immer noch weniger als ein Drittel der Energie in der Spezialchemie verbraucht.

Für den Prognosezeitraum ist nicht mit einem Richtungs­wechsel in der deutschen oder europäischen Energiepolitik zu rechnen. Die Politik wird weiterhin auf eine Verteuerung von Energie setzen, um damit Anreize zur Steigerung der Energieeffizienz zu geben. Durch ehrgeizige Zielvorgaben wird der Druck auf die Energiekosten sogar noch zunehmen. Das hat zwei Effekte. Zum einem werden die Chemieun­ternehmen ihre Anstrengungen weiter intensivieren, ihre bestehenden Anlagen zu optimieren, denn die Ausnahme­regelungen betreffen nur einen kleinen Teil der Unternehmen. Das führt zu einer beständigen, aber nur moderaten Steige­rung der Energieeffizienz. Auf der anderen Seite führt diese Energiepolitik zu einer Verschlechterung der Standortbedin­gungen in Deutschland. Für die Chemie wird Deutschland als Produktionsstandort weniger attraktiv, so dass Investitionen verstärkt im Ausland getätigt werden.

Die daraus erwachsende schwache Investitionsdynamik im Inland – vor allem in der Basischemie – wirkt sich hemmend auf die Entwicklung der Energieeffizienz aus. Wirkliche Ver­besserungen der Energieeffizienz sind nur mit Neuanlagen zu realisieren. Dies zeigt ein Blick zurück: Die letzten sprung­haften Effizienzsteigerungen sah man in Deutschland in den Jahren 1990 bis 1993/94. Damals wurden die Chemieanla­gen in den Gebieten der ehemaligen DDR durch Anlagen der neusten Technologie ersetzt. Gegenwärtig kann man Vergleichbares in den USA beobachten. Der Schiefergas­Boom und eine Politik der Investitionsanreize führen zum Bau moderner Anlagen. Die niedrigen Energiekosten in den USA lassen klimafreundliche, energieeffiziente und wettbewerbs­fähige Großanlagen entstehen.

34

Wachstumschancen für die deutsche Chemie

Diversifizierung der Rohstoffbasis wird vor-angetrieben

Als Grundstoffindustrie ist die Chemie auch rohstoffinten­siv. Unter dem Begriff „Rohstoff“ werden im Rahmen dieser Studie nur die Stoffe zusammengefasst, die die Chemie von anderen Wirtschaftszweigen bezieht. Chemikalien, die in der Chemie weiterverarbeitet werden, zählen nicht dazu. Da Deutschland kaum über eigene Rohstoffquellen verfügt, müssen Rohstoffe überwiegend zu Weltmarktpreisen impor­tiert werden. Die für die Branche wesentlichen Rohstoffe sind im Prognosezeitraum ausreichend vorhanden. Daher ist auch in Importländern wie Deutschland die Rohstoffversorgung gesichert. Allerdings werden die Rohstoffpreise in Zukunft wieder steigen.

Man unterscheidet in der Chemie drei Rohstoffgruppen: mineralische, fossile und nachwachsende Rohstoffe. Minerali­sche Rohstoffe finden hauptsächlich in der Chemiesparte An­organika Verwendung. Wichtige mineralische Rohstoffe sind beispielsweise Kaliumsalze und Phosphate, die für die Dün­gemittelproduktion eingesetzt werden, oder Natriumchlorid (Kochsalz), aus dem die Branche die wichtigen anorganischen Grundstoffe Chlor und Natronlauge herstellt.

Fossile Rohstoffe eröffnen nach entsprechender Um­wandlung in chemische Grundbausteine eine Vielzahl von Synthesemöglichkeiten. Das Erdölderivat Naphtha ist der wichtigste fossile Rohstoff der Branche. Kohle, Schweröle oder Erdgas werden in Deutschland derzeit nur in geringem Maße eingesetzt. Fossile Rohstoffe werden hauptsächlich in der Petrochemie benötigt. Die daraus gewonnenen Grund­bausteine werden anschließend zu organischen Zwischenpro­dukten oder zu Polymeren weiterverarbeitet.

Nachwachsende Rohstoffe werden aus pflanzlicher oder tierischer Biomasse gewonnen. Dies sind hauptsäch­lich Stärke, Cellulose, Zucker, Öle und Fette sowie pharma­zeutische Wirkstoffe. Nachwachsende Rohstoffe sind in der chemischen Industrie seit langem etabliert. Sie werden in

der Herstellung von Kunststoffen, Fasern, Waschmitteln, Kosmetika, Farben und Lacken, Druckfarben, Klebstoffen, Baustoffen, Hydraulikölen und Schmiermitteln bis hin zu Arz­neimitteln eingesetzt. Damit liegt ihr Einsatzgebiet haupt­sächlich im Bereich der Spezialchemie.

Rohstoffe sind in der Chemie grundsätzlich austausch­bar. Die Höhe des Verbrauchs ist hingegen nur minimal be­einflussbar. Man kann die chemische Produktion nicht von der Rohstoffbasis entkoppeln. So wird die Diversifizierung der Rohstoffbasis zum zentralen Element der Rohstoffstrategie der chemischen Industrie. Dieser Trend wird auch nicht durch weniger stark steigende Ölpreise gebremst.

Über Effizienzgewinne lassen sich kaum noch Kostenein­sparungen realisieren. Aus wirtschaftlichen Gründen verarbei­ten die Unternehmen ihre Rohstoffe längst hocheffizient: Seit Jahrzehnten haben die Unternehmen ihre Prozesse optimiert und – wo möglich – in Verbundstrukturen integriert. Abfälle werden so weit wie möglich vermieden oder verwertet. Hier lassen sich wenige bis keine Synergieeffekte mehr heben.

Und doch gelingt es der Chemie bis zum Jahr 2030, ihren Ressourceneinsatz total um fast 0,7 Millionen Tonnen zu senken. Allerdings ist diese Reduktion nur zu einem kleinen Teil auf eine rohstoffeffizientere Produktion zurückzuführen. Vielmehr liegt es an der schwächeren Wachstumsdynamik der Basischemie, die deutlich mehr Rohstoffe benötigt als die Spezialchemie. In der Spezialchemie fallen heute nur etwa 7,5 Prozent aller Rohstoffe an. Natürlich brauchen auch Unter­nehmen in dieser Sparte Produktionsinput. Die Spezialchemie greift für ihre Produktion zum Großteil auf Vorprodukte, also auf Chemikalien aus der Basischemie, zurück. Diese Chemi­kalien werden nicht als Rohstoff erfasst. Über die Wertschöp­fungskette gelangen die Rohstoffe aber natürlich indirekt auch in die Produkte der Spezialchemie.

Um die Rohstoffbasis zu verbreitern, bieten sich in der organischen Chemie nachwachsende Rohstoffe an. Diese werden heute schon dort eingesetzt, wo dies technische und wirtschaftliche Vorteile bringt. Daher basieren gegenwär­tig rund 13 Prozent der Rohstoffbasis auf nachwachsenden Rohstoffen. Die Chemie wird diesen Anteil auf 18,5 Prozent steigern können. Ein Großteil dieser Rohstoffe wird in der Spe zial chemie verwendet werden.

Zur Erschließung neuer Anwendungsfelder nachwachsen­der Rohstoffe wird die Chemie erhebliche Anstrengungen in Forschung und Entwicklung unternehmen müssen. Bei neu­artigen Anwendungen und Produkten müssen nicht nur neue Märkte erschlossen, sondern im Zusammenspiel mit verschie­denen Akteuren ganz neue Wertschöpfungsketten aufgebaut werden. In der Vergangenheit wurden diese Herausforder un­gen häufig unterschätzt, was dazu führte, dass sich die Ent­wicklung in vielen Bereichen nicht so dynamisch gezeigt hat wie erhofft.

Allerdings wird die organische Chemie in der Breite weiter auf fossiler Basis produziert. In der Basischemie erscheint eine signifikante Substitution der fossilen Rohstoffe durch nachwachsende Rohstoffe zum jetzigen Zeitpunkt als nicht wahrscheinlich. Die Verfügbarkeit und der Preis von nach­wachsenden Rohstoffen werden hier zum limitierenden Faktor. 2030 werden immer noch 81,5 Prozent der organi­schen Chemie aus fossilen Rohstoffen produziert.

ABB. 27: MEHR NACHWACHSENDE ROHSTOFFERessourcenverbrauch in der organischen Chemie in Millionen Tonnen, Anteile in Prozent

2030

81,5%

20,1

18,5%13,0%

87,0%

2013

19,4

RohstoffeFossile Rohstoffe

Nachwachsende

Der Anteil nachwachsender Rohstoffe nimmt bis 2030 zu. Hierfür sind erhebliche Forschungsanstrengungen nötig. In der Basischemie wird der Einsatz durch die Verfügbarkeit und den Preis limitiert.

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Wachstumschancen für die deutsche Chemie

Damit bleibt für die Basischemie die Preisrelation zwischen Erdöl und Erdgas ein zentrales Element beim Thema wett­bewerbsfähige Rohstoffpreise. Denn während die organi­sche Chemie in Deutschland ölbasiert ist – momentan bauen nur 11 Prozent der organischen Chemie auf Erdgas auf –, ist die Produktion beispielsweise in den USA vor allem gasba­siert. Der abgeschwächte Preisanstieg des Erdöls wirkt sich in Zukunft zwar positiv auf die Wettbewerbsfähigkeit der Basis­chemie in Deutschland aus. Für das Gas in den USA wird aber ebenfalls mit nur einer moderaten Preissteigerung gerechnet. Hinzu kommt eine zunehmende Volatilität beider Preise. Die deutsche Chemie wird ihre fossile Basis weiter diversifizieren, um die Schwankungen der Preisrelationen besser abfangen zu können. Da der vermehrte Einsatz von Kohle unter Umwelt­gesichtspunkten weder von der Öffentlichkeit noch von der Chemieindustrie gewünscht ist, wird bis zum Jahr 2030 die Bedeutung von Erdgas zunehmen.

Forschungsetats werden erhöhtDie Chemieindustrie zählt zu den besonders innovations­

starken Branchen der deutschen Wirtschaft. Im Fahrzeug­bau und in der Elektroindustrie wird zwar mehr in Forschung und Entwicklung investiert. Aber von keiner anderen Branche gehen so viele Innovationsimpulse aus wie von der Chemie. Die Ideen und das Anwendungs­Know­how der Chemieunter­nehmen sind in den nachgelagerten Wertschöpfungsketten oftmals der Ausgangspunkt für weitere Innovationen. Damit sind die Innovationen der Branche oft ein Garant für den Erfolg der weiterverarbeitenden Industrien.

Die Branche gab 2013 rund 9,5 Milliarden Euro für For­schung und Entwicklung aus (real in Preisen von 2010). Rund 60 Prozent der Ausgaben werden von den Pharmaproduzen­ten getätigt. Fast 26 Prozent entfallen auf die Spezialchemie und 14 Prozent auf die Basischemie. Die Forschungsintensi­tät, also der Anteil der Forschungs­ und Entwicklungsausga­ben am Produktionswert, liegt in der Branche bei knapp 5 Prozent. Besonders forschungsintensiv mit über 11 Prozent ist die Pharmasparte. In den übrigen Chemiesparten liegt die Forschungsintensität derzeit bei 2,7 Prozent – wobei die For­schungsintensität in der Spezialchemie stärker ausgeprägt ist als in der Basischemie. In der Basischemie konzentrieren sich die Forschungsbemühungen auf Prozessinnovationen.

Differenziert nach einzelnen Chemiesparten zeigt sich eine besonders hohe Forschungsintensität bei den Schäd­lingsbekämpfungs­ und Pflanzenschutzmitteln, gefolgt mit einigem Abstand von den Konsumchemikalien sowie den anderen Spezialitäten. Während in der Pharmaindustrie bei den Forschungsintensitäten in den vergangenen 10 Jahren ein leichter Rückgang zu beobachten war, blieb die Intensität in der Chemie nahezu konstant.

Im internationalen Vergleich ist Deutschland der viert­größte Forschungsstandort für Chemie­ und Pharmaprodukte – nach den USA, China und Japan. Bezüglich der Forschungs­intensität bewegt sich die Branche im internationalen Vergleich im vorderen Mittelfeld. Die Chemie (ohne Pharma) belegt im internationalen Vergleich sogar einen Spitzenplatz. Mit ihren FuE­Ausgaben, ihrer Innovationskraft und den im Länderver­gleich guten Standortbedingungen für Innovationen hat die deutsche Chemie­ und Pharmaindustrie eine gute Ausgangs­position für die zukünftigen Herausforderungen.

Der Wettbewerbsdruck auf den Forschungsstandort Deutschland wird sich erhöhen. Der internationale Innovati­onswettlauf verschärft sich. Konkurrenz kommt dabei nicht nur aus den Industrieländern, sondern auch die Schwellen­länder investieren massiv in Forschung und Entwicklung. In einigen Kundenbranchen verlagern sich die Produktions­ und Forschungszentren nach Asien. Die Chemieforschung folgt bereits in Teilen dieser Entwicklung. In Deutschland behin­dern darüber hinaus noch Regulierungen wie beispielsweise aufwändige Zulassungsverfahren und die REACH­Anforde­rungen den Innovationsprozess in der Chemieindustrie, wie

ABB. 29: FORSCHUNGSINTENSITÄT STEIGT LEICHTForschungsintensität der deutschen Chemieindustrie, Forschungsausgaben in Prozent des Produktionswertes

Chemie ohne Pharma

2,7%2,7%

Gesamt

5,4%5,0%

Pharma

11,2%11,2%

Spezialchemie

3,2%3,2%

Basischemie

1,9%2,1%

2030

2013

Dank der verstärkten FuE-Anstrengungen können die FuE-Intensitäten in den Sparten konstant gehalten werden. Aufgrund des höheren Pharmagewichts in 2030 steigt für die Branche insgesamt die FuE-Intensität.

