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DIE DIFFERENZ VON MEINUNG UND WISSEN S. O. WELDING SUMMARY. The Difference between Belief and Knowledge. The assumption that know- ledge can be defined in terms of belief is considered to be mistaken. Since Gettier problems are shown to be misconstrued, the question cannot arise whether his conditions for know- ledge are sufficient for claiming “knowledge is justified true belief”. Ayers’ conditions for knowledge in addition with a specific stipulation proof to be instructive for elaborating the differences between knowledge and belief. Key words: ego-reflexive Mitteilung, gerechtfertigte wahre Meinung, Gettier Problem, hin- reichende Begründung/Rechtfertigung, letztbegründetes Wissen, mentaler Zustand, Recht- fertigungsanspruch, unendlicher Begründungsregress, Wissensbedingungen In erkenntnistheoretischen Erörterungen besteht gegenwärtig ein merkwür- diger Konsens in der Lehrmeinung, Wissen sei eine noch näher zu spezi- fizierende Meinung oder Überzeugung. Im Blick auf harte Auseinander- setzungen nimmt Beckermann die aktuelle Problemstellung auf, wenn er feststellt: Die traditionelle Antwort auf die Frage, was denn Wissen sei, wenn es nicht einfach mit wahrer Überzeugung gleichgesetzt werden kann, lautete bis 1963: Wissen ist gerechtfer- tigte wahre Überzeugung. In diesem Jahr zeigte Edmund Gettier jedoch, dass es durchaus Fälle gibt, in denen jemand über eine gerechtfertigte wahre Überzeugung verfügt, in de- nen wir aber trotzdem nicht sagen würden, diese Person wisse das, wovon sie überzeugt ist. Seither ist eine nicht enden wollende Debatte darüber entbrannt, wie man die tradi- tionelle Wissensdefinition verbessern oder verändern müsse, um mit diesen sogenannten Gettier-Fällen fertig zu werden. 1 Abgesehen davon, daß die Einschätzung der „traditionellen Antwort“ einseitig ausfällt und z.B. für Ayer 2 nicht zutrifft, ist bereits die These, Wissen sei wahre Überzeugung, schon in ihrem Ansatz unbefriedigend; ist eine Überzeugung nur dann wahr, wenn sie hinreichend gerechtfer- tigt oder begründet ist? Selbst dann wäre es jedoch nicht klar, was wir eigentlich meinen, wenn wir sagen, Wissen sei hinreichend begründete wahre Überzeugung. Nehmen wir an, ein Prüfling stelle während eines Examens fest „Cäsar wurde ermordet“ oder „Wasser ist H 2 O“, dann wäre es für den Prüfer nicht korrekt, fragte er „haben sie für ihre Überzeugung, Journal for General Philosophy of Science 35: 147–155, 2004. © 2004 Kluwer Academic Publishers. Printed in the Netherlands.

Die Differenz von Meinung und Wissen

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DIE DIFFERENZ VON MEINUNG UND WISSEN

S. O. WELDING

SUMMARY. The Difference between Belief and Knowledge. The assumption that know-ledge can be defined in terms of belief is considered to be mistaken. Since Gettier problemsare shown to be misconstrued, the question cannot arise whether his conditions for know-ledge are sufficient for claiming “knowledge is justified true belief”. Ayers’ conditions forknowledge in addition with a specific stipulation proof to be instructive for elaborating thedifferences between knowledge and belief.

Key words: ego-reflexive Mitteilung, gerechtfertigte wahre Meinung, Gettier Problem, hin-reichende Begründung/Rechtfertigung, letztbegründetes Wissen, mentaler Zustand, Recht-fertigungsanspruch, unendlicher Begründungsregress, Wissensbedingungen

In erkenntnistheoretischen Erörterungen besteht gegenwärtig ein merkwür-diger Konsens in der Lehrmeinung, Wissen sei eine noch näher zu spezi-fizierende Meinung oder Überzeugung. Im Blick auf harte Auseinander-setzungen nimmt Beckermann die aktuelle Problemstellung auf, wenn erfeststellt:Die traditionelle Antwort auf die Frage, was denn Wissen sei, wenn es nicht einfach mitwahrer Überzeugung gleichgesetzt werden kann, lautete bis 1963: Wissen ist gerechtfer-tigte wahre Überzeugung. In diesem Jahr zeigte Edmund Gettier jedoch, dass es durchausFälle gibt, in denen jemand über eine gerechtfertigte wahre Überzeugung verfügt, in de-nen wir aber trotzdem nicht sagen würden, diese Person wisse das, wovon sie überzeugtist. Seither ist eine nicht enden wollende Debatte darüber entbrannt, wie man die tradi-tionelle Wissensdefinition verbessern oder verändern müsse, um mit diesen sogenanntenGettier-Fällen fertig zu werden.1

