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Wertigkeit der CK-Erhöhung Die im Serum messbare Ge- samtaktivität der CK setzt sich aus den Isoenzymen CK-MM (Skelett- muskel), CK-MB (Herz-, Skelett- muskel) und CK-BB (ZNS) zusam- men, wobei bei Gesunden diese Gesamtaktivität überwiegend aus der CK-MM besteht. Die kineti- sche Bestimmung erfasst routi- KINDER- UND JUGENDARZT 35. Jg. (2004) Nr. 8 575 FORTBILDUNG Die erhöhte Creatinkinase als Zufallsbefund Was tun? Wann ist welche Diagnostik sinnvoll? Ulrike Schara 1,3 , Hans-Jürgen Christen 2 und Matthias Vorgerd 3,4 Herrn Prof. Dr. W. Mortier gewidmet 1 Zentrum für Neuropädiatrie, Städtische Kliniken Neuss 2 Kinderkrankenhaus auf der Bult, Han- nover, Abt. für Allgemeine Kinderheil- kunde und Neuropädiatrie 3 Neuromuskuläres Labor des Muskelzen- trums Ruhrgebiet, Ruhr-Universität Bo- chum 4 Neurologische Universitäts-Klinik, Ruhr-Universtät Bochum Die Erhöhung der Creatinkinase (CK) stellt immer ein alarmierendes Signal für den Patienten und die Familie, aber auch für die behandelnden Ärztinnen/Ärzte dar. Dies gilt besonders für klinisch gesunde Personen, bei denen unerwartet eine CK-Erhöhung festgestellt wird. Eine CK-Erhöhung wird häufig zufällig im Rahmen einer Blutentnahme bei einem Infekt oder ei- ner Diagnostik vor einem elektiven operativen Eingriff festgestellt. In dieser Situation stellt sich dann die Frage des Procedere. In der Regel werden die geplanten Operationen nicht durchgeführt und die Empfehlung zu einer weiteren Abklärung gegeben. Dies führt dann aber zu den Fragen: Wie ist die CK-Erhöhung bei einem klinisch gesunden Patienten zu be- werten? und Welche Diagnostik ist wann sinnvoll? Im Gegensatz zu einem stetigen Wis- senszuwachs über Ätiologie und Diagnostik neuromuskulärer Erkrankungen ist das Thema „sinnvolle Diagnostik bei asymptomatischer CK-Erhöhung“ in der Literatur für den prakti- schen Alltag bislang nur unzureichend behandelt worden. Ziel dieses Artikels soll sein, ein sinnvolles Vorgehen für die Diagnostik aufzuzeigen, mit dem einerseits alles Notwendige berücksichtigt wird, andererseits aber unnötige Untersuchun- gen vermieden werden. Hierbei soll besonders auf die Wichtigkeit der klinischen Untersu- chung und die ausführliche Anamnese hingewiesen werden. Tab. 1: Referenzbereiche der altersabhängigen Gesamt-CK (Messung bei 37°C) Neugeborene 468 – 1200 U/l Bis 5 Tage 195 – 700 U/l < 6 Monate 41 – 330 U/l > 6 Monate 24 229 U/l Erwachsene Frauen 145 U/l Männer 170 U/l Aus: Thomas, L. (Hrsg.) Labor und Dia- gnose, 2000 nemäßig die CK-MB und CK-MM, während die Messung der CK-BB nur bei Spezialfragen erfolgt. Es existieren altersabhängige Norm- werte für diese Untersuchung bei verschiedenen Temperaturen. Derzeit werden die Untersuchun- gen überwiegend bei 37°C durch- geführt, woraus sich die Norm- werte ableiten lassen (siehe Ta- belle 1). Diese sind bei Interpreta- tion des CK-Wertes zu berück- sichtigen. Eine CK-Erhöhung ist eine Mess- größe zur Erkennung von Schä- den der Skelett- und Herzmusku- latur; im Kindesalter ist eine CK- Erhöhung, bedingt durch einen Myokardinfarkt, extrem selten, so dass hier regelhaft der Verdacht auf eine neuromuskuläre Erkran- kung gelenkt wird. Da dies aber eine weitere, zum Teil sehr auf- wändige Diagnostik impliziert, sollten vorab einige Fragen beant- wortet werden:

Die erhöhte Creatinkinase als Zufallsbefund ehöht als Zufallsbefund... · Bei der Familienanamnese sollte gezielt nach möglichen Sympto-men bei Familienmitgliedern ge-fragt werden

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Wertigkeit der CK-Erhöhung

Die im Serum messbare Ge-samtaktivität der CK setzt sich ausden Isoenzymen CK-MM (Skelett-muskel), CK-MB (Herz-, Skelett-muskel) und CK-BB (ZNS) zusam-men, wobei bei Gesunden dieseGesamtaktivität überwiegend ausder CK-MM besteht. Die kineti-sche Bestimmung erfasst routi-

KINDER- UND JUGENDARZT 35. Jg. (2004) Nr. 8 575

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DUNG

Die erhöhte Creatinkinaseals ZufallsbefundWas tun? Wann ist welche Diagnostik sinnvoll?

Ulrike Schara1,3, Hans-Jürgen Christen2 und Matthias Vorgerd3,4

Herrn Prof. Dr. W. Mortier gewidmet

1 Zentrum für Neuropädiatrie, StädtischeKliniken Neuss

2 Kinderkrankenhaus auf der Bult, Han-nover, Abt. für Allgemeine Kinderheil-kunde und Neuropädiatrie

3 Neuromuskuläres Labor des Muskelzen-trums Ruhrgebiet, Ruhr-Universität Bo-chum

4 Neurologische Universitäts-Klinik,Ruhr-Universtät Bochum

Die Erhöhung der Creatinkinase (CK) stellt immer ein alarmierendes Signal für den Patientenund die Familie, aber auch für die behandelnden Ärztinnen/Ärzte dar. Dies gilt besonders fürklinisch gesunde Personen, bei denen unerwartet eine CK-Erhöhung festgestellt wird. EineCK-Erhöhung wird häufig zufällig im Rahmen einer Blutentnahme bei einem Infekt oder ei-ner Diagnostik vor einem elektiven operativen Eingriff festgestellt. In dieser Situation stelltsich dann die Frage des Procedere. In der Regel werden die geplanten Operationen nichtdurchgeführt und die Empfehlung zu einer weiteren Abklärung gegeben. Dies führt dannaber zu den Fragen: Wie ist die CK-Erhöhung bei einem klinisch gesunden Patienten zu be-werten? und Welche Diagnostik ist wann sinnvoll? Im Gegensatz zu einem stetigen Wis-senszuwachs über Ätiologie und Diagnostik neuromuskulärer Erkrankungen ist das Thema„sinnvolle Diagnostik bei asymptomatischer CK-Erhöhung“ in der Literatur für den prakti-schen Alltag bislang nur unzureichend behandelt worden.

Ziel dieses Artikels soll sein, ein sinnvolles Vorgehen für die Diagnostik aufzuzeigen, mit demeinerseits alles Notwendige berücksichtigt wird, andererseits aber unnötige Untersuchun-gen vermieden werden. Hierbei soll besonders auf die Wichtigkeit der klinischen Untersu-chung und die ausführliche Anamnese hingewiesen werden.

Tab. 1: Referenzbereiche deraltersabhängigen Gesamt-CK(Messung bei 37°C)

Neugeborene 468 – 1200 U/l

Bis 5 Tage 195 – 700 U/l

< 6 Monate 41 – 330 U/l

> 6 Monate 24 – 229 U/l

ErwachseneFrauen ≤ 145 U/l

Männer ≤ 170 U/l

Aus: Thomas, L. (Hrsg.) Labor und Dia-gnose, 2000

nemäßig die CK-MB und CK-MM,während die Messung der CK-BBnur bei Spezialfragen erfolgt. Esexistieren altersabhängige Norm-

werte für diese Untersuchung beiverschiedenen Temperaturen.Derzeit werden die Untersuchun-gen überwiegend bei 37°C durch-geführt, woraus sich die Norm-werte ableiten lassen (siehe Ta-belle 1). Diese sind bei Interpreta-tion des CK-Wertes zu berück-sichtigen.