ABB. 28: FORSCHUNGSETATS WERDEN AUFGESTOCKT Reale Forschungsausgaben der deutschen Chemieindustrie (interne und externe Ausgaben) in Mrd. Euro, CAGR 2013–2030

+2,0%

24,4%

2013

65,6%

10,0%

2030

13,2

9,5

60,4%

25,5%

14,0%

Basischemie

Spezialchemie

Pharma

Die Chemieindustrie wird ihre Innovationsorientierung weiter ausbauen. Die Forschungsetats steigen in der Spezialchemie und in der Pharmaindustrie aufgrund der guten Wachstums-perspektiven dieser Sparten kräftig.

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Wachstumschancen für die deutsche Chemie

eine aktuelle Studie11 belegt. Auch im Steuerrecht wären mehr Anreize nötig, um Innovationen zu fördern. Insbeson­dere fehlt Deutschland auch weiterhin eine steuerliche For­schungsförderung. Und der Kapitalmarkt ist für Start­ups nur unzureichend ausgebildet. Neben der Politik sind aber auch die Unternehmen gefragt. Laut oben genannter Studie werden auch die Unternehmen ihre Innovationsstrategien anpassen müssen, um interne Hemmnisse abzubauen. Insbe­sondere sind die Unternehmen aufgefordert, Freiräume für die Forscher zu schaffen, mehr Mut und Geduld aufzubrin­gen, Neues auszuprobieren – aber auch in der Vermarktung schneller, kundenorientierter und flexibler zu werden.

Angesichts der globalen Herausforderung eines stärker werdenden Wettbewerbs wird die deutsche Chemieindustrie den eingeschlagenen Weg der Innovationsorientierung bei­ behalten. Die Forschungsetats der deutschen Chemie werden bis 2030 um real 3,7 Milliarden Euro aufgestockt werden. Dies entspricht einem jährlichen Zuwachs von 2 Prozent. Dabei wird eine stärkere Fokussierung auf Spezialchemikalien und Pharmazeutika erfolgen – denn hier liegen die Wachstumspo­tenziale für die Branche. In der Basischemie bleiben die Auf­wendungen konstant. In nominalen Größen bedeutet dies einen Anstieg der FuE­Ausgaben der Branche um 3 Prozent pro Jahr von heute 10,5 Milliarden Euro auf 16,5 Milliarden Euro in 2030. Zudem werden die Unternehmen ihre Anstren­gungen erhöhen, die internen Hemmnisse im Bereich For­schung und Entwicklung abzubauen.

Im Prognosezeitraum werden die Forschungsaufwen­dungen in der Spezialchemie und bei den Pharmazeutika zwar steigen. Die Intensitäten in den Sparten bleiben aber bestenfalls konstant. Innovationshemmnisse im Inland, die moderaten Wachstumsaussichten in Europa ebenso wie die Wachstumsprognosen der außereuropäischen Länder bremsen höhere Investitionen in Forschung und Entwicklung am Standort Deutschland. In der Basischemie sind aufgrund der schwachen Produktionsperformance und der geringe­ren Innovationsorientierung die Intensitäten sogar rückläufig.

Diese Entwicklung unterstreicht und beschleunigt die Spezia­lisierung in der deutschen Chemie.

Die Forschungsintensität der gesamten Branche erhöht sich bis zum Ende des Prognosezeitraums im Jahr 2030 von 5,0 auf 5,4 Prozent. Grund hierfür ist der veränderte Produk­tionsmix in 2030 mit einem höheren Anteil der Pharmazeu­tika. Ohne die Pharmasparte bleibt die Intensität konstant bei 2,7 Prozent.

Durch die zusätzlichen Investitionen in FuE kann Deutsch­land seinen Spitzenplatz unter den führenden Chemiefor­schungsnationen in Zukunft halten – wenngleich die Anteile an den weltweiten FuE­Ausgaben weiter zurückgehen. Im Jahr 2013 wurden 6,7 Prozent der globalen internen FuE­Aus­gaben der Chemie­ und Pharmaindustrie von Deutschland erbracht. In 2030 sinkt der Anteil auf 6,4 Prozent. Damit bleibt Deutschland aber weiterhin der viertgrößte Forschungs­standort für Chemie­ und Pharmaprodukte.

Anteilsgewinner sind die Schwellenländer – insbesondere China setzt seinen eingeschlagenen Weg des FuE­Aufbaus fort. China hat bereits in den zurückliegenden Jahren Anteile an der globalen Chemieforschung gewonnen. Noch im Jahr 2000 lag der chinesische Anteil bei 1,6 Prozent. Heute sind es bereits 10 Prozent. 2030 werden es 15 Prozent sein. Dieser Anteilszuwachs geht hauptsächlich zu Lasten Japans. Europa und die USA müssen deutlich geringere Verluste hinnehmen. Die Vereinigten Staaten bauen ihre Technologieführerschaft in vielen Bereichen weiter aus. Insbesondere profitieren sie von der Digitalisierung. Europa verdankt seinen geringen An­teilsverlust den starken Pharmaausgaben. Betrachtet man nur die Chemie ohne Pharma, muss Europa stärkere Anteilsver­luste hinnehmen als die USA.

Die starke Dynamik im globalen Innovationswettbewerb macht deutlich, wie wichtig gute Rahmenbedingungen für den Forschungsstandort Deutschland sind. Innovationshemm­

ABB. 31: INVESTITIONSZURÜCKHALTUNG HÄLT ANReale Investitionen der deutschen Chemie- und Pharmaindustrie in Mrd. Euro

4

4,5

5

5,5

6

6,5

7

7,5

8

2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030

Investitionen historischInvestitionen PrognoseTrend der historischen InvestitionenTrend der Prognose

Der langfristige Trend bei den Investitionen in der Chemie-industrie ist rückläufig. Bis 2030 werden die Investitionen nicht ausgeweitet. Es fehlen Wachstumsimpulse und Planungssicher-heit durch verlässliche Rahmenbedingungen.

ABB. 30: CHINA UND ANDERE SCHWELLENLÄNDER WERDEN IMMER INNOVATIVERAnteile an der globalen Chemie-/Pharmaforschung in Prozent

0,0

5,0

10,0

15,0

20,0

25,0

30,0

35,0

40,0

45,0

50,0

2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030

ChinaEUDeutschlandUSAJapanRestliche Welt

Der Wettbewerbsdruck auf den Chemie-Forschungsstandort Deutschland wird sich erhöhen. Die Schwellenländer intensivie-ren ihre Forschungsanstrengungen. Deutschland kann seine Position als viertgrößter Forschungsstandort aber halten.

11 „Innovationen den Weg ebnen“, Institut der deutschen Wirt-schaft Köln, Unternehmensberatung Santiago, VCI, 2015.

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Wachstumschancen für die deutsche Chemie

nisse gilt es dringend abzubauen. Grundlagen für Innovatio­nen in der Chemie sind neben Wissenschaft und Forschung vor allem hochqualifiziertes Personal. Dabei wird sich durch die Digitalisierung und durch den verstärkten Bedarf im Bereich der Spezialchemie und der Pharmazeutika nicht nur das Anfor­derungsprofil an die Mitarbeiter bei Forschung und Entwick­lung ändern, sondern auch die qualitativen Anforderungen für die Ausbildung und für die sonstigen akademischen Mitarbei­ter werden steigen. Das Vorhandensein spezifischer Kenntnisse wird im Wettbewerbsprozess immer bedeutender.

Investitionszurückhaltung hält anDie Chemieindustrie ist kapitalintensiv. Mit ihren Investi­

tionen erhöht die Branche ihr zukünftiges Produktionspoten­zial und sichert ihre Wettbewerbsfähigkeit. Das langfristige Trendwachstum der Investitionen der deutschen Chemie im Inland ist allerdings seit längerem niedrig. Seit 1991 stiegen die Investitionen in Anlagen und Gebäude der Branche um durchschnittlich nur 0,2 Prozent pro Jahr – real gingen die In­vestitionen sogar um jährlich 1,6 Prozent zurück.

Hierfür gibt es verschiedene Gründe. Zum einen führte der technologische Fortschritt dazu, dass eine Ausdehnung der Produktion mit weniger Produktivkapital möglich ist. Zum anderen zeichnet sich in der Branche auch eine zunehmende Spezialisierung ab. Die anlagenintensive Basischemie verliert gegenüber der Spezialchemie an Bedeutung. Hauptursa­che hierfür ist das energiepolitische Umfeld in Deutschland. Dementsprechend sanken die Investitionen der Basischemie, während die übrigen Chemiesparten und auch die Pharma ­ industrie ihre Investitionen zwar durchaus ausdehnen konnten, aber tendenziell weniger Sachanlageinvestitionen benötigen.

Die Hauptursache für die Investitionszurückhaltung war aber das geringe Marktwachstum. Der europäische Absatz­markt ist in den vergangenen Jahren schwächer gewachsen als andere Absatzmärkte. Investitionsentscheidungen fielen oftmals zugunsten anderer Standorte aus. So stiegen die Aus­landsinvestitionen in der Vergangenheit deutlich dynamischer

als die Investitionen im Inland und liegen seit 2012 auch über den Inlandsinvestitionen. Hauptmotive für Auslandsinvesti­tionen sind die Erschließung der Märkte und die Nähe zu den Kunden. Allerdings spielen – insbesondere in Nordamerika – zunehmend auch Kostenmotive eine Rolle.

Im Prognosezeitraum wird sich die schwache Investiti­onsdynamik der Vergangenheit fortsetzen. Die Investitionen gehen um 0,5 Prozent pro Jahr zurück. Denn die Ursachen für die Investitionszurückhaltung bestehen fort. In der Basische­mie gehen die Investitionen im Prognosezeitraum deutlich zurück (real um – 1,3 Prozent pro Jahr). Ursache ist zum einen die geringe Nachfrage, die nur zu einem Produktionswachs­tum in der Basischemie von real 0,3 Prozent pro Jahr führt.

Hinzu kommt eine erhebliche Planungsunsicherheit. Im Zuge der Energiewende werden insbesondere für die Ba­sischemie wichtige Ausnahmeregelungen immer wieder in Frage gestellt. Gerade für die langen Investitionszyklen in dieser Sparte ist dies investitionshemmend. So werden ver­altete Anlagen zwar im Zeitverlauf ersetzt, aber es werden keine neuen zusätzlichen Kapazitäten aufgebaut. Darüber hinaus werden einige Anlagen stillgelegt. Auch die Digita­lisierung wird in der Chemie aus heutiger Sicht voraussicht­lich nicht zu einem Investitionsboom führen. Denn weder die Nachfragesituation noch die Rahmenbedingungen lassen dies zu. Im Rahmen der geplanten Investitionen wird der Di­gitalisierung des Produktionsprozesses Rechnung getragen werden. Damit erhöht sich insgesamt die Effizienz der Inves­titionen.

Aufgrund des höheren Wachstums werden die Investiti­onen in der Spezialchemie steigen (real um 0,2 Prozent pro Jahr). Da die Spezialchemie weniger anlagenintensiv ist, wird das Produktionsplus mit nahezu konstanten Sachanlagein­vestitionen zu erreichen sein. Die Investitionen im Pharma­bereich werden mit einem Plus von real 0,5 Prozent pro Jahr am stärksten zulegen können. Grund hierfür sind die guten Wachstumspotenziale. Der Strukturwandel in der Branche wird durch die Investitionsentscheidungen beschleunigt.

ABB. 32: WENIGER INVESTITIONEN DER BASISCHEMIEReale Investitionen der deutschen Chemieindustrie in Mrd. Euro, Anteile in Prozent, CAGR 2013–2030

23%

2013

6,2

-0,5%

45%

28%

53%

6,7

27%

2030

24%

Pharma

Spezialchemie

Basischemie

Die realen Investitionen der deutschen Chemieindustrie werden bis 2030 um jährlich 0,5 Prozent sinken. In der Basischemie gehen die Investitionen zurück, während sie in den anderen Sparten leicht zunehmen.

ABB. 33: ENDE DES INVESTITIONSBOOMS DER CHEMIEAnteile an den weltweiten Investitionen der Chemie- und Pharmaindustrie in Mrd. Euro, Anteile in Prozent, CAGR 2013–2030

+0,7%

+5,1%

2030

39,6%

34,1%

2000

3,4%9,3%

10,9%

10,5%

7,4%

4,7%

34,6%

37,2%

2013

2,8%

36,2%

3,6%

6,3%8,6%

17,8%

25,7%7,4%

China

RestlicheWelt

EU ohne D

Deutschland

USA

Japan

Weltweit ändert sich die Investitionsdynamik. In der vergange-nen Dekade konnte in der Chemie ein globaler Investitions-boom beobachtet werden. Ursächlich war insbesondere die Investitionsdynamik in China. Dies wird sich nicht fortsetzen.

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Wachstumschancen für die deutsche Chemie

Während die schwache Investitionsentwicklung in Deutschland eine Fortsetzung des Trends der Vergangenheit ist, ist die nun ebenfalls schwache Investitionsdynamik bei den globalen Investitionen eine Abkehr von der Entwicklung der vergangenen Jahre.

Denn mit Beginn des neuen Jahrtausends waren die weltweiten Investitionen in der chemischen Industrie kräftig gewachsen – insbesondere im Bereich Chemieanlagen. An­getrieben wurde das Wachstum vor allem durch die hohe Investitionsdynamik in China. Die dort stattfindende Indus­trialisierung mit der besonderen Fokussierung auf die Che­mieindustrie ließ die Investitionen förmlich explodieren. Auch in anderen Schwellenländern – vor allem im Nahen Osten – stiegen die Investitionen kräftig.