Abgesehen davon, daß die Einschätzung der „traditionellen Antwort“einseitig ausfällt und z.B. für Ayer2 nicht zutrifft, ist bereits die These,Wissen sei wahre Überzeugung, schon in ihrem Ansatz unbefriedigend;ist eine Überzeugung nur dann wahr, wenn sie hinreichend gerechtfer-tigt oder begründet ist? Selbst dann wäre es jedoch nicht klar, was wireigentlich meinen, wenn wir sagen, Wissen sei hinreichend begründetewahre Überzeugung. Nehmen wir an, ein Prüfling stelle während einesExamens fest „Cäsar wurde ermordet“ oder „Wasser ist H2O“, dann wärees für den Prüfer nicht korrekt, fragte er „haben sie für ihre Überzeugung,

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daß Cäsar ermordet wurde, eine hinreichende Begründung?“ oder „könnensie ihre Meinung, daß Wasser H2O ist, hinreichend begründen?“ In einemExamen fragen wir den Prüfling nicht nach seiner Überzeugung und ober sie hinreichend begründen könne, wir suchen vielmehr durch Fragenherauszufinden, was er weiß, und das finden wir nur dann heraus, wennwir seine Begründung für den betreffenden Sachverhalt als hinreichendbeurteilen.

Da durch das sogenannte „Gettier-Problem“ der Eindruck entstandenist, die Behauptung „Wissen ist gerechtfertigte wahre Meinung“ sei prin-zipiell richtig, es fehle nur eine zusätzliche Bedingung,3 scheint es mirzunächst notwendig zu sein, auf das Problem einzugehen, das Gettier zu-geschrieben wird. In einem höchst einflußreichen Beitrag versucht Gettier4

durch ein Argument zu zeigen, dessen logische Grundlagen meines Wis-sens bisher nicht untersucht wurden, daß eine gerechtfertigte wahre Mei-nung nicht unter allen Umständen als ein Wissen auszulegen ist. NachGettier ist die Behauptung „A weiß, daß p“ wahr, wenn die folgendenBedingungen erfüllt werden:

(α) p ist wahr,

(β) A glaubt, daß p, und

(γ ) A ist gerechtfertigt zu glauben, daß p.

Für die Erörterung der Frage, ob jemand diese drei Bedingungen erfül-len, nicht jedoch beanspruchen könnte, er wisse, daß p, geht Gettier vondem folgenden Beispiel aus:

Let us suppose that Smith has strong evidence for the following proposition:

(f) Jones owns a Ford.

Smith’s evidence might be that Jones has at all times in the past within Smith’s memoryowned a car, and always a Ford, and that Jones has just offered Smith a ride while drivinga Ford. Let us imagine, now, that Smith has another friend, Brown, of whose whereaboutshe is totally ignorant. Smith selects three place names quite at random, and constructs thefollowing three propositions:

(g) Either Jones owns a Ford, or Brown is in Boston;

(h) Either Jones owns a Ford, or Brown is in Barcelona;

(i) Either Jones owns a Ford, or Brown is in Brest-Litovsk.

Each of these propositions is entailed by (f). Imagine that Smith realizes the entailment ofeach of these propositions he has constructed by (f), and proceeds to accept (g), (h) and (i)on the basis of (f).5

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Dieses Beispiel enthält einen logischen Fehler, der sich jedoch aus-räumen läßt. Wenn die Prämisse (f) „Jones besitzt einen Ford“ wahr ist,dann könnte die Konklusion (g) „entweder besitzt Jones einen Ford, oderBrown ist in Boston“ falsch sein, falls nämlich Brown zufällig tatsäch-lich in Boston ist. Es ist daher notwendig, für (g), (h) und (i) eine nicht-ausschließende Disjunktion zu Grunde zu legen; sein Argument z.B., dasbesagt „wenn Jones einen Ford besitzt, dann besitzt Jones einen Ford oderBrown ist in Boston“ ist logisch schlüssig; es hat die logische Form „wennp, dann p oder q.“ Nach Gettier entsteht nun ein Problem, wenn manannimmt, (f) erweise sich als falsch:

But imagine now that two further conditions hold. First, Jones does not own a Ford, butis at present driving a rented car. And secondly, by the sheerest coincidence, and entirelyunknown to Smith, the place mentioned in propositon (h) happens really to be the placewhere Brown is. If these two conditions hold then Smith does not know that (h) is true,even though (i) (h) is true, (ii) Smith does believe that (h) is true and (iii) Smith is justifiedin believing that (h) is true.6

Während Gettier in seinem Beispiel zuerst davon ausgeht, Smith habeeine „strong evidence“ für (f), kommt es ihm nun darauf an, daß (f) tatsäch-lich falsch ist. Gettier scheint daraufhin anzunehmen, ohne es ausdrücklichzu sagen „Smith glaubt, daß (f)“; denn nur unter dieser Voraussetzung ließesich erklären, daß Smith gerechtfertigt ist, zu glauben, daß (h) Jones einenFord besitzt oder Brown in Barcelona ist. Warum ist Smith gerechtfertigt,zu glauben, daß (h) wahr ist? Wenn Smith glaubt, daß (f), dann ist er zwarlogisch gerechtfertigt, zu glauben, daß (h), nicht jedoch, daß (h) wahr ist;denn für (h) hat Smith keine hinreichende Rechtfertigung. Wenn nämlichSmith glaubt, daß (f), dann muß er zugestehen, daß nicht nur (f), sonderninfolgedessen auch (h) falsch sein könnte. Aus der Prämisse „Smith glaubt,daß p“ läßt sich also schließen „Smith ist gerechtfertigt, zu glauben, daßp oder q“, nicht jedoch, daß „p oder q“ wahr ist. Wenn Smith dagegenweiß, daß p, dann ist er gerechtfertigt, zu wissen, daß p oder q wahr ist.Offensichtlich ist der Unterschied der Behauptungen „A glaubt, daß p“und „A weiß, daß p“ entscheidend; die erstere, nicht jedoch die letztereBehauptung kann wahr sein, wenn p falsch ist.

Eine weniger stringente Auslegung von Gettiers Argument hat end-lose Erörterungen veranlasst und undurchsichtige Schlußfolgerungen nachsich gezogen. Behauptet man beispielsweise, daß Smith hinsichtlich sei-ner „strong evidence“ zu wissen meint, Jones besitze einen Ford, und daßSmith daher den Schluß zieht, daß (h) wahr ist, dann würde man in demFall, daß sein “strong evidence” in Frage gestellt wird, feststellen, Smithsei gerechtfertigt zu glauben, daß (h) wahr ist, man würde jedoch nichtsagen, daß er es wisse. Es ist kein logischer Widerspruch, zu behaupten,daß jemand gerechtfertigt ist, zu glauben, daß (h) wahr ist, und festzustel-

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len, daß (h) falsch ist oder daß (h) aus Gründen wahr ist, die Smith nichtbekannt sein konnten. So war z.B. Kopernikus gerechtfertigt zu glauben,daß sich die Erde um die Sonne bewegt, es wäre jedoch falsch zu sagen,daß er es wußte. Man kann gerechtfertigt sein, zu glauben, daß p, ohnehinreichend begründen, also ohne wissen zu können, daß p. Nicht jedochaus der Rechtfertigung der Meinung, sondern des Wissens, daß, geht her-vor, daß p wahr ist. Mit den drei Wissensbedingungen beruft sich Gettierauf Ayer, ohne seine abweichende Ausdrucksweise in (β) und (γ ) zu er-wähnen und zu begründen. Es scheint mir aufschlußreich zu sein, auf dieWissensbedingungen in der Weise einzugehen, wie Ayer vorgestellt hat:

I conclude then that the necessary and sufficient conditions for knowing that something isthe case are first that what one is said to know be true, secondly that one be sure of it, andthirdly that one should have the right to be sure.7