Eine CK-Erhöhung ist eine Mess-größe zur Erkennung von Schä-den der Skelett- und Herzmusku-latur; im Kindesalter ist eine CK-Erhöhung, bedingt durch einenMyokardinfarkt, extrem selten, sodass hier regelhaft der Verdachtauf eine neuromuskuläre Erkran-kung gelenkt wird. Da dies abereine weitere, zum Teil sehr auf-wändige Diagnostik impliziert,sollten vorab einige Fragen beant-wortet werden:

1. Ist die CK-Erhöhung Aus-druck einer primär genetischbedingten neuromuskulärenErkrankung oder durch sekun-däre Ursachen bedingt?

Sekundäre Ursachen sind:

– Akute Ursachen: Myositis (auchsubakut-chronisch möglich),Traumen, muskuläre Einstiche(z.B. i.m. Injektionen, Elek-tromyographie), operative Ein-griffe, Infektionen, Erkrankun-gen, die mit einer erhöhten moto-rischen Aktivität einhergehen(z.B. cerebrale Krampfanfälle,Hustenanfälle etc.), forciertesportliche Aktivitäten

– Chronische Ursachen: endokri-ne Erkrankungen (hier ist insbe-sondere an die Hypothyreose zudenken), Hämophilie, Medika-mente (z.B. Lipidsenker, Barbitu-rate, Amphetamine etc.), Drogen-abusus (z.B. Heroin)

Dies ist durch gezielte Fragen inder Anamnese zu belegen bzw.auszuschließen.

2. Ist die CK permanent oderintermittierend erhöht?

Wiederholte Untersuchungen er-möglichen die Unterscheidungzwischen permanenter und inter-mittierender Erhöhung. Letzterekann durchaus bei einer metabo-lischen Myopathie vorliegen.

3. Tritt die CK-Erhöhungfamiliär auf?

Durch zusätzliche Untersuchun-gen bei Eltern und Geschwisterkönnen weitere betroffene Famili-enmitglieder identifiziert werden,die Informationen für eine erblichbedingte Muskelerkrankung lie-fern. Dies ist ein wichtiger Bau-stein für die weiteren differenzial-diagnostischen Überlegungen;z.B. kann eine asymptomatischeCK-Erhöhung beim Kind und ei-nem Elternteil auf eine genetischeDisposition für die maligne Hy-perthermie (MH) hinweisen, dieautosomal-dominant vererbtwird.

4. Sind aus der Höhe der CKRückschlüsse auf die Art derErkrankung zu schließen?

Die Höhe der CK lässt allenfalls ei-ne orientierende Einordnung zu.Prinzipiell sind bei allen neuro-muskulären Erkrankungen bzw.Erkrankungen mit neuromus-kulärer Beteiligung intra- und in-terindividuelle Schwankungenmöglich. Aus diesem Grund istdas Ausmaß der CK-Erhöhungmit Vorsicht differentialdiagno-stisch zu interpretieren. So lassenErhöhungen über 1 000 U/l eheran Muskeldystrophien denken;dies ist auch möglich bei einemKonduktorinnenstatus einer X-chromosomal erblichen Dystro-phinopathie. Werte unter 1000U/l sind bei neurogenen Prozes-sen möglich, aber auch bei konge-nitalen Myopathien oder bei derspinalen Muskelatrophie. Wichtigist zu beachten, dass selbst einenormale CK eine neuromuskuläreErkrankung nicht ausschließt. Ei-ne besondere Situation liegt vor,wenn bei einem klinisch gesun-den männlichen Säugling durchZufall eine CK-Erhöhung vonmehreren 1 000 U/l auffällt. Hiergilt es, gezielt Muskeldystrophienabzuklären.