Dagegen war die Investitionsdynamik in den Industrie­ländern verhalten. Die Wachstumsaussichten insbesondere in Europa waren deutlich schlechter als in den Schwellenlän­dern, so dass Investitionsentscheidungen oft zugunsten der Schwellenländer getroffen wurden. In vielen Industrieländern fand ein Wandel von der Basischemie zur Spezialchemie mit deutlich geringerer Investitionsneigung für Sachanlagen statt. Die Vereinigten Staaten erlebten sogar Anfang der 2000er Jahre eine De­Industrialisierung, bei der auch die Chemie­industrie Anteile an der Wertschöpfung verloren hat.

Während in den USA der Schiefergasboom eine Trend­wende brachte, setzte sich in den übrigen Industrieländern die schwache Investitionstätigkeit auch in der jüngsten Ver­gangenheit fort.

Im Prognosezeitraum nimmt nun die Investitionsdyna­mik in allen Ländern weltweit ab. Die globalen Investitio­

nen in der Chemie­ und Pharmaindustrie nehmen nur noch um 0,7 Prozent pro Jahr zu. Weiterhin besteht ein Unter­schied zwischen der Dynamik in den Schwellenländern und in den Industrieländern. Aber der Unterschied zwischen den Wachstumsraten fällt nur noch gering aus, so steigen die In­vestitionen beispielsweise in China nur noch um jährlich knapp 1 Prozent, in den USA um 0,5 Prozent und in der Euro­päischen Union sinken sie um 0,7 Prozent. Damit spiegelt sich im Prognosezeitraum die schwache Investitionsdynamik der deutschen Chemie auch weltweit wider.

In den Schwellenländern macht sich die insgesamt nied ­ rigere Wachstumsdynamik bemerkbar. Das Nachfragewachs­tum schwächt sich ab. Teilweise sind erhebliche Überkapa­zitäten vorhanden. Auch in den Schwellenländern gewinnen Spezialchemikalien und Pharmazeutika an Bedeutung, wodurch sich die Investitionsneigung insgesamt verringert.

In den Industrieländern setzt sich der Strukturwandel fort. Die Basischemie verliert in vielen Ländern an Bedeutung. Durch die Überkapazitäten in den Schwellenländern steigt der Importdruck. Das nachlassende Nachfragewachstum aus den Schwellenländern kann nicht durch Wachstum aus den Industrieländern kompensiert werden. Ein zusätzlicher Kapa­zitätsaufbau ist damit nicht erforderlich. Die Digitalisierung findet im Zuge der regulären Investitionen statt, führt aber nicht zu einem sprunghaften Anstieg der Investitionen. In den USA läuft der Schiefergaseffekt allmählich aus. Danach nor­malisiert sich das Investitionsgeschehen. Die starke Verschie­bung der Investitionsanteile setzt sich daher nicht fort.

39

Fazit

FazitDie deutsche Chemieindustrie hatte sich rasch von den Rück­schlägen der Weltwirtschaftskrise 2008/2009 erholt. Zu Beginn des Jahres 2011 lag die Produktion wieder auf dem Vorkrisenniveau und die Branche blickte mit Zuversicht in die Zukunft. Dann kam ein erneuter Rückschlag. Wegen der Eu­rokrise rutschte Europa in die Rezession. Deutschland selbst stand zwar noch vergleichsweise gut da, doch die europä­ische Industrieproduktion war rückläufig. Damit brach auf dem Heimatmarkt der deutschen Chemie die Chemienach­frage weg und die Unternehmen drosselten die Produktion. Im Jahr 2014 war die Schwächephase überwunden, weil sich nun die europäische Wirtschaft erholte. Aber bereits 2015 geriet die Weltwirtschaft erneut in schwieriges Fahrwasser. Diesmal kamen die Hiobsbotschaften aus den Schwellenlän­dern. Brasilien und Russland rutschten in eine tiefe Rezession, die sich auch auf die Nachbarländer auswirkte. Und in China schwächte sich das Wirtschaftswachstum erheblich ab. Unter dem Strich ist die deutsche Chemieproduktion seit 2011 kaum gewachsen.

Die gute Nachricht dieser Studie lautet: Die deutsche Chemieindustrie kann bis 2030 an die Erfolge der Vergangen­heit anknüpfen. Das Chemiegeschäft ist global gesehen ein dynamischer Wachstumsmarkt, der auch den deutschen Che­mieunternehmen gute Entwicklungschancen bietet. Im Pro­gnosezeitraum steigt die globale Chemienachfrage um 3,4 Prozent pro Jahr und damit schneller als die Industrieproduk­tion (3,2 Prozent) oder das globale BIP (2,5 Prozent).

Das reale Produktionsvolumen der deutschen Chemie steigt von 190 Milliarden Euro im Jahr 2013 bis 2030 um 30 Prozent auf 246 Milliarden Euro. Mit durchschnittlich 1,5 Prozent pro Jahr wächst die Chemieproduktion damit etwas dynamischer als die Industrie oder die Gesamtwirtschaft. Mit dem globalen Chemiewachstum kann die deutsche Chemie im Prognosezeitraum zwar nicht ganz Schritt halten, doch die Wachstumsunterschiede zu den wichtigsten Chemienatio­nen haben sich gegenüber der Vorgängerstudie verringert. Deutschland verliert daher weniger stark Weltmarktanteile und bleibt auch in Zukunft einer der bedeutendsten Chemie­produzenten der Welt.

Zu den Stärken der deutschen Chemie zählen vor allem der starke Industrieverbund mit der daraus resultierenden Ressourceneffizienz und die hohe Innovationskraft nicht nur der eigenen Branche, sondern der deutschen Wirtschaft ins­gesamt mit ihren starken Leitbranchen. Den Unternehmen der chemischen Industrie ist aber bewusst, dass ihnen der Erfolg nicht in den Schoß fallen wird. Im Gegenteil: Der inter­nationale Wettbewerb wird an Intensität zunehmen. Die Un­ternehmen setzen dabei auf die bekannten Strategien:

AChancen der Globalisierung nutzen: Die Wachstumszent­ren der Chemienachfrage liegen in den Schwellenländern Asiens. Die Globalisierungsstrategie beinhaltet neben dem Exportgeschäft auch den Ausbau von Produktionskapazitä­ten im Ausland. AFokussierung auf Spezialchemikalien und Pharma: Basis­chemikalien werden in Zukunft überwiegend für den Eigen­bedarf in Europa produziert. Demgegenüber kann die

Branche bei Spezialchemikalien und Pharmazeutika im In­ und Ausland punkten. A Innovationsoffensive starten: Zukunftschancen bieten sich der deutschen Chemie vor allem durch Produkt­ und Pro­zessinnovationen, aber auch durch neue Geschäftsmodelle. Die Branche weitet die Forschungsetats kräftig aus. Die Un­ternehmen arbeiten daran, interne Innovationshemmnisse abzubauen und innovative Produkte schneller auf den Markt zu bringen. Dabei beziehen sie zunehmend auch disruptive Technologien ein, die bisher oftmals vernachlässigt wurden. ARessourceneffizienz erhöhen: Als rohstoff­ und energiein­tensive Branche ist die Chemie schon allein aus wirtschaft­lichen Überlegungen heraus bestrebt, ressourcenschonend zu produzieren. Darüber hinaus fühlen sich die Unterneh­men der Nachhaltigkeit verpflichtet, so dass sie kontinuier­lich ihre Ressourceneffizienz erhöhen. Allerdings müssen sich die dazu notwendigen Investitionen im internationalen Wettbewerb rechnen. Investitionen erfordern zudem ver­lässliche politische Rahmenbedingungen, die gerade in der Energie­ und Klimapolitik derzeit nicht gegeben sind. Be­sonders die Energiewende, aber auch der Emissionshandel führen zu Planungsunsicherheit. ARohstoffbasis diversifizieren: Die Rohstoffbasis wird weiter optimiert. Die Branche setzt zukünftig mehr Biomasse als Rohstoff ein. Allerdings kann die Grundstoffchemie im Pro­gnosezeitraum nicht auf fossile Rohstoffe verzichten. Einer Ausweitung der nachwachsenden Rohstoffe stehen hier be­grenzte Anbauflächen und im Vergleich zu fossilen Rohstof­fen hohe Preise entgegen. Trotz großer Anstrengungen ist hier der technologische Durchbruch noch nicht gelungen. AProduktivität erhöhen: Die Branche wird den technologi­schen Fortschritt vorantreiben und auch die Chancen der Digitalisierung nutzen.

Bei aller Zuversicht darf aber nicht übersehen werden, dass die in der Studie quantifizierten Entwicklungspfade auf Annahmen beruhen, bei denen auch deutlich andere Entwick­lungen eintreten können: Beispielsweise sind die Fortsetzung der Europäischen Integration und die Stabilität der Wirt­schafts­ und Währungsgemeinschaft keineswegs gesichert. Und ob die deutsche Industrie die Chancen der Digitalisie­rung und Vernetzung (Industrie 4.0) erfolgreich meistert, ist ebenfalls nicht sicher.

Es kann also auch anders kommen. Die aufgezeigten Ent­wicklungen können sowohl durch exogene Schocks als auch durch wirtschaftspolitische Weichenstellung beeinflusst werden. Um dieses zu verdeutlichen, hatte die Vorgänger­studie mit Hilfe von alternativen Szenarien aufgezeigt, dass es für die deutsche Gesamtwirtschaft, die Industrie und die Chemie nur dann eine erfolgreiche Zukunft geben wird, wenn zum einen die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen in Berlin und Brüssel dies ermöglichen und zum anderen die Weltwirtschaft insgesamt auf Wachstumskurs bleibt.

Nach den aktuellen Einschätzungen haben beide Vor­aussetzungen zukünftig noch Gültigkeit. Zwar haben sich die Wachstumsperspektiven insbesondere für die Schwellenlän­der, aber auch für viele Industrieländer eingetrübt. Als Kon­

40

Fazit

sequenz hieraus wird das globale Chemiewachstum bis 2030 mit 3,4 Prozent pro Jahr deutlich niedriger ausfallen als in der alten Basisprognose (+ 4,5 Prozent).

Mit dieser Wachstumsabschwächung kann die deutsche Chemie insgesamt aber gut leben. Zwar hat sich auch hierzu­lande das Tempo verlangsamt, aber längst nicht so stark wie in der Weltwirtschaft insgesamt. Die Folge: Zukünftig verliert die deutsche Chemie weniger stark Weltmarkt­ und Welt­handelsanteile als noch zu Beginn dieses Jahrtausends. Der deutsche Anteil an der globalen Chemieproduktion sinkt nach den neuen Berechnungen bis 2030 auf 3,8 Prozent. Die Vorgängerstudie war noch von einem Rückgang auf 3 Prozent ausgegangen.

Das globale Chemiegeschäft war in den zurückliegenden Jahren durch neue Fördertechnologien im Öl­ und Gasge­schäft und durch das chinesische Wirtschaftswunder gravie­renden Umwälzungen ausgesetzt. Das verdeutlicht ein Blick auf das globale Investitionsgeschehen in der Chemieindus­trie: In den zurückliegenden 13 Jahren gab es in der Che­miebranche weltweit gesehen einen Investitionsboom. Die realen Investitionen stiegen um 5,1 Prozent pro Jahr. Neue Anlagen entstanden in den rohstoffreichen Ländern und in den aufstrebenden Schwellenländern – allen voran in China. Der Anteil Chinas an den globalen Chemieinvestitionen stieg von 6,3 Prozent im Jahr 2000 auf 34,6 Prozent im Jahr 2013. Bei einer sich insgesamt abschwächenden weltwirtschaftli­chen Dynamik und angesichts des großen Kapazitätszuwach­ses in China, den USA oder dem Nahen Osten wird sich nicht nur das Wachstum der globalen Chemieinvestitionen ver­langsamen, sondern auch die Wachstumsraten werden sich stärker angleichen. Damit gibt es im Prognosezeitraum nur noch geringe Anteilsverschiebungen.

Die zweite Bedingung der Vorgängerstudie für eine er­folgreiche Zukunft der deutschen Chemieindustrie lautete: Die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen in Berlin und Brüssel müssen stimmen. Auch hier ist die neue Prognose zu­versichtlich. Denn im Zuge der Weltwirtschaftskrise wurde deutlich, dass eine starke Industrie für Wachstum und Wohl­stand in Deutschland unverzichtbar ist. In Berlin und Brüssel wurden aus dieser Erkenntnis erste industriepolitische Kon­sequenzen gezogen. Positive Ansätze sind erkennbar – bei­spielsweise durch das Bündnis „Zukunft der Industrie“ oder die Initiative „Better Regulation“.

Bisher haben sich die wirtschaftspolitischen Rahmenbe­dingungen für die industrielle Produktion allerdings kaum verbessert. Hier ist noch Überzeugungsarbeit zu leisten. Ins­besondere die Energie­ und Klimapolitik bleibt die Achilles­ferse der deutschen Industrie. Denn Energiekosten sind ein wichtiger Faktor im globalen Standortwettbewerb. Häufig wechselnde energiepolitische Vorgaben und unzählige staat­liche Eingriffe in den Energiemarkt erzeugen eine anhal­tend hohe Planungsunsicherheit in den Unternehmen – und damit Zurückhaltung bei Investitionen. Laufen die Kosten für die Energiewende aus dem Ruder, wächst in der Chemie als energieintensiver Branche das Risiko, dass interne Wert­schöpfungsketten reißen. Damit käme es auch zu gravieren­den Einschnitten im gesamten Industrienetzwerk. Eine solche Entwicklung erwarten wir derzeit nicht, denn die Studie geht davon aus, dass die Energie­ und Klimapolitik auch zukünf­tig Rücksicht auf die im Wettbewerb stehenden energieinten­

siven Unternehmen nimmt. Zudem wird die Schere bei den Energiekosten zwischen Deutschland und der Konkurrenz in den USA voraussichtlich nicht weiter aufgehen.