Offensichtlich faßt Gettier, daß jemand sicher ist, daß p, nach (β) soauf, daß er dann glaubt, daß p. In diesem Sinne sucht er daher Ayersdritte Wissensbedingung zu interpretieren; wenn jemand das Recht hat,sicher zu sein, daß p, dann ist dies nicht gleichbedeutend mit (γ ), daßer dann gerechtfertigt ist, zu glauben, daß p. Ayer scheint vielmehr da-von auszugehen, jemand habe das Recht, sicher zu sein, daß p, wenn ersich nicht auf irgendeine, sondern auf eine hinreichende Begründung fürp stützen kann.8 Nach dieser Interpretation ist diese Wissensbedingungunter der Vereinbarung bedeutsam, aus der Klasse von Aussagen seienegoreflexive Mitteilungen auszuschließen wie z.B. „ich habe Schmerzen“,„mir ist schwindelig“, „ich habe Lichtempfindungen“ usw.; ich teile etwasmit, was insofern wahr ist, als es mir unmittelbar gewiß oder bewußt ist.Ich kann nicht einer Begründung, Rechtfertigung oder Schlußfolgerungentnehmen, daß ich Schmerzen habe, ich habe oder erlebe sie unmittelbar;begründe ich, warum ich Schmerzen habe, dann setze ich bereits voraus,sie zu haben. Im Falle einer aufrichtigen egoreflexiven Mitteilung, einerMitteilung über den eigenen mentalen Zustand, ist diese Mitteilung wahr,sie kann von anderen akzeptiert oder als glaubwürdig aufgefaßt, nicht je-doch begründet werden.9 Eine egoreflexive Mitteilung ist weder Gegen-stand einer Meinung noch eines Wissens; es ist offensichtlich nicht korrektzu sagen „ich glaube, daß ich Schmerzen habe“ oder „ich weiß, daß ichSchmerzen habe“, da mich niemand sinnvoll fragen kann „warum glaubstdu das?“ oder „woher weißt du das?“10 Wenn ich der Meinung bin, daßp, dann muß ich zwar keinen Grund für meine Meinung haben, es ist abermit ihr vereinbar, sie zu begründen oder begründen zu können. Ich kanndagegen nicht behaupten, zu wissen, daß p, ohne p hinreichend begründenzu können.

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Wird mit Ayers dritter Bedingung behauptet, jemand habe das Recht,sicher zu sein, daß p, nur wenn er p hinreichend begründen kann, wasbesagt dann seine zweite Wissensbedingung? Hat also jemand hinsichtlicheiner hinreichenden Begründung für p das Recht, sicher zu sein, daß p, sofolgt nicht notwendigerweise, daß er dann sicher ist, daß p; denn jemandkönnte von der Vorstellung geleitet sein, daß die Begründung für p den-noch nicht hinreichend und p falsch sein könnte; unter diesem Vorbehaltbehauptet er folglich „ich bin nicht sicher, daß p.“ Gewöhnlich verhält essich jedoch anders: haben wir das Recht, sicher zu ein, daß p, dann sindwir auch tatsächlich sicher, daß p.

Wenn wir im Blick auf die erste Wissensbedingung feststellen, p seiwahr, aber die bisher angenommene Rechtfertigung sei nicht hinreichend,dann können wir zu der Behauptung, daß p wahr ist, nur durch eine an-dere Rechtfertigung für p gelangen, die wir als hinreichend betrachten.Die Wahrheit von p zeigt sich nicht, sie wird nicht offenbar oder offen-bart, sie resultiert vielmehr aus Gründen, die wir als hinreichend auffassenoder akzeptieren, häufig ohne diese Gründe im einzelnen durchzugehenoder sich ihrer bewußt zu werden. So mache ich mir beispielsweise nichtklar, inwiefern ich mich in meiner Aussage „die Kaffeetasse ist auf demSchreibtisch“ auf eine hinreichende Begründung berufe; ich sehe, daß sieauf dem Schreibtisch ist, und das genügt mir, ich gehe also nicht auf Kri-terien ein, die für eine Kaffeetasse usw. begrifflich erfüllt sein müssen.Behaupte ich also, das Recht zu haben, sicher zu sein, daß p, dann stelleich fest, eine Rechtfertigung für p zu haben, die nur hinreichend ist, wennsie impliziert, daß p wahr ist. Die dritte Bedingung kann folglich nur unterEinschluß der Wahrheit von p als erfüllt betrachtet werden und reicht fürmeine Behauptung, ich wisse, daß p, nur aus, wenn ich wirklich sicher bin,daß p, wenn also auch die zweite Wissensbedingung erfüllt wird. Im Blickauf die vorgeschlagene Interpretation lassen sich im Gegensatz zu Ayerdie Wissensbedingungen unter systematischen Gesichtspunkten präzisie-ren. Danach ist eine Aussage wie „A weiß, daß p“ wahr, wenn die beidenfolgenden Bedingungen erfüllt werden:(i) A ist sicher, daß p und(ii) A verfügt über eine hinreichende Begründung für p unter der Voraus-setzung, daß p wahr ist.