5. Gibt es eine isolierteHyperCKämie?

Die gesicherte CK-Erhöhung istauch bei einem asymptomati-schen Patienten hinweisend füreine neuromuskuläre Erkran-kung. Durch die stetig zuneh-mende Kenntnis neuerer Erkran-kungen wird die Gruppe dersogenannten „isolierten Hy-perCKämie” immer kleiner.Durch gezieltes patienten- undproblemorientiertes Vorgehensollte die weitere Diagnostik sinn-voll eingesetzt werden.

AnamneseBesteht eine CK-Erhöhung, hin-weisend auf eine genetisch be-dingte neuromuskuläre Erkran-kung, sollte im nächsten Schrittdie eingehende Eigen- und Fami-lienanamnese folgen. Hierbei istgrundsätzlich zu beachten, dass

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Neugeborenen-/SäuglingszeitTrinkschwäche, respiratorischeProbleme, Hypotonie

Ab KleinkindalterEntwicklungsverzögerung,besonders motorisch undsprachlichBelastungsintoleranzAntriebsarmutHäufiges Hinfallen und StolpernMuskelsteifheitVerlust motorischer FähigkeitenMyalgien, MuskelkrämpfeRhabdomyolysenNarkose-Zwischenfälle

Tab. 2: Symptome bei neuro-muskulären Erkrankungen

die klinischen Symptome einerneuromuskulären Erkrankung inAbhängigkeit vom Alter des Pati-enten unterschiedlich sein kön-nen.

Bei der Eigenanamnese ist be-sonders die motorische Entwick-lung mit ihren Meilensteinen zuerfragen; mögliche wegweisendeBefunde sind in Tabelle 2 aufge-listet. Wichtig ist es, diese häufigunspezifischen Symptome gezieltzu erfragen, da sie selten spontangenannt werden, wenn kein offen-sichtlicher Zusammenhang be-steht.

Bei auffälligen Symptomen mussder zeitliche Ablauf erfragt wer-den. Sind diese akut aufgetreten?(z.B. bei einer Myositis). Zeigt dieErkrankung einen periodischenVerlauf? (z.B. bei einer periodi-schen Parese). Ist der Verlauf eherstatisch oder chronisch? (z.B. beieiner hereditären Neuropathieoder kongenitalen Myopathie).

Weitere wichtige Informatio-nen: Kommt es im Rahmen vonInfekten oder nach körperlichenBelastungen zu einer inadäquatenVerschlechterung? (z.B. bei einerMitochondriopathie oder bei kon-genitalen myasthenen Syndro-men). Sind bei fieberhaften Infek-ten oder nach Belastungen Rhab-domyolysen aufgetreten? (z.B. beimetabolischen Myopathien).

Bei der Familienanamnese solltegezielt nach möglichen Sympto-men bei Familienmitgliedern ge-fragt werden. Dies ermöglicht ei-ne Stammbaumanalyse, die Rück-schlüsse auf einen möglichen Erb-gang zulässt. Hierbei sollte auchnach möglicherweise neu aufge-tretenen Symptomen bei der Mut-ter während einer Schwanger-schaft oder nach Aborten gefragtwerden – Auffälligkeiten, wie siez.B. bei der myotonen DystrophieSteinert (MD1) vorkommen kön-nen. Bei X-chromosomal rezessi-ven Erbgängen können weiblicheMitglieder klinisch gesund, aberKonduktorinnen mit CK-Er-höhungen sein; die männlichenMitglieder sind zu 50% manifestbetroffen. Wichtig ist auch, dasPrinzip der Antizipation zuberücksichtigen, d.h. die Schwereder Symptomatik nimmt von Ge-neration zu Generation zu. Dieserfordert, in der Anamnese gezieltnach milderen Symptomen in äl-teren Generationen zu fragen. Beimultisystemischen Erkrankungensollte nach der Beteiligung ande-rer Organe gefragt werden, z.B.bei MD1 nach Schilddrüsenfunk-tionsstörungen, Katarakten, Dia-betes mellitus, Hörstörungen. Beider fazioskapulohumeralen Mus-keldystrophie können zusätzlichHörstörungen, Retinaverände-rungen oder Herzerkrankungenauftreten. Narkosekomplikatio-nen in der Familie bei sonst ge-sunden Mitgliedern können Hin-weise für eine genetische Disposi-tion zur malignen Hyperthermiegeben. „SIDS-Fälle” können auchim Rahmen neuromuskulärerErkrankungen fehlgedeutet wor-den sein, z.B. bei einer spinalenAtrophie mit „respiratorischemDistress” (SMARD1).