Dennoch bleiben die erheblichen Nachteile des Stand­orts Deutschland bei den Energie­ und Rohstoffkosten im Prognosezeitraum bestehen. Und dies dämpft die Ent­wicklungsmöglichkeiten für die deutsche Chemieindustrie. Das hat das Wirtschaftsforschungsinstitut Oxford Econo­mics im Auftrag des VCI nachgewiesen (siehe Seite 7). Seit 2008 hat sich die Wettbewerbsfähigkeit des Chemiestand­orts Deutschland verschlechtert. Und hierfür waren vor allem wachsende Nachteile bei den Rohstoff­ und Energiekosten verantwortlich: Die Kombination aus niedrigen Gaspreisen in den USA oder dem Nahen Osten bei gleichzeitigen Ölpreisen um 100 US­Dollar je Barrel und einer zunehmend den Indus­triestrom verteuernden Energiewende führte besonders in der deutschen Grundstoffchemie zu Einbußen im Exportge­schäft und zu einem zunehmenden Importdruck.

Zwar hat der jüngste Rohölpreisverfall den Wettbewerbs­nachteil der deutschen Grundstoffchemie erheblich gemin­dert. Doch in Zukunft muss wieder mit steigenden Ölpreisen gerechnet werden. Im Prognosezeitraum bleiben die Energie­ und Rohstoffkostennachteile der deutschen Chemie im Ver­gleich zur Konkurrenz in Nordamerika und dem Nahen Osten weitgehend bestehen. Gegenüber China, dem weltgröß­ten Chemieproduzenten, hat die deutsche Chemie hingegen auch zukünftig keinen Wettbewerbsnachteil bei den Energie­ und Rohstoffkosten.

Um in der Erfolgsspur zu bleiben, besteht für Unter­nehmen und Politik jedoch weiterhin Handlungsbedarf. Die Studie „Innovationen den Weg ebnen“ hat gezeigt, dass die Unternehmen ihre Innovationskraft steigern müssen (siehe Seite 35). Das heißt zum Beispiel: interne Hemmnisse für Inno­vationsprozesse ausräumen und die Innovationskultur verbes­sern. Dabei benötigen die Unternehmen die Unterstützung der Politik. Denn es gibt eine Reihe von externen Hemmnis­sen, die den Weg innovativer Produkte vom Labor zum Markt unnötig erschweren. Die aktuellen Projektionen haben bereits eine Verbesserung der industriepolitischen und innovations­politischen Rahmenbedingungen unterstellt. Hier muss die Politik noch liefern, damit die gezeigten Entwicklungspfade realisiert werden können.

Dann gilt: Eine nachhaltige Entwicklung der globalen Wirtschaft ist auf mehr Chemieprodukte angewiesen. Die deutsche Branche kann mit hochwertigen Lösungen für an­spruchsvolle Kunden im Inland und auf allen Auslandsmärk­ ten punkten. Sie wird dadurch auch künftig weiter wachsen – in einem Verbund von Pharma, Basis­ und Spezialchemie. Es lohnt sich also, in die deutschen Chemieunternehmen zu investieren.

Alternativszenarien: Es kann auch anders kommenDie Basisprognose der Studie „Die deutsche chemische Industrie 2030 – Update 2015/2016“ zeigt insgesamt positive Zukunftsperspektiven für die deutsche Chemie­ und Pharma­industrie auf. Das Chemiegeschäft bleibt – global gesehen – ein dynamischer Wachstumsmarkt, der auch den deutschen Chemieunternehmen gute Entwicklungspotenziale bietet. Allerdings ist der Erfolg kein Selbstläufer. Der Industrie­standort Deutschland und damit auch der Chemie­ und Phar­mastandort sehen sich großen strategischen und struktu­rellen Herausforderungen gegenüber.

Zum einen ändert sich das Wettbewerbsumfeld für die Chemie in Deutschland. Die Nachfrage nach Chemiepro­dukten wird in Westeuropa zukünftig nur verhalten zunehmen. Größere Wachstumschancen liegen in den Schwellenländern in Asien, Südamerika und längerfristig auch in Afrika. Deut­sche Unternehmen und internationale Wettbewerber inves­tieren in diese Märkte und ersetzen Exporte durch Produktion vor Ort. Aber auch die lokalen Produzenten bauen ihre Pro­duktionskapazitäten aus. Darüber hinaus entstehen als Folge günstiger Energie­ und Rohstoffkosten in den USA oder im Mittleren Osten neue petrochemische Anlagen. Dies führt zu einem großen und vergleichsweise kostengünstigen Angebot an Basischemie­Produkten auf dem Weltmarkt und birgt die Gefahr von Überkapazitäten in der Grundstoffchemie.

Zum anderen ändern sich die Nachfragestrukturen und gesellschaftlichen Zielsetzungen grundlegend. Nachhaltiges Wirtschaften und nachhaltiger Konsum gewinnen zunehmend an Bedeutung. Dies spiegelt sich zum Beispiel in dem Streben nach höherer Ressourceneffizienz, nach treibhausgasneutraler Produktion sowie nach einem weiteren Ausbau erneuerbarer Energien oder der verstärkten Nutzung nachwachsender Roh­stoffe wider.

CHEMIEBRANCHE STEHT VOR GRUNDLEGENDEM WANDELDie Intensivierung des globalen Wettbewerbs und die

Veränderungen der Nachfragestrukturen und Kundenprä­ferenzen haben weitreichende Konsequenzen für die Pro­duktportfolios, Prozesstechnologien und Wertschöpfungs­strukturen der Chemieindustrie. Die Branche steht daher vor einem grundlegenden Wandel. Um zukünftig erfolg­reich zu sein, sind die Unternehmen gezwungen, bestehende Geschäftsmodelle zu überprüfen, neue zu entwickeln und sich gegebenenfalls strategisch neu auszurichten. Die Kompo­nenten einer erfolgversprechenden Strategie für die deutsche Chemieindustrie lauten: Chancen der Globalisierung nutzen, auf Spezialchemikalien und Pharmazeutika fokussieren, Inno­vationsoffensive starten, Ressourceneffizienz erhöhen, Roh­stoffbasis diversifizieren, Produktivität steigern sowie die Digi­talisierung und Vernetzung vorantreiben.

Eine wichtige Voraussetzung dafür, dass sich die deut­sche Chemie auch in Zukunft auf den globalen Märkten mit ihren Produkten durchsetzen kann, sind gute wirtschaftspo­litische Rahmenbedingungen in Deutschland und der Euro­päischen Union. Zwar sind in Brüssel und Berlin mit der Ini­tiative „Better Regulation“ oder dem Bündnis „Zukunft der Industrie“ positive Ansätze erkennbar. Dennoch haben sich die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen für die indus­

trielle Produktion bisher kaum verbessert. Bei der Innovati­onsförderung ging es nur mit kleinen Schritten und selektiv voran. Eine technologieoffene Forschungsförderung, die allen Unternehmen offen steht, fehlt weiterhin, obwohl sich mittler­weile viele Parteien dafür aussprechen.

Gleichzeitig verschlechterte sich die Wettbewerbsposi­tion der deutschen Industrie bei den Energiepreisen. Energie­kosten sind ein wichtiger Faktor im globalen Standortwettbe­werb. Während die USA, der Mittlere Osten aber auch viele Schwellenländer mit niedrigen Preisen für Öl, Gas und Strom locken, muss die deutsche Industrie auf Grund der Energie­wende, des europäischen Emissionshandelssystems sowie wegen nationaler Energiesteuern höhere Energiekosten schultern als viele Wettbewerber.

Wie kaum ein anderes Land der Welt verdankt Deutsch­land seinen Wohlstand einer starken, diversifizierten und wettbewerbsfähigen Industrie. Der Anteil industrieller Wert­schöpfung am BIP ist hierzulande fast doppelt so hoch wie in den USA, Großbritannien oder Frankreich. Das verleitet dazu, die industrielle Leistungsfähigkeit zu überschätzen. Das Umlenken von Neuinvestitionen energieintensiver Bran­chen ins Ausland verdeutlicht aber, dass beim Thema Ener­giekosten mittlerweile die Belastungsgrenze erreicht ist. Hinzu kommt, dass sich auf Ebene kommunaler Verwaltungen oder auf Ebene einzelner Bundesländer eine gewisse Indust­riefeindlichkeit feststellen lässt. Diese Einstellungen manifes­tierten sich bis dato vor allem im Bau­ und Genehmigungs­recht. Investitionen – insbesondere im Mittelstand – wurden so verhindert oder verzögert12.

Die Industrieproduktion in Deutschland ist in den ver­gangenen Jahren schwächer gewachsen als die Gesamt­wirtschaft. Während das Bruttoinlandsprodukt von 2012 bis 2016 jährlich im Schnitt um 1,4 Prozent gestiegen ist, fiel das Plus bei der Industrieproduktion mit 1,0 Prozent niedriger aus. Auch die Chemie­ und Pharmaproduktion stieg im glei­chen Zeitraum nur um 1,0 Prozent pro Jahr13. Rechnet man das Pharmageschäft heraus, war die Chemieproduktion sogar rückläufig. Sollte sich dieser Trend fortsetzen, verliert der „Stabilitätsanker Industrie“ in Deutschland schleichend an Bedeutung.

Eine wirtschaftspolitische Kurskorrektur ist notwendig. Es drängt sich die Frage auf, wie die wirtschaftspolitischen Rah­menbedingungen besser gestaltet werden können, damit die Chemieindustrie auch künftig Innovations­ und Wachs­tumsmotor des Industriestandorts Deutschland bleiben und so einen essentiellen Beitrag zum Wohlstand unseres Landes leisten kann.

Um den industriepolitischen Spielraum auszuleuchten, Zusammenhänge aufzuzeigen und vor allem um eine Fakten­

12 VCI Investitionsbericht 2016, https://www.vci.de/ergaen-zende-downloads/investitionsbericht-2016.pdf 13 Abweichende Quelle: Destatis. Die Wachstumsraten sind nicht unmittelbar mit den Daten aus dem Prognos-Modell ver-gleichbar. Das Prognos-Modell verwendet Daten aus der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) in realen Preisen und Wechselkursen von 2010.

41

Alternativszenarien

basis für die politische Diskussion zu schaffen, hat der VCI gemeinsam mit Prognos industriepolitische Alternativen zum „Business­As­Usual­Szenario“ (Basisszenario) berechnet. Ein Chancenszenario beschreibt zukünftige Entwicklungspfade in einem investitions­ und innovationsfreundlichen Umfeld mit einer Ausweitung staatlicher Innovationsförderung sowie einem effizienten Regulierungsrahmen, der die preis­liche Wettbewerbsfähigkeit stärkt. Anschließend beleuchtet ein Risikoszenario die Auswirkungen eines gegenüber dem Basisszenario verschlechterten industriepolitischen Umfeldes. Dieses führt u.a. durch eine interventionistische Energie­ und Klimapolitik zu steigenden Regulierungskosten und einer zunehmenden Planungsunsicherheit bei den Unternehmen.

ChancenszenarioDas Chancenszenario beschreibt zukünftige Entwicklungs­pfade der chemisch­pharmazeutischen Industrie in einem investitions­ und innovationsfreundlichen Umfeld. In Europa und hier vor allem in Deutschland gewinnen die investiven Ausgaben des Staates für die Verbesserung der Infrastruktur und die Förderung von Forschung und Bildung gegenüber den konsumtiven Ausgaben an Gewicht. Eine für alle Unter­nehmen offene steuerliche Forschungsförderung, die Förde­rung von Netzwerken und Kooperationen, leichterer Zugang zu Wagniskapital und Private­Public­Partnerschaften für Pilot­projekte regen Investitionen an.

Die Politik ist bemüht, nicht präventiv übermäßig zu regu­lieren, sondern lässt vorrangig die Marktkräfte wirken und setzt Vertrauen in die Industrie. Die flankierende Gesetzge­bung orientiert sich gleichgewichtig am Vorsichts­ und am Innovationsprinzip. Bestehende Regulierungen werden dahin­gehend auf den Prüfstand gestellt, ob sie Investitionen behin­dern und Innovationen fördern. Bei künftigen Regulierungs­vorhaben wird darauf geachtet, dass sie nicht im Widerspruch zu anderen Regulierungen stehen. Die Politik ist bestrebt, einen konsistenten und verlässlichen Regulierungsrahmen

zu schaffen, Gesetze und Regularien europaweit zu harmoni­sieren sowie Doppelregulierungen abzubauen.

Im Bereich der Klima­ und Energiepolitik wird auch zukünftig Rücksicht auf die im internationalen Wettbewerb stehende Industrie genommen. Das Emissionshandelssystem und der Ausbau erneuerbarer Energien werden kosten­effizient weiterentwickelt und die notwendigen Belastungen verstärkt nach dem Prinzip der wirtschaftlichen Leistungsfä­higkeit verteilt. Das schafft Planungssicherheit für die Investi­tionen des Unternehmenssektors.