Werden wissenschaftliche Theorien wie beispielsweise Naturgesetzeals hinreichend begründet aufgefaßt, so sind sie ex hypothesi als wahrzu betrachten. Die Frage, wann eine Rechtfertigung für p hinreichend ist,kann leider nicht nach allgemeinen erkenntnistheoretischen Prinzipien oderKriterien entschieden werden. Bei Gesprächen, bei wissenschaftlichenKonferenzen, Prüfungen, Gutachten, gerichtlich verwertbaren Zeugenaus-

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sagen, Forschungsberichten, Beweisen, Berechnungen usw. sind die Recht-fertigungsansprüche außerordentlich verschieden. Es ist unter Umständeneine Verhandlungssache oder eine Frage von Vereinbarungen, ob eineRechtfertigung als hinreichend akzeptiert wird oder akzeptiert werden soll-te. Wenn wir etwas zu wissen behaupten, so ist es immer möglich, eszu revidieren, in Zweifel zu ziehen, es als nicht hinreichend begründetzu verwerfen usw.. Es gibt weder ein absolutes noch ein letztbegründetesWissen.11 Ob oder inwiefern wir die eigenen Wahrnehmungen, Aussagenvon Beobachtern, die Erklärungen eines Lehrers oder die Artikel in einemNachschlagewerk als eine hinreichende Begründung für p auffassen, hängtvon den Begründungsansprüchen ab, mit denen wir uns zufrieden odernicht zufrieden geben. Die Frage nach der Behauptung eines Wissens kannjedoch nur dann gestellt werden, wenn die Rechtfertigung von p, nichtjedoch die Rechtfertigung der Meinung, daß p, in Betracht gezogen wird.

Welche Bedingungen werden erfüllt, wenn jemand behauptet „A glaubt(ist überzeugt), daß p“? Wenn wir von dem einfachsten Fall absehen, daßA sicher ist, daß p, ohne irgendwelche Gründe für p zu haben, wenn A z.B.sicher ist, im Lotto zu gewinnen, dann ist die Wahrheit der Behauptung „Aglaubt, daß p“ von den beiden folgenden Bedingungen abhängig:(a) A ist sicher, daß p, und(b) A hat ein Recht, sicher zu sein, daß p.

Mit (b) wird ausgedrückt, daß A mindestens einen Grund für p hat,der jedoch p nicht hinreichend zu rechtfertigen vermag; A könnte daher(mehr oder weniger) sicher sein, daß p. Wäre A jedoch der Auffassung,für p gäbe es einen Grund, ohne ihn jedoch zu akzeptieren, dann entfälltfür A die erste Meinungsbedingung; denn danach wäre A nicht sicher, daßp. Die gerechtfertigte Meinung, daß p, impliziert nicht, daß p wahr ist;im Falle einer gerechtfertigten wahren Meinung, daß p, ist strenggenom-men nur von guten, nicht von hinreichenden Gründen für p auszugehen.Dieser unterschiedliche Begründungszusammenhang wird in unserem all-täglichen Sprachgebrauch offensichtlich beachtet; wenn ich beispielsweiseweiß, daß Eva Opernsängerin ist, dann würde ich die Wahrheit bewußtverschleiern, sagte ich „ich glaube, daß Eva Opernsängerin ist“. Äußertjemand seine Meinung, dann schreiben wir dieser Meinung insofern eineepistemische Eigenschaft zu, als wir annehmen, er könne seine Meinungbegründen, aber wir nehmen nicht an, er könne sie hinreichend begrün-den. So weist z.B. Hartnack aus sprachanalytischer Sicht darauf hin, eineMeinung sei epistemisch

(...) in the sense that it informs the hearer that the speaker does not have enough evidenceto make a knowledge claim.12

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In der Frage der Unterscheidung zwischen ,glauben‘ und ,wissen‘ isteine weitere Feststellung von Hartnack aufschlußreich:

If I say that I know that p, then, if p is false, I have said something false. A necessary,although not a sufficient condition for saying that one knows that p, is that p is true.However, if I believe that p and it is discovered that p is false I shall cease to believethat p, but it is nevertheless the case that I did believe that p. If, however, I say that I knowthat p and it is discovered that p is false I cannot say that I do no longer know that p; norcan I say that I nevertheless did know it.13

Auf einen begrifflichen Unterschied werden wir verwiesen, wenn wirfeststellen, daß wir von einer Meinung oder Überzeugung sagen können,sie sei wahr, verläßlich, gerechtfertigt, falsch, nicht verläßlich oder nichtgerechtfertigt, daß wir dies aber nicht von einem Wissen behaupten kön-nen. Nicht das Wissen selbst sondern die Behauptung eines Wissens kannwahr, verläßlich oder gerechtfertigt sein, wie es auch möglich ist, von derBehauptung eines Wissens festzustellen, sie sei falsch, nicht verläßlichoder nicht gerechtfertigt. Wenn wir gelegentlich sagen, das Wissen, daßp, sei gerechtfertigt, oder von der ’Rechtfertigung des Wissens, daß p’sprechen, dann beziehen wir uns auf die Rechtfertigung von p, und zwarauf den Gesichtspunkt, daß p hinreichend gerechtfertigt ist. Es wäre einWiderspruch in sich, einerseits zu behaupten „ich weiß, daß p“ und ande-rerseits festzustellen, die Rechtfertigung für p sei falsch, nicht verläßlichoder nicht hinreichend.

Wie ich nicht sagen kann „ich wußte, daß p“, wenn sich herausstellt,daß p falsch oder die Rechtfertigung von p nicht akzeptabel ist, wohinge-gen es stattdessen korrekt wäre zu sagen „ich behauptete zu wissen, daß p“oder „ich meinte zu wissen, daß p“, so ist andererseits der Gesichtspunktbegrifflich aufschlußreich, daß wir in den Fällen, in denen wir etwas zuwissen behaupten, gewöhnlich nicht sagen oder gewöhnlich nicht verbalausdrücken, daß wir es wissen. Stelle ich beispielsweise fest „heute habenwir den 1. April“, dann könnte mich jemand fragen, woher ich denn daswisse, sagte ich stattdessen unvermittelt „ich weiß, daß heute der 1. Aprilist“, dann könnte er erstaunt erwidern, „daß heute der 1. April ist, hat dochniemand bezweifelt, oder?“ Für die ausdrückliche Verwendung des Wortes,wissen‘ hat Hartnack eine plausible Erklärung:

The fact that it is only when we are challenged that we use the expression ,I know that p‘,somehow explains and gives plausibility to the Austinian claim that there is a performativeforce in the use of that expression. It is when we are challenged and want to emphasisethat we do have sufficient evidence and want to emphasise that what we assert cannot bewrong that we use the verb ,to know‘. By using the expression ,I know that p‘, we, so tospeak, guarantee that we have sufficient evidence to assert that we cannot be wrong. If,however, we are unchallenged, or do not expect to be challenged, we state that which weknow without the use of the verb ,to know‘. The fact that we possess knowledge does not

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call for the use of the expression ,I know that p‘ but only of ,p‘ - that is, knowledge is, atleast ordinarily, stated without the use of the concept of knowledge.14

Wir müssen allerdings bedenken, daß nicht mit jeder Aussage p dieBehauptung eines Wissens verbunden ist. Stellt jemand z.B. fest „A wirddie Schachpartie gegen B gewinnen“, dann wäre es naheliegend, fragtenwir ihn „warum glaubst du, daß A die Schachpartie gegen B gewinnenwird?“, es wäre dagegen seltsam, fragten wir ihn „woher weißt Du, daß Agegen B die Partie gewinnen wird?“ Mit p kann sowohl eine Meinung wieauch ein Wissen behauptet werden.

Wenn wir herausgefordert werden oder uns herausgefordert sehen, zubetonen, hervorzuheben oder zu insistieren, daß wir dasjenige, was wirbehaupten, wissen, tatsächlich oder wirklich wissen, dann drücken wirmit dem Wort ,wissen‘ aus, wie Hartnack zutreffend feststellt, daß wir fürdasjenige, was wir behaupten, eine Garantie übernehmen und zwar im Hin-blick auf eine hinreichende Rechtfertigung, die wir zwar nicht darlegen,aber darlegen könnten. Wenn man die unterschiedlichen Bedingungen fürdie Behauptung eines Wissens und einer Meinung in Betracht zieht undvon einem gelegentlich ungenauen und sich überschneidenden Sprachge-brauch absieht, dann ist es klar, daß es aus Gründen der relativen Qualitätvon Rechtfertigungen oder Begründungen notwendig ist, Meinungen vonBehauptungen eines Wissens eindeutig zu differenzieren.