Klinische UntersuchungDer zweite wichtige Baustein istdie eingehende klinisch interni-stische und neurologische Un-tersuchung. Hier sind Muskelre-lief, -tonus, -kraft und das Gang-bild sowie der Reflexstatus wichti-ge Parameter. Häufige Befundebei neuromuskulären Erkrankun-gen sind in Tabelle 3 aufgeführt.Darüberhinaus sind auch motori-

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Hypotonie(z.B. Henkelstellung der Arme, Frosch-haltung der Beine, überstreckbare Ge-lenke)

Muskelschwäche(z.B. pos. Gowers’ Zeichen, Durch-schlupfphänomen, Hüftschaukeln,hypotone Fazies)

Auffälliges Muskelrelief(z.B. Muskelatrophie, Pseudohypertro-phie der Waden oder anderer Muskeln)

Gangauffälligkeiten(z.B. Zehengang, Watschelgang, Fuß-fehlstellungen)

Kontrakturen, Wirbelsäulen-deformitäten

Reflexauffälligkeiten(Hypo-, Areflexie)

Sensibilitätsstörungen

Tremor, Faszikulationen

Ptosis, externe Ophthalmoplegie

Tab. 3: Häufige Befunde bei neu-romuskulären Erkrankungen

sche und zeitgebundene Funktio-nen zu bewerten, z.B.: Aufstehenaus Rückenlage, 4 Treppenstufensteigen, schnelles Laufen von 10Metern. Diese sind hilfreich fürdie Bewertung der Muskelkraftund -funktionen.

In seltenen Fällen sind bei derUntersuchung pathognomonischeBefunde zu erheben, wie bei der„Rippling”-Muskelerkrankung(Abb. 3): „Rippling” (Wellen-arti-ge Bewegung der Muskulatur),„Mounding” (schmerzhafteWulstbildung der Muskulaturnach Stoß oder Perkussion) oder„PIRC” (Druck-induzierte rascheMuskelkontraktionen).

Weitere DiagnostikIm klinischen Alltag sollte eine er-höhte CK mit anamnestischenund / oder klinischen Auffälligkei-ten zu einer weiteren Diagnostikführen. Hierbei können durchEKG und Echokardiographie einekardiale sowie durch die Lungen-funktion eine pulmonale Beteili-gung belegt bzw. ausgeschlossenwerden. Bei Letzterer ist überwie-gend eine restriktive Ventilations-störung zu erwarten.