Die Änderung der industriepolitischen Rahmenbedin­gungen in Brüssel und Berlin hin zu einem insgesamt inno­

Chancenszenario – Annahmen im Überblick

AEnergiepolitik: Energiewende bzw. Ausbau der Erneu­erbaren Energien wird effizienter, Wettbewerbsfähigkeit bleibt gewahrt, keine zusätzlichen Belastungen durch Energiewende (z.B. durch Deckelung der EEG­Umlage oder Haushaltsfinanzierung), Netzausbau gelingt, Bestandsschutz für Altanlagen A Industriepolitik: Investitions­ und innovationsfreund­liches Umfeld, Abbau von Regulierungen, effizientere Regulierungen, Abbau von Investitionshemmnissen, Planungssicherheit, Einführung einer steuerlichen For­schungsförderung, themenoffene Projektförderung, Fokus Breitenförderung, keine Beschränkung auf den Mittelstand A Investitionen des Staates für Infrastruktur/Schule/Bil­dung gewinnen gegenüber konsumtiven Ausgaben an Gewicht AMehr Investitionen in Europa, Ausweitung und breite Anwendung des Europäischen Investitionsprogramms EFSI (Europäischer Fonds für strategische Investitionen, auch Junkerplan), Planungssicherheit im Energiebereich

42

Alternativszenarien

ABB. 35: PHARMAZEUTIKA UND SPEZIALITÄTEN PROFITIEREN BESONDERSFuE-Ausgaben der deutschen Chemie- und Pharmaindustrie, CAGR 2013-2030

2,8%

2,4%

0,1%

Chemie/Pharma

Pharma Spezialchemie Basischemie

Insbesondere die Pharmazeutika und die Spezialchemie profitieren von den veränderten Rahmenbedingungen. Die Budgets für Forschung und Entwicklung werden in diesen Sparten deutlich ausgeweitet.

ABB. 34: HÖHERE INVESTITIONEN UND MEHR FOR-SCHUNG UND ENTWICKLUNGAbweichung der Investitionen und FuE-Ausgaben der deutschen Chemie- und Pharmaindustrie in 2030 gegenüber dem Basisszenario

+7,0%

+9,9%

FuEInvestitionen

Die veränderten Rahmenbedingungen zeigen sich direkt in höheren Investitionen in Sachanlagen sowie in Forschung und Entwicklung. Die Attraktivität des Chemiestandorts Deutsch-land steigt und die Wettbewerbsfähigkeit nimmt zu.

vations­ und investitionsfreundlicheren Umfeld kommt der Chemie­ und Pharmaindustrie in besonderem Maße zu Gute. Die Produktionsbedingungen verbessern sich, weil die Wett­bewerbsfähigkeit gestärkt wird. Gleichzeitig erhöht sich durch eine Beschleunigung des Wirtschaftswachstums die Nach­frage nach Chemikalien und die Unternehmen profitieren von verbesserten Marktbedingungen in Deutschland und der EU.

Als innovationsstarke Branche profitiert die Chemie von der neuen Forschungspolitik. Die breitere Ausrichtung der Fördermaßnahmen, sowohl was die absolute Förderhöhe als auch die förderungsfähigen Forschungsprojekte betrifft, lässt die FuE­Ausgaben der Branche kräftig steigen. Insbesondere profitiert die Spezialchemie von dieser Entwicklung.

STEUERLICHE FORSCHUNGSFÖRDERUNG STÄRKT MITTELSTANDIn der Spezialchemie spielen Forschung und Entwicklung

generell eine bedeutendere Rolle als in der Basischemie. Es gilt, ständig neue und innovative Lösungen für die Kunden zu entwickeln. Gleichzeitig ist die Spezialchemie stark mittel­ständisch geprägt. Die bisherige Projektförderung kam hier oft nicht zum Zuge. Die Einführung der steuerlichen Förde­rung erleichtert es nun den mittelständischen Unternehmen der Spezialchemie stärker in Forschung und Entwicklung zu investieren. Auch in der Pharmaindustrie liegt der Fokus stark auf Forschung und Entwicklung. Die Entwicklung neuer Medikamente wird tendenziell dabei immer aufwändiger und teurer. Effizientere Regulierungen im Pharmabereich, wie bei­spielsweise schnellere Genehmigungsverfahren sowie eine ausreichende Vergütung innovativer Arzneimittel, befördern nun die Forschungstätigkeit. Dank der fehlenden Beschrän­kung der Fördermaßnahmen auf mittelständische Unter­nehmen kommen die Fördermaßnahmen zudem allen Unter­nehmen zugute. Damit steigen die Anreize für mehr FuE nicht nur beim Mittelstand, sondern auch bei den großen Unter­nehmen. Insgesamt nehmen die FuE­Budgets deutlich zu und auch die FuE­Intensitäten erhöhen sich.

Das geänderte Umfeld macht sich auch bei den Investi­tionen in Sachanlagen bemerkbar. Verbesserte Produktions­bedingungen durch verlässliche Energiekosten, die Stärkung der Planungssicherheit und der Abbau von Regulierungen ermöglichen Investitionsentscheidungen der Unternehmen für den Standort Deutschland. Gleichzeitig verbessern sich die Standortbedingungen Deutschlands auch durch die ver­mehrten Investitionen des Staates in Infrastruktur, Schule und Bildung. Als exportstarke Branche ist die Chemie auf eine funktionierende Infrastruktur angewiesen. Ebenso spielt die Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal gerade im Hinblick auf die Herausforderungen durch die Digitalisierung eine wichtige Rolle bei Standortentscheidungen. Durch die staatli­chen Investitionen verbessern sich nun sowohl die Transport­bedingungen als auch die Qualifikation der Fachkräfte. Dies macht Investitionen der Unternehmen am Standort Deutsch­land zukunftssicher. Die Investitionen der Chemie­ und Phar­maindustrie werden bis 2030 ausgeweitet. In der Basischemie nimmt die Investitionszurückhaltung deutlich ab. In der Spe­zialchemie und bei Pharmazeutika steigen die Investitionen kräftig.

Die höheren Investitionen und Innovationen sind aber nur zu realisieren, weil sich auch die Nachfrage verbessert. Denn die veränderte Industriepolitik macht sich nicht nur in der

Chemie, sondern auch bei den Kundenindustrien bemerkbar. Insgesamt fällt das Wachstum in der Industrie mit einem Plus von durchschnittlich 1,6 Prozent pro Jahr höher aus als im Basisszenario. Die Bedeutung der Industrie für die deut­sche Wirtschaft insgesamt bleibt hoch. Der Anteil der Indus­trie an der Wertschöpfung liegt nun dauerhaft bei 23 Prozent. Die forschungsstarken Leitbranchen profitieren dabei noch stärker vom günstigeren Umfeld als die restliche Industrie. Damit steigt auch die Nachfrage nach chemischen Erzeug­nissen.

Die höhere Nachfrage auf der einen Seite und die verbes­serten Produktionsmöglichkeiten auf der anderen Seite lassen den Produktionswert in der Chemie­ und Pharmaindustrie zunehmen. Das Wachstum der Branche steigt auf 1,7 Prozent pro Jahr. Insbesondere die Spezialchemikalien wachsen mit einem Plus von jährlich 2,1 Prozent dynamisch. Das Wachstum der Basischemie fällt mit einem Plus von 0,4 Prozent hingegen deutlich geringer aus. Der Strukturwandel von der Basis­ hin zur Spezialchemie beschleunigt sich. Der Pharmaproduktions­wert wächst weiterhin mit 2,6 Prozent pro Jahr dynamisch.

Durch innovativere Produkte erhöht sich auch die Wett­bewerbsfähigkeit der Branche gegenüber der außereuropäi­schen Konkurrenz. Dies schlägt sich im Handel nieder. Deut­sche Chemie­ und Pharmaprodukte sind weltweit gefragt. Die Exporte nehmen um jährlich 1,8 Prozent zu. Die höhere Nachfrage in Deutschland lässt aber auch die Importe um 1,7 Prozent pro Jahr steigen. Damit erhöht sich der bereits hohe Außenhandelssaldo von heute 51 Mrd. Euro auf rund 70 Mrd. Euro in 2030 (+1,9 Prozent pro Jahr). Die starke Exporttätigkeit beschränkt sich dabei hauptsächlich auf die Spezialchemie und auf Pharmazeutika. Die Basischemie produziert weiterhin vor allem für den Heimatmarkt. Die Exporte von Basische­mikalien stagnieren nahezu und der Importdruck bleibt trotz verbesserter Produktionsbedingungen (niedrigerer Kosten als

ABB. 36: DIE DEUTSCHE CHEMIEINDUSTRIE PRODUZIERT IMMER EFFIZIENTERRealer Produktionswert und Energieverbrauch der deutschen Chemie- und Pharmaindustrie, Index 2013=100

90

95

100

105

110

115

120

125

130

135

2030202520202015

Energieverbrauch

Produktion

Obwohl der reale Produktionswert steigt, geht der Energiever-brauch der Branche in Deutschland zurück. Ermöglicht wird dies zum einen durch Investitionen in neue Anlagen. Zum ande-ren durch den beschleunigten Strukturwandel von der energieintensiven Basischemie zur Spezialchemie.

43

Alternativszenarien

im Basisszenario) hoch. Der Aussenhandelssaldo in der Basis­chemie wird leicht negativ.

Die realen Zuwächse des Produktionswertes mögen viel­leicht im Vergleich zum Basisszenario nicht enorm sein. Aber die Art des Wachstums verändert sich noch einmal zusätzlich hin zu mehr qualitativem Wachstum. Durch ihre innovativen Produkte ist die deutsche Chemie für die Herausforderungen der Zukunft bestens aufgestellt und das Wachstum fällt nach­haltiger aus. Der Chemiestandort Deutschland wird langfristig gesichert.

Zusätzlich erhöht das verbesserte Investitionsklima nicht nur in der Spezialchemie die Energieeffizienz. Denn Investiti­onen in neue Anlagen, die dem aktuellen Stand der Technik entsprechen, und die steigenden Ausgaben im FuE­Bereich ermöglichen eine effizientere Produktion. Obwohl der reale Produktionswert um 2,1 Prozent im Jahr wächst, sinkt der Energieverbrauch in der Spezialchemie um 0,3 Prozent im Jahr.

Auch die energieintensive Basischemie wird effizienter. Zwar steigt in der Basischemie der Produktionswert bis 2030 durch die industriefreundlichen Rahmenbedingungen etwas an. Doch das Wachstum bleibt so gering, dass keine hohen Investitionen in Neuanlagen daraus resultieren. Das investiti­onsfreundliche Klima führt aber zu ständigen Verbesserungen in den Anlagen. Dies ermöglicht eine Verbesserung in der Energieeffizienz, führt aber nicht wie in der Spezialchemie zu deutlichen Sprüngen.

ENERGIEVERBRAUCH SINKT DANK EFFIZIENTERER ANLAGENInsgesamt geht der Energieverbrauch der Branche bis

2030 leicht zurück. Der sinkende Energieverbrauch ist auch dem sich beschleunigenden Strukturwandel weg von der Basischemie zu mehr Spezialchemie zuzuschreiben. Zwar wächst die Basischemie leicht, aber die Anteilsverschiebung hin zur Spezialchemie intensiviert sich.

Trotz des stärkeren Wachstums des Produktionswertes bleibt der Verbrauch an fossilen und nachwachsenden Roh­stoffen bis 2030 nahezu konstant. Dies gelingt vor allem wegen des steigenden Anteils der Spezialchemie. Diese braucht weniger fossile Rohstoffe, während in der Basis­chemie der Rohstoffeinsatz kaum variabel ist. Allerdings ver­größert sich der Anteil der nachwachsenden Rohstoffe in der Produktion bis 2030. Ermöglicht wird das vor allem in der Spe­zialchemie, die in neue Anlagen investiert und neue Produkte entwickelt.

Die positiven Auswirkungen der geänderten Industriepo­litik bleiben nicht nur auf die Chemie­ und Pharmaindustrie beschränkt. Die gesamte Industrie profitiert davon, so dass das Wachstum der Industrie insgesamt auf 1,6 Prozent pro Jahr steigt. Für die Gesamtwirtschaft resultiert ein Wachstum von jährlich 1,5 Prozent. Investitionen und Außenbeitrag gewinnen gegenüber dem Basisszenario wieder etwas an Gewicht. Der private Konsum bleibt aber Haupttreiber des Wachstums.

Durch das Wachstum der Industrie steigen auch die Ein­nahmen des Staates. Die Refinanzierung der durch die Maß­nahmen im Bereich Infrastruktur, Schule und Bildung ent­stehenden höheren Staatsausgaben kann damit gesichert werden. Das zusätzliche Wachstum ermöglicht darüber hinaus sogar noch eine Verringerung der Verschuldung. Die

Schuldenstandsquote des Staates nimmt im Vergleich zum Basisszenario ab.

Die positiven Auswirkungen der veränderten Indust­riepolitik in Brüssel und Berlin bleiben nicht auf Deutsch­land beschränkt. Die unterstellten Maßnahmen aus Brüssel für mehr Investitionen in Europa und eine höhere Planungs­sicherheit kommen auch den anderen europäischen Mit­gliedstaaten zugute. Die Entwicklung des BIP fällt in nahezu allen Ländern dynamischer aus. Durch die gegenüber dem Basisszenario veränderte Industriepolitik verbessert sich die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der Chemie­ und Pharma­industrie in den europäischen Ländern. Damit fällt auch dort das Wachstum des Produktionswertes dynamischer aus als im Basisszenario.14

RisikoszenarioAllerdings kann es auch anders kommen, wenn wesentliche Weichenstellungen nicht industriefreundlich ausgestaltet werden. Im Risikoszenario werden die ökonomischen Aus­wirkungen einer relativen Verschlechterung der regulatori­schen Rahmenbedingungen gegenüber dem Basisszenario beleuchtet.

Gerade im Bereich der Energie­ und Klimapolitik brau­chen die Unternehmen verlässliche Rahmenbedingungen. Im Risikoszenario unterstellen wir, dass die ehrgeizigen Klima­schutzziele mit den gleichen Instrumenten wie bisher umge­setzt werden. Die Energiekosten für die Industrie steigen dadurch weiter. Zudem geraten die für energieintensive Unternehmen wichtigen Entlastungsregeln zunehmend unter Druck. Die Kosten des Netzausbaus werden ebenso wie die Kosten der notwendigen Reservekraftwerke und der weitere Ausbau der Erneuerbaren Energien auf die Stromverbraucher umgelegt. Das EEG wird regelmäßig reformiert. Es fördert aber weiterhin nicht technologieoffen und Fehlanreize sowie Ineffizienzen im Regelwerk werden annahmegemäß nur unzu­reichend beseitigt. Auf europäischer Ebene wird in diesem Szenario eine zunehmende Verschärfung des Emissionshan­delssystems unterstellt. Die Einführung von weiteren Instru­menten zur Erhöhung der CO2­Preise verteuert den Klima­schutz zusätzlich und vermindert die Planungssicherheit der Chemieunternehmen.