ANMERKUNGEN

1 Beckermann, A.: 2001, ‘Zur Inkohärenz und Irrelevanz des Wissensbegriffs. Plädoyerfür eine neue Agenda in der Erkenntnistheorie’, Z. Phil. Forsch. 55, 4, (571–593), S. 572f.2 vergl. Ayer, A. J.: 1956, The Problem of Knowledge, Hammondsworth, S. 16.3 So z. B. noch neuerdings: Rosenthal J.: 2001, ‘Einige Bemerkungen zum Gettier Pro-blem’, Z. Phil. Forsch., 55, 4, 540–555.4 Gettier, E. R.: 1963, ‘Is justified true belief knowledge’, Analysis, 23, (121–123); vergl.dazu Chisholm, R. M.: 1979, Erkenntnistheorie, DTV, München, (engl. 2.edn, 1977),S.149ff;. Sosa, E.: 1974, ‘How do you know?’, AmPhilQ 11, 113–122; Shope, R. K.:1983, The Analysis of Knowing. A Decade of Research, Princeton University Press, Prin-ceton/NJ, ch. 1; Craig, E.: 1993, Was wir wissen können, Suhrkamp, Frankfurt/Main,55ff; Zagzebski L.: 1994, ‘The Inescapability of Gettier Problems’, The PhilosophicalQuarterly, 44, 174, 65–73. Grundmann faßt den gegenwärtigen Stand der Beurteilung vonGettiers Argument zusammen, wenn er auf eine Wende in der Erkenntnistheorie hinweist.(Vergl. Grundmann Th.: 2001, ‘Die traditionelle Erkenntnistheorie und ihre Herausforde-rer’, in ders. Hrsg., Erkenntnistheorie – Positionen zwischen Tradition und Gegenwart,Mentis, Paderborn, 9–29, 11f).5 Gettier, a.a.O., 122f.6 Gettier, a.a.O., 123.7 Ayer, a.a.O., 35.8 Angesichts von Aussagen, die einem selbst unbegründeterweise einsichtig sind, kann

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nach Ayer diese Auffassung jedoch nicht konsequent durchgehalten werden.9 Vgl. hierzu Welding S.O.: 2002, Die Unerkennbarkeit des Geistes. Phänomenale Er-fahrung und menschliche Erkenntnis, Klett-Cotta, Stuttgart, Kap. 5–8, sowie ders.: 2004,‘Inwiefern sind mentale Phänomene eigentlich subjektiv?’, Aufklärung und Kritik 10, 1,94–101.10 Gegen die Annahme eines „Selbstwissens“ wie z.B. „ich weiß, daß ich weiß, daß p“oder „ich weiß, daß ich glaube, daß p“ vgl. Welding, a.a.O., Kap. 9.11 Die Annahme, es bestehe ein unendlicher Begründungsregress der jeweiligen Recht-fertigung basiert auf einem grundsätzlichen Irrtum. (vergl. Welding, a.a.O., Kap. 3, sowieders.: 2003, ‘Gibt es ein Erkenntnisproblem durch einen unendlichen Regress der Begrün-dung?’, prima philosophia 16, 225–232).12 Hartnack J.: 1970, ‘Some Logical Incongruities Between the Concept of Knowledgeand the Concept of Belief’, in: Kiefer, H. E./Munitz, M. K. (eds.), Language, Belief, andMetaphysics, State University of New York Press, New York, (112–121) 116.13 Hartnack, a.a.O., 112.14 Hartnack, a.a.O., S. 119.

BIBLIOGRAPHIE

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ders. Hrsg., Erkennistheorie – Positionen zwischen Tradition und Gegenwart, Mentis,Paderborn, 9–29.

Hartnack, J.: 1970, ‘Some Logical Incongruities Between the Concept of Knowledge andthe Concept of Belief’, in: Kiefer, H. E./Munitz, M. K. (eds.), Language, Belief, andMetaphysics, State University of New York Press, New York, 112–121.

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