Aus den zahlreich genanntenwichtigen Faktoren, die bei derAbklärung der asymptomatischenCK-Erhöhung eine Rolle spielen,lassen sich viele denkbare Kon-stellationen mit entsprechendemdiagnostischen Procedere ablei-ten. Wenn neben der gesichertenCK-Erhöhung weder anamnes-tisch noch klinisch Auffälligkeitenbestehen, die o.g. Zusatzuntersu-chungen unauffällig waren, dannschließt das eine neuromuskuläreErkrankung nicht endgültig aus.Die CK-Erhöhung kann z.B. Aus-druck einer sich erst spätermanifestierenden Erkrankungsein. Sie kann aber auch bedingtsein durch die genetische Disposi-tion zu einer malignen Hyper-thermie (MH). Die Patienten sindklinisch gesund und nur bei Ver-wendung von „Triggersubstan-zen” während Narkosen vital ge-fährdet. Es liegt in der Verant-wortung des Anästhesisten die inFrage kommenden Anästhetikaoder Muskelrelaxantien unter die-sem Aspekt kritisch zu prüfen. Pa-tienten mit unklarer CK-Er-höhung dürfen bei notwendigwerdenden Narkosen keine „Trig-gersubstanzen” einer MH erhal-ten. Um diese wichtigen Informa-tionen auch in Notfällen zugäng-lich zu machen, erscheinen SOS-Anhänger an Ketten oder Arm-bändern sinnvoll. Bei anzuneh-mendem autosomal-dominantenErbgang sollte so auch bei den Fa-milienmitgliedern vorgegangenwerden. Ein sicherer Beleg / Aus-schluss ist derzeit nur durch denin-vitro-Kontrakturtest (nach eu-ropäischem Protokoll) an einer of-fenen Muskelbiopsie möglich.Gibt es allerdings schon einen In-dexfall in der Familie mit gesi-cherter Mutation im Ryanodin-Rezeptor Gen, dann können wei-tere Familienmitglieder gezieltgenetisch untersucht werden, umdiese Diagnose zu belegen / aus-zuschließen. Grundsätzlich sollteim Falle einer Biopsie für die MH-Diagnostik immer auch Muskelge-webe für weitere Untersuchungenzum Beleg / Ausschluss einer neu-romuskulären Erkrankung ent-nommen werden.

In den meisten Fällen werden ne-ben der CK-Erhöhung anamne-stisch und / oder klinisch hinwei-sende Befunde erhoben. Es soll-ten problemorientiert weitere Un-tersuchungen veranlasst werden;in diesen Fällen ist die Mitbeurtei-lung und Abklärung in einemMuskelzentrum empfehlenswert.In Abhängigkeit der Fragestellungsollten dort spezielle Untersu-chungen (z.B. Myosonographie,Neurophysiologie inkl. EMG, MRTund / oder MR-Spektroskopie derMuskulatur, Ischämischer Arbeit-stest, Belastungstests sowie dieMuskelbiopsie und gezielte gene-tische Analysen) durchgeführtwerden.Anhand einiger Fallbeispielesoll das Vorgehen illustriertwerden.1. Bei einem Jungen sind CK, GOT,GPT und LDH erhöht; klinisch ister bis auf eine Wadenhypertro-phie unauffällig (Abb. 1). Anam-nestisch berichten die Eltern überhäufiges Stürzen und Stolpern imKleinkindalter, darüberhinausMyalgien nach Belastung. In derFamilienanamnese sind keineneuromuskulären Erkrankungenbekannt. EKG, ECHO und Lungen-funktion sind normal.Bei diesen Befunden ist eineBecker-Muskeldystrophie denk-bar; hier kann eine Myosonogra-phie mit diffuser Echogenitätsan-hebung Zusatzinformationen lie-fern. Die genetische Untersu-chung im Dystrophin-Gen kanndie Diagnose belegen, wenn eineDeletion vorliegt. Ein negativerBefund schließt aber eine X-chro-mosomale Dystrophinopathienicht aus. Hier muss zur weiterenAbklärung die Muskelbiopsie er-folgen. Dies hat Konsequenzen fürden Patienten (regelmäßige kar-diale Diagnostik, Narkose-Risiko)und für die Erfassung des Kon-duktorinnenstatus bei der Mutter(kardiales und Narkose-Risiko).2. Bei der Konstellation CK-Er-höhung, unauffälliger klinischerBefund, anamnestisch Belas-tungsintoleranz, Myalgien mit /ohne infektassoziierten Rhab-domyolysen sind metabolischeMyopathien zu berücksichtigen.

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Abb. 1: Ausgeprägte Wadenhy-pertrophie und Scapulae alataebei einem 7jährigen Jungen mitDuchenne-Muskeldystrophie.