PLANUNGSUNSICHERHEIT NIMMT ZUDie Industriepolitik insgesamt wird interventionistischer,

selektiver und damit schwerer vorhersehbar. Zunehmend werden einzelne Unternehmen, Branchen und Technologien mit spezifischen Regelungen oder Subventionen gefördert. Die Planungssicherheit der Unternehmen wird hierdurch ver­ringert. Vor allem aber gefährdet der mit den Regelungen einhergehende Anstieg der Regulierungskosten die preis­liche Wettbewerbsfähigkeit einzelner industrieller Prozesse. Als Folge der Entwicklungen kommt es in energieintensiven Unternehmen zu Stilllegung von Produktionsanlagen, die sich auf die Wertschöpfungsstrukturen der deutschen Wirtschaft auswirken.

14 Auswirkungen des Brexit blieben bei der Erstellung der Alternativszenarien unberücksichtigt, um eine Vergleichbarkeit mit dem Basisszenario sicherzustellen. Zum Erstellungszeit-punkt des Basisszenarios war der Brexit noch nicht absehbar.

44

Alternativszenarien

Die EU­Kommission hat jüngst in einer Studie15 festge­stellt, dass die aus den chemiewirtschaftsrelevanten Regu­lierungen resultierenden Kosten mittlerweile nicht nur einen erheblichen Teil der Wertschöpfung europäischer Chemie­unternehmen aufzehren, sondern auch, dass sich die Regu­lierungskosten in den zurückliegenden Jahren verdoppelt haben. Im Risikoszenario nehmen Regulierungskosten in Deutschland und den restlichen Mitgliedstaaten der Europä­ischen Union deutlich zu. Sich widersprechende Regelungen, immer neue Anforderungen bei Genehmigungsverfahren und sich ändernde Vorschriften machen eine verlässliche Pla­nung für die Unternehmen unmöglich und treiben die Kosten des Produktionsstandorts Deutschland in die Höhe. Als Kon­sequenz halten sich die Unternehmen mit ihren Investitionen im Inland stärker zurück. Hiervon sind auch die Ausgaben für Forschung und Entwicklung negativ betroffen, so dass in der Konsequenz der technologische Fortschritt gedämpft wird.

In der Chemie sind die Auswirkungen dieser selektiven Industriepolitik deutlich zu spüren. Nicht nur die steigenden Kosten der Energiewende, sondern vor allem die aus dem Abschmelzen der Entlastungsregelungen resultierende Pla­nungsunsicherheit macht den Unternehmen zu schaffen. Sie führt in Kombination mit den steigenden Energiekosten zu einem Rückgang der Investitionen im Inland. Da hiervon auch Modernisierungs­ und Ersatzinvestitionen betroffen sind, führt die Investitionszurückhaltung zu verminderten Produk­tionskapazitäten und damit zu höheren Produktionskosten. Darunter leidet die preisliche Wettbewerbsfähigkeit und hei­mische Produzenten verlieren Marktanteile. Einzelne Produk­tionsanlagen werden ohne ausreichende Entlastungsrege­lungen stillgelegt. Das hat weitreichende Auswirkungen auf die gesamten Wertschöpfungsstrukturen. Die heimischen Produzenten verlieren dadurch zusätzlich Marktanteile an die ausländische Konkurrenz.

Vor allem in der Basischemie, deren Wettbewerbsfähig­keit entscheidend von Energie­ und Rohstoffkosten bestimmt wird, kommt es in einem solchen Umfeld zu Standortschlie­

ßungen. Der Produktionswert der deutschen Basischemi­kalien geht daher in diesem Szenario um jährlich 1 Prozent zurück. Produziert wird nur noch für den heimischen Markt. Die Exporte nehmen von Jahr zu Jahr ab. Basischemikalien werden zunehmend importiert. Der Importdruck bei vielen Grundstoffen steigt kräftig und Deutschland wird zum Net­toimporteur von Basischemikalien.

LIEFERENGPÄSSE IN DER BASISCHEMIEDer Produktionsrückgang in der Basischemie dämpft

auch das Produktionswachstum in der Spezialchemie, denn deren Vorleistungen werden durch die Verknappung der Pro­duktionskapazitäten in der Basischemie in Europa und durch zusätzliche Transaktionskosten beim Bezug aus Übersee teurer. Bei einzelnen Basischemikalien kann es sogar zu Ver­sorgungsengpässen kommen. Diese Entwicklungen beein­trächtigen die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der deut­schen und europäischen Spezialchemie.

Die Chemie wird nicht nur von den Großkonzernen mit milliardenteuren Anlagen bestimmt. In Deutschland gibt es rund 2.000 mittelständische Chemieunternehmen. Viele dieser Unternehmen sind hochspezialisierte Spezialchemie­hersteller, bieten sichere Arbeitsplätze und haben in ihren Nischenmärkten gute Zukunftsperspektiven. Im Risikosze­nario kommt es nun aber zu einer Beeinträchtigung der Zukunftsperspektiven für den Chemiemittelstand. Denn der teilweise Wegfall wichtiger Lieferanten aus der Basischemie beeinträchtigt die fruchtbaren Beziehungen zwischen Groß­unternehmen der Basischemie und der mittelständisch geprägten Spezialchemie in Deutschland.

Gleichzeitig wird an ausländischen Standorten neben dem Ausbau der Basischemie auch die Produktion von Spe­zialchemikalien intensiv vorangetrieben, da die dazu not­wendigen Basischemikalien dort kostengünstig in nahezu unbegrenzter Menge verfügbar sind. Dadurch steigt der Importdruck auch bei der Spezialchemie erheblich. Insge­samt wird die Abhängigkeit der kleinen und mittleren Unter­nehmen vom Ausland immer größer. Das bedroht in den nächsten Jahren die Stabilität der Lieferkette.

ABB. 37: WETTBEWERBSVERLUST IN DER BASISCHEMIEExporte, Importe und Außenhandelssaldo in der deutschen Basischemie, in Mrd. Euro, CAGR 2013-2030 in Prozent

7,3

31,0

38,3

-8,2

44,6

36,3

Exporte AH-SaldoImporte

2030

2013+2,1%

-0,3%

Insbesondere die Basischemie in Deutschland gerät durch das industrieunfreundliche Umfeld in Bedrängnis. Die Wettbe-werbsfähigkeit nimmt ab. Der Importdruck steigt rasant und der Außenhandelssaldo wird deutlich negativ.

15 Cumulative Cost Assessment for the EU Chemical Industry – Final Report: http://ec.europa.eu/docsroom/documents/17784/attachments/1/translations/en/renditions/native

Risikoszenario – Annahmen im Überblick

AEnergiepolitik: EEG weiterhin ineffizient, EEG­Umlage steigt, Entlastungsregelungen geraten unter Druck, Kosten des Netzausbaus und der Reservekraftwerke werden auf den Verbraucher umgelegt A Industriepolitik: keine zusätzlichen Forschungsanreize, Regulierungsdichte nimmt zu, Investitionshemmnisse durch Planungsunsicherheit und steigende Kosten AKaum zusätzliche Investitionen des Staates für Infra­struktur/Schule/Bildung AKeine wirksamen Investitionsanreize in Europa, Europäi­sches Investitionsprogramm EFSI („Junckerplan“) schei­tert, Planungsunsicherheit durch ETS

45

Alternativszenarien

Das Potenzialwachstum der Spezialchemie in Deutschland nimmt im Vergleich zum Basisszenario ab. Der Produktions­wert der deutschen Spezialchemie steigt in diesem Szenario nur noch um 1,2 Prozent pro Jahr. Im Basisszenario waren es hingegen noch 1,8 Prozent.

Die negativen Auswirkungen dieses Szenarios bleiben nicht auf die Chemieindustrie beschränkt. Zum einen über­tragen sich die Probleme der Chemie auch auf nachgela­gerte industrielle Kunden. Diese müssen zukünftig stei­gende Kosten für die Vorprodukte verkraften. Darüber hinaus kann es auch hier zu Versorgungsengpässen kommen. Zum anderen erhöht sich für die Industrie insgesamt der Wettbe­werbsdruck. In den Schwellenländern wächst für viele Bran­chen eine ernstzunehmende Konkurrenz heran. Auch gegen­über den Industrieländern gerät der Standort Deutschland ins Hintertreffen. Die Folge: Die Produkte der industriellen Kunden deutscher Chemieunternehmen werden verstärkt im Ausland entstehen. Das Erfolgsrezept Deutschlands – die enge Verzahnung der Industriebranchen – steht somit auf dem Spiel. Wertschöpfungsketten reißen und der deutsche Industrieverbund wird geschwächt.

Die Zusammenhänge lassen sich am Beispiel der Kunst­stoffe verdeutlichen. Die Wertschöpfungskette beginnt in der Öl­ und Gaswirtschaft. Die Basischemie stellt aus Gas oder Rohbenzin petrochemische Grundstoffe her. Durch Polymeri­sation entstehen aus diesen in einem nachgelagerten Schritt Kunststoffe. Diese werden von der kunststoffverarbeitenden Industrie zu Getränkeflaschen, Fensterprofilen oder Armatu­renbrettern für Fahrzeuge veredelt. Andere Industriebran­chen wiederum benötigen diese Kunststofferzeugnisse für die Produktion ihrer Erzeugnisse. Der starke deutsche Kunst­stoffverbund gerät jedoch zunehmend unter Druck.

Bei Petrochemikalien hat Deutschland bei den Energie­ und Rohstoffkosten einen deutlichen Wettbewerbsnach­teil gegenüber rohstoffreichen Ländern wie dem Mittleren Osten oder auch gegenüber den Vereinigten Staaten, die

über günstiges Schiefergas verfügen. Aufgrund der güns­tigen Energie­ und Rohstoffpreise wird in diesen Ländern ver­stärkt in neue Produktionsanlagen der Petrochemie inves­tiert. Oft werden die Basischemikalien vor Ort zu Kunststoffen weiterverarbeitet. Bisher wurden Kunststoffe aus dem Mitt­leren Osten überwiegend nach Asien exportiert. Da sich das Wachstum in Asien aber abschwächt, werden diese Kunststoffe zukünftig verstärkt auf den europäischen Markt drängen. Ohne neue Anlagen hat die Kunststoffindustrie hier­zulande dem Wettbewerbsdruck wenig entgegenzusetzen. Die heimische Basis­ und Polymerchemie verliert Marktan­teile. Die Stilllegung einzelner Anlagen, die Verlagerung der Produktion ins Ausland und die Einengung des Produktport­folios sind die Folge.

Für die kunststoffverarbeitenden Unternehmen bedeutet dies, dass ihre Vorprodukte teurer werden als bei der Konkur­renz aus dem Ausland. Einige Vorprodukte werden nicht mehr in Europa hergestellt. Sie müssen nun aufwändig aus dem Ausland importiert werden. Hinzu kommt, dass sich in den rohstoffreichen Ländern aufgrund der guten Wettbewerbs­position bei Kunststoffen verstärkt kunststoffverarbeitende Unternehmen ansiedeln werden. In den USA, die aufgrund des Schiefergases gegenüber Europa bis 2030 einen erheb­lichen Rohstoffkostenvorteil haben werden, ist dieser Effekt bereits deutlich zu sehen.

INDUSTRIELLER PRODUKTIONSVERBUND IN GEFAHRDie Entwicklung bleibt aber nicht auf die Kunststoffindus­

trie beschränkt. Im Risikoszenario sind alle Industriebranchen negativ betroffen. Das Verarbeitende Gewerbe wächst in Deutschland insgesamt nur noch um 1,1 Prozent pro Jahr. Die Chemie­ und Pharmaindustrie ist von den schlechteren Rah­menbedingungen besonders betroffen. Der Produktionswert der Branche steigt nur noch um jährlich 0,9 Prozent – 0,6 Pro­zentpunkte langsamer als im Basisszenario.

ABB. 38: ALLE INDUSTRIEBRANCHEN SIND NEGATIV BETROFFENAbweichung von BIP und Produktionswerten ausgewählter Industriebranchen in 2030 gegenüber dem Basisszenario in Prozent

-5,4%

Fahrzeugbau

Chemie/Pharma

Elektroindustrie

Maschinenbau -5,3%

-9,8%

-5,3%

Industrie -5,6%

BIP -5,7%

Metallerzeugung -6,8%

Alle Industriebranchen sind von den schlechteren Rahmenbe-dingungen betroffen. Das Wachstum fällt in vielen Branchen im Vergleich zum Basisszenario deutlich geringer aus.

ABB. 39: ZUKUNFTSINVESTITIONEN FALLEN GERINGER AUSAbweichung der Investitionen und FuE-Ausgaben der deutschen Chemie- und Pharmaindustrie in 2030 gegenüber dem Basisszenario

-10,0%

-13,7%

FuEInvestitionen

Investitionen in die Zukunft fallen geringer aus. Sowohl in Sachanlagen als auch in Forschung und Entwicklung wird weniger investiert als im Basisszenario. Der Chemiestandort Deutschland verliert massiv an Attraktivität. Die Wettbewerbs-fähigkeit nimmt ab.

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Alternativszenarien

Deutschland kann in einem Umfeld schwächeren Wachs­tums und hohem Wettbewerbsdruck aber nur bestehen, wenn der industrielle Produktionsverbund erhalten bleibt. Dies ist in diesem Szenario nicht mehr gewährleistet.