Hier liefert der ischämische Ar-beitstest wichtige Informationenbei V.a. Glyko(geno)lyse-Defekteoder Störungen des Purinstoff-wechsels i.S. eines fehlenden Lak-tatanstiegs oder einer unzurei-chenden Ammoniak-Produktion.Eine Muskelbiopsie kann zur wei-teren Klassifikation mittels enzy-mhistochemischen Färbungensinnvoll sein, um dann gezielt diemolekulare Analyse einzusetzen.Nach Diagnosesicherung könnentherapeutische Ansätze mit z.B.Kreatinmonohydrat-Substitutionbei der McArdle-Krankheit (Gly-kogenose Typ V) oder die Gabevon D-Ribose vor körperlicherAnstrengung beim Myoadenylat-deaminase-Defekt genutzt wer-den.

3. Intermittierende CK-Erhöhung,belastungsabhängige Schmerzennach längerer körperlicher Be-lastung (ca. 20–30 Minuten) undinfektassoziierte Rhabdomyoly-sen bei sonst sämtlich unauffälli-gen Befunden

lassen an eine Lipidmyopathie,hier besonders an den Carnitin-Palmityl-Transferase-II-Defekt(CPT II), denken. Die langkettigenAcylcarnitine im Serum könnenspezifisch verändert sein. Beidringendem Verdacht kann dieDiagnose durch die gezielte Muta-

Abb. 2: Patient mit kongenitalem myasthenen Syndrom und nach-gewiesener Mutation in der Epsilon-Untereinheit des Acetylcholin-rezeptors. Schwäche der Gesichtsmuskulatur mit beidseitiger Ptose.

tionsanalyse im CPT II-Gen be-stätigt werden, ohne das eineMuskelbiopsie erforderlich ist.

4. Eine normale oder eine leichterhöhte CK in Kombination mitBelastungsintoleranz, „Einbruchbei Infekten” bis zur respiratori-schen Insuffizienz und statomoto-rische Retardierung mit / ohneHypotonie

können hinweisend auf ein kon-genitales myasthenes Syndromsein; familienanamnestisch kön-nen SIDS-Fälle berichtet werden.Weitergehende Untersuchungen:Acetylcholinrezeptor-Antikörper(in der Regel negativ), Überprü-fung der Transmission und derEdrophonium-Test (Camsilon®-Test). Genetische Analysen in ver-schiedenen Genen können dieDiagnose belegen, die möglichstnach Rücksprache mit speziali-sierten Zentren veranlasst wer-den sollten. Dies hat unmittelbaretherapeutische Konsequenzen; inden meisten Fällen können mitder Mestinon®-Therapie deutlichePositiveffekte erzielt werden(Abb. 2).

Neben einer Myasthenie sindauch Mitochondriopathien denk-bar; hier führen Laktatbestim-mungen im Serum und Liquor so-wie die Untersuchungen weitererbetroffener Organe wie Herz, Le-ber, Auge, Ohr weiter. Die Mutati-onsanalyse ist bei Verdacht auf ei-ne definierte mitochondriale Er-krankung (z.B. MELAS-Syndrom)möglich. Bei nicht definierten

mitochondrialen Syndromen istzur weiteren Charakterisierungdes biochemischen Defektes dieMuskelbiopsie indiziert und erstbei bekanntem Defekt dann diegezielte molekulare Analyse sinn-voll.

5. Bei einem Patienten mit leich-ter CK-Erhöhung, kräftigem Mus-kelrelief ohne weiteren auffälli-gen Befund, aber anamnestisch,„Startschwierigkeiten” und Bes-serung nach körperlicher Akti-vität

müssen Myotonien berücksichtigtwerden. Hier ist die Elektromyo-graphie eine wichtige Ergän-zungsuntersuchung, die in denmeisten Fällen myotone Entla-dungen erfasst. Mit zusätzlichenfamilienanamnestischen Anga-ben kann die molekular-geneti-sche Analyse veranlasst werden.

Die eher seltene „Rippling”-Mus-kelerkrankung fällt durch typi-sche Druck-induzierte Muskel-kontraktionen auf (Abb. 3), diemit einer Myotonie verwechseltwerden können. In diesem Fall istdas EMG unauffällig, ohne Nach-weis myotoner Entladungen. Diegezielte genetische Untersuchungim Caveolin-3 Gen kann bei Muta-tionsnachweis die Diagnose bele-gen.

KonsequenzenLetztlich bleibt nach Ausschlussmöglicher Differentialdiagnosendas Risiko einer genetischen Dis-

position zur MH bei asymptomati-scher CK-Erhöhung bestehen.Dies ist bei Narkosen zu berück-sichtigen. Mit den Betroffenenund deren Familien muss die Si-tuation besprochen werden.

Sollte bei einem klinisch unauffäl-ligen Patienten die Muskelbiopsiezunächst nicht durchgeführt bzw.eine Diagnose nicht gestellt wer-den, so sind weitere klinische Ver-laufsuntersuchungen sinnvoll.Dies ist wichtig, um zusätzlichauftretende Symptome früh zu er-kennen und ggfls. die Diagnostikzu erweitern. Zur Erfassung kar-dialer und / oder respiratorischerAuffälligkeiten sind Kontrollun-tersuchungen von EKG, Echokar-diographie und Lungenfunktionin 2–3 jährigen Abständen bzw.bei neu auftretenden Symptomensinnvoll.

Abschließend muss nochmal be-tont werden, dass auch nach Dia-gnosesicherung den Patientenhäufig nur eine symptomatischeTherapie angeboten werdenkann. Dennoch ist die Diagnosesi-cherung auch wichtig für die Pro-gnose und die genetische Bera-tung einschließlich der Pränatal-diagnostik.

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Abb. 3: Druck-induzierte rasche Kontraktionen bei einem 14jährigen Jungen mit “Rippling”-Muskel-erkrankung. Ruheposition (A), nach Druck rasche und kurz anhaltende Dorsiflexion der linken Hand(B), nach ca. 1 Sek. wieder Entspannung (C).

CB

Danksagung

Wir danken Herrn Prof. Dr. Mor-tier für die kritische Durchsichtdes Manuskripts.

A

Weiterführende Literatur

1. Mortier, W. (2002) NeuromuskuläreErkrankungen. In: Sitzmann, F.C.(Hrsg.) Pädiatrie, 2. Auflage, ThiemeVerlag, Stuttgart, S. 862-889

2. Jones, H.R., Jr., De Vivo, D.C., Darras,B.T. (Eds.) (2003) Neuromuscular Dis-orders of Infancy, Childhood and Ado-lescence. A Clinician’s Approach. But-terworth Heinemann, Philadelphia

3. Karpati, G., Hilton-Jones, D., Griggs,R.C. (Eds.) (2001) Disorders of Volun-tary Muscle, 7th edition. CambridgeUniversity Press, Cambridge

4. Rieß, O., Schöls, L. (Hrsg.) (2002) Neu-rogenetik. Molekulargenetische Dia-gnostik neurologischer und psychiatri-scher Erkrankungen. Kohlhammer Ver-lag, 2. Auflage

5. Schara, U., Mortier, W. (2003) Neuro-muskuläre Erkrankungen (NME): Teil 1:Spinale Muskelatrophien, periphereNervenerkrankungen, kongenitale my-asthene Syndrome. Monatschr. Kinder-heilkd., 151:1221-1239

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7. Schulte am Esch, J., Scholz, J., Wapp-ler, F. (Eds.) (2000) Malignant Hyper-thermia. Pabst Science Publishers, Len-gerich

8. Stein, W. (2000) Creatinkinase (Ge-samtaktivität) Creatinkinase-Isoenzy-me und -Varianten. In: Thomas, L.(Hrsg.) Labor und Diagnose. Indikationund Bewertung von Laborbefunden für

die medizinische Diagnostik. TH-BooksVerlagsgesellschaft, 5. Auflage, S. 73-83

9. Online Mendellian Inheritance in Man,http://www3.ncbi.nlm.nih.gov/Omim/searchomim.html

Dr. med. Ulrike ScharaLeitende ÄrztinZentrum für NeuropädiatrieStädtische Kliniken NeussLukaskrankenhaus GmbHAm Kivitzbusch 741462 NeussE-mail: [email protected]

Red.: Christen

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