Die im Risikoszenario unterstellte regulatorische Unsi­cherheit trifft besonders die kleinen und mittleren Unter­nehmen. Bereits heute klagen viele Mittelständler über lang­wierige Genehmigungsverfahren und ein immer komplexeres Baurecht. Die in der Praxis spürbare ablehnende Haltung gegenüber Industrieanlagen dürfte sich zukünftig noch ver­stärken. Dadurch werden Investitionen am Standort Deutsch­land zusätzlich erschwert. Der Mittelstand hat vielfach weder die finanziellen noch die personellen Ressourcen immer neue Auflagen und Verordnungen zu erfüllen, das Tagesgeschäft zu bewältigen und gleichzeitig die Unternehmen z.B. durch die digitale Transformation zukunftsfähig zu machen.

Im Risikoszenario wächst die Branche daher nicht nur langsamer, sondern die hohen Regulierungskosten und die Planungsunsicherheit führen dazu, dass die Investitionen in Sachanlagen zurückgefahren werden. Auch die Forschungs­ und Entwicklungsaufwendungen werden nicht in dem Maße ausgeweitet, wie es für die vielfältigen Herausforderungen der nächsten Jahre notwendig wäre.

Um zukunftsfähig zu sein und Mitarbeiter halten zu können, braucht es nicht nur Produktneuheiten sondern ganz neue Geschäftsideen. Dazu brauchen Unternehmen Freiraum und Kapital. Allerdings sinken vor dem Hintergrund einer wenig zukunftsorientierten Industriepolitik auf allen Ebenen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung gegenüber dem Basisszenario. So vermindert die Industriepolitik die Anpassungsfähigkeit der Unternehmen. Dadurch werden die Zukunftstrends für die Unternehmen eine Bedrohung, obwohl sie eigentlich Wachstumschancen bieten würden.

Das niedrigere FuE­Budget und das schlechte Inves­titionsklima machen sich auch negativ bei der Energieeffi­zienz bemerkbar. Im Gegensatz zum Basisszenario oder zum Chancenszenario kann die Branche deutlich geringere Effizi­enzfortschritte erzielen. Bei vielen Anlagen kommt es sogar wegen der Investitionsschwäche kaum zu Effizienzgewinnen. Zwar sinkt der Energieverbrauch der Branche bis 2030 absolut. Doch dies ist fast vollständig auf die schwächere Pro­duktionsentwicklung und die Stilllegungen von Anlagen in der Basischemie zurückzuführen.

Global wird der Energieverbrauch der Chemie auch in der Basischemie weiter steigen. Der deutsche Produktionsrück­gang von Basischemikalien wird durch das Ausland kompen­siert. So führt eine nationale Energiepolitik, die Ausnahmen für die energieintensiven Branchen abschmilzt, nicht zu einer Senkung des Energieverbrauchs in der globalen Chemie.

Insgesamt führt die selektive und interventionistische Industriepolitik zu erheblichen Wohlstandsverlusten. Die gesamte Industrie wächst langsamer und auch die Dynamik des BIP wird im Vergleich zum Basisszenario deutlich abnehmen. Dadurch sind Arbeitsplätze in der ganzen Indus­trie bedroht. Steigende Energiekosten und strengere Regulie­rungen machen die Unternehmen unflexibel.

Industriepolitischer Handlungsbedarf In erster Linie sind die Unternehmen gefragt. Sie müssen

sich dem intensiver werdenden globalen Wettbewerb stellen

und durch Produkt­, Prozess­ und Geschäftsmodellinnovati­onen die Weichen für eine erfolgreiche Zukunft stellen. Vor allem sollten sie die Chancen der Digitalisierung und Vernet­zung erkennen und nutzen. Gleiches gilt für die zirkuläre Wirt­schaft. Auch die zirkuläre Wirtschaft bietet Innovations­ und Wachstumspotenziale.

Eine erfolgreiche Zukunft braucht aber auch gute indust­riepolitische Rahmenbedingungen. Die gemeinsam von Pro­gnos und VCI berechneten Alternativszenarien zeigen, dass Geschwindigkeit und Strukturwandel sowie die Wettbewerbs­fähigkeit der deutschen Chemie­ und Pharmaindustrie stark von den wirtschafts­ und industriepolitischen Rahmenbedin­gungen abhängen.

Eine zunehmende Planungsunsicherheit als Folge einer interventionistischen Energie­ und Klimapolitik in Verbin­dung mit einer Überbelastung der energieintensiven Indus­trie schadet im Risikoszenario dem Industrienetzwerk und bremst das gesamtwirtschaftliche Wachstum. Die energiein­tensive Chemieindustrie ist hiervon besonders betroffen. Das Wachstum der Branche liegt nur noch bei 0,9 Prozent pro Jahr. Die Basischemie schrumpft sogar, da die Produk­tion von bestimmten Grundchemikalien nicht mehr rentabel ist und einzelne Anlagen geschlossen werden. Dies bleibt nicht ohne Folgen für die Wertschöpfungsketten. Der Pro­duktionsverbund innerhalb der Chemie droht zu zerbrechen. Auch andere Industriezweige sind von einer Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit der chemisch­pharmazeutischen Industrie in Deutschland betroffen. Die Branche kann ihrer Rolle als Innovationsmotor nicht mehr in gewohnter Weise nachkommen. Es fehlen die Mittel, die Forschungs­ und Ent­wicklungsaufwenden der Branche in ausreichendem Maße zu erhöhen: sie steigen nur noch um 0,5 Prozent pro Jahr. Dies beeinträchtigt auch die Fähigkeiten anderer Branchen, neue Produkte auf den Markt zu bringen. Aber nicht nur das lang­fristige Wachstum in der Industrie fällt mit nur noch 1,1 Pro­zent jährlich deutlich geringer aus. Auch das gesamtwirt­schaftliche Wachstum schwächt sich mit nur noch 1 Prozent pro Jahr signifikant ab. Die Wohlfahrtsverluste für Deutsch­land sind beträchtlich. Neben der Notwendigkeit, wieder mehr Schulden zu machen, liegt das BIP pro Kopf im Jahr 2030 rund 2.400 Euro niedriger als im Basisszenario. Darüber hinaus gibt es rund 1 Million weniger Erwerbstätige.

Auf der anderen Seite könnte ein innovationsfreundliches Umfeld mit effizienter Regulierung und einer Energie­ und Kli­mapolitik mit Augenmaß zusätzliche Wachstumskräfte frei­setzen – mit erheblichen Gewinnen nicht nur für die Industrie, sondern auch für die Gesamtwirtschaft. Im Chancenszenario beschleunigt sich die wirtschaftliche Dynamik. Das BIP wächst bis zum Jahr 2030 mit rund 1,6 Prozent pro Jahr. Die Bevölke­rung profitiert hiervon unmittelbar. Das BIP pro Kopf liegt im Jahr 2030 mit über 43.000 Euro rund 3.500 Euro höher als im Risikoszenario. Eine Verbesserung des Innovationsumfeldes in Folge einer geänderten Forschungspolitik setzt Innova­tionsimpulse in der Chemie frei, die positive Wirkungen in allen Industriezweigen hierzulande hat. Die Industrieproduk­tion wächst beschleunigt. Die verbesserten Standortbedin­gungen helfen aber nicht nur der Industrie. Deutschland kann seine Attraktivität als Investitionsstandort erhöhen. Steigende Steuereinnahmen stellen den Bundeshaushalt auf solide Beine und ermöglichen einen stärkeren Schuldenabbau

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Alternativszenarien

sowie zusätzliche Ausgaben in den Bereichen Infrastruktur, Schule und Bildung. Dabei sind die positiven Auswirkungen einer veränderten Industriepolitik in Brüssel und Berlin nicht auf Deutschland beschränkt. Mehr Investitionen in Verbin­dung mit einer effizienteren und damit besseren Regulierung kommen auch den anderen europäischen Mitgliedstaaten zugute.

Die chemische Industrie hat das Potenzial, zu einer nach­haltigen Entwicklung in Deutschland beizutragen, den wirt­schaftlichen Erfolg Deutschlands langfristig zu stützen und somit auch Arbeitsplätze zu sichern. Diese Perspektive muss aber strategisch erarbeitet werden: Dies bedeutet die Innova­tionskraft der Branche zu stärken, die Chancen der Globalisie­rung und Digitalisierung zu nutzen sowie auf Nachhaltigkeit zu setzen.

Durch die industriepolitischen Szenarien wurden Ansatz­punkte für das politische Handeln aufgezeigt. Die wirtschafts­politischen Rahmenbedingungen sind Grundvorausset­zung dafür, dass sich die deutsche Chemie auf den globalen Märkten mit ihren Produkten durchsetzen kann. Die Szenarien verdeutlichen: die Zukunft ist gestaltbar. Die politischen Ent­scheidungen von heute beeinflussen das Wachstumspotenzial der deutschen Volkswirtschaft, der Industrie und der Chemie.

TAB. 1: AUSGEWÄHLTE INDIKATOREN FÜR DEUTSCHLAND IN DEN DREI SZENARIEN

Basisszenario Chancenszenario Risikoszenario

Wachstum Bruttoinlandsprodukt (BIP), 2013-2030, Prozent pro Jahr

+ 1,3 + 1,5 + 1,0

BIP pro Kopf im Jahr 2030, in Euro 42.189 43.272 39.799

Erwerbstätige in Deutschland im Jahr 2030, in Millionen

41,0 41,1 40,0

Schuldenstandsquote im Jahr 2030, in Prozent 55,5 53,3 65,5

Produktionswachstum Verarbeitendes Gewerbe (Produktionswert), 2013-2030, Prozent pro Jahr

+ 1,4 + 1,6 + 1,1

Produktionswachstum chemisch-pharmazeutische Industrie (Produktionswert), 2013-2030, Prozent pro Jahr

+ 1,5 + 1,7 + 0,9

Exporte der chemisch-pharmazeutischen Industrie, 2013-2030, Prozent pro Jahr

+ 1,7 + 1,8 + 1,4

Importe der chemisch-pharmazeutischen Industrie, 2013-2030, Prozent pro Jahr

+ 1,7 + 1,7 + 1,8

Außenhandelssaldo der chemisch-pharmazeutischen Industrie im Jahr 2030, in Mrd. Euro, real

68,3 71,3 54,5

Wachstums der FuE-Investitionen der chemisch-pharmazeutischen Industrie, 2013-2030, Prozent pro Jahr

+ 2,0 + 2,4 + 1,4

Wachstum der Sachanlageinvestitionen der chemisch-pharmazeutischen Industrie, 2013-2030, Prozent pro Jahr

– 0,5 + 0,1 – 1,4

Wachstums des Energieverbrauchs der chemisch-pharmazeutischen Industrie, 2013-2030, Prozent pro Jahr

– 0,1 – 0,4 – 0,7

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Alternativszenarien

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Projektansatz und Methodik

Projektansatz und MethodikDie vorliegende Studie entstand in enger Kooperation des Wirtschaftsforschungsinstituts Prognos mit dem Verband der Chemischen Industrie (VCI). Die Studie wurde weitgehend im Jahr 2015 erstellt. Das Basisjahr für die Prognose ist 2013. Dies entspricht dem aktuellen Stand der amtlichen Statistik zur Zeit der Modellberechnungen.

Ziel des Projektes war die Aktualisierung der Langfrist­prognosen für die deutsche Chemieindustrie bis zum Jahr 2030. Auf der Grundlage der umfassenden und detaillier­ten Prognose­ und Simulationsmodelle der Prognos AG und der Expertise aus VCI­Mitgliedsunternehmen, Landes­ und Fachverbänden sowie europäischen Chemieverbänden ist es gelungen, ein detailliertes Zukunftsbild der chemischen Industrie zu zeichnen. Wie schon bei der Vorgängerstudie haben wir uns der Prognose auf zwei Wegen genähert:

Azum einen mit Hilfe eines Top­down­Ansatzes (Prognos­ Modell „VIEW“), der sich der chemischen Industrie von oben nähert und die Makroperspektive repräsentiert. Aus­gehend von den globalen Megatrends ermöglicht diese Herangehensweise eine detaillierte Prognose der Weltwirt­schaft von der Gesamtwirtschaft bis hin zu den Entwicklun­gen in einzelnen Industriebranchen. Dieses Vorgehen wird der starken internationalen Verflechtung der chemischen In­dustrie gerecht. Azum anderen mit Hilfe eines Bottom­up­Ansatzes (VCI­Prognos­Branchenmodell „Chemie“). Von den einzelnen Produktgruppen ausgehend ermöglicht diese Mikro­perspektive, divergierende Entwicklungen innerhalb der Chemie und Veränderungen der Wettbewerbsfähigkeit der Chemiestandorte in der Prognose zu berücksichti­gen. Darüber hinaus liefert das Branchenmodell „Chemie“ neben der Prognose von Produktion und Handelsströmen auch Entwicklungen für andere Branchenindikatoren wie Beschäftigung, Forschungsetats, Investitionen oder Ener­gieverbrauch.

Das Prognos-Makromodell VIEWDie Prognos AG verfügt mit VIEW über ein globales

Prognose­ und Simulationsmodell, welches detailliert und konsistent die zukünftige Entwicklung der Weltwirtschaft dar­stellt. Interaktionen und Rückkopplungen zwischen den ein­zelnen Ländern werden in dem Modell explizit erfasst und modelliert. Seine analytische Aussagekraft geht daher weit über die isolierter Ländermodelle mit exogen gegebenen weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen hinaus. In der aktu­ellen Version umfasst VIEW die 42 bedeutendsten Länder der Welt und damit über 90 Prozent der globalen Wirtschaftsleis­tung.

Ausgehend von zentralen exogen gesetzten Annahmen wie etwa der Demografie, der zukünftigen Entwicklung des internationalen Ölpreises oder der Konsolidierungsvorgaben für die staatlichen Haushalte werden mit VIEW Prognosen für die Weltwirtschaft und die einzelnen Länder erstellt. Diese Annahmen beruhen entweder auf Prognosen anderer Insti­tutionen wie beispielsweise der Vereinten Nationen, der IEA

(Internationale Energieagentur) oder auf Einschätzungen von Experten aus der Chemieindustrie.

VIEW setzt sich aus einzelnen Ländermodellen zusammen, die wechselseitig über ihre außenwirtschaftlichen Variablen in­teragieren. Die im Modell enthaltenen Länder lassen sich grob in zwei Gruppen unterteilen: Die Modelle für die 32 führen­den Industrieländer (EU 24, Norwegen, Schweiz, Kanada, USA, Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland) sind struktu­rell gleich aufgebaut. Sie umfassen ca. 330 makroökonomische Variablen sowie eine Vielzahl außenwirtschaftlicher Parame­ter (Importnachfrage anderer Länder, Preis­ und Lohnrelati­onen, Wechselkurse etc.). Die Modelle der Schwellenländer sind ähnlich strukturiert, weisen aber aufgrund der schlechte­ren Datenlage einen geringeren Detaillierungsgrad auf. Die Entwicklung der Wirtschaftsbereiche wird in auf dynamischen Input­Output­Tabellen basierenden Submodulen der Länder­modelle bestimmt. In einer erweiterten Version des Modells können auch die Handelsströme zwischen den Ländern nach 27 Gütergruppen differenziert dargestellt werden.

Die zugrunde liegende Modellphilosophie entzieht sich hinsichtlich der verschiedenen ökonomischen Schulen einer eindeutigen Kategorisierung. Zusammengefasst stellen sich die entscheidenden funktionalen Zusammenhänge wie folgt dar: Die Entwicklung des aktuellen Outputs eines Landes wird durch die Ausgabenentscheidungen der vier Sektoren – private Haushalte, Unternehmen, Staat und übrige Welt – getrieben und durch die (kurzfristig) gegebenen Produkti­onskapazitäten begrenzt. Liegt der tatsächliche Output über dem Niveau, das mit der trendmäßigen Normalauslastung der Produktionskapazitäten zu realisieren ist, beschleunigt sich das Wachstum des Lohn­ und Preisniveaus und erhöht damit auch das Zinsniveau. Dies führt zu einer Dämpfung der realen Verwendung und einer Rückkehr des tatsächlichen Outputs auf sein Trendniveau. Da die kurzfristig gegebenen Produk­tionskapazitäten das Resultat vorangegangener Ausgaben – genauer Investitionsentscheidungen – darstellen, beeinflus­sen sich der aktuelle Output und der Trendoutput in der mitt­leren Frist wechselseitig. So wird beispielsweise eine länger anhaltende Schwächephase in den Modellen auch das Trend­wachstum einer Volkswirtschaft dämpfen: Bedingt durch un­terlassene Investitionen ist der Kapitalstock kleiner, älter und damit auch weniger produktiv, zudem erhöht sich mit der stei­genden Arbeitslosigkeit auch deren strukturelle Komponente. Die Geld­ und Fiskalpolitik eines Landes wird auf der Basis der Taylor­Regel bzw. einer exogenen Vorgabe für die Soll­größe der Schuldenstandsquote endogen in den Ländermo­dellen bestimmt.

Das VIEW­Modell wurde gegenüber der in der Vorgän­gerstudie verwendeten Version von Prognos weiterentwickelt. Dabei ergaben sich im Wesentlichen folgende Verbesserun­gen: A Integration eines Proxys für das langfristige Wachstums­potenzial eines Landes, um die langfristigen Auswirkungen der Finanzkrise 2008/2009 auf das Potenzialwachstum der Volkswirtschaften zu berücksichtigen;

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Projektansatz und Methodik

ABerücksichtigung der institutionellen Rahmenbedingungen mit Hilfe von Regulierungsindizes; ABerücksichtigung der Auswirkungen von FuE­Ausgaben auf die Exportperformance; Astärkere Differenzierung bei den Staatsfinanzen bzw. bei der Fiskalpolitik; ABerücksichtigung der Auswirkungen von Veränderungen der Einkommensverteilung auf die Konsumdynamik.

VCI-Prognos-Branchenmodell „Chemie“Aufbauend auf den Ergebnissen des Makromodells

wurden im Rahmen des sogenannten Bottom­up­Prozesses die Entwicklungen der Chemieindustrie in Deutschland, den USA sowie der Europäischen Union detailliert untersucht.

Für die Analyse wurde die Chemie in 11 Produktgruppen eingeteilt, die für den vorliegenden Bericht wiederum zu drei Chemiesegmenten (Basischemie, Spezialchemie und Pharma) zusammengefasst wurden. Die Analyse erfolgte aber auf Ebene der Produktgruppen. Für jede Produktgruppe waren Produktion, Exportstruktur, Importe und die inländische Nachfrage bekannt. Darüber hinaus wurden weitere Kennzah­len wie Forschungsintensität, Energieverbrauch oder Rohstoff­einsatz, falls nicht in der amtlichen Statistik vorhanden, mit Hilfe von Branchenexperten abgeschätzt.

Das Modell ermöglicht eine Vorhersage der Produktions­entwicklung einzelner Produktgruppen in Abhängigkeit von der Wachstumsdynamik der Kundenbranchen im In­ und Aus­land. Die Dynamik der Chemiemärkte floss als Ergebnis des Makromodells in das Branchenmodell ein. Das Branchenmo­dell wiederum erlaubt nun zusätzlich die Berücksichtigung von Veränderungen der Standortqualität für einzelne Pro­duktgruppen. Beispielsweise wirken sich Energiekostennach­teile in der energieintensiven Basischemie stärker aus als in der Spezialchemie. Verschlechterungen der Standortqua­lität wurden im Modell als zunehmender Importdruck und geringere Exportdynamik (z. B. „carbon leakage“) model­liert. Dieser Ansatz trägt der Tatsache Rechnung, dass sich für unterschiedliche Produktgruppen das Wettbewerbsumfeld unterschiedlich entwickeln kann.

Mit Hilfe des Makromodells wurde zunächst die inlän­dische Nachfrage einzelner Produktgruppen aus dem Wachstum der wichtigsten Kundenindustrien abgeleitet. Anschließend wurde für jede Produktgruppe die Exportnach­frage aus der spezifischen Exportstruktur der Produktgruppe berechnet. Dabei flossen auch die Veränderungen der Wett­bewerbsfähigkeit in die Berechnungen ein. Für Deutschland wurde zusätzlich zwischen der Nachfrage aus der Europäi­schen Union und dem restlichen Ausland differenziert. Die Gründe für diese Aufteilung sind:

AUnterschiede bei den Transportkosten; AUnterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit zwischen den Zielmärkten; Aunterschiedliche Bedeutung der Zielmärkte für die einzel­nen Produktgruppen.

Ein weiterer wichtiger Faktor für die Ableitung der Pro­duktion sind die Chemieimporte. Sie wurden für jede Pro­duktgruppe aus der Entwicklung von Inlandsnachfrage und dem zukünftigen Importdruck berechnet. So fließt die Wett­

bewerbsfähigkeit einzelner Chemiesparten auch auf der Im­portseite ein.

Durch die Zusammenführung von Inlandsnachfrage, Che­mieimporten und Auslandsnachfrage (Exporte) konnte so für jede Produktgruppe das Wachstum der Produktion berech­net werden.

Die Produktionsentwicklung in den einzelnen Pro­duktgruppen war die Basis für die Herleitung weiterer In­dikatoren. Neben der Beschäftigung, dem Energie­ und Rohstoffverbrauch wurden die Ausgaben für Forschung und Entwicklung sowie die Sachanlageinvestitionen abgeleitet. Annahmen über Effizienzsteigerungen (Produktivität, Energie­ und Rohstoffeffizienz, Verbesserungen in den FuE­Prozessen etc.) standen im Vordergrund der Berechnungen.

Beide Ansätze – also Top­down­ und Bottom­up­Ansatz – wurden mit Branchenexperten plausibilisiert und in einem letzten Schritt miteinander verknüpft. Die modellgestützte gesamtwirtschaftliche Prognose wurde so mit branchenspezi­fischen und produktgruppenspezifischen Entwicklungen der Chemieindustrie ergänzt. Im Ergebnis weicht diese Prognose leicht von der Prognos­Basisprognose – veröffentlicht als „Prognos Weltreport“ – ab.

TAB. 2: PRODUKTGRUPPEN DER CHEMISCHEN INDUSTRIE

Basischemikalien Anorganische Grundstoffe und Industriegase Primärchemikalien Organische Zwischenprodukte Standardpolymere DüngemittelSpezialchemikalien Engineering Polymers Konsumchemikalien Farben und Lacke Schädlingsbekämpfungs- und Pflanzenschutzmittel Andere SpezialitätenPharmazeutika (inkl. Tiergesundheit)

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Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abbildung 1 Bevölkerung, Bevölkerungswachstum und Alterung in ausgewählten Ländern 9

Abbildung 2 Anteil des weltweiten Handels (Exporte und Importe) am globalen BIP in Prozent, 2013–2030 11

Abbildung 3 Anteile der Industrie- und Schwellenländer an den gesamtwirtschaftlichen realen 12 FuE-Ausgaben in Prozent

Abbildung 4 Ölpreis im Jahresdurchschnitt, in US-Dollar je Barrel (real) 12

Abbildung 5 Preisvergleich Erdgas USA - Europa - Japan, Referenzpreise der Handelspunkte in Euro/MWh 13

Abbildung 6 Entwicklung der energiebedingten CO2-Emissionen nach Regionen, in Gigatonnen 14

Abbildung 7 Schuldenstandsquoten ausgewählter Länder in Prozent des Bruttoinlandsprodukts 15

Abbildung 8 Globales BIP-Wachstum, 2013–2030 16

Abbildung 9 BIP-Entwicklung in den europäischen Krisenländern 16

Abbildung 10 Verwendungsstruktur des chinesischen Bruttoinlandsprodukts 18

Abbildung 11 Globale Entwicklung der realen Produktion der Branchen 19

Abbildung 12 Globale Chemie- und Pharmaproduktion, 2013–2030 20

Abbildung 13 US-Chemieproduktion in Mrd. Euro, 2013–2030 21

Abbildung 14 Außenhandel der US-Chemie- und -Pharmaindustrie, 2013–2030 22

Abbildung 15 Außenhandel der EU-Chemie- und -Pharmaindustrie, 2013–2030 23

Abbildung 16 Chemie- und Pharmaproduktion in der Europäischen Union, 2013–2030 23

Abbildung 17 BIP-Wachstum in Deutschland in Prozent pro Jahr, Wachstumsbeiträge der Komponenten 24

Abbildung 18 Anteile der Industrie an der Bruttowertschöpfung wichtiger Länder 25

Abbildung 19 Industrieproduktion in Deutschland, 2013–2030 26

Abbildung 20 Durchschnittliche jährliche Wachstumsraten von BIP, Industrie- und Chemieproduktion 27

Abbildung 21 Reale Produktionswerte der deutschen Chemieindustrie, Anteile der Sparten, 2013–2030 28

Abbildung 22 Handel mit pharmazeutischen Erzeugnissen aus Deutschland, 2013-2030 28

Abbildung 23 Reale Produktionswerte von Spezialchemikalien in Deutschland, 2013–2030 29

Abbildung 24 Handel mit Basischemikalien aus Deutschland, 2013–2030 30

Abbildung 25 Energieverbrauch der chemischen Industrie nach Sparten 32

Abbildung 26 Energieverbrauch der deutschen Chemieindustrie seit 1990 32

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

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Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abbildung 27 Ressourcenverbrauch in der organischen Chemie in Tonnen, 2013 und 2030 34

Abbildung 28 Reale Forschungsausgaben der deutschen Chemieindustrie, 2013–2030 35

Abbildung 29 Forschungsintensität der deutschen Chemieindustrie 35

Abbildung 30 Anteile an der globalen Chemie-/Pharmaforschung 36

Abbildung 31 Reale Investitionen der deutschen Chemie- und Pharmaindustrie 36

Abbildung 32 Reale Investitionen der deutschen Chemieindustrie, 2013–2030 37

Abbildung 33 Anteile an den weltweiten Investitionen der Chemie- und Pharmaindustrie, 2013–2030 37

Abbildung 34 Abweichung der Investitionen und FuE-Ausgaben der deutschen Chemie- und Pharmaindustrie in 2030 gegenüber dem Basisszenario 42

Abbildung 35 FuE-Ausgaben der deutschen Chemie- und Pharmaindustrie, 2013-2030 42

Abbildung 36 Realer Produktionswert und Energieverbrauch der deutschen Chemie- und Pharmaindustrie 43

Abbildung 37 Exporte, Importe und Außenhandelssaldo in der deutschen Basischemie, 2013-2030 45

Abbildung 38 Abweichung von BIP und Produktionswerten ausgewählter Industriebranchen in 2030 gegenüber dem Basisszenario 46

Abbildung 39 Abweichung der Investitionen und FuE-Ausgaben der deutschen Chemie- und Pharmaindustrie in 2030 gegenüber dem Basisszenario 46

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Tabelle 1 Ausgewählte Indikatoren für Deutschland in den drei Szenarien 48

Tabelle 2 Produktgruppen der chemischen Industrie 50

TABELLENVERZEICHNIS

Verband der Chemischen Industrie e. V. (VCI)Mainzer Landstraße 5560329 Frankfurt am MainTelefon: +49 69 2556­0Telefax: +49 69 2556­1471

E-Mail: [email protected]: www.vci.de

Stand: Mai 2017Quellen: Prognos AG und Verband der Chemischen Industrie e. V., wenn nicht anders angegeben

Gedruckt auf Papier aus nachhaltiger Waldwirtschaft.

Getragen von:Wirtschaftsverband VCI, Gewerkschaft IG BCE und Arbeitgeberverband BAVC